Artur-Axel Wandtke (Hrsg.) Medienrecht Praxishandbuch
Medienrecht Praxishandbuch Herausgegeben von Dr Artur-Axel Wand...
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Artur-Axel Wandtke (Hrsg.) Medienrecht Praxishandbuch
Medienrecht Praxishandbuch Herausgegeben von Dr Artur-Axel Wandtke Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Bearbeitung: Dr Kirsten-Inger Wöhrn
De Gruyter Recht · Berlin
Herausgeber: Professor Dr Artur-Axel Wandtke, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-422-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2008 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, 06773 Gräfenhainichen Druck und Bindung: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co. KG, Kevelaer
Vorwort Dem „Medienrecht“ als Gestaltungsmittel für die Unternehmenskultur und für die Rechtsdurchsetzung kommt eine immer größer werdende Bedeutung zu. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Informations- und Kommunikationsprozesse in der geistigen Produktion und die Verwertungsbedingungen der Medienprodukte gewinnen für die Unternehmen zunehmend an Gewicht. Werbemaßnahmen, Merchandising, Public Relations, Telemediendienste, Online-Nutzungen im Internet und Marketingstrategien der Medienunternehmen müssen rechtlich abgesichert werden. Mit dem vorliegenden Medienrechtsbuch erfolgt eine systematische und problemorientierte Darstellung von Rechtsfragen, die sich aus der Produktion, Verbreitung und Verwertung von Medienprodukten durch Unternehmen ergeben. Neben den klassischen Medienunternehmen, zB Verlagen, Hörfunk- und Fernsehunternehmen sowie Filmproduzenten, sollen Unternehmen angesprochen werden, die Medienprodukte herstellen, zB die Software-, Musik- und Telekommunikationsindustrie. Es werden schwerpunktmäßig die Rechtsfragen angesprochen, die sich vor allem aus der Vermarktung der Medienprodukte zwischen den Unternehmen in der realen und der virtuellen Medienwelt ergeben. Das betrifft die Produktion, Distribution und Konsumtion immaterieller Güter als Medienprodukte (zB Zeitungsartikel, Musikwerke, Computerspiele und Filme) im Internet genauso wie die Vermarktung von Persönlichkeitsrechten. Für die Unternehmen ist von Bedeutung, welche Regeln einzuhalten sind, damit Rechtskonflikte vermieden werden können. Deshalb werden medienrechtliche Grundsätze und Spezifika einzelner Rechtsgebiete erläutert (zB Presse-, Rundfunk-, Werbe-, Wettbewerbs-, Urheber-, Kartell-, Telekommunikations-, Telemedien-, Design- und Markenrecht) und deren Anwendungsprobleme beschrieben. Hervorzuheben ist der Schutzgedanke des Medienrechts, der gleichsam die rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt. Dazu gehören zB das Strafrecht, das Datenschutz- und Jugendschutzrecht. Dabei spielen die europarechtlichen Bezüge eine erhebliche Rolle. Denn das Medienrecht ist europarechtlich geprägt. Das Medienrechtsbuch wendet sich in erster Linie an Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte und Juristen in den genannten Unternehmen. Die Publikation wirft Rechtsfragen auf und bietet Lösungswege. Die spezifischen medienrechtlichen Probleme der einzelnen Rechtsgebiete werden zusammenfassend dargestellt und aktuelle Rechtsprobleme der Rechtsprechung kritisch hinterfragt. Die Massen- und Individualkommunikation, die im Informations- und Kommunikationsprozess nicht immer scharf voneinander getrenntwerden können, werfen völlig neue Fragen der Rechtsgestaltung auf. Medienprodukte als Resultat der geistigen Produktion unterliegen auch dem Schutz des Immaterialgüterrechts. Dieser Aspekt des Medienrechts wird gleichermaßen in der Publikation behandelt. Das Internet und die Digitalisierung führen zu neuen Strukturen und Angeboten der Medienunternehmen und zu einer kulturellen Infrastruktur, die das Medienrecht immer stärker in den Fokus zur Lösung von Rechtskonflikten stellt. Die Publikation ist überwiegend von Rechtsanwälten geschrieben worden, die ihre praktischen Erfahrungen in ihre Beiträge haben einfließen lassen. Sie umfasst viele Facetten des Medienrechts und berücksichtigt die Richtlinien der EU und die Reformen des Urheberrechts (Korb II). Mein Dank gilt den wissenschaftlichen Mitarbeitern meines Lehrstuhls, Frau Claire Dietz, Herrn Dr Michael Kauert, Herrn Dr Sebastian Schunke und Frau Susanna Sturs-
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Vorwort
berg, vor allem Frau Dr Kirsten-Inger Wöhrn und Herrn Dr Ferdinand Grassmann, die mit Engagement das schwierige Projekt organisatorisch zu leiten vermochten. Den Lesern bin ich für kritische Hinweise und Anregungen dankbar. Berlin, im Juni 2008
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Artur-Axel Wandtke
Verzeichnis der Bearbeiter Professor Dr. Kurt Bartenbach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz, CBH Rechtsanwälte, Köln Sascha Begemann, Humboldt-Universität zu Berlin Rechtsanwalt Dr. Boris Blank, Rechtsanwälte Schlüter Graf & Partner, Dortmund Rechtsanwältin Dr. Sabine Boksanyi, Taylor Wessing, München Rechtsanwalt Professor Dr. Oliver Castendyk, Erich Pommer Institut gGmbH a. d. Universität Potsdam Dr. Ilja Czernik, Berlin Rechtsanwalt Dr. Soenke Fock, LL.M., Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, CBH Rechtsanwälte, Köln Hon. Professor Hans Joachim von Gottberg, Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V., Berlin Dr. Ferdinand Grassmann, Richter, Dessau-Roßlau Rechtsanwalt Matthias Hartmann, HK2 Rechtsanwälte, Berlin Professor Dr. Bernd Heinrich, Humboldt-Universität zu Berlin Thomas Tobias Hennig, LL.M., Friedrich-Schiller-Universität Jena Rechtsanwalt Dr. Ulrich Hildebrandt, Lubberger Lehment, Berlin, Lehrbeauftragter der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Professor Dr. Thomas Hoeren, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Rechtsanwalt Dr. Ole Jani, CMS Hasche Sigle, Berlin, parlamentarischer Berater für Urheberrechtspolitik im Deutschen Bundestag Dr. Michael Kauert, Humboldt-Universität zu Berlin Rechtsanwalt Dr. Volker Kitz, LL.M. (NYU), Höcker Rechtsanwälte, Köln, Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbsund Steuerrecht, München, Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität, München Rechtsanwalt Dr. Alexander R. Klett, LL.M. (Iowa), Reed Smith LLP, München Dr. Gregor Kutzschbach, Bundesministerium des Innern, Berlin Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Maaßen, Justiziar des BFF Bund Freischaffender FotoDesigner, Düsseldorf Rechtsanwalt Dr. Mirko Möller, LL.M., Rechtsanwälte Schlüter Graf & Partner, Dortmund Rechtsanwalt Dr. Ulf Müller, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster/Düsseldorf Maja Murza, LL.M., Justiziarin, Berlin Rechtsanwältin Dr. Claudia Ohst, Fachanwältin für Informationstechnologierecht, K&L Gates LLP, Berlin Rechtsanwalt Dr. Stephan Ory, Püttlingen, seit 2001 Lehrbeauftragter der Universität des Saarlandes, Vorsitzender des Medienrates der Landesmedienanstalt Saarland
VII
Verzeichnis der Bearbeiter
Rechtsanwalt Jan Pohle, Taylor Wessing, Düsseldorf, Lehrbeauftragter der Carl-von-Ossietzki-Universität Oldenburg sowie der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Rechtsanwalt Dr. Sebastian Schunke, Jazzpianist, Komponist, Lehrbeauftragter der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Berlin Rechtsanwältin Andrea Stauber, Leiterin der Rechtsabteilung Grundy UFA TV Produktions GmbH, Berlin Professor Dr. Artur-Axel Wandtke, Humboldt-Universität zu Berlin Rechtsanwalt Dr. Marcus von Welser, LL.M., München Dr. Kirsten-Inger Wöhrn, Humboldt-Universität zu Berlin
VIII
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Bearbeiter . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . .
Teil 1 1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel 4. Kapitel 5. Kapitel
Teil 2 1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel 4. Kapitel 5. Kapitel 6. Kapitel 7. Kapitel
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V VII XI XXI
Medien im technologischen Zeitalter (Artur-Axel Wandtke) . . . . Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin (Oliver Castendyk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisches Medienrecht (öffentliches und privates Medienrecht) (Oliver Castendyk/Andrea Stauber) . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums (Marcus von Welser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des geistigen Eigentums (Marcus von Welser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Einführung und Grundlagen
9. Kapitel 10. Kapitel 11. Kapitel 12. Kapitel 13. Kapitel Teil 3
Wettbewerbsrecht und Werberecht
1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel 4. Kapitel
69 79 185 227
Schutzvoraussetzungen und Verwertung von Medienprodukten Urheberrecht (Ole Jani) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Filmrecht (Ilja Czernik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musikrecht (Sebastian Schunke) . . . . . . . . . . . . . . . . Fotorecht (Wolfgang Maaßen) . . . . . . . . . . . . . . . . . Computerrecht – Computerspiele (Michael Kauert) . . . . . . Verlagsrecht (Volker Kitz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marken-/Kennzeichenrecht (Ulrich Hildebrandt/ Thomas Tobias Hennig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz (Alexander R. Klett) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtlicher Schutz von Signets und Logos (Alexander R. Klett) Domainrecht (Thomas Hoeren) . . . . . . . . . . . . . . . . Geschmacksmusterrecht/Designrecht (Kirsten-Inger Wöhrn) . Patent-/Gebrauchsmusterrecht (Kurt Bartenbach/Soenke Fock) Lizenzvertragsrecht (Kurt Bartenbach/Soenke Fock) . . . . . .
8. Kapitel
. . . .
Wettbewerbsrecht (Mirko Möller/Boris Blank) . . Medienkartellrecht (Ulf Müller) . . . . . . . . . . Rundfunkwerberecht (Oliver Castendyk) . . . . . Heilmittelwerberecht (Maja Murza) . . . . . . . .
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265 369 451 499 593 643
. .
707
. . . . . .
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773 791 801 835 865 875
. . . .
. 955 . 1099 . 1199 . 1245
IX
Inhaltsübersicht
Teil 4
Rundfunkrecht und Presserecht
1. Kapitel 2. Kapitel
Rundfunkrecht (Stephan Ory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Presserecht (Sabine Boksanyi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 5
Telekommunikation und Telemedien
1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel
Telemedienrecht (Matthias Hartmann) . . . . . . . . . . . . . . 1361 Telekommunikationsrecht (Jan Pohle) . . . . . . . . . . . . . . . 1455 IT-Sicherheitsrecht (Gregor Kutzschbach) . . . . . . . . . . . . . 1525
Teil 6
Schutz der Persönlichkeit
1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel
Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Sabine Boksanyi) . . . . . . . . 1551 Kommerzialisierte Persönlichkeitsrechte (Sabine Boksanyi) . . . . 1567 Bildnisschutz (Sascha Begemann/Ferdinand Grassmann) . . . . . . 1585
Teil 7
Schutzrahmen von Medien
1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel
Datenschutzrecht (Claudia Ohst) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1619 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht) (Hans Joachim von Gottberg) 1683 Medienstrafrecht (Bernd Heinrich) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1759
Stichwortverzeichnis
X
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1275 1311
1891
Abkürzungsverzeichnis aA abl ABl Abs abw AbzG aE aF AfP AG AGB AGC AGICOA
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anderer Ansicht ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz abweichend Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte (Abzahlungsgesetz) am Ende alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht; Arbeitsgemeinschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Automatic Gain Control Association de Gestion Internationale Collective des Œuvres Audiovisuelles Association Internationale pour la Protection de la Propriété Industrielle allgemeine Meinung Alternative Amtliche Begründung Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsgemeinschaft American Society of Composers, Authors and Publishers (www.ascap.com) American Standard Code for Information Interchange Arbeit und Recht ausdrücklich Aktenzeichen Allgemeine Vertragsbestimmungen zum Architektenrecht
BAG BAGE BayObLG BB BDS BdÜ Begr Bek Beschl BFH BG BGB BGBl
Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Bund Deutscher Schriftsteller Bund deutscher Übersetzer Begründung Bekanntmachung Beschluss Bundesfinanzhof (Schweizerisches) Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt
AIPPI allg M Alt AmtlBegr Anm AP ArbG ArbNErfG ARD ARGE ASCAP
XI
Abkürzungsverzeichnis BGH BGHSt BGHZ BIEM BKartA BlPMZ BMJ BNotO BOS(chG) BPatG BR-Drucks BRegE BRRG BSHG Bsp bspw BT BT-Drucks BuB Buchst BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG bzgl bzw CGMS CIS CISAC CLIP CMMV CORE CPRM/CPPM CR CRi CSS c’t DAT DB DEFA DENIC ders dies DIN-Mitt Diss DLR-StV DMCA DOI Dok
XII
Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bureau International gérant les Droits de l’Enrégistrement et de la Reproduction Méchanique Bundeskartellamt Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen Bundesministerium der Justiz Bundesnotarordnung Bühnenoberschiedsgericht Bundespatentgericht Bundesrats-Drucksache Entwurf der Bundesregierung Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialhilfegesetz Beispiel beispielsweise Bundestag Bundestags-Drucksache Buch und Bibliothek Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz) Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise Copy Generation Management System Common Information System Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs European Max Planck Group for Conflict of Laws in Intellectual Property Clearingstelle Multimedia (www.cmmv.de) Internet Council of Registrars (www.corenic.org) Content Protection for Recordable and Prerecorded Media Computer und Recht Computer und Recht International Content Scrambling System Magazin für computertechnik Digital Audio Tape Der Betrieb Deutsche Film AG (www.defa-stiftung.de) Domain Verwaltungs- und Betriebsgesellschaft eG (www.denic.de) derselbe dieselbe(n) Mitteilungen des Deutschen Instituts für Normung e. V. Dissertation Staatsvertrag über die Körperschaft des öffentlichen Rechts „Deutschlandradio“ Digital Millennium Copyright Act (US-Bundesgesetz) Digital Object Identifier Dokument
Abkürzungsverzeichnis DPMA DRiG DRM DStR DTCP DtZ DuD DVB DVBl DVD DZWiR
Deutsches Patent- und Markenamt Deutsches Richtergesetz Digital Rights Management Deutsches Steuerrecht Digital Transmission Content Protection Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Digital Video Broadcasting Deutsches Verwaltungsblatt Digital Versatile Disc Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
E ECMS EG EGBGB EGV Einf Einl EIPR ENTLR EPA epd-medien EU EuFSA EuG EuGH EuGV(V)O
Entwurf Electronic Copyright Management System Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung European Intellectual Property Review Entertainment Law Review Europäisches Patentamt Evangelischer Pressedienst – Medien Europäische Union Europäisches Fernsehschutzabkommen Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen European Union Public Licence Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht einstweilige Verfügung Einigungsvertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, jetzt EG Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
EuGVÜ EUPL EuZW EV EVertr EWG EWiR EWS f FDGewRS ff FFG FIDE FinG Fn FS FSK FuR
folgende Fachdienst Gewerblicher Rechtsschutz folgende Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz) Féderation Internationale pour le droit Européen Finanzgericht Fußnote Festschrift Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft Film und Recht
GA GATT GBl GebrMG
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt (der DDR) Gebrauchsmustergesetz
XIII
Abkürzungsverzeichnis gem GEMA GeschmMG GewStG GG ggf, ggfs gif GmbH GMBl GNU GPL GPRS grds GRUR GRUR Int GRUR-RR GrZS GTA GÜFA GVBl GVL GWB GWFF
Halbbd HalblSchG HS HauptB Hdb HDCP hL hM Hrsg ICANN idF idR idS iE IFPI IIC IMHV
insb InstGE
XIV
gemäß Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (www.gema.de) Geschmacksmustergesetz Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Graphic Interchange Format (Format für Bilddateien) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt GNU’s Not Unix GNU General Public License General Packet Radio Service grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht RechtsprechungsReport Großer Senat für Zivilsachen Genfer Tonträgerabkommen Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten (www.guefa.de) Gesetz- und Verordnungsblatt Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (www.gvl.de) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten (www.gwff.de) Halbband Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) Halbsatz Hauptband Handbuch High-bandwidth Digital Content Protection herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (www.icann.org) in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis International Federation of the Phonographic Industry (www.ifpi.org) International Review of Industrial Property and Copyright Law Interessengemeinschaft Musikwissenschaftlicher Herausgeber und Verleger (Gründungsname v. 1.3.1966 der heutigen VG Musikedition) insbesondere Entscheidungen der Instanzgerichte zum Recht des geistigen Eigentums
Abkürzungsverzeichnis IPQ IPR IPRax ISO iSd iSv IT ITRB ITU IuKDG IuR iVm
Intellectual Property Quaterly Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts International Standards Organization im Sinne des/der im Sinne von Informationstechnologie Der IT-Rechtsberater International Telecommunication Union Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz Informatik und Recht in Verbindung mit
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Dateinamenerweiterung von Bilddateien im Format JPEG, benannt nach der Joint Photographic Experts Group der ITU und der ISO Juristische Ausbildung juris PraxisReport Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht juris PraxisReport IT-Recht Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Justiz-Vergütungs- und Entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
Jura jurisPR-WettbR jurisPT-ITR JurPC JVEG JW JZ Kap KG krit KSVG KUG KUR K&R KWG LAG LAN LG LGPL lit LM LPG LUG LZ MA MarkenG MarkenR MDR MDStV Mio MIR Mitt MMA
Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft kritisch Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz) Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Kunstrecht und Urheberrecht Kommunikation und Recht Kreditwesengesetz Landesarbeitsgericht Local Area Network Landgericht; (in Österreich:) Landesgericht GNU Lesser General Public License litera (Buchstabe) Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes Landespressegesetz Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Der Markenartikel Markengesetz Zeitschrift für deutsches, europäisches und internationales Markenrecht Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienste-Staatsvertrag Million Medien Internet und Recht Mitteilungen (der deutschen Patentanwälte) Madrider Markenrechtsabkommen
XV
Abkürzungsverzeichnis MMR
MPL MR-Int mwN
Multimedia und Recht, Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht Dateinamenerweiterung für bestimmte mpeg-Tondateien Komprimierungsstandard für digitale Bewegtbilder und Toninformationen, benannt nach der Moving Pictures Experts Group der ISO Mozilla Public License Medien und Recht international mit weiteren Nachweisen
Nachw nF NJ NJW NJW-RR NJW-CoR NJWE-WettbR n rkr NV
Nachweise neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NJW-Computerreport NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht (jetzt GRUR-RR) nicht rechtskräftig Normalvertrag
ÖBGBl ÖBl
Österreichisches Bundesgesetzblatt Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Österreichische Schriftenreihe zum Gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht öst. UrhG Oberster Gerichtshof (Wien) Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle Online Public Access Catalogue Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
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ÖSGRUM öUrhG OGH ÖJZ OLG OLGZ OMPI OPAC OVG OWiG PatG PDA pdf PGP php PIN pma PR PrPG PVÜ
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XVI
Patentgesetz Personal Digital Assistant portable document format Pretty Good Privacy PHP: Hypertext Preprocessor Personal Identification Number post mortem auctoris Public Relations Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums Rom-Abkommen Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst Recht der Arbeit Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht
Abkürzungsverzeichnis RGBl RGSt RGZ RIAA RIDA RiStBV RIW RL Rn Rspr RzU
Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recording Industry Association of America Revue Internationale du Droit d’Auteur Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Rechtsprechung E. Schulze (Hg), Rechtsprechung zum Urheberrecht
S s SACEM
Seite, Satz siehe Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique (www.sacem.fr) Brüsseler Satellitenübereinkommen Schiedsstelle nach dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten Serial Copyright Management System Gesetz zur digitalen Signatur – Signaturgesetz Süddeutsche Juristenzeitung Schweizerische Mitteilungen zum Immaterialgüterrecht siehe oben so genannte(r/s) Sortenschutzgesetz Zeitschrift für Sport und Recht Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Urheberrechte Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig ständige Rechtsprechung Staatsvertrag siehe unter/unten
SatÜ SchSt SCMS SigG SJZ SMI so sog SortenSchG SpuRt STAGMA StGB StPO str stRspr StV su TCPA TDG TKG TKMR TMG TRIPS TV TVG Tz
Trusted Computing Platform Alliance Gesetz über die Nutzung von Telediensten (Teledienstegesetz) Telekommunikationsdienstegesetz Telekommunikations- & Medienrecht Telemediengesetz WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz Textziffer
ua uä UFITA UMTS UmwG URG UrhG UrhGÄndG
unter anderem und ähnliches Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Universal Mobile Telecommunications System Umwandlungsgesetz Urheberrechtsgesetz (der DDR) Urheberrechtsgesetz Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
XVII
Abkürzungsverzeichnis Urt UStG UWG
Urteil Umsatzsteuergesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung vom 3. Juli 2004
Var VerlG VersG VFF
Variante Gesetz über das Verlagsrecht Versammlungsgesetz Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (www.vffvg.de) Verwertungsgesellschaft; Verwaltungsgericht Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst (www.bildkunst.de) Verwertungsgesellschaft für Nutzungsrechte an Filmwerken vergleiche Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen mbH Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung von Nutzungsrechten an Editionen (Ausgaben) von Musikwerken (www.vg-musikedition.de) Gesellschaft zur Verwertung der Leistungsschutzrechte von Sendeunternehmen Verwertungsgesellschaft der Wortautoren (www.vgwort.de) Verordnung Verband Privater Rundfunk und Telemedien Verband deutscher Schriftsteller
VG VG Bild-Kunst VGF vgl VG Media VG Musikedition VG Satellit VG WORT VO VPRT VS WahrnG WAN WAP WCT WIPO WM WPPT WRP WRV WTO WUA WuW
Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten Wide Area Network Wireless Application Protocol WIPO Copyright Treaty World Intellectual Property Organization (www.wipo.org) Wertpapier-Mitteilungen WIPO Performances and Phonograms Treaty Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichtsverfassung World Trade Organization (www.wto.org) Welturheberrechtsabkommen Wirtschaft und Wettbewerb
XML
Extensible Markup Language
zB ZBR ZBT ZDF ZEuP ZfBR ZFS ZfZ ZHR ZIP zit ZKDSG ZPO ZPÜ
zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zentralstelle Bibliothekstantieme Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zentralstelle Fotokopieren an Schulen Zeitschrift für Zölle Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zugangskontrolldiensteschutzgesetz Zivilprozessordnung Zentralstelle für private Überspielungsrechte
XVIII
Abkürzungsverzeichnis ZS ZSEG ZSR NF ZUM ZUM-RD zust ZVV ZZP
Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Zeugen- und Sachverständigen-Entschädigungsgesetz) Zeitschrift für Schweizerisches Recht – Neue Folge Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Rechtsprechungsdienst der ZUM zustimmend Zentralstelle Videovermietung Zeitschrift für Zivilprozess
XIX
Literaturverzeichnis Lediglich übergreifende und allgemeine Literatur wird im Folgenden angegeben – Spezialliteratur zu den Sachgebieten findet sich am Anfang der einzelnen Beiträge. Bamberger/Roth Bartenbach/Gennen Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann Beater Becker/Wehner Benkard Beucher/Leyerndecker/von Rosenberg Branahl Breyer-Mayländer/Seeger Bühl Busse
BGB-Kommentar, 2. Aufl München 2007 Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, 6. Aufl Köln 2007 Kommentar zur ZPO, 66. Aufl München 2008 (zit Baumbach/Lauterbach/Bearbeiter) Medienrecht, Tübingen 2007 Kulturindustrie reviewed, Bielefeld 2006 (zit Becker/Wehner/Bearbeiter) Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, 10. Aufl München 2006 (zit Benkard/Bearbeiter) Mediengesetze, München 1999 Medienrecht, 5. Aufl Wiesbaden 2006 Medienmarketing, München 2006 Die virtuelle Gesellschaft, Opladen/Wiesbaden 1997 Patentgesetz, Kommentar – Unter Berücksichtigung des Europäischen Patentübereinkommens und des Patentzusammenarbeitsvertrags, 6. Aufl Berlin 2003
Calliess/Ruffert
Kommentar zu EU-Vertrag und EG Vertrag, 3. Aufl München 2007 (zit Calliess/Ruffert/Bearbeiter)
Dörr/Kreile/Cole
Handbuch Medienrecht, Frankfurt aM 2007 (zit Dörr/Kreile/Cole/Bearbeiter) Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl Tübingen 2007 (zit Dreier/Bearbeiter) Urheberrechtsgesetz Kommentar, 2. Aufl München 2006 (zit Dreier/Schulze/Bearbeiter § Rn) Heidelberger Kommentar zum Urheberecht, 2. Aufl Heidelberg 2008 (zit Dreyer/Kotthoff/Meckel/Bearbeiter § Rn)
Dreier Dreier/Schulze Dreyer/Kotthoff/Meckel
Ehlers Eichmann/von Falckenstein
Fechner Fechner Fezer Fischer Fromm/Nordemann
Geppert/Piepenbrock/Schütz/Schuster
Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl Berlin 2005 (zit Ehlers/Bearbeiter) Geschmacksmustergesetz, Kommentar, 3. Aufl München 2005 (zit Eichmann/von Falckenstein/Bearbeiter) Geistiges Eigentum und Verfassung, Tübingen 1999 Medienrecht, 8. Aufl Tübingen 2007 Markenrecht, 3. Aufl München 2001 (zit Fezer § Rn) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 55. Aufl München 2008 Urheberrechtskommentar, 9. Aufl Stuttgart ua 1998 (zit Fromm/Nordemann/Bearbeiter) Beck’scher TKG-Kommentar, 3. Aufl München 2006 (zit BeckTKG-KOM/Bearbeiter)
XXI
Literaturverzeichnis Götting Gola/Schomerus Grabitz/Hilf
von der Groeben/Schwarze
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig von Hartlieb/Schwarz Hefermehl/Köhler/Bornkamm
Hildebrandt Hilty Hoeren/Sieber
Hoeren/Stallberg Homann Immenga/Mestmäcker Immenga/Mestmäcker Immenga/Schwintowski/Kollmorgen Ingerl/Rohnke Jaeger/Metzger Jähnke/Laufhütte/Odersky Jarass/Pieroth Joecks/Miebach Kilian/Heussen Kloepfer Kraßer Kreile/Becker/Riesenhuber Kübler/Prütting Lagaay/Lauer Lackner/Kühl
XXII
Gewerblicher Rechtsschutz, 8. Aufl München 2007 BDSG Bundesdatenschutzgesetz – Kommentar, 9. Aufl München 2007 Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Stand 35. Ergänzungslieferung, München Oktober 2008 (zit Grabitz/Hilf/Bearbeiter) Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl Baden-Baden 2003 (zit von der Groeben/Schwarze/Bearbeiter) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG Kommentar, München 2004 (zit Harte/Henning/Bearbeiter) Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, 4. Aufl München 2004 (zit von Hartlieb/Schwarz/Bearbeiter) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG Kommentar, 26. Aufl München 2008 (zit Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bearbeiter § UWG Rn) Marken und andere Kennzeichen, Köln ua 2006 Information Highway, Bern/München 1996 (zit Hilty/ Bearbeiter) Handbuch Multimedia-Recht, Loseblattsammlung München 1999, Stand 19. Aufl 2008 (zit Bearbeiter in: Hoeren/Sieber Teil Rn) Grundzüge der Rechtsphilosophie, Münster 2001 Praxishandbuch Musikrecht, Berlin 2007 EG-Wettbewerbsrecht, Kommentar, 4. Aufl München 2007 (zit Immenga/Mestmäcker/Bearbeiter) GWB, Kommentar, 4. Aufl München 2007 (zit Immenga/ Mestmäcker/Bearbeiter § GWB Rn) Wirtschaftliches Risiko und persönliche Verantwortung der Manager, 1. Aufl Baden-Baden 2006 Kommentar zum Markengesetz, 2. Aufl München 2003 (zit Ingerl/Rohnke § MarkenG Rn) Open Source Software, 2. Aufl München 2006 Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, 11. Aufl Berlin 1992 ff, 12. Aufl Berlin 2007 ff (zit LK-Bearbeiter) Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl München 2007 Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, München 2003 ff (zit MünchKommStGB/Bearbeiter) Multimedia-Recht in: Computerrechts-Handbuch, 26. Aufl München 2008 (zit Kilian/Heussen/Bearbeiter) Informationsrecht, München 2002 Patentrecht, 6. Aufl München 2008 (zit Kraßer Rn) Recht und Praxis der GEMA, 2. Aufl Berlin 2008 (zit Kreile/Becker/Riesenhuber/Bearbeiter) Kommentar zur Insolvenzordnung, 30. Lieferung Oktober 2007 (zit Kübler/Prütting/Bearbeiter) Medientheorien – eine philosophische Einführung, Frankfurt, New York 2004 (zit Lagaay/Lauer/Bearbeiter) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 26. Aufl München 2007
Literaturverzeichnis Landfermann Leipziger Kommentar Löffler Löffler/Ricker Loewenheim Loewenheim/Meessen/Riesenkampff
Maunz/Dürig/Herzog/Scholz Mestmäcker/Schulze
Meyer-Goßner Möhring/Nicolini Moser/Scheuermann Münchner Kommentar zum BGB
Münchner Kommentar zum StGB von Münch/Kunig
Handy-Klingeltöne im Urheber- und Markenrecht, Göttingen 2006 zum Strafgesetzbuch siehe Jähnke/Laufhütte/Odersky Presserecht, 5. Aufl München 2006 (zit Löffler/ Bearbeiter) Handbuch des Presserechts, 5. Aufl München 2005 (zit Löffler/Ricker) Handbuch des Urheberrechts, München 2003 (zit Loewenheim/Bearbeiter § Rn) Kartellrecht, Kommentar, Bd 1 München 2006, Bd 2 München 2006 (zit Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Bearbeiter § Rn) Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, 51. Aufl München 2008 (zit Maunz/Dürig/Bearbeiter) Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Loseblattsammlung, Neuwied ua, Stand Dezember 2007 (zit Mestmäcker/Schulze/Bearbeiter § S) Strafprozeßordnung, 51. Aufl München 2008 Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl München 2000 (zit Möhring/Nicolini/Bearbeiter) Handbuch der Musikwirtschaft, 6. Aufl Starnberg München 2003 (zit Moser/Scheuermann/Bearbeiter) Bd 1–3: 5. Aufl München 2006 ff, Bd 4–11: 4. Aufl München 2000 ff (zit MünchKomm/Bearbeiter) siehe Säcker/ Rixecker siehe Joecks/Miebach Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl München 2000 ff (zit von Münch/Kunig/Bearbeiter)
Negroponte
Total Digital, München 1997
Palandt
Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl München 2008 (zit Palandt/Bearbeiter § BGB Rn) Medienrecht, 3. Aufl München 2006 UWG 4. Aufl München 2006 (zit Piper/Ohly/Bearbeiter) Medienrecht – die zivilrechtlichen Ansprüche, München 1999
Petersen Piper/Ohly Prinz/Peters Rehbinder
Urheberrecht, 15. Aufl München 2008 (zit Rehbinder Rn)
Sachs
Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl München 2007 (zit Sachs/Bearbeiter) Münchener Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch Bd. 1, 4. Aufl 2001 (zit MüKo/Bearbeiter) Urheber- und Urhebervertragsrecht, 4. Aufl Tübingen 2007 (zit Schack Rn) Kunst und Recht, Köln ua 2004 (zit Schack Kunst und Recht Rn) Merchandising – Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis, München 1997 Strafgesetzbuch, 27. Aufl München 2006 (zit Schönke/ Schröder/Bearbeiter) Urheberrecht, Kommentar, 3. Aufl München 2006 (zit Schricker/Bearbeiter § Rn)
Säcker/Rixecker Schack Schack Schertz Schönke/Schröder Schricker
XXIII
Literaturverzeichnis Schricker Schütze/Weipert Soehring Soergel Ströbele/Hacker
Verlagsrecht Kommentar, 3. Aufl München 2001 (zit Schricker § VerlG Rn) Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl München 2002 ff (zit Schütze/Weipert/Bearbeiter) Presserecht, 3. Aufl Stuttgart 2000 BGB, 13. Aufl Stuttgart 2002 ff (zit Soergel/Bearbeiter § BGB Rn) Markengesetz, Kommentar 8. Aufl Köln ua 2006
Ulmer
Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl Berlin ua 1980 (zit Ulmer S)
Wandtke/Bullinger
Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl München 2008 (zit Wandtke/Bullinger/Bearbeiter) Recht im Verlag München 2004 Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Handbuch des Äußerungsrechts, 5. Aufl Köln 2003 (zit Wenzel/ Bearbeiter) Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl München 2008 (zit Wiedemann/Bearbeiter)
Wegner/Wallenfels/Kaboth Wenzel
Wiedemann
Zentek Zöller
XXIV
Designschutz, Düsseldorf 2003 Kommentar zur ZPO, 26. Aufl Köln 2007 (zit Zöller/ Bearbeiter § ZPO Rn)
Teil 1 Einführung und Grundlagen
Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter Literatur Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) FS für Ullmann, Saarbrücken 2006 (zit Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein/Bearbeiter); Ann Know-how – Stiefkind des geistigen Eigentums GRUR 2007, 39; Ann Privatrecht und Patentrecht? – Gedanken zur rechtssystematischen Einordnung eines Fachs GRUR Int 2004, 696; Assmann/Kirchner/Schanze (Hrsg) Ökonomische Analyse des Rechts, 1. Aufl Tübingen 1993; Baumann Postmodernity and Discontents, Hamburg 1997; Beater Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet JZ 2005, 822; Beater/Habermeier (Hrsg) Verletzungen von Persönlichkeitsrechten durch die Medien, Tübingen 2005 (zit Beater/Habermeier/Bearbeiter); von Becker Mephisto revisited – ein Rundblick zum Schlüsselroman aus aktuellem Anlass KUR 2003, 81; Becker/ Lerche/Mestmäcker (Hrsg) FS für Kreile, Baden-Baden 1994 (zit Becker/Lerche/Mestmäcker/Bearbeiter); Bell Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt aM 1974; Bender/Kahlen Neues Telemediengesetz verbessert den Rechtsrahmen für Neue Dienste und Schutz vor Spam-Mails MMR 2006, 590; Benjamin Allegorien kultureller Erfahrung, Leipzig 1984; Bodewig/Wandtke Die doppelte Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie GRUR 2008, 220; Boncompain La Révolution des Auteurs, Paris 2002; Bourdieu The Field of Cultural Production, Paris 1993; Bourdieu Über das Fernsehen, Frankfurt aM 1998; Brecht Der Dreigroschenprozess in: Werke, Berlin ua 1992; Bretschneider Medienkartellrecht – Auch Murdoch darf nicht wie er will WRP 2008, 761; Brinkel/Lammers Innere Sicherheit auf Vorrat? ZUM 2008, 11; Buchroithner/Albiez/Miceli Wem gehört der Fußball? K&R 2008, 208; Büscher/Dittmer/Schiwy Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, Köln, München 2008 (zit Büscher/Dittmer/Schiwy/Bearbeiter); Bukow/Ottersbach (Hrsg) Die Zivilgesellschaft in der Zerreißprobe, Opladen 1999 (zit Bukow/Ottersbach/Bearbeiter); Bullinger, M Private Rundfunkfreiheit auf dem Weg zur Pressefreiheit ZUM 2007, 337; ders Von pressefernen zur pressennahen Rundfunkfreiheit JZ 2006, 1134; Busche/Stoll TRIPs, Köln ua 2007 (zit Busche/Stoll/Bearbeiter); Capurro Leben im Informationszeitalter, Berlin 1995; Castendyk/Böttcher Ein neuer Rundfunkbegriff für Deutschland? – Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste und der deutsche Rundfunkbegriff MMR 2008, 13; Castendyk Werbeintegration im TV-Programm – wann sind Themen Placements Schleichwerbung oder Sponsoring? ZUM 2005, 857; Claus Expansion der Kunst. Beiträge zu Theorie und Praxis öffentlicher Kunst, Reinbek 1970; Cornish/Llewelyn Intellectual Property, 5. Aufl London 2003; Dankwerts Örtliche Zuständigkeit bei Urheber-, Marken- und Wettbewerbsverletzungen im Internet GRUR 2007, 104; Delp (Hrsg) Das Buch in der Informationsgesellschaft, Wiesbaden 2006; Dierking/Möller Online-TV und das „Long Tail“-Phänomen verändern die Grundlagen der Rundfunkordnung MMR 2007, 426; Dreier Urheberrecht an der Schwelle des 3. Jahrtausends. Einige Gedanken zur Zukunft des Urheberrechts CR 2000, 45; Eastman/Ferguson/ Klein Media Promotion and Marketing for Broadcasting, Cable and the Internet, Amsterdam ua 2006 (zit Eastman/Ferguson/Klein/Bearbeiter); Eberle Neue Verbreitungswege, neue Angebote – die Sicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ZUM 2007, 439; Edelmann Le Droit saisi par la photographie, Paris 1973; Edemir Killerspiele und gewaltbeherrschte Medien im Fokus des Gesetzgebers K&R 2008, 223; Ehmann Zum kommerziellen Interesse an Politikerpersönlichkeiten AfP 2007, 81; Eichenberger Grundzüge der Mikroökonomik, Tübingen 2006; von Einem Zum Streit um die Lizenzierungspraxis bei monophonen und polyphonen Klingeltönen ZUM 2005, 540; Enaux/ Worok TK-Review 2006: (R)evolution des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation? CR 2006, 736; Faßbender Der grundrechtliche Schutz der Werbefreiheit in Deutschland und Europa GRUR Int 2006, 965; Fiedler/ Ullrich Information als Wirtschaftsgut, Köln 1997 (zit Fiedler/Ullrich/Bearbeiter); Fleischer Allgemeine Kommunikationstheorie, Oberhausen 2006; Florida The Rise of the Creative Class, New York 2005;
Artur-Axel Wandtke
3
Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
Funk/Maskus Intellectual Property and Development, Washington 2005 (zit Funk/Maskus/Bearbeiter); Fülbier Web 2.0 – Haftungspriviligierungen bei MySpace und YouTube CR 2007, 515; Frenzel/Singer Recht als Resonanzkörper der Kunst AfP 2006, 416; Gercke Die Entwicklung des Internetstrafrechts im Jahr 2006 ZUM 2007, 282; Geis, I/Geis, E Rechtsaspekte des virtuellen Lebens, CR 2007, 721; Geiss/Gerstenmaier/Winkler (Hrsg) FS für Mailänder, Berlin 2006 (zit Geiss/Gerstenmaier/Winkler/ Bearbeiter); Gersdorf Caroline-Urteil des EGMR: Bedrohung der nationalen Medienordnung AfP 2005, 221; Giesen Das Grundrecht auf Datenverarbeitung, JZ 2007, 918; Götting Der Begriff des Geistigen Eigentums GRUR 2006, 353; Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention, München 2005; Grunewald Fern der Quelle-Geheimnisschutz und Outsourcing WRP 2007, 1307; Grzeszick Geistiges Eigentum und Art. 14 GG ZUM 2007, 344; Hanewinkel Urheber versus Verleger GRUR 2007, 373; Handig Urheberrechtliche Aspekte bei der Lizenzierung von Radioprogrammen im Internet GRUR Int 2007, 206; Hagenhoff (Hrsg) Internetökonomie der Medienbranche, Göttingen 2006 (zit Hagenhoff/Bearbeiter); Haupt, I Territorialprinzip im Patent- und Gebrauchsmusterrecht bei grenzüberschreitenden Fallgestaltungen GRUR 2007, 187; Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts (Hrsg Klenner) Berlin 1981; Heinz Urheberrechtliche Gleichbehandlung von alten und neuen Medien, München 2006; Helle Privatautonomie und kommerzielles Persönlichkeitsrecht JZ 2007, 444; Heller/Goldbeck Mohamed zu Gast in Poptown ZUM 2007, 628; Hepp/Krotz/Moores (Hrsg) Konnektivität, Netzwerk und Fluss, Wiesbaden 2006 (zit Hepp/Krotz/Moores/Bearbeiter); Hess/Fischer Medienkartellrecht AfP 2006, 439; Hilty/Geiger (Hrsg) Impulse für eine europäische Harmonisierung des Urheberrechts, Berlin ua 2007 (zit Hilty/ Geiger/Bearbeiter); Hoeren Zoning und Geolocation – Technische Ansätze zu einer Reterritorialisierung des Internets MMR 2007, 3; ders Telemediengesetz NJW 2007, 801; ders Urheberrechtliche Fragen rund um IP-TV und Handy-TV MMR 2008, 139; ders Zur Einführung: Informationsrecht JuS 2002, 947; Hofmann (Hrsg) Wissen und Eigentum, Bonn 2006 (zit Hofmann/Bearbeiter); Hornung CR Ein neues Grundrecht 2008, 299; Hopf Rechtliche Grundlagen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags und die Verantwortlichkeit von Chatbetreibern ZUM 2008, 207; Holz Vom Kunstwerk zur Ware, Darmstadt/Neuwied 1972; Holtz-Bacha Von der Fernseh- zur Mediendiensterichtlinie Media Perspektiven 2007, 113; Hopf/Braml Virtuelle Kinderpornografie vor dem Hintergrund des Online-Spiels Second Life ZUM 2007, 354; Horkheimer/Adorno Dialektik der Aufklärung, Frankfurt aM 1969; Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg) FS für Raue, Köln 2006 (zit Jacobs/ Papier/Schuster/Bearbeiter); Junghans/Levy (Hrsg) Intellectual Property Management, Weinheim 2005 (zit Junghans/Levy/Bearbeiter); Kamps/Koops Online-Videorecorder im Lichte des Urheberrechts, CR 2007, 581; Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg) Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Aufl Heidelberg 2004 (zit Kaufmann/Hassemer/Neumann/Bearbeiter); Kellner Media Culture, London 1995; Kelsen Die Rechtswissenschaft als Norm- oder als Kulturwissenschaft, in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche 40, Berlin 1916, 1181; Kettner Thesen zur Bedeutung des Globalisierungsbegriffs DtschZPh 1997, 903; Kirchner Innovationsschutz und Investitionsschutz für immaterielle Güter GRUR Int 2004, 603; Kitz Das neue Recht der elektronischen Medien in Deutschland – sein Charme, seine Fallstricke ZUM 2007, 368; Klenner Juristenaufklärung über Gerechtigkeit, Sitzungsberichte der Leibnitz-Sozietät, Bd 88 (2007), 35; ders Vom Recht der Natur zur Natur des Rechts, Berlin 1984; Klickermann Virtuelle Welten ohne Rechtsansprüche MMR 2007, 766; Koch Internet-Recht, 2. Aufl München 2005; ders Medienkonzentrationsrecht in Deutschland – sind wir auf dem richtigen Weg? AfP 2007, 305; Kohler Das Recht als Kulturerscheinung, Würzburg 1885; Kreifels/Breuer/Maidl Die Werbeagentur in Recht und Praxis, München 2000; Kröger/Gimmy/Moos Handbuch zum Internetrecht, Berlin 2000; Kübler Mediale Kommunikation, Tübingen 2000; Kuhn E-Commerce, Erlangen 2004; Kühling/Gauß Expansionslust von Google als Herausforderung für das Kartellrecht MMR 2007, 751; Ladeur Der prozeduale Schutz der Medienfreiheit ZUM 2004, 1; ders Fiktive Lizenzentgelte für Politiker? ZUM 2007, 111; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl München 2004; Lash Critique of Information, London 2002; Leistner/Hansen Die Begründung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter GRUR 2008, 479; Lessig Freie Kultur, München 2006; Lettl Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Medienbericherstattung WRP 2005, 1045; Lober/Karg Unterlassungsansprüche wegen User Genereted Content gegen Betreiber virtueller Welten und Online-Spiele CR 2007, 647; Lochmann Vom Wesen der Information, Norderstedt 2006; Lucchi Digital Media & Intellectual Property, Berlin 2006; Luhmann Die Realität der Massenmedien, 3. Aufl Wiesbaden 2004; Mankowski Klingeltöne auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand GRUR 2007, 1013; Mantz Creative Commons-Lizenzen im Spiegel
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Artur-Axel Wandtke
Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter internationaler Gerichtsverfahren GRUR Int 2008, 20; Markfort Popstars und die Pressefreiheit. Zur Bildberichterstattung von Konzerten ZUM 2006, 829; Marten Gesellschaftliche Produktion und Kultur, Berlin 1990; Marx, K Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA, Erste Abt, Bd 2, Berlin 1982; ders Theorie über den Mehrwert, MEW Bd 26.1, Berlin 1974; ders Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953; ders Das Kapital, MEW Bd 25, Berlin 1964; McLuhan Understanding Media, Nachdruck, New York 2002; ders Das Medium ist die Botschaft, Dresden 2001; McLuhan/Powers The Global Village, Paderborn 1995; Menninger/Nägele Die Bewertung von Gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten für Zwecke der Schadensberechnung im Verletzungsfall WRP 2007, 912; Mersch Medientheorien, Hamburg 2006; Moos Unzulässiger Handel mit Persönlichkeitsprofilen? Erstellung und Vermarktung kommerzieller Datenbanken mit Personenbezug MMR 2006, 718; Mückl Die Konvergenz der Medien im Lichte des neuen Telemediengesetzes, JZ 2007, 1077; Müller Kunstwerk, Kunstgeschichte und Computer, Frankfurt aM 1987; Münker/Roesler (Hrsg) Mythos Internet, Frankfurt aM 1997; Myers Wikimmunity: Fitting the Communications Decency Act to Wikipedia, Havard Journal of Law & Technology, Vol 20, 2006, 163; Naucke/Harzer Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 5. Aufl München 2005; Noske Ist das duale Rundfunksystem reformbedürftig? ZRP 2007, 64; Obergfell Dichtung oder Wahrheit? ZUM 2007, 910; Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/ Haedicke/Lehmann (Hrsg) FS für Schricker, München 2005 (zit Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann/Bearbeiter); Ory Gebührenurteil 2.0 – Ein Update aus Karlsruhe, AfP 2007, 401; Ott Die Google Buchsuche – Eine massive Urheberrechtsverletzung? GRUR Int 2007, 562; Ott/ Schäfer Ökonomische Probleme des Zivilrechts, 4. Aufl Berlin 2005; Otto Deutscher Verbotsaktionismus schadet der kulturellen Vielfalt Politik und Kultur 2007, 14; Pahlow „Intellectual property“, „propriété intellectuelle“ und kein „Geistiges Eigentum“? UFITA 2006/III, 705; ders Wie klein darf die „kleine Münze“ sein? WRP 2007, 739; Pahud Die Sozialbindung des Urheberrechts, Bern 2000; Paschke Medienrecht – Disziplinbildende Sinneinheit übergreifender Rechtsgrundsätze oder Chimäre? ZUM 1990, 209; Peifer Eigenheit oder Eigentum – Was schützt das Persönlichkeitsrecht? GRUR 2000, 495; ders Individualität im Zivilrecht, Tübingen 2001; ders Das Urheberrecht und die Wissensgesellschaft – Stimmen der rechtlichen Rahmenregeln für die Zukunft von Forschung und Lehre, UFITA 2007/II, 327; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, München 2003; Pierson/Ahrens/Fischer Recht des geistigen Eigentums, München 2007 (zit Pierson/Ahrens/Fischer/Bearbeiter); Postman Wir amüsieren uns zu Tode, Frankfurt aM 1999; Prinz/Peters (Hrsg) FS für Engelschall, Baden-Baden 1996 (zit Prinz/Peters/Bearbeiter); Potthast Medienrechtliche Einordnung neuer Angebote über neue Übertragungswege ZUM 2007, 443; Pross Medienforschung – Film Funk Presse Fernsehen, Darmstadt 1972; Puschke/Singelnstein Telekommunikationsüberwachung, Vorratsspeicherung und (sonstige) heimliche Ermittlungsmaßnahmen der StPO nach der Neuregelung zum 1.1.2008 NJW 2008, 113; Randelzhofer Use of Force in: Bernhardt (Hrsg) Encyclopedia of Public International Law, Vol 4, Amsterdam 2000; Rassow Staatliche Schutzpflichten für geistiges Eigentum, Hamburg 2006; Reber Die Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts in Deutschland und den USA GRUR Int 2007, 492; ders Die Beteiligung von Urhebern und ausübenden Künstlern an der Verwertung von Filmwerken in Deutschland und den USA, München 1998; Rehbinder Urheberrecht, 15. Aufl München 2008; Roesler-Graichen Börsenblatt Nr 5/2007; Roesler/Stiegler Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005; Rippert/Weimer Rechtsbeziehungen in der virtuellen Welt ZUM 2007, 272; Ritlewski Virtuelle Kinderpornografie in Second Life K&R 2008, 94; Roßnagel Konflikte zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz MMR 2007, 16; Rumyantsev Journalistisch-redaktionelle Gestaltung: Eine verfassungswidrige Forderung? ZUM 2008, 33; Runge Die Vereinbarkeit einer Content-Flatrate für Musik mit dem Drei-Stufen-Test GRUR Int 2007, 130; Rüters Rechtstheorie, 2. Aufl München 2005; Schaub Äußerungsfreiheit und Haftung JZ 2007, 548; Scherer Verletzung der Menschenwürde durch Werbung WRP 2007, 594; Schertz Bildnisse, die einem höheren Interesse der Kunst dienen GRUR 2007, 558; Scheuermann/ Strittmatter (Hrsg) FS für Reichardt, Baden-Baden 1990 (zit Scheuermann/Strittmatter/Bearbeiter); Schiwy/Schütz/Dörr Lexikon für Praxis und Wissenschaft, 4. Aufl Köln 2006; Schmolke Die Gewinnabschöpfung im US-amerikanischen Immaterialgüterrecht GRUR Int 2007, 3; Schopenhauer Zur Rechtslehre und Politik, in: Sämtliche Werke Bd V 1880; Schricker Urheberrechtsschutz für Spiele GRUR Int. 2008, 200; Schulz Medienkonvergenz light – Zur neuen Europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste EuZW 2008, 107; Schulze Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt aM 1992; Schwartmann (Hrsg) Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, Heidelberg 2008 (zit Schwartmann/Bearbeiter); Schwarz-Winkelhofer/Biedermann Das Buch der
Artur-Axel Wandtke
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
Zeichen und Symbole, 5. Aufl Wiesbaden 2004; Schweighofer Wer reguliert das Internet? Medien und Recht, MR 2000, 347; Schwintowski Juristische Methodenlehre, Stuttgart 2005 (zit Methodenlehre); ders Recht und Gerechtigkeit. Eine Einführung in Grundfragen des Rechts, Berlin 1996; Seelmann Rechtsphilosophie, München 2004; Seichter Die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums WRP 2006, 391; Siegrist Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen, in: Comperativ, Heft 5/6, Leipzig 2007 (zit Siegrist/Bearbeiter); Spacek Schutz von TV-Formaten, Zürich 2005; Scoble/Israel Unsere Kommunikation der Zukunft, München 2007; Seidel Quo vadis Völkerrecht? Archiv des Völkerrechts, 2003 Bd 41, 449; Spindler Das neue Telemediengesetz-Konvergenz in sachten Schritten, CR 2007, 239; ders (Hrsg) Rechtliche Rahmenbedingungen von Open-Access-Publikationen, Göttingen 2006 (zit Spindler/Bearbeiter); Spindler/Schuster Recht der elektronischen Medien, Kommentar München 2008 (zit Spindler/Schuster/Bearbeiter); Stallberg Urheberrecht und moralische Rechtfertigung, Berlin 2006; Stolz Geschmacksmuster- und markenrechtlicher Designschutz, Baden-Baden 2002; Tades/Danzl/Graninger (Hrsg) FS für Dittrich, Wien 2000 (zit Tades/Danzl/Graninger/Bearbeiter); Troller Immaterialgüterrecht Bd 1, Basel ua 1985; Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet MMR 2008, 83; United Nations Creative Economy Report, Genf, New York 2008 (zit Creative Economy Report); Vester Soziologie der Postmoderne, München 1993; Vitzthum (Hrsg) Völkerrecht, 4. Aufl Berlin 2007 (zit Vitzthum/Bearbeiter); Wachs Entschädigungszahlungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Hamburg 2007; Wadle Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen, Saarbrücken 2007 (zit Wadle Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen); ders Geistiges Eigentum, Weinheim 1996; Wand Technische Schutzmaßnahmen und Urheberrecht, München 2001; Wanckel Der Schutz der Persönlichkeit bei künstlerischen Werken NJW 2006, 578; Wandtke Copyright und virtueller Markt in der Informationsgesellschaft – oder das Verschwinden des Urhebers im Nebel der Postmoderne? GRUR 2002, 1; ders Die unendliche Geschichte eines Stuhls UFITA 1996, 57; Wandtke/Schunke Einheitliche Lizenzierung der Klingeltöne – eine rechtliche Notwendigkeit? UFITA 2007/I, 61 f; Weber (Hrsg) Theorien der Medien, Konstanz 2003 (zit Weber/Bearbeiter); Weberling/Wallraff/Deters (Hrsg) Im Zweifel für die Pressefreiheit, Baden-Baden 2008 (zit Weberling/Wallraf/Deters/Bearbeiter); Weinknecht/Bellinhausen Multimedia-Recht für Autoren, Produzenten und Nutzer, Heidelberg 1997; Weizenbaum Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt aM 1978; Welsch Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1991; von Welser/Gonzalez Marken- und Produktpiraterie, München 2007; Wernick Promotional Culture, London 1991; Westermann Der BGH baut den Know-how-Schutz aus GRUR 2007, 116; Wirtz Medienund Internetmanagement, Wiesbaden 2006; Zagouras Der „Reding-Wallström-Plan“ zum Schutz der Meinungsvielfalt in Europa AfP 2007, 1; Zenker Textform im www, insbesondere bei ebay, JZ 2007, 816; Zima Moderne/Postmoderne, Tübingen ua 1997; Zimmerli Technologisches Zeitalter oder Postmoderne, München 1991; von Zimmermann Recording-Software für Internetradios, MMR 2007, 553; Zimmermann Römisches Recht und europäische Kultur JZ 2007, 1; Zöchbauer Mediengesetz, Wien 2005.
Übersicht Rn § 1 Medien und Recht . . . . . . . . . I. Globalisierung der Medien und Medien der Globalisierung . . 1. Virtueller Markt und Medien 2. Recht der geistigen Produktion und Medien . . . . . . 3. Ubiquität der Medienprodukte . . . . . . . . . . 4. Medien und kulturelle Prozesse . . . . . . . . . . . . 5. Vermarktung von Medienprodukten in der EU . . . . 6. Internationaler Markt und kulturelle Dimension der Medienprodukte . . . . . .
6
1–96 1–17 1, 2 3–6 7, 8 9 10–12
13–17
Rn II. Medienprodukte . . . . . . . 1. Medienprodukte als Waren . 2. Ökonomischer Wert und Werteträger . . . . . . . . . 3. Konvergenz der Medien und Multimediaprodukte . . . . 4. Marke als Medienprodukt . 5. Urheberrechtliches Medienprodukt als Werk und künstlerische Leistung . . . . . . 6. Designprodukt . . . . . . . 7. Merchandisingprodukte . . 8. Medienprodukt und Patent . III. Medienprodukte und Schutz anderer Rechtsgüter . . . . . .
Artur-Axel Wandtke
18–45 18–24 25–27 28–31 32–35
36–40 41 42, 43 44, 45 46–55
§1
Medien und Recht Rn
1. Persönlichkeitsrecht und dessen Erscheinungsformen . . 2. Kommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . IV. Technologie- und Kulturentwicklung . . . . . . . . . . . 1. Massenproduktion und massenweise Vermarktung . 2. Neue Medienindustrien . . . 3. Typologisierung von Medienunternehmen . . . . . . . . 4. Konzentrationsprozesse und Produktpiraterie . . . . . . 5. Änderungen der Produktionsund Distributionsstrukturen 6. Internet und Medienprodukte 7. Vergesellschaftungsprozesse und individuelle Produktion V. Individualkommunikation contra Massenkommunikation 1. Öffentliche Meinungsbildung 2. Medien als Antriebsfaktoren in der Meinungsbildung . . 3. Interaktive Abrufdienste . . 4. Theaterproduktionen und Sportveranstaltungen . . . . VI. Informationsgesellschaft und geistige Produktion . . . . . . 1. Begriff der Informationsgesellschaft . . . . . . . . . 2. Informationsgesellschaft und Wissensproduktion . . . . . 3. Books on Demand . . . . . 4. Kommunikations- und Transaktionsplattformen . . . . . § 2 Geistiges Eigentum und Medienprodukte . . . . . . . . . . . . . . I. System des geistigen Eigentums
46–51 52–55 56–70 56–60 61, 62 63, 64 65, 66 67 68 69, 70 71–81 71–73 74–76 77, 78 79–81 82–96 82–84 85–88 89–93 94–96 97–147 97–119
Rn 1. Immaterialgüterrecht . . . . 2. Formgebungen . . . . . . . 3. Naturrecht und Ausschließlichkeitsrechte . . . . . . . 4. Erweiterung der Schutzrechte a) Zeitlich begrenzte Schutzrechte . . . . . . . . . . b) Gemeinfreie Leistungen . c) Private Nutzung und Sozialbindung . . . . . . d) Free Culture . . . . . . . e) Materiell-rechtliche Voraussetzungen des Schutzes von Medienprodukten . . f) Geringe Schutzschwelle . II. Geistiges Eigentum und Information . . . . . . . . . . . . 1. Information und property rights . . . . . . . . . . . . 2. Medienprodukte als Träger von Informationen . . . . . III. Innovation oder Investition als Schutzvoraussetzung von Medienprodukten . . . . . . . 1. Ökonomische Analyse des Rechts der Medien . . . . . 2. Schutzkonzeption . . . . . . 3. Leistungsschutzrechte . . . . 4. Know-how-Schutz . . . . . IV. Recht der Medien . . . . . . . 1. Prozessbezogene Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . 2. Rechtlicher Schutz der Medienprodukte . . . . . . 3. Freier Zugang zu den Medienprodukten . . . . . . . . . 4. Harmonisierung des nationalen Rechts der Medien . .
97 98–101 102–104 105–119 105 106–108 109–111 112, 113
114–116 117–119 120–127 120–124 125–127
128–133 128, 129 130, 131 132 133 134–147 134–137 138, 139 140–142 143–147
„Nicht die Dinge beunruhigen den Menschen, sondern die Meinungen darüber.“ (Artur Schopenhauer)
§1 Medien und Recht I. Globalisierung der Medien und Medien der Globalisierung 1. Virtueller Markt und Medien Es besteht kein Zweifel, dass in bestimmten historischen Entwicklungsetappen immer 1 wieder die Frage gestellt werden muss, ob die gegenwärtige rechtliche Infrastruktur als Teil der Kulturordnung den Herausforderungen vor allem der Informations- und Kommunikationsprozesse entspricht.1 Dabei rücken die Medien als Vermittler von Inhalten, Informationen, Ideen und als Kommunikator in den Mittelpunkt der philosophischen, 1
Wandtke GRUR 2002, 1 ff; Hilty/Hilty 21 ff.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
kulturwissenschaftlichen,2 soziologischen,3 betriebswirtschaftlichen 4 und rechtswissenschaftlichen Forschung.5 Soweit es das Privatrecht 6 und das öffentliche Recht 7 sowie das Strafrecht 8 betrifft, wird in anschaulicher Weise deutlich, dass das Recht teilweise nicht mehr den Informations- und Kommunikationsprozessen Rechnung trägt.9 Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ergeben sich Widersprüche und Lücken in den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Verwirklichung der Menschenrechte in der Europäischen Union 10 und der Kommunikationsgrundrechte, vor allem nach Art 5 GG,11 welche die Medien- und Rechtsordnung zum Teil entscheidend prägen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien können für staatliche Entscheidungsprozesse bedeutsam sein und neue Fragen der grundrechtlichen Gewährleistung der Rechte der Bürger aufwerfen. In bestimmten Fällen reicht der grundrechtliche Schutz nicht aus. Die Gefährdungen, die mit den Informations- und Kommunikationstechnologien auftreten können, sind zugleich Herausforderungen für die Medien- und Rechtsordnung. Das betrifft zB den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Das Bundesverfassungsgericht hat in der historischen Entscheidung zur Online-Durchsuchung die Schutzlücke in der Grundrechtsstruktur zu schließen versucht, indem ein neues Grundrecht auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kreiert wurde.12 Die rechts2
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Lagaay/Lauer/Lagaay/Lauer 7 f; Weber/ Schicha 108 f; Mersch 9 f; eine klare Begriffsbestimmung ist nicht auszumachen. In dieser Publikation wird der Begriff Medien sowohl mit technischen Geräten (zB Computer, DVD) als auch mit ökonomischen Organisationsformen (zB Softwareunternehmen, Fernsehanstalten, Filmhersteller, Designerunternehmen) in Verbindung gebracht, die Medienprodukte produzieren. Luhmann 49 f; Becker/Wehner/Wenzel 67 f. Wirtz 7 ff. Dörr/Kreile/Cole/Cole 2; Rüthers Rechtstheorie Rn 37; Beater Rn 8; Branahl 13; Schiwy/Schütz/Dörr 296. Das Bürgerliche Recht ist Teil des Privatrechts und musste notwendigerweise an die elektronischen Medien angepasst werden; s Spindler/ Schuster/Micklitz § 312 f BGB Rn 3; Larenz/ Wolf § 30 Rn 42 ff; Zenker JZ 2007, 816. So entstehen mit der neuen Technik (zB Handy mit Fernsehprogrammen) Probleme im dualen Rundfunksystem (s Noske ZRP 2007, 65; Bullinger, M ZUM 2007, 337) und im Datenschutz (s Roßnagel MMR 2007, 16). So weist das Übereinkommen über Computerkriminalität vom 23.11.2001, in Kraft getreten am 1.7.2004, in der Präambel auf die Anpassung des Strafrechts hin, abgedr in: Europäisches und Internationales Medienrecht 2007, 46 ff. Ein Beispiel ist die StPO, wonach eine ausdrückliche gesetzliche Gestattung eines heimlichen Zugriffs auf einen
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Computer nicht von der StPO erfasst wird (BGH JuS 2007, 279). Mehr oder weniger sind alle rechtlichen Regelungsbereiche von der technischen Entwicklung betroffen, vor allem diejenigen Verhältnisse, die unmittelbar oder mittelbar mit den Kommunikations- und Informationsprozessen in der körperlichen und unkörperlichen Warenwelt zu tun haben. Das gilt auch und gerade für das Privatrecht. Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg MMR 2008, 83; Peters 58 f; Ehlers/Schorkopf § 15 Rn 59 ff; Grabenwarter § 23 Rn 1; danach sind in Art 10 der EMRK Kommunikationsfreiheiten geschützt, die sowohl die Meinungs-, Informations-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit als auch die Freiheit der Kommunikation durch Massenmedien erfassen. Maunz/Dürig/Herzog Art 5 Rn 65 ff; Dreier/ Schulze-Fielitz Art 5 Rn 277 ff; von Münch/ Kunig/Wendt Art 5 Rn 1; Fechner Medienrecht Rn 59. Im Zusammenhang mit der Online-Untersuchung hat das Bundesverfassungsgericht (s BVerfG NJW 2008, 822, 827) auf neuartige Gefahren hingewiesen und den Eingriff verfassungsrechtlich nur dann als zulässig angesehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut (zB Leib, Leben und Freiheit sowie Bedrohung des Staates und die Existenzgrundlage des Menschen) besteht. Kritisch dazu Hornung CR 2008, 299, 301.
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§1
Medien und Recht
wissenschaftliche Forschung hat sich den neuen technologischen Herausforderungen zu stellen und im Zeitalter der virtuellen Medien- und Warenwelt Konzepte anzubieten, die dem Recht als Gestaltungs- und Konfliktinstrument Rechnung tragen. Dabei rücken die rechtlichen Rahmenbedingungen der geistigen Produktion und deren Medienprodukte immer stärker in den Fokus des Medienrechts. Denn die technologische Entwicklung hat nicht nur Impulse in der geistigen Produk- 2 tion ausgelöst, sondern offensichtlich die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte insgesamt umzuwälzen vermocht.13 Dies ist aber kein Wunder der Technik, sondern es ist das Ergebnis der Schöpferkraft des Menschen, der seine Produktionswerkzeuge verfeinert und letztlich die Bedingungen für den gesellschaftlichen Reichtum schafft, die rechtlich, sozial und ökonomisch gestaltend verändert werden. Wir befinden uns im Übergang vom wissenschaftlich-technischen ins technologische Zeitalter, in dem der Staat auf Hoheitsrechte zu Gunsten einer supranationalen Herrschaftsordnung verzichtet und die Medien globaler agieren können als im 20. Jahrhundert. Dem globalen Markt der Medien entspringen Kräfte, die zu zügeln dem Recht kaum gelingen wird. Zumindest weisen verschiedene Faktoren auf diesen Zusammenhang hin, wie zB der virtuelle Markt,14 der neben dem traditionellen Markt entstanden ist 15 und alles Bisherige in den Schatten stellt bzw die Ambivalenz technologischer Entwicklung zum Ausdruck bringt. Die virtuelle Realität ist die computergesteuerte Nachbildung der Wirklichkeit. Cyberspace ist die Erzeugung einer digitalisierten Simulation dreidimensionaler Räumlichkeit. Der virtuelle Markt, der durch das Internet und die digitale Technologie geschaffen worden ist, erlaubt es, dass aus unserer Welt ein „global village“ 16 zu entstehen im Begriff ist, mit einem Informationsfluss von Land zu Land. Die Ekstase der Kommunikation kennt in der digitalen Welt 17 keine territorialen Grenzen.18 Über Computer und Multimedia-Handys hängen Millionen ununterbrochen am Netz. In diesem Prozess befinden wir uns. Wahrheit und Lüge werden schneller transportiert.19 Raum und Zeit sowie traditionelle Transportwege befinden sich in der Auflösung und das Nutzerverhalten wird durch die Vernetzung und Digitalisierung verändert.20 Das Wechselspiel zwischen Kritik an den Medien und kritischen Medien bleibt unabhängig von den Veränderungen in einer globalen Welt bestehen.21 Der erleichterte Zugang zu Informationen 22 schließt erleichterte Möglichkeiten der Manipulation der Nutzer ein. Die Vernetzung und Digitalisierung hat Auswirkungen auf das Nutzerverhalten und eröffnet neue Märkte.23
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Außerdem ist der Eingriff grds nur unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Diese Entscheidung ist aber nur ein Pyrrhussieg. Hepp/Krotz/Moores/Winter/Hepp 2006, 43; BT-Drucks 13/11004, 61; BT-Drucks 14/9200, 261 f. Rippert/Weimer ZUM 2007, 272. Sie weisen daraufhin, dass mit dem Geschäftsmodell “Second Life“ in den USA täglich Umsätze in Höhe von ca $ 850 000,– generiert werden. Schweighofer 347 ff; Weinknecht/Bellinghausen MMR 1997, 6. Das Begriffspaar geht auf Marshall McLuhan zurück; s McLuhan/Powers The Global Village 117. Bukow/Ottersbach/Reich 247.
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Lucchi 11. Weizenbaum 340. Wirtz 43. Becker/Wehner/Wehner 55. Eine einheitliche Theorie der Information steht aus. Der Begriff Information meint Nachricht, Auskunft oder Mitteilung. Das Informieren beschreibt die Tätigkeit des Informierens. S Roesler/Stiegler 95. Neben den Printmärkten (zB Zeitungs-, Buch- und Zeitschriftenmarkt) existieren elektronische Märkte (zB Internet-, Computerspiel-, Film-, TV-Markt). Die Besonderheit dieser Märkte besteht darin, dass die Unternehmen ihre Medienprodukte auf den verschiedenen Märkten gleichzeitig absetzen können. S Wirtz 22.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
Diese Prozesse werfen völlig neue Fragen der rechtlichen Regulierung der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Prozesse in unserer Gesellschaft auf. Der Globalisierung der ökonomischen Prozesse folgt eine Globalisierung des Rechts im Sinne einer Harmonisierung der Regelungen zum Schutz der immateriellen Güter und deren Vermarktung.24 Dem entspricht überwiegend der Schutz des geistigen Eigentums zur Sicherung der internationalen Verwertungsprozesse des Kapitals. Diese Verwertungsprozesse des Kapitals haben direkt oder indirekt mit den Medien zu tun. Denn Medien werden gleichsam globalisiert 25 und die Medien globalisieren die Märkte.26 Die Medien sind außerdem Bestandteil eines „globalen Entertainment“ 27 in einer von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Widersprüchen geprägten Welt. 2. Recht der geistigen Produktion und Medien
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Das Recht der Medien hat sich gleichsam als spezielles Rechtsgebiet für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Das Recht der Medien ist die „Magna Charta“ global agierender Produktivkräfte in kapitalorientierten Produktions- und Reproduktionsverhältnissen, deren wesentlicher Bestandteil die geistige Produktion ist. Die geistige Produktion im System der Produktionsverhältnisse wird im 21. Jahrhundert einen größeren ökonomischen Stellenwert als in der Vergangenheit einnehmen.28 Die Vermögensmaximierung in der geistigen Produktion korrespondiert dabei mit dem entsprechenden Marktmodell.29 Das Computerspiel 30 „Second Life“ ist ein entsprechendes Marktmodell, das offensichtlich ein Millionengeschäft ist. Dazu gehört zB auch die Suchmaschine Google, die massive Verletzungen des geistigen Eigentums aufweist.31 Die geistige Produktion (zB künstlerische, literarische und wissenschaftliche bzw wissenschaftlich-technische Herstellung von Waren und Dienstleistungen) und deren Verwertungsprozesse zielen vorwiegend auf einen kommunikativen Zusammenhang, auf Verständigung über die objektive Realität. Nicht nur das Material soll angeeignet werden, sondern vor allem die Mitteilung.32 Bei der Kunstproduktion mit ihren Kunstwerken steht bspw der Kommunikationsprozess im Vordergrund.33 Diese Mitteilung (auch Content, Information oder nur Zeichen), die zum Teil eines körperlichen Trägers (Papier, Holz, Metall, Textilien) bedarf, kann mittels einer Informations- und Kommunikationstechnologie global verbreitet werden (zB Internetplattformen, Mobil-TV, Suchmaschinen). Hier liegt auch der interessante ökonomische Aspekt der geistigen Produktion. Dabei ist das Verhältnis zwischen Materialgestaltung und Mitteilung in der geistigen Produktion von Arbeitsergebnis zu Arbeitsergebnis und dessen Vermarktung sehr unterschiedlich. Die Mitteilung und der Bedeutungsgehalt eines Kunstwerkes sind daher anders zu beurteilen als bei einem Design oder einem
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Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 3. BT-Drucks 13/11004, 44. Wirtz 662. Ladeur ZUM 2007, 117. Dreier CR 2000, 45; BT-Drucks 13/11004, 36 ff; Florida 68; er weist nach, dass die „Creativ Class“ zum wirtschaftlichen Wachstum entscheidend beiträgt. Der Beitrag der Copyright-Industrie zB in den USA (vor allem die Film-, Musik-, TV-, Verlags- und Software-Branche) am Bruttoinlandsprodukt ist um 11 % im Jahre 2005 gestiegen. Die Copyright-Allianz, ein Dachverband
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US-amerikanischer Firmen und Verbände der Copyright-Industrie, stellte einen Katalog von Fragen zum Schutz der Kreativen im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl 2008 auf. Dabei spielen die sog „ FairUse“ Regeln in der Internetwirtschaft eine bedeutende Rolle. Siehe www.heise.de/ newsticker/meldung/99429. Stallberg 235 f. S ausf zum Computerspiel Teil 2 Kap 5. Ott GRUR Int 2007, 563. Marten 95. Dreier/Pernice Art 5 Abs 3 GG Rn 22.
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§1
Medien und Recht
schlichten Zeichen eines Produkts als Marke.34 Nicht nur die ästhetische Formgebung als Medium ist für den Verbraucher von Interesse, sondern deren verkörperte Idee. Deshalb ist auch der Medienbegriff und das Medienprodukt inhaltlich weit zu fassen.35 Im Grunde ist eine funktionelle Bestimmtheit mit den Produkten der geistigen Produktion verbunden, dh dass die produzierten Waren der Kreativen insbesondere dann als Medienprodukte angesehen werden, wenn sie funktionell in erster Linie auf einen Informations- und Kommunikationszusammenhang hinweisen.36 Solche Medienprodukte (zB Fernsehspiele, Gameshows, Musikwerke, Spielfilme, Design, Texte, Abbildungen) in der geistigen Produktion können als körperliche oder unkörperliche Güter in Erscheinung treten. In der jetzigen Entwicklung der Produktivkräfte geht es nicht mehr allein um die Reproduzierbarkeit der immateriellen Güter durch die Informations- und Kommunikationstechnologie, sondern um die Produzierbarkeit derselben, zB von Kunstwerken mit Hilfe neuer Technologien. Nicht nur die geistige Produktion erfährt einen Wandel, sondern auch die Medien als Verbreiter von Aussagen (technischer Medienbegriff) und die dahinter stehenden Organisationsformen (institutioneller Medienbegriff) 37 unterliegen den Veränderungen. Die Unternehmen in der Medienbranche,38 insbesondere die Hörfunk- und Fernsehanstalten, die Zeitungs- und Buchverlage, die Filmhersteller, die Musikunternehmen, Softwarehersteller und die Internetbetreiber, sind diejenigen, die die immateriellen Güter in der geistigen Produktion als Medienprodukte auf dem Markt anbieten. Nicht nur die veränderte Struktur der Medienunternehmen mit ihren Medienprodukten ist eine Folge der Produktivkraftentwicklung, sondern dieselbe hat die geistige Produktion mit ihren immateriellen Gütern wirtschaftlich so bedeutsam gemacht. Durch die neuen technologischen Produktionsprozesse sind neue Verwertungsmöglichkeiten der immateriellen Güter als Medienprodukte entstanden.39 Das Internet sowie die Digitalisierung haben eine globale Vermarktungsstrategie für die Medienunternehmen ermöglicht. So existieren zB bereits seit längerem Download-Shops oder Musikportale, die datenreduzierte Musikdateien im MP3-Format verbreiten.40 Aber auch die Geschäftsmodelle wie Web 2.0 und zunehmend Web 3.0 fordern die Medienunternehmen zu neuen Marketingstrategien heraus. Die Möglichkeiten der digitalen Produktion und Distribution von Inhalten und Formgebungen haben für Medienunternehmen sowohl wettbewerbsstrategische als auch ressourcenbezogene Implikationen: Im Vergleich zu den traditionellen Vertriebsformen und den traditionellen Medienprodukten (zB Zeitungsartikel im Printformat) kann kos-
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Stolz 41 ff. In den vorliegenden Ausführungen wird an den weiten Medienbegriff von McLuhan angeknüpft, der auch körperliche Sachen, zB das Radio, als Medium betrachtet. S McLuhan Das Medium ist die Botschaft, 47. So sind zB Tassen mit einem Logo der Fußballweltmeisterschaft Medienprodukte. Funktionell soll nicht nur die Möglichkeit des Trinkens gegeben werden, was üblicherweise für normale Tassen ausschließlich bestimmt ist, sondern dem Verbraucher werden über das Logo Informationen über ein Ereignis vermittelt. Noch deutlicher wird der Gebrauchs- und Informationszweck bei Texten oder bei Verpackungen oder bei Gestaltungselementen einer Webseite.
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Wirtz 10. Beim Begriff der Medienunternehmen kann auf die betriebswirtschaftliche Definition von Betrieben zurückgegriffen werden. Siehe Wirtz 11. Im österreichischen Mediengesetz wird ein Medienunternehmen danach bewertet, ob es eine inhaltliche Gestaltung des Mediums und seine Herstellung und Verbreitung oder Ausstrahlung (Rundfunk) oder Abrufbarkeit (Website) entweder besorgt oder veranlasst. Es muss über ein Mindestmaß an unternehmerischer Struktur verfügen. Siehe Zöchbauer Mediengesetz § 1 Ziff 6 MedienG 7. Koch AfP 2007, 307. Homann 293.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
tengünstiger distribuiert werden. Das mindert Zutrittsbarrieren der Medienmärkte und fördert Zutrittschancen für Konkurrenten.41 Außerdem entsteht eine Variantenvielfalt von Angeboten unterschiedlicher Medienprodukte.42 Dabei spielen die Timingstrategien im Medienmanagement eine erhebliche Rolle.43 Der Wandel in der geistigen Produktion hat nicht nur Auswirkungen auf neue Medien4 produkte (zB iPod), sondern die kapitalorientierte Produktionsweise produziert auch einen Verbraucher mit neuen Konsumverhaltensmustern.44 Der Nutzer kann zur gleichen Zeit Hersteller und Verbraucher sein.45 Insofern produziert die kapitalorientierte Produktionsweise mit Hilfe der Informations- und Kommunikationsprozesse nicht nur eine Ware für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für die Ware.46 Die geistige Produktion mit ihren unterschiedlichen Arbeitsergebnissen in der recht5 lich ausgestalteten Form der Aneignung und Zuordnung der Medienprodukte ist gleichsam die Grundlage für die Durchführung von Transaktionen auf Märkten. Für die Verwertung sind die produzierten Medienprodukte von Bedeutung (Musik, Software, Sprachwerk, Fotografie, Filmwerk etc). Die Verwertung setzt die Verkehrsfähigkeit derartiger immaterieller Waren voraus, wobei der körperliche Träger der geistigen Arbeit (zB die CD) nur eine sekundäre wirtschaftliche Bedeutung bspw als Speichermedium hat. Die körperlichen Träger (zB Papier) werden einerseits nach der traditionellen Methode 6 auf dem Markt angeboten (zB Buchläden), andererseits ist durch das Internet ein Kommunikationsnetz entstanden, in dem mittels der Computertechnik und der digitalen Technologie Medienprodukte geschaffen werden. Das Internet ermöglicht einen virtuellen Markt und Kulturraum (zB eine virtuelle Bibliothek), der ein neues Strukturelement in der geistigen Produktion impliziert. Es betrifft zum einen die Herstellung der immateriellen Güter als Waren und zum anderen – der eigentliche, ökonomisch interessante Aspekt – die Verwertung im globalen Netz. Beides kann direkt miteinander im Netz verknüpft werden. Trotz dieser Entwicklungstendenzen und der teilweisen Überwindung der klassischen Arbeitsgesellschaft kann die sog Informationsgesellschaft nicht auf die „New Economy“ reduziert werden.47 Die Beschränkung eines derartigen Ökonomismus der Informationen als Zeichen, Bilder oder Töne reduziert den gravierenden ökonomischen, sozialen, kulturellen und rechtlichen Wandel, der mit der geistigen Produktion und Reproduktion in einer globalisierten Welt einhergeht.48 3. Ubiquität der Medienprodukte
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Die Medienprodukte bringen teilweise die Globalisierung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und Märkte zum Ausdruck. Das Medienprodukt kann an vielen Orten, in zahlreichen Staaten und zur gleichen Zeit genutzt werden. Dieser weltweite Genuss durch Dritte ist eine Folge der Ubiquität immaterieller Güter im Unterschied zum Sacheigentum.49 Wirtschaftlich ist das für die Vermarktung eines Produkts ein enormer Vorteil, da die Transaktionskosten gesenkt werden. Denn anders als bei körperlichen
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Siehe Teil 3 Kap 1 u 2. Hagenhoff/Kaspar 51. Wirtz 653. Koch AfP 2007, 306; Spacek 7. McLuhan The Global Village 117. Marx Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie 14. Ebenso Bühl 45.
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Hepp/Krotz/Moores/Winter/Winter 79. Troller 97. Die Abbildung einer Sache stellt eine Vervielfältigung des geistigen Werkes dar. Das Vervielfältigungsrecht als Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers des geistigen Werkes ergibt sich aus dem Urheberrecht. Die Rechte des Sacheigentümers ergeben sich aus § 903 BGB.
Artur-Axel Wandtke
§1
Medien und Recht
Waren fällt ein Teil der Transportkosten weg und die Verwertung kann im Grunde ohne Verlust der Qualität immer wieder erfolgen.50 Die traditionelle Mehrfachnutzung der Medienprodukte 51 wird von einer digitalen Mehrfachnutzung immer stärker im Netz begleitet.52 So erschließen Onlinehändler einen neuen Markt, der vollständig aus Nischenprodukten besteht: den „Long Tail“.53 Digitale Online-Medien stellen für den einzelnen Nutzer entsprechend seinen Bedürfnissen im Rahmen der Mehrfachnutzung Medienprodukte zur Verfügung, indem sie über ein computergesteuertes Individualisierungssystem das Medienprodukt für die Kunden produzieren.54 Diese digitale Produktionsweise und deren Produktverwertung ist nicht nur betriebswirtschaftlich interessant, sondern erfordert eine Rechtskonzeption, die die entstehenden Widersprüche zu lösen vermag. Das nationale Recht gerät dabei immer mehr in Widerspruch zu den internationalen Produktionsverhältnissen, wenn es nicht als Gestaltungsinstrument Einfluss auf diese globale Entwicklung auszuüben gedenkt.55 Dabei spielt der Schutz des geistigen Eigentums eine zentrale Rolle, weil es sowohl Regeln für die Entstehung des Schutzes der Medienprodukte in der wissenschaftlichen, literarischen, künstlerischen und technischen Produktion als auch Regeln für die Verbreitung und Verwertung derselben beinhaltet. Zunächst wäre aber eine Evaluierung des Rechts des geistigen Eigentums nötig. Gesetzesfolgeabschätzung und Gesetzesevaluierung geraten vor allem dort in den Fokus, wo das Gesetz auf das Marktgeschehen und auf das innovative Verhalten gerichtet ist.56 Die Entwicklung des Rechts war in den historischen Etappen einerseits eine Reaktion 8 auf technische Erneuerungen, andererseits ein Spiegelbild der historisch bedingten und kulturell bestimmten Produktionsweise, die einer Entwicklungsstufe der Produktivkräfte entsprach und entspricht. Die technologische Entwicklung hat natürlich Auswirkungen auf die Arbeitsteilung und auf den Markt. Das bedeutet aber nicht, dass immer mehr Rechtsgüter ihren Marktcharakter verlieren und damit zu Nichtvermögensgütern werden.57 Die Marktgesetze werden nicht durch die technologische Entwicklung aufgehoben, sondern modifiziert. Dem BGB liegt ein Marktmodell zu Grunde, das dem freien Spiel der Marktkräfte entspricht, in dem selbst das Persönlichkeitsrecht einen Marktwert hat und insoweit als Ware in der Werbung zirkulieren kann.58 4. Medien und kulturelle Prozesse Es gab und gibt einen dialektischen Zusammenhang zwischen Individualitätsentwick- 9 lung und Reichtumsproduktion.59 Die Medienprodukte – wie alle Waren – erscheinen nur als eine Vergegenständlichung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen die Akteure ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten produzieren und reproduzieren. Das Medienprodukt ist insoweit Ausdruck einer bestimmten Kulturstufe. Der schöpferische Akteur ist historisch gesehen ein Produkt, aber auch ein Subjekt gesellschaftlicher Prozesse. Bleibt der Akteur nur Objekt einer kapitalorientierten Mediengesellschaft, verkümmern
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Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 2. So kann ein Roman als Printausgabe auf dem Buchmarkt erscheinen. Dieser wiederum kann Gegenstand einer Verfilmung für das Kino oder für das Fernsehen oder für die DVD-Produktion sein. Hagenhoff/Kaspar 56. Dierking/Möller MMR 2007, 426, 427. Hagenhoff/Kaspar 58.
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Hoeren MMR 2007, 3 – er weist auf Zoning und Geolocation hin, die kollisionsrechtliche Fragen im Internet aufwerfen. Tades/Danzl/Graninger/Dreier 49. AA Beater/Habermeier/Gotthardt 6. S Ladeur ZUM 2007, 111, 112; BGH ZUM 2007, 1 – Rücktritt des Finanzministers; BGH ZUM 2007, 54 – kinski-klaus.de. Marten 17; BT-Drucks 16/7000, 47 f.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
die geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Die Literatur-, Kunst-, Informations- und Wissenschaftsproduktion im technologischen Zeitalter kann als Kulturproduktion bezeichnet werden,60 wenn die Kreativität und Innovation Vorrang hat vor Verdummung und Zerstörung menschlicher Fähigkeiten. Die Veränderungen gesellschaftlicher Prozesse sind zurückzuführen auf die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie sind das Ergebnis und teilweise eine Voraussetzung der geistigen Produktion. Die Entstehung neuer Medienprodukte und neuer Kulturindustrien als Folge der technischen Entwicklung hat Bedeutung für die Kulturentwicklung und für die Globalisierung der Märkte.61 Die geistige Produktion macht nicht vor nationalen Grenzen halt. Jede Person in Deutschland, die technisch die Voraussetzungen geschaffen hat, kann mit einem chinesischen Bürger oder Unternehmen kommunizieren. Die gemeinsam geschaffenen Medienprodukte können durch die Vernetzung produziert und über das Netz verbreitet werden. Das Internet macht es möglich. Bspw können Kunstprodukte im Internet als ein eigener Bereich der geistigen Produktion und Kommunikation geschaffen und als Waren vermarktet werden.62 Medienprodukte als Waren machen das System des geistigen Eigentums und damit das Recht der Medien für die wirtschaftliche Verwertung derselben durch die Medienunternehmen noch interessanter. Die Medienökonomie der Medienunternehmen gerät dabei immer stärker in den Fokus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung der Informations- und Kommunikationstechnologie.63 Auch das Immaterialgüterrecht kann sich dem nicht verschließen; seine Wirkungsweise kann aber nicht allein auf das „Ökonomische“ reduziert werden. Denn Recht ist selbst eine Kulturerscheinung.64 Das Recht als Ergebnis gesellschaftlicher Interessenwidersprüche und als Phänomen der Verhaltenssteuerung ist auf die Lösung der Interessenwidersprüche und auf den Interessenausgleich der Beteiligten im kulturellen Gesamtprozess gerichtet. Mit der Digitalisierung und dem Internet brechen die einzelnen Interessenwidersprüche auf, die zwischen Medienunternehmen und zwischen Medienunternehmen und den Nutzern bestehen. So liegt zB ein Interessenwiderspruch innerhalb der Open-Access-Bewegung vor, in der der Autor dem Anbieter sein Werk kostenlos zur Verfügung stellt, obwohl eine Kollision der Interessen zwischen Unternehmen 65 oder mit Verlagsverträgen bestehen kann.66 Diese Bewegung der freien Verfügbarkeit von Inhalten hat ein eigenes Lizenzvertragssystem entwickelt. Zu den bekanntesten Lizenzvertragssystemen gehören die General Public License (GPL) und die Creative Commons-Lizenzen, die auch als AGB anerkannt sind.67 In der Wissenschaftskommunikation ist das Internet zum vorherrschenden Medium geworden. Derzeit sind bereits mehr als 1000 Zeitschriftenartikel, Broschüren und Bücher im Volltext abrufbar und frei zugänglich.68 Der Unternehmer will seine Produkte vermarkten, der Nutzer will einen freien Zugang zu den „Contents“. Neben wettbewerbs-,69 marken-,70 urheber-71 und geschmacksmusterrechtlichen 72 Problemen ist auch das Strafrecht 73 gefragt, das – wie das Recht insgesamt – an die Grenzen der Verhaltenssteuerung im Internet und in den Informations- und Kommunikationsprozessen stößt bzw stoßen kann. Das betrifft auch Fragen der örtlichen Zuständigkeit bei Urheber-, 60 61 62 63 64
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Bourdieu 113 ff. Pahlow UFITA 2006/III, 705 ff. Marten 35. Wirtz 16; Breyer-Mayländer/Seeger 27; Hagenhoff/Hogrefe/Riedel/Zibull 82. Zimmermann 2; Kelsen 95 ff; nach seiner Auffassung ist die dogmatische Jurisprudenz eine Normwissenschaft. Lessig 259.
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Hagenhoff/Dorschel 239. Mantz GRUR Int 2008, 24. Roesler-Graichen Börsenblatt Nr 5, 2007, 32. S Teil 3 Kap 1. S Teil 2 Kap 7. S Teil 2 Kap 1. S Teil 2 Kap 11. S Teil 7 Kap 3.
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Medien und Recht
Marken- und Wettbewerbsverletzungen im Internet.74 Was innerhalb der Netze passiert, ist immer schwerer rechtlich zu steuern. Das gilt auch für das Internetstrafrecht zur Bekämpfung der Computerkriminalität, die Änderungen des materiellen und prozessualen Strafrechts 75 erforderlich machte.76 5. Vermarktung von Medienprodukten in der EU Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verwertungskonditionen des Kapitals 10 sind sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene festzustellen. Die Europäische Union versucht mit ihren Richtlinien 77 als Sekundärrecht die Grundlagen für die Regulierung der Märkte von Medienprodukten auf dem Gebiet des Fernsehens,78 der elektronischen Kommunikation, der Presse, der Werbung und des Buchmarktes zu schaffen,79 wobei die Kommission damit begonnen hat, die Richtlinien zu überprüfen und Vorschläge zur Verbesserung zu unterbreiten.80 Dazu gehört vor allem die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste vom 11.12.2007,81 welche die bisherige Fernseh-Richtlinie geändert hat und bis zum 19.12.2009 umgesetzt werden muss.82 Da die Richtlinie zu den Fernsehprogrammen derzeit insbesondere analoges und digitales Fernsehen, Live Streaming, Webcasting und den zeitversetzten Videoabruf („Near-video-on-demand“) zählt und Mediendienste auf Abruf erfasst sowie Regelungen zur Werbung, sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme der Mediendienste im kommerziellen und nicht kommerziellen Bereich noch nicht absehbar.83 Dabei stellt sich auch die Frage, ob der deutsche Rundfunkbegriff noch richtlinienkonform sein kann.84 Die wirtschaftliche Bedeutung der Medienmärkte ist immens. Als Beispiel sei der 11 Umsatz im europäischen Telekommunikations-Sektor genannt; dieser beträgt jährlich rund € 270 Mrd.85 Auch der Umsatz von Video- und Computerspielen ist in Deutschland gestiegen.86 Auf dem Gebiet des geistigen Eigentums sind ebenfalls bedeutende Richtlinien verabschiedet worden.87 Allen Richtlinien ist gemeinsam, dass sie darauf abzielen die Unterschiede im Rechtsschutz zwischen den Mitgliedstaaten aufzuheben, um den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen in der Europäischen Union sicherzustellen. Hierzu gehört insbesondere die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Durchsetzungs-Richtlinie). Mit dieser Richtlinie werden Maßnahmen, Verfahren 74 75 76 77 78
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Dankwerts GRUR 2007, 104 ff. S Teil 7 Kap 3. Gercke ZUM 2007, 282. Siehe Teil 1 Kap 3. Holtz-Bacha Media Perspektiven 113. Die ökonomische Sichtweise der Kommission auf den Rundfunk und mit der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Medien ist ein Dauerkonflikt zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten entstanden. Breyer-Mayländer/Seeger 27. Enaux/Worok CR 2006, 736. Vgl die Richtlinie 2007/65/EG vom 11.12.2007 zur Änderung der RL 89/552/EG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, Abl L 332/27.
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Castendyk/Böttcher MMR 2008, 13. Schwartmann/Schwartmann 1.2 Rn 25; Castendyk/Böttcher MMR 2008, 15; Schulz EuZW 2008, 107; Weberling/Wallraf/Deters/ von Heinegg 108. Castendyk/Böttcher MMR 2008, 16. Enaux/Worok CR 2006, 736. Nach dem Creative Economy Report der UN von 2008 (S 4) sind auch die Creative industries um 12,3 % in der EU gestiegen. Der Bundesverband Interaktiver Unterhaltungssoftware eV verzeichnete 2006 einen Umsatz von € 1126,– Mrd. Dies entspricht einem Zuwachs von 7,4 % gegenüber 2005. S Otto Politik und Kultur 2007, 14. Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl UrhR Rn 21.
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und Rechtsbehelfe beschrieben, die für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums erforderlich sind.88 Die Richtlinie entspricht der allgemeinen Tendenz, immaterielle Güter als Medienprodukte auch international zu schützen.89 Angeknüpft wird an das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) vom 15.4.1994.90 Es soll mit der Erweiterung der Rechte der Rechtsinhaber („TRIPs-Plus“) der Bedeutung des geistigen Eigentums für das Funktionieren des Binnenmarktes Rechnung getragen werden.91 Alle Industriestaaten sind Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) und nach dem TRIPs-Abkommen verpflichtet, geistige Leistungen in ihrem Staatsgebiet effektiv zu schützen.92 Im Prozess der Vermarktung der Medienprodukte in der EU spielen die Medienkon12 zerne im Hinblick auf die Meinungsmacht eine nicht zu unterschätzende Rolle. Durch die zunehmende Medienkonzentration ist die Meinungsvielfalt gefährdet. Deshalb hat die Europäische Kommission kürzlich einen Drei-Stufen-Plan zur Erhaltung des Medienpluralismus vorgestellt.93 Als Grundlage dient ein Arbeitspapier, das neben den Regulierungszielen zur Verhinderung von Informationsmonopolen die Überarbeitung der Fernseh-Richtlinie enthält.94 Im Interesse der Erhaltung des Medienpluralismus ist auch die Medienkonzentration im Internet zu verhindern. Denn mit dem Internet als Rundfunkplattform entstehen selektive Nutzungsmöglichkeiten, die das Fernsehen und den Hörfunk als Massenkommunikationsmittel in einem neuen Licht erscheinen lassen.95 Die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in einer dualen Rundfunkordnung spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. Denn die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte haben an dem verstärkten Schutz der Rundfunkfreiheit nichts geändert. Rundfunkprogramme als Medienprodukte verfügen nach wie vor über eine Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft. Die bestehenden Behinderungen der Rundfunkfreiheit sind vielfältig. So steht zB die Aufrechterhaltung des Pluralismus im Rahmen der Kulturpolitik den Rundfunkveranstaltern zu, deren Programme durch die Kabelnetzbetreiber verbreitet werden müssen. Die nationalen Regelungen sind deshalb im Rahmen des Art 49 EG und Art 86 EG dahingehend auszulegen.96 Aber nicht nur strukturelle Gefahren bestehen, die den Pluralismus der Kulturpolitik verhindern können. Ebenso besteht die Gefahr einer einseitigen Einflussnahme auf den Inhalt der Programme durch den ökonomischen Wettbewerbsdruck.97 Eine Behinderung der Rundfunkfreiheit kann auch darin bestehen, dass politischer Druck auf die Sender ausgeübt wird und kritische Sendungen verboten werden. Insofern besteht zwischen der Rundfunkfreiheit und der Meinungsfreiheit ein unmittelbarer Zusammenhang. Die Meinungsfreiheit gilt ebenso für Sendungen, deren Informationen verletzen, schockieren oder beunruhigen. Pluralismus, Toleranz und offene Geisteshaltung sind Voraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft.98 88 89 90
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Seichter WRP 2006, 391, 392. S Teil 1 Kap 4. BGBl 1994 II S 1730; ausf zum TRIPsAbkommen: Busche/Stoll/Busche TRIPs Einl 2 Rn 1 ff. Seichter WRP 2006, 392. Ann GRUR Int 2004, 597 ff. Zagouras AfP 2007, 1. S das Dokument „Medienpluralismus in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, SEC (2007) 32, 11.
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Schwartmann/Schwartmann 1.2 Rn 39 f. S EuGH ZUM 2008, 131, 135; zur Übertragungspflicht der Kabelnetzbetreiber („must carry“). BVerfG ZUM 2007, 712, 721; Bretschneider WRP 2008, 761, 764. S EGMR NJW-RR 2007, 1524, 1528 – L’honneur perdu de la Suisse; EGMR JuS 2006, 1120, 1121 – Meinungsfreiheit; Dörr/ Kreile/Cole/Heer-Reißmann/Dörr/SchüllerKeber 25.
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6. Internationaler Markt und kulturelle Dimension der Medienprodukte Das geistige Eigentum ist im globalen Maßstab von Bedeutung, weil weltweit nicht nur die wirtschaftliche Effizienz 99 der Medienprodukte (zB Rundfunkprogramme, Geschmacksmuster, Marken, Kennzeichen, Musik, Texte, Bilder, Filmwerke) im Fokus der Vermarktung steht, sondern auch die kulturelle Wertschätzung der immateriellen Güter zum Ausdruck gebracht wird.100 Die UNESCO hat im Oktober 2003 in Paris die Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes 101 beschlossen. Die UNESCO ist zu Recht der Auffassung, dass die Prozesse der Globalisierung große Gefahren für den Verfall, den Verlust und die Zerstörung des immateriellen Kulturerbes mit sich bringen. Deshalb ist der Schutz des immateriellen Kulturerbes weltweit so bedeutsam. Der Gegenstand des Schutzes offenbart die Breite und Vielfalt immaterieller Güter. Dazu gehören folgende Bereiche: – mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen einschließlich der Sprache, – darstellende Künste, – gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste, – Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum sowie – Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken.102 Auch die Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der UNESCO vom 20.10.2005 weist auf die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der kulturellen Vielfalt und der Produktion von derartigen Gütern und Dienstleistungen hin.103 Auffallend ist dabei, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Schutz der kulturellen Vielfalt und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 hergestellt wird.104 Es wird bei der Harmonisierung des nationalen Rechts insofern nicht um jeden Preis eine Angleichung möglich und erforderlich sein, um die Vielfalt kultureller Güter und Leistungen zu gewährleisten. Die Europäische Union verpflichtet sich, die Grundsätze des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen umzusetzen.105 Der EuGH lässt sich in ständiger Rechtsprechung von dem Grundsatz leiten, die Grundrechte unter Wahrung gemeinsamer Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten unter Hinweis auf die Menschenrechte vor allem nach der EMRK anzuwenden bzw durchzusetzen. Das gilt für das Recht auf Eigentum 106 99 100 101 102 103 104
Cornish/Llewelyn Chap 1, Rn 1–3. S ausf BT-Drucks 16/7000, 259. Abrufbar: www.unesco.de/442.html. Ziff 2 der Konvention. S Art 2 Ziff 5 iVm Art 4 Ziff 4 der Konvention. In der Präambel der Konvention über die kulturelle Vielfalt vom 20.10.2005 wird auf die Bedeutung der kulturellen Vielfalt für die volle Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in anderen allgemein anerkannten Übereinkünften verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten hingewiesen.
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S den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 18.5.2006 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, GRUR Int 2007, 35. Ebenso hat die EU-Kommission in ihrer Mitteilung „Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ vom 10.5.2007 den Zusammenhang zwischen kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung zum Ausdruck gebracht. EuGH GRUR Int 2007, 237, 240 – Laserdisken/Kulturministeriet.
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genauso wie für die anderen Grundrechte, die Bestandteil der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000 sind.107 Mit der Änderung des Art 6 des Vertrages der Europäischen Union ist nunmehr die Charta der Grundrechte für die Mitgliedstaaten verbindlich.108 Im Kern geht es um die Garantie der sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Rechte in der Europäischen Union. Ein wesentlicher Aspekt im Grundrechtskatalog ist die Sicherung und Entwicklung eines unterschiedlichen kulturellen Schaffens in allen Mitgliedstaaten und nicht das Streben nach einer Einheitskultur. Denn überall findet man häufig gleiche kulturelle Erscheinungsformen. An Stelle der historisch gewachsenen Unterschiede in der kulturellen Entwicklung treten gesichtslose Städte, Einkaufszentren und Massenprodukte auf. Dieser Kulturverlust ist auch Ausdruck eines Marktversagens, dh, der Markt gewährleistet nicht die allokative und produktive Effizienz.109 Es sind deshalb Rechtsregeln erforderlich, die die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und das kulturelle Erbe sichern, ohne dabei den Marktmechanismus als Motor wirtschaftlicher Entwicklung aufs Spiel zu setzen.110 Eine Nivellierung, zB des Musikmarktes, wird durch eine Quotenregelung möglicherweise nicht zu verhindern sein. Solange die Einschaltquote im Rundfunk den Maßstab für ökonomische Effizienz bildet, bleibt die kulturelle Vielfalt auf der Strecke. Das gilt auch für die Formatierung von TV-Sendungen oder TV-Serien.111 Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck ist mit dafür verantwortlich, dass bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist.112 Hierbei spielt die globale Marketingstrategie der US-TV-Industrie eine bedeutende Rolle.113 Die Schaffung europäischer Identität zielt auf die Stärkung kultureller Kohäsion, ohne eine europäische Einheitskultur anzustreben.114 Das gilt auch und gerade für den internationalen Medienmarkt (weltweite Angebote und Nachfragen von Medienprodukten) und den Markt der Medien (Wettbewerb der Hersteller von Medienprodukten). Die geistige Produktion und Reproduktion von Medienprodukten kann nicht nur unter ökonomischer Prosperität, sondern muss vor allem unter kultureller Produktivität, zB Innovation und Vielfalt der Ausdrucksformen, betrachtet werden. Dabei wird zu betonen sein, dass es einseitig wäre, die Substanz der Kultur lediglich in der Welt der Objekte, im gegenständlichen Dasein der Kultur zu suchen. Die Medienprodukte müssen an der Frage gemessen werden, inwieweit sie als Mittel der Produktion von Individualität dienen.115 In dieser Richtung ist auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu betrachten.116 Eine nur auf Wirtschaft und Wettbewerb ausgerichtete Politik der EU muss ihr Ziel verfehlen, wenn nicht die kulturelle Dimension der Kreativität und der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Erfinder, Urheber und Künstler als Regelungsgegenstand gesehen wird. Das gilt auch für den Schutzzweck der kollektiven Rechtewahrnehmung, die die kulturelle Vielfalt der Kreativen mittels der Verwertungsgesellschaften durchzusetzen in der Lage ist.117 Der Wettbe107 108
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Calliess/Rufert/Calliess Art 1 GRCh Rn 1. Am 13.12.2007 wurde der geänderte Vertrag der Europäischen Union in Lissabon angenommen. Hofmann/Goldhammer, 84. So ist die produktive Effizienz die Herstellung von Produkten so wirtschaftlich wie möglich. Die allokative Effizienz meint die optimale Befriedigung der Bedürfnisse. Schwintowski 184, 185. AA Spacek 12. BVerfG ZUM 2007, 712, 721.
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Eastman/Ferguson/Klein/Bellamy/Chabin 293. Calliess/Ruffert/Blanke Art 151 EGV Rn 3. Marten 73. Aufgrund der Ablehnung der Verfassung der EU wurde der Vertrag der EU in Art 6 geändert, der die Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte, die im Entwurf der Verfassung der EU geregelt waren, mit Ausnahme von Großbritannien und Polen, betont. S BT-Drucks 16/7000, 267.
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werb führt dann zur kulturellen Verarmung, wenn nicht die Besonderheiten der wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Produktion und Vermarktung der Medienprodukte berücksichtigt werden.118 Der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Kultur ist nicht zu leugnen.119 Jede Produktionsweise baut auf einer vorhandenen Kulturstufe auf, um die Schätze der Vergangenheit zu heben. Die Verfeinerung der Produktivkräfte erfolgt zunehmend international. Die wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Dimension des digitalen Zeit- 17 alters im Rahmen eines globalen Marktes ist evident.120 Die rechtliche Ausgestaltung eines globalen Schutzes hat diese Seiten eines ganzheitlichen Prozesses zu berücksichtigen. In diesem ganzheitlichen Prozess sind die „Creative Industries“ als ein bedeutender Wirtschaftsfaktor anzusehen.121
II. Medienprodukte 1. Medienprodukte als Waren Medienprodukte – wie alle Waren – in einer kapitalorientierten Produktionsweise verkörpern die Verdinglichung der gesellschaftlichen Produktion und die Versubjektivierung der materiellen Grundlagen der Produktion.122 Die technologische Entwicklung verändert die Warenproduktion und ermöglicht einen völlig neuen Umgang mit den Medienprodukten, die „immer häufiger in digitaler Form produziert, distribuiert und konsumiert werden“.123 Es ist kaum zu unterscheiden, was als Endprodukt des einen Prozesses und was als Rohmaterial des anderen gelten soll.124 In der mikroökonomischen Betrachtungsweise besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Firmen Produktionsentscheidungen treffen, um den Gewinn zu maximieren.125 Zu diesen Produktionsentscheidungen gehören auch die Vermarktungsstrategien der Unternehmen, die Medienprodukte öffentlich zugänglich machen, anbieten und verkaufen. Medienprodukte können im weiteren und engeren Sinne verstanden werden. Medienprodukte im weiteren Sinne sind solche Produkte, die von Unternehmen produziert werden und vor allem den körperlichen und unkörperlichen Träger von Medien betreffen und Mediales verbreiten, zB Ton- und/oder Bild(ton)träger, Video-/Tonbänder, -plattformen, CDs, DVDs und Kassetten sowie mit Programmen und/oder Daten versehene maschinenlesbare Datenträger aller Art. Träger von Medienprodukten sind auch Druckerzeugnisse, zB Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Geld, Noten, Poster, Plakate, Tagebücher, Kalender, Karten, Lesezeichen und Fotos. Zu den Medienprodukten im weiteren Sinne gehören Formgebungen als Inhaltsmitteilungen, zB Gemälde, Webseiten, Gedichte, Romane, Sinfonien, Spielfilme. Neben den Trägern immaterieller Güter vermitteln vor allem Zeichen jeglicher Art einen bestimmten Bedeutungsgehalt und Informatio118 119 120 121
Geiss/Gerstenmaier/Winkler/Mailänder/ Gerlach 530. Dietz GRUR Int 2006, 9; BT-Drucks 16/7000, 53. Lucchi 141. S Creative Economy Report 2008 der UN, 4; die Creative Industries are among the most dynamic sectors in world trade … annual growth rate of 8,7 %; ebenso BT-Drucks 16/7000, 335.
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Marx Das Kapital 887. Hofmann/Stadler 303. Hofmann/Stadler 303. Eichenberger 101 – er ist der Auffassung, dass Firma und Produzent die Mikroökonomik reflektieren und als Synonym gebraucht werden.
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nen. Daher sind Wörter, Namen, Abbildungen, Zahlen, Hörzeichen, Farben usw Gegenstand des Markenrechts, dh Marken, die geeignet sind, Waren und Dienstleistungen zu unterscheiden. Die immateriellen Güter als Medienprodukte sind gleichsam das Ergebnis der geistigen Arbeit, in der die Zeichen als Marke, Text, Musik usw kombiniert bzw komponiert werden. So wird mittels der Sprache ein Text, mittels Töne Musik oder Geräusche, mittels Farbe eine Grafik, ein Gemälde oder eine Zeichnung produziert. Die Medienprodukte im weiteren Sinne können aber auch in der Form auftreten, dass 22 die menschliche Kommunikation in der Vermarktung von Merkmalen einer Persönlichkeit (zB Name, Stimme, Gesicht) oder in der Vermarktung körperlicher Leistungen von ausübenden Künstlern (zB Sänger, Schauspieler und Tänzer) und Sportlern besteht126. Produkte der Medienindustrie im engeren Sinne sind solche Medienprodukte, die die 23 Fernseh- und Hörfunkanstalten,127 die Filmindustrie 128 und die Print- und Online-Industrie produzieren und der Massenkommunikation dienen. So ist die öffentliche Wiedergabe von Musik im Internet ein Prozess, in dem die Musik als Medienprodukt 129 selbst seine Wirkung entfaltet und zB mit der Recording-Software für Internetradios und Online-Videorecorder für Fernsehprogramme Rechtskonflikte unvermeidbar sind.130 Umgekehrt kann aber die Musik als Medienprodukt für andere Waren und Dienstleistungen wirtschaftliche Bedeutung haben, indem sie für die Förderung des Absatzes derselben benutzt wird. Das trifft vor allem auf Merchandising und auf die Werbung für andere Waren und Dienstleistungen zu.131 Klingeltöne werden zB für die Förderung des Absatzes der Mobiltelefone und für andere Waren und Dienstleistungen benutzt.132 Sind Medienprodukte hergestellt, kommt es dann darauf an, die Botschaft des Medien24 produkts zum Empfänger zu transportieren. Das kann dergestalt passieren, dass technische Geräte – sog Sekundärmedien – für derartige Kommunikation nicht erforderlich sind.133 Jeder kann die Bedeutung der Information aufnehmen, zB aus einem Foto 134, einer Schrift, einer Grafik usw. Das gilt insbesondere für Druckerzeugnisse,135 zB Zeitungen, Zeitschriften und Bücher.136 Demgegenüber sind die tertiären Medien solche Medien, bei deren Nutzung oder Gebrauch sowohl der Sender als auch der Empfänger Geräte benötigen, um die Übertragung zu ermöglichen. Dies sind hauptsächlich die elektronischen Kommunikationsmittel.137 Aus der Übertragung der Medienprodukte an den Empfänger werden die Distributionsverhältnisse angesprochen, die sich durch die Informations- und Kommunikationstechnologie 138 verändert haben.
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S Teil 6 Kap 2. S Teil 4 Kap 1. S Teil 2 Kap 2. S Teil 2 Kap 3. OLG Dresden ZUM 2007, 385; LG München I CR 2006,787; LG Leipzig ZUM 2006,763; von Zimmermann MMR 2007, 555. Kreifels/Breuer/Maidl Rn 250; Schertz 4. OLG Hamburg GRUR 2006, 323 – Klingeltöne II; BGH WRP 2006, 885 – Werbung für Klingeltöne.
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Pross 128; Pross verwendet den Begriff primäre Medien im Zusammenhang mit dem Ausdruck des Körpers, der Gangart, der Kopfhaltung usw. S Teil 2 Kap 4. Pross 128. S Teil 2 Kap 6. Pross 128. S Teil 5 Kap 1 u 2.
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2. Ökonomischer Wert und Werteträger Medienprodukte als Kulturgüter haben wie alle Waren einen Tausch- und Gebrauchs- 25 wert. Der Gebrauchswert eines Medienprodukts kann einen möglichen ideellen Wert 139 bzw eine ästhetische Formgebung aufweisen. Stellt die ästhetische Formgebung nicht allein in den Augen des Verkehrs die alleinige Ware dar, sondern erscheint sie nur als Zutat zu der Ware, deren Nutz- oder Verwendungszweck auf anderen Eigenschaften beruht, steht sie zB der Eintragung als Marke nicht entgegen.140 Der eigentliche ökonomische „Wert“ eines Medienprodukts hängt zunächst mit der verausgabten geistigen und körperlichen Arbeit zusammen und mit der Fähigkeit, als Tausch- und Gebrauchswert auf dem Markt zu zirkulieren.141 Ökonomischer Wert entsteht erst, wenn es gelingt, einen Gegenstand, ein Etwas, in das Medium Ware umzusetzen.142 Schwierigkeiten bestehen vor allem bei der Bewertung immaterieller Güter, die zu den wichtigen Vermögensgegenständen eines Unternehmens gehören. Die entwickelten betriebswirtschaftlichen Methoden können dabei hilfreich sein.143 Entscheidend ist aber nicht, dass Medienprodukte (zB Rundfunkprogramme, Kunstwerke, Fotos, Formgebungen eines Designs, Zeichen einer Marke, Geschäftsabzeichen) schlechthin produziert werden. Durch die Einbindung der Medienprodukte in die Warenproduktion wird ihr Charakter zum Zwecke der Produktion von Mehrwert bestimmt.144 Der Profit ist der beherrschende Gedanke und das eigentliche Motiv der Medienunternehmen. Mit neuen Geschäftsmodellen soll dieses Ziel erreicht werden. Solch ein Geschäftsmodell ist zB der Online-Videorecorder für Fernsehprogramme,145 die Nutzung der Peer-to-Peer-Filsharing-Software, die Nutzung der Recording-Software für die Aufnahme von Musikstücken aus einer großen Zahl von Internetradios 146 oder der Verkauf personenbezogener Daten, die einen monetär bewertbaren Produktionsfaktor darstellen.147 Wegen der Besonderheit des Internets und der Telekommunikation bestehen andere Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Schutzes und der Durchsetzung der Rechte. Der Bundesrat hat im Zusammenhang mit der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung den zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegen den Internet-Provider angemahnt.148 Der EuGH hat die Pflicht zur Regelung eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs aus dem Gemeinschaftsrecht für die Mitgliedstaaten verneint.149 Da die Medienprodukte einen Tausch- und Gebrauchswert verkörpern, ist das Inte- 26 resse der Unternehmen und der Verbraucher auf die Aneignung des Gebrauchswertes des 139 140 141
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So aber BT-Drucks 16/7000, 259. BGH GRUR 2008, 71, 72 – Fronthaube. So besteht der wirtschaftliche Wert eines Sportereignisses allein in der Möglichkeit, die Wahrnehmung des Spiels in Bild und Ton durch das sportinteressierte Publikum zu verwerten. Siehe BGH NJW 2006, 377, 380 – Hörfunkrechte. Fleischer 216. Menninger/Nägele WRP 2007, 912, 915. Vgl auch www.idw.de. Marx Das Kapital 886, 887. Statt wie früher Sendungen mit dem heimischen Videorecorder aufzunehmen, werden über das Netz von einem Anbieter die Aufnahmen angeboten. Siehe: Wiebe CR 2007, 28 ff; Kamps/Koops CR 2007, 581. Dieses Geschäftsmodell ist ein Verstoß
146 147 148 149
gegen das Urheberrecht: OLG Köln MMR 2006, 35; LG Leipzig CR 2006, 784; LG München I ZUM 2006, 583; LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396. Von Zimmermann MMR 2007, 553. Hofmann/Cas/Peissl 274. Siehe BR-Drucks. 798/1/07, 1. EuGH GRUR 2008, 241 – Promusicae/Telefonica. In der Entscheidung wird die Offenlegung der IP-Adresse durch den Internetprovider im Zusammenhang mit dem Schutz des Urheberrechts abgelehnt. Allerdings wird auf ein angemessenes Gleichgewicht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen dem Grundrecht auf Schutz des geistigen Eigentums und dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre hingewiesen.
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Medienprodukts gerichtet. Es kann der Tauschwert zur primären Eigenschaft eines Medienprodukts werden, ohne dass der Gebrauchswert eine geringere Bedeutung hätte, zB bei Kunstwerken.150 Medienunternehmen, die den Inhalts- und Bedeutungsgehalt einer Information durch Medienprodukte vermitteln, sind Teil des sozialen Funktionssystems in der Wirtschaft und des ihm entsprechenden Kommunikationsprogramms. Nicht umsonst hat sich das Äußerungsrecht als selbstständige Materie entwickelt.151 Medienunternehmen verkaufen Äußerungen als Ware (zB Reden, Artikel, Berichte, Nachrichten, Sendungen etc). Es gibt keine Medienunternehmen, die nicht den Kommunikationsmodus Ware und Geld im Kommunikationsprogramm Wirtschaft benutzen.152 Im Unterschied zur Alltagskommunikation dient die Massenkommunikation ausschließlich zur Produktion und zum Erwerb von Äußerungen als Ware. Rundfunkprogramme haben im Vergleich zu anderen Waren besondere ökonomische Eigenschaften.153 Äußerungen in den verschiedenen Erscheinungsformen können zB selbst im Internet 27 produziert, aber auch als Ware erworben und veräußert werden. Insoweit gilt nichts anderes als bei Autos.154 Damit können nicht nur körperliche Sachen iSv § 90 BGB als Waren in Erscheinung treten.155 Der Unterschied besteht jedoch darin, dass das Auto als körperliche Sache nur einmal erworben oder verkauft werden kann. Dagegen weisen Programme bzw Äußerungen oder andere immaterielle Güter die ökonomische Eigenschaft auf, dass sie bei gleicher Qualität unbegrenzt ohne nennenswerte Transaktionskosten erworben oder verkauft werden können. Die immateriellen Güter haben Informationswert, der Bestandteil des Gebrauchswertes ist. Der Informationswert kann in dem ästhetischen Gehalt einer Formgebung, im Inhalt eines Romans oder im Verwendungszweck liegen. Geistige Formgebungen, zB Musik-, Sprach-, Film-, Fernsehwerke, Geschmacksmuster,156 Marken und Spiele,157 bringen gleichsam ein Bündel von Informationen zum Ausdruck. Alle Medienprodukte, die in den Distributions- und Konsumtionsprozess gelangen, verkörpern einen Informationswert. Medienprodukte und Geld stehen dabei in einem direkten Zusammenhang. Die Macht der Medienunternehmen steht in einem direkten Verhältnis zur Macht des Geldes und umgekehrt. In dem Maße, wie die Macht des Geldes wächst, nimmt die Macht der Medienunternehmen und deren Bedürfnisse nach optimaler Verwertung der Medienprodukte zu. „Wie das Bedürfnis des Menschen wächst, nimmt die Macht des Geldes zu. Die Maßlosigkeit und die Unmäßigkeit des Geldes wird sein wahres Maß.“ 158 Folge dieses ganzheitlichen Prozesses ist eine Angleichung durch Vereinzelung und eine Entfremdung der Bedürfnisse, die durch die Kulturindustrie geprägt und produziert werden.159 Es ist dann kein langer Weg vom manipulatorischen Zynismus, zB der angebotenen Botschaften der Fernsehund Werbeproduzenten, bis zu den perversesten Formen der scholastischen Illusion in ihrer populistischen Fassung.160 Medienprodukte transportieren insofern Informationen und Inhalte als Werte, die die geistige Haltung der Verbraucher zu beeinflussen vermögen. Desinformation und Manipulation sind zwei Seiten einer Medaille, die den demokratischen Willensbildungsprozess zerstören. Bedürfnisse werden durch neue Medien150 151
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Marten 149. Wenzel/Burkhardt Einl Rn 20; eine Zuordnung des Äußerungsrechts zum Medienrecht wird abgelehnt, s Rn 19. Die Berichterstattung von Sportveranstaltungen verkörpert einen wirtschaftlichen Wert. So der BGH NJW 2006, 377, 379 – Hörfunkrechte. BVerfG ZUM 2007, 712, 721.
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Fischer 252. Spindler/Schuster/Weber § 312e BGB Rn 4. S Teil 2 Kap 11. S Schricker GRUR Int. 2008, 200, 202. Marx Ökonomisch-philosophische Manuskripte 419. Horkheimer/Adorno 128 ff. Bourdieu Über das Fernsehen 140.
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produkte – auch Geschäftsmodelle genannt – geweckt und befriedigt. Ein neuer Markt wird erschlossen und die Gier nach Verwertung derselben kennt keine Grenzen. Dabei spielen menschliche Eigenschaften, zB der Spieltrieb, in der Marketingstrategie eine bedeutende Rolle. Höhepunkt dieser Entwicklung sind Medienprodukte als Computerspiele, zB „Second life“, die es dem Nutzer erlauben, in eine virtuelle Welt einzutauchen, in der alle Wünsche des Users (zB Kauf von Einfamilienhäusern, Autos und Kostümen) gegen ein Entgelt erfüllt werden können. Dies ist ein Geschäftsmodell, in dem der Kunde reales Geld verliert, aber zu einer Traumwelt Zugang hat. Damit sind zugleich gesellschaftliche Widersprüche verbunden, die neue Rechtsfragen 161 vor allem auf dem Gebiet des allgemeinen Zivil-, Urheber- und des Persönlichkeitsrechts sowie des Schutzes der Jugendlichen 162 aufwerfen.163 So ist der Umfang der Prüfungspflichten der Internetplattformbetreiber im Zusammenhang mit den Anforderungen an das Altersverifikationssystem zu bestimmen, die sich aus dem Schutzzweck des Jugendschutzrechts ergeben.164 Dazu gehört die zunehmende Verletzung der Menschenwürde durch Werbung 165 oder durch Kinderpornografie.166 Die Rechtsfolgen für Verletzungen des Jugendschutzes durch Internetbetreiber von Meinungsforen und Betreibern von Chatrooms sind gleich zu behandeln.167 Dabei spielt die Medienethik zunehmend eine Rolle.168 3. Konvergenz der Medien und Multimediaprodukte In der Warenwelt werden zunehmend multifunktionelle Kommunikationsgeräte ange- 28 boten, zB MP3-Foto-Handy, iPod und iPhone. YouTube, Triple Play sowie Web 2.0 ermöglichen mit ihrer interaktiven Gestaltung der Meinungsbildung 169 einen globalen Zugriff auf Informationen. Sie erlauben nicht nur den Abruf von Informationen, sondern auch deren Verwendung. Jedermann kann Webseiten erstellen, die von jedermann weltweit abgerufen werden können. Ferner können mit dem Mobiltelefon Fotos angefertigt und übertragen sowie laufende Hörfunk- und Bewegtbildsendungen nicht nur abgerufen, sondern zum Abruf bereitgestellt oder in eine laufende Kommunikation eingebracht werden.170 Eine Konvergenz der Kommunikationsgeräte ist Folge dieser technologischen Entwicklung.171 Ein Gerät kann mehrere Funktionen übernehmen, die sonst von verschiedenen Geräten (Fotoapparat, Telefon, Computer, Fernseher, Videogerät) umgesetzt werden. Die technische Konvergenz der Medien hat sowohl Auswirkungen auf die Netze und Kommunikationsplattformen, als auch auf die Angebote und auf das Nutzungsverhalten der Teilnehmer am Kommunikationsprozess.172 161
168
162
169
Geis, I/Geis, E CR 2007, 721. S Teil 7 Kap 2. 163 Hopf/Braml ZUM 2007, 354, 360. 164 BGH AfP 2007, 477, 482; OVG Lüneburg ZUM-RD 2008, 221, 223. 165 Scherer WRP 2007, 598 f. 166 Ritlewski K & R 2008, 96 f. 167 Hopf ZUM 2008, 207, 216. Chatrooms sind gerade für Kinder und Jugendliche sehr beliebt. Hopf schlägt vor, dass sich Chatbetreiber im Vorfeld von Verstößen gegen den Jugendschutz aktiv beteiligen. So sollten die Chatbetreiber die Pflicht haben – ähnlich wie die Betreiber von Meinungsforen – ab Kenntnis von Jugendschutzverstößen diese zu beseitigen.
170
171 172
Heller/Goldbeck ZUM 2007, 637. Spindler CR 2007, 239. Handig GRUR Int 2007, 206. Nach einer repräsentativen Studie der ARD/ZDF-Medienkommission hat das Handy mit Abstand den höchsten Verbreitungsgrad. 82 % der Bevölkerung ab 14 Jahren verfügen über ein Handy, 26 % über einen MP3-Player, 27 % über einen Laptop. S Media Perspektiven 2007, 13. Hepp/Krotz/Moores/Winter/Winter 79 f; Bullinger, M JZ 2006, 1137, 1139. Mückl JZ 2007, 1078.
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1. Teil
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Multimedia bezeichnet eine Synthese und ganzheitliche Nutzung verschiedener Medien. Bild, Film und Fotografie, Ton und Text sind nicht mehr getrennte Werkgrößen, sondern können dank einer Digitalisierung zu einer neuen Einheit verbunden bzw miteinander kombiniert werden. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Produkte mit multimedialem Charakter werden in verschiedenen Bereichen eingesetzt, zB im Bereich der Aus- und Weiterbildung, Medizin, Verwaltung, Verlagswesen, Musik- und Filmindustrie usw. Multimediale Produkte werden als Off- und Onlineprodukte vertrieben, wobei feste 30 Datenträger (meist CD-ROMs oder DVDs) oder unkörperliche Verwendungsformen vorliegen, die via Telekommunikation173 die Medienprodukte verbreiten.174 Multimediaprodukte sind wesentliche Ergebnisse der geistigen Produktion mit Hilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Die vielfältige Kombination aller denkbaren Zeichensysteme, zB Schriften, Grafiken, Töne, statische und bewegte Bilder, ist ein bestimmender Faktor gegenwärtiger und künftiger Informations- und Kommunikationsprozesse. Geht man von den medialen Kernelementen aus, wie der Schrift, dem statischen und bewegten Bild (Video) sowie dem Ton (Audio), dann sind in der Tat mit der Digitalisierung neue Technologien, nicht aber neue Medien entstanden.175 Die Möglichkeiten zur Herstellung multimedialer Produkte verbessern sich erheblich. Denn nun kann ein Buch mit Video und/oder Audio verbunden werden. Sinn und Zweck dieser Entwicklung ist nicht nur die Verbesserung der Informations31 wege, sondern es entstehen neue Märkte und der Verdrängungswettbewerb, zB auf dem Handymarkt, spitzt sich zu. Neben dieser Entwicklung ist ein Phänomen aufgetreten, das Grundfragen des Rechts der Medien 176 betrifft. Es ist gegenwärtig kaum feststellbar, welche Rechte entstehen, wenn mehrere Personen im Internet ein Medienprodukt (zB einen Text) produzieren und für jedermann zum Download anbieten. Da diesen geistigen Leistungen eine Ubiquität anhaftet, sind sie auch in Multimediaprodukten verwertbar. Die massenweise Produktion von Medienprodukten durch User im Internet hebt gleichsam einen effektiven Rechtsschutz auf. Der einzelne Schöpfer ist kaum feststellbar und die individualistische Konzeption, zB des Urheberrechts, befindet sich an ihren Grenzen. Die interaktiven Gestaltungsmöglichkeiten der Meinungsbildungs- und Willensbildungsprozesse mittels Multimediaprodukten schließen notwendigerweise rechtliche Regulierungsprobleme und Abgrenzungsfragen ein.177 Die Grenzen zwischen Telekommunikations-, Presse-, Rundfunk- und Telemedienrecht verschwimmen immer mehr.178 Es können zB Mobiltelefone Fersehsendungen empfangen, dh Daten werden über UMTS auf das Handy gestreamt. Erst auf individuelle Anfrage des Nutzers wird gesendet (pointto-point). Demgegenüber besteht ein Broadcastingangebot, welches unabhängig von der konkreten Anforderung des Nutzers ausgestrahlt wird. Der Übertragungsweg erfolgt dann point-to-multipoint, was dem Rundfunkbegriff mehr entspricht. Ebenso gibt es Probleme bei der Abgrenzung zwischen Fernsehwerbung und Teleshopping.179
173 174 175 176 177
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S Teil 5 Kap 2. Hoeren Teil 14 Rn 2. Delp/Titel 83. S Teil 1 Kap 2. Hoeren MMR 2008, 139. Die klassischen Regulierungssysteme des Telekommunikations-, Rundfunk- und Onlinerechts stoßen
178
179
an ihre Grenzen. Davon ist auch das Urheberrecht mit seinen Normen betroffen. Spindler/Schuster/Holznagel/Kibele § 2 RStV Rn 9; Spindler CR 2007, 240; Mückl JZ 2007, 1083. EuGH GRUR Int 2008, 132, 135.
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4. Marke als Medienprodukt Ein erfolgreiches Markenmanagement verlangt einen tiefen Einblick in die Möglichkeiten und Wirkungen der Marke als Kommunikationsmittel.180 Da jedes Zeichen (zB Buchstaben, Wörter, Bilder, Töne usw) als Marke zur Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen benutzt werden kann, ist deren Wirkungsmechanismus für die Marketingstrategie der Unternehmen von Bedeutung.181 Neben der rechtlichen Einordnung in eine unternehmerische Vermarktungsstrategie der Waren und Dienstleistungen sind die Medien von Interesse, welche die optischen Kommunikationsformen und Medienkanäle bedienen. Die Marke als Kommunikationsmittel wird in dem Maße erfolgreich sein, wie sie die emotionalen, visuellen und auditiven Faktoren berücksichtigt. Der Markeninhaber muss im Rahmen der digitalen Technologien und einem veränderten Medienkonsum nach neuen Werbeformaten und Marketinginnovationen suchen. Online Advertising und die interaktive Zielgruppenkommunikation werden mehr und mehr im Zentrum des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen stehen. Der Unternehmer wird in dem Maße Zuspruch erhalten, wie er den kulturellen Wandlungsprozess und das Konsumverhalten beachtet. Dabei stellen die Marken temporär begrenzte Identifikationsmuster mit einer Botschaft an den Verbraucher dar.182 So werden bekannte Persönlichkeiten aus Kultur, Kunst, Politik und Sport als Werbeträger in die Vermarktungsstrategie eingebunden. Marken befinden sich in einem öffentlichen Raum – dem traditionellen und virtuellen Markt – und sind Teil eines kulturellen Gesamtprozesses der kapitalorientierten Produktionsweise. Dieser öffentliche Raum eröffnet dem Konsumenten Projektionsräume von Wünschen und Erwartungen, Geschmack und Geschmacklosigkeit sowie Dummheit. Mit den Informations- und Kommunikationstechnologien wird eine Netzöffentlichkeit installiert, die eine Herausforderung für die Werbung und „Public Relation“ der Unternehmen bedeutet.
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5. Urheberrechtliches Medienprodukt als Werk und künstlerische Leistung Die Vorstellung eines medienspezifischen Urheberrechts 183 ist sachlich nicht gerecht- 36 fertigt, wenn Fragen des Werkbegriffs ausgeklammert werden.184 Für das Urheberrecht ist nicht nur von Bedeutung, ob ein Medienprodukt – hier als Werk iSd § 2 Abs 2 UrhG – vorliegt und geschützt ist, oder ob die Abgrenzungsfragen zu einem anderen Ergebnis führen. Soweit zB Spiele urheberrechtlich zu bewerten sind, ist deren Schutzausschluss hinsichtlich der Werkkategorien der Literatur, Wissenschaft und Kunst nicht berechtigt.185 Die Frage der Schutzfähigkeit geistiger Arbeitsergebnisse in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen berührt Grundfragen des Urheberrechts, die zugleich auch das Recht der Medien einschließen. Es ist nicht überzeugend, wenn das Urheberrecht für das Medienrecht deshalb so 37 interessant sein soll, weil die Verbreitung des Werkes im Fokus steht.186 Der hier vertretene Ansatz knüpft an das urheberrechtlich relevante Sprach-, Musik-, 38 Tanz- und Filmwerk, die Fotografie, Werke der bildenden und angewandten Kunst, Baukunst ua Werkarten, die als Medienprodukte für die Massen- und Individualkommuni180 181 182 183
Fezer Einl Rn 41; Hildebrandt § 3 Rn 3. S Teil 2 Kap 7. Spacek 23. S Teil 2 Kap 1.
184 185 186
Petersen § 10 Rn 3. S Schricker GRUR Int 2008, 200, 202. AA Petersen § 10 Rn 2.
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kation von Bedeutung sind, an. Dabei erfassen auch sie den Prozess der Produktion, Distribution und Konsumtion. Vergleicht man die Verwertungsrechte der Kreativen (Urheber und Künstler), dann fällt auf, dass das Vervielfältigungs-, Verbreitungs-, Bearbeitungs- und Änderungsrecht sowie das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und das Aufführungsrecht alle Phasen eines Produktions- und Reproduktionsprozesses widerspiegeln. Es geht also nicht nur um die Vermittlung eines urheberrechtlichen Werkes187, das in der Distributionssphäre angesiedelt ist. Es sind vor allem die Kreativen und die Medienunternehmen (Hörfunk-, Fernsehanstalten, Filmhersteller und Presseunternehmen), die auf der Grundlage der vorhandenen geschützten oder nicht geschützten Medienprodukte einer Kulturstufe neue Werke „produzieren“, die in den Kreislauf des traditionellen oder virtuellen Marktes geraten. Will zB das ZDF oder RTL ein Werk senden, muss der Sender die sprachlichen Vor39 lagen für das Medienprodukt „Fernsehserie“ bspw vom Urheber produzieren lassen. Das arbeitsteilige Kunstwerk wird dann gesendet, wenn alle ökonomischen und rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Umgekehrt ist aber auch möglich, dass das Sprachwerk (zB Drehbuch) bereits fertig gestellt ist und der Urheber es dem Sender anbietet. Dieser Akt der Produktion endet ebenfalls mit der Ausstrahlung der „Fernsehserie“, die die Zuschauer genießen bzw konsumieren können. Da das Urheberrecht mit seinen Medienprodukten die Kommunikations- und Innova40 tionsfunktion bedient und den Schutz derartiger Formgebungen beinhaltet,188 eignet sich dieses Rechtsgebiet besonders für das Recht der Medien. Es ist anerkannt, dass der Gestaltung von Webseiten unabhängig von der Digitalisierung des Inhalts ein Urheberrechtsschutz zukommt 189 und die Bildschirmgestaltung im Internet kommuniziert werden kann.190 6. Designprodukt
41
Für die Vermarktung von Medienprodukten spielen das Kommunikations- (zB Werbegrafiken, Illustrationen, Karten, Webseiten) und vor allem das Produktdesign (zB Textilund Modedesign, Möbel, Fahrzeuge, Schmuck, Spielzeug, Haushaltsgeräte) sowie Kunstwerke eine Rolle. Zum Schutz, zur Verbreitung und zur Verwertung derartiger kreativer Leistungen steht ein Strauß mehrerer Rechtsgebiete zur Verfügung.191 Neben dem Geschmacksmusterrecht 192 sind das Urheberrecht und das Wettbewerbsrecht zu beachten. Der Designschutz hat insbesondere mit der Harmonisierung des Geschmacksmusterrechts in der EU das Verhältnis zwischen Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz nicht aufgehoben. Selbst wenn das Geschmacksmuster zu den gewerblichen Schutzrechten zählt und eine Stärkung erfahren hat,193 ist der Zusammenhang zum Urheberrecht evident. Denn wegen der Formgebung und der körperlichen Warenform im Bereich der angewandten Kunst ist ein doppelter Rechtsschutz (Urheberrechts- und Geschmacksmusterschutz) möglich.194 Die Neukonzeption des Designschutzes erlaubt es nicht mehr, dass eine Abstufung zum Urheberrecht erfolgt.195 Auch im Bereich des Design-
187 188 189 190 191 192
26
AA Petersen § 10 Rn 2. Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl Rn 17. OLG Rostock GRUR-RR 2008, 1; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 299. OLG Rostock GRUR-RR 2008, 1. Zentek 7. S Teil 2 Kap 11.
193 194 195
Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 5. Schricker/Schricker Einl Rn 34. Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl Rn 47; Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 34; Loewenheim/Götting § 3 Rn 17; Stolz 174; aA BVerfG ZUM 2005, 387.
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schutzes ist es natürlich fraglich, ob alle Designprodukte urheber- und geschmacksmusterrechtlichen Schutz genießen können, aber dennoch vermarktet werden und Vermögen für die Unternehmen darstellen. 7. Merchandisingprodukte Im Rahmen von Vermarktungsstrategien für Waren und Dienstleistungen werden 42 zunehmend Medienprodukte dazu benutzt, den Verkauf derselben zu stärken.196 Merchandising ist dabei die umfassende Sekundärvermarktung von populären Erscheinungen, insbesondere fiktiven Figuren, realen Persönlichkeiten, Namen, Titeln,197 Signets und Logos,198 Ausstattungselementen, Designs und Bildern.199 Das Merchandising zielt darauf ab, den Absatz von Waren und Dienstleistungen zu fördern. Auf der einen Seite soll durch das Medienprodukt der Kaufentschluss beeinflusst und auf der anderen Seite eine bestimmte Qualität der Waren und Dienstleistungen suggeriert werden. Kein gesellschaftlicher Produktionsbereich ist von der Flut von Merchandisingobjekten ausgeschlossen. Insbesondere sind davon der Sport, die Kunst, die Politik, das Fernsehen, der Hörfunk, der Film, die Universitäten, die Organisationen ua betroffen. Die Werbung für Merchandisingprodukte spielt dabei im Rahmen einer Marketingstrategie eine wichtige Rolle. Zunehmend wird das Internet als Werbemedium benutzt, um Medienprodukte anzupreisen. Mit der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste der EU wird die Werbung und Werbeunterbrechung im Rundfunk und im Internet legalisiert, einschließlich „Product Placement“. Wirtschaftlich ist die Werbung für die Unternehmen im Internet eine Goldgrube. Google, ursprünglich eine Suchmaschine, hat den Wert des Internets als Werbemedium erkannt. Im ersten Quartal 2007 erwirtschaftete Google als Medienund Werbeimperium einen Umsatz von $ 2,28 Mrd. Das sind 99 % der Umsätze von Google.200 Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Werbung im Internet und der Sekundär- 43 verwertung von Medienprodukten treten auf dem Gebiet des Wettbewerbs-, Markenund Urheberrechts oder Geschmacksmusterrechts auf. Hier ist ein Doppel- oder Mehrfachschutz möglich, einschließlich des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.201 „Don’t be evil“ hat sich Google als Motto verpasst. Es ist zu bezweifeln, ob Google diesen Anspruch immer erfüllt. 8. Medienprodukt und Patent Medienprodukte als Ergebnis der geistigen Produktion bedürfen zu ihrer Verbreitung 44 und ihrer Konsumtion bestimmter technischer Erfindungen. Sie sind in ihrer historischen Entwicklung eine conditio sine qua non. So wie der Buchdruck, das Telefon, der Film, das Fernsehen und das Radio eine besondere Art der Kommunikation und Verbreitung von Bildern, Musik und der Sprache ermöglichte, ist mit der technologischen Revolution das Internet erfunden worden, dessen ökonomische und kulturelle Folgen noch nicht absehbar sind. Die technischen Erfindungen im Rahmen der Informations- und Kommunikationstechnologie prägen das Gesicht der Medienlandschaft, vor allem der IT-Sicherheit. Der Begriff der Telekommunikation wird als „der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in Form von Zeichen,
196 197 198
Eastman/Ferguson/Klein/Newton 53. S Teil 2 Kap 8. S Teil 2 Kap 9.
199 200 201
Schertz Rn 14. S der „Tagesspiegel“ vom 6.5.2007, 22. Markfort ZUM 2006, 829 ff.
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Sprache, Bilder oder Töne mittels Telekommunikationsanlagen“ bezeichnet.202 Die Message des Patents ist die Idee zur Lösung eines technischen Problems, die dem Medienprodukt zugrunde liegt. Ohne das Internet wäre ein virtueller Markt mit allen Facetten einer rechtlichen Gestaltung nicht möglich. Die Message der Patente innerhalb der Informations- und Kommunikationstechnologie ist vor allem für die wirtschaftlichen Beziehungen der Unternehmen von Bedeutung. Das Patentrecht hat insofern unmittelbare Bedeutung für das Recht der Medien. Innerhalb der gewerblichen Schutzrechte hat das Patent- und Gebrauchsmusterrecht eine besondere Stellung.203 Mit der Ausführung der Erfindung entstehen erfinderische Erzeugnisse, die Objekt wirtschaftlicher Begierde sind. So sind zB die Raumform- und Stofferfindungen in der Erscheinung einzelner Maschinen, Arbeitsgeräte, Vorrichtungen, Gebrauchsgegenstände und Stoffe in der Industrie begehrt.204 Das Patentgesetz soll geistige Leistungen schützen, die auf dem Gebiet der Technik erbracht werden. Im technischen Fortschritt wird das Ziel und der Zweck des Patentwesens gesehen, wobei das Patentwesen einen nennenswerten Beitrag zur technischen Information leistet.205 Der Erfinder soll für seine oft mit viel Kapital verbundenen Investitionen im Innova45 tionsprozess belohnt werden.206 Es gibt eine Fülle von praktischen Problemen, die den Technikbegriff auf den Prüfstand stellen, zB die Gentechnik oder Softwarepatente.207 Mit dem Wiederaufgreifen der Bemühungen um das Europäische Gemeinschaftspatent ist erneut der Streit um die Patentfähigkeit von Software aufgeflammt. Die Verhinderung der Einführung der Richtlinie zur Patentierbarkeit von Software ist kein Ruhmesblatt der Europäischen Gemeinschaft. Auf diese Weise wird die „Never Ending Story“ weitergetrieben. Es bleibt abzuwarten, wie die Software „als solche“ letztlich geschützt wird.208 Vor allem Verfahrenspatente sind denkbar, die einen verbesserten Teletext schützen, wonach zusätzlich zum digitalen Rundfunkprogramm ein Fernsehsender Zusatzdaten mit einer Menüführung an den Endkunden ausstrahlt.209 Denkbar ist auch, dass ein Medienprodukt sowohl durch das Patentrecht als auch durch andere gewerbliche Schutzrechte und das Urheberrecht erfasst werden kann.
III. Medienprodukte und Schutz anderer Rechtsgüter 1. Persönlichkeitsrecht und dessen Erscheinungsformen
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Das Interesse der Allgemeinheit an der Berichterstattung durch die Medien, insbesondere durch die Presse, den Rundfunk und das Internet, hat im Zeitalter der technologischen Revolution weiter zugenommen. Zur Berichterstattung und zu den Vermarktungsstrategien der Medienunternehmen gehört auch die Einhaltung der Persönlichkeitsrechte. Das gilt für den traditionellen und den virtuellen Markt. Für den europäischen Markt existiert bisher im EG-Vertrag als Primärrecht kein umfassender Rechtsschutz der Persönlichkeit. Nur im Sekundärrecht sind vereinzelte Anhaltspunkte zum Persönlichkeitsschutz zu finden 210 Deutschland hat dagegen ein abgestuftes Regelungssystem zum 202 203 204 205 206 207
28
§ 3 Nr 22 TKG. Junghans/Levy/Junghans 19 f. Götting 53. Kraßer 41. RGZ 85, 95, 99; Kraßer 37. S BPatG GRUR 2007, 316, 317 – Bedienoberfläche; BGHZ 159, 197, 203;
208
209 210
BGH GRUR 2005, 143 – Rentabilitätsermittlung. Ausf Darstellung des Streites: Benkard/ Bacher/Melullis § 1 PatG Rn 142 f; Wimmer-Leonhardt WRP 2007, 273 ff. Haupt GRUR 2007, 187. Lettl WRP 2005, 1045, 1047.
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Schutz der Persönlichkeitsrechte.211 Da Medienprodukte unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen können, sind auch unterschiedliche rechtliche Schutzmöglichkeiten für das Persönlichkeitsrecht möglich. Bspw können Medienprodukte in Gestalt eines Designs oder einer Marke nicht beim DPMA registriert werden, wenn sie gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen (zB § 3 Abs 1 Nr 3 GeschmG,212 §§ 8, 9 MarkenG). Während das urheberrechtlich geschützte Werk nicht von solchen Schutzhindernissen 47 betroffen ist, können aber für alle immateriellen Güter als Medienprodukte das verfassungsrechtlich verbriefte Recht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,213 und dessen besondere Erscheinungsformen zB die Äußerungsfreiheit,214 der Bildnisschutz 215, der Domainname,216 der Jugend-217 und der Datenschutz 218 von Bedeutung sein. Die natürliche Person hat ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ebenso wie Unternehmen, die aber einer anderen Haftung unterliegen können.219 Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 220 kann an gewerblich und urheberrechtlich geschützten Medienprodukten auftreten. So ist in der Kunstproduktion zwischen dem Inhalt einer Äußerung und der Formgebung zu unterscheiden. Die Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht bleibt eine Schwierigkeit bei der Lösung von Rechtskonflikten durch die Gerichte.221 Das gilt gerade dann, wenn es sich um Fiktion und Wirklichkeit im Roman oder Film handelt.222 Denn Kunstfreiheit wird hauptsächlich mit der freien schöpferischen Gestaltung in Verbindung gebracht, „in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formsprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“.223 Insoweit können Kunstformen als Teil der Realität in Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch Ausdrucksformen der Sexualität enthalten, die nicht unbedingt die Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht zurücktreten lassen.224 Wenn die Lektüre, Karikatur oder Parodie die Form darstellen, ist davon zu unterscheiden, ob eine Person davon betroffen ist. Zielt zB das Sprachwerk als Medienprodukt vordergründig auf eine Diffamierung der Person, sog Schmähkritik 225, kann sich der Betroffene zivilrechtlich auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ nach § 823 Abs 1 BGB iVm Art 2 Abs 1, Art 1 Abs 1 GG berufen.226 Eine 211
212 213 214 215 216
217 218 219
220 221
Die Rechtsgrundlagen in Deutschland sind vielfältig. Neben dem Grundgesetz, Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 GG, gelten besondere Rechtsvorschriften zum Schutz der Rechte der Persönlichkeit. Vgl Teil 2 Kap 11 Rn 35 f. Fechner Geistiges Eigentum und Verfassung 218. Wenzel/Burkhardt Erster Teil Rn 7 ff. S Teil 6 Kap 3. BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de; BGH ZUM 2007, 860, 861 – grundke.de; BGHZ 149, 191, 199 – shell.de; BGHZ 155, 273, 276 – maxem.de. S Teil 7 Kap 2. S Teil 7 Kap 1. BGH NJW 2006, 830; BGH NJW 1994, 1281; BGH NJW 1975, 1882; ausf dazu Schaub JZ 2007, 548 ff. S Teil 6 Kap 1. Für Persönlichkeitsrecht BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; für Kunstfreiheit BVerfG Be-
222
223 224 225 226
schlüsse 1 BvR 350/02; 1 BvR 402/02; BVerfG GRUR-RR 2008, 206 – Theaterstück „Ehrenwache“; BGHZ 50, 133 – Mephisto; BVerfGE 30, 173 – Mephisto; Jacobs/Papier/Schuster/Götting 427 ff; von Becker KUR 2003, 81; Wankel NJW 2006, 578; Frenzel/Singer AfP 2005, 416. BVerfG ZUM-RD 2008, 113; BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; kritische Anmerkungen zur Esra-Entscheidung (BGH NJW 2005, 2844); von Becker Fiktion und Wirklichkeit im Roman 100; Obergfell ZUM 2007, 912; BVerfG ZUM 2007, 730, 733 – ContaganFilm. BVerfGE 30, 173, 188; BVerfGE 31, 229, 238. Beschlüsse des BVerfG –1BvR 1533/07; BvR 350/02; BvR 402/02. BVerfG ZUM 2004, 917, 918. St Rspr seit BGHZ 13, 334, 338; BVerfG ZUM-RD 2006, 165.
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ähnliche Rechtslage tritt zB dann ein, wenn ein Bildnis für ein Medienprodukt benutzt wird und das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt,227 wobei ein weiter Bildnisbegriff zu favorisieren ist, der auch die Darstellungsformen im Film, auf der Bühne und Literatur erfasst.228 Ebenso kann die Kunstfreiheit nach Art 5 Abs 3 GG bei Theateraufführungen eine Beschränkung durch das gleichfalls verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht erfahren.229 Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert die Selbstbestimmung des Einzelnen 48 darüber, ob und wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt.230 Der Bildnisschutz als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistet dem Abgebildeten Einfluss und Entscheidungsmöglichkeiten, wenn von seiner Person Fotografien und Aufzeichnungen angefertigt und verwendet werden.231 Dabei ist eine Stärkung des Persönlichkeitsrechts des Minderjährigen durch die Gerichte erforderlich.232 Die Maßstäbe für die Medienberichterstattung sind im Wesentlichen aus den Ent49 scheidungen des EGMR zu entnehmen, worauf sich die nationalen Gerichte berufen.233 Die Europäische Menschenrechtskonvention spielt als Ordnungsrahmen für das Internet eine besondere Rolle. Das Internet ermöglicht einen freien und grenzüberschreitenden Informationsfluss. Für die Ausübung der Meinungsfreiheit ist das Internet als wichtigstes Medium nicht mehr wegzudenken. Gefahren, die mit dem Internet einhergehen, sind evident.234 Bestimmte Grenzen des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dürfen nicht überschritten werden, insbesondere in Bezug auf den Schutz des guten Rufes und der Rechte Dritter. Die Grenzen der erlaubten Kritik gegenüber Privatpersonen sind zwar enger zu ziehen als für Politiker, aber die journalistische Freiheit kann bis zu einem gewissen Grad Übertreibung oder sogar Provokation gegenüber Privatpersonen einschließen. Privatpersonen setzen sich zB der kritischen Beurteilung aus und haben infolge ihrer Handlungen einen höheren Grad an Toleranz zu zeigen, wenn sie die Bühne der öffentlichen Debatte betreten.235 Der Konflikt zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Schutz der Meinungs- bzw Pressefreiheit, die das öffentliche Informationsinteresse 236 einschließt, wird bleiben, wenn bei der Abwägung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wird.237 Soweit es die Pressefreiheit betrifft, ist es nicht nachvollziehbar, dass die Presse darüber entscheiden soll, „was sie des öffentlichen Interesses für wert hält.“ 238 Nicht die Presse, sondern die Rechtsprechung sollte normative Leitlinien entwickeln.239
227 228 229 230 231
232 233
30
BVerfG WRP 2006, 1361 – Marlene-Dietrich – Der blaue Engel. Schertz GRUR 2007, 563. LG Essen ZUM-RD 2007, 92; LG Hamburg ZUM-RD 2007, 94. BVerfGE 35, 202, 220 f; BVerfGE 101, 361, 380; BVerfG GRUR 2006, 1051, 1052. BVerfG ZUM 2007, 382; BVerfG GRUR 2000, 446 – Caroline von Monaco; BVerfG GRUR 2006, 1051, 1052. BVerfG NJW-RR 2007, 1057; Beater Rn 347. BVerfG NJW 2007, 2685; BVerfG NJW 2007, 2686; BVerfG ZUM 2007, 651, 654; EGMR GRUR 2004, 1051 – Caroline von Hannover; EGMR JUS 2006, 634 – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland; BGH ZUM
234 235 236 237
238
239
2007, 382, 383; BGH WRP 2007, 648, 649 – 7 Tage; BGH ZUM-RD 2007, 397, 399. Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg MMR 2008, 83, 84. EGMR Medien und Recht 2006, 8, 10. BVerfG WRP 2008, 645, 653; BGH ZUM 2007, 382; KG Berlin ZUM-RD 2008, 1, 2. BVerfG WRP 2008, 645, 653; BVerfG NJWRR 2007, 1191, 1193; BGH WRP 2007, 648, 650 – 7 Tage; BGH WRP 2007, 1216, 1218; Gersdorf AfP 2005, 221 f. AA offensichtlich: BVerfG WRP 2008, 645, 653; BGH GRUR 2007, 527, 529 mwN; BGH ZUM 2007, 858, 860. Anm Götting GRUR 2007, 531.
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Medien und Recht
Die Informationen, welche die Presse zur Ausübung der Pressefreiheit benötigt, beru- 50 hen auf unterschiedlichen Quellen. Das trifft auch auf die Anbieter im Internet zu. Personenbezogene Daten stehen dabei zunehmend im Fokus der kommerziellen Nutzung. Die kommerzielle Nutzung und Verwertung personenbezogener Daten ist ein wesent- 51 liches Merkmal der Produktion von Äußerungen als Medienprodukte, die die Pressefreiheit genauso betreffen wie die Meinungsfreiheit. Die Datenbestände fungieren zunehmend als „verselbstständigtes Informationskapital“ und werfen eine Fülle von Rechtsfragen auf,240 die das Recht insgesamt betreffen. Das Recht kann nur bedingt seine Schutzfunktion im Internet, in der Presse, im Film, im Theater etc erfüllen. 2. Kommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts Im Rahmen von Vermarktungsstrategien für Waren und Dienstleistungen werden zu- 52 nehmend Medienprodukte dazu benutzt, den Verkauf derselben zu stärken. Namen, Bilder oder Stimmen von bekannten Persönlichkeiten werden für die Werbung 241 oder als Merchandisingprodukte auf dem traditionellen und virtuellen Markt in Übereinstimmung oder gegen den Willen der Betroffenen verwertet242. Das betrifft Politiker, Unternehmer, Künstler und Sportler. Die Kommerzialisierung 53 des Persönlichkeitsrechts ist dabei ein massenweises Phänomen in den Medien. Man mag die Kommerzialisierung der Persönlichkeitsrechte bedauern, aber als Nichtvermögensrecht hat es nicht seinen Marktcharakter verloren. Dabei spielt der Bildnisschutz nach §§ 22, 23 KUG eine besondere Rolle.243 Hier sind es vor allem die Marlene-DietrichEntscheidungen,244 die methodische und dogmatische Fragen aufwerfen. Die dogmatischen Fragen, die es zu beantworten gilt, betreffen zB sowohl die monis- 54 tische oder dualistische Konzeption der Persönlichkeitsrechte mit ihren ideellen und vermögensrechtlichen Bestandteilen 245 als auch Fragen des postmortalen Schutzes bei Verletzung der Menschenwürde 246 und der Übertragbarkeit und Vererbbarkeit der vermögenswerten Bestandteile sowie deren Schutzdauer 247 und die Anwendung der Präventions- und Ausgleichsfunktion 248 beim zivilrechtlichen Schadensersatz. Dazu gehört letztlich auch die Lizenzgebühr als Schadensberechnungsart 249 und das Verhältnis zwi-
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246
Moos MMR 2006, 718 ff. Spindler/Schuster/Nink § 823 BGB Rn 48; Scherer WRP 2007, 594. S Teil 6 Kap 2. S Teil 6 Kap 3. BVerfG WRP 2006, 1361; BGH NJW 2000, 2198 – Marlene Dietrich; BGH NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. BVerfG ZUM 2006, 211, 212 – Marlene Dietrich; BGH ZUM 2000, 586 – Marlene Dietrich; BGH ZUM 2007, 54 – kinski-klaus.de; BGH GRUR 2007, 139 – Rücktritt des Finanzministers; BGH ZUM 2006, 211; krit dazu Schack Rn 51a; Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein/Götting 65, 72; Peifer GRUR 2002, 495; Helle JZ 2007, 444; Reber GRUR Int 2007, 492, 496. BVerfG ZUM 2007, 380; BGH ZUM 2007, 54 – kinski-klaus.de.
247
248 249
BGH ZUM 2007, 54, 55 – kinski-klaus.de; der BGH ist der Auffassung, dass bei den vermögensrechtlichen Bestandteilen des postmortalen Persönlichkeitsrechts nur eine Schutzfrist von 10 Jahren besteht, während bei der Verletzung der ideellen Interessen eine längere Schutzfrist besteht. Ebenso Schack Anm zum kinski-Klaus-Urteil JZ 2007, 366, 367; aA Götting GRUR 2007, 170; Wankel NJW 2007, 686; Reber GRUR Int 2007, 494. BVerfG ZUM-RD 2007, 1, 2; Wachs 241 ff mwN. BVerfG ZUM 2006, 865; BGH ZUM 2007, 55, 57 – Rücktritt des Finanzministers; s Ehrmann AfP 2007, 81. Es wird sowohl für den Schadensersatz als auch für das Bereicherungsrecht eine angemessene Lizenzgebühr als Berechnungsgrundlage
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
schen Werbung und Meinungsfreiheit.250 Wenn auch das kommerzialisierte Persönlichkeitsrecht ein „res incorporales“ darstellt, ist es seinem Wesen nach nicht dem System des Immaterialgüterrechts zuzuordnen.251 Es zeigt aber auf der anderen Seite, dass Persönlichkeitsmerkmale in einer kapitalorientierten Produktionsweise die Form von Medienprodukten als Waren annehmen können. Medien sind daher immer Teil der kulturellen Tradition und Bedeutungskonstruk55 tion. Sie verlinken die Menschen mit der Wirtschaft.252
IV. Technologie- und Kulturentwicklung 1. Massenproduktion und massenweise Vermarktung
56
Die technologische Entwicklung erlaubte es, dass sich die Produktionsweise änderte. An die Stelle der Produktion von Einzelstücken trat die Massenproduktion.253 So wie die Druckerpresse im 15. Jahrhundert es ermöglichte, die Ergebnisse der Literaturproduktion zunehmender und umfassender zu verbreiten,254 war es erst am Anfang des 20. Jahrhunderts möglich, durch die Erfindung des Rundfunks und der Schallplatte die Leistung eines Komponisten oder Künstlers massenweise reproduzierbar zu machen. Die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks im 20. Jahrhundert setzte an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein Massenhaftes, wie sich Walter Benjamin auszudrücken pflegte.255 Die technologische Entwicklung hatte im Laufe der Geschichte des Schutzes geistiger 57 Leistungen und damit der Medienprodukte immer wieder neue Verwertungsmöglichkeiten eröffnet. Im 19. Jahrhundert konnte die künstlerische Leistung eines Sängers noch nicht repro58 duziert werden, weil ein entsprechender materieller Träger fehlte. In seiner Mehrwerttheorie beschrieb Karl Marx diesen Vorgang wie folgt: „Was ich genieße, existiert nur in einer von dem Sänger selbst untrennbaren Aktion, und sobald seine Arbeit, das Singen, am Ende ist, ist auch mein Genuss am Ende. Ich genieße die Tätigkeit selbst.“ 256 Mit den technischen Möglichkeiten im 20. und 21. Jahrhundert kann diese Leistung auf einen materiellen Träger fixiert werden und die Möglichkeit des Genusses bleibt bestehen. Der materielle Träger verändert die Art und Weise des Genusses und der Verwertung künstlerischer Leistungen. Die technische Qualität der Wiedergabe der künstlerischen Leistung wurde bzw wird immer mehr verbessert von analog zu digital. Die massenhafte Produktion von immateriellen Gütern, die eine sachliche gegenständ59 liche Erscheinungsform besitzen können,257 hat eine neue Dimension erreicht und damit
250
251
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bejaht, aber die Frage einer doppelten Lizenzgebühr wird nicht problematisiert. Die dogmatische Grundlage für eine doppelte Lizenzgebühr wäre die Markttheorie. S Bodewig/Wandtke GRUR 2008, 220, 228. BGH GRUR 2007, 139 – Rücktritt des Finanzministers; Ladeur ZUM 2007, 117, ist – wie der BGH – der Auffassung, dass die Meinungsfreiheit Vorrang vor der Werbung hat, mit der Folge, dass ein Schadensersatz auf der Grundlage einer Lizenzgebühr ausgeschlossen ist. Nach Peifer handelt es sich bei den Persönlichkeitsrechten aus ökonomischer Sicht um
252 253 254 255 256 257
„verdünnte Property Rights“; Peifer 306. Persönlichkeitsrechte sind nicht das Resultat innovativen Verhaltens, sondern Ergebnis rechtlicher Zuordnung zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit, die ein geistiges Eigentum als Immaterialgüterrecht, zB an der Stimme oder Bildnis, ausschließen. Ebenso Schack Rn 51a. Hepp/Krotz/Moores/Winter/Krotz 2006, 36. Holz 225. Wadle 67. Benjamin 412. Marx Theorie über den Mehrwert 368. Marten 91.
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Medien und Recht
einen besonderen Stellenwert des Rechts in der Kultur- und Wirtschaftsordnung hervorgerufen. Erst mit der Möglichkeit der massenhaften Verwertung der literarischen, wissen- 60 schaftlichen, künstlerischen und technischen Medienprodukte wurden sie Objekt wirtschaftlicher Begierde. Heute ist es die Computerkunst oder die Kunst der Computer, die neue Medienprodukte hervorbringt.258 Auch eine Änderung der Werbung 259 ist eingetreten. Die Werbung tritt nicht mehr nur mit Produkten oder Leistungen und deren Eigenschaften an die Öffentlichkeit, sondern sie präsentiert zunehmend Lebensstile, die mit dem Produkt verbunden werden.260 Ebenso hat die Werbung der Ärzte in den Medien zugenommen. Die in der Presse veröffentlichten Artikel, die vordergründig sachliche Informationen über Behandlungs- und Operationsmethoden geben, stehen einer Werbung nicht 261 entgegen. 2. Neue Medienindustrien Die Kulturindustrie will die Ware mit Gewinn auf den Markt bringen. Dies ist zu- 61 nächst der schlichte ökonomische Vorgang in der Distributions- bzw Konsumtionssphäre, der auch Verwertungsprozess genannt wird. Der hier charakterisierte ökonomische Vorgang wiederholt sich in der Praxis millionenfach. Motor der ökonomischen Veränderungsprozesse sind technische Umwälzungen, die den traditionellen Medien neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.262 Das betrifft die Film-, Fernseh-, Print-, Computer- und Merchandisingindustrie ge- 62 nauso wie die Internetindustrie, die auch einen neuen Markt hervorbrachte. Die Vermarktung erfolgt mit Hilfe der Technik so umfangreich, dass zB der Künstler gar nicht in der Lage ist, die Konsequenzen zu erkennen, geschweige denn eine Kontrolle auszuüben. Als Beispiel sei nur der Popkünstler genannt, dessen Erscheinungsbild von der Kulturindustrie bestimmt wird. Die Aufnahme eines Musikwerkes liegt in der Hand des Produzenten. Zur Musik werden Videoclips gedreht. Der veröffentlichte Song wird in der Werbung für andere Produkte zweitverwertet oder zusätzlich als Soundtrack für Spielfilme verwendet. Zudem werden vermögensrechtliche Elemente des Persönlichkeitsrechts der Künstler durch Merchandising vermarktet, wie die Marlene-Dietrich-Entscheidungen der Rechtsprechung erneut deutlich gemacht haben.263 Das Bild des Künstlers findet sich auf T-Shirts, Kalendern, Bettwäsche, Getränkedosen etc. Auch für den Bereich der bildenden Kunst, der Filmkunst und der Musik lassen sich Beispiele finden. Die Bilder von Grosz, Picasso, Dalí, Matisse, Monet ua sind auf Textilien, Postern, Briefmarken, Schlüsselanhängern, T-Shirts und Aufklebern zu sehen. Szenen aus alten Filmen werden für die Werbung wiederentdeckt. Werke von Carl Orff werden für Eiskremwerbung benutzt. Möglich ist es aber auch, dass dies alles im Internet erscheint. Die Beispiele könnten fortgesetzt werden.
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Claus 123; Müller 37 f. S Teil 3 Kap 3 u 4. Ladeur ZUM 2007, 112. BVerfG NJW 2006, 282. Koch AfP 2007, 306.
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BVerfG WRP 2006, 1361, 1367 – Marlene Dietrich; BGHZ 143, 214 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 2000, 715 m Anm Wagner = NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel.
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1. Teil
3. Typologisierung von Medienunternehmen Mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologie wird nicht nur der Katalog der Verbreitungshandlung und damit der Distribution der Medienprodukte erweitert, sondern es entstehen neue Werkarten und Medienindustrien.264 Die Typologisierungen von Medienunternehmen beruhen auf unterschiedlichen Unternehmensgegenständen, dh auf den unterschiedlichen Produkten.265 Typisches Beispiel hierfür ist die Entstehung der Fernseh- und Filmindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts, in deren Ergebnis Fernseh- bzw Filmwerke als neue Werkarten entstanden sind bzw entstehen und die einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor vor allem in den USA darstellen.266 Die filmische Form eröffnete, wie Bertolt Brecht zu Recht formulierte, größere Verbreitungsmöglichkeiten und fügte den alten Reizen die Reize der neuen Technik hinzu.267 Ähnlich ist es mit der Entstehung der Unterhaltungs- und Softwareindustrie und dem Internet. Durch die Technik ist die industrielle Massenproduktion möglich geworden. Hier sei 64 zB an die angewandte Kunst gedacht. Die funktionelle Sachlichkeit und die sachliche Ästhetik, die vom Bauhaus ausging, hat einige Warenformen revolutioniert. Ein Beispiel für die neue Formfindung sind die Stahlrohrmöbel, die schon vor 1930 von Marcel Breuer, Mies van de Rohe, Gerrit Rietveld und Mart Stamm entwickelt worden sind. Die einsetzende Massenproduktion brachte einen Konkurrenzkampf der Hersteller mit sich, der sich letztlich auch in urheber- und wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten äußerte.268 Die Medienunternehmen sind gezwungen, das Marktverhalten anderer Unternehmen und der Verbraucher zu analysieren und deren Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu gehört, dass sie neue Bedürfnisse wecken. Bspw haben Designprodukte das ästhetische Bewusstsein der Verbraucher verändert und das Kaufverhalten beeinflusst. Fiktive Figuren spielen bei der Vermarktung der Kunst eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Entscheidungen des BGH weisen darauf hin.269 Das Kaufverhalten der Verbraucher und Unternehmen im Zusammenhang mit dem Internet hat sich sehr stark verändert. Viele Produkte und Dienstleistungen werden über das Internet abgewickelt. Telemedien dienen dabei den Unternehmen und Verbrauchern.
63
4. Konzentrationsprozesse und Produktpiraterie
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Seit langem ist der Trend festzustellen, dass Medienkonzerne und Verlage weltweit fusionieren,270 die auch den virtuellen Markt beherrschen. Neben den Expansionsstrategien des Suchmaschinenbetreibers „Google“ 271 sind Konzentrationsprozesse auf dem Musikmarkt festzustellen, die einen fairen Wettbewerb unmöglich machen.272 Die marktbeherrschende Position einiger Musikkonzerne wird durch die neuen technischen Möglichkeiten und die Digitalisierung noch gestärkt. Das Medienkartellrecht 273 kann diese Konzentrationsprozesse nur bedingt oder gar nicht unterbinden.274 Die weltweit agierenden 5 Musiklabel (Universal Music Group, BMG, Sony Music Entertainment, Warner
264 265 266 267 268 269 270
34
Horkheimer/Adorno 128 ff; Rüthers Rechtstheorie Rn 40; Koch AfP 2007, 306. Breyer-Mayländer/Seeger 3. Edelmann 47; Reber 2. Brecht 448 f. Wandtke UFITA Bd 130 (1996), 57 ff. BGH GRUR 1994, 191 – Asterix; GRUR 1994, 207 – Alcolix. Hess/Fischer AfP 2006, 439 ff.
271 272
273 274
Klickermann MMR 2007, 751, 753. Gegenwärtig existieren fünf den Weltmarkt beherrschende Musikkonzerne. Sie haben einen Anteil von über 75 % am internationalen Musikmarkt; siehe Moser/Scheuermann/Neef/Blömer 104. S Teil 3 Kap 2. Bretschneider WRP 2008, 761, 765; Hess/Fischer AfP 2007, 28.
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Medien und Recht
Music, EMI) kontrollieren mit einem Anteil von 84,8 % den US-amerikanischen Musikmarkt. Eine ähnliche Entwicklung der Medienkonzentration ist auf dem Rundfunk- und Zeitungs- sowie Filmmarkt festzustellen. So verfügen zB die vier Holdings der Sender RTL, VOX, Super-RTL, n-tv sowie Sat 1, Pro 7, Kabel 1 und N24 über 80 % des TVWerbemarktes, wobei für das Medienkartellrecht die Rabattverträge von Bedeutung sind, die es zwischen den beiden marktbeherrschenden TV-Vermarktern und den Mediaagenturen gibt.275 Auch der Buchmarkt ist davon betroffen.276 Folgen dieser Entwicklung sind Gefahren für die Demokratie, insbesondere für die Meinungsfreiheit und Meinungsbildung, weil sich zunehmend nicht kritische und unabhängige Ansichten durchzusetzen in der Lage sind.277 Hinzu kommt die Produktpiraterieindustrie, die ein nationales und internationales Problem der Verletzung des Immaterialgüterrechts ist. Der Ruf nach einem stärkeren Schutz wird immer lauter. In den USA sollen deshalb die zivilund strafrechtlichen Sanktionen verschärft werden.278 Die Herstellung und Verbreitung von Waren erfolgt unter Nichteinhaltung des Marken-, Patent-, Geschmacksmusters-, Gebrauchsmusters und Urheberrechts.279 Ihr Unwesen hat nicht nur zu massenweisen Verletzungen der materiellen und geistigen Interessen der Schöpfer und Unternehmen geführt, sondern die Kulturindustrie ist von der Produktpiraterie in einer Weise betroffen, dass der Schutz des geistigen Eigentums zur internationalen Handelsangelegenheit geworden ist und künftig weiterhin im Mittelpunkt internationaler Auseinandersetzungen stehen wird. Die hinter diesem Konflikt stehenden Wirtschaftsinteressen offenbaren sich in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zwischen den USA, Europa und China.280 Aber auch andere Widersprüchen zeigen sich auf dem Gebiet des geistigen Eigentums. Es ist zB offensichtlich geworden, dass die USA immer wieder mit ihrer Auffassung vom Produzentencopyright in Widerspruch zu der kontinentaleuropäischen Urheberrechtskonzeption gerät,281 obwohl eine Annäherung beider Urheberrechtsordnungen feststellbar ist. Während zB in der amerikanischen Filmindustrie der Filmproduzent als Urheber betrachtet wird, ist nach der kontinentaleuropäischen Urheberrechtsdoktrin der Filmregisseur Urheber. Beides ist unvereinbar. Die Lösung kann nur in einem Kompromiss liegen. Wie wichtig eine internationale Lösung künftig sein wird, zeigen die neuen Formen der Auseinandersetzungen zwischen der Filmindustrie in den USA und den Internetbetreibern. Es geht schlichtweg um Anteile am Markt. Noch bevor der Film des Jahres wie zB „Der Gladiator“ auf DVD verkauft wurde oder als Leihkassette in die Videotheken kam, konnten sich die User den Streifen aus dem Internet im DivX-Format besorgen und dann auf CD brennen. Die hinter DivX stehende Technik komprimiert die Streifen ähnlich stark wie das MP3-Format Musikstücke. Die Produktpiraterie hat im Musikbereich eine neue Dimension erreicht, die im Inter- 66 net auch durch technische Schutzmaßnahmen kaum zu unterbinden ist.282 Dieser Aspekt der Verwertung von Informationen (Töne als Information) bedeutet, dass eine Gesellschaft zu entstehen im Begriff ist, in der sich die Produktpiraterie zu einem lukrativen Industriezweig entwickelt und kaum durch rechtliche Maßnahmen und Sanktionen zu 275 276
277 278
S „Der Tagesspiegel“ vom 22.7.2007, 30. BGH NJW 2007, 1820 – National Geographic I; BGH NJW 2007, 1823 – National Geographic II. BVerfG ZUM-RD 2008, 281, 288; Lessig 166 f. Vertreter der Demokraten und Republikaner haben einen Gesetzesentwurf zur Verschärfung der Sanktionen gegen urheberrechtliche
279 280 281 282
Vergehen vorgelegt. Siehe www.heise.de/ newsticker/meldung/100131. Von Welser/Gonzalez Rn 8. Von Welser/Gonzalez Rn 28. China hat sich zum Fälschungsland Nummer 1 entwickelt. Becker/Lerche/Mestmäcker/von Lewinsky 394. Lucchi 91 f.
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1. Teil
unterbinden ist. Denn nunmehr ist die Industrieproduktion nicht mehr das entscheidende Strukturelement der bestehenden Produktionsweise,283 sondern die geistige Produktion. Die geistige Produktion wird zunehmend durch die Digitaltechnik bestimmt, die Kern des technologischen Zeitalters ist.284 Mit neuen Technologien ist auch die Produktpiraterie einfacher geworden, um Medienprodukte unerlaubterweise nachzuahmen. Erforderlich ist, dass die Unternehmen im Rahmen von Public Relation auf ihren Websiten oder anderen medienwirksamen Aktionen (zB Presse und Rundfunk) die Verbraucher auf die Folgen der Produktpiraterie hinweisen.285 5. Änderungen der Produktions- und Distributionsstrukturen
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Die Technik hat in ihrer Entwicklung nicht nur die Menschenkraft erspart.286 Dieser Kulturwandel kann auch als postmoderne Entwicklung bezeichnet werden 287, weil der Wertschöpfungsprozess selbst einem Wandel unterliegt. Die Verlagsproduktion ist zB nicht mehr von einer Druckerei abhängig.288 Der Autor übergibt seine elektronische Datei mit dem Manuskript und der Verlag stellt den Text ins Internet oder der Autor produziert und verbreitet alles allein im Internet. Der Leser kann den Text herunterladen und ausdrucken. Auf Grund der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien treten auch Veränderungen im Publizieren der Verlage auf. Nutzer konnten aktuelle Vorabveröffentlichungen des „Spiegel“ schon 1996 über den großen Online-Dienst CompuServe erhalten.289 Neue Online-Vertriebswege bilden sich heraus, zB Online-Shopping, Online-Banking und vieles mehr.290 Der Gesetzgeber hat mit dem Telemediengesetz 291 auf diese Entwicklung reagiert, wobei viele Fragen offen bleiben.292 6. Internet und Medienprodukte
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Das Internet hat viele Vorzüge und Nachteile.293 Zu den Vorteilen gehört, dass sich über Suchmaschinen jedermann in Sekundenschnelle ein Bild davon machen kann, was die Welt über ein Medienprodukt, ein Unternehmen oder über eine Person denkt oder zu wissen glaubt. Jedermann kann mit einer geringen Investition seinen spielerischen oder sonstigen Neigungen nachgehen und Informationen und Meinungen recherchieren. So nutzen zB 70 Millionen Erwachsene am Tag in den USA das Internet.294 Der Leser kann Mitglied einer virtuellen Welt werden, in der er seine Wünsche gegen Entgelt zu erfüllen hofft. Internetforen schießen wie Pilze aus dem Boden, bspw YouTube, MySpace, Tumble, Bloomstreet. In diesen Foren werden Inhalte wie Fotos, Texte, Film- oder Fernsehmaterial verbreitet bzw der Allgemeinheit zum Abruf bereitgestellt.295 „Blogs“ und „Wikis“ sind neue kommunikative Erscheinungsformen eines „Web 2.0“ oder „User Generated Content“. Das Internet ist gleichsam mit seinen Möglichkeiten ein Tummel-
283 284 285 286 287
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Bell 353. Fiedler/Ullrich/Dreier 157. Von Welser/Gonzalez Rn 852. So bereits Schopenhauer 254. Der Begriff der Postmoderne ist äußerst schillernd und höchst umstritten. Sie wird vor allem mit der Literaturwissenschaft, der Malerei, der Philosophie und Soziologie verbunden. Sie ist aber nicht darauf reduzierbar. Zimmerli 14; Welsch 1991, 9; Vester 1993, 119; Zima 1997, 8 ff; Baumann 113 ff.
288 289 290 291 292 293 294 295
S Teil 2 Kap 6. S www.spiegel.de. Negroponte 218. Siehe Teil 5 Kap 1. Kitz ZUM 2007, 368. BT-Drucks 14/9200, 259 ff. Eastman/Ferguson/Klein/Masiclat/Klein 225. Fülbier CR 2007, 515.
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Medien und Recht
platz für den Austausch von Informationen und Medienprodukten. Das Internet ist insofern ein ideales Distributionsmittel für die Verbreitung von Informationen und Medienprodukten. Das wirklich Revolutionäre besteht aber darin, dass durch die Vernetzung und Digitalisierung die Möglichkeit besteht, dass jedermann Produzent geistiger Güter wird. Er kann selbst eine Produktionsweise betreiben, die ihm die technologischen Mittel erlauben. Jedermann kann in Personalunion Produzent, Verwerter und Konsument werden. Ein Beispiel hierfür ist YouTube. Nutzer können kostenlos Video-Clips ansehen und hochladen. Unter der Internetadresse www.youtube.com findet man Film- und Fernsehausschnitte, Musikvideos sowie selbstgedrehte Filme.296 Damit ist das technologische Zeitalter das Zeitalter der Auflösung alter Strukturen, Produktionsformen und herkömmlicher Verhaltensmuster der Konsumenten. Es geht nicht mehr nur um die massenweise Reproduzierbarkeit von Kunstwerken, deren „Aura“ verloren gegangen ist, wie sich Walter Benjamin auszudrücken pflegte.297 Neue Fähigkeiten und Fertigkeiten der Nutzer und Produzenten im Internet werden gefordert, die der traditionellen arbeitsteiligen geistigen Produktion gegenüberstehen (zB Film-, Buchproduktion).Wenn der Nutzer in der Lage ist, einen literarischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder technischen Beitrag – unabhängig von der Qualität derselben – allein oder mit vielen Nutzern zu produzieren und im Internet zu verbreiten, werden traditionelle Strukturen der geistigen Produktion in Frage gestellt. Eine Enzyklopädie kann zB weltweit mit Hilfe von Wikipedia produziert und weltweit verbreitet werden.298 Wissen wird weltweit öffentliches Gut. Wenn das alles mit einer entsprechenden Software möglich ist, dann muss das notwendigerweise Folgen für die Rechtsgestaltung haben. 7. Vergesellschaftungsprozesse und individuelle Produktion Die Vergesellschaftungsprozesse sind auf der Ebene der Produktion und auf der 69 Ebene der Konsumtion festzustellen. So findet eine aufwendige und arbeitsteilige Produktion (zB Filmproduktion) von massenhaften Medienprodukten (zB Filmen) neben der massenhaften kostengünstigen Eigenproduktion (unbekannte Internetnutzer produzieren) einzelner Medienprodukte (zB ein Film oder ein Lexikon) statt. Die Vermarktung von Medienprodukten durch Unternehmen wird in der realen Welt immer schwieriger, weil die lebendige und die vergegenständlichte Arbeit nicht mehr in elektronischen Informations- und Kommunikationsprozessen getrennt werden kann. Die tatsächlichen oder vermeintlichen Literaten, Texter, Musiker, Maler als Produzenten verbreiten ihre geistigen Leistungen weltweit über das Netz. Sie können sich entscheiden, ob sie für das Herunterladen ihrer geistigen Leistungen ein Entgelt haben wollen oder nicht. Der unentgeltliche Zugang zu Medienprodukten wird dabei favorisiert. Die „Open Access“- oder „Open Source“-Bewegung“ 299 ist ebenfalls eine Folge der technologischen Informationsund Kommunikationsprozesse, wonach ein unbeschränkter Zugang zu geistigen Leistungen angestrebt wird, vor allem Leistungen der Wissenschaftler.300 Neue technologische Produktionsweisen werfen neue Fragen des Eigentumsrechts in der Zivilrechtsordnung
296
YouTube wurde mit seiner Website im Februar 2005 gegründet. Mit einem geschätzten Marktanteil von 45 % ist YouTube der populärste Dienst dieser Art. Am 9.10.2006 gaben die Betreiber der Suchmaschine Google die Übernahme von YouTube bekannt (Wochenpost vom 28.1.2007).
297 298 299 300
Benjamin 411. Myers 190. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69c UrhG Rn 73. Hagenhoff/Dorschel 235.
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1. Teil
auf, die vorwiegend von der Rechtskonstruktion des Sacheigentums geprägt ist.301 Projekte wie Wikipedia, MySpace und You Tube animieren alle zB zum Schreiben, Filmen, Fotografieren, Musizieren und Malen. Das Internet ist insofern nicht nur ein Vertriebskanal, sondern ein Ort, an dem sich Leute treffen, sich unterhalten und darstellen. Mit Web 2.0 besteht die Möglichkeit der Selbstdarstellung. Blogs und Podcasts erlauben es, in einer verlinkten Netz-Gemeinschaft in Windeseile Protest, Boykott und Unterstützung zu organisieren. Sie stehen für eine Demokratisierung der Massenkommunikationsmittel.302 Der Trend, dass sich ein Wandel in der Wertschöpfungskette und in den Aneignungsprozessen der geistigen Güter vollzieht, ist Ausdruck der Vergesellschaftung. Die traditionelle Auffassung, dass das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum in seinem Gehalt durch Privatnützigkeit gekennzeichnet sei, dh, dass eine Zuordnung zu einem individuellen Rechtsträger mit einer Verfügungsbefugnis über einen Eigentumsgegenstand erfolgen kann,303 entspricht zumindest nicht mehr den realen Gegebenheiten im Internet. Im digitalen Zeitalter kann jeder mit jedem im Internet produzieren. Wer was produziert hat, kann häufig nicht mehr nachvollzogen werden. Nicht das private, sondern ein „gesellschaftliches“ Eigentum an den geistigen Arbeitsergebnissen bildet sich heraus. Jeder kann darüber verfügen. Das betrifft die Produktion und Vermarktung von Medienprodukten im Bereich der Zeitungen, der Zeitschriften, des Films, des Fernsehens, des Hörfunks und des Internets. Es entstehen multimediale Wertschöpfungsketten.304 Der springende Punkt ist der, ob das Recht diese Prozesse gestaltend begleitet oder selbst an die Grenzen der Einflussnahme auf diese gesellschaftlichen Prozesse gerät. Zunächst ist es eine Illusion, anzunehmen, dass die geistige Produktion im Internet dazu führt, dass die Medienprodukte, unabhängig vom kulturellen Wert derselben, nur noch unentgeltlich angeboten und verbreitet werden. In dem Augenblick, wo ein neues Geschäftsmodell auf den Markt kommt, das ein User produziert hat, kann sich ein Medienunternehmen dem nicht entziehen. Entweder der User gründet ein eigenes Unternehmen oder das Geschäftsmodell wird von einem bestehenden Unternehmen gekauft oder schlichtweg kopiert und selbst kommerziell genutzt. Die Geschäftsmodelle von „Second life“ oder „Napster“ stehen stellvertretend für diesen Entwicklungsprozess. Eine andere Entwicklung hängt mit den Verdrängungsprozessen im globalen Wettbewerb zusammen. Jedes Unternehmen muss unter Strafe seines Untergangs einen Gewinn machen, um sein Überleben zu sichern. Zentralisations- und Konzentrationsprozesse auch in der Kulturindustrie sind das Ergebnis des Verdrängungsprozesses auf dem nationalen und internationalen Markt. Vertragsfreiheit und Selbstregulierung sind dabei die Wunderheilmittel, um die Verwertungsbedingungen des Kapitals flexibler zu gestalten. Die Selbstregulierung zwischen Kreativen bzw deren Organisationsformen und der Verwerterindustrie wird im Rahmen der Novellierung des Urheberrechtsgesetzes (sog Korb II) favorisiert, ohne das asymmetrische Vertragssystem zwischen Urheber und der Medienindustrie zu berücksichtigen.305 Im Grunde steht dahinter eine neoliberale Wirtschaftskonzeption des „freien Marktes“ als „freie Kultur“ mit dem methodologischen Ansatz des Individualismus,306 der sich mit Hilfe einer Vereinbarung derselben nach dem Motto 301
302 303
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Siegrist/Götting 151. So ist zweifelhaft, ob an virtuellen Erscheinungen eigentumsrechtliche Schutzpositionen durch das Hausrecht der Forenbetreiber möglich ist. Siehe Klickermann MMR 2007, 766, 767. Hornig Wir sind das Netz, Spiegel Special, Nr 3 2007, 11. Mük/Kom BGB, 4. Aufl 2004, § 903 Rn 3; BVerfGE 50, 290, 339.
304 305
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Wirtz 684. Siehe die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucks 16/1828, 16. Lessig 190.
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Medien und Recht
„Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même“, durchzusetzen gedenkt. Dabei wird der Widerspruch zwischen den Interessen derjenigen, die zunehmend geistige Leistungen im Internet anbieten, und den Unternehmen und den Nutzern immer größer. Die Nutzer wollen unentgeltlich Zugang zu den Medienprodukten haben, während die Unternehmen und die geistigen Produzenten dafür, dass sie in das Medienprodukt investiert haben, vergütet werden. Es wird mehr und mehr die „Kultur-Flatrate“ im Verhältnis zu den DRM-Systemen 307 favorisiert, ohne zu hinterfragen, welche bestehenden gesetzlichen Vergütungssysteme als entsprechendes Äquivalent für die Verwertung von Ausschließlichkeitsrechten der Inhaber geistiger Leistungen bestehen. Der Nachteil des Internets besteht darin, dass es eine Spielwiese unterschiedlicher 70 Interessengruppen ist, die zu zügeln und auszugleichen Aufgabe des Rechts der Medien sein muss. Als Verhaltenssteuerungsinstrument steht das Recht vor einer unlösbaren Aufgabe. Destruktives Verhalten einzudämmen und schöpferische Prozesse zu fördern, gehören sicherlich zu den Grundaufgaben in einer kapitalorientierten Welt. Muss nicht das Recht hinter der technologischen Entwicklung herhinken? Reichen die bestehende Regelungen zum Schutz der geistigen Leistungen, des Persönlichkeitsrechts, des Wettbewerbs,308 der Telemediendienste, des Jugendschutzes, des Medienstrafrechts etc aus? Sind neue Haftungsregelungen durch das Internet notwendig geworden? Verluste, Schäden oder sonstige Schwierigkeiten im Management eines Unternehmens sind immer in einer ex-post-Betrachtung zum ex-ante-Maßstab einer rechtlichen Regelung vorzunehmen. Das gilt auch für das Urheberrecht, in dem Regelungen über technische Schutzmaßnahmen in das Gesetz aufgenommen wurden, die sich im nachhinein als Behinderung einer fairen Nutzung herausstellen.309 Entscheidend wird aber sein, wie das Recht innovatives Verhalten und Investitionen fördert und stimuliert.
V. Individualkommunikation contra Massenkommunikation 1. Öffentliche Meinungsbildung Zur öffentlichen Meinungsbildung gehören ohne Zweifel die Massenmedien, dh Ein- 71 richtungen in der Gesellschaft, die sich zur Verbreitung von Informationen technischer Mittel bedienen, zB Druckerzeugnisse, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, aber auch elektronische Kopierverfahren jeder Art, sofern sie Produkte in großer Zahl mit unbestimmten Adressaten erzeugen. Dazu gehört vor allem der Rundfunk,310 Film 311 und unterschiedliche Multimediadienste,312 aber auch das Internet.313 Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung.314 Dazu gehört die Gewährleistung des Schutzes der im Rundfunk und in der Presse 315 tätigen Personen und den Informanten gem Art 5 Abs 1 S 2 GG.316 Angesichts der Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft wird es immer 72 bedeutsamer, ob Probleme angesprochen werden, die für den öffentlichen Willensbildungs307 308
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Hofmann/Goldhammer 92. Brömmelmeyer 31. Er wirft generelle Fragen des Wettbewerbs im Internet auf. Die Ubiquität und die Konvergenz der Medien bringen Rechtsanwendungsprobleme mit sich. Lessig 160 ff. S Teil 4 Kap 1. S Teil 2 Kap 2. Luhmann 11; Fechner Medienrecht Rn 41.
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Die journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote im Internet sollen den Massenmedien zugeordnet werden, nicht dagegen sonstige Telemedien. Dies wird zu Recht kritisiert. Siehe Rumyantsev ZUM 2008, 33. BVerfG ZUM 2007, 294, 297; st Rspr. S Teil 4 Kap 2. BVerfG ZUM 2007, 294, 298.
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und Meinungsbildungsprozess wesentlich sind oder ob lediglich private Angelegenheiten von den Medien veröffentlicht werden, die die Neugier und Sensationslust befriedigen sollen.317 Das betrifft die Privatsphäre der Künstler, Politiker, Sportler und Manager als Personen der Zeitgeschichte. Aber auch die Ehepartner der Personen der Zeitgeschichte und deren Kinder sind im Focus der Berichterstattung. Es bedarf die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder und Jugendlichen des besonderen Schutzes vor den Gefahren der Medienberichterstattung 318 und den Internetforen mit jugendgefährdenden Inhalten.319 Die Gefahren sind vielfältig. Die von den Massenmedien angebotenen Realitätskonstruktionen haben durchgreifende Auswirkungen auf das, was in der Gesellschaft als Freiheit beobachtet werden kann und wie die Chancen personal zurechenbaren Handelns in der Gesellschaft verteilt sind.320 Vorurteile und Manipulationen können ständig durch die Massenmedien reproduziert werden.321 In dem Maße, wie die gesellschaftliche Entwicklung ausschließlich an dem wirtschaftlichen Erfolg gemessen wird, sind die Medienunternehmen nur Erfüllungsgehilfen einer verfehlten Medienpolitik. Denn die öffentliche Meinungsbildung erfolgt nicht mehr nur durch den linearen 73 Rundfunk und die Presse im traditionellen sondern zunehmend im globalen virtuellen Markt. Die nichtlinearen, freien Mediendienste im Internet stellen teilweise eine echte Konkurrenz zum Meinungsmonopol der Presse und des Rundfunks dar.322 So spielen zB die sog Blogs für den demokratischen Willensbildungsprozess eine hervorragende Rolle, weil die Möglichkeit besteht, kostenlos Informationen zu erhalten und gegen bestimmte herrschende Meinungsmacher eigene Positionen zu begründen und diese weltweit zu verbreiten.323 Das Blogging nutzen Unternehmen in den USA, um mit den Kunden im Rahmen des Direktmarketings zu kommunizieren und entsprechende Bedürfnisse schneller befriedigen zu können.324 Hörfunk und Fernsehen sowie Presse sind nicht mehr die ausschließlichen Meinungsmacher. Sie müssen mit dem Internet eine technische „Ehe“ eingehen, um den Einfluss auf die Meinungs- und Willensbildungsprozesse weiterhin ausüben zu können. So lässt die Internetverbindung den Abruf auch von Fernseh- oder Hörfunkprogrammen nebeneinander abwickeln, zB in Form des Streaming. Der Internetempfang tritt funktionell neben den Fernsehempfang.325 Bei Radioprogrammen erfolgen zB sowohl Erstverwertungen im Internet (sog Internetradio oder Webcaster) als auch die Übertragung derselben als Zweitverwertung, dh der Inhalt von Hörprogrammen kann simultan im Internet übertragen werden.326 Die typischen Strukturen des Rundfunks, nur für eine unbestimmte Anzahl von Verbrauchern Sendungen bereit zu halten, verändern sich.327 Rundfunkähnliche Abrufdienste werfen Probleme auf, zB ob die nicht-linearen Dienste wie Radio- und Fernsehsendungen beim Handy oder PC genehmigungs- und gebührenpflichtig sind.328 Die Multimediaprodukte verschärfen insofern das Problem 317 318 319 320 321
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BVerfG ZUM-RD 2007, 1, 2. BVerfGE 101, 361, 385; BVerfG ZUM-RD 2007, 1, 3. BGH WRP 2007, 1173, 1175. Luhmann 156. Schopenhauer erkannte schon früh die Ambivalenz der Pressefreiheit. Sie bedeutet einerseits, dass sich die Menschen mit den Worten wegen der Unzufriedenheit Luft machen können. Andererseits wirkt sie wie Gift für Geist und Gemüt. „Denn was lässt sich nicht dem kenntnis- und urteilslosen großen Haufen in den Kopf setzen? zumal wenn man ihm Vorteil und Gewinn vorspie-
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gelt. Und zu welcher Untat ist der Mensch nicht fähig, dem man etwas in den Kopf gesetzt hat?“. Siehe Schopenhauer 259. Castendyk/Böttcher MMR 2008, 15. Lessig 53. Scoble/Israel 213. Mc Donald’s vertat zB die Chance, mit den Kunden über deren geschmacklichen Bedürfnisse zu kommunizieren. Eberle ZUM 2007, 439. Handig 207. Pottthast ZUM 2007, 443. Bullinger, M JZ 2006, 1141. Das Bundesverfassungsgericht hat sich für eine Gebühr
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einer rechtlichen effektiven Regulierung im Verhältnis zwischen Individual- und Massenkommunikation. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Telemediengesetz für die Individualkommunikation entschieden und damit neue Probleme geschaffen,329 insbesondere hinsichtlich der Haftung des Internetforumbetreibers.330 Ebenso spielen die Computerspiele als Massenmedium und als modernes Freizeitangebot eine bedeutende Rolle. Sie nur auf die „Ego-Shooter“, sog Killerspiele, zu reduzieren, verkennt das Innovationspotenzial derselben. Denn es besteht kein monokausaler Wirkungszusammenhang zwischen der Mediengewalt und der Entstehung gewaltätigen Verhaltens. Medien sind Verstärker, nicht Verursacher von Gewalt.331 2. Medien als Antriebsfaktoren in der Meinungsbildung Die sozialen und kulturellen Auswirkungen der Informations- und Kommunikations- 74 technologien sind noch nicht absehbar. Eines scheint aber schon jetzt feststellbar: Demokratische Prozesse der Meinungsbildung werden ausgelöst und antidemokratische Gefahren bestehen real und gefährden das Gemeinwesen. Die Macht der Sprache verkommt zunehmend zur Sprache der Macht. Lügen und Desinformationen sind deren Bestandteil. Demagogen haben wieder Konjunktur! Dazu gehören ohne Zweifel Falschinformationen über die Notwendigkeit eines Angriffskrieges gegen den Irak, dessen Bilder im Fernsehen und im Internet der Öffentlichkeit als neue „Ästhetik“ erscheinen, um dem Krieg das unmenschliche Antlitz und Verbrecherische zu nehmen sowie diesen als unvermeidbar darzustellen, obwohl es ein ius ad bellum im gegenwärtigen Völkerrecht nicht gibt.332 Hegemoniale Werte- und Machtansprüche bleiben politisch und kulturell für die Weltgemeinschaft nicht folgenlos. Es hat sich offensichtlich seit der Antike nichts geändert.333 Denn das Verbrechen hat auch einen ökonomischen Hintergrund für die Medien. Der Verbrecher produziert das Strafrecht, die Polizei und die Grundlagen für Kunst und Literatur, die Wirkung des Verbrechens kann global sein. Denn „ohne nationale Verbrechen, wäre je der Weltmarkt entstanden? Ja auch Nationen?“ 334 Die „jüngsten Schandtaten von Staatsterrorismus- und Kriege sind nichts anderes als genau das! – wurden religiös drapiert.“ 335 Das alte Feindbild wurde durch ein neues ersetzt. Die Simultanität von Religionsfundamentalismus und Marktradikalismus, mit dem die ganze Welt beglückt wird, ist das ein purer Zufall? 336 Mit einem Bedrohungsszenario werden wesentliche Menschenrechte eingeschränkt, zB das allgemeine Persönlichkeitsrecht beim Datenschutz.337 Da-
für Rechner entschieden, die Rundfunkprogramme ausschließlich über Angebote aus dem Internet wiedergeben können; siehe ZUM 2007, 712, 722. 329 Spindler CR 2007, 241. 330 BGH MMR 2007; OLG Koblenz MMR 2008, 54. 331 Erdemir K&R 2008, 224. 332 Vitzthum/Bothe Rn 3 ff; Seidel 449; Bernhardt/Randelzhofer p 1246. 333 Der griechische Tragödiendichter Euripides (480–406) hatte schon in dem Stück „Die Hilfeflehenden“ zur Frage des Krieges Folgendes formuliert: „Doch kennen alle wir von den Begriffen ‚gut‘ und ‚schlecht‘ den besseren und wissen auch, wie sehr der
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Frieden für den Menschen besser ist als Krieg: Er ist ein treuer Freund der Musen, dann ein Feind der Rachegeister, freut sich wohlgeratener Kinder und liebt den Reichtum. Und wir Toren geben all dies preis, wir wählen Krieg, wir unterjochen den Geschlagenen, der Mensch den Menschen, Staat den Staat.“ Marx Theorie über den Mehrwert 364. Klenner Juristenaufklärung über Gerechtigkeit 55. Klenner Juristenaufklärung über Gerechtigkeit 55. Gola/Schomerus BDSG Einl Rn 22; § 14 Abs 2 TMG enthält nunmehr die Möglichkeit, dass auf Anordnung der zuständigen
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zu gehören die Online-Durchsuchungen,338 die Eingriffe in die verfassungsrechtlich verbriefte Privatsphäre und das Fernmeldegeheimnis 339 sowie in das Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung bedeuten.340 Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen, dh, dass dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Norm des objektiven Rechts seinen Rechtsgehalt auch im Privatrecht entfaltet.341 Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ist als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschaffen worden, um Eingriffe in den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu verhindern.342 „Die Medienunternehmen mit ihren spezifischen Angeboten sind mächtige Antriebs75 faktoren für die verbreitete Neigung nach Performance und Events, immer wieder neue (Vor-)Bilder der Eskalationen dafür zu ventilieren, wie sie auch Plattformen dafür bieten, dass jedermann zum zeitweiligen Inszenierungsstar avanciert und sein Persönliches und Intimstes vermarkten kann“.343 Der äußere Schein vieler Medienangebote entspricht der inneren Hohlheit der Texte, Äußerungen und Bilder. „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere Fernsehsendungen auf diesem Niveau bringen eine zunehmend sensationsorientierte, exhibitionistische Medienwelt zum Ausdruck. Ein humanistisches auf Toleranz ausgerichtetes Weltbild bleibt dabei auf der Strecke. Wenn mit dem „Bedeutungsverlust der Arbeit und des Arbeitsethos eine Sinnkrise 76 schwelt, die sich Kompensationen im Erlebnishunger sucht, sind die Medien die perfekten Surrogate, mit der die Trostlosigkeit übertönt wird“.344 Die Medienunternehmen reagieren ganz unterschiedlich auf den Zustand der Gesellschaft. Sie sind Teil der Gesellschaft und insofern Teil eines Problems einer Medienkultur, die in einem dialektischen Spiel von Angebot und Nachfrage zu verflachen droht. Denn der Fortschritt der Verdummung darf nicht hinter dem gleichzeitigen Fortschritt der Intelligenz zurückbleiben.345 Die Menschen wissen teilweise nicht, worüber sie lachen und warum sie aufgehört haben nachzudenken.346 Die Vernunft durchzusetzen, gelingt nicht, solange nicht vernünftige Verhältnisse existieren. Dringend bedarf es einer Renaissance der Aufklärung durch die Medien! 3. Interaktive Abrufdienste
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Individualkommunikation ist ein Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehreren bestimmten Beteiligten.347 Sobald eine Selektionsmöglichkeit des Teilnehmers besteht, insbesondere eine individuelle Zusammenstellung gewünschter Informationen
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Stelle der Dienstanbieter Auskunft über Bestandsdaten erteilen kann, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben zB des Bundesnachrichtendienstes, der Verfassungsschutzbehörden und des Militärischen Abschirmdienstes erforderlich ist. S BVerfG NJW 2008, 822, 829. So bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung. S Puschke/Singelnstein NJW 2008, 113, 118, Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass Dritte nicht die Möglichkeit erhalten, auf die persönlichen Daten im Internet
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durch technische Mittel zugreifen zu können. Am Ende steht der gläserne Mensch, dessen persönlichsten Daten missbräuchlich im globalen Netz benutzt werden können. Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 12. BVerfG NJW 2007, 3707; BVerfG NJW 1984, 419. S BVerfG NJW 2008, 822, 827. Delp/Kübler 306. Delp/Kübler 306. Horkheimer/Adorno 153. Postman 198. Fechner Medienrecht Rn 11.
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ermöglicht wird, liegt Individualkommunikation vor. Das gilt vor allem für die interaktiven Abrufdienste im Audio- oder Videobereich, bei denen zB die Teilnehmer eine gewünschte Sendung über eine Datenleitung aus einem Datenspeicher abrufen. Ebenso trifft das auf die interaktiven Teleshopping- oder Homeshopping-Angebote zu, über die sich der Kunde selbst informiert, um die entsprechende Ware zu kaufen.348 Durch das Internet als neues Medium stellt sich generell die Frage einer andersartigen Präsentation von Waren und neuer Marketingstrategien für die Unternehmen. Das Medienprodukt muss sich gleichsam selbst mit allen Vorzügen und Funktionen im Internet vermarkten können. Die Informations- und Kommunikationstechnologien heben insofern traditionelle 78 Märkte auf und schaffen neue. Presse und Rundfunk als klassische Massenkommunikationsmittel werden nicht verdrängt, sondern werden in die neuen Technologien integriert. Während in den traditionellen Medien die Informationen nur in mediumspezifischer Darbietung (zB als gesprochenes Wort, Bild, Foto, Film, Musik, Buch) übermittelt und rezipiert werden, können sie nun über digitale Telekommunikationsnetze abgerufen und über eine „Multimedia-Maschine“ dargeboten werden. Insoweit lösen sich die Grenzen zwischen Print- und Ton-/Bildmedien, zwischen Telefon, Hörfunk, Fernsehen und Datendiensten tendenziell auf bzw die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien wird immer schwieriger.349 Es gibt Zwischenformen, die nicht der einen oder anderen Sphäre zugerechnet werden können, zB die Chatrooms im Internet, die der Allgemeinheit zugänglich sind.350 4. Theaterproduktionen und Sportveranstaltungen Den Begriff der Massenkommunikation nur unter dem Aspekt eines technischen 79 Mittels inhaltlich zu bestimmen, mit dessen Hilfe eine räumliche Distanz überwunden werden kann,351 ist nicht überzeugend. Es gibt Einrichtungen, die historisch gesehen, einen entscheidenden Beitrag zur Meinungsbildung und der Vermittlung von Werten geleistet haben und leisten. Zu den bedeutenden Medienunternehmen gehören auch die Theater,352 Galerien und Konzertveranstalter.353 Sie sind zwar nicht quantitativ mit der Anzahl der Zuschauer, Zuhörer oder Leser der Medienprodukte des Hörfunks, Fernsehens, der Presse und des Films vergleichbar, aber im Rahmen ihrer historischen Entwicklung haben sie bis heute das gleiche Prinzip. Die Zuschauer haben nur die Möglichkeit, die Inszenierung oder das Konzert zu sehen bzw zu hören, ohne Einfluss auf die Inszenierung oder Musikwerke zu haben. Der gleiche Inhalt wird an eine unbestimmte Zahl von Zuschauern vermittelt. Die Entscheidungsfreiheit, nicht ins Theater zu gehen (bzw es vor Ende der Aufführung zu verlassen), bleibt jedermann offen, obwohl man sich wünscht, dass die Theaterproduktionen einen stärkeren Einfluss auf das kulturelle Verhalten der Menschen auszuüben vermögen. Die räumliche Distanz wird durch die Inszenierung überwunden. Insofern spielt das Theater im Recht der Medien eine andere Rolle als der Rundfunk. Außerdem kann heute die Theaterinszenierung durch technische Mittel übertragen werden (zB Fernsehen, Internet oder Public Viewing).
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Prinz/Peters/Funke 146. Eine individuelle, elektronische Kommunikation ist der Dialog mittels einer E-Mail, SMS oder auch in Chat-Foren. Siehe Spindler/Schuster/Weber § 312e BGB Rn 5. Dörr/Kreile/Cole/Janik 115; Prinz/Peters/ Funke 143.
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Fechner Medienrecht Rn 2. So aber Fechner Medienrecht Rn 10. Ladeur ZUM 2004, 1, 3. AA Luhmann 11; Theater gehört nach seiner Auffassung nicht zu den Massenmedien, weil es sich zur Verbreitung von Kommunikation nicht technischer Mittel bedient.
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Die Frage der Massenkommunikation ist sicherlich mit der technischen Entwicklung verbunden, aber dieses Phänomen ist nicht allein darauf zu reduzieren, wenn man an die Entwicklung von Medienprodukten der Presse im 18. Jahrhundert denkt,354 die früher als die Rundfunk- und Filmprodukte auf den Markt kamen. Eine ähnliche Massenwirksamkeit wie Filme haben Sportveranstaltungen, die mit Hilfe des Rundfunks und des Internets weltweit verbreitet werden.355 Mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports werden Fragen der rechtlichen Regulierung aufgeworfen, zB die Vermarktung der Persönlichkeitsrechte der Fußballer durch Werbemaßnahmen und die Rechte der Veranstalter. Es kann ein Konflikt zwischen den Verwerterinteressen der Veranstalter und der gesellschaftlichen Aufgabe unabhängiger Medien entstehen.356 Ein anderer bedeutender Aspekt für das Recht der Medien besteht gerade darin, dass 81 sowohl die Massen- als auch die Individualkommunikation nur den Aspekt des Zugangs und der Verbreitung von Informationen beinhaltet. Es wird damit die Distributionssphäre untermauert. Sie ist zwar für die Meinungsbildung bedeutsam, aber das Recht der Medien kann nicht allein auf die Verbreitung von Medienprodukten reduziert werden, sondern sie beeinflusst die Politik und die Politik beeinflusst die Medien.
VI. Informationsgesellschaft und geistige Produktion 1. Begriff der Informationsgesellschaft
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Die Begriffe „Informationsgesellschaft“ oder „Wissensgesellschaft“ werden immer wieder inflationär benutzt, ohne wirklich zu hinterfragen, was sie inhaltlich auszusagen in der Lage sind. All die Begriffe „Informationsgesellschaft“, „Wissensgesellschaft“, „Dienstleistungs83 gesellschaft“ oder „Mediengesellschaft“ verweisen auf einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, dh die enorme Beschleunigung und die ständig steigende Kontingenz der Veränderungen künftiger Gesellschaften sowie die „wachsende, zumal öffentlich publizierte diskutierte Reflexivität, die wiederum die Medien unaufhörlich verbreiten und vervielfachen“.357 Der Begriff der Informationsgesellschaft wird nur als Arbeitsbegriff in diesem Sinne 84 verwandt, dass sämtliche Lebensbereiche mit den Informations- und Kommunikationstechnologien ausgestattet und durchdrungen sind, insbesondere die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion sowie die globale Arbeitsteilung mit der Überwindung herkömmlicher Strukturen. An ihre Stelle treten dezentrale, flexiblere, offenere, aber auch ungewisse Produktions- und Arbeitsweisen.358 Die „Informationsgesellschaft“ zeichnet sich also dadurch aus, dass aufgrund der Informations- und Kommunikationstechnologien eine massenhafte Verbreitung von Inhalten (zB Filme, Romane, Musik) ohne territoriale Grenzen möglich ist. Informationen verfügen über bestimmte Inhalte unterschiedlicher rechtlicher Qualität.359 Im Grunde werden mit dem Informationsbegriff verschiedene Vorgänge des Informierens, des Austausches von Gedanken, des Mit-
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Pross 108. Fritzweiler/Pfister/Summerer/Summerer 337. Dörr JZ 2007, 482; BGH NJW 2006, 377, 379 – Hörfunkrechte. Der BGH hat in seiner Entscheidung die Entgeltlichkeit der Hörfunkberichterstattung einer Sportveran-
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staltung auf der Grundlage des Hausrechts bejaht. Delp/Kübler 304. Kübler 308. Beater Rn 894.
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teilens, des Übertragens ua Informationsprozesse bezeichnet.360 Die unterschiedliche rechtliche Bewertung von Informationen und von Informationsträgern ist evident. Eine Nachricht über ein Tagesereignis in einer Zeitung oder im Internet ist erlaubt, dagegen ist es verboten, einen Roman in Buchform oder Online ohne Zustimmung des Urhebers bzw des Verlages zu verbreiten oder zum Download anzubieten. Bei Formgebungen, zB ein Freischwinger, wird der Betrachter durch die ästhetische Form angeregt, deren Nachbau ohne Zustimmung des Rechtsinhabers verboten ist. Die verschiedenen Zeichen (Wörter, Töne, Bilder, Farben, Persönlichkeitsmerkmale, Symbole uam) können unterschiedliche Inhalte vermitteln und in verschiedenen körperlichen und unkörperlichen Trägern (Medienprodukte) Gestalt annehmen. Die Medienprodukte sind Informationsvermittler. 2. Informationsgesellschaft und Wissensproduktion Die Informationsgesellschaft befindet sich an einem Scheideweg, wenn es um die Vermarktungsstrategien von Medienprodukten geht. Es ist eine Tendenz feststellbar, wonach öffentliche Aufgaben des Staates der Privatisierung unterworfen werden. Das hängt offensichtlich mit einer liberalen Wirtschaftskonzeption zusammen. Wissenschaftler, Studenten, Universitäten und andere Institutionen befinden sich in einer Promotional Culture, die durch unterschiedliche Kommunikationsmittel der (Selbst-)Vermarktung gekennzeichnet wird.361 So ist die Privatisierung öffentlicher Aufgaben der Kulturpolitik in den USA und Europa eng mit der Kommerzialisierung der Medienkultur und der Erlebnisgesellschaft verknüpft.362 Aus historischer Sicht haben Universitätsverlage zB in den USA einen wichtigen Beitrag zum demokratischen Diskurs zu leisten. Dieser Auftrag wird mittlerweile in Frage gestellt, weil die Bildungspolitik zunehmend privatisiert wird und sich eine Globalisierung der kommerziellen Informationsindustrie durchzusetzen beginnt.363 Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben für die geistige Produktion zB von wissenschaftlichen Publikationen die Folge, dass die Informationen global erfassbar sind und die Entstehung, Verbreitung und Rezeption wissenschaftlicher Kommunikation immer mehr verschwimmen. Der Produktionsprozess wird beschleunigt und die Aktualität der Bücher als Medienprodukt wird immer kurzlebiger. Eine Informationsdichte ist die Folge globaler Vernetzung und eine daraus resultierende Überlastung mit unkontrollierbarer Informationskultur, die zur Irrationalität und Desinformation tendiert.364 Wahrheit und Lüge können in den Medien globaler produziert und verbreitet werden. Das Buch als Medienprodukt ist Kommunikationsmittel und Objekt ökonomischer und kultureller Strategien. Mit der Umwandlung analoger Informationen in digitale Formen verändert sich die Option der Speicherung und Verarbeitung der Manuskripte. Was bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts noch das Geheimnis der Jünger Gutenbergs war, die Ästhetik der Seite, wird zu einem öffentlichen Gut.365 Ob aber an Stelle des Papiers zB CD-ROMs treten können, ist fraglich.366
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So wird der Begriff der Information nach § 1 Abs 1 InfoV anders geregelt als in § 2 Ziff 2 IFG. Wernick 154 ff. Schulze 524 ff.
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Delp/Rectanus 33. Lash 146. Delp/Titel 80. Delp/Titel 80.
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3. Books on Demand
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Die Technologie Books-on-Demand hat eine unterschiedliche Auswirkung auf den Markt. Das E-Book hat als transportables Lesegerät für elektronische Texte einen neuen Markt gefunden. Die Nutzer vermochten offensichtlich teilweise den Vorteil gegenüber eines gebundenen Buches zum „Blättern“ erkennen. Das elektronische Publizieren im Internet im Bereich der Nachschlagewerke und der wissenschaftlichen Literatur spielt eine große Rolle. Denn es geht nicht um den Lesegenuss, sondern um das schnelle Auffinden und Verbreiten von Informationen. Dies gilt generell für das Internet. In diesem Sinne ist auch der Aufbau einer digitalen Bibliothek in Europa zu begrüßen, die die Schätze der Kunst, Literatur und Wissenschaft dem Nutzer zur Verfügung stellen soll.367 Die Buchproduktion und -verbreitung hat erhebliche Blessuren erlitten. Dabei spielt die Tauschbörse eine nicht zu unterschätzende Rolle. Immerhin sind im Jahr 2006 knapp 11 % der bei Deutschlands größten Tauschbörse BitTorrent getauschten Dateien Verlagsprodukte gewesen (7 % E-Books, 4 % Hörbücher).368 Hinzu kommt, dass sich eine Tendenz mit Hilfe des Internets und der Digitalisierung durchzusetzen beginnt, die mit dem Begriff „Desktop-Publishing“ beschrieben werden kann, dh dass das Publishing tatsächlich am PC zuhause ermöglicht. Verlage und Laien publizieren. Die Kehrseite dieser Entwicklung besteht darin, dass damit ein unbestreitbarer Verfall der Typografie und ein Verfall der inhaltlichen Qualität von Büchern verbunden ist.369 Die Konsequenz dieser Entwicklung bedeutet einen Verlust der Produktionsmittel für Verleger, wenn für jedermann die Produktion von Büchern preiswert wird und die Distributionskanäle für jedermann offen stehen. Es ist ein leichtes Spiel, durch Eröffnung einer eigenen Homepage mit einer bibliografischen Aufnahme eines Titels im Internet als einzelner Produzent aufzutreten, um jedermann die Medienprodukte zugänglich zu machen. Steht nicht hinter dieser Entwicklung ein objektiver Prozess der Vergesellschaftung, wonach ohne große Mühe die Medienprodukte jedermann frei zugänglich sind und teilweise unentgeltlich zur Verfügung stehen? 4. Kommunikations- und Transaktionsplattformen
Das Internet spielt als neue Kommunikations- und Transaktionsplattform eine bedeutende Rolle im globalen Maßstab. Verbreitungsformen von Multimediaprodukten wurden durch E(lectronic)-Commerce verändert. Eine Erweiterung der Verbreitungsmöglichkeiten im globalen Maßstab findet statt. Das Vertriebsnetz ändert sich, zB durch alternative Formen, und Unternehmensstrategien müssen sich den neuen Bedingungen anpassen. Über das Internet als Informationskanal werden Werbe- und Marketingmaßnahmen realisiert. Neue Kunden sollen gewonnen und vorhandene an das Unternehmen gebunden wer95 den. E-Commerce als Kommunikationskanal bietet die Möglichkeit des Informationsaustausches durch interaktive Plattformen. Dies gilt sowohl für den Business-to-BusinessBereich (B2B-Bereich) als auch im Business-to-Consumer-Bereich (B2C-Bereich). Die Grundsätze werden im Transaktionskanal abgewickelt. Schließlich erlaubt die unmittel-
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S www.leb.eu. S Ipoque P2P-Studie 2006, abrufbar unter www.ipoque.com/media/internet_ studies/p2p-studie_2006.
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Delp/Göbe 271 ff.
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Geistiges Eigentum und Medienprodukte
bare Versendung eines Medienproduktes über elektronische Netzwerke eine neue Form der Distribution.370 Online-Text-Versionen werden sicherlich zunehmend genutzt, aber das Buch oder 96 andere Druckerzeugnisse werden in der Zukunft Bestand haben. So wie das Fernsehen nicht den Kinobesucher verdrängt hat, wird der PC mit Zugang zum World Wide Web nicht das Buch verdrängen. Die Online-Vermarktung ist selbst eine neue „Ästhetik“ der Kommerzialisierung der Medienprodukte, die letztlich auch das Verhalten der User und Unternehmen beeinflusst. Die interaktiven Gestaltungsmöglichkeiten der Nutzer in Internetforen werfen neue Probleme auf, die das bestehende System der Rechtsinstitute in Frage stellen. Bspw wird das Eigentums- und Besitzrecht des Betreibers von Internetforen mit einem virtuellen Hausrecht in Verbindung gebracht.371 Auch einen vollständigen Ausschluss des Wettbewerbers im Sinne eines virtuellen Hausverbots wird ein Unternehmer nicht bewirken und durchsetzen können, der einen Internetshop betreibt.372 In jedem Fall sind die Besonderheiten des Mediums Internet zu berücksichtigen. So wird die Erschwerung des Zugangs zu der Homepage des Internetshops, zB die Sperrung bestimmter IP-Nummern oder sonstige technische Zugangsbeschränkungen, als wettbewerbswidrig angesehen.373
§2 Geistiges Eigentum und Medienprodukte I. System des geistigen Eigentums 1. Immaterialgüterrecht Während die geistige Produktion nur ein Teil des gesellschaftlichen Gesamtprozesses 97 darstellt, in dem Medienprodukte in den Kreislauf der Distribution und Konsumtion gelangen, wird mit dem System des geistigen Eigentums die rechtliche Ausgestaltung der Aneignungs- und Verwertungsprozesse erfasst. Die Auffassung, dass das geistige Eigentum aus der Sicht des Rechts der Medien nicht mehr als solches entscheidend sein soll, sondern deren Vermittlung,374 verkennt die Tragweite der geistigen Produktion und das System des geistigen Eigentums von immateriellen Gütern als Medienprodukte. Dabei kann und muss das System des geistigen Eigentums 375 hinterfragt werden, inwieweit es im Prozess der kapitalorientierten Verwertung bzw Vermarktung oder Nutzung derselben auch und gerade für ein Recht der Medien relevant sein kann oder nicht. In dem hier verstandenen Sinne wird das System des geistigen Eigentums als Aneignungs- und Verwertungsprozess in der geistigen Produktion und Reproduktion der Medienprodukte 370
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Kuhn 129 ff. LG München I CR 2007, 264; LG Bonn CR 2000, 245; OLG Köln CR 2000, 843; Redeker krit Anmerkung zum Urteil des LG München I CR 2007, 266. 372 OLG Hamm MMR 2008, 175, 176. Ein virtuelles Hausverbot ist zulässig, wenn die Sperrung der IP-Nummer unter dem Gesichtspunkt der Betriebsstörung erfolgt. 373 OLG Hamburg MMR 2008, 58, 60.
AA Petersen 150. Zum Recht des geistigen Eigentums zählen die gewerblichen Schutzrechte (zB Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken-, Geschmacksmuster-, Halbleiter- und Sortenschutzrechte) und das Urheberrecht; siehe Cornish/Llewelyn Chap 1, Rn 1–4; Fink/Maskus 41 f; Grzeszick ZUM 2007, 344, 351; Götting GRUR 2006, 353; Seichter WRP 2006, 392.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
betrachtet. Der Aneignungs- und Verwertungsprozess der Medienprodukte findet auf verschiedenen gesellschaftlichen Stufen statt. So herrschen in einer arbeitsteilig organisierten Kunstproduktion (zB Film-, Theaterproduktion) oder Wissenschafts- bzw Literaturproduktion andere Bedingungen, die rechtlich den Kreativen schützen, als die Bedingungen, die den Nutzer, den Leser, den Zuhörer oder den Zuschauer betreffen. 2. Formgebungen
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Das System des geistigen Eigentums wird im Schrifttum mit dem Immaterialgüterrecht umschrieben, dessen Bestandteile die gewerblichen Schutzrechte (zB Patent, Geschmacksmuster, Marken ua) und das Urheberrecht sind.376 Ein Teil dieser immateriellen Güter werden als Medienprodukte bezeichnet, soweit sie 99 Informationen und Inhalte verkörpern, die im Informations- und Kommunikationsprozess vordergründig eine Rolle spielen. Die geistigen Leistungen, die in Medienprodukten zum Ausdruck gebracht werden, 100 können sehr verschieden sein. Allen ist gemeinsam, dass sich ihre Bedeutung für die Medien nicht allein vom materiellen Träger ableiten lässt (zB Papier, Holz, Vorrichtungen).377 Ihre Bedeutung liegt in der Verkörperung der literarischen, künstlerischen, wissen101 schaftlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Ideen sowie Gedanken. Diese Ideen und Gedanken manifestieren sich in bestimmten literarischen (zB Roman), künstlerischen (zB Theaterinszenierung), wissenschaftlichen (zB Forschungsbericht) oder ästhetischen (zB Designermöbel) Formgebungen. Die Formgebungen können körperlich oder unkörperlich in der Wirklichkeit abgebildet sein. Die kreativen Leistungen weisen dabei ganz unterschiedliche ökonomische, kulturelle und rechtliche sowie moralische Wertungs- und Bewertungsebenen auf, die für den Informations- und Kommunikationsprozess in der Medienlandschaft typisch sind. Das Ergebnis der geistigen Arbeit im Allgemeinen (zB künstlerische oder wissenschaftliche Leistung) und im Besonderen (Schreiben eines Briefes, eines Romanes oder Herstellen einer Software, eines Designs, einer Nachricht usw) kann wirtschaftlich insofern interessant sein, als die Medienprodukte in den Strom der Ware-Geld-Beziehung gelangen und zB sehr unterschiedliche Töne, Zeichen, Bilder ua Informationen mitteilen. Das Medienmanagement konzentriert sich dabei auf den Gewinn, den es mit der Vision „to make people happy“ zu erreichen glaubt.378 3. Naturrecht und Ausschließlichkeitsrechte
102
Die entscheidende rechtstheoretische Frage ist die, ob alle Medienprodukte und die damit verbundenen gesellschaftlichen Verhältnisse dem System des geistigen Eigentums bzw Immaterialgüterrechts zugeordnet werden können. Denn der Begriff des geistigen Eigentums erfasst nicht mehr und nicht weniger als die zeitlich begrenzte Herrschaftsmacht des durch das Gesetz Berechtigten, der wiederum mit Ausschließlichkeitsrechten ausgestattet ist.379 Das Immaterialgüterrecht impliziert im Ergebnis eine Monopolstellung des Kreativen. Die im Schrifttum berechtigte Kritik ist dann nicht von der Hand zu weisen, wenn ein aus dem Naturrecht geprägtes überrechtliches Gebilde nebulös bleibt.380 376 377 378
48
Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 1; Wandtke/ Bullinger/Wandtke Einl UrhG Rn 44. Fechner Medienrecht Rn 9. Wirtz 79.
379 380
Fechner Geistiges Eigentum und Verfassung 111; Götting GRUR 2006, 353. Klenner 9.
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§2
Geistiges Eigentum und Medienprodukte
Schon Schopenhauer hatte auf die Lebensverhältnisse hingewiesen, die der Produktion von Recht zugrunde liegen und nicht das Naturrecht.381 Die gesetzgeberische Inhaltsbestimmung ist nicht aus der Natur der Sache ableitbar, sondern aus dem jeweiligen kulturellen, technischen und ökonomischen Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie deren prägenden Interessen. Das Naturrecht wird häufig im Gegensatz zum Rechtspositivismus gesehen, wobei vor allem die Beziehung zwischen dem gesetzten Recht und dem Sittlichem hergestellt wird.382 Rechtliche und ethische Maßstäbe können, müssen aber nicht übereinstimmen. Denn nicht alles, was gesetztes und wirkendes Recht ist, ist vernünftig und richtig.383 Das Naturrecht kann deshalb nicht die Aufgabe haben, als Maßstab und Kontrollinstrument gegenüber dem staatlich gesetzten Recht zu dienen.384 Insofern gibt es auch ein Dilemma in der Überwindung des Naturrecht-Positivismus-Streits.385 Deshalb ist es auch nicht hilfreich, wenn mit dem Begriff des geistigen Eigentums ein dem positiven Recht übergeordnetes Naturrecht behauptet wird,386 obwohl es in der Geschichte eine revolutionäre Bedeutung hatte.387 Es wurde insbesondere mit der geistigen Arbeit und der Aufhebung feudaler Privilegien in Verbindung gebracht.388 Der Begriff des geistigen Eigentums kann in dem hier verstandenen Sinne – im Gegensatz zum Sacheigentum – nur als Bündel von ausschließlichen und relativen Rechten verstanden werden, die Verwertungsrechte und soweit erforderlich auch Persönlichkeitsrechte implizieren. Aufgrund der asymmetrischen Interessenlage zwischen der Verwerterindustrie und den Kreativen ist der viel gepriesene Interessenausgleich im Recht eine Illusion. Das geistige Eigentum war und ist teilweise in seiner Rechtskonstruktion zunächst gegen den Schöpfer gerichtet. Der Kreative ist der eigentliche Produzent kultureller Güter. Der Verwerter hat ausschließlich derivative Rechte. Denkbar ist der Interessenausgleich zwischen den Kreativen und der Allgemeinheit nur dann, wenn die Monopolstellung der Kreativen zugunsten der Allgemeinheit und damit auch der einzelnen Nutzer teilweise aufgehoben wird. Die Frage ist aber, ob die geistige Produktion Leistungen hervorbringt, die das geltende 103 System des Immaterialgüterrechts erweitern und damit das System des geistigen Eigentums. Nur eine einseitige Ausrichtung auf die wirtschaftliche Verwertung von Medienprodukten mag zwar dem Zweck der Verwertung entsprechen, aber die Lösung kann es nicht sein. Es würde sonst der wirkliche Prozess der Aneignung und Verwertung sowie Nutzung der Medienprodukte nicht erfasst, wie dies in der berechtigten Kritik an der nicht angenommenen Verfassung der EU zum Ausdruck gebracht wird.389 Deren gleichlautende Regelung zum Schutz des geistigen Eigentums ist in Art 17 Abs 2 der Grundrechtscharta der Europäischen Union aufgenommen worden,390 auf die nunmehr Art 6 Abs 1 des reformierten Vertrages der Europäischen Union hinweist.391 Die Tatsache, dass im System des geistigen Eigentums die Persönlichkeitsrechte der Schöpfer nicht integriert sind und nur der vermögensrechtliche Aspekt eine Rolle spielt,392 lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen. Tatsache ist, dass das Bundesverfassungsgericht in Auslegung des 381 382 383
384 385 386
Schopenhauer 247. Seelmann 140. Naucke/Harzer 65. Sie sind der Meinung, dass sich das Naturrecht mit dem positiven Recht verbindet. AA Rüters 189. Kaufmann/Hassemer/Neumann/Kaufmann 106 ff. So zu Recht Rehbinder Rn 97; aA Götting GRUR 2006, 353 ff mwN.
387 388 389 390 391
392
Hofmann/Siegrist 67. Boncompain 335; Ann GRUR Int 2004, 597. Dietz GRUR Int 2006, 1, 8. S Calliess/Ruffert/Cremer GRCh Art 17 Rn 3. Der reformierte Vertrag der Europäischen Union ist am 13.12.2007 in Lissabon angenommen worden. Ebenso Rehbinder § 1 Rn 28.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
Art 14 GG von einem naturrechtlich geprägten, geistigen Eigentumsbegriff ausgeht und damit die vermögensrechtliche Seite des Immaterialgüterrechts betont.393 Das gilt auch auf europäischer und internationaler Ebene (TRIPs).394 Unabhängig davon, wie der Begriff des geistigen Eigentums inhaltlich bewertet wird, 104 bleibt er ein wichtiger Bezugspunkt, der mit den Medienprodukten und deren Verwertung bzw Vermarktung oder Nutzung in unmittelbarer Beziehung steht. 4. Erweiterung der Schutzrechte
105
a) Zeitlich begrenzte Schutzrechte. Soweit die Medienprodukte mit den gewerblichen Schutzrechten und dem Urheberrecht belastet sind, sind damit auch zeitliche Grenzen des Schutzes verbunden. Solange diese Schutzrechte wirksam sind, hat der Rechteinhaber aber Ausschließlichkeitsrechte und kann gegen jedermann wegen Verletzungen seines Immaterialgüterrechtes vorgehen.
106
b) Gemeinfreie Leistungen. Nach Ablauf der Schutzfrist oder bei Eintreten anderer Erlöschensgründe bleibt das Medienprodukt weiter im Kreislauf der Produktions-, Distributions- und Konsumtionsprozesse. Die nicht mehr geschützten Medienprodukte stehen der Allgemeinheit, aber auch den Unternehmen zur Verfügung. Hierzu kann das Wettbewerbsrecht den Unternehmen helfen. Denn der wettbewerbsrechtliche Schutz für Werke und Leistungen ist möglich, wenn sie gemeinfrei geworden sind. Auch das Markenrecht wäre zu beachten. So kann beim Markenrecht ein unbefristeter Schutz bestehen. Ein abgelaufenes Geschmacksmuster oder ein urheberrechtlich gemeinfreies Werk kann verwertet werden und bleibt damit wirtschaftlich und kulturell für die Unternehmen und Nutzer interessant. Muss nicht auch dies zum System des geistigen Eigentums gerechnet werden? Wenn auch Medienprodukte Gegenstand der vermögenswerten Vermarktung sind, 107 obwohl Ausschließlichkeitsrechte oder andere Rechte daran nicht mehr bestehen, müsste diese Form der gesellschaftlichen Aneignungsprozesse vom geistigen Eigentum erfasst werden. Es wird von einem geistigen Eigentum auszugehen sein, das jedermann benutzen und verwerten kann. Das Geistesprodukt hat die Bestimmung, von anderen Individuen zu eigen gemacht zu werden. An diesem Geistesprodukt kann wiederum ein spezielles geistiges Eigentum des reproduzierenden Individuums entstehen.395 Es besteht ein Interesse der Allgemeinheit, dass nach Ablauf der Schutzfrist die ur108 heberrechtlichen Medienprodukte geistiges und kulturelles Allgemeingut werden.396
109
c) Private Nutzung und Sozialbindung. Eine ähnliche „Rechtskonstruktion“ besteht in den Fällen, in denen der Gesetzgeber erlaubt, dass die Allgemeinheit Medienprodukte nutzt bzw verwertet, ohne mit den Rechten der Kreativen in Kollision zu geraten. So sind zB Patente in ihrer Wirkung nicht auf Handlungen im privaten Bereich gerichtet, soweit sie nicht zu kommerziellen Zwecken vorgenommen werden.397 Die private Nutzung geschützter Medienprodukte hat vor allem auf dem Gebiet des 110 Urheberrechts Kontroversen über den richtigen Weg des Schutzes des geistigen Eigentums ausgelöst. Als Stichpunkte mögen bspw Filesharing, rechtswidrige Vorlage einer
393 394 395
50
BVerfGE 49, 382, 392; BVerfGE 79, 29, 41 f. Dietz GRUR Int 2006, 1. Hegel 103.
396 397
BVerfGE 31, 229, 242; BVerfGE 49, 382, 394; BVerfGE 79, 29, 42. Benkard/Scharen § 11 PatG Rn 2.
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§2
Geistiges Eigentum und Medienprodukte
Privatkopie und technische Schutzmaßnahmen ausreichen.398 Allen Immaterialgüterrechten, die eine private Nutzung erlauben, ist gemeinsam, dass sie sich der Sozialbindung des Eigentums nach Art 14 Abs 2 GG verpflichtet fühlen.399 Mit der Veröffentlichung tritt zB das urheberrechtliche Werk bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit. Es wird geistiges und kulturelles Allgemeingut.400 Für den künstlerischen Schaffensprozess kann das bedeuten, dass Künstler als Urheber Eingriffe in ihre Kunstwerke hinzunehmen haben, sofern keine merklichen wirtschaftlichen Nachteile entstehen.401 Der zulässige Eingriff wird durch die urheberrechtlichen Schrankenregelungen (§§ 44a ff UrhG) bestimmt. In dem Augenblick, in dem eine kommerzielle Verwertung geschützter Medien- 111 produkte durch Medienunternehmen oder private Nutzer angestrebt wird, bleibt die privatrechtliche Verfügungsmacht der Kreativen mit ihren Vermögensrechten bestehen. Denn nunmehr soll der Kreative an der wirtschaftlichen Verwertung seiner geschützten Medienprodukte beteiligt werden. d) Free Culture. Internet-Techniken sind nicht dafür verantwortlich, dass die Kultur 112 zerstört wird.402 Entscheidend ist, wie und mit welchem Ziel die Informations- und Kommunikationstechnologien im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gesamtprozess eingebunden sind. Damit sich die Kreativität frei entfalten kann, sind die gesellschaftlichen Bedingungen zu untersuchen, die diesen Prozess behindern. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass ein freier Markt eine freie Kultur impliziert, wie sich Lessig auszudrücken pflegt.403 Die Ursachen für fehlende Kreativität und Innovation ist nicht am Begriff des freien Marktes – was auch immer das sein mag – festzumachen, sondern an gesellschaftlichen Widersprüchen, die Rechtsprobleme einschließen. Die Stimulierung und Motivation kreativer und innovativer Arbeit sowie deren Anerkennung und Vergütung ist ein Aspekt in der geistigen Produktion. Der andere Aspekt ist der Zugang und die Verbreitung von kulturellen Leistungen. Hierbei spielt das System des geistigen Eigentums eine erhebliche Rolle. Die historisch bedingte Produktionsweise mit ihren politischen, ökonomischen, wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Verhältnissen bestimmt den Inhalt und das Wesen einer freien Kultur, in der zum Ausdruck kommt, ob jedermann die Möglichkeit und Fähigkeit hat Schöpfer zu sein. Der Kreative mit seinen geistigen Arbeitsergebnissen (zB als Musik, Gedicht, Artikel, Rezension, Marke, Geschmacksmuster ua Medienprodukte) erfährt dann eine gesellschaftliche Anerkennung. Der technologische Entwicklungsstand kann die Kreativität und Innovation befördern oder behindern. Das hängt wiederum von den jeweiligen Interessen ab, die sich im Recht widerzuspiegeln vermögen. Wenn die Interessen der Kulturindustrie (zB technische Schutzmaßnahmen) im Urheberrecht im Vordergrund stehen und in rechtlichen Regelungen zum Ausdruck gebracht werden, können damit auch Behinderungen für die Kreativität auftreten. Die Aneignung und Verwertung immaterieller Güter erfolgt nicht nur auf der Ebene des rechtlichen Schutzes. Die freie Kultur erfasst ebenso immaterielle Güter, die keinem rechtlichen Schutz unterliegen. Zum System des geistigen Eigentums als Prozess der Aneignung und Verwertung der Medienprodukte sollte deshalb auch der wirt398
399
Wandtke/Bullinger/Ohst § 95a UrhG Rn 3; Schricker/Götting Vor §§ 95a ff Rn 16; Dreier/Schulze/Dreier § 95a UrhG Rn 2; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer Vor §§ 95a UrhG Rn 8. Pahud 49 ff; Fechner Geistiges Eigentum und Verfassung 239 ff.
400 401 402 403
BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3. BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3. So aber Lessig 176. Lessig 190.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
schaftliche und kulturelle Reproduktionsprozess gerechnet werden, in dem zwar keine Schutzrechte an den Texten, Bildern, Tönen ua Zeichen durch das Immaterialgüterrecht entstehen, aber für die Unternehmen, die Allgemeinheit und jeden einzelnen Nutzer von Bedeutung sind. Das gilt auch zwischen Wettbewerbern.404 Zur freien Kultur gehört natürlich in erster Linie der freie Zugang zu kulturellen Leistungen. Die Informationsfreiheit ist gleichsam die conditio sine qua non eines demokratischen Gemeinwesens. Die vorhandene Information als Bild, Symbol, Zeichen, Kunstwerk, Töne uvm ist der Rohstoff für künftige kulturelle Leistungen. Das öffentliche Interesse besteht an einem freien Zugang zu immateriellen Gütern ohne Beschränkungen durch das Recht. Um das Gleichgewicht zwischen Rechteinhabern und Nutzern wieder herzustellen, könnte ein freier und möglicherweise ein kostenloser Zugriff auf Informationen erfolgen. In diese Richtung zielen sämtliche Open Source-, Open Content- und Open Publishing-Strategien. Dazu gehört auch das Creative Commons-Projekt, wonach der Urheber seine Werke unter Zurückbehaltung einiger Rechte, zB des Namensnennungsrechts oder des Rechts der kommerziellen Verwertung, frei zur Verfügung stellt.405 Diese Prozesse weisen auf die Notwendigkeit hin, die gegenwärtigen Strukturen des Immaterialgüterrechts zu überdenken und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das bedeutet aber nicht, dass generell ein kostenloser Zugang zu den Kulturgütern erfolgen kann. Denn die Informationsfreiheit nach Art 5 GG bedeutet, dass ua der Bürger vor Informationsbeschränkungen und staatlichen Meinungslenkungen geschützt werden soll.406 Die Informationsfreiheit garantiert aber keinen kostenlosen Zugang zu allen gewünschten Informationen. Denn der Zugang zu einer Information ist von den Leistungsentgelten zu unterscheiden. Das Recht auf Privatkopie ist deshalb nicht mit dem Recht auf Werkzugang gleichzusetzen. Das gilt auch für das Bezahlfernsehen als allgemein zugängliche Quelle.407 Die Medienunternehmen sind daran interessiert, dass sie unbeschränkt Medienprodukte verkaufen oder der Öffentlichkeit anbieten können. Damit wird ein grundsätzliches Problem der Rechtsgestaltung des geistigen Eigentums im Zeitalter der Vernetzung und Digitalisierung sowie der Konvergenz der Medien aufgeworfen. Führt die Informations- und Kommunikationstechnologie zu einer Ausdehnung der Schutzrechte an immateriellen Gütern? Die kreativen Prozesse mit ihren unterschiedlichen quantitativen und qualitativen Ergebnissen führen nicht notwendigerweise zu mehr Schutzrechten an immateriellen Gütern. „Free Culture“ kann nicht bedeuten, dass alle in der geistigen Produktion hervor113 gebrachten Medienprodukte per se urheberrechtsschutzfähig sind. Nicht jede Nachricht oder jede E-Mail oder jede Kritzelei unterliegt automatisch dem Urheberrecht.408 Die Information als solche ist zwar nicht schutzfähig, aber dennoch muss das konkrete Medienprodukt immer einer rechtlichen Bewertung zugänglich sein. Für die geistigen Arbeiter ist es von Bedeutung, dass ihr Produkt mit einem Schutzrecht behaftet ist, wenn damit auch für diese Personen die Kreativität gefördert und die wirtschaftliche Beteiligung an der Verwertung ihre Medienprodukte gesichert wird. Andererseits kann die rechtliche Bewertung des Medienprodukts dazu führen, dass aus rechtspolitischen Gründen, zB Sicherung der Befriedigung kultureller Bedürfnisse der Allgemeinheit, dem Krea-
404
52
Die Rechtsprechung wendet die Grundsätze des Verbots von Zugangsbeschränkungen auf die Bedingungen des elektronischen Geschäftsverkehrs modifiziert an, insbesondere auf den Handel über Internetshops (OLG Hamburg MMR 2008, 58).
405 406 407 408
Lessig 276; Mantz GRUR Int 2008, 20; Hofman/Dreier/Nolte 61. BVerfG 27, 71, 80. BT-Drucks 16/1828, 20 f. So aber Lessig 144.
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Geistiges Eigentum und Medienprodukte
tiven keine Schutzrechte gewährt werden. Dieser Aspekt spielt wegen des Wandels in der Produktion, des Austauschs, der Verteilung und der Konsumtion durch die Informationsund Kommunikationstechnologie eine zunehmende Rolle. e) Materiell-rechtliche Voraussetzungen des Schutzes von Medienprodukten. Die ge- 114 werblichen Schutzrechte sind nach einem strengen Regime der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Schutzfähigkeit geregelt. Werden diese materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, liegen zwar Erzeugnisse der geistigen Produktion vor, aber ein Schutz und damit das Entstehen von Schutzrechten entfällt bzw andere Schutzwirkungen können entstehen. Die Erfindung wird zB als Gegenstand des Patents als eine „Lehre“ (Anweisung, 115 Regel) zum technischen Handeln bezeichnet, wobei sie aber ein Immaterialgut darstellt. Als Immaterialgut muss sie gedanklich von körperlichen Mitteilungsträgern wie der schriftlichen Beschreibung und von Sachen (zB eine konstruierte Maschine) unterschieden werden.409 Das Medienprodukt ist dann nicht die konstruierte Maschine, sondern die Erfindung, die schließlich als Patent in der Patenterteilung erfolgt und mit der Veröffentlichung im Patentblatt die gesetzlichen Wirkungen desselben eintreten.410 Sie kann innerhalb der verschiedenen Erfindungsarten gleichsam die Grundlage für die Informations- und Kommunikationstechnologie sein. Sie ist insofern nur zum Teil für medienrechtliche Beziehungen von Bedeutung. Demgegenüber ist die Form (Muster und Modelle) im Geschmacksmusterrecht zentrales Schutzgut als Medienprodukt. Es können neue ästhetische Formgebungen geschützt sein. Anders als die gewerblichen Schutzrechte haben sich die Gerichte beim Urheberrecht 116 bei der Feststellung, ob ein geschütztes Werk als Medienprodukt der Literatur, Kunst und Wissenschaft vorliegt oder nicht, mit dem Begriff der „persönlichen geistigen Schöpfung“ auseinanderzusetzen.411 Abgesehen von den vielen Schwierigkeiten, die dieser Begriff der Rechtsprechung bereitet, sind immer wieder Kriterien herangezogen worden, die die Schutzfähigkeit eines Werkes bejahen. Da das Urheberrecht das Ergebnis der Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsprodukte ohne Form- oder Anmeldevoraussetzungen schützt, bietet sich dieser Gegenstand ideal für die Medienunternehmen an (zB Sender, Filmhersteller, Softwarehersteller, Verlage, Theater, Internetprovider). f) Geringe Schutzschwelle. Wirtschaftlich interessant ist nicht nur das geschützte 117 Werk, selbst wenn es gerade noch die Schutzschwelle der kleinen Münze 412 erreicht hat. Neben der bereits erwähnten Gemeinfreiheit urheberrechtlicher Werke werden vor allem solche Medienprodukte wirtschaftlich verwertet, die nicht die Schutzschwelle des Urheberrechts erreichen. So spielt zB in der Vermarktung der Medienprodukte die Musik eine herausragende Rolle, die für die Werbung oder sonstige Marketingstrategien eingesetzt wird. Das gilt insbesondere für die Vermarktung der Klingeltöne, die für den Handymarkt ein einträgliches Geschäft bedeuten. Die Vermarktung von Klingeltönen kann Verletzungen des Wettbewerbsrechts 413 und des Urheberrechts auslösen. Soweit es das Urheberrecht betrifft, erreichen sie häufig nicht einmal die Schutzschwelle der kleinen Münze.414
409 410 411 412 413
Kraßer 3. Kraßer 546. Wandtke/Bullinger/Wandtke § 2 UrhG Rn 5. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 4 UrhG Rn 5. S BGH GRUR 2006, 775 – Werbung für Klingeltöne; Mankowski GRUR 2007, 1013.
414
Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61; Landfermann 53; Castendyk ZUM 2005, 9 ff; von Einem ZUM 2005, 540 ff; Hertin KUR 2004, 101 ff.
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Das gilt auch für andere Werkkategorien. Liegt aber kein schutzfähiges Werk vor, kann das Produkt zwar vermarktet werden, aber eine Lizenzierung von Rechten an Dritte wäre dann ausgeschlossen. Abstracts können nur mit einer Lizenzierung Dritten gegenüber belastet werden, wenn dieselben eine Eigengestaltung darstellen. Bei abstracts im Bereich der Belletristik ist dies ausgeschlossen, wenn wesentliche Formulierungen der Originalkritik übernommen werden.415 Auf dem Gebiet des Patentrechts hat – im Gegensatz zum Urheberrecht – ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die Schutzhöhe des Gebrauchsmusters als „kleines Patent“ (§ 1 GebrMG) ist dem „großen Patent“(§ 4 S 1 PatG) angeglichen worden.416 Es stellt sich generell die Frage, ob die von der EU angestrebte Senkung der Schutz119 schwelle urheberrechtlicher Werke der richtige Weg ist.417 Da der Herstellungsaufwand für ein Medienprodukt aus urheberrechtlicher Sicht nicht relevant ist,418 ist in den Fällen, in denen die Schutzfähigkeit versagt wird, möglicherweise wegen der Transaktionskosten ein besonderes Leistungsschutzrecht im Sinne eines Investitionsschutzes zu diskutieren, wie dies bereits mit der Umsetzung der Richtlinie über Datenbanken geschehen ist. Danach ist der Investor geschützt.419 Die Aufnahme eines Leistungsschutzrechts als Investitionsschutzrecht sollte aber nicht im Urheberrecht erfolgen, weil es sonst zunehmend von fremden Rechtstatsachen überfrachtet wird. Der Leistungsbegriff sollte auf den Prüfstand, weil Unterschiede hinsichtlich der sachlichen und rechtlichen Qualifizierung des Leistungsbegriffs bestehen.420 Die Frage ist zu beantworten, ob nur die schöpferischen Leistungen zum Eigentumsbegriff im Sinne des geistigen Eigentums nach Art 14 GG gehören oder auch unternehmerische Leistungen.421 Soweit der Gesetzgeber eine Zuordnung im System des Immaterialgüterrechts geregelt hat, sind zumindest beide Leistungsbegriffe erfasst (zB Patent, urheberrechtliches Werk, Marke, Geschmacksmuster, Leistungsschutzrechte der Filmhersteller, Sender). Fraglich ist aber, ob alle anderen Leistungen, die außerhalb des Immaterialgüterrechts liegen, mit dem geistigen Eigentum nach Art 14 GG in Verbindung gebracht werden können. Wenn mit dem Leistungsbegriff im Aneignungsprozess ein wirtschaftlicher Wert verbunden ist,422 wird man dazu neigen können. Denn häufig ist zwischen Innovation und Investition und deren konkreten Erscheinungsformen nicht immer klar zu trennen.
II. Geistiges Eigentum und Information 1. Information und property rights
120
Bei vielen Informationen besteht ein ökonomischer Wert, der es rechtfertigt, property rights für Informationen zu gewähren.423 Die Frage nach den Ausschließlichkeitsrechten an Informationen wird als zentraler 121 Leitgedanke des Informationsrechts betrachtet, wobei die Immaterialgüter-, Persönlichkeitsrechte und der Geheimnisschutz dazu gerechnet werden.424 415 416 417 418 419
54
AA OLG Frankfurt aM NJW 2008, 770, 772; LG Frankfurt aM ZUM 2007, 65, 67. BGH WRP 2006, 1237 – Demonstrationsschrank; krit dazu Pahlow WRP 2007, 739. Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl UrhG Rn 4. OLG Hamburg ZUM 2004, 386 – Handy Logos. Wandtke/Bullinger/Thum Vor §§ 87a ff UrhG Rn 18.
420 421 422 423 424
Hilty/Geiger/Schulze 117 f. Grzeszick ZUM 2007, 344, 353. Grzeszick ZUM 2007, 344, 352. Cornish/Llewelyn Chap 1, Rn 1–10; Hoeren JuS 2002, 947, 948. Hoeren JuS 2002, 948.
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Richtig ist, dass das Immaterialgüterrecht die Magna Charta der Informationsgesell- 122 schaft zu werden beginnt.425 Dies hängt ohne Zweifel mit dem Wandel der kapitalorientierten Produktions- und Reproduktionsverhältnisse zusammen, die die geistige Produktion mehr und mehr in den Fokus der ökonomischen, kulturellen und sozialen Entwicklung rücken. Da aber die Existenz und Produktion von Informationen nur bestimmte Aspekte der 123 geistigen Produktion sind, ist es fraglich, daraus ein Informationsrecht zu installieren.426 Denn das Recht als Ergebnis der geistigen Produktion ist auch die Verkörperung von Informationen. Insoweit wäre das Informationsrecht eine tautologische Konstruktion. Außerdem ist der Begriff Information weit zu fassen. Erst wenn Informationen in der geistigen Produktion verarbeitet bzw kombiniert worden sind, kann die Frage des Schutzes des geistigen Eigentums auftreten. Es gibt verschiedene Informationssysteme in der Natur, in der Technik, in der Umwelt und in der Gesellschaft.427 Sie sind als solche nicht geschützt. „Der Grundsatz der Gemeinfreiheit gilt zunächst für Informationen aller Art.“ 428 Sie sind gleichsam eine condicio sine qua non im Meinungsbildungsprozess und der Rohstoff für Wahrheiten und Lügen. Interessant sind die jeweiligen Anknüpfungspunkte für dieses oder jenes rechtliche 124 Gebilde. Für das Informationsrecht wird zB die Tatsache gewertet, dass das BGB mit dem Fokus auf Sachen und Rechte den Bedürfnissen der Warengesellschaft entspricht und damit veraltet ist.429 Eine Anpassung an die neue Realität ist auch für das Zivilrecht erforderlich. Es ist aber eine verkürzte Darstellung, wenn das BGB nicht auf Vertragsverhältnisse im elektronischen Geschäftsverkehr reagieren kann und deshalb ein Informationsrecht notwendig erscheint.430 Bedeutsam ist für das BGB, wie für alle Gesetze, welche Verhältnisse zu regeln erforderlich sind, um den neuen technischen Herausforderungen gerecht zu werden. 2. Medienprodukte als Träger von Informationen Während ein Teil des BGB die Warenproduktion und den Warenaustausch sowie die 125 Verteilung derselben regelt (zB die Verteilung der körperlichen beweglichen und unbeweglichen Sachen durch Vertrag), fehlt in der Tat ein Hinweis auf die Immaterialgüter als Waren. Diese Waren sind Informationsträger oder selbst eine Information als Ware. Wer aber zB konkret Musik, Texte, Fotos, Filme, Patente, Marken, Geschmacksmuster ua geistige Produkte als Schöpfer oder ganz allgemein als Produzent herstellt, begibt sich damit in die Welt der Waren. Diese Waren verkörpern gleichsam eine Komposition von Informationen, die eines körperlichen oder unkörperlichen Trägers bedürfen. So ist zB unsere Sprache verbunden mit der körperlichen Existenz und die Musik abhängig von einem Instrument (einschließlich des Computers). Die Produkte der geistigen Produktion werden Medienprodukte genannt, weil sie Träger von Informationen und damit von Inhalten unterschiedlicher Couleur sind. Das geistige Eigentum erfasst die Verhältnisse, in denen der Schutz der immateriellen Güter im Vordergrund steht und diese das Ergebnis geistiger Arbeit sind. Musikwerke sind das Ergebnis geistiger Arbeit und zugleich Trans-
425 426 427 428 429
Hoeren JuS 2002, 948. So aber Hoeren JuS 2002, 948; Kloepfer § 1 Rn 67. Lochmann 45. Beater Rn 1198. Hoeren JuS 2002, 948.
430
Hoeren JuS 2002, 948. So gibt es Informationspflichten für den Unternehmer beim Abschluss von Fernabsatzverträgen (§§ 312b ff BGB), die den Verbraucher stärken sollen.
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porteure von Informationen. Sie werden in Verkehr gebracht und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dazu gehören auch die virtuellen Gegenstände zB in „Second Life“.431 Sie zielen auf Kommunikation. Im Gegensatz dazu werden Informationen als personenbezogene Daten geschützt, die aber selbst nicht das Ergebnis der geistigen Arbeit sind,432 aber ein Wirtschaftsgut werden können.433 Denn jedes Marktverhalten beruht auf der Verarbeitung personenbezogener Daten.434 Der Schutz personenbezogener Daten kann aber nicht bedeuten, dass Rechte Dritter weniger schützenswert sind als personenbezogene Daten. Der Vorschlag ist völlig berechtigt, dass der Urheber einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch – wie ihn Art 8 der Durchsetzungs-Richtlinie vorsieht – gegen Provider haben sollte, wenn Rechtverletzungen auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts vorliegen. Denn nur der Provider weiß, welcher Nutzer sich hinter der IP-Adresse verbirgt.435 Wie wichtig die Einbindung der Provider als mittelbare Profiteure von Rechtsverletzungen zulasten der Musik-, Film-, Softwareunternehmen und der Verlage gerechtfertigt ist, zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 2007. So wird das Internet zum überwiegenden Teil für Filesharing genutzt, in Spitzenzeiten bis zu 95 %.436 Bei Medienprodukten kann ein Anspruch auf Informationszugang dann ausgeschlossen 126 sein, wenn Rechte aus dem geistigen Eigentum betroffen sind. So regelt das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vom 5.9.2005 den Anspruch gegen die Behörde des Bundes auf Zugang von amtlichen Informationen.437 Der Anspruch auf Informationszugang gem § 6 S 1 IFG kann den Urheberpersönlichkeitsrechten, insbesondere dem Veröffentlichungsrecht, und den Verwertungsrechten des Urhebers entgegenstehen.438 Die Schwierigkeiten einer dogmatischen Einordnung der Informationen als solche sind 127 auch dem Medienrecht nicht neu. Ein eigenständiges Gepräge zu geben, hängt aber nicht mit der dogmatischen Einordnung zusammen, sondern mit dem Gegenstand, der zu regeln notwendig erscheint. Es spricht mehr dafür, ein Recht der Medien zu konkretisieren, in dem ein mögliches Informationsgesetz Bestandteil desselben ist. Wenn der konventionelle rechtssystematische Ansatz nicht länger aufrechterhalten werden kann, die Rechtsgebiete mit Gesetzen gleichzusetzen oder vom Privat- oder öffentlichen Recht abhängig zu machen, spricht mehr dafür, Regelungen, die den Zugang, die Verarbeitung und Verbreitung von Informationen zum Inhalt haben, im Recht der Medien aufzunehmen. Die Abgrenzung zwischen Informationsrecht und Recht der Medien ist insoweit schwierig, wenn beiden Rechtsgebieten ähnliche Regelungskomplexe zugeordnet werden.439 Im Grunde ist alles Information, unabhängig davon, wie die Zeichen, Daten und Inhalte rechtlich bewertet werden. Recht ist – wie Kapital und Arbeit – Produktionsfaktor und trägt zum volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen bei.440 Mit der fort431 432
433 434 435
56
Geis, I/Geis, E CR 2007, 722. Nach § 3 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person. Giesen JZ 2007, 919. Giesen JZ 2007, 919. Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 16. Der EuGH hat die Frage eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs gegen den Internetprovider den Mitgliedstaaten überlassen. Eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens durch den Internetprovider existiert nicht im Gemeinschaftsrecht.
436
437
438 439 440
Siehe EuGH GRUR 2008, 241, 244 – Promusicae/Telefonica. S Ipoque Internetstudie 2007, abrufbar unter www.ipoque.com/media/internet_ studies/internet_study_2007. BGBl I S 2722. Nach § 2 IFG sind amtliche Informationen jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen, unabhängig von Speicherung, Entwürfen und Notizen. VG Braunschweig ZUM 2008, 254, 256. So aber Kloepfer § 1 Rn 68 und 70. Schwintowski 171; Schwintowski Methodenlehre 40. Nach ihm sind Regeln vorzuziehen, die mehr nützen als kosten.
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Geistiges Eigentum und Medienprodukte
schreitenden technologischen Entwicklung ist eine Einteilung zwischen Privat- und öffentlichem Recht nicht hilfreich.441 Für ein Recht der Medien oder Medienrecht spricht die Tatsache, dass die geistige Produktion am Ende des 20. Jahrhunderts ein neues Zeitalter der Warenwelt eingeläutet hat. Die technologische Revolution ist unumkehrbar und prägt in der einen und anderen Art die Informations- und Kommunikationsprozesse in der kapitalorientierten Produktionsweise. Das betrifft Aufgaben des Staates ebenso wie das Recht als Gestaltungs- und Konfliktlösungsinstrument. Medienprodukte sind gewissermaßen das Ergebnis dieser Produktionsweise, was wiederum Einfluss auf Rechtsverhältnisse hat und umgekehrt. Mit der Verbesserung der Aufnahme- und Wiedergabetechnik oder der Speichermethoden (analog oder digital) der Übertragungsformen und -wege (terristisch, Kabel, Satellit, Internet) oder der Benutzermöglichkeiten (zB interaktive Nutzung, on demand) oder der Multifunktionalität (zB Mobiltelefon, Laptop, Blackberry) werden nicht nur neue Strukturen in der Arbeitswelt 442 geschaffen, sondern die Produktivkräfte agieren global, dh alle Stufen der Werkschöpfungskette sind globaler geworden.443 In diese Wertschöpfungskette gehören auch die Werbemaßnahmen der Unternehmen. Die jeweilige Werbung für eine Ware ist gleichsam ein Medienprodukt (zB Product Placement im Rundfunk und im Internet). Die Werbefreiheit in Deutschland und Europa wirft neue grundrechtliche Fragen der Meinungsfreiheit auf .444 Das Wettbewerbsrecht hat insgesamt auf den traditionellen und virtuellen Märkten Tendenzen der Konzentration und Zentralisation von Medienunternehmen sowie der einseitigen Meinungsmacht entgegenzuwirken.
III. Innovation oder Investition als Schutzvoraussetzung von Medienprodukten 1. Ökonomische Analyse des Rechts der Medien Die Beziehung zwischen Innovation und Investition kann nicht nur bei den immate- 128 riellen Gütern auf das Immaterialgüterrecht reduziert werden, obwohl es das wesentliche Rechtsgebiet erfasst.445 Notwendig ist eine Sichtweise, die die geistige Produktion oder – wie Bourdieu formuliert – kulturelle Produktion 446 insgesamt erfasst, in der sowohl geschützte als auch nicht geschützte Leistungen, die in Medienprodukte einfließen, der Vermarktung unterliegen. Selbst wenn die ökonomischen Ziele des Immaterialgüterrechts evident sind, ist der kulturelle Gesamtprozess im Kreislauf von innovativem Handeln und Produktions- und Reproduktionsprozess nicht aus dem Auge zu verlieren. In diese Richtung erfolgt seit Jahren eine Forschung auf dem Gebiet der „intellectual property rights“ durch SERCI.447 Die neue Institutionenökonomik kann nicht auf eine KostenNutzen-Analyse reduziert werden.448 Es handelt sich um eine Gerechtigkeitstheorie,449 was immer man darunter versteht.450 Was fehlt, ist ein gesellschaftliches Gesamtkonzept
441
442 443 444 445 446
Soweit es Rechtsvorschriften gibt, die eine unterschiedliche Zuständigkeit, zB der Zivilund Verwaltungsgerichte vorschreiben, mag die Einteilung noch eine Berechtigung haben. BT-Drucks 13/11004, 49 ff. BT-Drucks 13/11004, 44. Fassbender GRUR Int 2006, 965 ff. AA Kirchner GRUR 2004, 603. Bourdieu 9.
447 448
449 450
Society for Economic Research on Copyright Issues, www.serci.org. Schäfer/Ott 10; zu Recht die kritische Analyse der ÖAR, Assmann/Kirchner/Schanze/ Kirchner 62; Hoeren/Stallberg 136; Schwintowski 155; Assmann/Kirchner/Schanze/ Kirchner 65. Seelmann 184. Klenner Juristenaufklärung über Gerechtigkeit 35, 58.
Artur-Axel Wandtke
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
der dialektischen Zusammenhänge zwischen den Wandlungsprozessen in der technologischen Entwicklung und den rechtlichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Auswirkungen im Verhalten der Menschen. Denkbar ist, dass das Recht ökonomische Prozesse effektiv steuert, aber kulturelle Auswirkungen hat, die das bisher bekannte Verhalten in den Schatten stellt. Es können technische Schutzmaßnahmen (DRM) für das Unternehmen beim Angebot von Medienprodukten ökonomisch effektiv sein, weil über das Internet die Verluste in der analogen Welt kompensiert werden, indem die Nutzer ein Entgelt für die privaten Kopien zahlen müssen. Die Teilhabe des Nutzers an den immateriellen Kulturgütern könnte aber dadurch eingeschränkt werden. Umgekehrt kann eine rechtliche Regelung wiederum zu Verlusten der Medienunternehmen führen. Universal hat von dem DRM-System Abstand genommen, weil die Verluste zu groß waren. Der Wettbewerb auf dem Musikmarkt in den USA hat dazu geführt, dass Apple als unangefochtener Marktführer bei legalen Musik-Downloads mit einem Anteil von 70 % den Preis für kopierschutzfreie Musik gesenkt hat.451 Ebenso ist der Innovationsschutz, der sich im Immaterialgüterrecht widerspiegelt, 129 nicht nur ökonomisch ausgerichtet, sondern der Persönlichkeitsschutz – mittelbar über die geistigen Leistungen – gehört ebenso dazu, wenngleich dies zwischen den gewerblichen Schutzrechten und dem Urheberrecht unterschiedlich ausgewiesen wird. Der institutionenökonomische Ansatz hat die Auswirkungen auf den Schutz des Innovators und die Wettbewerber zu berücksichtigen.452 Dabei spielt die Lehre von den Verfügungsrechten (property rights) eine zentrale Rolle.453 Will man einen Schutz der Medienprodukte, der zugleich Ansporn für innovatives Verhalten bedeutet, dann muss notwendigerweise ein Unterschied gemacht werden zwischen den geistigen Leistungen und den Arbeitsergebnissen, die über ein Schutzniveau verfügen, dessen Höhe einen rechtlichen Schutz notwendig und möglich macht und den Leistungen, die nicht geschützt werden können, aber wegen einer bestimmten Investition schützenswert sind. Schließlich werden Leistungen in Medienprodukten festzustellen sein, die weder einen immaterialgüterrechtlichen Schutz noch einen Investitionsschutz rechtfertigen. Diese Leistungen müssten dann für jedermann frei sein. Hier wird das Recht in bestimmten Fällen überfordert. Bestimmte Zeichen oder Geräusche der Natur können nicht monopolisiert werden, es sei denn, dass sie bearbeitet werden und zB für das Kennzeichen- oder Wettbewerbsrecht relevant sind. Mit der Entscheidung des EGMR über die Eigentumsfähigkeit des Nutzungsrechts (vertragliche Forderungen) an Internetdomains wird die Rechtsprechung des BGH 454 und des BVerfG 455 bestätigt.456 Der Kreis der property rights hat sich damit erweitert. 2. Schutzkonzeption
130
Historisch gesehen hat es immer schon die Tendenz in der Entwicklung des Immaterialgüterrechts gegeben, den Schutzumfang und die Schutzfähigkeit zu erweitern. So ist ein Ausbau von Schutzrechten mit einer eigentumsähnlichen Zuweisung festzustellen.457 Einige Probleme weisen auf Widersprüche hin, wenn es um den Schutzbedarf, das Schutzkonzept und die Schutzwirkung geht.458 Will man kreatives Verhalten fördern und steuern, könnten absolute Rechte für den Kreativen die Folge sein. Kommt man zu dem Ergebnis, dass ein neuer Innovationsmarkt durch die Digitalisierung und das Internet 451 452 453 454
58
S www.heise.de/newsticker/meldung/ 97497. Kirchner GRUR Int 2004, 606. Peifer 21. BGH NJW 2005, 3353.
455 456 457 458
BVerfG ZUM-RD 2005, 121. EGMR MMR 2008, 30. Hilty GRUR Int 2004, 607. Leistner/Hansen GRUR 2008, 479, 487.
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§2
Geistiges Eigentum und Medienprodukte
entstanden ist und damit neue Produktionsformen, die eine Kontrolle der Rechteverwertung ausschließen, könnte nicht nur die Sicherung einer angemessenen Vergütung als Ansporn für kreatives Verhalten im Vordergrund stehen. So wichtig die monetären Gründe für die Motivation eines Kreativen sind, müssen noch andere Aspekte für die Motivation innovativen Verhaltens berücksichtigt werden (zB gesellschaftliche Reputation, Idealismus, Ruhm). Die Diskussion über eine moderne Schutzkonzeption von geistigen Leistungen der 131 Kreativen hängt mit der wirtschaftlichen Ausrichtung des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts zusammen.459 Es gibt Auffassungen im Schrifttum, die für eine möglichst einheitliche und niedrige Schutzschwelle und damit für die Beibehaltung der sog „kleinen Münze“ plädieren.460 Gegen diese Auffassung wird das Argument ins Feld geführt, dass die Hersteller gewerblicher Produkte zwar geringe Transaktionskosten haben und derartige Leistungen formfrei seien. Ob aber das Urheberrecht das zweckmäßige Schutzrecht ist, wird bezweifelt.461 Die rigorose Abschaffung der „kleinen Münze“ ist auch nicht der richtige Weg, aber eine Zurückdrängung derselben wäre möglich.462 Es geht ja nicht darum, ob das Alltägliche, Banale und Gewöhnliche urheberrechtlich geschützt werden kann, sondern die Schwierigkeit besteht in der Bestimmung der Individualität, die in einem Medienprodukt zum Ausdruck kommen kann. Natürlich soll das Urheberrecht nicht das schützen, was kulturell bedeutungslos ist.463 Aber was ist kulturell bedeutungsvoll? Wird damit nicht eine subjektive Wertung eingeführt, die rechtlich auch nicht weiter führt? „Kulturell wertvoll, gut und schön zu sein, sind keine realen Eigenschaften bestimmter Gegenstände, sondern nur subjektiv beigemessene Prädikate auf Grund eines positiven Gefühlsverhältnisses des Wertenden zum Wertungsgegenstand.“ 464 Der Rechtsprechung wird es letztlich überlassen bleiben müssen, ob das geistige Gebilde dem Urheberrechtschutz zugänglich ist oder nicht. Jedenfalls hat die Rechtsprechung den Grundsatz aufgestellt, dass das Alltägliche, Banale, das rein Handwerkliche oder die routinemäßige Leistung nicht urheberrechtlich geschützt sein kann.465 Dort, wo die Leistung nicht den Stempel der Individualität in Gestalt einer originellen Formgebung aufweist, wird der urheberrechtliche Schutz zu versagen sein. Davon völlig unabhängig 466 kann ein geschmacksmusterrechtlicher 467 oder wettbewerbsrechtlicher 468 Schutz greifen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen. Was ist aber, wenn weder das Wettbewerbsrecht noch das Urheberrecht oder andere Immaterialgüterrechte anwendbar sind? Eine moderne Schutzkonzeption müsste weitere unternehmerische Schutzrechte einschließen. Sie könnten im allgemeinen Deliktsrecht angesiedelt sein.469 Denn das Recht am Unternehmen ist zB ein sonstiges Recht nach § 823 Abs 1 BGB und soll die bestehende Lücke zum gewerblichen Rechtsschutz schließen.470 Das Veranstalterrecht
459 460 461 462 463 464 465
466
Leistner/Hansen GRUR 2008, 479 ff. Schricker/Schricker Einl Rn 30. Schack Rn 264; Rehbinder Rn 61; Knöbl 308 ff. Peifer UFITA 2007/II, 354; Knöbl 308 ff; Schack Rn 265; Rehbinder Rn 61. Schack Rn 265; Rassow 28. Rehbinder Rn 55. BGH GRUR 1987, 704, 706 – Warenzeichenlexika; BGH GRUR 1993, 34, 36 – Bedienungsanweisung; LG Berlin ZUM-RD 2006, 573, 574 – Webseite. Die Stufentheorie im Verhältnis von Ur-
467 468 469 470
heberrecht und Geschmacksmusterrecht bei Werken der angewandten Kunst wird abgelehnt. Die Auffassung über die unterschiedliche Gestaltungshöhe zwischen Werken der bildenden und angewandten Kunst ist ebenfalls nicht überzeugend (aA BVerfG ZUM 2005, 387; Schack Kunst und Recht Rn 806). Siehe Teil 2 Kap 11. Siehe Teil 3 Kap 1. Beater Rn 1403. BGH NJW 2006, 830, 840; Palandt/Sprau § 823 BGB Rn 126.
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Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
bzw das Fernsehvermarktungsrecht wird teilweise mit dem Hausrecht begründet.471 Der Anknüpfungspunkt für ein unternehmerisches Schutzrecht kann insofern sehr verschieden sein, wobei ein Leistungsschutzrecht ebenso möglich wäre. 3. Leistungsschutzrechte
132
Die unternehmerischen Schutzrechte erfassen gleichsam verschiedene Leistungen der Medienunternehmen. Es wäre zB ein besonderes Leistungsschutzrecht – im Gegensatz zum Hausrecht – für den Sportveranstalter denkbar, der nicht nur den Zutritt für die Zuschauer und für die Presse- und Fernseh- und Hörfunkteams ermöglicht, sondern eine Vielfalt von Leistungen erbringt, die mit dem Hausrecht nicht mehr erfasst werden können.472 Die Leistung selbst kann quantitativ und qualitativ sehr verschieden sein. Wenn eine banale oder alltägliche Leistung weder urheberrechtlichen noch geschmacksmusterund wettbewerbsrechtlichen Schutz genießt, aber eine Investition für das Unternehmen bedeutet, wäre ein besonderes Leistungsschutzrecht unter bestimmten Bedingungen denkbar.473 Von dem Grundsatz, dass der Urheberrechtsschutz dem Grunde nach ein Schutz der kreativen Leistung und kein Investitionsschutz ist,474 wurde leider im Laufe der Entwicklung des Urheberrechts Abstand genommen. Urheberrecht wird mehr und mehr ein Industrierecht, weil stärker die Verwerterinteressen berücksichtigt werden und die kreativen Leistungen in der kapitalorientierten Produktionsweise Gewinn für die Medienunternehmen versprechen. Die Anerkennung selbstständiger Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller und der Sendeunternehmen hat diese Tendenz verstärkt.475 Rechtlich interessant sind die Folgen eines Leistungsschutzrechtes. Ein besonderes Leistungsschutzrecht für den Datenbankhersteller wurde installiert, das vom Investitionsschutz geprägt ist.476 Wo keine schöpferischen Leistungen iSd Urheberrechts vorliegen, aber Investitionen iSv § 87b UrhG darstellen, wurde ein eigenes Leistungsschutzrecht für die Unternehmer entwickelt. Mit dem Schutzrecht wird dem Unternehmer eine besondere Verwertungsmöglichkeit in die Hand gegeben. Es hätte sich ein besonderes Leistungsschutzrecht der Unternehmen außerhalb des Urheberrechts angeboten, deren organisatorischen und finanziellen Aufwendungen sowie Kosten für das Personal gebührend rechtlich zu berücksichtigen wären.477 Das gilt auch für die fragwürdige Aufnahme der Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller und der Sendeunternehmen in den Kreis der „verwandten Schutzrechte“.478 Dazu wäre der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz besser in der Lage gewesen. Inwieweit ein Leistungsschutzrecht für Verleger 479 in der Zukunft geregelt werden kann, bleibt abzuwarten. Vieles spricht dafür. Deren Investitionen zur Verwertung von Sprachwerken und die wirtschaftlich-organisatorischen
471
472 473 474 475 476
60
BGH NJW 2006, 377, 379 – Hörfunkrechte; BGHZ 110, 371, 383 – Sportübertragungen; Fritzweiler/Pfister/Summerer/ Summerer 355; Buchroither/Albiez/Miceli K&R 2008, 212; aA Beater Rn 1404. Buchroithner/Albiez/Miceli K&R 2008, 212. Krit dazu: Hilty/Geiger/Kur 202 f. BGH ZUM 1986, 39 – Inkassoprogramm. Wadle Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen 24. BGH WRP 2007, 88, 89 – Bodenrichtwertsammlung; EuGH, CR 2005, 412 –
477 478 479
Fixtures – Fußballspielpläne II; EuGH GRUR 2005, 252 – Fixtures-Fußballspielpläne I; EuGH CR 2005, 10 – BHB-Pferdewetten; BGH CR 2005, 849 – Hitbilanz. Junghans/Levy/Levy 137 f. Wadle Urheberrecht zwischen Gestern und Morgen 24. Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl UrhG Rn 11; Siegrist/Berger/Glas 165; aA Schack Rn 1008, er plädiert nicht für ein eigenes Leistungsschutzrecht, sondern für einen wettbewerbsrechtlichen Schutz der Verleger.
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Leistungen sind vergleichbar mit anderen Leistungsschutzrechten im Urheberrecht (zB Filmhersteller, Fernsehen, Hörfunk). Soweit es auch die Frage der Beteiligung der Verleger an der gesetzlichen Vergütung betrifft, müsste die Rechtsnatur der Rechte der Verleger geklärt werden.480 Der Beteiligungsanspruch der Verleger könnte sich originär aus ihren Leistungsschutzrechten oder aus der Rechtseinräumung der Verlagsrechte (derivativ) ergeben. Im Grunde geht es darum, ob das Unternehmen einen Ausgleich für Innovation und Investition erhält. In eine ähnliche Richtung geht die Auseinandersetzung um den Werkbegriff im Urheberrecht.481 Kann ein Unternehmen Vermögensrechte geltend machen, wenn eine geistige Leistung nicht die Schutzschwelle im Urheberrecht erreicht, aber in den Kreislauf der Investition und Vermarktung gerät? Wann beginnt der Schutz und wann ist er ausgeschlossen? Die Schutzschwelle im Urheberrecht durch die Gerichte abzusenken, wäre ein kultureller Irrweg und ein zu großer Spielraum für Banalitäten von Medienprodukten. Eine Einschränkung des Wettbewerbs wäre möglicherweise die Folge. Es wäre auch zu hinterfragen, ob die nicht urheberrechtlich geschützten Medienprodukte zum Vermögen gehören und damit zum Eigentum nach Art 14 Abs 1 GG. Gehören zB Kunstwerke, die nicht die Schutzschwelle des § 2 Abs 2 UrhG erreichen, zum Vermögen des Schöpfers bzw des Unternehmens? Ist nicht mit einem Herauswachsen von Schutzgegenständen aus dem Immaterialgüterrecht der Bereich des geistigen Eigentums zu erweitern? Dies ist eine Frage, die nicht nur das nationale Recht betrifft. Es wird verstärkt die Frage aufgeworfen, wie die geistigen Leistungen rechtlich zu schützen sind, die das Kulturgut von Volksgruppen oder das sog „traditionelle Wissen“ darstellen und Vermarktungsstrategien unterliegen. So spielen die unterschiedlichen Ausdrucksformen in der Folklore eine bedeutende Rolle, die zum geistigen Gemeineigentum gehören sollen.482 Soweit kein urheberrechtlicher (zB Bearbeitung), wettbewerbsrechtlicher oder markenrechtlicher Schutz in Frage kommt, wird ein Rechtsschutz sui generis vorgeschlagen, wobei das Deliktsrecht 483 oder ein Verfügungsrecht der Gruppe favorisiert wird.484 4. Know-how-Schutz Auch andere Erscheinungen der Warenwelt der Medienprodukte werfen Fragen des 133 Schutzes auf. Es ist schwierig, den Schutz von Know-how rechtlich einzuordnen.485 Der Know-how-Schutz erfasst ohne Beschränkung von Gestalt und Umfang Kenntnisse, Erfahrungen und Informationen aller Art.486 Auch hier haben wir es mit einem Herauswachsen von Schutzgegenständen aus dem Kanon der gewerblichen Schutzrechte zu tun. Ob ein Know-how-Schutz zum gewerblichen Rechtsschutz gehört, mag dahinstehen. Jedenfalls hat der Know-how-Inhaber ein faktisches Monopol, wobei er bei zufällig inhaltsgleichen Information diese nur sperren kann, wenn schutzrechtsgeeignete erfinderische, ästhetische, kennzeichnungsrelevante oder pflanzengenetische Informationen vorliegen.487 Der Know-how-Vertrag spielt jedenfalls in der Praxis eine bedeutende Rolle.488 480
481 482
Hanewinkel GRUR 2007, 379. Mit der seit dem 1.1.2008 umgesetzten Reform des Urheberrechts ist § 63a UrhG geändert worden, um die Verleger an der Ausschüttung der gesetzlichen Vergütung in der VG-Wort zu beteiligen. Ein Leistungsschutzrecht hat der Gesetzgeber aber nicht geregelt (BT-Drucks 16/1828, 32). S auch Teil 2 Kap 1. Buscher/Stoll/Stoll TRIPs Einl Rn 37; Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/
483 484 485 486 487 488
Lehmann/Fikentscher 3 ff; Siegrist/Dreier 189 – Dreier schlägt eine kollektive Rechtsträgerschaft vor. Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/ Lehmann/Fikentscher 5. Buscher/Stoll/Stoll TRIPs Einl Rn 37. Ann GRUR 2007, 39 ff. Westermann 2. Westermann 3. Bartenbach/Gennen Rn 2530 ff; Westermann 80.
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Es könnte auch ein Schutzrecht sui generis sein.489 Im US-amerikanischen Recht des geistigen Eigentums wird neben dem Urheberrecht, dem Patentrecht und dem Markenrecht auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen (trade secret law) geregelt.490 Entscheidend ist die Frage, ob es ein rechtliches Instrumentarium gibt, das den Schutz von Informationen einschließt. Da der Know-how-Schutz nur gegen die unlautere Offenbarung von Informationen besteht, die den Geheimnisschutz betreffen, erlischt der Schutz von Informationen, wenn die Information in lauterer Weise bekannt gemacht wurde. Der Schutzgegenstand wird auch von Art 39 TRIPs geregelt, wobei von wirtschaftlich wertvollen Informationen ausgegangen wird.491 Der Know-how-Schutz wird zu Recht vom System der „property rights“ erfasst 492 und ist insofern sehr wohl dem geistigen Eigentum zuzurechnen und nach Art 14 Abs 1 GG zu schützen.493 Neben dem wettbewerbsrechtlichen Schutz 494 und § 823 Abs 2 iVm dem UWG sowie § 823 Abs 1 BGB (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) werden know-how-geschützte Informationen als „sonstiges“ von § 823 Abs 1 BGB geschütztes Recht erfasst.495 Ein Verlag könnte gegen denjenigen vorgehen, der Testseiten in Kurzform zusammenfasst, die zB Testergebnisse von Software als Computerspiele und Hardware wiedergeben. Eine derartige Kurzform der Testergebnisse, die möglicherweise nicht urheberrechtlich geschützt sind, würde eine unlautere Leistungsübernahme bedeuten. Ist dieses Recht des Unternehmens ein absolutes oder relatives Recht? Gegen ein absolutes Recht spricht das Wesen des Know-how-Schutzes, weil nicht der schöpferische Schutzgegenstand mit seinem Zuweisungsgehalt und seiner Ausschlusswirkung entscheidend ist 496 – wie bei den gewerblichen Schutzrechten und dem Urheberrecht –, sondern die Information als solche ist für das Unternehmen wirtschaftlich wertvoll. Art 39 TRIPs wurde als relatives Schutzrecht ausgestaltet, wonach der Nachweis der Unlauterkeit des Verletzerverhaltens für nicht offenbarte Informationen dem Verwertungsverbot 497 zu Grunde liegt. Als Vermögensrecht des Unternehmens 498 ist der Know-how-Schutz eine weitere Möglichkeit, Informationen zu verwerten und daraus property rights abzuleiten. Aber nicht in jedem Fall sind geschäftliche und technische Informationen ein Vermögenswert.499 Generell wird man davon ausgehen können, dass dann, wenn das Unternehmen vorgefundene Informationen, kulturelle Leistungen, gemeinfreie Werke ua Formgebungen in Medienprodukten einfließen lässt, ein Schutz sui generis möglich sein sollte. Ein Mindestmaß an Leistung des Unternehmens müsste vorliegen. Eine schlichte Adressenliste, die jederzeit ohne großen Aufwand erstellt wird, kann nicht vom Know-how-Schutz erfasst werden.500 Dieses Leistungsschutzrecht wäre ein Investitionsschutzrecht,501 welches das System des geistigen Eigentums erweitern würde. Zum Schutz der Computersoftware und der Datenbanken wäre ein derartiges Leistungsschutzrecht besser gewesen als die Aufnahme derselben in das Urheberrecht.502 Die Forderung nach Ausdehnung der Leistungsschutzrechte könnte dort berechtigt sein, wo ein ausreichender Schutz durch das Wettbewerbsrecht fehlt.503 489 490 491 492 493
494 495
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Cornish/Llewelyn Chap 1 Rn 1–10. Schmolke GRUR Int 2007, 34. Busche/Stoll/Peter TRIPs Rn 8; Schmolke 41. Busche/Stoll/Peter TRIPs Art 39 Rn 3; Schäfer/Ott 98. Ann GRUR 2007, 42; aA Schäfer/Ott 100 – sie lehnen den Begriff Eigentum für die property rights ab. Harte-Bavedamm/Henning-Bodewig § 17 UWG Rn 44; Grunewald WRP 2007, 1309. Westermann 116.
496 497 498 499 500 501 502 503
Ann GRUR 2007, 43 mwN. Busche/Stoll/Peter TRIPs Art 9 Rn 9. Grunewald WRP 2007, 1307. Westermann GRUR 2007, 116, 117. BGH GRUR 2006, 1044 – Kundendatenprogramm. Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein/Hilty 666. Peifer UFITA 2007/II, 354. Schack Rn 59.
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IV. Recht der Medien 1. Prozessbezogene Verhaltenssteuerung Die zunehmende Bedeutung des Rechts der Medien hängt mit den modernen Massen- 134 medien zusammen 504 und mit deren zunehmender wirtschaftlichen Bedeutung in einer kapitalorientierten Produktionsweise im 21. Jahrhundert. Die modernen Medien verschärfen den Konflikt zwischen den sich neu herausgebildeten Produktivkräften und die in den Rechtsverhältnissen zum Ausdruck gebrachte Kulturstufe der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse. Mit den Informations- und Kommunikationstechnologien wird nicht nur das Wesen 135 der Produktionsweise in Frage gestellt, sondern alle gesellschaftlichen Lebensverhältnisse werden durch die technologische Revolution umgewälzt. Das Recht der Medien oder Medienrecht ist zwar in aller Munde, aber die entschei- 136 dende Frage, ob es sich um ein Rechtsgebiet handelt, das inhaltliche Maßstäbe und Zielsetzungen hat, wird nur teilweise beantwortet.505 Welches sind aber die sachlichen Zusammenhänge, die dem Recht der Medien das Gepräge geben? Hat es Maßstäbe und Funktionen, die auf einen einheitlichen Regelungskomplex hinweisen, gleichsam den roten Faden des Medienrechts zum Ausdruck bringen? 506 Die rechtstheoretischen und -systematischen Ansätze sind sehr verschieden. Ein gemeinsamer Bezugspunkt der rechtlichen Ordnung der Medien wird im Phänomen der Massenkommunikation gesehen, in der die Öffentlichkeit und ein anonymes Publikum angesprochen werden.507 Da aber die Massenkommunikation nicht mehr nur durch die klassischen Medien (Presse 508 und Rundfunk 509) bestimmt werden, mag dies nicht überzeugen. Durch die Konvergenz der technischen Medienträger (Mobiltelefon, Computer etc), die in einem Gerät mehrere Medien multifunktionell einsetzen können, ist die Massenkommunikation nicht mehr auf die klassischen Massenmedien (zB Rundfunk, Presse, Film) zu reduzieren. Der Nutzer kann zB mit einem Mobiltelefon Musik hören, Filme herunterladen, fotografieren uvm. Entscheidend ist aber, dass der Nutzer interaktiv die Programme, die er für bedeutsam hält, selbst bestimmen kann. Der Nutzer kann Zuhörer, Zuschauer, Spieler und Produzent in einem Prozess sein. Die klassischen Medien bekommen das mit dem Internet zu spüren. Jeder kann jeden manipulieren. Die Grenzen zwischen der Individual- und Massenkommunikation werden immer durchlässiger. Das Internet ist ein individuelles Kommunikationsmittel und ein Massenkommunikationsmittel. Der Empfänger, Rezipient oder Adressat entscheidet zunehmend über den Inhalt. Er ist nicht in der passiven Situation, sondern aktiv im Kommunikationsprozess. Die Verletzung des Rechts im Internet durch entsprechende Software ist darin eingeschlossen. Mit der Recording-Software – ähnlich wie die vormals vielgenutzte Peer-to-Peer-Fileshering-Software – kann zB Musik aus Internetradios aufgenommen werden.510 Durch das Internet ist diese Form der Massenkommunikation aller mit allen erst möglich geworden. Unabhängig davon, ob eine Massen- oder Individualkommunikation vorliegt, ist der prägende Grundgedanke eines möglichen Rechts der Medien als eigenständiges Rechtsgebiet das Verhalten der Unter-
504 505 506 507
AA Beater Rn 8; Petersen § 1 Rn 1. Beater JZ 2005, 822; Fechner Medienrecht Rn 40. Beater JZ 2005, 826. Beater Rn 898; er schließt die Individualkommunikation als Gegenstand des
508 509 510
Medienrechts aus; Paschke ZUM 1990, 209, 212; Funke 148; aA Petersen § 1 Rn 16. S Teil 4 Kap 2. S Teil 4 Kap 1. Von Zimmermann MMR 2007, 558.
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nehmer untereinander und zwischen Unternehmen und Nutzern in Bezug auf Medienprodukte, die produziert, verteilt, ausgetauscht und konsumiert werden. Aufgabe der Unternehmen ist es in erster Linie zur Meinungsbildung beizutragen und 137 nach Regeln zu handeln, die das Wettbewerbsrecht 511 und andere Rechtsgebiete vorschreiben.512 Insofern kann das Recht der Medien auch als Unternehmensrecht bezeichnet werden, das aber weiter gefasst werden sollte als das Recht der Unternehmen im Bereich der Presse, des Rundfunks und der Telemedien.513 Das Hauptgeschäft der Unternehmen ist es, Informationen zu erlangen, zu verarbeiten und als Medienprodukt zu veröffentlichen, zu verbreiten bzw zu vermarkten. Die Informationen bilden gewissermaßen den Rohstoff für das Produkt, zB für die Zeitung oder für ein Rundfunkprogramm.514 Von zentraler Bedeutung sind dabei die sog Kommunikationsgrundrechte und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Betroffenen können sich gegen staatliche Eingriffe wehren.515 Dabei handelt es sich insbesondere um den Schutz personenbezogener Daten, die im Focus der Online-Untersuchungen stehen. Es sind in erster Linie Normen, die nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der verschieden Rechtsgüter wahren.516 Im Interesse des Datenschutzes ist auch die Löschung von Telekommunikations-Verkehrsdaten nach Ende der Verbindung vorzunehmen.517 2. Rechtlicher Schutz der Medienprodukte
138
Da die Medienprodukte unterschiedliche Erscheinungsformen der geistigen Produktion aufweisen (zB Produkte der Wissenschafts-, Literatur- und Kunstproduktion sowie Datenproduktion), sind auch unterschiedliche rechtliche Zuordnungen und Bewertungen der Medienprodukte erforderlich. Es muss ein Unterschied gemacht werden, ob die Information einen rechtlichen Schutz genießt oder nicht. Zunächst wird man davon ausgehen können, dass die Information als Zeichen keinen rechtlichen Schutz genießt, sondern gemeinfrei ist.518 Umgekehrt findet in der geistigen Produktion ein Prozess des Produzierens von Informationen statt, der einen rechtlichen Schutz erforderlich macht. Sie werfen neue Fragen des Systems des geistigen Eigentums auf, das durch die Informations- und Kommunikationstechnologie möglicherweise neu bestimmt werden muss. Die Veränderungen der digitalen Welt haben auch Anforderungen an das Verhalten 139 der Unternehmer und der Verbraucher hervorgebracht. Seit jeher ist es Aufgabe des Rechts, den technologischen Herausforderungen und Neuerungen zu entsprechen. Schon die Erfindung des Buchdrucks hatte die wirtschaftlichen Verhältnisse radikal verändert. Neben den technischen Erfindungen in der Industrieproduktion war es vor allem die Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsproduktion, die von den Errungenschaften der Technik profitiert haben. Es wäre aber ein Trugschluss anzunehmen, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie des 21. Jahrhunderts vollständig neue rechtliche Grundsätze hervorbringt. So wie die technologische Revolution unter ganz bestimmten ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen entstehen konnte, ist der Reifegrad der rechtlichen Wirklichkeit und der Wirkung des Rechts davon wiederum ab-
511 512
513
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S Teil 3 Kap 1. Dazu gehören auch Meinungsäußerungen in einem kommerziellen Kontext und Wirtschaftswerbung, wenn sie einen wertenden, auf Meinungsbildung gerichteten Inhalt verkörpern (BVerfG GRUR 2008, 81). Beater Rn 8.
514
515 516 517 518
Beater Rn 10; Beater JZ 2005, 823; er sieht vor allem das Medienrecht als Sonderunternehmensrecht der Massenmedien. Fechner Medienrecht Rn 58. BVerfG NJW 2008, 822, 829. BVerfG NJW 2007, 3051, 3055. Beater JZ 2005, 824.
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§2
Geistiges Eigentum und Medienprodukte
hängig. Nicht die Technik produziert das Recht, und umgekehrt produziert nicht das Recht die Technik. Technologische Wunder können, müssen aber nicht unbedingt positive Wirkungen auf die Rechtsentwicklung erzielen. Die Kommunikationsprozesse mit Hilfe des Internets und der Digitalisierung sowie die Rechtsgestaltung sind zwei Seiten eines dialektischen Gesamtprozesses. Deshalb sind Auffassungen ernst zu nehmen, dass sich zB das Urheberrecht in der Auflösung befindet, weil es mit den herkömmlichen Gestaltungsinstrumenten nicht für die „Access-Welt“ geschaffen ist.519 Die Konflikte zwischen den Verwertern, den Schöpfern und den Nutzern werden sich sicherlich weiter verschärfen, vor allem dann, wenn die rechtspolitische Vorstellung darin besteht, eine liberale Wirtschaftskonzeption durchzusetzen und den entfesselten Marktkräften die Regeln bestimmen zu lassen. Den freien Zugang zu Informationen in einer Ware-GeldWelt zu postulieren, entspricht nicht der Realität. Diesen Konflikt mit Hilfe von technischen Schutzmaßnahmen (DRM) im Interesse der Medienindustrie zu lösen, wird nicht möglich sein, wenn dadurch die Privatkopie oder andere Schrankenregelungen ausgehebelt werden.520 Ob die Content-Flatrate der richtige, zukunftsweisende Weg ist, bleibt abzuwarten.521 3. Freier Zugang zu den Medienprodukten Der freie Zugang zu Medienprodukten ist im Kern mit der Informationsfreiheit nach 140 Art 5 Abs 1 S 1 Halbs 2 GG vergleichbar. Die hier bezeichneten Medienprodukte sind Informationsquellen, die allgemein zugänglich sein müssen, dh, wenn der Informationsträger technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen.522 Die Allgemeinheit und nicht ein bestimmbarer Personenkreis ist von der Informationsfreiheit erfasst. Dies gilt vor allem für die Massenkommunikationsmittel wie Zeitung, Hörfunk, Fernsehen, Film uvm.523 Was privat und an einzelne adressiert ist, fällt nicht unter das Grundrecht der Informationsfreiheit. Da die Informationsfreiheit Grundlage für die freie Meinungsbildung ist, wird die Informationsbeschaffung, -aufbereitung und die -speicherung unter den Bedingungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien immer bedeutender. Das Grundrecht auf freien Zugang von Informationen bedeutet nicht, dass ein Anspruch auf kostenlose Unterrichtung besteht.524 Eine Zeitung ist als Medienprodukt eine Informationsquelle, die idR nur gegen ein Entgelt erwerbbar ist. Sie ist allgemein zugänglich. Hiervon ist die unentgeltliche oder entgeltliche Nutzung von geschützten immateriellen Gütern als Medienprodukten zu unterscheiden. Jedermann kann ein geschütztes Werk zum privaten Gebrauch vervielfältigen, ohne für diesen Vorgang etwas zu bezahlen. Damit der Vervielfältigungsvorgang erfolgen kann, ist ein entsprechendes Gerät, zB ein PC, erforderlich, das der Verbraucher gekauft hat. Hat ein Künstler sein Werk ins Internet zum unentgeltlichen Downloaden angeboten, ist auch dies möglich, soweit keine kommerziellen Zwecke des privaten Nutzers bestehen. Die verschiedenen Vergütungsmodelle im Zusammenhang mit der Nutzung von Medienprodukten sind dabei zu berücksichtigen. Ob bei der Online-Nutzung die Individual (DRM)- oder Pauschalvergütung der richtige Weg ist, wird die Zukunft zeigen. Hierbei werden aus der Sicht des Schutzes der Kreativen die Verwertungsgesellschaften bei der Online-Nutzung eine entscheidende Rolle spielen. Es wäre aber rechtspolitisch ein Irrweg, die Verwertungsgesellschaften mit wettbewerbsrechtlichen Monopolen
519 520 521
Heinz 1 mwN. Heinz 29 f. Runge GRUR Int 2007, 130, 135.
522 523 524
BVerfGE 33, 52, 65; BVerfGE 90, 27, 32. BVerfGE 90, 27, 32. BVerfGE 29, 214, 218.
Artur-Axel Wandtke
65
Kapitel 1 Medien im technologischen Zeitalter
1. Teil
zu vergleichen und die Harmonisierung des Rechts derselben in der EU nur unter dem Aspekt der Musik zu betrachten.525 Die Veränderungen, die durch die Informations- und Kommunikationstechnologie entstanden sind, haben Auswirkungen auf das Recht. Es zeigt, wie verkrustet Rechtsstrukturen sein können, wenn nicht das Recht und dessen Gesetzgeber auf die neuen technischen Herausforderungen reagiert. Natürlich werden die Produktions-, Zirkulations-, Distributions- und Konsumtionsverhältnisse durch die Informations- und Kommunikationstechnologie verändert, aber sie sind nur Hilfsmittel, Mittel zum Zweck, aber nicht Zweck und Ziel selbst. Sie mögen die Speicherung, Strukturierung und Vermittlung von Informationen erleichtern, beschleunigen und potenzieren, aber ohne menschliche Vernunft und Sinnzuweisung bleiben sie tot, dumm und bedeutungslos.526 Da das Recht selbst eine Fülle von Informationen enthält und Teil der geistigen Produktion ist, sind dessen Ziele zu formulieren, um den neuen Herausforderungen der technologischen Revolution Rechnung tragen zu können. Das Recht als Steuerungs- und Gestaltungsinstrument muss deshalb das Verhalten der 141 Menschen regeln, dh das Verhalten der Betroffenen in Bezug auf Medienprodukte. Das ist keine technische, sondern rechtspolitische Aufgabe des Gesetzgebers. Die Produktion von Recht als bestimmtes Gebiet innerhalb der geistigen Produktion 142 hat in jeder Epoche ein kulturelles, soziales, wissenschaftliches und ökonomisches Informationsmaterial zur Verfügung, das von seinen Vorgängern überliefert wurde und wovon auszugehen ist. Die Technik schafft nichts a novo, sie bestimmt aber die Art und Weise der Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion der Medienprodukte. 4. Harmonisierung des nationalen Rechts der Medien
143
Recht der Medien meint eine prozessbezogene Einwirkung auf das Verhalten der Beteiligten im Umgang mit immateriellen Gütern als Medienprodukte. Ein Bildnis kann zB für die Werbung wettbewerbs-, persönlichkeits-, urheber- und markenrechtlich relevant sein. Die geltenden Gesetze, die direkt oder indirekt auf Medienprodukte hinweisen, dienen unterschiedlichen Zwecken und sind im öffentlichen Recht und Privatrecht angesiedelt. In dem Maße, wie sich die verschiedenen Medien (zB Rundfunk und Presse) durch die technologische Entwicklung angleichen, wird es immer dringender, einen übergreifenden Ordnungsrahmen der Regulierung zu schaffen.527 Dabei erweist sich der Föderalismus in Deutschland teilweise als Hemmschuh. So 144 wäre es angebracht, die 16 Pressegesetze und Mediengesetze der Länder zu harmonisieren und ein bundesdeutsches Mediengesetz mit den entsprechenden Grundsätzen zu gestalten. Dort, wo einheitliche Rechtsinstitute in verschiedenen Gesetzen vorhanden sind, ergibt sich zwangsläufig das Bedürfnis nach einer nationalen Harmonisierung des Rechts, wie dies bereits mit den Mediengesetzen im Saarland und in Rheinland-Pfalz geschehen ist.528 Mit dem Mediengesetz in Österreich wird ebenfalls der Versuch einer Harmonisierung wichtiger medienrechtlicher Tatbestände unternommen, die als Vorbild nicht nur für das Presserecht gelten könnten.529 525
526
66
Berechtigte Kritik an der Empfehlung über die kollektive Verwertung von OnlineRechten der Musik vom 18.10.2005; Hilty/Geiger/Drexl 369. Delp/Kübler 328; Büscher/Dittmer/Schiwy/ Schiwy 2. Teil, 1 Kap Rn 1.
527 528 529
Mückl JZ 2007, 1083. Mückl JZ 2007, 1084. Zöchbauer Mediengesetz IX.
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§2
Geistiges Eigentum und Medienprodukte
In diese Richtung ist auch das Telemediengesetz vom 26.2.2007 530 zur Vereinheit- 145 lichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste zu bewerten,531 wobei vor allem die Verantwortlichkeitsregeln und die Auskunftspflicht praktische Probleme bereiten werden, weil häufig die Plattform-Betreiber nicht in Deutschland ansässig sind.532 Ebenso unterliegen die Unterlassungsansprüche der Forenbetreiber wegen ehrverletzender Beiträge nicht dem Haftungsprivileg des TMG.533 Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte der neuen Medienordnung geeinigt und in Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie ein weites Feld der Abruf- und Verteildienste – elektronisch – geschaffen.534 Aufgrund der notwendigen Anpassungen an das Telemediengesetz musste auch der Rundfunkstaatsvertrag geändert werden, der in seiner neuen Fassung am 1.3.2007 in Kraft getreten ist. Gleichzeitig ist der Mediendienstestaatsvertrag aufgehoben worden. Als problematisch erweist sich das duale Rundfunksystem zwischen privaten Medien- 146 unternehmen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.535 Während der Gesetzgeber für den privaten Rundfunk im Wesentlichen auf Marktprozesse vertraut, werden für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk besondere normative Anforderungen an das Programmangebot gestellt. Die klassische Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beinhaltet die Sicherstellung der Grundversorgung, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme anbietet, die sie umfassend und in voller Breite informiert und die Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise sichert.536 Damit diese Funktion durchgesetzt werden kann, muss der Gesetzgeber für eine angemessene finanzielle Ausstattung sorgen. Mit Wirkung zum 1.1.2007 ist die Pflicht zur Zahlung einer Rundfunkgebühr auch für internetfähige Computer und Mobiltelefone in § 1 Abs 1 RGebStV geregelt worden.537 Ob die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weitgehend vom Markt abgekoppelt werden kann, um die Vielfalt des Programms unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen zu sichern,538 ist ernsthaft zu bezweifeln.539 Die Kommerzialisierung der Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht aufzuhalten. Die Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks durch Werbeeinnahmen spiegelt diesen Prozess wider.540 Die Aufhebung der Werbefreiheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre ein Weg gegen die Kommerzialisierung der Programmgestaltung und ein Vorteil für deren Unabhängigkeit. Ein weiterer Schritt zur Beseitigung von Markthindernissen ist die Harmonisierung 147 des Rechts der Medien durch die Richtlinienpolitik der EG, um einen reibungslosen Zugang von Medienprodukten und deren Nutzung sowie die Meinungsvielfalt gegen eine vorherrschende Meinungsmacht zu gewährleisten.541 Dazu gehören auch die wettbewerbs- und kartellrechtlichen Schutzmechanismen auf dem Telekommunikations- und Medienmarkt.542
530 531 532
533
534 535
BGBl I S 179. Mückl JZ 2007, 1084. Krit Einschätzung des TMG von Hoeren NJW 2007, 805; Spindler CR 2007, 239; Fülbier CR 2007, 515. BGH ZUM 2007, 533, 534; siehe auch die Anmerkung von Schmelz zu der Entscheidung des BGH ZUM 2007, 535 f. Bender/Kahlen MMR 2006, 590. Jacobs/Papier/Schuster/Kunig 195; BVerfG ZUM-RD 2008, 281, 287.
536 537 538 539 540
541 542
BVerfG ZUM-RD 2008, 281, 287; BVerfGE 74, 297, 325. Best durch das BVerfG ZUM 2007, 712, 722; BVerfG ZUM 2008, 592. BVerfG ZUM 2007, 712, 722. Ory AfP 2007, 401, 406. So kann das ZDF seine Ausgaben neben der Fernsehgebühr auch durch Erträge aus der Werbung decken; siehe § 29 ZDF-StV. Noske ZRP 2007, 65. Bretschneider WRP 2008, 761, 763.
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Kapitel 2 Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin Literatur Bamberger Einführung in das Medienrecht, Darmstadt 1986; von Bar Verkehrspflichten – Richterliche Gefahrsteuerungsgebote im deutschen Deliktsrecht, Köln 1980; Beater Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet JZ 2005, 822; Beckmann/Hoppe Grundfragen des Umweltrechts JuS 1978, 425; Beucher/Leyendecker/von Rosenberg Mediengesetze, München 1999; Berlit/Meyer/ Paschke Hamburger Kommentar zum gesamten Medienrecht, Baden-Baden 2008; Branahl Medienrecht: Eine Einführung, 5. Aufl Wiesbaden 2006; Canaris Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl Berlin 1983; Castendyk/Dommering/Scheuer European Media Law, Kluwer Law International 2008 (im Erscheinen) (zit Castendyk/Dommering/Scheuer/Bearbeiter); Dörr Medienrecht GRUR 2002, 141; Dörr/Schwartmann Medienrecht, Köln 2006; Dreier/Badura (Hrsg) Festschrift für das Bundesverfassungsgericht, Bd 2 – Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001 (zit Dreier/Badura/Bearbeiter); Engels Der Trennungsgrundsatz in der dualen Rundfunkordnung. Rechtlicher Gehalt und tatsächliche Durchsetzung durch die Landesmedienanstalten RuF 1997, 214; Europäische Kommission Grünbuch zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen, Brüssel 1997; Faulstich Medientheorien: Einführung und Überblick, Göttingen 1991; Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl Berlin 1992; Fuhr/ Rudolf/Wasserburg Recht der neuen Medien, Heidelberg 1989; Géczy-Sparwasser Die Gesetzgebungsgeschichte des Internet, Berlin 2003; Gounalakis Konvergenz der Medien – Sollte das Recht der Medien harmonisiert werden? Gutachten C für den 64. Deutschen Juristentag, München 2002; Gounalakis Regulierung von Presse, Rundfunk und elektronischen Diensten in der künftigen Medienordnung ZUM 2003, 180; Grampp/Seifert Die Ordnungen der Medientheorien, Eine Einführung in die Einführungsliteratur, in www.literaturkritik.de (literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id= 7502&ausgabe=200410, zuletzt abgefragt am 20. Mai 2008); Hahn/Vesting (Hrsg) Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München 2003; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner Rundfunkstaatsvertrag – Loseblattsammlung, 31. Aktualisierung, Heidelberg, München, Landsberg, Berlin Stand September 2007; Hesse Rundfunkrecht, 3. Aufl München 2003; Hoffmann-Riem Kommunikationsfreiheiten, Baden-Baden/Hamburg 2002; Holznagel Konvergenz der Medien – Herausforderungen an das Recht NJW 2002, 2351; Knothe Konvergenz und Medien aus nationaler Sicht K&R 1998, 95; Koch/Rüßmann Juristische Begründungslehre, München 1982; Kötz/Wagner Deliktsrecht, 10. Aufl München 2006; Larenz/Canaris Metho-denlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl Berlin, Heidelberg 1995; Lecheler Einführung in das Medienrecht JURA 1998, 225; Luhmann Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1974; von Olenhusen Handbuch des Medienrechts. Versorgungsrecht einschließlich Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG), Freiburg 1988; Paschke Medienrecht – Disziplinbildende Sinn-einheit übergreifender Rechtsgrundsätze oder Chimäre? ZUM 1990, 209; Paschke Medienrecht, 2. Aufl Berlin, Heidelberg, New York 2007; Peters Die publizistische Sorgfalt NJW 1997, 1334; Platho Werbung, nichts als Werbung und wo bleibt der Trennungsgrundsatz? ZUM 2000, 46; Radlsbeck Online-Magazine – rechtliche Würdigung von journalistisch redaktionell gestalteten Abrufdiensten, Berlin 2004; Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch 5. Aufl München 2006; Rehbock Medien- und Presserecht, München 2005; Reinemann DVB-H, DMB und die interaktive Fernbedienung – Ist der Rundfunkbegriff den neusten technischen Entwicklungen gewachsen? ZUM 2006, 523; Rossen-Stadtfeld Medienaufsicht unter Konvergenzbedingungen ZUM 2000, 36; Rüthers Rechtstheorie, München 1999; Ruijsenaars Zur Vermarktung der Titel mit Fernsehprogrammen
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Kapitel 2 Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin
1. Teil
ZUM 1993, 353; Schiwy/Schütz/Dörr (Hrsg) Medienrecht: Lexikon für Praxis und Wissenschaft, 4. Aufl Köln 2006; Schoch Konvergenz der Medien – Sollte das Recht der Medien harmonisierst werden? JZ 2002, 798; Stammler Paradigmenwechsel im Medienrecht ZUM 1995, 104; Steiger Umweltrecht – Ein eigenständiges Rechtsgebiet? AöR 117, 100; Tilch (Hrsg) Münchener Rechtslexikon; 2. Aufl München 1992 (zit Tilch/Bearbeiter); Umbach/Clemens (Hrsg) Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd I, Heidelberg 2002; Waldenberger/Hoß Das Recht der elektronischen Presse AfP 2000, 237; von Welser Anmerkung zum EuGH Urteil Peek & Cloppenburg vs Cassina GRUR Int 2008, 596.
Übersicht Rn § 1 Die Entwicklung des Medienrechts . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn § 2 Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . .
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§1 Die Entwicklung des Medienrechts 1
Anfang der 80er Jahre gab es noch kein Medienrecht. Es gab das Rundfunkrecht, das Presserecht, das Äußerungsrecht, das Filmrecht, aber keinen gemeinsamen Oberbegriff.1 Es war die Zeit, als es nur drei TV-Programme gab, eine vergleichsweise überschaubare überregionale Presselandschaft und weder Internet noch Mobiltelefone mit Internetzugang und Rundfunkempfangsmöglichkeit. Dies sollte sich bald ändern. Mitte der 80er Jahre, etwa zu der Zeit als privates Fernsehen in Deutschland – im Rahmen der neugeschaffenen dogmatischen Figur des „dualen Rundfunksystems“ 2 – zugelassen wurde, setzte sich auch der Begriff „Medienrecht“ auf breiter Front durch: Er findet Erwähnung in den allgemeinen Rechtslexika, wird Gegenstand einführender Lehrbücher und praxisorientierter Handbücher.3 Die Zeitschrift, die 28 Jahrgänge „Film und Recht“ hieß, firmierte 1985 um in „Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht“, das ehrwürdige „Archiv für Presserecht“ trägt seit 1995 den Untertitel „Zeitschrift für das gesamte Medienrecht“. Seitdem hat das Medienrecht eine fast inflationäre Entwicklung genommen. Es sind inzwischen sechs Lehrbücher auf dem Markt, die den Titel „Medienrecht“ tragen.4 Weitere Zeitschriften wie MultiMediaRecht und Kommunikation & Recht sind hinzugekommen. Gab es Ende der 80er Jahre noch keinen einzigen Kommentar zum Rundfunkstaatsvertrag, sind heute bereits vier auf dem Markt.5 Die Zahl der einschlägigen Schriftenreihen hat sich verzehnfacht,6 der Output an Promotionen ist selbst für Fachleute kaum 1 2 3 4
5
Tilch/Wenzel Stichwort „Medienrecht“. Hesse Kap 4 Rn 1 ff; Kap 5 Rn 1 ff. Vgl zB von Olenhusen; Fuhr/Rudolf/Wasserburg. Beater Medienrecht; Branahl Medienrecht: Eine Einführung; Dörr/Schwartmann Medienrecht; Fechner Medienrecht; Paschke Medienrecht; Petersen Medienrecht; Rehbock Medien- und Presserecht. Berlit/Meyer/Paschke; Beucher/Leyendecker/ von Rosenberg; Hahn/Vesting; Hartstein/ Ring/Kreile/Dörr/Stettner.
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zB Schriftenreihe des Archivs für Urheberund Medienrecht (UFITA), Schriftenreihe des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), Schriftenreihe Information und Recht, Schriftenreihe zum Kommunikationsund Medienrecht, Schriftenreihe Medienrecht, Medienproduktion und Medienökonomie, Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln, Schriftenreihe Kommunikation und Recht uvm.
Oliver Castendyk
§2
Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet
noch zu überblicken. Ein ähnlich exponentielles Wachstum kann man übrigens bei den Medienwissenschaften konstatieren. Bereits 1991 beginnt Faulstich seinen Einführungsband „Medientheorien“ mit den Worten: „Es scheint an der Zeit, das immer größer gewordene und mittlerweile kaum noch übersichtliche Feld programmatisch-theoretischer Beiträge zum Bereich Medien zu sichern und zu ordnen.“ 7 Fast zwei Dekaden später ist das medientheoretische Feld noch einmal wesentlich größer und unübersichtlicher geworden als 1991 – so groß, dass es inzwischen schon „Einführungen in die Einführungsliteratur“ gibt.8 Auch vor der Aus- und Weiterbildung hat die Karriere des Medienrechts nicht halt- 2 gemacht. Seit einigen Jahren gibt es, wie ua an den Universitäten Mainz, Münster, Potsdam einen Schwerpunktbereich „Medienrecht“ im Studium der Rechtswissenschaften. Zudem werden LL. M.-Studiengänge für Postgraduierte eingeführt, wie etwa der Studiengang Medienrecht in Mainz. In allerjüngster Zeit wurde durch die Bundesrechtsanwaltskammer ein Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht eingeführt; der erste Jahrgang hat Ende 2007 die dafür erforderlichen Prüfungen absolviert und darf den entsprechenden Fachanwaltstitel tragen. Zeitlich etwas später als das deutsche, aber ebenso rasant, entwickelt sich das Medienrecht in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten.9 Nur die frühere Zersplitterung der Zuständigkeiten innerhalb der Kommission hat den Blick auf die Tatsache verdunkelt, dass es auch auf europäischer Ebene ein mehr und mehr zusammenwachsendes Medienrecht gibt.10
§2 Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet Auch wenn sich die Bezeichnung „Medienrecht“ inzwischen durchgesetzt hat, bleibt 3 die Frage offen, ob hinter diesem Begriff ein eigenständiges Rechtsgebiet steht. Dies wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Die Auffassung, wonach das Medienrecht eine eigenständige Disziplin ist, wurde erst- 4 mals von Paschke entwickelt.11 Als gemeinsamen und systematischen Bezugspunkt des Medienrechts sieht er die Massenkommunikation. Die Massenmedien erfüllten eine öffentliche Aufgabe und hätten laut BVerfG eine „schlechthin konstituierende Bedeutung für die freiheitlich demokratische Staatsordnung“. Medienrecht sei das „Sonderrecht der Massenkommunikation“ und es enthalte übereinstimmende Rechtsgrundsätze, die das Rechtsgebiet „Medienrecht“ verbinden würden.12 In ähnliche Richtung geht Beater, der das Medienrecht als „Sonderunternehmensrecht der Massenmedien“ ansieht.13 Er stützt sich darauf, dass an Medienunternehmen besondere Anforderungen gestellt würden, zB bei Sorgfalts- und Recherchepflichten, aber auch Privilegien verteilt würden, etwa im Bereich der Informationszugangsrechte.14 Die Medien hätten bestimmte Funktionen in
7 8 9 10
Faulstich 1. Grampp/Seifert. Vgl Castendyk/Dommering/Scheuer/Dommering Introduction 1 ff. Ein Großteil der zur Ordnung des Medienrechts erforderlichen Kompetenzen ist in der Kommission seit 2004 bei der Kommissarin Viviane Reding gebündelt, die für „Informa-
11
12 13 14
tionsgesellschaft und Medien“ zuständig ist. Paschke ZUM 1990, 209 ff und später in der ersten Aufl seines Lehrbuchs zum Medienrecht aus dem Jahr 1993. Paschke Rn 15 f. Beater JZ 2005, 822; Beater Rn 8. Beater JZ 2005, 822, 823 f.
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Kapitel 2 Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin
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1. Teil
der Massengesellschaft, zB im politischen Diskurs, die durch das Medienrecht reguliert und abgesichert werden müssten.15 In ähnliche Richtung geht auch Stammler, der einen Paradigmenwechsel im Medienrecht fordert – vom Presse- und Rundfunkrecht hin zum allgemeinen Kommunikationsrecht.16 Nach der Gegenauffassung erschöpft sich das Medienrecht in einer „bloßen Ansammlung von unterschiedlichen Normen“ mit einem Bezug zu den Massenmedien.17 „Medienrecht“ wird definiert als die Summe der Rechtsvorschriften, die sich mit „Medien“ befassen, vom Strafrecht bis zum Arbeitsrecht.18 Das Medienrecht befasse sich mit einem „Konglomerat von einzelnen Rechtsnormen“ und Lebenssachverhalten.19 Es sei ein Querschnittsbereich, wie das Steuerrecht oder das Autorecht.20 Mit anderen Worten könnte man diese Meinungsströmung zusammenfassen wie folgt: Der einzige Zusammenhang, den das Medienrecht aufweist, ist der, dass es sich um Rechtsnormen handelt, mit denen sich ein in den Medien arbeitender Rechtsanwalt bzw Justiziar regelmäßig beschäftigen muss. Wie Beater zu Recht anmerkt,21 wird die Gegenauffassung häufig beiläufig vertreten; Gründe für die Auffassung vom Medienrecht als „Sammelsurium“ von in der Medienpraxis bedeutsamen Vorschriften und ihrer Interpretation werden kaum genannt. Die lobenswerte Ausnahme von dieser Regel ist Petersen, der dieser Fragestellung immerhin das erste Kapitel seines Lehrbuchs widmet.22 Zunächst macht er – zu Recht – darauf aufmerksam, dass ein Medienbezug im Sachverhalt noch nicht bedeutet, dass es sich um ein medienrechtliches Rechtsproblem handelt.23 So lasse sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer Internetauktion ein Vertrag zustande komme, mit dem BGB und den allgemeinen Lehren und Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre lösen. Es gehe nicht um medienspezifische oder gar medienrechtliche Probleme. Ähnliches gelte für Fernabsatzgeschäfte. Die besondere Regelung in § 312d Abs 1 BGB diene dem Verbraucherschutz; dieses Ziel sei kein genuin medienrechtliches Rechtsschutzziel. Petersen ist an dieser Stelle durchaus zuzustimmen. In der Tat verbirgt sich nicht in jeder medialen Verkleidung ein medienrechtliches Rechtsproblem. Seine prägnant formulierte Aussage, wonach jedes Medium neue Rechtsprobleme hervorbringe, die allerdings nicht notwendigerweise medienrechtliche sein müssten, trifft den Kern. Fraglich ist allerdings, ob diese Erkenntnis ein Argument gegen die Existenz des Medienrechts als einem eigenständigen Rechtsgebiet liefert. Mir scheint es eher ein Argument für die andere Position zu sein. Gerade die Meinung, die Medienrecht auf alles ausweitet, was den Medienjuristen interessieren muss, gerät in Gefahr, jede Vorschrift und jede Gerichtsentscheidung mit Medienbezug dem Corpus Iuris des Medienrechts zuzuordnen. Gerade die Befürworter eines „Medienrechts als Disziplin“ beschränken das Medienrecht auf bestimmte Aspekte der Regulierung von Massenmedien und sind daher in ihrem Ansatz selektiver. Petersens zweite Argumentationslinie geht tiefer und trifft auch aus meiner Sicht den entscheidenden Punkt: Medienrecht als eigenständige Rechtsmaterie setzt aus seiner Sicht voraus, dass es mehr als nur eine „lebensweltliche Erscheinung“ ist.24 In seiner Kritik 15 16 17
18 19
Beater JZ 2005, 822, 826 f. Stammler ZUM 1995, 104, 114. Petersen 2. Aufl Rn 11, 14 f; Dörr GRUR 2002, 141 ff; Lecheler JURA 1998, 225; Fechner Rn 5; Branahl 13 f; Bamberger 23; Schiwy/Schütz/Dörr 309. Lecheler JURA 1998, 225. Petersen Rn 14.
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20 21 22
23 24
Petersen 2. Aufl Rn 2, 11. Beater JZ 2005, 822, 823. Etwas ausführlicher und pointierter noch in der 2. Aufl, die deshalb im Folgenden neben der aktuellen 3. Aufl zitiert wird. Petersen Rn 2–4. Petersen 2. Aufl Rn 16.
Oliver Castendyk
§2
Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet
stützt er sich auf den Systembegriff von Canaris.25 Danach ist ein eigenständiges Rechtsgebiet gekennzeichnet durch Grundprinzipien, wie das der Privatautonomie im Zivilrecht, den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes im Öffentlichen Recht oder das Schuldprinzip im Strafrecht.26 Durch ein mit derartigen Prinzipien geknüpftes „System konsistenter Binnenverweisungen“ ließen sich „weiterführende Aussagen über nicht unmittelbar gesetzlich geregelte Fragen“ treffen. Es ließen sich im Medienrecht, so lautet sein Argument, allenfalls (Leit-)Gesichtspunkte verallgemeinern, „Grundprinzipien des Medienrechts mit gleichsam universeller Geltung“ gebe es jedoch nicht.27 Zuzustimmen ist Petersen in seinem Grundansatz: Zu den Bedingungen, die erfüllt sein 9 müssen, um vom Medienrecht als einem eigenständigen Rechtsgebiet sprechen zu können, gehören in der Tat Grundprinzipien, die Wertungswidersprüche deutlich machen und helfen, Lücken im Recht durch systematische Rechtsfortbildung zu schließen. Hier ist allerdings der Unterschied zur Gegenauffassung gar nicht so groß, denn auch diese verlangt – allerdings methodologisch etwas weniger scharf – gemeinsame „Rechtsgrundsätze“ 28 oder besondere „Maßstäbe“ für die Medien.29 Obwohl der methodologische Ansatz von Petersen richtig ist, möchte ich ihm aus drei Gründen im Ergebnis nicht zustimmen. Der erste Grund besteht darin, dass Petersen die Latte zu hoch legt. Wenn er Grund- 10 prinzipien des Medienrechts von gleichsam universeller Geltung fordert, verlangt er mehr als Canaris, auf dessen Systembegriff er sich stützt. In einer scharfsinnigen Analyse zeigt dieser auf, dass Prinzipien im Gegensatz zu Axiomen zueinander in Widerspruch stehen können. Prinzipien würden keinen Anspruch auf ausschließliche Geltung erheben, sondern ergänzten und beschränkten sich gegenseitig.30 Die vielen Beispiele, die Canaris heranzieht, untermauern darüber hinaus seine Auffassung, dass es im Zivilrecht eine Vielzahl von Prinzipien gibt, die einen nur begrenzten Anwendungsbereich aufweisen, etwa nur relevant sind für das Sachenrecht oder die Rechtsgeschäftslehre. Universell geltende Rechtsprinzipien, zu welchen man vielleicht noch die Privatautonomie zählen mag, sind selbst im Zivilrecht selten. Und auch sie sind, wie bereits ausgeführt, nicht universell in dem Sinne, dass sie nicht „in wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung“ 31 mit anderen Prinzipien und einzelgesetzlichen Wertungen konkurrieren müssten. Im Ergebnis kann daher auch von Grundprinzipien im Medienrecht keine universelle Geltung gefordert werden. Der zweite Grund liegt in der Tatsache, dass Grundprinzipien des Medienrechts 11 existieren. Ein bekanntes Beispiel ist das Gebot der Neutralität der Medien im Wettbewerb und das Beeinflussungsverbot. Hier sprechen auch Kommentarliteratur und Rechtsprechung von einem solchen Grundsatz; so führt zB der BGH in der „Guldenburg“-Entscheidung 32 aus: „(…) besteht beim Merchandising in einem weiteren Umfang eine nicht zu vernachlässigende Gefahr der Kollision mit tragenden Grundsätzen des Medienrechts, nämlich mit den Geboten der Neutralität im Wettbewerb und der Bewahrung der Unabhängigkeit der Programmgestaltung sowie der Abwehr sachfremder Einflüsse Dritter auf diese. (…)“ 25 26 27 28 29
Petersen Rn 13 verweist auf Canaris passim; ausführlicher dazu noch die 2. Aufl Rn 14. Petersen 2. Aufl Rn 13. Petersen 2. Aufl Rn 13. Paschke ZUM 1990, 209, 212. Beater JZ 2005, 822, 828.
30 31 32
Canaris 52 f. Canaris 52 f. BGH ZUM 1993, 363 Rn 34–37, bestätigt durch BVerfG ZUM 1999, 71 ff; zur Literatur vgl statt vieler und mwN Ruijsenaars ZUM 1993, 353 ff.
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Kapitel 2 Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin
1. Teil
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Die beiden genannten Prinzipien haben – teilweise im Zusammenwirken mit dem dritten tragenden Grundsatz des Medienwerberechts, dem Trennungsprinzip – in einer Vielzahl von Fällen eine wichtige Rolle gespielt.33 Die Erkenntnis derartiger Prinzipien bzw tragender Grundsätze hilft darüber hinaus, die Normen des positiven Rechts, ihre ratio legis und ihre Funktion im Gesamtzusammenhang besser zu verstehen.34 Ähnlich wie das Prinzip der Privatautonomie haben Prinzipien wie das Beeinflussungsverbot eine verfassungsrechtliche Grundlage. Ein Teil der dogmatischen Aufgabe besteht deswegen auch darin, diesen Zusammenhang – beim Beeinflussungsverbot zB den Zusammenhang mit der Medienfreiheit und Medienautonomie in Art 5 Abs 1 S 2 GG – näher zu erforschen und differenziert darzustellen. Ähnlich wie im Deliktsrecht die Figur der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ eine 13 zentrale Rolle spielt,35 hat sich die „publizistische Sorgfalt (…) in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem der zentralen Begriffe des Medienrechts entwickelt“.36 Die publizistische Sorgfalt beschreibt Anforderungen, die an die Massenmedien gestellt werden, und zwar in verschiedenen Ausprägungen, etwa bei der Recherche, der Verdachtsberichterstattung, der Zitattreue, der Verantwortung für die Meinungsäußerungen Dritter (zB bei Anzeigen, Leserbriefen, Live-Interviews im Fernsehen, Chatrooms) uva mehr. Wie das Beeinflussungsverbot ist auch die publizistische Sorgfalt ist ein intensiv vom Verfassungsrecht geprägter Begriff.37 Wie anfangs beschrieben, ist das Medienrecht ein noch vergleichsweise junges Rechts14 gebiet.38 Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass die dogmatische Durchdringung des Rechtsgebiets noch am Anfang steht. Damit komme ich zu meinem dritten Grund für ein Medienrecht als eigenständige Disziplin: Die Frage, ob das Medienrecht ein eigenständiges Rechtsgebiet ist, lässt sich nur perspektivisch beantworten und nicht auf der Basis des dogmatischen Status Quo. „Medienrecht als Disziplin“ ist – zum heutigen Zeitpunkt – weniger eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustands, als viel mehr eine Aufforderung an die Rechtswissenschaft, die dogmatische Kärrnerarbeit zu leisten, an deren Ende weitere oder zumindest besser verstandene Grundprinzipien des Medienrechts stehen. Mit anderen Worten: Die Arbeit an einer Dogmatik des Medienrechts aufzugeben, bevor man sie angefangen hat, erinnert an den Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen und der sie deshalb als sauer bezeichnet.39
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BGH ZUM 1990, 291 ff – Werbung im Programm; BGH ZUM 1993, 92 ff – Ereignis Sponsorwerbung; OLG Frankfurt aM WRP 1994, 115 ff, OLG Koblenz ZUM 2001, 800 ff – ZDF-Medienpark; OLG Stuttgart WRP 1992, 513 ff. Ausf zu Bedeutung und Funktion von Trennungsprinzip, Beeinflussungsverbot und dem Gebot der Neutralität im Wettbewerb unten Teil 3 Kap 3 (Rundfunkwerberecht) Rn 31 ff; Platho ZUM 2000, 46 ff; Engels RuF 1997, 214 ff. von Bar; Kötz/Wagner Rn 123 ff, 168 ff. Peters NJW 1997, 1334 ff. Beater Rn 1157 ff; BVerfG NJW 1980, 2072 – Böll. Zur Geschichte des Medienrechts instruktiv Schiwy/Schütz/Dörr 317.
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Es bedarf keiner näheren Begründung, dass auch ein dogmatisch durchgearbeitetes Rechtsgebiet „Medienrecht“ nicht „selbständig neben dem Zivil- oder Öffentlichen Recht stehen könnte“ (vgl Petersen Rn 11 und Fechner Rn 5). Auch mit einem solchen Postulat würde man die Anforderungen an das „Medienrecht als Disziplin“ überspannen. Es reicht völlig aus, wenn man realistische Ziele verfolgt, etwa vergleichbar einem Rechtsgebiet wie dem Umweltrecht, vgl Steiger AöR 117, 110 ff; Hoppe/Beckmann JuS 1989, 425 ff, die der Frage nachgehen, ob und inwieweit das Umweltrecht eine eigene, von anderen unterschiedene, auf bestimmten Prinzipien, Strukturen und Instituten eigener Art beruhende Rechtsmaterie ist.
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§2
Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet
In diesem Kontext ist daran zu erinnern, welche Funktion die Dogmatik in einem Rechtssystem einnimmt:40 (1.) Sie ordnet den umfangreichen und oft unübersichtlichen Rechtsstoff. Erst durch sie wird das Recht lehr- und lernbar, erst durch sie sieht man gleichsam den Wald und nicht nur die Bäume. (2.) Sie reduziert die Anzahl theoretisch möglicher Lösungsansätze auf überschaubare Lösungsmuster und dient damit der Rechtssicherheit. (3.) Dogmatik führt zu mehr Gerechtigkeit, indem sie auf Widersprüche innerhalb des Gesetzesrechts bzw seiner Auslegung hinweist. (4.) Damit ermöglicht und begrenzt sie gleichzeitig die Rechtsfortbildung – nicht nur die des Richters, sondern auch die des Gesetzgebers.41 Rechtsfortbildung wurde im Medienrecht bisher überwiegend von den Gerichten angestoßen. Eine der berühmtesten Rechtsfortbildungen im deutschen Recht überhaupt, die Entwicklung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 42, gehört zumindest auch zum medienrechtlichen Kanon. Von ähnlich fundamentaler dogmatischer Bedeutung ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit als „funktionalem Grundrecht“ 43. Die Rechtswissenschaft hat sich bis heute damit begnügt, die Rechtsprechung nachzuzeichnen und dogmatisch zu verfeinern. Eigene Ansätze, die später von der Rechtsprechung übernommen wurden, sind im Medienrecht bisher die Ausnahme geblieben. Dies muss jedoch nicht so bleiben. Ein mögliches medienrechtswissenschaftliches Forschungsprogramm zu skizzieren, würde an dieser Stelle zu weit führen, weshalb hier nur einige Beispiele angefügt werden können: Genannt werden kann hier zunächst das erwähnte Trennungsprinzip, dessen Interpretation und Reichweite nicht nur von großer Relevanz ist für die Auslegung bestehender Regelungen, zB zum Sponsoring, zur redaktionellen Werbung und zum Product Placement, sondern auch für die des kommenden Rechts, zB zur eingeschränkten Zulässigkeit des Product Placement gem Art 3g der AVMDR,44 der Nachfolgerin der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“.45 Trennungsprinzip und Beeinflussungsverbot sind zentrale Prinzipien im Bereich des Medienwerberechts; ihr richtiges Verständnis definiert die zukünftige Autonomie der Medien gegenüber der ständig wachsenden ökonomischen Sphäre. Ein weiteres Beispiel für ein zentrales Konzept des Medienrechts, welches näher erforscht werden könnte, ist das des Öffentlichkeitsbegriffs. Dahinter steht das Grundprinzip, dass private, also nicht-öffentliche Kommunikation rechtlich so weit wie möglich ungeregelt bleiben sollte. Es handelt sich um einen der wenigen Begriffe, die sowohl im privaten Medienrecht (hier: im Urheberrecht) als auch im öffentlichen Medienrecht eine wichtige Rolle spielen. Die Öffentlichkeit markiert sowohl die Grenze zwischen privater (Individual-)Kommunikation und Massenkommunikation als auch – im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung – die Grenze zwischen privatem und öffentlichen Leben. Im Urheberrecht ist die Frage, ob eine Nutzung öffentlich ist oder nicht durch
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Sehr instruktiv Rüthers Rn 321 ff; vgl auch Luhmann 18 ff; Canaris 40 ff; Larenz/ Canaris 45; Koch/Rüßmann 246 ff. Wie man am Beispiel der „Anscheinsvollmacht“ sehen kann, gibt es auch Rechtsfortbildung jenseits der Dogmatik, aber sie ist nach wie vor die Ausnahme von der Regel, vgl Canaris 98; Gegen die Anscheinsvollmacht spricht sich daher insb Flume aus (§ 49, 4); vgl zur Entwicklung der Anscheins-
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vollmacht insgesamt MünchKommBGB/ Schramm § 167 BGB Rn 54 ff mwN. Zur Historie und Dogmatik ausf vgl Beater Rn 328 ff. So zB BVerfGE 57, 295, 320 – 3. Rundfunkurteil; BVerfGE 90, 60, 87 – 8. Rundfunkurteil. S Teil 1 Kap 3 Rn 167. S Teil 1 Kap 3 Rn 137.
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Kapitel 2 Die Entwicklung des Medienrechts als Disziplin
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eine gesetzliche Definition in § 15 Abs 3 UrhG geregelt. Im Presserecht stellt sich die Frage, ob ein Prominenter sich in der Öffentlichkeit befindet, oder „erkennbar zurückgezogen“ privat bleiben wollte.46 Im regulativen öffentlichen Medienrecht wird – ähnlich wie im Urheberrecht – zwischen Individualkommunikation und Massenkommunikation, zwischen privater und öffentlicher Auswertung differenziert. Bisher sind die Konzepte des Urheberrechts und des regulativen Medienrechts noch unterschiedlich.47 Auf der Ebene des europäischen Rechts wurde in einer der wichtigsten Entscheidung zur Abgrenzung von privater und öffentlicher Sphäre vom EuGH in einer das Urheberrecht betreffenden Frage erstmals auf die parallele Abgrenzung im öffentlichen Medienrecht abgestellt: Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bedeutet „öffentlich“ im Rahmen dieses Begriffes eine unbestimmte Zahl möglicher Fernsehzuschauer (Urteile vom 2.6.2005 in der Rechtssache C-89/04, Mediakabel, Slg. 2005, I-4891, Rn 30, und vom 14.7.2005 in der Rechtssache C-192/04, Lagardère Active Broadcast, Slg. 2005, I-7199, Rn 31).48 Weitere Beispiele rechtsdogmatischer Fragestellungen könnten aus einer Entwicklung 19 folgen, die den Lebenssachverhalt „Medien“ zurzeit grundlegend verändert und die deshalb auch von keinem Medienrechtler als unbedeutend angesehen wird: die Konvergenz.49 Die digitale Technik erlaubt, sämtliche Medieninhalte in binäre Datenpakete zu verwandeln und beliebig zu verbreiten. Damit verlieren nicht nur die bisher klaren Unterschiede zwischen den Medien Fernsehen, Presse und Internet ihre Trennschärfe (zB ist eine Online-Zeitung noch eine Zeitung oder müsste sie den Regelungen des Rundfunks unterworfen werden?), sondern auch die Unterschiede zwischen Massen- und Individualkommunikation verschwimmen (zB ist ein Blog noch Individualkommunikation, wenn er ins Netz gestellt wird?). Am Ende der Entwicklung wird ein einheitliches „Medienterminal“ in jedem Haushalt stehen, welches Inhalte bietet, die heute als Zeitung, Fernsehprogramm, Internetangebot, CD-ROM, DVD, etc. online und offline über unterschiedliche Vertriebskanäle vermarktet werden. Obwohl schon heute über verschiedene Medien dieselben oder zumindest ähnliche Inhalte derselben Anbieter (zB Bild-Zeitung, Bild.T-Online) verbreitet werden, gibt es nach wie vor unterschiedliche Regelungen im Presserecht, im Rundfunkrecht und im Recht der Telemedien.50 Auch auf der verfassungsrechtlichen Ebene werden nach wie vor grundlegende Unterschiede zwischen Rundfunk- und Pressefreiheit gemacht, die im Zeitalter der konvergenten Medien überholt erscheinen.51 Die medienrechtliche Dogmatik könnte an dieser Stelle die Aufgabe
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BVerfG GRUR 2000, 446 ff – Caroline von Monaco. Dies wird deutlich, wenn man etwa die engen Grenzen der privaten Auswertung in § 15 Abs 3 UrhG, zB bei der Hotelnutzung einerseits, und die Zulassungsfreiheit derartiger Nutzungen zB in § 20 Abs 2 RStV miteinander kontrastiert. EuGH [2006] C 306/05 SGAE von Rafael Hoteles; dazu Castendyk/Dommering/ Scheuer/Castendyk European Media Law Art 1 TWFD Rn 38 ff. Europäische Kommission Grünbuch zur Konvergenz 1997, 623; zur Entstehungsgeschichte des Grünbuchs Knothe K&R 1998, 95, 97 ff; Gounalakis 12 ff; Petersen 3. Aufl Rn 21 ff; Paschke Rn 6 ff; Schoch JZ
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2002, 798 ff; Fechner Rn 1058, Stammler ZUM 1995, 104 ff; Rossen-Stadtfeld ZUM 2000, 36 ff; Reinemann ZUM 2006, 523 ff; Holznagel NJW 2002, 2351 ff. Die Diskussion lässt sich am Beispiel des Online-Zeitung demonstrieren, vgl Waldenberger/Hoß AfP 2000, 237 ff; Gounalakis ZUM 2003, 180, 181; Radlsbeck 54 f; Sachs/ Bethger Art 5 GG Rn 68; Umbach/Clemens Art 5 GG Rn 70; Dreier/Badura/Bullinger 193, 201. Vgl zur überkommenen Lehre zB Hesse Rn 43 ff, 59 ff; differenzierend Gounalakis ZUM 2003, 180, 182; für ein einheitliches Mediengrundrecht plädiert Hoffmann-Riem Art 5 Rn 138 ff. Die Differenzierung geschieht dann auf der Ebene der unter-
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§2
Das Medienrecht als eigenständiges Rechtsgebiet
übernehmen zu prüfen, ob diese Unterschiede noch gerechtfertigt sind und ob unterschiedliche Maßstäbe für unterschiedliche Massenmedien heute noch zeitgemäß sind.52 Die Konvergenz ist freilich selbst kein tragendes Prinzip des Medienrechts53, sie ist eher ein heuristisches Instrument zur Auffindung von Regelungs- und Wertungswidersprüchen im Medienrecht, die weniger die Auslegung des geltenden als die Ausgestaltung des zukünftigen Medienrechts beeinflussen könnte. Bisher steht einem einheitlichen Medienrechtsgesetzbuch in Deutschland nicht nur die 20 fehlende dogmatische Durchdringung des Rechtsgebiets, sondern vor allem die komplexe Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern entgegen. Ein Beispiel dafür ist zB der mühsame Einigungsprozess beider Seiten bei der Internetregulierung.54 Das österreichische Gegenbeispiel beweist jedoch, dass ein Medienrechtsgesetzbuch möglich ist (Bundesgesetz vom 12.6.1981 über die Presse und andere Publizistische Medien (Mediengesetz), StF: BGBl Nr 314/1981 in der Fassung BGBl I Nr 49/2005, 151/2005 und 112/2007). Nachdem der Bund seine Rahmenkompetenz für das Presserecht 2006 aufgegeben hat, könnten die Länder einen einheitlichen gesetzlichen Rahmen für die Medien schaffen. Die Erweiterung des Rundfunkstaatsvertrags um Telemedien 55 ist insofern nur ein erster Schritt.
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schiedlichen Regulierungsnotwendigkeiten auf einfach-gesetzlicher Ebene, nicht auf der Ebene der Abgrenzung von unterschiedlichen Medienfreiheiten aus Art 5 Abs 1 S 2 GG. Selbstverständlich kann aus der Prämisse „Medien werden technisch konvergent“ nicht der Schluss gezogen werden, deswegen müsse auch das Recht „konvergieren“; dies wäre, wie Petersen (3. Aufl Rn 23) zu Recht anmerkt, ein naturalistischer Fehlschluss von einem Sein auf ein Sollen. Der Schluss wird erst möglich durch die – oft allerdings nur implizit vorhandene – zusätzliche rechtliche (Sollens-)Prämisse, wonach gleiche Sach-
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verhalte nicht ungleich behandelt werden sollten, also der Grundprämisse, die auch der Argumentationsfigur des Wertungswiderspruchs zugrunde liegt. So aber Petersen (3. Aufl Rn 23), der die Gutachten von Gounalakis und Schoch zum 64. Deutschen Juristentag mit methodologisch strenger Elle misst. Vgl Géczy-Sparwasser passim; Schoch JZ 2002, 798, 805; Holznagel JZ 2001, 905, 906. Vgl 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag 2007.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht Literatur Ackermann Warenverkehrsfreiheit und Verkaufsmodalitäten RIW 1994, 189; Ann Die Europäisierung des Markenrechts ZEuP 2002, 5; Auer Neues zu Umfang und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung NJW 2007, 1106; Baetzgen Internationales Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht im EG-Binnenmarkt, Kollisionsrecht zwischen Marktspaltung (‚Rom II‘) und Marktintegration (Herkunftslandprinzip), Köln ua 2007; Badura/Scholz (Hrsg) Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993 (zit Badura/Scholz/ Bearbeiter FS Lerche); Barendt Freedom of Speech, 2. Aufl Oxford 2005; Barendt/Hitchens Media Law: Cases and Materials, Longman Law Series, 1. Aufl London 2000; Bartosch Neues Tatbestandsmerkmal der „Belastung des Staatshaushalts“ iS des Art 87 Abs 1 EG NVwZ 2001, 643; Baumann Die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der audiovisuellen Medien, Berlin 1998; Beater Zum Verhältnis von europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht GRUR Int 2000, 963; Becker Von „Dassonville“ über „Cassis“ zu „Keck“ EuR 1994, 162; Behrens Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht EuR 1992, 145; Beiser Auslandsausschüttungen im Licht der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit GesRZ 2003, 187; Berger Novellierung der Fernsehrichtlinie ohne Novellierung des Fernsehübereinkommens? ZUM 1996, 119; Berlit Auswirkungen des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Patentrecht WRP 2007, 732; Betz Kabelbelegung: Diktatur des Marktes? Media Perspektiven 1997, 431; Bieber/Epiney/Haag Die europäische Union. Europarecht und Politik, 7. Aufl Baden-Baden 2006; Böckstiegel (Hrsg) Handbuch des Weltraumrechts, Köln, Berlin, Bonn, München 1991 (zit Böckstiegel/Bearbeiter); Broche/Chatterjee/Orssich/Tosics State Aid for Films – a policy in motion? Competition Policy Newsletter 2007/1, 44; Brömmelmeyer Der Binnenmarkt als Leitstern der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR 2007, 295; Buchner/Rehberg Wann ist der Verbraucher ein „mündiger“ Verbraucher? Zur Diskussion um die Nutrition & Health Claims-Verordnung der EU GRUR Int 2007, 394; Bundschuh Fernsehen und Jugendschutz in Europa, BadenBaden 1998/99; Bülow Themen Sponsoring im Fernsehen, München 1998; Calliess/Ruffert (Hrsg) EUV/EGV – Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Kommentar 3. Aufl München 2007 (zit Calliess/Ruffert/Bearbeiter); Castendyk Die deutsche Filmförderung – Eine Evaluation, Konstanz 2008 (zit Castendyk Filmförderung); ders Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit – Ein Beitrag zur Rechtskommunikation über Massenmedien, Wiesbaden 1994 (zit Castendyk Rechtliche Begründungen); ders Quotas in favour of independent producers: Art 5 “Television without frontiers”-Directive, Communication Law 2006, Vol 11, No 3 CL, 88; ders Marienhof und die Folgen ZUM 2005, 2; Castendyk/von Albrecht Der Richtlinienvorschlag der EG-Kommission zum Satellitenfernsehen GRUR Int 1992, 734; Castendyk/Bark Unterliegt das Filmförderungsgesetz der Beihilfekontrolle der Art 87 ff EGV? Ein Beitrag zu den EGrechtlichen Grenzen der Filmförderung in Deutschland ZUM 2003, 480; Castendyk/Böttcher Ein neuer Rundfunkbegriff für Deutschland? Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste und der deutsche Rundfunkbegriff MMR 2008, 13; Castendyk/Dommering/Scheuer European Media Law, Kluwer Law International, Amsterdam 2008 (im Erscheinen) (zit Castendyk/Dommering/Scheuer/ Bearbeiter); Castendyk/Keil/Wickleder Möglichkeiten rechtlicher Regulierung zugunsten der Filmund Fernsehprodzuenten in Nordrhein-Westfalen, Gutachten im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW, Potsdam April 2005, abrufbar unter http://www.lfm-nrw.de/downloads/medienrat2005/ medienrat-dok6.pdf; Classen Auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik der EG-Grundfreiheiten? EWS 1995, 97; Cordes Die Grenzbeschlagnahme in Patentsachen GRUR 2007, 483; Dauses
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
(Hrsg) Handbuch des EU Wirtschaftsrechts, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2007, München (zit Dauses/Bearbeiter); Degenhart Wirtschaftliche Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten: Der Medienpark des ZDF ZUM 2001, 357; Deinert Das Herkunftslandprinzip und seine Bedeutung für das Internationale Deliktsrecht EWS 2006, 445; Deutsch Noch einmal: Das Verbraucherleitbild des EuGH und das „Nissan-Urteil“ GRUR 1997, 44; Dietz Die Schutzdauerrichtlinie der EU, GRUR Int 1995, 670; Dörr Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und die Vorgaben des Europarechts, Media Perspektiven 2005, 333; ders Die Maastricht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und ihre Auswirkungen auf die Medienpolitik, ZUM 1995,14; Dörr/Charisse Die Rangfolge im Kabel und die Dienstleistungsfreiheit AfP 1999, 18; Dreier Die Umsetzung der Richtlinie zum Satellitenrundfunk und zur Kabelweiterleitung ZUM 1995, 458; Ehlers (Hrsg) Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl Berlin 2005 (zit Ehlers/Bearbeiter); van Eijk Universal service: a new look at an old concept: Broadband access as a universal service in Europe, abrufbar unter http://www.ivir.nl/publicaties/vaneijk/ITS-paper Nico van Eijk.pdf; von Einem Grenzüberschreitende Lizenzierung von Musikwerken in Europa – Auswirkungen der Empfehlung der EU-Kommission zur Rechtewahrnehmung auf das System der Gegenseitigkeitsverträge MMR 2006, 647; Eisenführ/Schennen Gemeinschaftsmarkenverordnung, 2. Aufl Köln 2007; Eisenkolb Die EnforcementRichtlinie und ihre Wirkung – Ist die Enforcement-Richtlinie mit Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar wirksam? GRUR 2007, 387; Engel Europäische Konvention über grenzüberschreitendes Fernsehen. Ein Schritt in die falsche Richtung ZRP 1988, 240; Enzinger Der europäische Rechtsrahmen für kollektive Rechtewahrnehmung GRUR Int 2006, 985; Fezer UWG Kommentar, München 2004 (zit Fezer/Bearbeiter); ders Das Informationsgebot der Lauterkeitsrichtlinie als subjektives Verbraucherrecht WRP 2007, 1021; Frese Die Rechtmäßigkeit europäischer Fernsehquoten aus kompetenzieller, grundrechtlicher und welthandelsrechtlicher Sicht, Frankfurt, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1998; Gamerith Der Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung WRP 2005, 391; Gangloff Ich sehe was, was Du nicht siehst. Medien in Europa: Perspektiven des Jugendschutzes, Berlin 2001; Gaster Die Erschöpfungsproblematik aus Sicht des Gemeinschaftsrechts GRUR Int 2000, 571; Geiger EUV/EGV, 4. Aufl München 2004; Geiss/Gerstenmaier/Winkler Festschrift für Karl-Peter Mailänder zum 70. Geburtstag, Berlin 2006 (zit Geiss/Bearbeiter FS Mailänder); Gersdorf Der Runfunkbegriff. Vom technologieorientierten zum technologieneutralen Begriffsverständnis, München 2007; ders Caroline-Urteil des EGMR: Bedrohung der nationalen Medienordnung AfP 2005, 220; Gibbons Jurisdiction over (Television) Broadcasters: Criteria for Defining ‘Broadcaster’ and ‘Content Service Provider’ in Die Zukunft der Fernsehrichtlinie – The Future of the Television without Frontiers Directive, EMR-Schriftenreihe, Baden-Baden 2005, 53; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht, 1. Aufl München 2006; ders Ist die Union reif für die Kontrolle an der Quelle? WRP 2005, 795; ders Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken, deutsches UWG oder die schwierige Umsetzung von europäischen Generalklauseln WRP 2004, 936; Glöckner/Henning-Bodewig Die EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken WRP 2005, 1311; Gornig Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, Berlin 1988; Gounalakis Funktionsauftrag und wirtschaftliche Betätigung des Zweiten Deutschen Fernsehens. Am Beispiel des ZDF-Medienparks. ZDF-Schriftenreihe, Band 59 Mainz 2000; Grabitz/Hilf (Hrsg) Das Recht der Europäischen Union, Stand 30. Ergänzungslieferung, München 2006 (zit Grabitz/Hilf/Bearbeiter); Greissinger Vorgaben des EG-Vertrages für nationales Rundfunk- und Multimediarecht, Baden-Baden 2001; Groebel The UNESCO Global Study on Media Violence, Paris UNESCO 1998; Grote/Marauhn (Hrsg) EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006 (zit Grote/Marauhn/Bearbeiter); Gundel Die Europäische Gemeinschaft im Geflecht des internationalen Systems zum Schutz des geistigen Eigentums ZUM 2007, 603; Hahn/Vesting (Hrsg) Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl München 2008 (zit Hahn/Vesting/Bearbeiter); Halfmeier Vom Cassislikör zur E-Commerce Richtlinie: Auf dem Weg zu einem europäischen Mediendeliktsrecht ZEuP 2001, 837; Handig Urheberrechtliche Aspekte bei der Lizenzierung von Radioprogrammen im Internet GRUR Int 2007, 210; ders Neuer Wein in den alten Schläuchen des Folgerechts – Die geplante Anpassung aufgrund der europäischen Folgerechts-Richtlinie, ZUM 2006, 546; Hansen/Schmidt-Bischoffshausen Ökonomische Funktion von Verwertungsgesellschaften – Kollektive Wahrnehmung im Lichte von Transaktionskosten- und Informationsökonomik GRUR Int 1997, 461; Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner Rundfunkstaatsvertrag, 31. Aktualisierung Heidelberg 2007; Hecker Die Richtlinie
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht über unlautere Geschäftspraktiken – Einige Gedanken zu den „aggressiven Geschäftspraktiken“ – Umsetzung ins deutsche Recht WRP 2006, 640; Heinze/Roffael Internationale Zuständigkeit für Entscheidungen über die Gültigkeit ausländischer Immaterialgüterrechte GRUR Int 2006, 787; Heinze/Heinze Transit als Markenverletzung – Schlusswort des EuGH in der Entscheidung „Montex/Diesel“ GRUR 2007, 740; Helm Der Abschied vom verständigen Verbraucher WRP 2005, 931; Henning-Bodewig EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR Int 2005, 629; dies Herkunftslandprinzip im Wettbewerbsrecht – Anmerkungen zu OLG Hamburg – Active Two GRUR 2004, 822; Hentschel Die Vereinbarkeit der deutschen Kulturförderung mit dem Beihilfenrecht der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt 2006; Herdegen Europarecht, 9. Aufl München 2007; Hermsen Das neue europäische Grenzbeschlagnahmeverfahren, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte (Mitt) 2006, 261; Herrmann/Lausen Rundfunkrecht, 2. Aufl München 2004; Hess Die EG-Rundfunkrichtlinie vor dem Bundesverfassungsgericht AfP 1990, 95; Hoeren Entwurf einer EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft MMR 2000, 515; Holoubeck Medienfreiheit in der Europäischen Menschrechtskonvention AfP 2003, 193; Hönge Der Medienmarkt in Europa – Aspekte zum Jugendmedienschutz, 2001, abrufbar unter http://www.kjr-muenchen-stadt.de/publikationen/ k3_2001/k3_09_2001.php4; Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg) Festschrift für Peter Raue zum 65. Geburtstag, Köln 2006, 529 (zit Jacobs/Bearbeiter FS Raue); Jarass Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten II EuR 2000, 705; ders Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten EuR 1995, 202; ders Voraussetzung der innerstaatlichen Wirkung des EG-Rechts NJW 1990, 2420; Jung Die Health Claims Verordnung – Neue Grenzen gesundheitsbezogener Werbung für Lebensmittel WRP 2007, 389; Jury Die Maßgeblichkeit von Art 49 EG für nationale rundfunkpolitische Ordnungsentscheidungen unter besonderer Berücksichtigung von Art 151 EG, 1. Aufl Frankfurt 2005; Kadelbach/ Petersen Europäische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten. Anmerkung zum EuGHUrteil in der Rs Schmidberger (Brennerblockade) EuGRZ 2003, 492; Kampf Produktpiraterieverordnung 2003 – Schwerpunkte der Neufassung ZfZ 2004, 110; Kanitz/Steinberg Grenzenloses Gemeinschaftsrecht? – Die Rechtsprechung des EuGH zu Grundfreiheiten, Unionsbürgerschaft und Grundrechte als Kompetenzproblem EuR 2003, 1013; Kingreen Theorie und Dogmatik der Grundrechte im europäischen Verfassungsrecht EuGRZ 2004, 570; Kingreen/Störmer Die subjektiv-öffentlichen Rechte des primären Gemeinschaftsrechts EuR 1998, 263; Klass Zu den Grenzen der Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens AfP 2007, 517; Kleist/Scheuer Neue Regelungen für audiovisuelle Mediendienste – Vorschriften zu Werbung und Jugendschutz und ihre Anwendung in den Mitgliedstaaten MMR 2006, 206; dies Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen MMR 2006; 127; dies Klärung von Grundsatzfragen – Die EU überprüft die Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks, Funkkorrespondenz vom (10.)11.3.2005, 3; Knaak Die Kennzeichnungskraft im Gemeinschaftsrecht GRUR Int 2007, 801; ders Internationale Zuständigkeiten und Möglichkeiten des forum shopping in Gemeinschaftsmarkensachen – Auswirkungen der EuGH-Urteile Roche Niederlande und GAT/LUK auf das Gemeinschaftsmarkenrecht GRUR Int 2007, 386; ders Die Richtlinie zur Umsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und ihr Umsetzungsbedarf in Deutschland GRUR Int 2004, 745; Koenig/Füg How to put the EC State Aid Action Plan into Action – Rendering the Market Failure Test Operational EStAL 2005, 591; Koenig/Haratsch The LicenceFee-Based Financing of Public Service Broadcasting in Germany after the Altmark Trans Judgement EStAL, 2003, 569; dies Die Wiedergeburt von Art 86 Abs 2 EG in der RAI – Entscheidung der Europäischen Kommission ZUM 2004, 122; Koenig/Husi Public Funding of Digital Broadcasting under EC State Aid Law EStAL 2004, 605; Koenig/Kühling How to cut a long story short: Das Preussen Elektra-Urteil des EuGH und die EG-Beihilfenkontrolle über das deutsche Rundfunkgebührensystem ZUM 2001, 537; Köhler Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR 2005, 793; ders Irreführungsrichtlinie und deutsches Wettbewerbsrecht GRUR Int 1994, 396; Kraft/Bron Grundfreiheiten und grenzüberschreitende Verschmelzung im Lichte aktueller EuGH-Rechtsprechung (Sevic) IstR 2006, 26; Krebber Europeanisation of Regulatory Television Policy – The Decision Making Process of the Television without Frontiers Directives from 1989 and 1997, Baden-Baden 2002; Kreile/Becker Neuordnung des Urheberrechts der Europäischen Union GRUR Int 1994, 901; Kühling Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, Berlin 1999; Kutt Grenzüberschreitende Kapitalgesellschaften und ihre Besteuerung im deutschen Körperschaftssteuerrecht – insbesondere im Lichte der Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages, des Doppelbesteuerungsabkommen und des Steuerwettbewerbs, Regensburg 2001; Ladeur Die Glo-
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
balisierung der Telekommunikation und die kooperative Herausbildung einer neuen transnationalen Rechtsordnung – das Beispiel der mobilen Satellitenkommunikation ArchPT 1998, 243; Leitgeb Die Revision der Fernsehrichtlinie – Überblick über die wesentlichen geplanten Änderungen unter besonderer Berücksichtigung der Liberalisierung des Verbotes von Produktplatzierungen ZUM 2006, 837; Leitzen Innergemeinschaftlicher Transit, Markenverletzung und Produktpiraterie – Zugleich Anmerkung zu BGH „Diesel“ und EuGH “Class International/Colgate Palmolive” GRUR 2006, 89; Lenz Ein Grundrechtskatalog für die Europäische Gemeinschaft? NJW 1997, 3289; Lerche Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur EG-Fernsehrichtlinie AfP 1995, 632; Loewenheim Harmonisierung des Urheberrechts in Europa GRUR Int 1997, 285; Lüder First Experience With EU-wide Online Music Licensing GRUR Int 2007, 649; ders The Next Ten Years in EU Copyright: Making Markets Work, Fordham Intellectual Property Media & Entertainment Law Journal 2007, Vol 18, 1; Mankowski Internet und Internationales Wettbewerbsrecht GRUR Int 1999, 909; Marauhn Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Großbritannien VerwArch 85 (1994), 52; Martin-Pérez de Nanclares Die EG-Fernsehrichtlinie, Frankfurt ua 1995; Maunz/ Dürig GG-Kommentar (Hrsg) Herzog/Herdegen 51. Aufl München 2008 (zit Maunz/Dürig/Bearbeiter); Meisterernst/Haber Die VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben WRP 2007, 363; Merkel Das Übereinkommen mit Leben füllen – Was ist erreicht, was ist zu tun? UNESCO heute, Ausgabe 5/6, Mai/Juni 2006, abzurufen unter http://deposit.ddb.de/ep/netpub/ 28/34/66/972663428/_data_dync/_stand_Dezember_2006/0506/kkv.htm; Michel Konvergenz der Medien – Auswirkungen auf das Amsterdamer Protokoll und das Europäische Beihilfenrecht MMR 2005, 284; Mühl Diskriminierung und Beschränkung, Berlin 2004; Oeter Rundfunk als Wirtschaftsgut? Die audiovisuelle Industrie im Visier des Welthandelsrechts AfP 2005, 6; Ohly Bausteine eines europäischen Lauterkeitsrechts WRP 2008, 182; ders Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Lauterkeitsrechts WRP 2006, 1401; ders Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht GRUR Int 2001, 898; Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg) Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts, Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005 (zit Bearbeiter FS Schricker 2005); Ohly/Spence Vergleichende Werbung: Die Auslegung der Richtlinie 97/55/EG in Deutschland und Großbritannien GRUR Int 1999, 681; Oldekop Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Eine Chance für Designer? WRP 2006, 801; Oppermann Europarecht, 2. Aufl München 1999; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, München 2003; Peukert/Kur Stellungnahme des Max-Planck Instituts für geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG GRUR Int 2006, 292; Pleitgen Von Uruguay über Paris nach Hongkong? – Die audiovisuelle Industrie im Spannungsfeld zwischen Welthandel und kultureller Vielfalt AfP 2005, 1; Reinbothe Der acquis communautaire des Europäischen Urheberrechts: Stand und Entwicklung der Rechtsangleichung und Harmonisierungskonzept EWS 2007, 193; ders Die EG-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft GRUR Int 2001, 733; Reinbothe/von Lewinski The WIPO Treaties 1996, London 2002 (zit Reinbothe/von Lewinski WIPO Treaties); dies The EC Directive on Rental and Lending Rights and on Piracy, London 1993 (zit Reinbothe/von Lewinski EC Directive; Riesenhuber (Hrsg) Systembildung im Europäischen Urheberrecht, Berlin 2007 (zit Riesenhuber/Bearbeiter); Ritz Inhalteverantwortlichkeit von Online-Diensten: Strafbarkeit von Online-Diensten in ihrer Funktion als Inhalteanbieter, Online-Service-Provider und Internet-Access-Provider für die Verbreitung von Pornographie im elektronischen Datennetz, Frankfurt aM 1998; Rosenkranz Die völkerrechtskonforme Auslegung des EG-Sekundärrechts dargestellt am Beispiel des Urheberrechts EuZW 2007, 238; Roßnagel (Schriftleitung) Der Rechtsrahmen für die neue Medienlandschaft – Eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste EMR Schriftenreihe Band 36, Baden-Baden 2008, abrufbar unter http://www.emr-sb.de/home/EMR_Band_36.pdf (zit Roßnagel/Bearbeiter); Sack Herkunftslandprinzip und internationale elektronische Werbung nach der Novellierung des TDG WRP 2002, 271; Roßnagel/Scheuer Das europäische Medienrecht MMR 2005, 271; Schima Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2. Aufl Wien 2004; Schmitt-Vockenhausen Revision der EG-Fernsehrichtlinie ZUM 1998, 377; Schmittmann Das Urteil des LG Stuttgart zum Brutto/Nettoprinzip bei Fernsehwerbeunterbrechungen – Landesmedienrecht im Konflikt zum primären und sekundären Gemeinschaftsrecht AfP 1997, 515; Schneider/Hommelhoff/Schmidt/Timm/Grunewald/ Drygala Festschrift für Marcus Lutter: Deutsches und europäisches Gesellschafts-, Konzern- und Kapitalmarktrecht, Köln 2000 (zit Bearbeiter FS Lutter); Schricker Die Bekämpfung der irreführen-
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht den Werbung in den Mitgliedstaaten der EG GRUR Int. 1990, 112; Schricker/Bastian/Knaak (Hrsg) Gemeinschaftsmarke und Recht der Mitgliedstaaten, München 2006 (zit Schricker/Bastian/Knaak/ Bearbeiter); Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg) Neuordnung des Wettbewerbsrechts, Baden-Baden 1999 (zit Schricker/Henning-Bodewig/Bearbeiter); Schultz Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten des EGV AöR 2007, 316; Schulz Der Bedeutungswandel des Urheberrechts durch Digital Rights Management GRUR 2006, 470; ders Medienkonvergenz light – Zur neuen Europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste EuZW 2008, 107; Schwartmann (Hrsg) Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 1. Aufl Heidelberg 2008; Schwartz Fernsehen ohne Grenzen: Zur Effektivität und zum Verhältnis von EG-Richtlinie und Europarats-Konvention EuR 24 (1989), 1; Schwarze (Hrsg) Rundfunk und Fernsehen im Lichte der Entwicklung des nationalen und internationalen Rechts, Baden-Baden 1986; Seichter Die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums WRP 2006, 391; ders Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken WRP 2005, 1087; Seidel (Hrsg) Hörfunk und Fernsehen im Gemeinsamen Markt, Baden-Baden 1983; Selmayr/Kamann Public Broadcasting and EC State Aid Law: No „Carte Blanche“ after Altmark Trans (Rs C-280/00) K&R 2004, 49; Söhring/SeelmannEggebert Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts in den Jahren 2000 bis 2004 NJW 2005, 571; Spindler Europäisches Urheberrecht in der Informationsgesellschaft GRUR 2002, 105; Spindler/Dorschel Vereinbarkeit der geplanten Auskunftsansprüche gegen Internet-Provider mit EURecht CR 2006, 341; Spindler/Weber Die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie nach dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums ZUM 2007, 257; Stein Bananen-Split? Entzweien sich BVerfG und EuGH über den Bananenstreit? EuZW 1998, 261; Steinbeck Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung in das deutsche Recht WRP 2006, 632; Stender-Vorwachs/Theißen Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste – Fernsehrichtlinie reloaded? ZUM 2007, 613; dies Die Revision der Fernsehrichtlinie ZUM 2006, 362; Stock Europäisches Medienrecht im Werden RuF 1989, 180; Stotz Vorrang des Gemeinschaftsrechts – Anmerkungen zum Boisdet-Urteil des Conseil d’Etats EuZW 1991, 118; Streinz (Hrsg) EUV/EG, Kommentar München 2003 (zit Streinz/Bearbeiter); Stürner Caroline-Urteil des EGMR – Rückkehr zum richtigen Maß AfP 2005, 213; Sumrada/Nohlen Control of State Aid for Public Service Broadcasting: Analysis of the European Commission’s Recent Policy EStAL 2005, 609; Tigchelaar State Aid to Public Broadcasting – Revisted EStAL 2003, 169; Tilmann Neue Überlegungen zum Patentrecht GRUR 2006, 824; Trenkelbach Internetfreiheit. Die europäische Menschenrechtskonvention als „Living Instrument“ vor neuen Herausforderungen? Berlin 2005; Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet MMR 2008, 83; Ulich Der Pornographiebegriff und die EG-Fernsehrichtlinie, Baden-Baden 2000; Ullmann Das Europäische Urheberrecht in der deutschen Rechtsprechung, in: Riesenhuber (Hrsg) Systembildung im Europäischen Urheberrecht, Berlin 2007, 301; Wandtke/Ohst Zur Reform des deutschen Geschmacksmustergesetzes GRUR Int 2005, 91; Wank Die Niederlassungsfreiheit in der EU: die Rechtslage in Deutschland NZA 2005 (Beilage 2 zu Heft 21), 88; Walter (Hrsg) Europäisches Urheberrecht, Kommentar 1. Aufl Wien 2000 (zit Walter/Bearbeiter); Weiden Aktuelle Berichte – Juni 2007 GRUR 2007, 491; von Welser Die neue europäische Produktpiraterieverordnung EWS 2005, 202; Weigend Strafrechtliche Pornographieverbote in Europa ZUM 1994, 133; Wiedemann Ein Kyoto-Protokoll für die Kultur, ARD-Jahrbuch 2007, 23, abrufbar unter http://www.ard.de/intern/publikationen//id= 686346/property=download/nid=8080/1lyv3cz/artikel. pdf; Würfel Europarechtliche Möglichkeiten einer Gesamtharmonisierung des Urheberrechts, Karlsruhe 2005.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
Übersicht Rn § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Bedeutung des europäischen Medienrechts für das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsquellen, Normenhierarchie und Wirkung europäischer Normen . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis des europäischen zum nationalen Recht . . . . . . . § 2 Europäisches Primärrecht . . . . . . I. Grundfreiheiten . . . . . . . . 1. Warenverkehrsfreiheit, Art 28 ff EGV . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . b) Ausnahmen/Rechtfertigung aa) Art 30 EGV . . . . . bb) Immanente Einschränkungen von Art 28 EGV . . . . . . . . . cc) Die Grundrechte als Rechtfertigungsgründe und Schranken-Schranken . . . 2. Dienstleistungsfreiheit, Art 49 ff EGV . . . . . . . 3. Niederlassungsfreiheit, Art 43 Abs 2 EGV . . . . . . . . . 4. Kapitalverkehrsfreiheit . . . II. Grundrechte: Art 10 EMRK . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . 2. EMRK als Rechtsquelle, Begünstigte, Drittwirkung, und Prüfungsfolge . . . . . . . . 3. Die Meinungs- und Informationsfreiheit . . . . . . . . . 4. Differenzierung des Schutzstandards nach Inhalten . . 5. Prominente und ihre Privatsphäre . . . . . . . . . . . 6. Zurechnung . . . . . . . . III. Kartell- und Wettbewerbsrecht IV. Beihilfenrecht . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . 2. Struktur und Verfahren . . . 3. Relevanz des Art 87 Abs 1 EGV für die Medien . . . . 4. Der Tatbestand der Beihilfe . a) Übersicht . . . . . . . . aa) Staatliche Mittel . . . bb) Begünstigung . . . . cc) Wettbewerbs- und Handelsbeeinträchtigung . . . . . . . . . b) Art 86 Abs 2 EGV . . . . c) Art 87 Abs 3d) EGV . . . § 3 Medien im Völkerrecht und Europa . I. Einleitung . . . . . . . . . . . II. GATT/GATS . . . . . . . . . . III. Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen . . .
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1–16
1–8
9–11 12–16 17–102 17–46 20–35 20–24 25–35 27–29
30–32
33–35 36–38 39–43 44–46 47–73 47–51
52–56 57–60 61–67 68–72 73 74 75–102 75, 76 77–81 82–84 85–102 85–96 86–90 91–93
94–96 97–100 101–102 103–120 103–109 110–113 114–120
Rn § 4 Entscheidungskompetenzen . . . . . I. Gesetzgebungskompetenzen . . II. Vorlage an den EuGH . . . . . 1. Vorabentscheidungsverfahren gem Art 234 Abs 2 EGV . . . . . . . . . . . . 2. Typische Auslegungsfragen . 3. Die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts . . . . § 5 Öffentliches europäisches Medienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . II. Sekundärrecht im Bereich des Medienrechts . . . . . . . . . 1. Fernsehrichtlinie in der Fassung von 1997 . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . b) Geltungsbereich . . . . . c) Das Sendelandprinzip . . d) Möglichkeiten der Inländerdiskriminierung . . . e) Quotenvorgaben . . . . . f) Fernsehwerbung und Sponsoring . . . . . . . . g) Jugendschutz . . . . . . . h) Gegendarstellung . . . . 2. Richtlinie über audiovisuelle Medien (AVMDR) . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . b) Geltungsbereich . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . bb) Abgrenzung zwischen Diensten der Informationsgesellschaft und audiovisueller Mediendiensten . . . . . . . cc) Abgrenzung zwischen Fernsehen und audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf . c) Neue Regelungen für Fernsehdienste? . . . . . . . . aa) Einleitung . . . . . . bb) Werbemengenbegrenzung . . . . . . . . . cc) Durchbrechung des Trennungsprinzips . . dd) Produktplatzierung . d) Wichtige Regelungen für nicht-linear audiovisuelle Dienste . . . . . . . . . aa) Weiche Quote . . . . bb) Fernsehwerbung und Sponsoring . . . . . 3. Telekommunikationsrichtlinien . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . b) Die Rahmenrichtlinie . . c) Die Genehmigungsrichtlinie . . . . . . . . . . .
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121–134 121–127 128–134
128–132 133 134 135–204 135, 136 137–204 137–166 137–141 142, 143 144–153 154, 155 156, 157 158, 159 160–163 164–166 167–189 167 168–175 168, 169
170–174
175 176–186 176 177, 178 179–181 182–186
187–189 187, 188 189 190–200 190–192 193–195 196
Kapitel 3 Europäisches Medienrecht Rn d) Die Zugangs- und Zusammenschaltungsrichtlinie . e) Die Datenschutzrichtlinie f) Die Universaldienstrichtlinie . . . . . . . . . . . 4. Filmförderung . . . . . . . § 6 Privates europäisches Medienrecht . I. Überblick . . . . . . . . . . . 1. Die Instrumente des Sekundärrechts . . . . . . . . . . 2. Europäisches Strukturprinzip a) Herkunftslandprinzip . . b) Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung II. Sekundärrecht . . . . . . . . 1. Geistiges Eigentum . . . . . a) Urheberrecht und Recht der Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . aa) ComputerprogrammRichtlinie (RL 91/250/ EWG) . . . . . . . . bb) Vermiet- und Verleih Richtlinie (RL 92/100/ EWG) in der Fassung der RL 115/2006/EG cc) Satelliten- und KabelRichtlinie (RL 93/83/ EWG) . . . . . . . . dd) Schutzdauer-Richtlinie (RL 93/98/EWG) in der Fassung der RL 116/2006/EG . . . . ee) Datenbankrichtlinie (RL 96/9/EG) . . . . ff) Informationsgesellschafts-Richtlinie (RL 2001/29/EG) – sog Multimedia-Richtlinie . . . . . . . . . gg) Folgerechts-Richtlinie (RL 2001/84/EG) . . hh) Entwurf einer Entschließung des Europäischen Parlaments über einen Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften vom 11.12.2003 . . . ii) Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss vom 16.4.2004 . . . jj) Empfehlung der Kommission vom 18.10. 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von
197 198, 199 200 201–204 205–319 205–208 206 207–208 207 208 209–319 209–296
209–270
212–216
217–224
225–230
231–236 237–241
242–251 252–259
260–262
263–265
Rn Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden . . . 266–270 b) Gewerbliche Schutzrechte 271–284 aa) Marken-Richtlinie und GemeinschaftsmarkenVerordnung . . . . . 272–274 bb) GeschmacksmusterRichtlinie und Gemeinschaftsgeschmacksmuster-Verordnung . 275–279 cc) Patentschutz . . . . . 280–284 c) Rechtsdurchsetzung . . . 285–296 aa) GrenzbeschlagnahmeVerordnung (VO 1383/ 2003/EG) . . . . . . 285–287 bb) Enforcement-Richtlinie (RL 2004/48/EG) . . 288–295 cc) Vorschlag für eine Richtlinie zu strafrechtlichen Sanktionen zum Schutz geistigen Eigentums . . . . . . 296 2. Werberecht . . . . . . . . . 297–317 a) Allgemeines Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . 299–308 aa) Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 84/450/EWG in der Fassung der Richtlinie 2006/114/EG) . . . . 299-301 bb) Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) 302–306 cc) Richtlinie über Unterlassungsklagen (RL 1998/27/EG) . . . . . 307 dd) Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (VO Nr 2006/2004/EG) . 308 b) Medienspezifisches Werberecht (Internet und Fernsehen) . . . . . . . . . . 309–313 aa) Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (2000/ 31/EG) . . . . . . . . 309 bb) Fernabsatzrichtlinie (1997/7/EG) und die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (2002/ 65/EG) sowie der Richtlinie 2002/58/EG über den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation . . . . . 310
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1. Teil Rn
Rn
cc) Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 2007/65/EG) . . 311–313
c) Inhaltsspezifisches Werberecht . . . . . . . . . . . 314–317 3. Äußerungsrecht . . . . . . . . 318, 319
§1 Einleitung I. Zur Bedeutung des europäischen Medienrechts für das nationale Recht 1
Das europäische Medienrecht hat in den letzten 20 Jahren erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen. Dafür gibt es viele Gründe. Zunächst ist das europäische Medienrecht wichtig für das Verständnis des nationalen 2 Medienrechts. Viele deutsche rundfunkrechtliche Normen beruhen auf europäischen Harmonisierungsvorgaben, so im öffentlichen Medienrecht zB die Werberegulierung und die Quotenvorgaben im Rundfunkstaatsvertrag; im privaten Medienrecht gehen die letzten fünf Novellierungen des Urheberrechtsgesetzes auf Vorgaben aus Brüssel zurück.1 Diese nationalen Normen müssen richtlinienkonform ausgelegt werden. Das folgt 3 bereits aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Richtlinien in nationales Recht umzusetzen (Art 249 Abs 3 EG). Dies gilt selbst dann, wenn die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.2 Prozessual eröffnet dieser Umstand grds eine zusätzliche Instanz. Das Gericht des Mitgliedstaats kann eine das Gemeinschaftsrecht betreffende Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn es die Rechtsfrage für entscheidungserheblich hält und begründete Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat. Die praktische Folge ist, dass das Gerichtsverfahren Jahre länger dauern kann.3 Die sog Grundfreiheiten, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit, bilden einen Maß4 stab, an dem sich nationales Medienrecht messen lassen muss, soweit es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht. Dabei fungieren die Grundfreiheiten gegenüber dem nationalen Recht ähnlich wie Grundrechte im nationalen Verfassungsrecht. Eingriffe in die Grundfreiheiten müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. „[…] Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich…, dass nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfüllen müs-
1
Richtlinie 93/83/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vom 27.9.1993, umgesetzt ua in den §§ 20a und 20b, 87 Abs 4 UrhG, die Richtlinie 93/98/EWG des Rates zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte vom 29.10.1993, umgesetzt ua in §§ 66, 67, 71, 72 Abs 3 UrhG, die Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Datenbanken vom 11.3.1996, umgesetzt ua in §§ 87a–87e, 127a
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UrhG, sowie die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22.5.2001, umgesetzt ua in §§ 16 Abs 1, 19a, 44a, 52a UrhG. BGHZ 138, 55 ff. So war es zB im Rechtstreit über die Auslegung der Fernsehrichtlinie hinsichtlich des Brutto-Netto-Prinzips, vgl LG Stuttgart ZUM 1997, 62; OLG Stuttgart MMR 2001, 48; EuGH ZUM 2000, 58.
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§1
Einleitung
sen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. […]“ 4 Der aus dem deutschen Recht stammende europäische Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist allerdings nicht völlig identisch mit dem deutschen Original.5 So fällt auf, dass die jüngere Rechtsprechung des EuGH in Abkehr von der klassischen Verhältnismäßigkeitsformel die Angemessenheitsprüfung nicht mehr ausdrücklich als eigenständige Prüfungsstufe bezeichnet.6 Die Dienstleistungsfreiheit und Art 10 EMRK hatten drastische Auswirkungen auf die nationalen Rundfunkmonopole, die ohne sie möglicherweise noch heute existierten.7 Unter Rückgriff auf diese Freiheitsrechte wurde die Monopolstellung vieler öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten gebrochen, ua in Italien, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Portugal und Griechenland. Auch in Deutschland war die Tatsache, dass eine Einstrahlung und Weiterverbreitung ausländischer Programme, wie zB des seit 1984 zunächst von Luxemburg ausstrahlenden TV-Senders RTL Television, aus europarechtlichen Gründen nicht zu verhindern sein würde, einer der Gründe für die Zulassung privaten Rundfunks. Ebenfalls von erheblicher Relevanz ist das EU-Kartellrecht. Rechtsgrundlage ist die VO 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FusionskontrollVO).8 Die Verordnung findet auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung Anwendung. Wichtige Fusionsverfahren in Deutschland sind am Widerstand der Kommission gescheitert. So sähe zB der Pay-TV-Markt in Deutschland heute anders aus, wenn 1994 der Zusammenschluss des 1990 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen „Premiere“ von der Kirch-Gruppe, Bertelsmann und Telekom oder später in abgeschwächter Form 1999 von der Kommission genehmigt worden wäre.9 Schließlich hat das Verbot wettbewerbsverfälschender Beihilfen (Art 87 Abs 1 EGV) Auswirkungen auf die deutsche Medienordnung.10 Zum einen begrenzt es die Handlungs- und Wachstumsmöglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 11, zum anderen bietet es den Rahmen, den die deutsche Filmförderung auf Bundes und Landesebene nicht überschreiten darf.12
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EuGH Rs C-55/94 – Gebhard, Slg 1995 I-04165 Rn 37. Badura/Scholz/Ossenbühl FS Lerche, 151 ff; Marauhn VerwArch 85 (1994) 52 ff. EuGH Rs C-36/97 und C-37/97 – Kellinghusen, Slg 1998 I-06337 Rn 33; Rs C-233/94 – Einlagensicherung, Slg 1997 I-2405, Rn 54; Rs C-280/93 – Bananenmarktordnung, Slg 1994 I-04973. Unterschiede bestehen auch im Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle gegenüber dem Gemeinschaftsgesetzgeber, vgl auch Stein EuZW 1998, 261, 262 ff; Lenz NJW 1997, 3289 ff. EuGH Rs C-155/73 – Sacchi, Slg 1974, 409; Rs C-352/84 – Bond van Adverteeders, Slg
8
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1988, 2085; Rs C-260/89 – ERT, Slg 1991 I-2925; Rs C-288/89 – Gouda, Slg 1991 I-4007; EGMR NJW 1991, 620 – Autronic; EGMR AfP 1994, 281 – Lentia; vgl auch Barendt/Hitchens 162 ff, Greissinger 92 ff. Verordnung 139/2004/EG des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (EG-Fusionskontrollverordnung). ABlEG 1994 L 364, 1 – MSG Media Service bzw ABlEG 1999 L 53, 1 – Bertelsmann/ Kirch/Premiere. S unten Rn 82 ff. S unten Rn 82 ff. S unten Rn 84 ff.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
II. Rechtsquellen, Normenhierarchie und Wirkung europäischer Normen 9
Im Gemeinschaftsrecht existiert eine ähnliche Normenhierarchie wie im innerstaatlichen Recht. An ihrer Spitze steht das primäre Gemeinschaftsrecht, das die Gründungsverträge EGV und EAGV, die Protokolle zu den Verträgen und die allgemeinen Rechtsgrundsätze umfasst. Die Verträge bilden gleichzeitig die Grundlage des von den Gemeinschaftsorganen erlassenen sekundären Gemeinschaftsrechts. Dazu gehören Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Auch Empfehlungen und Stellungnahmen können eine rechtliche Wirkung bei der Interpretation des europäischen und nationalen Rechts entfalten. Zwischen sekundärem und primärem EU-Recht stehen die völkerrechtlichen Abkommen, die gem Art 300 Abs 7 EGV die Gemeinschaftsorganen binden. Die Regeln des allgemeinen Völkerrechts (Gewohnheitsrecht und allgemeiner Rechtsgrundsätze) finden Geltung, soweit sie nicht von den Regeln des EU Rechts verdrängt werden.13 Gemeinsam mit den politischen Zielsetzungen der Gemeinschaft bildet der Bestand des EU Rechts den sog gemeinschaftlichen Besitzstand (acquis communautaire), den die Beitrittsstaaten übernehmen müssen. Anpassungen des bestehenden Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf die Aufnahme neuer Staaten werden durch Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem beitretenden Staat geregelt (Art 49 Abs 2 EU). Die Verordnung entspricht in ihrer Normqualität am ehesten einem innerstaatlichen 10 Gesetz (vergleiche Art 249 Abs 2 EGV). Sie gilt unmittelbar und ist in allen Teilen auch für den einzelnen verbindlich. Gem Art 253 EGV muss die europäische Gemeinschaft Verordnungen begründen. Sie sind im Amtsblatt der Gemeinschaften, Teil L, zu veröffentlichen. Das für die Medien in Europa wichtigste Beispiel ist die FusionskontrollVO. Während das primäre Gemeinschaftsrecht und auch die Verordnungen nach Art 249 11 Abs 2 EGV für die Mitgliedstaaten ohne weitere Umsetzungsnormen rechtlich verbindlich sind 14, bedürfen die Richtlinien nach Art 249 Abs 3 EGV noch der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Erst nach Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist kann eine Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkungen entfalten, mit der Folge, dass abweichendes nationales Recht nicht zum Nachteil des Betroffenen angewendet werden darf.15 Bei begünstigenden Richtlinien kann sich der Einzelne nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar auf die Richtlinie berufen, sofern diese inhaltlich unbedingte und ausreichend konkrete Rechte verbürgt beziehungsweise Regelungen enthält.16 Bei der Anwendung einschlägiger, europäischer Richtlinien ist demnach von entscheidender Bedeutung, ob die für die Umsetzung einer einschlägigen Richtlinie vorgeschriebene Umsetzungsfrist noch läuft oder bereits abgelaufen ist, und ob der Mitgliedstaat die Richtlinie umgesetzt hat oder nicht: – Ist die Umsetzungsfrist einer einschlägigen Richtlinie noch nicht abgelaufen, so kann sie jedoch schon Vorwirkungen zeigen und es kann für die mitgliedstaatlichen Gerichte angezeigt sein, die Richtlinie bereits zu beachten und das nationale Recht entsprechend richtlinienkonform auszulegen („stand still“).17 Die richtlinienkonforme Auslegung hat innerhalb der Grenzen der nationalen Methodenlehre und unter voller Ausschöpfung eventuell bestehender Beurteilungsspielräume, nicht jedoch contra 13 14
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Vgl Herdegen § 9 Rn 1. Grundlegend zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts EuGH Rs 6/64 – Costa ENEL, Slg 1964, 585. EuGH Rs C-212/04 – Adelener, Slg 2006 I-6057.
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EuGH Rs 152/84 – Marshall, Slg 1986, 723, 749; keine unmittelbare Wirkung jedoch zwischen Privatpersonen, EuGH Rs C-192/94 – El Corte Ingles, Slg 1996 I-1281. Weiterführend Auer NJW 2007, 1106.
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§1
Einleitung
legem, das heißt nicht entgegen dem expliziten Wortlaut der nationalen Regelung zu erfolgen.18 Eine solche richtlinienkonforme Auslegung ist vor allem dann angezeigt, wenn die anzuwendende nationale Norm letztlich auf einer Wertungsfrage beruht und die Wertung bei Geltung des Gemeinschaftsrechts in jedem Fall anders ausfällt.19 Enthält eine noch nicht umgesetzte Richtlinie jedoch strengere Regeln als das nationale Recht, so kann sie noch keine Vorwirkungen zeigen. Eine Verbots- oder Eingriffsregel bedarf einer gesetzlichen Grundlage, welche vor Ablauf der Umsetzungsfrist eben noch nicht gegeben ist.20 – Ist die Umsetzungsfrist bereits abgelaufen, ist eine Richtlinie unmittelbar anwendbar, sofern die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewendet werden zu können. Sind diese Voraussetzungen gegeben, können sich Einzelne gegenüber dem Staat vor nationalen Behörden und Gerichten auf die sie begünstigenden Vorschriften der Richtlinie berufen.21 Unmittelbar anwendbar ist das Richtlinienrecht grds nur gegenüber dem Staat. Die begünstigende Drittwirkung für den Einzelnen gilt unter bestimmten Voraussetzungen allerdings auch gegenüber privaten Arbeitgebern.22 Eine unmittelbare Drittwirkung zulasten Dritter wird vom EuGH bisher abgelehnt.23 – Widersprechen sich das Richtlinienrecht und das nationale Recht, so sind die mitgliedstaatlichen Gerichte gehalten, den Konflikt unter Anwendung aller gebotener Auslegungsregeln unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts zu beseitigen 24 oder das entgegenstehende nationale Recht gem Art 10 Abs 2 EG nicht anzuwenden. Die Nichtanwendung von (weiter-)geltenden und einschlägigen, nationalen Normen führt jedoch weder auf der nationalen Ebene zu Rechtsklarheit noch kann damit zu einem einheitlichen Gemeinschaftsrecht sinnvoll beigetragen werden. Bei Unvereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht bietet sich für den Richter deshalb das Vorlageverfahren an, insbesondere weil die Konfliktlage dadurch dem nationalen Gesetzgeber besonders deutlich vor Augen geführt wird.25 – Richtlinien müssen effektiv umgesetzt werden („effet utile“-Prinzip). Über den Inhalt und die Geltung des Richtlinienrechts im innerstaatlichen Recht dürfen für den einzelnen und die nationalen Organe kein Zweifel bestehen. Deshalb müssen Richtlinien grds in Form von Außenrechtssätzen (Gesetzen, Rechtsverordnungen und Ähnlichem) umgesetzt werden. Eine Umsetzung in Form einer bloßen Verwaltungsvorschrift ist deswegen problematisch.26 18
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EuGH Rs C-212/04 – Adelener, Slg 2006 I-6057; BGH GRUR 1998, 824, 827 – Testpreis-Angebot. Bspw in der Entscheidung des 1. Zivilsenats zur Frage der Zulässigkeit vergleichender Werbung, welche in Vorgriff auf die Regelungen der Werberichtlinie RL 97/55/EG zur Änderung der RL 84/450/EWG über irreführende Werbung bis dato wettbewerbswidrige, vergleichende Werbung bereits zuließ, sofern nur die ebenfalls in der Richtlinie geforderten Voraussetzungen erfüllt sind – BGH GRUR 1998, 824 ff – TestpreisAngebot. Riesenhuber/Ullmann 303. EuGH Rs 8/81 – Becker, Slg 1982, 53;
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ständige Rechtsprechung, vgl zB EuGH Rs 152/84 – Mindestrentenalter, Slg 1986, 9723; Rs C-319/97 Slg 1999 I-03143; Rs C-174/00 Slg 2002 I-07869; Rs C-231/06 EuZW 2007, 644. EuGH Rs 152/84 – Marshall, Slg 1986, 723, 749. EuGH Rs C-91/92 – Faccini Dori, Slg 1994 I-3325; vgl aber EuGH Rs C-397/01 – Pfeiffer, Slg 2004 I – 8835. EuGH Rs C-212/04 – Adelener, Slg 2006 I-6057; Auer NJW 2007, 1106 ff. S unten Rn 128 ff; vgl auch Riesenhuber/Ullmann 305. Vgl EuGH Rs C-361/88 – TA Luft, Slg 1991 I-2567.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
– Die Nichtumsetzung von Richtlinien kann auch zu einem Staatshaftungsanspruch führen.27 Der EuGH hat in weitgehender Rechtsfortbildung Schadensersatzansprüche des Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht selbst auch dann bejaht, wenn das nationale Staatshaftungsrecht überhaupt keine Basis für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Gemeinschaftsrecht bietet. Die Voraussetzungen, die der EuGH für eine derartige Staatshaftung aufstellt, ähneln den Kriterien für die unmittelbare Wirkung von nicht umgesetzten Richtlinien. So muss die Richtlinie dem Einzelnen subjektive Rechte verleihen. Der Inhalt der Rechte muss soweit konkretisiert sein, dass das Mindestmaß der gebotenen Begünstigung klar erkennbar ist. Außerdem muss zwischen dem Verstoß des Mitgliedstaates gegen die Umsetzungsfrist und dem entstandenen Schaden für den begünstigten ein kausaler Zusammenhang bestehen. Die Ausgestaltung der Staatshaftung überlässt der EuGH dem nationalen Haftungsrecht. Die aus der „Francovic“-Rechtsprechung 28 gewonnenen Erkenntnisse und Grundsätze wendet der EuGH seit Mitte der neunziger Jahre auch auf die Verletzung von unmittelbar wirksamen primärem Gemeinschaftsrecht an. Auch hier stellt der Entschädigungsanspruch aus Sicht des Gerichts eine notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung dar, die den Gemeinschaftsvorschriften zukommen, auf deren Verletzung der entstandene Schaden beruhe. Dabei lehnt der EuGH ausdrücklich ein besonderes Verschulden des verantwortlichen Organs als Haftungserfordernis ab. Die Anerkennung einer solchen Staatshaftung revolutioniert das deutsche Staatshaftungsrecht, das bis dahin keinen Anspruch wegen legislativen Unrechts kannte.29
III. Verhältnis des europäischen zum nationalen Recht 12
Das Gemeinschaftsrecht genießt Vorrang gegenüber dem nationalen Recht.30 Der EuGH hat in der Rechtssache Costa/Enel 31 eine für das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht grundlegende Feststellung getroffen: Die Staaten hätten Hoheitsrechte endgültig auf das von ihnen geschaffene Gemeinwesen übertragen. Sie könnten diesen Akt durch spätere einseitige Maßnahmen nicht rückgängig machen. Das Primat des Gemeinschaftsrechts ergebe sich aber auch aus dem Grundsatz der Vertragstreue (Art 10 EGV), dem Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV) und der unmittelbaren Geltung von Verordnungen in jedem Mitgliedstaat (Art 249 Abs 2 EGV). Das Gemeinschaftsrecht ist insoweit ein besonderes Völkerrecht, da es im Rang zwischen Verfassungsrecht und einfachem Gesetzesrecht steht oder nur den Rang einfachen Gesetzesrechts hat (Art 59 GG). Das Verhältnis von inkorporiertem oder transformiertem Völkerrecht und staatlichem Recht bestimmt sich nach der Regel, wonach das spätere Gesetz das frühere Gesetz verdrängt („lex posterior“-Grundsatz).
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Ein aktuelles Beispiel aus dem Bereich der Medien ist die Klage deutscher TV-Sender gegen die Bundesrepublik vor dem LG Berlin, die sich bei der vorletzten Urheberrechtsreform (sog 1. Korb) nicht in der Lage gesehen hatte, den Sendern einen Vergütungsanspruch aus §§ 53 ff UrhG auf der Basis ihres Signalrechts gem § 87 UrhG zu gewähren (Az 23 O 37/07; nicht rechtskräftig); vgl dazu epd Medien 2008, Nr 7, 12.
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EuGH C-6/90 ua – Francovich, Slg 1991 I-5357. Ausf dazu Dauses/Stettner A IV Rn 46 f. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird von den Gerichten der Mitgliedstaaten – nach anfänglichem Zögern – allgemein anerkannt. Ein Überblick geben Bieber/Epiney/ Haag 94 ff; zur Haltung des französischen Conseil d’Etats vgl Stotz EuZW 1991, 118 ff. EuGH Rs 6/64 – Costa/Enel, Slg 10, 1251.
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§1
Einleitung
Fraglich ist lediglich, ob es sich beim Vorrang des Gemeinschaftsrechts um einen Geltungsvorrang handelt oder nur um einen Anwendungsvorrang im Sinne einer Kollisionsregel. Bei einem Geltungsvorrang würde ein Verstoß des nationalen Rechts gegen das EU-Recht automatisch zu dessen Unwirksamkeit führen, während bei einer Kollisionsregel das EU-rechtswidrige innerstaatliche Recht nur im konkreten Fall nicht angewendet werden dürfte. Auch ein Anwendungsvorrang kann jedoch weit reichende Folgen haben. Dies zeigt sich am Beispiel der Bestandskraft von (gemeinschaftsrechts-)widrigen Verwaltungsakten. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts setzt sich zumindest insoweit gegen die Bestandskraft durch, als eine Geldstrafe, die nach dem Zeitpunkt des Beitritts eines Mitgliedstaates wegen der Nichtbeachtung eines bestandskräftigen Veraltungsaktes verhängt wurde, nicht verlangt werden kann.32 Etwas komplexer ist das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht. Grds bot bereits Art 24 Abs 1 GG (und bietet heute Art 23 GG) eine ausreichende Basis für den Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Das Bundesverfassungsgericht verneinte jedoch in der ersten „Solange-Entscheidung“ 1974 den Vorrang des Gemeinschaftsrechts, weil es die Grundrechtsgewährleistungen des Gemeinschaftsrechts für nicht ausreichend hielt. Solange der allgemein verbindliche Grundrechtsstandard des EU Rechts demjenigen des Grundgesetzes noch nicht mit Sicherheit entspräche, sei es Sache des nationalen Verfassungsgerichts, sekundäres Gemeinschaftsrecht auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu überprüfen und gegebenenfalls seine Unanwendbarkeit festzustellen.33 Später hat das Gericht angesichts der Weiterentwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte durch den Europäischen Gerichtshof die „Solange-Formel“ umgedreht. Solange die Europäische Gemeinschaft einen wirksamen, dem Grundgesetz im Wesentlichen entsprechenden Schutz der Grundrechte gewährleistet, will das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendung von sekundärem Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausüben und nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes messen.34 Entsprechende Vorlagen nach Art 100 Abs 1 GG seien somit unzulässig.35 Diese zweite „Solange-Formel“ hat das Bundesverfassungsgericht in seinem MaastrichtUrteil im Grundsatz bestätigt und hinzugefügt, dass es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem „Korporationsverhältnis“ zum EuGH ausüben wolle, indem der EuGH den Grundrechtsschutz im Einzelfall garantiere und das Bundesverfassungsgericht sich auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsschutzes beschränken könne.36 Kurz zusammengefasst lassen sich deshalb drei Varianten differenzieren: Einfaches Verfassungsrecht muss dem Gemeinschaftsrecht weichen. Verfassungsrecht, für das es keinen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene gibt, bleibt anwendbar. Und schließlich kann auch der unantastbare Kernbestand des Art 79 Abs 3 GG nicht von entgegenstehendem Gemeinschaftsrechts verdrängt werden. Diese sog Ewigkeitsgarantie des Art 79 Abs 3 GG führt auch dazu, dass das Bundesverfassungsgericht seine frühere Rechtsprechung, wonach eine Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar gegen supranationale Hoheitsakte gerichtet werden konnte (da es sich dabei nicht um einen Akt deutscher öffentlicher Gewalt handelte) aufgegeben hat. Denn auch Akte einer supranationalen Organisation betreffen Grundrechte; sie berühren damit 32 33 34 35
EuGH Rs C-224/97 – Ciola, Slg 1999 I-2517. BVerfGE 37, 271, 279 ff – Solange I. BVerfGE 73, 339, 375 ff – Solange II. S aber unten in der nachfolgenden Rn 16; BVerfGE 73, 339, 387 – Solange II.
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BVerfGE 89, 155 – Maastricht; vgl Dörr ZUM 1995, 14 ff.
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1. Teil
die Gewährleistung des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts.37 Die Reduzierung der inhaltlichen Kontrolle im Grundrechtsbereich beinhaltet also keine Beschränkung der Kontrolle in Kompetenzfragen. Ausgehend vom Demokratieprinzip als tragendem Strukturprinzip des Grundgesetzes iSd Art 79 Abs 3 GG behält sich das Gericht deswegen vor, das jeweilige Zustimmungsgesetz dahingehend zu kontrollieren, ob es sich an die durch die Verträge den Gemeinschaftsorganen zugewiesenen Kompetenzen hält. Diese Überprüfung einer möglichen Kompetenzüberschreitung durch einen Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft wird auch von anderen Gerichten in Europa vertreten und vom Europäischen Parlament mit Besorgnis betrachtet.38
§2 Europäisches Primärrecht I. Grundfreiheiten 17
Gem Art 14 Abs 2 EGV ist es vorrangiges Ziel der Europäischen Gemeinschaft, einen einheitlichen Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen zu errichten, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Unterschiedlich strenge Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten im Bereich des Medienrechts können den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt behindern und damit das gegenüber dem nationalen Recht vorrangige Primärrecht der Gemeinschaft verletzen. Neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Art 12 EGV sind im Bereich des Medienrechts vor allem die primärrechtlichen Vorschriften zum Schutze des freien Warenverkehrs (Art 28 ff EGV) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art 49 ff EGV) von Bedeutung. Daneben können auch die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit eine Rolle spielen. Allerdings sind nationale medienrechtliche Bestimmungen, die auf Gemeinschaftsebene bereits abschließend harmonisiert wurden, anhand der betreffenden Harmonisierungsmaßnahmen und nicht des primären Gemeinschaftsrechts zu beurteilen.39 18 Eine mitgliedstaatliche, gesetzliche Regelung verstößt damit gegen primäres Gemeinschaftsrecht, wenn die Rechtsfrage noch nicht durch sekundäres Gemeinschaftsrecht abschließend harmonisiert wurde, wenn der Anwendungsbereich einer Grundfreiheit eröffnet ist und die nationale Maßnahme nicht durch die expliziten Schrankenregelungen der Grundfreiheiten oder den durch Rechtsprechung bestätigten immanenten Schranken gerechtfertigt ist.40 19 Nationales Recht, welches gegen die Grundfreiheiten verstößt, ist zwar nicht nichtig, darf aber von den Gerichten nicht angewandt werden.41 Verstößt eine nationale Rechtsvorschrift etwa gegen die Warenverkehrsfreiheit (zB das deutsche Reinheitsgebot für Bier) 42, und wird diese jedoch für den grenzüberschreitenden Warenverkehr aufgehoben und nur für Inländer beibehalten, so ist der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht nicht mehr gegeben. In diesen Fällen der Inländerdiskriminierung ist das Gemeinschaftsrecht nicht mehr betroffen, sondern es kommen Verstöße gegen nationales Verfassungsrecht in Betracht.43 37 38 39 40
BVerfGE 89, 155, 175 – Maastricht. Vgl Herdegen Rn 247 f. EuGH EuZW 2002, 89 – Daimler Chysler; EuGH NJW 2004, 131 – DocMorris. Wie etwa im Urteil EuGH GRUR 1979, 468 – Cassis de Dijon.
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EuGH EuZW 1997, 574 – Morrelato. EuGH Rs 178/84 – Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227. S dazu EuGH EuZW 1992, 189 – Steen/ Deutsche Bundespost.
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§2
Europäisches Primärrecht
1. Warenverkehrsfreiheit, Art 28 EGV a) Grundsatz. Art 28 EGV verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen und nach gefestigter Rechtssprechung des EuGH auch sämtliche Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Als Maßnahme mit gleicher Wirkung ist laut EuGH jede Regelung der Mitgliedstaaten anzusehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.44 Es ist nicht erforderlich, dass die nationale Regelung gerade bezweckt, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln. Vielmehr kommt es lediglich darauf an, wie sich die Regelung tatsächlich oder potenziell auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken kann. Mit dieser sog „Dassonville-Formel“ hat der EuGH den Anwendungsbereich des Art 28 EGV gleich einer Generalklausel weiterentwickelt, welche eine Überprüfung sämtlicher Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs erlaubt. Fehlt es an einer anerkannten Rechtfertigung für solche Beschränkungen aufgrund Art 30 EGV oder entsprechend der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung 45, so unterfallen sie dem Verbot des Art 28 EGV. Soweit sich also Hemmnisse für den Warenverkehr daraus ergeben, dass importierte Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten nationalen, warenbezogenen Vorschriften entsprechen müssen, sind sie – vorbehaltlich einer anerkannten Rechtfertigung – gem Art 28 EGV als verbotene Maßnahmen mit gleicher Wirkung zu qualifizieren, selbst wenn diese Vorschriften unterschiedslos für importierte wie für einheimische Waren gelten. Aus dieser Rechtsprechung folgt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung: Die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Waren sind – vorbehaltlich gerechtfertigter Beschränkung – in der gesamten Gemeinschaft verkehrsfähig. Der EuGH unterscheidet seit seiner Keck-Entscheidung 46 von 1993 in ständiger Rechtsprechung zwischen Regelungen, welche die Merkmale der Ware selbst, und solchen, die lediglich Modalitäten des Verkaufs der Ware betreffen. Als warenbezogene Regelung sind bspw Regelungen anzusehen, die an Waren bestimmte Anforderungen, etwa hinsichtlich der Bezeichnung, Form, Abmessung, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung und Verpackung stellen.47 Soweit eine Vorschrift nicht die Merkmale der Ware selbst regelt, sondern nur bestimmte Modalitäten ihres Verkaufs beschränkt oder verbietet, stellt sie laut EuGH grds keine Maßnahme gleicher Wirkung iSd Art 28 EGV dar. Als Verkaufsmodalitäten sind insbesondere solche Vorschriften anzusehen, die das Wer, Wo, Wann und Wie der Produktvermarktung regeln. Dazu gehören bspw Werbebeschränkungen und Werbeverbote, etwa bzgl der Fernsehwerbung 48 oder das Verbot des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln.49 Mit dieser Unterscheidung wollte der EuGH seine Rechtsprechung auf diesem Gebiet überprüfen und präzisieren, da sich Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Art 28 EGV beriefen.50 Gleichwohl kann die Abgrenzung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Als Orientierung, nicht jedoch zur zweifelsfreien Abgrenzung kann die Frage dienen, ob auf Basis der fraglichen Regelung bei einer Einfuhr-Inspektion eines ausländi44 45 46 47
EuGH GRUR Int 1974, 467 – Dassonville. EuGH GRUR 1979, 468 – Cassis de Dijon; Weiterführend Becker EuR 1994, 162 ff. EuGH GRUR 1994, 296 – Keck und Mithouard. EuGH WRP 1995, 677 – Mars; WRP 1997, 706 – Zeitschriften-Gewinnspiel.
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EuGH WRP 1995, 470 – Leclerc-Siplec; GRUR Int 1997, 913, 917 – de Agostini. EuGH NJW 2004, 131 – DocMorris. So ausdrücklich der EuGH, GRUR 1994, 296 – Keck und Mithouard.
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1. Teil
sches Produktes festgestellt werden könnte, dass das Produkt in seiner konkreten Aufmachung und Verpackung im Inland nicht angeboten werden darf.51 Wenn das der Fall ist, so handelt es sich um eine warenbezogene Regelung, denn zu dem Zeitpunkt hat der Abverkauf der Ware noch nicht begonnen. Eine lediglich Verkaufsmodalitäten betreffende Regelung fällt nur dann unter Art 28 24 EGV, wenn sie erstens nicht für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und sie zweitens den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich nicht in gleicher Weise berührt.52 Berühren die Regelungen den Absatz inländischer Erzeugnisse und importierter Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise, so ist der Anwendungsbereich des Art 28 EGV nicht eröffnet.
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b) Ausnahmen/Rechtfertigungsgründe. Fällt eine Beschränkung unter Art 28 EGV, so kann diese entweder durch die geschriebene Schranke des Art 30 EGV oder durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe als „zwingende Allgemeinwohlinteressen“ nach der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung gleichwohl gerechtfertigt werden. Bei der Prüfung ist allerdings zu beachten, dass Maßnahmen, die nicht unterschieds26 los für einheimische wie für eingeführte Produkte gelten, ausschließlich durch Art 30 EGV gerechtfertigt werden können.53 Die Prüfung der Rechtfertigung nach Art 30 EGV hat vor der Prüfung der immanenten Einschränkungen von Art 28 EGV zu erfolgen. Denn als rechtfertigende „zwingende Erfordernisse“ kommen nur solche in Betracht, die nicht in Art 30 EGV genannt sind.54
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aa) Art 30 EGV. Eine Rechtfertigung von Beschränkungen, die unter Art 28 EGV fallen, kommt aus Art 30 EGV in Betracht, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: (a) Es liegt einer der in Art 30 EGV abschließend aufgezählten Rechtfertigungsgründe vor. (b) Die Beschränkung genügt dem Verhältnismäßigkeitsgebot. (c) Die Beschränkung darf weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Nach Art 30 EGV können solche Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote oder 28 -beschränkungen gerechtfertigt sein, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Im Bereich des privaten Medienrechts und Wettbewerbsrechts kommt vor allem dem Schutz der Gesundheit und des Lebens (insbesondere bei Arzneimitteln) sowie dem Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums besondere Bedeutung zu. Unter letzteren Begriff fallen sämtliche Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere technische Schutzrechte wie Patente und Gebrauchsmuster, Kennzeichenrechte wie Marken, Unternehmensbezeichnungen und Werktitel sowie das Geschmacksmusterrecht, Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte.55 Der EuGH hat auch geographische Herkunftsangaben als Rechte gem Art 30 EGV anerkannt.56 Das Verhältnismäßigkeitsgebot gilt im gesamten Gemeinschaftsrecht und erfordert, 29 dass die zu überprüfende Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, 51
52
Vgl Piper/Ohly/Ohly Einf C Rn 15 mit weiteren Beispielen; weiterführend auch Ehlers/ Epiney 227 ff; Ackermann RIW 1994, 189. EuGH GRUR 1994, 296 – Keck und Mithouard; EuGH NJW 2004, 131 – DocMorris.
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Weiterführend Mühl, 345 ff. EuGH EuZW 1993, 129 – Michel Debus. Streinz/Schroeder Art 30 EGV Rn 23 ff. EuGH GRUR Int 1993, 76 – Exportur.
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Europäisches Primärrecht
um die berechtigten Belange der Maßnahme zu erreichen. Während den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Geeignetheit der Maßnahme ein Prognosespielraum zukommt, ist die Frage der Geeignetheit voll überprüfbar, dh die Frage, ob es nicht ein milderes aber ebenso zuverlässiges Mittel gegeben hätte.57 Schließlich ist eine Maßnahme nur dann angemessen, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht. bb) Immanente Einschränkungen von Art 28 EGV. Nach der Rechtsprechung des 30 EuGH sind auch solche Regelungen als Maßnahmen gleicher Wirkung gem Art 28 EGV zu beurteilen, die sich nicht auf eingeführte Waren beziehen, sondern unterschiedslos für ausländische und inländische Waren gelten, sofern sie die Einfuhr solcher ausländischer Waren behindern, die nach ausländischem Recht rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind.58 Allerdings können solche Regelungen nicht nur nach Art 30 EGV, sondern auch nach den ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen, also den immanenten Einschränkungen des Art 28 EGV zulässig sein. In seinem Cassis-de-Dijon-Urteil entschied der EuGH, dass nationale Regelungen, die 31 unterschiedslos für heimische wie für importierte Erzeugnisse gelten, aber zu Hemmnissen für den freien Binnenhandel führen, in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung hingenommen werden müssen, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses gerecht zu werden.59 Zu den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses zählt der EuGH ua den Verbraucherschutz, den Gesundheitsschutz, die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Umweltschutz. Das Ziel der jeweiligen nationalen Regelung muss daher mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein. Beschränkende – diskriminierungsfreie – Regelungen sind außerdem nur dann zulässig, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, also in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen, und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.60 Eine Rechtfertigung kann demnach unter folgenden Voraussetzungen gegeben sein: 32 (a) Es fehlt eine abschließende, gemeinschaftsrechtliche Regelung. Liegt eine gemeinschaftsrechtliche Regelung in dem betroffenen Bereich vor, so ist zunächst festzustellen, ob diese eine vollständige Harmonisierung bezweckt oder lediglich Mindeststandards festlegen soll. Nur sofern eine vollständige Harmonisierungsmaßnahme vorliegt, ist eine Berufung auf sonstige „zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls“ nicht möglich.61 (b) Es liegt ein zwingendes Erfordernis für das Allgemeinwohl vor. Hier eröffnet sich mangels abschließender Definition von Algemeinwohlbelangen ein gewisser Spielraum, wobei der EuGH bislang nur gewichtige Belange anerkannt hat, welche von einiger Bedeutung für die Gesellschaft sind.62 So wurden anerkannt: Die wirksame steuerliche Kontrolle; Schutz der öffentlichen Gesundheit, Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Schutz der Sozialsysteme, Schutz der Medienvielfalt. (c) Die zu überprüfende Regelung gilt unterschiedslos für importierte wie inländische Waren. Sofern auch nur mittelbare Unterschiede (mittelbare Diskriminierung) in der Anwendung der Regelung existieren, sind nach dem EuGH lediglich die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art 30 EGV einschlägig.63 (d) Die Beschränkung muss dem Gebot der Ver57 58 59 60
EuGH GRUR 1993, 747 – Yves Rocher; EuGH GRUR Int 1994, 231 – Clinique. EuGH Rs 120/78 – Cassis de Dijon, Slg 1979, 649. EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997 I-3689. EuGH GRUR 1993, 747 – Yves Rocher; EuGH GRUR 1994, 303 – Clinique; EuGH
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NJW 1995, 3243 – Mars; EuGH GRUR Int 1997, 912 – de Agostini. EuGH EuZW 2002, 89 – Daimler Crysler; GRUR 2004, 174 – DocMorris; EuGH GRUR Int 1997, 912 – de Agostini. MwN Streinz/Schroeder Art 30 EGV Rn 33 ff. EuGH GRUR 2004, 174 – DocMorris.
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hältnismäßigkeit genügen (erforderlich und angemessen), wie für Art 30 EGV entwickelt worden ist.
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cc) Die Grundrechte als Rechtfertigungsgründe und Schranken-Schranken. Neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Grundrechte der Union als selbstständige Schranken-Schranken in die Überprüfung von Eingriffen in die Grundfreiheiten heranzuziehen.64 Soll ein Eingriff in die Grundfreiheiten durch einen geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein, so ist die „im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen“.65 Das soll sowohl für die geschriebenen Rechtfertigungsgründe als auch die immanenten Schranken der Grundfreiheiten gelten,66 sowie für nichtdiskriminierende Verkaufsmodalitäten, bei welchen eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten nach Maßgabe der Keck-Formel gar nicht vorliegt und sich die Frage der Rechtfertigung an sich gar nicht stellt.67 In seiner jüngeren Rechsprechung verstärkt der EuGH die Rolle der Grundrechte 34 noch und sieht in ihnen auch ein eigenständiges Gegengewicht zu den Grundfreiheiten: Da die Grundrechte der Union sowohl von der Union als auch den Mitgliedstaaten zu beachten seien, stellt ihr Schutz laut EuGH ein berechtigtes Interesse dar, welches Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen kann.68 Grundrechte im Sinne des EuGH sind jedoch lediglich die Grundrechte der Union, da die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten den Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte automatisch eröffne und damit mitgliedstaatliche Grundrechte verdränge.69 Die Grundrechte der Gemeinschaft entfalten damit im Verhältnis zu den Grundfrei35 heiten ein doppeltes Spannungsfeld: Einerseits können sie die Wirkung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten verstärken, indem sie als Schranken-Schranken für Eingriffe in die Grundfreiheiten wirken und auf diese Weise den Schutz von Individualinteressen in den Abwägungsprozess einbringen.70 Andererseits können sie auch eine Schutzkonstellation hervorrufen, die eine Einschränkung der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten erfordert und rechtfertigt.71 2. Dienstleistungsfreiheit, Art 49 ff EGV
36
Dienstleistungen sind nach Art 50 EGV Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit von Personen unterliegen. Dazu gehören nach dem EuGH auch Rundfunksendungen (Hörfunk und Fernsehen).72
64 65 66 67 68
EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997 I-3689, Rn 24. EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997 I-3689, Rn 24. EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997 I-3689, Rn 24. EuGH Rs C-71/02 – Karner, Slg 2004, I-3025. EuGH Rs C-415/93 – Bosman, Slg 1995 I-4921, Rn 79 EuGH Rs C-112/00 – Schmidberger (Brennerblockade), Slg 2003 I-5659; vgl weiterführend Kadelbach/Petersen EuGRZ 2003, 492 ff.
96
69
70 71
72
EuGH Rs C-112/00 – Schmidberger, Slg 2003, I-5659. Krit zur Verdrängung der mitgliedstaatlichen Grundrechte Kanitz/Steinberg EuR 2003, 1013; Kingreen/Störmer EuR 1998, 263; Kingreen EuGRZ 2004, 570. Weiterführend auch Schultz AöR 2007, 316 ff; Ehlers/Ehlers 177 ff. EuGH Rs C-415/93 – Bosmann, Slg 1995, I-4921, Rn 79; EuGH Rs C-112/00 – Schmidberger, Slg 2003, I-5659. EuGH Rs 155/73 – Sacchi, Slg 1974, 409, 428 ff; weiterführend Baumann, 163 ff.
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§2
Europäisches Primärrecht
Art 49 EGV schützt sowohl den Erbringer als auch den Empfänger grenzüberschreiten- 37 der Dienstleistungen. Entsprechend sind sämtliche Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit verboten, insbesondere die Diskriminierung von In- und Ausländern, aber auch alle sonstigen Maßnahmen, die geeignet sind, den Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten mittelbar oder unmittelbar, aktuell oder potenziell zu behindern. Der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist damit korrespondierend zur Warenverkehrsfreiheit weit auszulegen.73 Auch unterschiedslos auf In- und Ausländer anwendbare Regelungen fallen in den Anwendungsbereich des Art 49 EGV, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeiten von Dienstleistern, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und ihre Dienstleistungen dort rechtmäßig erbringen, zu unterbinden oder zu behindern.74 Eine Abgrenzung zwischen produktbezogenen und lediglich vertriebsbezogenen Maßnahmen wie in der Keck-Entscheidung wurde hier allerdings vom EuGH noch nicht getroffen.75 Rechtfertigungsgründe vergleichbar mit Art 30 EGV sind in den Art 49 ff EGV nicht vor- 38 gesehen. Sofern noch keine abschließende gemeinschaftsrechtliche Regelung besteht, sind nach der Rechtsprechung des EuGH Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit jedoch zulässig, wenn sie zur Erreichung eines der Ziele des Art 46 EGV oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses erforderlich sind, hierzu in einem angemessenen Verhältnis stehen und diese zwingenden Gründe oder Ziele nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden können.76 Die Beschränkungen dürfen nicht in diskriminierender Weise angewandt werden. Zu den „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ zählen, wie bei Art 28 EGV, nur besonders beachtliche Gründe, unter anderem die Lauterkeit des Handelsverkehrs 77, der Schutz der Verbraucher sowie der Schutz der sittlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten der Sozialordnung 78 und der Menschenwürde.79 3. Niederlassungsfreiheit, Art 43 Abs 2 EGV Die Niederlassungsfreiheit verbürgt das Freizügigkeitsrecht der Selbstständigen, also 39 Freiberufler, Handwerker und sonstigen Gewerbetreibenden (Unternehmer) und stellt damit einen der drei Eckpfeiler des Freizügigkeitsrechts in der Union dar, neben Art 39 Abs 1 EGV (Arbeitsnehmerfreizügigkeit) und Art 18 EGV (allg. Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger). Da insbesondere im Bereich der freien Berufe umfangreiche, mitgliedstaatliche Zugangsbestimmungen gewachsen sind, soll Art 43 EGV in diesem Bereich das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verstärken. Die Vorschrift ist jedoch nur für Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug anwendbar. Die Fälle der Inländerdiskriminierung können nicht unter Berufung auf Art 43 EGV gelöst werden. Auf die Niederlassungsfreiheit können sich sowohl natürliche als auch juristische Per- 40 sonen 80 berufen, die einer selbstständigen Erwerbstätigkeit 81 nachgehen beziehungsweise 73 74 75
76
77
Streinz/Müller-Graff Art 49 EGV, Rn 85. EuGH EuZW 2000, 763 – Corsten; EuGH EuZW 2003, 415 – Kommission/Luxemburg. Vgl EuGH GRUR Int 1997, 913 – de Agostini, wo der EuGH zwar eine Verkaufsmodalität als Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkennt und diese Frage gar nicht aufwirft; vgl auch Behrens EuR 1992, 145 ff. EuGH NJW 1996, 579 – Gebhard; EuGH GRUR Int 1997, 913 – de Agostini; EuGH NJW 2004, 139 – Gambelli. EuGH GRUR Int 1997, 913 – de Agostini; EuGH WRP 1995, 801 – Alpine Investments.
78 79
80 81
EuGH NJW 2004, 139 – Gambelli für das Verbot von Internetwetten. EuGH EuZW 2004, 753 – Omega Spielhallen für Verbot eines Laserdrom, in dem menschliche Tötungshandlungen simuliert werden. Weiterführend Schön FS Lutter 685 ff; Wank NZA 2005, 88 ff. Der Begriff dient der Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, vgl EuGH EuZW 2006, 179 ff – Ritter-Coulais.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
in einem anderen Mitgliedstaat ihre Niederlassung begründen. Der EuGH definiert den Begriff der Niederlassung als „tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit“.82 Eine besondere Ausprägung hat der Begriff der Niederlassung im europäischen Medien41 recht erhalten. Durch die Fernsehrichtlinie (RL 89/552/EWG) 83 wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei den „ihrer Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstaltern“ für die Einhaltung der von der Richtlinie aufgestellten Regelungen bei den durch diese erfassten Sendungen zu sorgen. In Folge hatte der EuGH die Frage zu klären, welcher Mitgliedstaat bei mehreren Niederlassungen eines Fernsehveranstalters die Rechtshoheit innehält. Der EuGH stellte auf eine qualifizierte Niederlassung ab, an welcher der Fernsehveranstalter den „Mittelpunkt seiner Tätigkeit“ habe und in dem insbesondere „die Entscheidungen über die Programmpolitik und die endgültige Zusammenstellung der zu sendenden Programme getroffen würden“.84 Dabei sei es laut EuGH unbeachtlich, dass bei der Ermittlung der Kriterien für die qualifizierte Niederlassung die Ausübung der Rechtshoheit über diesen Veranstalter einem anderen Mitgliedstaat zufalle, als dem Mitgliedstaat, für dessen Gebiet die Programme ausschließlich bestimmt sind.85 Die Rechtsprechung des EuGH fand Eingang in die revidierte Fernsehrichtlinie, der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste.86 Die Niederlassungsfreiheit wird vom EuGH seit den Entscheidungen Klopp,87 42 Vlassopulou,88 Kraus 89 und Inasti 90 zunehmend als „Behinderungsverbot“ verstanden, welches unabhängig vom Vorliegen einer Diskriminierung einschlägig sein kann. Art 43 EGV verbiete „auch geringfügige oder unbedeutende Beschränkungen“ der Niederlassungsfreiheit.91 Als Ausnahme von dem grundsätzlichen Behinderungsverbot verweist der EuGH in 43 ständiger Rechtsprechung auf „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“ 92 und rekurriert damit auf einen Grundsatz der allgemeinen Grundfreiheitendogmatik. Danach können beschränkende Maßnahmen ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn (a) sie nicht in diskriminierender Weise angewandt werden, (b) aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind und (c) dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, dh geeignet, erforderlich und angemessen sind. 4. Kapitalverkehrsfreiheit
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Eine genaue Definition der Kapitalverkehrsfreiheit ist bislang weder vom Gemeinschaftsgesetzgeber noch vom EuGH getroffen worden. Aus der Zusammenschau aller primär- und sekundärrechtlichen Regelungen, aus der EuGH-Rechtsprechung sowie aus dem ökonomischen Verständnis des Begriffs lässt sich jedoch ableiten, dass unter Kapi82 83 84
85 86 87
EuGH Rs C-221/89 – Factortame, Slg 1991, I-3905, Rn 20. Vgl unten Rn 134 ff. EuGH Rs C-222/94 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 1996, I-4025, Rn 58, 60; EuGH Rs C-56/96 – VT4 Ltd, Slg 1997, I-3143, Rn 19 ff. EuGH Rs C-56/96 – VT4 Ltd, Slg 1997, I-3143, Rn 19 ff. Vgl unten Rn 164 ff. EuGH Rs 107/83 – Klopp, Slg 1984, 2971.
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88 89 90 91 92
EuGH Rs C-340/89 – Vlassopoulou, Slg 1999, I-2357. EuGH Rs C-19/92 – Kraus, Slg 1993, 1663. EuGH Rs C-53/95 – Inasti, Slg 1996, I-703, Rn 9, 11. EuGH Rs C-49/89 – Societé Corsica Ferries, Slg 1989, 4441, Rn 7 f. Vgl etwa EuGH Rs C-140/03 – Kommission/ Griechenland, Slg 2005, I-3177, Rn 27; Rs C-19/92 – Kraus, Slg 1993, 1663; Rs C-55/94, Gebhard, Slg 1995, 4165, Rn 37.
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§2
Europäisches Primärrecht
talverkehr jede über die Grenzen eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft hinweg stattfindende Übertragung von Geld- oder Sachkapital zu verstehen ist, welche primär zu Anlagezwecken erfolgt.93 Der Schwerpunkt der Rechtsprechung des EuGH zur Kapitalverkehrsfreiheit lag an- 45 fänglich insbesondere in der Abgrenzung zu den anderen europäischen Grundfreiheiten, insbesondere zur Warenverkehrsfreiheit,94 Dienstleitungsfreiheit 95 und zur Niederlassungsfreiheit,96 da der Gebrauch dieser Freiheiten in der Regel einen Kapitaltransfer als Gegenleistung nach sich zieht und die Liberalisierung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht in gleichem Maße, wie die der anderen Freiheiten erfolgt. Art 56 Abs 1 EGV verbietet grds alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen 46 den Mitgliedstaaten selbst sowie zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten. Damit ist ausschließlich der grenzüberschreitende Kapitalverkehr erfasst.97 Als „Beschränkung“ iSd Art 56 EGV hat der EuGH sowohl Beschränkungen bei der Ausfuhr von Banknoten angesehen 98, als auch eine mitgliedstaatliche Regelung, welche grenzüberschreitende Kapitalbeteiligungen verbietet.99 Die letztgenannte Veronica-Entscheidung beschäftigte sich mit einer niederländischen medienrechtlichen Vorschrift, welche die Tätigkeiten von Rundfunkveranstaltern einer umfassenden Genehmigungspflicht unterwarf, um so die Gründung von ausländischen Rundfunkaktiengesellschaften zu verhindern. Der EuGH qualifizierte diese Vorschrift eindeutig als Beschränkung des Art 56 EGV, ging jedoch davon aus, dass dieses konkrete Genehmigungserfordernis für Medienunternehmen der Erhaltung eines pluralistischen und nichtkommerziellen Rundfunksystems und damit als Beschränkung dem Allgemeinwohlinteresse diene. So sei der beschränkende Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Auslandsgründung lediglich dazu diene, sich den Verpflichtungen aus den inländischen Vorschriften zu entziehen.100 Damit rekurriert der EuGH auch bei der Kapitalverkehrsfreiheit auf die sich verfestigende Grundfreiheitendogmatik 101, die er bereits zu Art 28 und 30 entwickelt hatte.
II. Grundrechte: Art 10 EMRK 1. Einleitung Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 102 47 wurde am 4. November 1950 in Rom von den Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet. Inzwischen ist sie von 47 Mitgliedern des Europarates ratifiziert.103 Sie stimmt 93 94 95
96 97
98
Vgl Calliess/Ruffert/Bröhmer Art 56, Rn 8; weiterführend Beiser GesRZ 2003, 187 ff. Vgl dazu EuGH Rs 7/78 – Thompson, Slg 1978, 2247, Rn 27, 28. Vgl dazu EuGH Rs 267/86 – ASPA, Slg 1988, 4769, Rn 22–25; Rs C-484/93 – Svensson und Gustavsson, Slg 1995, I-3955, Rn 10, 11; Rs C-118/96 – Safir, Slg 1998, I-1897, Rn 9 ff. EuGH Rs C-302/97 – Konle, Slg 1999, I-3099. Allgemeine Ansicht; vgl dazu Calliess/Ruffert/Bröhmer Art 56, Rn 38; weiterführend Kutt; vgl auch Kraft/Bron IstR 2006, 26 ff. EuGH Rs 203/80 – Casati, Slg 1981, 2595, Rn 13.
99 100 101 102
103
EuGH Rs C-148/91 – Veronica, Slg 1993, 487, Rn 15. EuGH Rs C-148/91 – Veronica, Slg 1993, 487, Rn 9, 13, 15. Weiterführend Classen EWS 1995, 97 ff; Jarass EuR 1995, 202 ff und 2000, 705 ff. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, abgeschlossen in Rom am 4.11.1950, BGBl 1952 Teil II S 686. Der aktuelle Stand der Ratifikationen ist abrufbar unter http://conventions.coe.int/ Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=005& CM=7&DF=3/27/2008&CL=GER.
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1. Teil
inhaltlich in vielen Punkten mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (im Folg: „Erklärung“) überein, der als politischem Bekenntnis jedoch nur – in Teilen – gewohnheitsrechtliche Geltung zukommt.104 Die Vertragsparteien der EMRK konnten sich darauf einigen, der Konvention „Zähne“ zu geben: ein Beschwerderecht für jedermann und eine gerichtsähnliche Institution, die über die Beschwerden entscheidet. Außerdem enthält die EMRK im Gegensatz zur Erklärung klare und spezifische Schrankenregelungen, die sie justitiabler macht als die Erklärung. Die EMRK ist bisher durch insgesamt 13 Protokolle ergänzt bzw revidiert worden. Die Protokolle, die materielle Grundrechte gewähren, sind Zusatzprotokolle. Sie können in Kraft treten, auch wenn sie nicht von allen Mitgliedstaaten der EMRK ratifiziert worden und binden dann nur die ratifizierenden Staaten. Dadurch sind in den verschiedenen Mitgliedstaaten materiell unterschiedliche Grundrechtsstandards möglich. Die EMRK gehört zum Grundbestand (sog „acquis communitaire“) des Gemeinschaftsrechts.105 Immer wieder hat der EuGH europäische Grundrechte aus der EMRK als Schranken-Schranke der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EGV angewendet. Wenn sich also ein Mitgliedstaat auf einer Vertragsausnahme berief, um eine Grundfreiheit, wie zB die Dienstleistungsfreiheit, einzuschränken, musste diese Rechtfertigung wiederum im Lichte der Bedeutung des jeweiligen Grundrechts ausgelegt werden.106 Art 10 Abs 1 S 1 und 2 EMRK statuieren die Meinungs- und Informationsfreiheit; sie schützt sowohl Individuen als auch Massenmedien. S 2 erlaubt den Mitgliedsstaaten, Rundfunk- und Kinobetreiber, dh also bestimmte audiovisuelle Diensteanbieter, einer Lizenzierungspflicht zu unterwerfen. Abs 2 enthält eine ausdifferenzierte Schrankenregelung. Die praktische Relevanz von Art 10 EMRK für die Massenmedien in Europa sollte nicht unterschätzt werden: Ähnlich wie die Dienstleistungsfreiheit gem Art 49 ff EGV war Art 10 EMRK wichtig für die Öffnung nationaler Rundfunkmärkte, die über viele Jahrzehnte durch staatliche Rundfunkmonopole gekennzeichnet waren. So wurde das Rundfunkmonopol des Österreichischen Rundfunks (ORF) in der Entscheidung des EGMR in der Sache Lentia 107 für konventionswidrig erklärt und musste durch eine duale Rundfunkordnung unter Zulassung privaten Rundfunks ersetzt werden. Die zweite wesentliche Bedeutung von Art 10 EMRK für das nationale Medienrecht liegt darin, dass – ähnlich wie in einer verfassungsrechtlichen Überprüfung – die nationalen Standards am Maßstab der EMRK gemessen und überprüft werden. Dies ist auch für Staaten relevant, die – wie die Bundesrepublik Deutschland – über ein vergleichbares Grundrecht in der eigenen Verfassung verfügen.108 Das hat zuletzt die Entscheidung in Sachen Caroline von Hannover gezeigt, in der der EGMR Personen der Zeitgeschichte einen größeren Schutz der Privatsphäre zubilligte als das Bundesverfassungsgericht.109 Der dritte Grund für die zunehmende Bedeutung der EMRK ist ihre Relevanz für das
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Peters 1; eine bindende Gewährleistung enthält hingegen der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, ua auch zur Meinungsfreiheit, vgl Grote/Marauhn/ Grote/Wenzel Kap 18 Rn 10. Grote/Marauhn/Grote/Wenzel Kap 18 Rn 11 mwN; Kühling 110 ff. Ein gutes Beispiel aus dem Bereich der Medienfreiheiten ist die Entscheidung EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997
100
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109
I-3689 Rn 24 f; vgl allgemein Peters 29 mwN. EGMR AfP 1994, 281 – Lentia; Radio ABC v Österreich, Rep 1997 – VI, 2188, Rn 26 ff. Noch praxisrelevanter ist die EMRK selbstverständlich für Staaten, die keinen vergleichbaren Grundrechtsschutz kennen, wie etwa beim Vereinigten Königreich. Klass AfP 2007, 517 ff; s unten Rn 68 ff.
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Europäisches Primärrecht
EU-Recht. Europäische Rechtsakte wie etwa Richtlinien sind einer Kontrolle am Maßstab deutscher Grundrechte grds 110 entzogen. Sie müssen sich jedoch am Maßstab der EMRK messen lassen.111 2. EMRK als Rechtsquelle, Begünstigte, Drittwirkung und Prüfungsfolge Der Rang der EMRK als Rechtsquelle ist in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich. Teilweise steht sie über den nationalen Verfassungen, zum Beispiel in der Schweiz, teilweise hat sie Verfassungsrang, wie in Österreich, teilweise lediglich Gesetzesrang, wie in Deutschland. Obwohl damit in Deutschland formal der Grundsatz des lex posterior gilt, wonach alle zeitlich nach dem Zustimmungsgesetz erlassenen deutschen Gesetze der EMRK vorgehen müssen, sollte die Ausstrahlungswirkung auf das einfache Recht nicht unterschätzt werden. Aus dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung wird der Schluss gezogen, dass sämtliche Organe des Staates, einschließlich der Gerichte, die Urteile des EGMR, berücksichtigen müssen. Unterbleibt eine Auseinandersetzung mit der EMRK, verstößt dies gegen das Rechtsstaatsprinzip.112 Wie weit die Bindung deutscher Gerichte und deutsche Behörden an die EMRK geht, zeigt das Beispiel des Caroline-Urteils.113 Die EMRK gewährt jedem, der unter die Gerichtsbarkeit eines Mitgliedsstaats fällt 114, Rechte und Freiheiten. Dazu gehören Freiheitsrechte, wie das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art 8), Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art 9), aber auch Gleichheitsrechte und justizbezogene Rechte, wie das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6). Rechtssubjekte sind natürliche und juristische Personen. Im Rechtsschutzsystem der EMRK existieren zwei Verfahrensarten, die Individualbeschwerde und die – praktisch unbedeutende – Staatenbeschwerde. Mit dem 11. Protokoll wurde die Menschenrechtskommission in einen ständigen Gerichtshof mit hauptamtlichen tätigen Richtern umgewandelt. Die wichtigste Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Individualbeschwerde ist die effektive Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (Art 35 Abs 1 EMRK). Adressaten der sich aus der EMRK ergebenden Verpflichtungen sind Staaten, nicht Privatpersonen. Dennoch entfaltet die EMRK eine Art mittelbarer Drittwirkung. So kann die Rechtsverletzung von einer privaten Person ausgehen, zB von einem Presseunternehmen; hier kann dem Staat vorgeworfen werden, dass er die Rechte der Einzelnen nicht genügend gegen Angriffe Dritter schützt bzw Regelungen trifft, die diese Eingriffe zulassen.115 Die Prüfungsreihenfolge 116 ähnelt einer Grundrechtsprüfung. Zunächst muss allerdings geprüft werden, ob die EMRK überhaupt anwendbar ist.117 Danach muss festge110 111
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S Rn 14. EuGH Rs C-368/95 – Familiapress, Slg 1997 I-3689 Rn 24 f; EuGH NVwZ 2006, 1033 Rn 52 –Familienzusammenführung. BVerfGE NJW 2004, 3407 – Bindungswirkung der Entscheidungen des EGMR. Klass AfP 2007, 517 ff; in seinem jüngsten Urteil vom 26.2.2008 hat das Bundesverfassungsgericht das Verhältnis von Grundgesetz und EMRK näher betrachtet: Danach findet die Pressefreiheit ihre Schranken nach Art 5 Abs 2 GG nicht nur in den Vorschriften des Kunsturhebergesetzes,
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sondern auch in Art 8 EMRK. Damit hat das Gericht elegant die Frage umschifft, welchem der beiden Normkomplexen der Vorrang gebührt, vgl BVerfG WRP 2008, 645 ff. Der Beschwerdeführer muss deshalb nicht Staatsangehöriger des Konventionsstaats sein, dessen Jurisdiktion er unterliegt. EGMR NJW 2004, 2647 – Caroline von Hannover; EGMR 28.6.2001 – Verein gegen Tierfabriken, Appl 24699/94. Peters 256 ff. Dies ist zB nicht der Fall, wenn der betref-
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stellt werden, ob in den Schutzbereich eines von der EMRK geschützten Rechts eingegriffen worden ist. Im dritten Schritt muss geklärt werden, ob der Eingriff durch die allgemeine Schrankenregelung (Art 15 bis 17 EMRK) oder durch spezielle Rechtfertigungen in Abs 2 des jeweiligen Grundrechts gerechtfertigt ist. Im vierten Schritt geht es um die Frage, ob der Eingriff „notwendig für eine demokratische Gesellschaft“ ist bzw ob es ein „pressing social need“ für den Eingriff gibt. Diese Prüfung entspricht der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Deutschland. Sie enthält eine Abwägung der Bedeutung des Eingriffsziels im Verhältnis zur Schwere des Eingriffs. Dazu kommt: Je nach Eingriff und je nach Ziel der Beschränkung hat der Mitgliedsstaat einen unterschiedlich großen Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“). Dieser Beurteilungsspielraum ist größer in Bereichen, die starkem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, wie zB Moralvorstellungen. Der Spielraum ist ebenfalls eher größer, wenn im betreffenden Rechtsbereich ein gemeinsamer Standard in Europa fehlt.118 Im Bereich der Meinungsfreiheit ist die Marge eher klein, insbesondere wenn es nicht nur um die Interessen eines Einzelnen, sondern um Themen geht, die von allgemeinem Interesse sind.119 3. Die Meinungs- und Informationsfreiheit
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Art 10 EMRK schützt den gesamten Prozess der Meinungsbildung. Umfasst ist sowohl die Freiheit zur Mitteilung von Informationen und Ideen als auch das Recht auf den freien Empfang von Informationen. Dies schließt auch die Sammlung und Gewinnung von Informationen ein .120 Allerdings geht der Anspruch nicht so weit, dass ein Anspruch auf Zugang zu noch nicht veröffentlichten Informationen bestehen würde.121 Art 10 EMRK ist deshalb zu Recht als Grundnorm des europäischen Medien- und TKRechts bezeichnet worden.122 Der EGMR hat eine Bereichdogmatik der Medienfreiheiten entwickelt, die im Hinblick auf ihre grundrechtsdogmatische Ausdifferenzierung in Europa keinen Vergleich zu scheuen braucht.123 Um den Schutzbereich des Art 10 EMRK zu eröffnen, ist lediglich eine Äußerung im 58 Sinne einer zu vermittelnden Informationen notwendig. Dabei wird nicht wie in Deutschland zwischen Meinungen und Tatsachen unterschieden. Auch kommerzielle Äußerungen werden grds geschützt.124 Die Äußerung falscher Tatsachen und kommerzielle Meinungsäußerungen können allerdings stärker beschränkt werden als andere Äußerungen125. Art 10 Abs 2 EMRK enthält eine detaillierte Schrankenregelung. Um zulässig zu sein, 59 muss der Eingriff erstens gesetzlich vorgesehen sein, zweitens eines der in dieser Norm genannten Ziele verfolgen und drittens in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und damit verhältnismäßig sein. Der EGMR fasste wichtige Grundsätze seiner Rechtsprechung zu Art 10 EMRK im 60 Fall Observer wie folgt zusammen: „Die Meinungsäußerungsfreiheit stellt eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft dar; unbeschadet des Art 10 Abs 2 gilt sie nicht nur für
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fende Staat die EMRK bzw das einschlägige Protokoll nicht ratifiziert hat. Peters 25. EGMR 25.8.1998 – Hertel v Schweiz, Appl 25181/94, Rep 1998 – VI, 2298 ff Rn 47. EGMR 27.3.1994 – Goodwin, Appl 17488/90; EGMR 15.7.2003 – Ernst ua, Appl 33400/96.
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EGMR 19.2.1998 – Guerra, Appl 14967/89. Trenkelbach 59. Kühling 129 ff. Castendyk/Dommering/Scheuer/Dommering Art 10 ECHR passim; Grote/Mahraun/ Grote Kap 18. S unten Rn 64.
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Europäisches Primärrecht
Nachrichten oder Ideen, welche positiv aufgenommen werden, welche als unschädlich angesehen werden, oder welche auf Gleichgültigkeit stoßen, sondern auch und gerade für solche, die Angriffe enthalten, schockieren oder irritieren. Die Freiheiten gem Art 10 unterliegen einer Reihe von Ausnahmen, welche jedoch so auszulegen sind, dass die Notwendigkeit irgendwelcher Beschränkungen überzeugend dargelegt wird. Diese Grundsätze sind von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Presse. Wenn sie auch nicht die Grenzen überschreiten darf, die sich ua hinsichtlich der nationalen Sicherheitsinteressen oder zur Aufrechterhaltung der Ansehens der Justiz begeben, ist es dennoch ihre Aufgabe, Nachrichten und Ideen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu verbreiten. Es ist nicht nur Aufgabe der Presse, solche Nachrichten und Ideen mitzuteilen, sondern die Öffentlichkeit hat auch das Recht, sie zu empfangen. Sonst wäre die Presse nicht in der Lage, ihre wesentliche Rolle als Wächter der Öffentlichkeit („public watchdog“) wahrzunehmen.“ 126 4. Differenzierung des Schutzstandards nach Inhalten Die Meinungsfreiheit kann verschiedene Funktionen in einer Gesellschaft haben.127 61 Sie kann ein „Marktplatz der Meinungen“ sein; sie ermöglicht Diskussionen und Auseinandersetzungen und damit letztlich Erkenntnisgewinn. Außerdem hat sie eine besondere Bedeutung für die demokratische Meinungsbildung. Ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht hält der EGMR die Meinungsfreiheit für ein besonders zentrales Grundrecht, weil sie Teil der demokratischen Ordnung ist.128 In der öffentlichen Diskussion würden die politischen Alternativen formuliert, zwischen denen die Bürger wählen können.129 Die Sicht der Medien als fünfte Gewalt, als „public watchdog“, hat zu Folge, dass bei der Schutzbedürftigkeit von Äußerungen zu differenzieren ist:130 Besonders geschützt sind Politiker und Journalisten.131 Eingriffe in ihre Meinungs- 62 freiheit sind nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen zulässig. Hier ist der Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten deutlich geringer. Diese im Fall Lingens 1986 aufgestellten Grundsätze bestimmen seitdem die Rechtsprechung des Gerichtshofs. Gleichzeitig müssen Politiker allerdings auch härtere Kritik hinnehmen. Die Bezeichnung des Verhaltens eines Politikers als „unmoralisch und würdelos“ war vor diesem Hintergrund ebenso zulässig wie die Bezeichnung als „Trottel“.132 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterscheidet der EGMR zwischen Tat- 63 sachenbehauptungen und Werturteilen. Bei Tatsachenbehauptungen darf ein Wahrheitsbeweis verlangt werden. Unrichtige Tatsachenbehauptungen werden idR nur geschützt, wenn sie unter Beachtung der (journalistischen) Sorgfaltspflichten gewonnen wurden.133 Die jeweilige nationale Regelung muss den Wahrheitsbeweis erlauben. Die Weigerung der spanischen Gerichte, im Strafverfahren gegen Castells den Wahrheitsbeweis zuzulassen, war für das Gericht ausschlaggebend, eine Verletzung des Art 10 EMRK anzunehmen.134 Zu
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EGMR EuGRZ 1995, 16 ff – Observer/ Guardian. Vgl Barendt 13 ff. Holoubeck 195 f. Krit dazu Castendyk Rechtliche Begründungen 50 ff. EGMR 7.12.1976 – Handyside, Appl 5493/72; 26.4.1979 – Sunday Times, Appl 6538/74.
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Holoubeck 194 f. EGMR 8.7.1986 – Lingens, Appl 9815/82, Rn 41; 1.7.1987 – Oberschlick II, Appl 20834/92, Rn 24 f. Holoubeck 194. EGMR 23.4.1992 – Castells, Appl 11798/85, Rn 42.
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berücksichtigen ist auch der sog „chilling effect“, so dass zB ein grds gerechtfertigtes Bußgeld wegen einer falschen Tatsachenbehauptung gegen Art 10 EMRK verstoßen kann, wenn es zu hoch ist und Menschen von riskanten Äußerungen von vorneherein abschrecken kann.135 Eingeschränkten Schutz genießt die „commercial speech“.136 Dies gilt allerdings nicht, wenn es um mehr geht als um Werbung für ein Produkt oder eine Dienstleistung, zB wenn auf Missstände hingewiesen wird.137 Nicht zu verwechseln mit diesem geringeren Schutz ist der Umstand, dass das Gericht nicht in die komplexen Abwägungen des Wettbewerbsrechts des jeweiligen Mitgliedsstaates eingreifen will und deshalb den Beurteilungsspielraum seiner Gerichte und Behörden ausweitet.138 Ähnlich wie in Deutschland wird zwischen Meinungsäußerungen differenziert, die Relevanz für die politische bzw öffentliche Meinungsbildung aufweisen, und solchen Äußerungen, die lediglich die private Neugier befriedigen.139 Der Ermessenspielraum der nationalen Gerichte und Behörden ist besonders hoch bei religiösen und moralischen Fragen. Damit vertritt das Gericht nicht die Meinung, dass solche Fragen keine Bedeutung für den politischen oder gesellschaftlichen Diskurs aufweisen, sondern es geht davon aus, dass es hier keinen einheitlichen Standard über alle Mitgliedsstaaten hinweg gibt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist dennoch zu beachten. Dies wurde deutlich im Fall Verein gegen Tierfabriken.140 Der Verein wollte in einem Fernsehspot im Schweizer Fernsehen auf Tierquälerei bei der Tierhaltung hinweisen. Das Schweizer Rundfunkrecht verbietet141 jedoch – ebenso wie das deutsche142 – religiöse und politische Werbung. Der Fernsehsender weigerte sich, den Spot auszustrahlen. Das Gericht stellte einen Eingriff in den Schutzbereich fest, da eine Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts und damit der Staat iSd Art 1 EMRK für das Ausstrahlungsverbot verantwortlich war. In der Prüfung der Rechtfertigung konzedierte das Gericht, dass ein Verbot politischer Werbung der Meinungsvielfalt dienen könne, indem es verhindere, dass finanzkräftige Gruppen einen politischen Wettbewerbsvorteil erhalten. Dies sei ein legitimer Zweck zum Schutz der Rechte Anderer iSd Art 10 Abs 2 EMRK.143 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei jedoch im Einzelfall abzuwägen zwischen dem Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung und dem Ziel, die öffentliche Meinungsbildung gegen übermäßige Beeinflussung durch finanzkräftige Gruppen zu schützen. Das Gericht argumentierte, dass die Verhinderung des politischen Wettbewerbsvorteils kein dringendes soziales Bedürfnis sein könne, wenn das Verbot der politischen Werbung nicht für Printmedien gelte. Die schweizerische Regierung habe außerdem nicht dargelegt, dass der kleine Verein gegen Tierfabriken eine finanzstarke Gruppierung darstelle. Deshalb sei das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig und verletze Art 10 EMRK.
135 136 137 138
EGMR 15.2.2005 – Steel & Morris, Appl 68416/01. EGMR 24.2.1994 – Casado Coca, Appl 15450/89, Rn 33 ff. EGMR 25.3.1985 – Barthold, Appl 8734/79. EGMR 20.11.1989 – markt intern Verlag, Appl 10572/83; 24.2.1994 – Casado Coca, Appl 15450/89.
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Barendt 155; s unten Rn 68 ff. EGMR 28.6.2001 – Verein gegen Tierfabriken, Appl 24699/94. Art 18 Abs 5 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen. Vgl § 7 Abs 7 RStV. EGMR 28.6.2001 – Verein gegen Tierfabriken, Appl 24699/94, Rn 63 ff.
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5. Prominente und ihre Privatsphäre Im Jahre 2004 hatte das EGMR darüber zu entscheiden, ob die deutschen Gerichte 68 die Privatsphäre Prominenter ausreichend schützen. Sein Urteil 144 hatte Folgen im konkreten Fall 145 und darüber hinaus.146 Es ging um eine Bildberichterstattung über Urlaube von Caroline von Hannover. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts waren Personen der Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit nur geschützt, wenn sie sich – außerhalb des häuslichen Bereichs – erkennbar in eine räumliche Abgeschiedenheit begeben hatten, zB wenn man sich in den kaum beleuchteten hinteren Teil eines Gartenlokals zurückgezogen hatte.147 Diese eher räumliche Abgrenzung zwischen geschützte Privatsphäre und öffentlicher 69 Sphäre beim Schutz des Rechts am eigenen Bild wurde vom EGMR für nicht ausreichend gehalten. Entscheidend für die Abwägung zwischen dem Recht am eigenen Bild (geschützt von Art 8 EMRK) und der durch Art 10 EMRK geschützten Pressefreiheit war für den EGMR die Frage, ob der Beitrag zur gesellschaftlichen Meinungsbildung beitragen könne. Welches Gewicht die Meinungsfreiheit im Einzelfall erhalte, hänge deshalb davon ab, ob es sich um einen Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft und um Personen des öffentlichen des politischen Lebens handele oder ob nur Aspekte des Privatlebens und Personen betroffen seien, die keinerlei öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Die Auslegung des § 23 Abs 1 KUG durch die deutschen Gerichte war deshalb in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen passt die Kategorie der Person der Zeitgeschichte nicht auf Prominente, die kein öffentliches Amt bekleiden. Zum anderen unterscheiden die deutschen Gerichte nicht zwischen einem Beitrag zur Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft und einem solchen, der nur der Befriedigung privater Neugier dient.148 Der BGH versucht in seiner aktuellen Rechtsprechung, diese vom EGMR aufgestell- 70 ten Grundsätze zu beachten und mit in seine Abwägung einzustellen.149 Dabei versucht das Gericht in Diktion und Formulierung an die bisherige Rechtsprechung anzuknüpfen und damit den von der EGMR-Entscheidung veranlassten Bruch mit der alten Auslegung von § 23 KUG nicht allzu drastisch erscheinen zu lassen. So wird zB betont, dass die Presse selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfe, was der Befriedigung des öffentlichen Interesses diene. „Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Entscheidung 144
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EGMR NJW 2004, 2647 ff; krit dazu ua Gersdorf AfP 2005, 220 ff; Stürner AfP 2005, 213 ff; Söhring/Seelmann-Eggebert NJW 2005, 571; Klass AfP 2007, 517 ff. Als Folge des Urteils einigten sich Caroline von Hannover und die Bundesregierung außergerichtlich auf die Zahlung von € 115.000,–. Damit wurden ihr nicht nur die Gerichtskosten erstattet, sondern sollten auch die entstandenen immateriellen Schäden ausgeglichen werden, vgl Klass 517 Fn 7. Klass 519 ff. BVerfG NJW 2000, 1021 ff, mit der die vorausgegangene BGH-Rechtsprechung (vgl ua BGH AfP 1996, 140 ff) zur Erweiterung des Prominentenschutzes auch auf Teile des öffentlichen Raumes bestätigt wurde.
148
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Das BVerfG hat zwar in anderen Entscheidungen durchaus den Schutz politischer relevanter Meinungsäußerungen höher gewichtet und besonders geschützt (zB BVerfGE 102, 347, 362 f – Benetton-Werbung); diese Differenzierung wurde jedoch bei der Definition der Person der Zeitgeschichte nicht relevant. BGH ZUM 2007, 382 ff – Caroline V; es ging um Fotos, die Caroline und ihren Ehemann im Urlaub auf einer öffentlichen Straße zeigten und um Bilder, die das prominente Paar auf einer Straße in St Moritz abbildeten, ebenfalls verbunden mit einer Berichterstattung über ihren Urlaub; vgl außerdem BGH AfP 2007, 472 ff – Lebenspartnerin von Herbert Grönemeyer.
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des erkennenden Senats insoweit bestätigt, als dort der Schutz der Privatsphäre gegen unerwünschte Aufnahmen auf die Fälle erkennbarer räumliche Abgeschiedenheit beschränkt worden ist. Das schließt es jedoch nicht aus, bei der erforderlichen Interessenabwägung zwischen Pressefreiheit und Schutz der Privatsphäre den Informationswert für die Öffentlichkeit stärker zu berücksichtigen.“150 Im Ergebnis folgte der BGH jedoch dem EGMR. Obwohl es sich – iSd alten Recht71 sprechung – um Personen der Zeitgeschichte handelte, die sich nicht erkennbar in einer räumliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hatten, wurde die Veröffentlichung der Fotos aus dem Urlaub von Caroline von Hannover für unzulässig gehalten. Der Urlaub gehöre zum Kernbereich der Privatsphäre. Die Veröffentlichung der Fotos sei weder von allgemeinem Interesse, noch handle es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis. Der Informationswert für die Öffentlichkeit sei gering, es ginge vielmehr um Unterhaltung ohne gesellschaftliche Relevanz. Nur bei den Fotos, die die Krankheit von Fürst Rainier von Monaco thematisierten, bestünde ein Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis, der die Bildberichterstattung zulässig mache.151 Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Fragestellung in grundlegender 72 Weise in seiner Entscheidung vom 26.2.2008 auseinander gesetzt.152 Es ist dabei der neuen Linie des BGH im Wesentlichen gefolgt. Es hält allerdings an seiner Ansicht fest, dass auch unterhaltende Beiträge, etwa über prominente Personen, am Schutz der Pressefreiheit teilhaben. Erst bei der Abwägung mit kollidierenden Persönlichkeitsrechten durch die Gerichte komme es auf das Gewicht des Informationsinteresses und auf die Weise an, in der die Berichterstattung einen Bezug zu Fragen aufweise, welche die Öffentlichkeit wesentlich angehen. Das Gericht sieht sich in der Nachprüfung der Instanzgerichte auf die Frage begrenzt, ob der Einfluss der deutschen Grundrechte, auch unter Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK auf die Auslegung der zivilrechtlichen Normen und auf die Abwägung der kollidierenden Schutzgüter hinreichend beachtet ist. Im Hinblick auf die bisher zentrale Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte macht der Erste Senat darauf aufmerksam, dass er diese Unterscheidung nur als eine mögliche Abkürzung der Umschreibung für Personen verstanden wissen will, deren Bild die Öffentlichkeit für beachtenswert hält. In Rn 82 der Entscheidung regt es deswegen an, neue, auf der Basis der EGMR-Rechtsprechung stehende Typisierungen und Fallgruppen zu entwickeln. 6. Zurechnung
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Geschützt ist auch die Verbreitung von Ideen anderer durch die Medien. Ihre Rolle als Marktplatz der Meinungen schützt sie auch, wenn sie ehrverletzende oder sogar rassistische Äußerungen verbreiten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Äußerungen Dritter dem jeweiligen Medium nicht zugerechnet werden können. Im Fall Jersild interviewte der gleichnamige Journalist dänische Neonazis. Diese äußerten sich extrem verächtlich über bestimmte ethnische Minderheiten. Das Interview wurde in einem Nachrichtenmagazin ausgestrahlt. Es sollte auf das Problem des anwachsenden Rassismus bei den dänischen Jugendlichen aufmerksam machen. Der Journalist und der Fernsehsender wurden wegen Beihilfe und Anstiftung zur Rassendiskriminierung zu einem Bußgeld verurteilt. Bei der Rechtfertigung des Bußgelds musste – zugunsten des dänischen Verbots – Art 4 und 5 der
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BGH ZUM 2007, 382, 384 Rn 22. BGH ZUM 2007, 382, 385 Rn 26.
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BVerfG vom 26.2.2008, 1 BvR 1602/07, 1606/07 und 1626/07.
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UN Antirassismus-Konvention berücksichtigt werden. Aufgrund der Rolle der Medien als „watch dog“ und Spiegel der Gesellschaft und weil die Äußerungen der Jugendlichen weder dem Journalisten nach dem Fernsehsender zurechenbar waren, müssten besonders starke Gründe für ein Verbot vorliegen. Und so entschieden die Richter in ihrer Mehrheit (12 gegen 7), dass die Informationsfreiheit in diesem Falle höher zu gewichten sei als der Minderheitenschutz. Das Bußgeld sei deshalb unverhältnismäßig gewesen und verletze Art 10 EMRK.153
III. Kartell- und Wettbewerbsrecht Zum europäischen Kartellrecht kann auf die Ausführungen von Müller in Teil 3 74 Kap 2, zum europäischen Wettbewerbsrecht auf den von Andrea Stauber bearbeiteten Teil zum privaten europäischen Medienrecht 154 verwiesen werden.
IV. Beihilfenrecht 1. Einleitung Der Gemeinsame Markt kann nicht nur durch missbräuchliches Verhalten von Kar- 75 tellen oder durch Unternehmenszusammenschlüsse gestört werden, sondern auch durch staatliche Eingriffe. Von staatlicher Seite gewährte Subventionen oder sonstige Hilfen an einheimische Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige können ebenso den Wettbewerb verfälschen, zB wenn dadurch die einheimischen Produkte und Dienstleistungen künstlich verbilligt werden. Art 87 Abs 1 EGV möchte verhindern, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch solche von staatlichen Stellen gewährte Vergünstigungen beeinträchtigt wird, wenn dadurch der Wettbewerb verfälscht wird oder verfälscht zu werden droht. Beihilfen durch die Mitgliedstaaten sind deshalb grds gem Art 87 Abs 1 EGV verbo- 76 ten.155 Dieses Verbot gilt allerdings nicht absolut. Es bestehen zum einen im EGV festgelegte Ausnahmen, zB Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen entstanden sind (Art 87 Abs 2 EGV), Ausnahmen, die im Ermessen der Kommission liegen (Art 87 Abs 3 EGV), zB zur Förderung strukturschwacher Gebiete, und Ausnahmen, die in sog Freistellungsverordnungen vereinheitlicht worden sind (Art 87 Abs 3 EGV). Art 86 Abs 2 EGV bietet eine weitere Ausnahmeregelung für Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse erbringen, im Medienbereich sind dies zB öffentlich-rechtliche Sender. Voraussetzung ist ua, dass die Kompensation für die Erbringung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf das Notwendige beschränkt ist und keine sog Überkompensation stattfindet. Art 16 EGV, der durch den Vertrag von Amsterdam Eingang in den EG-Vertrag gefunden hat, legt ein allgemeines Bekenntnis zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ab.
153 154
EGMR NStZ 1995, 237 – Jersild. Vgl Rn 205 ff.
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Calliess/Ruffert/Cremer Art 87 EGV Rn 1.
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2. Struktur und Verfahren
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Rechtsgrundlage der Beihilfekontrolle durch die EU-Kommission sind die Art 87–88 sowie Art 86 Abs 2 EGV. Die Struktur der Beihilferegelung im EGV ist relativ einfach. Art 87 Abs 1 EGV statuiert den Grundsatz, wonach Beihilfen unzulässig sind. In Abs 2 werden bestimmte allgemeine Ausnahmen gemacht, etwa für Sozialbeihilfen; hier besteht kein Handlungsspielraum für die Kommission. Die in Abs 3 genannten Ausnahmen, zB zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von strukturschwachen Gebieten oder zur Kulturförderung, stehen im Ermessen der Kommission. Das Beihilfeverfahren ergibt sich aus Art 88 EGV und der Verordnung (EG) Nr 659/1999 des Rates vom 22.3.1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art 88 EG-Vertrag.156 Art 89 EGV ermöglicht Durchführungs- und Freistellungsverordnungen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, der Kommission neue Beihilfen oder Änderungen bestehender Beihilferegelung vor ihrer Durchführung anzumelden (sog Notifizierung). Ausgenommen von der Notifizierungspflicht sind nur die Beihilfen, die unter eine Gruppenfreistellungsverordnung der Kommission fallen. Der Mitgliedstaat darf die angemeldete Maßnahme solange nicht durchführen, bis die Kommission entschieden hat. Die Kommission hat in der Regel zwei Monate 157 Zeit, um eine Entscheidung zu fällen. Diese relativ kurze Frist wird von der Kommission häufig eingehalten, weil im Vorfeld – vor der offiziellen Anmeldung der Beihilfe – informelle Gespräche zwischen den Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats und der Kommission stattfinden. Vor der Genehmigung gewährte Beihilfen sind rechtswidrig.158 Beim Verfahren unterscheidet Art 88 EGV zwischen zwei Varianten: bestehende und „neue“ Beihilfen. Als bestehende Beihilfen gelten nach Art 1 d VO 659/1999 ua: aus der Zeit vor dem Beitritt stammende Beihilfen, genehmigte Beihilfen, Beihilfen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, sowie Beihilfen, die zum Zeitpunkt ihrer Einführung keine Beihilfen waren und zu solchen erst aufgrund der Entwicklung des gemeinsamen Marktes wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den Mitgliedstaat erfahren haben. Als eine solche Beihilfe wurden zB die Rundfunkgebühren in Deutschland eingestuft.159 Bestehende Beihilfen können gem Art 88 Abs 1 EGV überprüft werden. Nach der Einleitung der Überprüfung kann die Beihilfe jedoch weitergewährt werden und muss nicht ausgesetzt werden. Gem Art 88 Abs 1 S 2 EGV kann die Kommission zweckdienliche Maßnahmen vorschlagen, um die Beihilferegelung statthaft zu machen. Neue Beihilfen oder Änderungen bestehender Beihilfen müssen angemeldet werden (Art 88 Abs 3 S 1 EGV). Hält die Kommission eine geplante Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, leitet sie ein Verfahren nach Art 88 Abs 2 EGV ein.160 An dessen Ende steht entweder einer Verbot oder die Aufforderung, die geplante Beihilfe umzugestalten. Wird eine neue Beihilfe nicht notifiziert, kann die Kommission einstweilige Anordnungen erlassen, um die Zahlung einer Beihilfe bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zu verhindern (Art 11 der VO 659/1999). Wird die Beihilfe für nicht freistellungsfähig erachtet, kann die Kommission anordnen, dass der Mitgliedstaat eine bereits geleistete Beihilfe vom Beihilfeempfänger zurückzufordern hat. Außerdem kann die Kommission
156 157 158 159
ABlEG 1999, L 83, 1. Sog „Lorenz-Frist“, vgl EuGH Rs 120/73, Slg 1973, 1741, Rn 4. EuGH Rs C-345/90, Slg 1991 I-5505 Rn 16. Entscheidung der Kommission vom
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24.4.2007 zur Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks in Deutschland, KOM (2007) 1761 endg Rn 200. S Art 4 Abs 4 der VO 659/1999.
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gegen den betreffenden Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren gem Art 226 EGV einleiten und zwar sowohl wegen der Verletzung der Notifizierungspflicht als auch gegebenenfalls wegen Nichtbefolgung der Anordnungen. 3. Relevanz des Art 87 Abs 1 EGV für die Medien Die Beihilfekontrolle durch die EU-Kommission ist von großer Bedeutung für die Me- 82 dien auch in Deutschland. Die prominenteste Fallgruppe ist die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und hier insbesondere die Gebührenfinanzierung. Die Debatte über die Finanzierung von Sendern wie RAI, BBC, ZDF, TVE oder ORF, die Anfang der 90er Jahre erstmals unter Beihilfegesichtspunkten geführt wurde, ging auf Beschwerden privater Rundfunkveranstalter zurück, die von der EU-Kommission allerdings zunächst diktatorisch behandelt wurden. Der Gerichtshof erster Instanz entschied jedoch in den Fällen „Gestevisión Telecinco“ und „TF1“, dass die Kommission ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.161 Als Reaktion auf die damit erstmals drohende Kontrolle der Rundfunkfinanzierung durch die Kommission verlangten eine Reihe von Mitgliedstaaten, insbesondere Belgien, Deutschland und Schweden, die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender aus der Beihilfekontrolle herauszunehmen und schlugen einen klarstellenden Zusatz im EG-Vertrag vor. Dieses Unterfangen war nur teilweise erfolgreich. Die Mitgliedstaaten einigten sich auf das Amsterdamer Protokoll zum EG-Vertrag.162 Darin heißt es unter anderem: „[…] Die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, dass dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlichrechtlichen Auftrages Rechnung zu tragen ist.“ Das Amsterdamer Protokoll ist ein integraler Bestandteil des Vertrages (Art 311 EGV) 83 und keine bloße Absichtserklärung. Es erkennt die Kompetenz der Mitgliedstaaten an, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen bestimmten Aufgabenkreis festzulegen und auszugestalten. Die Kommission hingegen sieht in dem Amsterdamer Protokoll – pointiert ausgedrückt – kaum mehr als eine Paraphrasierung des Art 86 Abs 2 EGV.163 Für die Kommission sind die „Mitteilung über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa“ aus dem Jahr 1996 164 und die darauf beruhende Rundfunkmitteilung 165 die
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EuGH Rs T-95/96 – Gestevisiòn Telecinco, Slg 1998 II 3407, Rn 90; T-17/96 – TF1, Slg 1999 II 1757 Rn 90. Protokollerklärung Nr 32 der Amsterdamer Regierungskonferenz („Amsterdamer Protokoll“) über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten, ABlEG 1997 C 340, 1 Rn 109. Dies zeigt sich an der sog Rundfunkmitteilung (Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche
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Beilhilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk) ABlEG 2001, C 320, 4 Rn 29 und sowie an der Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg, Rn 217. Mitteilung der Kommission vom 11.9.1996 KOM (96) 443 endg. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beilhilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ABlEG 2001, C 320, 4, die voraussichtlich 2008 reformiert wird.
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weitaus wichtigeren Rechtsquellen. Auf Beschwerden ua des VPRT 166 und der Premiere AG aus dem Jahr 2002 und nach langen Diskussionen mit Bund und Ländern einigte sich die Kommission mit der Bundesregierung 2006 über bestimmte Änderungen ua bei der Rundfunkgebühr, der Definition des Rundfunkauftrags und der Transparenz der Geldflüsse. Dieser Kompromiss soll mit dem zur Zeit (März 2008) diskutierten 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in deutsches Recht umgesetzt werden. Als zweites Beispiel für die Relevanz des Beihilfetatbestandes soll hier die staatliche 84 bzw staatlich organisierte Filmförderung in Deutschland herangezogen werden. In allen Mitgliedstaaten der EU existieren Filmförderungsprogramme, die insbesondere Gelder an Filmproduktionsfirmen und Filmauswerter (Verleih, Kino, etc) vergeben.167 In Deutschland wird Filmförderung sowohl auf Landesebene (zB durch das Medienboard Berlin-Brandenburg 168, den FilmFernsehFonds Bayern 169 oder die Filmstiftung NRW 170) als auch auf Bundesebene ua über die Filmförderungsanstalt (FFA) betrieben.171 Seit Anfang der 90er Jahre werden sie von der Kommission nach Art 87 ff EGV überprüft.172 Dabei hat die Kommission sowohl ihre Rechtsauffassungen 173 als auch ihre Kriterien für die Zulässigkeit von Filmförderungen immer weiter verfeinert und in der sog Kinomitteilung aus dem Jahre 2001 174, verlängert durch die Mitteilung von 2004 175, zusammengefasst. Streitpunkte sind dabei ua die Frage, ob die Mitgliedsstaaten einen „Ländereffekt“ zur Voraussetzung ihrer Förderung machen dürfen (sog Territorialisierung), wie hoch der Anteil der Förderung am Gesamtbudget eines Films sein darf und an welchen Kriterien die allein genehmigungsfähige „kulturelle“ Filmförderung zu erkennen ist.176 Bei der folgenden Darstellung des Tatbestands der Beihilfe werden diese beiden Bereiche, die Rundfunkgebührenfinanzierung177 und die Filmförderung, zur Illustration herangezogen.178
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Verband privater Rundfunk und Telemedien eV. Castendyk Filmförderung 125 ff. www.medienboard.de. www.fff-bayern.de. www.filmstiftung.de. www.ffa.de; neben der FFA fördert ua auch der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, etwa durch die Finanzierung des deutschen Filmpreises. Vgl zB Entscheidung der Kommission zum Deutschen Filmförderfond (DFFF) K(2006) 6682 endg, Staatliche Beihilfe – N695/2006 – Deutscher Filmförderungsfond; Entscheidung K(2007) 2432 Staatliche Beihilfe – N 248/2007 – FilmFernsehFonds Bayern; Entscheidung K(2007) 2437 Staatliche Beihilfe – N 236/2007 – Medienboard Berlin-Brandenburg; Entscheidung K(2007) 2431 Staatliche Beihilfe – N 230/2007 – Filmstiftung NRW; Entscheidung K(2004) 4762 endg Stattliche Beilhilfe – N 411/2004 – Förderung von Film- und Fernsehproduktionen in den deutschen Ländern, Entscheidung SG(99) D/4249, Staatliche Beihilfe – N4/98 – Filmförderungsgesetz.
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Broche/Chaterjee/Orssich/ Tosics, Competition Policy Newsletter 2007/1, 44 ff. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken vom 26.9.2001 KOM (2001) 534 endg, ABlEG 2002 C 43, 6 (sog Kinomitteilung). Kinomitteilung KOM (2001) 534 endg. Broche/Chaterjee/Orssich/Tosics Competition Policy Newsletter, 2007/1, 44 ff. Andere Vorteile öffentlich-rechtlicher Sender, die ebenfalls Begünstigungscharakter haben, wie etwa die Gewährträgerhaftung des Staates und die steuerliche Sonderbehandlung (vgl Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg, Rn 152 ff) sollen hier außer Betracht bleiben. Selbstverständlich gibt es weitere Beispiele, zB die Subventionierung von DVB-T, vgl Castendyk/Dommering/Scheuer/Braun Art 87 EC, Rn 56 ff; Entscheidung der Kommission vom. 9.11.2005 über die Staatliche Beihilfe, die die Bundesrepublik Deutschland zugunsten der Einführung des
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4. Der Tatbestand der Beihilfe a) Übersicht. Eine staatliche Beihilfe iSd Art 87 Abs 1 EGV liegt vor, wenn folgende 85 Tatbestandsmerkmale erfüllt sind: aa) eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln finanzierte Maßnahme gleich welcher Art, bb) die bestimmte Unternehmen oder Wirtschaftszweige begünstigt, cc) den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt. aa) Staatliche Mittel. Staatliche Mittel im o. g. Sinne liegen vor, wenn eine Beihilfe 86 unmittelbar vom Staat oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die vom Staat zur Durchführung der Beihilfenregelung eingerichtet oder beauftragt wurden, gewährt wird.179 Wenn die Mittel nicht direkt aus dem Staatshaushalt fließen, sondern von Privatpersonen an eine öffentliche Einrichtung gezahlt werden, können sie dennoch als „staatliche oder aus staatlichen Mitteln stammende Zuwendungen“ angesehen werden, wenn (a) die Vergünstigungen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden 180 und (b) die Entscheidung über die konkrete Zuwendung dem Staat zurechenbar ist.181 Die Kommission geht davon aus, dass die deutschen Rundfunkgebühren staatliche 87 Mittel sind, da sie vom Staat beschlossen werden und den Anstalten des öffentlichen Rechts zufließen.182 Bund und Länder weisen demgegenüber darauf hin, dass Rundfunkanstalten schon aus verfassungsrechtlichen Gründen „staatsfrei“ sein müssen (s Teil 4 Kap 1 Rn 1). Ähnliche Probleme stellen sich bei der Filmförderung: Die Filmförderungsanstalt (FFA) erhebt ua die sog Filmabgabe, § 66 FFG, die zB von den Kinobetreibern entrichtet werden muss. Die FFA ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, keine staatliche Institution. Sie wird von der Filmwirtschaft selbst kontrolliert. Die Gremien, die über die Projektfilmförderung entscheiden, sind staatsfrei zusammengesetzt. Der Staat beschränkt seine Kontrolle auf die Rechtsaufsicht. In der älteren Rechtsprechung des EuGH wurden parafiskalische Abgaben 183, dh staat- 88 lich bestimmte Abgaben eines bestimmten Personenkreises, die nicht in den Staatshaushalt fließen, sondern in gesonderte Fonds oder Einrichtungen, als staatliche Mittel betrachtet.184 Im Preussen Elektra-Urteil 185 entschied der Gerichtshof jedoch, dass eine
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digitalen terrestrischen Fernsehens (DVB-T) in Berlin-Brandenburg gewährt hat, ABlEG 2006, L 200, 14 Rn 62 ff; vgl auch Koenig/ Hus EStAL 2004, 605, 608 ff. Dauses/Götz/Martínez Soria Bd II H III. Rn 56 ff; Grabitz/Hilf/von Wallenberg Bd II Art 87 Rn 35 ff. Vgl EuGH Rs C-72/91 und C-73/91 – Sloman Neptun, Slg 1993 I-887 Rn 19; Rs C-189/91 – Kirsammer-Hack, Slg 1993 I-6185 Rn 16; Rs C-52/97 ua – Vicido ua, Slg 1998 I-2629 Rn 13; Rs C-200/97 – Ecotrade, Slg 1998 I-7907 Rn 35; Rs C-295/97 – Piaggio, Slg 1999 I-3735 Rn 35; Rs C379/98 – Preussen Elektra, Slg 2001 I-2099 Rn 58; Rs C-482/99 – Stardust Marine, Slg 2002, I-4397 Rn 24. EuGH Rs C-482/99 – Stardust Marine, Slg
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2002, I-4397 Rn 24; Rs 67, 68 und 70/85 – Van der Kooy, Slg 1988, 219 Rn 35; Rs C-303/88 – Italien/Kommission, Slg 1991 I-1433 Rn 11; Rs C-305/89 – Italien/Kommission, Slg 1991 I-1603 Rn 13. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg, Rn 148 ff. EuGH Rs 173/73, Slg 1974, 709 Rn 35; EuG Rs T-358/94 – Air France/Kommission, Slg 1996 II-2109; Dauses/Götz/Martínez Soria Bd II, H III. Rn 58. Vgl Koenig/Kühling ZUM 2001, 537 (543) mwN; ähnlich auch Generalanwalt Jacobs, der parafiskalische Abgaben dann annimmt, wenn die Mittel zweckgebunden in einen zum Staatshaushalt gehörenden Sonderfonds fließen und dann an bestimmte Dritte ausgezahlt werden; Schlussanträge zum
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Begünstigung nur dann aus staatlichen Mitteln stammt, wenn die Zuwendung Auswirkungen auf den Staatshaushalt hat. Die bloße Tatsache, dass die Vergütungsverpflichtung des Stromeinspeisungsgesetzes auf einem Gesetz beruhe, habe keine Bedeutung.186 Ein Teil der Literatur hat die Entscheidung dahingehend interpretiert, dass unabhängig davon, ob eine staatliche Einrichtung oder eine privatwirtschaftliche Institution zwischengeschaltet wird, der Staatshaushalt durch die Subvention belastet werden muss.187 Diese Interpretation ist allerdings nicht zwingend. Denkbar ist, dass die Bedingung „Auswirkung auf den öffentlichen Haushalt“ nur für Sachverhalte wie bei Preussen Elektra gilt, in denen die Mittel ausschließlich zwischen Privaten zirkulieren.188 Die jüngste Entscheidung zur Stardust Marine 189 verdeutlicht diese Auffassung für zwischengeschaltete Institutionen: Der Gerichtshof sah Vergünstigungen einer privatrechtlich organisierten Bank in staatlichem Eigentum als staatliche Mittel an, obwohl sie diese Mittel aus ihrem laufenden Geschäftsbetrieb erwirtschaftet hatte. Entscheidend sei, dass die Mittel „unter staatlicher Kontrolle und damit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen“.190 Aber auch die staatliche Kontrolle wurde sowohl bzgl der Einnahmeseite mit Blick 89 auf das staatsfern organisierte KEF-Verfahren bezweifelt, als auch bzgl der Ausgabeseite, da die Verwendung der Rundfunkgebühr durch die Rundfunksender gerade keiner staatlicher Kontrolle unterliegt.191 Bei der Filmförderung gibt es hingegen auf der Einnahmeseite weniger Zweifel, weil sie der Höhe nach vom Gesetzgeber festgelegt wird. Problematisch sind hier nur die freiwilligen Leistungen der Rundfunksender an die FFA gem. § 67 FFG. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zur deutschen Rundfunkgebühr gibt 90 es nicht. Angesichts der Tatsache, dass Bund und Länder weitgehende Zugeständnisse gegenüber der Kommission gemacht haben (vgl Mitteilung der Kommission vom 24.4. 2007 192), ist die zwischen 1998–2007 intensiv geführte Diskussion 193 nicht mehr so rele-
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Urteil EuGH Rs C-379/98 – Preussen Elektra, Slg 2001 I-2099 Rn 165. EuGH Rs C-379/98 – Preussen Elektra AG, Slg 2001 I-2099. EuGH Rs C-379/98 – Preussen Elektra AG, Slg 2001 I-2099 Rn 59: „Der Umstand, dass die Abnahmepflicht auf einem Gesetz beruht und bestimmten Unternehmen unbestreitbare Vorteile gewährt, kann damit der Regelung nicht den Charakter einer staatlichen Beihilfe iSv Art 92 Abs 1 EGV verleihen“, so auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zum Urteil, Rn 165 ff. Vgl Bartosch NVwZ 2001, 643, 645 f; Koenig/Kühling ZUM 2001, 537, 543 mwN. Diese Auffassung wird von der Kommission vertreten, s Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg, Rn 151; in etwas andere Richtung geht jedoch der EuGH Rs C-72/91 und C-73/91 – Sloman Neptun, Slg 1993 I-887 Rn 19 ff. EuGH Rs C-482/99 – Stardust Marine, Slg 2002, I-4397. EuGH Rs C-482/99 – Stardust Marine, Slg 2002, I-4397 Rn 37; damit erteilte der
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Gerichtshof denjenigen Interpretationen eine Absage, die nach Preussen Elektra die Voraussetzung „aus staatlichen Mitteln“ nur für gegeben ansahen, wenn der Staatshaushalt unmittelbar belastet wird, so auch Castendyk/Dommering/Scheur/Braun Art 87 EC Rn 11. Vgl Bartosch NVwZ 2001, 643, 645 f; Koenig/Kühling ZUM 2001, 537, 545 mwN; Gounalakis 166 ff; aA Degenhardt ZUM 2001, 357, 370. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg, Rn 322 ff. Hinsichtlich der Rechtslage in Deutschland vgl Schreiben der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland und zur Vereinbarkeit des bestehenden Systems mit dem gemeinsamen Markt, vom 3.3.2005, Staatliche Beihilfe E 3/2005, epd medien 2005, Nr 21; s anders die Antwort der Bundesregierung vom 6.5.2005, Journalist.de 6/2005, 1 ff (abrufbar unter http://www.journalist.de/downloads/pdf/
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Europäisches Primärrecht
vant. Dasselbe gilt für das Filmförderungsgesetz (FFG). Der EuGH hat sich zwar nicht zur deutschen Filmförderung geäußert. Die Bundesregierung hat jedoch seit 1991 alle FFG-Novellen notifiziert und die von der Kommission gewünschten Änderungen vorgenommen, obwohl die freiwilligen Beiträge der Fernsehsender nicht unter den Begriff der staatlichen Mittel subsumiert werden können.194 bb) Begünstigung. Eine Begünstigung als weitere Voraussetzung des Art 87 Abs 1 91 EGV ist gegeben, wenn Unternehmen geldwerte Vorteile ohne marktgerechte Gegenleistung erhalten.195 Ob eine angemessene Gegenleistung vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob ein privater Investor dieselbe Summe für die Leistung zahlen würde (sog „private investor test“).196 Der EuGH geht davon aus, dass auch adäquate Gegenleistungen für die Erfüllung von Gemeinwohlsverpflichtungen iSd Art 86 Abs 2 EGV den Tatbestand der Beihilfe entfallen lassen können.197 Auch bei der Rundfunkgebühr ist das Tatbestandsmerkmal der Begünstigung umstrit- 92 ten. Denn es ist fraglich, ob die Rundfunkgebühr nicht doch eine angemessene Gegenleistung für die Leistungen der Rundfunkanstalten ist.198 Die Voraussetzungen, die der EuGH für die „angemessene Gegenleistung“ aufstellt, überschneiden sich teilweise mit denen des Ausnahmetatbestands für Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse erbringen (Art 86 Abs 2 EGV).199 Eine der vier Voraussetzungen ist, dass die Parameter, anhand derer die angemessene Gegenleistung für das Unternehmen berechnet wird, zuvor (dh vor der Betrauung mit der gemeinwirtschaftlichen Tätigkeit) objektiv und transparent aufgestellt werden müssen. Dies ist bei der Rundfunkgebühr nicht der Fall, denn sie wird von der KEF ex post geprüft und letztendlich von den Ländern bestimmt.200 Schon deshalb erfüllt die Rundfunkgebühr auch das Tatbestandsmerkmal der Begünstigung.201 Die Filmförderung ist ebenfalls begünstigend. Betrachtet man die Einnahmeseite, ist 93 unproblematisch, dass die Filmabgabe keine angemessene Gegenleistung für eine Leistung der FFA darstellt. Bei der Ausgabenseite sieht es nicht anders aus: Die Referenzförderung ist keine Gegenleistung für die Leistung eines geförderten Filmherstellers. Die Projektfilmförderung als erfolgsbedingt rückzahlbares Darlehen hielte angesichts einer Rückzahlungsquote von unter 10 % 202 keinem „private investor test“ Stand.203 Nur bei
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dokumentationen/finanzierung.pdf); vgl Analyse von Kleist/Scheuer Funkkorrespondenz 11.3.2005, 3 ff; Sumrada/Nohlen EStAL 2005, 609, 618 ff; Dörr Media Perspektiven 2005, 333, 335 ff; Jury, 80 ff; Koenig/Haratsch EStAL 2003, 569, 570 ff; Koenig/Kühling ZUM 2001, 537, 538 ff; Michel MMR 2005, 284, 285 ff; Auffassung der Kommission (vgl Schreiben der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission vom 3.3.2005, epd medien 2005 Nr 21 Rn 118, wird ua unterstützt von Selmayr/Kamann K&R 2004, 49, 52; Tigchelaar EStAL 2003, 169, 173. Castendyk/Bark ZUM 2003, 480, 483. Calliess/Ruffert/Cremer Art 87 Rn 7 mwN. EuG Rs T-358/94 – Air France/Kommission, Slg 1996 II-2109 Rn 70 ff; Dauses/Götz/ Martínez Soria Bd II H III Rn 62.
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EuGH Rs C-53/00 – Ferring, Slg 2001 I-9067 Rn 17 ff; Rs C-280/00 – Altmark Trans, Slg 2003 I-7747 Rn 87 ff. Vgl Koenig/Kühling ZUM 2001, 537, 538 ff; Michel MMR 2005, 284, 285 ff. Die Auffassung, wonach nach der AltmarkEntscheidung kein Raum mehr für eine selbstständige Prüfung des Art 86 Abs 2 EGV verbleiben würde, ist wohl überholt, vgl Koenig/Haratsch ZUM 2004, 122 ff. Vgl Teil 4 Kap 1 Rn 106 ff. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 endg Rn 160 ff. Vgl Castendyk Filmförderung 143 f. Gesondert ist die Förderung nach dem Filmfernsehabkommen zwischen ARD-Sendern, ZDF und FFA zu beurteilen, da die Rundfunkanstalten als Gegenleistung für ihre Förderung Senderechte an den geförderten Filmen erhalten. Die Begünstigung könnte
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Förderarten, wie der Filmtheaterförderung nach § 56 Abs 3 FFG, bei der die FFA zinslose Darlehen für Investitionen (zB neue Bestuhlung eines Kinos) vergibt, die in der Regel auch zurückgezahlt werden, liegt die Begünstigung nicht im Förderbetrag selbst, sondern lediglich in der Differenz zum marktüblich verzinsten Darlehen.
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cc) Wettbewerbs- und Handelsbeeinträchtigung. Eine Beihilfe ist mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar, wenn die Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel eine verzerrende Wirkung auf den Wettbewerb in der Gemeinschaft entfaltet oder entfalten kann. Dies ist zB dann der Fall, wenn die Beihilfe die Stellung eines Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern in diesem Handel stärkt.204 Bei der Auswirkung auf den Wettbewerb ist seitens der Kommission der relevante Markt zu definieren, wenn sie die Beihilfeentscheidung begründet.205 Angesichts des internationalen Programm- und Sportrechtehandels sowie der grenz95 überschreitenden Wirkung der Werbung geht die Kommission davon aus, dass eine staatliche Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunksender den innergemeinschaftlichen Handel beeinflusst. Da private und öffentlich-rechtliche Sender um dieselben Zuschauer und zumindest teilweise um dieselben Werbekunden kämpfen, kann sich die Begünstigung wettbewerbsverfälschend auswirken.206 Weitere Argumente basieren auf der Tätigkeit der kommerziellen Tochterfirmen und der Onlinerangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Auch die Filmproduktion und Filmauswertung ist ein internationales Geschäft, so dass 96 deren Förderung den innergemeinschaftlichen Handel und Wettbewerb verzerren kann. Die derzeit aktuelle Frage bei Rundfunkgebührenfinanzierung und Filmförderung ist deshalb weniger, ob sie Beihilfen darstellen, sondern eher, inwieweit und in welcher Ausgestaltung sie ausnahmsweise zulässig sein können. Für die Rundfunkgebührenfinanzierung kommt als Ausnahmevorschrift vor allem der erwähnte Art 86 Abs 2 EGV in Betracht, für die Filmförderung geht es um die Bereichsausnahme in Art 87 Abs 3 d) EGV.207
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b) Art 86 Abs 2 EGV. Eine Ausnahme für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse betraut sind, kommt unter drei Voraussetzungen in Betracht: 208 1. Die zu erbringenden Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse muss vom Mitgliedstaat klar definiert sein (Definition).
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nur in der Differenz zwischen nach dem Abkommen vereinbarten, für die Filmproduzenten vergleichsweise günstigen und den üblichen Vertragsbedingungen bestehen. EuGH Rs 730/79 – Philip Morris/Kommission, Slg 1980, 2671 Rn 11, Grabitz/Hilf/ von Wallenberg Bd II Art 87 Rn 54. Vgl EuGH, verbd Rs C-329/93, C-62/95, C-63/95 – Bremer Vulkan, Slg 1996 I-5151 Rn 53 ff; s anders Schlussanträge des Generalanwalts Alber zu EuGH Rs C-351/98 – Spanien/Kommission, Slg 2002 I-8031 Rn 78 ff. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 Rn 184 ff. Selbstverständlich kommen theoretisch
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beide Ausnahmeregelungen für Rundfunkgebühr und Filmförderungen Betracht. Dies wird aber nur bei der Rundfunkgebühr thematisiert, vgl zB Hahn/Vesting/Libertus § 13 Rn 46 f; Castendyk/Dommering/Scheuer/ Schmahl Art 151 EC, Rn 27; Grabitz/Hilf/ von Wallenberg Bd II Art 87 Rn 182 f. So die Kommission in dem Verfahren der staatlichen Beihilfe – C 62/1999 (ex NN 140/1998) – Italien, ABlEG 1999, C 351, 20 ff, Entscheidung der Kommission betreffend der Maßnahmen Italiens zu Gunsten von RAI K(2003) 3528, ABlEG 2004, L 119, 1, Rn 95 ff; Koenig/Haratsch ZUM 2004, 122 ff und in der Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 Rn 217 ff.
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Europäisches Primärrecht
2. Das Unternehmen muss mit der Erbringung der Dienstleistung durch eine öffentliche Stelle betraut sein (Betrauung). Die Einhaltung der allgemeinen wirtschaftlichen Verpflichtungen im Einklang mit dem Betrauungsakt muss durch eine unabhängige Stelle überwacht werden. 3. Die staatliche Beihilfe darf nicht über die Netto-Mehrkosten der allgemeinen wirtschaftlichen Dienstleistung hinausgehen, wobei andere Einkünfte, die unmittelbar oder mittelbar aus der Erbringung der öffentlichen Dienstleistungen entstehen, zu berücksichtigen sind (Verhältnismäßigkeit). Bei der Definition des Rundfunkauftrags gesteht die Kommission – entsprechend dem 98 Amsterdamer Protokoll 209 – den Mitgliedsstaaten gesetzgeberisches Ermessen zu. Die Rolle der Kommission beschränkt sich auf die Kontrolle offensichtlicher Fehler.210 Auch wenn es den Mitgliedstaaten frei steht, den öffentlichen Auftrag selbst zu definieren 211, müssen diese Definitionen jedoch hinreichend präzise sein. Dabei hat die Kommission die sehr weit gefasste Definition des Rundfunkauftrags in den meisten deutschen Rundfunkgesetzen grds akzeptiert. In Einzelfällen, zB bei Digitalkanälen und bei Internetangeboten, hat sie jedoch Präzisierungen verlangt.212 Die Zulassung öffentlich-rechtlicher E-Commerce-Angebote, von Werbung, Sponsoring und Merchandising über das Internet, von Pay-TV und Pay-Per-View und ähnlicher kommerzieller Dienste wäre hingegen ein „offensichtlicher Fehler“. Bei der Betrauung hat die Kommission Zweifel daran erkennen lassen, ob die interne 99 Kontrolle durch den Rundfunk- bzw Verwaltungsrat effizient ist.213 Dies gilt insbesondere für die noch unzureichende Kontrolle der kommerziellen Tochter- und Beteiligungsfirmen der Rundfunkanstalten. Zur Verhältnismäßigkeit hat die Kommission eine Vielzahl von Anforderungen an 100 die Kommission. Gem der Rundfunkmitteilung muss die Kommission im Rahmen von Art 86 Abs 2 EGV darüber wachen, dass die Subventionierung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse den Wettbewerb auf dem gemeinsamen Markt nicht in unverhältnismäßig hohem Maße beeinträchtigt. Neben der klaren Definition des öffentlichen Auftrags erfordert dies eine ebenso klare Trennung zwischen gemeinwirtschaftlichen und anderen kommerziellen Tätigkeiten. Nur auf Grundlage einer solchen differenzierten Mittelzuweisung lässt sich feststellen, ob die öffentliche Finanzierung tatsächlich auf die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrages begrenzt ist. Die Anforderungen an die getrennte Buchführung ergeben sich dabei aus der Transparenzrichtlinie. Nur damit können unzulässige Quersubventionierungen kommerzieller Töchter mit Mitteln aus der Rundfunkgebühr verhindert werden. c) Art 87 Abs 3 d) EGV. Ein Filmförderungsprogramm kann von der Kommission 101 nach Art 87 Abs 3 lit d) EGV als Förderung der Kultur genehmigt werden 214, wenn sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß 209 210 211
S oben Rn 82. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 Rn 220. Mit dieser Möglichkeit sind interessante Fragestellungen, wie zB, ob ein Marktversagen erforderlich ist, um eine Einrichtung mit der Dienstleistung von öffentlichem Interesse zu betrauen, leider abgeschnitten (vgl krit zum Konzept des Marktversagens jedoch Koenig/Füg EStAL 2005, 591 ff).
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Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 Rn 236, 248 ff. Entscheidung der Kommission KOM (2007) 1761 Rn 255 ff. Denkbar ist selbstverständlich auch eine andere Ausnahme, zB die Förderung strukturschwacher Gebiete, vgl Art 87 Abs 1a) EGV iVm der Verordnung (EG) Nr 1628/ 2006 (Regionalfreistellungsverordnung).
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1. Teil
beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Nach Ansicht der Kommission ist eine Filmförderung in diesem Sinne noch angemessen, wenn maximal 50 % der Gesamtkosten des Films von der Filmförderung zugeschossen werden, wobei Ausnahmen für kleine, schwierige oder kulturell besonders wichtige Filme möglich sind.215 Der Produzent muss mindestens 20% des Filmbudgets in anderen Mitgliedsstaaten ausgeben dürfen, ohne dass die ihm gewährte Beihilfe gekürzt wird (sog „80/20-Regel“). Damit wird der Territorialisierungsgrad auf 80 % limitiert.216 Es muss außerdem sichergestellt sein, dass Produktionen mit nicht kulturellem Inhalt 102 von der Förderung ausgeschlossen sind, der EuGH nennt als Beispiele Werbung oder Pornographie.217 Wichtig ist daneben, dass nicht die Wirtschaftsförderung im Vordergrund steht. Diese Voraussetzungen waren bei der FFA ua über das Qualitätserfordernis (welches iS einer kulturellen Qualität ausgelegt werden muss) und § 19 FFG sichergestellt. Neuerdings verlangt die Kommission aber auch zusätzliche „kulturelle“ Kriterien. Bisher hielt sie dies nur bei „Incentive“-Förderungen, wie dem Deutschen Filmförderungsfonds, für erforderlich. Bei den jüngsten Genehmigungsverfahren hat sich gezeigt, dass die EU-Kommission zwischen – förderungswürdigen – „kulturellen“ und – nicht förderungsfähigen – technischen bzw wirtschaftlichen Teilen der Filmproduktion differenzieren möchte.218 Es ist jedoch problematisch, zwischen „kultureller“ und „wirtschaftlicher“ Filmförderung zu unterscheiden. Eine Trennung in „kulturell wertvolle“ und „Kommerzfilme“ ist nicht möglich und wäre auch mit Bezug auf die Funktion des Films als kultureller Spiegel der Gesellschaft verfehlt. Auch erfolgreiche und massenattraktive Filme können einen ganz erheblichen Einfluss auf die private und öffentliche Meinungsbildung erlangen und kulturell eine ganze Generation mitprägen. Noch problematischer ist die einseitige Bevorzugung „kreativer“ Beiträge, denn zum einen sind auch Teile der „technischen“ Beiträge heutzutage künstlerisch, zB im Bereich der digitalen Nachbearbeitung, zum anderen sind auch rein technische Beiträge notwendig, um den Film entstehen zu lassen.
§3 Medien im Völkerrecht und Europa I. Einleitung 103
Das Völkerrecht beeinflusst Rundfunk und Medien unter verschiedenen Gesichtspunkten. 104 Von ganz erheblicher praktischer Bedeutung sind die völkerrechtlichen Regelungen für das Fernmeldewesen.219 So wird etwa das Frequenzspektrum im Rahmen internatio215
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Kritik an diesem – allerdings in der Praxis nicht sehr ernst genommen – Kriterium übt Hentschel 289. Vgl Kinomitteilung KOM (2001) 534 endg Rn 6, die zunächst bis Ende 2004 galt, bis Mitte 2007 verlängert wurde und spätestens Ende 2009 auslaufen soll. Vgl Entscheidung der Kommission SG(98) D/6935, Staatliche Beihilfe – N3/98 – Frankreich, 6 f.
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Entscheidung der EU-Kommission zum neuen UK-Fund K(2007) 6075 endg, Staatliche Beihilfe – NN 6/06 – UK film development and production funds; Entscheidung der Kommission zum Deutschen Filmförderfond (DFFF) K(2006) 6682 endg, Staatliche Beihilfe – N695/2006 – Deutscher Filmförderungsfond. Zur Einführung vgl Ladeur ArchPT 1998, 243 ff.
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§3
Medien im Völkerrecht und Europa
naler Vereinbarungen zwischen den Staaten aufgeteilt.220 Die Verteilung von Frequenzen richtet sich nach dem internationalen Fernmeldevertrag (IFV) 221 und der Vollzugsordnung für den Funkdienst (VO Funk). Danach koordiniert, verteilt und registriert die Internationale Fernmeldeunion (IFU), eine Sonderorganisation der UNO, die Frequenzen. In mehrjährigem Abstand finden sog Weltfunkkonferenzen statt, bei denen die Vollzugsanordnungen ergänzt und geändert werden. Die danach auf nationaler Ebene zur Verfügung stehenden Frequenzen werden in Deutschland nach Maßgabe des TKG in einem mehrstufigen Verfahren vergeben.222 Ebenfalls bedeutsam sind die Handelsliberalisierungen, die im Anschluss an die Uruguay-Runde der WTO-Verhandlungen auch für den Telekommunikationssektor erreicht wurden.223 Da das TK-Recht nicht zum Medienrecht gehört, soll dieser Aspekt im Folgenden nicht weiter vertieft werden. Bei Rundfunk- und Mediendiensten wurde in den letzten Jahren vor allem diskutiert, ob und inwieweit derartige Angebote unter das WTO-Regime fallen. Die in den GATTund GATS-Abkommen vereinbarten Liberalisierungen sind für den audiovisuellen Sektor durchaus relevant 224: Wäre etwa das GATT-Abkommen von 1947 auf Rundfunksendungen anwendbar, wären Quotenregelungen, wie zB die europäische Quote in Art 4 der Fernsehrichtlinie, völkerrechtswidrig.225 Die Anwendung des welthandelsrechtlichen Grundsatzes der Inländerbehandlung könnte zB dazu führen, dass in Europa ansässige US-amerikanische Zweigniederlassungen Anspruch auf europäische Fördermittel hätten. Auch im Bereich der Kabelweiterleitung dürften außereuropäische Anbieter nicht mehr benachteiligt werden. Schließlich würde jede Subvention für Medienangebote, gegebenenfalls sogar auch die Rundfunkgebühr, dem harten Erforderlichkeitstest des GATTAbkommens ausgesetzt. Neben der WTO bestimmen auch die Aktivitäten der UNESCO die völkerrechtliche Diskussion der audiovisuellen Medien. In Ausfüllung des Prinzips des „free flow of information“ verabschiedete sie 1972 eine – rechtlich unverbindliche – Deklaration zum freien Informationsfluss bei Rundfunksendungen. Dabei erkennt sie damals auch noch das gegenläufige Prinzip des „prior agreement“ an (Art IX Abs 1), welches heute mehr in den Hintergrund getreten ist.226 Wichtig ist daneben auch die kulturelle Dimension von Rundfunk und Telemediendiensten, die völkerrechtlich gesehen auch die Funktion hat, Liberalisierungen aus rein wirtschaftlichen Motivationen heraus Grenzen zu setzen. Nach langer und intensiver Debatte wurde am 20.10.2005 das „Übereinkommen zum Schutz der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ verabschiedet. Kulturpolitische Ziele der Nationalstaaten können damit gewisse Einschränkungen des Welthandels rechtfertigen.227 Nicht zuletzt hat das Völkerrecht für den Einzelnen die Bedeutung einer Garantie der Informations- und Meinungsfreiheit. Hervorzuheben ist zunächst Art 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (GA-Res 217 III vom 10.12.1948), in dem es heißt: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verstän220 221
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Einen ersten Einstieg bietet Herrmann/ Lausen 5. Kap § 29 Rn 1 ff. Vertragstext in der Fassung des Schweizer Bundesgesetzblatts abrufbar unter http:// www.admin.ch/ch/d/sr/i7/0.784.16.de.pdf. Herrmann/Lausen 5. Kap § 29 Rn 26 ff. Vgl Grabitz/Hilf/Tietje Bd IV E 27 Rn 63 ff. Zur Bedeutung der welthandelsrechtlichen
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Regelung für den Rundfunk allgemein Pleitgen AfP 2005, 1 ff. Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 4 TWFD Rn 37 ff; Oeter AfP 2005, 6 ff. UNESCO World Communication Report 2006. Wiedemann 23 ff; Merkel 9 ff.
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1. Teil
digungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ Dieses Freiheitsrecht wurde später in Art 19 Abs 2 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) 228 fast wortgleich übernommen. Angesichts der nahezu weltweiten Ratifikation dieses Paktes wird heute von einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Menschenrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit ausgegangen.229 Dies muss auch die EU bei der Gestaltung ihrer Politik in den Bereichen von Medien, Telekommunikation und Informationstechnologie beachten. Selbstverständlich ist das Menschenrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, ähnlich wie die entsprechenden Regelungen im Grundgesetz und in der EMRK, nicht schrankenlos gewährleistet. Als legitime Gründe für eine Einschränkung dieser Kommunikationsfreiheiten nennt Art 19 Abs 3 IPbürgR die Rechte anderer, den Schutz der nationalen Sicherheit, des ordre public, der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 230 stellt eine völkerrecht109 liche Grundlage für das Menschenrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit dar. Da die EMRK zum sog „acquis communitaire“ gehört und damit immer stärker in die Rolle eines Grundrechtskatalogs für das EU-Recht hineingewachsen ist, wurde die EMRK bereits in § 2, II dieses Abschnitts als Teil des europäischen Primärrechts dargestellt.231
II. GATT/GATS 110
Die völkerrechtlich aktuellste Problemstellung betrifft die Frage, wie der Rundfunkund die sonstigen audiovisuellen Medienangebote im WTO-Kontext zu verorten sind. Rundfunk transportiert Information, Kultur und Unterhaltung. Die audiovisuellen Dienste dienen der öffentlichen Meinungsbildung und Unterhaltung, sind aber gleichzeitig auch Wirtschaftsunternehmen, die mit ihren Waren und Dienstleistungen Geld verdienen müssen. Diese kulturelle und ökonomische Doppelnatur warf die Frage auf, ob und inwieweit welthandelsrechtliche Normen auf Rundfunkangebote anwendbar sind. Zentraler Dreh- und Angelpunkt für das Welthandelsrecht ist die WTO mit ihren circa 160 Mitgliedstaaten; sie wirkt auf den Abbau von Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten hin. Die WTO bildet das Dach für eine ganze Reihe von multilateralen Handelsabkommen.232 Grundlegend ist zunächst das GATT-Abkommen aus dem Jahre 1947 233, mit dem der 111 Handel mit Waren liberalisiert wurde. Es stellt für die Mitgliedstaaten strenge, zT unmittelbar umzusetzende Regeln auf. Mengenmäßige Beschränkungen sind grds verboten: es gilt das Gebot der Inländergleichbehandlung. Es enthält außerdem Regelungen über Subventionen und ihre Zulässigkeit. Im Jahr 1995 kam das Abkommen über die Liberalisierung von Dienstleistungen (GATS) 234 hinzu. Dieses Abkommen enthält Rahmenbe228
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Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) vom 16.12.1966, BGBl 1973 II S 1534. Vgl Böckstiegel/Wolfrum 395; Gornig 230 ff passim. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.5.2002, BGBl II S 1054. S oben Rn 47. Dazu gehört auch das im Urheberrecht so
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bedeutsame TRIPS-Abkommen, vgl zur WTO die Aufzählung unter http://www.wto. org/english/docs_e/legal_e/legal_e. htm#agreements. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (engl. General Agreement on Tariffs and Trade). Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (engl. General Agreement on Trade in Services).
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Medien im Völkerrecht und Europa
dingungen für den Dienstleistungsverkehr. Die Einbeziehung des audiovisuellen Sektors in das GATS war während der Uruguay-Verhandlungsrunde äußerst umstritten. Die Europäer, insbesondere Frankreich, betonten die kulturelle Seite des Sektors und forderten eine „exception culturelle“. Andere Staaten, allen voran die USA und Japan, hielten audiovisuelle Güter nur für Unterhaltungsdienstleistungen, die keine Ausnahmeregelungen verdienen würden. Am 14.12.93 wurden die diesbezüglichen Verhandlungen als gescheitert abgebrochen. Es gelang den Europäern nicht, eine Ausnahmeregelung zu Gunsten des audiovisuellen Sektors durchzusetzen. Damit unterfallen auch Rundfunkprogramme grds dem Abkommen. Die Folgen für den audiovisuellen Sektor in Europa sind jedoch gering, da das GATS- 112 Abkommen völlig anders strukturiert ist als das GATT-Abkommen. Nach dem GATSAbkommen besteht ohne eine spezifische Verpflichtung („specific committment“) nicht einmal Anspruch auf Marktzugang. Nur für Dienstleistungen, die ausdrücklich in einem Anhang benannt sind („Positivliste“), gilt der Grundsatz der Inländerbehandlung. Angesichts ihrer harten Verhandlungsposition bei der Uruguay-Runde wenig erstaunlich, hat die EU niemals Verpflichtungen für den audiovisuellen Bereich angemeldet. Da also GATT und GATS unterschiedlich große Liberalisierungsforderungen stellen, 113 ist die Abgrenzung zwischen Waren und Dienstleistungen von erheblicher Bedeutung. Dennoch wurden die Begriffe „Ware“ und „Dienstleistung“ nicht definiert. Allerdings wurden in der „Services Sectoral Classification List“,235 bestimmte audiovisuelle Dienstleistungen aufgeführt. Hierzu gehören die Produktion, öffentliche Vorführung und der Vertrieb von Kino- und Videofilmen, das Radio und Fernsehdienste. Daraus ergibt sich ein in der Praxis schwer zu handhabendes, durchaus widersprüchliches Ergebnis. So ist ein klassischer Spielfilm als eine auf einem Träger fixierte Bild- und Tonsequenz unstreitig eine Ware im Sinne des GATT. Die Vorführung oder Ausstrahlung des Spielfilms ist jedoch als Dienstleistung und nicht als Ware einzuordnen. Gleichzeitig enthält das GATT-Abkommen von 1947 Regelungen zu Kinoquoten, die streng genommen die Vorführung der „Ware Film“ im Kino und damit eine Dienstleistung regeln.236 Noch verschärft werden diese Abgrenzungsprobleme mittlerweile im Kontext des Internets. Über die systematische Einordnung der über das Netz vermarkteten digitalen Produkte besteht keine Einigkeit. Während einerseits digitale Produkte grds als Dienstleistung angesehen werden, wird andererseits vertreten, elektronisch übertragene Produkte wären generell als Waren im Sinne des GATT-Abkommens anzusehen.237
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GATT. Doc. MTN.GNS/W/120 (07/10/ 1991), abrufbar unter http://www.wto. org/english/tratop_e/serv_e/serv_sectors_e. htm. Es wurde diskutiert, ob das GATT und die genannten Regelungen auf Fernsehsendungen analog Anwendung finden können. Zur Klärung dieser von den USA im Jahre 1961 in das GATT getragenen Frage wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich jedoch nicht auf einen Standpunkt einigen konnte,
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vgl Frese, 143 f. Ob Quotenregelungen im Fernsehen, wie in Art 4–6 der Fernsehrichtlinie, die schließlich auch Kinofilme einschließen, gegen das GATT-Abkommen verstoßen, wurde in den vom GATT vorgesehenen Schlichtungsverfahren jedoch noch nicht überprüft, vgl dazu auch Castendyk/ Dommering/Scheuer/Castendyk Art 4 TWFD Rn 37 ff. Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 4 TWFD Rn 32 ff.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
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III. Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen Die Mitgliedsstaaten des Europarates haben 1989 das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (FsÜ) abgeschlossen.238 Die Konvention wurde mit Änderungsprotokoll vom 1.10.1998 an die 1997 revidierte Fernsehrichtlinie angepasst.239 Das auf diese Weise revidierte FsÜ trat am 1.3.2002 in Kraft. Der Kreis der Vertragsstaaten ist größer als der der Mitgliedstaaten der EU, für die gleichzeitig die Fernsehrichtlinie gilt. Als völkerrechtlicher Vertrag wird das Übereinkommen durch Ratifikation in den einzelnen Vertragsstaaten gültig. Das Zustimmungsgesetz 240 hat in der Bundesrepublik den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Die politische Motivation für eine parallele rundfunkrechtliche Regelung zur Fernseh115 richtlinie war vielgestaltig.241 So machte der Satellitenrundfunk auch nicht an den Grenzen der damaligen Europäischen Gemeinschaft halt, so dass eine europaweite Mindestregelung sinnvoll erschien, die auch Staaten wie die Schweiz oder Norwegen miteinbeziehen konnte. Außerdem wollten viele Mitgliedstaaten und auch die deutschen Bundesländer auf ihre exklusiven Kompetenzen im Rundfunkbereich nicht verzichten und waren nicht bereit, der Europäischen Gemeinschaft Kompetenzen zuzugestehen.242 Da sie gleichzeitig einsehen mussten, dass angesichts des Satellitenrundfunks eine gewisse Harmonisierung rundfunkrechtlicher Vorschriften in Europa notwendig war, hielten sie ein völkerrechtliches Instrument mit geringerer Bindungswirkung für besser geeignet. Dieses politische Ziel, die Fernsehrichtlinie zu verhindern, wurde jedoch nicht erreicht. Damit hat die FsÜ für EU-Mitgliedstaaten nur noch eine geringe Bedeutung. Der Vorrang der Fernsehrichtlinie wird durch eine Kollisionsregel sichergestellt. Nach 116 Art 27 Abs 1 FsÜ sind die Bestimmungen der Fernsehrichtlinie in EG-Mitgliedstaaten vorrangig, es sei denn, dass es zu dem Regelungsgegenstand keine Vorschrift der Richtlinie gibt. Zwischen den EU-Mitgliedsstaaten hatte die FsÜ deswegen nur noch die Bedeutung einer Interpretationshilfe bei der Auslegung der Fernsehrichtlinie. Denn es entspricht dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, gleichlautende Regelungen in der Fernsehrichtlinie ohne Widerspruch zur FsÜ zu interpretieren.243 Dieser
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Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989, Text im Internet unter http:// conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/ Html/132.htm. Das FsÜ ist inzwischen in Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Malta, Norwegen, Österreich, Polen, San Marino, der Schweiz, Slowakei, Spanien, Türkei, Ungarn, Vatikanstadt und Zypern in Kraft. Unterzeichnet haben weiterhin Albanien, Estland, Griechenland, Kroatien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowenien, Tschechische Republik und die Ukraine, abrufbar unter http://conventions. coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT =132&CM=7&DF=2/27/2008&CL=GER. Ebenso gibt es bereits Bestrebungen, das Abkommen an die AVMDR anzupassen, s Bericht des ständigen Ausschusses (Report
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TT-T(2007)007) vom 8. und 9.10.2007, TOP 5, abrufbar unter http://www.coe.int/ t/e/human_rights/media/2_transfrontier_ television/T-TT(2007)007_en.asp# TopOfPage. Das FsÜ trat in Deutschland am 1.11.1993 in Kraft, vgl Dörr ZUM 1994, 342, 343. Vgl Schwartz EuR 24, 1 Fn 11; Berger ZUM 1996, 119 ff; Engel ZRP 1988, 240. Die Länder hatten vergeblich versucht, die Zustimmung der Bundesregierung zur Fernsehrichtlinie mit einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zu verhindern, BVerfGE 1980, 74 ff; auch in der Hauptsache hat das höchste deutsche Gericht den Ländern seinen Schutz versagt (BVerfGE 92, 203 ff); vgl dazu ua Lerche AfP 1995, 632 ff. Es ist ständige Rechtsprechung, dass Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts – soweit wie möglich – in Überein-
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Medien im Völkerrecht und Europa
Ansatz wird auch vom EuGH vertreten. In einem Fall, der Art 18 der Fernsehrichtlinie 244 betraf, suchte der EuGH nach Ansatzpunkten auch im FsÜ (und seinem „Explanatory Memorandum“).245 Allerdings muss es sich um gleichlautende Regelungen handeln. In dem Verfahren Kommission gegen Vereintes Königreich 246, in dem das Vereinigte Königreich ebenfalls für einen „consistent approach“ votierte, verweigerte sich der EuGH dieser Argumentationslinie, weil die jeweiligen Regelungen einen anderen Wortlaut und unterschiedliche Kriterien verwendeten. Ziel des Übereinkommens ist die Sicherung des „free flow of information“ und der 117 Unabhängigkeit der Rundfunkveranstalter durch Erleichterung der grenzüberschreitenden Verbreitung von Fernsehprogrammen. Es gilt, anders als die Fernsehrichtlinie, nur für grenzüberschreitende Programme (Art 3). Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, den freien Empfang zu gewährleisten und die Weiterverbreitung von Programmen (im Kabelnetz) nicht einzuschränken (Art 4). Die Vertragsstaaten sind frei, für die ihrem Recht unterworfenen Fernsehveranstalter strengere oder ausführlichere Vorschriften zu erlassen (Art 28). Sie könnten also zB über das Verbot der Werbung für Tabakerzeugnisse hinausgehende, weitere inhaltliche Werbeverbote einführen, die Anzahl und Dauer der nach dem Übereinkommen zulässigen Werbungsunterbrechungen verringern oder die zulässige tägliche Sendezeit für Werbung reduzieren. In seinem Inhalt gleicht das Übereinkommen in den meisten Punkten der Fernsehricht- 118 linie. Die Quotenregelung zugunsten der europäischen audiovisuellen Produktionen, die Werbebeschränkungen, die Gegendarstellung und der Jugendschutz sind fast identisch geregelt. Unterschiede bestehen bei der Werbung insofern, als die gezielte Einstrahlung und die damit verbundene Abschöpfung von Werbeeinnahmen aus dem Empfangsland nicht zulässig ist, wenn dadurch die Werbebestimmungen des Empfangslands umgangen werden (Art 16). Darüber hinaus enthält die Konvention auch Programmgrundsätze, wonach Menschenwürde und Grundrechte anderer Personen zu achten sind, die Nachrichten objektiv sein und die freie Meinungsbildung fördern sollen (Art 7). Auch der Zugang der Öffentlichkeit zu wichtigen Ereignissen darf – ähnlich wie bei der Richtlinie – nicht durch Vergabe von Exklusivrechten übermäßig beeinträchtigt werden (Art 9). Zur Beratung und Vermittlung zwischen den Vertragsparteien wird ein ständiger Aus- 119 schuss eingesetzt (Art 20). Nach Art 21 ist der ständige Ausschuss berechtigt, Empfehlungen gegenüber den Vertragsparteien in Bezug auf die Anwendung und Auslegung der FsÜ abzugeben. Der Ausschuss hat bspw eine einflussreiche Empfehlung zur damals noch neuartigen virtuellen Werbung im Fernsehen abgegeben.247 Sie folgte dem Verhaltenskodex der European Broadcasting Union (EBU) und der Association of Commercial Television in Europe (ACT) aus dem Jahr 1996. Diese Auffassung des ständigen Ausschusses hatte starken Einfluss auf die Auslegung der parallelen Normen in der Fernsehrichtlinie.248
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stimmung mit von der Gemeinschaft abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen auszulegen sind. Vgl EuGH Rs C-61/94 – Kommission/Deutschland, Slg 1996 I-3989 Rn 52. Richtlinie 1989/552/EWG des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. EuGH Rs C-320/94 ua – RTI, Slg 1996 I-6471.
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EuGH Rs C-222/94 – Kommission/Vereintes Königreich, Slg 1996 I-4025. Empfehlung des ständigen Ausschusses (Recommendation (97) 1, adopted by the Standing Committee on Transfrontier Television at its 12th meeting) abgedruckt bei Hartstein/ Ring/Kreile/Dörr/Stettner RStV § 7 Rn 60. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über Fernsehwerbung, ABlEG 2004 C 102, 2 Rn 42.
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Vergleicht man Konvention und Richtlinie, so bestehen die größten Unterschiede nicht in ihrem Inhalt, sondern in ihrer Durchsetzbarkeit. Die Fernsehrichtlinie ist nach ihrer Verabschiedung bindend. Sie muss innerhalb der vorgegebenen Frist in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Spätere Änderungen sind nicht möglich. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird von der Kommission überwacht; im Falle der Zuwiderhandlung bleibt ihr das Mittel des Vertragsverletzungsverfahrens. Außerdem liegt die letztverbindliche Auslegung für alle Mitgliedstaaten in einer Hand: der des EuGH. Darüber hinaus kann die Richtlinie, wenn sie nicht umgesetzt wird, unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung entfalten 249. Beim Übereinkommen beruhen Beitritt und Umsetzung dagegen auf Freiwilligkeit. Eine spätere Kündigung, die Änderungen des Rundfunkrechts entgegen der FsÜ in diesem Mitgliedsstaat erlauben würde, ist ebenso möglich wie die Erklärung von Vorbehalten bei der Unterzeichnung. Eine einheitliche Auslegung ist nicht gewährleistet. Eine unmittelbare Wirkung dieser rein völkerrechtlichen Regelung kommt nicht in Betracht.
§4 Entscheidungskompetenzen I. Gesetzgebungskompetenzen 121
Die EU verfügt nur über die Kompetenzen, die ihnen die Mitgliedstaaten durch die Gründungsverträge übertragen haben. Diese begrenzte Kompetenz, das Erfordernis einer spezifischen Ermächtigungsgrundlage für die Gesetzgebung der Gemeinschaft und ihrer Organe wird als Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bezeichnet.250 Ein klassischer Nationalstaat hat hingegen eine sog Kompetenz-Kompetenz, dh er kann sich selbst Kompetenzen schaffen. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist in Art 5 Abs 1 EGV und für die Befugnisse der Gemeinschaftsorgane in Art 7 Abs 1 S 2 EGV, Art 3 Abs 1 S 2 EGV statuiert. Das Prinzip zeigt besonders deutlich die Vorschrift des Art 7 EGV, wonach jedes Organ nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse handelt, sowie die Vorschriften der Art 249 Abs 1 EGV und Art 161 Abs 1 EGV, die den Rat und die Kommission nur nach Maßgabe dieses Vertrages zum Erlass von Rechtshandlungen ermächtigen. Die Praxis der Kommission und des EuGH folgt einem großzügigen Verständnis vom Umfang der Gemeinschaftskompetenzen. Dies liegt daran, dass sich diese Organe der EU als Motor der Integration verstehen. Aber auch Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat tragen zur Kompetenzausweitung der EU bei, weil sich bestimmte Bereiche, wie zB staatliche Monopole, auf europäischer Ebene leichter liberalisieren lassen. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn das Bundesverfassungsgericht die deutschen Vertreter im Rat dazu ermahnt hat, auf die Einhaltung der Kompetenzschranken der Gemeinschaft zu achten.251 Der EuGH hat zu überprüfen, ob die Gemeinschaftsorgane für den Erlass der fraglichen Maßnahme zuständig waren. Dabei muss zwischen gemeinschaftlicher und mitgliedsstaatlicher Zuständigkeit abgegrenzt werden. Daneben prüft der EuGH, ob die Gemeinschaftsorgane für den fraglichen Rechtsakt die richtige Kompetenzgrundlage gewählt haben.252 249 250 251 252
S oben Rn 11. BVerfGE 89, 155 ff; Calliess/Ruffert/Calliess Art 5 EGV Rn 8. BVerfGE 92, 203, 235. EuGH Rs C-156/93 – Parlament/Kommis-
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sion, Slg 1995 I-2019; Rs C-303/94 – Parlament/Rat, Slg 1996 I-2943; Rs C-189/97 – Parlament/Rat, Slg 1999 I-1689; Rs C-209/97 – Kommission/Rat, Slg 1999 I-8067; EuGH Gutachten 2/00 – Cartagena,
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Entscheidungskompetenzen
Die Entscheidung über die richtige Grundlage für die Zuständigkeit ist deshalb von Bedeutung, weil davon nicht nur die anzuwendenden Verfahrensvorschriften (zB Beteiligung anderer Organe, Beschlussverfahren etc.) abhängen, sondern dies auch Rückwirkungen auf den zulässigen Inhalt einer Regelung haben kann.253 Sind im EG-Vertrag Befugnisse für eine bestimmte Tätigkeit vorgesehen und hält die Gemeinschaft sie dennoch für erforderlich, kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften erlassen (Art 308 EGV). Ein Rückgriff auf Art 308 EGV ist nur möglich, wenn andere Ermächtigungsgrundlagen nicht eingreifen. In der Vergangenheit sind auf der Grundlage der allgemeinen Kompetenznorm des Art 308 EGV Maßnahmen ua im Bereich des Umweltschutzes erlassen worden. Neben der subsidiären Handlungsermächtigung des Art 308 EGV gibt es Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs und Annexzuständigkeiten.254 Damit sind Gemeinschaftsorgane durch die aus den Verträgen eingeräumte Befugnis gleichzeitig auch zum Erlass solcher Maßnahmen ermächtigt, die zur wirksamen und sinnvollen Ausführung dieser ausdrücklich erteilten Befugnis erforderlich sind. Ermächtigungen zur Rechtsangleichung finden sich in Art 94 ff EGV. Die Basisnorm ist die Art 94 EGV mit Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des gemeinsamen Marktes auswirken. Von einer unmittelbaren Auswirkung kann gesprochen werden, wenn innerstaatliche Rechtsvorschriften die Freiheit des Wirtschaftsverkehrs behindern, den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen oder die gemeinsamen Politiken der Gemeinschaft oder die Koordinierung der Wirtschaft oder Sozialpolitik der Mitgliedstaaten gefährden.255 Art 94 EGV hat einen weiten Anwendungsbereich und bietet der EU viel Freiraum für die Bewertung der jeweils gebotenen Angleichungsziele. Auch das Fehlen entsprechender Vorschriften kann eine Beeinträchtigung des gemeinsamen Marktes bedeuten. Man muss also nicht warten, bis die Mitgliedstaaten eigene Rechtsvorschriften erlassen. Die Rechtsangleichung nach Art 94 EGV kann nur durch den Erlass von Richtlinien erfolgen. Die Richtlinie ist nach dem „effet utile“-Prinzip ohnehin darauf beschränkt, bestimmte Ergebnisse vorzugeben und ist damit ein flexibles Harmonisierungsinstrument. Art 95 Abs 1 EGV ermächtigt die Gemeinschaftsorgane zum Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Art 95 EGV ähnelt Art 94 EGV, ist jedoch für auf den Binnenmarkt bezogene Maßnahmen lex specialis 256 bzw „Rechtsangleichungs-Grundnorm“.257 Angesichts der materiellen Identität der Begriffe „gemeinsamer Markt“ und „Binnenmarkt“ 258 sind es im Wesentlichen die gleichen inhaltlichen Anforderungen; es gibt aber auch Unterschiede: Während beim Verfahren nach Art 94 EGV das Europäische Parlament lediglich angehört wird, gilt im Rahmen des Art 95 EGV das Verfahren der Mitentscheidung nach § 251 EGV. Allerdings wird im letzteren Fall die Mitwirkung des Europäischen Parlaments als Ausgleich für die Einführung des Mehrheitsprinzips, bzw der qualifizierten Mehrheit im Rat, verstanden.
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Slg 2002 I-7699; Rs C-491/01 – British American Tobacco, Slg 2002 I-11453. EuGH Rs 45/86 – Kommission/Rat, Slg 1987, 1520. EuGH Rs 22/70 – AETR, Slg 1971, 263; Grabitz/Hilf/Krenzler Bd. IV E. 1, Rn 25 ff, 34 ff.
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Grabitz/Hilf/Tietje Bd II Art 94 Rn 18 ff. Grabitz/Hilf/Tietje Bd II Art 95 Rn 56. So Oppermann § 18 Rn 9 f; Grabitz/Hilf/ Tietje Bd II Art 94 Rn 1 ff; Calliess/Ruffert/ Kahl Art 94 Rn 3 f. Grabitz/Hilf/Tietje Bd II Art 94 Rn 4 f.
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Die allgemeine Harmonisierungskompetenz für den Binnenmarkt aus Art 95 EGV und die speziellen Rechtsangleichungsbefugnisse der Marktfreiheiten 259 rechtfertigen jedoch nicht jede Harmonisierung unter Berufung auf mögliche Gefährdungen der Marktfreiheiten oder potentiell denkbare Wettbewerbsverzerrungen. Dies hat der EuGH in seiner Leitentscheidung zum Tabakwerbeverbot deutlich gemacht.260 Der EuGH sah in dem umfassenden Werbeverbot im Interesse des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit eine über die Kompetenzermächtigung hinausgehende Regelung, weil bestimmte Werbeträger, wie zB Plakat- oder Kinowerbung, gar nicht Gegenstand des grenzüberschreitenden Handels bzw Dienstleistungsverkehrs waren.261 Außerdem konnte der EuGH auch keine spürbaren Wettbewerbsverzerrungen erkennen, die von der Richtlinie hätten beseitigt werden können.262
II. Vorlage an den EuGH 1. Vorabentscheidungsverfahren gem Art 234 Abs 2 EGV
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Die Gerichte der Mitgliedstaaten der EU haben bei der Anwendung des nationalen Rechts den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Beruht eine nationale Regelung auf Gemeinschaftsrecht, so ist diese auch „europäisch“, dh konform mit Zweck und Wortlaut des Gemeinschaftsrechts anzuwenden bzw auszulegen.263 Erachtet ein mitgliedstaatliches Gericht eine das Gemeinschaftsrecht betreffende Rechts129 frage für entscheidungserheblich und hat es begründete Zweifel an der Auslegung dieses Gemeinschaftsrechts, so kann es diese nach Art 234 Abs 2 EGV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen.264 Ein letztinstanzlich entscheidendes, mitgliedstaatliches Gericht ist in einem solchen Fall zur Vorlage an den EuGH gem Art 234 Abs 3 EGV sogar verpflichtet. Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist ausschließlich dem EuGH vorbehalten, dem gem Art 220, 292 EGV das sog Auslegungsmonopol zukommt.265 Durch die Vorlagepflicht soll zum einen eine einheitliche Auslegung und Anwendung 130 von Gemeinschaftsrecht gesichert und zum anderen verhindert werden, dass sich in einem Mitgliedstaat nationale Rechtsprechung festigt, welche mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in Widerspruch steht. Die Vorlagepflicht der letztinstanzlichen mitgliedstaatlichen Gerichte entfällt entsprechend nur, wenn die Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist oder bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder die richtige Auslegung und damit Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum ist. Hat der EuGH über eine Vorlagefrage entschieden, so ist grds nur das im Ausgangs131 verfahren befasste staatliche Gericht an diese Auslegung gebunden. Im Interesse einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts sind jedoch sämtliche mitgliedstaat259
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Art 46 Abs 2 EGV für die Dienstleistungsfreiheit, sowie Art 40, 44, 47, 52, 55 iVm 46 Abs 2, 47 und 57 Abs 2 EGV. EuGH Rs C-376/98 – Tabakwerbeverbot, Slg 2000 I-8419. EuGH Rs C-376/98 – Tabakwerbeverbot, Slg 2000 I-8419, Rn 99 ff. EuGH Rs C-376/98 – Tabakwerbeverbot, Slg 2000 I-8419, Rn 108 ff. Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 15 UrhG Rn 29.
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Auch die Auslegung einer Richtlinie selbst kann Gegenstand eines Vorlageverfahrens sein, vgl EuGH WRP 1998, 290, 292 ff – Inter-Environnement Wallonie. Zu den Auslegungsprinzipien des EuGH vgl Rs 283/81 – CILFIT, Slg 1982, 3415; Rs C-336/03 – easy car (UK) Ltd, Slg 2005, I-1947; zum Gebot des effet utile vgl EuGH Rs C-231/96 – Edis, Slg 1998, I-4951; Rs C-223/98 – Adidas, Slg 1999, I-7081.
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Entscheidungskompetenzen
lichen Gerichte gehalten, das Gemeinschaftsrecht in der Auslegung durch den EuGH anzuwenden oder aber die Auslegungsfrage erneut vorzulegen. Der EuGH ist als gesetzlicher Richter iSd Art 101 Abs 1 S 2 GG anzusehen. Missachtet 132 ein Gericht seine Vorlagepflicht, kann eine Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters erhoben werden.266 2. Typische Auslegungsfragen Für die mitgliedstaatlichen Gerichte können sich sowohl aus dem primären Gemein- 133 schaftsrecht als auch aus dem sekundären Gemeinschaftsrecht vielfältige Auslegungsfragen ergeben. Während jedoch das primäre Gemeinschaftsrecht und auch die sekundäres Gemeinschaftsrecht bildenden Verordnungen nach Art 249 Abs 2 EGV für die Mitgliedstaaten ohne weitere Umsetzungsnormen rechtlich verbindlich sind 267, bedürfen die Richtlinien nach Art 249 Abs 3 EGV noch der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Erst nach Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist kann eine Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkungen entfalten und darf abweichendes nationales Recht nicht zum Nachteil des Betroffenen angewendet werden.268 Bei begünstigenden Richtlinien kann sich der Einzelne nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar auf die Richtlinie berufen, sofern diese inhaltlich unbedingt ist und ausreichend konkrete Rechte verbürgt bzw Regelungen enthält.269 Bei der Anwendung einschlägiger europäischer Richtlinien ist demnach von entscheidender Bedeutung, ob die für die Umsetzung einer einschlägigen Richtlinie vorgeschriebene Umsetzungsfrist noch läuft oder bereits abgelaufen ist, und ob der Mitgliedstaat die Richtlinie umgesetzt hat oder nicht: – Ist die Umsetzungsfrist einer einschlägigen Richtlinie noch nicht abgelaufen, so kann sie jedoch schon Vorwirkungen zeigen und es für die mitgliedstaatlichen Gerichte angezeigt sein, das Richtlinienrecht bereits zu beachten und das nationale Recht bereits richtlinienkonform auszulegen.270 Bereits aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Richtlinien in nationales Recht umzusetzen (Art 249 Abs 3 EGV), folgt auch die Verpflichtung, nationales Recht im Regelungsbereich einer Richtlinie richtlinienkonform im Hinblick auf Zweck und Wortlaut der Richtlinie auszulegen. Dabei hat eine Auslegung innerhalb der Grenzen der nationalen Methodenlehre und unter voller Ausschöpfung eventuell bestehender Beurteilungsspielräume, nicht jedoch contra legem, das heißt nicht entgegen dem expliziten Wortlaut der nationalen Regelung, zu erfolgen.271 Eine solche richtlinienkonforme Auslegung ist vor allem dann angezeigt, wenn die anzuwendende, nationale Norm letztlich auf einer Wertungsfrage beruht und die Wertung bei Geltung des Gemeinschaftsrechts in jedem Fall anders ausfällt.272 Enthält eine noch nicht umgesetzte Richtlinie jedoch strengere Regeln als das 266 267
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BVerfGE 73, 399, 366 – Solange II. Grundlegend zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts EuGH Rs 6/64 – Costa Enel, Slg 1964, 1251. EuGH NJW 2006, 2465 – Adelener. EuGH Rs 152/84 – Marshall, Slg 1986, 723, 749; keine unmittelbare Wirkung jedoch zwischen Privatpersonen EuGH NJW 1996, 1401 – El Corte Ingles. Weiterführend Auer NJW 2007, 1106. EuGH NJW 2006, 2465 – Adelener; BGH GRUR 1998, 824, 827 – Testpreis Angebot.
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Bspw in der Entscheidung des Zivilsenats I. zur Frage der Zulässigkeit vergleichender Werbung, welche in Vorgriff auf die Regelungen der Werberichtlinie RL 97/55/EG zur Änderung der RL 84/450/EWG über irreführende Werbung bis dato wettbewerbswidrige, vergleichende Werbung bereits zuließ, sofern nur die ebenfalls in der Richtlinie geforderten Voraussetzungen erfüllt sind – BGHZ 138, 55 – Testpreis-Angebot.
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nationale Recht, so kann sie noch keine Vorwirkungen zeigen. Eine Verbots- oder Eingriffsregel bedarf einer gesetzlichen Regelung, welche vor Ablauf der Umsetzungsfrist eben noch nicht vorliegt.273 – Ist die Umsetzungsfrist bereits abgelaufen, ist das Richtlinienrecht unmittelbar anwendbar, sofern es eindeutig ist, für die Angehörigen eines Mitgliedstaates subjektive Rechte verbürgt und nationale Normen nicht entgegenstehen. Widersprechen sich das Richtlinienrecht und nationales Recht, so sind die mitgliedstaatlichen Gerichte gehalten, den Konflikt unter Anwendung aller gebotenen Auslegungsregeln unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts zu beseitigen 274 oder das entgegenstehende nationale Recht gem Art 10 Abs 2 EGV nicht anzuwenden. Die Nichtanwendung von (weiter-)geltenden und einschlägigen nationalen Normen führt jedoch weder auf der nationalen Ebene zu Rechtsklarheit, noch kann damit zu einem einheitlichen Gemeinschaftsrecht sinnvoll beigetragen werden. Bei Unvereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht bietet sich für einen Richter daher das Vorlageverfahren an, insbesondere weil die Konfliktlage dadurch dem nationalen Gesetzgeber besonders deutlich vor Augen geführt wird.275 3. Die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts
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Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist nicht nur im Rahmen eines Vorlageverfahrens, sondern ist bereits im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts von Bedeutung. Das Gemeinschaftsrecht enthält keine Vorschriften zu den anzuwendenden Auslegungsmethoden. Der EuGH, dem das ausschließliche Auslegungsmonopol gem Art 220, 292 EGV zukommt, hat in seiner Rechtsprechung noch keine abschließende Auslegungsmethodik entwickelt, den Urteilen lassen sich gleichwohl Auslegungsregeln entnehmen. Auch stellt der EuGH bei der Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht auf den Wortlaut, den systematischen Zusammenhang sowie den Sinn und Zweck der Norm ab. Allerdings ergibt sich bereits beim Abstellen auf den Wortlaut die Besonderheit, dass im Gemeinschaftsrecht die verschiedenen Sprachfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten gleichrangig nebeneinander stehen. Die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift würde streng genommen zunächst einen Vergleich aller Sprachfassungen erfordern. Demgegenüber betont der EuGH, dass das Gemeinschaftsrecht einer eigenen Terminologie folgt und seine Rechtsbegriffe nicht zwingend mit dem Gehalt nationaler Rechtbegriffe übereinstimmen müssen.276 Auch die systematische Auslegungsmethode erkennt der EuGH an, wonach jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts auszulegen ist, insbesondere im Hinblick auf die Grundfreiheiten.277 Die auszulegende Norm muss sich also widerspruchsfrei in die sonstigen Bestimmungen der Norm sowie verwandter Normen auf dem Gebiet einfügen und mit ihrer Ermächtigungsgrundlage sowie den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in Einklang stehen.278 In diesem Zusammenhang hat der EuGH auch den Vorrang der von der Gemeinschaft selbst abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht anerkannt und lässt bisher in diesen engen Grenzen die völkerrechtskonforme Auslegung des Sekundärrechts zu.279 Auf nicht durch die Gemeinschaft abgeschlossene völkerrechtliche 273 274 275 276
Riesenhuber/Ullmann 303. EuGH NJW 2006, 2465 – Adeneler; Auer NJW 2007, 1106 ff. Riesenhuber/Ullmann 305. Walter/von Lewinski AT Kap 1, Rn 35.
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EuGH Slg 1992, I-3669 – Delhaize et Le Lion; WRP, 1994, 380, 381 – Clinique; Rs C-220/98 – Estée Lauder, Slg 2000, I-117. Walter/von Lewinski AT Kap 1 Rn 36. EuGH Rs C-61/94 – Kommission/BRD, Slg
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Verträge und auf solche, die lediglich Mindeststandards in dem geregelten Rechtsgebiet aufstellen sollen, dürfte diese Methode jedoch nicht anwendbar sein. Anderenfalls könnte strengeres Gemeinschaftsrecht ausgehöhlt werden, sofern eine verwandte völkerrechtliche Norm geringeres Schutzniveau aufweist.280 Die Reichweite der völkerrechtskonformen Auslegung ist durch den EuGH anlässlich des Vorlageverfahrens Peek & Cloppenburg vs Cassina 281 aktuell behandelt worden, wobei der EuGH in seiner Entscheidung die Auslegung der verfahrensgegenständlichen Richtlinie (Art 4 Abs 1 InfoRL 2001/29/EG) an den verwandten Vorgaben des Völkerrechts misst. Damit lässt der EuGH allerdings zum Ausdruck kommen, dass bei Fehlen einer explizit weiteren Regelung des Sekundärrechts das Schutzniveau einer völkerrechtlichen Vorschrift durchaus auch die Auslegung des Sekundärrechts beschränken kann. Ob der EuGH damit allerdings auch eine allgemeine Auslegungsregel aufstellen wollte, wonach die Mindeststandards des Völkerrechts zugleich den Maximalstanddard für die Auslegung des gemeinschaftlichen Sekundärrechts vorgeben, wird aus der Entscheidung nicht deutlich. Eine solche Auslegungsregel würde auch der allgemein überkommenen Auffassung widersprechen, wonach das urheberrechtliche Konventionsrecht lediglich obligatorische Mindestrechte vorschreibt. In der Praxis des EuGH stellt schließlich die teleologische Auslegung (Sinn und Zweck der Norm) die wichtigste Auslegungsmethode dar, bei welcher der EuGH mit Blick auf den effet utile darauf abstellt, welche Auslegung die praktische Wirksamkeit der einschlägigen Bestimmungen am besten garantiert oder die Verwirklichung der Vertragsziele am besten fördert.282 Ferner kann der Sinn und Zweck der Norm den Erwägungsgründen des jeweiligen Rechtsaktes entnommen werden, welche nach Art 253 EGV zwingend zur Rechtsetzung gehören, auch wenn sie selbst nicht zu den operativen Bestimmungen des Rechtsaktes zählen.
§5 Öffentliches und europäisches Medienrecht I. Überblick Bei der Beschreibung des für audiovisuelle Medien relevanten Sekundärrechts soll im 135 Folgenden das Schwergewicht auf aktuelle Fragestellungen gelegt werden. Die Fernsehrichtlinie (FsRi) von 1997 wurde mit der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMDR) novelliert; die nur für Fernsehangebote geltende Fernsehrichtlinie wurde auf fernsehähnliche Medienangebote auf Abruf erweitert. Diese Novellierung muss bis Ende 2009 in nationales Recht umgesetzt werden. Von daher sind die Regelungen der Fernsehrichtlinie bereits jetzt mit einem Ablaufdatum versehen. Sie werden ab 2010 nur noch für Altfälle relevant sein. Andererseits sind in der novellierten Richtlinie viele Regelungen der alten Fernsehrichtlinie enthalten, so dass es sinnvoll erscheint, auf diese im Überblick einzugehen. Zentrale Vorschriften der Fernsehrichtlinie sind idR fast wortgleich in deutsches Medienrecht umgesetzt worden. Mit Bezug auf die Interpretation etwa der Werberegulierung kann deshalb der Leser weitgehend auf die Kommentierung des deutschen
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1996 I-3989/4021; weiterführend Rosenkranz EuZW 2007, 238 ff. Anderer Auffassung jedoch Generalanwältin Eleanor Sharpston im Schlussantrag vom 17.1.2008 im Vorlageverfahren Peek & Cloppenburg vs Cassina, abrufbar unter http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/
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LexUriServ.do?uri=CELEX:62006C0456: DE:HTML. EuGH GRUR Int 2008, 593 – Peek & Cloppenburg vs Cassina; krit dazu von Welser GRUR Int 2008, 596. Weiterführend Walter/von Lewinski AT Kap 1 Rn 37.
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Fernsehwerberechts verwiesen werden.283 Dasselbe gilt für den Bereich des Jugendmedienschutzes.284 Medienregulierung wird zu Recht vor allem als Inhalteregulierung verstanden. Es geht 136 um rechtliche Grenzen, die sich auf Medieninhalte beziehen. Dennoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Regulierung der technischen Seite, insbesondere der Verbreitung, erheblichen Einfluss auf das Medienangebot und die Medienvielfalt haben kann. Deswegen sollen neben der – alten und neuen – Richtlinie zur Inhalteregulierung die technischen Rahmenbedingungen erwähnt werden, die auf europäischer Ebene zunehmend harmonisiert werden.
II. Sekundärrecht im Bereich des Medienrechts 1. Fernsehrichtlinie in der Fassung von 1997 a) Entstehungsgeschichte.285 Die Anstrengungen der Europäischen Gemeinschaft, im Bereich des Rundfunks zu einer gemeinschaftsweiten Regelung zu kommen, reichen zurück in die 80er Jahre. Damals gab es verschiedene Entwicklungen, die eine Harmonisierung erforderlich machten. Die neue Satellitentechnik ermöglichte die paneuropäische Ausstrahlung von Fernsehprogrammen. Eine ausschließlich nationale Regulierung des Fernsehens war nicht mehr möglich. Die Grundlage für die erforderliche Regelungskompetenz der EG war durch die Entscheidung des EuGH in Sachen Sacchi geschaffen worden.286 Überdies bröckelten in dieser Zeit die ersten nationalen Rundfunkmonopole von in der Regel öffentlich-rechtlichen Sendern. Es wurde möglich, durch Zulassung privater Sender einen dynamischen Wachstumsmarkt zu etablieren. Gleichzeitig versuchte man seitens des Europäischen Parlaments, den Gefahren der Kommerzialisierung des Rundfunks auch auf europäischer Ebene zu begegnen.287 1984 legte die Kommission das sog Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“ vor.288 Ihre 138 Zielsetzung war die Schaffung eines einheitlichen europäischen Rundfunkmarktes im Rahmen eines gemeinsamen Binnenmarktes für Dienstleistungen. Dabei träumte sie auch von paneuropäischen Satellitenprogrammen, die sich an das gesamte europäische Publikum richten sollten, wie dies bei Euronews Realität wurde. In den Bereichen, in denen Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit für zulässig angesehen wurden, sollte ein Mindeststandard durch eine Richtlinie etabliert werden. Das Grünbuch nannte die Bereiche Jugendschutz, Werbung, Gegendarstellung und Urheberrecht.289
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S unten Teil 3 Kap 3. S unten Teil 7 Kap. 2. Zur Entstehungsgeschichte der Richtlinie vgl ausf Krebber passim und Stock RuF 1989, 180 ff. S oben Rn 36 ff. Entschließungsanträge der Abgeordneten Pedini, Hahn ua sowie Schinzel ua, abgedruckt bei Seidel 244 ff. Grünbuch der EG-Kommission Fernsehen ohne Grenzen. Die Errichtung des gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel (Mitteilung der Kommission an den Rat vom 14.6.1984, KOM (84) 300 endgültig), auszugsweise abgedruckt bei Schwarze, 191 ff.
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289
Die Harmonisierung des Urheberrechts stellte sich als politisch so schwierig heraus, dass sie erst in einer späteren Richtlinie, der sog Kabel- und Satellitenrichtlinie (Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993, ABlEG 1993 L 20048, 15) erreicht wurde. Vgl dazu den Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ZUM 1992, 21 ff; Castendyk/von Albrecht GRUR Int 1992, 734 ff.
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Zwei Jahre später legte die Kommission einen ersten Entwurf für die Fernsehrichtlinie 139 vor. Erst nach langen und intensiven Diskussionen wurde die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ am 3.10.1989 vom Ministerrat in zweiter Lesung endgültig verabschiedet, wobei sowohl Kommission als auch einige Mitgliedstaaten ihre Auffassung zu verschiedenen Bestimmungen in Protokollerklärungen festhielten.290 Die ursprüngliche Absicht, auch den Hörfunk mit einzubeziehen, wurde nicht realisiert; deswegen wird die Richtlinie zu Recht auch die „Fernsehrichtlinie“ (im Folgenden abgekürzt „FsRi“) genannt. Erheblichen Widerstand gegen die Richtlinie leisteten die deutschen Bundesländer, die 140 eine Aushöhlung ihrer Rundfunkkompetenz befürchteten. Das von den Ländern angerufene Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass die Bundesregierung in der Tat ihre Rechte verletzt hatte.291 Sie hätte im Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft nicht konsequent genug vertreten, dass der Gemeinschaft die Kompetenz für die Regelung von Quoten im Fernsehen fehle. Diese Auffassung entsprach dem vorher gemeinsam mit den Bundesländern entwickelten Rechtsstandpunkt. Der Verstoß gegen diese formellen Spielregeln der Außenvertretung blieb allerdings ohne Folgen, da mit dem neuen Art 23 GG die Außenvertretung der Länder durch den Bund im EU-Gesetzgebungsverfahren ohnehin neu geregelt wurde. Am 17.6.1997 wurde die erste Revision der Richtlinie vom Ministerrat verabschie- 141 det.292 Die Revision brachte für bestimmte Bereiche, wie etwa das Sendelandsprinzip, Präzisierungen mit sich. Außerdem wurden neue Regelungen eingeführt, wie etwa Art 3a, der sicherstellen sollte, dass Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung im jeweiligen Mitgliedstaat nicht nur im Pay-TV ausgestrahlt werden. Teleshopping wurde ausdrücklich zugelassen und gesondert geregelt. Im Bereich des Jugendschutzes konnten sich Strömungen nicht durchsetzen, den sog V-Chip („violence chip“) verbindlich zu machen.293 Erfolglos war auch der Versuch, neue audiovisuelle Dienste, wie zB OnDemand-Angebote, ebenfalls dem Regelkorsett der Fernsehrichtlinie zu unterwerfen. Dies ist erst mit der zweiten Revision der Fernsehrichtlinie geschehen, die Ende 2007 in Kraft trat.294 b) Geltungsbereich. Die Richtlinie gilt für Fernsehsendungen (Art 1 Nr 1 FsRi). Aus- 142 drücklich nicht eingeschlossen sind Sendungen, die Inhalte auf individuellen Abruf vermitteln. Die Definition der Fernsehsendung hat drei wesentliche Elemente: 1. (Erst-) Ausstrahlung in allen technischen Formen 2. von Fernsehprogrammen und 3. intendiert für den Empfang durch die Allgemeinheit. Die Definition ähnelt dem des Rundfunks in § 2 Abs 1 RStV, wobei das Kriterium 143 der Meinungsrelevanz im europäischen Medienrecht keine Rolle spielt.295 Der EuGH 290
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Richtlinie des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, abgedruckt ua in Media Perspektiven, Dokumentation, 1989, 107 ff; vgl zur Gesetzgebungsgeschichte ausf Krebber passim. BVerfGE 83, 238, 295 ff; vgl dazu Hess AfP 1990, 95; Hahn/Vesting/Hahn/Witte Präambel Rn 7.
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Vgl Schmitt-Vockenhausen ZUM 1998, 377; Berger ZUM 1996, 119; Dieser in den USA teilweise verwendete Chip reagiert auf ein zusammen mit dem Fernsehbild ausgestrahltes Signal und schaltet den Bildschirm schwarz, wenn der Fernsehanbieter die Sendung mit diesem Signal gekennzeichnet hat. S unten Rn 167 ff. Näher dazu: Castendyk/Dommering/ Scheuer/Castendyk Art 1 TWFD Rn 24 ff,
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präzisierte den Begriff der Fernsehsendung in der Entscheidung Mediakabel, in der das Gericht sog Near-Video-On-Demand (NVoD)-Angebote als Fernsehangebot im Sinne der Richtlinie einordnete.296 Die Definition der Fernsehsendung in der revidierten Fernsehrichtlinie, der sog Audiovisuelle Mediendienste Richtlinie (AVMDR) 297, ist präziser, ohne zu unterschiedlichen Ergebnissen zu führen.298
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c) Das Sendelandsprinzip. Das Sendelandsprinzip, das im Englischen treffender „home country control“-Prinzip genannt wird 299, regelt die Frage, welcher Staat für die Aufsicht und Zulassung eines Fernsehveranstalters zuständig ist (Art 2), sowie die Verpflichtung zur freien und ungehinderten Weiterverbreitung von Fernsehprogrammen, die innerhalb der Union zugelassen sind (Art 2a). Nach diesem zentralen Prinzip der Richtlinie darf die Kontrolle ausschließlich in dem Staat erfolgen, in dem der Rundfunkveranstalter niedergelassen ist. Damit soll eine mehrfache Zuständigkeit verhindert werden. Ein Mitgliedstaat muss den freien Empfang eines in einem anderen Mitgliedsstaat ordnungsgemäß zugelassenen Fernsehprogramms gewährleisten und darf insbesondere die Kabeleinspeisung nicht aus Gründen behindern, die dem Harmonisierungsziel der Richtlinie widersprechen. Das Sendelandsprinzip wurde in Deutschland in § 52 Abs 1 RStV umgesetzt.300 Bezo145 gen auf die Bundesrepublik Deutschland spricht man auch vom Führerscheinprinzip. Die Analogie ist einleuchtend: Wer seinen Führerschein in Hamburg gemacht hat, braucht für bayerische Straßen nicht nochmals eine Führerscheinprüfung zu absolvieren. Europäisch gewendet, reicht auch ein Führerschein aus Riga oder Lissabon. Dasselbe Prinzip gilt für die Zulassung eines Rundfunkprogramms; ist es in einem Mitgliedsstaat zugelassen, darf ein anderer Mitgliedsstaat nicht als Voraussetzung für die Kabelverbreitung eine erneute Zulassung verlangen. Auch wenn sich Art 2 und 2a FsRi auf die Prinzipien „home country control“ und 146 ungehinderte Weiterverbreitung reduzieren lassen, geht es doch um komplexe Fragestellungen. Das lässt sich an einem hypothetischen Beispiel illustrieren: Nehmen wir an, ein Teleshopping-Sender mit Sitz in Kopenhagen strahlt ein Programm in deutscher Sprache aus, welches sich an das deutsche Publikum richtet; die Redaktion sitzt in Kiel, Geschäftsführung und Sendetechnik in Kopenhagen. Nehmen wir weiter an, dass die dänischen Regelungen für Teleshopping weniger streng sind als die deutschen. Darf der Sender
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Gibbons 53; Stender-Vorwachs/Theissen ZUM 2006 362. EuGH Rs C-89/04 – Mediakabel, Slg 2005 I-4891 Rn 22. Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABlEG 2007, L 332, 27. S unten Rn 173. Denn entscheidend ist nicht, von wo aus gesendet wird, sondern wo der Fernsehveranstalter niedergelassen ist. „Die zeitgleiche und unveränderte Weiterverbreitung von bundesweit empfangbaren Fernsehprogrammen, die in Europa in recht-
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lich zulässiger Weise [...] veranstaltet werden, ist durch Landesrecht im Rahmen der vorhandenen technischen Möglichkeiten zu gestatten. Die Weiterverbreitung von Fernsehprogrammen kann unter Beachtung europäischer rundfunkrechtlicher Regelungen ausgesetzt werden. Landesrechtliche Regelungen zur analogen Kanalbelegung sind zulässig, soweit sie zur Erreichung klar umrissener Ziele von allgemeinem Interesse erforderlich sind. Sie können insbesondere zur Sicherung einer pluralistischen, am Angebot der Meinungsvielfalt orientierten Medienordnung getroffen werden. Einzelheiten, insbesondere die Rangfolge bei der Billigung der Kabelkanäle, regelt das Landesrecht.“
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damit die deutschen Regelungen „umgehen“? Wo liegt der Sitz des Senders wirklich – am Ort der Geschäftsführung oder am Ort der Redaktion – und welcher Staat ist deshalb zuständig für eine Sendelizenz und die Kontrolle? Dürfte die Landesmedienanstalt eines Bundeslandes eine Erlaubnis zur Kabelweitersendung daran knüpfen, dass die strengeren deutschen Regelungen eingehalten werden? Dürfte die Weiterverbreitung untersagt werden, wenn der Sender ab 22.00 Uhr drastische Werbung für pornographische Angebote macht? Dürfen andere Teleshopping-Sender bei der Vergabe von Kabelplätzen in einem Bundesland bevorzugt behandelt werden, wenn sie dort zugelassen sind oder dort Arbeitsplätze schaffen? § 52 Abs 1 RStV und die ihm zugrunde liegenden Art 2 und 2a FsRi beantworten diese Fragen. Mit der Revision der Richtlinie im Jahre 1997 wurde das Sendestaatsprinzip konkretisiert: danach ist ein Fernsehveranstalter der Gerichtshoheit eines Mitgliedstaat unterworfen, wenn er dort seine Niederlassung hat.301 Er gilt nach Art 2 Abs 3 als dort niedergelassen, wo er seine Hauptverwaltung hat und wo die redaktionellen Entscheidungen über das Programmangebot getroffen werden. Fallen Hauptverwaltung und Sitz der redaktionellen Entscheidung auseinander, so kommt es darauf an, wo der wesentliche Teil des Senderpersonals beschäftigt ist.302 Dass in einem solchen Falle die Entscheidung im Einzelfall nicht einfach ist, hat zuletzt die Auseinandersetzung um die in Luxemburg zugelassenen, aber auf das holländische Publikum ausgerichteten Sender RTL 4 und RTL 5 gezeigt, deren Sendepersonal in beiden Staaten beschäftigt war.303 Eine weitere Problematik ist die Umgehung möglicher Beschränkungen im Empfangsland. Art 16 Abs 1 FsÜ enthält eine Regelung für diesen Fall: „Um Wettbewerbsverzerrungen und die Gefährdung des Fernsehsystems einer Vertragspartei zu vermeiden, darf Werbung, die sich eigens und häufig an Zuschauer in einer einzelnen Vertragspartei außerhalb der sendenden Vertragspartei richtet, die für die Fernsehwerbung geltenden Vorschriften dieser Vertragspartei nicht umgehen.“ Eine solche Regelung enthält die Fernsehrichtlinie nicht, lediglich im Erwägungsgrund 14 ist ein Verweis auf die TV 10-Entscheidung des EuGH zu finden. Diese Entscheidung betrifft allerdings eine Situation vor Inkrafttreten der Richtlinie und ist daher nur mit Vorsicht anzuwenden. Die Ausnutzung eines Rechtsgefälles ist für sich genommen keine Umgehung iS eines Missbrauchtatbestandes.304 Dasselbe gilt für die 1998 eingefügte generelle Umgehungsvorschrift in Art 24a FsÜ. Der Verweis auf das Fernsehübereinkommen in § 52 Abs 1 S 1 RStV sollte nicht dahingehend missverstanden werden, dass ein Recht auf ungehinderte Weiterverbreitung nur bei Programmen besteht, die auch das Fernsehübereinkommen (insbesondere §§ 16 und 24a FsÜ) einhalten. § 52 RStV muss völkerrechtskonform ausgelegt werden: Art 16 und 24a FsÜ sind nur in Bezug auf Staaten anwendbar, die nicht zur EU gehören wie zB Norwegen oder die Schweiz (vgl Art 27 Abs 1 FsÜ).305 Hält sich der Sendestaat nicht an die in der Fernsehrichtlinie vorgegebenen Mindeststandards, darf der Empfangsstaat dennoch die Weiterverbreitung nicht behindern oder
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Dabei wurden Entscheidungen des EuGH zur alten Richtlinie in Gesetzesform gegossen, vgl Erwägungsgründe 11–18 zur FsRi von 1997; ua EuGH Rs C-222/94 – Kommission v Vereinigtes Königreich, Slg 1996 I-4025; Rs C-23/93 – TV 10 v Commissariaat voor de Media, Slg 1994 I-4795. Zu Details vgl Castendyk/Dommering/ Scheuer/Dommering, Art 2 TWFD Rn 7 ff.
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Castendyk/Dommering/Scheuer/Dommering Art 2 TWFD Rn 52 ff. EuGH Rs C-56/96 – VT 4, Slg 1997 I-3143. ZT bestehen hier jedoch Assoziierungsabkommen, mit welchen EU-Recht weitgehend übernommen würde; in diesem Fall kann auch hier § 27 FsÜ die Anwendung von §§ 16 Abs 1 und 24a FsÜ ausschließen.
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untersagen. Dies musste der EuGH in Paul Denuit der belgischen Regierung ins Stammbuch schreiben, die Cartoon Networks aus Großbritannien die Kabeleinspeisung verweigerte, weil der Sender die Quotenregelung nicht eingehalten hatte.306 Die einzige Ausnahme vom strikten Prinzip des „free flow“ besteht gem Art 2a Abs 2 151 FsRi für den Fall, dass ein Programm offensichtlich und schwerwiegend gegen die Jugendschutzvorschriften in Art 22 FsRi verstößt und ein Konsultationsverfahren zwischen Sende- und Empfangsstaat keinen Erfolg hat.307 Zwar kann eine Behörde des Empfangsstaats in diesen Fällen die Weiterverbreitung dieses Programms untersagen, die Interpretation von Begriffen wie „Pornographie“, „ernsthafte Jugendgefährdung“ etc. richtet sich jedoch nach dem Recht des jeweiligen Sitzlandes und der Auslegung des EuGH. Wird also zB in einem Mitgliedsstaat der Begriff „Pornographie“ liberaler ausgelegt als in einem anderen, kann lediglich der EuGH über eine verbindliche Interpretation dessen entscheiden, was die FsRi als Minimalgrenze für Sexualdarstellung im Fernsehen vorgibt. Daran ändert sich nichts, wenn die entsprechende Verbotsnorm nicht im Rundfunkrecht, sondern zB im Strafrecht geregelt ist. Andernfalls könnte der vom EuGH geforderte „effet utile“ (dh, die Durchsetzung der Vorgaben der Richtlinie) durch die Wahl der Rechtsmaterie unterlaufen werden. Allerdings gilt der Grundsatz der ungehinderten Weiterverbreitung nur unmittelbar. 152 Zumindest mittelbar kann man die Ausstrahlung eines Programms behindern, das gegen Regelungen verstößt, die nicht in der Fernsehrichtlinie harmonisiert worden sind. Das Schulbeispiel dafür ist die EuGH-Entscheidung de Agostini/TV-Shop.308 Es ging um ein Fernsehprogramm, TV 3, das in Großbritannien zugelassen und auf das schwedische Fernsehpublikum ausgerichtet war. Anders als in Großbritannien ist in Schweden an Kinder gerichtete Werbung verboten. Die schwedische Wettbewerbsbehörde ging gegen Werbespots für Kinder in mittelbarer Weise vor: Sie versuchte nicht, die Weiterverbreitung oder gar den Empfang von TV 3 in Schweden zu untersagen, sondern eröffnete Bußgeldverfahren gegen die schwedischen Werbetreibenden, die Kinderwerbung auf TV 3 geschaltet hatten. Auch diese mittelbare Behinderung des freien Empfangs bzw der Weiterverbreitung verstößt gegen Art 2 und 2a FsRi, wenn es sich um einen Rechtsbereich handelt, der in der Richtlinie harmonisiert ist. Dies ist bei Kinderwerbung der Fall, die in Art 16 FsRi geregelt ist. Zuständig für Regulierung und Kontrolle ist ausschließlich die britische Behörde, bei der TV3 die Sendezulassung erworben hat. In der damit verbundenen Rechtssache TV-Shop ging es hingegen um irreführende Werbung, die nicht in der Richtlinie harmonisiert ist.309 Hier – so der Gerichtshof – hindert die Richtlinie einen Mitgliedsstaat nicht daran, in Anwendung allgemeiner Vorschriften zum Schutz der Verbraucher vor irreführende Werbung, Maßnahmen gegen einen Werbetreibenden wegen einer aus einem anderen Mitgliedstaat ausgestrahlten Werbung zu ergreifen. Allerdings dürfen diese Maßnahmen nicht die Weiterübertragung von Fernsehsendungen aus diesem anderen Mitgliedstaat in sein Gebiet unterbinden.310 Kabelrangfolgeregelungen können gegen den Grundsatz der freien Weiterverbreitung 153 verstoßen. In einem sog Mahnschreiben (1. Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens 306 307
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EuGH Rs C-14/96 – Paul Denuit, Slg 1997 I-2785. Vgl die Verfahren EuG, Rs T-69/99 – Eurotica Rendez-Vous Television, Slg 2000 II-4039; EFTA E-8/97, TV Sverige 1000, ABlEG 1998, C 275, 6. EuGH verbd. Rs C-34, 35 und 36/95 – de Agostini, Slg 1997 I-3834 ff.
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Für irreführende Werbung existieren eigene Harmonisierungsrichtlinien, vgl insbesondere die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung vom 12.12.2006 und hierzu Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler, Einl Rn 3.41 ff. Urteil des EuGH verbd Rs C-34, 35 und 36/95 – de Agostini, Slg 1997 I-3843.
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gem Art 226 EGV) hatte die Kommission bereits 1995 die Vereinbarkeit von Rangfolgeregelungen in drei deutschen Landesmediengesetzen mit Art 49 EGV infrage gestellt, die in diesem Bundesland zugelassene Anbieter in der Rangfolge bevorzugten (sog Landeskinderklausel). Die Regelungen wurden deshalb geändert.311 Auch Kriterien, die deutschsprachige Programme bevorzugen, oder solche mit regionalem oder lokalem Bezug können eine – zumindest verdeckte – Diskriminierung ausländischer Veranstalter beinhalten.312 d) Möglichkeiten der Inländerdiskriminierung. Die Fernsehrichtlinie setzt mit ihren 154 Regelungen nur einen Mindeststandard. Dies drückt Art 3 FsRi aus, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, strengere und ausführlichere Bestimmungen in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen zu erlassen. Macht ein Mitgliedstaat davon Gebrauch, indem er zB die maximale Werbezeit pro Stunde (vgl Art 18 Abs 1 FsRi) von 12 Minuten auf 6 Minuten halbiert, werden inländische Fernsehanbieter möglicherweise schlechter behandelt als die ausländischen Konkurrenten, die von anderen Mitgliedstaaten aus nach Deutschland einstrahlen und mehr pro Stunde werben dürfen. Man nennt dies eine „Inländerdiskriminierung“. Ein Beispiel aus dem Rundfunkstaatsvertrag ist das deutsche Verbot, Kindersendungen mit Werbung zu unterbrechen, während die Fernsehrichtlinie die Unterbrechung von Kindersendungen mit einer Länge von mehr als 30 Minuten erlaubt. Allerdings dürfen diese strengeren Vorschriften nicht gegen primäres Gemeinschafts- 155 recht (zB Dienstleistungsfreiheit, Art 10 EMRK) verstoßen.313 Sie sind, wenn es sich um Beschränkungen oder mittelbare Diskriminierungen handelt, nur gerechtfertigt, wenn sie zwingende Gründe des Allgemeinwohls für sich in Anspruch nehmen können.314 Außerdem muss bei der Überprüfung der Richtlinienkonformität des nationalen Rechts zwischen einer – möglicherweise zulässigen – Inländerdiskriminierung und einer Fehlinterpretation der Richtlinie durch Legislative, Judikative oder Exekutive des Mitgliedsstaates unterschieden werden.315 e) Quotenvorgaben. Gem Art 4 FsRi müssen die Mitgliedstaaten mit angemessenen 156 Mitteln dafür sorgen, dass die Fernsehveranstalter in ihrer Zuständigkeit den Hauptteil ihrer Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichterstattung, Spielshows oder Werbung bzw Teleshopping besteht (qualifizierte Sendezeit), mit europäischen Werken bestücken.316 Diese Quotenregelung war und ist sehr umstritten. 1988 hätte der Konflikt zwischen Frankreich, das eine Quote forderte, und Mitgliedstaaten wie Großbritannien und Deutschland, die sie ablehnten, fast zu einem Scheitern der Verhandlungen geführt. In Deutschland hat die Quotenregelung jedoch fast keine praktische Bedeutung. Ihre Einhaltung wird praktisch nicht überprüft und die Nicht-Einhaltung würde auch keine negativen Rechtsfolgen haben. Dies liegt zum einen daran, dass die Bundesrepublik Deutschland in einer Protokollerklärung zur Fernsehrichtlinie von 1989 festgehalten hat, dass es sich bei der Regelung in Art 4 nur um eine politische Absichtserklärung und nicht um eine bindende Verpflichtung handelt.317 Auch wenn EuGH und Bundesverfassungsgericht derartige Protokollerklärungen nicht für geeignet halten, klare und bindende Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts auszuhebeln 318, bestimmt diese politische 311 312 313 314 315 316
Vgl Betz Media Perspektiven 1997, 431 ff. Vgl dazu auch Dörr/Charisse AfP 1999, 18. EuGH Rs C-6/98 – ARD vs ProSieben; Rs C-245/01, RTL vs NLM, Slg 2003, I-12.489. Ausf dazu Castendyk/Dommering/Scheuer/ Scheuer/Ader Art 3 TWFD Rn 11 ff. Vgl auch Schmittmann AfP 1997, 515, 525. Ausf zu Art 4, zu seiner Entstehungsge-
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schichte, Interpretation und der streitigen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 4 TWFD Rn 3 ff. Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 4 TWFD Rn 15 ff. EuGH Rs C-292/89 – Antonissen, Slg 1991 I-745; BVerfGE 83, 238, 295 ff.
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Haltung jedoch nach wie vor die Aufsichtpraxis der Landesmedienanstalten. Der zweite Grund liegt darin, dass die Angaben darüber, ob Fernsehsender die Quotenvorgaben der Richtlinie einhalten, von den betroffenen Fernsehsendern selbst gemacht werden.319 Eine unabhängige Überprüfung hätte mit dem Problem zu kämpfen, dass die Prüfung, ob ein Film europäisch oder außereuropäisch ist (vgl die Definition in Art 6 FsRi), große Schwierigkeiten bereitet, zB müsste eruiert werden, wo die Filmschaffenden zur Zeit der Produktion ihren Wohnsitz hatten. Art 5 FsRi enthält eine weitere Quotenvorgabe zu Gunsten unabhängiger Produzen157 ten.320 Der Schwellenwert von wahlweise mindestens 10 % der qualifizierten Sendezeit oder 10 % ihrer Haushaltsmittel ist jedoch so niedrig, dass kein deutscher Fernsehsender Schwierigkeiten hat, diese Vorgabe einzuhalten. Sie wäre so lediglich für solche Fernsehveranstalter relevant, die ihr Programm ausschließlich mit eigenen Mitarbeitern herstellen, wie dies bei vielen ARD-Sendern in den sechziger und siebziger Jahren noch der Fall war.321
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f) Fernsehwerbung und Sponsoring. Die Fernsehrichtlinie enthält umfangreiche Regelungen zur Fernsehwerbung, zum Sponsoring und zum Teleshopping. Dazu gehören ua das Trennungsprinzip (Art 10 Abs 1 FsRi), das Verbot der Schleichwerbung (Art 10 Abs 4 FsRi), differenzierte Bestimmungen zur Möglichkeit der Unterbrechung von Fernsehsendungen mit Fernsehwerbung (Art 11 FsRi), inhaltliche Werbeverbote, etwa mit Bezug auf Tabakwerbung (Art 13 FsRi), Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel (Art 14 FsRi), oder die – nur eingeschränkt mögliche – Alkoholwerbung (Art 15) und Werbung, die sich an Minderjährige richtet (Art 16 FsRi), Regelungen zum Sponsoring und zum Sponsorhinweis (Art 17 FsRi), Werbemengenbegrenzungen pro Stunde und pro Tag (Art 18 FsRi) sowie Regelungen für Teleshoppingspots, Teleshoppingfenster und Teleshoppingsender (Art 18, 18a, 19 FsRi). Der Rundfunkstaatsvertrag hat die Vorgaben der Fernsehrichtlinie zumindest für pri159 vate Fernsehanbieter fast wörtlich umgesetzt. Lediglich im Bereich der Unterbrechbarkeit mit Werbespots gibt es in Deutschland etwas strengere Vorgaben. Für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gelten eine Reihe von weiteren Einschränkungen, zB mit Bezug auf die tägliche Werbezeit, die Beschränkung der Werbung auf die Zeit bis 20.00 Uhr an Werktagen, oder das Verbot des Teleshopping. Da sämtliche Werberegelungen der Fernsehrichtlinie auch im deutschen Medienrecht enthalten sind, jedenfalls mindestens für die privaten Fernsehveranstalter gelten und diese Werberegelungen bereits in Teil 3 Kap 3 Rn 9 ff dargestellt worden sind, kann der geneigte Leser auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden.
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g) Jugendschutz. Die Regelungen zum Jugendschutz (in Art 22, 22a und 22b FsRi) existierten schon vorher und wurden bei der Revision 1997 lediglich präzisiert.322 Wie im deutschen Recht wird zwischen jugendgefährdenden (Art 22 Abs 1 FsRi formuliert „ernsthaft beeinträchtigen“,) und minderjährige Zuschauer lediglich beeinträchtigenden Sendungen unterschieden. Gem Art 22 Abs 1 FsRi müssen die Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen ergreifen, um Sendungen zu verhindern, welche die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen können, insbesondere solche, die Pornographie oder grundlose Gewalttätigkeiten zeigen. Programme, welche die körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung von Minderjährigen (nur) beein319
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Erst die AVMDR beinhaltet eine Verpflichtung, unabhängige Daten über die Einhaltung der Quotenvorgaben zu erheben. Ausf zu Art 5 vgl Castendyk Communication Law 2006, 88 ff.
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Vgl Castendyk/Keil/Wickleder passim. Castendyk/Dommering/Scheuer/Ukrow Art 22 TWFD Rn 4.
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trächtigen können, sollen durch die Wahl der Sendezeit oder durch sonstige technische Maßnahmen, wie zB durch Verschlüsselung und Zugangscodes dafür sorgen, dass diese von Minderjährigen üblicherweise nicht wahrgenommen werden (Art 22 Abs 2 FsRi). Art 22 Abs 3 FsRi fordert, dass jugendbeeinträchtigende Programme (dies gilt in 161 Deutschland für Filme mit einer FSK-Freigabe von 16 oder 18 Jahren) nur ausgestrahlt werden, wenn ihre Ausstrahlung durch akustische Zeichen angekündigt oder durch optische Zeichen während der gesamten Sendung kenntlich gemacht wird. Diese Regelung wurde in Deutschland in § 10 Abs 2 JMStV umgesetzt und erfordert in der Praxis den bekannten Warnhinweis „Diese Sendung ist für Jugendliche unter […] Jahren nicht geeignet“.323 Art 22a FsRi verbietet Sendungen, die zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln. Die Bestimmungen zum Jugendschutz in der Fernsehrichtlinie stehen im Einklang mit 162 europäischem und internationalem Recht zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und der Menschenwürde auf dem Feld der Medien. Auf EU-Ebene betrifft dies zum Beispiel die Rahmenentscheidung gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie vom 20.12.2003. Auf internationaler Ebene sind dies Vorgaben wie die UNOKonvention der Rechte des Kindes vom 20.11.1983 oder der UNESCO-Resolution „Kinder und Gewalt auf dem Bildschirm“ vom 12.11.1997.324 In Europa herrschen große Unterschiede bei der Einschätzung, ob ein bestimmtes 163 Programm Minderjährige gefährdet oder zumindest ihre Entwicklung beeinträchtigt.325 Die Unterschiede sind fast ebenso groß wie die Unterschiede der moralischen Vorstellungen. Dies lässt sich am Beispiel der Pornographie illustrieren, die in Europa sehr unterschiedlich definiert wird.326 Wie oben ausgeführt,327 ist der vom EuGH und dem EGMR gewährte Spielraum für die Mitgliedstaaten, Grundfreiheiten oder Grundrechte einzuschränken, im Bereich von Menschenwürde, Jugendschutz und öffentlicher Moral sehr groß. Dies ergibt sich auch aus dem Subsidiaritätsprinzip in Art 5 Abs 2 EGV. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Jugendmedienschutzregelungen in Europa nach wie vor sehr unterschiedlich ausfallen. Der Konsultationsprozess, der in Art 2a und 23a FsRi vorgesehen ist, könnte allerdings dazu führen, dass die in Art 22 und 22a FsRi verwendeten Begriffe, wie etwa „Pornographie“ oder „grundlose Gewalttätigkeiten“ sich mittelfristig annähern. Jedenfalls müssen Beschränkungen der Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit des Fernsehanbieters, verhältnismäßig sein. Dies gilt auch für Regelungen zum Jugendschutz und zum Schutz der Menschenwürde.328 h) Gegendarstellung. Art 23 FsRi garantiert das Recht auf Gegendarstellung oder auf 164 gleichwertige Maßnahmen.329 Die Mitgliedstaaten müssen insbesondere dafür Sorge tragen, dass die tatsächliche Ausübung des Rechts auf Gegendarstellung oder auf gleichwertige Maßnahmen nicht durch Auferlegung unverhältnismäßiger Bedingungen behindert wird. Bei der Regelung des Verfahrens muss darauf geachtet werden, dass die Frist für die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung oder auf gleichwertige Maßnahmen auch von juristischen Personen oder natürlichen Personen wahrgenommen werden kann, deren Wohnsitz oder Niederlassung sich einem anderen Mitgliedstaat befindet. 323 324 325 326
Näheres dazu in Hahn/Vesting/Hertel § 10 JMStV Rn 5 f. Groebel passim; Roßnagel/Scheuer MMR 2005, 271. Bundschuh 123 f; Gangloff 104 ff. Vgl hierzu ua Ulich 114 ff; Ritz passim; Weigend ZUM 1994, 133 ff; Hönge passim.
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S Rn 56. Castendyk/Dommering/Scheuer/Ukrow Art 22 TWFD Rn 9 ff. Ausf dazu Castendyk/Dommering/Scheuer/ Palzer/Scheuer Art 23 TWFD Rn 4 ff.
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Aus deutscher Sicht sind nur wenige Elemente dieser Vorschrift relevant. Zum einen ist zu beachten, dass sog „gleichwertige Maßnahmen“ ausreichen. In einer Protokollerklärung hat Frankreich klargestellt, dass unter diesen Begriff sämtliche der Gegendarstellung vergleichbare, rechtliche oder behördliche, Rechtsbehelfe fallen.330 Damit sind auch Mittel gemeint, die im technischen Sinne keine Gegendarstellungen sind, wie zB ein Anspruch auf Unterlassung oder auf Widerruf. Nicht ausreichen dürfte es angesichts von Art 23 Abs 5 FsRi, wenn lediglich ein Rekurs zu einer Institution der Selbstregulierung eröffnet wäre, zum Beispiel zum Deutschen Presserat.331 Das Recht auf Gegendarstellung oder auf Widerruf im transnationalen Kontext be166 trifft auch das Internationale Privatrecht. Im Bereich des Deliktsrechts wurde dieser Bereich durch die Verordnung (EG) Nr 864/2007 („Rom II“) 332 harmonisiert. Im Rahmen der Entstehungsgeschichte von Rom II wurde – nach intensivem Lobbying der Medienverbände – das Sendestaatsprinzip für Medien eingeführt. Damit wurden Widersprüche zu Art 2 FsRi verhindert. Art 6 Abs 2 iVm Art 4 Rom II legt deshalb fest, dass das Recht des Staates anwendbar ist, in dem der Fernsehveranstalter oder der Verlag seine Niederlassung hat. Damit gilt – entgegen dem ursprünglichen Entwurf – für die Gegendarstellung und vergleichbare Rechtsbehelfe nicht das Recht des Staates, in dem der Betroffene niedergelassen ist. 2. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMDR)333
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a) Entstehungsgeschichte. Die Fernsehrichtlinie wurde im Dezember 2007 durch die Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste (AVMDR) abgelöst, deren Ziel der Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Fernsehangebote ist. Der Verabschiedung im Parlament vom 29.11.2007 waren lange und zähe Verhandlungen vorangegangen, die bereits im Jahre 2002 begonnen hatten.334 Einem 2005 von der Kommission vorgelegten Entwurf 335 waren im Europäischen Parlament 150 Änderungsanträge entgegengebracht worden. Erst 2007, nach Einreichung eines geänderten Vorschlags durch die Kommission 336, einigte sich der Rat auf einen gemeinsamen Standpunkt. Diese unter deutscher Ratspräsidentschaft gelungene politische Einigung wurde weitgehend als Durchbruch gefeiert.337
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b) Geltungsbereich. aa) Grundsatz. Die im Dezember 2007 in Kraft getretene AVMDR basiert, ebenso wie der Rundfunkstaatsvertrag mit seiner Unterscheidung zwischen Rundfunk und Telemedien, auf dem Prinzip der abgestuften Regelungsdichte. Die Regelungen für das Fernsehen gehen weiter als die für die nicht-linearen audiovisuellen Mediendienste. Um den Rundfunkbegriff nach der AVMDR näher zu bestimmen, muss man drei Kategorien von Angeboten unterscheiden, denen wiederum drei Regulierungsebenen entsprechen: 330 331
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Martin-Pérez de Nanclares 155. Weiter gefasst scheint hier die entsprechende Regelung im Fernsehübereinkommen zu sein, vgl Explanatory Report FsÜ Rn 169. Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABlEG 2007, L 199, 40. Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007
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zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABlEG 2007, L 332, 27. Vgl Überblick der Kommission, abrufbar unter http://ec.europa.eu/avpolicy/reg/ history/codecision/index_en.htm. KOM (2005) 646 endg. KOM (2007), 170. Schulz EuZW 2008, 107.
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(1.) Am wenigsten reguliert sind Angebote, die als Dienste der Informationsgesellschaft der e-Commerce Richtlinie unterfallen338, den elektronischen Kommunikationsdiensten nach der Rahmenrichtlinie zuzuordnen sind oder gar keine medien- oder telekommunikationsspezifische Regulierung genießen. (2.) Auf der mittleren Ebene liegt die Regulierung der non-linearen audiovisuellen Mediendienste. (3.) Am stärksten reguliert sind die linearen audiovisuellen Mediendienste und damit Fernsehdienste, wie sie im Wesentlichen schon nach der Fernsehrichtlinie definiert waren. Mengenlogisch formuliert: Dienste der Informationsgesellschaft machen die Gesamt- 169 menge aus. Davon bilden die audiovisuellen Mediendienste eine Teilmenge, von der wiederum (lineare) Fernsehdienste eine Teilmenge sind. Die Regeln für die Gesamtmenge gelten auch für die Teilmengen, wenn es keine abweichende, speziellere Regel gibt. Im Kern geht es also nur um zwei Abgrenzungen: (1.) zwischen Diensten der Informationsgesellschaft und audiovisuellen Mediendiensten und (2.) zwischen linearen und non-linearen audiovisuellen Mediendiensten. bb) Abgrenzung zwischen Diensten der Informationsgesellschaft und audiovisuellen Mediendiensten. Gem Art 1(a) AVMDR umfasst der Begriff der audiovisuellen Mediendienste Dienstleistungen iSd Art 49 und 50 des EG-Vertrags (wirtschaftliche Tätigkeiten), für die ein Mediendiensteanbieter die redaktionelle Verantwortung trägt. Ihr Hauptzweck ist die Bereitstellung von Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit über elektronische Kommunikationsnetze iSv Art 2a der Richtlinie 2002/21/EG, also zB über Satellit, Kabel, Internet oder UMTS. Audiovisuelle Mediendienste, die sich auf vorwiegend nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten erstrecken, wie zB private Internetseiten oder nicht-kommerzielle Blogs, unterfallen nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Das Kriterium der redaktionellen Verantwortlichkeit, näher definiert in Art 1(c) AVMDR, stellt klar, dass nur solche audiovisuellen Dienste gemeint sind, bei denen ein Mediendiensteanbieter die redaktionelle Gestaltung und Zusammenstellung der Sendungen verantwortet. Es geht um die Bereitstellung von Sendungen zur Information, Unterhaltung und Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit als Hauptzweck der audiovisuellen Mediendienste. Das ‚Hauptzweckkriterium‘ schließt solche Dienste aus, bei denen audiovisuelle Inhalte lediglich eine Nebenerscheinung darstellen, wie zB Internetseiten, die lediglich ergänzend audiovisuelle Elemente enthalten, wie ua elektronische Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften, Glücksspiele mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz oder Suchmaschinen.339 Auch audiovisuelle Dienste bestehen aus „Sendungen“; sie sind in Art 1(b) AVMDR definiert als Abfolgen von bewegten Bildern mit oder ohne Ton, die Einzelbestandteil eines Sendeplans oder eines Katalogs sind und die nach Form und Inhalt mit Fernsehsendungen vergleichbar sind. Beispiele für Sendungen sind ua Spielfilme, Sportberichte, Fernsehkomödien, Dokumentarfilme oder Kindersendungen. Audiovisuelle Mediendienste müssen damit also eine gewisse ‚Fernsehähnlichkeit‘ aufweisen und laut Erwägungs338
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, ins-
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besondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, ABlEG 2000, L 178, 1. Vergleiche Erwägungsgrund 18.
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grund 17 sogar auf das gleiche Publikum wie Fernsehsendungen ausgerichtet sein. Der Sendungsbegriff muss allerdings unter Berücksichtigung der Entwicklungen auf dem Gebiet des Fernsehens dynamisch ausgelegt werden. Auch wenn Art 1(b) AVMDR derzeit typische Fernsehsendungen wie zB Spielfilme als Beispiele anführt, kann die weitere Entwicklung auch neue Fernsehformen und -inhalte mit sich bringen. Erwägungsgrund 16 stellt außerdem klar, dass nur solche audiovisuellen Mediendienste 174 erfasst sind, die Massenmedien sind. Heranzuziehen ist die vom EuGH in der Rechtssache Mediakabel 340 – im Rahmen der Definition der Allgemeinheit – geforderte Intention des Diensteanbieters, eine unbestimmte Zahl möglicher Zuschauer zu erreichen.
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cc) Abgrenzung zwischen Fernsehen und audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf. Die Richtlinie unterscheidet zwischen Fernsehen und Mediendiensten auf Abruf nach dem Kriterium der Linearität. Ein Fernsehprogramm ist ein linearer audiovisueller Mediendienst. Dieser wird gem Art 1(e) für den zeitgleichen Empfang von Sendungen auf der Grundlage eines Sendeplans bereitgestellt. Es handelt sich damit letztlich um ein technisches Kriterium.341 Dies entspricht weitgehend dem Gegensatz zwischen dem Senderecht (§ 20 UrhG) und dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) im Urheberrecht und folgt der schon vom EuGH in Mediakabel und Largadere und SGAE praktizierten Parallelisierung zwischen öffentlichem und privatem Medienrecht.342 Der von der DLM befürwortete 343 Ansatz einer Abstufung der verschiedenen audiovisuellen Mediendienste nach Wirkungsintensität und Meinungsrelevanz in Anlehnung an das deutsche Recht wurde nicht übernommen.344 Die in Erwägungsgrund 20 genannten Beispiele für lineare Dienste umfassen analoges und digitales Fernsehen, Live Streaming, Webcasting und Near-Video-On-Demand.345
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c) Neue Regelungen für Fernsehdienste? aa) Einleitung. Der Kern der Revision der Fernsehrichtlinie ist die Erweiterung des Anwendungsbereichs auf audiovisuelle Mediendienste, die nach dem Konzept der gestuften Regulierung – ähnlich wie in Deutschland Rundfunk und Telemedien – unterschiedlich ausführlichen Regelungen unterliegen. Die Regulierung von Fernsehangeboten (nunmehr auch „linearen“ Angeboten) hat sich demgegenüber weniger verändert. Dennoch gibt es einige Neuregelungen, die Erwähnung verdienen, weil sie sehr praxisrelevant sein werden: liberalisiert 346 wurden die Werbemengenbegrenzungen, die Werbeunterbrecherregelungen und das Trennungsprinzip, letzteres durch Einführung einer zulässigen Form der Produktplatzierung.
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bb) Werbemengenbegrenzungen. Anders als die Vorgängernorm Art 18 FsRi enthält Art 18 AVMDR keine Begrenzung der täglichen Werbezeit mehr. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene empirische Studie hatte ergeben, dass diese Grenze ohnehin von keinem TV-Sender je erreicht wurde.347 Geblieben ist nur die Begrenzung der stünd340 341
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EuGH, Rs C-89/04 – Mediakabel, Slg 2005, I-4891, Rn 30. Gersdorf 32 ff, der darauf hinweist, dass dies der von der EU-Kommission angestrebten Technologieneutralität nicht entspricht. EuGH, Rs C-89/04 – Mediakabel, Slg 2005, I-4891, Rn 30; Rs C-192/04 – Lagardère Active Broadcast, Slg 2005, I-7199, Rn 31; Rs C-306/05 – SGAE, Slg 2006, I-1519, Rn 37 ff (dazu auch oben Teil 1 Kap 2 Rn 18 Medienrecht als Disziplin). http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/reg/
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modernisation/2003_review/contributions/ wc_dlm.pdf, Papier Fokusgruppe 1, http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/reg/ modernisation/focus_groups/fg1_wp_de.pdf. Stender-Vorwachs/Theißen ZUM 2006, 362, 367. Krit dazu Gersdorf 29 ff. Vgl ua Roßnagel/Schmid 93; Roßnagel/ Mastroianni 85. Vgl Gutachten Carat/KOAN, Comparative study on the impact of control measures on the televisual advertising markets in
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lichen Werbezeit, wonach nicht mehr als 20 % pro Stunde Werbe- und Teleshoppingspots ausgestrahlt werden dürfen. Weggefallen ist auch die Limitierung von Teleshopping-Fenstern auf maximal acht 178 pro Tag und eine maximale Zeit von drei Stunden pro Tag (Art 18a AVMDR). Weitergehende Einschränkungen wären angesichts der in dieser Hinsicht regulatorisch weit weniger beschränkten Internet-Shoppingangebote wohl auch nicht zu rechtfertigen gewesen. cc) Durchbrechung des Trennungsprinzips? Das in Art 10 Abs 1 FsRi enthaltene 179 Trennungsgebot ist auch im neuen Art 10 Abs 1 AVMDR fast gleichlautend enthalten. Die Regelung lautet wie folgt: „Fernsehwerbung und Teleshopping müssen als solche leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt unterscheidbar sein. Unbeschadet des Einsatzes neuer Werbetechniken müssen Fernsehwerbung und Teleshopping durch optische und/oder akustische und/oder räumliche Mittel eindeutig von anderen Sendungsteilen abgesetzt sein.“ Erkennbarkeit und Abtrennung („eindeutig von anderen Sendungsteilen abgesetzt 180 sein“) sind zwei unterschiedliche Konzepte. Abtrennung geht weiter als Identifizierung. Werbung muss durch optische, akustische oder räumliche Mittel vom Programm abgetrennt werden. Der Unterschied kann am Beispiel der Produktplatzierung deutlich gemacht werden. Wenn eine Produktplatzierung, zB ein Softdrink auf dem Tisch des Protagonisten, mit einem Warnhinweis (zB roter Punkt) versehen wäre, wäre die werbliche Aussage Teil der Handlung und damit Teil des Programms. Das Erkennbarmachen durch den roten Punkt würde daran nichts ändern. Das Trennungsprinzip im engeren Sinne, welches ausschließlich nur für lineare audiovisuelle Mediendienste (Fernsehdienste) Geltung beansprucht, würde dies nicht zulassen.348 Der Zusatz „unbeschadet des Einsatzes neuer Werbetechniken“ verfolgt das Ziel, 181 neue Formen der Werbung, wie sie insbesondere bei interaktiven Internetangeboten zur Zeit entstehen, nicht zu behindern. Würde man lineare Angebote (und zwar auch die, die über das Internet verbreitet werden) auf konventionelle Formen der Fernsehwerbung beschränken, würden lineare Angebote gegenüber non-linearen zu sehr eingeschränkt.349 Ein Beispiel für eine solche neue Werbetechnik ist „enhanced advertising“: bei internetbasierte Fernsehen ist es möglich, Requisiten – etwa das Kleid der Protagonistin – als Ausgangspunkt für weitergehende Produktinformationen zu nutzen. Der Zuschauer kann mit der Maus/der Fernbedienung das Kleid anklicken und es öffnet sich ein Pop-up oder ein Sublevel mit kommerziellen Informationen. Betrachtet man das Kleid selbst als Werbung, wäre der Trennungsgrundsatz verletzt. Um derartige neue Werbetechniken dennoch zuzulassen, wurde der Zusatz „unbeschadet […]“ eingefügt. Wohlgemerkt lässt der Zusatz nur Erleichterungen beim Trennungsgrundsatz zu, nicht beim Erkennbarkeitsgrundsatz. dd) Produktplatzierung. Die zentrale Ausnahme vom Trennungsgrundsatz ist die zu- 182 lässige Produktplatzierung. Sie wird definiert in Art 1 (m) AVMDR als eine kommerzielle Kommunikation, die sich auf Produkte, eine Dienstleistungen oder Marken bezieht und zwar als Gegenleistung für ein Entgelt oder eine geldwerte Leistung. Der Begriff ist anders
European Union Member States and certain other countries, abrufbar unter http://ec. europa.eu/avpolicy/docs/library/studies/ 2003/44_03_finalrep_fr.pdf.
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Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz s unten Rn 182 ff. Vgl Erwägungsrund 57 zur AVMDR.
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definiert als Schleichwerbung in Art 1 d FsRi, im Ergebnis sind die Unterschiede jedoch gering: Bei der Schleichwerbung muss das Entgelt (bzw die entgeltwerte Leistung) des Werbetreibenden an den Sender geleistet werden oder dem Sender zumindest zurechenbar sein 350, bei der Produktplatzierung reicht es aus, wenn es an den Filmhersteller gegeben wird. Aus Erwägungsgrund 61 (und in Art 3g AVMDR) wird deutlich, dass Sachspenden (dies betrifft Produkte und Dienstleistungen) nur dann erfasst werden, wenn sie einen signifikanten Wert haben. Überlässt also zB ein Modehaus der Filmproduktionsfirma ein Abendkleid, damit die Hauptdarstellerin dieses in einer zentralen Szene des Films trägt, wäre dies streng genommen eine Produktplatzierung. Denn damit würde ein Produkt für eine ähnliche Gegenleistung (ie: der Wert des Abendkleids) präsentiert werden. Nach Erwägungsgrund 61 ist zu prüfen, ob der Wert des Abendkleids – im Verhältnis zu den gesamten Produktionskosten – ins Gewicht fällt. Liegt der Wert eines einzelnen Gegenstandes unterhalb von 0,25% oder der kumulierte Wert aller von einem Hersteller gespendeten Gegenstände unter 1 % der Filmherstellungskosten, kann der Wert sicherlich nicht mehr als signifikant bezeichnet werden.351 Auch wenn die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste nunmehr „product placement“ zulässt, bindet sie die Zulässigkeit jedoch an enge Voraussetzungen: Es muss auf die Produktplatzierung mit einem Warnhinweis hingewiesen werden. Die Werbeverbote für bestimmte Produkte (Tabakprodukte, rezeptpflichtige Medikamente) gelten auch für das „product placement“. Die Platzierung des Produkts oder der Dienstleistung darf nicht zu offensichtlich sein (Kriterium der „undue prominence“) 352 und sie darf keinen unmittelbar werblichen Charakter haben, zB dadurch dass unmittelbar zum Kauf des Produkts aufgefordert wird. Außerdem darf der Werbetreibende keinen Einfluss auf Inhalt oder Sendplatz der jeweiligen Sendung erhalten. Das Beeinflussungsverbot in Art 3g AVMDR entspricht dem bereits bekannten aus Art 17 Abs 1 (a) FsRi, wonach es dem Sponsor verboten ist, Inhalt oder Programmplatz einer gesponserten Sendung zu beeinflussen. Auch hier ist es schwierig, die Grenze zu bestimmen, ab der unzulässiger Einfluss ausgeübt wird.353 Ein Beispiel wird in Erwägungsgrund 63 genannt: das sog Themen-Placement.354 Die Regeln für die statthafte Produktplatzierung gelten nicht nur für lineare, sondern auch für non-lineare Angebote. Aufgrund des Warnhinweises sind sie jedoch vor allem eine Ausnahme und Spezialregelung zum Trennungs-, und nicht zum Erkennbarkeitsgrundsatz. d) Wichtige Regelungen für nicht-lineare audiovisuelle Dienste. aa) Weiche Quote. In der ausführlichen Konsultation der EU-Kommission vor der Richtlinie für audiovisuelle Medien wurde diskutiert, ob eine Quotenregelung auch für audiovisuelle Mediendienste sinnvoll sein könnte.355 Die Befürworter argumentierten mit dem Interesse der europä-
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S Teil 3 Kap 3 Rn 84 ff. Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 1 AVMSD Rn 144 ff. Zur Auslegung des Begriffs der „undue prominence“ vgl Castendyk/Dommering/ Scheuer/Castendyk Art 3 g AVMSD Rn 25 f; eine zu enge Interpretation des Begriffs würde Produktplatzierungen unmöglich machen.
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Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 3g AVMSD Rn 22 f. Zum Themen-Placement nach altem Recht, vgl Castendyk ZUM 2005, 2 ff; Bülow passim. Vgl sog Hieronymi Report, 56 ff, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ comparl/cult/media_services_directive_en. pdf.
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ischen Filmproduktionsindustrie. Die Gegner brachten vor, dass Quoten bei OnDemand-Diensten nicht dazu führen würden, dass sich mehr Menschen europäische Produktionen ansehen würden. Das Angebot im Internet sei zu groß, um Steuerungseffekte zu erzielen. Eine Quote, die einen bestimmten Prozentsatz der Programmakquisition des On-Demand-Anbieters ausmachen würde, liefe Gefahr, europäische Anbieter gegenüber ihrer internationalen Konkurrenz zu sehr zu benachteiligen. Das Ergebnis war eine weiche Quotenregelung, die es weitgehend den Mitgliedsstaaten überlässt, über das „wie“ zu entscheiden. Danach müssen die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass audiovisuelle Mediendienste 188 auf Abruf die Produktion europäischer Werke und den Zugang hierzu fördern. Die Förderung kann zB ein Beitrag zur klassischen Filmförderung sein 356, aber auch ein gesetzlich festgelegter Anteil an europäischen Werken im Programmkatalog des Anbieters. bb) Fernsehwerbung und Sponsoring. Die Regelungen zur Erkennbarkeit der Wer- 189 bung, zum Product Placement und zum Sponsoring gelten nicht nur für lineare, sondern auch für non-lineare Dienste. Der daraus resultierende Anpassungsbedarf beim deutschen Recht ist gering. Das Prinzip, wonach werbliche Botschaften gekennzeichnet werden müssen, existiert ohnehin medienübergreifend im Wettbewerbsrecht. Für Telemedien ist es in § 58 Abs 1 RStV verankert. Die Vorschrift über Sponsoring in § 8 RStV müsste auf Telemedien ausgedehnt werden. Da Telemedien und audiovisuelle Medien nicht völlig deckungsgleich sind 357, muss auch hier nachjustiert werden. Bei der Produktplatzierung gab es bisher keinen einheitlichen medienübergreifenden Standard, im Kino ist sie zulässig, wenn im Vor- oder Abspann darauf aufmerksam gemacht wird, für Internetangebote ist die Rechtslage noch unklar; im Fernsehen war sie bisher als Schleichwerbung untersagt. Hier gibt die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste Anlass, die Grundsätze zu vereinheitlichen. 3. Telekommunikationsrichtlinien a) Überblick. Nach der wegweisenden Entscheidung in den USA, das Monopol von 190 AT&T aufzulösen und den Telekommunikationsgiganten in einzelne Teile aufzuspalten (1984), folgte die EU-Kommission diesem Beispiel. In den achtziger und neunziger Jahren wurde eine Reihe von Richtlinien erlassen, die die Mitgliedstaaten dazu zwangen, die nationalen Monopolunternehmen, wie zB die Deutsche Post, zu privatisieren und die Märkte zu liberalisieren. Die EU-Kommission ging zu Recht davon aus, dass eine Privatisierung und Liberalisierung einen erheblichen Dynamisierungsschub auslösen würde.358 Die Leitlinien ergaben sich aus dem Grünbuch über die Entwicklung des gemeinsamen 191 Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte aus dem Jahr 1987.359 Die Marktöffnung sollte in drei Bereichen stattfinden: bei den Endgeräten, bei den Diensten und bei den Netzen. Dabei wurden vier Regelungsziele verfolgt: die Liberalisierung und Privatisierung durch schrittweise Aufhebung besonderer und ausschließlicher Rechte auf dem Telekommunikationssektor, die Harmonisierung durch Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die Gewährleistung eines chancengleichen und fairen Wettbewerbs und die Sicherstellung von Universaldienst-
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In Deutschland gibt es bereits eine solche Filmabgabe für On-Demand-Anbieter bzw die Inhaber solcher Rechte (§ 67 Abs 2 FFG).
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Castendyk/Böttcher MMR 2008, 13 ff. Vgl Maunz/Dürig/Lerche Art 87 f GG Rn 25. KOM (87) 290 vom 30.6.1987.
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leistungen. Diese Ziele wurden erfolgreich mit einer Reihe von Richtlinien verfolgt, ua der Endgeräterichtlinie, der Diensterichtlinie, der Kabelrichtlinie und der Wettbewerbsrichtlinie. Besonders zentral waren die Richtlinien, die versuchten, den sog offenen Netzzugang (ONP) zu garantieren. In diesen Zusammenhang gehört auch die Verordnung zur Entbündelung des Zugangs zum Teilnehmeranschluss (sog local loop), die für Diensteanbieter den Zugang zum Teilnehmeranschluss zu transparenten, fairen und diskriminierungsfreien Bedingungen europaweit sicherstellen sollte. 1999 war die Zeit reif, diese Telekommunikationspolitik zu evaluieren. Die Kommis192 sion regte einen Kommunikationsbericht an, der die bisherige Situation beurteilen und neue Vorschläge für eine Regulierung entwerfen sollte.360 Die vorgeschlagenen Reformen betrafen weniger eine weitere Liberalisierung der Märkte, sondern mehr die Sicherung und Vereinfachung des Erreichten. Dabei sollte ein Technologie neutraler Ansatz gewählt werden. Der Fokus lag nicht länger auf der Infrastruktur für Telekommunikationsdienstleistungen, sondern – gewissermaßen unter Streichung des „tele“ – auf der Regulierung sämtlicher Kommunikationsangebote und -strukturen. Der neue Schlüsselbegriff lautet „elektronische Kommunikationsnetze“. Im Übrigen wurde deutlich gemacht, dass die einheitlichen Regelungsstandards auch für Rundfunkverbreitung gelten sollten. Der nachfolgende Gesetzgebungsprozess führte zu fünf neuen Richtlinien (der Rahmenrichtlinie, der Zugangsrichtlinie, der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, der Genehmigungsrichtlinie und der Universaldienstrichtlinie), die im Jahre 2001 verabschiedet wurden. Bei der anschließenden Umsetzung in Deutschland wurden auch Fehler und Lücken des bisherigen Regulierungsrahmens beseitigt. Vor allem konnten die Ende der Achtzigerjahre noch kaum bekannten Telekommunikationsdienstleistungen, wie etwa das Internet oder die Mobil-Telefonie, berücksichtigt werden. Ebenfalls relevant ist die Frequenzentscheidung 361, die versucht, die Verfügbarkeit und effiziente Nutzung des Frequenzspektrums europaweit zu koordinieren. Seit Dezember 2007 existieren weitere Vorschläge, die den Regelungsrahmen von 2001 – geringfügig – modifizieren wollen.362 b) Die Rahmenrichtlinie.363 In der Rahmenrichtlinie werden die wesentlichen Grundsätze des europäischen Regulierungsrahmens vorgestellt. Die Erwägungsgründe 5 und 6 machen deutlich, dass die Konvergenz von Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie einen einheitlichen Regelungsrahmen erzwingt, der für alle Übertragungsnetzwerke und Dienste gilt. In Art 2c Rahmenrichtlinie wird nochmals deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, Inhalte von Diensten, in welcher Form sie auch immer angeboten werden, rechtlichen Regeln zu unterwerfen. Dies sei, von Ausnahmen abgesehen, Sache des nationalen Gesetzgebers. Das in Art 8 der Rahmenrichtlinie näher ausgeführte zentrale Ziel ist die Gewähr194 leistung effektiven Wettbewerbs. Dabei wird das Konzept der beträchtlichen Marktmacht weiterentwickelt und dem allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Konzept der marktbeherrschenden Stellung angenähert.364 Das Verfahren der Marktregulierung soll dabei in drei
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KOM (1999) 539 endg, 10.11.1999. Entscheidung Nr 676/2002/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 7.3.2002 über einen Rechtsrahmen für die Frequenzpolitik in der Europäischengemeinschaft (Frequenzentscheidung), ABlEG 2002, L 108, 1. http://ec.europa.eu/information_society/ policy/ecomm/tommorrow/index_eu.htm. Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen
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Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABlEG 2002, L 108, 33. Damit wurde die bisherige feste Grenze von 25 % durch ein flexibleres Kriterium ergänzt, vgl Castendyk/Dommering/ Scheuer/van Eijk Directive 2002/21/EC, Rn 7.
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Schritten erfolgen: In einem Marktdefinitionsverfahren werden auf nationaler Ebene diejenigen Märkte ermittelt, die reguliert werden müssen. Dabei müssen die Empfehlungen der Kommission berücksichtigt werden. Die auf diese Weise ermittelten Märkte werden im sog Marktanalyseverfahren darauf hin untersucht, ob wirksamer Wettbewerb existiert. Nur wenn ein wirksamer Wettbewerb fehlt, können Unternehmen, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, Verpflichtungen auferlegt werden. Die Genehmigungsrichtlinien verlangt von den Mitgliedstaaten, dass die entsprechen- 195 den Märkte von einer unabhängigen Regulierungsbehörde kontrolliert werden. Das bezieht sich insbesondere auf die Unabhängigkeit der Marktbeteiligten. Dies macht eine staatliche Kontrolle schwierig, soweit der Staat selbst größere Anteile an den betreffenden Telekommunikationsunternehmen besitzt. c) Die Genehmigungsrichtlinie.365 Die Genehmigungsrichtlinie beendete die bis dahin 196 üblichen Einzelgenehmigungen. Stattdessen favorisiert sie, ähnlich wie die Gruppenfreistellungsverordnungen im europäischen Wettbewerbsrecht, allgemeine Genehmigungsvoraussetzungen. Gem Art 3 Abs 2 Genehmigungsrichtlinie können von den betreffenden Unternehmen Anzeigen verlangt werden, jedoch keine Einzellizenzierung. Ausnahmen sollen nur noch für die Frequenz- und Nummerverteilung gelten, denn sie werden weiterhin als knappe Güter angesehen. Diese Prinzipien gelten grds auch für den Rundfunkbereich. Nach Art 5 Genehmigungsrichtlinie müssen auch Rundfunkfrequenzen mittels offener, transparenter und nicht diskriminierender Verfahren vergeben werden. d) Die Zugangs- und Zusammenschaltungsrichtlinie.366 Mit dieser Richtlinie werden 197 die nationalen Regulierungsbehörden dazu angehalten, die in Art 8 der Rahmenrichtlinien festgelegten Ziele zu realisieren, insbesondere durch angemessene Zugangs- und Zusammenschaltungsregeln sowie die Gewährleistung der Interoperabilität von Kommunikationsdiensten. Der Begriff des Zugangs wird dabei weit ausgelegt, er beinhaltet jegliche Bereitstellung von Einrichtungen oder Diensten, wobei nur die Nachfrage von Leistungen durch Anbieter, nicht aber die von Endkunden erfasst wird. Eine Zusammenschaltung meint jede Art von Verbindung von Netzen, so dass den Nutzern die Kommunikation in verschiedenen Netzen untereinander ermöglicht wird, zB von einem Mobilfunknetz zu einem anderen. Möglich sind Maßnahmen gegenüber allen Unternehmen und solchen, die sich nur an Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht richten. e) Die Datenschutzrichtlinie.367 Die Datenschutzrichtlinie fasst nochmals alle Grund- 198 sätze der in den klassischen Datenschutzrichtlinien 368 in der EU festgehaltenen Prinzi365
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Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), ABlEG 2002, L 108, 21. Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), ABlEG 2002, L 108, 7. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in
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der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABlEG 2002, L 201, 37. Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABlEG 1995, L 281, 31 sowie Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation, ABlEG 1998, L 24, 1 ff.
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pien für den Kommunikationssektor zusammen. Dabei soll zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Recht an den eigenen Daten sowie dem Interesse an der wirtschaftlichen Verwertung personenbezogener Daten ein vernünftiger Ausgleich gefunden werden. Die zentrale Vorschrift ist Art 5, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Schutzvorschriften gegen die unrechtmäßige Kenntnisnahme von Kommunikationen zu erlassen. Dabei geht es vor allem um die Speicherung von Nutzungs- und Benutzerdaten sowie die Lokalisierung der Kommunikation, wie sie zB im Mobilfunkbereich möglich ist. Ein wichtiges Thema war auch die Übermittlung von ungewollten Fax-Mitteilungen, 199 SMS und E-Mails (SPAM). Dabei entstand ein Konflikt zwischen Kommission und Europäischem Parlament.369 Die Kommission befürchtete, zu viel SPAM würde das Internet verstopfen, das Parlament sah sich mehr auf der Seite der Anbieter. Am Ende wurde ein sog „opt in“ eingeführt. Danach müssen die Verbraucher dem Empfang derartiger Werbemitteilungen ausdrücklich zustimmen. Lediglich wenn Unternehmen bereits auf elektronische Weise Kontakt zu ihren Kunden aufgenommen haben, können Sie nicht verlangte Werbemitteilungen an sie senden. In diesem Fall muss der Kunde jedoch die Möglichkeit haben, sich wieder aus dem Verteiler nehmen zu lassen („opt out“).
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f) Die Universaldienstrichtlinie.370 Das Ziel der Universaldienstrichtlinie ist die Sicherstellung eines bestimmten Mindestangebots bzw einer bestimmten Mindestversorgung von allen Diensten zu einem für alle Nutzer erschwinglichen Preis. Zu diesem Zweck definiert die Richtlinie ein Mindestangebot, welches in allen Mitgliedstaaten bestehen muss. Es ist im Wesentlichen begrenzt auf Sprachtelefondienste, (noch) nicht auf Internetzugang. Entsprechende Vorschläge wurden im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt.371 Der Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Kontrolle der Preisbildung ist begrenzt. Bis dahin übliche Versuche, die Positionen marktbeherrschender Unternehmen durch Zulassung überhöhter Preise und Anschlusskosten zu stabilisieren, werden durch das vorgesehene Preisbildungsverfahren erschwert. Relevant für den Rundfunkbereich ist Art 31, der bestimmte „must carry“-Verpflichtungen vorsieht. 4. Filmförderung
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Filmförderungen sind staatliche Beihilfen, die gem. Art 87 EG-Vertrag von der Kommission genehmigt werden müssen. Nach Abs 3 (d) dieser Vorschrift können Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes genehmigt werden, wenn und soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maße beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Die Kriterien, die die EU-Kommission bei der Genehmigung von Filmförderungen verwendet, wurden 1998 in der Entscheidung über die französische Filmförderung des CNC entwickelt und im Jahr 2001 in der sog „Kinomitteilung“ 372 festgelegt. Es sind derzeit vier Voraussetzungen:
369 370
Vgl Darstellung in Castendyk/Dommering/ Scheuer/van Eijk ECRF Rn 21. Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) ABlEG 2002, L 108, 51.
144
371 372
Vgl van Eijk 21. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken vom 26.9.2001.
Oliver Castendyk
§5
Öffentliches und europäisches Medienrecht
Die Beihilfe muss einem kulturellen Produkt zugute kommen. Jeder Mitgliedsstaat muss sicherstellen, dass die Beihilfen nur für Produktionen gewährt werden, die nach überprüfbaren nationalen Kriterien einen kulturellen Inhalt haben. Der Produzent muss mindestens 20 % des Filmbudgets in anderen Mitgliedsstaaten ausgeben dürfen, ohne dass die ihm gewährte Beihilfe gekürzt wird (sog „80/20Regel“). Damit wird der Territorialisierungsgrad auf 80 % limitiert. Die Höhe der Beihilfe soll grds auf 50 % des Produktionsbudgets beschränkt sein, damit für normale marktwirtschaftliche Geschäftsinitiativen weiterhin Anreize bestehen und ein Förderwettlauf zwischen den Mitgliedsstaaten vermieden wird (sog 50/50-Regel“). Ausnahmen gelten für sog „kleine und schwierige Filme“. Zusätzliche Beihilfen für besondere Filmarbeiten (zB Postproduktion) werden nicht genehmigt, damit die Neutralität der Anreizwirkung gewahrt bleibt und der Mitgliedstaat, der die Beihilfe gewährt, nicht gerade die betreffenden Unternehmen schützen oder ins Land locken kann. Diese Kinomitteilung galt zunächst bis Ende 2004, wurde bis Mitte 2007 verlängert 202 und soll spätestens Ende 2009 auslaufen. Die EU-Kommission hat sich vorgenommen, die Voraussetzungen, die in der noch 203 geltenden Kinomitteilung enthalten sind, in zwei Punkten zu verschärfen:373 1. Sie strebt an, den Territorialisierungsgrad von derzeit 80 % zu reduzieren. 2. Sie möchte für alle Förderungen, zB bei der Referenzförderung nach dem FFG, ‚kulturelle Tests‘ einführen. Bisher hielt sie dies nur bei „Incentive“-Förderungen, wie dem Deutschen Filmförderungsfonds, für erforderlich. Es zeigt sich bei den jüngsten Genehmigungsverfahren, dass die EU-Kommission zwischen – förderungswürdigen – „kulturellen“ bzw „kreativen“ und – nicht förderungsfähigen – technischen bzw wirtschaftlichen Teilen der Filmproduktion und -verwertung differenzieren möchte. Beide Vorhaben sind beim Anfang 2007 eingeleiteten Konsultationsprozess von Ver- 204 tretern der europäischen Filmwirtschaft stark kritisiert worden. Aus juristischer Sicht ist anzumerken, dass es in der Tat problematisch erscheint, zwischen „kultureller“ und „wirtschaftlicher“ Filmförderung zu unterscheiden. Eine Trennung in „kulturell wertvolle“ und „Kommerzfilme“ ist nicht möglich und wäre auch mit Bezug auf die Funktion des Films als kultureller Spiegel der Gesellschaft verfehlt. Auch erfolgreiche und massenattraktive Filme können einen ganz erheblichen Einfluss auf die private und öffentliche Meinungsbildung erlangen und kulturell eine ganze Generation mitprägen. Noch problematischer ist die einseitige Bevorzugung ‚kreativer‘ Beiträge, denn zum einen sind auch Teile der ‚technischen‘ Beiträge heutzutage künstlerisch, zB im Bereich der digitalen Nachbearbeitung, zum anderen sind auch rein technische Beiträge notwendig, um den Film entstehen zu lassen.
373
Die Mitglieder der zuständigen unit H3 der DG Wettbewerb haben ihre Ziele und ihre dem zugrunde liegende Rechtsauffassung in
einem Aufsatz dargestellt: Broche/Chaterjee/ Orssich/Tosics, Competition Policy Newsletter 2007/1, 44 ff.
Oliver Castendyk
145
Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
§6 Privates europäisches Medienrecht I. Überblick 205
Vor dem Hintergrund der durch den EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten sowie dem Ziel eines einheitlichen Binnenmarktes ist auch der Bereich des privaten Medienrechts Gegenstand zahlreicher Harmonisierungsbemühungen durch europäisches Sekundärrecht. Aus diesen Vorschriften lassen sich zunehmend auch bestimmte Grundprinzipien ableiten, welche für den jeweils geregelten Bereich maßgeblich sind. 1. Die Instrumente des Sekundärrechts
206
Als Sekundärrecht werden alle Rechtsakte bezeichnet, die von den Organen der Gemeinschaft auf Grundlage der Europäischen Verträge erlassen wurden. Verordnungen kommt unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten zu (Art 249 Abs 2 EGV). Richtlinien hingegen bedürfen der Umsetzung in nationales Recht der Mitgliedstaaten (Art 249 Abs 3 EGV). Entsprechend sind Richtlinien für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, die Wahl der Umsetzungsform und der Mittel für die Umsetzung ist jedoch den Mitgliedstaaten überlassen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Richtlinien fristgerecht umzusetzen. Wird eine Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt, so kann sie unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten erlangen 374, sofern sie inhaltlich unbedingt 375 und hinreichend bestimmt ist.376 Schließlich können Mitgliedstaaten, die eine Richtlinie nicht fristgerecht umsetzen, schadensersatzpflichtig gegenüber ihren Bürgern werden, sofern diese einen Schaden aufgrund der fehlenden oder fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie erleiden.377 Aus der Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten (Art 249 Abs 3 EGV) folgt auch die Verpflichtung, nationales Recht im Regelungsbereich einer Richtlinie richtlinienkonform im Hinblick auf Zweck und Wortlaut der Richtlinie auszulegen.378 Wesentliches Hilfsmittel dabei sind die Erwägungsgründe zur Richtlinie, welche in sämtlichen Amtssprachen gleichermaßen verbindlich sind.379 Diese Vorwirkungen von Richtlinien können unabhängig von der Umsetzungsfrist bestehen.380 Entscheidungen regeln einen Einzelfall und sind – vergleichbar mit Verwaltungsakten des deutschen Rechts – für diejenigen verbindlich, die in der Entscheidung bezeichnet werden (Art 249 Abs 4 EGV). Empfehlungen und Stellungnahmen sind hingegen gar nicht verbindlich (Art 249 Abs 5 EGV), können jedoch bereits Problemstellungen und Regelungsabsichten aufzeigen, die später durch verbindliche Rechtsetzungsmittel umgesetzt werden. 2. Europäische Strukturprinzipien
207
a) Herkunftslandprinzip. Das Herkunftslandprinzip beruht auf der Regel, dass die Mitgliedstaaten die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Anbieter von Waren oder Dienstleistungen nach ihren nationalen Vorschriften zu messen haben (Kontrolle im Nie374 375 376
377
Jarass NJW 1990, 2420, 2423. EuGH Rs 41/74 – van Duyn, Slg 1974, 1337. EuGH NJW 1982, 499 – Becker; EuGH EuZW 1999, 476 – Kortas; vgl Geiger Art 249 EG Rn 15; Streinz/Schroeder Art 249 EG Rn 106 ff. EuGH NJW 92, 165 – Francovich; EuGH NJW 96, 3141 – Pauschalreise-Richtlinie.
146
378
379 380
EuGH NJW 2006, 2465 – Adeneler; BGH GRUR 1998, 824, 827 – Testpreis Angebot; Streinz/Schroeder Art 349 EG Rn 126; vgl Auer NJW 2007, 1106 ff. EuGH EuZW 1997, 34, 346 – Ebony. Näher dazu oben Rn 130 ff.
Andrea Stauber
§6
Privates europäisches Medienrecht
derlassungsland) und dass kein Mitgliedstaat den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat behindern darf (Verkehrsfreiheit).381 Das Herkunftslandprinzip knüpft an diese Regel an und schränkt für den Bereich des grenzüberschreitenden Warenverkehrs die Kontrolle im Niederlassungsland ein: Die Zulässigkeit einer Handlung in den Mitgliedstaaten darf nach dem Herkunftslandprinzip nicht strenger beurteilt werden als nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Handelnde seinen Sitz hat. Der Handelnde soll sich also an seinem Heimatrecht orientieren können und bei grenzüberschreitenden Aktivitäten nicht zusätzlich auch das Recht aller Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen, in denen sich seine Handlung auswirkt. Durch das Prinzip soll eine Doppelkontrolle im Heimatstaat wie im Empfangsstaates vermieden werden.382 Umstritten ist, ob das Herkunftslandprinzip lediglich eine (strengere) Doppelkontrolle vermeiden will, oder auch die Anwendbarkeit des Rechts des Herkunftslandes anordnet.383 Das Herkunftslandprinzip ist kein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, sondern gilt nur in dem Bereich, in dem es durch eine gemeinschaftsrechtliche Norm angeordnet wird. Angesichts der fortschreitenden, grenzüberschreitenden Wirkungen medialer Waren und Dienstleistungen ist das Herkunftslandprinzip im Bereich des Medienrechts bereits mehrmals kodifiziert worden.384 Die wichtigsten Vorschriften dazu finden sich in Art 2, 2a der Fernsehrichtlinie 89/552/EWG, in Art 3 der E-CommerceRichtlinie 2000/31/EG und in Art 4 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG).385 Das Herkunftslandprinzip spielt – sofern bereichsspezifisch verbürgt – insbesondere in den Bereichen eine Rolle, in denen eine vollständige Harmonisierung noch nicht erfolgt ist.386 Außerhalb des Geltungsbereichs eines bereichsspezifischen Herkunftslandprinzips sind Regelungen im Bereich des Art 28 EGV bei fehlender Harmonisierung durch Sekundärrecht am Maßstab der Rechtfertigungsgründe des Art 30 EGV und der zwingenden Erfordernisse der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung zu messen.387 b) Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung. Sowohl durch die Rechtspre- 208 chung des EuGH als auch durch Bestimmungen des Sekundärrechts hat sich der Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung entwickelt, wonach das urheberrechtliche Verbreitungsrecht in der gesamten Gemeinschaft verbraucht wird, wenn der Berechtigte wenigstens in einem Mitgliedstaat der Veräußerung eines Vervielfältigungsstückes zugestimmt hat. Eine territoriale Aufspaltung des Gebiets der Gemeinschaft in Bezug auf das Verbreitungsrecht ist also unwirksam, nicht jedoch im Verhältnis zu Drittstaaten.388 Dieses urheberrechtliche Prinzip soll einen Interessenausgleich schaffen zwischen den Interessen des Urhebers sowie der Eigentümer von rechtmäßig erworbenen Vervielfältigungs381 382 383
Vgl Piper/Ohly/Ohly Einf C Rn 65. Zu den Problemen des anwendbaren Rechts vgl Henning-Bodewig GRUR 2004, 822 ff. Meinungsstand zur Fernsehrichtlinie vgl Sack WRP 2002, 271 ff; Harte/Henning/ Glöckner Einf C Rn 10; Halfmeier ZeuP 2001, 837 ff; der EuGH geht nicht von der Anwendbarkeit des Rechts des Herkunftslandes aus, vgl EuGH GRUR Int 1997, 913 ff – de Agostini; Meinungsstand zur E-Commerce-Richtlinie vgl Mankowski GRUR Int 1999, 909 ff; Fezer/Hausmann/ Obergfell Einf I, Rn 123 ff; Ohly GRUR Int 2001, 899 ff; Sack WRP 2002, 271 ff;
384
385 386 387 388
Meinungsstand Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vgl Glöckner WRP 2005, 795 ff; Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311 ff. Weiterführend Baetzgen; vgl auch Deinert EWS 2006, 445 ff und Ohly WRP 2006, 1401 ff. Vgl Piper/Ohly/Ohly Einf C, Rn 66, 70 ff; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff. Brömmelmeyer GRUR 2007, 295, 300. Vgl oben Rn 25 ff. Walter/Walter Stand der Harmonisierung Rn 59, 64 f; Gaster GRUR Int 2000, 571.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
stücken eines Werkes. Die Erschöpfung bezieht sich jedoch nicht auf das Werk oder den Schutzgegenstand an sich, sondern nur auf das jeweils veräußerte Vervielfältigungsstück. Der Verbrauch des Verbreitungsrechts durch Erschöpfung hat zur Folge, dass rechtmäßig erworbene Vervielfältigungsstücke weitergegeben, insbesondere verkauft, getauscht oder verschenkt werden dürfen.389 Im medienrechtlichen Sekundärrecht ist der europäische Erschöpfungsgrundsatz in Art 4 der Computerprogramm-Richtlinie RL 91/250 EWG, in Art 5c) und/Abs 2 der Datenbankrichtlinie RL 96/9/EG, in Art 9 Abs 2 der Vermiet- und Verleih-Richtlinie RL 92/100/EWG sowie in Art 4 Abs 2 der InformationsgesellschaftsRichtlinie RL 2001/29/EG vorgesehen. Der Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung wurde für den europäischen Gesetzgeber mit den ersten urheberrechtlichen Richtlinien relevant, der EuGH hatte den Grundsatz jedoch bereits zuvor im Hinblick auf Art 28 EGV und Art 30 EGV entwickelt.390 Mit der Regelung der Informationsgesellschafts-Richtlinie, die sich auf sämtliche Werkkategorien erstrecken soll, ist die horizontale Wirkung des Prinzips der gemeinschaftsweiten Erschöpfung zusätzlich klargestellt.391
II. Sekundärrecht 1. Geistiges Eigentum
209
a) Urheberrecht und Recht der Verwertungsgesellschaften. Die Harmonisierung des Urheberrechts ist bislang weitgehend durch Richtlinien erfolgt. Dabei ist die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Rechtsetzung in Bezug auf das geistige Eigentum beschränkt. Mangels spezieller Regelungsgrundlage nach EGV wurden die einzelnen von der Gemeinschaft auf diesem Gebiet erlassenen Richtlinien mit einem Harmonisierungsbedürfnis begründet, um den Binnenmarkt zu ermöglichen bzw jegliche Störungen des Binnenmarktes zu vermeiden (Art 95 EGV).392 Dadurch ist der Grad der Harmonisierung durch die Richtlinien stets ausgerichtet an den Auswirkungen der verschiedenen Rechte und Ausnahmen auf den Binnenmarkt. Gem den Prinzipien der Subsidiarität und Proportionalität, wie in Art 5 Abs 2, 3 EGV niedergelegt, ist den Mitgliedstaaten dabei soviel Freiraum wie möglich zu lassen und dabei soviel Harmonisierung wie nötig vorzuschreiben.393 Vor dem Hintergrund des technologischen Fortschritts und der damit anwachsenden 210 Möglichkeit der globalen Vermarktung von Medienprodukten und -dienstleistungen hat die Europäische Gemeinschaft unter Berufung auf die Erfordernisse des Binnenmarktes eine Reihe von Richtlinien geschaffen, die zwar bereichsspezifische Regelungen treffen, jedoch nicht umhin kommen, auch allgemeine, urheberrechtliche Fragestellungen zumindest in ihrem Regelungsbereich zu beantworten.394 Die Aktivitäten der Gemeinschaft gehen auf das von der Kommission bereits 1988 vorgelegte „Grünbuch über Urheber-
389 390
Walter/Walter Stand der Harmonisierung Rn 35 ff. EuGH GRUR Int 1971, 450 – Polydor; EuGH GRUR Int 1981, 229 – Gebührendifferenz II; zur Erschöpfung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe vgl EuGH GRUR Int 1980, 602 – Coditel I; zur Ausnahme beim Vermiet- und Verleihrecht vgl EuGH GRUR Int 1989, 668 – Warner Brothers/ Christiansen.
148
391 392
393 394
Vgl Rn 242 ff. Ausf zur Rechtsgrundlage der einzelnen Richtlinien Würfel 144 ff; vgl auch Roßnagel/Scheuer MMR 2005, 274. Reinbothe GRUR Int 2001, 734. Zu einigen, materiellen, Urheberrechtsfragen, die sich aus den horizontalen Wirkungen der ergangenen Richtlinien ableiten, Würfel 165 ff.
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§6
Privates europäisches Medienrecht
recht und technologische Anforderungen“ 395 zurück. Im Nachgang und ergänzend zum Grünbuch hat die Kommission am 17.1.1991 ein „Arbeitsprogramm auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte“ vorgelegt 396, in welchem sich die Kommission nicht nur auf das Ziel der Vereinheitlichung des bestehenden Urheberrechtsschutzes beruft, sondern sich auch für eine Anhebung des Schutzniveaus des Urheberrechts ausspricht, um die Gegenwart und Zukunft der schöpferischen Tätigkeit der Urheber, Unternehmen des Kultursektors, der Verbraucher und letztlich der ganzen Gesellschaft zu sichern“.397 Zu den sich mit der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft aufgeworfenen Fragen legte die Kommission schließlich 1995 das Grünbuch „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ 398 vor, und gab einen Ausblick auf die weiteren, technologiebedingten Harmonisierungsbemühungen auf dem Gebiet des Urheberechts. Die im Folgenden skizzierten, bisher ergangenen Europäischen Richtlinien bilden somit 211 ein urheberrechtliches acquis communautaire ,399 welches seit 2004 Gegenstand einer umfassenden Überprüfung durch die Europäische Kommission ist, mit dem Ziel, eine weitergehende Kohärenz zwischen den einzelnen Rechtsinstrumenten zu schaffen und das gesamte Regelwerk zu vereinfachen.400 2006 hat die Kommission ein erstes Arbeitsprogramm für eine Reform der Urheberrechtsvergütungen vorgelegt.401 aa) Computerprogramm-Richtlinie (RL 91/250 EWG). Mit den rasanten technischen 212 Entwicklungen in der Computertechnologie und den sich damit bereits abzeichnenden nahezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie stellte sich bereits 1991 das Erfordernis, einheitliche Rahmenbedingungen für den Schutz von den Computerprogrammen zu schaffen. Mit der Computerprogramm-Richtlinie (CPRL) 402 verfolgte die Europäische Kommission die Einführung einer einheitlichen Schutzschwelle für Computerprogramme 403 und führte einen Rechtsschutz auch in den Mitgliedstaaten ein, in welchen ein solcher Schutz noch nicht eindeutig gegeben war. Als erste Richtlinie mit urheberrechtlicher Relevanz behandelt die Computerprogramm-Richtlinie erstmals auch klassische Fragen des Urheberrechts auf Gemeinschaftsebene, wie die Frage nach dem Urheberbegriff und der Definition von Werken im urheberrechtlichen Sinn. Die Richtlinie wurde in Deutschland durch das 2. UrhGÄndG vom 9.6.1993 404 umgesetzt.
395 396 397 398 399
KOM (1988), 172 endg. KOM (1990), 584 endg. KOM (1990), 584 endg. KOM (1995), 382 endg. Krit dazu Riesenhuber/Reinbothe 84, der im bestehenden acquis communautaire keine strukturelle Vorgehensweise der Gemeinschaft sieht – wie im Grünbuch von 1988 initiiert –, sondern lediglich das Ergebnis von Einzelmaßnahmen im Hinblick auf den Binnenmarkt.; vgl weiterführend auch Reinbothe FS Schricker 2005, 483 ff und Reinbothe EWS 2007, 193; anders Kreile/Becker GRUR Int 1994, 904, die gerade in der bereichsspezifischen Vorgehensweise der Kommission und der Zusammenführung einer Vielzahl von Einzellösungen zu einem Gesamtkonzept das Geheimnis der europäischen Integration sehen; vgl auch Loewen-
400
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402
403 404
heim GRUR Int 1997, 285; weiterführend Gundel ZUM 2007, 603. Das Arbeitspapier der Kommission kann abgerufen werden unter http://ec.europa.eu/ internal_market/copyright/review/review_de. htm; dazu Roßnagel/Scheuer MMR 2005, 274; im Einzelnen zu den vergleichbaren Richtlinienvorschriften, die unterschiedlich behandelt werden, Würfel 155 ff. http://ec.europa.eu/internal_market/ copyright/levy_reform/index_de.htm: Proposal: Fair compensation for private copying: copyright levies reform. Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computer-Programmen, ABlEG 1991 L 122 42. Riesenhuber/Reinbothe 85. BGBl 1993 I S 910, in Kraft getreten am 24.6.1993.
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1. Teil
213
Die Richtlinie bestimmt, dass Computerprogramme „urheberrechtlich als literarische Werke“ im Sinne der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) geschützt sind (Art 1 Abs 1 S 1 der CPRL). Die urheberrechtliche Schutzschwelle ist bereits erfüllt, wenn es sich um eine „eigene geistigen Schöpfung“ handelt (Art 1 Abs 3 CPRL).405 Weitere Anforderungen, wie etwa qualitative („Schöpfungshöhe“) oder ästhetische Merkmale eines Computerprogramms dürfen nach der Richtlinie nicht aufgestellt werden, um ein Computerprogramm als schutzfähig anzusehen.406 Geschützt werden damit Programme aller Ausdrucksformen, einschließlich des Entwurfsmaterials (Art 1 Abs 1 S 2, Abs 2 S 1 CPRL). Nicht geschützt sind jedoch die einem Computerprogramm zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze (Art 1 Abs 2 S 2 CPRL).407 Ergänzend und auch ausgleichend im Interessenkonflikt zwischen Rechtsinhaber und 214 Nutzer 408 definiert die Richtlinie den Schutzumfang von Computerprogrammen neu, indem sie spezifische Schranken für den Schutz von Computerprogrammen vorsieht. So werden bspw bestimmte Bearbeitungen und Vervielfältigungen durch die Nutzer als Handlungen eingestuft, die keiner Zustimmung des Rechtsinhabers bedürfen, sofern sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung 409 des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber beziehungsweise die Einrichtung der Interoperabilität des Computerprogramms notwendig sind (Art 5 und 6 CPRL – Dekompilierung). Gleichzeitig gibt sie die Notwendigkeit der Schaffung besonderer, geeigneter Schutzmaßnahmen vor, um dem unerlaubten Kopieren und Verbreiten von Computerprogrammen wirksam zu begegnen (Art 7 CPRL). Neben der abgesenkten Schutzschwelle für Computerprogramme trägt die Richtlinie 215 ferner auch den wirtschaftlichen Bedingungen der Entstehung bzw Schöpfung von Computerprogrammen Rechnung. Diese stellen in der Regel das Ergebnis von komplexen Entwicklungsschritten dar, welche insbesondere regelmäßig von mehreren, auf die einzelnen Entwicklungsschritte spezialisierten Experten geschaffen werden. Die Richtlinie trifft entsprechend Festlegungen zu einer möglichen Rechteinhaberschaft und erkennt ausdrücklich auch Personengruppen als „Urheber“ an (Art 2 Abs 1 Hs 1 CPRL),410 wobei diesen die Rechte daran dann gemeinsam zustehen (Art 2 Abs 2 CPRL). Ebenso können nach der Richtlinie auch juristische Personen als Urheber angesehen werden, wenn diese nach dem mitgliedstaatlichen Recht als Rechtsinhaber gelten. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Regelung der Rechteinhaberschaft 216 an Computerprogrammen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geschaffen werden: Wurde ein Computerprogramm von einem Arbeitnehmer in Wahrung seiner Aufgaben oder nach Anweisungen des Arbeitgebers geschaffen, so ist ausschließlich der Arbeitgeber zur Ausübung aller wirtschaftlichen Rechte an dem geschaffenen Programm berechtigt, es sei denn es liegt eine abweichende Vereinbarung vor (Art 2 Abs 3 CPRL). Ob mit
405 406
Walter/Walter Software RL Art 1 Rn 13 ff. Diese Absenkung der Schutzschwelle überwand die bis dahin ständige Rechtsprechung in Deutschland, wonach Computerprogramme grds zwar als urheberrechtlich schutzfähig angesehen, jedoch die Schutzanforderungen sehr hoch angesetzt wurden. Der BGH verlangte in einem zweistufigen Prüfungsverfahren einerseits einen Abgleich des Computerprogramms mit vorbekannten
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407 408 409 410
Programmen, um sodann für die Schutzfähigkeit zu fordern, dass „schöpferische Eigenheiten gegenüber dem Vorbekannten“ vorliegen. BGH GRUR 1985, 1041, 1047 – Inkasso-Programm. Walter/Walter Software RL Art 1 Rn 26 ff. Riesenhuber/Reinbothe 85. Walter/Blocher Software RL Art 5 Rn 6, 23 ff. Walter/Walter Software RL Art 2 Rn 7 ff.
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dieser Regelung eine Definition des Urhebers erfolgen sollte oder ob lediglich eine Übertragungsvermutung der wirtschaftlichen Rechte vorliegt, ist nach der Richtlinie nicht ganz klar. Entscheidend für die Auslegung können hier die gesetzlichen Vergütungsansprüche der Urheber von Computerprogrammen sein, wenngleich es zweifelhaft erscheint, ob dem Arbeitnehmer-Urheber tatsächlich auch die Vergütungsansprüche „genommen“ oder lediglich dem Arbeitgeber die ungehinderte Verwertung des Computerprogramms ermöglicht werden sollte.411 bb) Vermiet- und Verleih-Richtlinie (RL 92/100/EWG) in der Fassung der RL 115/ 2006/EG. Auch die Vermiet- und Verleihrichtlinie (VVRL) 412 entstand 1992 vor dem Hintergrund der erweiterten Kapitalisierungsmöglichkeiten von bespielten Bild- und/oder Tonträgern über global wirkende neue Technologien. Die Möglichkeiten dieser Technologien verlangten nach einheitlichen Regelungen zum Vermiet- und Verleihrecht, um Handelsschranken und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Gleichzeitig wurde eine länderübergreifend wirksame Bekämpfung der Produktpiraterie erforderlich, welche mit den neuen technologischen Möglichkeiten neuen Aufschwung gewann. Die VVRL wurde in Deutschland mit dem 3. UrhGÄndG vom 23.6.1995 413 umgesetzt. Die VVRL widmet sich erneut den klassischen Regelungsgegenständen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte. Aus den Erwägungsgründen zur Richtlinie wird erstmals besonders deutlich, dass sich die Intention der Europäischen Rechtssetzung von einem rein industriellpolitischen Ansatz entfernt 414 und dem angemessenen Schutz von urheberrechtlichen Werken eine grundlegende wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft zuschreibt.415 Ohne den Werkbegriff explizit definieren zu wollen, deklariert die Richtlinie das Vermiet- und Verleihrecht als ausschließliches Recht, welches sowohl Urhebern als auch ausübenden Künstlern, Tonträgerherstellern, und Filmherstellern zusteht (Art 3 Abs 1 VVRL). Damit geht die Richtlinie generell von der Schutzfähigkeit von Tonaufnahmen und Filmwerken aus, ohne Dispositionsmöglichkeit für die Mitgliedstaaten.416 Durch einen Verweis auf Computerprogramme (Art 4 VVRL) wird ferner die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Software bestätigt. Mit der vollwertigen Einbeziehung der ausübenden Künstler sowie der Tonträger- bzw Filmhersteller in den Kreis der ausschließlichen Rechteinhaber hebt die Richtlinie den bis dahin geltenden Schutzstandard merklich an.417 Das Vermietrecht ist als Verbotsrecht und nicht als Vergütungsanspruch konzipiert worden.418 Da davon auszugehen war, dass sich die Produzenten von Filmwerken und Tonträgern das Vermietrecht regelmäßig einräumen lassen würden, führte die Richtlinie ein weiteres Instrument ein als Ausgleich zwischen den Interessen der Produzenten einerseits und den Beteiligungsinteressen der Urheber und der ausübenden Künstler anderer-
411 412
Krit Riesenhuber/von Lewinski 220. Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19.11.1992 zum Vermiet und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABlEG 1992, L 346 S 61, zuletzt geändert durch die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zum Vermiet- und Verleihrecht, GRUR Int 2007, 219 ff; [Anm d Verf: Angesichts der kürzlichen Änderungen, die zu einer neuen Nummerierung der Artikel
413 414 415 416 417 418
der Richtlinie führten, kann die zitierte Literatur noch Verweise auf die alten Artikel der Richtlinie enthalten.]. BGBl 1995 I S 842, in Kraft getreten am 30.6.1995. Würfel 142. Erwägungsgründe 1 bis 7 zur Richtlinie. Riesenhuber/Riesenhuber 133, 146. Eingehend Walter/von Lewinski VVRL Art 2 Rn 1 ff. Vgl Loewenheim GRUR 1997, 286.
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seits: den unverzichtbaren Anspruch der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung für die Vermietung (Art 5 Abs 1 und Abs 2 VVRL). Dieser Vergütungsanspruch kann (muss jedoch nicht) laut Richtlinie auf Verwertungsgesellschaften, die Urheber oder ausübende Künstler vertreten, übertragen und von diesen geltend gemacht werden (Art 5 Abs 3 VVRL).419 Mit der Unverzichtbarkeit auf das Recht auf angemessene Vergütung führte die Richtlinie erstmals eine Regelung zur Beschränkung der Vertragsfreiheit im Urhebervertragsrecht ein.420 Die Rechteinhaber können zwar das Vermietrecht auf den Produzenten übertragen, behalten jedoch ihren Vergütungsanspruch. Ziel dieser Bestimmung war, neben dem oben genannten Interessenausgleich auch das regelmäßig vorhandene Ungleichgewicht in den typischen Vertragsverhältnissen zwischen Urhebern/ausübenden Künstlern und Produzenten auszugleichen.421 Jedoch erreicht die Richtlinie den Interessenausgleich und die Aufhebung des Ungleichgewichts nicht ganz. Ohne konkrete Bestimmungen zur Umsetzung dieser Garantie einer angemessenen Vergütung für die Vermietung wird das beschriebene Ungleichgewicht lediglich abgemildert. Ein tatsächlicher Ausgleich erfordert auch zwingende Vergütungssätze, zumindest jedoch eine zwingende kollektive Wahrnehmung der Vergütungsansprüche bspw durch eine Verwertungsgesellschaft, welche dann einheitliche (und nicht verhandelbare) Verwertungstarife festlegen kann. Ohne kollektive Bündelung der Interessen aller Urheber/ausübenden Künstler bleibt die Bestimmung der angemessenen Vergütung weiterhin im ungleichen Verhältnis zwischen Urheber/ausübender Künstler und Produzent angesiedelt.422 Für den Filmbereich beinhaltet die Richtlinie eine weitere wichtige Regelung: Für aus221 übende Künstler ist eine zwingende Übertragungsvermutung für das Vermietrecht bei Abschluss eines Vertrages mit einem Filmhersteller über eine Filmproduktion statuiert (Art 3 Abs 4 VVRL). Den Mitgliedstaaten steht offen, ob die Übertragungsvermutung mangels entgegenstehender Vertragsbestimmungen eintritt (Art 3 Abs 4 VVRL) oder ob die Ermächtigung zur Vermietung bereits mit Unterzeichnung eines Vertrages über die Mitwirkung an einer Filmproduktion konkludent erteilt wird (Art 3 Abs 6 VVRL). Die Übertragungsvermutung setzt lediglich voraus, dass der Vertrag für den ausübenden Künstler eine angemessene Vergütung iSd Art 5 VVRL vorsieht.423 Während diese Übertragungsvermutung für die ausübenden Künstler zwingend vorgeschrieben ist, stellt es die Richtlinie (Art 3 Abs 5 VVRL) den Mitgliedstaaten frei, eine ähnliche Regelung auch für Urheber vorzusehen – freilich nur in demselben Umfang (nur für Filmwerke und Vermietrecht) und unter den gleichen Voraussetzungen (angemessene Vergütung). Bei der Ausgestaltung des Verleihrechts gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen 222 größeren Spielraum. Sie erlaubt den Mitgliedstaaten, Ausnahmeregelungen zum ausschließlichen Verleihrecht zu treffen, insbesondere in Bezug auf Tonträger, Filme und Computerprogramme. Das Verleihrecht muss entsprechend nicht als ausschließliches Verbotsrecht konzipiert werden, sondern kann subsidiär auch durch die Statuierung eines gesonderten Vergütungsanspruches zumindest für Urheber ausgestaltet werden (Art 6 Abs 1 und 2 VVRL) .424 Damit versucht die Richtlinie wiederum einen Interessenausgleich zwischen Verwertern und Urhebern zu schaffen, findet jedoch nur einen unbefriedigenden Kom-
419
420 421 422
Weiterführend zur Entstehung und zum Ziel des Interessenausgleiches der VVRL s Reinbothe/von Lewinski EC Directive, 4 f. Riesenhuber/von Lewinski 223. Walter/von Lewinski VVRL Art 4 Rn 15. Krit auch Riesenhuber/von Lewinski 224, 230.
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423 424
Weiterführend zur Entstehung dieser Regelung Riesenhuber/von Lewinski 221 ff. Zur „Bibliothekstantieme“ vgl Walter/ von Lewinski VVRL Art 5 Rn 8, 9.
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promiss, solange ausübende Künstler unberücksichtigt bleiben können und auch keine zwingenden Vorschriften zur Festsetzung der gesonderten Vergütung vorgesehen sind.425 Für das Verleihrecht ist der unverzichtbare Vergütungsanspruch aus Art 5 Abs 2 VVRL zudem nicht anwendbar.426 Ebenfalls von Bedeutung ist Art 1 Abs 2 VVRL, wonach klargestellt wird, dass sich 223 das Vermiet- und das Verleihrecht an Originalen und Vervielfältigungsstücken von urheberrechtlich geschützten Werken nicht durch Veräußerung und darauf bezogene Verbreitungshandlungen erschöpft.427 Nach Art 9 Abs 2 VVRL erschöpft sich lediglich das Verbreitungsrecht der Leistungsschutzberechtigten, jedoch „nur mit dem Erstverkauf des Gegenstandes in der Gemeinschaft durch den Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung“. Mit diesem Prinzip der gemeinschaftsweiten Erschöpfung wurde zugleich auch eine internationale Erschöpfung abgelehnt, so dass Veräußerungsgeschäfte außerhalb der EU und des EWR nicht zur Erschöpfung des Verbreitungsrechts der Leistungsschutzberechtigten führen. Die Rechteinhaber sollten somit berechtigt werden, Parallelimporte aus Drittländern zu unterbinden.428 Schließlich regelt die Richtlinie bestimmte verwandte Schutzrechte im Bereich des 224 geistigen Eigentums und harmonisiert die Verwertungsrechte in körperlicher Form für ausübende Künstler, Tonträger- und Filmhersteller sowie Sendeunternehmen einschließlich Kabelsendeunternehmen (sog „Europäische Leistungsschutzrechte“, Art 7–9 VVRL).429 Die Richtlinie hat die im ROM-Abkommen 430 berücksichtigten Rechteinhaber sowie das Leistungsschutzrecht der Filmhersteller harmonisiert, geht jedoch in vielen Punkten über den Schutzstandard des ROM-Abkommens hinaus. Nach den letzten Änderungen durch die InfoRL enthält die Richtlinie folgende Bestimmungen: Für ausübende Künstler und Sendeunternehmen ist ein ausschließliches Aufzeichnungsrecht vorgesehen. Das ausschließliche Verbreitungsrecht wird ausübenden Künstlern in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen, Tonträgerherstellern, Filmherstellern und Sendeunternehmen eingeräumt. Ein Vergütungsrecht für die Zweitnutzung von Tonträgern zum Zwecke der Sendung und öffentlichen Wiedergabe steht sowohl Künstlern als auch Tonträgerherstellern zu. Ausübenden Künstlern und Sendeunternehmen steht das ausschließliche Recht zu, die Weitersendung sowie öffentliche Wiedergabe ihrer Darbietungen beziehungsweise Sendungen zu erlauben oder zu verbieten. cc) Satelliten- und Kabel-Richtlinie (RL 93/83/EWG). Die Satelliten- und Kabelricht- 225 linie von 1993 431 entstand im Zuge der Abspaltung des urheberrechtlichen Teils der Richtlinie 89/552/EWG zum Fernsehen ohne Grenzen.432 Die Richtlinie sollte der Rechtsvereinheitlichung in dem wirtschaftlich und kulturpolitisch wichtigen Bereich des grenz-
425 426 427 428 429 430
Riesenhuber/Reinbothe 87. Vgl Reinbothe/von Lewinski EC Directive, 68 ff. Vgl dazu EuGH GRUR Int 1998, 878 ff – Videogrammdistributor/Laserdisken. Von Hartlieb/Schwarz/Mielke/Schwarz 576 Rn 3. Eingehend Walter/von Lewinski VVRL Art 6–10. Internationales Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (ROM-Abkommen) vom 26.10.1961; zur
431
432
Entstehung des Abkommens Ulmer GRUR Int 1961, 569 ff. Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABlEG 1993 L 248, 15. Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABlEG 1989 L 298, 23.
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überschreitenden Rundfunks über Satellit und Kabel dienen und einen einheitlichen audiovisuellen Raum schaffen. Die Richtlinie wurde in Deutschland mit dem 4. UrhGÄndG vom 8.5.1998 433 umgesetzt. Auch diese Richtlinie definiert keinen eigenen Werkbegriff, sondern setzt einen solchen 226 in Mitgliedstaaten voraus. Wie schon in der VVRL wird die Schutzfähigkeit von Filmwerken und audiovisuellen Werken vorausgesetzt (Art 1 Abs 5 SKRL). Bei der Definition der Rechteinhaber für das Satelliten-Senderecht berücksichtigt die Richtlinie bereits getroffene, gemeinschaftsrechtliche Regelungen: So steht das Satelliten-Senderecht nach der Richtlinie nur den Urhebern zu (Art 2 SKRL). Für die ausübenden Künstler, Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen bestimmt sich das Satelliten-Senderecht bereits nach den Vorschriften der Vermiet- und Verleihrichtlinie (Art 4 und 2 SKRL iVm Art 8 Abs 1, 2 und 3 VVRL).434 Das KabelweiterverbreitungsR wird für Urheber und Leistungsschutzberechtigte bzgl Rundfunksendungen als ausschließliches Recht gewährt.435 Die Regelungen über die Kabelweiterverbreitung beziehen sich nur auf grenzüberschreitende Weiterverbreitung, so dass die Regelung der Kabelweiterverbreitung innerhalb eines Landes den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Ferner sind die Mitgliedsaaten verpflichtet, Urhebern ein ausschließliches Recht zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke über Satellit zu gewähren (Art 2 SKRL).436 Für Leistungsschutzberechtigte verweist die Richtlinie hinsichtlich des Satelliten-Senderechts auf den ausschließlichen Rechtsschutz aus der Vermiet- und Verleihrichtlinie (Art 4 SKRL). Eine zentrale Regelung ist die zwingende kollektive Rechtewahrnehmung des Kabel227 weiterverbreitungsrechts (Art 9 Abs 1 SKRL) hinsichtlich der Rechte der Urheber und ausübenden Künstler aus der Kabelweiterleitung ihrer Werke.437 Im Vordergrund dieser Bestimmung stand jedoch nicht das Ziel, die Urheber und ausübenden Künstler als schwächere Vertragspartei gegenüber den Verwertern zu stärken. Regelungsziel der Richtlinie war einerseits festzuschreiben, dass der Erwerb der Kabelweitersendungsrechte auf vertraglicher Grundlage beruht. Zum anderen erforderte die Anerkennung des ausschließlichen Kabelweitersendungsrechts für Urheber und Leistungsschutzberechtigte durch den EuGH,438 wonach diese Rechte eine nach dem EG gerechtfertigte Handelsschranke darstellen, die Einführung einer Zwangslizenz, um den freien Dienstleistungsverkehr zu gewährleisten.439 Die Pflicht zur kollektiven Rechtewahrnehmung beruht auf der Überlegung, dass die Kabelweitersendungsunternehmen die Weiterleitungsrechte von einer Vielzahl einzelner Rechteinhaber benötigen, die sich schon allein deshalb nicht feststellen lassen, weil die Kabelsendeunternehmen über den Inhalt der von ihnen weitergeleiteten Programme keine oder nur kurzfristige Informationen erhalten.440 Ergänzend enthält die Richtlinie eine Außenseiterregelung.441 Diese Regelung beinhaltet eine Fiktion, wonach eine Verwertungsgesellschaft, die Rechte der gleichen Art wahrnimmt, auch dann als wahrnehmungsberechtigt gilt, wenn ein Rechteinhaber seine Rechte aus Kabelweiterleitung dieser Verwertungsgesellschaft nicht übertragen hat (Art 9 Abs 2 SKRL). Die Fik-
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BGBl 1998 I S 902. In Kraft getreten am 1.6.1998. Eingehend zum Senderecht Walter/Dreier/ Walter SKRL Art 2, 3. Walter/Dreier/Walter SKRL Art 8 Rn 3. Zur Abgrenzung zum urheberrechtsfreien Empfang vgl EuGH GRUR Int 2000, 548 ff – SatKabel-RL/Hotelzimmer.
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437 438 439 440 441
Weiterführend hierzu Dreier ZUM 1995, 458 ff. EuGH GRUR Int 1980, 602 ff – Coditel I; GRUR Int 1983, 175 ff – Coditel II. Riesenhuber/von Lewinski 226, 227. Vgl Loewenheim GRUR Int 1997, 286. Walter/Dreier/Walter SKRL Art 9 Rn 7.
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tion gilt in diesem Fall auch zugunsten des Rechteinhaber, der insbesondere hinsichtlich seiner Vergütungsansprüche die gleichen Rechte gegen die Verwertungsgesellschaft geltend machen kann, wie die per Wahrnehmungsvertrag gebundenen Rechteinhaber (Art 9 Abs 2 S 3 SKRL). Damit bleibt das Kabelweiterverbreitungsrecht für Urheber und ausübende Künstler nur noch auf dem Papier als ausschließliches Recht bestehen. Denn im Ergebnis bedarf es für eine Kabelweiterverbreitung aufgrund der Verwertungsgesellschaftspflicht sowie der Außenseiterregelung weder der Einholung der Erlaubnis vom Rechteinhaber, noch einer Mitgliedschaft des Rechteinhabers in der Verwertungsgesellschaft.442 Für Sendeunternehmen, die Rechte in Bezug auf ihre eigenen Sendungen geltend machen, begründet die Richtlinie ausdrückliche keine Verwertungsgesellschaftspflicht, da hier eine Behinderung des Dienstleistungsverkehrs nicht droht (Art 10 SKRL).443 Für die Satellitenweitersenderechte begründet die Richtlinie keine Zwangslizenz – je- 228 doch eine andersartige, bedeutsame Fiktion des Nutzungslandes (Art 1 Abs 2d) SKRL). Als zentrale Regelung der Richtlinie wird die Sendelandtheorie verankert, die besagt, dass eine öffentliche Wiedergabe über Satellit nur in dem Mitgliedstaat stattfindet, in dem die „programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt“. Damit kommt es – in Abkehr von der sog „Bogsch-Theorie“ 444 – für die Nutzung bzw die Nutzungserlaubnis nicht mehr auf den Empfang einer Satellitensendung in den verschiedenen Mitgliedstaaten an. Findet eine öffentliche Wiedergabe über Satellit in einem Drittstaat statt, so gilt diese Wiedergabe als in einem Mitgliedstaat erfolgt, wenn die programmtragenden Signale von einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Erdfunkstation an den Satelliten geleitet wurden. Ebenso verhält es sich, wenn zwar weder die Wiedergabe noch die Erdfunkstation in einem Mitgliedstaat stattfindet bzw stationiert ist, jedoch ein in einem Mitgliedstaat niedergelassenes Senderunternehmen die öffentliche Wiedergabe in Auftrag gegeben hat. Diese Regelungen haben die möglichst weite und unbeschränkte Verbreitung von Sendungen zum Ziel, ohne dass von den Satellitenunternehmen auch die Nutzungsrechte für die intendierten Ausstrahlungsgebiete zu erwerben wären.445 Gleichzeitig soll die Sendelandtheorie auch verhindern, dass Anbieter in Drittländer mit geringerem Schutzniveau abwandern.446 Für Rechteinhaber ist die Sendelandtheorie schließlich von besonderer Relevanz, denn sie haben nach der erstmaligen Vergabe des Rechts zur Satellitensendung später keine rechtliche Möglichkeit mehr zu verhindern, dass ihre Werke überall in der Reichweite der Satellitenausstrahlung empfangen werden können. Rechteinhaber müssten daher bereits bei der ersten Vergabe des Rechtes eine angemessene Vergütung erzielen, ohne dass die Richtlinie hierfür verbindliche Regelungen oder eine Verwertungsgesellschaftspflicht statuiert.447 442
443 444
445
Walter/Dreier/Walter SKRL Art 9 Rn 7, 8; vgl EuGH, ZUM-RD 2006, 493 – UradexBRUTELE Weiterführend Walter/Dreier SKRL Art 3 Rn 1, 9. Zur „Bogsch-Theorie“ Walter/Dreier SKRL Art 1 Rn 12; krit zur Praktikabilität der Theorie auch Handig GRUR Int 2007, 210, 213 f. Nach der „Bogsch-Theorie“ wäre im Interesse der Rechteinhaber diese „DoppelLizenzierung“ erforderlich gewesen.
446 447
Krit zum Sendelandprinzip Handig GRUR Int 2007, 210 ff. Krit Kreile/Becker GRUR Int 1994, 910, die insbesondere auf das Fehlen einer festen Bezugsgröße für die Bemessung der Vergütung hinweisen, da sich aus den Erwägungsgründen lediglich ergibt, dass bei der Vereinbarung einer angemessenen Vergütung auch die „potenzielle Einschaltquote“ betrachtet werden soll, ohne den Begriff Einschaltquote zu definieren.
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Da die üblichen Verwertungsverträge, insbesondere Koproduktionsverträge vor Verabschiedung der Richtlinie territorial aufgespaltene Auswertungsregelungen vorsahen, schaffte die Richtlinie Übergangsbestimmungen, bis die neue Rechtslage zwingend zu beachten war (Art 7 SKRL). Hinsichtlich der Rechte der Leistungsschutzberechtigten finden die Regelungen erst für Nutzungshandlungen nach dem 1.1.1995 Anwendung (Art 14 Abs 1 SKRL). Verwertungsverträge über Werke und andere geschützte Gegenstände, welche vor dem 1.1.1995 abgeschossen wurden, sind bis zum 1.1.2000 von dem Sendelandprinzip der Richtlinie ausgenommen.448 Wie aufgezeigt, nimmt die Richtlinie sowohl im Bereich des Satellitenrundfunks als 230 auch der Kabelweiterverbreitung weitgehende Einschränkungen des Urheberrechts im Interesse ihrer übergeordneten, medienpolitischen Ziele hin, so dass die Modelle der Richtlinie nicht ohne weiteres auf andere urheberrechtliche Regelungsbereiche anwendbar sein können,449 insbesondere auch, weil die Praxis noch erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit den neuen Vorschriften der Richtlinie zeigt.450
231
dd) Schutzdauer-Richtlinie (RL 93/98/EWG) in der Fassung der RL 116/2006/EG. Die 1993 erlassene Schutzdauer-Richtlinie (SDRL) 451 gehört zu den wichtigsten Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Urheberrechts. Sie führte in allen Mitgliedstaaten die Vereinheitlichung der Schutzdauer für das Urheberrecht und die Leistungsschutzrechte ein und erweiterte damit die 50-jährige Mindestschutzdauer nach der Berner Übereinkunft, die nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung nicht mehr ausreichend war, um einen Schutz über zwei Generationen zu erfassen.452 Das Ziel der Richtlinie war es, eine wesentliche Grundlage zur Vereinheitlichung des Rechtsschutzes im Binnenmarkt zu schaffen.453 In Deutschland wurde die Richtlinie 1995 mit dem 3. UrhGÄndG vom 23.6.1995 454 umgesetzt. Die Richtlinie gibt verbindliche Schutzfristen vor: Für Urheber gilt der Schutz 70 Jahre 232 nach dem Tod des Urhebers (Art 1 Abs 1 SDRL) und für Leistungsschutzrechte 50 Jahre 448 449 450
Eingehend Walter/Dreier SKRL Art 7 Rn 8 ff. So auch Riesenhuber/Reinbothe 88. Vgl Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/83/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, KOM (2002) 430 endg, 2.2.1.: Hier konstatiert die Kommission, dass die Möglichkeiten der Sendelandprinzips nicht flächendeckend genutzt werden und dass ein wirtschaftliches Interesse der Sendeunternehmen an der Satellitenverbreitung ihrer Programme nicht mehrheitlich besteht, wodurch der Unionsbürger einerseits direkt in seinem täglichen Leben berührt wird und zugleich erhebliche negative Auswirkungen auf die kulturelle, sprachliche, soziale und wirtschaftliche Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft zu befürchten sind; zu den Schwierigkeiten in der tatsächlichen Umsetzung und Anwendung des in der Richtlinie verankerten
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451
452 453
454
Ursprungslandprinzips eingehend auch Würfel 158. Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABlEG 1993, L 290, 9, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006, ABlEG 2006, L 372, 12. So Erwägungsgrund 6 zur Richtlinie. Vorausgegangen war eine Entscheidung des EuGH vom 24.1.1989, wonach es mit dem EG unvereinbar war, wenn in einem Mitgliedstaat – aufgrund noch laufender Schutzfrist – ein Tonträger als unrechtmäßig hergestellt zu betrachten ist, obwohl der Tonträger in einem anderen Mitgliedstaat wegen bereits abgelaufener Schutzfrist rechtmäßig hergestellt worden ist – GRUR Int 1989, 319 – Schutzfristenunterschiede. BGBl 1995 I S 842. In Kraft getreten am 30.6.1995.
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nach Aufführung bzw Veröffentlichung der Aufzeichnung über die Aufführung (Art 3 Abs 1 SDRL). Für Filmhersteller gilt die 50-Jahre-Schutzfrist ab erstmaliger Aufzeichnung oder ab erstmaliger Wiedergabe, falls der Film nach der Aufzeichnung erlaubterweise öffentlich wiedergegeben wird (Art 3 Abs 3 SDRL). Die Rechte der Sendeunternehmen erlöschen 50 Jahre nach der Erstsendung (Art 3 Abs 4 SDRL). Auf das Urheberpersönlichkeitsrecht findet die Richtlinie ausdrücklich keine Anwendung (Art 9 SDRL).455 Die Schutzfristen gelten für alle Werke und Schutzgegenstände, die bis zum 1.7.1995 233 in mindestens einem Mitgliedstaat noch geschützt waren (Art 10 Abs 2 iVm Art 13 Abs 1 SDRL). Dies hat zur Folge, dass der durch Ablauf der bis dahin geltenden Schutzfristen in einem Mitgliedstaat erloschene Schutz am 1.7.1995 wiederauflebte, wenn das Werk oder der Schutzgegenstand zu diesem Datum in einem anderen Mitgliedstaat noch geschützt war.456 Die Richtlinie verankert in zweierlei Hinsicht die Notwendigkeit eines Schutzfristenvergleichs: Die neu festgesetzte Schutzdauer soll längere Schutzfristen, die am 1.7.1995 in einem Mitgliedstaat bereits liefen, nicht verkürzen (Art 10 Abs 1 SDRL).457 Im Verhältnis zu Drittländern soll die festgelegte Schutzdauer lediglich eine Maximalschutzdauer in der europäischen Gemeinschaft festlegen, ohne dass jedoch die Schutzdauer des Drittlandes, dessen Staatsangehörigkeit der Rechtsinhaber besitzt, überschritten wird (Art 7 SDRL).458 Zur Frage, wie Nutzungshandlungen zu bewerten sind, die im Vertrauen auf die 234 Gemeinfreiheit vor dem Wiederaufleben der Schutzfrist getätigt worden sind, stellt die Richtlinie den Grundsatz der Nichtrückwirkung auf, so dass solche Nutzungshandlungen unberührt bleiben sollen (Art 10 Abs 3 SDRL). Die Mitgliedstaaten sollen hierzu die notwendigen Bestimmungen treffen, um insbesondere die erworbenen Rechte Dritter zu schützen.459 Die Richtlinie verweist auf den Werkbegriff iSd Art 2 der Berner Übereinkunft und 235 sieht damit von einer allgemeinen Aussage zu diesem Begriff ab. Speziell erwähnt werden jedoch Filmwerke und Fotografien: Da die Rechtsinhaberschaft an Filmwerken in der Berner Übereinkunft offen gelassen und von den Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt wird, wird ein Filmwerk wieder – wie schon in den Richtlinien zuvor – explizit dem Hauptregisseur als Haupturheber zugeordnet (Art 2 Abs 1 SDRL). Die Mitgliedstaaten können nach der Richtlinie weitere Urheber als Miturheber eines Filmwerkes benennen. Damit lässt die Richtlinie die Frage nach der Filmurheberschaft weiter offen 460, selbst wenn sie eine weitere Bestimmung enthält, wonach die Schutzfrist für Filmwerke erst 70 Jahre nach dem Tod des Längstlebenden von folgenden Personen beginnt: Hauptregisseur, Ur-
455 456
457
Krit hierzu Dietz GRUR Int 1995, 677. Kreile/Becker GRUR Int 1994, 908; eingehend auch Dietz GRUR Int 1995, 681; zum Wiederaufleben der Schutzfristen in den Mitgliedstaaten im Vergleich Walter/ Walter Anh zu Art 10. Zum Schutzfristenvergleich unter Bezugnahme auf die Phil-Collins-Entscheidung des EuGH (GRUR Int 1994, 53), wonach das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art 12 EG auch im Urheber- und Leistungsschutzrecht anzuwenden ist; vgl auch
458 459 460
Walter/Walter SDRL Art 10 Rn 16–18; Dietz GRUR Int 1995, 680 ff; zur Regelung der Schutzdauer für DDR-Werke nach der Deutschen Wiedervereinigung vgl Katzenberger FS Schricker 2005 § 64 Rn 69. S auch Erwägungsgründe 22–24 zur Richtlinie. Zum Grundsatz der Wahrung wohlerworbener Rechte Dietz GRUR Int 1995, 683 f. So auch Riesenhuber/Riesenhuber 145; Dreyer/Kotthoff/Meckel § 64, Rn 17.
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heber des Drehbuchs, Urheber der Dialoge, Komponist der speziell für das Filmwerk/ audiovisuelle Werk komponierten Musik (Art 2 Abs 2 SDRL). Diese Aufzählung eines weiteren Personenkreises ist lediglich für eine einheitliche Schutzfristberechnung bestimmt, denn der Tod des Längstlebenden soll immer ausschlaggebend sein, unabhängig davon, ob dieser (von den Mitgliedstaaten) „als Miturheber benannt worden“ ist (Art 2 Abs 2 SDRL).461 Dennoch ist die Aufzählung abschließend, so dass andere, nach mitgliedstaatlichem Recht in Frage kommende Urheber eines Filmwerkes (zB Kameramann und Cutter nach deutschem Recht) für die Schutzfristberechnung keine Berücksichtigung mehr finden. Auch Fotografien werden explizit als urheberrechtlich geschützte Werke eingeordnet, 236 wenn sie das Ergebnis eigener geistiger Schöpfung der Urhebers sind, mit der Folge der Anwendbarkeit der für Urheber geltenden Schutzfrist (Art 6 S 1 SDRL). Andere Kriterien zur Bestimmung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Fotografien erlaubt die Richtlinie nicht – wie schon für Computerprogramme geschehen, wird auch hier für den speziell geregelten Bereich die Schutzschwelle herabgesenkt.462 Den Mitgliedstaaten bleibt anheim gestellt, ob sie den Schutz für andere Fotografien auch vorsehen – und damit die Schutzschwelle noch weiter absenken (Art 6 S 3 SDRL).463
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ee) Datenbankrichtlinie (RL 96/9/EG). Mit der im Jahr 1996 erlassenen Datenbankrichtlinie (DBRL) 464 sollte die Rechtsposition von Datenbankherstellern maßgeblich verbessert werden. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass Datenbanken als Mittel des Informationsmanagements angesichts der ständig steigenden Informationsflut unverzichtbar geworden sind, ihr Aufbau und Betrieb zugleich erhebliche persönliche, technische und finanzielle Investitionen der Hersteller erfordert.465 Gleichzeitig sind die Datenbankhersteller aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Gefahr ausgesetzt, dass die von ihnen mit hohen Investitionen entwickelten Datenbanken von Dritten zum Aufbau und Betrieb einer identischen und im Wesentlichen übereinstimmenden Datenbank übernommen werden, ohne dass diese vergleichbare Aufwendungen zu tragen hätten.466 Die DBRL wurde in Deutschland durch Art 7 des Informations- und Kommunikationsgesetzes vom 13.6.1997 eingeführt.467 Zunächst bedurfte es der Festlegung des Schutzes von Datenbanken, wobei sich die 238 Richtlinie hierbei – in Anknüpfung an die bereits in der Computerrichtlinie getroffenen Schutzvoraussetzungen – für die Anerkennung urheberrechtlichen Schutzes von Datenbanken entschied, sofern diese eine „eigene Schöpfung ihres Urhebers“ darstellen (Art 3 Abs 1 S 1 DBRL).468 Weitere Voraussetzungen für den Urheberrechtsschutz dürfen nicht aufgestellt werden (Art 3 Abs 1 S 2 DBRL). Geschützt wird nur die „Datenbank als solche“ und der Schutz erstreckt sich nicht auf ihren Inhalt (Art 3 Abs 2 DBRL). Wie in der
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Krit zum Versäumnis der Definition der Miturheberschaft Dietz GRUR Int 1995, 673, 675 f. Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 64 UrhG Rn 18; anders Riesenhuber/Riesenhuber 132, der in der Vorschrift gerade keine Absenkung der Schutzschwelle sieht sondern eine besondere Hervorhebung der Anforderung an die künstlerische und professionelle Qualität einer Fotografie sieht. Zum Hintergrund dieser Regelung Dietz GRUR Int 1995, 670, 677.
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Richtlinie 96/9/EWG des Parlaments und des Rates vom 11. 3. 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABlEG 1996, L 77 S 20. Erwägungsgrund 10 zur Richtlinie. Erwägungsgrund 38 zur Richtlinie. BGBl 1997 I S 1870. In Kraft getreten am 1.1.1998. Eingehend Walter/von Lewinski DBRL Art 3 Rn 7 ff.
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Computerprogramm-Richtlinie werden auch Gruppen von Urhebern anerkannt, sofern dies nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates anerkannt wird (Art 4 Abs 1 DBRL). Die rechtliche Ausgestaltung, wie mit der Urheberschaft von Arbeitnehmern umzugehen ist, überlässt die Richtlinie jedoch anders als die Computerprogramm-Richtlinie der Ausgestaltung der Mitgliedstaaten.469 Ergänzend verbürgt die Richtlinie den Herstellern von Datenbanken ein Recht sui 239 generis (Art 7 ff DBRL), welches unabhängig davon gegeben sein soll, ob die hergestellte Datenbank urheberrechtlichen Schutz genießt.470 Die Richtlinie verlangt lediglich, dass die Herstellung der Datenbank eine in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investition für die Beschaffung, die Überprüfung oder die Darstellung ihres Inhaltes erforderte (Art 7 Abs 1 DBRL).471 Wie für Computerprogramme sieht die Richtlinie zum Schutz der Urheber und der 240 Hersteller von Datenbanken eine Reihe von ausschließlichen Rechten vor (Art 5, 7 DBRL).472 Die starke Rechtsposition der Urheber und Datenbankhersteller wird jedoch wieder durch Schrankenregelungen ausgeglichen, die bei einem rechtmäßigen Datenbankbenutzer regelmäßig erforderlich sind, um Zugang zum Inhalt der Datenbank zu erhalten bzw die Datenbank bestimmungsgemäß zu nutzen (Art 6 Abs 3, 8 Abs 2, 3 DBRL). Die Nutzer sind gegenüber den Urhebern bzw den Datenbankherstellern wiederum verpflichtet, jede Schädigung oder Beeinträchtigung von Datenbanken zu unterlassen. Damit wird ein Drei-Stufen-Test verankert, der zu einem Ausgleich zwischen Nutzerinteresse und Schutzinteresse führen soll, und lediglich die „normale Nutzung“ von Datenbanken und damit eventuell verbundene urheberrechtlich relevante Handlungen erlauben soll. Sowohl die Rechte als auch die Pflichten der rechtmäßigen Nutzer sind vertragsfest 241 verbürgt (Art 15 iVm Art 6 Abs 1 und Art 8 DBRL), so dass abweichende vertragliche Bestimmungen nichtig wären. ff) Informationsgesellschafts-Richtlinie (RL 2001/29/EG) – sog Multimedia-Richt- 242 linie. Die Informationsgesellschafts-Richtlinie (InfoRL) 473 gehört zu den meist diskutierten urheberrechtlichen Richtlinien. Insbesondere die digitalen Technologien in der Informationsgesellschaft und die damit verknüpften globalen digitalen Netze erforderten auf Gemeinschaftsebene eine erneute Befassung mit zahlreichen, klassischen Problemen des Urheberrechts.474 Mit der Richtlinie wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber – wenn auch nur hinsichtlich einiger Aspekte 475 – einen building block für das Funktionieren der
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Erwägungsgrund 29 zur Richtlinie. Zum Schutzgegenstand eingehend Walter/von Lewinski DBRL Art 7 Rn 1 ff. Riesenhuber leitet aus diesem vom urheberrechtlichen Schutz unabhängigen Recht sui generis her, dass es bei der Beurteilung des Urheberrechts für Datenbanken in besonderem Maße auf die geistige Schöpfung des Urhebers ankommen müsse, vgl Riesenhuber/Riesenhuber 130. Zu den Rechten im Einzelnen Walter/von Lewinski DBRL Art 5 Rn 3 ff. Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des
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Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABlEG 2001, L 167, 10. Erwägungsgründe 5, 6 zur Richtlinie. Erwägungsgründe 5, 7 zur Richtlinie, die ausdrücklich festhalten, dass kein Bedarf an neuen Konzepten für den Schutz des geistigen Eigentums besteht, sondern lediglich Anpassungen der urheberrechtlichen Bestimmungen an die neuen Formen und Möglichkeiten der Verwertung erfolgen müssen, sofern beträchtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und dies die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes beeinträchtigen kann.
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Informationsgesellschaft in allen Mitgliedstaaten schaffen,476 um einer Zersplitterung des Binnenmarktes entgegenzuwirken und die grenzüberschreitende Verwertung geistigen Eigentums zu ermöglichen.477 Gleichzeitig sollte diese Richtlinie die Verpflichtungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten aus den beiden WIPO-Verträgen WCT und WPPT von 1996 auf EU-Ebene umsetzen, um den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten zu diesen Abkommen vorzubereiten.478 2003 wurde die Richtlinie in Deutschland umgesetzt.479 Die Richtlinie betrifft zentrale Themen des Urheberechts, wie etwa kollektive Rechte243 wahrnehmung, Digital Rights Management (DRM), Anwendung von Vergütungssystemen auf private und digitale Vervielfältigungen, die rechtliche Einordnung von Caching und Browsing, die Kontrolle von digitalen Online-Diensten und die Reichweite des Verbreitungsrechts und des Erschöpfungsgrundsatzes bei Online-Verbreitung.480 Bereits angesichts dieser Fülle von Grundsatzfragen konnte die Richtlinie jedoch nicht allen Anforderungen gerecht werden. Insbesondere fehlt auf horizontaler Ebene zu den anderen Richtlinien eine Angleichung von Formulierungen, wodurch das Verhältnis zwischen dieser wohl allgemeinsten, urheberrechtlichen Richtlinie zu den speziellen, werkbezogenen oder leistungsschutzrechtsbezogenen Richtlinien hätte deutlicher ausgearbeitet werden können.481 Denn gem Art 1 Abs 2 InfoRL bleiben die anderen, vorstehend behandelten Richtlinien des acquis communautaire unberührt. Enthalten die früheren Richtlinien also Bestimmungen, die auch in der InfoRL angesprochen sind, bleiben also grds die früheren Regelungen bestehen und werden nicht durch die InfoRL abgeändert.482 In den vor der InfoRL erlassenen europäischen Richtlinien wurden Verwertungsrechte 244 nicht im Allgemeinen geregelt. Auch die Frage der Behandlung von Online-Übertragungen blieb bis dahin weitgehend offen.483 Um eine dieser Lücken zu schließen, schafft die InfoRL nun eine einheitliche Definition des Vervielfältigungsrechts, wonach allen Urhebern, Künstlern, Tonträger- bzw Filmherstellern sowie Sendeunternehmen das ausschließlich Recht zusteht, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu
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Reinbothe GRUR Int 2001, 734. Dies basierte auf der Grundlage des Grünbuchs der Kommission vom 19.7.1995 zum Urheberrecht und zu den verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft, KOM (95) 382 endg und der darauf folgenden Mitteilung der Kommission vom 20.11.1996 – Initiativen zum Grünbuch über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM (96) 568 endg, welche bereits eine sog „digitale Agenda“ an den zu bearbeitenden Fragestellungen aufstellte; Erwägungsgrund 15 zur Richtlinie. WIPO-Urheberrechtsvertrag/WIPO Copyright Treaty (WCT) und WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger/WIPO Performances and Phonogram Treaty (WPPT) vom 20.12.1996; vgl Reinbothe/von Lewinski WIPO Treaties, 487. S auch Erwägungsgrund 15 zur Richtlinie. Eingehend zur
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Historie der Richtlinie Walter/von Lewinski/Walter InfoRL Kap II Rn 5 ff; Reinbothe GRUR Int 2001, 735 ff. Durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10.9.2003, BGBl I S 1774. Zu Aspekten der Diskussion Riesenhuber/ Reinbothe 92 f. Ausdrücklich lässt die InfoRL gem Art 1 Abs 2 die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Computerprogramm-, der Vermiet- und Verleih-, der Kabel- und Satelliten-, der Schutzdauer- sowie der Datenbankrichtlinie unberührt. Ausnahmen hiervon macht nur Art 11 InfoRL; Reinbothe GRUR 2001, 734. Walter/Walter InfoRL Rn 14: Lediglich Art 5d der Datenbank-Richtlinie regelt ausdrücklich „jede öffentliche Wiedergabe“, wodurch auch Online-Übertragungen umfasst sein sollten.
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Privates europäisches Medienrecht
erlauben oder zu verbieten (Art 2 InfoRL). Damit bestätigt die Richtlinie, dass jeder noch so flüchtige Kopiervorgang eine Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts ist. Die Richtlinie vereinheitlicht für Urheber das Recht der öffentlichen Wiedergabe.484 245 Sie führt zudem erstmals gemeinschaftsweit das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ein (Art 3 Abs 1, 2 InfoRL), welches als interaktives Wiedergaberecht („öffentliche Zugänglichmachung …[für] Mitglieder der Öffentlichkeit von Orten und Zeiten ihrer Wahl“) für Urheber und Leistungsschutzberechtigte gleichermaßen gelten soll.485 Aus den Erwägungsgründen 486 ist zu entnehmen, dass hier nur das ausschließliche Recht gemeint ist, „interaktive Übertragungen auf Abruf für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so dass lediglich interaktiv herbeigeführte Vorgänge, nicht jedoch near on demand oder andere nicht-interaktive Vorgänge erfasst werden sollen.487 Die Richtlinie lässt in Zusammenhang mit dem Recht auf öffentliche Zugänglichmachung offen, wo der Ort der relevanten Verwertungshandlung hinsichtlich der Zugänglichmachung der Werke liegen soll oder muss.488 In der Begründung der Kommission zum ersten Richtlinienentwurf wird jedoch ausdrücklich auf den Akt des Zugänglichmachens Bezug genommen, unabhängig davon, ob das Werk abgerufen wird. Demnach wäre auf den Ort der Abrufbarkeit, also des Angebotes, abzustellen.489 Auch in Hinblick auf das Verbreitungsrecht sollte die Richtlinie die Lücken schließen, 246 die sich aus den Regelungen der bisherigen Richtlinien ergaben. In diesen war zwar das Konzept des abgespaltenen Verbreitungsrechts bereits angelegt, jedoch waren die Regelungen entweder auf spezifische Werke bezogen (Computerprogramme, Datenbanken) oder aber nur für Leistungsschutzberechtigte formuliert (in Art 9 Vermiet- und Verleihrichtlinie). Die InfoRL füllt nun die Lücken und statuiert für Urheber aller Werkkategorien ein selbstständiges Verbreitungsrecht (Art 4 Abs 1 InfoRL)490. Urheber von Computerprogrammen und Datenbanken sind nicht erfasst, da deren Verbreitungsrechte bereits in der 484
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Unklar bleibt allerdings, ob auch die klassischen Formen der öffentlichen Wiedergabe (Aufführung, Vortrag, Vorführung) erfasst sein sollen. Vgl hierzu Walter/Walter InfoRL Rn 77 f, der im Ergebnis in Hinblick auf das Begriffsverständnis des Art 6 WCT die klassischen Wiedergabeformen der Aufführung, des Vortrages und der Vorführung nicht erfasst sieht. S Walter/Walter InfoRL Rn 46, der den Hintergrund für diese Unterscheidung auch darin sieht, dass die Sende- und Aufführungsrechte im leistungsschutzrechtlichen Bereich nach dem Stand der internationalen Konventionen und der nationalen Urhebergesetze weit weniger entwickelt waren als für das Urheberrecht. Da die Richtlinie die Vorschriften der Vermiet- und Verleihrichtlinie ausdrücklich unberührt lässt, ist das Recht der öffentlichen Sendung und Wiedergabe für den Kreis der Leistungsschutzberechtigten dort (Art 8 VVRL) zudem bereits geregelt; eingehend hierzu Reinbothe GRUR 2001, 734. Erwägungsgrund 25 zur Richtlinie. Krit Spindler GRUR 2002, 108, der zu
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Recht auf die Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Abruf- und Verteilerdiensten hinweist. Die Kommission wies in ihrem ersten Richtlinienentwurf darauf hin, dass keine neue kollisionsrechtliche Regelung getroffen werden soll: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM (97) 628 endg vom 10.12.1997. Zurückzugreifen wäre demnach auf die allgemeinen Grundsätze; krit dazu Spindler GRUR 2002, 108. Begründung zu Art 3 erster Richtlinienvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM (97) 628 endg vom 10.12.1997; vgl eingehend auch Spindler GRUR 2002, 109. Zum Umfang des Verbreitungsrechts s EuGH GRUR Int 2008, 593 – Peek & Cloppenburg vs Cassina.
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1. Teil
Computerprogramm-Richtlinie bzw der Datenbankrichtlinie verankert wurden. Leistungsschutzberechtigte sind von der Richtlinie ebenfalls nicht betroffen, da das Verbreitungsrecht für sie bereits in der Vermiet- und Verleih-Richtlinie harmonisiert wurde. Anknüpfend an das einheitliche Verbreitungsrecht für Urheber wird auch das Prinzip 247 der gemeinschaftsweiten Erschöpfung für Urheber einheitlich verankert (Art 4 Abs 2 InfoRL). Danach soll das Verbreitungsrecht nur dann erschöpft sein, wenn der Erstverkauf oder andere erstmalige Eigentumsübertragungen in Bezug auf das Original oder Vervielfältigungsstücke eines Werkes in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt. Eine internationale Erschöpfung soll nicht möglich sein. Diese Regelung lehnt sich an den bereits in Art 9 Abs 2 der Vermiet- und Verleihrichtlinie statuierten Erschöpfungsgrundsatz für die Leistungsschutzberechtigten an. Demgegenüber soll nach Art 3 Abs 3 InfoRL keine Erschöpfung durch die öffentliche Wiedergabe beziehungsweise Zugänglichmachung nach Art 3 Abs 1, 2 InfoRL eintreten, wobei die Richtlinie nicht klar macht, inwiefern eine Differenzierung zwischen körperlicher Übergabe einer Kopie in Abgrenzung zum Onlinevertrieb angezeigt ist.491 Die vorgenannten Rechte werden von der Richtlinie unter wichtige Schranken gestellt, 248 welche abschließend aufgezählt werden und teils zwingend, teils fakultativ ausgestaltet sind.492 So können mit Rücksicht auf die rein technischen Vorgänge flüchtige oder begleitende Vervielfältigungen, wenn sie integraler oder wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sind, nicht durch die Ausschließlichkeitsrechte verhindert werden. Es gilt eine Ausnahme, wenn deren alleiniger Zweck ist, die Übertragung bzw die rechtmäßige Nutzung zu ermöglichen, und wenn diese keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben (Art 5 Abs 1 InfoRL).493 Ferner soll durch die erlaubte Privatkopie (Art 5 Abs 2 b) InfoRL) ein Rechts- und Interessenausgleich zwischen den Rechteinhabern und Nutzern geschaffen werden, da vor dem Hintergrund der neuen Medien eine Neubewertung von bestimmten, nicht kommerziellen Vervielfältigungen stattzufinden hat.494 Der Anwendungsbereich der Regelungen des Art 5 InfoRL wird durch die werkspezifischen Regelungen der Computerprogramm-Richtlinie und der Datenbank-Richtlinie beschränkt, da diese spezifische Ausnahmeregelungen enthalten. Ebenso sind die speziellen Vorschriften der Vermiet- und Verleihrichtlinie im Bereich der Leistungsschutzrechte zu beachten.495 Zur Anwendung der Schrankenregelung sieht die Richtlinie einen Drei-Stufen-Test 249 (Art 5 Abs 5 InfoRL) vor. Danach dürfen die durch die Schranken geregelten Ausnahmen nur für solche Sonderfälle angewandt werden, in denen die „normale Verwertung des Werkes oder Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtinhabers nicht ungebührlich verletzt werden“. Für die fakultativen Schrankenbestimmungen des Art 5 Abs 2, 3, und 4 InfoRL liegt dieser zusätzliche Kontrollmechanismus nahe. Für die zwingenden Schrankenbestimmungen des Art 5 Abs 1 InfoRL kann die Anwendung des Drei-Stufen-Tests aber bedeuten, dass den Mitgliedsstaaten ein Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe „vorübergehend“ und „flüchtig oder begleitend“ zukommt. In diesem Fall wären weiterhin abweichende Regelungen in den Mitgliedstaaten möglich.496 491 492
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Krit Hoeren MMR 2000, 515, 517; Spindler GRUR 2002, 110. Eingehend zu den Schrankenregelungen Reinbothe GRUR 2001, 737; vgl auch Erwägungsgrund 32 zur Richtlinie. Erwägungsgrund 33. Erwägungsgründe 31, 38, 39; eingehend zur Privatkopie Reinbothe GRUR 2001, 739.
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Eingehend zu den Schwierigkeiten der Bestimmung des Anwendungsbereiches der Richtlinie Walter/Walter InfoRL Rn 89 ff. Krit auch Walter/Walter InfoRL Rn 96, 100 ff; anders hingegen Spindler GRUR 2002, 111.
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Schließlich statuiert die Richtlinie horizontal für alle Werke und Schutzgegenstände 250 den Schutz von technischen Schutzmaßnahmen, womit auch die entsprechenden Bestimmungen des WCT und WPPT umgesetzt werden sollen (Art 6 InfoRL).497 Der Begriff von Schutzmaßnahmen ist nicht näher definiert, wurde jedoch allgemein unter dem Begriff des Digital Rights Management (DRM) diskutiert, worunter allgemein die Verwaltung und Vermarktung von Werken in ihrer digitalen Gestalt und deren Sicherung zu verstehen ist.498 Im Kern werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen angemessenen Rechtsschutz gegen Umgehungsmaßnahmen oder -vorrichtungen zu etablieren, um technische Sicherungen zum Schutz von Urheberrechten, verwandten Schutzrechten oder des sui generis Schutzes von Datenbanken unantastbar zu machen.499 Vervollständigt wird dieser Schutz durch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Identifikation der Rechteinhaber zu gewährleisten: Sie sind verpflichtet, angemessenen rechtlichen Schutz zu schaffen gegen unbefugte Entfernung oder Veränderung von elektronischen Informationen über die Rechtewahrnehmung bzw die Rechteinhaber – also Schutz gegen Handlungen, die Umgehungsakte vorbereiten bzw fördern können. Ferner sind Vorkehrungen zu treffen gegen die Einfuhr und Verbreitung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen, bei denen die elektronischen Informationen für die Wahrnehmung der Rechte entfernt oder geändert wurden (Art 7 Abs 1 InfoRL). Erwähnenswert aus den von der Richtlinie vorgeschriebenen Sanktionen ist Art 8 251 Abs 3 InfoRL. Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Rechteinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung von Urheberrechten oder Leistungsschutzrechten benutzt werden – unabhängig davon, ob der Vermittler selbst eine Urheberverletzung begangen hat. Diese Regelung verhindert gemeinschaftsweit, dass sich Access oder Service Provider unter Berufung auf die Schranken oder Ausnahmen von Rechten gem Art 5 InfoRL von jeder Verantwortung freisprechen können.500 gg) Folgerechts-Richtlinie (RL 2001/84/EG). Unter dem Folgerecht versteht man den 252 unverzichtbaren Anspruch des Urhebers auf Beteiligung an den Erlösen, welche bei einer Weiterveräußerung von Werk-Originalen erzielt werden. Das Grundanliegen dieses Vergütungsanspruches besteht darin, den Urheber an den Wertsteigerungen zu beteiligen, die seine Werke typischerweise im Laufe der Zeit auf dem Markt erfahren.501 Insbesondere auf dem mit Originalwerken handelnden Kunstmarkt bestand und besteht ferner stets auch eine deutliche Tendenz, Ankäufe als Vermögensanlage und nicht aus reiner Sammlerfreude zu betreiben, und Weiterverkäufe entsprechend mit dem Ziel eines deutlichen Vermögensvorteils zu steuern. Vor Erlass der Folgerechts-Richtlinie im Jahr 2001 (FFRL) 502 war das Folgerecht 253 zwar in den meisten Mitgliedstaaten bereits anerkannt, jedoch unterschiedlich ausgestaltet, so dass zu befürchten stand, dass der Kunstmarkt sich zielgerichtet – und zum Nachteil der Urheber – auf die Länder verlagern würde, welche gar kein Folgerecht kannten bzw ein solches lediglich mit einem geringen Schutzniveau ausgestalteten. Die hierdurch befürchteten Störungen des Binnenmarktes gaben Anlass zu einer gemeinschaftsweiten
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Erwägungsgründe, 47, 48, 51 zur Richtlinie. Schulz GRUR 2006, 471. Eingehend Spindler GRUR 2002, 116 ff. Reinbothe GRUR 2001, 743. Walter/Walter FRRL, Einleitung, Rn 3.
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Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.9.2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks, ABlEG 2001, L 272, 32.
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Harmonisierung, soweit die Unterschiede sich auf den Wettbewerb im Binnenmarkt direkt auswirken.503 Das Folgerecht ist in der Richtlinie eindeutig als unverzichtbarerer Beteiligungsanspruch statuiert und stellt damit der Rechtsnatur nach einen urheberrechtlichen Vergütungsanspruch dar (Art 1 Abs 1 FRRL). Das Folgerecht soll laut Richtlinie nicht den Erstverkauf von Werk-Originalen durch den Urheber erfassen (Art 1 Abs 1 FRRL), wobei anerkannt ist, dass auch erste Kommissionsverkäufe als Erstverkauf und nicht als Weiterveräußerung gelten.504 Lediglich Weiterveräußerungen sollen einen Beteiligungsanspruch aus Folgerecht auslösen, wobei die Richtlinie auch klarstellt, dass nur solche Weiterveräußerungen erfasst sind, an denen „Vertreter des Kunstmarktes wie Auktionshäuser, Kunstgalerien und allgemeine Kunsthändler als Verkäufer, Käufer oder Mittler beteiligt sind“ (Art 1 Abs 2 FRRL). Damit sollen private (Weiter-) Verkäufe ausgenommen werden,505 wobei die Richtlinie hier entgegen ihren erklärten Zielen verkennt, dass sich auch durch rein private Weiterverkäufe unter Sammlern erhebliche Verkaufserlöse erzielen lassen. Der zentrale Begriff „Vertreter des Kunstmarktes“ wird in der Richtlinie nicht abschließend definiert.506 Satt dessen wird klargestellt, dass sowohl Verkäufer, Mittler als auch Käufer zu Vertretern des Kunstmarktes gehören können, so dass im Sinne des Richtlinienziels ein Spielraum verbleibt, um alle typischen Weiterveräußerungen mit hohem Erlöspotenzial erfassen zu können.507 Als urheberrechtliche Besonderheit bezieht sich das Folgerecht traditionell in erster Linie auf die Werke der bildenden Kunst, da insbesondere diese von dem Geschäft der Weiterveräußerung betroffen sind.508 Entsprechend zählt die Richtlinie beispielhaft vor allem verschiedene Werke der bildenden Kunst als unter das Folgerecht fallende Kunstwerke auf, wie Bilder, Collagen, Gemälde, Zeichnungen etc (Art 2 Abs 1 FRRL). Die Aufzählung enthält jedoch auch Keramiken und Glasobjekte, so dass auch Werke der angewandten Kunst unter das Folgerecht fallen dürften, sofern sie als Original angesehen werden können.509 Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten vor, einen Mindestbetrag festzusetzen, ab dem eine Weiterveräußerung im Sinne der Richtlinie den Beteiligungsanspruch des Urhebers auslöst (Art 3 Abs 1 FRRL), wobei der Mindestbetrag nicht höher als 3.000 EUR sein darf (Art 3 Abs 2 FRRL). Hier galt es einen Höchstbetrag zu finden, der keine Werkart ohne Not von dem Folgerecht ausschließt, wobei gleichzeitig jedoch eine gewisse Erheb503
Erwägungsgründe 10, 13, 14, 15 zur Richtlinie, in denen auch klargestellt wird, dass gerade keine vollständige Harmonierung aller Vorschriften erfolgen soll, sondern den Mitgliedstaaten so viel Spielraum wie möglich für einzelstaatliche Entscheidungen zu lassen ist; Die Gefahr der Abwanderung der Verkaufsgeschäfte ins Ausland wurde bereits im Richtlinienvorschlag der Kommission aus dem Jahre 1996 eingehend untersucht, wobei insbesondere auf die „Verlagerungskosten“ eingegangen wurde. Diese Kostenanalyse sollte insbesondere als Maßstab bei der Bemessung der Höhe der zwingenden Beteiligung des Urhebers herangezogen werden.
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Walter/Walter FRRL Einleitung Rn 3. So ausdrücklich gefordert in Erwägungsgrund 18 zur Richtlinie. Walter/Walter FRRL Art 1 Rn 5; anders Handig ZUM 2006, 546, 549, der eine abschließende Aufzählung der Richtlinie annimmt. Weiterführend Katzenberger FS Schricker 2005, 377 ff. Zu den verschiedenen, historischen Wurzeln und der Entstehungsgeschichte der FRRL s mwN Walter/Walter FRRL Einleitung Rn 9, 12 ff. So auch Handig ZUM 2006, 547.
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lichkeitsschwelle statuiert, um den durch das Folgerecht verbürgten Eigentumseingriff zu Lasten des Veräußerers rechtfertigen zu können. Bei Erreichen des von den Mitgliedstaaten entsprechend festgelegten Mindestbetrages 258 entsteht ein Beteiligungsanspruch des Urhebers in der von der Richtlinie vorgegebenen Höhe. Die Höhe der Beteiligung ist gestaffelt nach der Höhe des Erlöses aus der Weiterveräußerung abzüglich Steuern (Art 4, 5 FRRL). Die Abstufungen und Begrenzungen sind von der Richtlinie fast vollständig vorgegeben.510 Es ist eine Kappungsgrenze für die Höhe der Beteiligung mit 12.500 EUR vorgegeben. Maßgeblicher Gedanke für die Staffelung der Beträge war, dass bei Verlagerung des Weiterverkaufs ins Ausland Verlagerungskosten entstehen, die mit dem Wert des Kunststücks steigen, insbesondere hinsichtlich der Versicherungskosten, etwaiger Steuern oder Zollabgaben. Für die Verkäufer sollte es künftig attraktiver sein, die Weiterveräußerung im Gemeinschaftsgebiet abzuwickeln, selbst wenn sie eine Beteiligung aus dem Folgerecht an den Urheber zu zahlen hätten.511 Die Richtlinie stellt es den Mitgliedstaaten schließlich frei, ob sie eine zwingende oder 259 fakultative Wahrnehmung der Beteiligungsansprüche aus dem Folgerecht durch eine Verwertungsgesellschaft vorschreiben (Art 6 Abs 2 FRRL). Vor dem Hintergrund der Unverzichtbarkeit des Anspruches erscheint diese Klarstellung sinnvoll. Für die Durchsetzungsstärke der Urheber hätte eine zwingende Vorschrift hier jedoch insofern Sinn gemacht, als dass Verwertungsgesellschaften grds bessere organisatorische, personelle wie auch finanzielle Strukturen mitbringen, um dem zum Teil repressiven und auch sehr unübersichtlichen Geschäft des Kunsttransfers gerecht zu werden.512 hh) Entwurf einer Entschließung des Europäischen Parlaments über einen Gemein- 260 schaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften vom 11.12.2003. Das Europäische Parlament hat 2003 den Ausschuss für Recht und Binnenmarkt beauftragt, einen Bericht über einen Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts auszuarbeiten. Der Bericht wurde dem Parlament am 11.12.2003 vorgelegt 513 und gelangte zum Ergebnis, dass in der Europäischen Union im Bereich der kollektiven Rechtewahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten künftig Handlungsbedarf besteht, der insbesondere durch die (damals unmittelbar bevorstehende) Erweiterung der EU überdacht werden sollte: Durch die nach dem Territorialitätsprinzip organisierte Wahrnehmung und Verwaltung von Rechten sowie der faktisch bestehenden regionalen Monopole der Verwertungsgesellschaften können Wettbewerbsbeschränkungen entstehen, die vor dem Ziel der Errichtung eines einheitlichen Binnenmarktes das zentrale Anliegen der Europäischen Union betreffen.514 Der Ausschuss hat in seinem Bericht hervorgehoben, dass Verwertungsgesellschaften 261 ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Rechteinhabern und Verwertern darstellen und darüber hinaus auch die wichtige gesellschaftspolitische wie kulturelle Funktion haben, Werke für eine breite Öffentlichkeit bereit zu halten. Um diese wichtigen Funktion der 510
Gem Art 4 Abs 2 FRRL können statt 4 % auch 5 % für Veräußerungserlöse bis 50.000 EUR normiert werden: Gem Art 4 Abs 3 FRRL kann die Staffelung für den Eingangssatz im Verhältnis gemindert werden (nicht jedoch unter 4 %), wenn die Mitgliedstaaten weniger als 3.000 EUR bereits als Mindestverkaufserlös ansetzen, der den Beteiligungsanspruch nach sich zieht.
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Krit hierzu Walter/Walter FRRL Art 4 Rn 1 ff. So auch Walter/Walter FRRL Art 6 Rn 6. Bericht über einen Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts, Europäisches Parlament, Dok A5-0478/2003 vom 11.12.2003. Weiterführend Enzinger GRUR Int 2006, 985, 986 f.
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Verwertungsgesellschaften jedoch auch unter Binnenmarktgesichtpunkten aufrechterhalten zu können, forderte der Ausschuss den Rat und die Kommission auf, einen Gemeinschaftsrahmen für die Verwertungsgesellschaften festzulegen. Zu Errichten seien laut Bericht einheitliche Regelungen zu Verfahrens- und Abstimmungsvorschriften sowie zur Transparenz der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften; Monopolstellungen müssten reguliert und gleichzeitig die individuelle Wahlfreiheit der Rechteinhaber zwischen verschiedenen Verwertungsgesellschaften gefestigt werden; Diskriminierungen von Rechteinhabern und Repertoires müssten abgeschafft und Gegenseitigkeitsverträge als „OneStop-Shop“ insoweit anerkannt werden, als dass den verschiedenen Gruppen der Rechteinhaber die Möglichkeit gegeben wird, Lizenzvergaben auszuhandeln, und die Erzielung und Verteilung von Einnahmen aus der Verwertung ihrer Rechte getrennt verwaltet wird. Die Kommission hat hierauf ihre Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament 262 und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 16.4.2004 vorgelegt.
263
ii) Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 16.4.2004. In ihrer Mitteilung vom 16.4.2004 515 setzt sich die Kommission mit den Grundlagen und Problemen der individuellen Rechtewahrnehmung einerseits und dem Rechtsrahmen für die kollektive Rechtewahrnehmung auseinander. Während sich die Kommission bis dato lediglich in den ergangenen Richtlinien bereichsspezifisch mit der Frage der kollektiven Rechtewahrnehmung befasst hat,516 trifft sie in ihrer Mitteilung vom 16.4.2004 nunmehr allgemeine Aussagen und kommt zum Ergebnis, dass in einzelnen Aspekten der Bedarf nach gemeinschaftsweiten Rechtsakten besteht.517 Dabei bestehe laut Kommission hinsichtlich einer gemeinschaftsweiten Regelung der 264 individuellen Rechtewahrnehmung kein unmittelbarer Handlungsbedarf, da in den Mitgliedstaaten insgesamt eine ausreichende gemeinsame Grundlage vorhanden sei, wenngleich die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten die privatautonome Regelungsbefugnis der Urheber punktuell unterschiedlich bewerten (zB hinsichtlich der Übertragung von Rechten für unbekannte Nutzungsarten), oder unterschiedliche Auslegungen von Urheberrechtsverträgen praktiziert werden. Hinsichtlich der kollektiven Rechtewahrnehmung stellt die Kommission jedoch ein 265 Defizit an gemeinschaftsweiten Regelungen fest. Es sei erforderlich, einheitliche Vorschriften zur Form der kollektiven Rechtewahrnehmung festzulegen, da diese sowohl im Interesse der Rechteinhaber als auch der Nutzer liegen und auch im Hinblick auf die wirtschaftliche und kulturelle Funktion von Verwertungsgesellschaften erforderlich sind. Hierfür müssen einheitliche Bedingungen für die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften geschaffen werden, was schließlich auch der Transparenz und dem besseren Zugang zu den Lizenzen dienen soll. Insbesondere favorisiert die Kommission die gemeinschaftsweite Lizenzierung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung und sieht insbesondere vier Lösungsmöglichkeiten: Die Einführung einer Gemeinschaftsvorschrift, wonach jede Lizenz zur öffentlichen Wiedergabe oder Zugänglichmachung per definitionem Nutzungshandlungen in der gesamten Gemeinschaft erlauben soll. Ferner könne das Modell des Sendelandprinzips (verankert in der Satelliten- und Kabelricht-
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KOM (2004), 261 endg. Vgl oben, Rn 209–254; vgl auch Walter/ Dillenz AT Kap 4 Rn 24 ff und Würfel 181 ff.
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Weiterführend Enzinger GRUR Int 2006, 985, 986 f; vgl auch Würfel 185 ff.
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linie) auch für dieses Recht übernommen werden. Zudem könne das ausschließliche Recht zur öffentlichen Wiedergabe oder Zugänglichmachung auf einen Vergütungsanspruch beschränkt werden mit gesetzlich vorgeschriebener kollektiver Wahrnehmung. Alternativ hierzu könnte ein Modell wie des für die Musikwirtschaft getroffenen Simulcasting-Abkommens 518 herangezogen werden, wonach den Nutzern das Wahlrecht zusteht, welche Verwertungsgesellschaft die gewünschte Lizenz erteilt, oder es könnte den Verwertungsgesellschaften der Auftrag erteilt werden, automatisch gemeinschaftsweite Lizenzen einzuräumen. jj) Empfehlung der Kommission vom 18.10.2005 für die länderübergreifende kollek- 266 tive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden. Eine Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften hat die Kommission bereits 1996 519 angekündigt und darin die Wettbewerbsverzerrungen bemängelt, die sich aus der aktuellen Praxis der Lizenzierung über Verwertungsgesellschaften ergeben können, die durch Gegenseitigkeitsverträge miteinander verbunden sind und damit eine Monopolstellung innehaben. Nachfolgend auf ihre Mitteilung 16.4.2004 520 legte sie am 18.10.2005 eine „Empfehlung für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden“ 521 vor und unternahm damit einen konkreten Anstoß zu künftigen Regelungen, wobei dieser zunächst in Form einer nicht verbindlichen Empfehlung 522 erging. Nach Art 249 Abs 5 EG sind Empfehlungen rechtlich unverbindlich, so dass ihre Nichtbefolgung keine negativen Auswirkungen hat. Die Empfehlung ist an die Mitgliedstaaten und alle Markteilnehmer gerichtet. Aufgrund der in der Empfehlung geforderten erheblichen Umwälzungen ist diese bei den interessierten Kreisen, insbesondere den Verwertungsgesellschaften trotz ihrer Unverbindlichkeit auf erhebliche Beachtung gestoßen. Basierend auf einer im Juli 2005 veröffentlichten Studie zur Rechtewahrnehmung 523 267 stellt die Kommission in ihrer Empfehlung zunächst grds die aktuelle Praxis bei der grenzüberschreitenden Lizenzierung von Musik im Online-Bereich 524 in Frage, wonach nationale Verwertungsgesellschaften jeweils nur territoriale Rechte an ihrem Repertoire einräumen und über Gegenseitigkeitsverträge ihre ausländischen Schwesterngesellschaften mit der Vertretung ihres Repertoires im Ausland beauftragen. Über die Gegenseitigkeitsverträge könne zwar jede verbundene Verwertungsgesellschaft für ihr Territorium auch über das Repertoire der Schwesterngesellschaften und damit über das sog „Weltrepertoire“ verfügen, doch führe dies einerseits zu einer zeitaufwendigen „territory-by-territory“Lizenzierung,525 was den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr behindere. Anderer518 519
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Ausf zum Simulcasting-Abkommen von Einem MMR 2006, 650 f. Mitteilung der Kommission – Initiativen zum Grünbuch über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM (1996), 568. Vgl oben Rn 258 ff. Empfehlung der Kommission vom 18.10.2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden, ABlEG 2005, L 276, 54; eingehend hierzu Geiss/Gerlach FS Mailänder 523 ff.
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Walter/von Lewinski AT Kap 1 Rn 17. Studie der Kommission vom 7.7.2005 über eine Initiative der Gemeinschaft über die grenzüberschreitende kollektive Rechtewahrnehmung von Urheberechten, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/ copyright/docs/management/studycollectivemgmt_en.pdf, im folgenden Studie zur Rechtewahrnehmung genannt. Zu den von der Empfehlung betroffenen Musik-Online-Rechten vgl weiterführend Lüder GRUR Int 2007, 651 ff. Erwägungsgrund 7 zur Empfehlung.
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seits geht mit den Gegenseitigkeitsverträgen eine Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften einher, die zu einer Verzerrung des Wettbewerbes führt sowie den Rechteinhabern keine freie Wahl mehr lässt, sich die Verwertungsgesellschaft ihres Vertrauens auszusuchen. Das Ziel der Empfehlung ist die Vereinfachung der Lizenzierungsverfahren, um legale 268 Musikdienste zu fördern.526 Die Kommission fordert im Ergebnis die Wahl- und Wechselfreiheit für Rechteinhaber hinsichtlich der Verwertungsgesellschaft für den OnlineBereich (Ziff 3) und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit (Ziff 13a). Hierzu sollen Rechteinhaber den von der Verwertungsgesellschaft wahrzunehmenden Rechteumfang im Hinblick auf Inhalt und Territorium individuell bestimmen können (Ziff 5a–c). Die Verwertungsgesellschaften sollen entsprechend sicherstellen, dass Onlinerechte, die ein Rechteinhaber im Rahmen seiner Wahl- und Wechselfreiheit einer anderen Verwertungsgesellschaft übertragen hat, vom Geltungsbereich der noch bestehenden Gegenseitigkeitsverträge ausgenommen werden (Ziff 5d). Die Kommission geht davon aus, dass sich hierdurch das über Gegenseitigkeitsverträge lizenzierbare Repertoire nach und nach verringern und dies zur Aufhebung des Modells der Gegenseitigkeitsverträge führen würde.527 Mit diesen Maßnahmen soll im Onlinebereich schrittweise die Möglichkeit der Vergabe von EU-weiten Direktlizenzen durch eine Verwertungsgesellschaft ermöglicht werden. Ergänzend sollen einheitliche Rechenschafts- und Informationspflichten (Ziff 6 ff, 14), Beteiligungsmöglichkeiten (Ziff 13b) sowie Transparenzvorschriften zu den Verwaltungskosten (Ziff 11 f) die Leistungen der Verwertungsgesellschaften untereinander vergleichbarer machen. Alle Berechtigten sollen ihre Ausschüttungen nach dem gleichen Verteilungsschlüssel erhalten, unabhängig davon, ob sie von der Verwertungsgesellschaft direkt vertreten wurden oder indirekt über einen Gegenseitigkeitsvertrag mit einer Schwesterngesellschaft (Ziff 10, 13a). Die Empfehlung der Kommission ist sowohl bei den Verwertungsgesellschaften als 269 auch auf Verwerterseite auf heftige Kritik gestoßen.528 Die Empfehlung verkennt bereits, dass die Online-Rechte im Musikbereich nicht sämtlich von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden.529 So ist zwar zutreffend, dass die Urheberrechte und Verlagsrechte an den Kompositionen für Online-Dienste über die jeweilige Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden. Für den ebenso notwendigen Erwerb der Leistungs-
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Erwägungsgrund 8 der Empfehlung. Studie zur Rechtewahrnehmung 54 ff. Eingehend auch zu alternativen Lizenzierungsmodellen von Einem MMR 2006, 649 ff; vgl auch Hoeren Kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, Stellungnahme zur Anhörung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, abrufbar unter http:// www.bundestag.de/parlament/gremien/ kommissionen/enqkultur/oeffentlanh/5_ Verwertungsgesellschaften/stellungnahmen/ 2_Stellungnahmen_Anwendungspraxis_ und_Europ_ische_ Perspektiven/3_ K-Drs_16-240.pdf; demgegenüber Lüder GRUR Int 2007, 649, 657, wonach sich die Schaffung neuer Plattformen der Rechteklärung abzeichnet, welche von den existie-
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renden Verwertungsgesellschaften gemeinsam betrieben werden könnten. Vgl Geiss/Gerlach FS Mailänder 526 ff: Lediglich für den nicht-interaktiven und wirtschaftlich bisher unbedeutenden Bereich des Webcasting und Simulcasting seien die Verwertungsgesellschaften der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller zuständig. Zu diesen existieren funktionierende Gegenseitigkeitsverträge unter den Verwertungsgesellschaften, welche in Abstimmung mit der EU-Kommission (Generaldirektion Wettbewerb) entwickelt wurden – IFPI Simulcasting-Abkommen ABlEG 2001, C 231, 18; krit auch Lüder Fordham Intellectual Property Media & Entertainment Law Journal 2007, 14 ff.
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schutzrechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller an der konkreten Aufnahme geht die Empfehlung jedoch unzutreffend von zuständigen Verwertungsgesellschaften aus. Diese Rechte werden (derzeit) ausschließlich über die jeweiligen Tonträgerhersteller lizenziert. Ebenso wird mit dem Modell der Kommission die Möglichkeit der Wahrnehmung des sog Weltrepertoires aufgegeben, ohne dass gesichert ist, dass die Verwertungsgesellschaften tatsächlich EU-weite Direkt-Lizenzen vergeben werden können. Denn die Rechteinhaber könnten im Rahmen ihrer Wahl- und Wechselfreiheit weiterhin die Wahrnehmung ihrer Online-Rechte territorial aufspalten. Gegenüber dem WeltrepertoireModell stiege der Verwaltungsaufwand auf Verwerterseite erheblich an, schon allein deshalb, weil zunächst die für den jeweiligen Rechteinhaber zuständige Verwertungsgesellschaft in jedem einzelnen Fall ermittelt werden müsste.530 Schließlich erscheint die Annahme der Kommission, durch die geforderten Maßnahmen 270 den Wettbewerb unter den Verwertungsgesellschaften zu fördern, nicht überzeugend. Denn bei dem Kommissionsmodell würde ein „Kampf um die Rechteinhaber“ beginnen, den die etablierten und entsprechend finanziell und organisatorisch ausgestatteten Verwertungsgesellschaften erfolgreicher zu führen in der Lage sind. Von entscheidender Bedeutung werden nämlich Qualität der Wahrnehmungsdienstleistung und insbesondere Umfang der Ausschüttung sein, die eine bestimmte Verwertungsgesellschaft gewährleistet. Je mehr wirtschaftlich bedeutende Rechteinhaber eine Verwertungsgesellschaft für sich gewinnen kann, umso stärker können die wirtschaftlich weniger bedeutenden Rechteinhaber „aufgefangen“ und mit attraktiven Ausschüttungen gebunden werden. Darüber hinaus besteht gerade auch durch die Wahlfreiheit der Rechteinhaber die Möglichkeit, dass diese sich für eine Verwertungsgesellschaft entscheiden, welche insbesondere für die Wahrnehmung eines bestimmten inhaltlichen Repertoires bekannt ist, was wiederum zu einer vom Repertoireabhängigen Konzentration unter den Verwertungsgesellschaften führen kann.531 b) Gewerbliche Schutzrechte. Auf dem Gebiet der gewerblichen Schutzrechte be- 271 schränkten sich die Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft zunächst überwiegend auf die Harmonisierung des materiellen bereichsspezifischen Rechts der Mitgliedstaaten oder auf die Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage auf gemeinschaftlicher Ebene, zB durch Schaffung einheitlicher Rechte, die in der gesamten Gemeinschaft gelten, so bspw Gemeinschaftsmarken, Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder das noch in Erörterung befindliche Gemeinschaftspatent. In der Erkenntnis, dass Nachahmungen, Produktpiraterie und allgemein die Verletzung geistigen Eigentums in der globalisierten Informationsgesellschaft ständig zunehmen, leitete die Kommission mit der EnforcementRichtlinie auch die Schaffung einheitlichen Rechtsschutzes ein, um die von Land zu Land noch sehr unterschiedlichen Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung zu harmonisieren und damit die Flucht der Verletzer in Länder mit weniger wirksamen Schutz gegen Piraterie und Nachahmung entgegenzuwirken. aa) Marken-Richtlinie und Gemeinschaftsmarken-Verordnung. Bereits 1988 wurde 272 mit der Ersten Markenrichtlinie (MarkenRL) 532 das mitgliedstaatliche Markenrecht in
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Zu den Parametern ökonomisch effizienter, kollektiver Rechtewahrnehmung vgl eingehend Hansen/Schmidt-Bischofshausen GRUR Int 1997, 461 ff. So auch Geiss/Gerlach FS Mailänder, 523, 529.
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Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 21.12.1988, ABlEG 1989, L 40, 1 vom 11.2.1989.
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1. Teil
wesentlichen Zügen harmonisiert, welche durch das Markenreformgesetz von 1994 in deutsches Recht umgesetzt wurde.533 Mit der Richtlinie wurden die Markenformen (Art 2 MarkenRL) sowie die absoluten und relativen Eintragungshindernisse (Art 3, 4 MarkenRL) vereinheitlicht, ferner die Rechte aus der Marke (Art 5 MarkenRL) sowie aus ihrer Benutzung (Art 10 MarkenRL). Mit der Richtlinie wurde der Grundsatz der europaweiten Erschöpfung bestätigt (Art 7 Abs 1 MarkenRL). Mit der späteren Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMVO) 534 wurde für das gesamte 273 Gemeinschaftsgebiet die einheitliche Gemeinschaftsmarke (Art 1 GMVO) geschaffen, welche einheitlich beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) in Alicante (HABM) 535 verwaltet werden sollte. Markenfähig als Gemeinschaftsmarke sind seither alle Zeichen, die sich graphisch darstellen lassen, sofern sie geeignet sind, Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmens zu unterscheiden (Art 4 GMVO).536 Als zusätzliche Erweiterung markenrechtlichen Schutzes sieht die MarkenRL für die Mitgliedstaaten die Option vor, den Ruf und die Unterscheidungskraft bekannter Marken gegen Schädigung und Ausbeutung zu schützen. Dies wird entsprechend auch in der GMVO verbürgt. Das Gemeinschaftsmarkenrecht wird insbesondere von den Grundsätzen der relativen 274 Autonomie, der Einheitlichkeit sowie der Koexistenz und Äquivalenz mit nationalen Marken bestimmt.537 Die Verordnung enthält unmittelbar wirksame Vorschriften hinsichtlich der materiellen Schutzvoraussetzungen für die Gemeinschaftsmarken, zum Anmelde- und Eintragungsverfahren, zur Schutzdauer sowie zu spezifischen Verfahrensund Zuständigkeitsvorschriften.538 Für Klagen wegen Verletzung einer Gemeinschaftsmarke gelten primär die besonderen Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung (Art 90 Abs 1 GMVO iVm den Vorschriften des EuGVÜ 539 und der EuGVVO 540), wobei statt der Schaffung einer europäischen Gemeinschaftsmarkengerichtsbarkeit die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten als Gemeinschaftsmarkengerichte für Streitigkeiten über die Verletzung von Gemeinschaftsmarken zuständig sein sollen.541
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Markenrechtsreformgesetz vom 25.10.1994, BGBl 1994 I S 3082. In Kraft getreten am 1.1.1995. Verordnung VO 40/94/EG des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993, ABlEG 1994, L 11, 1 und Verordnung VO/3288/94/EG des Rates zur Änderung der Verordnung VO 40/94/EG über die Gemeinschaftsmarke zur Umsetzung der im Rahmen der Uruguay-Runde beschlossenen Übereinkunft vom 22.12.1994, ABlEG 1994, L 349, 83. In Kraft getreten am 1.1.1995. Geltung ab 1.1.1996. Das Harmonisierungsamt nahm am 1.4.1996 seine Arbeit auf; weiterführend Ann ZEuP 2002, 5 ff. Zum Erfordernis der Kennzeichnungskraft vgl Knaak GRUR Int 2007, 801 ff. Eingehend Eisenführ/Schennen Art 1 GMVO Rn 3. Eingehend Schricker/Bastian/Knaak/Knaak GMVO Rn 55 ff; zum Vorlageverfahren des
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BGH im Fall „Diesel“ und zu der Frage, ob Warentransit nach richtlinienkonformer Auslegung bereits eine Markenrechtsverletzung sein kann vgl Leitzen GRUR 2006, 89 ff. Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl 1998 II S 1412. Verordnung 44/2001 des Rates vom 22.12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABlEG 2001, L 12, 1. Zu den damit verbundenen Problemen bei der Rechtsdurchsetzung Knaak GRUR Int 2007, 386 ff; zur Reichweite der Zuständigkeiten nationaler Gerichte nach der EuGVÜ und der EuGVO eingehend Heinze/Roffael GRUR 2006, 787 ff.
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Privates europäisches Medienrecht
bb) Geschmacksmuster-Richtlinie und Gemeinschaftsgeschmacksmuster-Verordnung. Zu den gemeinschaftsrechtlich inzwischen weitestgehend harmonisierten Bereichen zählt auch das Geschmacksmusterrecht. Zum einen wurden die nationalen Geschmacksmustergesetze durch die europäische Geschmacksmusterrichtlinie (GGRL) von 1998 harmonisiert.542 Vereinheitlicht wurden dabei insbesondere die Definitionen des Musters und seiner Schutzvoraussetzungen Neuheit und Eigenart.543 Die Richtlinie wurde 2004 in deutsches Recht umgesetzt.544 Die Richtlinie hebt den Geschmacksmusterschutz gemeinschaftsweit an indem sie dieses als eigenständiges gewerbliches Schutzrecht begreift und damit von den Anforderungen des Urheberrechts loskoppelt.545 Zum anderen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschaffen, welches in der Geschmacksmusterverordnung (GGVO) kodifiziert ist.546 Eine Besonderheit des Schutzes als Gemeinschaftsrecht besteht in der Einführung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters, welches insbesondere dem Schutz kurzlebiger Produkte, wie bspw Modeneuheiten dient und drei Jahre lang gegen Nachahmungen schützt.547 Die Europäische Kommission hat im Juli 2007 zwei weitere Verordnungen erlassen, die erforderlich sind, um dem Beitritt der EG zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung zu verleihen.548 Nach diesem Beitritt können europäische Unternehmen Geschmacksmuster mit einem einzigen Antrag nicht nur innerhalb der EU, sondern auch in den Vertragsstaaten der Genfer Akte schützen lassen. Diese Verordnungen vereinfachen die Regelungen zur Prüfung von Anmeldungen und Verlängerungen von Gemeinschaftsgeschmackmustern und schaffen eine einheitliche Zuständigkeit für die Verwaltung der eingetragenen Geschmacksmuster durch das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM). Mit zwei weiteren Verordnungen 549 wurden die an das HABM zu entrichtenden Gebühren sowie die Gebühren für internationale Anmeldungen, in denen die Europäische Gemeinschaft benannt ist, vereinheitlicht.
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Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABlEG 1998, L 289, 28. Eingehend Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 1. Gesetz zur Reform des Geschmacksmusterrechts vom 12.3.2004, BGBl 2004 I S 390. In Kraft getreten am 1.6.2004. Zum eigenständigen Charakter des Geschmacksmusters und seinem Verhältnis zu den anderen Rechtsinstituten vgl Wandtke/Ohst GRUR Int 2005, 91 ff. Verordnung (EG) Nr 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABlEG 2002, L 3, 1. Weiterführend Oldekop WRP 2006, 801 ff. Verordnung (EG) Nr 876/2007 der Kommission vom 24.7.2007 zur Änderung der
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Verordnung (EG) Nr 2245/2002 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle (Text von Bedeutung für den EWR), ABlEG 2007, L 193, 13. Verordnung (EG) Nr 877/2007 der Kommission vom 24.7.2007 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr 2246/2002 über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren nach dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle, ABlEG 2007, L 193, 16.
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Mit dem Beitritt der Europäischen Union zur Genfer Akte des Haager Abkommens am 24.9.2007 sind die Verordnungen zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster verbindlich geworden und traten zum 1.1.2008 in Kraft.
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cc) Patentschutz. Seit dem 1.6.1978 besteht nach dem Europäischen Patentübereinkommen von 1973 (EPÜ) 550 die Möglichkeit, beim Europäischen Patentamt in München mit einer einzigen Patentanmeldung (Europäisches Patent), welche in Deutsch, Englisch oder Französisch abgefasst sein kann, Patentschutz in mehreren europäischen Staaten gleichzeitig zu erreichen. Dem Anmelder steht die Auswahl der einzelnen Staaten offen. Soll ein Patent in mehr als drei Ländern angemeldet werden, so ist eine „gesammelte“ Anmeldung über das europäische Patent preisgünstiger als eine Einzelanmeldung in den jeweiligen Staaten. Da das Europäische Patent als ein Bündel nationaler Patente aber jeweils nur wie ein nationales Patent wirkt, erspart die gesammelte Anmeldung jedoch nicht den Arbeitsaufwand und die einzelnen Gebühren, die jährlich für den Patentschutz in den einzelnen Ländern zu entrichten sind. Für Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren sind entsprechend nur die jeweiligen nationalen Patentgerichte zuständig. Nicht nur um einen einheitlichen Patentschutz im Binnenmarkt zu gewährleisten, 281 sondern auch zur Vereinfachung und der Erreichung eines Patentschutzes in der Gemeinschaft, haben die Mitgliedstaaten bereits 1989 ein Übereinkommen zum Gemeinschaftspatent als Sonderabkommen zum EPÜ ausgehandelt, welches jedoch mangels ausreichender Ratifizierung nicht in Kraft getreten ist.551 Auf Gemeinschaftsebene begannen bereits im Jahr 2000 die Bemühungen der Kom282 mission um die Schaffung eines Gemeinschaftspatentsystems, welches insbesondere Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung bieten und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt fördern soll. Der von der Europäischen Kommission am 1.8.2000 vorgelegte Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent ist jedoch nachfolgend auf erhebliche Widerstände und Kritik gestoßen und bislang nicht in Kraft getreten.552 Ziel der gesetzgeberischen Bemühungen ist es, ein übernational wirkendes, einheit283 liches Gemeinschaftspatent einzuführen, welches durch eine einzige Patentanmeldung Patentschutz in allen EU-Staaten herbeiführt. Das Gemeinschaftspatent als übernationales Patent soll einheitlich in allen Mitgliedstaaten der EU wirken und für den Anmelder damit Administrationsaufwand wie Kosten sparen. Der Vorschlag der Kommission enthält Bestimmungen über die Schaffung eines einheitlichen Schutztitels mit den damit verbundenen Rechten aus dem Patent, über Klagemöglichkeiten zur Durchsetzung dieser Rechte, die Nichtigkeitsgründe sowie Bestimmungen betreffend die Verwaltung der erteilten Gemeinschaftspatente, zB deren jährliche Verlängerung. Laut Vorschlag soll das Europäische Patentamt für die Erteilung von Gemeinschaftspatenten zuständig werden. Die Kommission schlägt den Beitritt der Gemeinschaft zum EPÜ vor, um dem Europäischen Patentamt die Erteilung von Gemeinschaftspatenten zu ermöglichen. Das Europäische Patentamt könnte sodann Europäische Patente und Gemeinschaftspatente nach Maßgabe der einheitlichen Standards des EPÜ erteilen, was die Rechtseinheitlichkeit und
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Vom 5.10.1973, BGBl 1976 II S 826, zuletzt geändert durch die Akte vom 17.12.1991 zur Revision von Art 63 Des EPÜ. BGBl 1993 II S 242. Dem EPÜ gehören 31 Staaten an, darunter alle EU-Mitgliedstaaten. ABlEG 1989, L 401, 1 abrufbar unter:
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http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=CELEX:41989A0695(01): DE:HTML. KOM 2000, 412 endg, ABlEG 2000, L 337, 278.
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Privates europäisches Medienrecht
Rechtssicherheit auf dem Gebiet des Patentrechts in Europa gewährleisten würde. Durch die Zentralisierung der Anmeldungen beim Europäischen Patentamt kämen dem Gemeinschaftspatent ferner die besonderen Erfahrungen des Europäischen Patentamts, die dieses als prüfendes Amt bereits sammeln konnte, zugute. Mit einem weiteren Vorschlag im Jahr 2003 553 schlug die Kommission ergänzend die Übertragung der Zuständigkeit in Patentsachen auf den EuGH und die Errichtung eines Gemeinschaftspatentgerichts und einer Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit bis zum Jahre 2010 vor. Dieser Vorschlag zielt auf einen Ratsbeschluss auf der Grundlage der Art 225a und 245 EGV zur Bildung einer gerichtlichen Kammer mit der Bezeichnung „Gemeinschaftspatentgericht“ innerhalb des EuGH. Diese Kammer wäre im ersten Rechtszug ausschließlich zuständig für bestimmte Streitsachen im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent, wie aus der Verletzung eines Gemeinschaftspatents, der Benutzung der Erfindung nach Veröffentlichung der Gemeinschaftspatentanmeldung, für einstweilige Maßnahmen, Schadensersatz aus den vorgenannten Bereichen sowie für die Verhängung von Zwangsgeldern im Falle der Nichtbefolgung einer Entscheidung oder Anordnung. Laut Vorschlag der Kommission soll das Gericht erster Instanz künftig gem Art 225 Abs 2 EGV als Rechtsmittelinstanz gegen Entscheidungen des Gemeinschaftspatentgerichts fungieren können. Das Konzept eines Gemeinschaftspatents hat bislang heftige Diskussionen hervor- 284 gerufen, die das weitere gesetzgeberische Vorgehen zum Stillstand brachten.554 Zum einen wird über die immensen Kosten und den Administrationsaufwand für Übersetzungen gestritten, die eine gemeinschaftsweite Patentanmeldung allein dadurch verursachen würde, dass die Patentbeschreibung in die Amtssprachen aller Mitgliedstaaten übersetzt werden müsse. Zum anderen stößt die Errichtung einer zentralen Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit auf Kritik, da ein solches Harmonisierungsinstrument für überflüssig gehalten wird. Insbesondere bestünde bei einem Beitritt der Gemeinschaft zur EPÜ bereits die Möglichkeit von Vorlagefragen an den EuGH, die eine ausreichende Harmonisierung gewährleisten würden. c) Rechtsdurchsetzung. aa) Grenzbeschlagnahme-Verordnung (VO 1383/2003/EG). 285 Von großer praktischer Bedeutung ist die Produktpiraterieverordnung (Piraterie-VO).555 Als unmittelbar wirkende, gemeinschaftsrechtliche Regelung geht die Piraterie-VO dem mitgliedstaatlichen Recht vor, so dass eine Angleichung der bereichsspezifischen mitgliedstaatlichen Regelungen erfolgt. Werden schutzrechtsverletzende Waren, wie etwa raubkopierte Filme, Musik oder Software importiert, so können die Raubkopien bereits an der Grenze durch die Zollbehörden angehalten werden. Den Kreis der schutzrechtsverletzenden Waren fasst die Verordnung recht weit und nennt neben nachgeahmten (kennzeichenrechtsverletzenden) und unerlaubt hergestellten (urheber- und geschmacksmusterverletzenden) Waren auch solche, welche ein mitgliedstaatlich geschütztes Patent
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Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Beschluss des Rates zur Übertragung der Zuständigkeit in Gemeinschaftspatentsachen auf den Gerichtshof, KOM (2003) 827 endg vom 23.12.2003 abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=CELEX:52003PC0827: DE:NOT. Zur aktuellen Diskussion vgl Tilmann GRUR 2006, 824 ff; Weiden GRUR 2007, 491 ff.
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EG-Verordnung Nr 1383/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, abgedruckt in GRUR Int 2003, 1002; eingehend hierzu Kampf ZfZ 2004, 110; von Welser EWS 2005, 202.
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oder näher bezeichnete Rechte an Sorten, Ursprungsbezeichnungen oder geographischen Angaben verletzen (Art 2 Abs 1 Piraterie-VO).556 Sie erfasst auch die Einfuhr und die Durchfuhr (Transit) von Nichtgemeinschaftswaren.557 Die Piraterie-VO regelt die Einzelheiten des Verfahrens der Grenzbeschlagnahme von 286 schutzrechtsverletzenden Waren und gilt für den Warenverkehr mit Drittstaaten. Einfuhren von Gemeinschaftswaren, also von Waren aus anderen EG-Mitgliedstaaten, unterfallen hingegen nicht der Piraterie-VO. Auch Parallelimporte fallen nicht in der Anwendungsbereich der Piraterie-VO.558 Im Regelfall wird das Grenzbeschlagnahmeverfahren durch einen Antrag des Rechts287 inhabers eingeleitet. Nach Art 9 Abs 1 Piraterie-VO hält die Zollstelle die Waren zurück, wenn der Verdacht besteht, dass es sich um schutzrechtsverletzende Ware handelt, und ermöglicht dem Antragsteller, die Waren zu untersuchen. Handelt es sich um Piraterieware, sieht Art 13 Piraterie-VO die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens vor. Daneben ermächtigt Art 11 Piraterie-VO die Mitgliedstaaten, ein vereinfachtes Verfahren zu regeln.559 bb) Enforcement-Richtlinie (RL 2004/48/EG). Die Enforcement Richtlinie 560 regelt die prozessuale Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte und ist eine der bedeutendsten Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet der geistigen Schutzrechte in Europa.561 Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Schaffung von materiell-rechtlichen Sanktionen und verfahrensrechtlichen Instrumenten, um einen verbesserten Rechtsschutz bei Schutzrechtsverletzungen zu schaffen (Art 3). Auch wenn dieses Ziel durch eine Verordnung unmittelbar hätte erreicht werden können, trug die Kommission bei der Wahl des Rechtsinstruments den unterschiedlichen nationalen Rechtstraditionen Rechnung und setzte sich als Kompromiss das Ziel, den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums im nationalen Kontext sicher zu stellen.562 Dabei verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Art 3 Abs 2), welches bei der Ausgestaltung sämtlicher Maßnahmen und Verfahren zu beachten ist. Die Regelungen sollen im gesamten Bereich des Immaterialgüterrechts gelten, wie sich 289 aus der Erklärung der Kommission 2005/295/EG 563 ergibt, in welcher ua Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Schutzrechte sui generis der Hersteller von Datenbanken, Marken-, Geschmacksmuster- und Patentrechte genannt sind.564 Die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen sollen bei allen Verletzungen der genannten Rechte anwendbar sein, die auf gemeinschaftsrechtlicher oder mitgliedstaatlicher Ebene als solche einzustufen sind (Art 2 Abs 1). Die von der Richtlinie avisierten Maßnahmen sind ausdrücklich auf verwaltungsrechtliche bzw zivilrechtliche Maßnahmen beschränkt (Art 16). Strafrechtliche Maßnahmen sind nicht umfasst (Art 2 Abs 3b).
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558 559
Eingehend von Welser EWS 2005, 202 ff; vgl auch Cordes GRUR 2007, 483. EuGH WRP 2000, 713, 715 – The Polo/ Lauren Company; GRUR Int 2004, 317, 319 – Rolex-Plagiate; GRUR 2007, 146 – Montex/Diesel; zur Montex/Diesel Entscheidung, welche in einem Vorlageverfahren erging, eingehend Heinze/Heinze GRUR 2007, 740, 745. BFH GRUR Int 2000, 780, 781 – Jockey. Vgl von Welser EWS 2005, 202, 207; weiterführend Berlit WRP 2007, 732.
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Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung des geistigen Eigentums, ABlEG 2004, L 195, 16. Eingehend Knaak GRUR 2004, 745 ff. Vgl Begründung zum Richtlinienvorschlag, KOM (2003) 46 endg vom 30.1.2003. Erklärung der Kommission zur Richtlinie 2005/295/EG, ABlEG 2005, L 94, 37. Weiterführend Jacobs/Loschelder FS Raue 529 ff.
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Zentrale Regelungen sind eine verschärfte Beweisvorlagepflicht des Verletzers (Art 6), Maßnahmen zur Beweissicherung (Art 7), Auskunftsansprüche gegen potenzielle Verletzer (Art 8), einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art 9) und ein Schadensersatzanspruch gegen vorsätzliche Verletzer von Schutzrechten (Art 13). Die Beweisvorlagepflicht (Art 6) ist als prozessuale Maßnahme ausgestaltet, die das zuständige Gericht auf Antrag anordnen kann, sofern der Antragsteller selbst alle verfügbaren Beweismittel zur Begründung seines Anspruchs vorgelegt hat und darüber hinaus weitere Beweismittel benennt, die sich jedoch im Besitz des Antragsgegners befinden.565 Ist die streitgegenständliche Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß erfolgt, so muss sich die Beweisvorlagepflicht unter den gleichen Voraussetzungen auch auf gegnerische Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen erstrecken. Diese weitreichende prozessuale Maßnahme, die unmittelbaren Einblick in die Geschäftsunterlagen ermöglicht, hat starke Kritik ausgelöst, denn sie stellt auch auf die Ermittlung der (eventuellen, anderen) Nutznießer der Rechtsverletzung ab und entfernt sich damit von dem eigentlichen, verfahrensgegenständlichen Beweisthema.566 Die vorprozessualen Maßnahmen der einstweiligen Beweissicherung (Art 7) sind nicht an eine Gefahr der Beweisvernichtung geknüpft 567, eine „behauptete Rechtsverletzung“ ist ausreichend, wenn der Antragsteller im Übrigen alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Anspruchsbegründung vorgelegt hat. Wie wahrscheinlich eine Rechtsverletzung sein bzw schon bewiesen sein muss, um vorprozessuale Maßnahmen anordnen zu können, obliegt der Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten.568 Eine der wichtigsten Regelungen der Richtlinie beinhaltet das Auskunftsrecht (Art 8), wonach die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass der Kläger Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von rechtsverletzenden Waren und über den Umfang der Rechtsverletzung erhalten kann. Inhaltlich kann sich der Anspruch auf Namen, Adressen, Warenmengen und auf die Preise der Waren beziehen (Art 8 Abs 2). Der Kreis der Verpflichteten ist sehr weit definiert und umfasst neben dem Verletzer auch jede andere Person, die nachweislich rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte (Art 8a), oder rechtsverletzende Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß in Anspruch nahm (Art 8b), oder nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten verwendete Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte (Art 8c), oder nach den Angaben der unter a)–c) genannten Personen an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Waren bzw Dienstleistungen beteiligt war (Art 8d).569 Die Ausdehnung des Kreises der Auskunftspflichtigen, auf Personen, die von anderen der Mitwirkung lediglich bezichtigt wurden, hat zu heftiger Kritik bei den interessierten Kreisen geführt.570 Insbesondere von der Regelung des Art 8c) sind Access-Provider erfasst, die sich bei Herausgabe der Namen und Adressen ihrer registrierten Nutzer im Konflikt mit datenschutz-
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Vgl auch Seichter WRP 2006, 391, 392; zum erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung vgl Eisenkolb GRUR 2007, 387, 391. Knaak GRUR Int 2004, 747, der auch eine Kollision mit dem Verbot des „Ausforschungsbeweis“ sieht, vgl BGH GRUR 2002, 1046, 1048 – Faxkarte; weiterführend Haedicke FS Schricker 2005, 19 ff. So forderte es noch der erste Richtlinievorschlag; vgl Stellungnahme der Deutschen
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Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR 2003, 682 f. Vgl Knaak GRUR Int 2004, 748; Eisenkolb GRUR 2007, 391; Seichter WRP 2006, 391, 395; krit Tillmann GRUR 2005, 737, 738. Zum Begriff „gewerblichem Ausmaß“ vgl Erwägungsgrund 14 zur Richtlinie. Vgl Knaak GRUR Int 2004, 749, der diese Bestimmung als unvereinbar mit deutschem Recht hält; vgl auch Eisenkolb GRUR 2007, 391; Seichter WRP 2006, 391, 395.
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rechtlichen Vorgaben sehen, welche die Richtlinie unberücksichtigt lässt.571 Wie inzwischen auch vom EuGH entschieden, werden die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinienvorschrift eine Abwägung zwischen Urheberrecht und Datenschutz auch im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip treffen müssen und sind nicht verpflichtet, die Telekommunikationsunternehmen zur Weitergabe personenbezogener Verkehrsdaten für zivilrechtliche Prozesse zu verpflichten.572 Um zu verhindern, dass rechtsverletzende Waren in die Vertriebswege gelangen, statu294 iert die Richtlinie flankierend ein gerichtliches Beschlagnahmeverfahren (Art 9 Abs 3–7), welches die Vorschriften der Grenzbeschlagnahmeverordnung VO 1383/2003 ergänzt und über die Fälle der Einfuhr und Ausfuhr hinaus auf alle Verletzungstatbestände anwendbar sein soll.573 Die Gerichte sollen demnach unabhängig von zollrechtlichen Vorschriften befugt sein, die Beschlagnahme von rechtsverletzenden Waren anzuordnen. Nachdem die Umsetzungsfrist bereits am 29.4.2006 abgelaufen war,574 hat der Bun295 destag am 11. April 2008 dem Regierungsentwurf des „Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ mit mehreren Änderungen zugestimmt.575 Dieses tritt am 1.9.2008 in Kraft.576 Besonders umstritten war in diesem Zusammenhang die Definition des „gewerblichen Ausmaßes“ einer Tätigkeit, das nach der Enforcement-Richtlinie Voraussetzung für den Auskunftsanspruch gegenüber Dritten ist. Man hat sich darauf geeinigt, dass maßgebliches Kriterium auch die Schadenshöhe beim Verletzten sein kann, selbst wenn der Verletzer aus rein privaten Zwecken handelt.577 Außerdem war heftig umstritten, ob Internet-Provider zur Herausgabe persönlicher Daten ihrer Nutzer ohne richterliche Entscheidung gezwungen werden können. Dies wurde jedoch letztlich abgelehnt und ein Richtervorbehalt im Gesetz festgeschrieben.578 Als Besonderheit gilt für Erstabmahnungen von Bagatellverletzungen eine Obergrenze der anwaltlichen Abmahnkosten von € 100,–.579
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cc) Vorschlag für eine Richtlinie zu strafrechtlichen Sanktionen zum Schutz geistigen Eigentums. Der Vorschlag der Kommission 580 dient der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der strafrechtlichen Sanktionen bei Verletzungen der Rechte an geistigem Eigentum, bspw der Raubkopie oder der unerlaubten Nachahmung. Die Kommission schlägt die Festlegung bestimmter Mindeststrafen vor, welche die Mitgliedsstaaten auch überschreiten dürfen. 571 572
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Eisenkolb GRUR 2007, 392. Vgl EuGH Rs C-275/06 – Promusicae, abrufbar unter http://curia.europa.eu/jurisp/ cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit= Rechercher$doc%20require=alldocs& numaff=C-275/06; vgl auch Spindler/Dorschel CR 2006, 341, 346 f. Vgl Knaak, GRUR Int 2004, 750, der hierin eine Kompensation zu den durch die EU-Erweiterung verschobenen Außengrenzen und damit reduzierten Möglichkeiten für die Zollbeschlagnahme sieht; weiterführend Hermsen Mitt. 2006, 261 ff. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie vgl Eisenkolb GRUR 2007, 387; Peukert/ Kur GRUR Int 2006, 292 ff.
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Vgl zu den Entwürfen BT-Drucks 16/5048 und BT-Drucks 16/8783; Spindler/Weber ZUM 2007, 257 ff. Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7.7.2008, BGBl I 2008, S 1191 ff. BT-Drucks 16/8783. BT-Drucks 16/5048, 6. BT-Drucks 16/8783. Vorschlag zu einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung geistigen Eigentums, KOM (2006), 168 endg vom 26.4.2006.
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§6
Privates europäisches Medienrecht
2. Werberecht Die europäische Harmonisierung im Lauterkeitsrecht erfolgte bislang weitgehend 297 durch den Erlass von Richtlinien, die den Mitgliedstaaten genügend Freiraum lassen sollten, die Vorgaben der Richtlinien in ihr eigenes Lauterkeitsrecht einzupflegen. Dabei hat sich die Rechtsangleichung auf diesem Gebiet bislang als weit schwieriger erwiesen als im Recht des geistigen Eigentums.581 Ursache dafür sind die grundlegenden materiellen, verfahrensrechtlichen sowie methodischen Unterschiede im System des Lauterkeitsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten. Während bspw in Deutschland, Österreich und in der Schweiz ein monistischer Ansatz verfolgt wird und daher eigenständige Gesetze zum unlauteren Wettbewerb existieren, folgt das französische Recht einer dualistischen Konzeption und verortet das Verbot des unlauteren Wettbewerbs einerseits im allgemeinen Deliktsrecht und schützt die Verbraucher ergänzend mit den Mitteln des Strafrechts und des Verwaltungsrechts. Die common-law-Länder wiederum favorisieren eine starke Selbstkontrolle der Werbewirtschaft und enthalten daher nur ergänzende deliktsrechtliche und verwaltungsrechtliche Vorschriften.582 Die Harmonisierungsbemühungen der Kommission umfassen bislang allgemeine, 298 lauterkeitsrechtliche Bestimmungen, wie etwa die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung von 1984 und 1997. Daneben treten produktspezifische Regelungen, zum Beispiel über Tabak- und Arzneimittelwerbung. Das allgemeine Verbraucherrecht nimmt bei der Zielsetzung dieser Bestimmungen eine immer größere Bedeutung ein,583 welchem insbesondere durch die Schaffung von einheitlichen Informationspflichten Genüge getan werden soll.584 a) Allgemeines Lauterkeitsrecht. aa) Richtlinie über irreführende und vergleichende 299 Werbung (RL 84/450/EWG in der Fassung der Richtlinie 2006/114/EG). Die erste lauterkeitsrechtliche Richtlinie war die Richtlinie 84/450/EWG (Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung).585 Erweiterung hierzu brachten die Richtlinie 97/55/EG 586 sowie die Richtlinie 2005/29/EG.587 Mit der Richtlinie 2006/114/EG 588 wurden die bisherigen Vorschriften der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung schließlich aufgehoben und neu kodifiziert. Ziel der Richtlinie ist es, die in den Mitgliedstaaten stark unterschiedlichen Vorschriften 300 zu vereinheitlichen, indem sie zunächst die Begriffe der „Werbung“, der „irreführenden Werbung“ 589 sowie der „vergleichenden Werbung“ 590 (Art 2a–c der Richtlinie) definiert. 581
582
583 584 585
586
Schricker/Henning-Bodewig/Ohly 69 ff; Schricker GRUR Int 1990, 771 ff; Ohly/ Spence GRUR Int 1999, 681, 689. Eingehend Ohly WRP 2008, 177 unter Berufung auf die umfassende Ausarbeitung von Glöckner. Ohly WRP 2008, 180. Krit Ohly WRP 2008, 180. Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABlEG 1984, L 250, 17. Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1995 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung
587
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der vergleichenden Werbung, ABlEG 1997, L 290, 18. Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken, ABlEG 2005, L 149, 22. Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung, ABlEG 2006, L 376, 21. Zur Auslegung des Begriffs der „irreführenden Werbung“: EuGH GRUR Int 1991, 215 – Pall/Dallhausen; GRUR Int 1993, 951 – Nissan; GRUR 1994, 203 – Clinique. Zur Auslegung des Begriffs „vergleichende Werbung“: EuGH GRUR 2002, 354 –Toshi-
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
1. Teil
Ferner nennt sie Kriterien, die bei der Beurteilung des Irreführungsvorwurfes zu berücksichtigen sind (Art 3 der Richtlinie) 591 um bestimmte Ausnahmen vom Verbot der vergleichenden Werbung zulassen (Art 4 der Richtlinie).592 Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung irreführender Werbung sowie zur Einhaltung der Vorgaben an vergleichende Werbung zu gewährleisten (Art 5 der Richtlinie). Dabei lässt sie den Mitgliedstaaten jedoch einen weiten Spielraum, was auch Ausdruck des Kompromisses zwischen den unterschiedlichen Lauterkeitsrechts-Systemen in den Mitgliedstaaten ist: Personen und Organisationen, die nach nationalem Recht ein berechtigtes Interesse am Verbot irreführender Werbung oder an der Regelung vergleichender Werbung haben, sollen entweder selbst gerichtliche Schritte einleiten dürfen oder aber sich an eine hierfür zuständige Verwaltungsbehörde wenden können, die dann über die Einleitung gerichtlicher Schritte entscheidet. Dieser Rechtsschutz kann durch ein System der freiwilligen Selbstkontrolle ergänzt werden (Art 6 der Richtlinie). Da es den Mitgliedstaaten offensteht, auch strengere Regelungen vorzusehen, setzt die Richtlinie lediglich einen Mindeststandard (Art 8 Abs 1 der Richtlinie). Hierdurch und durch die relativ weiten Handlungsspielräume blieb die Harmonisierungswirkung dieser Richtlinie gering.593 Während die ursprüngliche Richtlinie sich noch auf die Schutzzwecktrias berief (den 301 Schutz der Verbraucher, der Gewerbetreibenden und der Allgemeinheit), ist dieser Schutzzweck durch die spätere Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005) eingeschränkt worden auf den Schutz von Gewerbetreibenden (Art 1 der Richtlinie). Das Verhältnis zum Verbraucher sowie der Allgemeinheit soll seitdem ausschließlich und abschließend die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von 2005 regeln.
302
bb) Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG). Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken 594 soll als Rahmenrichtlinie eine horizontale, dh produkt- und medienübergreifende Rechtsangleichung erreichen.595 Ihr Regelungsbereich ist nicht auf bestimmte Produkte oder Kommunikationsmedien beschränkt. Vielmehr sollen Unternehmer und Verbraucher in die Lage versetzt werden, sich in einem einzigen Rechtsrahmen zu orientieren, das alle Aspekte unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union erfasst.596 Die Richtlinie ist daher dem Funktionieren des Binnenmarktes gewidmet 597, in der Erkenntnis, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und damit das Verbraucherschutzniveau immer noch so stark abweichen, dass Hemmnisse für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes entstehen können.598
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ba/Katun; GRUR 2003, 533 – Pippig Augenoptik; GRUR 2006, 345 – Siemens/VIPA. Eingehend Köhler GRUR Int 1994, 396 ff; Schricker GRUR Int 1990, 112, 114 ff; Harte/Henning/Glöckner Einf B, Rn 9 ff; eingehend zu den Unterschieden in den Regelungen zu irreführender Werbung Beater GRUR Int 2000, 963 ff. Umsetzung der Ausnahmeregeln in das deutsche UWG bereits durch Gesetz vom 1.9.2000, BGBl 2000 I S 1374. Vgl auch Schricker GRUR Int 1990, 112 ff; Harte/Henning/Glöckner Ein B, Rn 33 ff. Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen
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595
596 597 598
Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, ABlEG 2005, L 149, 22. Eingehend zur Richtlinie Köhler, GRUR 2005, 793; Henning-Bodewig GRUR Int 2005, 629; die Richtlinie geht auf das am 2.10.2001 vorgelegte Grünbuch über Verbraucherschutz im Binnenmarkt zurück, KOM (2001) 531 endg. Erwägungsgründe 6, 7 zur Richtlinie. Eingehend zu den Zielen der Richtlinie Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff. Erwägungsgrund 3 zur Richtlinie.
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Allerdings erfasst die Richtlinie lediglich die Verhältnisse zwischen Unternehmer und 303 Verbraucher („B2C“), nicht jedoch Maßnahmen, die sich ausschließlich gegen Unternehmer („B2B“) richten (Art 1 der Richtlinie), die weiterhin von der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (1984, 1997) geregelt werden sollen. Sie bleibt auch gegenüber einigen, bereichsspezifischen, gemeinschaftsrechtlichen Regelungen subsidiär (Art 3 Abs 4 der Richtlinie). So wird im Einzelfall das Ziel der Richtlinie, ein „einziges, gemeinsames, generelles Verbot“ 599 unlauterer Geschäftspraktiken zu schaffen, nicht ganz erreicht.600 Durch die Trennung der Regelungen zum Mitbewerberschutz und Verbraucherschutz wird zudem eine weitere Komplexität an Normen geschaffen, die nicht notwendig ist und darüber hinaus in der Sache auch nicht getrennt betrachtbar ist.601 Die Richtlinie enthält eine Binnenmarktklausel (Art 4 der Richtlinie), wonach es den 304 Mitgliedstaaten untersagt ist, von der Richtlinie restriktivere Regelungen zu treffen. In Anlehnung an das Herkunftslandprinzip 602 des EG-Vertrages sollen Produkte, die nach dem Recht des Herkunftslandes rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden, grds genauso auch in allen anderen Mitgliedstaaten abgesetzt werden können.603 Die Richtlinie lässt allerdings offen, ob mit dieser Regelung allein auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu Art 28 EG und der Keck- und Cassis de Dijon-Rechtsprechung verwiesen werden soll oder ob den Mitgliedstaaten generell die Freiheit zur Regelung von Verkaufsmodalitäten untersagt werden soll.604 Hinsichtlich der Definition der unlauteren Geschäftspraktiken enthält die Richtlinie 305 neben einer Generalklausel (Art 5 der Richtlinie) 605 auch eine sog „black-list“, welche 31 verbotene Handlungen aufzählt – die sog „per-se-Verbote“ (Anh I zu Art 5 Abs 5 der Richtlinie), die unwiderleglich 606 und „unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind“, ohne dass eine weitere Überprüfung, zB der Auswirkungen nötig wäre.607 Neben der Generalklausel sowie der „black-list“ enthält die Richtlinie auch Aussagen zu irreführenden Handlungen und Unterlassungen (Art 6, 7 der Richtlinie), allerdings wesentlich umfassender als die zuvor erlassene Richtlinie 84/450/EWG. Es sollen nun alle „unwahren oder zur Täuschung geeigneten Angaben“ als irreführend erfasst sein, welche geeignet sind, den Durchschnittsverbraucher zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Der Durchschnittsverbraucher ist angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren – was das Verbraucherleitbild des EuGH kodifiziert.608 Schließlich werden Regelungen zum Verbot aggressiver Geschäftspraktiken aufgestellt 599 600
601
602 603
604
Erwägungsgrund 13 zur Richtlinie. Krit auch Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff; vgl auch Henning-Bodewig GRUR 2005, 629 ff; zu den daraus resultierenden künftigen Konfliktfeldern im Lauterkeitsrecht vgl Ohly WRP 2008, 182 ff. So auch Stellungnahmen der deutschen Vereinigung, GRUR 2004, 215 ff und des MPI in GRUR Int 2003, 926 ff; Glöckner WRP 2004, 936, 938; vgl auch Piper/Ohly/Ohly Einf C Rn 43 ff. Vgl oben Rn 204. Krit zur eigenständigen Bedeutung der Binnenmarktklausel Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff. Krit auch Gamerith WRP, 2005, 391, 411;
605
606 607 608
Glöckner WRP 2004, 936, 939; Brömmelmeyer GRUR 2007, 295 ff. Durch die Generalklausel wird der Begriff der „unlauteren Geschäftspraxis“ durch EuGHAuslegung gemeinschaftsrechtliche Konturen gewinnen, vgl Ohly WRP 2008, 180 f. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm Richtlinie 2005/29/EG Anh I, Rn 1 ff. Vgl Henning-Bodewig GRUR 2005, 629 ff. Erwägungsgrund 18 zur Richtlinie; Piper/ Ohly/Ohly Einf C, Rn 52; EuGH GRUR Int 2000, 354 – Estée Lauder/Lancaster – Lifting Creme; Helm WRP 2005, 931, 936; Deutsch GRUR 1997, 44; weiterführend Fezer WRP 2007, 1021.
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(Art 8 der Richtlinie).609 Bzgl der von den Mitgliedstaaten zu gewährleistenden Sanktionen geht die Richtlinie nicht über die Richtlinie 84/450/EWG hinaus. Die Umsetzungsfrist für die Richtlinie ist Ende 2007 abgelaufen,610 ohne dass eine 306 Umsetzung in Deutschland erfolgt ist.611
307
cc) Richtlinie über Unterlassungsklagen (1998/27/EG). Die Richtlinie 1998/27/EG über Unterlassungsklagen 612 verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Verletzung von bestimmten, im Anhang bezeichneten Richtlinien die Möglichkeit von Unterlassungsklagen in ihr nationales Recht aufzunehmen. Geschützt werden soll der Bereich des Verbraucherschutzes. Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einem Behördenmodell oder einem zivilrechtlichen Modell 613, indem klagebefugt sowohl Verbraucherschutzbehörden als auch Verbraucherschutzorganisationen sein können. Ergänzt wird die Richtlinie durch die Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (VO Nr 2006/2004/EG).
308
dd) Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (VO Nr 2006/ 2004/EG). Die Verordnung 2006/2004/EG 614 setzt beim Verbraucherschutz verstärkt auf ein Behördenmodell, indem sie die Mitgliedstaaten zur Benennung von Verbraucherschutzbehörden verpflichtet, die bei (grenzüberschreitenden Sachverhalten) weitgehende Befugnisse zur Unterbindung von Verstößen gegen bestimmte Richtlinien haben sollen (Anh zu Art 3a) der Verordnung), so zB gegen die Richtlinien 84/450/EWG und 97/55/EG über irreführende und vergleichende Werbung; die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und die Richtlinie 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung von Fernsehtätigkeit. Die Verordnung ist auf das Behördenmodell zugeschnitten, das in den meisten EU-Mitgliedstaaten besteht 615, und soll sicherstellen, dass im Bereich des Verbraucherschutzes in Europa nicht nur entsprechende materielle Verbraucherschutzvorschriften existieren, sondern zugunsten der Verbraucher auch Möglichkeiten der Durchsetzung ihrer Rechte vorgehalten werden. Durch das Gesetz über die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze bei innergemeinschaftlichen Verstößen (VerbrSchDG) sollen in Deutschland die Voraussetzungen für die Verordnung geschaffen werden.616
309
b) Medienspezifisches Werberecht (Internet und Fernsehen). aa) Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (2000/31/EG). Die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (sog „E-Commerce-Richtlinie“) 617 ist eine bereichsspezifische Richtlinie. Sie soll den freien Verkehr von Informationen im Binnenmarkt gewähr609 610
611
612
Vgl Hecker WRP 2006, 640. Art 19 der Richtlinie erklärt die Richtlinie bei fehlender Umsetzung ab 12.12.2007 für anwendbar. Zum Stand der Umsetzung der Richtlinie in Deutschland vgl Ohly WRP 2008, 181 f; vgl weiterführend auch Seichter WRP 2005, 1087; eingehend zum Umsetzungsbedarf im deutschen Recht Piper/Ohly/Ohly Einf C, Rn 57 mwN; weiterführend Steinbeck WRP 2006, 632 ff. Richtlinie 1998/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABlEG 1998, L 166, 51.
180
613 614
615 616 617
Erwägungsgrund 10 zur Richtlinie. Verordnung 2006/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden, ABlEG 2004, L 364, 1. Piper/Ohly/Ohly Einf C Rn 42. BT-Drucks 16/2930. Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte des Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt vom 8.6.2000, ABlEG 2000, L 178, 1.
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leisten (Art 1 Abs 1). Zu diesem Zweck statuiert sie ein Herkunftslandprinzip 618, welches nahezu sämtliche Rechtsvorschriften für die Tätigkeit von Internet-Anbietern umfassen soll. Darüber hinaus regelt die Richtlinie hauptsächlich Informationspflichten (Art 5, 6), Vorschriften zum Vertragsschluss im Internet (Art 9 ff) und die Haftung von Diensteanbietern (Art 12 ff). Deutschland hat die Richtlinie teilweise im BGB und teilweise durch das Teledienstegesetz (TDG), welches mittlerweile durch das Telemediengesetz abgelöst wurde, und in anderen medienspezifischen Gesetzen umgesetzt. bb) Fernabsatzrichtlinie (1997/7/EG) und die Richtlinie über den Fernabsatz von 310 Finanzdienstleistungen (2002/65/EG) sowie Richtlinie 2002/58/EG über den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation. Zusammengenommen betreffen beide Richtlinien 619 größtenteils den schuldrechtlichen Verbraucherschutz, wobei die Finanzdienstleistungen seit der Fernabsatzrichtlinie (2002) erst erfasst sind. Die Richtlinien enthalten Regelungen zu Informations- und Auskunftspflichten, zum Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Fernabsatzgeschäften und zu den Rechten der Verbraucher bei Zusendung unbestellter Waren bzw bei der Erbringung unaufgeforderter Dienstleistungen. Diese Richtlinienbestimmungen sind in Deutschland zunächst durch das Fernabsatzgesetz eingeführt und im Rahmen der Schuldrechtsreform ins BGB integriert worden. Die werberechtliche Regelung der Richtlinien, wonach Werbung mittels Anrufmaschinen und Faxzusendungen ohne Einwilligung des Beworbenen (Art 10) strikt verboten ist, ist mit der spezielleren Bestimmung der Richtlinie über den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation 620 überlagert worden. Diese Richtlinie dient der Konkretisierung der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG, wobei ihr primäres Ziel nicht Lauterkeit des Wettbewerbs oder des Verbraucherschutzes ist sondern der Schutz der Privatsphäre gem Art 8 EMRK. Dabei enthält sie allgemeine Aussagen zu zulässigen Werbeformen: Durch die spezielle Regelung des Art 13 sollen Privatpersonen vor allen Formen unerbetener, belästigender Werbung („Spam“) geschützt werden, welche mittels Telekommunikationsmedien verbreitet werden. Solche Methoden sollen stets die Einwilligung des Adressaten erfordern (sog „Opt-In-Lösung“). Für die Regelung der Telefonwerbung behalten die Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum. In Bezug auf juristische Personen lässt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten ebenfalls einen weiteren Gestaltungsspielraum.621 cc) Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 2007/65/EG). Bis 2007 galt die 311 sog Fernsehrichtlinie über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (RL 89/552/EWG in der Fassung der RL 97/36/EG). Sie wurde 2007 durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMDR) abgelöst.622 Während die frühere Fernsehrichtlinie einen medien-
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620
Vgl oben Rn 204. Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABlEG 1997, L 144, 19; Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABlEG 2002, L 271, 16. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener
621 622
Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABlEG 2002, L 201, 37, geändert durch Richtlinie vom 15.3.2006, ABlEG 2006, L 105, 54. Näher Piper/Ohly/Ohly § 7 Rn 10. Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABlEG 2007, L 332, 27.
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spezifischen Ansatz verfolgte und sich ursprünglich nur auf Fernsehsendungen mit spezifischen Regelungen für Werbung, Sponsoring und Teleshopping bezog, passt die AVMDR die Bestimmungen nun auf die veränderten Marktverhältnisse aufgrund zunehmender Medienkonvergenz an. Die Regelungen der AVMDR betreffen nunmehr alle audiovisuellen Mediendienste allgemein, wobei die Richtlinie zwischen linearen und nicht-linearen Diensten (also Abrufdiensten) unterscheidet.623 Die Richtlinie betrachtet Mediendienste jedoch technologieneutral und stellt allein auf die redaktionelle Verantwortung für Inhaltsauswahl und Organisation ab. Die Richtlinie enthält Werbebeschränkungen (Kap IV) wie Regelungen zur zulässigen 312 Dauer und Modalitäten der Werbeunterbrechungen in Sendungen, wobei Kino- und Fernsehfilme, Nachrichtensendungen sowie Kindersendungen unterschiedlich behandelt werden: Werbepausen bei Kino- und Fernsehfilmen sowie bei Nachrichtensendungen sollen zukünftig einmal alle 30 Minuten möglich sein bei einer maximalen Werbezeit von 12 Minuten pro Stunde. Gleiches gilt auch bei Kindersendungen mit der Besonderheit, dass Kindersendungen mit weniger als 30 Minuten Laufzeit nicht unterbrochen werden dürfen. Vollständig verboten wird Fernsehwerbung für Tabakprodukte und verschreibungspflichtige Medikamente. Das Gebot der Trennung von Werbung und Programm wird für alle linearen Dienste 313 aufrechterhalten und Schleichwerbung allgemein für alle audiovisuellen Mediendienste verboten. Produktplatzierungen in redaktionellen Inhalten sollen nach der Neufassung der Richtlinie jedoch gelockert werden 624, indem ein Erlaubnisvorbehalt für Kinofilme, Filme und Serien sowie bei Sportsendungen und Sendungen der leichten Unterhaltung eingeführt wird. Bei erlaubten Produktplatzierungen muss jedoch – entsprechend den Bestimmungen zum Sponsoring – ergänzend zu Beginn und am Ende der Sendung sowie nach jeder Werbeunterbrechung auf die Produktplatzierung hingewiesen werden. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die freie Programmgestaltung von den Absprachen über die Produktplatzierung gewahrt bleibt. Nicht erlaubt ist die Produktplatzierung weiterhin bei Nachrichtensendungen, Kinderprogrammen, Dokumentationen und Ratgebersendungen.625 Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, weitergehende Verbote zu erlassen oder aufrecht zu erhalten.
314
c) Inhaltsspezifisches Werberecht. Neben den allgemeinen lauterkeitsrechtlichen bzw medienspezifischen Vorschriften zum Wettbewerbsrecht enthalten eine Vielzahl weiterer Rechtsakte Vorschriften über die Vermarktung und Kennzeichnung von bestimmten Produktkategorien, welche aufgrund ihrer bereichsspezifischen Detailregelungen hier nur beispielhaft und kurz zusammengefasst werden können.626 Die Tabakwerberichtlinie 2003/33/EG 627 verbietet die Bewerbung von Tabakerzeug315 nissen im Rundfunk und in der Presse, mit Ausnahme branchenspezifischer und außerhalb der EU erscheinender Publikationen. Ebenso ist das Sponsoring von Veranstaltungen mit grenzüberschreitender Wirkung zur Förderung des Absatzes von Tabakerzeugnissen verboten. Die Regelungen sollen ua einem hohen Gesundheitsschutz in Europa dienen. 623
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Eingehend Stender-Vorwachs/Theißen ZUM 2007, 613 ff; vgl auch Schwartmann/ Schwartmann 34, 126 f; weiterführend Kleist/Scheuer MMR 2006, 127. Weiterführend Leitgeb ZUM 2006, 837 ff. Weiterführend Kleist/Scheuer MMR 2006, 206 ff. Vgl Liste im Anh II der Richtlinie über
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unlautere Geschäftspraktiken ABlEG 2005, L 149, 22 ff. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen ABlEG 2003, L 152, 16.
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Die Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung von 2004 628 fasst verschiedene arznei- 316 mittelrechtliche Richtlinien zusammen, bspw die frühere Richtlinie 92/28/EWG über die Werbung für Humanarzneimittel. Die Richtlinie verbietet die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel und bestimmte Werbeaussagen wie bspw die Freiheit von Nebenwirkungen. Daneben schreibt sie bestimmte Mindestanforderungen an Kennzeichnungspflichten für Arzneimittelwerbung vor. Das Lebensmittelwerberecht wird maßgeblich durch die sog Health-Claims-Verord- 317 nung VO 1924/2006 629 bestimmt, welche detaillierte Vorschriften zur Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung für Lebensmittel enthält, die an den Endverbraucher abgegeben werden. Die Verordnung regelt insbesondere zulässige und unzulässige nährwertund gesundheitsbezogene Angaben.630 Sie gilt grds auch für Marken und markenmäßige Kennzeichnungen, lässt jedoch Ausnahmen zu, sofern eine zugelassene nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe „beigefügt“ wird. Die wichtigste Einschränkung des Anwendungsbereichs ist in Art 2 Abs 2 Ziff 1 enthalten, wonach die Verordnung nur „freiwillige Angaben“ erfasst, dh, dass Pflichtangaben nach Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften ausgenommen sind. Die Verordnung ist subsidiär, sofern die Richtlinien über dietätische Lebensmittel (RL 89/398/EWG), Mineralwasser (RL 80/777/ EWG), Wasser für den menschlichen Gebrauch (RL 89/83/EG) sowie über Nahrungsergänzungsmittel (RL 2002/46/EG) speziellere Tatbestände und Regelungen enthalten. 3. Äußerungsrecht Mit den Gefahren der unbegrenzten Verbreitungsmöglichkeiten über die global ver- 318 netzten und konvergenten Medientechnologien beschäftigt sich die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Jugendlichen, der Menschenwürde und dem Recht auf Gegendarstellung hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen audiovisuellen Medien und der europäischen Informationsdiensteindustrie vom 30.4.2004.631 Der Vorschlag soll einer verantwortungsvollen Nutzung der neuen Technologien sowie der Aufklärung dienen, Diskriminierungen unterbinden und illegale, schädliche und unerwünschte Inhalte und Verhaltensweisen insbesondere im Internet bekämpfen. Die Kommission schlägt ein Tätigwerden hinsichtlich jeglicher Inhalte in audiovisuellen 319 Diensten und Informationsdiensten vor, die alle Formen der Übermittlung vom Rundfunk bis zum Internet abdecken. Die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen insbesondere die Evaluierung und Klassifizierung von qualitativen audiovisuellen Inhalten. Geschützt werden sollen hierdurch insbesondere Minderjährige, wobei die Mitgliedstaaten durch den Austausch von best-practices insbesondere die Erkennbarkeit und Bewertbarkeit von Inhalten fördern sollen, um den breiten Zugang zu Informationen
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Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung von 2004, ABlEG 2004, L 136, 34. Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der Fassung vom 18.1.2007, ABlEG 2007, L 12, 3.
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Eingehend Jung WRP 2007, 389 ff; vgl auch Meisterernst/Haber WRP 2007, 363 ff; Buchner/Rehberg GRUR Int 2007, 394 ff. KOM (2004) 341 endg abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_ doc?smartapi!celexplus!prod!DocNumber &lg=de&type_doc=COMfinal&an_doc= 2004&nu_doc=341.
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Kapitel 3 Europäisches Medienrecht
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nicht unnötig beschneiden zu müssen, wie etwa durch Sperrvorrichtungen oder Zugangskontrollen. Ferner sollen die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene dafür Sorge tragen, dass das Recht auf Gegendarstellung in allen Medien eingeführt wird, unbeschadet der Möglichkeit, die Art seiner Ausübung an die jeweiligen Besonderheiten der unterschiedlichen Medien anzupassen. Die Kommission wählte das unverbindliche Instrument der Empfehlung, da sie – wie sie 320 in der Empfehlung selbst anmerkt – für den Bereich der Industrie- und Kulturpolitik keine andere Ermächtigungsgrundlage für gesetzgeberisches Handeln sieht.
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Andrea Stauber
Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums Literatur Kapitel 4 und 5 Ahrens Brauchen wir einen Allgemeinen Teil der Rechte des Geistigen Eigentums? GRUR 2006, 617; Ahrens Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung bei Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums GRUR 2005, 837; Ahrens Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl Köln ua 2005; Alexander Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland? GRUR Int 2005, 809; Asendorf Gesetz zur Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie NJW 1990, 1283; Balganesh Demystifying the Right to Exclude: Of Property, Inviolability, and Automatic Injunctions, Harvard Journal of Law and Public Policy 2008 Bd 31; Baronikians Eilverfahren und Verjährung WRP 2001, 121; Bartholomew/Tehranian The Secret Life of Legal Doctrine: The Divergent Evolution of Secondary Liability in Trademark and Copyright Law, Berkeley Technology Law Journal 2006 Bd 21, 1363; Battenstein Instrumente zur Informationsbeschaffung im Vorfeld von Patent- und Urheberrechtsverletzungsverfahren, Hamburg 2006; Berger Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 EuGVVO GRUR Int 2005, 465; Berlit Auswirkungen des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Patentrecht WRP 2007, 732; Bernecke Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl München 2003; Bernecke Der enge Streitgegenstand von Unterlassungsklagen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in der Praxis WRP 2007, 579; Bodewig Praktische Probleme bei der Abwicklung der Rechtsfolgen einer Patentverletzung – Unterlassung, Beseitigung, Auskunft GRUR 2005, 632; Bodewig/Wandtke Die doppelte Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie GRUR 2008, 220; Bohne Zur Auskunftserteilung durch Access-Provider nach Schutzrechtsverletzung im Internet GRUR-RR 2005, 145; Bork Effiziente Beweissicherung für den Urheberrechtsverletzungsprozeß – dargestellt am Beispiel raubkopierter Computerprogramme NJW 1997, 1665; Bornkamm Unterlassungstitel und Wiederholungsgefahr, in: Keller/Plassmann/von Falck (Hrsg), Festschrift für Winfried Tilmann, Köln ua 2003; Bornkamm Der Schutz vertraulicher Informationen im Gesetz zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums – In-camera-Verfahren im Zivilprozess? in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006, 893; Brandi-Dohrn Schutzrechtshaftung und Schutzrechte im Konzern, in: Beier/ Brüning-Petit/Heath (Hrsg) Festschrift für Jochen Pagenberg zum 65. Geburtstag, Köln ua 2006; Busch Zurückweisung einer Abmahnung bei Nichtvorlage der Originalvollmacht nach § 174 S 1 BGB? GRUR 2006, 477; Busche/Stoll TRIPs – Internationales und europäisches Recht des geistigen Eigentums, Köln ua 2007; Büscher/Dittmer/Schiwy Kompaktkommentar Gewerblicher Rechtsschutz mit Urheber- und Medienrecht, Köln ua 2008; Carroll Patent Injunctions and the Problem of Uniformity Cost, Michigan Telecommunications and Technology Law Review 2007 Bd 13, 421; Cepl Die mittelbare Urheberrechtsverletzung, Berlin 2005; Cornish/Llewelyn The Enforcement of Patents in the United Kingdom IIC 2000, 627; Damm/Rehbock Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl München 2008; Depoorter/Vanneste Norms and Enforcement: The Case Against Copyright Litigation, Oregon Law Review 2006 Bd 84, 1127; Deutsch Der BGH-Beschluss zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung und seine Folgen für die Praxis GRUR 2006, 374; Dreier Ausgleich, Abschreckung und andere Rechtsfolgen von Urheberrechtsverletzungen GRUR Int 2004, 706; Dreier TRIPS und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums GRUR Int 1996, 205; Diessel Trolling for Trolls: The Pitfalls of the Emerging Market Competition Requirement for Permanent Injunctions in Patent Cases Post-eBay, Michigan Law Review 2007 Bd 106,
Marcus von Welser
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
305; Dornis/Förster Die Unterwerfung: Rechtsnatur und Rechtsnachfolge GRUR 2006, 195; Eisenkolb Die Enforcement-Richtlinie und ihre Wirkung – Ist die Enforcement-Richtlinie mit Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar wirksam? GRUR 2007, 387; Götz Schaden und Bereicherung in der Verletzerkette GRUR 2001, 295; Elfring Geistiges Eigentum in der Welthandelsordnung, Köln ua 2007; Erichson Court-Ordered Confidentiality in Discovery, Chicago-Kent Law Review 2006 Bd 81, 357; Ewert/von Hartz Die Abmahnung im Urheberrecht auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? ZUM 2007, 450; Federrath Technische Grundlagen von Auskunftsansprüchen ZUM 2006, 434; Frank/Wiegand Der Besichtigungsanspruch im Urheberrecht de lege ferenda CR 2007, 481; Flechsig/Karg Inhalt und Umfang der Nachbesserungsmöglichkeiten im Gegendarstellungsrecht ZUM 2006, 177; Fröhlich Standards und Patente – Die ETSI IPR Policy GRUR 2008, 205; Gamerith Die Verwirkung im Urheberrecht WRP 2004, 75; Gärtner/Worm Möglichkeiten der Bekämpfung von Produktpiraterie Mitt 2007, 254; Gercke Die Bedeutung der Störerhaftung im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen ZUM 2006, 593; Gloy/Loschelder Wettbewerbsrecht, 3. Aufl München 2005; Grabinski Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im deutschen Patentverletzungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001, in: Grosch/Ullmann (Hrsg) Gewerbliche Schutzrechte und ihre Durchsetzung, Festschrift für Tilman Schilling zum 70. Geburtstag, Köln ua 2007, 191; Götting Die persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Schutzrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße GRUR 1994, 6; Goldstein Sealing and Revealing: Rethinking the Rules Governing Public Access to Information Generated Through Litigation, Chicago-Kent Law Review 2006 Bd 81, 375; Grosheide Durchsetzung von Urheberrechten im Wege einstweiliger Maßnahmen GRUR Int 2000, 310; Haberstumpf Zum Umfang der Verbietungsrechte des Verlegers, in: Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg) Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts – Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, 309; Haedicke Informationsbefugnisse des Schutzrechtsinhabers im Spiegel der EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, in: Ohly/Bodewig/Dreier/ Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg) Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts – Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, 19; Hahn Das Verbotsrecht des Lizenznehmers im Urhebervertragsrecht, Baden-Baden 2007; von Hartz Beweissicherungsmöglichkeiten im Urheberrecht nach der Enforcement-Richtlinie im deutschen Recht ZUM 2005, 376; von Hartz Beweissicherung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Baden-Baden 2004; Hass Zur persönlichen Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Wettbewerbsverstößen und Verletzung gewerblicher Schutzrechte, in: Grosch/Ullmann (Hrsg) Gewerbliche Schutzrechte und ihre Durchsetzung, Festschrift für Tilman Schilling zum 70. Geburtstag, Köln ua 2007, 249; Heermann/Hirsch (Hrsg) Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, München 2006 (zit MüKo/Bearbeiter § 1 UWG Rn 1); Hefermehl/Köhler/Bornkamm Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, 26. Aufl München 2008; Hess Vertragsstrafenklage und wettbewerbsrechtliche Gerichtszuständigkeit, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006, 927; Hess Unterwerfung als Anerkenntnis?, WRP 2003, 353; Hoffmann Die Entwicklung des Internet-Rechts bis Mitte 2007 NJW 2007, 2594; Hoene Negative Feststellungsklage, WRP 2008, 44; Ibbeken Das TRIPs-Übereinkommen und die vorgerichtliche Beweishilfe im gewerblichen Rechtsschutz, Köln ua 2004; Junker Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, Heidelberg 1987; Katyal Privacy vs. Piracy, Yale Journal of Law & Technology, 2004 Bd 7, 222 (zit Yale J Law & Tech); Kircher Der Sequestrationsantrag im einstweiligen Rechtsschutz: Ausweg aus der Obliegenheit zur Abmahnung?, in: Grosch/Ullmann (Hrsg) Gewerbliche Schutzrechte und ihre Durchsetzung, Festschrift für Tilman Schilling zum 70. Geburtstag, Köln ua 2007, 293; Kitz Die Auskunftspflicht des Zugangsvermittlers bei Urheberrechtsverletzungen durch seine Nutzer GRUR 2003, 1014; Kitz Urheberschutz im Internet und seine Einfügung in den Gesamtrechtsrahmen ZUM 2006, 444; Klaka Persönliche Haftung des gesetzlichen Vertreters für die im Geschäftsbetrieb der Gesellschaft begangenen Wettbewerbsverstöße und Verletzungen von Immaterialgüterrechten GRUR 1988, 729; Klein Keine Vertragsstrafe für die Schwebezeit GRUR 2007, 664; Klette Zur (regelmäßig nicht zulässigen) einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Unterlassungs-Urteilsverfügungen GRUR 1982, 471; Klute Strategische Prozessführung im Verfügungsverfahren GRUR 2003, 34; Klute Eine Streitschrift wider die Kenntniserlangung – Zustellungsmängel von Beschlussverfügungen und deren Heilung GRUR 2005, 924; Knaak Die EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und ihr Umsetzungsbedarf im deutschen Recht GRUR Int 2004, 745; Knie-
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums per Mit Belegen gegen Produktpiraten WRP 1999, 1116; Köhler Zur Erstattungsfähigkeit von Abmahnkosten, in: Ahrens/Bornkamm/Gloy/Starck/von Ungern-Sternberg (Hrsg) Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag, Köln ua 2002, 845; Köhler „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht – Zur BGH-Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ GRUR 2008, 1; Köhler Die wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche (Unterlassung, Beseitigung, Widerruf) NJW 1992, 137; Köllner Diverse Anmerkungen zur Bemessung des Schadensersatzes bei Patentverletzungen Mitt 2006, 535; Kramer Zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber Access Providern: Verpflichtung zur Herausgabe der Nutzerdaten von Urheberrechtsverletzern unter Berücksichtigung der Enforcement-Richtlinie (RL 2004/48/EG), Hamburg 2007; Kühnen/Geschke Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Aufl Köln ua 2008; Kunz-Hallstein/Loschelder Gemeinsame Stellungnahme der Ausschüsse für Patent- und Gebrauchsmusterrecht, Geschmacksmusterrecht und Urheberrecht zum Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ (Stand: 3.1.2006) GRUR 2006, 393 (zit GRUR-Stellungnahme); Landes/Lichtman Indirect Liability for Copyright Infringement: An Economic Perspective, Harvard Journal of Law and Technology 2003 Bd 16, 395; Lemley/Reese Reducing Digital Copyright Infringement Without Restricting Innovation, Stanford Law Review 2004 Bd 56, 1345; Lemley/Reese A Quick and Inexpensive System for Resolving Digital Copyright Disputes, Cardozo Arts & Entertainment Law Journal 2005 Bd 23, 1; Lehment Zur Bedeutung der Kerntheorie für den Streitgegenstand WRP 2007, 237; Leible/Sosnitza Haftung von Internetauktionshäusern – reloaded NJW 2007, 3324; Leistner Von „Grundig-Reporter(n) zu Paperboy(s)“ – Entwicklungsperspektiven der Verantwortlichkeit im Urheberrecht GRUR 2006, 801; Loewenheim Bemerkungen zur Schadensberechung nach der doppelten Lizenzgebühr bei Urheberrechtsverletzungen, in: Ahrens/Bornkamm/Gloy/Starck/von Ungern-Sternberg (Hrsg) Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag, Köln ua 2002, 131; Loschelder Rechtsfortbildung der Schadensberechnungsmethode „Herausgabe des Verletzergewinns“ NJW 2007, 1503; ders Die Enforcement-Richtlinie und das Urheberrecht, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg) Festschrift für Peter Raue zum 65. Geburtstag, Köln 2006, 529; Lucchi Intellectual Property Rights in Digital Media: A Comparative Analysis of Legal Protection, Technological Measures and New Business Models Under E. U. And U. S. Law, Buffalo Law Review 2005 Bd 53, 101; Maloney The Enforcement of Patent Rights in the United States IIC 2000, 723; Markfort Geistiges Eigentum im Zivilprozess, Frankfurt 2001; McGuire Beweismittelvorlage und Auskunftsanspruch nach der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums GRUR Int 2005, 15; Meier-Beck Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung! GRUR 2005, 535; Meier-Beck Herausgabe des Verletzergewinns – Strafschadensersatz nach deutschem Recht? GRUR 2005, 617; Mellulis Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl Köln 2000; Menninger/Nägele Die Bewertung von Gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten für Zwecke der Schadensberechnung im Verletzungsfall WRP 2007, 912; Gräfin von Merveldt Der Auskunftsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz, Baden-Baden 2007; Graf von Merveldt Der Ausschluss kartellrechtlicher Einwendungen im Patentverletzungsverfahren WuW 2004, 19; Mittag Der Unterlassungsanspruch gegen Mediendarstellungen im einstweiligen Rechtsschutz, Hamburg 2006; Musielak Kommentar zur Zivilprozessordnung 5. Aufl München, 2007; Nägele/Nitsche Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums WRP 2007, 1047; Nieder Die Patentverletzung, München 2004; Ott Erfüllung von Löschungspflichten bei Rechtsverletzungen im Internet WRP 2007, 605; Nill Sachliche Zuständigkeit bei Geltendmachung der Kosten von Abschlussschreiben GRUR 2005, 740; Ntouvas Unterlassungsanspruch bei Patentverletzung: neue Erkenntnisse des US Supreme Court GRUR Int 2006, 889; Ohly Schadensersatzansprüche wegen Rufschädigung und Verwässerung im Marken- und Lauterkeitsrecht GRUR 2007, 926; Ott Haftung für verlinkte urheberrechtswidrige Inhalte in Deutschland, Österreich und den USA GRUR Int 2007, 14; Pansch Die einstweilige Verfügung zum Schutze des geistigen Eigentums im grenzüberschreitenden Verkehr, Köln ua 2005; Paschke/Busch Hinter den Kulissen des medienrechtlichen Rückrufanspruchs NJW 2004, 2620; Patnaik Enthält das deutsche Recht effektive Mittel zur Bekämpfung von Nachahmungen und Produktpiraterie? GRUR 2004, 191; Peifer Die dreifache Schadensberechnung im Lichte zivilrechtlicher Dogmatik WRP 2008, 48; Peukert/Kur Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in deutsches Recht GRUR Int 2006, 292; Prütting Geistiges Eigentum und Ver-
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
fahrensrecht, insbesondere beweisrechtliche Fragen, in: Haesemann/Gennen/Bartenbach (Hrsg) Festschrift für Kurt Bartenbach zum 65. Geburtstag, Köln ua 2005, 417; Raabe Der Auskunftsanspruch nach dem Referentenentwurf zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums ZUM 2006, 439; Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl München 2008; Resnik Uncovering, Disclosing, and Discovering – How the Public Dimensions of Court-Based Processes are at Risk, Chicago-Kent Law Review 2006 Bd 81, 521; Riesenhuber (Hrsg) Systembildung im Europäischen Urheberrecht, INTERGU-Tagung 2006, Berlin 2007 (zit Riesenhuber/Bearbeiter); Rojahn Praktische Probleme bei der Abwicklung der Rechtsfolge einer Patentverletzung GRUR 2005, 623; Sack Notwendige Differenzierungen bei unbegründeten Abnehmerverwarnungen WRP 2007, 708; Sack Die Haftung für unbegründete Schutzrechtsverwarnung WRP 2005, 253; Sack Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen, Köln ua 2006; Säcker/ Rixecker (Hrsg) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd 1, München 2006; Schack Urheberrechtliche Schranken, übergesetzlicher Notstand und verfassungskonforme Auslegung, in: Ohly/Bodewig/Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg) Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts – Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, 511; Schaub Schadensersatz und Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht GRUR 2005, 918; Schmidhuber Schadensersatz bei falscher oder unvollständiger Erteilung einer Auskunft WRP 2008, 296; Schulz Schubladenverfügung und die Kosten der nachgeschobenen Abmahnung WRP 2007, 589; Seichter Der Auskunftsanspruch nach Artikel 8 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006, 983; Seichter Die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums WRP 2006, 391; Sieber/Höfinger Drittauskunftsansprüche nach § 101a UrhG gegen Internetprovider zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen MMR 2004, 575; Spieker Haftungsrechtliche Aspekte für Unternehmen und ihre Internet-Werbepartner (Affiliates) GRUR 2006, 903; Spindler/Weber Die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie nach dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums ZUM 2007, 257; Spindler/Weber Der Geheimnisschutz nach Art 7 der Enforcement-Richtlinie MMR 2006, 711; Spindler/Leistner Die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet – Neue Entwicklungen in Deutschland und in den USA GRUR Int 2005, 773; Steinbeck „Windsor Estate“ – Eine Anmerkung GRUR 2008, 110; Steinbeck Ist die negative Feststellungsklage Hauptsache iS von § 937 I ZPO? NJW 2007, 1783; Stumpf/Groß Der Lizenzvertrag, 9. Aufl, Heidelberg, 2007; Teplitzky Gerichtliche Hinweise im einseitigen Verfahren zur Erwirkung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung GRUR 2008, 34; Teplitzky Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 9. Aufl Köln ua 2007; Teplitzky Der Streitgegenstand in der neuesten Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH WRP 2007, 1; Teplitzky „Markenparfümverkäufe“ und Streitgegenstand WRP 2007, 397; Teplitzky Die wettbewerbsrechtliche Unterwerfung heute – Neuere Entwicklungen eines alten Streitbereinigungsmittels GRUR 1996, 696; Teplitzky Unterwerfung oder Unterlassungstitel? WRP 1996, 171; Teplitzky Die Regelung der Abmahnung in § 12 Abs 1 UWG, ihre Reichweite und einige ihrer Folgen, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006, 999; Tilmann Konstruktionsfragen zum Schadensersatz nach der Durchsetzungs-Richtlinie in: Grosch/Ullmann (Hrsg) Gewerbliche Schutzrechte und ihre Durchsetzung, Festschrift für Tilman Schilling zum 70. Geburtstag, Köln ua 2007, 367; Tilmann Beweissicherung nach europäischem und deutschem Recht, in: Ahrens/ Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006; Tilmann/Schreibauer Die neueste BGH-Rechtsprechung zum Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB – Anmerkungen zum Urteil des BGH „Faxkarte“ GRUR 2002, 1015; Tilmann/Schreibauer Beweissicherung vor und im Patentverletzungsprozess, in: Ahrens/ Bornkamm/Gloy/Starck/von Ungern-Sternberg (Hrsg) Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag, Köln ua 2002, 901; Tilmann Gewinnherausgabe im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht – Folgerungen aus der Entscheidung „Gemeinkostenanteil“ GRUR 2003, 647; Tilmann Beweissicherung nach Art 7 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums GRUR 2005, 737; Thun Der immaterialgüterrechtliche Vernichtungsanspruch, München 1998; Ullmann Wer sucht, der findet – Kennzeichenverletzung im Internet GRUR 2007, 633; Ullmann Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung? GRUR 2001, 1027; v. UngernSternberg Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Urheberrecht und zu den verwandten Schutzrechten in den Jahren 2006 und 2007, (Teil I) GRUR 2008, 193, (Teil II) GRUR 2008, 291;
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums Wandtke/Bullinger Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl München 2008 (zit Wandtke/Bullinger/Bearbeiter); Wandtke Doppelte Lizenzgebühr im Urheberrecht als Modell für den Vermögensschaden von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet? GRUR 2000, 942; Wedemeyer Änderung von Werken der Baukunst – zu Ansprüchen des Urhebers, Festschrift für Henning Piper zum 65. Geburtstag, 1996, 787; Weisert Rechtsprobleme der Schubladenverfügung WRP 2007, 504; von Welser Die Wahrnehmung urheberpersönlichkeitsrechtlicher Befugnisse durch Dritte, Berlin 2000; Wenzel Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung 5. Aufl Köln 2003; Zahn Die Herausgabe des Verletzungsgewinnes, Köln ua 2005; Zöller Zivilprozessordnung: ZPO, 26. Aufl Köln 2007; Zombik Der Kampf gegen Musikdiebstahl im Internet ZUM 2006, 450.
Übersicht Rn § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1–4 § 2 Aktivlegitimation und Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . 5–32 I. Aktivlegitimation . . . . . . . . 6–8 1. Rechteinhaber . . . . . . . . 6 2. Abtretung . . . . . . . . . . 7 3. Ermächtigung und gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . 8 II. Passivlegitimation . . . . . . . . 9–32 1. Täter und Teilnehmer . . . . 9 2. Störer . . . . . . . . . . . . 10–26 a) Ausgangspunkt . . . . . . 10–11 b) Bereiche/Branchen . . . . 12–17 (aa) Presse . . . . . . . . 12, 13 (bb) Internet . . . . . . . 14–17 c) Einschränkung der Störerhaftung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . 18–25 (aa) Internet-Versteigerung II . . . . . . . . 19 (bb) Rapidshare . . . . . 20–22 (cc) Usenet . . . . . . . . 23–25 d) Vorgehen für Rechteinhaber: Hinweisschreiben . . . . . . . . . 26 3. Haftung bei Verletzung von Verkehrspflichten . . . . . . 27 4. Haftung des Unternehmensinhabers . . . . . . . . . . . 28, 29 5. Haftung des gesetzlichen Vertreters . . . . . . . . . . . 30–32 § 3 Zivilrechtliche Ansprüche . . . . . . . 33–106 I. Unterlassungsanspruch . . . . . 33–38 1. Widerrechtlichkeit . . . . . . 34 2. Wiederholungsgefahr . . . . 35, 36 a) Entstehung der Wiederholungsgefahr . . . . . . 35 b) Fortfall der Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . 36 3. Erstbegehungsgefahr . . . . . 37, 38 a) Entstehung der Erstbegehungsgefahr . . . . . 37 b) Fortfall der Erstbegehungsgefahr . . . . . . . . . . . 38 II. Beseitigungsanspruch . . . . . . 39–41 III. Vernichtungsanspruch . . . . . . 42–48
Rn 1. Anspruchsgegenstände . . . . a) Vervielfältigungsstücke . . b) Vorrichtungen . . . . . . c) Ausnahmen . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . a) Vernichtung . . . . . . . . b) Überlassung . . . . . . . IV. Rückrufanspruch . . . . . . . . V. Entfernungsanspruch . . . . . . VI. Schadensersatzanspruch . . . . . 1. Wahlrecht zwischen drei Methoden der Schadensberechnung . . . . . . . . . . a) Entgangener Gewinn . . . b) Verletzergewinn . . . . . . c) Angemessene Lizenzgebühr . . . . . . . . . . 2. Verletzerzuschlag . . . . . . . a) GEMA-Zuschlag . . . . . b) Verdopplung der Lizenzgebühr wegen fehlender Urhebernennung . . . . . c) Kein allgemeiner Verletzerzuschlag . . . . . . . VII. Geldentschädigung . . . . . . . VIII. Bereicherungsausgleich . . . . . IX. Geschäftsanmaßung . . . . . . . X. Unselbstständiger Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . 1. Vorbereitender Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . 2. Rechnungslegung . . . . . . XI. Selbstständige Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . 1. Auskunft über Dritte . . . . . a) Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . b) Umfang der Auskunftspflicht . . . . . . . . . . 2. Belegvorlage . . . . . . . . . 3. Auskunftsanspruch gegen Dritte . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . b) Anspruchsvoraussetzungen
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43–45 43 44 45 46 47, 48 47 48 49 50 51–60
52–57 54 55, 56 57 58–60 58
59 60 61 62 63 64–67 65, 66 67 68–84 69–71 69, 70 71 72 73–84 74 75, 76
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums Rn (aa) Anhängiger Verletzungsprozess oder offensichtliche Rechtsverletzung (bb) Gewerbliches Ausmaß . . . . . . . c) Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . d) Haftung für Auskünfte e) Durchsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung . . . . . . . . f) Beweisverwertung . . g) Richtervorbehalt bei Fernmeldegeheimnis . XII. Urkundenvorlage und Besichtigung nach § 101a Abs 1 UrhG 1. Zweck . . . . . . . . . . 2. Anspruchsvoraussetzungen a) Anspruchsgegenstand . b) Passivlegitimation . . . c) Hinreichende Wahrscheinlichkeit . . . . . d) Erforderlichkeit . . . . e) Verhältnismäßigkeit . .
.
75
.
76
. .
77 78, 79
. .
80 81
.
82–84
. . . . .
85–101 85, 86 87–91 87 88
. . .
89 90 91
1. Teil Rn
3. Schutz der Vertraulichkeit . . 4. Durchführung der Vorlage und Besichtigung . . . . . . 5. Durchsetzung . . . . . . . a) Einstweilige Verfügung . b) Beweissicherungsverfahren . . . . . . . . 6. Beweisverwertung . . . . . 7. Schadensersatzpflicht . . . 8. Besichtigung und Urkundenvorlage nach anderen Vorschriften . . . . . . . . . . a) Besichtigung . . . . . . b) Urkundenvorlage . . . . XIII. Sicherung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . XIV. Urteilsveröffentlichung . . . . § 4. Einwendungen und Einreden . . . . I. Verjährung . . . . . . . . . . . 1. Dreijährige Regelfrist . . . 2. Zehnjährige Ausnahmefrist II. Verwirkung . . . . . . . . . . III. Kartellrechtliche Einwendungen
92, 93 94 95, 96 95 96 97 98
99–101 99, 100 101 102 103–106 107–111 107–109 107, 108 109 110 111
§1 Einleitung 1
Nicht anders als das allgemeine Zivilrecht sieht das Medienrecht bei Verletzung bestimmter Rechtspositionen zivilrechtliche Ansprüche desjenigen vor, dessen Rechtsposition beeinträchtigt wurde. Trotz der Breite des Medienrechts, welches als Querschnittsmaterie eine Vielzahl unterschiedlicher Gesetze betrifft, gibt es viele Gemeinsamkeiten. So hat der Betroffene bei Verletzung von geschützten Rechten wie Persönlichkeitsrechten oder Urheberrechten eine Reihe von Ansprüchen, die unter anderem auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz gerichtet sind. Diese zentralen Ansprüche und deren Durchsetzung werden an dieser Stelle besprochen. Neben diesen zentralen Ansprüchen sind in den einzelnen Spezialgesetzen eine Reihe weiterer Ansprüche geregelt, die hier nicht berücksichtigt werden. So kennt bspw das Äußerungsrecht, welches zum Teil in den Landespressegesetzen geregelt ist, einen – in der praktischen Relevanz kaum zu überschätzenden – Gegendarstellungsanspruch. Das Lauterkeitsrecht sieht im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) einen – praktisch wenig relevanten – Gewinnabschöpfungsanspruch vor. Diese Spezialansprüche werden in den jeweiligen Fachkapiteln erörtert. 2 Umfassende Neuerungen der einzelnen Ansprüche enthält die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Enforcement-Richtlinie).1 Die Umsetzungsfrist dieser Richtlinie lief bereits Ende April 2006 ab. Die folgenden Ausführungen be-
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Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.
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§1
Einleitung
ruhen auf dem „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums“ welches diese Richtlinie umsetzen soll. Für die Auslegung der Ansprüche ist auf die Begründung zum Regierungsentwurf 2, 3 auf die Enforcement-Richtlinie und ihre Erwägungsgründe 3 sowie auf die Art 41–61 TRIPs 4 zurückzugreifen. Nach der Rechtsprechung des EuGH unterliegen der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums und die von den Gerichten hierzu getroffenen Maßnahmen nicht dem Gemeinschaftsrecht, soweit es sich um einen Bereich handelt, in dem die Gemeinschaft noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat und der somit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Wird dagegen festgestellt, dass eine Gemeinschaftsregelung in dem betreffenden Bereich besteht, findet das Gemeinschaftsrecht Anwendung, was die Verpflichtung umfasst, soweit wie möglich eine dem TRIPs-Übereinkommen entsprechende Auslegung vorzunehmen, ohne dass der fraglichen Bestimmung des Übereinkommens jedoch eine unmittelbare Wirkung zuerkannt werden könnte.5 Hinsichtlich der Normen, die auf zwingenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruhen, ist das ihrer Umsetzung dienende innerstaatliche Recht nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte durch das BVerfG zu prüfen, sondern unterliegt dem auf Gemeinschaftsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz.6 Bereits zuvor wurde die Richtlinie von der Rechtsprechung bei der Gesetzesauslegung berücksichtigt.7 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss das nationale Recht der Mitgliedstaaten richtlinienkonform ausgelegt werden.8 Voraussetzung der richtlinienkonformen Auslegung ist, dass die in Rede stehende Bestimmung der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist. Ausgelöst durch den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums über das Ge- 4 setz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums 9 wurde in der Literatur gefordert, einen allgemeinen Teil der Rechte des geistigen Eigentums zu schaffen, in dem unter anderem die Rechtsfolgen der Verletzung einheitlich geregelt werden.10 In der Tat legen die Gemeinsamkeiten, die nicht erst durch die Enforcement-Richtlinie, sondern zum Teil bereits durch das Produktpirateriegesetz im Jahre 1990 geregelt wurden, eine solche gemeinsame Behandlung nahe.11 Gleichwohl setzte sich diese Idee nicht durch. Nachfolgend werden die Ansprüche erläutert, die sich aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten ergeben. Die Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes werden im folgenden exemplarisch vorgestellt. Die Ausführungen gelten in weiten Teilen auch für die anderen Spezialgesetze zum Schutz geistigen Eigentums wie das Geschmacksmustergesetz, das Markengesetz, das Patentgesetz und das Gebrauchsmustergesetz.
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Abgedr in BT-Drucks 16/5048. Abgedr in ABl EG L 157 vom 30.4.2004, 45 ff. Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) ist integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens vom 15.4.1994; BGBl 1994 II S 1730. EuGH GRUR 2008, 55, 56 – Merck Genéricos/Merck & Co. Inc; EuGH GRUR Int 1998, 140 – Dior. BVerfG GRUR 2007, 1064, 1066 – Kopierschutzumgehung.
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BGH WRP 2006, 1377 Rn 41 – Restschadstoffentfernung. Calliess/Ruffert/Ruffert 2. Aufl Art 249 EG Rn 113 ff; Eisenkolb GRUR 2007, 387. Dieses Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG über die Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums. Vgl Ahrens GRUR 2006, 617; Riesenhuber/ Walter 243, 285. Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG), BGBl 1990 I S 422; hierzu Asendorf NJW 1990, 1283.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
§2 Aktivlegitimation und Passivlegitimation 5
Die aus einer Rechtsverletzung folgenden Ansprüche richten sich gegen den Rechtsverletzer, also den Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfen. Während Mittäter bei der Tat dergestalt zusammenwirken, dass sie sich die Tatbeiträge des jeweils anderen zurechnen lassen müssen, unterstützt der Gehilfe den Haupttäter bei dessen Tat. Für den Beihilfe leistenden Gehilfen handelt es sich um eine fremde Tat. Gleichwohl richten sich die zivilrechtlichen Ansprüche gegen Gehilfen ebenso wie gegen Täter. Darüber können sich einige Ansprüche – wie insbesondere der Unterlassungsanspruch – auch gegen den Störer richten, der – ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu sein – adäquat kausal zur Rechtsverletzung beiträgt. Schließlich gibt es auch Ansprüche, wie den neu geschaffenen Auskunftsanspruch gegen Provider, die sich gegen Dritte richten, ohne dass es auf deren Tatbeitrag ankäme.
I. Aktivlegitimation 1. Rechteinhaber
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Aktivlegitimiert ist grds jeder, dessen geschützte Rechtsposition verletzt wird. Dies sind im Urheberrecht neben dem Urheber und dem Leistungsschutzberechtigten selbst grds auch deren Rechtsnachfolger. Nach dem Tod des Urhebers gehen die Rechte nach § 28 Abs 1 UrhG auf die Erben über. Der Urheber kann die Ausübung der Urheberrechte nach § 28 Abs 2 UrhG auch einen Testamentsvollstrecker übertragen.12 Erteilt der Urheber eine ausschließliche Lizenz, so sind grds sowohl er als auch sein Lizenznehmer befugt, gegen Rechtsverletzungen Dritter vorzugehen.13 Nach der Rechtsprechung ist derjenige, der eine ausschließliche Lizenz erteilt, auch nach Lizenzvergabe klagebefugt, sofern er von den Lizenzeinnahmen profitiert.14 Daneben verbleibt das Urheberpersönlichkeitsrecht auch nach einer Lizenzvergabe beim Urheber. Die Verletzung der Urheberpersönlichkeitsrechte begründet ebenfalls Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche.15 Eine Klagebefugnis des Lizenznehmers ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, wie § 30 Abs 3 MarkenG, § 31 Abs 3 GeschmMG und Art 32 Abs 3 GGVO zeigen. Sofern lizenzvertraglich nichts anderes geregelt ist, kann der Lizenznehmer an einer Marke oder einem (Gemeinschafts-)Geschmacksmuster aus der lizenzierten Marke oder dem lizenzierten Geschmacksmuster nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers vorgehen.16 Nach § 30 Abs 4 MarkenG kann der Lizenznehmer einer vom Inhaber der Marke erhobenen Verletzungsklage beitreten.17 § 30 Abs 4 MarkenG ist allerdings keine materiellrechtliche, sondern ausschließlich eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Sie gibt dem Lizenznehmer insbesondere keinen eigenen Schadensersatzanspruch. Einen Schadensersatzanspruch hat nach § 14 Abs 4 MarkenG nur der Markeninhaber. Den möglicherweise beim Lizenznehmer 12
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Vgl KG GRUR 2006, 53 – Bauhaus-Glasleuchte II; Möhring/Nicolini/Lütje § 97 UrhG Rn 93. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 19; Schack Rn 531; Haberstumpf FS Schricker 2005, 309, 310 ff; Stumpf/Groß Rn 398; Pahlow GRUR 2007, 1001 ff. BGH GRUR 1992, 697, 698 – ALF; BGH GRUR 1999, 984, 985 – Laras Tochter.
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Vgl BGH GRUR 2002, 532 – Unikatrahmen; Schricker/Dietz Vor §§ 12 ff UrhG Rn 12a; von Welser 92 ff. Vgl Ingerl/Rohnke § 30 MarkenG Rn 73, Ruhl Art 32 GGVO Rn 22; Pahlow GRUR 2007, 1001; Steinbeck GRUR 2008, 110, 112. BGH GRUR 2007, 877, 879 – Windsor Estate.
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§2
Aktivlegitimation und Passivlegitimation
entstandenen Schaden kann der Markeninhaber allerdings im Wege der Drittschadensliquidation im eigenen Namen geltend machen. Demgegenüber kann der Lizenznehmer nicht Leistung an sich, sondern nur an den Markeninhaber verlangen.18 2. Abtretung Die Aktivlegitimation kann auch durch Abtretung von Ansprüchen begründet wer- 7 den. Der Zessionar kann die Ansprüche des Zedenten durchsetzen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche grds nicht ohne das zugrundeliegende Stammrecht übertragen werden können, da sie als unselbstständige Ansprüche der Verwirklichung und dem Schutz des Stammrechts dienen.19 3. Ermächtigung und gewillkürte Prozessstandschaft Auch soweit Ansprüche nicht abtretbar sind, hindert dies eine Geltendmachung durch 8 Dritte grds nicht. Grundlage hierfür ist die Ermächtigung nach § 185 Abs 1 BGB, die in der gewillkürten Prozessstandschaft ihr prozessuales Pendant findet.20 Im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft können auch urheberpersönlichkeitsrechtliche Ansprüche durchgesetzt werden.21 Anders als bei der Abtretung wird der geltend zu machende Anspruch hier nicht vom Stammrecht abgespalten. Daher ist eine solche Ermächtigung auch bei unabtretbaren Ansprüchen zulässig.22 Aufgrund der Ermächtigung kann der Erklärungsempfänger Rechtswirkungen in der Sphäre des Ermächtigenden durch Handlungen im eigenen Namen bewirken. Hier liegt auch der Unterschied zur Vollmacht, die ein Handeln des Erklärungsempfängers im fremden Namen voraussetzt. Die Vollmacht ist personenbezogen, die Ermächtigung hingegen gegenstandsbezogen. Die gewillkürte Prozessstandschaft setzt neben einer Ermächtigung ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Prozessstandschafters voraus.23
II. Passivlegitimation 1. Täter und Teilnehmer Passivlegitimiert ist grds derjenige, der als Täter oder Teilnehmer ein fremdes Recht 9 verletzt.24 Dies kann grds auch schuldlos geschehen. Ob dem Verletzer ein Verschulden vorzuwerfen ist, spielt nur bei wenigen Ansprüchen – bspw beim Anspruch auf Schadensersatz – eine Rolle.
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BGH GRUR 2007, 877, 880 – Windsor Estate; dagegen Steinbeck GRUR 2008, 110, 113. OLG Hamburg ZUM 1999, 78, 80 – Spiegel CD-ROM; von Welser 100. BGH GRUR 1994, 800, 801 – Museumskatalog; Möhring/Nicolini/Lütje § 97 UrhG Rn 95. Schack Rn 565; eine entsprechende Befugnis eines Bühnenverlages auch ohne ausdrückliche Ermächtigung hält hingegen das Kammergericht für möglich: KG NJOZ 2005,
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4093 – Die Weber (Leitsätze abgedruckt in GRUR-RR 2006, 84). BGH GRUR 2002, 248, 250 – SPIEGEL-CDROM; OLG Zweibrücken GRUR 1978, 546, 547 – Zirkusname; von Welser 104. BGHZ 107, 384, 389 – Emil Nolde; BGHZ 119, 237, 242 – Universitätsemblem; OLG München ZUM 1997, 388, 390 – Schwarzer Sheriff; OLG München ZUM 1985, 448, 450 – Sammelbilder. Schack Rn 682.
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2. Störer a) Ausgangspunkt. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Frage, ob und inwieweit jemand für Rechtsverstöße haftet, die ein Dritter begeht und zu denen er – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – willentlich und adäquat kausal beiträgt. Dabei kann als Mitwirkung auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte. Diese Frage hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit bspw in Bezug auf die Haftung von Presseunternehmen für urheberrechtsverletzende Anzeigenwerbung beschäftigt. In Bezug auf das in § 95a Abs 3 Nr 1 UrhG geregelte Werbeverbot hat das Bundesverfassungsgericht die Störerhaftung als eine schwierige und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang ungeklärte Frage bezeichnet.25 In Bezug auf Internetangebote, die es jedermann ermöglichen, Inhalte hochzuladen, hat dieser Problemkreis eine besondere aktuelle Relevanz erhalten. Dabei kann diese Frage bspw bei Internetauktionshäusern, auf deren Seiten markenverletzende Plagiate angeboten werden, ebenso relevant werden wie bei Internetforen auf denen persönlichkeitsverletzende Behauptungen aufgestellt werden oder bei Internetseiten, auf denen Nutzer Musik, Fotos oder kurze Filmsequenzen hochladen können. Als Ausgangspunkt betont die Rechtsprechung, dass die Störerhaftung nicht über 11 Gebühr auf Dritte, die nicht selbst die rechtswidrige Handlung vorgenommen haben, erstreckt werden darf. Die Bejahung der Störerhaftung Dritter setzt deshalb die Verletzung von Prüfungspflichten voraus.26 Wer nur durch Einsatz organisatorischer oder technischer Mittel an der von einem anderen vorgenommenen urheberrechtlichen Nutzungshandlung beteiligt war, muss demgemäss, wenn er als Störer in Anspruch genommen wird, ausnahmsweise einwenden können, dass er im konkreten Fall nicht gegen eine Pflicht zur Prüfung auf mögliche Rechtsverletzungen verstoßen hat. So kann er insbesondere geltend machen, dass ihm eine solche Prüfung nach den Umständen überhaupt nicht oder nur eingeschränkt zumutbar war.
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b) Bereiche/Branchen. (aa) Presse. Eine Störerhaftung im Zeitungs- und Zeitschriftengewerbe hinsichtlich des Anzeigengeschäfts bejaht die Rechtsprechung nur unter besonderen Voraussetzungen. Um die tägliche Arbeit von Presseunternehmen nicht über Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern, obliegt diesen keine umfassende Prüfungspflicht. Vielmehr haftet ein Presseunternehmen für die Veröffentlichung wettbewerbswidriger oder schutzrechtsverletzender Werbeanzeigen nur im Fall grober, unschwer zu erkennender Verstöße.27 Insbesondere bei Schutzrechten, deren Prüfung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht Kenntnisse erfordert, über die das Presseunternehmen typischerweise nicht verfügt, lässt sich das Bestehen einer Prüfungspflicht und deren Verletzung in aller Regel nicht bejahen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der an der Zumutbarkeit orientierte Umfang der 13 Prüfungspflicht verschieden sein kann je nachdem, ob es sich lediglich um eine Kleinanzeige oder um ein ganzseitiges, entsprechend teures Inserat handelt. War mit Blick auf die redaktionelle Gestaltung der einzelnen im Inserat wiedergegebenen Artikel ohnehin
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BVerfG GRUR 2007, 1064, 1066 – Kopierschutzumgehung. BGH GRUR 1973, 203, 204 – Badische Rundschau; BGH GRUR 1995, 751, 752 – Schlussverkaufswerbung II; BGH GRUR 1999, 418, 419 – Möbelklassiker; BGH
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GRUR 2001, 529, 431 – Herz-KreislaufStudie. BGH GRUR 1997, 313, 316 – Architektenwettbewerb; BGH GRUR 1999, 418, 420 – Möbelklassiker.
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Aktivlegitimation und Passivlegitimation
eine eingehendere Prüfung angezeigt, kann sich ein Verlag bspw nicht ohne weiteres darauf berufen, dass es sich bei den Verboten des Heilmittelwerbegesetzes um wenig bekannte Detailregelungen handelt.28 Grds treffen den Verleger im Fall von Werbeanzeigen keine besonderen Nachforschungspflichten. Denn „unschwer“ ist ein Rechtsverstoß in aller Regel nur dann zu erkennen, wenn er aus sich heraus – also bspw unter Berücksichtigung des Anzeigeninhalts und gegebenenfalls unter Einbeziehung sonstiger beim Verleger vorhandenen Informationen – ersichtlich ist.29 Weitergehende Nachforschungen sind nach Auffassung der Rechtsprechung im Hinblick auf den Charakter des Anzeigengeschäfts als Massenverfahren, der in der Regel nur geringen wirtschaftlichen Bedeutung der einzelnen Anzeigen für das Presseunternehmen und der regelmäßigen Eilbedürftigkeit der Vorbereitung und Ausführung des Anzeigenauftrags grds nicht zumutbar. Der Verlag ist in aller Regel auch nicht etwa gehalten, von einem Anzeigenkunden die Vorlage von Belegen für ein behauptetes Lizenzrecht einzufordern. Ein derartiges in der Regel rechtlich nicht einfaches und zeitlich aufwendiges Prüfungsverfahren ist mit dem Charakter des Anzeigengeschäfts eines Presseverlages nicht vereinbar. Denn regelmäßig ist insoweit eine Kette von Rechtsübertragungen eingehend zu prüfen.30 (bb) Internet. Von besonderer Bedeutung ist die Frage der Störerhaftung im Online- 14 Bereich. Bei der Tätigkeit von Internetprovidern ergibt sich besonders häufig die Frage, unter welchen Voraussetzungen diese für Handlungen Dritter haftbar gemacht werden können.31 Die Rechtsprechung hatte sich schon häufig mit der Frage zu beschäftigen, ob und wieweit Internetauktionshäuser für Rechtsverletzungen bei Fremdversteigerungen haften. In aller Regel werden Angebote durch den Versteigerer in einem automatischen Verfahren – also ohne inhaltliche Überprüfung – ins Internet gestellt. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs können Internetauktionshäuser unter bestimmten Voraussetzungen als Störer für Immaterialgüterrechtsverletzungen haften.32 Der Unterlassungsanspruch wird grds nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Tele- 15 mediengesetz (TMG) nur eine eingeschränkte Haftung für bestimmte Provider vorsieht.33 §§ 7–10 TMG regeln die Verantwortlichkeit von Providern. Der Bundesgerichtshof wendet § 10 TMG allerdings nicht auf Unterlassungsansprüche an. Die Haftungsprivilegierung in § 10 TMG solle vielmehr allein für die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzhaftung gelten.34 Dies schließt der Bundesgerichtshof aus dem Wortlaut des § 10 TMG, nach dem der Diensteanbieter grds nur bei positiver Kenntnis – im Falle von Schadensersatzansprüchen allerdings auch bei fahrlässiger Unkenntnis – haftet. Fielen Unterlassungsansprüche in den Anwendungsbereich des § 10 TMG, so würden an diese – systemwidrig – höhere Anforderungen als an Schadensersatzansprüche gestellt. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist es einem Unternehmen, das im Internet 16 eine Plattform für Fremdversteigerungen betreibt, grds nicht zuzumuten, jedes Angebot 28 29 30 31
BGH GRUR 2001, 529, 431 – Herz-Kreislauf-Studie. KG NJOZ 2005, 1094, 1096 – Comicfigur. KG NJOZ 2005, 1094, 1096 – Comicfigur. Vgl Schack Rn 684a ff; Leistner GRUR 2006, 801 ff; Ott GRUR Int 2007, 14 ff; zur Störerhaftung in den Vereinigten Staaten Spindler/Leistner GRUR Int 2005, 773 ff; Bartholomew/Tehranian Berkeley Technology Law Journal 2006, 1363 ff; Landes/ Lichtman Harvard Journal of Law and Technology 2003, 395 ff.
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BGH GRUR 2004, 860 – Internet-Versteigerung I; BGH GRUR 2007, 708 – InternetVersteigerung II BGH, Urteil vom 30.4.2008, I ZR 73/05 – Internetversteigerung III. Vgl Wandtke/Bullinger/von Welser § 44a UrhG Rn 15. BGH GRUR 2007, 890, 892 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH GRUR 2007, 724, 725 – Meinungsforum; BGH GRUR 2007, 708, 710 – Internet-Versteigerung II.
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vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen, da diese Verpflichtung das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen würde.35 Sofern das Unternehmen allerdings auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen wurde, muss es nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt. Zur Auffindung von Rechtsverletzungen können sich Unternehmen bspw einer Filtersoftware bedienen, die durch Eingabe von Suchbegriffen Verdachtsfälle aufspürt, die gegebenenfalls manuell überprüft werden müssen. Ähnlich wie die Haftung für rechtswidrige Anzeigen beurteilt die Rechtsprechung die 17 Haftung für die Setzung eines Hyperlinks auf ein rechtwidriges Angebot. Die Verantwortlichkeit des Pressunternehmens ist begrenzt, sofern der Hyperlink nur zur Ergänzung eines redaktionellen Artikels gesetzt wird. Allein aus dem Setzen eines Hyperlinks lässt sich nicht der Vorwurf konstruieren, das Unternehmen mache sich den Inhalt des durch den Hyperlink leichter zugänglich gemachten Internetauftritts in irgend einer Weise zu eigen.36
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c) Einschränkung der Störerhaftung in der Rechtsprechung. In der neueren Rechtsprechung finden sich Tendenzen, diese ausufernde Haftung einzuschränken. Anknüpfungspunkt für die Einschränkung ist in aller Regel die Zumutbarkeit der Prüfungspflicht.37
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(aa) Internet-Versteigerung II. Eine nicht unerhebliche Einschränkung der Prüfungspflichten hatte der Bundesgerichtshof bereits in einem obiter dictum in seiner Entscheidung „Internet-Versteigerung II“ vorgenommen.38 Dort hatte der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Grenze des Zumutbaren dann erreicht sei, wenn keine Merkmale vorhanden seien, die sich zur Eingabe in ein entsprechendes Suchsystem eigneten.39 Gerade bei Verstößen gegen das Urheberrecht wird es häufig an entsprechenden Merkmalen fehlen. Bei Markenverletzungen in Online-Auktionen hingegen eignen sich die Markennamen typischerweise besonders gut für solche Suchsysteme. Diese für Provider vorteilhafte Konkretisierung der Prüfungspflichten bei Fehlen von für die Eingabe in Suchsysteme geeigneten Merkmalen werden an anderer Stelle dadurch wieder aufgehoben, dass die Anforderungen an ein Unterlassungsurteil niedrig gesetzt werden. Der Bundesgerichtshof wies in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass der Umstand, dass eine lückenlose Vorabkontrolle, die sämtliche Rechtsverletzungen sicher erkennt, technisch nicht möglich sei, eine Verurteilung zur Unterlassung nicht hindere, da auch im Falle einer Verurteilung zur Unterlassung (im Erkenntnisverfahren) die Betreiber des Auktionshauses für Zuwiderhandlungen (im Vollstreckungsverfahren) nur haftbar zu machen seien, wenn sie ein Verschulden nach § 890 ZPO treffe.40 Für Rechtsverletzungen, die sie in einem vorgezogenen Filterverfahren nicht erkennen können, träfe sie kein Verschulden, so der Bundesgerichtshof.
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BGH GRUR 2004, 860, 864 – Internet-Versteigerung; Ullmann GRUR 2007, 633, 639. BGH GRUR 2004, 693, 696 – Schöner Wetten. BGH GRUR 2007, 708, 712 – Internet-Versteigerung II; OLG Köln MMR 2007, 786 – Rapidshare; OLG Frankfurt GRUR-RR 2008, 73 – Filesharing durch Familienangehörige.
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BGH GRUR 2007, 708 – Internet-Versteigerung II; vgl hierzu Leible/Sosnitza NJW 2007, 3324, 3326. BGH GRUR 2007, 708, 712 – Internet-Versteigerung II. Gegen eine solche Verlagerung der Fragen ins Vollstreckungsverfahren Leible/Sosnitza NJW 2007, 3324, 3326.
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Aktivlegitimation und Passivlegitimation
(bb) Rapidshare. Besonderes Aufsehen hat die Rapidshare-Entscheidung des OLG 20 Köln hervorgerufen, in der es um die Haftung eines Webhosting-Diensteanbieters ging.41 Das OLG Köln hatte über die Verantwortlichkeit der Betreiberin der Internetseite „rapidshare.com“ und den Umfang der gesetzlichen Prüf- und Kontrollpflichten zu entscheiden, um illegale Download-Angebote von Musikdateien zu verhindern. Die Anbieterin der Website stellte ihren Nutzern Speicherkapazität zur Verfügung. Die Nutzer konnten dort beliebige Inhalte ablegen und öffentlich zugänglich machen. Die Anbieterin führte kein Verzeichnis über die Dateien. Sie teilte ihren Nutzern lediglich die genaue Adresse der jeweiligen Datei in der Form eines Download-Links mit. Über die Bekanntgabe dieses Links entschied allein der die Datei hochladende Nutzer. Mit Hilfe von derartigen Links wurden allerdings auf anderen, im Ausland betriebenen Internetseiten, Verzeichnisse geführt, über die nach einzelnen Dateien recherchiert werden kann und die dann direkt auf die Dateien bei „rapidshare.com“ verlinken. Nachdem das LG auf Antrag der GEMA gegen die Betreiberin eine auf Unterlassung 21 gerichtete einstweilige Verfügung erlassen hatte, beschränkte das OLG die der Betreiberin im Rahmen der Störerhaftung obliegenden Prüfungspflichten auf solche Urheberrechtsverletzungen, die dieser von den Rechtsinhabern nach konkreter Abmahnung der einzelnen Titel genannt und die sie in denjenigen Linklisten, auf die sie selber verweise, aufdecken und unterbinden könne. Dementsprechend sei die Betreiberin zu einer regelmäßigen Überprüfung der Linklisten verpflichtet. Das LG meinte, dass ein Webhosting-Diensteanbieter, der Kenntnis davon erlangt hat, dass über seinen Dienst urheberrechtlich geschützte Werke zum Download bereitgehalten werden, generell im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Möglichen und Zumutbaren verpflichtet sei, dafür Vorsorge zu treffen, dass diese Werke auch zukünftig nicht über seinen Dienst zugänglich gemacht werden.42 Die Prüfungspflicht umfasse auch fremde Internetangebote, welche es ermöglichen, über den Dienst abrufbare Dateien aufzufinden. Nach dem sehr weitreichenden Tenor der landgerichtlichen Entscheidung sollte es die Betreiberin unterlassen „die Musikwerke … über ihr Internetangebot www…com öffentlich zugänglich zu machen“. Demgegenüber sah der Tenor der oberlandesgerichtlichen Entscheidung das Verbot vor, „die Musikwerke … als Datei ihres Internetangebotes www…com öffentlich zugänglich zu machen, wenn das jeweilige Musikwerk über einen zu der Datei führenden Link der unter www… und/oder www… ansteuerbaren Link-Sammlung abgerufen werden kann“. In Fällen dieser Art ist entscheidend, welche technischen Möglichkeiten dem Betreiber 22 einer Plattform zur Verfügung stehen, um Verstöße in der Zukunft abzustellen.43 Nach Auffassung des OLG Köln steht der Eignung sämtlicher an das Hochladen (Upload) anknüpfender automatischer Systeme der Umstand entgegen, dass mit dem Hochladen ebenso gut ein legaler Zweck – nämlich die Erstellung einer Privatkopie – verfolgt werden könne.44 Auch an geeigneten technischen Möglichkeiten, die bei Dateien mit urheberrechtlich geschützten Inhalten eine Weitergabe des Download-Links unterbinden könnten, ohne dass die Betreiberin damit zugleich gegen ihre vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber legalen Nutzern ihres Dienstes verstoßen würden, wird es regelmäßig fehlen. Als Prüfungsmöglichkeit verblieb danach allein die manuelle Kontrolle einschlägiger Link-Sammlungen. Solche Link-Sammlungen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Aufbereitung der dort erfassten Download-Links durch bestimmte Ordnungs- oder Suchfunktionen stattfindet, sodass hierüber mehr oder weniger gezielt nach 41 42 43
OLG Köln MMR 2007, 786 – Rapidshare. LG Köln ZUM 2007, 568 – Rapidshare. Vgl OLG Köln MMR 2007, 786, 788 – Rapidshare.
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OLG Köln MMR 2007, 786, 788 – Rapidshare.
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1. Teil
Dateien eines bestimmten Inhalts gesucht werden kann. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Köln war es der Betreiberin zuzumuten, von dieser Überprüfungsmöglichkeit in Bezug auf die in der vorherigen Abmahnung der GEMA genannten Werke Gebrauch zu machen. Sharehoster, die Server zur Verfügung stellen, auf denen Kunden Dateien hochladen und speichern können, die mit Hilfe eines Download-Links, den die Kunden auch an Dritte weitergeben können, abgerufen oder anderweitig gespeichert werden können, sind also nicht eo ipso Täter oder Teilnehmer dabei vorkommender Urheberrechtsverletzungen. Dies gilt zumindest dann, wenn kein Verzeichnis der auf dem Server gespeicherten Daten angeboten wird.45
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(cc) Usenet. In eine ähnliche Richtung geht die Usenet-Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf.46 Ein Tonträgerhersteller hatte einen Usenet-Provider auf Unterlassung in Anspruch genommen, da über einen Server eine Musikaufnahme aus dem Repertoire des Tonträgerherstellers abgerufen werden konnte. Das LG hatte eine entsprechende einstweilige Verfügung erlassen und zur Begründung ausgeführt, das ein UsenetProvider als Host-Provider und nicht nur als Access- oder Cache-Provider zu qualifizieren sei und nach den allgemeine Grundsätzen als Störer für Rechtsverletzungen auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne.47 Das OLG Düsseldorf hatte demgegenüber entschieden, dass Usenet-Provider für Urheberrechtsverletzungen ihrer Kunden nicht verantwortlich gemacht werden können. Der angegriffene Usenet-Provider vermittelt seinen Kunden einen kostenpflichtigen 24 Zugang zum Usenet, einem dezentral organisierten Netz aus Servern, das ursprünglich für den Austausch von Textnachrichten geschaffen wurde, inzwischen allerdings für den Austausch unterschiedlichster Dateien genutzt wird. Im Usenet werden die Dateien zunächst nicht vollständig auf sämtlichen Servern gespeichert, sondern lediglich die sog Header der Nachrichten. Erst wenn ein Nutzer den Header einer Nachricht auswählt, so ruft der Newsserver des Providers den Nachrichteninhalt von den Newsservern eines anderen Unternehmen ab, liefert diesen an den Nutzer und nimmt eine zeitliche begrenzte Zwischenspeicherung vor. Das OLG Düsseldorf hob die einstweilige Verfügung des Landgerichts auf und betonte als rechtlichen Ausgangspunkt, dass für die Störererhaftung, die Verletzung einer Prüfungspflicht, deren Einhaltung im Einzelfall möglich und zumutbar sein muss, erforderlich sei.48 Dabei dürfe also nicht zunächst eine Verurteilung zur Unterlassung vorgenommen werden und die Frage, ob der Schuldner alles ihm zumutbare getan hat, in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden.49 Das OLG Düsseldorf wies darauf hin, dass der Aufwand für die Überprüfung verhältnismäßig sein müsse. Ein Dienstanbieter müsse insbesondere nicht jeden nur denkbaren Aufwand betreiben, um die Nutzung rechtswidriger Inhalte zu vermeiden. In die Gesamtbetrachtung einzubeziehen seien die Bedeutung des Einzelfalls und der erforderliche technische und wirtschaftliche Aufwand sowie die Auswirkung auf andere Teile des Dienstes. Die besondere Funktionsweise des Usenet bringt es mit sich, dass der einen Newsserver betreibende Provider in aller Regel nur als sog Cache-Provider zu qualifizieren ist. Die aus dem Usenet bezogenen fremden Dateien werden erst nach Anforderung durch einen Nutzer des Providers zwischengespeichert. Die fremden Dateien sind grds bis zur Anforderung nur ohne Inhalt als sog Header auf dem Server der Antragsgegnerin vor45 46
OLG Köln MMR 2007, 786 – Rapidshare. OLG Düsseldorf Urteil vom 15.1.2008, Az I-20 U 95/07 – Usenet, abrufbar über die Rechtsprechungsdatenbank des nordrheinwestfälischen Justizportals: www.justiz. nrw.de/RB/nrwe2/index.php.
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OLG Düsseldorf MMR 2007, 534 – Usenet. OLG Düsseldorf MMR 2008, 254 – Usenet. OLG Düsseldorf MMR 2008, 254 – Usenet.
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§2
Aktivlegitimation und Passivlegitimation
handen. Diese Header verglich das OLG Düsseldorf mit Links, da der konkrete Inhalt der Nachricht erst nach einer Kundenanfrage auf den Server geladen und dann gespeichert werde.50 Nach Auffassung des OLG Düsseldorf hat ein Cache-Provider wesentlich weniger Möglichkeiten, eine Störung abzustellen als ein Host-Provider. Zum einen würde eine entsprechende Überwachungspflicht eine ständige Überprüfung der neu eingestellten Beiträge voraussetzen, zum anderen sind die Betreiber von Newsservern selbst nicht in der Lage, rechtsverletzende fremde Inhalte vollständig aus dem Usenet zu löschen, da – anders als bei Internetforen – ein Betreiber eines Newsservers nur diejenigen Daten löschen kann, die auf seinem eigenen Server gespeichert sind. Bei jeder neuen Anforderung von Daten werden diese erneut auf seinen Server übertragen. Schließlich wies das OLG Düsseldorf darauf hin, dass die Rechtsinhaber selbst in 25 der Lage seien, entsprechende Dateien mittels einer sog Cancel-Message zu löschen. Bei diesem sog Fremd-Cancel wird eine Nachricht mit bestimmten Informationen in das Usenet eingestellt. Diese Nachricht enthält Informationen über die zu löschende Datei, deren Absender und den Absender der Cancel Message. Die Cancel-Message wird nach dem Absenden im Usenet verteilt und sorgt dafür, dass die zu löschende Nachricht weltweit auf den Newsservern gelöscht wird. Das Löschen der Nachricht setzt eine entsprechende Konfiguration der Newsserver voraus. Die Konfiguration wiederum liegt in den Händen der jeweiligen Betreiber. Durch eine Cancel-Message kann eine bestimmte Datei auf einen Großteil der Server gelöscht werden. Sie bietet damit eine Möglichkeit der Selbsthilfe. Diese Rechtsprechung trägt den Besonderheiten des Usenet Rechnung. Sie schränkt die Störerhaftung für diesen besonderen Bereich ein und kann nicht verallgemeinert werden. d) Vorgehen für Rechteinhaber: Hinweisschreiben. Die Prüfungspflicht des Unterneh- 26 mens kann der Rechteinhaber bspw durch ein substantiiertes Hinweisschreiben begründen.51 Da die Prüfungspflicht durch ein solches Schreiben allerdings erst begründet wird, darf dieses nicht als Abmahnschreiben mit Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verfasst werden, will sich der Rechteinhaber nicht dem Vorwurf einer unbegründeten Schutzrechtsverwarnung und damit eines Eingriffes in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Presseunternehmens aussetzen. Bei einem erneuten Verstoß kann dann umgehend ein Abmahnschreiben an das Presseunternehmen versandt werden. 3. Haftung bei Verletzung von Verkehrspflichten In einer jüngeren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof für die wettbewerbsrecht- 27 liche Haftung von Internetauktionshäusern eine strengere Haftung begründet.52 In dem Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde lag, machte ein Interessenverband des Videofachhandels wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen das Internetauktionshaus eBay geltend, da Dritte dort unter anderem jugendgefährdende Schriften angeboten hatten. Anstatt die Haftung als Störer zu begründen, sieht der Bundesgerichtshof hier eine Haftung von eBay als Täterin eines Wettbewerbsverstoßes nach § 3 UWG. Da das Internetauktionshaus eBay die ernsthafte Gefahr begründet habe, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, sei es auf Grund einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht dazu verpflichtet, diese Gefahr im 50 51
OLG Düsseldorf MMR 2008, 254 – Usenet. Vgl BGH GRUR 2007, 708 – Internet-Versteigerung II.
52
BGH GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien bei eBay.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen.53 Soweit eBay gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, sei eine täterschaftliche Haftung für eine unlautere Wettbewerbshandlung gegeben. Nach Auffassung der Literatur ist die Störerhaftung neben dieser täterschaftlichen Haftung für Verkehrspflichtverletzungen überflüssig.54 4. Haftung des Unternehmensinhabers
28
Nach § 99 UrhG hat der Verletzte die Ansprüche aus § 97 Abs 1 UrhG und § 98 UrhG auch gegen den Inhaber des Unternehmens, wenn in dem Unternehmen von einem Arbeitnehmer oder Beauftragten ein nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt worden ist. § 99 UrhG entspricht § 8 Abs 2 UWG, begründet eine eigenständige verschuldensunabhängige Haftung des Unternehmensinhabers und nimmt diesem die Möglichkeit einer Entlastung (Exkulpation), die nach den allgemeinen Vorschriften, namentlich § 831 BGB gegeben wäre.55 Der Unternehmensbegriff ist hier weit zu verstehen. Entscheidend ist die organisatorische Eingliederung des Mitarbeiters.56 Erfasst werden die Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, Vernichtung, Rückruf und Überlassung. Für Schadensersatzansprüche gilt die Vorschrift nicht.57 § 99 UrhG setzt voraus, dass die urheberrechtsverletzende Handlung unternehmensbezogen ist. Diese Unternehmensbezogenheit ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal grds vom Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen.58 Sofern allerdings der Anspruchsteller von sich aus nicht den Sachverhalt ermitteln kann, während der in Anspruch genommene Unternehmensinhaber über die erforderlichen Informationen verfügt oder diese sich unschwer zu verschaffen vermag, so darf dieser sich nicht auf ein einfaches Bestreiten der Unternehmensbezogenheit der Verletzungshandlung zurückziehen. Tut er dies dennoch und beteiligt sich nicht an der Aufklärung des Sachverhalts, so gilt die Behauptung des Anspruchstellers, eine Unternehmensbezogenheit liege vor, trotz mangelnder Substantiierung als gem § 138 Abs 2 ZPO zugestanden.59 Bei einer juristischen Person wie etwa einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) ist die 29 juristische Person der Unternehmensinhaber, nicht etwa die Anteilseigner oder gesetzlichen Vertreter.60 5. Haftung des gesetzlichen Vertreters
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§ 99 UrhG begründet bei juristischen Personen zwar eine Haftung der juristischen Person selbst. Ein Durchgriff auf die gesetzlichen Vertreter ist damit indes noch nicht gegeben.61 Eine persönliche Haftung des gesetzlichen Vertreters einer GmbH für Schutzrechts31 verletzungen ist weder in den Spezialgesetzen zum Schutz geistigen Eigentums, noch im GmbH-Gesetz ausdrücklich geregelt. Es besteht jedoch in Rechtsprechung und Literatur weitgehend Einigkeit darin, dass auch der gesetzliche Vertreter einer GmbH einer solchen 53
54 55 56 57 58
BGH GRUR 2007, 890, 893 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; eingehend hierzu Köhler GRUR 2008, 1. Köhler GRUR 2008, 1, 6. Wandtke/Bullinger/Bohne § 99 UrhG Rn 1. Schack Rn 683a. Schack Rn 683a. OLG München GRUR-RR 2007, 345 – Beweislastverteilung; Wandtke/Bullinger/ Bohne § 99 UrhG Rn 5.
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60 61
OLG München GRUR-RR 2007, 345, 347 – Beweislastverteilung; Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn 34c. Dreier/Schulze/Dreier § 100 UrhG Rn 7; Schricker/Wild § 97 UrhG Rn 2. Klaka GRUR 1988, 729; Götting GRUR 1994, 6, 9.
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§3
Zivilrechtliche Ansprüche
Haftung ausgesetzt ist, wenn er als Störer für die Rechtsverletzung ursächlich ist. Ebenfalls wird ganz überwiegend angenommen, dass Störer in diesem Sinne jedenfalls derjenige ist, der durch eine eigene Handlung eine derartige Rechtsverletzung verursacht. Der Geschäftführer einer GmbH haftet nicht für die von der GmbH zu vertretende 32 Rechtsverletzung, wenn er an dieser nicht teilgenommen hat und nichts von ihr wusste.62
§3 Zivilrechtliche Ansprüche I. Unterlassungsanspruch Nach § 97 Abs 1 UrhG hat der Rechteinhaber bei bereits erfolgter oder drohender 33 Rechtsverletzung gegen denjenigen, der sein nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, einen Unterlassungsanspruch. § 97 Abs 1 S 1 UrhG setzt für den Unterlassungsanspruch zusätzlich zu einer erfolgten Rechtsverletzung eine Wiederholungsgefahr voraus. § 97 Abs 1 S 2 UrhG gewährt einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch, wenn eine Rechtsverletzung erstmalig droht. 1. Widerrechtlichkeit Der Unterlassungsanspruch setzt die widerrechtliche Verletzung einer absoluten, also 34 gegenüber jedermann wirkenden Schutzposition voraus.63 Ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition kann nur dann als Verletzung gewertet werden, wenn sie widerrechtlich erfolgt. Wird die Handlung durch eine Schranke der §§ 44a ff UrhG erlaubt, liegt bereits kein Eingriff vor.64 Eine Verletzung scheidet auch beim Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses aus. Willigt der Urheber bspw in Änderungen seines Werkes ein, so liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor, mit der Folge, dass sich die Frage nach der Rechtswidrigkeit gar nicht mehr stellt.65 Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit eines Eingriffes indiziert.66 Ein Verschulden ist allein für den Schadensersatzanspruch von Bedeutung. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe spielen im Urheberrecht nur eine untergeordnete Bedeutung.67 2. Wiederholungsgefahr a) Entstehung der Wiederholungsgefahr. Nach § 97 Abs 1 S 1 UrhG kann derjenige, 35 der ein Urheberrecht oder ein anderes nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, von dem Verletzer auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.68 Zu den anderen nach dem UrhG geschützten Rechten gehören sämtliche im UrhG genannten absoluten Rechtspositionen, wie bspw ausschließliche Nutzungsrechte iSd § 31 Abs 3 UrhG.69 Grds setzt der 62
63 64 65
BGH GRUR 1986, 248, 250 – Sporthosen; BGH GRUR 1986, 250, 253 – Sportschuhe; eingehend Hass FS Schilling 249. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 3. Wandtke/Bullinger/von Wolff § 97 UrhG Rn 29. Wedemeyer FS Piper 787, 791; von Welser 61 ff.
66 67 68 69
Schack Rn 680. Vgl Schack FS Schricker 2005, 511, 516. § 97 Abs 1 UrhG entspricht § 139 Abs 1 PatG und § 14 Abs 5 MarkenG. Schack Rn 675.
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1. Teil
Unterlassungsanspruch – ebenso wie der Beseitigungsanspruch – eine Rechtsverletzung voraus. Ebenso wie beim Beseitigungsanspruch ist ein schuldhaftes Handeln des Rechtsverletzers nicht erforderlich. § 97 Abs 1 S 1 UrhG verlangt für den Unterlassungsanspruch – zusätzlich zu den Voraussetzungen des Beseitigungsanspruches, namentlich einer erfolgten Rechtsverletzung – eine Wiederholungsgefahr. Eine bereits begangene Verletzungshandlung begründet allerdings die Vermutung für das Vorliegen einer solchen Wiederholungsgefahr.
36
b) Fortfall der Wiederholungsgefahr. Sie kann in aller Regel nur durch Abgabe einer vertragsstrafenbewehrten Unterlassungserklärung oder durch ein gerichtliche Entscheidung, die den Unterlassungsanspruch tituliert, beseitigt werden. Die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr erfasst dabei nicht nur die identische Verletzungsform, sondern auch sämtliche im Kern gleichartigen Verletzungsformen. Daher erstreckt sich der Unterlassungsanspruch des Verletzten nicht nur auf das konkret beanstandete Verhalten. Vielmehr werden Verallgemeinerungen in gewissem Umfang mitumfasst.70 3. Erstbegehungsgefahr
37
a) Entstehung der Erstbegehungsgefahr. § 97 Abs 1 S 2 UrhG stellt fest, dass der Unterlassungsanspruch auch dann besteht, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht (Erstbegehungsgefahr). Eine Erstbegehungsgefahr setzt das Vorliegen konkreter Tatsachen voraus, aus denen sich greifbar ergibt, dass ein Eingriff in das Schutzrecht drohend bevorsteht. Es müssen also über die bloße Möglichkeit einer künftigen Rechtsverletzung hinaus konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verletzung ernsthaft und greifbar zu besorgen ist. Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch besteht, soweit ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde in naher Zukunft einen bestimmten Rechtsverstoß begehen.71 Grds begründet bspw die Anmeldung einer Marke eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich sämtlicher im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis genannten Waren.72 Nach Ansicht des OLG Hamburg begründet die Ausstellung eines schutzrechtsverletzenden Gegenstandes auf einer Messe eine bundesweite Erstbegehungsgefahr.73 Eine Erstbegehungsgefahr wird auch dadurch begründet, dass sich jemand berühmt, zu einer bestimmten Handlung berechtigt zu sein.74 Eine solche Berühmung, aus der die ernsthaft drohende Gefahr einer Begehung abzuleiten ist, kann unter Umständen auch in Erklärungen zu sehen sein, die im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben werden. Indes kann der Umstand allein, dass sich jemand gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein, noch nicht als eine Berühmung gewertet werden, die eine Erstbegehungsgefahr begründet.75 Eine Rechtsverteidigung kann aber dann eine 70 71
72
BGH GRUR 2006, 421, 422 – Markenparfümverkäufe. BGH GRUR 2003, 903, 904 – ABC der Naturheilkunde; BGH GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; BGH GRUR 1992, 318, 319 – Geld-zurück-Garantie; BGH GRUR 1999, 1097, 1099 – Preissturz ohne Ende. BGH GRUR 2004, 600, 601 – d-c-fix/ CD-FIX; OLG München GRUR-RR 2008,
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73 74
75
6, 7 – B.T.I. und bti/BPI; KG GRUR 2007, 338 – Markenspekulant. OLG Hamburg NJWE-WettbR 1999, 138 – Altenborger Rahm Zeege. BGH GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; BGH GRUR 1987, 125, 126 – Berühmung. BGH GRUR 2006, 879, 880 – Flüssiggastank.
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Zivilrechtliche Ansprüche
Erstbegehungsgefahr begründen, wenn den Erklärungen die Bereitschaft zu entnehmen ist, der Erklärende werde sich in naher Zukunft in der streitgegenständlichen Weise verhalten. Das Entstehen einer solchen Erstbegehungsgefahr kann dadurch verhindert werden, dass eindeutig klargestellt wird, dass es dem Erklärenden nur um die Rechtsverteidigung geht und keine Rechtsverletzungen zu besorgen sind.76 b) Fortfall der Erstbegehungsgefahr. Die Ausräumung der Erstbegehungsgefahr erfor- 38 dert grds keine strafbewehrte Unterlassungserklärung.77 In aller Regel ist nicht einmal eine einfache Unterlassungserklärung erforderlich. Vielmehr reicht häufig bereits eine bloße Absichtserklärung aus. Denn anders als für die durch einen begangenen Rechtsverstoß begründete Wiederholungsgefahr besteht für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr keine Vermutung. Nach der Rechtsprechung kann die Erstbegehungsgefahr durch eine eindeutige Erklärung beseitigt werden.78 Das OLG Köln lässt ein entgegengesetztes Verhalten – actus contrarius – durch das unmissverständlich und ernsthaft zum Ausdruck gebracht wird, dass von der Verletzungshandlung abgesehen werde, zur Beseitigung einer Erstbegehungsgefahr ausreichen.79 Nach Meinung des OLG Hamburg wird eine etwaige Erstbegehungsgefahr schon dadurch ausgeräumt, dass der Abgemahnte dem Abmahnenden ankündigt, er werde die beanstandete Bezeichnung abändern und sodann auch entsprechend verfährt.80 Bei der durch eine Markenanmeldung hervorgerufenen Erstbegehungsgefahr soll es ausreichen, dass die Anmeldung auf die Abmahnung hin sogleich zurückgenommen wird und der Anmelder unzweideutig und vorbehaltlos erklärt, er gebe seine Eintragungsabsicht auf.81 Ausreichend ist jedenfalls eine einfache Unterlassungserklärung, wobei auch diese nicht ohne Not abgegeben werden sollte. Eine durch Berühmung geschaffene Erstbegehungsgefahr entfällt grds mit der Aufgabe der Berühmung. Eine solche liegt in der uneingeschränkten und eindeutigen Erklärung, dass die beanstandete Handlung in Zukunft nicht vorgenommen werde.82
II. Beseitigungsanspruch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche werden zusammen als negatorischer Rechts- 39 schutz bezeichnet.83 Ihnen ist gemein, dass sie kein Verschulden des Verletzers voraussetzen. Der ebenfalls in § 97 Abs 1 S 1 UrhG geregelte Beseitigungsanspruch setzt anders als 40 der Unterlassungsanspruch keine Wiederholungsgefahr voraus. Auch nach Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung kann demnach eine Beseitigungspflicht bestehen. Der Beseitigungsanspruch kann einen – möglicherweise schuldlos handelnden Verletzer – mitunter erheblich belasten, da ihm nunmehr Handlungspflichten auferlegt werden. Handelte der Verletzer nicht schuldhaft so kann er nach § 100 UrhG statt der Beseitigung eine Geldentschädigung zahlen, wenn ihm durch die Erfüllung der in §§ 97, 98 UrhG genannten Ansprüche ein unverhältnismäßig großer Schaden entstehen würde und 76
77 78
79
BGH GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; BGH GRUR 1992, 404, 405 – Systemunterschiede. Teplitzky Kap 10 Rn 21. BGH GRUR 1993, 53, 55 – Ausländischer Inserent; BGH GRUR 1992, 404 – Systemunterschiede; BGH GRUR 1992, 116, 117 – Topfguckerscheck. OLG Köln NJOZ 2005, 3635.
80 81 82 83
OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 309 – INMAS. KG WRP 2007, 433, 434 – Erstbegehungsgefahr aus Markenanmeldung. BGH GRUR 2001, 1174 – Berühmungsaufgabe. Wandtke/Bullinger/von Wolff § 97 UrhG Rn 41.
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dem Verletzten die Abfindung in Geld zuzumuten ist.84 § 100 UrhG ist im Verhältnis zu dem In § 251 BGB kodifizierten Ablösungsrecht lex specialis.85 Hinsichtlich der Rechtsfolge weist der Beseitigungsanspruch Gemeinsamkeiten mit 41 dem auf Naturalrestitution ausgerichteten Schadensersatzanspruch auf. Anders als der Schadensersatzanspruch ist der Beseitigungsanspruch nicht auf die Restitution eines eingetretenen Schadens, sondern auf die Beseitigung einer fortdauernden Störungsquelle gerichtet.86 Der Beseitigungsanspruch dient damit allein der Abwehr gegenwärtiger oder künftiger Störungen. Eine über die Beseitigung hinausgehende Herstellung eines urheberrechtskonformen Zustandes lässt sich mit einem Beseitigungsanspruch nicht herstellen.87
III. Vernichtungsanspruch 42
Ein Sonderfall des Beseitigungsanspruches ist der Vernichtungsanspruch.88 Dieser in § 98 UrhG kodifizierte Anspruch wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums reformiert. Eine nicht unerhebliche Änderung enthält die Neuregelung im Hinblick auf Vorrichtungen. Hierfür ist nun nicht mehr erforderlich, dass diese ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur rechtswidrigen Herstellung von Vervielfältigungsstücken verwendet werden.89 Vielmehr reicht bereits aus, dass diese „vorwiegend“ hierfür Verwendung finden.90 Eine besondere praktische Bedeutung des Vernichtungsanspruches liegt darin, dass dieser im einstweiligen Verfügungsverfahren durch eine Sequestration durch den zuständigen Gerichtsvollzieher gesichert werden kann.91 Ein solches Vorgehen hat die in der Praxis wichtige Folge, dass das Abmahnerfordernis in aller Regel entfällt.92 Parallel zur Sequestration kann im einstweiligen Verfügungsverfahren ein Verbot der Rückgabe der Plagiate an den Lieferanten beantragt werden.93
84 85 86
87
Vgl Schack Rn 702. Wandtke/Bullinger/Bohne § 100 UrhG Rn 2. Einen Anspruch auf Beseitigung kann bspw ein Architekt geltend machen, dessen Bauwerk unzulässig verändert wurde (BGH ZUM 1999, 146, 147 – Treppenhausgestaltung; LG Berlin GRUR 2007, 964, 966 – Berliner Hauptbahnhof). So entscheid bspw das LG Berlin in dem Streit um die Gestaltung des Berliner Hauptbahnhofes, dass durch die bloße Entfernung einer – den Entwürfen des Architekten nicht entsprechenden – Flachdecke noch kein den eine abgehängte Decke vorsehenden Entwürfen entsprechenden Zustand herbeigeführt wird (LG Berlin GRUR 2007, 964, 966 – Berliner Hauptbahnhof). Der negatorische Rechtsschutz bietet indes keinen Anspruch auf Verwirklichung der Planung. Dies kann sich allenfalls aus vertraglichen Abreden ergeben. Auch die Wiederherstellung eines Gebäudes durch Hinzufügung von Gebäude-
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88 89 90 91 92
93
teilen kann sicht durch einen Beseitigungsanspruch, sondern nur durch einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch erreicht werden (OLG München ZUM-RD 1998, 87, 89 – Farbfenster). Schack Rn 707. Vgl zur bisherigen Rechtslage BGH GRUR 1988, 301, 302 – Videorekorder-Vernichtung. Vgl Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 260; Berlit WRP 2007, 732, 734. Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 8. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29, 30 – Cerebro Card; OLG Frankfurt GRUR 2006, 264 – Abmahnerfordernis; OLG Nürnberg WRP 1995, 427; OLG Nürnberg WRP 1981, 342; Teplitzky Kap 41 Rn 30; Kircher FS Schilling 293, 295; differenzierend OLG Braunschweig GRUR-RR 2005, 103 – Flüchtige Ware. OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 96 – Uhrennachbildungen.
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Zivilrechtliche Ansprüche
1. Anspruchsgegenstände a) Vervielfältigungsstücke. § 98 Abs 1 S 1 UrhG gewährt dem Rechtsinhaber einen 43 Anspruch auf Vernichtung der im Besitz oder Eigentum des Verletzers befindlichen rechtswidrig hergestellten, verbreiteten oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmten Vervielfältigungsstücke.94 Vervielfältigungsstücke sind nicht nur Vervielfältigungen iSd § 16 UrhG, sondern auch unfreie Bearbeitung iSd § 23 UrhG.95 Der Schutzrechtsinhaber muss substantiiert vortragen, dass sich rechtswidrige Vervielfältigungsstücke im Inland befinden.96 Hatte der Verletzer Besitz an den Gegenständen und leugnet er später Besitzer zu sein, so trägt er hierfür die Beweislast.97 b) Vorrichtungen. § 98 Abs 1 S 2 UrhG erklärt diesen Anspruch im Hinblick auf die 44 im Eigentum des Verletzers stehenden Vorrichtungen, die vorwiegend zur Herstellung dieser Vervielfältigungsstücke gedient haben, für entsprechend anwendbar. Der Begriff der Vorrichtung ist weit zu verstehen und umfasst sämtliche in Art 10 der EnforcementRichtlinie genannten Materialien und Geräte. Bemerkenswert ist, dass der Vernichtungsanspruch Vorrichtungen nur dann erfasst, wenn sie im Eigentum des Verletzers stehen.98 Der bloße Besitz reicht also bei Vorrichtungen nicht aus. Grund hierfür ist die Überlegung, dass der Vernichtungsanspruch anderenfalls den Eigentümer der Vorrichtungen, der mit dem Verletzer nicht identisch zu sein braucht, treffen würde. Damit werden bspw gutgläubige Vermieter von entsprechenden Maschinen privilegiert. Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums schlug der Bundesrat vor, den Vernichtungsanspruch auf im fremden Eigentum stehende Vorrichtungen zu erstrecken, da anderenfalls die Gefahr der Umgehung der Vernichtung durch Eigentumsübertragung drohe und die Verhältnismäßigkeitsprüfung als Korrektiv ausreiche.99 Die Bundesregierung lehnte diesen Vorschläge wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ab.100 c) Ausnahmen. § 98 Abs 5 UrhG nimmt Bauwerke sowie ausscheidbare Teile von 45 Vervielfältigungsstücken und Vorrichtungen, deren Herstellung und Verbreitung nicht rechtswidrig ist, vom Anwendungsbereich des § 98 Abs 1 UrhG aus. Als Beispiele für ausscheidbare Teile werden etwa einzelne Seiten eines gebundenen Buches genannt.101 Lässt sich bspw ein Film durch die Entfernung einzelner urheberrechtsverletzender Bestandteile – bspw durch einen anderen Schnitt oder durch die Einblendung anderer Musik – dergestalt verändern, dass die Urheberrechtsverletzung vermieden wird, so ist dieses mildere Mittel nach dem Rechtsgedanken des § 98 Abs 5 UrhG einer Vernichtung der entsprechenden Datenträger (Filmrollen etc.) vorzuziehen.102 2. Verhältnismäßigkeit § 98 Abs 4 UrhG schließt den Vernichtungsanspruch aus, wenn die Maßnahme im 46 Einzelfall unverhältnismäßig ist, wobei auch die berechtigten Interessen Dritter zu 94 95 96 97 98
§ 98 Abs 1 UrhG entspricht § 140a Abs 1 PatG und § 18 Abs 1 MarkenG. BGH GRUR 1999, 984, 988 – Laras Tochter. Vgl OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903, 907 – Bauhaus-Leuchte. Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 20. Zur Gesetzgebungsgeschichte Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 261; zum Referentenent-
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wurf Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 294. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 16/5048, 54. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 62. Vgl Dreier/Schulze/Dreier § 101 UrhG aF Rn 12. Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 47.
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berücksichtigen sind. Die Neuregelung des § 98 UrhG verzichtet darauf, neben der Unverhältnismäßigkeit eine andere Beseitigungsmöglichkeit als Vorraussetzung für den Anspruchsausschluss zu fordern. Im Ergebnis würde die Durchsetzung des Vernichtungsanspruchs im Vergleich zur bisherigen Rechtslage damit – entgegen der Intention des Gesetzgebers – erschwert werden. Nach Auffassung der Literatur ist trotz der Änderung des Wortlautes des § 98 UrhG daran festzuhalten, dass ein Ausweichen auf weniger einschneidende Maßnahmen nur bei Unverhältnismäßigkeit und Vorhandensein anderer Beseitigungsmöglichkeiten in Betracht kommt.103 3. Rechtsfolge
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a) Vernichtung. Verlangt werden kann insbesondere die Herausgabe an einen zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher.104 Der Gesetzgeber hat in § 98 UrhG lediglich das „ob“, nicht hingegen das „wie“ der Vernichtung geregelt. Die Herausgabe an den Gerichtsvollzieher ist in aller Regel die sicherste Form, um die Vernichtung der Plagiate sicherzustellen.105
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b) Überlassung. Nach § 98 Abs 3 UrhG kann alternativ zur Vernichtung verlangt werden, dass die Vervielfältigungsstücke, die im Eigentum des Verletzers stehen, gegen eine angemessene Vergütung, welche die Herstellungskosten nicht übersteigen darf, überlassen werden.
IV. Rückrufanspruch 49
Ein Novum im Immaterialgüterrecht stellt der Rückrufsanspruch dar, der ebenfalls durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums in das UrhG aufgenommen wurde und auf der Enforcement-Richtlinie basiert.106 Auch dieser Rückrufsanspruch lässt sich als ein Sonderfall des Beseitigungsanspruches auffassen.107 Nach § 98 Abs 2 UrhG kann der Rechtsinhaber den Rückruf von rechtswidrig hergestellten, verbreiteten oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmten Vervielfältigungsstücken verlangen.108 Der Anspruch kommt typischerweise dann in Betracht, wenn der Verletzer noch Verfügungsgewalt über die Gegenstände hat.109 Sofern der Verletzer allerdings keine Verfügungsgewalt mehr über die Vervielfältigungsstücke hat, so wird der Anspruch häufig an dem in § 275 BGB kodifizierten Grundsatz scheitern, dass niemand zu einer unmöglichen Leistung verpflichtet ist – ultra posse nemo obligatur. Man wird dem Verletzer allerdings zumuten können, dass er seinen Abnehmern die Rücknahme auf eigene Kosten anbietet.110 Während des Gesetzgebungsverfahrens zum schlug der Bundes103 104
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107
Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 4. BGH GRUR 2003, 228, 229 – P-Vermerk; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 3,5 – Metall auf Metall. BGH GRUR 2003, 228, 230 – P-Vermerk; Thun 156. Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 37; Bodewig GRUR 2005, 632, 636; zum persönlichkeitsrechtlichen Rückrufsanspruch vgl LG Berlin ZUM 2004, 139 – Hinter den Kulissen; Paschke/Busch NJW 2004, 2620 ff; Wenzel/Burkhardt 1019. Vgl BGH GRUR 1958, 402, 405 – Lili Mar-
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leen; Bodewig GRUR 2005, 632, 636; zweifelnd Paschke/Busch NJW 2004, 2620, 2623. § 98 Abs 2 UrhG entspricht § 140a Abs 3 PatG und § 18 Abs 2 MarkenG. Vgl BGH GRUR 1954, 337, 342 – Radschutz; BGH GRUR 1958, 402, 405 – Lili Marleen; BGH GRUR 1974, 666, 669 – Reparaturversicherung, Köhler NJW 1992, 137, 140; dagegen Bodewig GRUR 2005, 632, 636. Vgl Wandtke/Bullinger/Bohne § 98 UrhG Rn 38; Bodewig GRUR 2005, 632, 636;
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Zivilrechtliche Ansprüche
rat vor, eine Klarstellung aufzunehmen, wonach der Anspruch ausgeschlossen ist, wenn eine tatsächliche oder rechtliche Einflussmöglichkeit des Verletzers nicht mehr gegeben ist 111 Die Bundesregierung hielt dies nicht für erforderlich, da sich bereits aus allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen ergebe, dass der Anspruch bei Unmöglichkeit ins Leere gehe.112
V. Entfernungsanspruch Alternativ zum Rückrufsanspruch kann der Verletze nach § 98 Abs 2 UrhG von dem 50 Verletzer die endgültige Entfernung von rechtswidrig hergestellten, verbreiteten oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmten Vervielfältigungsstücken aus den Vertriebswegen verlangen.113 Grds hat der Rechtsinhaber keinen Zugriff auf bereits ausgelieferte Ware.114
VI. Schadensersatzanspruch Nach § 97 Abs 2 S 1 UrhG hat der Rechtsinhaber einen Schadensersatzanspruch 51 gegen denjenigen, der vorsätzlich oder fahrlässig ein Urheberrecht oder ein anderes nach dem UrhG geschütztes Recht verletzt.115 Voraussetzung ist also neben der Rechtsverletzung ein Verschulden. Vorsatz setzt das Wissen und Wollen des Erfolges und das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus.116 Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht lässt. Wer sich bewusst im Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, handelt in aller Regel fahrlässig.117 Irrt der Verletzer über die Rechtslage, so schließt dies nur den Vorwurf des vorsätzlichen Handelns, nicht hingegen den Fahrlässigkeitsvorwurf aus.118 1. Wahlrecht zwischen drei Methoden der Schadensberechnung Der Umfang des Schadensersatzes richtet sich grds nach §§ 249 ff BGB.119 Nach 52 § 249 Abs 1 S 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Schaden nicht eingetreten wäre. Diese Naturalrestitution ist bei Schutzrechtsverletzungen in aller Regel nicht möglich. Daher hat der Verletzer nach § 251 BGB Geldentschädigung einschließlich entgangenem Gewinn nach § 252 BGB zu zahlen. Die hypothetische Gewinnentwicklung ist indes häufig nur schwer nachweisbar. Daher hat die Rechtsprechung dem Verletzten zwei weitere Möglichkeiten der Schadensberechnung bereit gestellt, die zwischenzeitlich auch vom Gesetzgeber kodifiziert wurden.120 Dies sind die Herausgabe des Verletzergewinns gem § 97 Abs 2 S 2 UrhG und die
111 112 113 114 115
Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 259; dagegen Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 295. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 16/5048, 54 f. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 62. § 98 Abs 2 UrhG entspricht § 140a Abs 3 PatG und § 18 Abs 2 MarkenG. Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 295. § 97 Abs 2 UrhG entspricht § 139 Abs 2 PatG und § 14 Abs 6 MarkenG.
116 117
118 119 120
Wandtke/Bullinger/Kefferpütz § 97 UrhG Rn 49. BGH GRUR 2007, 871, Rn 42 – WagenfeldLeuchte; BGH GRUR 1998, 568, 569 – Beatles-Doppel-CD. Schack Rn 681. Schack Rn 688; Ohly GRUR 2007, 926, 929 ff. Vgl BGH GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH GRUR 2000, 226 – Planungsmappe; Dreier GRUR Int 2004, 706;
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1. Teil
Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr nach § 97 Abs 2 S 3 UrhG. Zwischen diesen drei Arten der Schadensberechnung darf der Verletzte grds frei wählen. Bei diesen drei Bemessungsarten handelt es sich lediglich um Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens und nicht um verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.121 Das Wahlrecht zwischen den Berechnungsarten darf noch während eines laufenden 53 Zahlungsklageverfahrens ausgeübt werden. Der Gläubiger soll auf Änderungen der Sachund Beweislage reagieren können, die sich nicht selten erst im Laufe eines Verfahrens ergeben. Daher erlischt dieses Wahlrecht – abgesehen von der Erfüllung – erst dann, wenn der nach einer bestimmten Berechnungsweise geltend gemachte Anspruch rechtskräftig zuerkannt worden ist.122 Der Verletzte verliert das Wahlrecht auch dann, wenn über seinen Schadensersatzanspruch bereits für ihn selbst unangreifbar nach einer Berechnungsart entschieden worden ist.123 Der aus einer Schutzrechtsverletzung folgende Schadensersatzanspruch sowie der der Bezifferung dieses Anspruchs dienende Auskunftsanspruch sind zeitlich nicht durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung begrenzt.124
54
a) Entgangener Gewinn. Für die Berechnung des Schadensersatzanspruches nach §§ 249 ff BGB ist die tatsächliche Vermögenssituationen des Geschädigten mit der Situation zu vergleichen, die bestehen würde, wenn das schadensträchtige Ereignis nicht eingetreten wäre. Dabei ist auch der entgangene Gewinn zu berücksichtigen.125 In der Praxis nehmen Schutzrechtsinhaber von dieser Berechnungsmethode häufig Abstand, da hierfür unter Umständen interne Kalkulationen offengelegt werden müssten.
55
b) Verletzergewinn. Nach § 97 Abs 2 S 2 UrhG kann bei der Bemessung des Schadensersatzes auch der Gewinn berücksichtigt werden, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat. Mit dieser Regelung wird die ständige – an Rechtsfolgen der Geschäftsführung ohne Auftrag angelehnte – Rechtsprechung kodifiziert. Der Verletzte kann somit den Verletzergewinn herausverlangen. Dieser Anspruch setzt nicht voraus, dass der Verletzte seinerseits hätte gewinnbringend wirtschaften können. Ersatzfähig ist aber nur der Anteil vom Gewinn, der auf der Verletzung des Schutzrechts beruht. Dabei darf der Verletzer seine Gemeinkosten vom Verkaufserlös abziehen, soweit diese den schutzrechtsverletzenden Gegenständen unmittelbar zugerechnet werden können.126 Zu diesen abzugsfähigen Kosten gehören neben den Kosten der Produktion, des Materials und des Vertriebs auch die Kosten des Personals, das für die Herstellung und den Vertrieb des Nachahmungsprodukts eingesetzt war, sowie bei Investitionen in Anlagevermögen die anteiligen Kosten für Maschinen und Räumlichkeiten, die ausschließlich für die Produktion und den Vertrieb der Nachahmungsprodukte verwendet worden sind.127 Ausgangspunkt für die Unterscheidung der anzurechnenden und der nicht anzurech56 nenden Kosten ist die Überlegung, dass für die Ermittlung des Schadensersatzes nach
121 122
123 124
Bodewig/Wandtke GRUR 2008, 220, 223 ff; vgl auch Peifer WRP 2008, 48. BGH GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; Gloy/Loschelder/Melullis § 23 Rn 51. BGH GRUR 1974, 53, 54 – Nebelscheinwerfer; BGH GRUR 1982, 301 – Kunststoffhohlprofil II. BGH GRUR 2008, 93, 94 – Zerkleinerungsvorrichtung. BGH GRUR 2007, 877, 879 – Windsor Estate.
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127
Vgl BGH GRUR 1971, 35, 39 – Maske in Blau. BGH GRUR 2001, 329 – Gemeinkostenanteil; BGH GRUR 2006, 419, 420 – Noblesse; OLG Düsseldorf GRUR 2004, 53, 54 – Gewinnherausgabeanspruch. BGH GRUR 2007, 431, 434 – Steckverbindergehäuse.
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§3
Zivilrechtliche Ansprüche
dem Verletzergewinn zu unterstellen ist, dass der Verletzte einen entsprechenden Betrieb unterhält, der dieselben Produktions- und Vertriebsleistungen wie der Betrieb des Verletzers hätte erbringen können. Nicht abzugsfähig sind daher die Kosten, die unabhängig vom Umfang der Produktion und des Vertriebs durch die Unterhaltung des Betriebs entstanden sind. Hierzu zählen bspw allgemeine Marketingkosten, die Geschäftsführergehälter, die Verwaltungskosten sowie die Kosten für Anlagevermögen, das nicht konkret der Rechtsverletzung zugerechnet werden kann. Nicht anrechenbar sind ferner Anlaufund Entwicklungskosten sowie Kosten für die nicht mehr veräußerbaren Produkte.128 c) Angemessene Lizenzgebühr. Nach § 97 Abs 2 S 2 UrhG kann der Schadensersatz- 57 anspruch auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. Mit Einführung dieser Vorschrift wurde die Rechtsprechung zur Berechnung des Schadensersatzanspruches nach der Lizenzanalogiemethode kodifiziert. Die Höhe der Lizenzgebühr richtet sich danach, was kaufmännisch vernünftige Vertragsparteien vereinbart hätten. Die Berechnung kann bspw als Pauschallizenzgebühr oder auf der Grundlage einer Stücklizenz vorgenommen werden. Die Prozentsätze sind von Branche zu Branche unterschiedlich.129 Bei Verletzung des Urheberrechts an Fotografien wollen manche Gerichte im Rahmen der Schadensschätzung gem § 287 ZPO bei der Ermittlung der üblichen Vergütung die Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing (MFM) zu Grunde legen.130 Dies ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht ohne weiteres möglich.131 Für die Zugrundelegung der MFMEmpfehlungen ist vielmehr erforderlich, dass das Gericht entweder über hinreichende eigene Sachkunde verfügt oder diese einholt, um beurteilen zu können, ob die entsprechenden MFM-Empfehlungen marktübliche Honorarsätze enthielten. 2. Verletzerzuschlag a) GEMA-Zuschlag. Nach ständiger Rechtsprechung ist die GEMA 132 berechtigt, bei 58 Berechnung des Schadens, der durch ungenehmigte öffentliche Musikaufführungen entstanden ist, von höheren Gebührensätzen auszugehen, als sie für zuvor angemeldete öffentliche Musikdarbietungen verlangt. Dieser Zuschlag rechtfertigt sich daraus, dass die GEMA, um Urheberverletzungen nachzugehen, eine umfangreiche Überwachungsorganisation unterhalten muss.133 In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ausdrücklich klargestellt, dass die Neuregelung des § 97 UrhG diesen Kontrollzuschlag nicht berührt.134 b) Verdopplung der Lizenzgebühr wegen fehlender Urhebernennung. Nach der Recht- 59 sprechung kommt auch bei fehlender Urhebernennung ein Verletzerzuschlag in Betracht.135 Werden bspw Werbefotos ohne Einwilligung des Urhebers im Internet unter 128 129 130
131 132 133
BGH GRUR 2007, 431, 434 – Steckverbindergehäuse. Vgl Menninger/Nägele WRP 2007, 912, 915. OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 194; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 486 – Informationsbroschüre; LG Berlin GRUR 2000, 797, 798. BGH NJW 2006, 615, 617 – Pressefotos. Gesellschaft für musikalische Aufführungsund mechanische Vervielfältigungsrechte. BGH GRUR 1955, 549; BGH GRUR 1973,
134
135
379 – Doppelte Tarifgebühr; Dreier GRUR Int 2004, 706, 709. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 48, eingehend hierzu Bodewig/Wandtke GRUR 2008, 220, 225 ff; Patnaik GRUR 2004, 191, 192. OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 486 – Informationsbroschüre; LG Hamburg ZUM 2004, 675, 679; vgl Loewenheim FS Erdmann 131 ff; dagegen Schack Rn 693a.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
Weglassung des Bildquellennachweises veröffentlicht, so nehmen einige Gerichte bei der Schadensberechnung einen Aufschlag wegen fehlender Urhebernennung vor.
60
c) Kein allgemeiner Verletzerzuschlag. Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums forderte unter anderem der Bundesrat dem Rechteinhaber unter bestimmten Voraussetzungen zu gestatten, eine doppelte Lizenzgebühr als vermuteten Verletzergewinn zu verlangen.136 Die Bundesregierung hat diese Forderung abgelehnt, weil sie ihrer Ansicht nach auf die Gewährung eines Strafschadensersatzes hinausliefe.137
VII. Geldentschädigung 61
Nach § 97 Abs 2 S 4 UrhG können Urheber und bestimmte Leistungsschutzberechtigte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ist die Rechtsprechung bei Urheberrechtsverletzungen deutlich weniger großzügig als bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.138
VIII. Bereicherungsausgleich 62
§ 102a UrhG stellt klar, dass die Regelung der Rechtsfolgen im UrhG nicht abschließend ist. Die Ansprüche aus anderen gesetzlichen Vorschriften bleiben unberührt. Der Verletzte hat einen Anspruch auf Herausgabe der durch die Rechtsverletzung erlangten ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 Abs 1 S 1 2. Fall BGB. Anders als im Schadensersatzrecht ist für das Bereicherungsrecht nicht die Vermögenslage des Gläubigers, sondern die des Schuldners entscheidend.139 Gegenstand der Bereichung kann jeder vermögenswerte Vorteil sein. Bei Eingriffen in Immaterialgüterrechte stellt der Gebrauch des immateriellen Schutzgegenstandes das Erlangte iSd § 812 BGB dar. Da der dadurch erlangte Vorteil naturgemäß nicht wieder herausgegeben werden kann, ist Wertersatz zu leisten. In der Höhe entspricht der Wertersatz einer angemessenen Lizenzgebühr. Anders als beim Schadensersatzanspruch ist kein Verschuldensnachweis erforderlich. Diesem Vorteil steht allerdings der Nachteil gegenüber, dass der Verletzer gegebenenfalls Bereicherungswegfall nach § 818 Abs 3 BGB geltend machen kann, sofern nicht die Ausschlussgründe der §§ 818, 819 BGB greifen.140 Hierin liegt ein nicht unwesentlicher Unterschied zur Lizenzanalogie im Rahmen des auf schuldhaftes Handeln gestützten Schadensersatzanspruchs. Zu beachten ist, dass für die deliktische Bereicherungshaftung nach § 852 BGB besondere Verjährungsregeln gelten.
136
137 138
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 16/5048, 53 f; zust Bodewig/Wandtke GRUR 2008, 220; Berlit WRP 2007, 732, 733 f. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 61. Übersichten zum Urheberecht bei Schack
210
139 140
Rn 694, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei Damm/Rehbock Rn 998 ff. BGH NJW 1981, 2402 – Carrera; BGH GRUR 1956, 427 – Dahlke. Vgl BGH GRUR 1988, 606, 609 – Differenzlizenz; BGH NJW 1977, 1194 – Kunststoffhohlprofil.
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Zivilrechtliche Ansprüche
IX. Geschäftsanmaßung Der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns kann auch auf die Geschäfts- 63 anmaßung nach §§ 687 Abs 2, 681, 667 BGB gestützt werden. Behandelt jemand ein fremdes Geschäft als sein eigenes, obwohl er weiß, dass er nicht dazu berechtigt ist, so kann der Geschäftsherr nach § 687 Abs 2 BGB, die sich aus den §§ 677, 678, 681, 682 BGB ergebenden Ansprüche geltend machen. Da die Haftung aus § 687 Abs 2 BGB allerdings nur vorsätzliche Eingriffe erfasst, ist ihr praktischer Anwendungsbereich gering.141
X. Unselbstständiger Auskunftsanspruch Auskunftsansprüche können mehreren Funktionen dienen. Einerseits versetzen sie den 64 Rechtsinhaber in die Lage, den Schadensersatzanspruch nach den verschiedenen Berechnungsmethoden zu beziffern, um entscheiden zu können, welche Art der Berechnung die für ihn günstigste ist. Andererseits bestehen Auskunftsansprüche gegen den Verletzer über Dritte (Drittauskunftsanspruch) und gegen Dritte, die nicht zugleich Verletzer sind.142 Letztere sind insbesondere im Bereich der Internetpiraterie von entscheidender Bedeutung. 1. Vorbereitender Auskunftsanspruch Der vorbereitende Auskunftsanspruch dient der Bezifferung des Schadensersatzan- 65 spruchs. Grundlage sind §§ 242, 259, 260 BGB, die § 102a UrhG unberührt lässt. Geschuldet werden alle Angaben, die der Verletzte zur Prüfung und Berechnung des Schadensersatzanspruchs benötigt.143 Der vorbereitende Auskunftsanspruch ist – ebenso wenig wie der Schadenseratzanspruch – zeitlich durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung begrenzt.144 Inhalt und Umfang des Auskunftsanspruchs bestimmen sich unter Abwägung der Interessen der Parteien. Der Anspruch wird begrenzt durch das prozessuale Ausforschungsverbot. Insbesondere darf der Anspruch nicht zur Ausforschung von Kalkulationsinterna und Kundenbeziehungen benutzt werden.145 Da dem Auskunftsschuldner eine vollständige Offenbarung gegenüber dem An- 66 spruchsteller, der regelmäßig ein Konkurrent des Anspruchstellers sein wird, nicht zuzumuten ist, besteht die Möglichkeit eines Wirtschaftsprüfervorbehalts. Die Namen der Kunden werden dann gegebenenfalls einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer übermittelt und nicht dem Anspruchsteller.146 Der Wirtschaftsprüfer kann dann feststellen, ob sich unter den Namen bspw auch Kunden des Gläubigers befinden. 2. Rechnungslegung Die Rechnungslegung ist eine qualifizierte Form der Auskunft und dient der Beziffe- 67 rung des Schadensersatzanspruchs.147 Der Schutzrechtsinhaber soll eine Abrechnung über Einnahmen und Ausgaben unter Vorlage der Belege erhalten. Der Anspruch auf 141 142
143 144
MünchKommBGB/Seiler § 687 BGB Rn 30. Eingehend Raabe ZUM 2006, 439 ff; Seichter FS Ullmann 983, 985 ff; Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 261. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 79. BGH GRUR 2007, 877, 879 – Windsor Estate; zust Steinbeck GRUR 2008, 110, 111.
145 146
147
LG München I GRUR-RR 2008, 74, 76 – Biogas Fonds. Vgl BGH GRUR 1981, 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt; Bornkamm FS Ullmann 893, 897 ff. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 80.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
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Rechnungslegung ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.148 In § 97 Abs 1 S 2 UrhG aF war die Rechnungslegung im Rahmen des Gewinnherausgabeanspruches auch kodifiziert.149 In der Gesetzgebungsgeschichte finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Streichung dieser Regelung inhaltliche Änderungen nach sich ziehen sollte.
XI. Selbstständige Auskunftsansprüche 68
Die selbstständigen Auskunftsansprüche sind nicht nur Hilfsansprüche, die der Bezifferung des Schadensersatzes und dem Bereicherungsausgleich dienen. Vielmehr sollen sie den Gläubiger in die Lage versetzen, den Sachverhalt aufzuklären um bspw die Quellen und Vertriebswege der Film- und Musikpiraterie aufdecken zu können. Ein in der Praxis nicht unwesentlicher Unterschied zum unselbstständigen Auskunftsanspruch besteht darin, dass die selbstständigen Auskunftsansprüche in der Regel dem Eilrechtsschutz offen stehen. 1. Auskunft über Dritte
69
a) Anspruchsvoraussetzungen. Nach § 101 Abs 1 UrhG kann derjenige, der in gewerblichem Ausmaß das Urheberrecht oder ein anderes nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der rechtsverletzenden Vervielfältigungsstücke oder sonstigen Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.150 Dieser Drittauskunftsanspruch ist verschuldensunabhängig.151 Vor dem Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums erfasste der sog Drittauskunftsanspruch nach § 101 UrhG nur die Herstellung und Verbreitung.152 Die Neufassung stellt ausdrücklich klar, dass der Anspruch nicht auf die Verletzung von körperlichen Verwertungsrechten nach § 15 Abs 1 UrhG beschränkt ist.153 Der Auskunftsanspruch gilt bei allen Rechtsverletzungen, gleich ob die Verwertungshandlung körperlicher oder unkörperlicher Natur war.154 § 101 Abs 4 UrhG schließt den Auskunftsanspruch aus, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Das Erfordernis des „gewerblichen Ausmaßes“ wurde durch das Gesetz zur Verbesse70 rung der Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums eingefügt. Bislang sah § 101a Abs 1 aF UrhG das Erfordernis des geschäftlichen Verkehrs vor.155 Das gewerbliche Ausmaß kann sich aus der Quantität oder aus der Qualität der Rechtsverletzungen ergeben. Gewerbsmäßigkeit liegt demgegenüber vor, wenn sich der Täter durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer schaffen möchte.156
71
b) Umfang der Auskunftspflicht. Die Angaben müssen sich nach § 101 Abs 3 UrhG beziehen auf (1.) Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Vervielfältigungsstücke oder sonstigen Erzeugnisse, der Nutzer der Dienst-
148
149 150 151 152
Vgl BGH GRUR 1998, 376 – Coverversion; Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 48. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 78. § 101 Abs 1 UrhG entspricht § 140b Abs 1 PatG und § 19 Abs 1 MarkenG. OLG München GRUR 2007, 419 – Lateinlehrbuch; eingehend Gräfin von Merveldt. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 381, 382 – Betriebsrats-Check.
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153 154 155 156
Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 49. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 49. Vgl Dreier/Schulze/Dreier § 101a UrhG Rn 6. BGH GRUR 2004, 421, 427 – Tonträgerpiraterie.
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leistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und (2.) die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Vervielfältigungsstücke oder sonstigen Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Vervielfältigungsstücke oder sonstigen Erzeugnisse bezahlt wurden. 2. Belegvorlage Ergänzt wird der Drittauskunftsanspruch durch einen Anspruch auf Belegvorlage. 72 Der Schuldner eines selbstständigen Auskunftsanspruchs, der die Namen seiner Lieferanten und gewerblichen Abnehmer offenbaren muss, ist in aller Regel auch zur Vorlage entsprechender Belege über den Einkauf und Verkauf wie bspw Rechnungen und Lieferscheine verpflichtet. Soweit die Belege Daten enthalten, auf die sich die geschuldete Auskunft nicht bezieht, ist einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Schuldners dadurch Rechnung zu tragen, dass die geheimhaltungsbedürftigen Daten in den Kopien abgedeckt oder geschwärzt werden. Eine Verpflichtung zur Vorlage von Belegen sieht das BGB in den allgemeinen Vorschriften über Auskunft und Rechnungslegung (§§ 259, 260 BGB) nur für die Rechnungslegung, nicht dagegen für die Auskunft (§ 260 Abs 1 BGB) vor. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass sich im Rahmen des Auskunftsanspruchs ausnahmsweise auch ein Anspruch auf Vorlage von Belegen ergeben kann, wenn der Gläubiger hierauf angewiesen ist und dem Schuldner diese zusätzliche Verpflichtung zugemutet werden kann.157 3. Auskunftsanspruch gegen Dritte Von dem Auskunftsanspruch gegen den Verletzer über Dritte streng zu unterscheiden 73 ist der Auskunftsanspruch gegen Dritte, die nicht zugleich Verletzer sind. Ein Novum im deutschen Recht stellt der Auskunftsanspruch aus § 101 Abs 2 UrhG 158 dar, der sich gegen Dritte richtet, die das Schutzrecht nicht selber verletzen.159 a) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben. Der Auskunftsanspruch gegen Dritte ist ge- 74 meinschaftsrechtlich nicht vorgegeben. Zwar verbietet die Datenschutz-Richtlinie für elektronische Kommunikation 160 einen solchen, gegen Dritte gerichteten Auskunftsanspruch nach Ansicht des EuGH nicht. Umgekehrt finden sich allerdings weder in der E-Commerce-Richtlinie 161 noch in der Multimedia-Richtlinie 162 oder in der Enforcement-Richtlinie 163 Vorschriften, die einen solchen Auskunftsanspruch gebieten.164 Nach 157
158 159
160
161
BGH GRUR 2001, 841 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH GRUR 2002, 709 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH GRUR 2003, 433 – Cartier-Ring. § 101 Abs 2 UrhG entspricht § 140b Abs 2 PatG und § 19 Abs 2 MarkenG. Vgl Wandtke/Bullinger/Bohne § 101 UrhG Rn 3; Bohne GRUR-RR 2005, 145; Kitz ZUM 2006, 444; Zombik ZUM 2006, 450. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation. Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000
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über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs. Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. EuGH WRP 2008, 334, 342 Rn 58 – Promusicae v Telefónica.
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Ansicht des EuGH kann insbesondere Art 8 der Enforcement-Richtlinie nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Weitergabe der personenbezogenen Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorsehen müssen.165 Es obliegt daher den Mitgliedstaaten, ob sie eine solche Regelung in ihren nationalen Vorschriften vorsehen wollen oder nicht. Dabei haben sie im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums bei der Umsetzung der Richtlinien ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen, durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherzustellen. Dazu gehörten auf der einen Seite der Schutz des Eigentums und das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf, auf der anderen Seite das Recht auf Achtung des Privatlebens.
75
b) Anspruchsvoraussetzungen. (aa) Anhängiger Verletzungsprozess oder offensichtliche Rechtsverletzung. Nach § 101 Abs 2 UrhG besteht ein Auskunftsanspruch in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, unbeschadet von § 101 Abs 1 UrhG auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß (1.) rechtsverletzende Vervielfältigungsstücke in ihrem Besitz hatte, (2.) rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, (3.) für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder (4.) nach den Angaben einer in Nr 1, 2 oder 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Vervielfältigungsstücke, sonstigen Erzeugnisse oder Dienstleistungen beteiligt war. Einen allgemeinen Richtervorbehalt sieht der Anspruch nicht vor. Der Gesetzgeber befürchtete eine zu hohe Belastung der Gerichte.166
76
(bb) Gewerbliches Ausmaß. Nach Erwägungsgrund 14 der Enforcement-Richtlinie zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden; dies schließt in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden. Nach einer Ansicht in der Literatur entspricht das Erfordernis eines gewerblichen Ausmaßes inhaltlich den Anforderungen an ein Handeln im geschäftlichem Verkehr.167 Dem ist zu widersprechen. Die Anforderungen an das Vorliegen eines gewerblichen Ausmaßes dürfen keinesfalls derart niedrig angesetzt werden. Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich zu § 143 MarkenG, der zwischen geschäftlichem Verkehr und Gewerblichkeit unterscheidet.
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c) Zeugnisverweigerungsrecht. Der Auskunftsanspruch gegen Dritte entfällt, wenn dieser nach §§ 383–385 ZPO zeugnisverweigerungsberechtigt ist. Der zur Auskunft Verpflichtete kann vom Anspruchsteller Ersatz der für die Auskunftserteilung erforderlichen Aufwendungen verlangen.
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d) Haftung für Auskünfte. § 101 Abs 5 UrhG sieht einen Schadensersatzanspruch des Verletzten vor, wenn der Auskunftsverpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig, falsch oder unvollständig erteilt. In der Enforcement-Richtlinie fehlt eine entsprechende Vorschrift.168 Im Hinblick auf den schuldhaft handelnden Verletzer hat diese Vorschrift nur klarstellenden Charakter.169 Die Schadensersatzhaftung für schuldhaft 165 166
167
EuGH WRP 2008, 334, 342 Rn 58 – Promusicae v Telefónica. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 38; krit hierzu Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 297. Vgl Nägele/Nitsche WRP 2007, 1047, 1048;
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Wandtke/Bullinger/Bohne § 101 UrhG Rn 19. Wandtke/Bullinger/Bohne § 101 UrhG Rn 23; Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 261; Schmidhuber WRP 2008, 296. Schmidhuber WRP 2008, 296, 300.
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Zivilrechtliche Ansprüche
unrichtig erteilte Auskünfte ergibt sich hier bereits aus § 97 UrhG.170 Anders verhält es sich hingegen bei den auskunftspflichtigen Dritten, die selber keine Schutzrechtsverletzung begangen haben. Sofern man eine Schadensersatzhaftung dieser Dritten nicht bereits wegen eines Verstoßen gegen das durch die Auskunftsansprüche begründete gesetzliche Schuldverhältnis als gegeben erachtet, hat § 101 Abs 5 UrhG hier konstituierende Wirkung. Nach § 101 Abs 6 UrhG haftet derjenige, der eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne 79 dazu nach § 101 Abs 1 oder 2 UrhG verpflichtet gewesen zu sein, Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war. Indem § 101 Abs 6 UrhG eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit nicht vorsieht, wird die Gefahr begründet, dass vermeintliche Auskunftsansprüche auch bei Zweifeln über ihr Bestehen erfüllt werden.171 e) Durchsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung. Nach § 101 Abs 7 UrhG kann 80 die Auskunftsverpflichtung in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935–945 ZPO angeordnet werden. Diese Regelung ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine Anspruchdurchsetzung im Wege des Eilverfahrens die Hauptsache nicht vorwegnahmen darf.172 Da die einmal erteilte Auskunft eine nicht rückgängig zu machende Erfüllung des Auskunftsanspruches darstellt, verlangt § 101 Abs 7 UrhG die Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung. f) Beweisverwertung. Nach § 101 Abs 8 UrhG dürfen die Erkenntnisse in einem Straf- 81 verfahren oder in einem Verfahren nach dem OWiG wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs 1 StPO bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden. g) Richtervorbehalt bei Fernmeldegeheimnis. In Fällen der Internetpiraterie ergeben 82 sich typischerweise datenschutzrechtliche Fragen. Das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis und die Rechte des geistigen Eigentums, die ebenfalls Verfassungsrang haben, müssen in einen Ausgleich gebracht werden.173 § 101 Abs 9 und 10 UrhG tragen dem Fernmeldegeheimnis Rechnung. Die Vorschrift dient der Wahrung des Fernmeldegeheimnisses in Fällen, in denen bei Internet-Providern Verkehrsdaten abgefragt werden, um die entsprechenden Bestandsdaten zu erhalten.174 Nach § 101 Abs 9 UrhG ist für die Auskunftserteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, wenn die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten iSd § 3 Nr 30 TKG erteilt werden kann. Diese ist von dem Verletzten zu beantragen. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben unberührt. § 101 Abs 10
170 171 172 173
Vgl Schmidhuber WRP 2008, 296, 299. Wandtke/Bullinger/Bohne § 101 UrhG Rn 25. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 381, 382 – Betriebsrats-Check. Vgl Sieber/Höfinger MMR 2004, 575, 581 ff; zur entsprechenden Rechtsentwicklung in den in den Vereinigten Staaten US
174
Court of Appeals for the District of Columbia Circuit GRUR Int 2004, 527 – RIAA v Verizon; Katyal Yale J Law & Tech, 2004, 222. Vgl Wandtke/Bullinger/Bohne § 101 UrhG Rn 13; Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 261; Berlit WRP 2007, 732, 736; Nägele/ Nitsche WRP 2007, 1047, 1050.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
UrhG erhält die nach Art 19 Abs 1 S 2 GG erforderliche Nennung des in Art 10 GG kodifizierten Fernmeldegeheimnisses. Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung 83 von Rechten geistigen Eigentums schlug der Bundesrat vor, diesen Richtervorbehalt zu streichen und die Zulässig der Weitergabe von Bestandsdaten festzuschreiben, auch wenn zur Ermittlung der Bestandsdaten intern Verkehrsdaten verarbeitet werden müssten.175 Die Bundesregierung lehnte diesen Vorschlag unter Hinweis auf die Sensibilität der Daten, die zur Erfüllung des Auskunftsanspruches herangezogen werden müssen ab.176 Auch den vom Bundesrat vorgetragene Hinweis auf die Kosten dieser gerichtlichen Überprüfung ließ die Bundesregierung nicht gelten, da diese Kosten später im Rahmen des Schadensersatzanspruches vom Verletzer herausverlangt werden könnten. In einer neueren Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das 84 allgemeine Persönlichkeitsrecht das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme umfasst.177 Für den Auskunftsanspruch ist dieses neu definierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme indes ohne Bedeutung, da Art 10 GG vorrangig ist. Soweit eine Ermächtigung sich auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogene Daten ausgewertet werden, ist der Eingriff allein an Art 10 Abs 1 GG zu messen.178
XII. Urkundenvorlage und Besichtigung nach § 101a Abs 1 UrhG 1. Zweck
85
Nicht selten benötigt der Rechtsinhaber Informationen, um feststellen zu können, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt.179 So kann eine Urheberrechtsverletzung hinsichtlich einer Software häufig nur bei Kenntnis des entsprechenden Quellcodes nachgewiesen werden. Ausländische Rechtsordnungen hatten diesbezüglich seit langem umfangreiche Möglichkeiten der vorprozessualen Beweissicherung vorgesehen. Zu nennen ist bspw die pretrial discovery 180 in den Vereinigten Staaten oder die Anton Piller Order 181 in Großbritannien. § 101a Abs 1 UrhG setzt die Art 6 und 7 der Enforcement-Richtlinie um und gewährt dem Verletzen einen Anspruch auf Vorlage einer Urkunde und Duldung der Besichtigung einer Sache gegen denjenigen, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Urheberrecht oder ein anderes nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt hat.182 Der Anspruch richtet sich auf die Vorlage einer Urkunde oder Duldung der
175 176 177
178
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 16/5048, 55 ff. Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drucks 16/5048, 63. BVerfG Urteil vom 27.2.2008, Az 1 BvR 370/07 – Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. BVerfG Urteil vom 27.2.2008, Az 1 BvR 370/07 Rn 184 – Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
216
179 180
181
182
Vgl Bork NJW 1997, 1665 ff. Vgl Maloney IIC 2000, 723; Resnik Chicago-Kent Law Review 2006, 521; Erichson Chicago-Kent Law Review 2006, 357. Vgl House of Lords GRUR Int 1982, 262 – Anton Piller Order; Nieder Rn 187; Cornish/Llewelyn IIC 2000, 627, 635 ff. § 101a Abs 1 UrhG entspricht § 140c Abs 1 PatG und § 19a Abs 1 MarkenG.
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§3
Zivilrechtliche Ansprüche
Besichtigung einer Sache, die sich in der Verfügungsgewalt des – möglichen – Verletzers befindet. Bereits vor Einfügung des § 101a UrhG hat die Rechtsprechung einen Besichtigungs- 86 anspruch aus § 809 BGB abgeleitet. In der Faxkarten-Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof – gestützt auf § 809 BGB – den Beklagten verurteilt, den Quellcode der Programme bzw Programmteile für ein urheberrechtlich geschütztes System offen zu legen.183 Zur Begründung dieses Anspruchs wies der Bundesgerichtshof auf Art 43 TRIPs hin.184 Zwar ist das TRIPs-Übereinkommen in Bereichen, die gemeinschaftsrechtlich bereits vereinheitlicht oder harmonisiert sind, nicht unmittelbar anwendbar. Die EG-Mitgliedstaaten sind allerdings verpflichtet, ihr nationales Recht TRIPS-konform auszulegen.185 Art 43 TRIPs sieht ausdrücklich vor, dass das Gericht dem Gegner einer in Beweisnot befindlichen Partei die Beibringung von Beweismitteln auferlegen kann, die sich in seinem Besitz befinden.186 Auch diese Vorschrift sieht den Schutz vertraulicher Informationen vor.187 Art 50 Abs 1(b) TRIPs sieht auch einstweilige zivilrechtliche Maßnahmen zu Beweissicherung vor.188 Dieser Besichtigungsanspruch konnte bei Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung auch im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden.189 § 101a UrhG korrespondiert mit §§ 421, 422 ZPO der – auf einen Antrag des Beweisführers – eine prozessrechtliche Vorlegungspflicht festschreibt, bei deren Nichtbeachtung die Behauptungen des Beweisführers nach § 427 ZPO als bewiesen angenommen werden können.190 Daneben kann das Gericht auch ohne Antrag die Vorlage nach § 142 ZPO anordnen, wobei der Ungehorsam gegen eine solche Anordnung im Rahmen der freien Beweiswürdigung negativ zu Buche schlagen kann.191 2. Anspruchsvoraussetzungen a) Anspruchsgegenstand. Gegenstand des Vorlageanspruches sind Urkunden und 87 Gegenstände, die sich in der Verfügungsgewalt des – möglichen – Verletzers befinden. § 101a Abs 1 S 2 UrhG erstreckt den Anspruch auf die Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen, sofern die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung besteht. Der Besichtigungsanspruch bezieht sich auf Sachen. Dieser Begriff ist weit auszulegen.192 Erfasst werden bspw auch Computerprogramme. b) Passivlegitimation. Passivlegitimiert ist nur der Verletzer, sofern sich die Sache in 88 seiner Verfügungsgewalt befindet. Der Anwendungsbereich des § 101a UrhG ist einerseits weiter als der des § 809 BGB, da nur Verfügungsgewalt, nicht hingegen der für den 183
184
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186
Vgl BGH GRUR 2002, 1046, 1048 – Faxkarte; Kühnen GRUR 2005, 185; Gärtner/Worm Mitt 2007, 254, 256; Haedicke FS Schricker 2005, 19, 26 f; eingehend Ibbeken. Das TRIPs-Übereinkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) ist integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens. EuGH GRUR 2001, 235, 237 – Dior; Wandtke/Bullinger/von Welser § 121 UrhG Rn 16. Dreier GRUR Int 1996, 205 ff.
187 188 189 190
191
192
Busche/Stoll/Vander Art 43 TRIPs Rn 8. Busche/Stoll/Vander Art 50 TRIPs Rn 9. OLG Frankfurt GRUR-RR 2006, 295, 296 – Quellcode-Besichtigung. Vgl Zöller/Greimer § 422 ZPO Rn 2; Loschelder FS Raue 529, 531 f; McGuire GRUR Int 2005, 15, 16 f. Zu § 142 ZPO eingehend BGH GRUR 2006, 962, 966 f – Restschadstoffentfernung; Tilmann/Schreibauer FS Erdmann 901 ff; Knaak GRUR Int 2004, 745, 747. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG Rn 21.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
Besitz zusätzlich erforderliche Besitzzwille vorausgesetzt wird.193 Andererseits ist der Anwendungsbereich enger, da sich § 101a UrhG nur gegen den Verletzer richtet. § 809 ZPO setzt insofern lediglich das Bestehen eines Hauptanspruches „in Ansehung der Sache“ voraus.194 So sind Fallgestaltungen denkbar, in denen Ansprüche „in Ansehung der Sache“ in Betracht kommen, die sich gegen eine andere Person richten. So kann § 809 BGB gegen einen nichtverletzenden Besitzer geltend gemacht werden, um anschließend wegen des betroffenen Gegenstandes einen Rückrufanspruch gegen den Verletzer nach § 98 Abs 2 UrhG geltend zu machen.
89
c) Hinreichende Wahrscheinlichkeit. Der Anspruch greift nicht bei jedwedem Verdacht. Art 6 der Enforcement-Richtlinie verlangt, dass der Rechtsinhaber sämtliche verfügbaren Beweismittel bereits vorgelegt hat. Anders als die Richtlinie stellt der Anspruch nicht auf die Vorlage der Beweismittel, sondern auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ab.195 Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit dürfen nicht zu niedrig angesetzt werden.196 Die Rechtsverletzung muss für die Anwendung des Art 43 TRIPs zur Überzeugung des Gerichts feststehen; für die Durchsetzung im Eilverfahren nach Art 50 TRIPs reicht die Glaubhaftmachung aus.197 Insbesondere bei Besichtigungsansprüchen, die mit Eingriffen in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich der Wohnung einhergehen, besteht keine Veranlassung, die Eingriffsanforderungen zu senken.
90
d) Erforderlichkeit. Voraussetzung des Anspruches auf Vorlage und Besichtigung ist, dass dieser zur Begründung von Ansprüchen des Verletzten – gemeint sind die sonstigen Ansprüche, also bspw Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche – erforderlich ist. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass der Anspruch nicht zur Ausforschung der Gegenseite missbraucht wird.198 Der Anspruch ist danach ausgeschlossen, wenn andere zumutbare Informationsquellen bestehen.199
91
e) Verhältnismäßigkeit. § 101a Abs 2 UrhG schließt den Anspruch aus, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Eine Maßnahme ist bspw dann unverhältnismäßig, wenn das Geheimhaltungsinteresse des angeblichen Verletzers das Interesse des Rechtsinhabers überwiegt und dem Geheimhaltungsinteresse durch Maßnahmen zur Sicherung der Vertraulichkeit nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. Bei der Abwägung ist unter anderem zu berücksichtigen, dass es sich bei den Parteien regelmäßig um konkurrierende Unternehmen handeln wird. Die Erlangung von Kenntnissen, bspw über den von der Konkurrenz verwendeten Quellcode einer Software kann erhebliche Folgen haben, die sich auch durch Schadensersatzansprüche nach § 101a Abs 5 UrhG kaum kompensieren lassen. 3. Schutz der Vertraulichkeit
92
§ 101a Abs 1 S 3 UrhG schränkt den Anspruch ein, soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt.200 In diesem Fall trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz 193 194 195 196
Vgl Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG Rn 8. Vgl MünchKommBGB/Hüffer § 809 BGB Rn 3. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 40. Vgl, dagegen Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG Rn 9.
218
197 198 199 200
Busche/Stoll/Vander Art 50 TRIPs Rn 18. Vgl Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 40. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG Rn 16; von Hartz ZUM 2005, 376, 380. Eingehend zum Vertraulichkeitsschutz Bornkamm FS Ullmann 893 ff; Spindler/Weber MMR 2006, 711 ff.
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Zivilrechtliche Ansprüche
zu gewährleisten. Die Maßnahmen zum Schutz der Geheimhaltungsinteressen stehen im Ermessen des Gerichts.201 Bspw kann dem Anspruchsgegner auferlegt werden, dass die Offenbarung gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten zu erfolgen hat, der dann darüber Auskunft geben kann, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die behauptete Rechtsverletzung vorliegt. § 172 Nr 2 GVG erlaubt dem Gericht für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden. In diesem Fall kann das Gericht die anwesenden Personen nach § 174 Abs 3 GVG zur Geheimhaltung von Tatsachen verpflichten, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen. § 353d Nr 2 StGB stellt einen Verstoß gegen diese Schweigepflicht unter Strafe. Die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen erforderlich sind, stellt § 101a UrhG 93 in das Ermessen des Gerichts. Die Vorlage kann bspw gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten erfolgen, der anschließend seinerseits Auskunft über den Umfang der Rechtsverletzung geben kann.202 Möglich ist auch ein sog In-camera-Verfahren in Anlehnung an § 99 VwGO.203 Neben dem Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr 2 GVG und einem Geheimhaltungsverbot nach § 174 Abs 3 GVG entfällt in einem solche In-camera-Verfahren auch die Anwesenheit des Klägers selber. 4. Durchführung der Vorlage und Besichtigung Der Vorlagepflicht wird durch die Aushändigung der Urkunde genügt. Bei der Besich- 94 tigung kann der Gegenstand nicht nur betrachtet, sondern eingehend untersucht werden. Dabei kann der Gegenstand in Betrieb gesetzt oder auch auseinandergebaut werden.204 Die Besichtigung darf auch durch Fotografien oder Ausdrucke dokumentiert werden.205 5. Durchsetzung a) Einstweilige Verfügung. Nach § 101a Abs 3 UrhG kann die Verpflichtung zur Vor- 95 lage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 ZPO angeordnet werden. Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung zu § 809 BGB.206 b) Beweissicherungsverfahren. Neben der einsteiligen Verfügung kommt ein Beweis- 96 sicherungsverfahren in Betracht. Nach § 493 ZPO können die Ergebnisse der selbststän201 202
203
204
Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 41. Vgl BGH GRUR 2002, 1046 – Faxkarte; Bornkamm FS Ullmann 893, 901; Kühnen GRUR 2005, 185, 187; von Hartz ZUM 2005, 376, 380. Eingehend hierzu Spindler/Weber MMR 2006, 711, 713; Bornkamm FS Ullmann 893, 904 ff; Ahrens GRUR 2005, 837, 839; von Hartz ZUM 2005, 376, 381; Seichter WRP 2006, 391, 394. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG
205 206
Rn 21; Nieder Rn 180; Kühnen/Geschke Rn 100; Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 264. Nägele/Nitsche WRP 2007, 1047, 1052; Tilmann FS Ullmann 1015, 1017. OLG Frankfurt ZUM-RD 2007, 406, 407 – Durchsetzung eines Besichtigungsanspruches im Wege der einstweiligen Verfügung; KG NJW 2001, 233 – Beweissicherung bei vermuteter Urheberverletzung an Computerprogrammen.
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1. Teil
digen Beweisaufnahme in einem späteren Hauptsachverfahren verwertet werden. Obwohl §§ 485 ff ZPO keine ausdrückliche Duldungspflicht des Verletzers vorsieht, hat die Rechtsprechung sich nach der sog Düsseldorfer Praxis dadurch beholfen, dass auf entsprechenden Antrag eine die Beweissicherungsanordnung ergänzende Duldungsanordnung ausgesprochen wird.207 Dabei ist es zweckmäßig, die von Amts wegen zuzustellende Beweissicherungsanordnung zusammen mit der im Parteibetrieb zuzustellenden Duldungsverfügung in dem Zeitpunkt zuzustellen, in dem der Sachverständige beim Schuldner erscheint, um die Besichtigung durchzuführen.208 6. Beweisverwertung
97
§ 101a Abs 4 UrhG ordnet die entsprechende Anwendung des in § 101 Abs 8 UrhG enthaltenen Beweisverwertungsverbotes an. Auch hier dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem OWiG wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs 1 StPO bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden. 7. Schadensersatzpflicht
98
Nach § 101a Abs 5 UrhG kann der vermeintliche Verletzer von demjenigen, der die Vorlage oder Besichtigung begehrt hat, den Ersatz des ihm durch das Begehren entstandenen Schadens verlangen, wenn keine Verletzung vorlag oder drohte. Der Anspruch ist verschuldensunabhängig.209 Die Vorschrift ergänzt § 945 ZPO, der nur dann greift, wenn sich eine vorläufige Maßnahme als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, aber gerade nicht den Fall regelt, dass zwar zunächst eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung vorlag, der Verdacht sich aber nicht bestätigt.210 Auch Art 50 Abs 7 TRIPs sieht einen Schadensersatzanspruch bei einstweiligen Maßnahmen vor.211 § 101a Abs 5 UrhG geht insofern weiter, da er – anders als der Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO – sowohl das Verfügungs- als auch das Hauptsacheverfahren erfasst. 8. Besichtigung und Urkundenvorlage nach anderen Vorschriften
99
a) Besichtigung. § 102a UrhG lässt Ansprüche aus anderen gesetzlichen Vorschriften unberührt. Somit können Ansprüche auf Urkundenvorlage auch auf § 809 BGB gestützt werden Nach § 809 BGB kann derjenige, der gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grunde für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet.212 Der Anspruch nach § 809 BGB ist auf die Besichtigung konkreter Gegenstände gerichtet und begründet kein generelles Nachforschungs- und Durchsuchungsrecht in Geschäftsräumen des Schuldners.213 207 208
209
Vgl Nieder Rn 184; Kühnen/Geschke Rn 107; Kühnen GRUR 2005, 185, 187. Ein Musterbeschluss, aus dem sich die entsprechende Antragsformulierung ergibt, ist wiedergegeben bei Kühnen/Geschke Rn 107; Nieder Rn 184. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG
220
210 211 212 213
Rn 41; Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 266. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101a UrhG Rn 40. Busche/Stoll/Vander Art 50 TRIPs Rn 34. RGZ 69, 401, 405 f – Nietzsche-Briefe. BGH GRUR 2004, 420 – Kontrollbesuch.
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Zivilrechtliche Ansprüche
§ 809 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsgegner Besitzer der zu besichtigenden 100 Sache ist und gewährt daher nicht solche Ermittlungs- und Kontrollmaßnahmen, mit denen der Anspruchsteller erst ermitteln will, ob der Anspruchsgegner im Besitz derjenigen Sache ist, in Ansehung deren er einen Anspruch hat oder sich Gewissheit hierüber verschaffen will.214 In zwei grundlegenden Entscheidungen hat der BGH die Voraussetzungen für den Besichtungsanspruch näher ausgestaltet.215 In der Druckbalken-Entscheidung urteilte der für Patentrecht zuständige X. Zivilsenat, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung nicht genüge. Sie müsse vielmehr erheblich sein. Von diesen strengen Voraussetzungen ist der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat in seiner Faxkarten-Entscheidung abgewichen. Ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit sei nicht notwendigerweise erforderlich. Vielmehr müsse eine Einzelfallabwägung vorgenommen werden, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, ob dem Besichtungsgläubiger noch andere Beweismittel zur Verfügung stehen und inwiefern das Geheimhaltungsinteresse des Besichtigungsschuldners beeinträchtigt werde. b) Urkundenvorlage. Auch der allgemeine Anspruch auf Urkundenvorlage aus 101 § 810 BGB besteht neben § 101a UrhG. Nach § 810 BGB kann derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen, von dem Besitzer die unter bestimmten Voraussetzungen die Gestattung der Einsicht verlangen. Urkunden iSd § 810 BGB sind ebenso wie im Prozessrecht die durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen.216 Mangels schriftlicher Verkörperung sind elektronische Datenträger ebenso wenig wie Fotografien als Urkunden einzuordnen. Diese materiellrechtliche Anspruchsgrundlage korrespondiert mit § 142 ZPO, erfasst aber anders als diese prozessuale Norm nur Urkunden. Nach § 142 ZPO kann das Gericht anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Hierdurch wird der prozessuale Beibringungsgrundsatz modifiziert.217 Für § 142 ZPO verbleibt auch nach Umsetzung der Enforcement-Richtlinie ein praktisch nicht unerheblicher Anwendungsbereich, da sich § 142 ZPO auch gegen Dritte richten kann. § 142 ZPO erfasst nicht nur Urkunden im prozessualen Sinn, also Verkörperungen von Gedankenerklärung durch Schriftzeichen 218, sondern auch sonstige Unterlagen wie etwa Fotos und Zeichnungen.219 Für eine solche gerichtliche Vorlageanordnung reicht es aus, dass ein Eingriff in das Schutzrecht wahrscheinlich ist.220 Nicht erforderlich ist demnach der Nachweis der Benutzungshandlung.
XIII. Sicherung von Schadensersatzansprüchen Eine Neuerung im deutschen Recht enthält § 101b UrhG. § 101b setzt Art 9 Abs 2 102 S 2 der Enforcement-Richtlinie um, nach der die mitgliedstaatlichen Behörden die Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen oder einem geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen anordnen können. Art 9 Abs 2 S 2 ergänzt Art 9 Abs 2 214 215
216
BGH GRUR 2004, 420, 421 – Kontrollbesuch. BGH GRUR 1985, 512 – Druckbalken; BGH GRUR 2002, 1046 – Faxkarte; MünchKommBGB/Hüffer § 809 BGB Rn 11 ff; Frank/Wiegand CR 2007, 481 ff; Patnaik GRUR 2004, 191, 192 f. MünchKommBGB/Hüffer § 810 BGB Rn 3.
217 218 219 220
Vgl Prütting FS Bartenbach 417, 420 ff; Musielak/Stadler § 142 ZPO Rn 1. BGH NJW 1976, 294; Musielak/Huber § 415 ZPO Rn 4. Zöller/Greger § 142 ZPO Rn 1. Vgl BGH WRP 2006, 1377 – Restschadstoffentfernung.
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Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
S 1 der Enforcement-Richtlinie, nach der die mitgliedstaatlichen Gerichte die Möglichkeit der vorsorglichen Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens des Verletzers einschließlich der Sperrung seiner Bankkonten unter Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte haben sollen. Der zuletzt genannten Vorschrift in Art 9 Abs 2 S 2 der Enforcement-Richtlinie wird bereits durch die Arrestvorschriften in §§ 916 ff ZPO hinreichend Rechnung getragen.221 Die Möglichkeit, diesen Anspruch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen, ist zusätzlich an das Erfordernis der Offensichtlichkeit geknüpft.222 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der „Offensichtlichkeit“ über Art 9 Enforcement-Richtline hinaus gehe, der insofern nur eine „ausreichende Sicherheit“ voraussetze.223 In der Literatur wird die Einordnung der Schadensersatzsicherungsvorschrift in das materielle Recht kritisiert; vorzugswürdig sei eine Ergänzung der prozessualen Arrestvorschriften gewesen.224 Anders als der in mancherlei Hinsicht ähnliche §§ 101a UrhG dient § 101b UrhG nicht der Beweisgewinnung, sondern allein der Sicherung von Schadensersatzansprüchen.225 § 101b UrhG ergänzt die Arrestvorschriften, indemer dem Gläubiger Kenntnisse verschaffen soll, die zur Anwendung der Restvorschriften erforderlich sind. Die damit einhergehende Privilegierung der Schutzrechteinhaber wird in der Literatur kritisiert.226 Voraussetzung für den Anspruch ist, dass die Zwangsvollstreckung ohne die Vorlage gefährdet wäre.227 Nach § 101b Abs 1 UrhG kann der Verletzte den Verletzer bei einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung in den Fällen des § 97 Abs 1 UrhG auch auf Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen in Anspruch nehmen, die sich in der Verfügungsgewalt des Verletzers befinden und die für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind, wenn ohne die Vorlage die Erfüllung des Schadensersatzanspruchs fraglich ist. § 101b Abs 2 UrhG schließt den Anspruch aus, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Nach § 101b Abs 3 UrhG kann die Verpflichtung zur Urkundenvorlage im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935–945 ZPO angeordnet werden, wenn der Schadensersatzanspruch offensichtlich besteht. Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird.
XIV. Urteilsveröffentlichung 103
Nach § 103 S 1 UrhG kann der obsiegenden Partei im Urteil die Befugnis zugesprochen werden, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen, wenn sie ein berechtigtes Interesse darlegt. Art und Umfang der Bekanntmachung werden im Urteil bestimmt. Die Befugnis erlischt, wenn von ihr nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils Gebrauch gemacht wird. Das Urteil darf gem § 103 S 2 UrhG erst nach Rechtskraft bekannt gemacht werden, wenn nicht das Gericht etwas anderes bestimmt. Der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung dient der Beseitigung der durch die Rechtsverletzung verursachten Beeinträchtigung.228
221 222 223 224 225
Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 302. Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 266. Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 266. Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 302. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101b UrhG Rn 4.
222
226 227 228
Seichter WRP 2006, 391, 399. Wandtke/Bullinger/Ohst § 101b UrhG Rn 11. BGH GRUR 2002, 799, 801 – Stadtbahnfahrzeug; Schack Rn 732.
Marcus von Welser
§4
Einwendungen und Einreden
Das berechtigte Interesse der obsiegenden Partei kann nur auf Grund einer Interessenabwägung festegestellt werden, wobei auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im abzustellen ist, da es Zweck der Urteilsbekanntmachung ist, fortwirkende Störungen zu beseitigen.229 Für Beschlüsse gilt § 103 UrhG nicht.230 Allerdings darf die obsiegende Partei bspw 104 den Tenors einer einstweiligen Verfügung in gebotener sachlicher Form Dritten mitteilen. Neben der Urteilsveröffentlichung auf Kosten der unterliegenden Partei besteht unter 105 bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der privaten Veröffentlichung des Urteils. Nach der Rechtsprechung darf die obsiegende Partei, durch sachliche Bezugnahme 106 auf die ergangene Entscheidung hinweisen.231 Auch hier kann unter Umständen ein Kostenerstattungsanspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag oder als Schadensersatzanspruch greifen.232
§4 Einwendungen und Einreden I. Verjährung 1. Dreijährige Regelfrist Seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gilt für die Ersatzansprüche aus Immate- 107 rialgüterrechtsverletzungen die dreijährige Regelfrist des § 195 BGB.233 So verweist § 102 UrhG ebenso wie auf § 141 PatG und § 20 MarkenG auf 195 BGB. Nach § 204 Abs 1 Nr 9 BGB wird die Verjährung durch die Zustellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder, wenn der Antrag nicht zugestellt wird, dessen Einreichung, wenn die einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats seit Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger dem Schuldner zugestellt wird, gehemmt. Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird nach § 209 BGB in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Die verjährungshemmende Wirkung erstreckt sich auf sämtliche Ansprüche, die durch die einstweilige Verfügung gesichert bzw befriedigt werden sollen. Maßgeblich ist der Streitgegenstand des Verfahrens. Die einstweilige Verfügung zur Sicherung eines Unterlassungsanspruchs hemmt daher nicht die Verjährung des Schadensersatzanspruches.234 Die Hemmung endet gem § 204 Abs 2 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen 108 Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Das einstweilige Verfügungsverfahren endet, im Fall eines Urteils mit dessen formeller Rechtskraft des Urteils, im Falle des Beschlusses mit Erlass der Verfügung.235
229
230
231
BGH GRUR 2002, 799, 801 – Stadtbahnfahrzeug; BGH GRUR 1998, 568, 570 – Beatles-Doppel-CD. OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 423 – Veröffentlichung einer Beschlussverfügung; Dreier/Schulze/Dreier § 103 UrhG Rn 5. OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 423, 424 – Veröffentlichung einer Beschlussverfügung.
232 233
234 235
Dreier/Schulze/Dreier § 103 UrhG Rn 11. Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) vom 26.11.2001. MünchKommBGB/Grothe § 204 BGB Rn 49. MünchKommBGB/Grothe § 204 BGB Rn 99.
Marcus von Welser
223
Kapitel 4 Ansprüche im Bereich des geistigen Eigentums
1. Teil
2. Zehnjährige Ausnahmefrist
109
Die Ansprüche aus der deliktischen Bereicherungshaftung unterliegen demgegenüber der zehnjährigen Frist des § 852 S 2 BGB. Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. Hat der Verpflichtete durch die Verletzung auf Kosten des Berechtigten etwas erlangt, verweist § 102 S 2 UrhG auf § 852 BGB. Entsprechende Regelungen finden sich auch in § 141 S 2 PatG, § 20 S 2 MarkenG. Die Spezialgesetzte zum Schutz geistigen Eigentums stellen die in der Praxis wichtigsten Anwendungsfelder für § 852 BGB dar.236 Im Ergebnis wird der Ersatzumfang mit Ablauf der dreijährigen Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs 1 BGB beschränkt. Während zuvor die Kompensation sämtlicher Nachteile verlangt werden konnte, ist der Ausgleich danach auf die dem Verletzer verbliebene Bereicherung begrenzt.237
II. Verwirkung 110
Anders als die Einrede der Verjährung ist die Einwendung der Verwirkung von Amts wegen zu beachten.238 Der auf § 242 BGB beruhende Verwirkungseinwand schließt eine verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten unter bestimmten Umständen aus und sanktioniert eine besondere Form der unzulässigen Rechtsausübung. Die Entscheidung über die Verwirkung erfolgt durch Abwägen aller auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Umstände, wobei Art und Inhalt des geltend gemachten Rechts für die Voraussetzungen und die Maßstäbe von besonderer Bedeutung sind.239 Der Bundesgerichtshof setzt die Wertigkeit des Urheberrechts bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen hoch an, da das Urheberrecht seinen Wert aus der ihm zugrundeliegenden schöpferischen, geistigen Leistung erhält und persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Schutz aus den Verfassungssätzen der Kunstfreiheitsgarantie und des Eigentums genießt. Der Verwirkungseinwand erfordert, dass der Verletzer sich einen wertvollen Besitzstand geschaffen hat und dass angesichts des wertvollen Besitzstandes die Rechtsverletzung dem Rechtsinhaber so offenbar wird, dass sein Schweigen vom Verletzer als Billigung gedeutet werden kann oder jedenfalls als sicherer Hinweis, der Rechtsinhaber werde von der Verfolgung seiner Rechte absehen.240 Nicht ausreichend für den Verwirkungseinwand wäre ein Verhalten des Rechteinhabers, aus dem der Verletzer eine grundsätzliche Lizenzbereitschaft ableiten kann. Anders als bspw in den Vereinigten Staaten kann der Umstand, das der Rechtsinhaber zu erkennen gibt, dass ihm eher an einem finanziellen Ausgleich als an der Unversehrtheit des Schutzrechts gelegen ist, für sich allein noch nicht zu seinem Nachteil gereichen.241 236 237 238 239
MünchKommBGB/Wagner § 852 BGB Rn 4. MünchKommBGB/Wagner § 852 BGB Rn 5. Schack Rn 686. Vgl BGH GRUR 1985, 378, 380 Illustrationsvertrag; BGH GRUR 1981, 652, 653 –
224
240 241
Stühle und Tische; Gamerith WRP 2004, 75. BGH GRUR 1981, 652, 653 – Stühle und Tische. Für Aufsehen gesorgt hat eine patentrechtliche Entscheidung in den Vereinigten Staaten, nach der Schutzrechtsinhaber Unter-
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§4
Einwendungen und Einreden
III. Kartellrechtliche Einwendungen In Konstellationen, in denen der Rechteinhaber eine marktbeherrschende Stellung ein- 111 nimmt, können auch kartellrechtliche Einwendungen eine Rolle spielen. Solche Fallkonstellationen tauchen nicht selten dann auf, wenn technische Schutzrechte für einen bestimmten Industriestandard – bspw im Telekommunikationsbereich – grundlegend sind.242 Auch bei nicht technischen Schutzrechten sind solche kartellrechtlichen Einwendungen denkbar. Auch die Ausübung von Urheberechten kann den Vorwurf des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung begründen.243 Zu Voraussetzungen des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands gehört es, dass der Nutzer beim Schutzrechtsinhaber, um die Erteilung einer Lizenz zu angemessenen Bedingungen nachgesucht hat. Ein solches Nachsuchen wird man dann als gegeben erachten können, wenn dem Schutzrechtsinhaber ein konkretes Vertragsangebot unterbreitet wurde, welches sich sachlich als interessengerecht erweist. Beide Patentkammern des LG Düsseldorf stehen auf dem Standpunkt, dass ein kartellrechtlicher Zwanglizenzeinwand grds möglich ist. Rechtsdogmatisch gründet sich dieser Einwand – Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est – auf § 242 BGB. Der wegen einer Patentverletzung in Anspruch Genommene kann dem Schadensersatzbegehren des Patentinhabers im Wege der Einrede einen Anspruch auf Lizenzerteilung entgegen halten.244 Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist indes ob diese Einrede auch dem Unterlassungsbegehren entgegengehalten werden kann. Das OLG Karlsruhe hat diese Frage in einem obiter dictum neueren Datums bejaht.245
lassungsansprüche nur unter besonderen Bedingungen durchsetzen können. Nach den in den Vereinigten Staaten für Patentverletzungen geltenden Rechtsgrundsätzen besteht ein Unterlassungsanspruch nur dann, wenn eine Wiedergutmachung der Verletzung unmöglich ist (1.), gesetzliche Rechtsbehelfe keine angemessene Kompensation bieten (2.), die Interessen des Anspruchstellers überwiegen (3.) und das öffentliche Interesse dem Unterlassungsanspruch nicht entgegenliefe (4.). Ist der Schutzrechtsinhaber lizenzierungsbereit und setzt sein Patent nicht geschäftlich um, so kann es bereits an der ersten Vorraussetzung fehlen (US Supreme Court GRUR Int 2006, 782 – eBay v MercExchange; eingehend hierzu Diessel Michigan Law Review 2007 Bd 106, 305; Carroll Michigan Telecommunications and Technology Law Review 2007 Bd 13, 421).
242
243
244 245
Vgl OLG Karlsruhe GRUR-RR 2007, 177 – Orange Book-Standard; LG Düsseldorf GRUR-RR 2007, 181 – MPEG 2-Standard; LG Düsseldorf Urteil vom 13.2.2007, 4a O 124/05 – GSM-Standard; dagegen OLG Düsseldorf Urteil vom 28.6.2002, VI-U (Kart) 18/01 – Standard-Spundfass; offengelassen von BGH GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass; eingehend Graf von Merveldt WuW 2004, 19 ff; Fröhlich GRUR 2008, 205, 212 ff. Vgl EuGH GRUR Int 1995, 490 – Magill TV Guide; EuGH GRUR 2004, 524 – IMS; EuG Urteil vom 17. 9. 2007, T-201/04 – Microsoft; Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff Rn 44 ff. BGH GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2007, 177, 179 – Orange Book-Standard; hierzu auch Fröhlich GRUR 2008, 205, 213.
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225
Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums Literatur (vgl auch Literaturübersicht zu Teil 1 Kap 4)
Übersicht Rn § 1 Berechtigungsanfrage . . . . . . . . I. Funktion . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . § 2 Abmahnung . . . . . . . . . . . . . I. Funktion . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit . . . . . . . . III. Ausnahmsweise Entbehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussichtliche Erfolgslosigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Sequestrationsantrag . . . . IV. Inhalt . . . . . . . . . . . . . 1. Bezeichnung des vorgeworfenen Verhaltens . . . . . . . 2. Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung 3. Vertragsstrafe . . . . . . . . 4. Hamburger Brauch . . . . . 5. Frist . . . . . . . . . . . . V. Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsvorlage . . . . . VI. Abgabe und Zugang . . . . . . VII. Aufwendungsersatz . . . . . . 1. Aufwendungsersatz . . . . . 2. Schadensersatz . . . . . . . 3. Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . 4. Einschränkungen . . . . . . § 3 Reaktionen des Abgemahnten . . . . I. Unterlassungserklärung . . . . 1. Beseitigung der Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . 2. Vorüberlegungen . . . . . . a) Verschuldensmaßstab . . b) Vertragsstrafe statt Ordnungsmittel . . . . . . . c) Schadensersatzhaftung . 3. Zustandekommen eines Unterwerfungsvertrages . . 4. Beschränkung . . . . . . . . 5. Warnung der Lieferanten und Abnehmer . . . . . . . . . 6. Absichtserklärung bei Erstbegehungsgefahr . . . . . .
. . . . . .
1–3 2 3 4–22 4 5
.
6–8
. . .
7 8 9–13
.
9
. . . .
10 11 12 13
. 14 . 15, 16 . 17–22 . 18, 19 . 20 . 21 . 22 . 23–48 . 23–37 . 23–25 26–29 27 28 29 30–33 34, 35 36 37
Rn II. Schutzschrift . . . . . . . . . 1. Funktion . . . . . . . . . . 2. Vorüberlegungen . . . . . . 3. Berücksichtigung der Schutzschrift durch das Gericht . . 4. Erstattungsfähigkeit der Kosten . . . . . . . . . . . III. Gegenabmahnung . . . . . . . 1. Abmahnung wegen Behinderung und Eingriffs in den Gewerbebetrieb . . . . . . . 2. Abmahnung zur Androhung einer negativen Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . IV. Negative Feststellungsklage . . § 4 Einstweilige Verfügung . . . . . . . I. Gerichtszuständigkeit (international, örtlich, sachlich) . . 1. Internationale Zuständigkeit 2. Örtliche Zuständigkeit . . . 3. Sachliche Zuständigkeit . . II. Formulierung der Anträge . . 1. Bestimmtheit . . . . . . . . 2. Streitgegenstand . . . . . . a) Unterschiedliche Lebenssachverhalte . . . . . . . b) Unterschiedliche Normen c) Unterschiedliche Territorien . . . . . . . . . . 3. Kerntheorie . . . . . . . . . 4. Verallgemeinerungen . . . . 5. Materiellrechtliche Grenzen III. Voraussetzungen . . . . . . . 1. Verfügungsanspruch . . . . 2. Verfügungsgrund . . . . . . a) Dringlichkeitsvermutung b) Zeitraum zwischen Kenntniserlangung und Antragseinreichung . . . . . 3. Glaubhaftmachung . . . . . 4. Mündliche Verhandlung . . 5. Prozessleitung . . . . . . . 6. Vollziehung der einstweiligen Verfügung . . . . . . . . .
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38–44 38–40 41, 42 43 44 45, 46
45
46 47, 48 49–105 50–56 51–54 55 56 57–67 58, 59 60–63 61 62 63 64, 65 66 67 68–93 68 69–71 70
71 72–74 75 76 77–93
227
Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
Rn a) Erfordernis der Vollziehung . . . . . . . . . b) Monatsfrist . . . . . . . aa) Beschlussverfügungen bb) Urteilsverfügungen . c) Heilung . . . . . . . . . d) Zuzustellendes Dokument aa) Ausfertigung . . . . bb) Beglaubigte Abschrift cc) Antragsschrift und Anlagen . . . . . . . e) Zustellungsadressat . . . f) Antrag bei der Parteizustellung . . . . . . . . . g) Zustellung von Anwalt zu Anwalt . . . . . . . . . h) Zustellung im Ausland . g) Folgen der Fristversäumung . . . . . . . . . . IV. Sofortige Beschwerde . . . . . V. Rechtsbehelfe . . . . . . . . .
77 78–81 79 80, 81 82 83–87 84, 85 86 87 88 89 90 91, 92 93 94 95–101
Rn 1. Widerspruch . . . . . . . . a) Kostenwiderspruch . . . b) Unterwerfungswiderspruch . . . . . . . . . . 2. Berufung . . . . . . . . . . 3. Aufhebungsanträge . . . . . VI. Abschlussverfahren . . . . . . 1. Funktion . . . . . . . . . . 2. Abschlussschreiben . . . . . 3. Kosten . . . . . . . . . . . § 5 Klage . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stufenklage . . . . . . . . . . II. Kombination von Auskunftsund Schadensersatzfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . § 6 Vollstreckung . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . II. Ordnungsmittelverfahren . . . III. Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . § 7 Vorüberlegungen . . . . . . . . . .
96–99 98 99 100 101 102–105 102 103 104, 105 106–108 107
108 109–113 109 110–112 113 114–115
§1 Berechtigungsanfrage 1
Bei einer Schutzrechtsverletzung bestehen mehrere Möglichkeiten des Vorgehens. Der Schutzrechtsinhaber kann sogleich nach Kenntniserlangung gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen oder zunächst versuchen, mit dem Verletzer eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Neben der Abmahnung als klassischem Mittel des außergerichtlichen Vorgehens ist bei Schutzrechtsverletzung auch das Vorgehen im Wege einer Berechtigungsanfrage gebräuchlich.
I. Funktion 2
Anders als eine Abmahnung enthält eine Berechtigungsanfrage keine Aufforderung, eine Handlung sofort einzustellen. Sie dient dazu, zunächst in einen Meinungsaustausch über die Zulässigkeit eines bestimmten Verhaltens einzutreten. Insbesondere in Fällen, in denen die rechtliche Situation nicht eindeutig ist, kann eine Berechtigungsanfrage gegenüber einer Abmahnung vorzugswürdig sein. Spricht ein Schutzrechtsinhaber in nicht eindeutigen Fällen eine Abmahnung aus und stellt sich diese später als ungerechtfertigt heraus, kann der Abgemahnte darauf mit einer Gegenabmahnung reagieren. Der Anspruchsteller sieht sich dann selbst mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen konfrontiert. Grundlage eines solchen Vorgehens des in Anspruch Genommenen ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen, die Unterlassungsansprüche gem §§ 3, 4 Nr 10 UWG zur Folge haben können.1 Darüber
1
BGH WRP 2005, 1418 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH GRUR 2006, 433, 435 – Unbegründete Abnehmerverwar-
228
nung; Sack 2007, 708 ff; Deutsch GRUR 2006, 374 ff.
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§2
Abmahnung
hinaus kommen bei einer ungerechtfertigten Abmahnung Ansprüche des Abgemahnten aus § 823 Abs 1 BGB sowie gegebenenfalls aus § 826 BGB in Betracht.
II. Inhalt In der Berechtigungsanfrage weist der Inhaber der Schutzrechte auf diese hin und 3 trägt den Sachverhalt vor, den er als schutzrechtsverletzend betrachtet. Damit verbunden ist eine – üblicherweise mit einer Fristsetzung verbundene – Aufforderung zu erklären, aufgrund welcher Umstände sich der Adressat als berechtigt ansieht, sich des jeweiligen Schutzrechtes zu bedienen. Das weitere Vorgehen bestimmt sich nach der Reaktion des Anspruchsgegners. Trägt der Anspruchsgegner rechtliche oder tatsächliche Gründe vor, die sein Handeln als erlaubt erscheinen lassen, so werden die Parteien in aller Regel versuchen, den Konflikt außergerichtlich zu lösen. Stellt sich demgegenüber heraus, dass der Anspruch tatsächlich besteht, so sollte der Schutzrechtsinhaber vor Einleitung gerichtlicher Schritte noch eine ordnungsgemäße Abmahnung mit der Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung folgen lassen. Denn die Abmahnung wird durch die Berechtigungsanfrage nicht ersetzt. Reicht er demgegenüber sofort einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht ein, so läuft er Gefahr, dass die Gegenseite den Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anerkennt.2
§2 Abmahnung I. Funktion Eine Abmahnung besteht in aller Regel in einer förmlichen Beanstandung des Rechts- 4 verstoßes und der damit verbundenen Androhung gerichtlicher Schritte.3 Zugleich enthält die Abmahnung eine Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung innerhalb einer bestimmten Frist. Außerdem werden in aller Regel zugleich Ansprüche auf Auskunft, Vernichtung, Schadensersatz und Kostenerstattung geltend gemacht.
II. Erforderlichkeit Nach § 97a Abs 1 S 1 UrhG soll der Verletzte den Verletzer vor Einleitung eines 5 gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Die Abmahnung dient der außergerichtlichen Beilegung der Streitigkeit. Es handelt sich lediglich um eine Obliegenheit. Nach dem Gesetzeswortlaut besteht gerade keine Pflicht, eine solche Abmahnung vor Einleitung gerichtlicher Schritte, also einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einer Klage, auszusprechen. Unterbleibt die Abmahnung vor Einleitung gerichtlicher Schritte, so ris2
OLG Hamburg GRUR 2006, 616 – Anerkenntnis nach Berechtigungsanfrage.
3
BGH GRUR 2007, 164, 165 – Telefax-Werbung II; MüKo/Ottofülling § 12 UWG Rn 57.
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229
Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
kiert der Antragsteller bzw Kläger, dass der Antragsgegner bzw Beklagte den gerichtlich geltend gemachten Anspruch umgehend mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anerkennt. Diese vorprozessuale Abmahnlast besteht auch bei einer markenrechtlichen Löschungsklage wegen Verfalls.4 Dem steht nicht entgegen, dass dem Kläger in Ermangelung eines Störungszustandes materiell-rechtlich kein Kostenersatz zusteht.
III. Ausnahmsweise Entbehrlichkeit 6
In Ausnahmefällen kann von einer Abmahnung abgesehen werden. Eine Abmahnung ist beispielsweise entbehrlich, wenn absehbar ist, dass sie erfolglos bleiben wird oder wenn eine vorherige Abmahnung aufgrund besonderer Umstände unzumutbar ist. 1. Voraussichtliche Erfolglosigkeit
7
Die Erfolglosigkeit der Abmahnung ist etwa dann vorhersehbar, wenn der Verletzer eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er einer Abmahnung keine Folge leisten werde. Eine Abmahnung ist umgekehrt nicht schon dann entbehrlich, wenn sich der spätere Antragsgegner außergerichtlich – ohne entsprechend abgemahnt worden zu sein – auf den Standpunkt gestellt hatte, eine Rechtsverletzung liege nicht vor. So kann der wegen einer Schutzrechtsverletzung in Anspruch genommene auf die sogenannte Berechtigungsanfrage eine gegenteilige Rechtsauffassung äußern, ohne dass er bei einer unmittelbar folgenden gerichtlichen Inanspruchnahme die Möglichkeit verliert, den Anspruch noch kostenfrei nach § 93 ZPO anzuerkennen.5 Der Austausch von unterschiedlichen Rechtsansichten macht eine vorherige Abmahnung also nicht schon wegen voraussichtlicher Erfolglosigkeit entbehrlich. Denn die Entscheidung, ob sich jemand nach einer Abmahnung doch noch unterwirft, ist eine Frage, die von vielen Faktoren abhängt. Häufig spricht die kaufmännische Vernunft für die Unterwerfung, auch wenn man die Rechtsansicht des Abmahnenden nicht teilt und das eigene Verhalten für rechtmäßig hält.6 Eine voraussichtliche Erfolglosigkeit liegt in aller Regel vor, wenn die Parteien sich in der Vergangenheit schon häufiger wegen ähnlicher Schutzrechtsverletzungen oder Wettbewerbsverstöße auseinandergesetzt haben und in keinem der Fälle – trotz Abmahnung – eine Unterlassungserklärung abgegeben wurde. 2. Sequestrationsantrag
8
Nach der Rechtsprechung ist eine vorgerichtliche Abmahnung zur Vermeidung der Kostenfolge des § 93 ZPO ausnahmsweise dann unzumutbar, wenn neben der Unterlassung zugleich die Sequestration rechtsverletzender Gegenstände – zB Raubkopien – zur Sicherung des Vernichtungsanspruches beantragt wird.7 Eine derartige Inverwahrungnahme wäre in aller Regel aussichtslos, wenn der Verletzer durch die Abmahnung gewarnt wird, da er dann die Produkte beiseite schaffen kann. Nach Ansicht des OLG
4 5 6 7
KG GRUR-RR 2007, 255 – Abmahnlast. OLG Hamburg GRUR 2006, 616 – Anerkenntnis nach Berechtigungsanfrage. OLG Hamburg GRUR 2006, 616 – Anerkenntnis nach Berechtigungsanfrage. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29 –
230
Cerebro Card; OLG Frankfurt aM GRUR 2006, 264 – Abmahnerfordernis; Kircher FS Schilling 293, 295 ff; dagegen OLG Braunschweig GRUR-RR 2005, 103 – Flüchtige Ware.
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§2
Abmahnung
Hamburg gilt dieser Grundsatz selbst dann, wenn vor Stellung des Verfügungsantrages eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchung der Räumlichkeiten des Schuldners stattgefunden hat.8
IV. Inhalt 1. Bezeichnung des vorgeworfenen Verhaltens In der Abmahnung muss die Verletzungshandlung genau bezeichnet werden. Dem 9 Abgemahnten muss sich aus der Abmahnung erschließen, was ihm konkret in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zum Vorwurf gemacht wird.9 2. Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung Zudem wird in aller Regel unter Fristsetzung die Abgabe einer Unterlassungserklä- 10 rung verlangt. Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung, eine Unterlassungserklärung vorzuformulieren. Es ist allerdings gängige Praxis, dem Abmahnschreiben den Entwurf einer Unterlassungserklärung beizufügen. Bei der Formulierung dieser Unterlassungserklärung sind gewisse Verallgemeinerungen zulässig.10 Erweiterungen über die konkret erfolgte Verletzungsform hinaus müssen sich allerdings im Rahmen dessen halten, was materiell-rechtlich beansprucht werden kann.11 Gibt der Verletzer eine Unterlassungserklärung ab, die nicht ausreichend ist, muss er nicht noch einmal verwarnt werden. Vielmehr kann der Unterlassungsanspruch – soweit er noch besteht – dann unverzüglich gerichtlich geltend gemacht werden. Die Unterwerfungserklärung muss nach Inhalt und Umfang dem Unterlassungsanspruch entsprechen. Nach der Rechtsprechung beschränkt sich die durch eine Verletzungshandlung begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht allein auf die genau identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen.12 An den Fortfall der Wiederholungsgefahr durch Abgabe einer Unterwerfungserklärung werden strenge Anforderungen gestellt. Bestehen am Inhalt der Unterwerfungserklärung auch nur geringe Zweifel, dann reicht sie grundsätzlich nicht aus, die Besorgnis eines künftigen Verstoßes auszuräumen.13 3. Vertragsstrafe Die Unterlassungserklärung wird im Fall der Wiederholungsgefahr mit einem Ver- 11 tragsstrafeversprechen für den Fall eines Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung verbunden. Die Vertragsstrafe soll künftige Verletzungshandlungen verhindern. Die angemessene Höhe der Vertragsstrafe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind Art, Größe und Umsatz des verletzenden Unternehmens, Schwere und Ausmaß des Verstoßes, dessen Gefährlichkeit für den Verletzten, die Bereitschaft des Verletzers zu weiteren gleichartigen Verletzungshandlungen, das Verschulden des Ver-
8 9 10 11
OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29, 30 – Cerebro Card. Bernecke WRP 2007, 579, 587. KG GRUR-RR 2008, 29, 30 – in voller Länge und/oder in Teilen. KG GRUR-RR 2008, 29, 30 – in voller Länge und/oder in Teilen.
12
13
BGH GRUR 2006, 421, 423 – Markenparfümverkäufe; BGH GRUR 1991, 772, 774 – Anzeigenrubrik I; BGH GRUR 1993, 579, 581 – Römer GmbH. BGH GRUR 1996, 290 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH GRUR 1997, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
letzers sowie das im Zusammenhang mit dem Verstoß an den Tag gelegte Verhalten des Verletzers.14 In der Praxis liegt die mittlere Spanne angemessener Vertragsstrafen zwischen Euro 5 000 bis Euro 10 000. Insbesondere in Wiederholungsfällen sind auch höhere Vertragsstrafen durchaus angemessen. Die Ernsthaftigkeit der Unterlassungserklärung muss ersichtlich sein. Ist der Unterlassungsschuldner kein Kaufmann, so kann die Vertragsstrafe nach § 343 BGB herabgesetzt werden, wenn sie unverhältnismäßig hoch ist.15 Für Kaufleute schließt § 348 HGB eine Herabsetzung aus. 4. Hamburger Brauch
12
Die Vertragsstrafe kann allerdings auch variabel vereinbart werden. Dies sieht der modifizierte „Hamburger Brauch“ vor. So kann sich der Abgemahnte verpflichten, eine für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Verletzten (oder einem Dritten) nach billigem Ermessen festzusetzende, im Streitfall von einem Gericht zu überprüfende, Vertragsstrafe zu zahlen wobei diese durch einen Höchstbetrag begrenzt werden kann. Unzulässig ist es allerdings, die Festsetzung von vornherein einem Gericht zu überlassen.16 5. Frist
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Dem Schutzrechtsverletzer muss eine angemessene Frist zur Abgabe der verlangten Unterlassungserklärung gesetzt werden. Der Abgemahnte muss ausreichend Zeit haben, um den Sachverhalt aufzuklären und anwaltlichen Rat einzuholen. Auf der anderen Seite hat der Verletzte ein Interesse daran, dass der festgestellte Rechtsverstoß umgehend abgestellt wird. Eine zu kurz bemessene Frist macht die Abmahnung nicht unwirksam, sondern führt nur dazu, dass eine angemessene Frist in Gang gesetzt wird. Das Ende der Frist sollte der Abmahnende möglichst genau unter Angabe von Datum und – gegebenenfalls – Uhrzeit vorgeben. Schließlich enthält eine Abmahnung in der Regel eine ausdrückliche Androhung gerichtlicher Schritte für den Fall, dass die Unterlassungserklärung überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben wird. Die Abmahnung ist grundsätzlich formlos möglich. Schon aus Beweisgründen ist allerdings eine schriftliche Abmahnung zu empfehlen.
V. Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsvorlage 14
Ob eine Abmahnung nach § 174 BGB zurückgewiesen werden kann, wenn ihr keine Originalvollmacht beigefügt ist, ist umstritten.17 Eine vermittelnde Auffassung hierzu vertritt das OLG Hamburg. Danach hat der Abgemahnte ein Verfügungsverfahren veranlasst, wenn er eine Abmahnung durch Anwaltsschreiben, dem eine vorformulierte 14 15 16 17
BGH GRUR 1994, 146, 147 – Vertragsstrafebemessung. BGH GRUR 1984, 72 – Vertragsstrafe für versuchte Vertreterabwerbung. Vgl BGH GRUR 1978, 192, 193 – Hamburger Brauch. Gegen ein Recht zur Zurückweisung: OLG Hamburg NJW 1986, 2119; OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 1323; OLG Köln WRP 1985, 360; KG GRUR 1988, 79; Busch GRUR
232
2006, 477, 478; für ein Recht zur Zurückweisung: OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 286 – T-Company L.P.; OLG Dresden NJWE-WettbR 1999, 140; OLG Nürnberg NJW-RR 1991, 1393; für ein Zurückweisungsrecht bei gleichzeitigem Inaussichtstellen der Unterwerfung für den Fall der Vorlage einer Vollmacht: OLG Hamburg WRP 1986, 106; OLG Stuttgart NJWEWettbR 2000, 125.
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§2
Abmahnung
Unterlassungsverpflichtungserklärung beilag, zurückgewiesen und die fehlende Vollmacht gerügt hat, sofern er in seiner Antwort nicht zugleich in Aussicht gestellt hat, er werde sich alsbald nach Vorlage der Vollmacht strafbewehrt unterwerfen.18 Um zeitraubende Auseinandersetzungen über diese Rechtsfrage zu vermeiden, empfiehlt es sich, der Abmahnung immer eine Vollmacht beizufügen oder die Bevollmächtigung zumindest anwaltlich zu versichern.
VI. Abgabe und Zugang Auch die Frage, ob der Abmahnende die Abgabe und den Zugang der Erklärung be- 15 weisen muss, war lange umstritten. Die wohl überwiegende Ansicht ging davon aus, dass der Abmahnende lediglich die ordnungsgemäße Absendung, nicht hingegen deren Zugang beweisen müsse.19 Nach einer neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofes trifft den Beklagten, der auf die Klageerhebung hin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat und geltend macht, ihm sei die Abmahnung des Klägers nicht zugegangen, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer dem Kläger die Prozesskosten auferlegenden Entscheidung nach § 93 ZPO.20 Der Beklagte muss also den Nichtzugang beweisen. Allerdings ist der Kläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast gehalten, substantiiert darzulegen, dass das Abmahnschreiben abgesandt worden ist. Kann nicht festgestellt werden, ob das Abmahnschreiben dem Beklagten zugegangen ist oder nicht, so kommt § 93 ZPO nicht zur Anwendung. Die Nichterweislichkeit eines fehlenden Zugangs geht also zu Lasten des Beklagten. Diese Verteilung der Beweislast beruht auf der Überlegung, dass der Beklagte für den Ausnahmetatbestand des § 93 ZPO beweisbelastet ist. Ein Nachweis des Zugangs ist in der Praxis nicht einfach zu führen. So soll es nach 16 der Rechtsprechung keinen allgemeinen Erfahrungssatz geben, dass Telefaxsendungen den Empfänger vollständig und richtig erreichen.21 Einem Sendebericht mit „O.K.-Vermerk“ kommt danach nicht der Wert eines Anscheinsbeweises zu. Sofern die entsprechenden Kontaktdaten bekannt sind, empfiehlt es sich, die Abmahnung vorab per Fax und Email und anschließend als Einschreiben zu versenden.
VII. Aufwendungsersatz Die Abmahnkosten sind unter bestimmten Voraussetzungen erstattungsfähig. Dabei 17 werden für die Erstattung unterschiedliche Anspruchsgrundlagen herangezogen.22 Sie sind allerdings nicht als Kosten des sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahrens anzusehen und können daher nicht im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht
18
19
OLG Hamburg Beschluss vom 23.08.2006, Aktenzeichen 3 W 88/06, BeckRS 2007 05380. OLG Hamburg GRUR 1976, 444; OLG Karlsruhe WRP 2003, 1146; OLG Köln WRP 1985, 360; Harte/Henning/Brüning § 12 UWG Rn 24; dagegen KG WRP 1994, 39, 40; OLG Düsseldorf NJWE-WettbR 1996, 256; OLG Düsseldorf GRUR-RR
20 21
22
2001, 199; Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 1.31. BGH GRUR 2007, 629, 630 – Zugang des Abmahnschreibens. BGH NJW 1995, 665; BAG BB 2002, 2560 (NZA 2003, 158); OLG Schleswig GRUR-RR 2008, 138, 139 – Sendeprotokoll. Vgl Ahrens/Scharen Kap 11 Rn 4 ff; Köhler FS Erdmann 845 ff.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
werden.23 Zwar zählen zu den Prozesskosten nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen. Die Kosten einer Abmahnung gehören nicht zu den einen Rechtsstreit unmittelbar vorbereitenden Kosten, auch wenn die Abmahnung dem Schuldner die Möglichkeit nehmen soll, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anzuerkennen, da die Zulässigkeit und die Begründetheit der Klage gerade nicht von einer vorangegangenen Abmahnung abhängen.24 1. Aufwendungsersatz
18
Nach § 97a Abs 1 S 2 UrhG kann Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden, soweit die Abmahnung berechtigt ist. Die Vorschrift entspricht § 12 Abs 1 S 2 UWG.25 § 97a Abs 2 UrhG beschränkt den Aufwendungsersatzanspruch für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung wird § 97a Abs 1 S 2 UrhG als lex specialis zu § 12 Abs 1 S 2 UWG bezeichnet.26 Bei Rechtsverletzungen im geschäftlichen Verkehr sollen die Vorschriften des § 12 19 UWG daneben Anwendung finden.27 § 12 Abs 1 UWG regelt nur den Ersatz für die Kosten vorgerichtlicher Abmahnungen. Die Vorschrift bietet nach Auffassung des OLG Köln keine Anspruchsgrundlage für Abmahnkosten, die erst nach Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung anfallen.28 § 97a Abs 1 S 2 UrhG dient ebenso wie § 12 Abs 1 S 2 UWG neben der Warnfunktion für den Verletzer auch der Vermeidung gerichtlicher Verfahren.29 2. Schadensersatz
20
Lag eine schuldhafte Schutzrechtsverletzung vor, so kann der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes begründet sein.30 3. Geschäftsführung ohne Auftrag
21
Schließlich kann neben dem Anspruch aus § 97a Abs 1 S 2 UrhG ein Anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen. Die durch die Abmahnung wegen Schutzrechtsverletzungen entstehenden Kosten sind nach den von der Recht23 24 25 26 27 28 29
BGH GRUR 2006, 439, 440 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr. BGH GRUR 2006, 439, 440 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr. Vgl Teplitzky FS Ullmann 999. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 48 f. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/5048, 49. OLG Köln WRP 2008, 379, 380 – Abmahnung bei Schubladenverfügung. Vgl BGH GRUR 2006, 439, 440 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr; OLG Köln
234
30
WRP 2008, 379, 380 – Abmahnung bei Schubladenverfügung; Fezer/Büscher § 12 UWG Rn 3; Harte/Henning/Brüning § 12 UWG Rn 3. BGH WRP 2007, 783. 785 – Abmahnaktion; BGH GRUR 1982, 489 – Korrekturflüssigkeit; BGH GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung I; OLG Hamburg NJOZ 2007, 4818 – Tchibo/Tchico; Wandtke/Bullinger/ Kefferpütz Vor §§ 97 ff UrhG Rn 29; Kühnen/Geschke Rn 251; Ahrens/Scharen Kap 11 Rn 12.
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§2
Abmahnung
sprechung entwickelten Grundsätzen auf Grund Geschäftsführung ohne Auftrag gem §§ 683 S 1, 677, 670 BGB erstattungsfähig.31 Auch dieser Anspruch greift allerdings nicht, wenn der Abmahnende zuvor bereits eine entsprechende einstweilige Verfügung – eine sogenannte Vorrats- oder Schubladenverfügung – bei Gericht erwirkt hat. Eine Abmahnung vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens liegt grundsätzlich im Interesse des Abgemahnten, da er auf diese Weise dem an sich bestehenden Unterlassungsanspruch die Grundlage entziehen und den Abmahnenden klaglos stellen kann, ohne dass die Kosten eines Gerichtsverfahrens anfallen. Diesen Zweck erfüllt eine nach Einleitung des gerichtlichen Verfahrens ausgesprochene Abmahnung nicht mehr. Eine solche Abmahnung liegt nicht im Interesse des Abgemahnten, sondern dient allein dem Interesse des Abmahnenden, der auf diese Weise verhindern kann, im Falle eines Kostenwiderspruchs mit den Verfahrenskosten belastet zu werden.32 4. Einschränkungen Die Beauftragung eines Anwalts für Abmahnungen ist dann ausnahmsweise nicht 22 erforderlich, wenn bei typischen, unschwer zu verfolgenden Wettbewerbsverstößen der Abmahnende über hinreichende eigene Sachkunde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung verfügt.33 Auch größeren Wirtschaftsunternehmen mit eigener Rechtsabteilung ist im Fall der eigenen Betroffenheit regelmäßig nicht zuzumuten, Abmahnungen selbst auszusprechen.34 Grundsätzlich ist der Geschädigte – außerhalb des Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechts – nur in einfach gelagerten Fällen gehalten, den Schaden zunächst selbst geltend zu machen. Die sofortige Einschaltung eines Anwalts kann sich als erforderlich erweisen, beispielsweise wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Erfahrung nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden.35 Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht auch bei nachgeschobenen Abmahnungen nicht, die erst nach Erwirkung einer sogenannten Schubladenverfügung ausgesprochen werden.36
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32
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BGH GRUR 1970, 189 – Fotowettbewerb; BGH GRUR 1973, 384, 385 – Goldene Armbänder; BGH GRUR 1984, 691, 692 – Anwaltsabmahnung; BGH GRUR 1992, 176 – Abmahnkostenverjährung. OLG Köln WRP 2008, 379, 380 – Abmahnung bei Schubladenverfügung; OLG München GRUR-RR 2006, 176 – Schubladenverfügung; Teplitzky Kap 41 Rn 86; differenzierend Schulz WRP 2007, 589, 593. BGH GRUR 2007, 620 – Immobilienwertgutachten; BGH GRUR 2004, 789 – Selbstauftrag.
34
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36
BGH, Urteil vom 8.5.2008, I ZR 83/06 – Abmahnkostenersatz; vgl dagegen BGH GRUR 1984, 691 – Anwaltsabmahnung; OLG Düsseldorf MMR 2006, 559, 560; Harte/Henning/Brüning § 12 UWG Rn 85. BGH GRUR 2007, 620 – Immobilienwertgutachten; BGH GRUR 2007, 621 – Abschlussschreiben. OLG Köln WRP 2008, 379; OLG München GRUR-RR 2006, 176 – Schubladenverfügung.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
§3 Reaktionsmöglichkeiten des Abgemahnten I. Unterlassungserklärung 1. Beseitigung der Wiederholungsgefahr
23
Die Wiederholungsgefahr kann nur durch einen Unterlassungstitel oder durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung beseitigt werden.37 Da bei einem erfolgten Schutzrechtseingriff die Wiederholungsgefahr vermutet wird, reicht hier – anders als bei der Erstbegehungsgefahr – eine einfache Unterlassungserklärung nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung. Die Wiederholungsgefahr besteht nicht nur für identische Verletzungshandlungen, sondern auch für alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen.38 Gibt der Verletzer eine Unterlassungserklärung ab, ist zunächst zu prüfen, ob diese 24 weit genug reicht, denn nur dann ist die Wiederholungsgefahr beseitigt. Dafür muss es sich um eine ernst gemeinte, den Anspruchsgegenstand uneingeschränkt abdeckende, eindeutige und unwiderrufliche Unterlassungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für den Fall zukünftiger Zuwiderhandlung handeln. Eine eingeschränkte Unterlassungserklärung führt in aller Regel nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr.39 Ist die Unterlassungserklärung objektiv geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen, wird der Abmahnende sie annehmen. Der Versand des Abmahnschreibens mit beigefügter Unterlassungserklärung stellt einen Antrag auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrages dar, den der Abgemahnte durch seine Unterschrift annimmt. Ändert der Abgemahnte den Entwurf ab, so stellt dies nach § 150 Abs 2 BGB einen neuen Antrag dar, den der Abmahnende annehmen kann. In der Praxis ist es gleichwohl üblich, die Unterlassungserklärung auch dann ausdrücklich anzunehmen, wenn diese nicht verändert wurde, sondern dem ursprünglichen Entwurf entspricht. Gibt der Verletzer eine inhaltlich unzureichende Unterlassungserklärung ab, die nur 25 einen Teil der Rechtsverstöße abdeckt, so ist es in aller Regel ratsam, diesen Teil anzunehmen und hinsichtlich des restlichen Teils gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Unterlassungserklärung per Fax ist, sofern sie hinreichend strafbewehrt ist und die sonstigen inhaltlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt, grundsätzlich geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Verlangt der Gläubiger allerdings eine schriftliche Bestätigung, so muss der Schuldner diesem Verlangen nachkommen, da sonst die FaxErklärung mangels ernsthafter Unterwerfungsbereitschaft ihre Wirkung verliert.40 2. Vorüberlegungen
26
Unter Umständen kann es wegen des unterschiedlichen Haftungsmaßstabes auch in Fällen einer begründeten Abmahnung angeraten sein, lieber eine einstweilige Verfügung ergehen zu lassen, als sich zu unterwerfen.41
37
38
Zum Entfallen der Wiederholungsgefahr aufgrund eines Unterlassungstitels BGH GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung; Bornkamm FS Tilmann 769, 777. BGH GRUR 1997, 931, 932 – Sekundenschnell.
236
39 40 41
BGH GRUR 2008, 871 Tz 41 – WagenfeldLeuchte. BGH GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben. Teplitzky Kap 41 Rn 45.
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§3
Reaktionsmöglichkeiten des Abgemahnten
a) Verschuldensmaßstab. Bei Verstößen gegen einen gerichtlichen Titel kommt es auf 27 das eigene Verschulden an. Die Unterlassungserklärung ist ein abstraktes Schuldanerkenntnis iSd §§ 780 f BGB.42 Auch die einfache Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafe begründet – nach ihrer Annahme – ein vertragliches Dauerschuldverhältnis.43 Der vertragliche Unterlassungsanspruch ist zwar verschuldensabhängig. Es besteht allerdings eine Verschuldensvermutung. Der Schuldner muss beweisen, dass ihn im Hinblick auf den Verstoß gegen die Unterlassungserklärung kein Verschulden trifft.44 An die Widerlegung der Vermutung werden strenge Anforderungen gestellt.45 Zudem haftet der Schuldner einer vertraglichen Unterlassungserklärung für sämtliche Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB.46 Nach der Rechtsprechung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob der Erfüllungsgehilfe von der Unterlassungsverpflichtung überhaupt Kenntnis hat.47 b) Vertragstrafe statt Ordnungsmittel. Zudem ist das Interesse des Abmahnenden, bei 28 einem Verstoß die gerichtlichen Ordnungsmittel zugunsten der Staatskasse durchzusetzen, in aller Regel geringer, als selber die Vertragsstrafe ausgezahlt zu erhalten. c) Schadensersatzhaftung. Die Unterlassungserklärung hat auch Auswirkungen auf 29 mögliche Schadensersatzansprüche. Denn ein Verstoß gegen die Erklärung führt zu Ersatzansprüchen aus § 280 BGB. Verstößt der Schuldner einer vertraglichen Unterlassungspflicht gegen den Unterlassungsvertrag, so stellt dies eine Vertragsverletzung dar, die einen Schadensersatzanspruch begründet.48 Diesbezüglich ist dem vertraglichen Unterlassungsschuldner die ohne die Unterlassungserklärung bestehende Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 BGB verwehrt. Dies kann vor dem Hintergrund, dass für sämtliche Erfüllungsgehilfen gehaftet wird, nachteilig sein. 3. Zustandekommen eines Unterwerfungsvertrages Mit Annahme der Unterlassungserklärung kommt ein sogenannter Unterwerfungsver- 30 trag zustande, der den gesetzlichen Unterlassungsanspruch durch einen selbständigen vertraglichen Unterlassungsanspruch aufgrund eines abstrakten Schuldversprechens – gegebenenfalls teilweise – ersetzt. Handelt der Schuldner nach Zugang der Unterlassungserklärung aber noch vor Zustandekommen des Unterlassungsvertrags seiner Erklärung zuwider, so besteht kein Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe.49 Bei schuldhaftem Verstoß gegen den Unterwerfungsvertrag ist die vereinbarte Ver- 31 tragsstrafe zu bezahlen. Der Gläubiger des Vertragsstrafeversprechens ist dann lediglich für die objektive Zuwiderhandlung beweispflichtig, für einen etwaigen Mangel des Verschuldens hingegen der Schuldner. In die Unterlassungserklärung wird üblicherweise eine Regelung aufgenommen, nach der die Vertragsstrafe bei mehrfachem Verstoß gegen den Unterwerfungsvertrag für jede einzelne Handlung zu zahlen ist. Nach Auffassung des 42
BGH GRUR 1995, 678, 679 – Kurze Verjährungsfrist; BGH GRUR 1997, 386, 387 – Altunterwerfung II; BGH GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; Dornis/Förster GRUR 2006, 195. 43 Melullis Rn 651; Köhler GRUR 1996, 231. 44 BGH GRUR 1982, 688 – Seniorenpass; BGH GRUR 1998, 471 – Modenschau im Salvatorkeller; Melullis Rn 641. 45 BGH GRUR 1998, 963 – Verlagsverschulden II; Teplitzky Kap 20 Rn 15.
46 47
48
49
Teplitzky WRP 1996, 171. BGH GRUR 1988, 561,– Verlagsverschulden I; BGH GRUR 1998, 963 – Verlagsverschulden II. BGH GRUR 1995, 678 – Kurze Verjährungsfrist; Köhler GRUR 1996, 231; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 1.159. BGH GRUR 2006, 878 – Vertragsstrafevereinbarung; Klein GRUR 2007, 664.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
Bundesgerichtshofes ist ein Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr regelmäßig nicht erforderlich.50 Setzt sich der Schuldner bzw Verletzer über den Unterwerfungsvertrag hinweg und 32 verletzt das Schutzrecht erneut, hat der Gläubiger bzw Rechtsinhaber einen neuen gesetzlichen Unterlassungsanspruch. Bei erneuter Abmahnung kann die verwirkte Vertragsstrafe geltend gemacht werden sowie eine neue Unterlassungserklärung mit höherer Vertragsstrafe gefordert werden, da die bisherige Vertragsstrafe offenbar nicht ausreichte, um den Schuldner von weiteren Rechtsverletzungen abzuhalten. Außerdem kann er den neuen gesetzlichen Unterlassungsanspruch stattdessen auch unmittelbar gerichtlich geltend machen. Der Rechtsinhaber kann an einem solchen Vorgehen Interesse haben, da er auf diese Weise neben der ursprünglichen Unterlassungserklärung zusätzlich einen gerichtlichen Titel erhält. Bei weiteren Verstößen kann er dann sowohl die Zahlung der Vertragsstrafe fordern als auch die Verhängung eines Ordnungsgeldes beantragen. Sofern die Erklärung nicht vollständig oder in wesentlichen Punkten von der vorfor33 mulierten Unterlassungserklärung abweicht, ist der Zugang der Annahmeerklärung nach § 151 BGB grundsätzlich entbehrlich.51 Der Unterwerfungsvertrag kommt grundsätzlich erst mit der Annahme des Angebotes zustande.52 Eine ausreichende Unterlassungsverpflichtungserklärung beseitigt die Wiederholungsgefahr allerdings bereits dann, wenn sie vom Verletzten nicht angenommen wird.53 Aus Sicht des Abmahnenden ist daher eine rasche Annahme geboten, wenn die Erklärung den Anforderungen entspricht. Eine Unterlassungserklärung stellt kein Anerkenntnis dar.54 4. Beschränkung
34
Die Erklärung sollte keinesfalls über den bestehenden Anspruch hinausgehen. Sämtliche Beschränkungen, die das materielle Recht widerspiegeln, sind in Unterlassungserklärungen zulässig.55 Zulässig sind daher beispielsweise zeitliche Befristungen für die beschränkte Dauer eines gesetzlichen Verbotes.56 Eine Unterlassungserklärung kann also durchaus ausdrücklich auf die maximale Laufzeit eines Schutzrechts – beispielsweise eines Geschmacksmusters – begrenzt werden. Ebenso zulässig ist die Aufnahme einer auflösenden Bedingung.57 Eine Unterlassungserklärung kann also zusätzlich zur Laufzeitbegrenzung unter der auflösenden Bedingung abgegeben werden, dass das Schutzrecht schon vor Ablauf der maximalen Laufzeit erlischt. Die Formulierung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbind35 lich“, die häufig von Unterlassungsschuldnern in die Erklärung aufgenommen wird, verdeutlicht, dass die Unterlassungsverpflichtung unabhängig davon bestehen soll, ob der Unterlassungsschuldner auch schon kraft Gesetzes zur Unterlassung verpflichtet ist.58 Die Aufnahme dieser Formulierung soll insbesondere dazu dienen, im Hinblick auf die
50 51
52 53
BGH NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang. BGH GRUR 2002, 824, 825 – Teilunterwerfung; Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 1.118. BGH WRP 2006, 1139, 1140 – Vertragsstrafenvereinbarung. BGH GRUR 1985, 937, 938 – Vertragsstrafe bis zu … I; OLG München NJW-RR 2003, 1487, 1489 – Esra; Melullis Rn 647.
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54 55 56
57 58
Melullis Rn 657; Hess WRP 2003, 353; unrichtig hingegen KG WRP 1977, 793, 794. Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 1.126. Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 1.127; Nieder Rn 207; Teplitzkly GRUR 1996, 696. Nieder Rn 207. OLG Düsseldorf GRUR 1993, 851 – Anweisungswidriges Inserat.
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§3
Reaktionsmöglichkeiten des Abgemahnten
vom Abmahnenden geltend gemachten Anwaltskosten die Berechtigung der Abmahnung bestreiten zu können. Vor dem Hintergrund einiger Entscheidungen59, welche die Unterlassungserklärung einem Anerkenntnis gleichstellen, ist eine solche Formulierung durchaus sinnvoll.60 5. Warnung der Lieferanten und Abnehmer Hält der Abgemahnte die Abmahnung für begründet, kommen neben der Abgabe 36 einer Unterlassungserklärung gegebenenfalls weitere Maßnahmen in Betracht. Handelt es sich bei dem abgemahnten Unternehmen um einen Hersteller, so wird dieser in der Regel gut daran tun, vor Erteilungen von Auskünften über seine Abnehmer diese auf den Konflikt hinzuweisen. Zugleich kann es sich für den abgemahnten Hersteller empfehlen, Unterlassungserklärungen für seine Abnehmer vorzuformulieren, durch die Abnehmer unterzeichnen zu lassen und vor Auskunftserteilung an das abmahnende Unternehmen zu versenden. Auf diese Weise kann der abgemahnte Hersteller vermeiden, dass sämtliche seiner Abnehmer ebenfalls kostenpflichtig verwarnt werden und die Kundenbeziehungen in Mitleidenschaft gezogen werden und der Hersteller gegebenenfalls sämtliche Abmahnkosten seiner Abnehmer zu tragen hat. 6. Absichtserklärung bei Erstbegehungsgefahr Bei Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr besteht grundsätzlich noch kein Anspruch 37 auf Abgabe einer Unterlassungserklärung – erst recht keiner strafbewehrten. Vielmehr entfällt die Erstbegehungsgefahr in der Regel bereits mit den sie begründenden Umständen. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr reicht in aller Regel ein kontradiktorisches Verhalten aus.61 Bei einer Anspruchsberühmung reicht beispielsweise deren Aufgabe.62 Auch die Rechtsprechung hält eine Unterlassungserklärung nicht für erforderlich. So lässt das OLG Hamburg bereits die Ankündigung, ein beanstandetes Verhalten zu ändern, ausreichen.63
II. Schutzschrift 1. Funktion Die ZPO kennt das Rechtsinstitut der Schutzschrift nicht. Sie ist allerdings gewohn- 38 heitsrechtlich anerkannt. Durch eine Schutzschrift kann jemand, der befürchtet, dass gegen ihn eine einstweilige Verfügung beantragt wird, versuchen, das Gericht davon abzuhalten, die einstweilige Verfügung zu erlassen, oder zumindest eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Nach § 937 Abs 2 ZPO kann das Gericht über einen Verfügungsantrag in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Diese vom Gesetzgeber als Ausnahme gedachte Vorschrift stellt in der Praxis den Regelfall dar.64
59
60 61
Vgl KG WRP 1977, 793; AG Meldorf NJW 1989, 2548; AG Oberhausen WRP 2000, 137; AG Charlottenburg WRP 2002, 1472. Hess WRP 2003, 353; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm § 12 UWG Rn 1.111. Nieder Rn 86.
62 63 64
Berneke Rn 6. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 309 – INMAS. Berneke Rn 134; Harte/Hennning/Retzer § 12 UWG Rn 607.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
Die Einreichung einer Schutzschrift kommt typischerweise dann in Betracht, wenn der Abgemahnte auf die Abmahnung des Schutzrechtsinhabers hin die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert und deshalb damit rechnen muss, dass der vermeintlich Verletzte gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen wird. In aller Regel wird mit der Schutzschrift die Zurückweisung des Antrages auf Erlass 39 der einstweiligen Verfügung beantragt, als Hilfsantrag die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus kann beantragt werden, den Erlass und Vollzug der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. In der Schutzschrift kann der mutmaßliche Antragsgegner Einwendungen sowohl gegen das Vorliegen eines Verfügungsanspruches als auch eines Verfügungsgrundes vortragen. Darüber hinaus kann er beantragen, dass der Erlass und der Vollzug der Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird. Diesbezüglich kann der Antragsgegner beispielsweise vortragen, dass durch die einstweilige Verfügung ein hoher Schaden eintreten kann und dass dieser Schaden durch den Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO voraussichtlich nicht abgedeckt werden kann. Hält das Gericht die in der Schutzschrift geäußerten Bedenken für irrelevant, so kann es die einstweilige Verfügung im Beschlusswege erlassen. Sind die in der Schutzschrift geäußerten Bedenken hingegen relevant, so wird das Gericht in aller Regel einen Termin zu mündlichen Verhandlung bestimmen. Kann der Schutzrechtsinhaber zwischen mehreren örtlich zuständigen Gerichten wäh40 len, was häufig der Fall ist, wenn die Schutzrechtverletzungen an mehreren Gerichtsorten zugleich stattfindet, so ist der Abgemahnte gut beraten, bei sämtlichen in Betracht kommenden Gerichten eine entsprechende – jeweils gleichlautende – Schutzschrift zu hinterlegen.65 Da nach § 937 Abs 1 ZPO die Gerichte in der Hauptsache auch für einstweilige Verfügungen zuständig sind, sollte die Schutzschrift bei sämtlichen in Betracht kommenden Hauptsachegerichten hinterlegt werden, um einen lückenlosen Schutz zu gewährleisten. Augrund der Konzentrationsvorschriften, die unter anderem im Urheberrecht bestehen, ist die Anzahl der in Betracht kommenden Gerichte relativ überschaubar.66 2. Vorüberlegungen
41
Die Einreichung einer Schutzschrift kann für den Antragsgegner auch nicht unerhebliche Nachteile mit sich bringen, die gegen die möglichen Vorteile der Schutzschrift abzuwägen sind. Insbesondere bei ausländischen Antragsgegnern kann es durch die Einreichung einer Schutzschrift dazu kommen, dass eine – trotz der Schutzschrift – erlassene einstweilige Verfügung später vereinfacht zugestellt werden kann, wenn die Schutzschrift durch einen Rechtsanwalt eingereicht wurde. Hier kann nämlich dann die Zustellung von Anwalt zu Anwalt erfolgen. Die wohl überwiegende Meinung geht davon aus, dass eine Zustellung nach § 172 Abs 1 ZPO an den Bevollmächtigten zu erfolgen hat.67 Um zu vermeiden, dass sich ein Schutzrechtsverletzer vor Erlass der einstweiligen Ver42 fügung bei Gericht rechtliches Gehör verschafft, kann der Schutzrechtsinhaber versuchen, zunächst eine Beschlussverfügung zu erwirken und den Antragsgegner erst anschließend abmahnen. Da bei dieser Abmahnung auf den Umstand, dass bereits eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, nicht hingewiesen werden braucht, wird eine solche einstweilige Verfügung als Vorrats- oder Schubladenverfügung bezeichnet. Grundsätzlich hat dieses 65 66
Kühnen/Geschke Rn 693; Berneke Rn 126. Übersichten hierzu finden sich bei Wandtke/ Bullinger/Kefferpütz § 105 UrhG Rn 5; Dreier/Schulze/Schulze § 105 UrhG Rn 5.
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67
OLG Köln GRUR 2001, 4056 –Wahrung der Vollziehungsfrist; OLG Celle, GRUR 1998, 77 – Wiederbefüllte Druckpatronen.
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§3
Reaktionsmöglichkeiten des Abgemahnten
Vorgehen für den Antragsteller den Nachteil, dass ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten nicht besteht.68 3. Berücksichtigung der Schutzschrift durch das Gericht Derjenige, der befürchtet, dass ein Verfügungsantrag gegen ihn bei Gericht eingereicht 43 wird, wird naturgemäß versuchen, dem Verfügungsantrag durch Einreichung einer Schutzschrift zuvor zu kommen. Gelingt ihm dies, ist zu diesem Zeitpunkt bei Gericht noch kein Verfügungsverfahren anhängig, so dass die Schutzschrift keinem Verfahren zugeordnet werden kann. Sie wird daher in das bei Gericht geführte allgemeine Register eingetragen.69 In der Praxis ist es üblich, dass auf der ersten Seite der Schutzschrift darum gebeten wird, dass diese umgehend der für Urheberrechtstreitigkeiten (bzw für jeweils einschlägige Schutzrechtstreitigkeiten) zuständigen Kammer vorgelegt wird. Grundsätzlich muss eine dem Gericht vorliegende Schutzschrift bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Vortag des Antragstellers zu seinem Nachteil auswirkt.70 Wird hingegen kein Verfügungsantrag eingereicht, so ist die Schutzschrift gegenstandslos. 4. Erstattungsfähigkeit der Kosten Die Kosten einer Schutzschrift sind erstattungsfähig, wenn ein Antrag auf Erlass einer 44 einstweiligen Verfügung bei Gericht anhängig gemacht wird und entweder – aufgrund des Vortrags in der Schutzschrift – rechtskräftig zurückgewiesen oder vom Antragsteller zurückgenommen wird.71 Die Frage, ob Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab. Wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits zurückgenommen, bevor die Schutzschrift eingereicht wurde, so sind die Kosten auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Antragsgegner nicht wusste, dass der Antrag zurückgenommen worden war.72 Notwendig iSd § 91 Abs 1 S 1 ZPO sind nur solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich oder geeignet waren.73 Da eine nach Rücknahme des Verfügungsantrages eingereichte Schutzschrift ihr Ziel naturgemäß nicht mehr erreichen kann, ist sie keine objektiv zur Rechtsverteidigung erforderliche Maßnahme. Auf eine verschuldete oder unverschuldete Kenntnis des Antragsgegners von der Antragsrücknahme kommt es nicht an.74
III. Gegenabmahnung 1. Abmahnung wegen Behinderung und Eingriffs in den Gewerbebetrieb War die Schutzrechtsverwarnung unbegründet, so kommt eine Gegenabmahnung in 45 Betracht. Denn eine unbegründete Schutzrechtsverwarnung stellt in aller Regel nicht nur einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs 1 68 69 70 71
72
OLG München GRUR-RR 2006, 176 – Schubladenverfügung. Ahrens/Spätgens Kap 6 Rn 12. Berneke Rn 129. BGH GRUR 2003, 456 – Kosten der Schutzschrift I; BGH ZUM 2008, 136 – Kosten der Schutzschrift II. BGH ZUM 2008, 136 – Kosten der Schutz-
73 74
schrift II; OLG Karlsruhe WRP 1981, 39; Ahrens/Spätgens Kap 6 Rn 37; Piper/ Ohly/Piper § 12 UWG Rn 133. BGH ZUM 2008, 136, 137 – Kosten der Schutzschrift II. BGH ZUM 2008, 136, 137 – Kosten der Schutzschrift II.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
BGB dar, sondern zugleich eine wettbewerbswidrige Behinderung nach §§ 3, 4 Nr 10 UWG.75 Dies gilt in besonderem Maße, wenn nicht der Hersteller, sondern dessen Abnehmer abgemahnt werden. Handelt es sich bei den Abnehmern um Handelsunternehmen, so werden diese in aller Regel wenig Interesse an einer Schutzrechtsauseinandersetzung haben. Statt dessen ist es durchaus möglich, dass die beanstandeten Produkte ausgelistet werden. Zudem sorgen viele Handelsunternehmen durch entsprechende Formulierung in ihren Einkaufsbedingungen dafür, dass sämtliche Aufwendungen, die durch von Dritten ausgesprochene Abmahnungen entstehen, von dem Lieferanten zu tragen sind. Die Abnehmerverwarnung trifft das herstellende Unternehmen zwar nur mittelbar, dafür aber umso nachhaltiger. 2. Abmahnung zur Androhung einer negativen Feststellungsklage
46
Der zu Unrecht Abgemahnte ist grundsätzlich nicht gehalten, vor der Erhebung einer negativen Feststellungsklage eine Gegenabmahnung auszusprechen.76 Eine Gegenabmahnung ist vielmehr nur dann ausnahmsweise veranlasst, wenn die Abmahnung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf einer offensichtlich unzutreffenden Annahme beruht, bei deren Richtigstellung mit einer Änderung der Auffassung des Abmahnenden gerechnet werden kann. Denn nur in solchen Fällen entspricht eine Gegenabmahnung dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden und kann der Abgemahnte daher die Kosten der Gegenabmahnung erstattet verlangen.
IV. Negative Feststellungsklage 47
Hält der Abgemahnte die Abmahnung für unberechtigt, so kommt grundsätzlich eine Gegenabmahnung, die Einreichung einer Schutzschrift und eine negative Feststellungsklage in Betracht. Die negative Feststellungsklage ist auf die Feststellung gerichtet, dass der Anspruch des vermeintlich Verletzten nicht besteht. Weist der Abgemahnte die Abmahnung zurück – was gegebenenfalls mit einer Gegenabmahnung verbunden werden kann – und lenkt der Abmahnende daraufhin nicht ein und gibt sofort zu erkennen, dass er nicht weiter an seinen Ansprüchen festhalten werde, so bleibt für den Abgemahnten eine Bedrohung bestehen: Es besteht die Gefahr, dass der Abmahnende lediglich zum jetzigen Zeitpunkt seine Ansprüche nicht weiter verfolgt, aber dies irgendwann in der Zukunft nachholt. Hier kann dem Abgemahnten nicht zugemutet werden, sich auf den relativ unklar konturierten Verwirkungseinwand zu verlassen. Vielmehr besteht ein Feststellungsinteresse dahingehend, dass gerichtlich geklärt wird, ob eine Schutzrechtsverletzung vorgelegen hat oder nicht. Die negative Feststellungsklage entspricht der Leistungsklage mit umgekehrtem Rubrum. Sie führt allerdings nicht dazu, dass der Gläubiger für einen möglichen späteren Verfügungsantrag an den gewählten Gerichtsstand gebunden wäre.77 Zulässigkeitsvoraussetzung der negativen Feststellungsklage ist nach § 256 ZPO ein 48 rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechts-
75
76
Vgl BGH GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; kritisch hierzu Deutsch GRUR 2006, 374, 375. BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung.
242
77
Str, vgl OLG Frankfurt GRUR 1997, 485 – Korrektur des Gerichtsstands; Zöller/Vollkommer § 937 ZPO Rn 1; Musielak/Huber § 937 ZPO Rn 3; Steinbeck NJW 2007, 1783, 1785.
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§4
Einstweilige Verfügung
verhältnisses. Dieses Feststellungsinteresse wird durch die Abmahnung begründet. Das Feststellungsinteresse entfällt, wenn der Schutzrechtsinhaber seinerseits eine positive Leistungsklage mit umgekehrtem Rubrum auf Unterlassung erhebt und diese nicht mehr einseitig ohne Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden kann.78 Eine solche einseitige Rücknahme der Leistungsklage ist nach § 269 Abs 1 ZPO nach Beginn der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich. Voraussetzung für das Entfallen des Feststellungsinteresses ist die Identität der Streitgegenstände.79 Das Feststellungsinteresse entfällt auch bei Einreichung einer Leistungsklage umgekehrten Rubrums dann nicht, wenn der Antrag der negativen Feststellungsklage über den umgekehrten Antrag der Leistungsklage hinaus geht. Eine solche Konstellation kann sich beispielsweise dann ergeben, wenn der Abmahnende die Abmahnung weiter fasst als seine Leistungsklage. Verlangt ein Markeninhaber beispielsweise in der Abmahnung einschränkungslos die Verwendung eines bestimmten Zeichens zu unterlassen und beschränkt sich in der Leistungsklage später darauf, die Kennzeichnung für bestimmte Produkte bzw für Produkte einer bestimmten Warenklasse zu unterlassen, so bleibt ein Feststellungsinteresse des Abgemahnten dahingehend bestehen, dass im Hinblick auf sämtliche anderen Waren bzw Klassen kein Anspruch besteht. Hinsichtlich des in der Abmahnung geltend gemachten überschießenden Teils besteht also noch weiter ein Feststellungsinteresse. Die Beweislastverteilung bei der negativen Feststellungsklage ist nicht anders als bei der Unterlassungsklage. Der beklagte Anspruchsteller hat demnach die Voraussetzung des von ihm in der Abmahnung geltend gemachten Anspruches im Rahmen der negativen Feststellungsklage darzulegen und ggf. zu beweisen. Die Beweislast für das Vorliegen des Feststellungsinteresses trägt der Kläger. Anders als eine Abmahnung begründet eine Berechtigungsanfrage noch kein Feststellungsinteresse.
§4 Einstweilige Verfügung Führt die außergerichtliche Abmahnung nicht zu dem gewünschten Erfolg, so kann 49 der Rechtsinhaber gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. § 104 UrhG eröffnet für sämtliche Urheberrechtsstreitsachen den ordentlichen Rechtsweg. Aufgrund der Schnelllebigkeit der Medien ist der vorläufige Rechtsschutz in Form des einstweiligen Verfügungsverfahrens im Medienrecht von besonderer Bedeutung. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund. Das Vorliegen von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind dem Gericht glaubhaft zu machen. Der Antrag, mit dem der Berechtigte die Unterlassung einer Urheberrechtsverletzung begehrt, muss die Verletzungsform beschreiben.80 Besonders gut eignen sich hierfür Abbildungen. Eine Wiedergabe des kopierten Originals kommt nur in Fällen einer identischen Übernahme in Betracht.
78
BGH GRUR 2006, 217 – Detektionseinrichtung I; BGH GRUR 1994, 846, 847 – Parallelverfahren II; Kühnen/Geschke Rn 653; Hoene WRP 2008, 44.
79 80
Vgl BGH GRUR 2008, 360, 361 Tz 23 – EURO und Schwarzgeld. BGH GRUR 2003, 786 – Innungsprogramm.
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1. Teil
I. Gerichtszuständigkeit (international, örtlich, sachlich) 50
Im Vordergrund für die hier zu besprechende Anspruchsdurchsetzung steht der deliktische Gerichtsstand aus § 32 ZPO, Art 5 Abs 3 EuGVVO. 1. Internationale Zuständigkeit
Die EuGVVO gilt grundsätzlich unabhängig von der Staatsangehörigkeit für alle Personen, die ihren Sitz in einem EG-Mitgliedstaat haben.81 Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, so richtet sich die Zuständigkeit grundsätzlich nach den nationalen Prozessordnungen. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung richtet sich gem Art 5 Nr 3 EuGVVO nach dem Tatort. Diese Vorschrift regelt neben der internationalen Zuständigkeit auch die örtliche Zuständigkeit, so dass ein Rückgriff auf die §§ 12 ff ZPO ausgeschlossen ist. Dies ist anders beim allgemeinen Gerichtsstand des Beklagtensitzes nach Art 2 EuGVVO, der nur die internationale Zuständigkeit regelt, so dass für die örtliche Zuständigkeit auf §§ 12 ff ZPO zurückgegriffen werden muss.82 Der deliktische Gerichtsstand besteht an jedem Ort, an dem das Recht verletzt wird. Für die Zuständigkeit ist es ohne Bedeutung, ob die behauptete Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt. Ausreichend ist vielmehr, dass die Verletzung behauptet wird und nicht von vornherein ausgeschlossen ist.83 Nach Auffassung des OLG Köln ist ein schädigendes Ereignis nicht iSd Art 5 Nr 3 52 EuGVVO in Deutschland eingetreten, wenn auf einer Internet-Seite mit der Top-Level Domain „uk“ unter der Verwendung von – die Urheberrechte Dritter verletzender – Fotos Waren mit Euro-Preisen angeboten werden, eine elektronische Korrespondenz in deutscher Sprache aber nicht als Option angeboten wird.84 Danach genügt es für die Annahme einer Begehung des angenommenen Urheberrechtsverstoßes (auch) in Deutschland als Erfolgsort der Handlung nicht, dass die Internetseite, auf der sich die Fotos befinden sollen, global und damit auch in Deutschland abgerufen werden kann. Das OLG Köln verweist insofern auf die Rechtsprechung des BGH nach der bei Wettbewerbsverletzungen im Internet der Erfolgsort dann im Inland belegen ist, wenn sich der Internet-Auftritt bestimmungsgemäß hier auswirken soll.85 Dies müsse für Urheberrechtsverletzungen, die aus einer unberechtigten öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG bestehen, zumindest dann ebenfalls gelten, wenn die Fotos zu gewerblichen Zwecken online zur Verfügung gestellt werden. Diese Auffassung ist wenig überzeugend. Zwar mag es beispielsweise bei Werbetexten darauf ankommen, in welcher Sprache die Internetseite angeboten wird. Fotos und Musik sind indes typische Beispiele für sprachunabhängige Werke. Der Urheber muss es nicht dulden, wenn jemand sich seiner Rechte bedient um damit seine Internetseite zu schmücken, gleich in welcher Sprache diese angeboten wird.86
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84
Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 UrhG ff Rn 28. Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 UrhG ff Rn 29. BGH WRP 2007, 1219, 1221 – WagenfeldLeuchte; von Ungern-Sternberg GRUR 2008, 291, 300. OLG Köln GRUR-RR 2008, 71 – InternetFotos.
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BGH WRP 2006, 736, 738 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH GRUR 2005, 431 – Hotel Maritime. Vgl KG NJW 1997, 3321 – concertconcept. com; Schack MMR 2000, 135, 138; Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 34.
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Einstweilige Verfügung
Bei persönlichkeitsverletzenden Pressedelikten ist die internationale Zuständigkeit auf 53 den am Verbreitungsort als Erfolgsort erlittenen Schaden begrenzt.87 Nur der jeweilige Teilschaden kann erfolgreich an dem deliktischen Gerichtsstand eingeklagt werden. Will der Kläger seinen Gesamtschaden an einem Gerichtsstand einklagen, so muss er hierzu den allgemeinen Gerichtsstand wählen. Entsprechende Vorschriften enthalten das EuGVÜ und das LGVÜ. Die EuGVÜ gilt 54 im Verhältnis zwischen Dänemark und den übrigen EU-Mitgliedern.88 Das LGVÜ gilt im Verhältnis zu den Vertragsstaaten, die nicht zur EU gehören.89 Dies sind Island, Norwegen und die Schweiz.90 Ist kein Staatsvertrag einschlägig, kommt es zu einer doppelfunktionalen Anwendung der Regeln über die örtliche Zuständigkeit auf die internationale Zuständigkeit.91 Die internationale Zuständigkeit liegt vor, wenn ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist. Den allgemeinen Gerichtsstand regeln die §§ 13, 17 ZPO. Den Gerichtsort der unerlaubten Handlung bestimmt § 32 ZPO.92 2. Örtliche Zuständigkeit Begehungsort von Wettbewerbsverstößen ist bei Internetangeboten deutschlandweit 55 tätiger Unternehmen nicht nur der Ort des Erscheinens, sondern grundsätzlich auch jeder Verbreitungsort.93 Klagen bzw Anträge auf Erlass einstweiliger Verfügungen können daher bei jedem Landgericht in Deutschland eingereicht werden. 3. Sachliche Zuständigkeit Nach § 23 Nr 1 GVG sind die Amtsgerichte für Streitigkeiten über Ansprüche, deren 56 Gegenstandswert 5 000 Euro nicht übersteigt, zuständig. Für darüber liegende Gegenstandswerte begründet § 71 Abs 1 GVG die Zuständigkeit der Landgerichte.94 Eine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Landgerichte gibt es also – anders als beispielsweise in Kennzeichenstreitsachen nach § 140 Abs 1 MarkenG und in Wettbewerbssachen nach § 13 Abs 1 UWG – nicht.95 § 105 UrhG enthält – ebenso wie § 140 Abs 2 MarkenG eine Konzentrationsermächtigung für die Bundesländer, die Urheberrechtsstreitigkeiten bestimmten Amts- oder Landgerichten zuweisen können.96
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EuGH NJW 1995, 1881 – Shevill/Presse Alliance; OLG München NJOZ 2008, 675 – Wettbewerbswidrige Anzeigen in ausländischer Zeitung; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 5 EuGVVO Rn 17; Berger GRUR Int 2005, 465, 468 f. BGH WRP 2005, 493, 494 – Hotel Maritime. Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Thomas/Putzo/Hüßtege Vor Art 1 EuGVVO Rn 3; Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 UrhG ff Rn 27. Schack Rn 720; Wandtke/Bullinger/ von Welser Vor §§ 120 UrhG ff Rn 32.
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BGH GRUR 1980, 227, 229 f – Monumenta Germaniae Historica. OLG Hamm MMR 2008, 178 – Forumshopping; OLG Hamburg GRUR 2007, 614 – forum-shopping, zur örtlichen Zuständigkeit bei Rundfunkwerbung OLG Düsseldorf GRUR-RR 2005, 33 – Möbel-Werbespot. Vgl Schack Rn 719. Zur Zuständigkeit bei Vertragsstrafenklagen Hess FS Ullmann 927. Übersichten bei Ingerl/Rohnke § 140 MarkenG Rn 18 ff; Wandtke/Bullinger/Kefferpütz § 105 UrhG Rn 5; Dreier/Schulze/Schulze § 105 UrhG Rn 5.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
II. Formulierung der Anträge 57
Besonderes Augenmerk muss der Formulierung der Anträge gelten. Diese dürfen nicht zu weit und sollten nicht zu eng formuliert sein. Ist der Klageantrag nicht hinreichend bestimmt, so ist dieser Antrag schon als unzulässig abzuweisen. Ein inhaltlich zu weit gehender Antrag führt demgegenüber zur Abweisung als – teilweise – unbegründet. 1. Bestimmtheit
Nach § 253 Abs 2 Nr ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrages sollten nicht unterschätzt werden. Die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, darf nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen werden.97 Aus diesem Grund sind beispielsweise Unterlassungsanträge, die Formulierungen wie „eindeutig“ und „unübersehbar“ enthielten, für zu unbestimmt und damit als unzulässig erachtet worden.98 Steht beispielsweise nicht eindeutig fest, welcher Gegenstand – beispielsweise ein Computerprogramm – mit einer bestimmten Bezeichnung gemeint ist, sind die entsprechenden Klageanträge grundsätzlich nur dann hinreichend bestimmt, wenn sie dessen Inhalt auf andere Weise so beschreiben, dass Verwechslungen soweit wie möglich ausgeschlossen sind. Dabei kann die gebotene Individualisierung bei einem Computerprogramm durch Bezugnahme auf Programmausdrucke oder Programmträger erfolgen.99 Grundsätzlich genügt eine wörtliche Beschreibung des Gegenstands, auf den sich die 59 Verurteilung zur Unterlassung bezieht, den Bestimmtheitsanforderungen, sofern sich die Eigenschaften des Gegenstands, auf die es ankommt, mit Worten beschreiben lassen.100 Ist der angegriffene Gegenstand bildlich darstellbar – wie etwa bei einem Werk der bildenden oder angewandten Kunst oder bei einer Fotografie – so kann diese Abbildung auch in den Antrag aufgenommen werden.101 Grundsätzlich kann ein Unterlassungsantrag auch mit dem Wort „wie“ an das Charakteristische des konkreten Verletzungstatbestands anknüpfen.102
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2. Streitgegenstand
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Besondere Bedeutung bei der Ausarbeitung von Anträgen im Klage- oder Verfügungsverfahren und deren Begründung hat der Streitgegenstandsbegriff. Werden gegen einen Verletzer mehrere Verfahren anhängig gemacht, so kann einem zweiten und möglichen weiteren Verfahren die Rechtshängigkeitssperre des § 261 Nr 3 ZPO entgegenstehen, wenn es sich um gleichlautende Klageanträge handelt. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn der zugrundeliegende Lebenssachverhalt ein anderer ist. Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmt sich der Streitgegenstand nach dem Antrag und 97
98
BGHZ 156, 1, 8 – Paperboy; BGH Urteil vom 22.11.2007, Az I ZR 12/05, Rn 20 – Planfreigabesystem; BGH GRUR 2008, 84, 85 – Versandkosten; BGH GRUR 2005, 443, 445 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; BGH GRUR 2005, 692, 693 – „statt“-Preis. BGH GRUR 2008, 84, 85 – Versandkosten; BGH GRUR 1979, 116, 117 – Der Superhit.
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BGH GRUR 2008, 357, 359 Tz 24 – Planfreigabesystem. BGH GRUR 2007, 871, 872 – WagenfeldLeuchte; BGH GRUR 2000, 228 – MusicalGala. Vgl BGH GRUR 2007, 871, 872 Tz 19 – Wagenfeld-Leuchte. Vgl BGH GRUR 2001, 529; KG NJW-RR 2007, 47.
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§4
Einstweilige Verfügung
dem zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt.103 Nach Auffassung des BGH ist der Umfang der materiellen Rechtskraft einer Unterlassungsverurteilung beschränkt auf den Streitgegenstand, über den entschieden worden ist. Dieser wird durch die konkrete Verletzungshandlung begrenzt, aus der das Klagebegehren hergeleitet worden ist. In Rechtskraft erwächst der in die Zukunft gerichtete Verbotsausspruch nur in seinem Bezug auf die festgestellte Verletzungshandlung.104 a) Unterschiedliche Lebenssachverhalte. Ein und derselbe Unterlassungsantrag kann 61 daher auf unterschiedliche Lebenssachverhalte gestützt werden. Trotz einheitlichen Antrags liegen dann mehrere Streitgegenstände vor. So liegt der Fall beispielsweise bei einem Unterlassungsantrag, der zunächst auf Erstbegehungsgefahr und später auch noch auf eine Verletzungshandlung gestützt wird.105 Stützt der Kläger sein Unterlassungsbegehren sowohl auf Wiederholungsgefahr wegen der behaupteten Verletzungshandlung, als auch auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen des Beklagten bei der Rechtsverteidigung im gerichtlichen Verfahren, so handelt es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände.106 b) Unterschiedliche Normen. Kommen bei einem Sachverhalt Ansprüche aus mehre- 62 ren Normen in Betracht – beispielsweise aus Schutzrechtsverletzung und ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – kommt es darauf an, ob der Kläger die Klage allein auf den eine Norm betreffenden Sachverhalt gestützt hat oder ob er zudem auch einen Lebenssachverhalt vorgetragen hat, der geeignet ist, den Tatbestand weiterer Normen zu erfüllen.107 Die Benennung der jeweiligen Normen ist hierfür nicht entscheidend. Stützt der Kläger seinen Antrag jedoch erkennbar nur auf eine bestimmte Norm – beispielsweise auf § 97 UrhG – ohne zugleich zu den Voraussetzungen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes vorzutragen, so ist der Streitgegenstand darauf begrenzt. Weist das Gericht die Klage ab, so steht die Rechtskraft des Urteils einer auf andere Normen gestützten Klage nicht entgegen.108 Beispielsweise sind die Herabsetzung von Produkten durch eine abträgliche Wortwahl und die irreführende Darstellung der von den Produkten ausgehenden Gefahren sind auch bei einem identischen Klageantrag unterschiedliche Streitgegenstände.109 Der ausschließlich auf die Verwendung abträglicher Begriffe gestützte Schadensersatzanspruch betrifft auch bei identischem Klageantrag im Kern einen anderen Lebenssachverhalt als ein Schadensersatzanspruch, der aus einer unrichtigen und deshalb irreführenden Darstellung von Gefahren der Produkte hergeleitet wird. Denn zu dem zuletzt genannten Sachverhalt gehört die objektive Unrichtigkeit der verbreiteten Behauptung.110
103
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BGH GRUR 2007, 691 Tz 17 – Staatsgeschenk; BGH GRUR 2007, 172 – Lesezirkel II; BGH GRUR 2007, 605 – Umsatzzuwachs; BGH GRUR 2001, 755, 756 – Telefonkarte; BGH Urt vom 20.9.2007, Az I ZR 171/04, Tz 22 – Saugeinlagen; Berneke WRP 2007, 579; Teplitzky WRP 2007, 1; Grosch FS Schilling 207, 208. BGH GRUR 2006, 421, 422 – Markenparfümverkäufe; zustimmend Lehment WRP 2007, 237, 238; krit hierzu Teplitzky WRP 2007, 1 ff; Teplitzky WRP 2007, 397 ff.
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109 110
Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 2.23. BGH GRUR 2006, 429, 433 – SchlankKapseln. BGH GRUR 2003, 716, 717 – Reinigungsarbeiten. BGH GRUR 2001, 756, 757 – Telefonkarte; Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 2.23a. BGH Urt vom 20.9.2007, Az I ZR 171/04, Tz 22 – Saugeinlagen. BGH Urt vom 20.9.2007, Az I ZR 171/04, Tz 23 – Saugeinlagen.
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1. Teil
c) Unterschiedliche Territorien. Ansprüche aus der Verletzung von im Ausland bestehenden urheberrechtlichen Rechtspositionen sind im Verhältnis zu Ansprüchen aus der Verletzung von Rechten nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz nach Auffassung der Rechtsprechung eigene Streitgegenstände. Daher muss der Kläger zweifelsfrei klarstellen, dass er mit der Klage auch die Verletzung im Ausland bestehender Rechte geltend machen will.111 3. Kerntheorie
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Der Verbotstenor umfasst grundsätzlich auch abgewandelte, den selben Kern enthaltende Handlungen. Diese sogenannte Kerntheorie wurde vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt.112 Vom Schutzumfang eines Unterlassungstitels werden daher auch sämtliche Handlungen erfasst, die mit der im Tenor beschriebenen Handlung im Kern überstimmen, dh die mit der verbotenen Verletzungshandlung zwar nicht identisch sind, die aber lediglich solche Abweichungen aufweisen, dass sie den Kern der verbotenen Handlung unberührt lassen und deshalb als gleichwertig angesehen werden.113 Der Unterlassungstitel erfasst auch solche Handlungen, die nur unbedeutend von der verbotenen Form abweichen und den Kern des gerichtlichen Verbots unberührt lassen, wenn sich nur das Charakteristische des verbotenen Verhaltens in der im anschließenden Vollstreckungsverfahren beanstandeten Handlung wiederfindet.114 Zur Auslegung des Unterlassungstitels sowie zur Ermittlung des Kerns der konkreten 65 Verletzungshandlung sind die Entscheidungsgründe heranzuziehen. 4. Verallgemeinerungen
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Begehrt der Kläger einen wettbewerbsrechtlichen Verbotsausspruch, der nicht nur die tatsächlich geäußerte Werbeaussage erfasst, sondern auch solche Werbung, die im Kern der konkret verbotenen Werbung entspricht, so ist dies grundsätzlich zulässig. Durch eine solche Verallgemeinerung kann versucht werden, einen Verbotstenor zu erhalten, der nicht bereits durch geringfügige Abänderungen der angegriffenen konkreten Werbung umgangen werden kann.115 Eine solche Verallgemeinerung soll als Hinweis darauf, dass einem gerichtlichen Verbot des Werbeverhaltens grundsätzlich nicht nur identische, sondern auch kerngleiche Handlungen unterfallen, zulässig sein.116 Diese Grundsätze, welche die Rechtsprechung zu Unterlassungsklagen im wettbewerbsrechtlichen Bereich zur Verhinderung von Umgehungen des Verbotsausspruchs entwickelt hat, sind im Recht der Bildberichterstattung nicht anwendbar.117 Die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung
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114
BGH GRUR 2007, 691 Tz 18 – Staatsgeschenk; BGH GRUR 2004, 855, 856 – Hundefigur; von Ungern-Sternberg GRUR 2008, 291, 301. BVerfG GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. Vgl zum Äußerungsrecht KG AfP 2007, 582; OLG München AfP 2001, 322; zum Wettbewerbsrecht OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 127, 131 – Euro-Service II; OLG Hamburg, GRUR 1990. 637 – Geändertes Formular. BGH GRUR 2007, 607 – Telefonwerbung
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für „Individualverträge“; OLG Köln GRUR-RR 2008, 62 – Verlosung von WM Tickets. Vgl BGH GRUR 2002, 177, 179 – Jubiläumsschnäppchen; BGH WRP 2000, 1131, 1132 – Lieferstörung; BGH GRUR 2000, 907, 909 – Filialleiterfehler. BGH GRUR 2002, 177, 179 – Jubiläumsschnäppchen; BGH NJW 1994, 2820 – Rotes Kreuz; Melullis Rn 943. BGH WRP 2008, 495 – „kerngleiche“ Bildberichterstattung.
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Einstweilige Verfügung
bedarf in jedem Einzelfall einer Interessenabwägung, die in Bezug auf Bilder, die noch gar nicht bekannt sind und bei denen insbesondere offen bleibt, in welchem Kontext sie veröffentlicht werden, naturgemäß nicht vorgenommen werden kann.118 5. Materiellrechtliche Grenzen In materiellrechtlicher Hinsicht kann ein Antrag zu weit gefasst sein, wenn beispiels- 67 weise die Aktivlegitimation nicht für sämtliche Rechte nachgewiesen wird, für bestimmte Handlungen keine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr vorliegt oder das vermeintliche Recht auf das der Antrag – teilweise – gestützt wird, nicht (mehr) existiert. Wird beispielsweise ein Musikwerk unzulässigerweise als Handyklingelton verwendet, so geht ein Antrag der sich allgemein gegen die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes „in bearbeiteter Form“ richtet, zu weit.119Als materiellrechtlich zu weitgehend hat das OLG München beispielsweise den Antrag angesehen, Beiträge aus bestimmten – namentlich genannten – Fachzeitschriften per E-Mail oder auf sonstige einzeln bezeichnete Übertragungsarten anzubieten oder zu versenden, da die Möglichkeit bestehe, dass von dem Antrag auch schutzunfähige Beiträge oder Beiträge, an denen die Kläger keine Nutzungsrechte haben, umfasst sind.120 Nicht selten wird in urheberrechtlichen Verfahren auch unrichtigerweise neben dem Verbot der Verwertung auch ein Verbot der Veröffentlichung eines Werkes beantragt, obwohl dieses bereits rechtmäßig veröffentlicht wurde und das Veröffentlichungsrecht damit bereits erbraucht ist. § 12 UrhG erfasst nur die Erstveröffentlichung.121
III. Voraussetzungen 1. Verfügungsanspruch Der Verfügungsanspruch ist die materiell-rechtliche Grundlage, auf welche der Antrag- 68 steller sein Antragsbegehren stützt.122 Im Verfügungsverfahren werden typischerweise Unterlassungsansprüche durchgesetzt. Die Unterlassungsverfügung dient der vorläufigen Sicherung des Unterlassungsanspruches. Ohne die Verfügung wäre der Unterlassungsanspruch bei Fortdauer der Rechtsverletzung für den betreffenden Zeitraum endgültig vereitelt. Die Unterlassungsverfügung führt zwar – für einen Zeitraum – zu einer Befriedigung des Unterlassungsanspruchs. Gleichwohl handelt es sich lediglich um eine vorläufige Sicherungsmaßnahme. Neben dem Unterlassungsanspruch kann auch der Drittauskunftsanspruch aus § 101 Abs 1 UrhG sowie der Auskunftsanspruch gegen Dritte aus § 101 Abs 2 UrhG gem § 101 Abs 7 UrhG im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden, wenn eine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt.123 Schließlich kann auch der Vernichtungsanspruch gesichert werden. Da im einstweiligen Rechtsschutz keine endgültigen Verhältnisse geschaffen werden dürfen, kommt eine Vernichtung der
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BGH WRP 2008, 495, 496 – „kerngleiche“ Bildberichterstattung. OLG Hamburg NJW-RR 2002, 1410 – Handy-Klingeltöne. OLG München MMR 2007, 525, 526 – Subito. Schack Rn 328; Schricker/Dietz § 12 UrhG Rn 7; von Welser 27 f; dagegen LG Berlin
122 123
GRUR 1983, 761 – Portraitbild; OLG München NJW-RR 1997, 493, 494 – Zeichen am Himmel. Wandtke/Bullinger/Kefferpütz Vor §§ 97 ff UrhG Rn 91. Vgl OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 381 – BetriebsratsCheck.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
Gegenstände, da diese vollendete Tatsachen schafft, nicht in Betracht. Daher kann lediglich eine Sequestration der Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher angeordnet werden. 2. Verfügungsgrund
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Nach § 935 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ein Verfügungsgrund liegt somit vor, wenn die Sache eilbedürftig ist. Für diese Eilbedürftigkeit wird synonym auch das Wort Dringlichkeit verwendet.124
70
a) Dringlichkeitsvermutung. § 12 Abs 3 UWG begründet für Unterlassungsansprüche eine Vermutung der Dringlichkeit, so dass der Antragsteller im Lauterkeitsrecht von der Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit befreit ist. Inwieweit diese Vorschrift bei den Spezialgesetzen zum Schutz des geistigen Eigentums anwendbar ist, ist umstritten. Während nach überwiegender Meinung § 12 Abs 3 UWG auch bei kennzeichenrechtlichen Unterlassungsansprüchen125 anwendbar sein soll, gilt dies beispielsweise im Urheberrecht nicht.126 Hier muss die Eilbedürftigkeit also besonders begründet werden.
71
b) Zeitraum zwischen Kenntniserlangung und Antragseinreichung. Ob eine Sache dringlich ist, richtet sich nach der Zeitspanne zwischen der Kenntnisnahme von der Rechtsverletzung und der Beantragung der einstweiligen Verfügung. Die Oberlandesgerichte beurteilen die Frist, innerhalb derer ein Antrag noch als dringlich anzusehen ist, unterschiedlich. Die Bandbreite liegt zwischen einem und bis zu sechs Monaten, wobei zum Teil Regelfristen entwickelt wurden, stets aber die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Das OLG München geht von einer Frist von vier Wochen 127 und in anderen Entscheidungen von einem Monat aus, nach deren Verstreichen die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist.128 Das LG Bochum, das LG Düsseldorf und das LG Köln haben sich in Einzelfällen bereits dieser Monatsfrist angeschlossen. Das Oberlandesgericht Hamburg war früher in besonderen Fällen auch noch mehrere Monate nach Kenntniserlangung von der Rechtverletzung bereit, eine besondere Eilbedürftigkeit anzunehmen.129 Nach der neueren Rechtsprechung des OLG Hamburg ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs 2 UWG in aller Regel widerlegt, wenn der Verletzte fast zwei Monate zwischen der Kenntniserlangung von dem Wettbewerbsverstoß und der Einreichung des Verfügungsantrages vergehen lässt, ohne den Verletzten vorher abzumahnen.130 In einer anderen Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamburg ein Zuwarten von sechs Wochen als dringlichkeitsschädlich beurteilt.131
124
125 126
Vgl OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 181 – Slowakischer Fußball; KG NJW-RR 2001, 1201 – Aufstellung einer Skulptur in Gartenanlage; OLG Köln GRUR 2000, 417 – Elektronischer Pressespiegel. OLG München WRP 2007, 201 – Dringlichkeit bei Markenverletzungen. Vgl Wandtke/Bullinger/Kefferpütz Vor §§ 97 ff UrhG Rn 93; OLG Hamburg, GRUR-RR 2002, 249 – Handy-Klingeltöne.
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OLG München GRUR 1980, 1017 – Contact-Linsen; OLG München GRUR 1980, 329 – Vertriebsunternehmen. OLG München GRUR 1992, 328 – Dringlichkeitsvermutung. OLG Hamburg GRUR 1983, 436 – Puckmann. OLG Hamburg WRP 2007, 1251, 1252 – Simyo Industries. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 302, 304 – Titelseite.
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§4
Einstweilige Verfügung
3. Glaubhaftmachung Ebenso wie ein Kläger in einem ordentlichen Klageverfahren diejenigen Tatsachen 72 darzulegen und zu beweisen hat, die seine Ansprüche begründen, muss der Antragsteller diese im einstweiligen Verfügungsverfahren glaubhaft machen. Die Glaubhaftmachung ist eine vereinfachte Form der Beweisführung. Zur Glaubhaftmachung können sämtliche nach der ZPO zulässigen Beweismittel verwendet werden. Ein abschließender Katalog von Glaubhaftmachungsmitteln existiert nicht. Außerdem sind insbesondere auch eidesstattliche Versicherungen zulässig.132 Grundsätzlich muss der Antragsteller auch das Nichtvorliegen etwaiger Einreden und 73 Einwendungen glaubhaft machen.133 Diese Glaubhaftmachungslast erstreckt sich freilich nicht auf alle denkbaren Umstände, die dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehen könnten, sondern nur auf solche, deren Vorliegen aufgrund des ansonsten vorgetragenen Sachverhalts sowie gegebenenfalls der Beantwortung der Abmahnung als wahrscheinlich erscheint. Die Anforderung an die Glaubhaftmachung dürfen nicht überspannt werden. Insbe- 74 sondere bei urheberrechtlichen Rechteketten kann ein lückenloser Nachweis sehr schwierig sein. Da hier unter Umstünden langwierige Recherchen erforderlich wären, betont die Rechtsprechung, dass ein schneller und wirksamer Rechtsschutz nicht dadurch unmöglich gemacht werden darf, dass man dem Rechteinhaber nicht gestattet, mit einigermaßen plausiblen Glaubhaftmachungsmitteln einen einstweiligen Titel zu erwirken, weil sich später herausstellen kann, dass sich etwaige Lücken in der Rechtekette nur durch in zweiter Instanz vorgelegtes Material schließen lassen.134 Das OLG Hamburg verweist zur Begründung darauf, dass sich die Anforderungen an ein Parteivorbringen auch danach richten, wie sich die Gegenseite zum Vortrag des Antragstellers einlässt.135 Bei längerer Recherche riskiert der Antragsteller, dass die Eilbedürftigkeit seines Antrags verneint wird. 4. Mündliche Verhandlung Findet eine mündliche Verhandlung statt, so gelten grundsätzliche die Vorschriften 75 der ZPO über die mündliche Verhandlung. Eine Besonderheit besteht allerdings darin, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung auch völlig neue Tatsachen einbringen können.136 5. Prozessleitung Grundsätzlich ist es Sache der Parteien, zum Sach- und Streitstand vorzutragen und 76 zu entscheiden, welche Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Rechtsstreit eingeführt werden sollen. Nach § 139 Abs 1 ZPO hat das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern. Dabei soll das Gericht dahin wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Diese Hinweispflicht gilt grundsätzlich auch im Verfügungsverfahren.137 132 133 134
Wandtke/Bullinger/Kefferpütz Vor §§ 97 ff UrhG Rn 92. Wandtke/Bullinger/Kefferpütz Vor §§ 97 ff UrhG Rn 91. OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 135 – Bryan Adams.
135 136 137
OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 135, 135 – Bryan Adams. Berneke Rn 145; Klute GRUR 2003, 34. Vgl OLG Stuttgart NJW 2001,1145 – Hinweispflicht und Befangenheit; Berneke Rn 145; krit zur Anwendung im einseitigen
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
6. Vollziehung der einstweiligen Verfügung
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a) Erfordernis der Vollziehung. Eine einstweilige Verfügung muss nach §§ 929 Abs 2, 936 ZPO innerhalb eines Monats nach Zustellung (Beschluss) bzw Verkündung (Urteil) vollzogen werden, anderenfalls verliert sie nach § 929 Abs 2 ZPO ihre Wirkung. Der Verfügungsgegner kann sie dann nach § 927 Abs 1 ZPO aufheben lassen. Unter der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung ist nach §§ 928, 936 ZPO grundsätzlich deren Vollstreckung zu verstehen. Da die Vollstreckung eines Unterlassungsgebotes mittels Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO erst dann in Betracht kommt, wenn der Schuldner gegen dieses Gebot verstoßen hat, genügt zur Vollziehung bereits die Zustellung der mit der Ordnungsmittelandrohung versehenen Entscheidung im Parteibetrieb nach §§ 191, 192 ZPO.138 Ebenso als Vollziehung anzusehen wäre ein separater Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln, was in der Praxis indes selten vorkommt, da der Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln in aller Regel in den Verfügungsantrag aufgenommen wird.
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b) Monatsfrist. Die Notwenigkeit der Vollziehung im Parteibetrieb gilt auch für Urteilsverfügung, die gem § 317 ZPO bereits von Amts wegen zugestellt werden. Ist seit dem Tag, an dem die einstweilige Verfügung verkündet (Urteilsverfügung) oder dem Antragsteller zugesandt worden ist (Beschlussverfügung), ein Monat verstrichen, so kann diese nicht mehr vollzogen werden.139 Der Antragsgegner könnte dann die Verfügung entweder durch einen Widerspruch nach §§ 924, 936 ZPO oder durch einen Antrag nach §§ 927, 936 ZPO aufheben lassen. Bei Auslandszustellungen reicht die rechtzeitige Beantragung aus.140
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aa) Beschlussverfügungen. Einstweilige Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege ergehen, werden dem Antragsteller vom Gericht zugesandt. Der Antragsgegner erhält hingegen vom Gericht keine Zustellung oder Mitteilung. Vielmehr hat der Antragsteller die Beschlussverfügung im Parteibetrieb zustellen zu lassen. Die einmonatige Vollziehungsfrist beginnt mit dem Zugang der Beschlussverfügung beim Antragsteller.
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bb) Urteilsverfügungen. Bei der nach einer mündlichen Verhandlung erlassenen Urteilsverfügung beginnt die Monatsfrist für die Zustellung im Parteibetrieb mit der Verkündung des Urteils. Die Urteilsverfügung wird zwar beiden Parteien von Amts wegen zugestellt. Gleichwohl muss der Antragssteller sie noch vollziehen. Die Zustellung durch das Gericht reicht also keinesfalls aus. 81 Da die Vollziehungsfrist bereits mit der Verkündung des Verfügungsurteils zu laufen beginnt, ist der Antragsteller gehalten, frühzeitig bei Gericht um Aushändigung einer geeigneten Urteilsausfertigung nachzusuchen. Die Vollziehungsfrist wird nämlich insbesondere nicht dadurch gehemmt, dass der Antragsteller auf die Aushändigung einer solchen Urteilsausfertigung warten muss. Wird eine einstweilige Verfügung auf einen Widerspruch hin modifiziert oder auf die Berufung des Antragsgegners in der zweiten Instanz neu erlassen, so bedarf es einer erneuten Zustellung.141
138 139
Beschlussverfahren Teplitzky GRUR 2008, 34. Vgl BGH GRUR 1993, 415 – Straßenverengung; Teplitzky Kap 55 Rn 40. § 929 Abs 2 ZPO stellt zwar auf die „Zustellung“ der Beschlussverfügung an den Antragsteller ab; allerdings setzt auch eine formlose Aushändigung des Beschlusses, da
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der Verfügungsgläubiger von diesem Zeitpunkt an zustellen kann (Zöller/Vollkommer § 929 ZPO Rn 5; Berneke Rn 305; Ahrens/ Berneke Kap 57 Rn 50). Vgl OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 94, 95 – Zustellung im Parteibetrieb; Berneke Rn 308. OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 68;
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Einstweilige Verfügung
c) Heilung. War der Zustellungsvorgang mangelhaft, so kommt eine Heilung nach 82 § 189 ZPO in Betracht.142 Ist nicht der Zustellungsvorgang, sondern das zugestellte Schriftstück selbst mangelhaft, so kommt eine Heilung nach § 189 ZPO nicht in Betracht.143 d) Zuzustellendes Dokument. Grundsätzlich ist eine Ausfertigung oder eine beglau- 83 bigte Abschrift zuzustellen.144 Die Zustellung muss dergestalt erfolgen, dass das gerichtliche Gebot aus sich heraus verständlich ist.145 Dabei darf beispielsweise keine Seite fehlen.146 aa) Ausfertigung. Bei der Zustellung im Parteibetrieb wird dem Zustellungsadressaten 84 eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift der Verfügung ausgehändigt.147 Der Gerichtsvollzieher übergibt dem Schuldner die Ausfertigung bzw die beglaubigte Abschrift verbunden mit der beglaubigten Abschrift des Zustellungsvermerkes. Anschließend erhält der Gläubiger die Ausfertigung fest verbunden mit der Zustellungsurkunde zurück. Vor Weiterleitung der Dokumente an den Gerichtsvollzieher empfiehlt es sich dringend diese auf ihre Fehlerlosigkeit hin zu überprüfen. Denn eine unvollständige Ausfertigung kann nicht Grundlage einer wirksamen Vollziehung sein.148 Die Ausfertigung muss die Unterschriften der Richter wiedergeben.149 Eine zum 85 Zwecke der Zustellung hergestellte Ausfertigung muss die Urschrift wortgetreu wiedergeben. Gibt die zugestellte Ausfertigung die Unterschrift eines Richters wieder, der das Urteil nicht selbst unterschrieben hat, enthält sie einen derart schwerwiegenden Fehler, dass die Zustellung nicht als wirksam angesehen werden kann.150 Ebenso erforderlich ist, dass die Ausfertigung einen Ausfertigungsvermerk enthält, der die Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und das Gerichtsiegel trägt.151 bb) Beglaubigte Abschrift. Die Beglaubigung der Abschriften wird nach § 192 Abs 1 86 von dem Gerichtsvollzieher vorgenommen. Die Beglaubigung kann auch durch den Rechtsanwalt erfolgen.152 Für die Beglaubigung ist erforderlich, dass sich die Beglaubigung unzweideutig auf das gesamte Schriftstück erstreckt und dessen Blätter als Einheit derart verbunden sind, dass die körperliche Verbindung als dauernd gewollt erkennbar und nur durch Gewaltanwendung zu lösen ist.153 Eine aus mehreren Blättern bestehende Abschrift einer Beschlussverfügung sollte mit Heftklammern zusammengeheftet werden, wobei sich der Beglaubigungsvermerk auf dem letzten Blatt befinden und sich damit auf das gesamte zugestellte Schriftstück beziehen sollte.154
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OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 152; Kühnen/Geschke Rn 689. Vgl Zöller/Vollommer § 929 ZPO Rn 14; Ahrens/Berneke Kap 57 Rn 42; Klute GRUR 2005, 924. Teplitzky Kap 55 Rn 47a; Harte/Henning/ Retzer § 12 UWG Rn 539; Zöller/Stöber § 189 ZPO Rn 8; dagegen Musielak/Wolst § 189 ZPO Rn 2. Berneke Rn 316. Vgl OLG Düsseldorf GRUR 1984, 78 – Vollziehung ohne Anlagen; OLG Köln GRUR 1987, 404 – Unvollständige Zustellung. BGH GRUR 1998, 746 – Unzulängliche Zustellung.
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Vgl BGH GRUR 2004, 264, 265 – EuroEinführungsrabatt; Berneke Rn 316; Kühnen/Geschke Rn 687. BGH GRUR 1998, 746 – Unzulängliche Zustellung. Vgl OLG Hamm GRUR 1989, 298. OLG Hamm GRUR 1989, 298. Vgl OLG Hamburg WRP 1994, 408, 409; Berneke Rn 317; MüKo/Schlingloff § 12 UWG Rn 512. Zöller/Stöber § 192 ZPO Rn 6. Instruktiv BGH GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; vgl BGH NJW 1974, 1383, 1384. BGH GRUR 2004, 264, 265 – Euro-Einführungsrabatt; Bernecke Rn 318.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
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cc) Antragsschrift und Anlagen. Ob zusätzlich die Antragsschrift oder weitere Anlagen zuzustellen sind, beurteilt sich danach, ob dies gerichtlich angeordnet ist. Bei Beschlussverfügungen ist dies zumindest dann, wenn die Verfügung nicht aus sich heraus klar und eindeutig ist, geboten.155 Selbiges gilt, wenn Dokumente durch ausdrückliche Bezugnahme im Tenor der Entscheidung zu deren Bestandteil gemacht wurden.156 Die dem Gerichtsvollzieher nach § 192 Abs 2 ZPO auszuhändigenden Schriften müssen ebenfalls einen Ausfertigungsvermerk enthalten. Auch zuzustellende Anlagen müssen beglaubigt werden, wobei der Beglaubigungsvermerk das gesamte Dokument umfassen muss.
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e) Zustellungsadressat. Grundsätzlich ist der Antragsgegner selber und nicht sein anwaltlicher Vertreter Zustellungsadressat. Sofern der Antragsgegner im Verfügungsverfahren anwaltlich vertreten wurde, ist an seinen Verfahrensbevollmächtigten zuzustellen. Andernfalls ist die Verfügung nicht wirksam vollzogen.157 Wurde der Antragsgegner in einem vorausgegangenen Abmahnverfahren von einem Rechtsanwalt vertreten, so rechtfertigt dies allein noch nicht, ihn als Zustellungsadressaten anzusehen.158 In Zweifelsfällen bietet es sich an, sowohl an den Antragsgegner selbst als auch an seinen anwaltlichen Vertreter zuzustellen.
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f) Antrag bei der Parteizustellung. Die Zustellung wird dadurch eingeleitet, dass an die Gerichtsvollzieherverteilerstelle des zuständigen Amtsgerichtes am Sitz des Antragsgegners ein entsprechender Zustellungsauftrag gerichtet wird. Dem Gerichtsvollzieher sind das zuzustellende Schriftstück und die erforderlichen Abschriften nach § 192 Abs 2 ZPO auszuhändigen. Da die Urschrift (Original) der Verfügung in den Gerichtsakten verbleibt, handelt es sich dabei um Ausfertigungen. Bei Urteilsverfügungen reicht auch eine so genannte abgekürzte Ausfertigung nach § 750 Abs 1 ZPO, die keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält, grundsätzlich aus.159
90
g) Zustellung von Anwalt zu Anwalt. Grundsätzlich ist die einstweilige Verfügung dem Antragsgegner zuzustellen. Hat der Antragsgegner einen Verfahrensbevollmächtigen, so muss an diesen zugestellt werden.160 Eine Bestellung mit der Folge, dass der Verfahrensbevollmächtigte zum Zustellungsadressaten wird, liegt vor, wenn dieser dem Gericht oder dem Antragsteller mitgeteilt hat, für das Verfahren bevollmächtigt zu sein. Gegebenfalls kann bereits die Einreichung einer Schutzschrift ausreichen, wenn der Antragsteller von ihr Kenntnis erlangt.161 Der Antragssteller ist aber gut beraten, in Zweifelsfällen sowohl an den Antragsgegner, als auch an dessen mutmaßlichen Verfahrensbevollmächtigen zuzustellen. Nach § 195 ZPO kann von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn beide Parteien anwaltlich vertreten sind. Die Einschaltung eines Gerichtsvollziehers erübrigt sich in solchen Fällen. In aller Regel erfolgt die Zustellung
155
156 157
Vgl OLG Düsseldorf, GRUR 1984, 78 – Vollziehung ohne Anlagen; Kühnen/Geschke Rn 687; MüKo/Schlingloff § 12 UWG Rn 512. OLG Köln GRUR 1987, 404 – Unvollständige Zustellung. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 296 – Sicherheitsprofil; OLG Hamburg Urt vom 30.6.2005, Az 3 U 221/04 NJOZ 2007, 2691 Vollziehung einer Urteils-Unterlassungsverfügung.
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OLG Düsseldorf GRUR-RR 2005, 102 – Haartrockner; OLG Köln GRUR-RR 2005, 143 – Couchtisch; MüKo/Schlingloff § 12 UWG Rn 508. MüKo/Schlingloff § 12 UWG Rn 513. OLG Köln GRUR 2001, 456 – Wahrung der Vollziehungsfrist; Teplitzky Kap 55 Rn 43. Vgl OLG Köln GRUR-RR 2001, 71 – Schutzschriftanwalt.
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Einstweilige Verfügung
mit Hilfe eines vorbereiteten Empfangsbekenntnisses, welches von dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zu unterzeichnen und zurückzusenden ist. Die Zustellung ist insofern vereinfacht, als anstelle der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher die einfache Übersendung per Post oder per Telefax ausreicht. Die einstweilige Verfügung ist dann zugestellt, wenn der Anwalt des Antragsgegners von der Verfügung Kenntnis erlangt und seinen Annahmewillen durch die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses bekundet.162 Zur Unterzeichnung eines solchen Empfangsbekenntnisses ist der Anwalt standesrechtlich verpflichtet. h) Zustellung im Ausland. Soll die Entscheidung eines deutschen Gerichts in einem 91 Mitgliedstaat der Europäischen Union vollstreckt werden, ist zu beachten, dass Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Gerichte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, denen kein kontradiktorisch angelegtes Verfahren vorausgegangen ist, nicht auf der Grundlage der EuGVVO anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können.163 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind gerichtliche Entscheidungen, durch die einstweilige oder auf eine Sicherung gerichtete Maßnahmen angeordnet werden und die ohne Ladung der Gegenpartei ergangen sind, im Anwendungsbereich der EuGVÜ nicht vollstreckbar.164 Der Bundesgerichtshof überträgt diese Auffassung auf die EuGVVO.165 Bei einer Zustellung außerhalb des Geltungsbereiches der EuGVVO ist zu beachten, 92 dass die Zustellung von Titeln mit Strafandrohungen nicht selten als unzulässig angesehen werden.166 Begründet wird dies mit der Unzulässigkeit des Eingriffes in fremde Hoheitsrechte.167 Aus diesem Grund kann es sich empfehlen, in den Verfügungsantrag zunächst keine Strafandrohung aufzunehmen. Bestellt sich für den Verfügungsschuldner später ein inländischer Prozessvertreter, so kann diesem gegebenenfalls ein nachträglicher Androhungsbeschluss zugestellt werden. g) Folgen der Fristversäumung. Die Vollziehungsfrist ist der Disposition der Parteien 93 entzogen. Sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden. Bei ihrer Versäumung gibt es im Zivilprozess keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die unterbliebene Vollziehung führt auf Antrag des Verfügungsschuldners zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung und zur Ablehnung des Verfügungsantrags im Rechtsmittelverfahren sowie zur Auferlegung der Verfahrenskosten.168
IV. Sofortige Beschwerde Lehnt das Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung ab, so kann der Antrag- 94 steller hiergegen mit der sofortigen Beschwerde vorgehen. 162 163
164
BGH WRP 2007, 189, 190 – Empfangsbekenntnis. BGH GRUR 2007, 813 – Ausländischer Arrestbeschluss; EuGH GRUR Int 1980, 512 – Denilauler; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht Rn 825; Wandtke/ Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 29; vgl hierzu auch KG NJW-WettbR 1999, 161 – Vollzug einer Beschlussverfügung. EuGH GRUR Int 1980, 512, 514 – Denilauler.
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BGH GRUR 2007, 813, 814 – Ausländischer Arrestbeschluss. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 12 UWG Rn 2.49; Harte/Henning/Brüning Vor § 12 UWG Rn 118. Vgl Schack Internationales Zivilverfahrensrecht Rn 980; Schütze Internationales Zivilprozessrecht Rn 564. BGH GRUR 1993, 415 – Straßenverengung; KG WRP 2007, 810, 811 – Wahrung der Vollziehungsfrist.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
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V. Rechtsbehelfe 95
Gegen die einstweilige Verfügung stehen verschiedene Rechtsbehelfe zur Auswahl. Dies sind der Widerspruch (gegen Beschlussverfügungen), die Berufung (gegen Urteilsverfügungen) und bestimmte Anträge auf Aufhebung. 1. Widerspruch
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Gegen eine Beschlussverfügung kann Widerspruch nach §§ 924, 936 ZPO eingelegt werden. Durch Widerspruch gegen eine Beschlussverfügung erreicht der Antragsgegner, dass über den Verfügungsantrag mündlich verhandelt wird.169 Der Widerspruch kann darauf gestützt werden, dass die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, der Verfügungsgrund oder der Verfügungsanspruch bei Erlass der einstweiligen Verfügung nicht vorlagen, letztere also von Anfang an nicht gerechtfertigt war. Auch die Versäumung der Vollziehungsfrist nach §§ 929 Abs 2, 936 ZPO können den Widerspruch rechtfertigen. Nach § 95 Abs 1 Nr 4c) GVG sind Kennzeichen- und Geschmacksmustersachen grundsätzlich Handelssachen. Die Kammern für Handelssachen sind nach § 96 Abs 1 GVG zuständig, wenn dies beantragt wird. Sollte in Markensachen eine einstweilige Verfügung von einer allgemeinen Zivilkammer erlassen worden sein, so empfiehlt es sich für den Widersprechenden zu beantragen, dass die Kammer für Handelssachen über den Widerspruch entscheidet. Erfahrungsgemäß fällt es einer Kammer, die über einen bestimmten Sachverhalt noch nicht entschieden hat, leichter, die Angelegenheit unvoreingenommen zu beurteilen, als einer Kammer, die die einstweilige Verfügung erlassen hat und sich insofern schon eine Meinung gebildet hat. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Widersprechende seinen Widerspruch nicht auf eigenen neuen Sachvortrag stützt, sondern im Wesentlichen auf rechtliche Erwägungen. Besondere Formen des Widerspruches sind der Kostenwiderspruch und der Unterwer97 fungswiderspruch. Mit beiden setzt sich der Schuldner gegen die Auferlegung der Kosten zur Wehr.
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a) Kostenwiderspruch. Sofern der Widerspruch nach Meinung des Antragsgegners in der Sache begründet war, kann er auch einen Widerspruch nur gegen die Kostenentscheidung erheben. Ein solches Vorgehen bietet sich beispielsweise dann an, wenn der Antragsteller es unterlassen hat, den Antragsgegner vor Beantragung der einstweiligen Verfügung abzumahnen und die Abmahnung nicht aus besonderen Gründen entbehrlich war.
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b) Unterwerfungswiderspruch. Dem Antragssteller sind die Kosten des Verfügungsverfahrens bei unterbliebener Abmahnung nach § 93 ZPO auch dann aufzuerlegen, wenn der Antragsgegner nach Zustellung der einstweiligen Verfügung eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt und gleichzeitig vollen Umfangs Widerspruch einlegt.170 Umstritten ist, wie sich eine erst nach Widerspruchseinlegung abgegebene Unterlassungserklärung auswirkt. Nach einer Auffassung ist ein Unterwerfungswiderspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO sogar noch in der mündlichen Verhandlung möglich.171 Sofern im Einzelfall nicht wirklich triftige Gründe dagegen sprechen, sollte die Unterlassungserklärung vorher oder zeitgleich mit dem Widerspruch abgegeben werden. Da
169 170
Berneke Rn 190. OLG Hamburg GRUR 1988, 242; Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 3.42; Teplitzky Kap 55 Rn 10.
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OLG Hamburg WRP 1972, 537; OLG Celle WRP 1975, 242; OLG München WRP 1976, 264; Harte/Henning/Retzer § 12 UWG Rn 488; Berneke Rn 246.
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Einstweilige Verfügung
durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr entfällt, muss der Antragssteller die Hauptsache für erledigt erklären. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung wird nach § 91a ZPO durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens entschieden. 2. Berufung Gegen eine Urteilsverfügung kann nach § 511 ZPO Berufung eingelegt werden. Der 100 Antragsgegner kann die Berufung insbesondere auch damit begründen, dass die Verfügung zwischenzeitlich der Aufhebung wegen verändertere Umstände – beispielsweise aufgrund der Versäumung der Vollziehungsfrist – unterliegt.172 3. Aufhebungsanträge Daneben kann der Verfügungsschuldner wahlweise auch die Aufhebung der einst- 101 weiligen Verfügung wegen Nichterhebung der Hauptsacheklage (§ 926 ZPO) oder wegen veränderter Umstände (§ 927 ZPO) beantragen. Veränderte Umstände sind unter anderem das nachträgliche Erlöschen des Verfügungsanspruchs, das Ergehen eines den Verfügungsanspruch verneinenden Urteils im Hauptsachverfahren oder die Versäumung der Vollziehungsfrist nach §§ 929 Abs 2, 936 ZPO. Erweist sich die Anordnung einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die Anordnung aufgrund § 926 Abs 2 ZPO aufgehoben, ist der Antragsteller gem § 945 ZPO auch verpflichtet, dem Antragsgegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der einstweiligen Verfügung oder dadurch entstanden ist, dass er Sicherheit geleistet hat, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu erwirken.
VI. Abschlussverfahren 1. Funktion Die einstweilige Verfügung ist nur ein vorläufiger Titel. Der Verfügungsschuldner 102 kann die bereits dargestellten Rechtsbehelfe gegen die Verfügung einlegen.173 Die Abschlusserklärung beseitigt diese Bestandsschwäche des Verfügungstitels, indem sie ihn einem endgültigen Titel gleichstellt.174 Die Erklärung muss also zumindest zum Ausdruck bringen, dass durch sie der Verfügungstitel nach Bestandskraft und Wirkung als einem entsprechenden Hauptsachetitel gleichwertig anerkannt wird, mit der Folge, dass auf sämtliche Möglichkeiten eines Vorgehens gegen den Titel und den titulierten Anspruch verzichtet wird, die auch durch einen rechtskräftigen Hauptsachetitel ausgeschlossen wären.175 Will der Antragsgegner nicht gegen die einstweilige Verfügung vorgehen, so empfiehlt es sich, von sich aus innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung eine Abschlusserklärung abzugeben. Eine Abschlusserklärung muss dem Inhalt der einstweiligen Verfügung entsprechen damit sie die angestrebte Gleichstellung des vorläufigen mit dem Hauptsachetitel erreichen kann und das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage entfallen lässt.176 172 173
Harte/Henning/Retzer § 12 UWG Rn 500; Berneke Rn 215. Vgl Teplitzky Kap 43 Rn 2.
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BGH GRUR 2005, 692, 694 – „statt“-Preis. Teplitzky Kap 43 Rn 8. BGH GRUR 2005, 692 – „statt“-Preis.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
2. Abschlussschreiben
103
Das Abschlussschreiben ist eine Aufforderung an den Verfügungsschuldner, eine Abschlusserklärung abzugeben. In aller Regel wird diese Aufforderung mit der Androhung einer Klageerhebung für den Verweigerungsfall verbunden.177 Erhebt der Verfügungsgläubiger eine Hauptsacheklage ohne vorher ein Abschlussschreiben versendet zu haben, so riskiert er, bei sofortigem Anerkenntnis nach § 93 ZPO die Prozesskosten tragen zu müssen.178 Ebenso wie bei der Abmahnung der Entwurf einer Unterlassungsklärung beigefügt werden kann, besteht die Möglichkeit – allerdings nicht die Verpflichtung – dem Abschlussschreiben den Entwurf einer Abschlusserklärung beizufügen. 3. Kosten
Die Kosten des Abschlussschreibens sind grundsätzlich vom Verfügungsschuldner zu erstatten, sofern für das Abschlussschreiben Veranlassung bestand. Dies kann in aller Regel erst dann bejaht werden, wenn der Verfügungsgläubiger nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung von sich aus eine Abschlusserklärung abgegeben hat.179 Ausnahmen von dem Grundsatz der Erstattungsfähigkeit gelten dann, wenn der Gläubiger in einem durchschnittlich komplizierten Fall über eine eigene Rechtsabteilung verfügt oder wenn das Abschlussschreiben nicht erforderlich war.180 Letzteres ist der Fall, wenn der Schuldner sich bereits zuvor unterworfen oder eine Abschlusserklärung abgegeben hatte. Gibt der Schuldner eine Abschlusserklärung ab, bejaht die wohl überwiegende An105 sicht eine Analogie zu § 12 Abs 1 S 2 UWG.181 Nach anderer Ansicht kann nach wie vor auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag zurückgegriffen werden.182
104
§5 Klage 106
Der Verletzte kann seine Ansprüche (daneben) auch im Hauptsacheverfahren geltend machen. Anders als im Verfügungsverfahren, in dem im wesentlichen nur die Unterlassungs-, Drittauskunfts- und Vernichtungsansprüche durchgesetzt bzw gesichert werden können, sind im Klageverfahren sämtliche Ansprüche insbesondere auch Schadensersatzansprüche und die zur Bezifferung erforderlichen unselbständigen Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche durchsetzbar. Eine Besonderheit bei Immaterialgüterrechtsverletzungen besteht darin, dass die Schadensersatzfeststellungsklage hier die sonst übliche Stufenklage in ihrer praktischen Bedeutung völlig verdrängt.
177 178 179 180
Vgl OLG Frankfurt WRP 2007, 556, 557. Harte/Henning/Retzer § 12 UWG Rn 652; Berneke Rn 343. Berneke Rn 404; Kühnen/Geschke Rn 696. OLG Stuttgart WRP 2007, 688, 689 – Abschlusserklärung.
258
181
182
Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 12 UWG Rn 3.73; Nill GRUR 2005, 740, 741; dagegen Teplitzky FS Ulmann 999, 1005. Vgl BGH GRUR 1973, 384, 385 – Goldene Armbänder; Teplitzky FS Ullmann 2006, 999, 1005.
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§6
Vollstreckung
I. Stufenklage Ist der Schaden des Gläubigers bzw die Bereicherung des Schuldners noch nicht be- 107 zifferbar, so kann der nach § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO erforderliche bestimmte Klageantrag nicht gestellt werden. Hier hilft dem Gläubiger § 254 ZPO, der eine Verbindung von Auskunfts- und Zahlungsklage im Wege der Stufenklage ermöglicht.183 Bei einem einheitlichen Streitgegenstand kann das Gericht grundsätzlich die einzelnen, unselbständigen Posten der Höhe nach verschieben, sofern die Endsumme nicht überschritten wird.184 Ein solches Vorgehen ist jedoch dann unzulässig, wenn ein auf konkrete Rechtsverletzungen gestützter Zahlungsanspruch mit Beträgen aufgefüllt wird, die einem noch nicht bezifferten Zahlungsanspruch einer Stufenklage entnommen werden. Bei Immaterialgüterrechtsverletzungen ist die Stufenklage allerdings eine seltene Ausnahme.
II. Kombination von Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsklage Die Rechtsprechung lässt auch eine Verbindung von Auskunfts- und Schadensersatz- 108 feststellungsklage zu. Das nach § 256 Abs 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse entfällt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes im Immaterialgüterrecht nicht schon dadurch, dass der Kläger im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO auf Leistung klagen könnte.185 Denn die Kombination von Auskunfts- und Feststellungsklage kann aufgrund prozessökonomischer Erwägungen geboten sein, wenn etwa auch nach erteilter Auskunft die Begründung des Schadensersatzanspruchs Schwierigkeiten bereitet. Zudem schützt die Feststellungsklage den Verletzten vor einer drohenden Verjährung. Bei einem stattgebenden Feststellungsurteil verjährt der Schadensersatzanspruch gem § 197 Abs 1 Nr 3 BGB erst in 30 Jahren. Diese großzügige Handhabung des Feststellungsinteresses durch die Rechtsprechung begründet freilich keine Verpflichtung, von der Möglichkeit der Kombination von Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsklage auch Gebrauch zu machen. Der Kläger kann ebenso eine Stufenklage einreichen.186
§6 Vollstreckung I. Überblick Die Vollstreckung von titulierten Unterlassungsansprüchen erfolgt durch Ordnungs- 109 mittel nach § 890 ZPO und setzt einen vollstreckbaren Unterlassungstitel, eine gerichtliche Ordnungsmittelandrohung, die Zustellung des Titels und der Ordnungsmittelandrohung sowie eine schuldhafte Zuwiderhandlung voraus. Vertretbare Handlungen, wie beispielsweise die Vernichtung von Gegenständen erfolgt nach § 887 ZPO. Unvertretbare Handlungen wie beispielsweise Auskunft und Rechnungslegung werden nach
183 184 185
Vgl BGH GRUR 2004, 855, 856 – Hundefigur; Schack Rn 723. BGH GRUR 1990, 353, 355 – Raubkopien. BGH GRUR 2001, 1177, 1178 – Feststellungsinteresse II; BGH GRUR 1972, 180,
186
183 – Cheri; Möhring/Nicolini/Lütje § 97 UrhG Rn 285; Ahrens/Loewenheim Kap 69 Rn 2; Melullis Rn 1057; Teplitzky Kap 52 Rn 16. BGH GRUR 2004, 855, 856 – Hundefigur.
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Kapitel 5 Durchsetzung von Ansprüchen im Bereich des Geistigen Eigentums
1. Teil
§ 888 ZPO im Wege des Zwangsmittelverfahrens vollstreckt. Die in § 888 ZPO vorgesehenen Zwangsmittel sind Beugemittel und können durch Vornahme der geschuldeten Handlung abgewendet werden. Die Abgabe von Willenserklärungen – wie beispielsweise die Einwilligung in eine Markenlöschung – wird nach § 894 ZPO vollstreckt.
II. Ordnungsmittelverfahren 110
Handelt der Schuldner eines titulierten und mit Ordnungsmittelandrohung versehenen Unterlassungsanspruches dem Unterlassungsgebot zuwider, so kann ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft verhängt werden. Nach § 890 ZPO kann alternativ auch von Anfang an Ordnungshaft verhängt werden. Für das Verschulden reicht bereits Fahrlässigkeit aus.187 Der Schuldner muss allerdings selber schuldhaft gehandelt haben. Ein Verschulden von Hilfspersonen reicht nicht aus, da weder § 278 noch § 831 BGB anwendbar sind.188 Eine juristische Person muss sich jedoch das Verschulden ihrer Organe nach § 31 BGB und ein etwaiges Organisationsverschulden zurechnen lassen.189 Ein Organisationsverschulden trifft den Betriebsinhaber schon dann, wenn er nicht unverzüglich nach erlangter Kenntnis vom Vollstreckungstitel alle ihm zumutbaren Maßnahmen trifft, um Zuwiderhandlungen zu vermeiden, insbesondere auch Verstöße von Angestellten.190 Er ist verpflichtet, ein etwaiges verbotswidriges Verhalten Dritter durch aktives Tun zu verhindern. Er muss dazu die geeigneten Anordnungen erteilen und deren Ausführung genau überwachen. Der Verbotsumfang ist nicht auf die konkrete Verletzungsform begrenzt. Die soge111 nannte Kerntheorie, nach welcher der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch solche gleichwertigen Äußerungen umfasst, die ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen den Äußerungskern unberührt lassen, wurde vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt.191 Das Mindestmaß des einzelnen Ordnungsgelds beträgt € 5,–, das Höchstmaß 112 € 250 000,–. Die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 890 ZPO ist neben der Geltendmachung eines Anspruchs auf Vertragsstrafe möglich. Eine bereits titulierte Vertragsstrafe ist bei der Festsetzung des Ordnungsmittels zu berücksichtigen.192
III. Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung 113
In Ausnahmefällen kommt auch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 719, 707 ZPO in Betracht.193 Bei einstweiligen Verfügungen hat ein solcher Antrag in der Praxis nur selten Erfolg. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nur unter besonderen Umständen möglich. Diese können darin liegen, dass bei der Entscheidung bereits feststeht, dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann.
187 188 189 190
Zöller/Stöber § 890 ZPO Rn 5. Hefermehl/Köhler/Köhler § 12 UWG Rn 6.6. BVerfG GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden; Zöller/Stöber § 890 ZPO Rn 5. OLG Zweibrücken GRUR 2000, 921 – CHRONOSLIM.
260
191 192 193
BVerfG GRUR 2007, 618 – Organisationsverschulden. OLG Köln NJW-RR 1986, 1191 – Verhängung eines Ordnungsmittels. Eingehend Klette GRUR 1982, 471.
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§7
Vorüberlegungen
Eine solche Situation liegt vor, wenn es nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Antragsgegners an der Dringlichkeit fehlt.194 In anderen Fällen bedarf es insbesondere einer Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien.195
§7 Vorüberlegungen Neben der Berechtigungsanfrage, die sich vor allem bei nicht eindeutigen Konstella- 114 tionen anbietet, hat der Schutzrechtsinhaber grundsätzlich – sofern nicht eine einstweilige Verfügung mangels Dringlichkeit ausscheidet – zwei verschiedene Möglichkeiten des Vorgehens. Er kann zunächst abmahnen oder sogleich eine einstweilige Verfügung beantragen. Entscheidet er sich für die zu letzt genannte Option und erlässt das Gericht die Verfügung im Beschlusswege, stehen ihm drei Wege offen. Er kann die Verfügung zustellen, die Abmahnung unter Hinweis auf die Verfügung nachholen oder die Abmahnung ohne Hinweis auf die Verfügung nachholen. Welche Variante vorzugswürdig ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren des Einzelfalls ab. Grundsätzlich kann der Schutzrechtsinhaber auch schon vor der Abmahnung eine 115 einstweilige Verfügung beantragen und anstelle deren Zustellung eine Abmahnung aussprechen. Dieses Vorgehen hat beispielsweise den Vorteil, dass er vor der Abmahnung die Meinung des Gerichts erfährt, was sich insbesondere bei unklaren Tatsachen- oder Rechtsfragen anbieten kann. Außerdem kann auf diese Weise in aller Regel verhindert werden, dass sich die Gegenseite durch Einreichung einer Schutzschrift Gehör bei Gericht verschafft. Einer der Nachteile dieses Vorgehens ist, dass der Schutzrechtsinhaber die Abmahnkosten später nicht gestützt auf § 12 UWG oder GoA von der Gegenseite verlangen kann.196
194 195 196
OLG Köln GRUR 1982, 504 – Gastechnik. OLG Koblenz WRP 1981, 545. OLG Köln WRP 2008, 379, 380 – Abmah-
nung bei Schubladenverfügung; Weisert WRP 2007, 504, 505.
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Teil 2 Schutzvoraussetzungen und Verwertung von Medienprodukten
Kapitel 1 Urheberrecht Literatur Anderson The Long Tail – Nischenprodukte statt Massenmarkt München 2007; Bargheer/ Bellem/Schmidt Open Access und Institutional Repositories – Rechtliche Rahmenbedingungen, in: Spindler (Hrsg) Rechtliche Rahmenbedingungen von Open Access-Publikationen Göttingen 2006, 1; Bauer/von Einem Handy-TV – Lizenzierung von Urheberrechten unter Berücksichtigung des „2. Korbs“ MMR 2007, 698; von Berger Die angemessene Übersetzung – Eine Quadratur des Kreises? ZUM 2007, 249; Bortloff Internationale Lizenzierung von Internet-Simulcasts durch die Tonträgerindustrie GRUR Int 2003, 669; Delp Das Recht des geistigen Schaffens in der Informationsgesellschaft 2. Aufl München 2003; Dietz Das Projekt Künstlergemeinschaftsrecht der IG Medien ZRP 2001, 165; Goldstein Copyright’s Highway 2. Aufl Stanford 2003; Handig Urheberrechtliche Aspekte bei der Lizenzierung von Radioprogrammen im Internet GRUR Int 2007, 206; Hilty Urheberrecht und Wissenschaft, in: Sieber/Hoeren (Hrsg) Urheber für Bildung und Wissenschaft – Anforderungen an das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft Bonn 2005, 174; Jani Urheberrechtspolitik in der 14. und 15. Wahlperiode des deutschen Bundestages UFITA 2006/II, 511; ders Der Buy-Out-Vertrag im Urheberrecht Berlin 2003; ders Was sind offensichtlich rechtswidrige Vorlagen? Erste Überlegungen zur Neufassung von § 53 Abs 1 S 1 UrhG ZUM 2003, 842; Jobs Thoughts on Music www.apple.com/hotnews/thoughtsonmusic/ (erschienen am 6.2.2007); Flatau Neue Verbreitungsformen für Fernsehen und ihre rechtliche Einordnung: IPTV aus technischer Sicht ZUM 2007, 1; Fringuelli Internet TV Frankfurt aM 2004; Kühling/Gauß Suchmaschinen – eine Gefahr für den Informationszugang und die Informationsvielfalt? ZUM 2007, 881; Langhoff/Oberndörfer/Jani Der „Zweite Korb“ der Urheberrechtsreform – Ein Überblick über die Änderungen des Urheberrechts nach der zweiten und dritten Lesung im Bundestag ZUM 2007, 593; Lehmann Ausschließlichkeitsrechte, Vergütungsansprüche und zwingende Mindestnutzungsrechte in einer digitalen Welt in: Loewenheim (Hrsg) Festschrift für Wilhelm Nordemann, München 2004; Leutheusser-Schnarrenberger Urheberrecht am Scheideweg? – Von der politischen Bedeutung für Urheber ZUM 1996, 631; Maly Softwareüberlassungsverträge 4. Aufl München 2004; Mantz Creative Commons-Lizenzen im Spiegel internationaler Gerichtsverfahren GRUR Int 2008, 20; Müller Festlegung und Inkasso von Vergütungen für die private Vervielfältigung auf der Grundlage des „Zweiten Korbes“ ZUM 2007, 777; Ott Zulässigkeit der Erstellung von Thumbnails durch Bilder- und Nachrichtensuchmaschinen ZUM 2007, 119; Poll Neue internetbasierte Nutzungsformen – das Recht der Zugänglichmachung auf Abruf (§ 19a UrhG) und seine Abgrenzung zum Senderecht (§§ 20, 20b UrhG) GRUR 2007, 476; Reinbothe Die EG-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft GRUR Int 2001, 733; ders Das Urheberrecht im Wandel der Zeiten ZEuS 2004, 367; Runge Die Vereinbarkeit einer Content-Flatrate für Musik mit dem DreiStufen-Test GRUR Int 2007, 130; Schack Rechtsprobleme der Online-Übermittlung GRUR 2007, 639; Schaefer Vom Nutzen neuer Nutzungsarten, in: Loewenheim (Hrsg) Festschrift für Wilhelm Nordemann, München 2004; Schippan § 95a – eine Vorschrift (erstmals) richtig auf dem Prüfstand ZUM 2006, 853; Schricker Urheberrecht zwischen Industrie- und Kulturpolitik GRUR 1992, 242; Schulze Urheberrecht der Architekten NZBau 2007, 537 (Teil 1), 611 (Teil 2); ders Die Einräumung unbekannter Nutzungsrechte nach neuem Urheberrecht UFITA 2007/III, 641; Spindler Europäisches Urheberrecht in der Informationsgesellschaft GRUR 2002, 105; ders Ausgewählte urheberrechtliche Probleme von Open Source Software unter der GPL, in: Büllesbach/Dreier (Hrsg) Wem gehört die Information im 21. Jahrhundert? – Proprietäre versus nicht proprietäre Verwertung digitaler Inhalte Köln 2004, 115; Spindler/Weber Die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie nach dem Regierungs-
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums ZUM 2007, 257; Wandtke Zur kulturellen und sozialen Bedeutung des Urheberrechts UFITA 123 (1993), 5; ders Grenzenlose Freiheit und Grenzen des Urheberrechts ZUM 2005, 769; von Zimmermann Recording-Software für Internetradios MMR 2007, 553.
Übersicht Rn § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1–3 § 2 Grundlagen des Urheberrechts . . . . 4–8 I. Urheberrecht und geistiges Eigentum . . . . . . . . . . . . 6, 7 II. Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . 8 § 3 Die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft . . . . 9–28 I. Die Informationsgesellschaft . . 9 II. Märkte sind im Umbruch . . . . 10–14 III. Der neue Markt im Internet . . . 15–21 1. Konvergenz der Medien . . . 15, 16 2. Atomisierung der Märkte . . 17–19 3. Entmaterialisierung des Vertriebs . . . . . . . . . 20 4. Web 2.0 – Nutzer werden zu Urhebern . . . . . . . . . . . 21 IV. Digital Rights Management und technische Schutzmaßnahmen . . 22–28 1. Digital Rights Management . 22–24 2. Schutz technischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . 25–28 § 4 Die Bedeutung des europäischen Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . 29–31 I. Europäische Harmonisierung des Urheberrechts . . . . . . . . 29, 30 II. Urheberrecht als Eigentumsrecht . . . . . . . . . . . . . . 31 § 5 Die Urheberschaft . . . . . . . . . . 32–45 I. Der Urheber als Kreativer . . . . 32, 33 II. Das Urheberrecht entsteht durch Realakt . . . . . . . . . . . . . 34 III. Nachweis der Priorität des Werkes . . . . . . . . . . . 35 IV. Allein der Urheber entscheidet über die Veröffentlichung seines Werkes . . . . . . . . . . . . . 36 V. Ein besonderer Urhebervermerk ist nicht notwendig . . . . . . . 37 VI. Die Urheberschaft wird vermutet 38–40 1. Die Vermutungsregelung des § 10 UrhG . . . . . . . . 38 2. Erweiterung der Vermutungsregel auf Leistungsschutzrechte . . . . . . . . . . . . 39 3. Vermutung zugunsten der Inhaber von Nutzungsrechten . . . . . . . . . . . . 40 VII. Die Unübertragbarkeit des Urheberrechts als Ganzes . . . . 41, 42 1. Keine Übertragbarkeit des Urheberrechts zu Lebzeiten . 41 2. Das Urheberrecht ist vererblich 42
266
Rn
§6
§7
§8
§9
§ 10
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VIII. Das deutsche Urheberrecht kennt keine „work-made-for-hire“-Vereinbarung . . . . . . . . . . . IX. Im Prozess: die urheberrechtliche Aktivlegitimation . . . . . . . Das Werk . . . . . . . . . . . . . . I. Das Werk als Objekt des urheberrechtlichen Schutzes . . . II. Allgemeine Voraussetzungen für die Schutzfähigkeit . . . . . . . III. Werkarten (§ 2 Abs 1 UrhG) . . IV. Schutz von Entwürfen, Werktiteln und Werkteilen . . . . . . 1. Entwürfe . . . . . . . . . . 2. Werktitel . . . . . . . . . . 3. Werkteile und Werkausschnitte . . . . . . . . . . . V. Das Urheberrecht schützt die Form – die Ideen bleiben frei . . VI. Amtliche Werke sind urheberrechtlich nicht geschützt . . . . 1. Grundsatz der Gemeinfreiheit amtlicher Werke . . . . 2. Schutzfähigkeit privater Normwerke als Ausnahme . 3. Pflicht zur Erteilung einer Zwangslizenz bei privaten Normwerken . . . . . . . . Das Urheberrecht ist ein zeitlich befristetes Monopolrecht . . . . . . I. Das Urheberrecht erlischt nach Ablauf der Schutzfrist . . . . . II. Eine Urhebernachfolgevergütung wäre systemfremd . . . . Doppelter Rechtsschutz . . . . . . . I. Urheberrechtsschutz schließt anderweitigen Schutz nicht aus . II. Doppelter Rechtsschutz birgt die Gefahr von Wertungswidersprüchen . . . . . . . . . Mehrzahl von Urhebern . . . . . . . I. Die Miturheberschaft . . . . . II. Der Gehilfe ist kein Urheber . . III. Urheberschaft bei Werkverbindungen . . . . . . . . . . . . . IV. Sammelwerke und Datenbanken . . . . . . . . . . . . . 1. Sammelwerke . . . . . . . . 2. Datenbanken . . . . . . . . Bearbeitung und Benutzung . . . . . I. Die Bearbeitung . . . . . . . . 1. Begriff der Bearbeitung . . . 2. Das Recht zur Bearbeitung .
43, 44 45 46–64 46 47–50 51–56 57–60 57 58 59, 60 61 62–64 62 63
64 65–69 65–68 69 70, 71 70
71 72–78 73 74 75 76–78 76, 77 78 79–94 79–85 79 80, 81
Kapitel 1 Urheberrecht Rn 3. Die Nutzung einer Bearbeitung ist zustimmungsbedürftig . . . . . . . . . 4. Bearbeitung durch Übernahme von Inhalten . . . . 5. Die Doppelschöpfung ist keine Bearbeitung . . . . . 6. Die Zulässigkeit von „Abstracts“ . . . . . . . . II. Freie Benutzung . . . . . . . III. Plagiate und Fälschungen . . 1. Plagiate . . . . . . . . . . 2. Fälschungen sind keine Urheberrechtsverletzung . IV. Ghostwriting . . . . . . . . . V. Aufgedrängte Kunst . . . . . 1. Begriff der „Aufgedrängten Kunst“ . . . . . . . . . . 2. Das Recht zur Verwertung und Beseitigung von aufgedrängter Kunst . . . . . § 11 Die Leistungsschutzrechte . . . . . I. Allgemein . . . . . . . . . . II. Ausübende Künstler . . . . . § 12 Das Urheberpersönlichkeitsrecht . . I. Der Urheber hat einen Anspruch auf Anerkennung seiner Urheberschaft . . . . . II. Der Schutz vor Entstellungen § 13 Die Werkverwertung . . . . . . . . I. Die Körperliche Verwertung . 1. Das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht . . . . . 2. Zur Zulässigkeit der Herstellung und Nutzung von Thumbnails . . . . . . . . 3. Symbolische Handlungen sind keine Verbreitung . . 4. Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts . . . . . . a) Der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz b) Keine Verallgemeinerungsfähigkeit des Erschöpfungsgrundsatzes . 5. Der Handel mit gebrauchten Softwarelizenzen . . . a) Erschöpfung des Verbreitungsrechts bei Vertrieb ohne Datenträger? b) Zur allgemeinen Bedeutung der Erschöpfungsfrage . . . . . . . . . . 6. Die Ausstellung von Werken ist vergütungsfrei . . . II. Die unkörperliche Werkverwertung durch öffentliche Wiedergabe . . . . . . . . . 1. Die Öffentlichkeit der unkörperlichen Verwertung . 2. Hotelfernsehen als urheber-
82 83 84 85 86, 87 88–90 88, 89 90 91 92–94 92
93, 94 95–100 95–97 98–100 101–105
102, 103 104, 105 106–128 107–121 107, 108
109, 110 111 112–116 112–114
115, 116 117–120
117, 118
119, 120 121
122–128 122
Rn rechtlich relevante Nutzung . . . . . . . . . . a) Hotelfernsehen ist Kabelweitersendung . . b) Keine Regelung durch das Europäische Recht . 3. Die öffentliche Zugänglichmachung: das Verwertungsrecht des 21. Jahrhunderts . a) Das Recht des „making available“ . . . . . . . b) Wachsende Bedeutung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung . . . . . . . . c) Die urheberrechtliche Einordnung von „Internetradios“ . . . . . . . § 14 Die Schranken des Urheberrechts . I. Das System der Schranken . . 1. Schranken als Ausnahme von den urheberrechtlichen Exklusivrechten . . . . . . 2. Abschließende Regelung der Schranken durch das Gemeinschaftsrecht . . . . II. Zustimmungsfreie Nutzungen sind grds vergütungspflichtig . III. Zentraler Prüfungsmaßstab ist der Drei-Stufen-Test . . . . . 1. Die internationalrechtlichen Grundlagen des Drei-StufenTests . . . . . . . . . . . . 2. Der Drei-Stufen-Test als Auslegungs- und Gestaltungsregel . . . . . . . . . IV. Vervielfältigungen für den privaten und sonstigen eigenen Gebrauch . . . . . . . . . . 1. Die Privatkopie ist grds zulässig . . . . . . . . . . 2. Es gibt kein Recht auf Privatkopien . . . . . . . . . a) Die Privatkopie ist kein Gewohnheitsrecht . . . b) Das Recht zur Herstellung von Sicherungskopien . . . . . . . . . 3. Keine Kopien von offensichtlich rechtswidrigen Vorlagen . . . . . . . . . 4. „Tauschbörsen“ bleiben illegal . . . . . . . . . . . 5. Kopien für den privaten Gebrauch . . . . . . . . . 6. Kopien durch die „analoge Lücke“ sind keine Umgehung technischer Schutzmaßnahmen . . . . . . . . 7. Zur Zulässigkeit von Kopien durch Dritte . . . . . . . .
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123, 124 123 124
125–128 125
126
127, 128 129–169 129, 130
129
130 131 132, 133
132
133
134–148 134 135–138 135
136–138
139, 140 141 142
143 144–146
267
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil Rn
a) Voraussetzungen für die Zulässigkeit . . . . . . b) Online-Video-Recorder 8. Intelligente Aufnahmesoftware . . . . . . . . . . . . V. Flüchtige Vervielfältigungen . VI. Der Kopienversand . . . . . . VII. Sonstige Vervielfältigungen zum eigenen Gebrauch . . . . VIII. Zugänglichmachung zur Veranschaulichung im Unterricht IX. Elektronische Leseplätze . . . X. Zulässigkeit von Zitaten . . . XI. Elektronische Pressespiegel . . 1. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Pressespiegeln . . . . . . . . . . 2. Der elektronische Pressespiegel . . . . . . . . . . . XII. Die Katalogbildfreiheit . . . . XIII. Die Panoramafreiheit . . . . . XIV. Zwangslizenzen . . . . . . . § 15 Das System der pauschalen Abgaben für private Vervielfältigungen . . . I. Die Grundlagen der pauschalen Vergütung und ihre Neuregelung im „Zweiten Korb“ . II. Die Anknüpfungspunkte für die Vergütung . . . . . . . . 1. Die tatsächliche Nutzung der Geräte . . . . . . . . . 2. Einzelfälle . . . . . . . . . III. Kriterien für die Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . . IV. Verfahren zur Festlegung der Vergütungssätze . . . . . . . § 16 Urhebervertragsrecht . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . 1. Begriff und Funktion des Urhebervertragsrechts . . . 2. Das Urhebervertragsrecht ist offen für bereichsspezifische Sonderregelungen . . 3. Das neue Urhebervertragsrecht . . . . . . . . . . . II. Der Nutzungsvertrag . . . . . 1. Keine Nutzung ohne den vertraglichen Erwerb von Nutzungsrechten . . . . . 2. Der Erwerb von Nutzungsrechten durch Vertrag . . . 3. Für Nutzungsverträge bestehen grds keine Formerfordernisse . . . . . . . . . . 4. Nutzungsrechte, Verwertungsrechte, Nutzungsarten a) Verwertungsrechte und Nutzungsrechte . . . . b) Nutzungsarten . . . . . c) Die Beschränkung der Nutzungsrechte . . . .
268
144 145, 146 147, 148 149, 150 151 152–155 156, 157 158 159, 160 161–165
161–164 165 166 167, 168 169 170–180
170–172 173–176 173, 174 175, 176 177–179 180 181–247 181–184 181
182, 183 184 185–195
185 186
187 188–191 188 189 190, 191
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Rn 5. Die Einsschränkung des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht . . . . . . . 192 6. Den Erwerber der Nutzungsrechte trifft grds keine Ausübungspflicht . . . . . 193 7. Rückruf der Nutzungsrechte . . . . . . . . . . . 194, 195 III. Voraussetzungen für eine umfassende Rechtseinräumung . 196–202 1. Keine pauschale Rechtseinräumung . . . . . . . . . 196–199 a) Der Vertragszweck als Auslegungsmaßstab . . 196 b) Umfassende Rechtseinräumung bei Einzelbezeichnung der Nutzungsrechte . . . . . . . . . 197–199 2. Pauschale Enthaltungspflichten des Urhebers . . . 200 3. Kein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten . . . 201 4. Kein Rechteerwerb bei lückenhafter Rechtekette . 202 IV. Rechtsgeschäfte über unbekannte Nutzungsarten . . . . 203–218 1. Bisherige Rechtslage . . . . 203, 204 a) Grundsatz des Verbots . 203 b) Die Zulässigkeit von „Risikogeschäften“ . . 204 2. Neues Recht . . . . . . . . 205–215 a) Zulässigkeit der Einräumung von Rechten für unbekannte Nutzungsarten . . . . . . . . . . 209–209 b) Übergangsregelung für Altverträge . . . . . . . 210–215 3. Der Begriff der unbekannten Nutzungsart . . . . . . . . 216–218 V. Das Postulat der angemessenen Vergütung . . . . . . . . . . 219–238 1. Der Urheber hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung . . . . . . . . . . 219 2. Der urheberrechtliche Beteiligungsgrundsatz gilt auch für ausübende Künstler . . 220 3. Die vertraglich vereinbarte Vergütung hat Vorrang . . 221 4. Gesetzlicher Korrekturanspruch bei Unangemessenheit 222 5. Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung . . . . . . . . . . 223–231 a) Der „gerechte Preis“ im Urheberrecht? . . . . . 223 b) Die „redliche Branchenübung“ als Maßstab . . 224–227 c) Eine Vergütung kann ausnahmsweise auch vollständig entfallen . . 228
§1
Einleitung Rn
Rn
d) Die Zulässigkeit von Pauschalhonoraren . . 229 e) Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses . . . . . 230 f) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . 231 6. Die Konkretisierung der Angemessenheit durch Gemeinsame Vergütungsregeln 232–234 a) Das Institut der gemeinsamen Vergütungsregeln 232 b) Vermutungswirkung der gemeinsamen Vergütungsregeln . . . . . . 233 c) Rechtspolitische Zielsetzung . . . . . . . . . 234 7. Der Beteiligungsgrundsatz beim Bestseller . . . . . . 235–238 a) Der Anspruch auf „Fairnessausgleich“ . . . . . 235 b) Vorteile und Erträge aus der Werkverwertung als Anknüpfungspunkt . . 236 c) Korrekturanspruch bei auffälligem Missverhältnis . . . . . . . . . . . 237
d) Anspruch gegen Dritte in der Lizenzkette . . . 238 VI. Keine Vorausabtretung gesetzlicher Vergütungsansprüche . 239, 240 VII. AGB-rechtliche Kontrolle von Nutzungsverträgen . . . . . . 241 VIII. Buy-out-Verträge . . . . . . . 242, 243 1. Begriff des Buy-Out-Vertrages . . . . . . . . . . . 242 2. Urheberrechtliche Beurteilung des Buy-out-Vertrages 243 IX. Vertraglicher Schutz vor fehlerhafter Rechtseinräumung . . 244, 245 1. Vereinbarung einer Rechtegarantie . . . . . . . . . . 244 2. Vertraglicher Schutz vor einer Inanspruchnahme durch Dritte . . . . . . . . 245 X. Werkvertragsrechtliche Vertragsbestandteile . . . . . . . 246, 247 § 17 Alternative Lizenzmodelle . . . . . 248–255 I. Open Source, Copyleft, Creative Commons & Co. . . . . 248–250 II. Open Access . . . . . . . . . 251, 252 III. Die „Kulturflatrate“ als Lösung aller Probleme im Internet? 253–255
§1 Einleitung Kaum ein Gebiet des Zivilrechts hat in den vergangenen Jahren ähnlich an Bedeutung 1 gewonnen, wie das Urheberrecht. Das Urheberrecht hat in der modernden Medien- und Informationsgesellschaft eine Schlüsselfunktion; auf den neuen digitalen Märkten, die noch lange nicht ausgereift sind, wird das Urheberrecht zum zentralen Ordnungsfaktor. Die grundlegenden Fragen, auf die das Urheberrecht Antworten geben soll, sind vor Jahrhunderten mit dem Siegeszug des Buchdrucks erstmals gestellt worden. Damals erkannten die Autoren und Verleger, dass sie ein Instrument brauchten, um das Verhältnis von schöpferischer Leistung und mechanischer Tätigkeit zu regeln. Das Urheberrecht schuf den Rechtsrahmen für neue Geschäftsmodelle und die Verbreitung von Geisteswerken durch Kopien 1. Am Beginn des 21. Jahrhunderts stellen wir in einem neuen technologischen Kontext dieselben Fragen erneut. Die Urheberrechtsindustrien, die Medien- und die Kulturwirtschaft, aber auch die 2 Wissensbranchen sind von großer und stetig wachsender volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die Wachstumsraten in diesem Bereich sind erheblich größer als in vielen anderen Industriezweigen.2 Grundlage des Urheberrechts in Deutschland ist das Gesetz über Urheberrecht und 3 verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz), das am 1.1.1966 in Kraft getreten ist. Das Urheberrechtsgesetz ist seit dem mehrfach geändert worden und unterliegt seit einigen Jahren in zunehmendem Maße europarechtlichen Einflüssen. 1
Goldstein 21.
2
Reinbothe ZEuS 2004, 367, 371.
Ole Jani
269
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
§2 Grundlagen des Urheberrechts 4
Objekt des urheberrechtlichen Schutzes ist das Werk, Inhaber dieses Schutzes ist der Urheber. Der Urheber und sein Werk stehen deshalb am Anfang und im Mittelpunkt der urheberrechtlichen Verwertung. Die Voraussetzungen für den urheberrechtlichen Schutz und der Umfang dieses Schutzes sind im Urheberrechtsgesetz abschließend geregelt. Urheberrechtliches Schaffen kann allerdings unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten, zB aufgrund des Markenrechts zusätzlichen Schutz genießen.3 5 Das Urheberrecht schützt den Urheber gem § 11 UrhG in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Zugleich dient es der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes. Das Urheberrecht gewährt dem Urheber also ein umfassendes und ausschließliches Recht an seinem Werk mit zugleich einer vermögensrechtlichen und einer persönlichkeitsrechtlichen Ausprägung. Diese unterschiedlichen Elemente des Urheberrechts erfahren ihre Konkretisierung in den Urheberpersönlichkeitsrechten und den Verwertungsrechten, die im Sinne der „monistischen Theorie“ eine untrennbare Einheit bilden.4 In seiner Konzeption kennt das Urheberrecht mit anderen Worten kein Rangverhältnis zwischen Persönlichkeitsrechten und Vermögensrechten – sie sollen vielmehr zwei Seiten derselben Medaille sein. Ob Urheberpersönlichkeitsrecht und Verwertungsrechte tatsächlich gleichbedeutend sind, ist allerdings fraglich. Der Blick auf die heutige Praxis der Schaffung und Verwertung zeigt, dass urheberpersönlichkeitsrechtliche und vermögensrechtliche Belange oftmals in einander fließen, die wirtschaftliche Komponente des Urheberrechts aber regelmäßig überwiegt und auch die Geltendmachung persönlichkeitsrechtlicher Interessen wirtschaftlichen Zielen dienen kann.
I. Urheberrecht und geistiges Eigentum 6
Das Urheberrecht ist Eigentumsrecht und steht unter dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz von Art 14 GG.5 Auch das europäische Recht bekennt sich ausdrücklich zu einem eigentumsrechtlichen Schutz des Urheberrechts.6 Der deutsche Begriff des „geistigen Eigentums“, dem das Urheberrecht zuzuordnen ist, hat Entsprechungen in anderen Rechtsordnungen („intellectual property“ im angloamerikanischen Raum und „propriété intellectuelle“ in Frankreich). „Geistiges Eigentum“ beschreibt, worum es sich beim Urheberrecht und den anderen Immaterialgüterrechten im Kern handelt – um ein dem Rechtsträger zugeordnetes absolutes Vermögensrecht. Dieser Begriff ist gleichwohl nicht unumstritten.7 Das deutsche Zivilrecht verwendet den Eigentumsbegriff an sich nur im Zusammenhang mit Sachen. Der Bundesgerichtshof hat aber schon 1954 in einer grundlegenden Entscheidung zur Vergütung des Urhebers im Zusammenhang mit der urheberrechtlichen Werkschöpfung von geistigem Eigentum gesprochen.8 Und auch der
3 4
5
S Teil 2 Kap 7. Schricker/Schricker § 11 UrhG Rn 2; Möhring/Nicolini/Ahlberg Einl UrhG Rn 12; Dreier/Schulze/Schulze § 11 UrhG Rn 2; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 11 UrhG Rn 1; Rehbinder Rn 92. BVerfG GRUR 1980, 44, 46 – Kirchenmusik;
270
6 7 8
BVerfGE 31, 229, 240 f – Kirchen- und Schulgebrauch. Zum europäischen Urheberrecht s Teil 1 Kap 3 Rn 209 ff. Abl zB Rehbinder Rn 97. BGHZ 17, 266, 278 – Magnettonaufnahme.
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§2
Grundlagen des Urheberrechts
Gesetzgeber hat diesen Begriff anerkannt.9 In der Informationsgesellschaft steht das Recht des geistigen Eigentums in wachsendem Maße gleichrangig neben dem Recht des traditionellen Sacheigentums. Dieser Prozess ist die zwingende Konsequenz der aktuellen gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Veränderungen, die auch für die Rechtswissenschaft nicht folgenlos bleiben können. Das Recht des geistigen Eigentums, wird in den kommenden Jahren deshalb weiter an Bedeutung gewinnen. Soweit es um seine vermögensrechtlichen Elemente geht, ist das Urheberrecht spätes- 7 tens im digitalen Zeitalter endgültig zu einem Bestandteil des Wirtschaftsrechts geworden.10 Wenn das Urheberrecht gelegentlich als „Arbeitsrecht der geistig Schaffenden“ 11 bezeichnet wird, dann ist diese Umschreibung falsch. Zwar soll das Urheberrecht dem Urheber ein angemessenes Einkommen aus der Verwertung seiner Werke verschaffen (§ 11 S 2 UrhG) und damit dem Prinzip nach auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kreativen sichern. Das Urheberrecht schützt jedoch allein die ideellen und wirtschaftlichen Rechte am Werk; es verfolgt keine sozialpolitischen Ziele.12 Ob ein Werk wirtschaftlich erfolgreich ist, ob die finanziellen und ideellen Investitionen in seine Schöpfung lohnen, kann das Urheberrecht nicht beantworten. Das Urheberrecht garantiert nicht den Erfolg. Wenn allerdings ein Erfolg eintritt, dann weist das Urheberrecht diese Erträge dem Rechteinhaber zu. Der Grundsatz lautet: „Ernten soll, wer gesät hat“.13 Ewiger Streitpunkt ist freilich, welcher Anteil dem Urheber im konkreten Fall gebührt und was der Werkmittler beanspruchen kann. Kristallisationspunkt dieser Debatte ist der im Urheberrecht seit langem anerkannte Grundsatz der angemessenen Vergütung, der bei der Novelle des Urhebervertragsrechts im Jahr 2002 auch ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden ist (§ 32 Abs 1 UrhG).14
II. Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht In Kontinentaleuropa hat das Urheberrecht neben der vermögensrechtlichen Schutz- 8 richtung zugleich immer auch eine damit untrennbar verbundene persönlichkeitsrechtliche Komponente gehabt. Darin liegt der fundamentale konzeptionelle Unterschied zum Urheberrecht angloamerikanischer Prägung. Im Zentrum steht der kreative Mensch; 15 dieser persönlichkeitsrechtliche Bezug des Urheberrechts kontinentaleuropäischer Prägung wird besonders deutlich in dem französischen Begriff des „droit d’auteur“.
9
10
Vgl zB das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums du zur Bekämpfung der Produktpiraterie“, BGBl 1990 I S 42, und jüngst den Entwurf für das „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“, BT-Drucks 16/5048. Dreier/Schulze/Dreier Einl UrhG Rn 13; Wandtke/Bullinger/Wandtke Einl UrhG Rn 20; Jani ZUM 2003, 842 f.
11
12
13 14 15
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Schricker GRUR 1992, 242, 244; Wandtke UFITA 123 (1993), 5, 13; Däubler-Gmelin ZUM 1999, 266. Jani 153 mwN; so zutreffend auch die Auffassung der der Bundesregierung, BT-Drucks 14/1106, 3. Goldstein 7. Zum Urhebervertragsrecht s Rn 181 ff. Reinbothe ZEuS 2004, 367, 370.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
§3 Die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft I. Die Informationsgesellschaft 9
Ein Schlüsselbegriff in der jüngeren Debatte um die Fortentwicklung des Urheberrechts ist – sowohl auf der politischen als auch der wissenschaftlichen Bühne – der Begriff „Informationsgesellschaft“. Schon früh war klar, dass die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft wächst.16 Doch was ist die Informationsgesellschaft? Die für die Urheberrechtsentwicklung so wichtige InformationsgesellschaftsRichtlinie 17 verwendet diesen Terminus, ohne ihn zu beschreiben. Sie setzt ihn als bekannt voraus. Und auch die Literatur knüpft hier oftmals an die Bezeichnung an, ohne nach ihrem Gehalt zu fragen. Eine allgemeingültige Definition dessen, was Informationsgesellschaft ist, gibt es nicht.18 An dieser Stelle soll Informationsgesellschaft als „Arbeitsbegriff“ verstanden werden, der Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die urheberrechtlichen Fragen ist, die sich im Zusammenhang mit der modernen digitalen Kommunikationstechnik stellen.
II. Märkte sind im Umbruch 10
Das Urheberrecht schützt eine Fülle unterschiedlicher Leistungen, angefangen bei den klassischen Kunstformen, wie Theater, Malerei usw. Das wirtschaftliche Potential des Urheberrechts liegt heute aber in den Massenmedien, in der Auswertung von Musik, Filmen und Multimedia. Die wichtigste Zielgruppe in diesen Bereichen sind junge Leute unter dreißig. Sie sind im Zeitalter des Internet aufgewachsen und für sie ist der schnelle und unbegrenzter Zugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten (neudeutsch „Content“) eine Selbstverständlichkeit. Die Unterhaltungsindustrie der analogen Welt von gestern ist ihnen fremd. Das Bedürfnis, Musik in der Hand halten zu können, eine Plattensammlung anzulegen und das artwork einer CD als Teil der Musik zu genießen, schwindet. Die Konsumenten von heute haben ihre Musiksammlung auf dem PC und weil die Festplatte mit eigener legal erworbener Musik kaum gefüllt werden kann, beschaffen sie sich noch mehr Musik in sog „Tauschbörsen“. Ein moderner MP3-Player mit einer 60 GB-Festplatte hat ein Fassungsvermögen von 10 000 bis 15000 Musiktiteln, das entspricht ca 500 bis 1 000 CDs. Bei einem durchschnittlichen Preis von € 1,– pro Titel fasst der Spieler also Musik im Gegenwert von € 15000,–. Hier wird durch technische Möglichkeiten ein Nachfragepotenzial geschaffen, das für den durchschnittlichen Nutzer aus rechtmäßigen (kostenpflichtigen) Quellen kaum zu befriedigen ist. Mit den wachsenden technischen Möglichkeiten sinkt deshalb bei vielen die Hemmschwelle, auf illegale Angebote zuzugreifen. Die digitale Technik eröffnet für die Herstellung und die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke, andererseits bisher ungeahnte neue Möglichkeiten. 11 Das digitale Zeitalter hat für Urheber insofern einen Januskopf. Die Digitaltechnik schafft nicht nur neue Chancen, sondern eben auch eine völlig neue Dimension der Bedrohung für das geistige Eigentum – sobald ein Werk digitalisiert ist, kann es ohne 16 17
So bereits Leutheusser-Schnarrenberger ZUM 1996, 631. Richtlinie 2001/29/EG vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutz-
272
18
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rechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167 vom 22.6.2001, 10). Ausf zu den unterschiedlichen Ansätzen einer Begriffsbestimmungen Delp 13 ff.
§3
Die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft
Qualitätsverlust massenhaft vervielfältigt werden. Einmal im Internet zugänglich gemacht, kann das Werk dem Rechteinhaber in den Tiefen des digitalen Universums völlig entzogen werden. In diesem Zustand der Angst vor dem totalen Kontrollverlust stellen viele die Regelungskraft des Urheberrechts in Frage. Richtig ist zwar, dass das Urheberrecht durch das Internet und die neuen digitalen Techniken in die Defensive geraten ist.19 Für Pessimismus besteht jedoch kein Anlass, wenn es dem Gesetzgeber gelingt, auf die aktuellen Fragen die richtigen Antworten zu geben. Ob das Urheberrecht auch in Zukunft seine Aufgaben bewältigt, ist also in erster Linie eine politische Frage. Entscheidend ist, ob die Politik den Mut hat, sich offensiv zum Schutz des Urheberrechts als Eigentumsrecht zu bekennen. Das wird immer schwieriger, weil der Gesetzgeber in der urheberrechtspolitischen Debatte inzwischen das Bedürfnis hat, die widerstreitenden Interessen einer Vielzahl von Beteiligten in Einklang zu bringen. Die Interessen der betroffenen Gruppen – Urheber, Verwerter und Nutzer – stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. Der notwendige Interessenausgleich darf aber nicht soweit gegen, dass darüber der Kern des Urheberrechts als Eigentumsrecht in Frage gestellt wird. Geistiges Eigentum ist flüchtig, und es liegt in der Natur der Sache, dass geistiges 12 Eigentum verletzt werden kann, ohne dass diese Verletzung zu einer sichtbaren Beeinträchtigung führt.20 Wer eine fremde Sache wegnimmt oder verbraucht, der greift unmittelbar in ihre Substanz ein. Wer eine fremde Sache in Besitz nimmt, schließt den rechtmäßigen Besitzer automatisch vom Besitz aus. Bei der Verletzung des geistigen Eigentums bleibt die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit des Rechteinhabers dagegen zunächst unberührt. Die Herstellung einer illegalen Kopie stellt einen Eingriff in das Urheberrecht dar, ohne die tatsächliche Möglichkeit zur Herstellung rechtmäßiger Kopien zu beeinträchtigen. Mangelndes Unrechtsbewusstsein lässt sich jedoch weder mit der Komplexität des Urheberrechts noch mit dem jugendlichen Alter des Verletzers rechtfertigen. Zu Recht hat dies auch das OLG Hamburg klargestellt und darauf hingewiesen, dass auch minderjährigen Internet-Nutzern bewusst sein muss, dass das Internet nicht dazu berechtigt, sich unerlaubt und gegen den Willen des Berechtigten fremde Werke anzueignen.21 Das Dilemma des Urheberrechts ist, dass das geistige Eigentum so wenig offensicht- 13 lich als Eigentum erscheint. Im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung steht auch im Internet-Zeitalter das Sacheigentum. Der Inhaber einer CD oder einer DVD ist oftmals der Auffassung, er dürfe damit – weil er diesen Datenträger zu Eigentum erworben hat – nach Belieben verfahren und bezieht diese Befugnis auch auf die auf dem Träger verkörperten Inhalte. Im Hinblick auf die Interessen der Nutzer ist in der urheberrechtlichen Debatte immer wieder zu hören, das Urheberrecht stehe dem freien Informationsaustausch entgegen. Sofern hier nicht ein verfassungsrechtliches Argument bewusst instrumentalisiert wird, um den Schutz des geistigen Eigentums zu diskreditieren, beruht dieser Einwand zumeist auf dem fundamentalen Missverständnis, die Information als solche sei Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes. Das ist indes nicht der Fall, und das Urheberrecht kann insofern mit der Informationsfreiheit gar nicht in Widerspruch geraten.22 Das Urheberrecht hat immer auf technische Veränderungen reagieren müssen und diese 14 Änderungen bislang im Wesentlichen auch gut bewältigt. Für alle technischen Neuerungen – von der Schallplatte, über den Rundfunk bis zum Computerprogramm – hat das Urheberrecht Lösungen gefunden. Der Adaptionsprozess, in dem sich das Urheberrecht befindet, ist also keineswegs durch die digitale Revolution ausgelöst worden. Die be19 20
Reinbothe ZEuS 2004, 367, 378. Goldstein 12.
21 22
Ole Jani
OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 385. Reinbothe ZEuS 2004, 367, 380.
273
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
schleunigte technische Entwicklung hat aber dazu geführt, dass die Entwicklungszyklen kürzer geworden sind. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist das Urheberrecht insgesamt vier Mal tiefgreifend geändert worden 23 und die nächsten Urheberrechtsnovellen stehen bereits auf der Agenda.24 Das Urheberrecht muss angepasst werden an die neuen Rahmenbedingungen, die die digitale Technik für die Schaffung und die Verwertung von Werken setzt.25
III. Der neue Markt im Internet 1. Konvergenz der Medien
15
Was vor einigen Jahren noch Zukunftsvisionen waren, ist heute Realität: die Verschmelzung von Computer, Internet, Fernsehen, Telefon und anderen Geräten. Diese Konvergenz der Medien schafft für die Anbieter der Inhalte (Musik, Filme, Presseerzeugnisse usw) völlig neue Perspektiven. Jeder Inhalt soll in Zukunft zu jeder Zeit auf jedem Gerät empfangbar sein, und diese technischen Veränderungen wirken sich unmittelbar auf die Wertschöpfungskette aus. Heute werden Filmprojekte von Anfang an für die Vermarktung in allen Medien konzipiert. Die klassische Verwertungskaskade, die mit der Primärauswertung im Kino beginnt und an deren Ende die Sendung im Free-TV steht, gibt es zwar immer noch. Diese zeitliche Staffelung wird jedoch zunehmend ergänzt und überlagert durch eine simultane Auswertung in den verschiedenen Medien. Die zentrale Rolle spielt auch hierbei das Internet. Parallel zum Kinostart erscheinen zu den großen Kinoproduktionen interaktive Anwendungen, Computerspiele usw. Solche Angebote waren noch vor wenigen Jahren Zusatzgeschäfte unter der Rubrik „Merchandising“. Heute sind sie integraler Bestandteil der Vermarktung, für die der Film nicht zwingend mehr die Hauptsache ist, sondern teilweise nur noch als Plattform für eine Vielzahl zusätzlicher Angebote dient. Diese Veränderungen sind auch in Bezug auf andere Werkarten zu beobachten und haben für das Urheberrecht gravierende Folgen. Das Urheberrecht gründet auf der Annahme, dass die einzelnen Formen der Nutzung geschützter Werke voneinander abgegrenzt und eindeutig bestimmten Nutzungsrechten zugeordnet werden können. Diese Abgrenzung wird jedoch zunehmend schwieriger.26 Einer der Schlüsselbegriffe um die Konvergenz der Medien ist Internet-TV oder 16 „IPTV“. IPTV ist ein technisches Verfahren, bei dem die Bild- und Tonsignale des Fernsehens über den Internetprotokoll (IP) übermittelt werden.27 Neben der herkömmlichen
23
24
Reform des Urhebervertragsrechts durch das „Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung der Urheber und ausübenden Künstler“, BGBl 2002 I S 1155; Umsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie durch das „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“, BGBl 2003 I S 1774, Umsetzung der Folgerechts-Richtlinie durch das „Fünfte Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes“, BGBl 2006 I S 2587; Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ („Zweiter Korb“), BGBl 2007 I S 2513. Umsetzung der der „Durchsetzungs-Richt-
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25 26 27
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linie“ durch das „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“, BGBl I 2008, S 1191, sowie weitere Änderungen des Urheberrechtsgesetzes im Rahmen eines „Dritten Korbes“, vgl BT-Drucks 16/5939. So ausdrücklich auch Erwägungsgrund 5 der Informationsgesellschafts-Richtlinie. Ausf Poll GRUR 2007, 476, 479 ff. Zu den technischen Aspekten von InternetTV und anderen Technologien zur digitalen Bildübertragung Fringuelli 34 ff; Flatau ZUM 2007, 2.
§3
Die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft
Verbreitung über Satellit, Kabel usw wird mit dieser Technik des „Internetfernsehens“ eine neue Form des Vertriebs über die Telefonleitung geschaffen. Mit IPTV erreicht die Konvergenz der Medien eine weitere Entwicklungsstufe. Auch im audiovisuellen Bereich liegt die Zukunft in Übertragungsformen, die klassische Verbreitungsformen mit modernen digitalen Kommunikationsmitteln verbinden. Diese Verbindung verbessert nicht nur die Qualität der übermittelten Signale, sondern sie schafft vor allem die technischen Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle. Durch das dem Internet immanente Merkmal der Interaktivität und durch den Einsatz komplexer DRM-Systeme wird IPTV die Individualisierung des Fernsehkonsums weiter vorantreiben. Auch bei IPTV stellt sich die Frage nach seiner urheberrechtlichen Einordnung. Hier ist vieles noch unbeantwortet. Das gilt insbesondere für die Frage, ob IPTV eine neue Nutzungsart iSv §§ 31a, 137l UrhG ist und wo die Grenze zwischen Sendung (§ 20 UrhG) und öffentlicher Zugänglichmachung zu ziehen ist. 2. Atomisierung der Märkte Das Internet ist ein gigantischer Wachstumsmarkt, dessen wirkliche Potentiale noch 17 lange nicht erschöpft sind. Dieser Markt unterscheidet sich von den herkömmlichen Märkten der analogen Welt aber nicht nur in seiner Dynamik und seinen Wachstumsraten. Er unterliegt zum Teil völlig anderen Gesetzmäßigkeiten. Auch im Internet lässt sich Geld zwar nur dann verdienen, wenn die Einnahmen höher sind, als die eigenen Kosten. Dass die betriebswirtschaftlichen Grundregeln auch für das Internet gelten, muss spätestens seit dem Platzen der ersten Internetblase jedem klar sein. Aber die Möglichkeiten, die das Internet eröffnet, lassen sich nicht so leicht kategorisieren und die alten Rezepte des Marketings funktionieren nicht mehr ohne weiteres. Das vielleicht wichtigste Phänomen ist die Atomisierung und Individualisierung der Märkte. Die relative wirtschaftliche Bedeutung der Hits und Blockbuster schwindet. Der Blick verschiebt sich: vom Mainstream auf eine Vielzahl von Nischenmärkten. Diese Märkte sind an sich nicht neu und die ihnen zugrunde liegende Nachfrage war latent immer schon vorhanden. Aber sie zu bedienen wird online zum ersten Mal wirtschaftlich attraktiv. Die Konzentration der Medienindustrie auf einige wenige Hits war die Folge der Be- 18 schränkung von Übertragungskapazitäten, Lagerraum und Vertriebskanälen in der physischen Welt: Weil der Regalplatz in den Plattenläden begrenzt ist, wird er für die Hits genutzt und nicht mit CDs belegt, die sich nur einmal im Jahr verkaufen.28 Im Internet spielen diese Beschränkungen keine Rolle – die Ökonomie des Vertriebs ist durch die digitalen Formate radikal verändert worden. Der Vertrieb im Internet ist nahezu beliebig skalierbar. Ob ein Musiktitel aus einem Onlineshop einmal oder 1 000 Mal heruntergeladen wird, ist für den Anbieter kaum relevant. Kosten für Lagerhaltung fallen nicht an und der Rechteinhaber kann den Kunden direkt erreichen und den Zwischenhandel als zusätzliche Marktstufe ausschalten. Die Distributionskosten werden marginal, Speicherung und Übertragung der digitalen Daten kosten so gut wie nichts und ein großer Teil der ohnehin geringen Kosten werden beim download vom Kunden getragen; plötzlich sind auch Kleinstbeträge attraktiv.29 Im Onlinehandel ergibt die Summe der vielen Nischenmärkte ein enormes Potential. 19 Ähnliche Vorteile haben Geschäftsmodelle, die zwar auf körperliche Werkexemplare setzen, diese aber „On-Demand“ erstellen und über das Internet vertreiben. Auch hier werden Herstellungskosten variabilisiert und Logistikkosten massiv reduziert. Zugleich werden dadurch auch neue Märkte erschlossen, weil diese Produktions- und Vertriebs28
Anderson 9.
29
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Anderson 9.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
mechanismen auch kleine Auflagen rentabel machen. Auf diese Weise lassen sich zB im Buchmarkt hochspezialisierte Marktsegmente erschließen, die für den klassischen Buchverlag aufgrund der traditionellen Kostenstruktur eines Verlagsproduktes unattraktiv gewesen sind. 3. Entmaterialisierung des Vertriebs
20
Ob die CD und andere körperliche Vertriebsformen wirklich schon tot sind, darf bezweifelt werden. Dass ihre Bedeutung schwindet, ist indes offenkundig. Die ersten Unternehmen verzichten bereits vollständig auf den Vertrieb von physischen Werkexemplaren und konzentrieren sich auf ein reines Online-Angebot. Vorreiter sind auch hier die Anbieter in den Nischenmärkten, die eben durch die konsequente Nutzung der digitalen Technik überhaupt erst erschlossen werden können. Die Medien- und Unterhaltungsindustrie ist in einem Umbruch, der gerade erst begonnen hat und dessen Ergebnisse noch überhaupt nicht absehbar sind. In einer Welt, in der die Inhalte von ihren Trägern vollständig entkoppelt werden können, wird noch deutlicher, dass es bei der Verwertung kreativer Leistungen im Kern um den Handel mit Rechten geht. Das Urheberrecht dient nicht allein der Verwaltung und der Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen, sondern es ist zugleich auch selbst das Objekt dieser Transaktionen. Das Urheberrecht ist also keineswegs ein überkommenes Relikt aus der analogen Ära, das mit dem Buchdruck vor 400 Jahren in die Welt kam. Ein robustes und funktionierendes Urheberrecht ist auch in der digitalen Welt die notwendige Voraussetzung dafür, dass die technischen Möglichkeiten in neue Geschäftsmodelle umgesetzt werden können. 4. Web 2.0 – Nutzer werden zu Urhebern
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Neue Fragestellungen ergeben sich auch aus dem veränderten Verhalten der Nutzer und den neuen interaktiven Möglichkeiten. Im Internet der zweiten Generation, dem „Web 2.0“ verschwimmen die starren Trennlinien zwischen Inhalteanbietern und Konsumenten. Im Zentrum der neuen Webangebote steht „User Generated Content“. In Videoportalen (zB YouTube), Blogs, Online-Enzyklopädien (zB Wikipedia), in virtuellen Welten (Second Life usw) oder mit Hilfe von Social Software wie StudiVZ, Myspace, Facebook usw. Die Kreativität der Nutzer geht oftmals einher mit einer großen Unbekümmertheit in Bezug auf Fragen des geistigen Eigentums. Die digitale Technik erlaubt die Kombination von Eigenem mit Fremdem innerhalb von Sekunden. Inhalte in digitalem Format lassen sich beliebig verbinden und bearbeiten. Der digitale Eklektizismus fördert auch neue Formen der Kommunikation, die sich in den bestehenden Rechtsrahmen einfügen. Das zu akzeptieren, fällt vielen Nutzern nicht leicht. Das Urheberrecht gilt vielen als überkommenes Relikt. Die andauernde Debatte um die Modernisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft zeigt, wie schwer es das Urheberrecht oftmals hat, sich gegen den von der Internetgeneration geprägten Zeitgeist zu behaupten. Im Web 2.0 wird das nicht einfacher. Die besonderen Möglichkeiten, die eine freie Nutzung und Bearbeitung fremder Inhalte im Internet für die Weiterentwicklung und Verbreitung dieser Werke eröffnen, werden teilweise aber auch gezielt gefördert. Angebote wie Wikipedia basieren gerade auf diesem Prinzip des kollektiven Schaffens, bei dem der einzelne Urheber zum Teil gänzlich anonym bleibt. Für diese nichtkommerziellen Bereiche sind alternative Lizenzmodelle entwickelt worden, die sich in das bestehende Urheberrechtssystem einfügen, zugleich aber den Nutzern weit reichende Freiheiten gewähren.30 30
S Rn 248 ff.
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§3
Die Bedeutung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft
IV. Digital Rights Management und technische Schutzmaßnahmen 1. Digital Rights Management Ein Schlüsselbegriff der Debatte um das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft 22 lautet „Digital Rights Management“ (DRM). Eine rechtliche Definition dieses Begriffs gibt es nicht. In einem engeren Sinne handelt es sich dabei um technische Maßnahmen gem § 95a UrhG. In einem weiteren Sinne sind unter DRM alle Techniken zu verstehen, die der Kontrolle von Urheberrechten im digitalen Kontext dienen. Eine der ersten trivialen Formen von DRM war der Kopierschutz. Die Musikindustrie erhoffte sich von diesem Hilfsmittel, dass sie die wuchernden Kopieraktivitäten der Konsumenten dadurch eindämmen und den Nachschub für die „Tauschbörsen“ reduzieren können. Da die CD als inzwischen recht alter technischer Standard einen Kopierschutz nicht vorsieht, beeinträchtigte der Kopierschutz massiv die Nutzbarkeit von CDs. Die Musikindustrie hat den Einsatz von Kopierschutz auf CDs deshalb geräuschlos weitgehend wieder eingestellt. Anders verhält es sich mit der DVD. Nahezu alle Film- und Musik-DVDs sind kopiergeschützt. Das eigentliche Anwendungsfeld von DRM sind aber nicht die Offline-Medien, sondern die neuen Vertriebskanäle im Internet. Nachdem der Onlinehandel von Musik und Filmen nach einem schleppenden Beginn inzwischen als etabliert gelten darf, hat auch die Entwicklung von DRM inzwischen an Dynamik gewonnen. Mit Hilfe von DRM lassen sich differenzierte Nutzungsbedingungen, Preismodelle und Produktvarianten auf technischem Wege realisieren. Inzwischen gibt es auch bei wichtigen Marktteilnehmern jedoch erste Überlegungen 23 für einen Vertrieb von Musik ohne DRM. Einer der Vordenker des digitalen Musikvertriebs, Steve Jobs, hat jüngst zum Verzicht auf DRM aufgefordert 31 Diese Form des technischen Urheberrechtsschutzes sei gescheitert. Da die Verwerter bei Tonträgern weitgehend auf Kopierschutz verzichten und DRM nur im Online-Vertrieb eingesetzt wird, sei nur ca 10 % der Musikverkäufe geschützt (2 Mrd Lieder von insgesamt 20 Mrd Titeln, die im Jahr 2006 weltweit verkauft worden sind). Der Nutzen von DRM stehe deshalb in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den die Verwerter für den Einsatz von DRM betreiben müssen. iTunes bietet inzwischen DRM-freie Musik an, und mit EMI hat auch ein erster großer Musikkonzern den Nutzen von DRM kritisch in Frage gestellt. Das Unternehmen befürchtet, das Digitalgeschäft könne durch allzu striktes Rechtemanagement kundenfeindliche Hemmnisse produzieren, durch die die neuen Geschäftsmodelle bereits in der Anfangsphase zerstört werden.32 Welche Verwertungsformen sich am Ende tatsächlich durchsetzen, ist offen. In jedem 24 Fall ist es aber keine Frage des Urheberrechts, sondern der Marktentwicklung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es noch keine einheitlichen Standards für DRM gibt. Heute existieren unterschiedliche DRM-Systeme nebeneinander. Teilweise liegt dies daran, dass die Technologien noch nicht ausgereift sind. Teilweise sind die Schutzmaßnahmen aber auch integraler Bestandteil unterschiedlicher, miteinander konkurrierender Geschäftsmodelle. Ob der Wettbewerb um Inhalte auf Dauer auch als Wettbewerb der technischen Systeme erfolgreich geführt werden kann, erscheint indes zweifelhaft. Den Ruf nach technologieneutralen Formaten und nach Interoperabilität werden die Anbieter nicht ignorieren können. Einige Vertriebsformen, die als geschlossene Systeme konzipiert
31
Jobs www.apple.com/hotnews/ thoughtsonmusic (Stand 16.11.2007).
32
Ole Jani
„EMI stellt Kopierschutz in Frage“, FAZ vom 30.3.2007, 20.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
sind,33 sind heute (noch) sehr erfolgreich. Möglicherweise werden sich aber auch bei den technischen Schutzmaßnahmen und Dateiformaten einheitliche Standards durchsetzen – ähnlich, wie bei den körperlichen Speichermedien. 2. Schutz technischer Maßnahmen
25
Technische Schutzmaßnahmen dienen dazu, die Zugänglichkeit oder die Nutzbarkeit des Werkes zu beschränken oder auszuschließen. Da jede technische Maßnahme mit technischen Mitteln überwunden werden kann, hat der Gesetzgeber auch die technischen Maßnahmen unter einen besonderen Schutz vor Umgehung gestellt (§§ 95a ff UrhG). Dieser Schutz basiert auf den Vorgaben der Multimedia-Richtlinie, die ihrerseits der Umsetzung der WIPO-Verträge (WPPT und WCT) dienen. Schutzmaßnahmen sind gem § 95a Abs 2 S 1 UrhG alle Technologien, Vorrichtungen und Bestandteile, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, geschützte Werke oder andere nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Schutzgegenstände betreffende Handlungen, die vom Rechteinhaber nicht genehmigt sind, zu verhindern oder einzuschränken. Wirksame technische Maßnahmen dürfen gem § 95a Abs 1 UrhG ohne die Zustim26 mung des Rechteinhabers nicht umgangen werden, soweit dem Handelnden bekannt ist oder den Umständen nach bekannt sein muss, dass die Umgehung erfolgt, um den Zugang zu dem derart geschützten Werk oder dessen Nutzung zu ermöglichen. Das Verbot umfasst darüber hinaus auch die Anleitung zur Umgehung oder die Werbung für Produkte zur Umgehung (§ 95a Abs 3 Nr 1 UrhG). Unzulässig ist danach auch der Verweis auf Bezugsquellen rechtswidriger Softwareprodukte im Rahmen redaktioneller Beiträge im Internet, wenn durch entsprechende Hyperlinks auf die Angebote in der Berichterstattung ein Bezug der rechtswidrigen Umgehungssoftware ermöglicht wird.34 Der Schutz technischer Maßnahmen ist nicht unumstritten. Kritiker befürchten, dass der technische Schutz den Urheberschutz faktisch überholen werde und die Rechteinhaber auf diese Weise eine übermäßige Kontrolle über das Werk erlangen, die auch nicht zwingend im Interesse der Urheber sein müsse.35 Nach § 95b Abs 2 S 2 UrhG sind Schutzmaßnahmen dann „wirksam“, wenn durch 27 sie die Nutzung eines geschützten Werkes oder sonstigen Schutzgegenstandes vom Rechteinhaber durch eine Zugangskontrolle, einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung oder sonstige Schutzmechanismen, wie Verschlüsselung, Verzerrung usw, die die Erreichung des Schutzziels sicherstellen, unter Kontrolle gehalten wird. Der Wirksamkeit technischer Maßnahmen steht nicht entgegen, dass sie im Einzelfall umgangen werden können. Andernfalls liefe das Verbot aus § 95a Abs 1 UrhG mit jeder einmal erfolgreichen Umgehung und der damit erwiesenen Unwirksamkeit der Maßnahme ins Leere.36 Der Einsatz technischer Maßnahmen beschränkt die Nutzbarkeit des Werkstücks. Das Urheberrechtsgesetz verpflichtet die Rechteinhaber deshalb dazu, über die technischen Maßnahmen zu informieren und die Werkstücke entsprechend zu kennzeichnen (§ 95d
33
34
Als prominentes Beispiel sei hier „I-Tunes“ von Apple erwähnt, dessen DRM-geschütztes Musikangebot und die zugehörige Soft- und Hardware eine Einheit bilden. OLG München GRUR-RR 2005, 372 – AnyDVD; Vorinstanz LG München GRURRR 214 – DVD-Kopierschutz.
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35 36
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Schack Rn 732 mwN. BT-Drucks 15/38, 26; Schack Rn 732e; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 51.
§4
Die Bedeutung des europäischen Urheberrechts
UrhG). Der Verbraucher soll dadurch die Möglichkeit erhalten, den technischen Schutz bei seiner Kaufentscheidung zu berücksichtigen. Diese Regelung ist interessengerecht, denn sie schafft Transparenz. Da technische Schutzmaßnahmen ohne Rücksicht auf den konkreten Nutzungszweck 28 wirken, kann ihr Schutz mit den gesetzlichen Ausnahmen der Schrankenbestimmungen 37 kollidieren. Um zu gewährleisten, dass die Begünstigten die privilegierten Werknutzungen (insbesondere Vervielfältigungen) tatsächlich vornehmen können, sind einige Schranken gegenüber technischen Schutzmaßnahmen durchsetzungsstark ausgestaltet. Diese Regelung gilt nicht für alle Schranken, sondern nur für diejenigen, die § 95b Abs 1 UrhG abschließend aufzählt. Nicht in diesem Katalog enthalten ist die Herstellung digitaler Kopien zum privaten Gebrauch.38 Ob die Befugnis zur Herstellung von Privatkopien durchsetzungsstark ausgestaltet werden soll, war politisch umstritten. Im Rahmen der Umsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie hatte der Gesetzgeber auf eine abschließende Entscheidung dieser Frage zunächst ausdrücklich verzichtet.39 Das Thema wurde mit dem „Zweiten Korb“ zwar erneut aufgegriffen. Die Befürworter einer durchsetzungsstarken Privatkopie konnten sich im Bundestag jedoch nicht durchsetzen; entsprechend dem Regierungsentwurf 40 ist die bisherige Rechtslage nun als endgültige Regelung bestätigt. Die Zulässigkeit der Privatkopie steht unter dem Vorbehalt, dass der Rechteinhaber das Werk nicht mit Kopierbeschränkungen versieht.
§4 Die Bedeutung des europäischen Urheberrechts I. Europäische Harmonisierung des Urheberrechts Die urheberrechtspolitische Entwicklung in Deutschland wird inzwischen durch die 29 europäische Rechtssetzung dominiert. Mit Ausnahme der Reform des Urhebervertragsrechts, die der deutsche Gesetzgeber vor einigen Jahren auf eigene Initiative vorgenommen hat, werden die wichtigen urheberrechtlichen Weichen heute in Brüssel gestellt. Die Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht fand auf der europäischen Bühne zunächst nicht als rechtspolitische Debatte, sondern vor den Gerichten als Teil der Diskussion um die Zukunft des Wettbewerbsrechts und unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen statt. Erst ab Anfang der neunziger Jahre begann die Europäische Kommission die Regelungen der nationalen Urheberrechtsordnungen durch Richtlinien zu harmonisieren. Die Befugnis zu dieser urheberrechtlichen Normsetzung ist Ausfluss des Auftrags zur Verbesserung der Rahmenbedingungen des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung und den Abbau von Handelshemmnissen. Zentrale Rechtsgrundlage für die Harmonisierungsmaßnahmen im Urheberrecht ist daher Art 95 des EG-Vertrages.41 Bis heute sind insgesamt acht Richtlinien zum Urheberrecht in Kraft getreten, die inzwischen auch alle in das deutsche Urheberrecht umgesetzt worden sind.
37 38 39 40 41
S Rn 129 ff. Zur Privatkopie s Rn 134 ff. BT-Drucks 15/38, 15. BT-Drucks 16/1828, 18. Vgl beispielhaft die Präambel der Informa-
tionsgesellschafts-Richtlinie in der es heißt: „… gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Art 47 Abs 2, Art 55 und Art 95 …“.
Ole Jani
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Die „Durchsetzungs-Richtlinie“ 42 bildet nur den vorläufigen Schlusspunkt der Harmonisierung. Im nächsten Schritt soll eine Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums folgen; von besonderem Interesse auf europäischer Ebene ist ferner die Zukunft der Verwertungsgesellschaften im Hinblick auf die kollektive Rechtewahrnehmung, die grenzüberschreitende Lizenzierung von Online-Rechten und die künftige Entwicklung der pauschalen Urhebervergütungen. Im Juli 2008 hat die EU-Kommission einen Entwurf für eine Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfrist für Tonaufnahmen43 vorgelegt und außerdem angekündigt, die Debatte über die Auswirkungen des Urheberrechts auf Wissenschaft, Forschung und Unterricht zu intensivieren.44 Da das europäische Recht keine Kompetenz-Kompetenz kennt, bedarf jede urheber30 rechtliche Maßnahme einer ausdrücklichen Rechtfertigung auf der Grundlage des EGVertrages. Die Befugnis zur europäischen Rechtsetzung im Urheberrecht ist also nicht umfassend und umfasst zB nicht das Urhebervertragsrecht. Auch im Urheberrecht gilt ferner der Grundsatz der Subsidiarität, so dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den nationalen Gesetzgeber nicht ersetzt.45 Ein zusammenhängendes europäisches Urheberrecht „aus einem Guss“ wird es daher auch in Zukunft nicht geben; trotz der Harmonisierung, die noch nicht am Ende ist, wird das Urheberrecht in bestimmten Bereichen weiterhin durch nationale Besonderheiten geprägt bleiben.
II. Urheberrecht als Eigentumsrecht 31
Auch im europäischen Recht ist das Urheberrecht heute ausdrücklich als Bestandteil des Eigentumsrechts anerkannt.46 Ziel auch des europäischen Rechts ist die Schaffung eines Rechtsrahmens, in dem sich schöpferische Tätigkeit in ihren kreativen und wirtschaftlichen Aspekten entfalten kann. Ausdrücklich stellt die InformationsgesellschaftsRichtlinie fest, dass Urheber und ausübende Künstler für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten müssen, wenn sie weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen. Dieser Grundsatz wird auf die Produzenten übertragen, auch sie müssen nach den europäischen Vorgaben eine angemessene Vergütung erhalten können, damit sie urheberrechtlich geschützte Werke und deren Verwertung finanzieren können. Das europäische Urheberrecht bekennt sich damit nicht erst an dieser Stelle ausdrücklich auch zu einem Investitionsschutz: „Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden.“ 47 Im Zentrum der Harmonisierungsbemühungen steht also die gewerbliche Verwertung des geistigen Eigentums; persönlichkeitsrechtliche Aspekte spielen hingegen eine untergeordnete Rolle.48 Eine stärkere Beachtung des Urheberpersönlichkeitsrechts auf europäischer Ebene mag erstrebenswert sein. Angesichts der unterschiedlichen Bedeutung des Urheberpersönlichkeitsrechts in den nationalen Urheberrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist damit aber kaum zu rechnen. Es stellt sich im Übrigen die Frage, ob und inwieweit die EU hier überhaupt eine Regelungskompetenz hätte. 42
43 44
Richtlinie 2004/48/EG vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte der geistigen Eigentums ABl L 195 vom 2.6.2004, 16. S Rn 68. Grünbuch „Urherrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft“, KOM(2008) 466 endg.
280
45 46 47 48
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Reinbothe GRUR Int 2001, 733, 734. Informationsgesellschafts-Richtlinie, Erwägungsgrund 9. Informationsgesellschafts-Richtlinie, Erwägungsgrund 10. Dazu krit Delp 380 f.
§5
Die Urheberschaft
§5 Die Urheberschaft I. Der Urheber als Kreativer Dem deutschen Urheberrecht liegt das sog Schöpferprinzip zugrunde, das in § 7 UrhG 32 und in § 2 Abs 2 UrhG seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat. Danach ist Urheber eines Werkes derjenige, der das Werk tatsächlich schafft, das heißt, wer durch eine individuelle geistige Leistung einen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand schöpferisch gestaltet hat.49 Die urheberrechtliche Schöpfung umfasst damit ausschließlich den kreativen Akt, nicht aber vorbereitende oder begleitende wirtschaftliche oder organisatorische Leistungen. Produzenten als diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, die ein urheberrechtlich geschütztes Werk unter eigener Verantwortung auf eigenes Risiko von einem oder mehreren vertraglich dazu verpflichteten Urhebern schaffen lassen (zB Filmproduzenten), sind aufgrund dieses Schöpferprinzips deshalb keine Werkschöpfer im Sinne des Urheberrechts. Aus diesem Grunde können sie auch kein originäres Urheberrecht erwerben und damit keine ursprüngliche Berechtigung zur Verwertung eines Werkes erlangen. Der urheberrechtliche Schutz setzt aufgrund des Schöpferprinzips in jedem Fall aber menschliches Schaffen einer natürlichen Person voraus. Werke, die mit technischen Mitteln erzeugt werden, sind daher nicht geschützt.50 Werke, die mit Hilfe von Computern geschaffen werden („Animationen“), sind nicht geschützt, soweit sie lediglich das Ergebnis des technischen Prozesses im Computer sind, weil es hier an der persönlich-geistigen Leistung des Urhebers fehlt. Die der Animation regelmäßig zugrunde liegenden kreativen Vorarbeiten sind nach den allgemeinen Grundsätzen urheberrechtlich schutzfähig. Der urheberrechtliche Schutz entsteht außerdem auch nicht dadurch, dass ein vor- 33 gefundener Gegenstand – objets trouvés – zum Werk erklärt wird.51 Zur Begründung des Rechtsschutzes nach deutschem Recht ist es schließlich unbeachtlich, ob das nationale Recht im Land der Erstveröffentlichung eines ausländischen Werkes vom Schöpferprinzip abweichend die Rechtsstellung des Urhebers und originären Rechtsinhabers einem Dritten, insbesondere dem Arbeitgeber oder Besteller eines Werkes zuweist.52
II. Das Urheberrecht entsteht durch Realakt Das Urheberrecht kennt keine formalen Schutzvoraussetzungen, wie etwa den Eintrag 34 in ein Register oder eine Schutzrechtsanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt. In diesem Grundsatz der Formfreiheit liegt ein ganz wesentlicher Unterschied des Urheberrechts zu den gewerblichen Schutzrechten (zB Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmackmusterrecht etc). Die Formfreiheit des Urheberrechts hat heute auch im internationalen Rahmen aufgrund von RBÜ und TRIPs allgemeine Gültigkeit. Sie erleichtert die Entstehung des Schutzes, kann jedoch andererseits die Rechtsverfolgung erschweren. Der urheberrechtliche Schutz entsteht unmittelbar und automatisch durch den Realakt der Schaffung des urheberrechtlich schutzfähigen Werkes, also sobald das Werk in seiner konkreten Form objektiv wahrnehmbar ist.53 Der Urheber muss dazu nicht mit Schöp-
49
50
Möhring/Nicolini/Ahlberg § 7 UrhG Rn 2; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 11; Schack Rn 153. Wandtke/Bullinger/Thum § 7 UrhG Rn 6.
51 52 53
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Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 16. BGH MMR 1998, 35, 36 – Spielbankaffaire. Dreier/Schulze/Schulze § 7 UrhG Rn 3; Rehbinder Rn 249.
281
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
fungsbewusstsein handeln; auch auf die Geschäftsfähigkeit des Urhebers (§§ 104 ff BGB) kommt es nicht an.54
III. Nachweis der Priorität des Werkes 35
Im Gegensatz zu den gewerblichen Schutzrechten schließt im Urheberrecht der Schutz eines älteren Werkes den Schutz eines jüngeren gleichartigen Werkes nicht a priori aus. Im seltenen Extremfall kann dies durch eine sog „Doppelschöpfung“ 55 dazu führen, dass zwei identische Werke nebeneinander bestehen. In Bezug auf noch unveröffentlichte Werke kann es in der Praxis jedoch schwierig sein, den Nachweis über die eigene Urheberschaft zu führen, wenn jemand anderes die Urheberschaft zu unrecht für sich in Anspruch nimmt. Es kommt nicht selten vor, dass ein Urheber, etwa durch Einsendung eines Manuskripts, sein Werk einem Dritten anbietet, der vorgibt, an der Nutzung nicht interessiert zu sein. Wenig später wird dann aber eben dieses Werk durch den Dritten (oder eine sonstige nicht autorisierte Personen) unter anderem Namen verwertet. Um diesem Fall vorzubeugen, empfiehlt es sich, zum Nachweis der Priorität der eigenen Urheberschaft das Werk bei einem Rechtsanwalt oder Notar zu hinterlegen und den Zeitpunkt der Hinterlegung dokumentieren zu lassen. Im Verletzungsprozess kann der Urheber dann nachweisen, dass sein Werk am Tag der Hinterlegung in der hinterlegten Form bereits existiert hat.
IV. Allein der Urheber entscheidet über die Veröffentlichung seines Werkes 36
Die Entstehung des Schutzes durch das Urheberrecht hängt nicht davon ab, dass das Werk veröffentlicht wird. Im Gegenteil umfasst das Urheberrecht auch das Recht zur Veröffentlichung (§ 12 UrhG), und diese Befugnis ist sowohl unter persönlichkeitsrechtlichen wie unter ökonomischen Gesichtspunkten von erheblicher Bedeutung. Das Veröffentlichungsrecht ist das Recht des Urhebers, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form sein Werk iSv § 6 Abs 1 UrhG der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Ein Werk ist im urheberrechtlichen Sinne nur dann veröffentlicht, wenn es mit Zustimmung des Berechtigten einer Mehrzahl von Personen, deren Kenntnisnahme der Urheber nicht beeinflussen kann, erstmals 56 zugänglich gemacht wird. Die Veröffentlichung ist ein unwiderruflicher Realakt; das Veröffentlichungsrecht gehört zum Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts, denn erst durch die irreversible Veröffentlichung tritt das Werk aus der Privatsphäre des Urhebers heraus und wird zum Gegenstand des Rechtsverkehrs.57 Das Veröffentlichungsrecht ist deshalb als solches nicht übertragbar. Der Urheber kann aber schuldrechtliche Vereinbarungen über die Ausübung des Veröffentlichungsrechts treffen. In der urhebervertraglichen Praxis wird das Veröffentlichungsrecht oftmals nicht gesondert erwähnt, denn es ist in den vertragsgegenständlichen Nutzungsrechten regelmäßig enthalten.58 Räumt der Urheber seinem Vertragspartner bzgl eines noch unveröffentlichten Werkes das Recht zur Vervielfältigung und zur Verbreitung ein, ist eine zusätzliche Vereinbarung über das Recht zur erstmaligen Veröffentlichung des Werkes deshalb nicht erforderlich.
54 55 56
Wandtke/Bullinger/Thum § 7 UrhG Rn 3. S Rn 84. Schricker/Dietz § 12 UrhG Rn 7.
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57 58
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Schack Rn 236. BGHZ 15, 249, 257 – Cosima Wagner.
§5
Die Urheberschaft
V. Ein besonderer Urhebervermerk ist nicht notwendig Da das Urheberrecht automatisch entsteht, ist nicht erforderlich, dass an dem Werk 37 ein besonderer Urheberrechtsvermerk, wie zB das weltweit gebräuchliche ©-Zeichen, angebracht wird. Der ©-Copyright-Vermerk, der seine Grundlage in Art III WUA59 hat, dient der Erleichterung eines internationalen Urheberrechtsschutzes. Die Vertragsstaaten des WUA, die die Gewährung des Urheberrechtsschutzes an formale Anforderungen knüpfen, sollen diese Formalien in Bezug auf ausländische Werke als erfüllt ansehen, wenn auf allen Exemplare des Werkes, die mit Zustimmung des Urhebers oder eines anderen Inhabers des Urheberrechts veröffentlicht worden sind, von der ersten Veröffentlichung des Werkes an das Copyright-Symbol ©, der Name des Urheberrechtsinhabers sowie die Jahreszahl der Veröffentlichung angebracht sind.60 Diese Bestimmung ist inzwischen allerdings weitgehend bedeutungslos, weil inzwischen fast alle Staaten Mitglied der RBÜ sind und wie das deutsche Urheberrecht einen formlosen Schutz vorsehen.
VI. Die Urheberschaft wird vermutet 1. Die Vermutungsregelung des § 10 UrhG § 10 UrhG begründet die widerlegbare Vermutung der Urheberschaft iSv § 292 ZPO 38 durch die Bezeichnung des Urhebers auf dem Werk. An welcher Stelle der Urheber auf dem Werk benannt wird, ist grds unerheblich und ist je nach Werkart unterschiedlich. Bei Computerprogrammen wird der Urheber zB üblicherweise im Quellcode genannt.61 Werden mehrere Personen als Urheber bezeichnet, so geht die Vermutung dahin, dass sie das Werk als Miturheber (§ 8 UrhG) geschaffen haben.62 Die Urheberbezeichnung muss nicht mit dem bürgerlichen Namen des Urhebers identisch sein. Auch Künstlernamen, Pseudonyme usw erzeugen diese Vermutungswirkung, sofern der Urheber unter diesen Bezeichnungen bekannt ist (§ 10 Abs 1 S 2 UrhG). Welche Anforderungen an die Bekanntheit des Pseudonyms zu stellen sind, ist umstritten. Im Hinblick auf die Funktion der Urheberbezeichnung als Mittel zur Identifizierung des Urhebers dürfen an die Bekanntheit der Urheberbezeichnung aber keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden.63 Die Urhebervermutung ist widerlegbar,64 sie führt aber zu einer Umkehr der Beweislast.65 Wer die Vermutung angreifen will, muss deshalb den vollen Gegenbeweis dafür erbringen, dass der als Urheber Bezeichnete nicht der wahre Urheber ist.66 2. Erweiterung der Vermutungsregel auf Leistungsschutzrechte Der Grundsatz der Vermutung der Urheberschaft ist durch die Durchsetzungs-Richt- 39 linie auch gemeinschaftsrechtlich ausdrücklich anerkannt und gem Art 5 lit b) dieser Richtlinie auf die Inhaber von verwandten Schutzrechten erweitert worden. In seiner neuen Fassung ist § 10 UrhG daher auf Leistungsschutzrechte entsprechend anwendbar.
59 60 61 62 63
Welturheberrechtsabkommen vom 6.9.1952, BGBl 1955 II S 101 ff. Wandtke/Bullinger/Thum § 10 UrhG Rn 57. LG Frankfurt aM ZUM-RD 2006, 525, 526. Dreier/Schulze/Schulze § 10 UrhG Rn 24. Fromm/Nordemann/Nordemann § 10 UrhG Rn 21.
64
65 66
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BGH GRUR 1994, 39, 40 – Buchhaltungsprogramm; BGH GRUR 2003, 231, 233 – Staatsbibliothek. Wandtke/Bullinger/Thum § 10 UrhG Rn 23; Rehbinder Rn 292. Wandtke/Bullinger/Thum § 10 UrhG Rn 24.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Mit der Ausweitung der Vermutungsregel trägt die Richtlinie dem Umstand Rechnung, dass Inhaber von Leistungsschutzrechten in der Durchsetzung ihrer Rechte ohne eine Vermutungsregel zu ihren Gunsten oftmals behindert waren.67 Das gilt vor allem für Tonträgerhersteller. Nach bisheriger Rechtslage war eine entsprechende Anwendung von § 10 UrhG auf das Leistungsschutzrecht zB des Tonträgerherstellers (§ 85 UrhG) ausgeschlossen, der „P-Vermerk“ gem Art 5 des Genfer Tonträgerabkommens von 1971 auf einem Tonträger erzeugte keine Vermutungswirkung.68 Dieses Defizit wird nunmehr durch die notwendige Anpassung von § 10 UrhG durch eine eindeutige gesetzliche Regelung behoben worden. 3. Vermutung zugunsten der Inhaber von Nutzungsrechten
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Über die Vorgaben der Durchsetzungs-Richtlinie hinaus hat der Gesetzgeber die Regel über die Vermutung der Rechtsinhaberschaft auch auf Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte ausgedehnt, soweit es um Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder um Unterlassungsansprüche geht (§ 10 Abs 3 UrhG). Von dieser Bestimmung profitieren vor allem die Verwerter, die das Urheberrecht nicht mit einem eigenen Leistungsschutzrecht ausgestattet hat (zB Verleger), die aber vergleichbare rechtliche und wirtschaftliche Interessen wie die leistungsschutzberechtigten Verwerter haben.69 Die Urheberbezeichnung entfaltet ihre Vermutungswirkung nur, wenn das Werk iSv § 6 Abs 2 UrhG erschienen ist. Diese Einschränkung ergibt sich nicht aus der Durchsetzungs-Richtlinie, sondern beruht auf einer Entscheidung des deutschen Gesetzgebers.70
VII. Die Unübertragbarkeit des Urheberrechts als Ganzes 1. Keine Übertragbarkeit des Urheberrechts zu Lebzeiten
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Dass das Urheberrecht als Ganzes nicht übertragbar ist (§ 29 Abs 1 UrhG), ist die logische Konsequenz aus der persönlichkeitsrechtlichen Verankerung des Urheberrechts. Das Urheberrecht bezieht seine Legitimation aus der Verbindung zwischen dem Schöpfer und seinem Werk und dient zugleich dem Schutz dieser Verbindung. Die Übertragung des Urheberrechts auf einen Dritten würde mithin das persönlichkeitsrechtliche Band zwischen Werk und Urheber zerschneiden und dem Urheberrecht damit seine Grundlage entziehen. Ganz anders stellt sich die Situation in Urheberrechtsordnungen dar, in deren Zentrum der wirtschaftliche Schutz steht. Das US-amerikanische Copyright bspw ist vollständig übertragbar. Klauseln in Urheberrechtsverträgen, die eine Übertragung des Urheberrechts vorsehen, sind nach deutschem Recht dagegen nichtig und unbeachtlich. Inwieweit sie Rückschlüsse auf den Vertragszweck und auf den von den Parteien gewollten Umfang der Rechtseinräumung zulassen, ist eine urhebervertragsrechtliche Frage, auf die an anderer Stelle einzugehen sein wird.71
67 68
Erwägungsgrund 19 der DurchsetzungsRichtlinie. BGH GRUR 2003, 228 – P-Vermerk; LG München I, ZUM-RD 2007, 205; Wandtke/ Bullinger/Thum § 10 UrhG Rn 51; aA Fromm/Nordemann/Nordemann § 10 UrhG Rn 6b; Schack Rn 626.
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69 70
71
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Spindler/Weber ZUM 2007, 257. Mit Hinweis auf die Durchsetzungs-Richtlinie abl Spindler/Weber ZUM 2007, 257, 258. S Rn 196.
§5
Die Urheberschaft
2. Das Urheberrecht ist vererblich Einzige Ausnahme von der Unübertragbarkeit des Urheberrechts ist seine Vererbbar- 42 keit (§ 28 Abs 1 UrhG). Der Erbe des Urhebers erwirbt nicht nur die vermögensrechtlichen Befugnisse, sondern er tritt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) vollständig in die Rechtsstellung des Urhebers ein und wird damit auch Inhaber der Urheberpersönlichkeitsrechte.72 Erben mehrere Personen das Urheberrecht, finden die Vorschriften über die Erbengemeinschaft Anwendung. Gem § 2033 Abs 1 BGB kann durch notariell beurkundeten Vertrag jeder Miterbe über seinen Anteil am Nachlass verfügen, aber nicht über einen Teil des Urheberrechts; diesbezüglich können die Erben nur gemeinschaftlich verfügen.73 Die Miterben werden nicht durch die Erbschaft zu Miturhebern iSv § 8 UrhG.74 Im Fall der gesetzlich ausdrücklich zugelassen Vererbung des Urheberrechts wird der Grundsatz durchbrochen, dass Urheber aufgrund des Schöpferprinzips stets nur eine natürliche Person sein kann; der Urheber kann sein Urheberrecht auch einer juristischen Person, zB einer Stiftung vererben.
VIII. Das deutsche Urheberrecht kennt keine „work-made-for-hire“-Vereinbarung Über die Rechtsstellung des Urhebers kann nicht disponiert werden.75 Es ist es daher 43 nicht möglich, im Wege der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung festzulegen, dass ein anderer als der Schöpfer des Werkes als Urheber angesehen werden soll, der dadurch die originären Rechte an dem Werk erwerben würde. Aufgrund des Schöpferprinzips ist jegliche Parteivereinbarung dieser Art ausgeschlossen. In dieser unveränderlichen Bindung des Urheberrechts an den Werkschöpfer liegt der wesentliche Unterschied des Urheberrechts zum US-amerikanischen Copyright, bei dem gem Sec 201(b) US Copyright Act durch sog „work made for hire“-Vereinbarungen auch der Produzent Urheber sein kann. Zwar entsteht gem Sec 201(a) US Copyright Act auch nach US-amerikanischem Recht das Copyright grds in der Person des Autors. Im Gegensatz zum deutschen Urheberrecht, dessen Anknüpfungspunkt ausnahmslos die Person des Werkschöpfers und dessen ideelle Beziehung zum Werk ist, stellt das US-amerikanische Copyright-Law insgesamt aber die ökonomischen Interessen unter dem Gesichtspunkt des Investitionsschutzes in den Vordergrund. Das US-amerikanische Copyright ist kein „Author’s Right“. Die Philosophie des Copyrights ist, dass derjenige das Anrecht auf die finanziellen 44 Erträge haben sollte, der das finanzielle Risiko für die Herstellung und die Vermarktung des Produkts trägt, in dem sich das Werk des Autors verkörpert, wer auch immer das sein mag. Im Sinne seines ökonomisch geprägten Ansatzes kann das Copyright anders als das deutsche Urheberrecht originär auch in einer juristischen Person, vor allem in der Person des Arbeitgebers, entstehen.76 Alternativ zu dem originären Erwerb durch eine „work made for hire“-Vereinbarung ist im US-amerikanischen Recht gem Sect. 101 US Copyright Act auch eine nachträgliche Übertragung des Urheberrechts („transfer of Copyright ownership“) möglich.
72 73 74
Wandtke/Bullinger/Block § 28 UrhG Rn 8. Schricker/Schricker § 28 UrhG Rn 10; Wandtke/Bullinger/Block § 28 UrhG Rn 11. BGH GRUR 1982, 308, 310 – Kunsthändler; Schricker/Schricker § 28 UrhG Rn 10.
75 76
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S Rn 32. Schack Rn 25.
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2. Teil
IX. Im Prozess: die urheberrechtliche Aktivlegitimation 45
Bei der Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche stellt sich zunächst die Frage nach der Aktivlegitimation. Aktivlegitimiert ist nach den allgemeinen Grundsätzen derjenige, dem der Anspruch zusteht bzw dessen Recht beeinträchtigt worden ist. Neben dem Urheber und seinen Rechtsnachfolgern kann das auch der Inhaber von Nutzungsrechten sein, sofern er ein ausschließliches Nutzungsrecht hat, das auch den Urheber von der Nutzung des Werkes ausschließt (§ 31 Abs 3 UrhG). Das einfache Nutzungsrecht (§ 31 Abs 2 UrhG) ist grds nicht aktivlegitimiert.77 Im Erbfall kann bei entsprechender letztwilliger Verfügung des Urhebers auch ein Testamentsvollstrecker (§ 2197 BGB) zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Urheberrecht aktivlegitimiert sein.
§6 Das Werk I. Das Werk als Objekt des urheberrechtlichen Schutzes 46
Urheberrecht und Kunst werden oftmals miteinander in Verbindung gebracht. Die beiden Begriffe gehören aber nicht zwingend zusammen. Kunst ist grds keine urheberrechtliche Kategorie.78 Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen persönlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen zu dem von ihm geschaffenen Werk (§ 7 UrhG). Dieser objektbezogene Schutz setzt einen Gegenstand voraus, der als persönliche geistige Schöpfung urheberrechtlich schutzfähig ist (§ 2 Abs 2 UrhG). § 2 Abs 1 UrhG zählt bestimmte Werkarten auf; diese Aufzählung ist beispielhaft und nicht abschließend. Der urheberrechtliche Werkbegriff ist ein Rechtsbegriff, der als solcher in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt.79 Der Werkbegriff ist der Schlüsselbegriff im Urheberrecht.
II. Allgemeine Voraussetzungen für die Schutzfähigkeit 47
Das Werk muss nach der Legaldefinition in § 2 Abs 2 UrhG eine persönliche geistige Schöpfung sein. Es muss sich also im Sinne des Schöpferprinzips 80 um eine menschliche Leistung handeln, in der der „menschliche Geist“ zum Ausdruck kommt.81 Rein mechanische, reproduzierende Tätigkeiten können daher keine urheberrechtlich schutzfähigen Leistungen hervorbringen. Das Werk muss außerdem sinnlich wahrnehmbar sein; dies setzt voraus, dass der Urheber dem Werk eine Form gegeben hat, die allerdings nicht von Dauer sein muss; auch flüchtige Ausdrucksformen können deshalb Werkcharakter haben.82
77
78 79
Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 51; Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 49. Zu diesem Thema eingehend Wandtke ZUM 2005, 769. BGH GRUR 1958, 677 – Candida; Wandtke/ Bullinger/Wandtke Einl UrhG Rn 4 mwN.
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82
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S Rn 32. BGH GRUR 1998, 916, 917 – Stadtplanwerk; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 18. BGHZ 37, 1, 7 – AKI; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 20 mwN.
§6
Das Werk
Bei Werken, die das Ergebnis einer geringen eigenschöpferischen Leistung sind, stellt 48 sich die Frage, ob sie die Voraussetzungen für einen urheberrechtlichen Schutz erfüllen. Die Rechtsprechung stellt an die notwendige Individualität des Werkes keine besonders hohen Anforderungen und verlangt lediglich, dass das Werk über das rein Handwerkliche hinausgeht.83 Nicht erforderlich ist, dass ein Werk gegenüber bestehenden Werken absolut neuartig ist. Auch Werke von nur geringer Individualität können also Schutz durch das Urheber- 49 recht genießen; man spricht hier von Werken der „Kleinen Münze“.84 Derartige Werke finden sich namentlich in Bereichen, in denen urheberrechtliches Schaffen vor allem zu Alltags- und Gebrauchszwecken erfolgt. Für einen Schutz technischer Darstellungen (§ 2 Abs 1 Nr 7 UrhG) solle es nach den Grundsätzen der „kleinen Münze“ zB ausreichen, wenn die Daten nicht wahllos aufgelistet werden, sondern ein Sachverhalt auf strukturierte Weise und für den Laien verständlich aufbereitet wird.85 In der allzu großzügigen Anerkennung urheberrechtlicher Schutzfähigkeit von Werken der sog „Kleinen Münze“ liegt allerdings die Gefahr einer Inflation des Urheberrechts, die in letzter Konsequenz zu Lasten des Urheberrechts insgesamt ginge. Zu Recht wird in der Literatur86 deshalb eine gewisse Gestaltungshöhe gefordert. Sie ist für den Urheberrechtsschutz bestimmend, da es um die Feststellung geht, welche schöpferischen Leistungen in den Urheberrechtsschutz miteinbezogen werden und welche nicht. Setzte man, wie teilweise gefordert, die Hürde sehr niedrig an, so würde die Zahl der urheberrechtlich geschützten Werke ausufern und das Urheberrecht im Ergebnis geschwächt werden. Wegen der umfangreichen Befugnisse des Urhebers und der langen Schutzdauer von 70 Jahren post mortem auctoris (§ 64 UrhG) ist deshalb die Gestaltungshöhe ein notwendiges Korrektiv. Andererseits ist aber das Erfordernis der Gestaltungshöhe kein starrer Maßstab, sondern er kann bei einzelnen Werkarten durchaus unterschiedlich sein. In diesem Sinne stellt auch die Rechtsprechung bei der „angewandten Kunst“ unter Verweis auf die Möglichkeit eines Schutzes durch das Geschmacksmusterrecht an den urheberrechtlichen Schutz in der Regel noch strengere Anforderungen.87 Diese Differenzierung zwischen sog zweckfreier und gebrauchsbezogener Kunst ist verfassungsrechtlich unbedenklich.88 Computerprogramme (§ 2 Abs 1 Nr 1 UrhG) sind aufgrund europarechtlicher Vorgaben schutzfähig, wenn sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung sind (§ 69a Abs 3 UrhG). Zwar gilt auch hier uneingeschränkt das Schöpferprinzip. Ästhetische oder qualitative Kriterien spielen aber keine Rolle. Eine fehlende Schöpfungshöhe ist deshalb bei Computerprogrammen so gut wie ausgeschlossen.89 Texte, die sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe tatsächlicher Ereignisse konzen- 50 trieren und unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten verfasst sind, sind urheberrechtlich nicht geschützt, denn solche Texte erfüllen nicht das Kriterium der persönlich-geistigen Schöpfung.90 Das gilt auch für Film- und Fernsehberichte über tatsächliche und aktuelle Ereignisse (Tagesschauen) 91 oder Aufzeichnungen von Sendungen ohne besondere filmische Gestaltung (Dauerwerbesendungen usw).92 83 84
85 86
BGH ZUM 1992, 427 – Bedienungsanweisung. So bereits das Reichsgericht in RGZ 81, 120, 122; außerdem zB KG GRUR-RR 2001, 292 – Bachforelle. LG München I ZUM-RD 2007, 435 – FondsProspekt. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 24; Rehbinder Rn 153; Schack Rn 10.
87 88 89 90 91
92
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BGH GRUR 1957, 291 – Europapost; 1959, 298f – Rosenthal-Vase. BVerfG NJW-RR 2005, 686. Schricker/Loewenheim § 69a UrhG Rn 19. LG Düsseldorf ZUM-RD 2007, 367, 368. LG Berlin GRUR 1962, 207, 208 – Maifeiern; Schricker/Katzenberger § 95 UrhG Rn 9f. BGH GRUR 2000, 703, 704 – Mattscheibe.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
III. Werkarten (§ 2 Abs 1 UrhG) 51
Ausgangspunkt aller urheberrechtlichen Überlegungen ist die Frage, ob eine bestimmte Schöpfung überhaupt Werkqualität iSd Urheberrechtsgesetzes hat. Das Urheberrechtsgesetz benennt in § 2 Abs 1 UrhG beispielhaft bestimmte Werkarten, die urheberrechtlichen Schutz genießen können: Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme (§ 2 Abs 1 Nr 1 UrhG), Werke der Musik (§ 2 Abs 1 Nr 2 UrhG), pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst (§ 2 Abs 1 Nr 3 UrhG), Werke der bildenden Kunst einschließlich Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG), Lichtbildwerke (Fotografien) einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG), Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden (§ 2 Abs 1 Nr 6 UrhG) sowie Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen (§ 2 Abs 1 Nr 7 UrhG). Ob ein Werk im Rahmen dieser Kategorien tatsächlich geschützt ist, richtet sich nach den abstrakten Schutzvoraussetzungen gem § 2 Abs 2 UrhG. 52 Der Katalog des § 2 Abs 1 UrhG ist nicht abschließend und damit offen für Neues. Es besteht also kein Bedürfnis dafür, Multimediaprodukte ausdrücklich als neue Werkart in den Katalog des § 2 Abs 1 UrhG aufzunehmen.93 In welche Werkkategorie ein Multimediawerk einzuordnen ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Auch beim Multimediawerk muss dabei mit Blick auf die für den Betrachter wahrnehmbare Formengestaltung zunächst eine Zuordnung zu den bekannten Werkarten erfolgen.94 Multimediawerke können aber durchaus als unbenannte Werkart eigenständig schutzfähig sein.95 Charakteristisch für solche Multimediawerke ist die Verbindung einzelner Elemente zu einer Einheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile, weil durch sie ein Gesamtkunstwerk entsteht.96 Insoweit ähnelt das Multimediawerk dem Filmwerk, bei dem ebenfalls eine Vielzahl von Beiträgen, die für sich genommen urheberrechtlich schutzfähig sein können, zu einem neuen Ganzen zusammengefügt wird. Ob durch die Kombination von Einzelteilen ein selbstständig geschütztes Multimediawerk entsteht, hängt davon ab, ob die Bearbeitung, Anordnung, und Zusammenstellung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung iSv § 2 Abs 2 ist.97 Konstitutiv für Multimediawerke ist das interaktive Element, bei dem der Nutzer Art und Verlauf der Nutzung des Werkes bestimmt.98 53 Die schöpferische Leistung bei Musikwerken kann sich aus der Gestaltung der Melodie, dem Aufbau der Tonfolgen, dem Rhythmus, der Instrumentierung und der Orchestrierung ergeben; die künstlerische Bedeutung des Musikstückes ist für die Frage der Schutzfähigkeit unbeachtlich.99 Gerade im Bereich der Musikkomposition kommt dem Prinzip der „Kleinen Münze“ eine besondere Bedeutung zu, die urheberrechtlichen Anforderungen an die Schutzfähigkeit von Musikwerken sind nach ständiger Rechtsprechung sehr gering.100 Als Musikwerk können deshalb zB auch Klingeltöne für Mobiltelefone urheberrechtlich geschützt sein.101 93 94 95 96 97
Leutheusser-Schnarrenberger ZUM 1996, 631, 633. LG Köln MMR 2006, 52, 53. Schack Rn 217. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 151. Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 191; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 4.
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98 99 100
101
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Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 152; Schack Rn 217. BGH GRUR 1991, 533 – Brown Girl II. BGH GRUR 1968, 312, 323 – Haselnuss; BGH GRUR 1971, 266, 268 – Magdalenenarie; BGH GRUR 1991, 533, 535 – BrownGirl II. LG Hamburg ZUM 2001, 443, 444 – Klingelton für Handys.
§6
Das Werk
Dass Entwürfe für Bauwerke urheberrechtlich geschützt sein können, ist in jüngerer 54 Zeit durch eine Reihe spektakulärer Prozesse in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.102 Das Urheberrecht des Architekten gerät immer wieder in Konflikt mit den Gebrauchsinteressen des Bauherrn. Inwieweit das Architektenurheberrecht zugunsten der eigentumsrechtlichen Befugnisse des Gebäudeinhabers zurücktreten muss, ist eine schwierige Frage der Interessenabwägung im Rahmen des Entstellungsverbots aus § 14 UrhG. Die genaue Einordnung eines Werkes in die Kategorien des § 2 Abs 1 UrhG, die mit- 55 unter schwierig sein kann, ist für die Praxis solange von geringer Bedeutung, wie es allein darauf ankommt, ob ein Werk überhaupt dem urheberrechtlichen Schutz unterliegt. Da das Urheberrechtsgesetz aber bestimmte Rechtsfolgen an die eindeutigen Einordnung des Werkes in den Katalog von § 2 Abs 1 UrhG knüpft, ist die Frage nach der Werkkategorie nicht nur von akademischem Interesse. Für Filmwerke gelten die urhebervertragsrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 88, 89 UrhG. Der rechtliche Rahmen für die Herstellung und Nutzung von Computerprogrammen wird in den europarechtlich fundierten Vorschriften der §§ 69a ff UrhG vorgegeben. Hier ist eine eindeutige Zuordnung des Werkes zwingend notwendig. Auch Webseiten können urheberrechtlich geschützt sein, wenn ihre Gestaltung die 56 Schutzanforderungen aus § 2 Abs 2 UrhG erfüllt.103 Webseiten, die nur auf einer HTMLDatei basieren, sind keine Computerprogramme.104 Sofern ihre optischen Gestaltungsmerkmale über das rein Handwerkliche hinausgehen, können sie als ein Werk der angewandten Kunst geschützt sein. Nach einer Entscheidung des OLG Rostock kommt aber auch ein Schutz als Sprachwerk (§ 2 Abs 1 Nr 1 UrhG) in Betracht, wenn die Webseite aufgrund ihrer sprachlichen Gestaltung so optimiert wird, dass sie bei der Eingabe von Schlüsselbegriffen aus der Alltagssprache in eine Suchmaschine unter den ersten Suchergebnissen erscheint.105 Diese Auffassung ist abzulehnen. Zum einen funktionieren Suchmaschinen heute in der Regel auf der Basis von Links, so dass Schlagwörter in der Webseite auf die Suchmaschinenergebnisse kaum noch Einfluss haben, das gilt insbesondere für die Suchmaschine Google, auf die der Beschluss des OLG Rostock sich ausdrücklich bezieht.106 Darüber hinaus sind die Auswahl und die Anordnung von Schlagwörtern, die den logischen und technischen Kriterien der Suchmaschine folgen, keine persönliche geistige Schöpfung. Die Gestaltung wird ausschließlich durch die technischen Anforderungen der Suchmaschinen vorgegeben, denn nur wenn diese berücksichtigt werden, lässt sich das gewünschte Ergebnis erzielen. Einen Spielraum für individuelle Gestaltung iSv § 2 Abs 2 UrhG gibt es hier deshalb nicht.
IV. Schutz von Entwürfen, Werktiteln und Werkteilen 1. Entwürfe Werke entstehen in der Regel im Rahmen eines Prozesses, in dessen Verlauf der Ur- 57 heber Entwürfe fertigt, aus denen sich die Endfassung des Werkes erst herausbildet. Auch diese Vorstufen des Werkes können bereits urheberrechtlich als eigenständiges Werk ge102 103 104
Zum Urheberrecht in der Architektur eingehend Schulze NZBau 2007, 537 und 611. OLG Hamm MMR 2005, 106; OLG Düsseldorf MMR 1999, 729. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 18.
105 106
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OLG Rostock GRUR-RR 2008, 1. Zur Technik der Suchmaschinen Kühling/ Gauß ZUM 2007, 881.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
schützt sein, sofern auch sie im Sinne der allgemeinen Kriterien eine individuelle Schöpfung sind.107 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das eigentliche Werk in einer anderen Werkart oder einem anderen Medium entsteht. Hier ist von Fall zu Fall allerdings zu prüfen, ob die Transformation eine Bearbeitung ist und ausgehend von dem urheberrechtlich selbstständig geschützten Entwurf ein neues Werk geschaffen wird, oder ob die Umsetzung des Entwurfs lediglich eine Vervielfältigung (§ 16 UrhG) ohne zusätzliche eigenschöpferischen Elemente darstellt. Diese Angrenzungsfrage spielt zB bei Plänen für Bauwerke eine Rolle. 2. Werktitel
58
Werktitel sind in der Regel nicht selbstständig schutzfähig, da Ihnen aufgrund ihrer Kürze die Werkqualität fehlt.108 Ein urheberrechtlicher Titelschutz kann im Einzelfall möglich sein, wenn der Titel eines – urheberrechtlich geschützten – Werkes ausnahmsweise selbst und unabhängig von dem Werk als eigentümlich einzustufen ist. Dies wird zumeist jedoch abzulehnen sein.109 Auch ohne dass der Titel eines Werkes urheberrechtlich geschützt ist, ist es allerdings unzulässig, ihn als unselbstständigen Bestandteil des Werkes ohne die Zustimmung des Urhebers zu ändern (§ 39 Abs 1 UrhG). Unabhängig davon kann der Titel eines Werkes gem §§ 5, 15 MarkenG kennzeichenrechtlich geschützt werden.110 Ferner kommt ergänzend auch hier ein wettbewerbsrechtlicher Schutz in Betracht. 3. Werkteile und Werkausschnitte
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Einzelne Werkteile können selbstständigen urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn sie für sich genommen die Schutzanforderungen des § 2 UrhG als persönlich-geistige Schöpfung erfüllen. Das wird umso weniger der Fall sein, je kleiner der Werkteil ist. Die Frage nach dem selbstständigen urheberrechtlichen Schutz von Werkteilen gewinnt im digitalen Kontext an Bedeutung. Werke, die in digitaler Form vorliegen, können in beliebig kleine Teile zerlegt werden, die dann als Material für neue Werke zur Verfügung stehen. Die technischen Grenzen, die der Werkbearbeitung in der analogen Welt gesetzt waren, sind aufgehoben. Da Stadtpläne und Landkarten als technische Darstellung (§ 2 Abs 1 Nr 7 UrhG) urheberrechtlich geschützt sein können,111 ist die Nutzung von Ausschnitten aus einem Stadtplan zB auf einer Website ohne die Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig.112 Dasselbe gilt für Ausschnitte aus Fotografien. Bei Musik ist grds nur die Melodie geschützt (§ 2 Abs 1 Nr 2 UrhG). Der „Sound“ 60 der Musik ist dagegen nicht monopolisierbar. Da die Melodie die kleinste urheberrechtlich schutzfähige Einheit eines Musikwerks ist, genießen deshalb auch sog Klangdateien in der Regel keinen urheberrechtlichen Schutz.113 Einzelne Töne oder Akkorde unterlie107 108
109 110
Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 187. BGHZ 26, 52, 60 – Sherlock Holmes; BGH GRUR 1977, 543, 544 – Der 7. Sinn; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 65. BGHZ 26, 52, 59f – Sherlock Holmes; BGHZ 68, 132, 134 – Der 7. Sinn. BGH GRUR 2003, 342 – Winnetous Rückkehr; zur Schutzfähigkeit von Werktiteln ausf Teil 2 Kap 7 Rn 182 ff.
290
111
112
113
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BGH GRUR 1988, 33, 35 – topographische Landkarten; OLG Frankfurt GRUR 1988, 816 – Stadtpläne; LG München I GRUR-RR 2007, 145. BGH GRUR 2005, 854 – Kartografische Gestaltungen; OLG Hamburg KuR 2006, 528. LG Rottweil ZUM 2002, 490.
§6
Das Werk
gen nicht dem Schutz durch das Urheberrecht, denn sie müssen zur Benutzung durch die Allgemeinheit frei bleiben. Das sog Sampling von Sounds, bei dem kleinste Teile unterschiedlicher Musikwerke neu zusammengesetzt werden, stellt daher in der Regel keinen Eingriff in das Urheberrecht an den zugrunde liegenden Ausgangswerken dar, wenn die genutzten Werkteile wegen ihrer Kürze keinen selbstständigen urheberrechtlichen Schutz genießen.114 Wird aus einer fremden Tonaufnahme eine kurze, aber charakteristische und fortlaufend wiederholte Rhythmussequenz im Wege des Sampling übernommen und einer anderen Tonaufnahme in ebenfalls fortlaufender Wiederholung unterlegt, kann allerdings das Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers an der Tonaufnahme verletzt sein.115
V. Das Urheberrecht schützt die Form – die Ideen bleiben frei Am Anfang eines jeden Werkes steht eine Idee. Das Urheberrecht gewährt gleichwohl 61 keinen Schutz der Ideen, sondern es ist ein reiner Formenschutz.116 In diesem Prinzip stimmen das kontinentaleuropäische Urheberrecht und das Copyright angloamerikanischer Prägung überein.117 Der Schutz von Ideen ist die Domäne des Patentrechts; im geschäftlichen Verkehr kommt ein Ideenschutz nach Maßgabe des Wettbewerbsrechts in Betracht.118 Im Urheberrecht bleiben die dem Werk zugrunde liegenden Ideen indes frei und können von jedermann benutzt werden.119 Das gilt bspw auch für sog Fernsehformate (Konzepte für Fernsehshows, -serien usw).120 Das Urheberrecht monopolisiert auch nicht bestimmte Informationen und Nachrichten. Die Berichterstattung bleibt frei. Ebenso frei sind bestimmte Techniken und Stile, die der Urheber zur Herstellung des Werkes einsetzt oder entwickelt. Auch in Bezug auf den Ideenschutz gibt es freilich Grenzfälle, in denen die Frage der Schutzfähigkeit schwierig zu beantworten sein kann. Das gilt insbesondere für komplexe Sprachwerke, bei denen sich die ästhetische Gestaltung des Textes nicht von seinem Inhalt trennen lässt. Hier erstreckt sich der urheberrechtliche Schutz deshalb auch auf den Inhalt des Werkes.121 Für Computerprogramme regelt § 69a Abs 2 S 2 UrhG ausdrücklich, dass die Ideen und Grundsätze, die einem Computerprogramm einschließlich der Schnittstellen zugrunde liegen, nicht geschützt sind.
VI. Amtliche Werke sind urheberrechtlich nicht geschützt 1. Grundsatz der Gemeinfreiheit amtlicher Werke Amtliche Werke (Gesetze, Verordnungen, amtliche Bekanntmachungen usw) sind vom 62 urheberrechtlichen Schutz ausgenommen (§ 5 UrhG). Diese Beschränkung ist keine urheberrechtliche Schranke, die den Inhalt des urheberrechtlichen Schutzes wie die §§ 44a ff
114
115 116
Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 122; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 71; Schack Rn 189. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 3. BGH GRUR 1999, 923, 924 – Tele-Info-CD; OLG München GRUR 1990, 674, 675 – Forsthaus Falkenau; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 50; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 39 mwN.
117 118 119
120 121
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Goldstein 14. Dazu Teil 3 Kap 1. BGH GRUR 1987, 704, 706 – Warenzeichenlexika; BGH GRUR 1991, 449, 453 – Betriebssystem. BGH GRUR 2003, 876, 878 – Sendeformat. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 38.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
UrhG begrenzt, sondern sie spricht den amtlichen Werken den Urheberrechtsschutz schlechthin ab. Amtliche Werke sind deshalb gemeinfrei.122 Allerdings ist nicht jedes Werk, das im Auftrag einer Behörde erstellt wird, automatisch ein amtliches Werk, wenn die Behörde dieses Werk sich nicht im Rahmen ihrer eigenen hoheitlichen Tätigkeit zu Eigen macht.123 Amtliche Werke können nachträglich urheberrechtlichen Schutz erlangen, insb wenn sie redaktionell aufbereitet werden, etwa durch Anmerkungen, Kommentierungen etc. Telefonbücher sind keine amtlichen Werke.124 2. Schutzfähigkeit privater Normwerke als Ausnahme
63
Das Urheberrecht an privaten Normwerken (zB DIN-Normen) wird gem § 5 Abs 3 UrhG durch die Bestimmungen in § 5 Abs 1 und 2 UrhG auch dann nicht berührt, wenn Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder amtliche Bekanntmachungen auf sie verweisen, ohne ihren Wortlaut wiederzugeben. Die Nutzung privater Normwerke ist deshalb auch dann lizenzpflichtig, wenn sie durch staatliche Bezugnahme allgemein verbindlich werden und dadurch rechtssatzähnlichen bzw -ergänzenden Charakter erhalten.125 Der urheberrechtliche Schutz privater Normwerke erlischt allerdings, wenn in amtlichen Werken, zB in Gesetzen, auf derartige private Normwerke in einer Art und Weise Bezug genommen wird, dass sie Bestandteil der eigenen Willensbetätigung der Behörde werden und dadurch in der hoheitlichen Erklärung aufgehen. Maßgeblich dafür ist, dass die Behörde sich das private Werk erkennbar zu Eigen macht.126 3. Pflicht zur Erteilung einer Zwangslizenz bei privaten Normwerken
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Besteht an privaten Normwerken ein Urheberrecht, ist der Urheber verpflichtet, jedem Verleger zu angemessenen Bedingungen ein Recht zur nicht ausschließlichen Vervielfältigung und Verbreitung einzuräumen (§ 5 Abs 3 S 2 UrhG). Durch diese Zwangslizenz soll sichergestellt werden, dass die Verbreitung privater Normwerke, an denen der Urheberschutz fortbesteht, ungehindert möglich ist.127 Die Zwangslizenz betrifft nur die körperliche Verwertung, nicht auch die Lizenzierung eines Rechts zur öffentlichen Wiedergabe zB durch öffentliche Zugänglichmachung in Online-Diensten. Sofern der Urheber bereits einem Dritten ein ausschließliches Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht an seinem Werk eingeräumt hat, trifft die Pflicht zur Erteilung einer Zwanglizenz diesen Dritten.128 Als Ausgleich für die Einräumung des einfachen Nutzungsrechts im Wege der Zwangslizenz hat der Urheber einen Anspruch auf eine angemessen Vergütung. Hier gelten die allgemeinen urhebervertragsrechtlichen Bestimmungen der §§ 31 ff UrhG.129
122 123 124 125 126 127
Wandtke/Bullinger/Marquardt § 5 UrhG Rn 1. OLG Köln ZUM 2001, 527 – Deutsche Rechnungslegungsstandards. BGHZ 141, 329 – Tele-Info-CD. Schricker/Katzenberger § 5 UrhG Rn 26. So bereits BGH GRUR 1990, 1003, 1004 – DIN-Normen. Beschlussempfehlung und Bericht des
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128
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Rechtsausschusses, BT-Drucks 15/837, 4; Wandtke/Bullinger/Marquardt § 5 UrhG Rn 27; Loewenheim/Götting § 31 UrhG Rn 15c. Dreier/Schulze/Dreier § 5 UrhG Rn 16; Wandtke/Bullinger/Marquardt § 5 UrhG Rn 27. Loewenheim/Götting § 31 UrhG Rn 15d.
§7
Das Urheberrecht ist ein zeitlich befristetes Monopolrecht
§7 Das Urheberrecht ist ein zeitlich befristetes Monopolrecht I. Das Urheberrecht erlischt nach Ablauf der Schutzfrist Das Urheberrecht gewährt dem Schöpfer eines Werkes ein Monopolrecht, indem es dem Urheber die volle Kontrolle über das Werk zuweist und andere von der Nutzung des Werkes grds ausschließt. Dieses Monopolrecht findet seine Legitimation sowohl in der persönlichkeitsrechtlichen Ausprägung des Urheberrechts, als auch in seinem eigentumsrechtlichen Charakter. Durch die Gewährung eines Exklusivrechts soll ein Anreiz gesetzt werden für kreatives Schaffen und für Investitionen in kreative Prozesse.130 Das urheberrechtliche Exklusivrecht wird durch die sog Schranken der §§ 44a ff UrhG zugunsten bestimmter Nutzungszwecke und Nutzergruppen jedoch begrenzt. Darüber hinaus wird das Urheberrecht zeitlich befristet gewährt: Es endet nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist, 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 UrhG). Danach wird das Werk gemeinfrei, das heißt, es erlöschen sämtliche aus dem Urheberrecht fließenden persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Befugnisse des Urhebers bzw seiner Rechtsnachfolger, einschließlich der vom Urheberrecht abgeleiteten Nutzungsrechte. Das Werk kann dann von jedermann zustimmungsfrei und ohne Beschränkungen genutzt und verändert werden.131 Das Urheberrecht erlischt am Ende des Jahres, in dem die Schutzfrist abläuft (§ 69 UrhG). Der gesetzlichen Befristung des Urheberrechts steht es allerdings nicht entgegen, dass die Erben des Urhebers auch nach Ablauf der Schutzfrist aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung an den Erlösen aus einer Verwertung des Werkes beteiligt werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Nutzungsvertrag vorsieht, dass der Urheber bzw seine Rechtsnachfolger so lange Zahlungen vom Verwerter erhalten, wie dieser selbst Einkünfte aus der Verwertung des Werkes erzielt.132 Hier beruht die Vergütungspflicht auf einer vertraglichen Regelung, die nicht an die urheberrechtliche Schutzfrist gekoppelt ist. Die zeitliche Begrenzung gehört zu den wesentlichen Merkmalen des Urheberrechts, das durch die Schutzdauer-Richtlinie133 auf europäischer Ebene harmonisiert worden ist. Die zeitliche Begrenzung hat ihren Grund in der Prämisse, dass das kulturelle Schaffen als Teil der kulturellen Identität einer Gesellschaft irgendwann für jedermann frei nutzbar sein muss, um so als Quelle für künftiges Schaffen zur Verfügung zu stehen.134 Ist ein Werk von mehreren Urhebern gemeinsam geschaffen worden, ist der Tod des am längsten lebenden Urhebers maßgeblich (§ 65 UrhG). Die Schutzfristen für Leistungsschutzrechte sind deutlich Kürzer als die urheberrechtliche Schutzfrist. Sie enden in der Regel 50 Jahre ab dem Erscheinen des jeweiligen Schutzgegenstandes (vgl §§ 72 Abs 3, 82, 85 Abs 3, 87 Abs 3, 94 Abs 3 UrhG). Vor dem Hintergrund, dass die ersten Aufnahmen, von Künstlern, die auch heute noch Bestseller sind in den nächsten Jahren gemeinfrei werden, wird insbesondere von der Musikwirtschaft die Forderung nach einer Verlängerung der Schutzfristen erhoben. Die EU-Kommission hat im Juli 2008 den Entwurf für eine Richtlinie vorgelegt, mit der die Schutz130
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So ausdrücklich auch das europäische Recht, vgl Erwägungsgrund 10 der Informationsgesellschafts-Richtlinie. Wandtke/Bullinger/Lüft § 64 UrhG Rn 13; Schricker/Katzenberger § 64 UrhG Rn 5; Rehbinder Rn 534. LG München I ZUM 2007, 674, 678.
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Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10. 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl EG L 248/15 vom 6.10.1993). Reinbothe ZEuS 2004, 367, 371.
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frist für Tonaufnahmen und Tonträger von derzeit 50 auf 95 Jahre verlängert werden soll.135 Die EU-Kommission will damit die Einkommenssituation ausübender Künstler im Alter verbessern. Sie hält die im Vergleich zum Urheberrecht deutlich kürzeren Schutzfristen für eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Die Initiative der EU-Kommission ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Sie wird von der Musikindustrie begrüßt. Kritiker bezweifeln dagegen, ob die angestrebten Einkommenseffekte tatsächlich bei denen eintreten, die die EU-Kommission im Blick hat – zusätzliche Einnahmen aus alten Aufnahmen seien nur aus sehr bekannten Titeln zu erwarten, deren Interpreten in den meisten Fällen bereits heute wirtschaftlich abgesichert sind. Auch die grundsätzliche volkswirtschaftliche Rechtfertigung einer erneuten Verlängerung der Leistungsschutzrechte wird diskutiert. Die politische Debatte um diesen Vorstoß der EU-Kommission hat indes gerade erst begonnen.
II. Eine Urhebernachfolgevergütung wäre systemfremd 69
Seit Jahren wird ua in Deutschland immer wieder die Einführung einer sog Urhebernachfolgevergütung gefordert, durch die die Nutzung eines Werkes auch nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist zugunsten einer Förderung junger oder bedürftiger Künstler vergütungspflichtig bleibt.136 Der Gesetzgeber hat diese Forderung aber zu Recht nicht aufgegriffen und seine Ablehnung zuletzt im Rahmen der Debatte um den „Zweiten Korb“137 erneut bekräftigt.138 Die Schaffung einer solchen Vergütungspflicht würde den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Harmonisierung der Schutzdauer und dem Konzept des befristeten Schutzes überhaupt widersprechen. Alle Früchte aus dem Werk stehen dem Urheber und nach dessen Tod für einen gewissen Zeitraum dessen Erben zu. Für die Sozialisierung eines Restwertes des Werkes nach Ablauf der Schutzfrist ist kein Raum. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das Urheberrecht als Teil des Eigentumsrechts nicht zum Vehikel für sozialpolitische Zwecke gemacht werden darf.139
§8 Doppelter Rechtsschutz I. Urheberrechtsschutz schließt anderweitigen Schutz nicht aus 70
Der Schutz eines Werkes durch das Urheberrecht schließt nicht aus, dass das Werk zugleich auch aufgrund anderer immaterialgüterrechtlicher oder sonstiger Bestimmungen geschützt ist – sog doppelter Rechtsschutz. In Betracht kommen hier vor allem ein Schutz durch das Markenrecht, oder ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz.140 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Sonderrechtsschutz des Urheberrechts 135
136
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, KOM(2008) 464/3. Insbesondere Dietz ZRP 2001, 165.
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Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“, BGBl 2007 I S 2513. Zur rechtspolitischen Debatte um die Urhebernachfolgevergütung Jani UFITA 2006/II, 511, 533f. In diesem Sinne auch Rehbinder Rn 535. BGHZ 26, 52 – Sherlock Holmes.
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Mehrzahl von Urhebern
gegenüber dem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz nach herrschender Auffassung vorrangig und die gleichzeitige Anwendung des UWG ausgeschlossen ist.141
II. Doppelter Rechtsschutz birgt die Gefahr von Wertungswidersprüchen Der doppelte Rechtsschutz ist grds unbedenklich. Er kann aber problematisch wer- 71 den, wenn durch ihn die grundlegenden Wertungen des Urheberrechts in Frage gestellt werden. Das gilt etwa für die Abgrenzung des Formenschutzes vom Ideenschutz. Ein weiterer Aspekt ist die Schutzfrist. Während das Urheberrecht aus guten Gründen befristet ist 142, ist eine Befristung dem Markenrecht generell fremd. Der Bundesgerichtshof hat bspw bestätigt, dass der Titel „Winnetou“ markenrechtlich geschützt ist.143 Faktisch führt diese Entscheidung auch zu einer Ausdehnung des Schutzes der urheberrechtlich an sich gemeinfreien Werke Karl Mays, da eine Verwertung dieser Werke ohne die Nutzung ihres berühmten Titels kaum denkbar ist.
§9 Mehrzahl von Urhebern Die meisten urheberrechtlich geschützten Werke sind heute das Ergebnis eines arbeits- 72 teiligen Schaffensprozesses. Entweder schaffen die Beteiligten das Werk als Miturheber (§ 8 UrhG). Oder einzelne separate Werke und Beiträge werden zu einer neuen Einheit zusammengefügt. Man spricht dann von verbundenen Werken (§ 9 UrhG).
I. Die Miturheberschaft Wird ein Werk von mehreren gemeinsam geschaffen, ohne dass sich die einzelnen 73 Werkbeiträge gesondert verwerten lassen, erwerben alle Beteiligten als sog Miturheber das Urheberrecht gemeinsam (§ 8 UrhG). Die Miturheberschaft setzt nicht voraus, dass alle Beteiligten an allen Elementen des Werkes mitgewirkt haben; Miturheberschaft besteht auch, wenn ein Werk im Rahmen einer Arbeitsteilung als „Teamwork“ entsteht. Voraussetzung ist allerdings, dass jeder einen schöpferischen Beitrag leistet und die einzelnen Beiträge im Gesamtwerk untrennbar verknüpft werden. Auch die Miturheberschaft entsteht automatisch durch den Realakt der gemeinsamen Schöpfung. Das Verhältnis der Miturheber untereinander ergibt sich unmittelbar aus dem Urheberrechtsgesetz. Danach entsteht durch die Miturheberschaft eine Gesamthandsgemeinschaft, ähnlich einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts,144 und das Recht zur Veröffentlichung und zur Verwertung des Werkes steht den Miturhebern nur gemeinsam zu. Es gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Ein Miturheber darf seine Einwilligung aber nicht wider Treu und Glauben verweigern (§ 8 Abs 2 UrhG). Er kann gegenüber den anderen auf seinen Anteil an den Verwertungsrechten verzichten (§ 8 Abs 4 UrhG), nicht aber auch auf die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse.145 Aus dem Prinzip der Einstimmigkeit 141 142 143
BGHZ 44, 288, 295f – Apfel-Madonna; BGH GRUR 1992, 697, 699 – Alf. S Rn 67. BGH GRUR 2003, 342 – Winnetous Rückkehr.
144 145
Ole Jani
Schricker/Loewenheim § 8 UrhG Rn 10; Wandtke/Bullinger/Thum § 8 UrhG Rn 22. BGH GRUR Int 1974, 66 – Cavalleria Rusticana.
295
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
folgt auch das in § 8 Abs 2 S 3 UrhG normierte Erfordernis, dass der einzelne Miturheber nur auf Leistung an alle Miturheber klagen kann. Eine Klage im Namen der Urhebergemeinschaft ist ausgeschlossen. Daran hat sich auch durch die geänderte Rechtsprechung zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft 146 nichts geändert.147 Bei der Unterlassungsklage ist die Klage gem § 8 Abs 2 S 3 UrhG jedoch auch durch einen einzelnen Miturheber möglich.148
II. Der Gehilfe ist kein Urheber 74
Bloße Assistenten und Gehilfen werden nicht zu Miturhebern.149 Sie arbeiten zwar mit dem Urheber zusammen, leisten dabei aber keinen selbstständigen schöpferischen Beitrag, sondern führen in einem Verhältnis der Unterordnung die Anweisungen des Urhebers zur Umsetzung von dessen Vorstellungen aus.150 Das betrifft insbesondere diejenigen, die unter Anleitung des Urhebers dessen schöpferische Idee lediglich handwerklich umsetzen, zB indem sie ein Manuskript erstellen, Korrekturen ausführen, Zeichnungen oder Modelle anfertigen, Recherchen durchführen usw.
III. Urheberschaft bei Werkverbindungen 75
Werden mehrere selbstständige Werke miteinander verbunden (zB Texte und Grafiken zu einem Werbeprospekt oder Text und Musik zu einem Lied), dann sind die Urheber der selbstständigen Teilwerke Urheber verbundener Werke (§ 9 UrhG). Die Verwertung der Werkverbindung setzt den Erwerb der entsprechenden Nutzungsrechte in Bezug auf alle urheberrechtlich geschützten Einzelwerke von den jeweiligen Urhebern durch einen Nutzungsvertrag voraus. Die Verbindung iSv § 9 UrhG ist keine tatsächliche Handlung, sondern die rechtsgeschäftliche Vereinbarung der beteiligten Urheber über eine gemeinsame Verwertung ihrer Beiträge.151 Durch die Werkverbindung entsteht kein neues Werk mit separater Urheberschaft.
IV. Sammelwerke und Datenbanken 1. Sammelwerke
76
Eine besondere Form der Werkverbindung, die als eigenständiges Werk selbstständig geschützt wird, sind Sammlungen von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung iS der allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 UrhG darstellen – sog Sammelwerke. Zur Begründung des urheberrechtlichen Schutzes reicht die rein handwerkliche, schematische oder routinemäßige Auswahl oder Anordnung jedoch nicht aus; diejenige Auswahl oder Anordnung, die jeder auf diese Weise vornehmen würde, stellt keine individuelle Schöpfung dar. Das gilt insbesondere, wenn die Auswahl oder Anordnung sich aus der Natur der Sache oder dem jeweiligen Zweck ergibt.152 146 147 148
149
BGH NJW 2001, 1056. Spindler Open Source 116, 127. BGH GRUR 2003, 1035 – Hundertwasserhaus; BGH GRUR 1995, 212, 213 – Videozweitauswertung III; Wandtke/Bullinger/ Thum § 8 UrhG Rn 41. Wandtke/Bullinger/Thum § 8 UrhG
296
150 151 152
Ole Jani
Rn 20; Schricker/Loewenheim § 8 UrhG Rn 8. BGH GRUR 1985, 529 – Happening. Schricker/Loewenheim § 9 UrhG Rn 7; Dreier/Schulze/Schulze § 9 UrhG Rn 6. OLG Nürnberg GRUR 2002, 607 – Merkblätter für Patienten; Delp 273.
§9
Mehrzahl von Urhebern
Werden die Elemente des Sammelwerks systematisch oder methodisch angeordnet, die 77 einzeln mit Hilfe elektronischer oder sonstiger Mittel zugänglich sind, liegt ein Datenbankwerk vor (§ 4 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 UrhG). Auch hier ist im Sinne der allgemeinen Grundsätze des Urheberrechts aber notwendig, dass die Sammlung aufgrund der Anordnung oder Auswahl ihrer Elemente eine persönliche geistige Schöpfung ist. Auswahl im urheberrechtlichen Sinne ist das Sichten, Sammeln, Bewerten und Zusammenstellen unter der Berücksichtigung besonderer Auslesekriterien.153 Für den Schutz einer Sammlung als Datenbankwerk ist notwendig aber auch ausreichend, dass die Sammlung in ihrer Struktur, die durch Auswahl oder Anordnung des Inhalts der Datenbank geschaffen worden ist, einen individuellen Charakter hat und ein gewisser Spielraum für eine individuelle Anordnung der Daten besteht.154 Diese Individualität der Auswahl oder der Anordnung der Daten kann vor allem in der Konzeption der Informationsauswahl liegen.155 Die Verkörperung der auf persönlicher geistiger Schöpfung beruhenden Konzeption in einer Datenbank ist zwar Voraussetzung für den urheberrechtlichen Schutz als Datenbankwerk; der Urheber muss die dafür notwendigen nichtschöpferischen Arbeiten aber nicht selbst erbracht haben.156 Als Datenbankwerk können zB Websites geschützt sein. 2. Datenbanken Sammlungen, die das Kriterium der Individualität nicht erfüllen, sind als (bloße) 78 Datenbank durch ein sui-generis-Recht leistungsschutzrechtlich geschützt (§§ 87a ff UrhG). Darunter fallen Sammlungen von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf sonstige Weise zugänglich sind, und deren Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art und Umfang wesentliche Investition erfordert (§ 87a UrhG). Weil Datenbanken keine persönlichen geistigen Schöpfungen und deshalb keine Werke iSv § 2 UrhG sind, unterfallen sie nicht dem Schutz nach § 4 Abs 2 UrhG. Durch das Leistungsschutzrecht aus § 87a UrhG ist aber die Investition des Datenbankherstellers, der auch eine juristische Person sein kann, geschützt. Dieses Leistungsschutzrecht basiert auf den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Datenbank-Richtlinie. Schutz als Datenbank können zB umfangreiche E-Mail-Addresskataloge genießen, die im Internet zur Kontaktaufnahme mit bestimmten Dienstleistern bereitgestellt werden;157 auch Telefonbücher fallen in den Schutzbereich des § 87a UrhG.158 Voraussetzung für den leistungsschutzrechtlichen Schutz ist, dass der Datensammlung ein erkennbares schutzwürdiges Ordnungsprinzip zugrunde liegt. Eine lediglich chronologische oder alphabetische Anordnung soll dafür indes nicht ausreichen.159 Das Recht des Urhebers an einem Datenbankwerk und das Leistungsschutzrecht des Datenbankherstellers bestehen unabhängig voneinander, da diese Rechte verschiedene Schutzgegenstände betreffen.160
153
154
155
Schricker/Loewenheim § 4 UrhG Rn 34; Wandtke/Bullinger/Marquardt § 4 UrhG Rn 10. BGH Urteil vom 24.5.2007, Az I ZR 130/04 – Gedichttitelliste I; LG Hamburg MMR 2000, 761, 762; OLG Hamburg MMR 2001, 533. BGH GRUR 1980, 227, 231 – Monumenta Germanae Historica; BGH GRUR 1987, 704 – Warenzeichenlexika.
156 157 158 159 160
Ole Jani
BGH Urteil vom 24.5.2007, Az I ZR 130/04 – Gedichttitelliste I. LG Düsseldorf MMR 2003, 539. BGHZ 141, 329 – Tele-Info-CD. OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 771 – Stufenaufklärung nach Weissauer. BGH Urteil vom 24.5.2007, Az I ZR 130/04 – Gedichttitelliste I.
297
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
§ 10 Bearbeitung und Benutzung I. Die Bearbeitung 1. Begriff der Bearbeitung
79
Eine besondere Form der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke sind Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen (Kürzungen, Ergänzungen, Änderungen der Größe, Farbgebung, Verfilmung etc). Es findet hier die Veränderung eines vorhandenen Werkes statt, durch welche die individuellen Züge dieses Werkes eine neue Gestalt bekommen. Das Originalwerk, das als Vorlage dient, „schimmert“ jedoch durch. 2. Das Recht zur Bearbeitung
Das Recht zur Bearbeitung ergibt sich unmittelbar aus dem Urheberrechtsgesetz; Bearbeitungen sind gem § 23 UrhG grds zulässig. Einer Zustimmung des Urhebers des Ausgangswerks bedarf es erst, wenn die Bearbeitung veröffentlicht (§ 6 UrhG) oder verwertet (§§ 15 ff UrhG) werden soll. Bei der Verfilmung eines Werkes, der Ausführung von Plänen und Entwürfen eines Werkes der bildenden Künste, dem Nachbau eines Werkes der Baukunst und bei der Bearbeitung oder Umgestaltung eines Datenbankwerkes ist der Grundsatz der Herstellungsfreiheit durchbrochen; hier darf bereits die Bearbeitung selbst nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen (§ 23 S 2 UrhG). Die Bearbeitung und Umgestaltung von Computerprogrammen ist in § 69c Nr 2 UrhG speziell geregelt; auch hier sind die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen an sich unzulässig. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen Bearbeitungen und Über81 setzungen eines Werkes verwertet werden dürfen, werden sie unbeschadet des Urheberrechts am bearbeiteten Werk gem § 3 UrhG selbst wie selbstständige Werke geschützt, wenn sie eine persönliche geistige Schöpfung iSv § 2 Abs 2 UrhG des Bearbeiters sind – sog Bearbeiterurheberrecht.161 Der Eingriff in das Recht zur Bearbeitung setzt allerdings nicht voraus, dass die Bearbeitung ihrerseits Werkcharakter hat.162
80
3. Die Nutzung einer Bearbeitung ist zustimmungsbedürftig
82
Wer ein Werk in bearbeiteter Form verwenden will, muss deshalb im Nutzungsvertrag auch das entsprechende Bearbeitungsrecht erwerben. Allein der Erwerb eines Nutzungsrechts reicht dazu nicht aus, denn dies berechtigt nicht zur Änderung des Werks, seines Titels oder seiner Urheberbezeichnung (§ 39 Abs 1 UrhG). Soweit über das Recht zur Bearbeitung keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, kann es aber durch stillschweigende Rechtseinräumung Vertragsgegenstand werden, wenn die Möglichkeit einer Bearbeitung durch den Vertragszweck vorausgesetzt wird. Hier ist im Hinblick auf die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Bestimmungen jedoch Zurückhaltung geboten. Verwerter sollten die erforderlichen Beareitungsrechte in der Regel ausdrücklich durch Vertrag erwerben. Soweit Fragen offen bleiben, können diese auf sachgerechte Weise im Wege der stets notwendigen Interessenabwägung beantwortet werden. Änderungen des
161
Wandtke/Bullinger/Bullinger § 23 UrhG Rn 3; Rehbinder Rn 215.
298
162
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Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 4.
§ 10
Bearbeitung und Benutzung
Werkes und seines Titels, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, sind stets zulässig (§ 39 Abs 2 UrhG); das gilt etwa für Änderungen, die vor einer vertraglich vereinbarten Vervielfältigung erforderlich sind, um die technischen Voraussetzungen für diese Vervielfältigung zu schaffen.163 4. Bearbeitung durch Übernahme von Inhalten Obwohl die dem Werk zugrunde liegenden Ideen grds nicht geschützt sind,164 kann 83 eine unfreie Benutzung ausnahmsweise auch in der Übernahme des Werkinhalts liegen. Die Grenze zwischen Form und Inhalt verschwimmt an dieser Stelle; da aber Form und Inhalt nicht (immer) voneinander getrennt werden können, ist es im Hinblick auf den einheitlichen Werkbegriff des Urheberrechtsgesetzes richtig, auch bei der Übernahme des Inhalts unter bestimmten Voraussetzungen eine unfreie Bearbeitung anzunehmen. Das gilt insbesondere für Fortsetzungen eines Werkes, die auf den inhaltlichen Grundzügen (Handlung, Charaktere usw) des Originalwerks wesentlich aufbauen.165 5. Die Doppelschöpfung ist keine Bearbeitung Keine Bearbeitung und deshalb urheberrechtlich unbedenklich ist die sog Doppel- 84 schöpfung, bei der ein Urheber ohne Kenntnis des älteren Werkes ein neues, mit dem vorbestehenden identisches Werk schafft.166 Hierin liegt ein wichtiger Unterschied des Urheberrechts zu den gewerblichen Schutzrechten, für die das Prioritätsprinzip gilt, denn die objektive Neuheit des Werkes ist kein Kriterium für seine urheberrechtliche Schutzfähigkeit.167 Gerade bei umfangreicheren und komplexen Werken ist eine Doppelschöpfung allerdings kaum vorstellbar, so dass sie in der Praxis eine geringe Rolle spielt. Die Beweislast dafür, dass es sich um eine unbewusste Doppelschöpfung handelt, liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft. 6. Die Zulässigkeit von „Abstracts“ Von praktischer Bedeutung, insbesondere auch im Kontext der Online-Medien, sind 85 eigenständige kurze Zusammenfassungen urheberrechtlich geschützter Texte, sog „Abstracts“. Die Erstellung solcher Abstracts ist kein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG). Ihre Nutzung tangiert daher auch nicht das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG). Die Zulässigkeit der Inhaltsmitteilung beruht nach Auffassung des LG Frankfurt aM wegen der rechtmäßigen Veröffentlichung der Vorlagen auf § 12 Abs 2 UrhG.168 Die öffentliche Wiedergabe der Abstracts sei deshalb vom Zustimmungsvorbehalt des § 23 UrhG ausgenommen. Die Grenze des Zulässigen ist allerdings dann überschritten, wenn die Abstracts den Zweck haben, den Zugriff auf das Originalwerk zu ersetzen 169 und dem Verwender der Abstracts eigene Aufwendungen zu ersparen. Die Erstellung von Abstracts kann außerdem eine Bearbeitung des Originaltexts sein, sofern der Abstract nicht lediglich eine verkürzte Darstellung des Originaltextes ist, sondern eine veränderte Wie-
163 164 165 166
Eingehend mit Beispielen Schricker/Dietz § 39 UrhG Rn 14ff. S Rn 61. BGHZ 141, 280 – Laras Tochter. Dreier/Schulze/Schulze § 23 UrhG Rn 29; Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 28.
167
168 169
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Wandtke/Bullinger/Bullinger § 23 UrhG Rn 20; Dreier/Schulze/Schulze § 23 UrhG Rn 29. LG Frankfurt aM ZUM 2007, 65; Rehbinder Rn 511. Rehbinder Rn 511.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
dergabe mit eigenschöpferischen Zügen darstellt.170 Sofern es sich um eine Bearbeitung im urheberrechtlichen Sinne handelt, darf deren Veröffentlichung und Verwertung dann gem § 23 UrhG nur mit Zustimmung des Urhebers des bearbeiteten Werkes erfolgen. Eine Zulässigkeit wörtlicher Übernahmen in Abstracts unter dem Gesichtspunkt der Zitatfreiheit (§ 51 UrhG)171 wird regelmäßig bereits deshalb ausscheiden, weil dem Abstract selbst die notwendige Werkqualiät fehlt. Die Auseinandersetzung um die Zulässigkeit von Abstracts ist noch nicht beendet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Berufungsinstanz das Urteil des LG Frankfurt verwirft.172
II. Freie Benutzung 86
Von der Bearbeitung ist die sog freie Benutzung zu unterscheiden. Ein selbstständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf nach § 24 Abs 1 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden. Eine Ausnahme gilt für die Verwendung von Melodien (§ 24 Abs 2 UrhG), durch die eine freie Benutzung von Musikwerken praktisch ausgeschlossen ist.173 Melodien im urheberrechtlichen Sinne sind geschlossene Tonfolgen, die dem Werk seine individuelle Prägung geben.174 Eine freie Bearbeitung liegt vor, wenn das Originalwerk nur eine Anregung für ein neues, selbstständiges Werk ist; das ist der Fall, wenn die Wesenszüge des Originals gegenüber dem neuen Werk verblassen175 oder völlig zurücktreten.176 Bei der Frage, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, sind strenge Maßstäbe anzulegen, denn § 24 UrhG soll dem Bearbeiter nicht die Arbeit abnehmen, die mit der Schaffung eines eigenständigen Werkes verbunden ist.177 Entscheidend sind dabei nicht die Unterschiede zwischen den streitgegenständlichen Werken, sondern ihre Gemeinsamkeiten;178 das heißt, bei weitgehender Übereinstimmung der wesentlichen Merkmale kommt es nicht mehr darauf an, ob das nachschöpfende Werk auch von dem verletzten Werk abweicht. Mit der Möglichkeit zur freien Benutzung geschützter Werke trägt das Urheberrecht 87 dem Bedürfnis Rechnung, dass die Auseinandersetzung mit vorhandenen Werken für die Entwicklung und die Entfaltungsmöglichkeit der Kunst von großer Bedeutung ist.179 Bei freier Benutzung eines anderen Werkes hat der Urheber des vorbestehenden Werkes gegen den Urheber des neuen Werkes keinen Anspruch auf Urheberbenennung (§ 13 UrhG). Er kann auch nicht den Hinweis verlangen, dass sein Werk als Anregung gedient hat. Der Urheber des neuen Werkes darf umgekehrt den ersten Urheber nicht ohne dessen Einwilligung als an dem neuen Werk Beteiligten bezeichnen.180 Eine derartige Bezug170
171 172 173 174
175
Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 7; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 23 UrhG Rn 9. S Rn 159. www.heise.de/newsticker/meldung/97152 (Stand 16.11.2007). Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 42; Loewenheim/Loewenheim § 8 Rn 17. BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bisschen Frieden; Schricker/Loewenheim § 26 UrhG Rn 28. BGH GRUR 2002, 799, 800 – Stadtbahnfahrzeug; BGH WRP 2003, 1235, 1237 – Gies-Adler; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 8.
300
176 177
178
179 180
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BGHZ 26, 52 – Sherlock Holmes. BGH GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 15; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 24 UrhG Rn 12. LG München I ZUM-RD 2007, 435, 437 – Fonds-Prospekt; LG Düsseldorf ZUM 2007, 556, 558 – Bronzeengel. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 24 UrhG Rn 1. OLG Brandenburg NJW 1997, 1162 f – Stimme Brecht.
§ 10
Bearbeitung und Benutzung
nahme kann das Namensrecht (§ 12 BGB) oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Urhebers des älteren Werkes verletzen.181
III. Plagiate und Fälschungen 1. Plagiate Ein Plagiat ist die identische oder ähnliche Nachbildung eines Originalwerks, die der 88 Hersteller als seine eigene Schöpfung ausgibt,182 er maßt sich die Urheberschaft an. Urheberrechtlich gesehen kann das Plagiat eine Vervielfältigung sein (§ 16 UrhG), wenn gegenüber dem Originalwerk keinerlei Änderungen vorgenommen werden. Nicht zuletzt um den „geistigen Diebstahl“ zu verschleiern, wird der Plagiator regelmäßig Veränderungen vornehmen (Satzbau, Worte usw). Insoweit stellt das Plagiat dann eine unfreie Bearbeitung des Originalwerkes iSv § 23 UrhG dar. Der Urheber hat gegen den Plagiator Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz (§§ 97 ff UrhG). Als Plagiat wird man auch die an sich als Zitat zulässige Übernahme von Werken 89 oder Werkteilen ansehen müssen, wenn der Nutzer die gem § 63 UrhG erforderliche Quellenangabe unterlässt.183 Plagiate kommen in vielen Werkbereichen vor und auch dort, wo man sie nicht vermutet – sogar in der juristischen Literatur. Einen Film zu plagiieren wäre aus praktischen Gründen wohl kaum möglich. Das dem Film zugrunde liegenden Drehbuch kann aber sehr wohl ein Plagiat sein. In der Musik wird der Plagiatsvorwurf immer wieder unter dem Gesichtspunkt des „Melodienklau“ erhoben.184 2. Fälschungen sind keine Urheberrechtsverletzung Beim umgekehrten Fall der Werkfälschung gibt der tatsächliche Urheber sein Werk als 90 die Schöpfung eines anderen aus. Der Betroffene ist damit nicht in seinem Urheberrecht verletzt, so dass ihm auch keine urheberrechtlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Er kann sich aber auf das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder dem Namensrecht (§ 12 BGB) fließenden „droit de non paternité“ berufen.185 Da die fälschliche Zuschreibung eines Werkes den Ruf eines Urhebers und damit sein Gesamtwerk empfindlich beeinträchtigen kann, hat der BGH dieses Recht auch den Erben eines bereits seit langem verstorbenen Urhebers zuerkannt.186
IV. Ghostwriting Beim Ghostwriting verzichtet der Urheber nicht nur auf eine Bezeichnung als Ur- 91 heber, sondern er verzichtet gänzlich auf seine Anerkennung als Urheber. An Stelle des tatsächlichen Urhebers wird ein Dritter als Autor ausgegeben. Um den Zweck des Ghostwritings nicht zu vereiteln, darf der Urheber grds auch gar nicht offenbaren, wer das Werk tatsächlich geschaffen hat. Das Schöpferprinzip 187 und der Umstand, dass das Werkschaffen ein Realakt ist, schließen jegliche Form der Stellvertretung aus.188 Um das 181 182 183
Wandtke/Bullinger/Bullinger § 13 UrhG Rn 9. BGH GRUR 1960, 503 – Plagiatsvorwurf I; Rehbinder Rn 385. Rehbinder Rn 385; Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 15.
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Ole Jani
BGH GRUR 1991, 531 – Brown Girl I. Rehbinder Rn 402; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 13 UrhG Rn 16. BGHZ 107, 384 – Emil Nolde. S dazu Rn 32. Schack Rn 272.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Werk als eigenes ausgeben und verwerten zu können, erwirkt der Dritte vom Urheber auf vertraglichem Wege Nutzungsrechte. Das Urheberrecht selbst verbleibt beim tatsächlichen Urheber. Der Urheber verzichtet durch schuldrechtliche Vereinbarung gegenüber einem Dritten auf seine Rechte aus § 13 UrhG, die tatsächliche Urheberschaft bleibt aber unberührt.189 Unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten liegt beim Ghostwriting also ein vom Urheber autorisiertes Plagiat vor.190 Ghostwriting-Abreden sind grds unbedenklich. Allerdings darf die an sich zulässige schuldrechtliche Einschränkungen der Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts auch hier nicht zu seiner Entwertung führen. Der Verzicht des Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft darf deshalb nicht dauerhaft sein; die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt wieder als Urheber des Werkes in Erscheinung zu treten, muss dem Urheber belassen bleiben.191 Im Einzelfall ist darüber hinaus zu beachten, ob die Verbreitung einer Publikation unter anderem Namen unter dem Gesichtspunkt der Irreführung aus wettbewerbsrechtlichen Gründen unzulässig sein kann.192
V. Aufgedrängte Kunst 1. Begriff der „Aufgedrängten Kunst“
92
Ein besonderer Fall, in dem die Interessen des schöpferisch tätigen Urhebers mit den Interessen Dritter kollidieren können, ist die „aufgedrängte Kunst“. Darunter sind Werke zu verstehen, die der Urheber unter Missachtung des Sacheigentums eines Dritten herstellt. Das klassische Beispiel hierfür sind Graffiti an fremden Sachen (Hauswände usw). Auch Graffiti können, wenn sie die allgemeinen urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen erfüllen, urheberrechtlich geschützt sein. Da der urheberrechtliche Schutz unabhängig davon entsteht, ob das Werk gegen Gesetze verstößt, kommt es auf die Eigentumsbeeinträchtigung aus urheberrechtlicher Sicht zunächst nicht an und das Urheberrecht entsteht auch bei solchen Werken in vollem Umfang.193 2. Das Recht zur Verwertung und Beseitigung von aufgedrängter Kunst
93
In der Regel werden die Eigentümer vor allem ein Interesse an der Beseitigung der Graffiti, also an der Zerstörung des Werkes haben. Diese Beseitigung greift in das Recht des Urhebers ein. Der Eigentümer des Untergrundes wird nach § 950 Abs 1 BGB automatisch auch Eigentümer des Werkes.194 Sein Eingriff in das Urheberrecht durch Beseitigung des Werkes ist daher gerechtfertigt, weil das Sacheigentum insoweit dem Recht des Urhebers vorgeht. Der Eigentümer darf das Werk aber nicht verwerten.195 Befürworter einer entsprechenden Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes aus § 17 Abs 2 UrhG kommen hier zu einem anderen Ergebnis und lassen die zustimmungs- und vergütungsfreie Verwertung aufgedrängter Kunst durch den Eigentümer damit zu.196 Dieser Ansatz
189 190 191 192 193
Schricker/Dietz § 13 UrhG Rn 28. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 13 UrhG Rn 22; zum Plagiat s oben Rn 88 f. Wandtke/Bullinger/Bullinger Vor §§ 12 ff UrhG Rn 7; Schack Rn 339. KG UFITA 80 (1977), 368, 372 – Manfred Köhnlechner. Schack Rn 360.
302
194 195
196
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Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 54. BGHZ 129, 331, 333 – Mauer-Bilder; Wandtke/Bullinger/v. Wolff § 97 UrhG Rn 32. So zB Schack Rn 360; zum Erschöpfungsgrundsatz s Rn 112 ff.
§ 11
Die Leistungsschutzrechte
ist durchaus plausibel. Entweder wird die aufgedrängte Kunst geschaffen, obwohl sie unzulässiger Weise auf dem Eigentum eines Dritten aufgebracht wird. Dann muss der Urheber sich fragen lassen, warum er nicht einen anderen Untergrund gewählt hat, der ihm die Herrschaft über sein Werk sichert. Oder – was bei Graffiti die Regel sein dürfte – das Werk wurde unter Missachtung fremden Eigentums geschaffen, weil gerade diese Eigentumsverletzung Teil der (künstlerischen) Aktion ist. Dann ist erst recht zweifelhaft, ob die Verwertungsinteressen des Urhebers beachtlich sein können. Gegen die Anwendung des Erschöpfungsgedankens spricht auch der grundsätzliche Einwand, dass er nicht analogiefähig ist. Insbesondere bei Graffiti macht der Urheber aufgedrängter Kunst häufig keinen Ge- 94 brauch von seinem Urheberbenennungsrecht aus § 13 UrhG. Darin liegt jedoch nicht automatisch ein Verzicht auf dieses Recht.197 Solange der Eigentümer sich nicht zur Beseitigung des Werks entschließt, kann er die nachträgliche Signierung des Werkes unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten deshalb nicht unterbinden. Darauf, dass die Signierung eine weitere Eigentumsbeeinträchtigung darstellt, kommt es nicht an. Der Eigentümer ist aber nicht verpflichtet, den Urheber zu fragen, ob er namentlich genannt werden möchte.
§ 11 Die Leistungsschutzrechte I. Allgemein Neben dem Schutz des Urhebers gewährt das Urheberrecht bestimmten Personen für 95 ihre Leistungen sog Leistungsschutzrechte. Die durch diese Rechte geschützten Leistungen sind urheberrechtlich geschützten Werken ähnlich oder stehen mit deren Verwertung in Zusammenhang. Dieser Bezug kommt in der englischen und der französischen Bezeichnung der Leistungsschutzrechte – „neighbouring rights“ bzw „droits voisins“ – besser zum Ausdruck als in der deutschen Terminologie. Objekt des leistungsschutzrechtlichen Schutzes sind im Gegensatz zum Urheberrecht nicht die Ergebnisse kreativ-künstlerischen Schaffens, sondern organisatorische, technische und wirtschaftliche Leistungen. Dem abschließenden Katalog der Leistungsschutzrechte liegt kein erkennbares System zugrunde 198. So kann man durchaus fragen, warum den Verlegern kein Leistungsschutzrecht zugebilligt wird. Das Urheberrecht enthält Leistungsschutzrechte für die Hersteller wissenschaftlicher 96 Ausgaben und nachgelassener Werke (§ 70 und § 71 UrhG), für Lichtbildner (§ 72 UrhG), für Tonträgerhersteller (§ 85 UrhG), für Sendeunternehmen (§ 87 UrhG), für Hersteller von Datenbanken (§§ 87a ff UrhG), für Hersteller von Filmen und Laufbildern (§ 94 UrhG) sowie für ausübende Künstler (§§ 73 ff UrhG). Die Leistungsschutzrechte gewähren den Begünstigten wie das Urheberrecht be- 97 stimmte Ausschließlichkeitsrechte, die sich vor allem auf die Verwertung der geschützten Leistung beziehen. Die herstellerbezogenen Leistungsschutzrechte schützen die jeweilige wirtschaftlich-organisatorische Leistung bei der Herstellung von Tonträgern, Filmen, Datenbanken, Sendungen usw. Das Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler schützt
197
BGH AfP 2007, 358, 360 – Staatsgeschenk.
198
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Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 28.
303
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
die künstlerische Darbietung. Auch der leistungsschutzrechtliche Schutz ist zeitlich begrenzt; die Schutzfristen sind hier jedoch kürzer als die urheberrechtliche Schutzfrist; je nach Leistungsschutzrecht dauert der Schutz zwischen 15 und 50 Jahren ab dem Erscheinen oder der Herstellung des jeweiligen Schutzgegenstandes.
II. Ausübende Künstler 98
Ausübende Künstler im Sinne des Urheberrechtsgesetzes sind Personen, die als Schauspieler, Sänger, Tänzer usw ein Werk vortragen, aufführen oder bei einem Vortrag oder einer Aufführung künstlerisch mitwirken (§ 73 UrhG). Voraussetzung ist, dass es sich um die Interpretation eines urheberrechtlich geschützten Werkes handelt; Artisten, Akrobaten, Varietékünstler, Zauberer usw sind deshalb keine ausübenden Künstler iSd Urheberrechtsgesetzes.199 Das gleiche gilt für Personen, die bei einer Aufführung lediglich technische oder organisatorische Beiträge liefern.200 Durch das Leistungsschutzrecht erfahren die ausübenden Künstler in persönlichkeits99 und in verwertungsrechtlicher Hinsicht praktisch weitgehend den gleichen Schutz wie die Urheber. Insbesondere wird der ausübende Künstler in die Lage versetzt, an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Darbietung teilzuhaben. Der ausübenden Künstler hat das ausschließliche Recht, seine Darbietung auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen sowie das ausschließliche Recht, derartige Träger zu vervielfältigen und zu verbreiten (§ 77 UrhG). Darüber hinaus gibt das Urheberrechtsgesetz dem ausübenden Künstler gem § 78 UrhG ein ausschließliches Recht zur öffentlichen Wiedergabe (insbesondere Sendung und öffentliche Zugänglichmachung) seiner Darbietung. Auch von den betroffenen ausübenden Künstlern müssen daher vor einer Verwertung der geschützten Leistung die jeweiligen Nutzungsrechte vertraglich erworben werden. Gem § 79 UrhG sind die für Nutzungsverträge mit Urhebern geltenden vertragsrechtlichen Bestimmungen der §§ 31 ff UrhG entsprechend anwendbar. Eine Ausnahme bestand bislang insoweit, als Gegenstand von Verträgen mit ausübenden Künstlern schon immer auch Nutzungsrechte bzgl unbekannter Nutzungsarten sein konnten, denn § 31 Abs 4 aF UrhG 201 war hier gem § 79 Abs 2 UrhG nicht anwendbar.202 Erbringen mehrere ausübende Künstler gemeinsam eine Darbietung (zB als Mitwirkende in einem Film oder als Musiker einer Band), ohne dass sich ihre Beiträge gesondert verwerten lassen, so stehen ihnen – ähnlich wie Miturheber – die Verwertungsrechte gemeinsam zu. Keiner der beteiligten Künstler darf seine Einwilligung zur Verwertung aber wider Treu und Glauben verweigern (§ 80 Abs 1 UrhG). Die Schranken des Urheberrechtsgesetzes finden auf die Rechte der ausübenden Künst100 ler entsprechende Anwendung (§ 83 UrhG), so dass bestimmte Nutzungen auch hier zustimmungsfrei zulässig sind. In persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht wird der ausübende Künstler gem § 75 UrhG ähnlich wie der Urheber gegen Entstellungen und Beeinträchtigungen seiner Darbietung geschützt. Außerdem hat er das Recht, in Bezug auf seine Darbietung als ausübender Künstler anerkannt zu werden (§ 74 UrhG). Der ausübende Künstler hat deshalb grds einen Anspruch auf Namensnennung. Dieser Anspruch ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn mehrere Künstler eine Darbietung erbracht haben und die Nennung aller einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Weitere Beschränkungen können sich darüber hinaus im Einzelfall aus den jeweiligen Branchenübungen ergeben.203 199 200 201
Schricker/Krüger § 73 UrhG Rn 10. Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 8. S Rn 203 f.
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202 203
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S auch BGH GRUR 2003, 234 – EROC III; krit Schicker/Krüger § 79 UrhG Rn 9 mwN. Schricker/Vogel § 74 UrhG Rn 9.
§ 12
Das Urheberpersönlichkeitsrecht
§ 12 Das Urheberpersönlichkeitsrecht Anknüpfungspunkt für das Urheberpersönlichkeitsrecht ist die Verbindung des Wer- 101 kes mit der schöpferischen Persönlichkeit des Urhebers; das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk. Hierzu gehören vor allem die Befugnis, über die Erstveröffentlichung des Werkes zu entscheiden (§ 12 Abs 1 UrhG), das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) sowie der Schutz vor Entstellungen des Werkes (§ 14 UrhG) und die Möglichkeit zum Rückruf von Nutzungsrechten wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG). Die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse des Urhebers finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art 1 und 2 GG. Auch aus der ökonomischen Perspektive sind die Urheberpersönlichkeitsrechte von Bedeutung. Beruft der Urheber sich zu Recht auf die Urheberpersönlichkeitsrechte, kann dies die Verwertung des Werkes empfindlich beeinträchtigen oder gar völlig vereiteln. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Vertragspartner des Urhebers können erheblich sein. Bei der Gestaltung von Nutzungsverträgen sind deshalb auch die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Aspekte zu beachten.
I. Der Urheber hat einen Anspruch auf Anerkennung seiner Urheberschaft Der Urheber hat ein Recht auf die Anerkennung seiner Urheberschaft (§ 13 S 1 102 UrhG). Negativer Ausdruck dieses Anspruchs ist das Recht des Urhebers, mit seinem Werk nicht oder unter anderem Namen, Pseudonym, in Verbindung gebracht zu werden. Maßt sich ein Dritter die Urheberschaft an seinem Werk oder Teilen davon an, so kann der Urheber verlangen, dass die wahre Urheberschaft festgestellt wird.204 Der Urheber kann ferner bestimmen, ob sein Werk mit einer Urheberbezeichnung versehen werden soll. Der Urheber hat deshalb grds einen Anspruch auf Namensnennung. Dieser Anspruch kann allerdings durch eine entsprechende Branchenüblichkeit beschränkt oder ganz ausgeschlossen sein. Hat der Urheber seine Urheberbezeichnung bereits an dem Werk angebracht (zB seine Signatur auf dem Werkoriginal), kann er verlangen, dass diese Urheberbezeichnung nicht entfernt wird, sondern erhalten bleibt.205 Haben mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen, so haben die Urheber den Anspruch auf Anerkennung ihrer Urheberschaft auch gegen den jeweiligen anderen Miturheber, der nicht die Alleinurheberschaft beanspruchen darf. Der Werkverwerter darf die Urheberbezeichnung ohne Zustimmung des Urheber- 103 rechts grds auch nicht verändern. Zwar sind Änderungen des Werkes und seines Titels gem § 39 Abs 2 UrhG zulässig, wenn der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann. Die Urheberbezeichnung wird von dieser Bestimmung aber nicht erfasst; insoweit bedarf es immer der Zustimmung des Urhebers.206 Das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft gehört zum Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts und ist damit nicht abdingbar.207 Auf vertraglichem Wege kann der Urheber sich Dritten gegenüber aber mit schuldrechtlicher Wirkung zur Einwilligung in eine bestimmte Urheberbezeichnung verpflichten.208 204
205
BGH GRUR 1972, 713, 714 – Im Rhythmus der Jahrhunderte; KG UFITA 80, 1977, 368, 374 – Manfred Köhnlechner. OLG Stuttgart NJW-RR 1995, 935, 936 – Copyright-Aufkleber.
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Dreier/Schulze/Schulze § 39 UrhG Rn 8; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 39 UrhG Rn 22. Rehbinder Rn 649. Zum „Ghostwriting“ s Rn 91.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
II. Der Schutz vor Entstellungen 104
Neben dem Recht auf Anerkennung der Urheberschaft ist wichtigster Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts das Recht des Urhebers, Entstellungen oder andere Beeinträchtigungen seines Werkes zu verbieten, die geeignet sind, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden (§ 14 UrhG). Unter Entstellung ist jede tiefgreifende Verfälschung, Verzerrung oder Verstümmelung der Wesenszüge eines Werkes zu verstehen.209 Eine Entstellung kann zB in der Kürzung eines Filmes liegen 210 Die Beeinträchtigung ist der Oberbegriff und erfasst auch verfälschende Eingriffe in ein urheberrechtlich geschütztes Werk, die nicht den Grad einer Entstellung erreichen; die Entstellung ist ein besonders schwerer Fall der Beeinträchtigung.211 Hat der Urheber – insbesondere im Rahmen einer Nutzungsrechtseinräumung – vertraglich seine Erlaubnis zur Werkänderung erteilt, kann diese Änderung in der Regel nicht die Urheberinteressen aus § 14 UrhG verletzen. Der Urheber, der einem konkreten Eingriff in das Werk zugestimmt hat, ist daran grds gebunden und kann eine Verwertung des so geänderten Werkes nicht ohne weiteres im Nachhinein aus § 14 UrhG verbieten und zwar selbst dann nicht, wenn es sich der Sache nach um eine gröbliche Entstellung (§ 93 UrhG) handelt.212 Ein Verstoß gegen das Entstellungsverbot liegt nur vor, wenn der Eingriff in das Werk die berechtigten Belange des Urhebers verletzen kann. Das ist im Wege der Interessenabwägung zu ermitteln. Das Entstellungsverbot spielt auch im Bereich der Architektur eine wichtige Rolle. Hier kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Frage, inwieweit der Eigentümer beim Bau von den Plänen des Architekten abweichen oder vorhandene Gebäude durch Umbauten verändern darf.213 Aufgrund der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse besteht ein generelles Änderungsverbot. Der Urheber kann dem Bauherrn aber die Befugnis zur Änderung vertraglich gestatten (§ 39 UrhG). Da Änderungen in das Urheberpersönlichkeitsrecht eingreifen, müssen sie konkretisiert werden. Wenn der Urheber einem konkreten Änderungsvorhaben zugestimmt hat, ist für eine weitergehende Interessenabwägung kein Raum mehr. Eine Entstellung scheidet aus. Aufsehen erregte in jüngster Zeit der Streit um den Bau des Berliner Hauptbahnhofs. Der Bauherr hatte im Untergeschoss abweichend von den Entwürfen des Architekten eine Flachdeckenverkleidung eingezogen. Das Landgericht Berlin sah darin eine Entstellung des Architektenentwurfs und verurteilte den Bauherrn zur Beseitigung dieser Verkleidung und zur Umsetzung der ursprünglichen Pläne, die eine gewölbeförmige Verkleidung vorsehen.214 Das – nicht rechtskräftige – Urteil 215 hat das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Stellenwert des Urheberrechts an Bauwerken erheblich gesteigert. Die Entscheidung des Landgerichts zeigt sehr deutlich, welche wirtschaftlichen Konsequenzen die Missachtung des Architektenurheberrechts für den Bauherrn haben kann. Auch bei Immobilientransaktionen ist deshalb dringend zu empfehlen, dass das Urheberrecht einen festen Platz in der Due Diligence erhält. 105 Änderungen, die der Urheber nach Treu und Glauben nicht verweigern kann, sind zulässig (§ 39 Abs 2 UrhG). Allerdings muss der Nutzer darlegen und beweisen, dass sein Interesse vorrangig ist. An pauschale Änderungsvereinbarungen sind deshalb grds strenge Anforderungen zu stellen.216 209 210 211 212
Wandtke/Bullinger/Bullinger § 14 UrhG Rn 3. OLG Frankfort aM GRUR 1989, 203, 205 – Wüstenflug. Schricker/Dietz § 14 UrhG Rn 19. Grundlegend: OLG München, GRUR 1986, 460 – Die unendliche Geschichte.
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BGHZ 62, 331, 334 – Schulerweiterung; zum Urheberrecht des Architekten ausf Schulze NZBau 2007, 537 und 611. LG Berlin GRUR 2007, 964. Die Parteien haben sich schließlich außergerichtlich geeignet. Schulze NZBau 2007, 611, 612.
§ 13
Die Werkverwertung
§ 13 Die Werkverwertung Die vermögensrechtliche Ausprägung des urheberrechtlichen Monopols findet seine 106 Konkretisierung in den Verwertungsrechten, deren Gehalt in § 15 UrhG im Sinne einer Generalklausel 217 zusammengefasst wird: Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten sowie in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben. In den nachfolgenden Bestimmungen werden die in § 15 UrhG benannten Verwertungsrechte näher bestimmt. Die Aufzählung der Verwertungsrechten ist nicht abschließend.218 In seiner durch die Verwertungsrechte konkretisierten vermögensrechtlichen Komponente garantiert das Urheberrecht dem Urheber das umfassende Recht, sein Werk einschließlich seiner Bearbeitungen (§ 23 UrhG) auf alle bekannten und zukünftigen Nutzungsarten selbst zu nutzen.219 Jede Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes durch Dritte setzt deshalb grds die Zustimmung des Urhebers voraus. Das Verwertungsrecht ist damit zugleich (positives) Nutzungsrecht und (negatives) Verbotsrecht.220 Dies entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, dessen Ziel es war, die ausschließliche Befugnis des Urhebers so umfassend zu gestalten, dass möglichst jede Art der Nutzung seines Werkes seiner Kontrolle unterliegt.
I. Die Körperliche Verwertung 1. Das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht Das Recht zur körperlichen Verwertung eines Werkes umfasst das Vervielfältigungs- 107 und das Verbreitungsrecht sowie das Ausstellungsrecht. Das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) ist das Recht, auf beliebige Weise und in beliebiger Zahl Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen. Eine Unterscheidung zwischen digitaler und analoger Technik findet dabei nicht statt 221. Vervielfältigungsstücke sind sämtliche körperlichen Fixierungen eines Werkes oder eines Teils davon, die geeignet sind, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen,222 Vervielfältigungsstücke sind insbesondere Fotokopien, Ausdrucke, Aufnahmen auf Bildoder Tonträgern (Videokassetten, CD, DVD, Disketten, Festplatten usw).223 Auch das Herunterladen von Inhalten aus dem Internet und deren Speicherung auf einem Datenträger oder die erstmalige Digitalisierung eines Werkes zB mittels eines Scanners sind Vervielfältigungen iSv § 16 UrhG. Die Digitalisierung eines Werkes verändert seinen Charakter nicht, sondern stellt zunächst lediglich eine Vervielfältigung iSv § 16 dar.224 Das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) berechtigt dazu, das Original des Werkes oder 108 Vervielfältigungsstücke der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Die
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Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 2. Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 11. Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 15 UrhG Rn 13; Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 2. Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 19; Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 2.
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Wandtke/Bullinger/Heerma § 16 UrhG Rn 13; Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 16 f; BGH GRUR 1999, 325, 327 – Elektronische Pressearchive. BGHZ 17, 266, 270 – Grundig-Reporter. Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 17 mwN. Dreier/Schulze/Schulze § 16 UrhG Rn 13; Wandtke/Bullinger/Heerma § 16 UrhG Rn 13.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
reine Übermittlung von Daten ist keine Verbreitung, weil hier keine körperliche Fixierung des Werkes weitergegeben wird.225 2. Zur Zulässigkeit der Herstellung und Nutzung von Thumbnails
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Um den erforderlichen Speicherplatz zu reduzieren und um bessere Downloadzeiten zu erreichen, werden Fotos im Internet als sog Thumbnails oftmals stark verkleinert und in grober Auflösung präsentiert. Wer das Foto in größerer Version ansehen möchte, kann den Thumbnail anklicken, der einen Link auf die Bilddatei enthält. Die bloße Verkleinerung und gröbere Auflösung von Fotos, um sie als sog Thumbnails im Internet öffentlich zugänglich zu machen, stellt keine Bearbeitung dar, denn die Herstellung von Thumbnails ist keine eigenschöpferische Leistung, sondern lediglich ein technischer Vorgang 226; soweit man eine Bearbeitung im Hinblick auf die Verkleinerung und Kompression der Vorlage gleichwohl bejahen wollte, ist jedenfalls die Schwelle zur unfreien Benutzung nicht überschritten.227 Die Herstellung eines Thumbnails ist aber eine Vervielfältigung des Originalbilds (§ 16 UrhG).228 Die öffentliche Zugänglichmachung dieser Verkleinerungen im Internet greift in das Ausschließlichkeitsrecht des Rechteinhabers aus § 19a UrhG ein.229 Grds ist die Nutzung fremder Lichtbilder zur Herstellung und Zugänglichmachung von Thumbnails deshalb ohne eine entsprechende Lizenz unzulässig. Allerdings geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Inhaber der Bildrechte durch die freie Zugänglichmachung des Fotos im Internet seine konkludente Einwilligung zu Herstellung und Zugänglichmachung von Thumbnails erteilt, weil er ein Interesse daran hat, dass dieses frei zugängliche Angebot von einer Suchmaschine erfasst und von möglichst vielen Nutzern besucht wird.230 Die Annahme einer konkludenten Zustimmung kann in diesem Fall sachgerecht sein. 110 Sie darf aber nicht dazu führen, dass das System der Schranken ausgehöhlt wird. Eine allgemeine Interessenabwägung zwischen den Belangen von Rechteinhabern und Nutzern ist dem deutschen Urheberrecht nämlich fremd. Eine allzu großzügige Annahme konkludenter Zustimmung könnte zu einem Opt-Out-Modell führen, bei dem nicht mehr der Nutzer die Zustimmung einholen, sondern der Rechteinhaber einer zunächst als zulässig angenommen Nutzung widersprechen muss.231 Das ist mit der Regel-Ausnahme-Systematik des Urheberrechts nicht zu vereinbaren. Ein Suchmaschinenbetreiber wird sich in der Regel nicht auf eine Schranke berufen können, die ihm die Vervielfältigung gestattet. Von einer konkludenten Einwilligung ist deshalb nur auszugehen, wenn die Nutzung der Thumbnails auch im Interesse des Rechteinhabers liegt. Das ist nur dann der Fall, wenn die Verwendung der Thumbnails, zB in Suchmaschinen, auch dem Angebot des Ausgangswerks nützt und dass die Thumbnails tatsächlich nur zur Illustration eines Suchergebnisses dienen und nicht geeignet sind, das Originalbild zu ersetzen.
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BGH GRUR 1999, 707 – Kopienversanddienst; Schricker/Loewenheim § 17 UrhG Rn 5. AA OLG Jena MMR 2008, 408. Ott ZUM 2007, 125; aA LG Hamburg MMR 2004, 558 – Thumbnails; Wandtke/ Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 23. LG Erfurt MMR 2007, 393; Ott ZUM 2007, 125, 127.
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LG Hamburg MMR 2004, 558, 561 – Thumbnails (da § 19a UrhG damals noch nicht in Kraft war, hat das LG sich mit der Annahme eines unbenannten Verwertungsrechts beholfen). OLG Jena MMR 2008, 408; LG Erfurt MMR 2007, 393, 394. Ott ZUM 2007, 125, 126.
§ 13
Die Werkverwertung
3. Symbolische Handlungen sind keine Verbreitung Wird ein Werkstück lediglich zur Schau gestellt, ohne dass damit zugleich auch die 111 Aufforderung zum Eigentums- oder Besitzerwerb verbunden ist, liegt darin kein Eingriff in das Verbreitungsrecht. Auch die symbolische Übergabe eines Werkstücks an einen Dritten erfüllt den Tatbestand des § 17 UrhG nicht.232 4. Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts a) Der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz. Das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) 112 berechtigt dazu, das Original des Werkes oder Vervielfältigungsstücke der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Dieses Exklusivrecht des Urhebers zur körperlichen Verwertung erfährt durch den Erschöpfungsgrundsatz gem § 17 Abs 2 UrhG eine wichtige Einschränkung: Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung – mit Ausnahme der Vermietung – zulässig. Damit wird das Prinzip durchbrochen, wonach der Urheber auch bei mehreren aufeinanderfolgenden Nutzungen zustimmen muss. In Art 4 Abs 2 der Informationsgesellschafts-Richtlinie ist die gemeinschaftsweite Erschöpfung des Verbreitungsrechts in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks europarechtlich ausdrücklich kodifiziert worden. Die Erschöpfung erstreckt sich jedoch nur auf das Gebiet der EU und des EWR; außerhalb dieses Gebietes tritt keine Erschöpfung ein.233 Die Erschöpfung tritt nur in Bezug auf das Verbreitungsrecht ein; das Vervielfältigungsrecht kann sich nicht erschöpfen.234 Das Anbieten ist im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen und stellt gegenüber dem 113 Inverkehrbringen eine eigenständige Verbreitungshandlung iSv § 17 UrhG dar. Der Tatbestand des Anbietens ist deshalb auch schon dann verwirklicht, wenn im Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes zum Erwerb des Werkexemplars im Ausland aufgefordert wird.235 Dieser weite Schutz ist sachgerecht und entspricht der gemeinschaftsrechtlichen Zielsetzung effektiven Schutzes geistigen Eigentums. Zu Recht geht der BGH deshalb davon aus, dass diese rechtliche Bewertung mit dem europäischen Recht auch unter dem Gesichtspunkt des freien Warenverkehrs (Art 28, 30 EGV) zu vereinbaren sei, weil insoweit ein dem freien Warenverkehr gegenüber vorrangiges Interesse besteht. Ob eine Verbreitung darüber hinaus auch schon dann vorliegt, wenn das Werkstück in der Öffentlichkeit gezeigt wird, ohne dass Dritten die Möglichkeit einer Benutzung eingeräumt wird, war bis vor kurzem offen. Der EuGH hat diese Frage aufgrund eines Vertragsbeschlusses, des BGH 236 inzwischen negativ beantwortet. Die Verbreitung iSv Art 4 Informationsgesellschafts-RL setze stets eine Eigentumsübertragung voraus. Eine weitere Auslegung des Verbreitungsbegriffs ist nach Auffassung des EuGH nicht möglich. Es obliege insoweit allein dem Gemeinschaftsgesetzgeber, neue Rechte zu schaffen.237 Dieses Urteil des EuGH, das die grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwischen europäischem und supranationalem Urheberrecht betrifft, ist auf Kritik gestoßen. In der Tat scheint der EuGH verkannt zu haben, dass Art 6 WCT keine Maximalrechte definiert, sondern Mindeststandards feslegt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat deshalb durchaus die Möglich232 233 234 235
BGH AfP 2007, 358 – Staatsgeschenk. EuGHE 1971, 487 – Polydor. BGHZ GRUR 1991, 449 – Betriebssystem; BGH GRUR 2001, 512 – Parfumflakon. BGH ZUM 2007, 744 – Bauhaus in Italien.
236 237
BGH EWiR 2007, 189 – Le-Corbusier, mit Anmerkung von Wandtke. EuGH GRUR Int 2008, 593 – Le-CorbusierMöbel II, mit Anmerkung von von Welser.
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keit, über die Vorgaben des WCT hinauszugehen. Das hat er mit Art 4 der Informationsgesellschafts-Richtlinie entgegen der Auffassung des EuGH getan. Unter dieser Prämisse hat der EuGH das Verbreitungsrecht aus Art 4 Informationsgesellschafts-Richtlinie deshalb unzutreffend auf die Vorgaben des Art 6 WCT reduziert.238 Auch die Erwägungsgründe der Informationsgesellschafts-Richtlinie sprechen gegen die Interpretation des EuGH. Die Richtlinie erklärt ein hohes Schutzniveau mit ausdrücklich zu einem wesentlichen Ziel der europäischen Urheberrechtsgesetzgebung.239 Nach bisheriger Rechtsprechung in Deutschland war eine Eigentumsübertragung nicht Voraussetzung für ein Inverkehrbringen iSv § 17 Abs 1 UrhG, und der BGH vertrat ebenfalls diese Auffassung.240 Dieser Ansatz lässt sich nach der EuGH-Entscheidung nicht mehr aufrechterhalten. Welche praktischen Auswirkungen diese Entscheidung haben wird, bleibt indes abzuwarten. Für andere Verwertungsbereiche, insbes von Filmen, Musik, Literatur usw, sind Konstellationen, die mit dem der EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar sind, kaum denkbar. Die Sorge, dass das Urteil des EuGH einen neuen Markt für Piraterieware schaffte,241 dürfte deshalb weitgehend unbegründet sein. Die Voraussetzungen, die der EuGH für das Verbreitungsrecht bestimmt hat, gelten konsequenter Weise auch für die Frage der Erschöpfung des Verbreitungsrechts. In diesem Kontext hat der EuGH die Position der Rechteinhaber daher gestärkt, denn die Eingriffsschwelle für eine Erschöpfung des Ausschließlichkeitsrechts aus § 17 Abs 1 UrhG ist jetzt höher. Dem Erschöpfungsgrundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass der Urheber mit der 114 Veräußerung die Herrschaft über das Werkstück aufgibt. Die Erschöpfung ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Werkstücke, die mit Zustimmung des Rechteinhabers in den Wirtschaftskreislauf eingeführt worden sind, auch auf nachgelagerten Marktstufen verkehrsfähig sind. Den Belangen des Rechteinhabers ist dadurch genügt, dass er bei der ersten Veräußerung die Möglichkeit hatte, ein Entgelt zu verlangen.242
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b) Keine Verallgemeinerungsfähigkeit des Erschöpfungsgrundsatzes. Obwohl der Ansatz der Verkehrsfähigkeit von grundsätzlicher volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, ist das Prinzip der Erschöpfung nicht verallgemeinerungsfähig und deshalb nicht ohne weiteres auf andere Verwertungsrechte übertragbar. Das ergibt sich insbesondere auch aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. In Bezug auf das Recht zur Kabelweitersendung stellt die Kabel-Richtlinie klar, dass es nicht durch das Senderecht erschöpft wird (Art 8 Abs 1).243 Die Informationsgesellschafts-Richtlinie trifft diese Aussage in Art 3 Abs 3 für das Recht der öffentlichen Wiedergabe (§ 15 UrhG) und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Das hat unter anderem zur Folge, dass bei unkörperlichen Nutzungen, die in mehreren Ländern der EU oder sogar gemeinschaftsweit erfolgen sollen, separate Nutzungsrechte für jeden einzelnen Mitgliedstaat erworben werden müssen. Der Nutzer muss also für eine gemeinschaftsweite Nutzung ein Bündel aus 25 Einzellizenzen erwerben. Das ist eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes, denn der Erwerb einer Vielzahl von Nutzungsrechten bedeutet einen erheblichen Recherche- und Transaktionsaufwand für die Verwerter. Da der Schwerpunkt der urheberrechtlichen Nutzungen in wachsendem Maße im Bereich der unkörperlichen Auswertung liegt (On238 239
240
von Welser GRUR Int 2008, 596. Vgl Erwägungsgründe 9 und 11 der Informationsgesellschafts-Richtlinie; idS auch BGH EWiR 2007, 189 – Le-Corbusier. Vgl KG GRUR 1996, 968 – Möbel-Nachbildungen; OLG Köln GRUR-RR 2007, 1 – Nachbildungen von Le-Corbusier-Möbeln; BGH EWiR 2007, 189 – Le-Corbusier.
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241 242 243
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So von Welser GRUR Int 2008, 596. Wandtke/Bullinger/Heerma § 17 UrhG Rn 13. Schricker/von Ungern-Sternberg § 15 UrhG Rn 37; ebenso BGH ZUM 2000, 749, 751 – Kabelweitersendung.
§ 13
Die Werkverwertung
line-Dienste usw), besteht hier Harmonisierungs- und Vereinfachungsbedarf auf europäischer Ebene. Einen ersten Vorstoß hat die EU-Kommission mit ihrer Empfehlung für gemeinschaftsweite Lizenzen für die Online-Nutzung von Musik gemacht.244 Diese Empfehlung ist jedoch auf erhebliche Kritik gestoßen, weil sie das hergebrachte System der Gegenseitigkeitsverträge in Frage stellt. Zwar ist die Erschöpfung kein allgemeiner Rechtsgedanke und die übrigen Verwer- 116 tungsrechte werden durch die Erschöpfung grds nicht berührt.245 Im Interesse der Verkehrsfähigkeit führt die Erschöpfung des Verbreitungsrechts aber zugleich auch zu einer gewissen Einschränkung anderer Verwertungsrechte in Bezug auf die mit Zustimmung des berechtigten in Verkehr gebrachten Werkstücke,246 insb des Vervielfältigungsrechts und des Recht der öffentlichen Wiedergabe. Der Weitervertrieb von Waren ist oft mit Werbemaßnahmen verbunden, auf denen das geschützte Werkstück abgebildet ist. Urheberrechtlich relevante Nutzungshandlungen, die in diesem Rahmen vorgenommen werden, sind ebenfalls zulässig, soweit die Werbung für die jeweilige Vertriebsform üblich ist. Zulässig sind daher zB Abbildungen des Schutzgegenstandes in Prospekten oder Werbeanzeigen, auch im Internet. Auf europäischer Ebene hat der EuGH eine ähnliche Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung des freien Warenverkehrs getroffen.247 5. Der Handel mit gebrauchten Softwarelizenzen a) Erschöpfung des Verbreitungsrechts bei Vertrieb ohne Datenträger? Im digitalen 117 Kontext wird die körperliche Verwertung zunehmend ersetzt durch die unkörperliche Verwertung. An die Stelle auf einem Datenträger fixierter Werkexemplare tritt die Lizenz als Gegenstand des Rechtsgeschäfts. Diese Entwicklung hat gerade erst begonnen und wird weitergehen, denn sie ist die logische Konsequenz aus den typischen Vermarktungsmöglichkeiten, die die digitale Technik bietet. In diesem Prozess der Entmaterialisierung stellt sich die Frage, inwieweit die Reich- 118 weite des Erschöpfungsgrundsatzes auf den Bereich der unkörperlichen Verwertung ausgedehnt werden kann. Von aktueller Bedeutung ist dieses Problem vor allem in Bezug auf die Veräußerung gebrauchter Softwarelizenzen. Es gibt hierzu inzwischen einige Urteile, mit allerdings unterschiedlichen Ergebnissen. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Das LG Hamburg hat angenommen, dass sich die ausschließlichen Nutzungsrechte des Rechteinhabers analog § 69c Nr 3 UrhG erschöpfen, wenn der Rechteinhaber an Stelle von Datenträgern Softwarelizenzen in Verkehr bringt.248 Das LG München hat in einem anderen Fall die Ausdehnung des Erschöpfungsgrundsatzes dagegen abgelehnt; 249 die Erschöpfung betreffe nur die Verbreitung, nicht auch Handlungen, die mit einer Vervielfältigung verbunden sind. Oftmals benötigt der Erwerber die Software nicht, weil er diese bereits erworben hat. Ihm geht es allein um den Erwerb zusätzlicher Lizenzen, die ihm einen erweiterten Einsatz der Software gestatten. Soweit der Veräußerer also lediglich die Lizenz weitergibt und nicht zugleich auch die Software, kommt es auf die Frage der Erschöpfung gar nicht an. In diesem Fall ist die Rechtmäßigkeit stattdessen allein 244
245 246
Empfehlung der EU-Kommission vom 17.10.2005 über die Wahrnehmung von Onlinemusikrechten; s zu diesem Thema auch Teil 2 Kap 3. BGH GRUR 2005, 940, 942 – Marktstudien. BGH ZUM 2000, 1082, 1084 – Parfumflakons.
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EuGH GRUR Int. 1998, 140, 144 – Dior/ Evora. LG Hamburg ZUM 2007, 159. OLG München LG München MMR 2006, 175, 177.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Weiterübertragung von Nutzungsrechten gem §§ 34, 35 UrhG zu beurteilen.250
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b) Zur allgemeinen Bedeutung der Erschöpfungsfrage. Die Frage der Erschöpfung beim Handel mit Lizenzen ist keine softwarespezifische Frage. Sie muss überall dort beantwortet werden, wo der Vertrieb von Nutzungsrechten die herkömmliche Verbreitung von Werkexemplaren ersetzt. Das gilt auch für den reinen Online-Vertrieb zB von Musik. Das gilt auch, wenn eine unkörperliche Datei weiter gegeben wird, zB per E-Mail. Die dabei notwendigen Vervielfältigungen sind ebenfalls nicht vom Erschöpfungsgrundsatz gedeckt. Aus urheberrechtlicher Sicht sind die Zugänglichmachung des Werks durch den Rechteinhaber in einem Online-Shop (Upload) und die anschließende Vervielfältigung durch den Nutzer (Download) zunächst zwei getrennte Vorgänge, die unterschiedliche Verwertungsrechte betreffen.251 Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten stellen sich die beiden Handlungen aus der Perspektive des Verwerters jedoch als ein einheitlicher Akt zum Vertrieb eines urheberrechtlich geschützten Werkes dar. Während bei der klassischen Distribution vom Rechteinhaber autorisierte Vervielfältigungsstücke des Werkes (CDs, DVDs usw) weitergegeben werden, erfolgt die körperliche Fixierung nun durch den Nutzer selbst. Der BGH hat zwar entschieden, dass die Verwertungsrechte über die gesetzlich gere120 gelten Fälle im Interesse der Verkehrsfähigkeit eingeschränkt werden müssen, sofern die geschützten Gegenstände mit Zustimmung des Berechtigten in Verkehr gesetzt worden sind.252 Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht auf den Online-Vertrieb übertragen. Denn der Vertrieb von Vervielfältigungsstücken und der Online-Vertrieb sind nur scheinbar miteinander vergleichbar. Der Käufer einer Musik-CD erwirbt Eigentum an dem Werkträger, jedoch keine urheberrechtlichen Befugnisse. Für die Nutzung der CD zum privaten Gebrauch sind solche Befugnisse auch nicht erforderlich. Beim Online-Vertrieb handelt es sich dagegen nicht um einen (Sach-)Kauf, sondern der Nutzer erwirbt aufgrund eines Linzenzvertrages urheberrechtliche Nutzungsrechte. Aufgrund dieser Rechte ist er befugt, die Vervielfältigungen vorzunehmen, die nötig sind, um das Musikwerk zu nutzen. Im Rahmen eines solchen Lizenzvertrages ist für eine (analoge) Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes kein Raum. Die „Weitergabe“ von unkörperlich erworbenen Werkexemplaren (zB Musikdateien) setzt zwingend weitere Vervielfältigungen voraus (bei der Herstellung einer CD oder beim Versand der Datei per E-Mail). Die Vervielfältigungsstücke, die der Nutzer herstellt, sind nicht vom Rechteinhaber iSv § 17 Abs 1 UrhG in Verkehr gebracht worden. Soweit sich der Nutzer bei der Herstellung von Kopien auf sein Recht aus § 53 Abs 1 UrhG beruft, ist eine Verbreitung solcher Vervielfältigungsstücke nach § 53 Abs 6 UrhG ausdrücklich untersagt. Auch insoweit bietet das Urheberrecht keinen Ansatzpunkt für eine (doppelt) analoge Anwendung von § 17 Abs 2 UrhG. Der Rechteinhaber kann die Übertragbarkeit der Nutzungsrechte beschränken oder ganz ausschließen (§ 34 UrhG). In diesem Sinne stellt auch die Informationsgesellschafts-Richtlinie in Erwägungsgrund 29 ausdrücklich klar, dass sich die Frage der Erschöpfung bei Online-Diensten nicht stellt. Dies gilt auch für materielle Vervielfältigungsstücke eines Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands, die durch den Nutzer eines solchen Dienstes mit zustimmung des Rechtsinhabers hergestellt worden sind. Aufgrund der Fülle denkbarer Sachverhalte, die im Zuge der technischen Entwicklung weiter zunehmen wird, wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, das Urheberrecht soweit erforderlich sinnvoll weiterzuentwickeln.253 Der Gesetzgeber hat dies erkannt und will sich mit der Frage, wie die Weiterveräußerung 250 251 252
Schack GRUR 2007, 639, 644. S Rn 107, 125 ff. BGH ZUM 2000, 1082, 1084 – Parfumflakons; BGH GRUR 1986, 736, 737f –
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253
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Schallplattenvermietung; zust Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 25. Kategorische dagegen Schack GRUR 2007, 639, 643.
§ 13
Die Werkverwertung
gebrauchter Softwarelizenzen urheberrechtlich künftig beurteilt werden soll, bei der nächsten Urheberrechtsnovelle („Dritter Korb“) befassen.254 6. Die Ausstellung von Werken ist vergütungsfrei Das Ausstellungsrecht des Urhebers besteht nur solange, wie das Werk nicht veröf- 121 fentlicht ist. Nach Veröffentlichung kann der Urheber eine Ausstellung seines Werkes in Museen, Galerien usw nicht mehr verhindern, denn das Ausstellungsrecht ist mit der Veröffentlichung des Werkes erschöpft.255 Da dem Urheber ein Verbotsrecht insoweit also nicht zusteht, hat er nach geltendem Recht auch keinen Anspruch auf eine Vergütung für spätere Ausstellungen seines Werkes. Die Schaffung einer solchen Ausstellungsvergütung ist seit Jahren immer wieder Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion. Die rot-grüne Bundesregierung hatte mit einem Vergütungsanspruch für Ausstellungen im Rahmen des „Zweiten Korbs“ sympathisiert,256 ihn dann aber doch verworfen.257 Zur Begründung für diese Entscheidung hieß es, eine gesetzliche Regelung zur Ausstellungsvergütung würde die wirtschaftliche Position der ausübenden Künstler nur scheinbar verbessern. Gerade die zu fördernde Kunst junger und noch unbekannter Künstler könne durch eine solche Vergütung aus dem Ausstellungsbetrieb verdrängt werden. Negative Auswirkungen wären aber auch auf die private Kunstförderung und Ausstellungstätigkeit zu befürchten. Das Bundesjustizministerium verwies außerdem auf die schlechten Erfahrungen mit der 1996 in Österreich eingeführten und 2000 wieder abgeschafften Ausstellungsvergütung. Diese ablehnende Haltung ist zu unterstützen.258
II. Die unkörperliche Werkverwertung durch öffentliche Wiedergabe 1. Die Öffentlichkeit der unkörperlichen Verwertung Eine dem Urheber vorbehaltene unkörperliche Verwertung liegt überhaupt nur dann 122 vor wenn der Vorgang öffentlich erfolgt. Das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit ist einer der Schlüsselbegriffe des Urheberrechts. In Bezug auf unkörperliche Vorgänge berühren Nutzungen, die in der Privatsphäre stattfinden das Urheberrecht grds nicht. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zu den körperlichen Verwertungsformen, die an dem Werkstück anknüpfen und für die Frage der Öffentlichkeit keine Rolle spielt. So ist insbesondere die Herstellung von Vervielfältigungsstücken auch durch Private grds rechtswidrig, sofern sie sich nicht in den engen Grenzen der Schranken bewegen.259 Was das Urheberrecht unter Öffentlichkeit versteht, ergibt sich aus der Legaldefinition in § 15 Abs 3 UrhG. Die Wiedergabe ist danach öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist. Diese Definition entspricht den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen und ist auch bei der Konkretisierung des Öffentlichkeitsbegriffs in anderen
254 255 256
257
BT-Drucks 16/5939, 3. Schricker/Vogel § 18 UrhG Rn 4 mwN. Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16.10.2002, 69. Referentenentwurf für ein „Zweites Gesetz
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zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vom 27.9.2004, 39. Zustimmung für eine Ausstellungsvergütung kommt ua von Schack Rn 398. Zu den Schranken des Urheberrechts Rn 129 ff.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes heranzuziehen.260 Öffentlichkeit kann nur bei einer Mehrzahl von Personen bestehen. Dieses Erfordernis ist nicht im Sinne einer starren Grenze zu verstehen. Es kommt hier vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei die schwierigen Fälle diejenigen sind, in denen der betroffene Personenkreis besonders klein ist. Je mehr Personen, desto eher fehlt es an der persönlichen Verbundenheit. Je weniger Personen, desto eher sind sie persönlich verbunden.261 Die persönliche Verbundenheit liegt dann vor, wenn bei den Mitgliedern der Veranstaltung des Gefühl erzeugt wird, einer geschlossenen Veranstaltung anzugehören; das ist zB nicht der Fall bei einer Party mit Kostenbeitrag, deren Gäste nicht alle miteinander bekannt sind.262 Erscheinungsformen der öffentlichen Widergabe sind insb Vortrag und Aufführung (§ 19 UrhG), öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG), und die Sendung (§ 20 UrhG). 2. Hotelfernsehen als urheberrechtlich relevante Nutzung
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a) Hotelfernsehen ist Kabelweitersendung. Ein umfangreiches Fernsehprogrammangebot gehört heute zur Standardausstattung von Hotels. Da heute nahezu jedes Hotel über Zimmerfernsehen verfügt, hat das Hotelfernsehen inzwischen erhebliche Ausmaße. Um seine urheberrechtliche Beurteilung wird seit vielen Jahren immer wieder gestritten. Es geht um die Frage, ob die Weiterleitung des Sendesignals durch das Hotel eine urheberrechtlich relevante Nutzung darstellt. Zur Umsetzung der Kabel-Richtlinie 263 ist im Urheberrechtsgesetz ein ausschließliches Verwertungsrecht der Kabelweitersendung (§ 20b UrhG) geschaffen worden; 264 Der deutsche Gesetzgeber hat die Bestimmungen zur Kabelweitersendung dabei nicht auf grenzüberschreitende Sendevorgänge innerhalb der EU beschränkt,265 sondern auch auf diejenigen Kabelweitersendungen erstreckt, die innerhalb Deutschlands der Ermöglichung oder Verbesserung des Empfangs von Rundfunksendungen dienen. Eine Unterscheidung zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Sendungen in diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber zutreffend als sachlich nicht gerechtfertigt angesehen.266 Das Recht zur Kabelweitersendung ist das Recht, ein gesendetes Werk im Rahmen eines zeitgleich, unverändert und vollständig weiter übertragenen Programms durch Kabelsysteme oder Mikrowellensysteme weiterzusenden (§ 20b Abs 1 UrhG).267 Teilweise wird die urheberrechtliche Relevanz des Hotelfernsehens auch unmittelbar aus § 20 UrhG abgeleitet, und die von einem Hotelbetreiber vorgenommene Weiterleitung von Fernsehprogrammen mittels einer Kabelverteilungsanlage an verschiedene Empfangsgeräte, die den Gästen auf ihren Zimmern zur Verfügung stehen, als Sendung an die Öffentlichkeit iSd §§ 87, 20 UrhG eingeordnet.268
124
b) Keine Regelung durch das Europäische Recht. Ob und inwieweit auch die Verbreitung von Fernsehsignalen im internen Netz von Hotels in das Recht zur Kabelweitersen260 261
262 263
Wandtke/Bullinger/Heerma § 15 UrhG Rn 14. Öffentlich im urheberrechtlichen Sinne sind zB größere Betriebsfeiern, BGHZ 17, 376, 379, oder Hochschulvorlesungen, OLG Koblenz 1987, 699, 700. LG Oldenburg GRUR-RR 2007, 177 – Musik und Videos im Stall. Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9. 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (Kabel-Richtlinie).
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265 266 267
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Viertes Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 8.5.1998, BGBl 1998 I S 902. So aber Art 1 Abs 3 der Kabel-Richtlinie. AmtlBegr des Regierungsentwurfs BT-Drucks 13/4796, 13. Vgl auch Art 1 Abs 3 der Kabel-Richtlinie und die AmtlBegr des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 13/4796, 13. OLG Hamm Urteil vom 4.9.2007, Az 4 U 38/07.
§ 13
Die Werkverwertung
dung eingreift, wird von der Kabel-Richtlinie nicht geregelt. Diese Frage ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2000 stattdessen weiterhin ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilen.269 Empfängt ein Hotel durch eine hoteleigene Empfangsanlage (Kabel, Satellit etc) Sendungen und speist es diese in ein hoteleigenes Kabelsystem ein, um sie zu den einzelnen Hotelzimmern weiterzuleiten, so fällt dies in Deutschland in den Anwendungsbereich des Kabelweitersendungsrechts aus § 20b UrhG.270 Hotels müssen deshalb in Deutschland das Kabelweitersendungsrecht gegen die Zahlung einer Vergütung vertraglich erwerben. Die Interessenvertreter des Hotelgewerbes haben immer wieder versucht, eine Bereichsausnahme für Hotels durchzusetzen. Zu Recht hat der Gesetzgeber diese Forderung nicht erfüllt. Eine derartige Verengung des Sendebegriffs wäre mit den urheberrechtlichen Prinzipien kaum zu vereinbaren. Der Gesetzgeber will sich, insb unter dem Aspekt einer technologieneutralen Ausgestaltung, mit dem Recht der Kabelweitersendung eingehend im Rahmen der nächsten Urheberrechtsnovelle befassen.271 3. Die öffentliche Zugänglichmachung: das Verwertungsrecht des 21. Jahrhunderts a) Das Recht des „making available“. Aus technischen Gründen lassen sich die Nut- 125 zungsvorgänge im Internet nicht unter die klassischen Verwertungsrechte subsumieren. Insbesondere eine Anwendung des Senderechts scheidet hier aus.272 Die digitale Technik erfordert deshalb eine Erweiterung des Urheberrechts um ein neues Verwertungsrecht, und diese Aufgabe ist auf internationaler Ebene gelöst worden. Bereits 1996 ist durch den World Copyright Treaty (WCT) in Art 8 ein neues ausschließliches Verwertungsrecht des „making available“ geschaffen worden, um die digitale Lücke im Urheberrecht zu schließen. Dieses Recht der öffentlichen Zugänglichmachung hat mit der Informationsgesellschafts-Richtlinie Eingang in das europäische Urheberrecht gefunden und ist im Zuge der Umsetzung dieser Richtlinie 2003 auch in das deutsche Urheberrecht aufgenommen worden. Nach dem neuen § 19a UrhG hat der Urheber das ausschließliche Recht, sein Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Zustimmungspflichtige Verwertungshandlung ist die Bereitstellung des Werkes in einem Netz zum Abruf. Wie beim Senderecht kommt es auf die tatsächliche Wahrnehmung nicht an. Die nachfolgenden Nutzungshandlungen, die der Nutzer vornehmen muss, um das zugänglich gemachte Werk wahrzunehmen, haben als nachgelagerte Vervielfältigungshandlungen eigenständige urheberrechtliche Relevanz gem § 16 UrhG.273 Da es auf die Rechtmäßigkeit der Vervielfältigung nicht ankommt, bleibt die unzulässige Zugänglichmachung als Verstoß gegen § 19a UrhG auch dann rechtswidrig, wenn die Vervielfältigung durch eine Schranke gedeckt wäre.274 Diese urheberrechtlich wichtige Unterscheidung der Zurverfügungstellung (Upload) und des Abrufs (download) eines Werkes ist von aktueller Bedeutung im Kontext der sog „Tauschbörsen“. Wer Musikwerke zum Download über das Internet anbietet, macht diese Werke iSv § 19a öffentlich zugänglich.275 b) Wachsende Bedeutung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung. Bereits 126 heute ist erkennbar, dass das Internet – allein oder in Kombination mit anderen Medien – 269 270
271 272 273
EuGH GRUR Int 2000, 548. OLG München ZUM-RD 2002, 150; Wandtke/Bullinger/Ehrhardt §§ 20–20b UrhG Rn 20. BT-Drucks 16/5939, 4. Schack Rn 414. Wandtke/Bullinger/Heerma § 16 UrhG
274 275
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Rn 14; Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 23. Schack Rn 417. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 19a UrhG Rn 11; OLG Hamburg ZUM-RD 2005, 273, 276.
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zum wichtigsten Kanal für die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke wird. Damit wächst die Bedeutung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung. Die Entwicklung des Urheberrechts begann, als mit der Erfindung des Buchdrucks die technischen Voraussetzungen für massenhaftes Kopieren geschaffen wurden. Im Zentrum des traditionellen Urheberrechts steht deshalb das Recht der Vervielfältigung. Sinnbild für die Entmaterialisierung der Werkverwertung im digitalen Zeitalter ist das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung. Es ist das Verwertungsrecht des 21. Jahrhunderts.
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c) Die urheberrechtliche Einordnung von „Internetradios“. Ausübende Künstler haben bei der Sendung (§ 20 UrhG) von Darbietungen, die auf einem Tonträger erschienen sind, kein Verbotsrecht, sondern nur einen Vergütungsanspruch (§ 79 UrhG), an dem die Tonträgerhersteller teilhaben (§ 86 Abs 2 UrhG). Inwieweit auch Internet-Radios und andere durch streaming im Internet verbreitete Angebote unter dieses sog „Sendeprivileg“ fallen ist strittig und hängt von der Programmgestaltung im Einzelnen ab. Wenn das Angebot eine starke interaktive Komponente hat und vom Nutzer an Orten und zu Zeiten seiner Wahl abgerufen werden kann, liegt keine Sendung vor. Stattdessen handelt es sich dann um eine öffentliche Zugänglichmachung iSv § 19a UrhG, für die stets eine ein vertraglicher Rechteerwerb erforderlich ist.276 Nach wohl überwiegender Auffassung fallen das Webcasting und das Simulcasting unter das Senderecht.277 Bei diesen Internetangeboten können die Nutzer den Programmablauf nicht beeinflussen, so dass hier eine Ähnlichkeit zum herkömmlichen Radio besteht. Das Programm wird zeitgleich und unverändert über das Internet übertragen. Die Voraussetzungen von § 19a UrhG sind damit nicht erfüllt. Das gilt auch für IPTV.278 Je stärker die Interaktivität ist, desto eher wird man zu dem Ergebnis kommen, dass das Angebot den Anwendungsbereich des Senderechts verlässt. Strittig ist derzeit vor allem noch die Einordnung von Mischformen, wie „near-ondemand“-Diensten, bei denen die Nutzer nicht einzelnen Titel abrufen können, sondern lediglich die Wahl zwischen mehreren Programmen haben, deren Ablauf sie in Gang setzen können. Der BGH hat sog Multicasting dem Senderecht zugeordnet; der Umstand, dass die Übermittlung einer musikalischen Darbietung im Rahmen eines Mehrkanaldienstes dem Empfänger weiter gehende Verwendungsmöglichkeiten einräumt und damit die Primärverwertung stärker beeinträchtigen kann als die Übermittlung im Rahmen einer herkömmlichen Radiosendung, sei unbeachtlich.279 Rechtmäßige Radioangebote stehen auch als legale Quellen für die Herstellung von Privatkopien zur Verfügung. Im Zusammenspiel mit sog „intelligenter Aufnahmesoftware“280 stellen sie inzwischen ein ernst zu nehmendes – legales und kostenfreies – Substitut für die rechtswidrigen „Tauschbörsen“ dar. Da heute eine Vielzahl von Internetangeboten ihren Ursprung nicht in Deutschland 128 haben, stellt sich neben der Frage nach der materiellrechtlichen Einordnung der Nutzungshandlungen die Frage, ob die Lizenzierung im Sinne des Sendelandprinzips nur in dem Land erfolgen muss, in dem der Server seinen Standort hat, oder ob nach der sog Bogsch-Theorie 281 das Recht all derjenigen Länder maßgeblich sein soll in dem das Angebot abrufbar ist. Dieser Ansatz hat sich bereits bei der herkömmlichen Sendung als zu weitgehend erwiesen. Seine Anwendung auf Internetsachverhalte, die grds weltweit 276 277
278
Wandtke/Bullinger/Schaefer § 86 UrhG Rn 5. Ausf Wandtke/Bullinger/Büscher § 78 UrhG Rn 8; Handig GRUR Int. 2007, 206, 209; Poll GRUR 2007, 475, 480; aA Bortloff GRUR Int 2003, 669, 675. Poll GRUR 2007, 475, 480.
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BGH GRUR 2004, 669, 670 – Musikmehrkanaldienst. Dazu Rn 214 f. Benannt nach dem ehem. Generaldirektor der WIPO, Árpád Bogsch; zum Inhalt der Theorie eingehend Schricker/Katzenberger Vor §§ 120 ff UrhG Rn 141.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
zugänglich sind, würde dazu führen, dass für alle Länder dieser Welt eine Lizenz erforderlich ist. Das ist unmöglich, und ein legaler Betrieb von Musikprogrammen im Internet wäre kaum möglich. Die Beschränkung auf den Serverstandort nach dem Sendelandprinzip würde den Rechteerwerb radikal vereinfachen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass der Urheberrechtschutz insgesamt leidet, wenn die Betreiber der Angebote in Länder mit besonders niedrigem Schutzniveau ausweichen. Es werden deshalb Mittelwege diskutiert, etwa eine Begrenzung auf bestimmte Empfangsländer, in denen die Nutzung des Angebots intendiert ist, oder eine Anknüpfung an den Sitz des Unternehmens.282 Eine endgültige und allseits akzeptierte Klärung der Frage steht noch aus.
§ 14 Die Schranken des Urheberrechts I. Das System der Schranken 1. Schranken als Ausnahme von den urheberrechtlichen Exklusivrechten Das Urheberrecht ist zwar umfassend aber nicht schrankenlos. Die Ausschließlich- 129 keitsrechte werden durch die „Schranken“ in §§ 44a ff UrhG zugunsten bestimmter Nutzergruppen oder bestimmter Nutzungszwecke begrenzt. Das ist Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Sozialbindung des urheberrechtlichen Eigentums.283 Es geht bei den Schranken darum, welche Mindestnutzungsrechte das Urheberrecht bestimmten Nutzern gewähren muss, um diesen Interessenausgleich zu bewältigen. Der Konflikt zwischen den privaten Interessen des Rechteinhabers und denjenigen der Öffentlichkeit und ihrer Mitglieder ist systemimmanent. Das Urheberrecht schließt per definitionem andere vom Zugriff auf das Werk aus. Die Antwort auf die Frage nach der Grenze zwischen privatnützigem Urheberrecht und dem „public domain“ ergibt sich dagegen keineswegs aus dem Urheberrecht selbst.284 Sie ist stattdessen das Ergebnis einer wertenden Betrachtung und ist im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert worden. Beispiele hierfür sind die Regelung der urheberrechtlichen Schutzfristen285 oder im Bereich der Schranken die Zulässigkeit von privaten Vervielfältigung. Bei dieser Wertung ist jedoch stets zu beachten, dass die Schranken grds eng auszulegende Ausnahmen vom umfassenden Urheberrechtsschutz darstellen.286 2. Abschließende Regelung der Schranken durch das Gemeinschaftsrecht Auch das europäische Urheberrecht bekennt sich ausdrücklich zu einem angemesse- 130 nen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechteinhabern und Nutzern,287 und das System der urheberrechtlichen Schranken in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe ist heute durch das europäische Recht abschließend geregelt.288 Die Multimedia-Richtlinie definiert in Art 5 welche 282 283 284 285 286
Handig GRUR Int 2007, 206, 214ff. Delp 318; Schricker/Melichar Vor §§ 44 ff UrhG Rn 1. Goldstein 10. S Rn 65 ff. BGHZ 50, 147 – Kandinsky I; BGHZ 87, 126 – Zoll- und Finanzschulen; BGHZ 123,
287 288
Ole Jani
149 – Verteileranlagen; Delp 318; Wandtke/ Bullinger/Lüft Vor §§ 44a ff UrhG Rn 1 mwN. Erwägungsgrund 31 der Informationsgesellschafts-Richtlinie. Erwägungsgrund 32 der Informationsgesellschafts-Richtlinie.
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Ausnahmen die Mitgliedstaaten vom urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrecht schaffen dürfen. Das deutsche Urheberrecht enthält seit vielen Jahren solche Schranken, die im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt worden sind. Im Zuge der Umsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie und zuletzt mit dem „Zweiten Korb“ hat der Gesetzgeber das Schrankensystem an die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts angepasst. Die Schranken regeln einzelne, genau beschriebene Ausnahmen. Eine Generalklausel, die ähnlich wie die „fair-use-Doktrin“ des US-amerikanischen Copyright Law eine flexible Einzelfallregelung erlaubt, kennt das deutsche Urheberrecht nicht.
II. Zustimmungsfreie Nutzungen sind grds vergütungspflichtig 131
Zum Ausgleich für den Rechtsverlust, den der Urheber durch die Schranken erleidet, gewährt das Urheberrechtsgesetz gesetzliche Vergütungsansprüche. Diese Ansprüche, die nur durch Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden könne, sollen den Urheber dafür entschädigen, dass er die erlaubnisfreie Nutzung seines Werkes in bestimmten Fällen dulden muss. Wegen des besonderen Schutzes des Urheberrechts durch Art 14 GG darf die zustimmungsfreie Nutzung aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch nur in engen Grenzen und absoluten Ausnahmefällen auch entschädigungslos gestattet werden.289 Der Spielraum des Gesetzgebers ist dadurch eingeschränkt. Vergütungsfreie Nutzungen sind zB zulässig für Veranstaltungen der Jugendhilfe, der Sozialhilfe, Alten- und Wohlfahrtspflege und der Gefangenenbetreuung, sofern sie nach ihren sozialen oder erzieherischen Zweckbestimmungen nur einem bestimmten, abgegrenzten Personenkreis zugänglich sind (§ 52 Abs 1 S 3 UrhG).
III. Zentraler Prüfungsmaßstab ist der Drei-Stufen-Test 1. Die internationalrechtlichen Grundlagen des Drei-Stufen-Tests
132
Gem Art 9 Abs 2 RBÜ bleibt den Verbandsländern zwar vorbehalten, die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen zu gestatten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt. Diese Voraussetzung ist als allgemeiner Grundsatz für eine Beschränkung der urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte als „Drei-Stufen-Test“ bekannt geworden und findet im Gemeinschaftsrecht in Art 5 Abs 5 der Informationsgesellschafts-Richtlinie seine Kodifizierung, mit dem der Gemeinschaftsgesetzgeber Art 10 Abs 1 WCT und Art 16 Abs 2 WPPT umgesetzt hat.290 Auch die von der Richtlinie erlaubten Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts dürfen danach „nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden“. Die Informationsgesellschafts-Richtlinie lässt an der restriktiven Funktion des Drei-Stufen-Tests keine Zweifel und weist in Erwägungsgrund 44 ergänzend darauf hin, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Ausnahmen und Beschränkungen insbesondere die gesteigerte wirtschaftliche Bedeutung, die solche Ausnahmen oder Beschränkungen im neuen elektronischen Umfeld erlangen können, angemessen berücksichtigen sollen. Der Umfang bestimmter Ausnahmen oder Beschränkungen sei daher noch enger zu 289
BVerfGE 49, 382 – Kirchenmusik.
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290
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Reinbothe GRUR Int 2001, 733, 740.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
begrenzen. Die Anwendung sämtlicher Schranken des Urheberrechtsgesetzes muss sich aus diesem Grund an den Kriterien des „Drei-Stufen-Tests“ messen lassen, und aufgrund der gegenüber der RBÜ in der Informationsgesellschafts-Richtlinie vorgenommenen Erweiterung gilt dies auch für die Beschränkungen der Ausschließlichkeitsrechte von Leistungsschutzberechtigten. 2. Der Drei-Stufen-Test als Auslegungs- und Gestaltungsregel Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH 291 ist der „Drei-Stufen-Test“ der 133 entscheidende Maßstab für die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes. Der „Drei-Stufen-Test“ ist jedoch nicht nur eine Auslegungsregel für bestehende Schranken. Er gibt darüber hinaus vor allem auch eine Handlungsanweisung an den Gesetzgeber, die Schranken von Anfang an im Einklang mit dem „Drei-Stufen-Test“ auszugestalten.292 Darauf hat zutreffend auch die Bundesregierung 293 hingewiesen. Der Gesetzgeber hat sich bedauerlicherweise gleichwohl nicht dazu durchringen können, den „Drei-Stufen-Test“ als „Schranken-Schranke“ ausdrücklich im Urheberrechtsgesetz zu verankern. Sowohl bei der Umsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie als auch beim Zweiten Korb hat die Bundesregierung entsprechende Forderungen zurückgewiesen. Der Drei-Stufen-Test sei bei der Formulierung der Schranken bereits hinreichend berücksichtigt worden.294 Gerade weil das so ist, vermag die Begründung der Bundesregierung nicht zu überzeugen, denn es liegt im Interesse der Rechtsklarheit, dass alle relevanten Bestimmungen unmittelbar im Urheberrechtsgesetz enthalten sind. Dies gilt allemal für die zentrale Schranke des § 53 UrhG über Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch, die ohne urheberrechtliche Spezialkenntnisse kaum noch verständlich ist.
IV. Vervielfältigungen für den privaten und sonstigen eigenen Gebrauch 1. Die Privatkopie bleibt grds zulässig Gem § 53 Abs 1 UrhG dürfen einzelne Vervielfältigungsstücke eines urheberrechtlich 134 geschützten Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern hergestellt werden (Privatkopien), sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen. Wie viele Vervielfältigungsstücke danach zulässig sind, regelt das Gesetz nicht. Nach der Rechtsprechung liegt die Obergrenze bei sieben Exemplaren 295. Diese Obergrenze ist willkürlich. Unter Berücksichtigung des Gebots der engen Auslegung von Schranken 296 kann die maximal zulässige Zahl von Kopien je nach dem Zweck und Art der Vervielfältigung deshalb auch niedriger sein. Von der Befugnis zur Vervielfältigung gem § 53 Abs 1 UrhG sind Computerprogramme und Datenbanken ausgenommen. 2. Es gibt kein Recht auf Privatkopien a) Die Privatkopie ist kein Gewohnheitsrecht. Entgegen einer weitverbreiteten Auf- 135 fassung schafft das Urheberrecht kein Recht auf Privatkopien. Ein solches Recht lässt sich insbesondere auch nicht aus dem Grundrecht auf Informationsfreiheit (Art 5 GG) herleiten, denn dieses Grundrecht begründet keine Verpflichtung der Rechteinhaber, den 291 292 293 294
BGHZ 141, 13, 34 – Kopienversanddienst. Jani ZUM 2003, 842, 844. BT-Drucks 15/38, 40. BT-Drucks 16/1828, 21.
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BGH GRUR 1978, 474 – Vervielfältigungsstücke. S Rn 129.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Nutzern urheberrechtlich geschützte Werke unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Eine vergütungsfreie Nutzung ist nur in wenigen Ausnahmefällen und unter der Voraussetzung eines besonderen öffentlichen Interesses zulässig.297 Auch Art 14 GG begründet kein Recht auf Privatkopien. Der Ruf der Verbraucher nach weitgehenden Kopiermöglichkeiten ist verständlich; er ist aber ohne jede Rechtfertigung. Die Vertreter der gegenteiligen Auffassung verkennen insbesondere, dass die Privatkopie nicht einem verfassungsrechtlich geschützten Interesse dient (insbesondere nicht Art 5 GG), sondern in ihrem Ursprung allein dem Umstand geschuldet war, dass die private Vervielfältigung nicht kontrollierbar war.298 Diese Beschränkung hat sich auch nicht im Laufe der Zeit zu einem positiven Gewohnheitsrecht verfestigt. Der Nutzer, der zwei Exemplare einer Musik-CD benötigt, um sie im Wohnzimmer und im Auto zur Verfügung zu haben, kann sich für seinen Wunsch, die CD nur einmal kaufen zu müssen und das zweite Exemplar kostengünstig selbst herzustellen, also nicht auf eine verfassungsrechtlich geschützte Position berufen. Es ist verfassungsrechtlich deshalb auch völlig unbedenklich, dass es dem Berechtigten heute gestattet ist, mit technischen Schutzmaßnahmen auch die (digitale) Privatkopie zu unterbinden. Denn diese Maßnahme führt allein dazu, dass der Verbraucher so viele Werkstücke erwerben muss, wie er benötigt. Damit gilt für urheberrechtlich geschützte Werke nichts anderes als für andere Gebrauchsgegenstände. Es ist aus diesem Grunde richtig, dass der Gesetzgeber die Privatkopie weder bei der Umsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie noch im Rahmen des Zweiten Korbes nicht „durchsetzungsstark“ gegenüber technischen Schutzmaßnahmen ausgestaltet hat.299
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b) Das Recht zur Herstellung von Sicherungskopien. Die Forderung nach einem Anspruch auf die Herstellung von Privatkopien wird auch begründet mit der angeblichen Notwendigkeit, „Sicherungskopien“ zu erstellen. Dieses Bedürfnis ist aus Sicht der Verbraucher nachvollziehbar. Auch dieser Argumentation fehlt jedoch die rechtliche Grundlage. Das Risiko, dass der Werkträger untergeht, muss grds der Nutzer tragen. Eine zwingende Ausnahme gilt aufgrund der Computerprogramm-Richtlinie für Computerprogramme. Gem § 69d Abs 2 UrhG darf die Erstellung einer Sicherungskopie eines Computerprogramms durch eine Person, die zur Benutzung des Programms berechtigt ist, nicht vertraglich untersagt werden, wenn die Kopie für die Sicherung künftiger Benutzung erforderlich ist. Diese Befugnis ist systematisch und inhaltlich mit der Gestattung von Privatkopien nicht zu vergleichen. Sicherungskopie ist eine Vervielfältigung eines Computerprogramms auf einem be137 liebigen Datenträger, auf die zurückgegriffen wird, wenn das Originalprogramm aus irgendwelchen Gründen nicht mehr nutzbar ist. Die Herstellung der Sicherungskopie ist nur zulässig, soweit sie erforderlich ist; das ist dann nicht der Fall, wenn dem Softwarenutzer vom Rechteinhaber eine Sicherungskopie zur Verfügung gestellt wird.300 Ob auch das bloße Angebot zum Austausch unbrauchbarer Datenträger ausreicht, ist umstritten. Im Hinblick auf den Zweck der Bestimmung des § 69d Abs 2 UrhG, dem Nutzer schnell zum Ersatz zu verhelfen, kann ein solches Angebot, bei dem der Nutzer den Ersatzdatenträger anfordern muss, die Sicherungskopie nicht ersetzen 301. Während die Privatkopieschranke die Herstellung einzelner Kopien gestattet, ist bei der Sicherungskopie umstritten, wie viele Vervielfältigungsstück zulässig sein sollen. Der Gesetzgeber 297
298
BVerfGE 31, 229 – Kirchen- und Schulgebrauch; Schricker/Melichar Vor §§ 44a ff UrhG Rn 11. Schricker/Loewenheim § 53 UrhG Rn 5; Wandtke/Bullinger/Lüft § 53 UrhG Rn 4.
320
299 300 301
Ole Jani
Zum Schutz technischer Maßnahmen Rn 25 ff. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69d UrhG Rn 54. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69d UrhG Rn 54 mwN.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
ging davon aus, dass nur eine Kopie zulässig ist.302 Die Frage ist mit Blick auf den Sicherungszweck zu beantworten und danach werden mehrere Kopien nur ausnahmsweise von § 69c gedeckt sein.303 Die Sicherungskopie darf ferner erst dann genutzt werden, wenn dies aufgrund einer Unbrauchbarkeit des Originaldatenträgers notwendig wird. Der Anspruch auf die Herstellung einer Sicherungskopie gewährt kein Selbsthilferecht 138 zur Überwindung technischer Maßnahmen. Der Berechtigte hat dann vielmehr gegen den Rechteinhaber einen Anspruch auf Beseitigung des technischen Schutzes bzw auf Lieferung einer Sicherungskopie.304 3. Keine Kopien von offensichtlich rechtswidrigen Vorlagen Das Recht zur Herstellung von Privatkopien findet außerdem dort seine Grenze, wo 139 ein Werk mit technischen Schutzmaßnahmen ausgestattet ist, die die Kopierfähigkeit des Werkes beschränken oder ausschließen.305 Im Übrigen darf die für die Kopie verwendete Vorlage nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht worden sein. Ob eine Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt worden ist, beurteilt sich deshalb nach den jeweiligen objektiven Umständen.306 Von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit wird man unter anderem dann ausgehen müssen, wenn ein unzulässiges Angebot geschützter Werke an unbekannte Dritte unentgeltlich erfolgt, obwohl derartige Werke üblicherweise nur entgeltlich erworben werden können. Bei Downloadangeboten von Filmen wird die offensichtliche Rechtswidrigkeit dadurch indiziert, dass die exklusive Auswertung im Kino noch nicht abgeschlossen ist oder noch gar nicht begonnen hat. Aufgrund der öffentlichen Berichterstattung sind aber auch die einschlägig bekannten Filesharing-Systeme für Musikdateien (Bittorrent, EDonkey usw) offensichtlich rechtswidrig. Es ist bekannt, dass die Musikindustrie derartige Kanäle für einen legalen Musikvertrieb nicht nutzt. Bei den sog „Tauschbörsen“ liegt die Urheberrechtsverletzung nicht in der Herstel- 140 lung einer körperlichen der Vorlage, sondern in deren unerlaubter öffentlicher Zugänglichmachung. Ob auch dieses Upload eine Herstellung iSv § 53 Abs 1 UrhG ist, war unklar.307 Der Gesetzgeber hat § 53 Abs 1 UrhG im „Zweiten Korb“ deshalb ergänzt und klargestellt, dass auch die offensichtlich rechtswidrige öffentliche Zugänglichmachung erfasst ist. Damit wird der ursprünglichen Intention entsprechend die Privatkopie auch bei Nutzung derartiger Quellen unzulässig.308 4. „Tauschbörsen“ bleiben illegal Der Gebrauch des Ausdrucks „Tausch“ ist umgangssprachlich vielfältig. Beim Tausch 141 iSv § 480 BGB werden per definitionem zwei Sachen ausgetauscht mit der Folge, dass sie Besitzer und Eigentümer wechseln. Wer also zB eine Musik-CD tauscht, gibt sie her, um dafür vom Tauschpartner eine andere Sache zu erhalten. Der Begriff „Tauschbörse“ ist deshalb irreführend, denn ein Austausch findet gerade nicht statt. Das vermeintliche 302 303
304
BT-Drucks 12/4022, 12. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69d UrhG Rn 56; Dreier/Schulze/Dreier § 69d UrhG Rn 17. Schricker/Loewenheim § 69d UrhG Rn 19; Dreier/Schulze/Schulze § 69d UrhG Rn 19; Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69d UrhG Rn 57.
305 306 307 308
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Dazu Rn 27. Jani ZUM 2003, 842. Jani ZUM 2003, 842, 847; Schricker/ Loewenheim § 53 Rn 14a. BT-Drucks 16/1828, 26.
321
Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Tauschobjekt wird stattdessen vervielfältigt. Die Tauschbörsen sind deshalb treffender als „Kopierbörsen“ zu bezeichnen. Diese Feststellung ist keineswegs nur eine juristische Spitzfindigkeit, sondern sie beschreibt die urheberrechtliche Brisanz der „Tauschbörsen“ und die Gefahr, die von ihrer verniedlichenden Bezeichnung ausgeht. Der Tausch von körperlichen Exemplaren urheberrechtlich geschützter Werke ist harmlos und wegen des Erschöpfungsgrundsatzes 309 urheberrechtlich nicht relevant; die Nutzung von „Tauschbörsen“ dagegen stellt eine erhebliche Beeinträchtigung des Urheberrechts dar, weil es sich hierbei tatsächliche nicht um Tauschvorgänge handelt. Die Einspeisung eines Werkes in einer „Tauschbörse“ ist eine öffentliche Zugänglichmachung iSv § 19a UrhG. Jegliche Nutzung von Werken im Internet ist ohne die Einwilligung des Rechteinhabers stets unzulässig. Das gilt etwa für die Nutzung von Stadtplanausschnitten oder für die in letzter Zeit populären Websites mit Songtexten, die als Sprachwerk (§ 2 Abs 2 Nr 1 UrhG) selbstständig urheberrechtlich geschützt sind. Da es sich bei Tauschbörsen unverändert um ein Massenphänomen handelt, das nur sehr schwer in den Griff zu bekommen ist, gehen die Rechteinhaber, vor allem die Musikindustrie, gegen die Nutzer verstärkt auch mit strafrechtlichen Mitteln vor. 5. Kopien für den privaten Gebrauch
142
Erlaubt sind nur Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch. Privater Gebrauch setzt voraus, dass die Vervielfältigung ausschließlich zum Gebrauch in der Privatsphäre zur Befriedigung rein persönlicher Bedürfnisse außerberuflicher sowie außerwirtschaftlicher Art dienen soll.310 Von der Privatsphäre umfasst sind auch Familienmitglieder und Freunde. Wenn die Vervielfältigungsstücke aber unmittelbar oder mittelbar auch beruflichen oder gewerblichen Zwecken dienen, liegt privater Gebrauch nicht mehr vor.311 Das Recht zur Herstellung von Privatkopien gilt zudem nur für natürliche Personen, nicht für juristische Personen. Die Vervielfältigung darf auf beliebigen Trägern erfolgen. Es findet damit keine Differenzierung nach der verwendeten Technik statt; mithin sind nicht nur analoge, sondern auch digitale Kopien sind zulässig. Das Recht zur Herstellung privater Vervielfältigungen gestattet damit sowohl die Anfertigung von Fotokopien, als auch die Aufzeichnung von Werken auf Videokassetten, CD-R, DVD-R und sonstigen Datenträgern. Erlaubt ist damit zB die Herstellung von Kopien einer CD zur Nutzung im eigenen Auto, die Vervielfältigung geschützter Werke mittels eines Scanners oder das Herunterladen und die Speicherung von Inhalten aus dem Internet auf der Festplatte des privaten Computers zu rein privaten Zwecken. Gem § 53 Abs 6 UrhG dürfen die als Privatkopie oder Kopie zum sonstigen eigenen Gebrauch rechtmäßig hergestellten Kopien nicht verbreitet werden. 6. Kopien durch die analoge Lücke sind keine Umgehung technischer Schutzmaßnahmen
143
Umstritten ist, ob sich die Verbraucher zur Herstellung von Vervielfältigungen die sog „analoge Lücke“ zu nutze machen dürfen, oder ob digitale Kopien auch dann gegen das Verbot einer Umgehung technischer Schutzmaßnahmen 312 verstoßen, wenn sie über einen analogen Umweg erstellt werden. Bei Vervielfältigungen in der „analogen Lücke“ wird nicht die digitale Datei, sondern das mit ihr erzeugte analoge Signal kopiert und 309 310
S Rn 112. BGH GRUR 1978, 474 – Vervielfältigungsstücke.
322
311 312
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BGH GRUR 1993, 899 – Dia-Duplikate; Schricker/Loewenheim § 53 UrhG Rn 12a. S Rn 25 ff.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
redigitalisiert, ohne dass es dabei zu spürbaren Qualitätseinbußen kommt. Da der Kopierschutz auf dem digitalen Ausgangsmaterial angebracht ist, das nicht unmittelbar vervielfältigt wird, werde konsequenter Weise auch nicht der auf der digitalen Datei aufgebrachte Schutzmechanismus umgangen.313 Diese Auffassung schafft zwar tatsächlich eine Lücke, sie ist aber zutreffend, denn die digitalen Schutzmechanismen sollten direkte digitale Kopien verhindern, nicht aber auch analoge Kopien.314 Mittelfristig wird die analoge Lücke wahrscheinlich dennoch geschlossen werden können, weil künftige Kopierschutzmechanismen auch die analoge Kopie digitaler Werke verhindern können. Ob die Rechteinhaber einen solchen strikten Schutz installieren, ist allerdings keineswegs sicher. Zwar stellt die Nutzung der analogen Lücke keinen Urheberrechtsverstoß dar. Der Rechteinhaber ist dennoch nicht völlig schutzlos gestellt. Nach Auffassung des LG Frankfurt a M sollen die Bewerbung und der Vertrieb von Software, die der Ausnutzung der analogen Lücke dient, aber einen Wettbewerbsrechtsverstoß gem §§ 3, 4 Nr 10 und 8 UWG darstellen.315 Die Bestimmungen des UWG sind zum Schutz vor Umgehung weiterhin neben § 95a UrhG anwendbar, da die Informationsgesellschafts-Richtlinie gem ihres Art 9 andere Vorschriften unberührt lässt.316 7. Zur Zulässigkeit von Kopien durch Dritte a) Voraussetzungen für die Zulässigkeit. § 53 Abs 1 S 2 UrhG erlaubt die Herstellung 144 der Vervielfältigungsstücke zum eigenen Gebrauch unter bestimmten Voraussetzungen durch Dritte. Dritte können auch Gewerbeunternehmen sein (zB Copyshops). Durch diese Erweiterung der Schranke sollen auch diejenigen in den Genuss der Befugnis zum Kopieren kommen, die nicht über ein eigenes Vervielfältigungsgerät verfügen.317 Grds muss die Herstellung durch einen Dritten unentgeltlich erfolgen, es sei denn, es handelt sich um Vervielfältigungen auf Papier oder ähnlichem bzw Vervielfältigungen mittels fotomechanischer Verfahren (Reprografie). Unentgeltlich ist die Vervielfältigung durch einen Dritten dann, wenn lediglich Gebühren oder Entgelte erhoben werden, die die Kostendeckung nicht überschreiten. Die Tätigkeit des Dritten muss sich in jedem Fall auf die technisch-mechanische Tätigkeit beschränken und auf konkreten Anweisungen des von § 53 Abs 1 UrhG Begünstigten beruhen.318 Unzulässig ist deshalb insb, dass der Dritte die Auswahl der zu vervielfältigenden Werke übernimmt.319 Auch die digitale Kopie durch Dritte ist zulässig, wenn der Hersteller keine Vergütung für die Kopie erhält. Angesichts der inzwischen massenhaften Verbreitung digitaler Vervielfältigungsgeräte ist fraglich, ob das ursprüngliche Anliegen des Gesetzgebers, auch jenen die Kopiermöglichkeit zu verschaffen, die kein eigenes Gerät haben, im digitalen Kontext noch berechtigt ist. Die Vertreter der Rechteinhaber fordern, die digitale Kopie von der Befugnis zum Herstellen lassen auszunehmen. b) Online-Video-Recorder. Der private Nutzer darf eine Fernsehsendung zum priva- 145 ten Gebrauch aufzeichnen. Die Nutzung eines Videorekorders zur Herstellung von Kopien für den privaten Gebrauch ist damit ohne weiteres von der Schranke des § 53 Abs 1 UrhG gedeckt, das gilt insbesondere auch für die Aufzeichnung von Sendungen zum sog Time-Shift. Im Internet gibt es seit einiger Zeit Anbieter virtueller „Online-Video-Recorder“ (OVR). Hier ist fraglich, ob sich dieses Geschäftsmodell noch im Rahmen von § 53 313 314
315
LG Frankfurt aM ZUM 2006, 881. LG Frankfurt aM ZUM 2006, 881; Wandtke/Bullinger/Ohst § 95a UrhG Rn 51 mwN; aA Schippan ZUM 2006, 853, 864. LG Frankfurt aM ZUM 2006, 881.
316 317 318 319
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Wandtke/Bullinger/Ohst § 95a UrhG Rn 6. Schricker/Loewenheim § 53 UrhG Rn 19. BGH GRUR 1997, 459 CB-Infobank I; BGH GRUR 1997, 464 – CB-Infobank II. OLG Köln GRUR 2000, 414.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Abs 1 UrhG bewegt. Dem Nutzer wird Speicherplatz auf einem Server des Anbieters zur Verfügung gestellt. Der Kunde entscheidet, welche Sendung aufgezeichnet werden soll. Die Rechtsprechung hält OVR zu Recht für unzulässig, wenn sie ohne die Zustimmung der betroffenen Sendeunternehmen betrieben werden.320 Dieses Ergebnis trifft auch auf alle anderen Dienstleistungen zu, die die Vervielfältigung geschützter Werke, zB Musik,321 zum Gegenstand haben. Die Kopie ist nicht dem Nutzer selbst zuzurechnen, so dass § 53 Abs 1 S 1 UrhG keine Anwendung findet. Die Voraussetzungen für ein zulässiges Kopierenlassen iSv § 53 Abs 1 S 2 UrhG sind nicht erfüllt. Die Frage, wer Hersteller der Kopie ist, muss nicht rein tatsächlich, sondern im Lichte des Normzwecks und der allgemeinen Grundsätze der urheberrechtlichen Schranken (insbesondere des Drei-Stufen-Tests 322) beantwortet werden.323 § 53 Abs 1 S 2 UrhG ist deshalb auch in diesem Kontext eng auszulegen. Der Anbieter von OVR stellt nicht lediglich ein ausgelagertes technisches Instrument in Form von Speicherplatz zur Verfügung, das an die Stelle des häuslichen Videorecorders tritt, sondern er erbringt eine umfassende Leistung als Gesamtpaket. Die Vervielfältigung erfolgt deshalb nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durch den Anbieter des OVR und nicht durch den privaten Endnutzer. Die Einschaltung Dritter als „Werkzeug“ für den Kopiervorgang ist abschließend in § 53 Abs 1 S 2 UrhG geregelt. Daraus folgt, dass die Kopie nach § 53 Abs 1 S 1 UrhG eigenhändig und unmittelbar durch den Privilegierten hergestellt werden muss. Die Anbieter von OVR können sich auch nicht auf die Zulässigkeit der Herstellung von Kopien durch Dritte gem § 53 Abs 1 S 2 UrhG berufen, denn die Tätigkeit der Anbieter von OVR ist in der Regel auf Gewinnerzielung ausgerichtet und zwar auch dann, wenn die eigentliche Aufzeichnung für den Nutzer unentgeltlich ist, weil der Anbieter sich über Werbeeinnahmen finanziert.324 Im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm ist hier nicht auf die Sicht des Nutzers abzustellen, der uU tatsächlich nichts bezahlt, sondern eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Das öffentliche Angebot von OVR zur Aufnahme und zur zeitversetzten Nutzung der gesendeten Programme erfüllt zugleich auch den Tatbestand der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG); 325 insoweit können die Betreiber der OVR sich erst recht nicht auf eine Schranke berufen. Anders ist die Rechtslage, wenn der OVR vom Inhalteanbieter selbst zur Verfügung 146 gestellt wird. Derartige Angebote sind vor allem im Zuge von IPTV vorstellbar, bei denen der Provider dem Kunden in der von ihm gelieferten Hardware (set-top box usw) oder auf seinem Server die technische Möglichkeit gibt, für bestimmte Zwecke Kopien der übermittelten Inhalte anzufertigen. Soweit die Inhalte nicht vollständig „on demand“ angeboten werden, sondern bestimmten Ausstrahlungsrhythmen folgen, wird es auch hier vor allem um die Möglichkeit zum „time shift“ gehen. Soweit die Angebote tatsächlich zu Zeiten nach Wahl des Nutzers abgerufen werden können, wird der OVR zur Herstellung eines persönlichen Filmarchivs in Betracht kommen. In Verbindung mit DRM ließe sich die Nutzbarkeit dieses Archivs an den Bestand des Abonnements koppeln. Kündigt der Nutzer das Abo, so verliert er auch die Berechtigung zur Nutzung der von ihm erstellten Kopien. In diesem Kontext bewegen wir jedoch uns nicht im Anwendungsbereich der Privatkopieschranke, sondern die Befugnis zur Herstellung der Kopie ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag, den Anbieter und Nutzer schließen.
320 321 322
OLG Dresden GRUR-RR 2007, 138; LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396. LG Köln MMR 2007, 610. Dazu Rn 132 ff.
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323 324 325
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OLG Dresden GRUR-RR 2007, 138, 139. OLG Dresden GRUR-RR 2007, 138, 139. OLG Köln MMR 2006, 35.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
8. Intelligente Aufnahmesoftware Von zunehmender Beliebtheit sind Computerprogramme, die als „intelligente Auf- 147 nahmesoftware“ bezeichnet werden. Diese Software, die teilweise sogar unentgeltlich abgegeben wird, scannt gleichzeitig eine Vielzahl (legaler) Musikprogramme im Internet, entnimmt diesen Programmen automatisch die gewünschten Musiktitel und speichert sie auf der Festplatte des Computers. Die Software kann über die sog ID3-Tags, die jedem Titel zugeordnet sind, die erforderlichen Informationen über die Musikstücke ermitteln und führt vollautomatisiert die Kopieraufträge des Nutzers durch.326 Nach zutreffender Auffassung ist die Nutzung solcher Computerprogramme zulässig, wenn der Nutzer sich auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs 1 UrhG berufen kann und wenn die Quelle im Internet rechtmäßig ist. Entscheidend ist dabei vor allem, dass der Nutzer, anders als beim Online-Recorder 327 die Kopie trotz des vollständig automatisieren Vorgangs in rechtlicher Hinsicht selbst herstellt.328 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Form der Privatkopie ein geradezu 148 industrielles Ausmaß annimmt und erheblich in Verwertungsinteressen der Musikwirtschaft eingreift. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechteinhaber selbst von vornherein beschränkte Möglichkeiten haben, weil ihnen durch das sog „Sendeprivileg“ in Bezug auf die Sendung erschienener Tonträger gem § 78 Abs 1 Nr 2 UrhG kein Verbotsrecht zusteht.329 Der Einsatz intelligenter Aufnahmesoftware geht damit über das mit der Privatkopieschranke Bezweckte deutlich hinaus. Die Forderung der Musikwirtschaft nach einem Verbot intelligenter Aufnahmesoftware ist deshalb nachvollziehbar. Allerdings dürfte es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht einfach sein, ein derartiges Verbot zu formulieren. Der Bundestag hat immerhin angekündigt, ein Verbot der intelligenten Aufnahmesoftware im Rahmen der nächsten Urheberrechtsnovelle zu prüfen.330
V. Flüchtige Vervielfältigung Im Internet sind zunehmend auch Angebote abrufbar, bei denen die geschützten 149 Werke rechtswidrig als sog „Stream“ angeboten werden. Anders als bei den klassischen „Tauschbörsen“ lädt der Nutzer das Werk nicht dauerhaft herunter, sondern nur vorübergehend während er es betrachtet. Nach Beendigung des Streams können die Daten nicht erneut genutzt werden. Derartige flüchtige Vervielfältigungen fallen ausdrücklich auch unter das Vervielfältigungsrecht aus § 16 UrhG. Das Urheberrechtsgesetz enthält für flüchtige Vervielfältigungen deshalb eine gesonderte Schranke. § 44a UrhG erklärt flüchtige Vervielfältigungen für zulässig, die integraler Bestandteil eines technischen Verfahrens und ohne eigenständige wirtschaftliche Bedeutung sind. Voraussetzung ist, dass die Vervielfältigung begleitend ist und zur Übertragung in einem Netz oder zu einer rechtmäßigen Werknutzung dient.331 Unklar ist, ob auch das bloße Sichtbarmachen von Inhalten am Bildschirm eine Ver- 150 vielfältigung ist. Dagegen spricht, dass hierbei keine körperliche Wiedergabe stattfindet, sondern es sich um eine unkörperliche Wiedergabe handelt. Sofern diese unkörperliche 326 327 328 329
Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Dazu Rn 145. Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Das Sendeprivileg ist – gerade im digitalen Kontext – umstritten Schricker/Krüger § 78 UrhG Rn 9 f mwN.
330 331
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BT-Drucks 16/5939, 4. Einzelheiten bei Schricker/Loewenheim § 44a UrhG Rn 5 ff.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Wiedergabe – im Regelfall – nicht öffentlich ist, erfüllt sie nicht den Tatbestand der öffentlichen Widergabe iSv § 15 UrhG und ist damit ohne eigenständige urheberrechtliche Relevanz., Soweit zur Sichtbarmachung am Bildschirm zuvor eine kurzzeitige Speicherung im Arbeitsspeicher erfolgt, handelt es sich um eine Vervielfältigung iSv § 16 UrhG, die als vorübergehende Vervielfältigung im Rahmen des sog Browsing ebenfalls gem § 44a UrhG zulässig ist.332
VI. Der Kopienversand 151
Der BGH hat in den Kopienversand durch Bibliotheken per Post und per Telefax grds für zulässig erachtet, sofern der Besteller sich auf § 53 UrhG berufen kann und wenn der Versand auf Einzelbestellung erfolgt.333 Zugleich schuf der BGH im Wege der Rechtsfortbildung einen gesonderten Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung für den Kopienversand. Zur Zulässigkeit des sonstigen elektronischen Kopienversands hatte sich der BGH seinerzeit nicht geäußert. Er war aber Gegenstand einer Entscheidung des OLG München, die kurz vor Verabschiedung des „Zweiten Korbs“ erging und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf bestätigte.334 Gegenstand des vom OLG München entschiedenen Rechtsstreits war der elektronische Kopienversand durch den Kopienversanddienst „Subito“. Das OLG München erklärte den elektronischen Kopienversand durch E-Mail, Internet-Download usw für unzulässig. Der BGH hatte in seiner Entscheidung die Erwartung geäußert, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit des Kopienversands mittelfristig gesetzlich regeln werde.335 Mit dem durch den „Zweiten Korb“ neu geschaffen § 53a hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH zum zustimmungsfreien Versand von Kopien durch Bibliotheken gesetzlich nachvollzogen, um die gesetzliche Lücke, die der Bundesgerichtshof vorübergehend durch Analogie ausgefüllt hatte, zu schließen. § 53a UrhG lehnt sich im Einklang mit dieser Zielsetzung stark an die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze an. Der Tatbestand des § 53a UrhG ist in seinen wesentlichen Elementen wortlautgleich mit dem Leitsatz des BGH. Darüber hinaus erklärt § 53a UrhG aber auch die Übermittlung von Kopien in sonstiger elektronischer Form für zulässig, soweit die Kopie als grafische Datei versendet wird und funktional an die Stelle der Einzelübermittlung in körperlicher Form tritt.336 Der elektronische Versand ist unzulässig, wenn der Zugang zu den Beiträgen oder kleinen Teilen eines Werkes nicht mittels einer vertraglichen Vereinbarung zu angemessenen Bedingungen offensichtlich öffentlich zugänglich ist.337 Mit diesen Einschränkungen wollte der Gesetzgeber die elektronische Primärverwertung durch die Verlage schützen.338 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH ist der Kopienversand gem § 53a Abs 2 UrhG vergütungspflichtig.
332 333 334 335
Wandtke/Bullinger/von Welser § 44a UrhG Rn 3 mwN. BGH GRUR 1999, 707 – Kopienversanddienst. OLG München MMR 2007, 525 – Elektronischer Kopienversand. BGH GRUR 1999, 707, 714 – Kopienversanddienst.
326
336 337 338
Ole Jani
Wandtke/Bullinger/Jani § 53a UrhG Rn 20; BT-Drucks 16/1828, 27. Dazu eingehend Wandtke/Bullinger/Jani § 53a UrhG Rn 26 ff. Wandtke/Bullinger/Jani § 53a UrhG Rn 32.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
VII. Sonstige Vervielfältigungen zum eigenen Gebrauch Während gem § 53 Abs 1 UrhG nur die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch zulässig ist, erfasst § 53 Abs 2 UrhG auch berufliche und erwerbswirtschaftliche Zwecke sowie juristische Personen.339 Der eigene Gebrauch iSv § 53 Abs 2 UrhG ist dadurch gekennzeichnet, dass Vervielfältigungsstücke zur eigenen Verwendung und nicht zur Weitergabe an Dritte hergestellt werden.340 Aus diesem Grunde ist das Vervielfältigungsrecht aus § 53 Abs 2 UrhG überschritten, wenn das Vervielfältigungsstück zur Verwendung durch außenstehende Dritte bestimmt ist. Nicht von der Schranke des § 53 Abs 2 UrhG gedeckt sind daher zB sog Recherchedienste, die im Auftrag ihrer Kunden Recherchen zu bestimmten Themen durchführen ihren Kunden dann Kopien der recherchierten Beiträge übermitteln.341 § 53 Abs 2 Nr 1 UrhG erlaubt, einzelne Vervielfältigungsstücke zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch herzustellen, wenn und soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist. Vervielfältigungen zu wissenschaftlichen Zwecken können nicht nur Wissenschaftler im eigentlichen Sinne (insbesondere an Universitäten) herstellen. Maßgeblich ist allein, dass die Vervielfältigung für das „methodisch-systematischen Streben nach Erkenntnis“ verwendet werden soll; 342 daher werden durch § 53 Abs 2 Nr 1 UrhG auch kommerzielle Forschungseinrichtungen in Unternehmen privilegiert. Die Zulässigkeit der Vervielfältigung nach § 53 Abs 2 Nr 1 UrhG hängt im Übrigen davon ab, dass die Vervielfältigung geboten, also erforderlich ist. Da die urheberrechtlichen Schranken eng auszulegen sind, wird Erforderlichkeit zu verneinen sein, sofern das Werk ohne erheblichen Aufwand – durch Kauf, durch Ausleihe in einer Bibliothek usw – beschafft werden kann. Nach § 53 Abs 2 Nr 2 UrhG dürfen einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes zur Aufnahme in ein eigenes Archiv hergestellt werden. Ausschließlicher Archivzweck ist die Bestandssicherung. Ein Archiv iSv § 53 UrhG ist eine unter sachlichen Gesichtspunkten geordnete Sammlung vorhandener Werke aller Art zum internen Gebrauch.343 Interner Gebrauch ist immer dann nicht mehr gegeben, wenn die archivierten Vervielfältigungsstücke auch Dritten zur Nutzung zugänglich sind. Voraussetzung ist für die Zulässigkeit der Vervielfältigung auch hier, dass die Vervielfältigung zur Archivierung geboten ist; darüber hinaus muss der Archivbetreiber ein eigenes Werkstück als Vorlage benutzen. Dies gilt für jede erneute Archivierung eines Dokumentes, auch wenn diese nur unter einem anderen Stichwort erfolgt.344 Die Vervielfältigung zu Archivzwecken ist darüber hinaus nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Vervielfältigung auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels fotomechanischer oder ähnlicher Verfahren (insbesondere Fotokopie) vorgenommen wird, eine ausschließlich analoge Nutzung des Archivs stattfindet oder das Archiv keinen unmittelbaren oder mittelbar wirtschaftlichen Erwerbszweck verfolgt. Ein elektronisches Pressearchiv, das ein Unternehmen zur Benutzung durch eine Mehrzahl von Mitarbeitern einrichtet, ist deshalb kein Archiv iSd § 53 Abs 2 Nr 2 UrhG. Damit ist die Herstellung digitaler Vervielfältigungen für elektronische Archive – denen heute die größte Bedeutung zukommen wird – im gewerblichen Umfeld praktisch ausgeschlossen. Gem § 53 Abs 2 Nr 4 UrhG ist es zulässig, auch zum sonstigen eigenen Gebrauch einzelne Vervielfältigungsstücke von kleinen Teilen eines erschienen Werkes, von einzelnen – 339 340 341 342
BGHZ 134, 250 – CB-Infobank I. Wandtke/Bullinger/Lüft § 53 UrhG Rn 23. BGHZ 134, 250 – CB-Infobank I. Schricker/Loewenheim § 53 UrhG Rn 22.
343 344
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BGHZ 134, 250 – CB-Infobank I; Schricker/ Loewenheim § 53 UrhG Rn 25. BGHZ 134, 250 – CB-Infobank I.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
auch kompletten – Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften oder von seit mindestens zwei Jahren vergriffenen Werken zu erstellen. Voraussetzung ist, dass die Vervielfältigung mittels fotomechanischem Verfahren (zB durch Fotokopie) erfolgt oder eine sonstige ausschließlich analoge Nutzung stattfindet. Ein Werkteil ist klein im Sinne dieser Vorschrift, wenn er 10 bis 20 % des Werkes nicht übersteigt.345 Eine starre Grenze besteht hier aber nicht.
VIII. Zugänglichmachung zur Veranschaulichung im Unterricht 156
Mit § 52a UrhG wurde auf der Grundlage einer Kann-Bestimmung der Informationsgesellschafts-Richtlinie 346 eine neue Schranke in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sie erlaubt die öffentliche Zugänglichmachung von kleinen Teilen eines Werkes, Werken geringen Umfangs sowie einzelnen Beiträgen aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht. Außerdem dürfen Werke für einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung öffentlich zugänglich gemacht werden; ein Anwendungsbeispiel hierfür sind sog „Semesterapparate“, in denen Dozenten bestimmte Literatur für ihre Vorlesung zusammenstellen. Da die öffentliche Zugänglichmachung zweckgebunden ist und nur für den bestimmt abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern erfolgen darf, müssen die Angebote auf geeignete Weise, zB durch ein Passwort, vor dem Zugriff von Nutzern geschützt werden, die nicht geschützt werden, so dass nur die Studierenden der jew. Lehrveranstaltung Zugang zu den Texten haben. Für Schulbücher und Filmwerke sieht § 52a Abs 2 UrhG zugunsten der Rechteinhaber 157 eine Ausnahme von der Schranke vor, die im Verlauf der parlamentarischen Beratungen durch den Rechtsausschuss eingefügt worden ist.347 Die Verlage sahen in dieser Schranke einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Nutzungsbefugnisse und befürchteten eine massive Gefährdung ihrer digitalen Verwertungsmöglichkeiten. Der Bundestag hat die Geltung von § 52a UrhG deshalb zunächst befristet (sog „sunset provision“); gem § 137k UrhG sollte § 52a UrhG am 31.12.2006 automatisch außer Kraft treten. Da bei Ablauf dieser Frist noch keine belastbaren Erkenntnisse über die Auswirkungen von § 52a UrhG vorlagen, hat der Bundestag diese Befristung bis zum 31.12.2008 verlängert.348 Das Bundesministerium der Justiz hat die Evaluation im Frühjahr 2008 abgeschlossen und dem Rechtsausschuss des Bundestags am 2.5.2008 seinen Bericht übermittelt. Das Ministerium empfiehlt dem Bundestag darin, die Befristung von § 52a UrhG aufzuheben und § 137k UrhG ersatzlos zu streichen. Zugleich es Forderungen der Nutzer nach einer Ausweitung von § 52a UrhG zurückgewiesen. Alternativen zu § 52a UrhG werden in dem Bericht indes nicht diskutiert. Der Gesetzgeber muss noch 2008 eine gesetzliche Regelung treffen. Andernfalls läuft § 52a UrhG am 31.12.2008 aus. Die Schranke ist in diesem Fall ab dem 1.1.2009 endgültig nicht mehr anwendbar; eine öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke zu den in § 52a Abs 1 UrhG genannten Zwecken wäre dann ohne Einwilligung der Rechtsinhaber nicht mehr zulässig. Eine erneute Verlängerung der Befristung oder gar die Abschaffung von § 52a UrhG erscheint im Lichte der bisherigen Diskussion trotz der anhaltenden Kritik an der Schranke jedoch nicht realistisch.
345 346
OLG Karlsruhe GRUR 1997, 818 – Referendarkurs. Informationsgesellschafts-Richtlinie, Art 5 Abs 3 lit a.
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347 348
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BT-Drucks 15/837, 8. Fünftes Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10.11.2006, BGBl I 2006 S 2587.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
IX. Elektronische Leseplätze § 52b UrhG gestattet öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Museen und Archiven, 158 Werke aus ihren Beständen in ihren Räumen an elektronischen Leseplätzen zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung und für private Studien zugänglich zu machen. Mit dieser neu geschaffenen Schranke sollen die Benutzer der privilegierten Einrichtungen Werke an elektronischen Leseplätzen in gleicher Weise wie in analoger Form nutzen können. Es soll damit dem öffentlichen Bildungsauftrag insb der öffentlichen Bibliotheken Rechnung getragen und zugleich ein Schritt zur Förderung der Medienkompetenz der Bevölkerung unternommen werden.349 § 52b UrhG ist mit dem „Zweiten Korb“ in das Urheberrechtsgesetz eingefügt worden.350 Die elektronischen Leseplätze müssen eigens für die Nutung gem § 52b UrhG eingerichtet werden. Dadurch ist ausgeschlossen, dass Nutzer der Einrichtungen über ein Netzwerk Zugang zu den Elektronischen Werken mit ihren eigenen Geräten haben; die Beschränkung auf die Räume der privilegierten Räume schließt darüber hinaus Internet-Angebote usw aus, die von beliebigen Orten nach Wahl des Nutzers abgerufen werden können.351 Außerdem dürfen die Einrichtungen nur Werke zugänglich machen, die sie in ihrem Bestand haben, und es dürfen grds nicht mehr Exemplare eines Werkes an den eingerichteten elektronischen Leseplätzen gleichzeitig zugänglich gemacht werden, als der Bestand der Einrichtung umfasst. Mit dieser Einschränkung, die den Vorgaben der Multimedia-Richtlinie entspricht,352 soll sichergestellt werden, dass die Bibliotheken die elektronischen Leseplätze nicht dazu nutzen, ihre Angebote zu Lasten der Verlage zu erweitern, indem sie die Anschaffung zusätzlicher Werkexemplare ersparen.353 Die Urheber haben für die Zugänglichmachung ihrer Werke an elektronischen Leseplätzen einen Anspruch auf angemessene Vergütung.
X. Zulässigkeit von Zitaten Der Schutz des Urheberrechts steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Bedürfnis 159 der Allgemeinheit, sich mit fremden Werken auseinanderzusetzen. Diesem Bedürfnis trägt das Urheberrecht vor allem mit dem Zitatrecht Rechnung. Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes, wenn in einem durch den Zweck gebotenen Umfang Stellen des Werkes in einem selbstständigen Werk als Zitat angeführt werden. Zulässig sind Zitate außerdem, wenn einzelne Werke nach dem Erscheinen in ein selbstständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung aufgenommen oder einzelne Stellen eines erschienen Werkes der Musik in einem selbstständigen Werk der Musik angeführt werden. Das Zitatrecht erfasst insbesondere Zitate in Sprachwerken (Texten). Zitate sind aber auch in anderen Werkarten, wie zB Filmen und Multimediawerken oder auf Websites zulässig, sofern dies durch einen Zitatzweck gedeckt ist. Wird auf ein fremdes Werk nur verwiesen, dann liegt kein Zitat vor; deshalb ist auch das Setzen eines Hyperlinks im Internet kein Zitat.354 Ein Rückgriff auf das Zitatrecht oder andere Schranken ist hier aber auch gar nicht erforderlich, weil Links auf fremde Dateien kein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht darstellen.355 Wer Inhalte 349 350
351
BT-Drucks 16/1828, 26. Zur rechtspolitischen Debatte um dieses Gesetz Jani UFITA 2006/II, 511, 522 ff; Langhoff/Oberndörfer/Jani ZUM 2007, 593. Wandtke/Bullinger/Jani § 52b UrhG Rn 14 f.
352 353 354 355
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Wandtke/Bullinger/Jani § 52b UrhG Rn 31. Wandtke/Bullinger/Jani § 52b UrhG Rn 30. Möhring/Nicolini/Waldenberger § 51 UrhG Rn 1; Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 7. BGH GRUR 2003, 958 – Paperboy.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
ohne besonderen Schutz im Internet öffentlich zugänglich macht, muss nach Meinung des BGH damit rechnen, dass seine Inhalte mit fremden Inhalten durch Links verknüpft werden. Diese Auffassung verdient Zustimmung. Die Verknüpfung von Seiten ist ein wesentliches Merkmal des dezentral strukturierten Internet. Wer in diese Strukturen nicht eingebunden werden möchte, der kann dies durch geeignete technische Maßnahmen verhindern. Es ist auch das Zitat von ganzen Bildern und Fotos möglich, der Abdruck eines 160 ganzen Zeitungsartikels dürfte als Zitat jedoch in der Regel nicht gerechtfertigt sein.356 Bei jedem Zitat ist stets eine deutliche Quellenangabe erforderlich (§ 63 UrhG). Weil das Zitatrecht nur in den engen Grenzen der gesetzlich definierten Zitatzwecke besteht, spielt es im Bereich der gewerblichen Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials so gut wie keine Rolle. Als Faustregel gilt: Immer dann, wenn die Übernahme der fremden Werkteile dazu dient, eigenen Aufwand zu ersparen, fehlt der Zitatzweck und sind die Grenzen des nach § 51 UrhG Zulässigen überschritten.357
XI. Elektronische Pressespiegel 1. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Pressespiegeln
161
Auch Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften sind in der Regel als Sprachwerke (§ 2 Abs 1 Nr 1 UrhG) urheberrechtlich geschützt.358 Ihre Nutzung ist dementsprechend nach Maßgabe der §§ 15 ff UrhG ebenfalls grds dem Autor als Urheber, bzw dem Verlag, der die Nutzungsrechte vom Autor erworben hat, vorbehalten. Mit dem Kauf einer Zeitung oder Zeitschrift ist ein Erwerb urheberrechtlicher Befugnisse, insbesondere des Rechts zur Vervielfältigung, nicht verbunden. Von erheblicher praktischer Bedeutung in Unternehmen, Verbänden, Behörden usw sind Übersichten über Presseveröffentlichungen zu bestimmten Themen usw. Solche Presseschauen sind aber als sog Pressespiegel gem § 49 Abs 1 UrhG auch ohne vertraglichen Rechteerwerb grds zustimmungsfrei zulässig. § 49 UrhG schränkt die entsprechenden Verwertungsrechte aus § 16 UrhG und § 17 UrhG ein 359 und gestattet im Interesse des Informationsbedüfnisses der Allgemeinheit die Vervielfältigung und die Verbreitung einzelner Zeitungsartikel ohne die Zustimmung des Urhebers bzw des Rechteinhabers in anderen „Informationsblättern“. Auch Pressespiegel, die Unternehmen, Behörden, Verbände usw für den internen Gebrauch erstellen, fallen unter diesen Oberbegriff.360 § 49 Abs 1 UrhG nennt als zulässige Quelle Zeitungen und andere lediglich Tages162 interessen dienende Informationsblätter, ohne diese Begriffe näher zu definieren. Maßgeblich ist, dass die Publikation der Übermittlung von Tagesneuigkeiten dient; eine tägliche Erscheinungsweise ist indes nicht erforderlich. Auch wöchentlich erscheinende Publikumszeitschriften fallen, soweit sie sich überwiegend mit tagesaktuellen Themen befassen, in den Anwendungsbereich von § 49 UrhG.361 Die Verwendung von Artikeln 356 357 358 359 360
LG Hamburg UFITA 54 (1969) 324, 328. KG Berlin GRUR 1970, 616, 618; LG Berlin GRUR 2000, 797 – Screenshots. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 53. Dreier/Schulze/Dreier § 49 UrhG Rn 16; Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 10. BGH ZUM 2002, 740, 742 – Elektronischer
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Pressespiegel; Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 10; Schricker/Melichar § 49 UrhG Rn 12. BGH ZUM 2005, 651; OLG Köln ZUM 2000, 243; Schricker/Melichar § 49 UrhG Rn 5; Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 4.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
aus online verfügbaren Quellen, wie zB dem Internetangebot einer Zeitung, in herkömmlichen Pressespiegeln ist ebenfalls nach den allgemeinen Kriterien zulässig.362 Reine Fachzeitschriften sind aufgrund der fehlenden Bezugnahme auf Tagesereignisse indes keine nach § 49 Abs 1 UrhG zulässigen Quellen.363 Ohne Einschränkungen zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche 163 Wiedergabe von vermischten Nachrichten tatsächlichen Inhalts und von Tagesneuigkeiten, die durch die Presse oder Funk veröffentlicht worden sind (§ 49 Abs 2 UrhG). Solche Nachrichten erfüllen mangels geringer Individualität meist ohnehin nicht die urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen des § 2 UrhG.364 Die übernommenen Artikel dürfen aufgrund des für alle urheberrechtlichen Schranken geltenden umfassenden Änderungsverbotes gem § 62 UrhG aber grds nicht verändert werden.365 Sämtliche Artikel, die nach § 49 Abs 1 UrhG auf zulässige Weise in einen Pressespiegel aufgenommen werden, müssen ferner gem § 63 Abs 3 UrhG deutlich mit einer Angabe der Quelle versehen werden, aus der neben dem Urheber auch die Publikation hervorgeht, der der übernommene Artikel entstammt. § 49 UrhG bezog sich in der Vergangenheit nur auf Artikel; in Pressespiegeln durften 164 deshalb nur Sprachwerke iSv § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG aufgenommen werden.366 Diese Beschränkung ist aufgehoben worden. Der Gesetzgeber hat das Pressespiegelprivileg auch auf die im Zusammenhang mit den Artikeln veröffentlichten Abbildungen ausgedehnt. 2. Der elektronische Pressespiegel Lange umstritten war die Zulässigkeit des elektronischen Pressespiegels. In einem 165 Grundsatzurteil hat der BGH den elektronischen Pressespiegel unter zwei Voraussetzungen schließlich für zulässig erklärt.367 Der elektronische Pressespiegel muss in Form einer grafischen Datei zugänglich gemacht werden, die sich im Falle der Speicherung nicht zu einer Volltextrecherche und zur Einstellung in ein digitales Archiv eignet.368 Außerdem muss der elektronische Pressespiegel auf die unternehmens- oder behördeninterne Verbreitung beschränkt sein.369 Es wäre im Interesse der Rechtsklarheit sinnvoll gewesen, wenn die richtige Entscheidung des BGH vom Gesetzgeber in einer entsprechenden Änderung von § 49 UrhG aufgegriffen worden wäre. Für eine gesetzliche Regelung des elektronischen Pressespiegels sah der Bundestag aber keine Notwendigkeit.370
XII. Die Katalogbildfreiheit Ohne vorherige Rechtseinräumung zulässig ist es, öffentlich ausgestellte sowie zur 166 öffentlichen Ausstellung oder zum öffentlichen Verkauf bestimmte Werke der bildenden Künste und Lichtbildwerke durch den Veranstalter zur Werbung zu vervielfältigen, zu 362 363 364
365 366
Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 6. Dreier/Schulze/Dreier § 49 UrhG Rn 7, § 63 UrhG Rn 27. OLG Hamburg GRUR 1978, 308 – Artikelübernahme; LG Düsseldorf ZUM-RD 2007, 367; Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 16. Dreier/Schulze/Dreier § 49 UrhG Rn 2. Wandtke/Bullinger/Lüft § 49 UrhG Rn 3; Schricker/Melichar § 49 UrhG Rn 4.
367 368 369
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BGH ZUM 2002, 740 – Elektronischer Pressespiegel. BGH ZUM 2002, 740, 743 – Elektronischer Pressespiegel. BGH ZUM 2002, 740, 743 – Elektronischer Pressespiegel; Dreier/Schulze/Dreier § 49 UrhG Rn 20. BT-Drucks 16/1828, 21.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies zur Förderung der Veranstaltung erforderlich ist (§ 58 Abs 1 UrhG). Zulässig ist außerdem die Vervielfältigung und Verbreitung von Werken der bildenden Kunst und von Lichtbildwerken in Verzeichnissen, die von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen in inhaltlichem oder zeitlichem Zusammenhang mit einer Ausstellung oder zur Dokumentation von Beständen herausgegeben werden und mit denen kein eigenständiger Erwerbszweck verfolgt wird (§ 58 Abs 2 UrhG). Werbung ist zulässig, soweit sie zur Förderung der Veranstaltung (Ausstellung oder Verkauf) erforderlich ist. Zulässig sind daher vor allem Titelbilder auf Katalogen, Werbeprospekte oder Plakate.371 Von § 58 UrhG erfasst sind nicht nur klassische Kataloge in Form von Druckwerken, sondern auch Verzeichnisse, die mit Hilfe digitaler Medien hergestellt werde, zB auf CD-ROM. Die Katalogbildfreiheit nach § 58 Abs 2 UrhG erstreckt sich nicht auch auf die öffentliche Zugänglichmachung, so dass eine Verbreitung derartiger Verzeichnisse über das Internet nicht von § 58 UrhG gedeckt ist. In Bezug auf Maßnahmen zum Zwecke der Förderung einer Ausstellung ist dies nach § 58 Abs 1 UrhG hingegen zulässig. Unter § 58 Abs 2 UrhG fallen nur von dem jeweiligen Veranstalter selbst herausgegebene Kataloge und Werkverzeichnisse; Dritte sind nicht berechtigt, im eigenen Namen begleitende Werke herauszugeben. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Veranstalter seinerseits auf die Herausgabe eines Kataloges verzichtet, denn die Dokumentation darf keinen eigenständigen Erwerbszeck haben, das ergibt sich auch aus den europäischen Vorgaben aus Art 5 Abs 2 lit c) der Multimedia-Richtlinie. Der sachliche und räumliche Umfang des Rechts aus § 58 UrhG richtet sich nach dem Ausstellungszweck.372 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 58 UrhG liegen Kataloge dann, wenn sie sich auf die Erläuterung der Ausstellung beziehen.373 Im Vordergrund muss die Wiedergabe des Werkes als Bestandteil der Ausstellung stehen. Eine von der Ausstellung oder Versteigerung unabhängige Darstellung der Werke fällt nicht unter § 58 UrhG. Ein von einem Reisebuchverlag herausgegebener Museumsführer wird nicht von § 58 UrhG erfasst. Die Katalogbildfreiheit gilt insbesondere nicht für „Merchandising“, mit dem Museen Kunstwerke aus ihren Beständen vermarkten (als Aufdruck auf Tassen, Krawatten, T-Shirts, als Poster und Postkarten).374 Die Berechtigung aus § 58 UrhG gilt zudem nur für die Dauer der Ausstellung oder Versteigerung und mit einem ganz geringen Vorlauf und ohne Nachfrist für den Verkauf der Restbestände.375 Die Katalogbildfreiheit ist, wie die übrigen Schranken des Urheberrechts auch, eng auszulegen.376
XIII. Die Panoramafreiheit 167
Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen befinden, dürfen mit Mitteln der Malerei, Grafik, durch Lichtbild oder durch Film vervielfältigt, sowie verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden (§ 59 UrhG). Voraussetzung ist, dass das Werk (Gebäude usw) jedermann frei zugänglich ist. Mit dieser sog Panoramafreiheit erlaubt es das Gesetz als Ausnahme vom ausschließlichen Verwertungsrecht des Urhebers, bspw Postkarten oder Bildbände mit Straßenansichten zu vertreiben ohne Rücksicht auf urheberrechtlich geschützte Werke (wie Gebäude oder Denkmäler), die mög371
Dreier/Schulze/Dreier § 58 UrhG Rn 7; Wandtke/Bullinger/Lüft § 58 UrhG Rn 6; nach früherer Rechtslage waren Werbemaßnahmen von § 58 UrhG nicht gedeckt, vgl dazu BGH GRUR 1993, 822 – Katalogbild.
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372 373 374 375 376
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BGH GRUR 1993, 822 – Katalogbild; BGHZ 126, 313 – Museumskatalog. BGHZ 126, 313 – Museumskatalog. Dreier/Schulze/Dreier § 58 UrhG Rn 7. Schricker/Vogel § 58 UrhG Rn 21. Wandtke/Bullinger/Lüft § 58 UrhG Rn 2.
§ 14
Die Schranken des Urheberrechts
licherweise auf diesen Ansichten zu sehen sind. Bei Bauwerken bezieht sich dieses Recht aus § 59 UrhG nur auf die äußere Ansicht. Entscheidend ist das Tatbestandsmerkmal „bleibend“. Ein Werk befindet sich dann nicht bleibend an einem Ort, wenn es im Sinne einer zeitlich befristeten Ausstellung präsentiert wird. Unerheblich ist dabei, ob das Werk nach dem Abbau fortbesteht oder untergeht. Aus diesem Grund ist die Verwendung von Abbildungen des von Christo und Jeanne-Claude „verhüllten Reichstags“ in Berlin ohne Zustimmung der Künstler nicht zulässig.377 Bleibend sind jedoch Denkmäler, Skulpturen („Kunst am Bau“) Gebäude usw. Abbildungen solcher Objekte können auch zu gewerblichen Zwecken (Merchandising, Werbung oä) ohne Zustimmung des Urhebers verwertet werden. Auf die Bestimmung über die Panoramafreiheit kann sich nur berufen, wer das geschützte Werk von einem allgemein und öffentlich zugänglichen Ort aus – zB mit den Mitteln der Fotografie – fixiert. Von dem Zweck der gesetzlichen Regelung ist daher nicht gedeckt, wenn das geschützte Werk aus der Perspektive eines für das allgemeine Publikum unzugänglichen Ort (zB aus dem Fenster einer Privatwohnung oder aus der Luft) vervielfältigt oder wiedergegeben werden soll.378 § 59 UrhG lässt das zivilrechtliche Eigentum am Werk unberührt, der Eigentümer kann deshalb den Blick auf das Werkstück durch die Öffentlichkeit jederzeit ausschließen. Ist ein Werk von öffentlichen Straßen aus sichtbar, hat der Eigentümer aber keinen Abwehranspruch gegen eine Vervielfältigung, wie bspw durch die Verbreitung von Lichtbildern.379 Die zulässige Abbildung im Rahmen der Panoramafreiheit ist nicht vergütungspflich- 168 tig. Jeder kann, ohne den Künstler zu fragen, Abbildungen von Kunstwerken im öffentlichen Raum anfertigen und diese dann gewerblich etwa als Postkarten oder in Büchern nutzen, ohne eine Lizenzgebühr zahlen zu müssen. In Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung, die der Vertrieb von Postkarten, Bildbänden usw heute hat, sind in letzter Zeit Forderungen nach einer Vergütungspflicht für die Abbildung von Werken erhoben worden, wenn die Abbildung gewerblich genutzt werden soll. Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Frage bislang noch nicht eingehend befasst. Eine Vergütungspflicht würde sich durchaus in das urheberrechtliche Vergütungssystem einfügen – auch mit Blick auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.380 Von einer Vergütungspflicht sollten allerdings Bauwerke ausgenommen sein. Gerade bei Innenstadtansichten würde der Vergütungsanspruch andernfalls erhebliche praktische Probleme auslösen und die Erstellung von Bildbänden usw erheblich erschweren. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass der Vergütungsanspruch nur dann entsteht, wenn das Werk erkennbar im Zentrum der Abbildung steht und nicht lediglich Beiwerk ist.381
XIV. Zwangslizenzen Die Schranken gewähren dem Begünstigten eine gesetzliche Lizenz, auf die Zustim- 169 mung des Rechteinhabers kommt es für die Nutzung nicht an. In einigen Fällen bleibt das Urheberrecht dahinter zurück und gibt dem privilegierten Nutzer lediglich einen Anspruch auf die Erteilung einer Zwangslizenz. Der Nutzer kann also vom Rechteinhaber die Einräumung der vorgesehenen Nutzungsrechte verlangen. Er ist anders als im Rah377 378 379 380
BGHZ 150, 6 – Verhüllter Reichstag; Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 12. BGH NJW 2004, 594 – HundertwasserHaus. BGH GRUR 1990, 390 – Friesenhaus. Zum europäischen Kontext der Norm: Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 5.
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Das sieht auch die entsprechende Handlungsempfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor, BT-Drucks 16/7000, 267.
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men der Schranken jedoch nicht unmittelbar zur Nutzung berechtigt, so dass eine Nutzung vor Erteilung der Zwangslizenz rechtswidrig ist. Wenn der Rechteinhaber die Rechtseinräumung verweigert, so muss der Anspruchsberechtigte den Rechteeinhaber auf die Erteilung der Zwangslizenz verklagen. Die Zwangslizenz greift also nicht wie die Schranken in das Ausschließlichkeitsrecht ein, sondern sie schränkt die Freiheit des Urhebers in der Ausübung dieses Rechts ein.382 Die Zwangslizenz ist als Ausnahme vom Prinzip der auch für Urheberrechtsverträge geltenden Abschlussfreiheit systematisch dem Urhebervertragsrecht zuzuordnen. Zwangslizenzen hat der Gesetzgeber zB bzgl der Nutzung privater Normwerke geschaffen (§ 5 Abs 3 UrhG); außerdem für die Herstellung von Tonträgern (§ 42a UrhG).
§ 15 Das System der pauschalen Abgaben für private Vervielfältigungen I. Die Grundlagen der pauschalen Vergütung und ihre Neuregelung im „Zweiten Korb“ 170
Zum Ausgleich für den Rechtsverlust, den die Urheber durch die gesetzliche Zulässigkeit von Kopien für den privaten und sonstigen eigenen Gebrauch erleiden, gewährt das Gesetz einen Vergütungsanspruch (§§ 54 ff UrhG). Diese Vergütung wird in Form einer pauschalen Abgabe auf Vervielfältigungsgeräte und Speichermedien erhoben. Die Abgabe ist von den jeweiligen Herstellern und Händlern zu entrichten, die sie in der Regel an den Endverbraucher weitergeben. Das Vergütungsaufkommen aus diesen Abgaben wird durch die Verwertungsgesellschaften (GEMA, GVL, VG WORT usw) eingezogen und nach bestimmten Verteilungsschlüsseln an die Berechtigten ausgeschüttet. Das Vergütungssystem ist durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft umfassend überarbeitet worden.383 Ausgangspunkt der Debatte war die Frage nach der Zukunft der Pauschalabgaben im digitalen Zeitalter. 171 Die Aussicht darauf, dass mittelfristig Systeme für eine individuelle Lizenzierung von Privatkopien einsatzbereit sind, darf nicht dazu führen, dass in der Zeit bis zu deren Durchsetzung eine faktische Vergütungsfreiheit besteht. Unabhängig von der Verbreitung von DRM-Systemen werden bis auf Weiteres ungeschützte Quellen massenhaft weiterhin als Kopiervorlage zur Verfügung stehen. Hier bleibt die pauschale Abgabe deshalb auch weiterhin das Mittel der Wahl zur Gewährleistung einer angemessenen Vergütung der Rechteinhaber. Zu Recht hat der Gesetzgeber sich nach einer sehr hitzigen Debatte im Rahmen des Zweiten Korbs zur pauschalen Geräteabgabe ausdrücklich bekannt und bekräftigt, dass zentrale Bemessungsgrundlage für diese Abgabe auch weiterhin Art und Umfang der urheberrechtlich relevanten Nutzungen ist. Die Bundesregierung hatte zunächst beabsichtigt, die Abgabe an die Preise der Vervielfältigungsgeräte zu koppeln, um die Belastung der Geräteindustrie zu reduzieren. Die Abgabe sollte 5 % des Gerätepreises nicht überschreiten dürfen. Eine unmittelbare und starre Koppelung der urheberrechtlichen Abgaben an die Preise der Vervielfältigungsgeräte und Speichermedien wäre aber falsch gewesen. Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Abgabe müssen grds die ur382 383
Wandtke/Bullinger/Bullinger § 42a UrhG Rn 1; Schack Rn 435. „Zweites Gesetz zur Regelung des Urheber-
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rechts in der Informationsgesellschaft“, BGBl 2007 I S 2513.
§ 15
Das System der pauschalen Abgaben für private Vervielfältigungen
heberrechtlich relevante Nutzung und deren wirtschaftlicher Wert bleiben; hierüber können die Herstellerpreise jedoch keinen Aufschluss geben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Vergütungspflicht zwar nicht diejenigen trifft, die die urheberrechtlich relevanten Nutzungen vornehmen. Aber die Hersteller der Geräte profitieren von der Möglichkeit dieser Nutzungen insofern unmittelbar auch selbst, als viele Geräte erst durch diese Möglichkeiten für die Nutzer interessant sind; der Erfolg der vergütungspflichtigen Produkte hängt zu einem großen Teil von der Verfügbarkeit kopierfähiger urheberrechtlich geschützter Werke ab.384 Diese Erkenntnis hat sich nach langem Ringen auch beim Gesetzgeber eingestellt. Das neue Vergütungsrecht unterscheidet nicht mehr zwischen Vervielfältigungen im 172 Wege der Bild- und Tonaufzeichnung und im Wege der Reprografie, sondern unterwirft alle Geräte und Speichermedien der Vergütungspflicht, deren Typ allein oder in Verbindung mit anderen Geräten, Speichermedien oder Zubehör zur Vornahme von urheberrechtlich relevanten Vervielfältigungen benutzt wird.
II. Die Anknüpfungspunkte für die Vergütung 1. Die tatsächliche Nutzung der Geräte Das Urheberrechtsgesetz unterwirft jetzt alle Geräte der Vergütungspflicht, die für 173 Vervielfältigungen nach § 53 Abs 1 bis 3 UrhG typischerweise genutzt werden. Es kommt also auf die tatsächliche Verwendung der Gerätetypen an. Ein Verwendungszweck spielt entgegen der bisherigen Rechtslage keine Rolle mehr. Diese Abkehr von dem subjektiven Kriterium, wonach ein Gerät zur Vornahme von Vervielfältigungen erkennbar bestimmt sein muss, stellt einen Paradigmenwechsel dar. Die Frage nach der generellen Vergütungspflicht ist jetzt nach rein objektiven empirisch nachprüfbaren Daten zu ermitteln. Ein wesentlicher Streitpunkt zwischen den Beteiligten ist damit beseitigt. Nach dem Regierungsentwurf sollten nur solche Geräte überhaupt vergütungspflich- 174 tig sein, die in nennenswertem Umfang für urheberrechtlich relevante Vervielfältigungen genutzt werden. Diese De-minimis-Regelung hat der Rechtsausschuss mit guten Gründen abgelehnt.385 Nach der Gesetzesbegründung soll für die Bemessung der Vergütung allerdings der übliche Gebrauch des Geräts maßgeblich sein; nicht jedes nur theoretisch zur Vervielfältigung nutzbare Gerät soll in die Vergütungspflicht einbezogen werden. Insoweit besteht sehr wohl ein Zusammenhang zwischen der Vergütungshöhe und dem Ausmaß der tatsächlichen Nutzung des Gerätetyps.386 2. Einzelfälle Die Frage, welche Gerätetypen vergütungspflichtig sind, hat in den vergangenen Jah- 175 ren in einer Vielzahl von Prozessen die Gerichte beschäftigt. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung war stets, ob das jeweilige Gerät zur Vornahme urheberrechtlich relevanter Vervielfältigungen bestimmt sei. Bei einer Vielzahl von Speichermedien und Vervielfältigungsgeräten steht eine abschließende Klärung noch aus. Auch nach der Novelle des Vergütungsrechts werden die wesentlichen Fragen weiterhin durch die Gerichte geklärt werden müssen. Gleichwohl verbindet der Gesetzgeber mit dem neuen Vergütungssystem die 384 385
Müller ZUM 2007, 777, 778. Dazu Langhoff/Oberndörfer/Jani ZUM 2007, 593, 594.
386
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Erwartung, dass es zu einer schnelleren und effektiveren Festsetzung der Vergütungshöhe als nach dem bisherigen System kommt, bei dem die Vergütungssätze durch den Gesetzgeber festgelegt worden sind. Sollten sich diese Erwartungen nicht erfüllen, will der Bundestag sich erneut mit dem Vergütungsrecht befassen und gegebenenfalls zur bisherigen staatlichen Festsetzung der Vergütung zurückkehren.387 Geräte, die schon bislang der Vergütungspflicht unterlagen, werden nun erst recht ver176 gütungspflichtig sein. Da bei den noch offenen Fällen die Einstufung als Vervielfältigungsgerät oftmals unstreitig ist, weist das Gesetz mit dem Wegfall der subjektiven Kriterien 388 auch hier einen eindeutigen Weg. Grundlegend für die vergütungsrechtliche Einordnung digitaler Geräte ist die Entscheidung des BGH, in der er die Vergütungspflicht von Scannern als Teil einer Funktionseinheit zur Herstellung digitaler Kopien grds bejaht.389 Ob CD-/DVD-Brenner, MP3-Player,390 PC 391 unter die Vergütungspflicht fallen, ist höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden,392 aber anzunehmen; instanzgerichtliche Urteile liegen zu diesen Geräten teilweise schon vor, sind aber überwiegend nicht rechtskräftig, da die Vergütungsfrage für alle Gerätetypen vom Bundesgerichtshof entschieden wird. Zu Recht und in Übereinstimmung mit der Literatur 393 sind sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat in der Debatte um das neue Vergütungsrecht davon ausgegangen, dass auch diese Geräte und Gerätekombinationen vergütungspflichtige Vervielfältigungsgeräte iSv §§ 54 ff UrhG sind.394 Der Vergütungspflicht unterliegen die Geräte auch dann, wenn sie in Geräte integriert sind, die auch urheberrechtlich irrelevante Nutzungen ermöglichen, wie zB der MP3-Player im Mobiltelefon.395 Für Überraschung hat jüngst der Bundesgerichtshof gesorgt, als er eine Vergütungspflicht für Drucker entgegen der beiden Vorinstanzen abgelehnt hat.396 Der BGH ist der Auffassung, dass Drucker nicht iSv § 54a Abs 1 S 1 UrhG (aF) zur Vornahme von Vervielfältigungen durch Ablichtung eines Werkstücks bestimmt sind, denn allein mit einem Drucker könne nicht vervielfältigt werden. Im Zusammenwirken mit anderen Geräten (Scanner) seien Drucker zwar zur Vornahme von Vervielfältigungen geeignet. Soweit ein Drucker im Zusammenspiel mit einem Scanner und einem PC verwendet wird, sei die vergütungspflichtige Nutzungsmöglichkeit aber bereits durch die Vergütungspflicht des Scanners berücksichtigt. Eine Vergütungspflicht weiterer Geräte in der Funktionseinheit komme nach bislang geltendem Urheberrecht nicht in Betracht. Die gesetzlich vorgesehene Vergütung könne nach dieser Rechtslage weder auf verschiedene Geräte aufgeteilt noch für eine Gerätekombination mehrfach verlangt werden. Ob diese kategorische Ausnahme der Drucker von der Vergütungspflicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben standhält, ist zweifelhaft; eine abschließende Bewertung ist ohne Kenntnis der Begründung des BGH aber kaum möglich. Die VG WORT hat bereits vor Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe Verfassungsbeschwerde ange-
387 388 389 390 391 392
BT-Drucks 16/5939, 3. S Rn 173. BGH GRUR 2002, 246, 248 – Scanner. Die Schiedsstelle nach dem WahrnG nimmt eine Vergütungspflicht an: ZUM 2007, 946. LG München MMR 2005, 255. Das OLG Stuttgart hat eine Vergütungspflicht bejaht für Drucker (GRUR 2005, 943 – Drucker- und Plotterabgabe), für Multifunktionsgeräte (GRUR 2005, 944, 946 – Multifunktionsgeräteabgabe). Nach Auffassung des LG München I sind auch PC abgabenpflichtig (CR 2005, 217).
336
393
394 395 396
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Dreier/Schulze/Dreier § 54a UrhG Rn 4 f; Schricker/Loewenheim § 54a UrhG Rn 9 f; Wandtke/Bullinger/Lüft § 54a UrhG Rn 5. BT-Drucks 16/1828, 29 und 43. Müller ZUM 2007, 777, 779. BGH Urteil vom 6.12.2007, Az I ZR 94/05, die Begründung liegt noch nicht vor; Vorinstanzen: OLG Stuttgart GRUR 2005, 943 und LG Stuttgart MMR 2005, 262; gegen eine Abgabepflicht für Drucker ebenfalls: OLG Düsseldorf Urteil vom 23.1.2007, Az 12 O 110/05.
§ 15
Das System der pauschalen Abgaben für private Vervielfältigungen
kündigt.397 Im Übrigen ist zu beachten, dass dem Urteil das bisherige Vergütungsrecht zugrunde lag. Welche Auswirkung diese Entscheidung auf die vergütungsrechtliche Einordnung von Druckern nach dem neuen Vergütungsrecht, das am 1.1.2008 in Kraft getreten ist, haben wird, ist noch unklar. Eine wichtige Feststellung hat der BGH jedoch im Rahmen dieser Entscheidung zur Vergütung für „free content“ im Internet getroffen. Diese Feststellung könnte auch nach neuem Urheberrecht zumindest die Höhe der Geräteabgaben erheblich beeinflussen. Der BGH ist der Auffassung, dass der Ausdruck digitaler Texte oder Bilder, die auf einer CD-ROM oder in einer Online-Datenbank (Internet) enthalten sind, oft schon nach den Nutzungsbedingungen gestattet seien und deshalb nicht noch einmal gesondert vergütet werden. Der Bundesgerichtshof hat damit eine Forderung der Geräteindustrie aus der Debatte um den „Zweiten Korb“ aufgegriffen, für die auch die Bundesregierung eine gewisse Sympathie geäußert hatte,398 die der Gesetzgeber jedoch nicht ausdrücklich aufgenommen hat. Nach einem weiteren Urteil des BGH ist für sog „Multifunktionsgeräte“ die urheberrechtliche Vergütung dagegen in voller Höhe zu zahlen.399 Nach der für die Entscheidung maßgeblichen alten Rechtslage kommt es dem BGH zufolge nicht darauf an, in welchem Ausmaß das Gerät zur Vervielfältigung urheberrechtsneutrale Schriftstücke genutzt wird. Der BGH hat damit die Rechtsprechung der Vorinstanz im Kern bestätigt.400 Auch hier ist offen, welche Auswirkungen das neue Vergütungsrecht haben wird.
III. Kriterien für die Höhe der Vergütung Bemessungsgrundlage der Vergütung soll vorrangig die tatsächliche Nutzung des 177 jeweiligen Gerätetyps sein, die durch empirische Untersuchungen zu ermitteln ist.401 Zu berücksichtigen ist dabei gem § 54a Abs 1 S 2 UrhG die Verwendung von technischen Schutzmaßnahmen iSv § 95a UrhG.402 Das entspricht den Vorgaben der MultimediaRichtlinie und soll die Nutzer bei zunehmender Verbreitung von DRM-Systemen vor einer ungerechtfertigten Doppelzahlung bewahren. Diese Regelung ist sachgerecht, weil sie das hergebrachte System erhält, wo es bis auf weiteres ohne Alternative ist, und es zugleich es für neue Technologien öffnet. Diese neuen Rahmenbedingungen ermöglichen ein Nebeneinander von pauschaler Vergütung und individueller Lizenzierung, wobei die beiden Modelle wie in einem System kommunizierender Röhren reagieren.403 Gem § 54a Abs 2 UrhG soll in Anlehnung an die BGH-Rechtsprechung zur Vergü- 178 tung von Scannern 404 der funktionelle Zusammenhang von mehreren vergütungspflichtigen Gerätekomponenten berücksichtigt werden.405 Die Vergütung für Geräte ist gem § 54a Abs 2 UrhG so zu gestalten, dass sie auch mit Blick auf die Vergütungspflicht für in diesen Geräten enthaltene Speichermedien oder andere, mit diesen funktionell zusammenwirkende Geräte oder Speichermedien insgesamt angemessen ist. Dabei sind die nutzungsrelevanten Eigenschaften der Geräte und Speichermedien, insbesondere die Leistungsfähigkeit von Geräten sowie die Speicherkapazität von Speichermedien, zu berücksichtigen (§ 54a Abs 3 UrhG). Der Gesetzgeber hat sich abweichend von den heftig kritisierten Plänen der Bundes- 179 regierung auch gegen eine Begrenzung der Abgaben auf max 5 % des Gerätepreises ent397 398 399 400
www.urheberrecht.org/news/3274 (Stand: 22.1.2007). BT-Drucks 16/1828, 49. BGH Urteil vom 30.1.2008, Az 170299/04. OLG Stuttgart GRUR 2005, 944.
401 402 403 404 405
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BT-Drucks 16/1829, 29. S Rn 25 ff. BT-Drucks 16/1828, 15. BGH GRUR 2002, 246 – Scanner. BT-Drucks 16/1829, 29.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
schieden.406 Diese Entscheidung verdient ausdrückliche Zustimmung. Eine unmittelbare und starre Koppelung der urheberrechtlichen Abgaben an die Preise der Vervielfältigungsgeräte und Speichermedien wäre falsch. Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Abgabe müssen nach den allgemeinen urheberrechtlichen Prinzipien die urheberrechtlich relevante Nutzung und deren wirtschaftlicher Wert bleiben; hierüber können die Herstellerpreise jedoch keinen Aufschluss geben. Allerdings verlangt § 54a Abs 4 UrhG, dass die Abgaben die Hersteller von Geräten und Speichermedien nicht unzumutbar beeinträchtigen dürfen. Sie müssen deshalb in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts oder des Speichermediums stehen. Mit dieser Bestimmung werden die Interessen der Geräteindustrie auch im Gesetz durchaus berücksichtigt; Die Bewertung der Vergütung erfolgt danach allerdings auf flexible Weise angesichts der Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
IV. Verfahren zur Festlegung der Vergütungssätze 180
Die Festlegung der Vergütungshöhe ist nach neuem Recht ausschließlich Sache der Beteiligten; die gesetzliche Festlegung der pauschalen Vergütungssätze durch den Gesetzgeber (Anlage zu § 54d Abs 1 UrhG aF) ist ersatzlos gestrichen worden. Die Verwertungsgesellschaften werden jetzt gem § 13a Abs 1 S 2 UrhWG zu Verhandlungen mit Verbänden der Hersteller von Geräten und Speichermedien über den Abschluss eines Gesamtvertrags verpflichtet, um die Vergütungshöhe gem § 54a UrhG einvernehmlich zu ermitteln. Scheitern diese Verhandlungen, so muss die Schiedsstelle angerufen werden, die gem § 14 Abs 5 UrhWG die maßgebliche Nutzung iSv § 54a Abs 1 UrhG durch empirische Untersuchungen ermitteln muss. Wenn die Bemühungen der Schiedsstelle nicht zu einer Einigung führen, kann die Verwertungsgesellschaft einseitig einen Tarif aufstellen. Mit diesem Verfahren soll nach dem Willen des Gesetzgebers zum einen eine objektive sachliche Grundlage für das Ausmaß der tatsächlichen Nutzung geschaffen werden, zum anderen aber auch der gesamte Verfahrensablauf effizienter ausgestaltet werden. Dazu gehört auch die Beschränkung der Sachverhaltsermittlung auf ein Gutachten. Es soll verhindert werden, dass beide Parteien mit großem Aufwand Gutachten anfertigen lassen, die jeweils von der Gegenseite zurückgewiesen werden, mit dem Ergebnis, dass sie ohnehin durch eine eigene Erhebung der Schiedsstelle bzw des zuständigen Gerichts ersetzt werden müssen. Aus diesem Grunde wird die notwendige gutachterliche Erhebung per Gesetz sogleich bei der Schiedsstelle konzentriert.407 Diese Regelung geht auf einen gemeinsamen Vorschlag der Parteien zurück, dessen Umsetzung das Bundesjustizministerium bereits im Februar 2006 zugestimmt hatte.408
406 407 408
Urheber- und Medienrecht vom 23.2.2006 (abrufbar unter www.urheberrecht.org/ news/2590).
BT-Drucks 16/1828; vgl auch Langhoff/ Oberndörfer/Jani ZUM 2007, 593, 594. BT-Drucks 16/5939, 85 f. S hierzu die Meldung des Instituts für
338
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§ 16
Urhebervertragsrecht
§ 16 Urhebervertragsrecht I. Allgemeines 1. Begriff und Funktion des Urhebervertragsrechts Der Rechtsverkehr im Urheberrecht wird durch die besonderen Bestimmungen des 181 Urhebervertragsrechts geregelt. Als Urhebervertragsrecht werden im weiteren Sinn alle Regelungen von Verträgen angesehen, die im Zusammenhang mit der Schöpfung und Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke stehen. Das Urhebervertragsrecht ist also jener Ausschnitt des Urheberrechts, der die rechtlichen Beziehungen zwischen Urhebern und Verwertern oder zwischen Verwertern über die Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes regelt.409 Verträge unmittelbar zwischen Urhebern und Werknutzern, den „Endverbrauchern“, sind in der Praxis selten. Denn die Verwertung erfolgt in der Regel über mehrere Marktstufen, so dass in erster Linie Verwertungsverträge zwischen Urhebern und Verwertern einerseits sowie zwischen mehreren Verwertern andererseits von Bedeutung sind. Es kann dabei unterschieden werden zwischen „primärem“ und „sekundärem“ Urhebervertragsrecht. Unterscheidungsmerkmal ist dabei, auf welche Stufe der Verwertung der konkrete Vertrag sich bezieht: Das primäre Urhebervertragsrecht beschreibt als Urheberrecht im engeren Sinn denjenigen Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum urheberrechtlich relevanter Verträge, bei dem der Urheber des vertragsgegenständlichen Werkes selbst als Vertragspartner beteiligt ist.410 Verträge über Nutzungsrechte zwischen dem Vertragspartner des Urhebers (Primärverwerter) und weiteren Verwertern auf nachgelagerten Verwertungsstufen (Sekundärverwerter) bzw Verträge zwischen Verwertern und Endverbrauchern bilden demgegenüber das sekundäre Urhebervertragsrecht. Diese Verträge leiten sich stets von der primären Vertragsbeziehung ab. Gegenstand des Rechtsverkehrs können grundsätzliche alle aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse sein, über die der Urheber sowohl mit dinglicher als auch mit lediglich schuldrechtlicher Wirkung disponieren kann. 2. Das Urhebervertragsrecht ist offen für bereichsspezifische Sonderregelungen In der Debatte um die Kodifizierung des Urhebervertragsrechts hatten sich für eine 182 gesetzliche Regelung zwei Lösungsansätze herausgebildet: entweder die bestehenden Vorschriften zum Urhebervertragsrecht zu erweitern; oder aber ein eigenständiges Urhebervertragsrecht zu schaffen, das neben allgemeinen Grundsätzen einen „Besonderen Teil“ mit Regelungen zu einzelnen urheberrechtlichen Vertragstypen enthält. Für diese Alternative hatte sich das Begriffspaar „Kleine Lösung“ und „Große Lösung“ herausgebildet. Da es angesichts der Vielfalt urheberrechtlicher Nutzungen nicht möglich ist, die sich stetig ändernden Rahmenbedingungen der Urheberrechtswirtschaft gesetzlich befriedigend zu erfassen, hat der Gesetzgeber eine Große Lösung zu Recht abgelehnt. Die Begründung des „Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“, mit dem das Urhebervertragsrecht 2002 umfassend reformiert wurde, verweist darauf, dass in einzelnen Bereichen branchenspezifische Regelungen und Vertragspraktiken bestehen, die sich zu einem erheblichen Teil im Rechtsverkehr grds bewährt
409
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 1.
410
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Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 21.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
haben.411 Der Gesetzgeber hat deshalb einen Mittelweg eingeschlagen. Das urhebervertragsrechtliche System ist nicht lediglich punktuell ergänzt, sondern hinsichtlich der die Vergütung betreffenden Regeln völlig verändert worden. Zugleich enthält das Gesetz auch weiterhin keine bereichsspezifischen Detailregelungen. Eine Ausnahme bildet der Verlagsvertrag, der in seinen Grundzügen außerhalb des Urheberrechtsgesetzes im Verlagsgesetz geregelt ist.412 Einige vertragsrechtliche Sonderbestimmungen enthält das Urheberrechtsgesetz außerdem für Filmwerke. Der Gesetzgeber hatte von Anfang an anerkannt, dass der Herstellung und Verwer183 tung von Filmen ein besonderes wirtschaftliches Engagement und Risiko erfordert. Der Gesetzgeber hat zugunsten des Filmherstellers deshalb ein Regelwerk geschaffen, das den Rechteerwerb von der Vielzahl der am Film Beteiligten erleichtern soll. Dabei sind auch die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse der Mitwirkenden beschnitten worden (§ 93 UrhG). Die Besonderheiten der unterschiedlichen Werk- und Verwertungsformen finden ihren Ausdruck in der Vielzahl unterschiedlicher Urheberrechtsverträge,413 die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben. 3. Das neue Urhebervertragsrecht
184
Das Urhebervertragsrecht hat einen sozialen Ansatz. Es soll die formale Vertragsfreiheit dort begrenzen, wo die Urheber als typischerweise schwächere Verhandlungspartner nicht über die Verhandlungsmacht verfügen, die sie benötigen, um ihre Interessen hinreichend durchzusetzen. Unter dieser Prämisse ist das Urhebervertragsrecht durch das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern 414 im Jahr 2002 grundlegend überarbeitet worden. Kernelemente sind ein ausdrücklicher Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG), ergänzt durch einen Anspruch auf „Fairnessausgleich“ (§ 32a UrhG) sowie die Möglichkeit zum Abschluss sog gemeinsamer Vergütungsregeln (§ 36 UrhG). Ziel der Novelle war die Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern. Dabei wird zwar die Vertragsfreiheit als das dem Urhebervertragsrecht zugrunde liegende Prinzip insgesamt nicht in Frage gestellt. Prämisse des neuen Urhebervertragsrechts ist aber, dass die gesetzliche Garantie einer formalen Vertragsfreiheit nicht automatisch und nicht in jedem Fall für alle an einem Rechtsgeschäft Beteiligten auch eine Vertragsfreiheit im materiellen Sinne gewährleistet, wenn es an der erforderlichen strukturellen Vertragsparität fehlt.415
II. Der Nutzungsvertrag 1. Keine Nutzung ohne den vertraglichen Erwerb von Nutzungsrechten
185
Wer ein urheberrechtlich geschütztes Werk verwerten möchte, ohne dessen Urheber zu sein, muss grds auf vertraglichem Wege die entsprechenden einzelnen Nutzungsrechte durch Rechtseinräumung erwerben. Die Notwendigkeit eines vertraglichen Rechteerwerbs besteht auch dann, wenn der Urheber das Werk im Auftrag des Verwerters erstellt hat, da 411 412 413
BT-Drucks 14/6433, 8. Zum Verlagsrecht eingehend Teil 2 Kap 6. S Teil 2 Kap 2 und Teil 2 Kap 3 (Film- und Musikrecht).
340
414 415
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BGBl 2002 I S 1155. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 14/6433, 7.
§ 16
Urhebervertragsrecht
auch der Besteller eines Werkes die Rechte zur Nutzung aufgrund des Schöpferprinzips nicht originär erwerben kann.416 Eine Ausnahme vom Erfordernis des vertraglichen Rechtserwerbs besteht nur in den abschließend geregelten Fällen, in denen die urheberrechtliche Nutzung unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen aufgrund der Schranken des Urheberrechtsgesetzes von Gesetzes wegen zulässig ist. 2. Der Erwerb von Nutzungsrechten durch Vertrag Da eine Übertragung des Urheberrechts als Ganzes oder in Teilen ausgeschlossen ist 186 (§ 29 UrhG), ist ein nachträglicher Eintritt in die Stellung des Urhebers durch Vertrag nicht möglich. Auch bei einer vertraglichen Rechtseinräumung verbleibt das Urheberrecht im Kern deshalb immer bei dem eigentlichen Schöpfer des Werkes. Zur Rechtseinräumung schließt der Urheber mit seinem Vertragspartner einen urheberrechtlichen Nutzungsvertrag, der nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zustande kommt und der unabhängig von etwaigen dienst- oder werkvertraglichen Vereinbarungen über die Herstellung des Werkes ist. Häufig werden diese Vereinbarungen jedoch in einem einheitlichen Vertragswerk zeitgleich mit dem Nutzungsvertrag festgeschrieben. Das Urheberrecht lässt die Verpflichtung zur Einräumung von Nutzungsrechten an künftigen, also erst noch zu schaffenden Werken, unter den Voraussetzungen von § 40 Abs 1 UrhG ausdrücklich zu. 3. Für Nutzungsverträge bestehen grds keine Formerfordernisse Für urheberrechtliche Verträge bestehen grds keine Formerfordernisse. Abreden über 187 die Nutzung oder sonstige Verwendung eines Werkes können deshalb insbesondere auch mündlich getroffen werden. Es empfiehlt sich aber aus Beweisgründen und zur Vermeidung späterer Unklarheiten und Missverständnisse die einzelnen Befugnisse und den Umfang der Nutzungsrechte stets schriftlich festzuhalten. Eine Ausnahme gilt für die Rechtseinräumung bzgl künftiger Werke (§ 40 Abs 1 UrhG). Verpflichtet sich ein Urheber zur Einräumung von Nutzungsrechten an Werken, die noch nicht bestehen und entweder überhaupt nicht näher oder nur der Gattung nach bestimmt sind, muss der Vertrag zwingend in schriftlicher Form geschlossen werden. Im Hinblick auf den Grundsatz des Übertragungszwecks (§ 31 Abs 5 UrhG) empfiehlt es sich generell, die vertragsgegenständlichen Rechte und Pflichten genau zu beschreiben. In der Praxis werden Urheberrechtsverträge heute fast immer schriftlich geschlossen. 4. Nutzungsrechte, Verwertungsrechte, Nutzungsarten a) Verwertungsrechte und Nutzungsrechte. Während die Verwertungsrechte als über- 188 geordnete Begriffe abstrakt die Befugnisse des Urhebers zur Verwertung seines Werkes beschreiben, spricht man von Nutzungsrechten in Bezug auf die für eine konkrete Nutzungsart erforderlichen Rechte.417 So beinhaltet zB das Vervielfältigungsrecht gem § 16 UrhG umfassend jede Form der Vervielfältigung; ein Nutzungsrecht zur Vervielfältigung kann sich demgegenüber immer nur auf eine konkrete Form der Vervielfältigung (zB Fotokopie, Vervielfältigung auf CD usw) beziehen. Das Nutzungsrecht beschreibt somit immer nur den Ausschnitt des Verwertungsrechts, den der Erwerber benötigt, um das 416 417
BGH GRUR 1973, 663, 665 – Wählamt. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 23 f; Möhring/Nico-
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lini/Spautz § 31 UrhG Rn 1; Schricker/ Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 20.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Werk auf eine bestimmte Art zu nutzen und der damit Gegenstand der Rechtseinräumung ist.418 Ein Nutzungsrecht ist gem § 31 Abs 1 S 1 UrhG das Recht, ein Werk „auf einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen“; jeder Nutzungsart steht also ein gesondertes Nutzungsrecht gegenüber.
189
b) Nutzungsarten. Nutzungsarten sind die jeweiligen nach der Verkehrsauffassung als solche hinreichend klar abgrenzbaren selbstständigen wirtschaftlich-technischen Verwendungsformen, die gegenüber übrigen Nutzungsarten eine neue Möglichkeit bietet, urheberrechtlich geschützte Werke wahrzunehmen.419 Die Nutzungsrechte und die Nutzungsarten stehen in einer Wechselbeziehung; der Umfang des Nutzungsrechts ergibt sich aus der entsprechenden Nutzungsart, während die jeweiligen Nutzungsarten zugleich einem Nutzungsrecht entsprechen, das die erforderlichen Befugnisse zur Nutzung enthält.
190
c) Die Beschränkung der Nutzungsrechte. Das Urheberrechtsgesetz unterscheidet zwischen einfachen und ausschließlichen Nutzungsrechten sowie beschränkten und unbeschränkten Nutzungsrechten (§ 31 Abs 1 S 2 UrhG). Das einfache Nutzungsrecht berechtigt dessen Inhaber zur Nutzung des Werkes neben dem Urheber oder Dritten (§ 31 Abs 2 UrhG), während das ausschließliche Nutzungsrecht seinem Inhaber ein Exklusivrecht verleiht, das Werk unter Ausschluss aller anderen Personen einschließlich des Urhebers auf die ihm erlaubte Art zu nutzen; außerdem darf er seinerseits einfache Nutzungsrechte einräumen (§ 31 Abs 3 UrhG). Gem § 32 UrhG kann das Nutzungsrecht räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt eingeräumt werden. Das jeweilige Nutzungsrecht berechtigt dann zur Werknutzung nur innerhalb eines definierten Zeitraumes, eines geografischen Gebietes oder in bestimmten Nutzungsarten. Die beschränkte Einräumung von Nutzungsrechten in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht führt zur dinglichen Beschränkung des Nutzungsrechts.420 Das Internet kennt nur scheinbar keine Grenzen. Auch für die Online-Nutzung von 191 Werken in offenen Netzen ist eine räumliche Beschränkung der Nutzungsrechte deshalb möglich 421 und in der Praxis von wachsender Bedeutung. Ein wichtiges Beispiel für die begrenzte Lizenzierung für Online-Nutzungen ist der Online-Vertrieb von Musik. Die großen internationalen Anbieter betreiben eine Vielzahl nationaler Online-Shops, deren Angebote keineswegs identisch sind. 5. Die Einsschränkung des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht
192
Auch im Urheberrecht gilt das allgemeine zivilrechtliche Trennungsprinzip, wonach zwischen schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft und dinglicher Verfügung unterschieden werden muss.422 Neben der Rechtseinräumung ist deshalb für den Erwerb von Nutzungsrechten auch der Abschluss eines entsprechenden Nutzungsvertrages erforderlich. Der schuldrechtliche Nutzungsvertrag fällt in der Praxis häufig zeitlich mit der Rechtseinräumung zusammen, so dass die Verfügung vielfach gleichzeitig mit Abschluss des 418 419
420
Schricker/Schricker §§ 31/32 UrhG Rn 1. BGH GRUR 1992, 310, 311 – Taschenbuchlizenz; Schricker/Schricker §§ 31/32 UrhG Rn 38; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 25. Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 28; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 4 mwN.
342
421 422
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AA Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 10. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 19, 58; Wandtke/Bullinger/Wandtke/ Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 6; Schack Rn 527.
§ 16
Urhebervertragsrecht
Urheberrechtsvertrages erfolgt.423 Ob im urheberrechtlichen Rechtsverkehr auch das Abstraktionsprinzip gilt, das heißt, ob Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft unabhängig voneinander wirksam sind, ist streitig: Nach überwiegender Auffassung, die auch von der Rechtsprechung geteilt wird,424 ist das Abstraktionsprinzip im Urheberrecht nicht anwendbar; mit der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts entfällt daher aufgrund kausaler Bindung auch die urheberrechtliche Verfügung, das heißt, auch die Rechtseinräumung ist gegenstandslos. Dies lässt sich besonders mit der Regelung in § 9 Abs 1 VerlG begründen; diese Vorschrift, wonach die Zweckbindung zwischen Verpflichtungsund Verfügungsgeschäft für das Verlagsrecht ausdrücklich vorgeschrieben ist, ist ein Grundsatz, der sich verallgemeinern und auf alle urheberrechtlichen Nutzungsrechte übertragen lässt.425 Auch wenn man davon ausgeht, dass für das Verhältnis von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft auch im Urheberrecht das Abstraktionsprinzip gilt,426 muss man letztlich zum gleichen Ergebnis kommen, weil das Abstraktionsprinzip im Urheberrecht dann jedenfalls durch Anwendung der Zweckübertragungstheorie zurückgedrängt wird, wonach der Umfang der dinglichen Rechtseinräumung sich im Zweifel nach dem Zweck des schuldrechtlichen Vertrages richtet. Die Einräumung eines Nutzungsrechts erfolgt deshalb nur unter der stillschweigenden Bedingung, dass das zugrunde liegende Kausalgeschäft gültig ist; denn bei dessen Nichtigkeit kann der gewollte Zweck nicht erreicht werden. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind im Urheberrecht damit auf eine Weise miteinander verbunden, die einer inhaltlichen Abstraktion entgegensteht.427 6. Den Erwerber der Nutzungsrechte trifft grds keine Ausübungspflicht Es besteht für den Erwerber von Nutzungsrechten im Urheberrecht keine gesetzliche 193 Pflicht zur Ausübung seiner Nutzungsrechte, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um ausschließliche Nutzungsrechte handelt.428 Eine Ausnahme bilden lediglich Verlagsverträge, für die § 16 VerlG die Auswertungspflicht in Form einer Vervielfältigungspflicht vorsieht. Tatsächlich sind Verwerter von Nutzungsrechten nicht nur daran interessiert, diese Nutzungsrechte unmittelbar selbst auszuwerten, sondern sie wollen diese Nutzungsrechte zunächst oftmals lediglich auf Vorrat zu besitzen. Dieses „Horten“ von Nutzungsrechten wird kritisiert. Dass Verwerter nicht in der Lage sind, das Werk auf all die Nutzungsarten auszuwerten, für die sie die Rechte erwerben, trifft jedoch häufig nicht (mehr) zu; viele Unternehmen in der Medienindustrie besetzen die Verwertungskette heute umfassend bis in die nachgeordneten Bereiche. Das gilt auch für die Ausdehnung der Wertschöpfungskette in den digitalen Bereich. Bei den großen Unternehmen bieten außerdem vertikale und horizontale Diversifizierung die Möglichkeit zur umfassenden Verwertung innerhalb des Konzernverbundes. Darüber hinaus können die Nutzungsrechte zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls auch an Dritte weiter übertragen werden.
423 424
425
Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 19; Rehbinder Rn 600. BGH GRUR 1982, 308, 309 – Kunsthändler; BGH GRUR 1976, 706, 708 – Serigrafie; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 50; Schricker/ Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 61 mwN. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 61.
426 427 428
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Rehbinder Rn 602; Schack Rn 527. Rehbinder Rn 602. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 68; Möhring/Nicolini/Spautz § 41 UrhG Rn 3; Fromm/Nordemann/Hertin Vor § 31 UrhG Rn 14; Schack Rn 946.
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2. Teil
7. Rückruf der Nutzungsrechte
194
Der Urheber hat das Recht, ein ausschließliches Nutzungsrecht zurückzurufen, wenn der Verwerter das Recht nicht oder nur unzureichend ausübt und dadurch berechtigte Interessen des Urhebers verletzt. Dieses Rückrufsrecht wegen Nichtausübung aus § 41 Abs 1 UrhG dient neben dem Schutz der ideellen auch den wirtschaftlichen Belangen des Urhebers.429 Es ist ein Gestaltungsrecht, das durch empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt wird und unmittelbar verfügende Wirkung hat; 430 die Nutzungsrechte fallen also an den Urheber zurück, ohne dass es einer Zustimmung oder sonstigen Mitwirkung des Vertragspartners bedarf. Auf dieses Recht kann der Urheber auch nicht im Voraus verzichten, und seine Ausübung lässt sich gem § 41 Abs 4 UrhG durch Vereinbarung für höchstens fünf Jahre ausschließen; von dieser Möglichkeit wird in Urheberrechtsverträge heute oftmals Gebrauch gemacht. Damit vertragliche Verpflichtungen nicht leerlaufen, kann das Rückrufsrecht gem § 41 Abs 2 UrhG allerdings nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit Einräumung oder Übertragung des Nutzungsrechts oder, wenn das Werk später abgeliefert wird, seit der Ablieferung geltend gemacht werden. Bei einem Beitrag zu einer Zeitung beträgt die Frist drei Monate, bei einem Beitrag zu einer Zeitschrift, die monatlich oder in kürzeren Abständen erscheint, sechs Monate und bei einem Beitrag zu anderen Zeitschriften ein Jahr. Eine generelle Ausnahme statuiert das Urheberrechtsgesetz für Filmwerke, auf die das Rückrufsrecht gem § 90 UrhG nicht anwendbar ist. Soweit das Rückrufsrecht besteht, bezieht es sich zudem immer nur auf einzelne konkrete Rechte, so dass nicht alle Rechte zurückgerufen werden können, wenn nur einzelne vernachlässigt worden sind.431 Daraus folgt, dass durch die Ausübung des Rückrufsrechts grds auch keine Vertragsauflösung herbeigeführt werden kann. Ein Rückruf ermöglicht das Urheberrecht außerdem aus rein persönlichkeitsrecht195 lichen Gründen, wenn dem Urheber wegen „gewandelter Überzeugung“ eine Verwertung seines Werkes nicht mehr zugemutet werden kann (§ 42 UrhG) sowie bei der Veräußerung eines Nutzungsrechts zusammen mit einem Unternehmen (§ 34 Abs 3), wenn dem Urheber die Ausübung des Nutzungsrechts durch den Erwerber nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist. Beim Rückruf wegen gewandelter Überzeugung ist der Urheber gem § 42 Abs 3 UrhG verpflichtet, seinen Vertragspartner angemessen zu entschädigen. Nicht zuletzt deswegen ist die praktische Bedeutung dieses Rückrufsrechts gering.432
III. Voraussetzungen für eine umfassende Rechtseinräumung 1. Keine pauschale Rechtseinräumung
196
a) Der Vertragszweck als Auslegungsmaßstab. Der Umfang der Rechtseinräumung muss von den Vertragsparteien nicht im Detail bestimmt werden.433 Ist eine die Rechtseinräumung betreffende Vereinbarung aber ihrem Inhalt und Umfang nach auslegungsbedürftig, weil die Beteiligten die Rechtseinräumung nicht eindeutig geregelt haben, dann ist der Umfang der vertragsgegenständlichen Nutzungsrechte unter Anwendung der Zweckübertragungstheorie auf der Grundlage des Vertragszwecks zu bestimmen.434 429
430 431
Schricker/Schricker § 41 UrhG Rn 4; Wandtke/Bullinger/Wandtke § 41 UrhG Rn 2; Möhring/Nicolini/Spautz § 41 UrhG Rn 1. Schack Rn 559a. BGH GRUR 1973, 328 – „Musikverleger II“.
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432 433
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Schricker/Dietz § 42 UrhG Rn 3. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 65; Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 116. Schack Rn 970 f.
§ 16
Urhebervertragsrecht
Diese Zweckübertragungstheorie gehört zu den tragenden Fundamenten des Urhebervertragsrechts und ist in § 31 Abs 5 UrhG als verbindliche Auslegungsnorm ausdrücklich geregelt. Ausgangspunkt ist die Prämisse, dass der Urheber im Zweifel keine weitergehenden Nutzungsrechte einräumt, als der Vertrag es erfordert.435 Gem § 31 Abs 5 UrhG richtet sich der Umfang der Rechtseinräumung deshalb nach dem mit dem Vertrag verfolgten Zweck, wenn die Nutzungsarten, auf die sich das Recht erstrecken soll, bei der Einräumung des Nutzungsrechts nicht einzeln bezeichnet worden sind. Eine Auslegung anhand des Vertragszwecks findet also dann nicht statt, wenn die Nutzungsrechte im Vertrag ausdrücklich und einzeln bezeichnet werden. Weder die Zweckübertragungstheorie noch § 31 Abs 5 UrhG sind dann anwendbar.436 Dieses Erfordernis einer Einzelbezeichnung soll gewährleisten, dass dem Urheber die Tragweite der von ihm vorgenommenen Verfügung bewusst wird. b) Umfassende Rechtseinräumung bei Einzelbezeichnung der Nutzungsrechte. Das 197 Urheberrecht enthält keine Vorschrift, die einen höchstzulässigen Umfang einzuräumender Nutzungsrechte definiert; es wird den Vertragsparteien nicht ein bestimmtes Maximum zulässiger Rechtseinräumung vorgeschrieben. Eine den Vertragszweck überschreitende umfassende Rechtseinräumung, wie sie insbesondere den Buy-out-Vertrag kennzeichnet, ist unter der Voraussetzung einer genauen Einzelbezeichnung der Nutzungsrechte deshalb möglich. Der Urheber kann einem Verwerter also Nutzungsrechte für alle bekannten Nutzungsarten einräumen und ihn dadurch berechtigen, das Werk auf sämtliche zur Zeit der Rechtseinräumung bekannten Nutzungsarten zu nutzen. Das Bedürfnis einer konkretisierenden und gegebenenfalls einschränkenden Aus- 198 legung des Vertrages besteht auch in dem Fall, in dem die Nutzungsrechte lediglich pauschal („sämtliche Nutzungsrechte“ etc) eingeräumt werden.437 Dem steht es gleich, wenn nur die im Gesetz genannten Verwertungsrechte gem §§ 15 ff UrhG (Vervielfältigungsrecht etc) im Vertrag Erwähnung finden, denn diese Verwertungsrechte beschreiben nur generell die urheberrechtlichen Befugnisse, nicht aber konkrete einzelne Nutzungsarten, denen entsprechende Nutzungsrechte zugrunde liegen. Die Bezeichnung der Nutzungsarten unter Bezugnahme auf konkrete wirtschaftliche Vorgänge (etwa der Herstellung von Katalogen, dem Vertrieb von CDs usw) ist ohnehin aussagekräftiger als die Aufzählung abstrakter und insoweit erläuterungsbedürftiger Verwertungsrechte. Der Vertragszweck ist in diesen Konstellationen sowohl dafür maßgeblich, ob ein bestimmtes Nutzungsrecht überhaupt Vertragsgegenstand ist, ob es als ausschließliches oder einfaches Recht eingeräumt wird, als auch für die Frage der inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Reichweite der Nutzungsrechte. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Frage nach dem Umfang der Rechtsein- 199 räumung unter anderem in Bezug auf Filmwerke. Das Urheberrechtsgesetz erkennt mit den Sondervorschriften der §§ 88 ff UrhG, die § 31 Abs 5 UrhG als lex specialis vorgehen,438 das besondere Interesse des Filmherstellers an einer umfassenden Werkauswertung an.
435
Ständige Rechtsprechung, zB BGH GRUR 1996, 121, 122 – Pauschale Rechtseinräumung; BGH ZUM 1998, 497, 500 – ComicÜbersetzungen; BGH MMR 2002, 231, 231f – Spiegel-CD-ROM.
436 437 438
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LG München I ZUM-RD 2007, 257; Schack Rn 971; Jani 93 mwN. BGH GRUR 1996, 121, 122 – Pauschale Rechtseinräumung. Schack Rn 549.
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2. Pauschale Enthaltungspflichten des Urhebers
200
Das Bestreben des Verwerters, über sämtliche Rechte am Werk zu verfügen, kommt in Nutzungsverträgen gelegentlich in Bestimmungen zum Ausdruck, wonach die dem Urheber ausnahmsweise verbleibenden Rechte dauerhaft blockiert werden. Die Formulierungen lauten etwa: „Soweit entgegen den Absichten der Vertragspartner einzelne Nutzungsarten von der vorstehenden Rechtsübertragung nicht erfasst werden, ist der Autor verpflichtet, eine eigene Nutzung oder eine solche durch Dritte für die Dauer des Vertrages zu unterlassen“. Dem Urheber würde durch solche Enthaltungspflichten die Möglichkeit, über die ihm verbleibenden Rechte zu disponieren, dauerhaft genommen, wenn der Vertrag für die gesamte Schutzfrist abgeschlossen worden ist. Von praktischer Bedeutung sind solche Klauseln besonders für Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten, die bisher aufgrund von § 31 Abs 4 UrhG auch bei noch so ausführlichen Rechtekatalogen nicht Vertragsgegenstand eines Nutzungsvertrages werden konnten. Die Enthaltungspflicht des Urhebers ist im Urheberrecht nicht besonders geregelt; grds ist jedoch davon auszugehen, dass der Urheber zur Verwertung der ihm verbliebenen Rechte in der Lage sein muss. Derartige Vertragsbestimmungen verstoßen deshalb sowohl gegen die Zweckübertragungstheorie, als auch gegen § 31 Abs 5 UrhG. Im Kern sollen diese Regelungen gewährleisten, dass Rechte, die dem Urheber verbleiben, auch seiner freien Disposition unterliegen. Pauschale Enthaltungspflichten, die als Auffangregelung alle nicht vertragsgegenständlichen Rechte erfassen, höhlen diese Rechtsstellung des Urhebers aus.439 Die wirksame Einräumung umfassender Nutzungsrechte kann deshalb nicht durch eine solche Klausel ergänzt werden. Eine spezielle Enthaltungspflicht kann sich für den Urheber unter Umständen allerdings aus § 2 VerlG, § 1 UWG oder ergänzend aus vertraglichen Nebenpflichten gem § 242 BGB ergeben. 3. Kein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten
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Ein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten ist ausgeschlossen, denn es fehlt bei der Rechtseinräumung ähnlich wie beim Forderungserwerb an einem begleitenden Umstand (zB Eintragung in einem Register, Besitz usw) der den für die Gutgläubigkeit notwendigen Rechtsschein erzeugt.440 Da die Urheberbezeichnung lediglich eine widerlegbare Vermutung begründet 441 und damit keine abschließende Auskunft über die wahre Urheberschaft gibt, ist ein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten auch vom Scheinurheber nicht möglich.442 Das gilt auch für den Fall, dass der vermeintliche Alleinurheber nur Miturheber ist. Der Verwerter erwirbt die erforderlichen Nutzungsrechte nur von seinem Vertragspartner, nicht auch von dem anderen Miturheber. 4. Kein Rechteerwerb bei lückenhafter Rechtekette
202
Anfänglicher Inhaber der Nutzungsrechte ist wegen des Schöpfungsprinzips stets der Urheber. Auf den nachgelagerten Ebenen kann die sog Rechtekette durch weitere Verträge und Rechtseinräumungen beliebig verlängert werden. Der jeweils letzte in dieser Kette erwirbt die Nutzungsrechte jedoch nur dann, wenn die Kette bis zu ihm lückenlos ist. Gerade in Bereichen, in denen die Werkverwertung über einen langen Zeitraum und über eine Vielzahl von Verwertungsstufen erfolgt, wie zB bei Filmwerken, kann es im 439 440
Jani 110. BGHZ 5, 116, 119 – Parkstraße; BGH GRUR 1959, 200, 203 – Der Heiligenhof; Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG
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441 442
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Rn 63; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert §§ 31 ff UrhG Rn 47 mwN. S Rn 38. Rehbinder Rn 292.
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Einzelfall schwierig sein, diese Rechtekette nachzuweisen. Ohne diesen Nachweis ist eine rechtmäßige Verwertung jedoch ausgeschlossen. Beweispflichtig ist stets derjenige, der das behauptete Nutzungsrecht für sich in Anspruch nimmt.
IV. Rechtsgeschäfte über unbekannte Nutzungsarten 1. Bisherige Rechtslage a) Grundsatz des Verbots. Das Urheberrechtsgesetz hat bis vor kurzem die Einräu- 203 mung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte neue Nutzungsarten sowie Verpflichtungen hierzu für unwirksam erklärt (§ 31 Abs 4 UrhG aF). Mit dieser Bestimmung sollte verhindert werden, dass der Urheber über Nutzungsrechte zu Bedingungen verfügt, die nicht marktgerecht sind bzw dass er über seine Rechte disponiert, ohne bei Vertragsschluss die wirtschaftliche Tragweite absehen zu können.443 Dem Urheber sollte, wenn neue Nutzungsarten entwickelt werden, stets die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob und gegen welches Entgelt er mit der Nutzung seines Werkes auch auf die neu erfundene Art einverstanden ist. Auch umfassende Nutzungsverträge waren durch § 31 Abs 4 UrhG zwingend auf bekannte Nutzungsarten begrenzt. b) Die Zulässigkeit von „Risikogeschäften“. Die Rechtsprechung hatte bereits für 204 eine gewisse Öffnung des Verbots gesorgt, indem sie sog „Risikogeschäfte“ für zulässig erklärte. Eine Nutzungsart, die zwar technisch bekannt ist, die in ihrer zukünftigen wirtschaftlichen Bedeutung aber noch nicht vollständig eingeschätzt werden kann, sollte danach, obwohl sie im Sinne des Gesetzes noch unbekannt ist, Gegenstand der Rechtseinräumung sein können, wenn die Einräumung dieser Nutzungsrechte von den Vertragsparteien erörtert und ausdrücklich vereinbart werden.444 Trotz der durch die Figur des „Risikogeschäfts“ eröffneten Möglichkeiten erwies sich § 31 Abs 4 UrhG im Hinblick auf die neuen Medien jedoch zunehmend als Hemmnis. 2. Neues Recht Das strikte gesetzliche Verbot des § 31 Abs 4 UrhG hat sich im Kontext der digitalen 205 Medien und der beschleunigten technischen Entwicklung zusehends als Hemmnis für die Auswertung urheberrechtlich geschützter Werke erwiesen.445 Teilweise ist der Nacherwerb von Rechten mit hohen Transaktionskosten verbunden. Teilweise ist der Rechteerwerb gänzlich unmöglich, weil die Rechteinhaber nicht mehr identifiziert werden können. Bereits im Zuge der Urhebervertragsrechtsreform begann deshalb eine Diskussion über eine Neuregelung zugunsten einer größeren Vertragsfreiheit in Zukunft und über eine Erleichterung des nachträglichen Rechtserwerbs im Rahmen bestehender Verträge. Mit dem „Zweiten Korb“ ist § 31 Abs 4 UrhG abgeschafft worden. Dieser radikale Schritt ist richtig 446 und wird in Bezug auf künftige Verträge die Werkauswertung erheb443
444 445 446
Schricker/Schricker §§ 31/32 UrhG Rn 25; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 38. BGH GRUR 1995, 212, 214 – Videozweitauswertung III. Castendyk/Kirchherr ZUM 2003, 751, 755 ff; Schaefer FS Nordemann 227. Im Zuge der Novelle des Urhebervertragsrechts in der 14. Legislaturperiode des
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Dt Bundestags war bereits eine Bereichsausnahme von § 31 Abs 4 für den Fall diskutiert worden, wenn die unbekannten Nutzungsrechte einer Verwertungsgesellschaft eingeräumt werden (vgl Schricker/Schricker § 31 Rn 25a). Für eine Beibehaltung des bisherigen § 31 Abs 4 Wandtke FS Nordemann 263; Schack Rn 550.
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lich vereinfachen. Das ist auch im Interesse der Urheber. Ob die Regelung für Altverträge (§ 137l UrhG) gelungen ist, darf man bezweifeln. Viele Fragen im Zusammenhang mit dem nachträglichen Rechtserwerb werden erst von den Gerichten geklärt werden. Hier besteht in den kommenden Jahren ein erheblicher juristischer Klärungs- und Beratungsbedarf. Insofern ist die Abschaffung von § 31 Abs 4 UrhG keineswegs die Lösung aller Probleme.
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a) Zulässigkeit der Einräumung von Rechten für unbekannte Nutzungsarten. Auch Rechte an noch unbekannten Nutzungsarten können nun zum Gegenstand von Urheberrechtsverträgen gemacht werden (§ 31a Abs 1 UrhG). Zum Schutz der Urheber schreibt das Gesetz hier jedoch die schriftliche Form vor. Zur Wahrung seiner Interessen hat der Urheber außerdem ein Widerrufsrecht, durch 207 dessen Ausübung er die Rechtseinräumung widerrufen kann. Das Widerrufsrecht erlischt drei Monate, nachdem der Verwerter an den Urheber eine Mitteilung über die beabsichtigte Nutzung abgesendet hat. Durch den wirksamen Widerruf fallen die Rechte rückwirkend (ex tunc) an den Urheber zurück. So lange dem Urheber das Recht zum Widerruf zusteht, ist die Rechtseinräumung bzw die Verpflichtung hierzu also schwebend unwirksam.447 Erst mit Ablauf der Widerrufsfrist erlangt der Vertragspartner endgültige Klarheit über den Bestand der Rechte. Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind gesetzlich allerdings nicht ausdrücklich geregelt, und schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Frage bis zu einer höchstrichterlichen Klärung strittig sein wird. Nach der Gegenauffassung entfaltet der Widerruf seine Wirkung nur für die Zukunft.448 Filmurheber und Urheber verfilmter Werke steht das Widerrufsrecht nicht zu (§§ 88 Abs 1, 89 Abs 1 UrhG). Mit dieser Ausnahme wollte der Gesetzgeber den urheberrechtlich bereits anerkannten besonderen Interessen des Filmherstellers Rechnung tragen und die ungehinderte Filmauswertung in unbekannten Nutzungsarten gewährleisten.449 Diese umstrittene Entscheidung ist richtig, denn sie fügt sich in das bestehende filmrechtliche System des Urheberrechts ein. Gleichwohl ist sie nicht unumstritten und der Gesetzgeber selbst scheint von der Regelung nicht recht überzeugt zu sein, denn er hat bereits angekündigt, das Thema bei der nächsten Urheberrechtsnovelle erneut zu diskutieren.450 Sind mehrere Werke oder Werkbeiträge zu einer Gesamtheit zusammengefasst, die 208 sich in der neuen Nutzungsart in angemessener Weise nur unter Verwendung sämtlicher Werke oder Werkbeiträge verwerten lässt, so kann der Urheber das Widerspruchsrecht gem § 31a Abs 3 UrhG nicht wider Treu und Glauben ausüben. Mit dieser Bestimmung soll die Blockade der Auswertung durch einzelne Beteiligte verhindert werden und war vor allem auch dann, wenn an dem Werk nicht nur Urheber, sondern auch andere (zB ausübende Künstler) beteiligt sind. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass in einer solchen „Gemengelage“ 451 die Rechte des einzelnen im Interesse der Werkverwertung zurücktreten müssen. Miturheber können ihr Widerrufsrecht nach den allgemeinen urheberrechtlichen Grundsätzen wegen der gesamthänderischen Bindung des Urheberrechts stets nur gemeinsam ausüben. Der Urheber hat im Fall der Nutzung des Werks in der neuen Nutzungsart einen 209 gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 32c UrhG). Die Bemessung dieser Vergütung erfolgt nach den allgemeinen Kriterien aus § 32 UrhG oder anhand gemeinsamer Vergütungsregeln. Ein gesonderter Vergütungsanspruch besteht dann nicht, wenn 447 448
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31a UrhG Rn 74. Mestmäcker/Schulze/Scholz § 137l UrhG Rn 30.
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BT-Drucks 18/1828, 33. BT-Drucks 16/5939, 4. Zu dieser Problematik Schaefer FS Nordemann 227, 232 f.
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für die Vergütung eine tarifvertragliche Regelung gilt (§ 32c Abs 1 iVm 32 Abs 4 UrhG). Wenn der Vertragspartner des Urhebers einem Dritten die Rechte für die neuen Nutzungsart übertragen hat, so ist die gesonderte Vergütung von dem Dritten zu zahlen (§ 32c Abs 2 UrhG). b) Übergangsregelung für Altverträge. Für Altverträge, die im Geltungsbereich des § 31 Abs 4 UrhG aF geschlossen worden sind und bei denen die Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten deshalb nicht Vertragsgegenstand geworden sind, hat der Gesetzgeber in § 137l UrhG eine besondere Regelung geschaffen. Wenn der Urheber seinem Vertragspartner im Rahmen des ursprünglichen Vertrags alle wesentlichen Nutzungsrechte ausschließlich sowie zeitlich und räumlich unbeschränkt eingeräumt hat, gelten die bei Vertragsschluss unbekannten Nutzungsrechte ebenfalls als eingeräumt. § 137l UrhG verschafft dem Vertragspartner des Urhebers also rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsschluss im Wege einer „Übertragungsfiktion“ auch die unbekannten Nutzungsrechte.452 Es handelt sich dabei nicht lediglich um eine Vermutungsregelung, sondern um eine echte gesetzliche Lizenz.453 Unklar, weil ebenfalls nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt, ist, ob der Vertragspartner durch die gesetzliche Fiktion einfache oder ausschließliche Nutzungsrechte erwirbt. Im Hinblick auf den Zweck der Norm, dem Vertragspartner die umfassende Nutzung des Werkes auch in neuen Nutzungsarten zu ermöglichen, sprechen die besseren Argumente für ausschließliche Nutzungsrechte.454 Ob Gegenstand des ursprünglichen Vertrags alle wesentlichen Nutzungsrechte waren, ist unter Berücksichtigung der allgemeinen urhebervertragsrechtlichen Grundsätze eine Frage des Einzelfalls, wobei der Vertrag dem Verwerter in jedem Fall im Rahmen des Vertragszwecks die Möglichkeit zur umfassenden und dauerhaften Auswertung des Werkes geben muss.455 Im Hinblick auf die Bedeutung von § 137l für die Auswertung von Archivbeständen liegt in dieser Frage ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial. Neben der unverändert zentralen Frage, was eine neue Nutzungsart ist, wird deswegen vor allem der notwendige Umfang der Nutzungsrechte im Altvertrag in den kommenden Jahren die Gerichte beschäftigen.456 Der Urheber kann dieser Rechteübertragung innerhalb einer Frist widersprechen. Für Nutzungsarten, die zwischenzeitlich bekannt geworden sind, ist die Frist ein Jahr ab Inkrafttreten von § 137l UrhG. Für andere unbekannte Nutzungsrechte beträgt die Frist drei Monate ab dem Zeitpunkt, in dem der Vertragspartner an den Urheber die Mitteilung über die geplante Nutzung abgesendet hat. Durch wirksamen Widerspruch fallen die vom Widerspruch erfassten Nutzungsrechte mit Wirkung für die Zukunft an den Urheber zurück.457 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu 31a UrhG, bei dem der Widerruf ex tunc auf den Zeitpunkt der Rechtseinräumung zurückwirkt.458 Das Widerspruchsrecht steht auch Filmurhebern zu; anders als § 31a UrhG enthält § 137l UrhG aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Bereichsausnahme. Auch der 452
453
Da es sich um eine gesetzlich angeordnete Rechtseinräumung handelt, wäre es richtig, von „Einräumungsfiktion“ zu sprechen. Die in der Gesetzesbegründung verwendete Bezeichnung ist insofern falsch; sie hat sich aber durchgesetzt, vgl Wandtke/Bullinger/ Jani § 137l UrhG Rn 16. Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 17; Mestmacker/Schulze/Scholz § 137l UrhG Rn 10.
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Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 25; Schulze UFITA 2007/III, 641, 692; aA Mestmäcker/Schulze/Scholz § 137l UrhG Rn 23. Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 8. Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 7 ff. Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 40 mwN; aA Schulze UFITA 2007/III, 641, 701. S Rn 207.
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Widerspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn mehrere Werke oder Werkbeiträge zu einer Gesamtheit zusammengefasst sind, die sich in der neuen Nutzungsart in angemessener Weise nur unter Verwendung sämtlicher Werke oder Werkbeiträge verwerten lässt. Auch hier wollte der Gesetzgeber auf diese Weise sachlich nicht gerechtfertigte Blockaden durch einzelne Beteiligte verhindern. Diese Bestimmung entspricht § 31a Abs 3 UrhG. Wenn der Urheber nicht widerspricht, steht ihm für die Nutzung des Werkes in der 214 neuen Nutzungsart eine zusätzliche angemessene Vergütung zu, die aber grds nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann. Mit dieser Verwertungsgesellschaftspflicht wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Nutzungen im Ergebnis unentgeltlich erfolgen, weil der Verwerter den Urheber oder seine Erben nicht auffinden kann. Es soll sichergestellt werden, dass für die Nutzung in jedem Fall gezahlt wird. Mit der Übertragung des Vergütungsanspruchs auf Verwertungsgesellschaften hat der Gesetzgeber jedoch einen Systembruch begangen und eine Regelung geschaffen, die in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen wird.459 Es ist insbesondere völlig unklar, wie die Verwertungsgesellschaften für derartige Ansprüche Tarife aufstellen sollen, denn der Sache nach handelt es sich bei dem Vergütungsanspruch aus § 137l Abs 5 UrhG um einen Anspruch für Primärverwertung aufgrund eines Nutzungsvertrags. Das ist typischerweise gerade nicht das Feld der Verwertungsgesellschaften sondern der individuellen Rechtewahrnehmung. § 137l Abs 5 UrhG führt zu einer Vermischung des individuellen und des kollektiven Urheberrechts, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Die Vertragsparteien können der Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit allerdings entkommen, indem sie nach Eintritt der Übertragungsfiktion in Bezug auf zwischenzeitlich bekannt gewordene Nutzungsarten eine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung treffen. Diese Vereinbarung verdrängt den Anspruch aus § 137l Abs 5 UrhG.460 Zugleich verliert der Urheber gem § 137l Abs 3 UrhG sein Widerspruchsrecht. Sofern der Vertragspartner des Urhebers sämtliche ursprünglichen Nutzungsrechte 215 auf einen Dritten übertragen hat, wirkt die Übertragungsfiktion gem § 137l Abs 2 UrhG zu dessen Gunsten. Der Widerspruch ist dem Dritten gegenüber zu erklären, der auch die zusätzliche Vergütung schuldet. Für Verträge, die vor Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetzes am 1.1.1966 geschlossen wurden, bleibt es bei der bisher geltenden Rechtslage. Ob unbekannte Nutzungsarten Vertragsgegenstand sind, ist gemäß der Zweckübertragungslehre anhand des Vertragszwecks zu ermitteln. 3. Der Begriff der unbekannten Nutzungsart
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Auch nach der Aufhebung des Verbots aus § 31 Abs 4 UrhG aF bleibt die unbekannte Nutzungsart ein wichtiges urhebervertragsrechtliches Thema, weil sie auch künftig Anknüpfungspunkt für wichtige Rechtsfragen bleibt. Ob der Anwendungsbereich des neuen § 31a UrhG eröffnet ist oder ob eine Nutzung von der Übertragungsfiktion des § 137l UrhG erfasst wird, kann nur beantwortet werden, wenn klar ist, ob die Nutzung einmal unbekannt war. Die Kernfrage, ob und unter welchen Umständen eine Nutzungsart neu ist, muss deshalb auch künftig immer wieder aufs Neue beantwortet werden. Insofern bedeutet die Abschaffung von § 31 Abs 4 UrhG keineswegs das Ende aller Probleme. Die Bekanntheit der urheberrechtlichen Nutzungsarten, gehört zu den besonders strit217 tigen Fragen des Urheberrechts. Von aktueller praktischer Bedeutung ist diese Frage im
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Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 79.
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Wandtke/Bullinger/Jani § 137l UrhG Rn 70.
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Zusammenhang mit den Neuen Medien.461 Die Literatur setzt den Zeitpunkt der Bekanntheit mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung des Videomarktes zum Teil noch später.462 Der Bundesgerichtshof knüpft die Bekanntheit der Nutzungsart an drei Kriterien: Die neue Nutzungsart darf nicht nur eine bestehende Nutzungsart ersetzen, sondern sie muss zusätzliche neue Märkte erschließen.463 Die neue Nutzungsart darf nicht allein durch den technischen Forschritt bedingt sein, sondern sie muss auch aus Sicht der Endnutzer eine spürbare technische Veränderung verursachen.464 Schließlich muss sich die neue Nutzungsart auch in ihrer äußeren Form von den bisher bekannten Nutzungsarten unterscheiden.465 Dieses vom BGH entwickelte Bewertungsraster wird auch künftig im Anwendungsbereich der neuen §§ 31a und 137l UrhG den Maßstab bilden. Die Videoauswertung von Filmen ist nach überwiegender Auffassung eine eigenstän- 218 dige Nutzungsart. In der Frage, ab wann die Nutzung bekannt war, gehen die Meinungen jedoch auseinander. Dem BGH zufolge war die Nutzungsart 1968 noch unbekannt.466 Die direkte Satellitenausstrahlung von Rundfunksendungen ist dagegen im Verhältnis zu herkömmlichen terrestrischen Sendungen keine neue Nutzungsart.467 Die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke (zB von Fotos oder Werbetexten) im Internet, etwa im Online-Auftritt eines Unternehmens, wird jedenfalls bis Mitte der 90er Jahre als eine unbekannte Nutzungsart anzusehen sein. Die Verbreitung von Fotos auf CD-ROM ist nach instanzgerichtlicher Auffassung ab 1994 bekannt; 468 der BGH hat den Zeitpunkt des Bekanntwerdens offen gelassen.469 Hingegen ist die Musik-CD gegenüber der Schallplatte keine neue Nutzungsart, denn bei der CD handelt es sich nicht um eine zusätzliche Nutzung, die neben bisherige Nutzungsarten tritt und eine wirtschaftlich eigenständige Verwertung erlaubt.470 Vielmehr hat die CD als eine technische Neuerung die herkömmlichen Langspielplatten fast vollständig verdrängt. Ob aus denselben Erwägungen auch die DVD gegenüber der bisher bekannten Verwertungsform der Vervielfältigung und Wiedergabe auf Videobändern eine eigenständige neue Nutzungsart iSv § 31 Abs 4 UrhG darstellt, war lange Zeit umstritten. Der Bundesgerichtshof 471 hat schließlich die ablehnende Auffassung der Instanzgerichte 472 bestätigt. Die mit der digitalen Aufzeichnungstechnik und der enormen Speicherkapazität der DVD einhergehende technische Verbesserung allein verleihe der DVD-Auswertung nicht den Charakter einer neuen Nutzungsart im Sinne einer technisch und wirtschaftlich eigenständigen Verwendungsform des Werks. Auch hier erfolge stattdessen vor allem eine Substitution unterschiedlicher Trägermedien infolge technischer Neuerungen. Eine neue Nutzungsart stellt jedoch gegenüber der herkömmlichen Darbietung eines Musikwerkes die Nutzung einer urheberrechtlich geschützten Melodie als Handy-Klingelton dar, die zumindest bis 1999 iSv § 31 Abs 4 UrhG unbekannt war.473 Zeitschriftenangebote im Internet waren nach Auffassung des OLG Hamburg spätestens 1993 nicht mehr unbekannt.474 Video-On-Demand ist gegenüber der Sendung und der Video461 462
463 464 465 466
Beispiele bei Wandtke/Bullinger/Wandtke/ Grunert § 31 UrhG Rn 44 ff. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 65; Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 30. BGH GRUR 2005, 937, 939 – Der Zauberberg. BGH GRUR 1997, 215, 217 – Klimbim. BGH GRUR 1992, 310, 311 – Taschenbuchlizenz. BGH GRUR 1991, 133, 136 – Videozweitauswertung.
467 468 469 470 471 472 473 474
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BGH GRUR 1997, 215 – Klimbim. KG MMR 1999, 727. BGH ZUM 2002, 214, 217. BGH GRUR 2003, 234, 236 – EROC III. BGH GRUR 2005, 937, 938 – Zauberberg. OLG München ZUM 2002, 922; OLG Köln GRUR-RR 2003, 367. OLG Hamburg ZUM 2002, 480. OLG Hamburg NJOZ 2005, 4335 – YachtArchiv.
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grammauswertung eine eigenständige Nutzungsart.475 Für viele Nutzungen, die aktuell an Bedeutung gewinnen, Push-Dienste, Handy-TV, Internet-TV/IPTV usw steht die Klärung, ob es sich dabei um neue Nutzungsarten handelt, noch aus. Das gilt auch für audiovisuelle Angebote, die mit Mobiltelefonen empfangen werden können, sog HandyTV. Im Lichte der Rechtsprechung des BGH werden hier aber weniger Nutzungsarten im urheberrechtlichen Sinne neu sein, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Soweit Internet-TV lediglich eine neue Form der Datenübertragung (mittels Internetprotokoll) ermöglicht, bei dem jedoch die herkömmlichen Übertragungswege (Kabel, Satellit usw) genutzt werden, führt allein die Umstellung auf das IP-Signal nicht zu einer neuen Nutzungsart.476 In Bezug auf Handy-TV dürfte eine neue Nutzungsart trotz technischer Parallelen zum herkömmlichen Fernsehen dagegen wohl anzunehmen sein, weil dieses Medium nicht lediglich bestehende Angebote ersetzt, sondern auf ein verändertes Nutzerverhalten mit einer neuartigen Angebotsstruktur reagiert.477
V. Das Postulat der angemessenen Vergütung 1. Der Urheber hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung
219
Dem Urheberrecht liegt als tragender Leitgedanke das bereits vom Reichsgericht 478 ausgesprochene und auch vom Bundesgerichtshof 479 mehrfach bestätigte Prinzip zugrunde, wonach der Urheber angemessen an dem wirtschaftlichen Nutzen zu beteiligen ist, der aus seinem Werk gezogen wird. Das Prinzip der angemessenen Vergütung ist Ausdruck der Eigentumsgarantie aus Art 14 Abs 1 GG.480 Auch im Gemeinschaftsrecht ist die angemessene Vergütung heute als wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Urheberrechtsordnung anerkannt. In Erwägungsgrund 10 der Multimedia-Richtlinie heißt es zB ausdrücklich: „Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten.“ In der Literatur ist dieser Grundsatz der angemessenen Vergütung ebenfalls unumstritten.481 Heute stellt § 11 S 2 UrhG ausdrücklich fest, dass das Urheberrecht zugleich „der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes“ dient. Diese Bestimmung, die durch die Urhebervertragsrechtsnovelle 2002 geschaffen worden ist, erhebt das Postulat der angemessenen Vergütung zu einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz. 2. Der urheberrechtliche Beteiligungsgrundsatz gilt auch für ausübende Künstler
220
Der urheberrechtliche Beteiligungsgrundsatz gilt gem § 79 Abs 2 UrhG auch für die ausübenden Künstler. Auch vor dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung war in der 475 476 477 478
479
Fringuelli 131, der allerdings den Zeitpunkt der Bekanntheit offen lässt. Fringuelli 134. Bauer/von Einem MMR 2007, 698, 700. RGZ 118, 282, 285 – Musikantenmädel; RGZ 122, 65, 68 – Tanzschlager-Liederbuch; RGZ 128; 102, 113 – Schlager-Liederbücher. Unter anderem BGHZ 11, 135, 143 – Lautsprecherübertragung; BGH GRUR 1996, 121, 122 – Pauschale Rechtseinräumung;
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BGH ZUM 1998, 497, 500 – Comic-Übersetzungen; BGH ZUM 2000, 160, 162 – Comic-Übersetzungen II. BVerfG GRUR 1980, 44, 46 – Kirchenmusik; BVerfGE 31, 229, 240 f – Kirchen- und Schulgebrauch. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 22 f; Möhring/Nicolini/Gass § 61 UrhG Rn 27; Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 15 f; Rehbinder Rn 609; Schack Rn 547; Jani 113 mwN.
§ 16
Urhebervertragsrecht
Rechtsprechung anerkannt, dass nicht nur dem Urheber, sondern auch dem ausübenden Künstler das wirtschaftliche Ergebnis seiner Tätigkeit zuzuordnen ist und dass er grds an jeder Nutzung seiner Darbietung angemessen zu beteiligen sei.482 3. Die vertraglich vereinbarte Vergütung hat Vorrang Der Urheber hat gem § 32 Abs 1 UrhG für die Einräumung von Nutzungsrechten und 221 die Erlaubnis zur Werknutzung Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Damit gilt auch für das Urheberrecht zunächst der Vorrang der vertraglichen Vergütungsabrede.483 Das ist insofern bemerkenswert, als der Regierungsentwurf noch eine Entkopplung von Vertrag und Vergütungsanspruch vorgesehen hatte: § 32 Abs 1 S 2 UrhG-E gab dem Urheber einen gesetzlichen, und damit vom Vertrag letztlich unabhängigen Vergütungsanspruch gegen jeden, der das Werk aufgrund eines vom Urheber eingeräumten Nutzungsrechtes oder einer Erlaubnis des Urhebers nutzt. Diese Konstruktion ist im Laufe der parlamentarischen Beratungen und im Lichte der massiven Kritik am Regierungsentwurf zugunsten einer die grundsätzliche Vertragsfreiheit respektierenden Lösung aufgegeben worden. 4. Gesetzlicher Korrekturanspruch bei Unangemessenheit Soweit die vereinbarte Vergütung jedoch nicht angemessen ist, gibt § 32 Abs 1 S 3 222 UrhG dem Urheber gegen seinen Vertragspartner aber einen gesetzlichen Anspruch auf Einwilligung in eine Vertragsänderung, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. Bleibt die vertragliche Vereinbarung hinter den Anforderungen, die an die Vergütung unter dem Aspekt der Angemessenheit zu stellen sind, zurück, greift also subsidiär eine gesetzliche Korrektur. Das Gleiche gilt für den Fall, dass die Höhe der Vergütung überhaupt nicht vereinbart ist; gem § 32 Abs 1 S 2 UrhG gilt dann die angemessene Vergütung aber von Gesetzes wegen als vereinbart. Gem § 32 Abs 1 S 3 UrhG hat der Urheber dann einen Anspruch gegen seinen Vertragspartner auf Einwilligung in eine entsprechende Vertragsänderung. Diesen Anspruch kann der Urheber sofort mit dem Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen ursprünglich vereinbarter und angemessener Vergütung verbinden.484 Das Recht, die Vergütung autonom zu bestimmen, wird den Vertragsparteien damit nur in den durch die Angemessenheit gezogenen Grenzen belassen, so dass der Urheber aus § 32 Abs 1 UrhG nunmehr einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung hat. 5. Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung a) Der „gerechte Preis“ im Urheberrecht? Fraglich ist, was die angemessene Vergü- 223 tung ist. Das Urheberrecht enthält keine Bestimmungen über Mindestvergütungssätze für die Nutzung urheberrechtlicher Werke.485 Die Höhe der urheberrechtlichen Vergütung ist auch nach der Urhebervertragsrechtsreform im Jahr 2002 im Grundsatz ausschließlich 482
483 484
BGH UFITA 32 (1960), 200, 214 – Künstlerlizenz Schallplatten; BGH UFITA 32 (1960), 223, 227 – Figaros Hochzeit; Schricker/Krüger Vor §§ 73 ff UrhG Rn 15. BT-Drucks 14/8058, 42. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 18; Schricker/Schricker § 32 UrhG
485
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Rn 22; Nordemann Urhebervertragsrecht 2002, 66. Fromm/Nordemann/Hertin Vor § 31 UrhG Rn 16; Schricker/Schricker § 32 UrhG Rn 28; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 22 f.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
Sache der Vertragsparteien. Welche Gegenleistung zu erbringen ist, kann in einer auf Privatautonomie und freier Marktwirtschaft aufbauenden Rechtsordnung nicht festgeschrieben werden, da es für einen „gerechten Preis“ (iustum pretium) in der Regel keine objektiven Maßstäbe gibt.486 Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und dem Prinzip der freien Preisbildung im System des marktwirtschaftlichen Güteraustauschs folgt, dass der Inhalt vertraglicher Vereinbarungen grds auch dann gültig und bindend ist, wenn er bei objektiver Betrachtung und im Sinne eines objektiven Interessenausgleichs ungerecht erscheint. Das heißt, auch der für eine Partei unvorteilhafte Vertragsschluss ist durch die Vertragsfreiheit gedeckt. Die richterliche Intervention in Kalkulations- und Preisbildungsfragen ist damit grds unzulässig, so dass auch die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Urheberrecht nicht zum Gegenstand einer Überprüfung gemacht werden kann. Der urheberrechtliche Grundsatz der angemessenen Vergütung darf deshalb nicht dahin missverstanden werden, dass sich aus ihm abstrakte Aussagen zur Mindesthöhe der urheberrechtlichen Vergütung für einzelne Nutzungen ableiten ließen. Das Urheberrecht enthält keine verbindlichen rechtlichen Maßstäbe für die Preisgestaltung. Dies wäre auch gar nicht möglich, weil angesichts der abwechslungsreichen urheberrechtlichen Verwertungslandschaft rechtliche Beurteilungsmaßstäbe gar nicht zur Verfügung stehen können.
224
b) Die „redliche Branchenübung“ als Maßstab. § 32 Abs 2 S 1 UrhG enthält eine Legaldefinition des Begriffs der urheberrechtlichen Angemessenheit. Die Vergütung ist danach angemessen, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist. Der Versuch einer abstrakten und allgemeingültigen Definition dessen, was angemessen ist, muss scheitern, wenn die Definition nicht offen ist für die Vielzahl individueller Einflussfaktoren. Der Gesetzgeber hat sich bemüht, diese notwendige Einzelfallbetrachtung zu ermöglichen. Damit ist die Legaldefinition im Ergebnis ohne großen praktischen Wert. Es bleibt der Rechtsprechung überlassen, die Fülle unbestimmter Rechtbegriffe zu konkretisieren. Wie schwer das ist, zeigt die bisherige Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hatte bei der Reform des Urhebervertragsrechts und der Schaffung des Vergütungsanspruchs zur Begründung vor allem auf die nach seiner Einschätzung unzureichende Vergütung der Literaturübersetzer 487 verwiesen. Und die Übersetzervergütung steht bislang auch im Zentrum der Auseinandersetzung darum, wann Vergütung iSv § 32 UrhG angemessen ist. Die bislang vorliegenden Urteile 488 illustrieren eindrucksvoll, wie schwer die Aufgabe ist, die der Gesetzgeber den Gerichten übertragen hat. Auch innerhalb der Gerichte bestehen erhebliche Differenzen darüber, was angemessen sei. Als Beispiel sei hier nur die unterschiedliche Bewertung von Nebenrechtserlösen bei der Übersetzervergütung durch zwei Senate des OLG München erwähnt. Während der 6. Zivilsenat eine einheitliche Beteiligung in Höhe von 10 % der Nettoerlöse für sachgerecht hält,489 erscheint dem 29. Zivilsenat eine Beteiligung in Höhe von 50 % angemessen.490 Im Gegensatz zum 6. Senat verkennt der 29. Senat dabei,
486 487 488
Jani 121 mwN. BT-Drucks 16/8058, 43. Erstinstanzliche Urteile: LG München ZUM 2006, 73; LG München ZUM 2006, 154; LG München ZUM 2006, 159; LG Hamburg ZUM 2006, 683; LG Berlin ZUM 2006, 904. Urteile von Berufungsgerichten:
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489 490
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OLG München ZUM 2007, 142; OLG München ZUM 2007, 308, 315; OLG München ZUM 2007, 317; OLG München ZUM-RD 2007, 182; OLG München ZUM-RD 2007, 166. OLG München ZUM 2007, 308, 316. OLG München ZUM 2007, 142, 151.
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Urhebervertragsrecht
dass die Aufteilung nicht lediglich zwischen Übersetzer und Verlag erfolgt, sondern dass auch die Autoren einen angemessenen Anteil haben müssen. Eine hälftige Verteilung, bei der der Autor leer ausgeht, ist mit den Vorgaben des Urheberrechts kaum zu in Einklang zu bringen. Von einer gefestigten Rechtsprechung oder gar Rechtssicherheit kann also keine Rede sein, und bis der BGH erstmals entscheidet, wird noch einige Zeit vergehen. Bis dahin verbleibt ein Flickenteppich instanzgerichtlicher Urteile. Neben den grundlegenden Fragen, etwa nach der Zulässigkeit von Pauschalhonoraren, geht es um die Bemessungsgrundlagen für die Vergütung und die als angemessen bezeichneten Mindestsätze. Hier weichen die Gerichte in ihrer Beurteilung erheblich voneinander ab.491 Aufgrund der branchen- und produktspezifischen Besonderheiten des Literaturbetriebs sind die Entscheidungen allemal nicht verallgemeinerungsfähig. Bis auf weiteres müssen alle Beteiligten daher von Fall zu Fall entscheiden, was angemessen ist. Angemessen ist im Zweifel die Vergütung, bei der keiner der Vertragspartner das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Klärung hat. Unter „Redlichkeit“ ist eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen der 225 Verwerter einerseits sowie der Interessen der Urheber und ausübenden Künstler andererseits zu verstehen. Die „Üblichkeit“ der Vergütung entspricht der Gesetzesbegründung 492 zufolge ausdrücklich der aus anderen Regelungsbereichen bekannten Branchenübung. Nur wo eine redliche Branchenübung gänzlich fehlt, wird ausnahmsweise eine wertende Korrektur geboten sein; hier werden dann als redlich anerkannte Vergütungspraktiken aus ähnlichen Branchen oder bzgl ähnlicher Werke als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können.493 Die angemessene Vergütung iSv § 32 Abs 1 UrhG soll nur einen Rahmen abstecken, 226 in dem sich eine vertragliche Vereinbarung bewegen kann.494 Da nach der Begründung des Gesetzes 495 für die Beurteilung der Angemessenheit zudem ausdrücklich alle individuellen Faktoren wie Art und Umfang der Werknutzung, Investitionen, Risikotragung, Kosten, Zahl der hergestellten Werkstücke oder zu erreichende Einnahmen zu berücksichtigen sind, wird eine (gerichtliche) Bewertung im Zweifel eher zurückhaltend ausfallen müssen: Angesichts des betriebswirtschaftlichen Charakters dieser Parameter muss im Einzelfall auch eine Vergütung, die von der Branchenübung abweicht, angemessen sein können. Die Branchenübung kann nämlich immer nur als grober Maßstab dienen, da sie die in den individuellen Faktoren zum Ausdruck kommenden Besonderheiten des jeweiligen Werkes und des jeweiligen Verwertungsunternehmens nicht abbildet. Die angemessene Vergütung ist deshalb nicht misszuverstehen als eine genau zu beziffernde Größe, sondern sie gibt einen Rahmen vor, der nicht in Richtung einer unangemessen niedrigen Vergütung unterschritten werden darf. Auch künftig gilt also im Urheberrecht kein vom Einzelfall unabhängiger abstrakter Angemessenheitsmaßstab. Es vertrüge sich außerdem nicht mit dem Ziel der Novelle, wenn der Korrekturanspruch zu einer massenhaften Infragestellung vertraglicher Vereinbarungen führte; es wäre ein Missverständnis der gesetzlichen Konzeption, wenn auch geringfügige Abweichungen von der Angemessenheit ohne weiteres zu einem mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbundenen Nachforderungsverfahren führen könnten.
491 492 493
Eine Übersicht gibt von Becker ZUM 2007, 249, 250 f. BT-Drucks 14/8058, 43. Zu den Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit urheberrechtlicher Honorare ausf Schricker/Schricker § 32 UrhG
494 495
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Rn 32 ff; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 31 ff; Jani 124 ff. Schricker/Schricker § 32 UrhG Rn 29; Jani 301. BT-Drucks 14/8058, 43.
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Das Urheberrecht hat nicht die Aufgabe, dem Urheber ein bestimmtes Einkommen zu garantieren.496 Darauf hat auch das OLG München zutreffend hingewiesen und betont, dass die wirtschaftliche Situation der Übersetzer für die Angemessenheitsprüfung ohne Relevanz ist; § 32 UrhG orientiert sich nicht am Prinzip der Alimentation unter dem Gesichtspunkt der Bedürftigkeit, sondern am zivilrechtlichen Grundsatz von Leistung und Gegenleistung.497 Diese Feststellung ist wichtig, denn in einer Zeit, in der es Mode ist, garantierte Mindestlöhne zu fordern, muss klargestellt werden, dass das Urheberrecht Eigentumsrecht und kein Sozialrecht ist.
228
c) Eine Vergütung kann ausnahmsweise auch vollständig entfallen. Das Prinzip der angemessenen Vergütung schließt auch nicht aus, dass die Vergütung im konkreten Fall vollständig entfällt oder dass der Urheber für die Nutzung seines Werkes sogar seinerseits ein Entgelt bezahlt. Ein Beispiel für diese Konstellation ist der üblicherweise zu entrichtende Druckkostenzuschuss bei der Publikation wissenschaftlicher Werke.498 Der Urheber kann auch von sich aus auf eine Vergütung ganz verzichten. Der Gesetzgeber hat das in § 32 Abs 3 S 2 UrhG klargestellt, der die Befugnis des Urhebers zur Einräumung unentgeltlicher einfacher Nutzungsrechte für jedermann ausdrücklich regelt.
229
d) Die Zulässigkeit von Pauschalhonoraren. Das Pauschalhonorar ist im Urheberrecht eine durchaus gebräuchliche und als Ausdruck der Vertragsfreiheit grds auch zulässige Form der Vergütung. Trotz teils anders lautender Forderungen hat daran zu recht auch die umfassende Änderung des Urhebervertragsrechts nichts geändert.499 Das Beteiligungsprinzip ist zwar als Grundlage für eine angemessene Vergütung anerkannt; 500 Das Beteiligungsprinzip gilt aber nicht absolut, und es besteht damit auch nach neuem Urhebervertragsrecht keine gesetzliche Pflicht zur Beteiligungsvergütung. Das Pauschalhonorar bleibt deshalb als Vergütungsmodell eine gleichberechtigte Option.501 Es wird insbesondere immer dort ökonomisch sinnvoll und interessengerecht sein, wo eine fortlaufende Beteiligung des Urhebers im Hinblick auf Art und Umfang des vertragsgegenständlichen Werkes einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde. Das gilt zB für Werke, an deren Herstellung eine Vielzahl von Personen mit jeweils geringen Einzelleistungen beteiligt ist. Auch beim Pauschalhonorar ist freilich die Angemessenheit der Vergütung zu wahren. Das ist naturgemäß schwieriger als bei der Beteiligungsvergütung, aber nicht a priori ausgeschlossen.
230
e) Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Für die Frage der Angemessenheit ist neben der inhaltlichen Konkretisierung von besonderer Bedeutung, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Angemessenheit abzustellen ist. Gem § 32 UrhG Abs 2 UrhG kommt es ausdrücklich allein auf die redliche Branchenübung „zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses“ an. Die Feststellung, ob die vertraglich vereinbarte Vergütung angemessen ist, erfolgt also anhand einer objektiven Betrachtung ex ante,502 so dass Umstände, die nach Vertragsschluss entstehen, unbeachtlich sind. Der Vertragspartner des Urhebers verhält sich deshalb stets redlich, wenn er dem Urheber das zugesteht, was unter den bei Vertragsschluss in der jeweiligen Branche maßgeblichen Verhältnissen als angemessen gilt. Dies ist auch die einzig sachgerechte Lösung, denn die Vertragspartner müssen sich da496 497 498 499
Jani 151 f. OLG München GRUR-RR 2007, 385. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 34. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 38; Dreier/Schulze/Schulze § 32 UrhG Rn 56.
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BGH ZUM 2002, 218, 220 – Scanner. BT-Drucks 14/6433, 14; Jani 313. Schricker/Schricker § 32 UrhG Rn 27; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 11.
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rauf verlassen können, dass die Grundlage der vertraglichen Vereinbarung nicht durch nachträgliche Veränderungen der Umstände in Frage gestellt wird. Würde man auf den bei Vertragsschluss nicht in jedem Fall bestimmbaren Zeitpunkt der Nutzung abstellen, wäre auch bei redlichem Verhalten beider Parteien keine verbindliche und abschließende Festlegung einer angemessenen Vergütung möglich, weil die Beurteilung des Honorars unter dem Vorbehalt einer ungewissen zukünftigen Entwicklung stünde. Ein (unerwarteter) späterer Erfolg des Werkes kann also nicht dazu führen, dass eine bei Vertragsschluss übliche und redliche Vergütung nachträglich unangemessen wird. Eine spätere Korrektur der ursprünglich vereinbarten Vergütung aufgrund nachträglicher Veränderungen der Rahmenbedingungen bleibt auf die Fälle beschränkt, in denen im Ausnahmefall die Voraussetzungen für einen „Fairnessausgleich“ gem § 32a UrhG erfüllt sind.503 f) Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Vor- 231 aussetzungen des Anspruchs auf Vertragsänderung trifft nach den allgemeinen prozessualen Grundsätzen den Urheber. Allerdings hat der Urheber, soweit dies zur Realisierung seiner gesetzlichen Korrektur- bzw Vergütungsansprüche erforderlich ist, einen Anspruch auf Erteilung der zur Geltendmachung der angemessenen Vergütung erforderlichen Auskünfte. Ein solcher Anspruch (zB auf Rechnungslegung bei Stückzahllizenzen) folgt als Nebenpflicht aus dem Nutzungsvertrag.504 6. Die Konkretisierung der Angemessenheit durch gemeinsame Vergütungsregeln a) Das Institut der gemeinsamen Vergütungsregeln. Mit der Novelle des Urheberver- 232 tragsrechts hat der Gesetzgeber als Ergänzung des Anspruchs auf angemessene Vergütung die Möglichkeit zum Abschluss von gemeinsamen Vergütungsregeln geschaffen (§ 36 UrhG). Diese Regelung ist eine gesetzliche Ausnahme zum Kartellverbot des § 1 GWB, dem freie Urheber und ausübende Künstler an sich unterfallen.505 Die Voraussetzungen und das Verfahren für den Abschluss gemeinsamer Vergütungsregeln sind in § 36 Abs 2 bis 4 und § 36a UrhG geregelt. Mit den gemeinsamen Vergütungsregeln wird die Konkretisierung dessen, was angemessen ist, auf die Beteiligten verlagert. Vereinigungen von Urhebern und Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern können die Angemessenheit der in einem bestimmten Bereich (Übersetzerhonorare usw) zu zahlenden Vergütungen nach § 32 UrhG einvernehmlich und losgelöst von den einzelnen Nutzungsverträgen definieren. b) Vermutungswirkung der gemeinsamen Vergütungsregeln. Gem § 32 Abs 2 S 1 233 UrhG ist die vertraglich vereinbarte Vergütung stets angemessen, wenn sie anhand gemeinsamer Vergütungsregeln iSv § 36 UrhG ermittelt wird. Eine weitere Prüfung der Angemessenheit ist unter diesen Umständen weder erforderlich noch möglich, denn diese gesetzliche Vermutung der Angemessenheit ist unwiderleglich.506 Eine Korrektur der vertraglichen Vergütung gem § 32 Abs 1 S 3 UrhG ist dementsprechend ausgeschlossen, soweit sie auf einer gemeinsamen Vergütungsregel beruht. c) Rechtspolitische Zielsetzung. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen die 234 gemeinsamen Vergütungsregeln den Begriff der Angemessenheit inhaltlich ausfüllen und die jeweilige Branchenpraxis prägen.507 § 36 UrhG liegt die Erwartung zugrunde, dass es 503 504 505
S Rn 235 ff. BGHZ 125, 322, 329 – Cartier-Armreif. BT-Drucks 14/6433, 12; Dreier/Schulze/ Schulze § 36 UrhG Rn 3; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 36 UrhG Rn 3.
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Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 36 UrhG Rn 17; Schricker/Schricker § 32 UrhG Rn 28; aA wohl Dreier/Schulze/Schulze § 36 UrhG Rn 8. BT-Drucks 14/6433, 12.
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den urheberrechtlichen Vertragspartnern über ihre Verbände nicht nur vereinzelt gelingt, die Angemessenheit gem § 32 UrhG durch für beide Seiten befriedigende Vergütungsmodelle auszufüllen, sondern dass gemeinsame Vergütungsregeln flächendeckend entstehen werden und eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit nach § 32 Abs 2 S 3 UrhG in der überwiegenden Zahl der Fälle deshalb gar nicht erforderlich sein wird. Die ersten praktischen Erfahrungen mit dem Rechtsinstitut der gemeinsamen Vergütungsregeln, das der Gesetzgeber selbst als „juristisches Neuland“ bezeichnet hat, müssen indes als enttäuschend bezeichnet werden. Bis heute sind gemeinsame Vergütungsregeln, soweit ersichtlich, nach langwierigen Verhandlungen nur für Belletristik-Autoren (2005) und für literarische Übersetzungen (2008) zustande gekommen.508 Die hochgesteckten Erwartungen an das Urhebervertragsrecht haben sich insofern bislang nicht erfüllt und es ist zweifelhaft, ob die gemeinsamen Vergütungsregeln jemals die Bedeutung erlangen, die der Gesetzgeber ihnen zugedacht hat. Da die Vergütungssituation der Übersetzer ein zentrales Argument für die Reform des Urhebervertragsrechts 2002 gewesen ist,509 hat die Vergütungsregel für literarische Übersetzungen für das neue Urhebervertragsrecht allerdings eine gewisse Symbolik. 7. Der Beteiligungsgrundsatz beim Bestseller
235
a) Der Anspruch auf „Fairnessausgleich“. Weil der Vergütungsanspruch des § 32 Abs 1 UrhG nicht auf die tatsächliche Werknutzung abstellt, hat der Gesetzgeber in einem neuen § 32a UrhG den Gedanken des alten „Bestsellerparagrafen“ (§ 36 UrhG aF) aufgegriffen und ergänzend einen Anspruch auf „Fairnessausgleich“ geschaffen, durch den unter bestimmten Voraussetzungen auch eine nachträgliche Vergütungskorrektur möglich ist: Hat der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen aus der Werknutzung steht, hat der Urheber gegen seinen Vertragspartner einen Anspruch auf eine Änderung des Vertrages, durch die ihm „eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung“ gewährt wird (§ 32a Abs 1 UrhG). Auf diesen Anspruch kann der Urheber im Voraus gem § 32a Abs 3 S 1 UrhG nicht verzichten. Der Gesetzgeber hatte bei Schaffung dieses Anspruchs vor allem Nutzungsverträge vor Augen, in denen der Urheber pauschal vergütet wird; sofern die ursprüngliche Vergütung dem Beteiligungsprinzip folgt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass ohnehin eine erfolgs- und ertragsabhängige (Nach-)Vergütung vertraglich vereinbart wird.510
236
b) Vorteile und Erträge aus der Werkverwertung als Anknüpfungspunkt. Anknüpfungspunkt des Anspruchs aus § 32a UrhG ist im Gegensatz zu dem Anspruch aus § 32 UrhG die tatsächliche Nutzung des Werkes bzw deren Erfolg. In Ergänzung zu der Betrachtung ex ante, wie sie im Rahmen der Vergütungskontrolle nach § 32 UrhG maßgeblich ist, eröffnet § 32a UrhG auf diese Weise die Möglichkeit zu einer Vergütungskontrolle ex post. Der Anspruch aus § 32a UrhG kann damit auch dann entstehen, wenn die ursprünglich vereinbarte Vergütung bei Vertragsschluss iSv § 32 UrhG angemessen war. Im Gegensatz zu dem alten § 36 UrhG, der nur von „Erträgnissen“ sprach, sind im Rahmen von § 32a UrhG nun ausdrücklich sämtliche geldwerten „Vorteile aus der Nutzung des Werkes“ zu berücksichtigen, und damit ausdrücklich auch solche Vorteile, die nicht 508
Abrufbar unter www.bmj.bund.de/ verguetungsregeln bzw www.boersenverein.de; die gemeinsamen Vergütungsregeln für Übersetzer treten erst
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in Kraft, wenn die Mitgliederversammlung der Übersetzer ihnen zugestimmt hat. BT-Drucks 14/8058, 43. BT-Drucks 14/8058, 45.
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unmittelbar auf Umsatzgeschäfte mit der Nutzung zielen (zB Werbung oder die Werknutzung im eigenen Betrieb).511 c) Korrekturanspruch bei auffälligem Missverhältnis. Das den Anspruch auslösende 237 Missverhältnis zwischen der ursprünglichen Vergütung des Urhebers und den aus der Nutzung gezogenen Vorteilen muss auffällig sein. Die Anspruchsvoraussetzungen sind damit gegenüber dem früheren „Bestsellerparagrafen“ (§ 36 UrhG aF), bei dem ein grobes Missverhältnis erforderlich war, reduziert worden. Ein auffälliges Missverhältnis soll nunmehr jedenfalls dann vorliegen, wenn die vereinbarte Vergütung um 100 % von der angemessenen Beteiligung abweicht; unter Umständen sollen aber auch bereits geringere Abweichungen ausreichen können.512 Es kommt im Gegensatz zu § 36 UrhG (aF) nicht darauf an, ob das Missverhältnis vorhersehbar war.513 In dogmatischer Hinsicht bedeutet dies, dass § 32a UrhG im Gegensatz zum alten § 36 UrhG nicht als eine spezialgesetzliche Ausprägung des Grundsatzes vom Wegfall der Geschäftsgrundlage anzusehen ist, sondern einen echten gesetzlichen Ergänzungsanspruch darstellt. Da § 32a Abs 1 UrhG in seinem Kern dem alten „Bestsellerparagrafen“ gleichwohl entspricht, kann auf die vorhandene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Dazu gehört auch die Einschränkung, dass § 32a UrhG bei untergeordneten Beiträgen, die für den wirtschaftlichen Erfolg des Rechteinhabers keine maßgebliche Rolle spielen zurückhaltend anzuwenden sein wird;514 dies gilt vor allem bei der Vergütung ausübender Künstler. Gerade dort, wo an der Werkherstellung eine Vielzahl von Personen beteiligt ist, wie zB bei Filmwerken, wird es für marginale Beiträge auch im Erfolgsfall keiner weiteren Beteiligungsvergütung mehr bedürfen. Als Ergänzung zu § 32a UrhG hat der Urheber gem § 242 BGB gegen seinen Vertragspartner einen Auskunftsanspruch, wenn aufgrund einer Vielzahl von Nutzungen über Jahre hinweg eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine vor Jahren getroffene Pauschalhonorarvereinbarung über die Werknutzung im auffälligem Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung stehen.515 d) Anspruch gegen Dritte in der Lizenzkette. Hat der Vertragspartner des Urhebers 238 das ihm eingeräumte Nutzungsrecht einem Dritten übertragen oder diesem einzelne Nutzungsrechte eingeräumt und ergibt sich das auffällige Missverhältnis aus den Erträgen oder Vorteilen, die dieser Dritte aus der Werknutzung zieht, so richtet sich der Anspruch des Urhebers aus § 32a Abs 1 UrhG gem § 32a Abs 2 UrhG nicht gegen seinen Vertragspartner, sondern der tatsächliche Werknutzer haftet dem Urheber unmittelbar. Da der Urheber mit diesem Werknutzer keine Vertragsbeziehung unterhält, kann der Anspruch des Urhebers hier nicht wie bei § 32a Abs 1 UrhG auf eine Vertragsergänzung gerichtet sein. Stattdessen ist der Dritte dem Urheber gegenüber aufgrund einer gesetzlich angeordneten Haftungsverlagerung unmittelbar zur Leistung verpflichtet. In dem Maße, wie sich der Anspruch gegen den dritten Werknutzer richtet, wird der Vertragspartner des Urhebers gem § 32a Abs 2 S 2 UrhG von seiner Haftung befreit. Zu berücksichtigen sind bei diesem Durchgriffsanspruch gem § 32a Abs 2 S 1 UrhG „die gesamten Beziehungen in der Lizenzkette“. Was darunter zu verstehen ist, wird in der Begründung des Gesetzes 511
512 513
Dreier/Schulze/Schulze § 32a UrhG Rn 29; Schricker/Schricker § 32a UrhG Rn 17; BT-Drucks 14/8058, 46. BT-Drucks 14/8058, 45. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32a UrhG Rn 15; Schricker/Schricker § 32a UrhG Rn 22; BT-Drucks 14/8058, 46; OLG München GRUR-RR 2008, 37, 38 – Pumuckel II.
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OLG Naumburg NJW-RR 2006, 488 – Firmenlogo. OLG München GRUR-RR 2008, 37, 40 – Pumuckel II; LG München GRUR-RR 2007, 187 – Pumuckel – Illustrationen; zum Auskunftsanspruch nach § 36 UrhG (aF); BGH GRUR 2002, 602, 603.
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2. Teil
allerdings nicht erläutert. Insbesondere ist unklar, ob diese Berücksichtigung im Rahmen der Berechnung des auffälligen Missverhältnisses, also auf Tatbestandsebene, oder auf der Rechtsfolgenseite für die Ermittlung der nach den Umständen angemessenen weiteren Beteiligung erfolgen soll.
VI. Keine Vorausabtretung gesetzlicher Vergütungsansprüche 239
Im Jahr 2002 hat der Gesetzgeber einen neuen § 63a UrhG geschaffen, der ein grundsätzliches Verzichts- und Abtretungsverbot für gesetzliche Vergütungsansprüche statuiert. In der bisherigen Vertragspraxis war es durchaus üblich, dass die Urheber auch gesetzliche Vergütungsansprüche an ihren Vertragspartner abtreten. Mit § 63a UrhG soll dafür gesorgt werden, dass die Ansprüche dem Urheber erhalten bleiben und in der Praxis nicht leer laufen. Die von § 63a UrhG umfassten Ansprüche können im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft oder zusammen mit der Einräumung des Verlagsrechts dem Verleger abgetreten werden, wenn dieser sie durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lässt, die Rechte von Verlegern und Urhebern gemeinsam wahrnimmt. Die Erweiterung der Abtretbarkeit auf Verlagsverträge ist mit dem „Zweiten Korb“ nachträglich erfolgt. Da Verleger im Gegensatz zu anderen Verwertern kein eigenes Leistungsschutzrecht haben, hatte § 63a UrhG in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt, weil den Verlegern die mittelbare Beteiligung an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen abgeschnitten wurde. Die Ergänzung soll gewährleisten, dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG WORT angemessen zu beteiligen sind. Die Beschränkung auf eine Sonderregelung für Verleger rechtfertigt sich daraus, dass eine Regelung für diejenigen Verwerter, denen Leistungsschutzrechte zustehen, nicht erforderlich ist. Sie können nämlich den Verwertungsgesellschaften eigene Rechte zur Wahrnehmung übertragen.516 § 63a UrhG gilt nur für Verträge, die nach Inkrafttreten dieser Vorschrift geschlossen 240 worden sind (§ 132 Abs 3 UrhG). Das Verbot aus § 63a UrhG gilt auch für Anwartschaften auf zukünftige Ansprüche, die auf der Vorausabtretung künftiger Ansprüche beruhen. Die Anwartschaften erstarken zwar erst in Zukunft zum Vollrecht, allerdings automatisch und ohne weiteres Rechtsgeschäft. Für eine (nachträgliche) Anwendung des § 63a UrhG ist deshalb kein Raum.517
VII. AGB-rechtliche Kontrolle von Nutzungsverträgen 241
Die umfassende und den Vertragszweck überschreitende Einräumung von Nutzungsrechten kann den Urheber unangemessen benachteiligen und dadurch gem § 307 Abs 1 und 2 BGB unwirksam sein.518 Auch der BGH wird sich der nach herrschender Meinung bereits früher möglichen Inhaltskontrolle von Rechtseinräumungsklauseln jetzt nicht mehr verschließen können. Der BGH hatte eine Inhaltskontrolle mit der Begründung abgelehnt, eine derartige Inhaltskontrolle sei so lange nicht möglich, wie der Gesetzgeber im Urhebervertragsrecht untätig bleibt; bis dahin gelte im Urheberrecht eine nahezu unbeschränkte Vertragsfreiheit.519 Diese Auffassung ist mit dem „Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ gegenstandslos, weil der Gesetzgeber die vom BGH geforderte Regelung des Urhebervertragsrechts da516 517
BT-Drucks 16/1828, 32. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 30.
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Jani 240. BGH GRUR 1984, 45, 48 – Honorarbedingungen: Sendevertrag.
§ 16
Urhebervertragsrecht
mit – wenn auch mit fraglichem Erfolg – vorgenommen hat. Dass auch urheberrechtliche Nutzungsverträge einer AGB-Kontrolle zugänglich sind, folgt nunmehr auch unmittelbar aus § 11 S 2 UrhG, wonach das Urheberrecht zugleich „der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes“ dient.520 Diese Bestimmung erhebt das Postulat der angemessenen Vergütung zu einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz und ermöglicht auch nach Auffassung des Gesetzgebers 521 die Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes auch im Rahmen der AGB-Kontrolle nach diesem Normzweck auszulegen. Die unwirksamen Klauseln werden gem § 306 Abs 2 BGB durch das dispositive Gesetzesrecht ersetzt. Nur im Ausnahmefall führt die Unwirksamkeit einzelner Klauseln nach § 306 Abs 3 BGB zur Gesamtunwirksamkeit des Vertrages, der Vertrag bleibt also im Übrigen grds wirksam.522 Das für einen Ersatz der unwirksamen Klauseln geeignete dispositive Recht umfasst das Gesetzesrecht im eigentlichen Sinne sowie das Richterrecht, das sich in derartigen Fällen gebildet hat. Ferner besteht die Möglichkeit zur richterlichen Vertragsergänzung, falls kein dispositives Recht zur Verfügung steht. Soweit die Unwirksamkeit nach § 306 BGB die Rechtseinräumung betrifft, richtet sich der Umfang der vertragsgegenständlichen Nutzungsrechte nach dem Vertragszweck oder aber nach der einschlägigen speziellen Vermutungsregel (zB nach § 88 UrhG). Soweit die Transparenz der Vergütungsklausel betroffen ist, steht kein ergänzendes Gesetzesrecht zur Verfügung. Hier müssen die Vertragsparteien selbst die notwendige Korrektur herbeiführen, indem sie eine neue Vergütungsklausel schaffen, die dem urheberrechtlichen Transparenzgebot gerecht wird.523
VIII. Buy-out-Verträge 1. Begriff des Buy-Out-Vertrages Der Buy-out-Vertrag ist ein urheberrechtliches Vertragsmodell, bei dem der Urheber 242 seinem Vertragspartner die Nutzungsrechte an seinem Werk als ausschließliche Rechte sowie räumlich und inhaltlich unbeschränkt für die Dauer der gesetzlichen Schutzfrist einräumt. Als Gegenleistung erhält der Urheber ein von der späteren tatsächlichen Werknutzung und deren Erfolg unabhängiges einmaliges Pauschalhonorar.524 Durch den BuyOuts erlangt der Vertragspartner des Urhebers eine umfassende und dauerhafte Verfügungsmacht über das Werk. Der Buy-out-Vertrag ist typischerweise eine Vertrag mit freiberuflich tätigen Kreativen. Die Anwendung des Buy-out-Vertrages ist nicht auf einen bestimmten urheberrechtlichen Werk- oder Auswertungsbereich beschränkt; grds können sämtliche urheberrechtlichen Vertragsverhältnisse als Buy-Out ausgestaltet werden. Seine praktische Bedeutung hat das Buy-out aber vor allem im Bereich der Film und Fernsehproduktion sowie im Journalismus. 2. Urheberrechtliche Beurteilung des Buy-out-Vertrages Der Buy-out-Vertrag ist zulässiger Ausdruck der urhebervertragsrechtlichen Gestal- 243 tungsfreiheit. Da die Anforderungen, die nach Maßgabe des allgemeinen urheberrechtlichen Beteiligungsgrundsatzes und gem § 32 UrhG an die Vergütung zu stellen sind, generell auch durch die einmalige Pauschalvergütung erfüllt werden können, ist nicht 520 521
Wandtke/Bullinger/Bullinger § 11 UrhG Rn 4. BT-Drucks 14/8058, 40 f.
522 523 524
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Palandt/Heinrichs § 306 BGB Rn 10. Jani 274. Ausf zu diesem Vertragsmodell Jani 39.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
ausgeschlossen, dass auch ein Buy-out-Vertrag für beide Vertragsparteien zu dauerhaft angemessenen Bedingungen führt. Bzgl der künftigen Werknutzung und des Erfolges dieser Nutzung haftet diesem Vertragsmodell jedoch eine besondere Prognoseunsicherheit an; dadurch ist die Gefahr einer nachträglich eintretenden Unangemessenheit der Vergütung größer als bei anderen Vergütungsmodellen mit begrenztem Umfang der vertragsgegenständlichen Nutzungsrechte oder einer fortlaufenden Beteiligungsvergütung.
IX. Vertraglicher Schutz vor fehlerhafter Rechtseinräumung 1. Vereinbarung einer Rechtegarantie
244
Da ein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten ausgeschlossen ist,525 kann derjenige, der sich Nutzungsrechte vertraglich einräumen lässt, nicht darauf vertrauen, dass der Vertragspartner über die Rechte tatsächlich verfügen darf. Ist der Vertragspartner nicht in der Lage, Nutzungsrechte in dem vertraglich vereinbarten Umfang wirksam einzuräumen, etwa weil er sie bereits einem Dritten eingeräumt hat oder niemals Inhaber der Rechte war, so schlägt der Rechtserwerb fehl. In diesem Fall hat der Vertragspartner Ersatzansprüche nach den allgemeinen Vorschriften des BGB, insb über den Rechtskauf (§ 453 BGB) und die Abtretung (§§ 398 ff BGB).526 Es empfiehlt sich aber, auf diese Haftung sowie die Pflicht des Urhebers, den Bestand der Rechte und ihre Verfügbarkeit zu gewährleisten, im Vertrag ausdrücklich hinzuweisen. Zur Absicherung sollte ein Vertrag stets eine ausdrückliche Rechtegarantie enthalten, in welcher der Vertragspartner versichert, dass er berechtigt ist, über die urheberrechtlichen Befugnisse an dem vertragsgegenständlichen Werk alleine und in dem vertraglich vorausgesetzten Umfang zu verfügen, dass er bislang keine der Rechtseinräumung nach diesem Vertrag entgegenstehenden Verfügungen getroffen hat und dass das Werk frei von Rechten Dritter ist (Nutzungsrecht an dem Werk zugrunde liegenden Vorlagen, Persönlichkeitsrechte etc). Dritte können auch Miturheber sein. Für den Fall, dass einzelne Rechte dennoch nicht übertragen worden sind, oder Dritte Ansprüche geltend machen, hat der Erwerber aus allgemeinem Zivilrecht in der Regel einen Schadensersatzanspruch nach §§ 311a Abs 2, 437 Nr 3, 435 BGB.527 Er kann außerdem vom Vertrag wegen Nichterfüllung zurücktreten §§ 323, 326 Abs 5, 437 Nr 2, 435 BGB. 2. Vertraglicher Schutz vor einer Inanspruchnahme durch Dritte
245
In Ergänzung zur Garantie über den Bestand und die Verfügbarkeit der vertragsgegenständlichen Rechte empfiehlt sich aus Sicht des Verwerters eine Freistellungsklausel. Soweit die Verwertung des Werkes entgegen der Zusicherung doch Rechte Dritter verletzt (wegen entgegenstehender vorrangiger Nutzungsrechte usw) und der Verwerter dadurch von diesen Dritten auf Unterlassung, Schadensersatz oder auf sonstige Weise in Anspruch genommen wird, stellt der Vertragspartner den Verwerter von diesen Ansprüchen in vollem Umfang frei bzw wird ihm den durch die Inanspruchnahme entstehenden Schaden ersetzen. Die Freistellungsklausel sollte Folgeschäden, die dem Verwerter durch die mangelnde Verwertbarkeit des Werkes entstehen, einschließen.
525 526
S Rn 201. Rehbinder Rn 604; Loewenheim/SchwarzReber § 74 Rn 12.
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527
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Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 48; Schricker/ Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 63.
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Alternative Lizenzmodelle
X. Werkvertragsrechtliche Vertragsbestandteile Unabhängig von der Rechtseinräumung als Voraussetzung für die rechtmäßige Ver- 246 wertung des Werkes sind die vertraglichen Vereinbarungen über die Herstellung des Werkes zu beurteilen. Insoweit sind die allgemeinen werkvertragsrechtlichen Bestimmungen des (§§ 631 ff BGB) maßgeblich. Soll der Urheber also zunächst mit der Schaffung des Werkes beauftragt werden, muss zusätzlich zu dem urheberrechtlichen Nutzungsvertrag auch ein Werkvertrag geschlossen werden, in dem das herzustellende Werk näher bestimmt wird und die Modalitäten der Herstellung (Termin der Ablieferung etc) geregelt sind. In der Regel wird der Werkvertrag mit dem Nutzungsvertrag kombiniert und als ein einheitlicher Vertrag abgeschlossen. Der Werkauftrag sollte möglichst genau definiert werden; aus dem Vertrag sollten 247 sich die wesentlichen Merkmale des Werkes ohne weiteres ergeben. Der Vertrag sollte außerdem eine klare Vereinbarung über Fristen für die Ablieferung des Werkes in seiner endgültigen Fassung bzw der einzelnen Vorstudien sowie über die Abnahme und die Pflicht des Auftragnehmers zur Nachbesserung enthalten. Soweit der Auftraggeber ein besonderes Interesse daran hat, dass der Vertragspartner das Werk selbst herstellt (zB wegen besonderer künstlerischer Fähigkeiten), kann es sinnvoll sein, im Vertrag ausdrücklich zu regeln, dass der Vertragspartner seine Leistung persönlich erbringen muss und Hilfskräfte nur mit Genehmigung des Auftraggebers hinzuziehen darf. Weil urheberrechtliche Vereinbarungen nicht automatisch auch Wirkung hinsichtlich des Sacheigentums an einem Werkstück entfalten, sollte ein Werkvertrag über die Herstellung urheberrechtlich geschützter Werke zusätzlich stets auch eine ausdrückliche Regelung über die sachenrechtliche Eigentumsverschaffung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten. Mit einer solchen Klausel wird klargestellt, dass der Urheber als Auftragnehmer dem Auftraggeber das Eigentum an dem Werk überträgt. Diese Vereinbarung sollte im Interesse des Auftraggebers die Übertragung des Eigentums an allen Gegenständen einschließen, die der Urheber im Zusammenhang mit dem Auftrag in allen Stadien des Schöpfungsprozesses herstellt (zB Zeichnungen, Pläne, Skizzen, Plastiken, Bilder, Figuren, Modelle, Fotografien, schriftliche Aufzeichnungen jeder Art, etc).
§ 17 Alternative Lizenzmodelle I. Open Source, Copyleft, Creative Commons & Co. Inzwischen gibt es immer mehr Werke, die vor allem über das Internet als „User 248 Generated Content“ 528 erstellt und fortentwickelt werden und bei denen eine Zuordnung des kreativen Ergebnisses zu einem bestimmten Urheber nicht mehr im Vordergrund steht oder überhaupt nicht mehr möglich ist. Zunächst betraf dies vor allem die Entwicklung von Computerprogrammen als sog Open-Source-Software, ein weiteres Beispiel ist die Onlineenzyklopädie Wikipedia. Diese neuartigen Konzepte der Werknutzung und Werkbearbeitung sind mit den klassischen Urheberrechtsverträgen nicht zu realisieren. Es haben sich deshalb neuartige Lizenzmodelle herausgebildet, die berücksichtigen, dass die Urheber kein finanzielles Interesse verfolgen oder sogar gänzlich auf eine Anerkennung ihrer Urheberschaft verzichten. 528
S Rn 21.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
249
Der Urheber kann auf sein Urheberrecht nicht verzichten. Aber er kann ein einfaches unentgeltliches Nutzungsrecht an jedermann einräumen (§§ 32 Abs 3 S 2 UrhG, 32a Abs 3 S 3, 32c Abs 3 S 2 UrhG). Mit dieser sog „Linux-Klausel“ hat der Gesetzgeber dem wachsenden Bedürfnis nach Lizenzmodellen Rechnung getragen, die nicht auf dem Gedanken eines Monopolrechts beruhen, sondern von dem Ansatz einer kollektiven Schaffung und Weiterentwicklung des Werks geprägt sind.529 Verfahren, durch die eine unbeschränkte Verbreitung von Kopien und Bearbeitungen eines Werkes ermöglicht werden, werden auch als „Copyleft“ bezeichnet. Alle Ansätze stimmen darin überein, dass derjenige, der von den Rechten Gebrauch macht, nachfolgenden Nutzern seiner Werkfassung dieselben umfassenden Rechte gewähren muss. Damit wird sichergestellt, dass die freien Werke frei bleiben und nicht durch spätere Nutzer monopolisiert werden. Eine weit verbreitet Form dieser Lizenz nach dem Copyleft-Prinzip ist die GNU General Public License (GPL).530 Sie ist eine besondere Form der Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte und gestattet jedermann, der die Bedingungen akzeptiert, die Vervielfältigung, Verbreitung und Veränderung des Werkes, wenn die Weitergabe ebenfalls wieder unter den Bedingungen dieser Lizenz erfolgt, insbesondere auf die GPL hingewiesen, der Lizenztext der GPL beigefügt, der Quellcode offen gelegt und auf einen Gewährleistungsausschluss hingewiesen wird.531 Um die Einhaltung dieser Lizenzbedingungen in der gesamten Rechtekette zu gewährleisten, steht die Lizenz unter einer auflösenden Bedingung (§ 158 Abs 2 BGB). Verstößt der Nutzer bei der Bearbeitung der Software gegen Lizenzvoraussetzungen, verliert er die durch die GPL gewährten Nutzungs- und Bearbeitungsrechte automatisch.532 Die Lizenzbedingungen der GPL sind als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen, die einer Prüfung nach §§ 305 ff BGB unterfallen.533 Ein anderes Lizenzmodell ist das des „Creative Commons“ (CC).534 Diese Lizenz wurde 2001 an der Stanford Universität entwickelt; sie steht für alle Werkarten zur Verfügung und ermöglicht dem Rechteinhaber eine abgestufte Rechtevergabe, zB die Beschränkung auf bloße Vervielfältigung, das Verbot der Bearbeitung, das Verbot der kommerziellen Nutzung usw, und die einzelnen Bedingungen können auch beliebig kombiniert werden. Auch die CC-Lizenzen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die Verbreitung von GPL- und CC-Lizenzen nimmt zu. Für bestimmte Nutzungen, 250 bei denen eine unmittelbare kommerzielle Verwertung nicht im Vordergrund steht, haben diese Lizenzen inzwischen auch etablierte Verwerter für sich entdeckt.535 Trotz der „Linux-Klausel“ ist das deutsche Urheberrecht auf diese neuen Formen der Rechtseinräumung gleichwohl nicht wirklich vorbereitet. Viele Fragen sind in diesem Bereich noch ungelöst. Das gilt insbesondere auch für die rechtlichen Beziehungen der an der Entwicklung der Werke beteiligten Urheber untereinander sowie die kollisionsrechtliche Einordnung im Hinblick auf die Beschränkung des deutschen Urheberrechtsschutzes auf den Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes.536 Die CC-Lizenzen sind so flexibel, dass sie an die jeweilige nationale Urheberrechtsordnung angepasst werden können. Die Recht-
529 530
531 532
BT-Drucks 14/6433, 15; eingehend Jaeger/Metzger passim. www.gnu.org/copyleft/fdl.html (Stand 16.11.2007); ausf Maly 186 ff; Jaeger/Metzger passim. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69c UrhG Rn 73. Rehbinder Rn 558; Dreier/Schulze/Dreier § 69a UrhG Rn 11.
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533 534 535
536
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LG Frankfurt aM ZUM-RD 2006, 525. www.creativecommons.org. ZB bietet der Norddeutsche Rundfunk seit kurzem Archivsendungen zum Download unter der CC-Lizenz auf seiner Webseite an (www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/ 0,,SPM16588,00.html). Spindler OpenSource 126 f und 133 f.
§ 17
Alternative Lizenzmodelle
sprechung hatte bislang nur wenig Gelegenheit, CC- und ähnliche Lizenzen nach deutschen Urheber- und AGB-Recht zu beurteilen.537
II. Open Access Eine besondere Form der Einräumung unentgeltlicher Nutzungsrechte für wissen- 251 schaftliche Veröffentlichungen ist das sog Open Access-Modell. Die Grundlagen für die Publikation im Rahmen von Open Access sind festgehalten in der „Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities“ vom Oktober 2003,538 Open Access Veröffentlichungen werden mit Einverständnis des Urhebers im Internet dauerhaft und kostenfrei öffentlich zugänglich gemacht.539 Mit dieser Form der Publikation soll nicht nur der weltweite digitale Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten gefördert werden. Sie ist vor allem auch der Versuch der Wissenschaftsorganisationen, sich von den großen Wissenschaftsverlagen unabhängig zu machen. Ob es tatsächlich gelingt, die etablierten internationalen Zeitschriften durch überzeugende Open Access Angebote zumindest teilweise zu ersetzen, bleibt abzuwarten, Auch die Befürworter von Open Access räumen ein, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Sollten Open Access Plattformen großer Wissenschaftsorganisationen, wie der Max-Planck-Gesellschaft, sich auch international als Alternative zu den klassischen Publikationsformen durchsetzen, wäre dies durchaus geeignet, Wettbewerb auf dem Markt für wissenschaftliche Publikationen zu fördern. Die Publikation in Open Access Angeboten ist für viele Wissenschaftler heute noch 252 unattraktiv, weil diese Foren nicht über die notwendige Reputation verfügen. Die Frage nach der Beseitigung dieses strukturellen Nachteils gleicht dem Dilemma von Henne und Ei. Nur wenn renommierte Wissenschaftler hochrangige Beiträge liefern, kann sich Open Access etablieren. Die Bereitschaft, Open Access gegenüber anerkannten Zeitschriften den Vorzug zugeben, wird andererseits entscheidend davon abhängen, dass Open Access für den Autor und seine wissenschaftlichen Ziele eine gleichwertige Alternative bietet. Als Ausweg aus dieser Situation wird vonseiten der Wissenschaftsvertreter zunächst eine Erleichterung der Zweitverwertung per Open Access gefordert, um den Anbietern so den Aufbau eines attraktiven Basisangebots zu ermöglichen. Zu diesem Zweck soll durch eine entsprechende Ergänzung des § 38 UrhG für die Autoren wissenschaftlicher Beiträge ein Zweitverwertungsrecht geschaffen werden. Insbesondere die Urheber von überwiegend im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden Werke sollen die Befugnis haben, das Werk nach Ablauf eines Jahres seit Veröffentlichung selbst oder mit Hilfe Dritter zu nicht kommerziellen Zwecken anderweitig zu verwerten. Und zwar auch dann, wenn der Verlag, der die Erstveröffentlichung besorgt hat, ein ausschließliches Nutzungsrecht erworben hat.540 Diese Regelung soll den wissenschaftlichen Autoren eine Publikation ihrer Werke in Open Access Plattformen erleichtern und das nach Meinung der Befürworter dieser Regelung ungleiche Kräfteverhältnis zwischen den Verlagen und den wissenschaftlichen Autoren korrigieren. Das Erstverwertungsrecht des Verlegers würde nach ihrer Meinung nicht ungebührlich beeinträchtigt, da der Inhalt der Veröffentlichung nur mit nicht der Erstveröffentlichung 537 538
Zur Rechtsprechung in anderen Ländern Mantz GRUR Int 2008, 20, 21 ff. Abrufbar unter oa.mpg.de/openaccessberlin/Berliner_Erklaerung_dt_ Version_07-2006.pdf (Stand 7.12.2007).
539 540
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Bargheer/Bellem/Schmidt 6. Statt aller Hilty 174, 191 f.
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Kapitel 1 Urheberrecht
2. Teil
entsprechender Paginierung erlaubt sein soll und damit in nicht zitierfähiger Form anderweitig zugänglich gemacht würde. Hintergrund des Vorschlags ist die vonseiten der Wissenschaft immer wieder vorgebrachte Kritik an der „Kommerzialisierung des Wissens“, das mit öffentlichen Mitteln erzeugt wurde. Aus urheberrechtlicher Sicht ist die Forderung nach einem unverzichtbaren Zweitverwertungsrecht aber nicht unproblematisch. Wenn die Verfasser von wissenschaftlichen Aufsätzen usw ihre Forschungsergebnisse aus freier Entscheidung in kommerziellen Zeitschriften publizieren, um vom Ruf dieser Publikationen zu profitieren, dann steht das im Widerspruch zur Kritik an eben jenem kommerziellen System, dessen man sich selbst ganz bewusst und freiwillig bedient. Ob die Forschungsergebnisse mit öffentlichen Mitteln zustande gekommen sind, kann an dieser Stelle keine Rolle spielen. Die Kritiker aus der Wissenschaft wollen von den Vorzügen des kommerziellen Systems profitieren und zugleich frei in der Verfügung über ihre Werke bleiben. Wenn deutsche Autoren internationalen Zeitschriften keine vollwertigen ausschließlichen Nutzungsrechte mehr einräumen können, würde das den Urhebern aber weit mehr schaden als nützen. Ein Vorschlag zur Ergänzung von § 38 UrhG, den der Bundesrat in der Diskussion um den „Zweien Korb“ gemacht hatte, ist von der Bundesregierung zurückhaltend bewertet und nicht weiterverfolgt worden.541 Gesetzgeber hat angekündigt, er werde sich mit dieser Frage eingehend im Rahmen des Dritten Korbes befassen.542
III. Die „Kulturflatrate“ als Lösung aller Probleme im Internet? 253
Viele sehen den Kampf gegen illegale Nutzungen geschützter Werke im Internet als eine Schlacht, die nicht zu gewinnen ist. Befürworter der sog „Kulturflatrate“ oder Content-Flatrate schlagen deshalb vor, gegen „Tauschbörsen“ und ihre Nutzer nicht mit den nach ihrer Meinung untauglichen Mitteln des Urheberrechts vorzugehen, sondern diese Nutzungen zu dulden und zu vergüten. Dieses Vergütungsmodell ist als „Licence globale“ anlässlich der Umsetzung der Multimedia-Richtlinie sehr intensiv in Frankreich diskutiert worden. Ihre Anhänger konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Die Debatte hält jedoch angesichts der unaufhaltsamen Verbreitung des Internets als Massenmedium an, und die Idee der Kulturflatrate gewinnt vor allem in Bezug auf die Nutzung von Musikwerken in „Tauschbörsen“ 543 auch in Deutschland weiter Anhänger.544 Die Kulturflatrate würde eine zusätzliche Schranke des Vervielfältigungsrechts (§ 16 254 UrhG) und des Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) schaffen und die unautorisierte Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke über das Internet legalisieren. Eine pauschale Abgeltung würde die Primärverwertung durch die Rechteinhaber massiv beeinträchtigen. Es ist deshalb zweifelhaft ob die Kulturflatrate überhaupt mit dem „Drei-Stufen-Test“ 545 zu vereinbaren wäre 546 und damit fraglich, ob sie eine Grundlage im europäischen Recht hat. Problematisch ist dabei nicht so sehr der Eingriff in das Vervielfältigungsrecht – insofern könnte man an die bestehenden Regeln zur Privatkopie anknüpfen. Filesharing stellt zugleich immer auch einen Eingriff in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung dar. Dieses Exklusivrecht in seinem wichtigsten Anwendungsbereich auf einen reinen Vergütungsanspruch zu reduzieren, würde die urheberrechtspolitischen Bemühungen der vergangenen Jahre auf einen Streich erheblich entwerten. 541 542 543
BT-Drucks 16/1828, 39, 47. BT-Drucks 16/5939, 4. Dazu Rn 141.
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544 545 546
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ZB www.privatkopie.net. S Rn 132 f. Runge GRUR Int 2007, 130, 136.
§ 17
Alternative Lizenzmodelle
Vorbild für die Kulturflatrate ist die klassische Urheberrechtsabgabe auf Vervielfälti- 255 gungsgeräte.547 Als Pauschalabgabe soll sie auf Breitband-Internetanschlüsse erhoben werden, um damit die Down- und Uploads geschützter Werke im Internet abzugelten. Die Abgabe basiert auf der These, dass eine Kontrolle der Nutzungen mit den Mitteln des Urheberrechts und mit vertretbarem Aufwand überhaupt nicht möglich ist. Der Kampf der Rechteinhaber gegen die illegalen Filesharing-Systeme sei nicht zu gewinnen. Filesharing sei ein gesellschaftliches Phänomen, das zu akzeptieren sei. Dieses Postulat der normativen Kraft des Faktischen ist bedenklich. Zwar unterliegt das Urheberrecht durchaus einem Wandel und ist an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anzupassen. Auch mag für einzelne Rechteinhaber die Kulturflatrate als „Spatz in der Hand“ kurzfristig attraktiver erscheinen als nicht durchsetzbare Exklusivrechte. Eine vollständige Legalisierung des Filesharing – für einzelne oder sämtliche Werkarten – würde jedoch zu einem völligen Paradigmenwechsel führen, der an den Wurzeln des Urheberrechts als Eigentumsrecht rührt. Das Ziel, mit dem Urheber Anreize für künstlerisches Schaffen und für Investitionen in deren wirtschaftliche Verwertung zu setzen, würde in Frage gestellt.
547
S Rn 170 ff.
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Kapitel 2 Filmrecht Literatur Baur Der Filmherstellerbegriff im Urheber-, Filmförderungs- und Steuerrecht UFITA 2004/III, 665; Becker Juristisches Neuland ZUM 2005, 303; ders Docufiction – ein riskantes Format ZUM 2008, 265; Berauer Filmstatistisches Jahrbuch 2006 Baden-Baden 2006; C Berger Verträge über unbekannte Nutzungsarten nach dem „Zweiten Korb“ GRUR 2005, 907; D Berger Zum Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG) und weitere Beteiligung (§ 32a UrhG) bei ArbeitnehmerUrhebern ZUM 2003, 173; ders Der Anspruch auf angemessene Vergütung gemäß § 32 UrhG: Konsequenzen für die Vertragsgestaltung ZUM 2003, 521; Beucher/von Frentz Kreditsicherung bei Filmproduktionen ZUM 2002, 511; Bohr Die urheberrechtliche Rolle des Drehbuchautors ZUM 1992, 121; ders Fragen der Abgrenzung und inhaltlichen Bestimmung der Filmurheberschaft UFITA 78 (1977), 95; Bortloff Internationale Lizenzierung von Internet-Simulcasts durch die Tonträgerindustrie GRUR Int 2003, 669; Brandi-Dohrn Der urheberrechtliche Optionsvertrag im Rahmen der Verträge über künftige Werke nach deutschem, österreichischem, schweizerischen und französischem Recht München 1967; Brauneck/Brauner Optionsverträge über künftige Werke im Filmbereich ZUM 2006, 513; Brauner Das Haftungsverhältnis mehrerer Lizenznehmer eines Filmwerkes innerhalb einer Lizenzkette bei Inanspruchnahme aus § 32a UrhG ZUM 2004, 96; Brehm Filmrecht, Handbuch für die Praxis Gerlingen 2001; Breloer Verfilmung, Verfilmungsrecht und Fernsehfilm Berlin 1973; Brox/Walker Allgemeines Schuldrecht 28. Aufl München 2002; Chakraborty Das Rechtsinstitut der freien Benutzung im Urheberrecht Baden-Baden 1997; Czernik Die Collage in der urheberrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Kunstfreiheit und Schutz des geistigen Eigentums Berlin, 2008; Delp Das Recht des geistigen Schaffens in der Informationsgesellschaft Medienrecht Urheberrecht Urhebervertragsrecht 2. Aufl München 2003; Eickmeier/Eickmeier Die rechtlichen Grenzen des Doku-Dramas. Zur Zulässigkeit der Verfilmung des Lebens- und Charakterbildes einer Person der Zeitgeschichte ZUM 1998, 1; Fischer/Reich Der Künstler und sein Recht 2. Aufl München 2007 (zit Fischer/Reich/Bearbeiter); Flechsig Formatschutz und Anforderungen an urheberrechtlich geschütztes Werkschaffen ZUM 2003, 767; Franz Die Übertragung von DVD-Rechten auf zweiter Stufe in Altverträgen ZUM 2006, 306; von Gamm Urheberrechtsgesetz, Kommentar München 1968; Fuchs Avantgarde und Erweiterter Kunstbegriff Eine Aktualisierung des Kunst- und Werkbegriffs im Verfassungs- und Urheberrecht Baden-Baden 2000; Götting Schöpfer vorbestehender Werke, ZUM 1999, 3; Grün Der Ausschluss der Unterlassungsklage und des vorläufigen Rechtsschutzes in urheberrechtlichen Verträgen ZUM 2004, 733; Habersack Die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR und der akzessorischen Gesellschafterhaftung durch den BGH BB 2001, 477; Haesner Zitate in Filmwerken GRUR 1986, 854; von Have/Eickmeier Der gesetzliche Rechtsschutz von Fernseh-Show-Formaten ZUM 1994, 269; Heeschen Urheberpersönlichkeitsrecht und Multimedia Berlin 2003; Heidmeier Das Urheberpersönlichkeitsrecht und der Film Frankfurt aM 1996; Hertin Urheberrecht München 2004; Hess Urheberrechtsprobleme der Parodie Baden-Baden 1993; Homann Praxis-Handbuch Filmrecht 2. Aufl Berlin 2004; Huber Zulässigkeit von Veränderungen am fertiggestellten Filmwerk im Hinblick auf das Urheberpersönlichkeitsrecht des Filmregisseurs Frankfurt aM 1993; Jacobshagen Filmrecht – Die Verträge Bergkirchen 2005; Jani Der Buy-Out-Vertrag im Urheberrecht Berlin 2003; Katzenberger Die urheberrechtliche Stellung der Filmarchitekten und Kostümbildner ZUM 1988, 545–555; Klages (Hrsg) Grundzüge des Filmrechts München 2004; Kreile/Höfinger Der Produzent als Urheber ZUM 2003, 719; Mainzer Rechtshandbuch der Neuen Medien Heidelberg 2003 (zit Bearbeiter in Mainzer Rechtshandbuch); Metzger Rechtsgeschäfte über das Droit moral im deutschen und französischen Urheberrecht München 2002; Moser Tonträger-
Ilja Czernik
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Kapitel 2 Filmrecht
2. Teil
rechte ZUM 1996, 1025; Nordemann Das neue Urhebervertragsrecht München 2002; ders Nutzungsrechte oder Vergütungsansprüche Zur Systematik moderner Urheberrechtsordnungen GRUR 1979, 280; Ory Durchsetzung einer „Gemeinsamen“ Vergütungsregel nach § 36 UrhG gegen den Willen einer Partei ZUM 2006, 914; Ott Der Filmproduzent ist kein Urheber ZUM 2003, 765; Paschke Urheberrechtliche Grundlagen der Filmauftragsproduktion ZUM 1984, 403; Pense Der urheberrechtliche Filmherstellerbegriff des § 94 UrhG ZUM 1999, 121; Peters Fernseh- und Filmproduktion Baden-Baden 2003; Platho „Colorization“ – und die Möglichkeiten ihrer Verhinderung durch die Mitwirkenden am Filmwerk GRUR 1987, 424; Poll Neue internetbasierte Nutzungsformen – Das Recht der Zugänglichmachung auf Abruf (§ 19a UrhG) und seine Abgrenzung zum Senderecht (§§ 20, 20b UrhG) GRUR 2007, 476; ders Anmerkung zu dem Urteil des KG Berlin vom 27.6.2003 – 5 U 96/03 ZUM 2003, 866; ders Urheberschaft und Verwertungsrechte am Filmwerk ZUM 1999, 29; Reber Die Redlichkeit der Vergütung (§ 32 UrhG) im Film- und Fernsehbereich GRUR 2003, 393; Reinhard/Distelkötter Die Haftung des Dritten bei Bestsellerwerken nach § 32a Abs 2 UrhG, ZUM 2003, 269–276; Reinhart Das Institut der freien Benutzung im Urheberrecht UFITA 103 (1986), 65; Reupert Der Film im Urheberrecht Neue Perspektiven nach hundert Jahren Film Baden-Baden 1995; Schmidt Der Vergütungsanspruch des Urhebers nach der Reform des Urhebervertragsrechts ZUM 2002, 781; Schricker (Hrsg) Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft Baden-Baden 1997 (zit Schricker Informationsgesellschaft); Spindler Europäisches Urheberrecht in der Informationsgesellschaft GRUR 2002, 105; Straßer Die Abgrenzung der Laufbilder vom Filmwerk Baden-Baden 1995; Schulz Das Zitat in Film- und Multimediawerken ZUM 1998, 221; Schulze Vergütungssysteme und Schrankenregelungen GRUR 2005, 828; ders Zur Beschränkung des Filmherstellungsrechts bei Musikwerken GRUR 2001, 1084; ders Urheber- und leistungsschutzrechtliche Fragen virtueller Figuren ZUM 1997, 77; Schwarz Der Options- und Verfilmungsvertrag, in: Becker/Schwarz (Hrsg) Aktuelle Rechtsprobleme der Filmproduktion und Filmlizenz Baden-Baden 1999, 201; ders Schutzmöglichkeiten audiovisueller Werke von der Idee bis zum fertigen Filmwerk – aus der Sicht anwaltlicher Beratung ZUM 1990, 317; Schwarz/Klingner Rechtsfolgen der Beendigung von Filmlizenzverträgen GRUR 1998, 103; Seydel Die Zitierfreiheit als Urheberrechtsschranke unter besonderer Berücksichtigung der digitalen Werkverwertung im Internet Köln 2002; Ulmer-Eilfort Zur Zukunft der Vervielfältigungsfreiheit nach § 53 UrhG im digitalen Zeitalter in Zollner/Fitzner (Hrsg) Festschrift für Wilhelm Nordemann Baden-Baden 1999, 285; Umbeck Rechtsübertragungsklauseln bei der Filmauftrags- und Koproduktion öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten München 2000; Veit Filmrechtliche Fragestellungen im digitalen Zeitalter BadenBaden 2003; Ventroni Das Filmherstellungsrecht Baden-Baden 2001; Wallner Der Schutz von Urheberwerken gegen Entstellungen unter besonderer Berücksichtigung der Verfilmung Frankfurt aM 1995; Wandtke Die Rechtsfigur „gröbliche Entstellung und die Macht der Gerichte“, in Ohly/Bodewig/ Dreier/Götting/Haedicke/Lehmann (Hrsg) Perspektiven des geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts, Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag München 2005, 609; Wandtke/Holzapfel Ist § 31 IV UrhG noch zeitgemäß? GRUR 2004, 285; Weber Der Optionsvertrag JuS 1990, 249; Weltersbach Produzent und Producer ZUM 1999, 55; Wente/Härle Rechtsfolgen einer außerordentlichen Vertragsbedingung auf die Verfügungen in einer „Rechtekette“ im Filmlizenzgeschäft und ihre Konsequenzen für die Vertragsgestaltung GRUR 1997, 96; Zlanabitnig Zum Entstellungsschutz von Filmwerken AfP 2005, 35.
Übersicht Rn § 1 Der Film als Sinnbild zahlreicher Probleme . . . . . . . . . . . . . § 2 Praktische Fragen des Filmrechts . I. Der Film als Medienprodukt 1. Das Filmwerk . . . . . . a) Der Film als geistiges Produkt . . . . . . . . b) Zur Urheberrechtsfähigkeit von Realitätsabbildenden Filmwerken . .
370
. . . .
1–4 5–338 5–35 6–13
.
6–8
.
9, 10
Ilja Czernik
Rn c) Zur Gleichbehandlung von filmähnlichen Werken gegenüber „klassischen“ Filmwerken . . . . . . . d) Der Film als ein Gesamtwerk . . . . . . . . . . 2. Das Laufbild . . . . . . . . 3. Die Einzelbilder im Film . . a) Lichtbildwerke und Lichtbilder . . . . . . . . . .
11 12, 13 14–19 20–24 20, 21
Kapitel 2 Filmrecht Rn
Rn
b) Schutzdauerproblematik bei Lichtbildwerken, die aus Laufbildern entnommen sind . . . . . . . . 22 c) Screenshots . . . . . . . 23 d) Die Erstreckungsregelung des § 89 Abs 4 UrhG . . 24 4. Der Formatschutz . . . . . 25–30 a) Fernsehshowformate . . 27–29 b) Fernsehserienformate . . 30 5. Zur Urheberrechtsfähigkeit von Exposé, Treatment und Drehbuch . . . . . . . . . 31–34 II. Urheber und Produzenten eines Filmwerkes . . . . . . . . . . 35–71 1. Die Urheberschaft am Filmwerk . . . . . . . . . . . . 37–53 a) Allgemeine Betrachtungen der Urheberschaft am Filmwerk . . . . . . . . 37–39 b) Konkrete Bestimmung der Filmurheberschaft . . . 40–46 c) Allgemein anerkannte Filmurheber . . . . . . . 47 d) Produzentenurheberrecht? 48, 49 e) Zu den Rechtsverhältnissen der am Film beteiligten Urheber . . . . . . . 50–53 2. Der Herstellerbegriff beim Film . . . . . . . . . . . . 54–71 a) Zur Filmherstellereigenschaft im Allgemeinen . 55, 56 b) Besonderheiten bei einzelnen Produktionsformen . . . . . . . . . 57–63 c) Maßgeblicher Produktionszeitpunkt . . . . . 64–67 d) Einzelfragen zur Herstellereigenschaft . . . . 68–72 III. Filmverträge und Filmauswertung . . . . . . . . . . . . . . 73–191 1. Gebräuchliche vorvertragliche Vereinbarungen im Filmbereich . . . . . . . . 74–88 a) Der Vorvertrag . . . . . 75 b) Der Optionsvertrag . . . 76–86 c) Deal Memo und Letter of Intent . . . . . . . . . . 89, 90 2. Die entscheidenden Verträge in der Verfilmungsphase . . 91–146 a) Der Verfilmungsvertrag . 91–112 aa) Der Verfilmungsvertrag und seine Besonderheiten gegenüber den allgemeinen Regeln des UrhG . . . . . . . 93–100 bb) Die Nutzungsrechtseinräumung im Wege des Verfilmungsvertrages . . . . . . . 101–112
(1) Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung . . . . . . . 101–107 (2) Geltungsbereich des § 88 UrhG . . . . . 108–110 (3) Das Recht zum Remake . . . . . . 111, 112 b) Die Mitwirkungsverträge und die Vermutungsregelung des § 89 UrhG . . . 113–122 aa) Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung . . . . . . . 114–120 bb) Die Besonderheit des § 89 Abs 2 UrhG: Die doppelte Verfügungsbefugnis . . . 121, 122 c) Besondere Vertragsformen auf der Verfilmungsebene 123–146 aa) Der Drehbuchvertrag 123–130 bb) Der Regievertrag . . 131–136 cc) Der Musikverfilmungsvertrag . . . 137–146 3. Die entscheidenden Verträge in der Auswertungsphase . . 147–194 a) Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Filmlizenzverträgen auf der Auswertungsebene . 147–165 aa) Die Reichweite der Sublizenz . . . . . . 148–153 bb) Aktivlegitimation des Produzenten bei Nutzungsrechtseinräumung an Dritte . . . 154 cc) Das Zurückholen der Rechte durch den Produzenten oder den Urheber vom Dritten . . . . 155–165 b) Besondere Vertragsformen auf der Auswertungsebene 166–194 aa) Der Filmverleih- und Filmvertriebsvertrag 166–176 bb) Der Filmbestellvertrag 177–180 cc) Der Videogrammrechtevertrag . . . . 181–185 dd) Der Fernsehlizenzvertrag . . . . . . . 186–193 ee) Der Internetrechtevertrag . . . . . . . 194 IV. Das Vergütungssystem der §§ 32 ff UrhG und seine Besonderheiten beim Film . . . . . . 195–246 1. Die angemessene Vergütung nach § 32 UrhG im Filmbereich . . . . . . . . . . . 200–209 2. Der Fairnessausgleich aus § 32a UrhG im Filmbereich 210–231 a) Anwendungsvoraussetzungen des § 32a UrhG . 211–215
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Kapitel 2 Filmrecht
2. Teil Rn
b) § 32a UrhG und sein allgemeiner Anwendungsbereich gegenüber Sublizenznehmern . . . . . . c) Sonderprobleme . . . . aa) Freistellungsklauseln . . . . . . bb) Haftungsproblematiken iRv § 32a UrhG bei Lizenzketten . . . . . . . (1) Allgemeine Grundaussagen zur Haftung bei mehreren Lizenznehmern . . . (2) Die Freistellungsregelung des § 32a Abs 2 UrhG bei Sublizenznehmern . . . (3) Haftung der Sublizenznehmer bei Gesamtaddition der Einzelbeträge . . . . cc) § 32a UrhG bei Miturheberschaft und anderen Urhebergemeinschaften . . . 3. Die Vergütung für unbekannte Nutzungsarten nach § 32c UrhG . . . . . . . . a) Zur Übertragbarkeit von unbekannten Nutzungsarten . . . . . . . . . . b) Die Sonderregelung im Filmurheberrecht . . . . c) Bewertung der Neuregelungen . . . . . . . . . d) Das Problem der Bestimmung der Angemessenheit in § 32c UrhG bei unbekannten Nutzungsarten . . . . . . . . . . e) Ein Vorschlag zur Bestimmung der Angemessenheit in § 32c UrhG . . .
Rn V. Die originalgetreue Verwendung von fremdem Filmmaterial im nachgeschaffenen Werk . . . . . . . . . . . . . 1. Das Filmzitat . . . . . . . . 2. Die freie Benutzung beim Film . . . . . . . . . . . . VI. Die Sonderstellung des Integritätsinteresses im Filmurheberrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des § 93 UrhG . . . . . . . . . . . . 2. Der Gröblichkeitsbegriff . . 3. Das Gebot der Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . 4. In Literatur und Rechtsprechung diskutierte Einzelfragen . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . 6. § 93 UrhG im Gesamtkomplex des Integritätsschutzes . . . . . . . . . . 7. Der Film und die §§ 12 und 13 UrhG . . . . . . . . . . 8. Bewertung der Regelung des § 93 UrhG . . . . . . . . . 9. Das kommerzialisierte Urheberpersönlichkeitsrecht . . VII. Persönlichkeitsrechte und Spielfilme . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlichkeitsbezug . . . . 2. Filmische Darstellungen unter Berücksichtigung des KUG . 3. Filmische Darstellungen unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes . . . . . . . . . . . 4. Besondere Berücksichtigung der Kommunikationsgrundrechte in Art 5 GG . . . . . 5. Einverständniserklärungen . a) Gestattungs- und Exklusivvertrag . . . . . . . . b) Einwilligung . . . . . . 6. Wahrheitsbeachtungspflicht
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279–290 291–293
294–296 297, 298 299–304 305 306–343 314, 315 316–319
320–323
324–333 334 335–338 339–342 343, 344
§1 Der Film als Sinnbild zahlreicher Probleme 1
Das Urheberrecht durchlebt im Moment den stärksten Wandel überhaupt. Die bisherige Balance der analogen Welt ist in der digitalen Wirklichkeit spätestens mit der Nutzung des Internets als Massenkommunikationsmittel längst aus den Fugen geraten.1 1
Vgl dazu Lawrence Lessig „Es geht nicht darum Madonnas Musik zu stehlen“,
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SZ-Interview mit Andreas Zielke, www. sueddeutsche.de/kultur/artikel/62/95966/.
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§2
Praktische Fragen des Filmrechts
Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist das Medium Film. Dies rührt nicht zuletzt aus seiner vielfachen Verwertungsmöglichkeit. Denn wo sich die Vermarktung der meisten Kunstwerken mehr oder minder auf die Erstverwertung beschränkt, hat sich beim Film eine Entwicklung eingestellt bei der vor allem die Zweitverwertung, man denke nur an VOD oder an die DVD, stark in den Vordergrund gerückt ist. Darüber hinaus kommt beim Film ein Element zum tragen, dass bei multimedialen 2 Werken mehr und mehr zum Bestimmenden wird. Denn während einem Maler die Leinwand reicht, einem Schriftsteller ein Blatt Papier, ist der Film nur in den seltensten Fällen das Produkt einer einzelnen Person. Der Film ist als Gesamtwerk das Produkt der Arbeit vieler Kreativer, die mit ihrer Leistung einen notwendigen Beitrag für sein Gelingen beisteuern. Nicht zuletzt spielt auch im Filmbereich das verfassungsrechtliche Recht der Kunst- 3 freiheit eine große Rolle. Denn auch hier geht es um Fragen der unentgeltlichen und einwilligungsfreien Verwertbarkeit bereits bestehender Filmwerk in nachgeschaffenen. So mag man den Film heute gleichsam als Sinnbild für eine neue Generation von 4 urheberrechtlichen Problemen erkennen, die bereits heute von der urheberrechtlichen Bewertung des Films das abverlangt, was mit der Zunahme von Verwertungsmöglichkeiten in der Zukunft urheberrechtliche Produkte aller Art vor eine grundlegend neue Betrachtung stellen wird.
§2 Praktische Fragen des Filmrechts I. Der Film als Medienprodukt Als Film gilt jede Bildfolge oder Bild- und Tonfolge, die durch Aneinanderreihung 5 von Einzelbildern den Eindruck eines bewegten Bildes vermittelt.2 1. Das Filmwerk a) Der Film als geistiges Produkt. Ein Film kann ausweislich des Wortlauts in § 2 6 Abs 1 Nr 6 UrhG ein urheberrechtlich schützenswertes Werk sein. Dazu bedarf es eigener schöpferischer Leistungen der Filmemacher, die die Komposition der Bild- oder Bildund Tonfolge als geistiges Produkt iSd § 2 Abs 2 UrhG erkennen lassen. Die Anforderungen daran liegen auch beim Film nicht über den generell für den Werkcharakter im Allgemeinen geltenden Voraussetzungen.3 Insbesondere kommt es für die Feststellung der Schutzfähigkeit des Filmes nicht auf seine Länge an. So können nach der Rechtsprechung auch kurze Abschnitte eines Filmes persönlich geistige Schöpfungen sein, solange es sich bei ihnen um zusammenhängende Bild- bzw Bild- und Tonfolgen handelt, in denen eine eigenschöpferische Prägung erkennbar ist.4 Die für den Urheberrechtsschutz des Films erforderliche Schöpfungshöhe kann an- 7 hand einer Vielzahl von Einzelkriterien bestimmt werden, die vor allem beim Fiktivfilm gegeben sein werden. So gelten vor allem eine dramaturgisch durchgearbeitete Handlung 5, die Ausgestaltung der Filmszenerie 6 etwa durch Kulissenbauten, Kostümwahl, 2
3
Hertin Rn 466; umfassend zum Filmbegriff und seiner definitorischen Wurzeln Veit 14 ff. Vgl dazu unten Rn 7 ff.
4 5 6
OLG Hamburg GRUR 1997, 822 (1. Ls) – Edgar-Wallace-Filme. BGH GRUR 1984, 730, 733 – Filmregisseur. Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 172.
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2. Teil
Örtlichkeiten, Figurenzeichnung und Bewegungsabläufe der Dargestellten, Kameraeinstellungen und besondere Arten der Beleuchtung 7, die gewählten Schnitte und der Einsatz technischer Mittel 8 als Indizien für individuelles Schaffen und damit für eine Werkeigenschaft des Films. Maßgebliches Feststellungskriterium ist dabei immer eine Gesamtbetrachtung des Films. Diese muss zu erkennen geben, dass tatsächlicher Geschehensablauf und künstlerische Regieleistung dergestalt miteinander verbunden worden sind 9, dass dabei eine eigene Prägung zum Tragen kommt.10 Jede Entscheidung in dieser Frage bleibt somit zu Recht einer Feststellung im Einzelfall überlassen.11 Zu beachten ist weiter, dass sich die Individualität eines Filmes immer aus dem Film 8 selbst ergeben muss.12
9
b) Zur Urheberrechtsfähigkeit von Realitätsabbildenden Filmwerken. Regelmäßig treten vor allem dann Zweifel an der Urheberrechtsfähigkeit von Filmen auf, wenn diese ein real passierendes Geschehen abbilden, etwa also bei Dokumentarfilmen oder sog Reality-Soaps. Diese Zweifel sind aber unberechtigt, denn maßgebliches Feststellungskriterium bleibt auch hier allein § 2 Abs 2 UrhG. Dieser kann auch bei Dokumentarfilmen oder anderen wirklichkeitsabbildenden Filmen erfüllt sein. So findet sich in der Rechtsprechung für diese Fälle eine gelungene definitorische Festlegung, die man wohl generell als unteren Gradmesser für die schöpferische Gestaltung eines Filmwerkes ansehen kann und nach der wirklichkeitsabbildende Filme als grds urheberrechtlich schützenswert angesehen werden müssen: So liegt bei wirklichkeitsabbildenden Geschehnissen eine persönlich geistige Schöpfung nach dem BGH dann vor, wenn Auswahl, Anordnung und Sammlung des Stoffes sowie die Art der Zusammenstellung der einzelnen Bildfolgen das Ergebnis individuellen Schaffens sind.13 Keine Voraussetzungen für den Urheberrechtsschutz ist eine dauerhafte Fixierung auf 10 einem körperlichen Träger, so dass auch Live-Sendungen Filmwerke sein können.14 Weiter gilt, dass auch die Art und Weise der Herstellung keine Rolle für die Bestimmung der Werkeigenschaft spielt.15 Entscheidend ist allein der äußere Eindruck, der eine bewegte Bildfolge erkennen lassen muss.16
11
c) Zur Gleichbehandlung von filmähnlichen Werken gegenüber „klassischen“ Filmwerken. Im Zuge der eingetretenen medialen Revolution hat sich der Film verändert. Denn seit Edison mit dem Kinetoskop die erste Filmmaschine erfunden hat, ist gerade der Filmbereich durch zahlreiche Weiterentwicklungen gegangen. Fernsehfilme, digital aufgezeichnete Filme, Zeichentrickfilme, computeranimierte Filme und Computerspiele haben die Palette rund um den klassischen Kinofilm erweitert. Diese Entwicklung im medialen Bereich hat dazu geführt, dass der Filmbegriff heute weit ausgelegt wird. Teilweise wird im 7 8 9 10 11 12 13
OLG Hamburg GRUR 1997, 822 (1. Ls) – Edgar-Wallace-Filme. KG ZUM 2003, 863, 864 – „Beat Club“. BGH GRUR 1984, 730, 732 f – Filmregisseur. KG ZUM 2003, 863, 864 – „Beat Club“, vgl dazu zust Poll ZUM 2003, 866. Vgl zuletzt besonders ausf in dieser Frage KG ZUM 2003, 863, 864 – „Beat Club“. Dreier/Schulze/Schulze § 89 Rn 5; Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 166. BGHZ 9, 262, 268 – Lied der Wildbahn I; BGH GRUR 1984, 730, 732 – Filmregisseur; vgl zuletzt auch bei OLG Frankfurt ZUM 2002, 226, 227 – Meisterwerke; vgl umfas-
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send zur Rechtsprechung des BGH bei Reupert 53 ff, deren Grundtenor jedoch derselbe wie hier ist. Vgl dazu auch die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 251; sowie bei BGHZ 37, 1, 6 – AKI; Wandtke/Bullinger/ Bullinger § 2 UrhG Rn 121. Fromm/Nordemann/Nordemann-Vinck § 2 UrhG Rn 78; vgl dazu auch die Bsp. bei Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 122. Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 161; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 120.
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§2
Praktische Fragen des Filmrechts
Zusammenhang mit diesen Erscheinungen von filmähnlichen Werken gesprochen, teilweise werden die beschriebenen Filmformen bereits direkt als Filmwerke anerkannt.17 Bedeutung für die Frage der Werkeigenschaft hat diese Unterteilung nicht, da § 2 Abs 1 Nr 6, 2 Alt UrhG filmähnliche Werke mit in den Urheberschutz einbezieht. Teilweise werden aber Unterscheidungen im Umgang mit §§ 88 ff UrhG getroffen. Danach gibt es Stimmen, die eine Anwendung dieser Sonderregelungen auf filmähnliche Werke ablehnen.18 Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, da die Sonderregelungen der §§ 88 ff UrhG nicht von der Art und Weise der Herstellung abhängig sind, sondern vielmehr an die durch die Vielzahl der Mitwirkenden und die hohen Herstellungskosten bedingten Besonderheiten des filmischen Schaffens anknüpfen.19 Diese sind aber bei den filmähnlichen Werken in gleicher Weise gegeben. Eine grundsätzliche Andersbehandlung filmähnlicher Werke lässt sich damit unter Beachtung von Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vornehmen. d) Der Film als ein Gesamtwerk. Eine Besonderheit des Filmwerks besteht darin, dass 12 das Filmwerk als Gesamtwerk geschützt wird.20 Denn durch die Zusammenfassung der verschiedenen optischen und akustischen Signale im Wege einer einheitlichen Darstellung, ordnen sich die einzelnen Werkbeiträge dem Film als Hauptwerk unter und werden auf diese Weise zu einem untrennbaren Teil desselben.21 So ist es dann auch der Filmtext nicht etwa mehr Sprachwerk als vielmehr ausschließ- 13 lich Bestandteil des einheitlichen Filmwerkes 22. 2. Das Laufbild Dort, wo der von § 2 Abs 2 UrhG vorausgesetzte Grad an schöpferischer Leistung nicht 14 erreicht wird, spricht man vom Film als sog Laufbild. Hierbei wird durch die ‚Verfilmung‘ nichts Eigenständiges geschaffen.23 Dennoch bestimmt § 95 UrhG, dass die §§ 88, 89 Abs 4, 90, 93, 94 UrhG entsprechend anzuwenden sind. Dies hat ua zur Folge, dass auch kürzeste Filmausschnitte eines Filmwerkes, da diesen Laufbildcharakter nach Maßgabe des § 95 UrhG zugestanden werden muss, über § 95 iVm § 94 UrhG geschützt sind.24 Dabei ist fraglich, ob es eines solchen absolut wirkenden Leistungsschutzrechtes nach 15 § 95 iVm § 94 UrhG zugunsten des Laufbildherstellers wirklich bedarf. Denn zum einen wird die Gestaltungs- und Benutzungsfreiheit nachschaffender Künstler und privater Nutzer dadurch zusätzlich noch bei Werken beschränkt, die keine persönliche geistige 17
Für die genaue Zuordnung vgl Veit 29 ff, der im Zusammenhang mit Computerspielen jedoch von einer eigenständigen und über den entwicklungsoffenen Tatbestand des § 2 Abs 2 UrhG geschützten Werkart ausgeht (49); dem widersprechen sowohl Rechtsprechung (OLG Köln GRUR 1992, 312, 313 – Amiga Club; OLG Hamburg GRUR 1990, 127, 128 – Super Mario III; BayObLG GRUR 1992, 508, 509 – Verwertung von Computerspielen), als auch die ganz überwiegende Meinung in der Literatur (vgl statt vieler Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 2 UrhG Rn 250, 259; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 129) die sowohl die statische als auch die sich durch die interaktive Handlung des Benutzers ergebende variable Bildfolge als Filmwerke ansehen.
18 19 20
21 22 23 24
Fromm/Nordemann/Nordemann-Vinck § 2 UrhG Rn 78. Vgl dazu die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 316. Hertin Rn 98; Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Dreyer § 2 UrhG Rn 246, der zusätzlich darauf hinweist, dass die Wiedergabe eines Filmes deswegen auch nur als Vorführung nach § 19 Abs 4 UrhG nicht aber als Aufführung gewertet werden darf. Fischer/Reich/Reich § 3 Rn 25. BGH GRUR 1987, 362, 363 – Filmzitat. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 321. OLG Frankfurt ZUM 2005, 477, 479 – tvtotal.
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Kapitel 2 Filmrecht
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2. Teil
Schöpfung sind, zum anderen könnte die Produzentenleistung beim Laufbild auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten bereits ausreichend geschützt sein. Angesichts dessen sollte der Laufbildschutz zumindest durch eine großzügige Anwendung der Schrankenregelungen der §§ 23, 44a ff UrhG, sowie im speziellen der Regelung über die freie Benutzung nach § 24 UrhG abgefedert werden. Dies folgt nicht zuletzt aus der fehlenden Individualität des Laufbildes, zumal hier anders als bei Lichtbildern kein Mindestmaß an handwerklicher Leistung verlangt wird. Als Laufbilder gelten nach der üA in Literatur und Rechtsprechung 25 insbesondere pornografische Filme, da ihnen keine individuelle Anschauung oder Gestaltungsweise des Schöpfers mitgegeben sei, sondern sie sich ausschließlich als sexuell stimulierend erweisen sollen.26 Dogmatisch überzeugt diese Wertung nicht, da eine Verweigerung des Urheberrechtsschutzes hier vor allem über eine sittliche Wertung begründet wird, die aber bei der Bestimmung der Schutzfähigkeit von Werken keinerlei Rolle spielen darf. Unabhängig von moralischen Überlegungen sollte auch ein pornografisches Werk ausschließlich an den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 UrhG gemessen werden27. Weiter wurden von der Rechtsprechung reine Naturaufnahmen unter Fehlen jeglicher eigener Prägung 28, Tages- und Wochenschauen, die lediglich über politische, wirtschaftliche und kulturelle Ereignisse berichten und die ausschließlich aneinandergereiht und nicht etwa gestalterisch auf der Grundlage einer gedanklich schöpferischen Tätigkeit zusammengefügt wurden 29, sowie bloße Filmaufnahmen von Theateraufführungen als Laufbilder gewertet 30. In der Erweiterung der vermarktungstechnischen Möglichkeiten wird daneben zunehmend eine Anwendung des Laufbildschutzes bei sog Flashcards diskutiert. Hierbei handelt es sich um sehr kurze Filmsequenzen aus einem bestehenden Filmwerk, in denen trailerartig Kurzporträts von Filmcharaktern online abrufbar gemacht werden. Weiterhin ist an einen Laufbildschutz bei bewegten Icons, Bildfolgen, isoliert man diese von der Hompage, sowie bei Bildschirmschonern zu denken. Letztlich lässt sich keine abschließende Kategorisierung von Inhalten festhalten, aus denen der Laufbildschutz folgt. Jede Wertung bleibt im Einzelfall von einer Entscheidung nach den oben festgestellten Kriterien abhängig.31 Kein Laufbildcharakter kommt jedenfalls Aufzeichnungen zu, die mittels einer Überwachungskamera aufgezeichnet werden. Hierin liegt keine dem Sinn und Zweck des § 95 UrhG entsprechende Aufzeichnung. Denn im Aufstellen der Überwachungskamera und in der bloßen Aufnahme liegt keine schützenswerte organisatorische Leistung, mit der ein wirtschaftliches Risiko eingegangen wird, das über § 95 UrhG ausgeglichen werden müsste. Abschließend gilt es zu beachten, das die Existenz des § 95 UrhG nicht dazu führen darf, anzunehmen, dass im Filmbereich die sog kleine Münze nicht geschützt wird. Dies könnte man zwar angesichts der Regelung des § 95 UrhG andenken, dem wird jedoch Sinn und Zweck des § 95 UrhG nicht gerecht. Denn mit § 95 UrhG soll nicht etwa in erster Linie ein „Machwerk“ geschützt werden, vielmehr gibt § 95 UrhG dem Produzenten eines Laufbildes deswegen ein verwandtes Schutzrecht an die Hand, um seine organi25 26 27 28 29
OLG Hamburg FuR 1984, 661, 662 – Pornofilme; Reupert 59 f; Straßer 129 ff. Straßer 131. So auch Veit 58 Fn 191. BGHZ 9, 262, 265 – Lieder der Wildbahn I. LG Berlin GRUR 1962, 207, 208 – Maifeiern; vgl zur Abgrenzung auch bei LG München I ZUM 1993, 370, 373 – Videorechte an NS Propaganda-Filmen.
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Diese Kategorien gelten in der Literatur als allgemein anerkannt vgl dazu statt vieler Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 2 UrhG Rn 260; Fromm/Nordemann/NordemannVinck § 2 UrhG Rn 77; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 187. Vgl dazu Rn 14.
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Praktische Fragen des Filmrechts
satorische und wirtschaftliche Leistung entsprechend zu würdigen und ihn vor finanziellen Risiken abzusichern,32 was einmal mehr dafür spricht, dass hier kein kreatives, sondern ein ausschließlich, vom Sinn und Zweck des Urhebergedankens eigentlich nicht erfasstes wettbewerbsrechtliches Schutzrecht vorliegt. 3. Die Einzelbilder im Film a) Lichtbildwerke und Lichtbilder. Die im Film enthaltenen Einzelbilder werden nicht 20 als Filmwerk geschützt. Sie werden vielmehr als Lichtbildwerke nach § 2 Abs 1 Nr 5 UrhG, sowie, sollten sie den Anforderungen einer persönlich geistigen Schöpfung nicht genügen, als Lichtbilder nach § 72 UrhG gewertet.33 Zu beachten gilt dabei, dass ein Lichtbildwerk immer auch ein Werk der bildenden 21 Kunst sein kann.34 Diese Feststellung ist deswegen entscheidend, da das Folgerecht nach § 26 Abs 1 UrhG in diesem Fall ausnahmsweise auf das konkrete Einzelbild, nicht jedoch auf den Film, Anwendung findet. b) Schutzdauerproblematik bei Lichtbildwerken, die aus Laufbildern entnommen sind. 22 Für die Feststellung der Werkeigenschaft eines Einzelbildes kommt es nicht darauf an, ob es einem Filmwerk entnommen wurde. Vielmehr muss das Filmeinzelbild als solches fotografisch gestaltet worden, mithin eine persönlich geistige Schöpfung sein. Damit können auch solche Einzelbilder Lichtbildwerke sein, die einem Laufbild entnommen sind. Dies ist freilich nicht ganz unproblematisch. So besteht hier eine Schwierigkeit in der Bestimmung der Schutzdauer von Lichtbildwerken. Denn während der Laufbildschutz nach §§ 95 iVm 94 Abs 3 UrhG 50 Jahre nach dem Erscheinen oder der ersten erlaubten Wiedergabe erlischt, gilt das entnommene Einzelbild über § 65 Abs 1 UrhG bis 70 Jahre nach dem Tod des längstlebenden Miturhebers als urheberrechtlich geschützt. Es kann also passieren, dass das Filmeinzelbild als Lichtbildwerk einer längeren Schutzfrist unterliegt als das Laufbild, aus dem es entnommen wurde. Dies erscheint vielen als unbillig, weil dadurch jede Verwertung des Laufbildes unterbunden werden kann. Deswegen wird zu Recht eine grundsätzliche Trennung von Laufbild und dem aus ihm entnommenen Lichtbildwerk vertreten. Die Schutzfrist für Lichtbildwerk findet damit nur dann Anwendung, wenn das Filmeinzelbild auch tatsächlich einzeln verwertet wird. Mit der Folge, dass nach Ablauf der Schutzdauer des Laufbildes das komplette Laufbild einwilligungsfrei benutzt werden darf, soweit nicht ausschließlich ein einzelnes Lichtbild verwendet werden soll.35 c) Screenshots. Eine weitere Frage iRd Lichtbild- und Lichtbildwerkschutzes ist die 23 der erlaubnis- und vergütungsfreien Nutzung von Einzelbildern aus einem Filmwerk. Denn grds greift die Verwendung einzelner Screenshots in das Recht des Urhebers am Lichtbildwerk oder Lichtbild ein.36 Vor allem Programmzeitschriften verwenden oftmals zur Vorankündigung von Programmereignissen Filmeinzelbilder, die dem Fernsehzuschauer einen Vorgeschmack auf die Ausstrahlung geben sollen. Dazu ist festzustellen, dass die Verwendung einzelner Lichtbilder aus urheberrechtlich geschützten Fernsehsendungen zur Illustrierung des Inhalts eines angekündigten Programmpunkts nach § 50 UrhG zulässig ist. Denn die Programmpunkte der großen Fernsehsender sind jedenfalls 32
33 34
OLG München NJW-RR 1997, 1405, 1406 – Boxveranstaltung; Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 174. AllgA vgl grundlegend BGHZ 9, 262, 264 – Lieder Wildbahn I. Dies wird insbesondere bei Einzelbildern von
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Computerspielen angenommen, vgl Schulze ZUM 1997, 77, 78; Veit 41; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 130. Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 154. LG Berlin ZUM 2000, 513, 514 – screenshots.
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Kapitel 2 Filmrecht
2. Teil
am Sendetag auch dann Tagesereignisse iSd § 50 UrhG, wenn sie Banalitäten zum Gegenstand haben. Die Ankündigung dieses Fernsehprogramms in einer Programmzeitung stellt daher eine Berichterstattung dar, die Tagesinteressen Rechnung trägt 37.
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d) Die Erstreckungsregelung des § 89 Abs 4 UrhG. § 89 Abs 4 UrhG stellt ausdrücklich klar, dass die Vermutungsregel des § 89 Abs 1 UrhG in jedem Fall auf Lichtbildwerke und Lichtbilder angewandt wird. Dem Filmhersteller ist damit im Zweifel das ausschließliche Recht eingeräumt, das Lichtbild oder Lichtbildwerk sowie alle Umgestaltungen und Bearbeitungen daran, auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen. 4. Der Formatschutz
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Die Fernsehlandschaft wird heute von sog Formaten bestimmt. Hierbei handelt es sich um einen aus dem Medienbereich kommenden Begriff. Gemeint ist „die Gesamtheit aller charakteristischen Merkmale, die geeignet sind, auch Folgen der Show ungeachtet ihres jeweils unterschiedlichen Inhalts als Grundstruktur zu präsentieren und damit zugleich dem Publikum zu ermöglichen, sie ohne weiteres als Teil einer Sendereihe zu erkennen“.38 Als derartige Charakteristika gelten ua Titel und Logo einer Sendung, ein den Sendeverlauf bestimmender Grundgedanke, bestimmte Mitwirkende und Abläufe oder der Einsatz einer Erkennungsmelodie.39 Neben einer umfassenden Lizenzierungspraxis hat es in der Vergangenheit immer 26 wieder zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben. Denn, wo man heute hinschaut, finden sich in der Fernsehlandschaft ähnliche Formate, seien es Quiz-, Kochoder Chartshows. Seit langem umstritten ist deswegen auch die rechtliche Schutzfähigkeit sog Fernsehformate.40 Diese Diskussion wird dabei sowohl unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten als auch wettbewerbsrechtlichen Aspekten geführt.
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a) Fernsehshowformate. Die gerichtliche Durchsetzung eines Formatschutzes erweist sich vor allem nach der jüngsten Entscheidung des BGH als zurzeit wenig erfolgversprechend. Geht dieser doch davon aus, dass „das Format einer Fernsehshowreihe … im Allgemeinen nicht urheberrechtlich schutzfähig“ ist.41 Als Begründung führt der BGH dabei an, dass nur das konkrete Ergebnis einer schöpferischen Formgebung geschützt sein könne, nicht aber die vom Inhalt losgelöste Anleitung zur Formgestaltung, unabhängig davon, ob sie sich als individuelles und damit eigenartiges Leistungsergebnis präsentiert.42 Geschützt ist danach nur die konkrete Sendung als solche, nicht aber das Format, da es nur den Rahmen vorgebe. Richtig daran ist, dass die bloße Idee, die keine entsprechende Verkörperung gefun28 den hat oder die sich nur in gemeinfreien Überlegungen äußert, nicht schutzfähig sein kann. Es sollten jedoch auch iF von Showformaten dort Ausnahmen gemacht werden, wo derart prägende Merkmale einer Show bestehen und übernommen werden, die nur das Ergebnis einer individuellen Schöpfung sein können. Im praktischen Ergebnis wird damit zwar nach diesem Verständnis zur Entscheidung des BGH kein Unterschied beste37 38 39 40
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OLG Köln GRUR-RR 2005, 105 f. BGH ZUM 2003, 771, 772 – Sendeformate. Vgl dazu und zu weiteren Merkmalen BGH ZUM 2003, 771, 772 – Sendeformate. Vgl ua Flechsig ZUM 2003, 767 ff; Have/ Eickmeier ZUM 1994, 269 ff; Schwarz ZUM 1990, 317 ff. BGH ZUM 2003, 771, 1. Leitsatz – Sendeformat; anders die unterinstanzliche Recht-
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sprechung, die zwar zumindest von einer grundsätzlichen Schutzfähigkeit von Fernsehformaten ausgeht im Ergebnis aber Werkschutz wegen mangelnder Übernahme prägender Werkteile regelmäßig abgelehnt hat und damit den in der Literatur angeführten Gesichtspunkten gefolgt ist (OLG München ZUM 1999, 244, 246 – Augenblick). BGH ZUM 2003, 771, 773 – Sendeformat.
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Praktische Fragen des Filmrechts
hen. Denn einen tatsächlichen Anwendungsfall, der eindeutig auf einer sklavischen Übernahme beruht, hat es bisher in dieser Deutlichkeit noch nicht gegeben.43 Allerdings sollte man dennoch ein gewisses Mindestmaß an Anstrengung von den nachschaffenden Showentwicklern verlangen. Dies wäre gerade im Interesse einer pluralistischen Fernsehlandschaft, in der verschiedene Formate um die Gunst des Zuschauers ringen. Auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wird man in der Auseinandersetzung als von 29 Nachahmung Betroffener keinen Erfolg haben. So hat die Rechtsprechung wettbewerbsrechtlichen Schutz regelmäßig verneint.44 Danach kommt unter Beachtung der generellen Nachahmungsfreiheit im Wettbewerbsrecht ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz nur in Ausnahmefällen in Betracht45. Ein solcher Ausnahmefall ist nur dann anzunehmen, wenn die Benutzung und Auswertung des fremden, nachgeahmten Arbeitsergebnisses die Übernahme als wettbewerbswidrig erscheinen lassen,46 etwa im Falle eines Vertrauensbruchs oder bei sklavischer Nachahmung.47 Angesichts der zahlreichen Veränderungen, die aber regelmäßig im Vorfeld vorgenommen werden, ist ein Wettbewerbsverstoß bereits mangels identischer oder beinahe identischer Übernahme zu verneinen. Zumal eine abstrakte Spielidee nicht schutzfähig ist.48 Dies ist konsequent, denn wo die Sondervorschriften des UrhG Formatschutz verneinen, können nicht die Regeln des UWG systemwidrig zu einer Umkehrung der urheberrechtlichen Prinzipien führen. b) Fernsehserienformate. Mit diesen Feststellungen zum Schutz von Fernsehshowfor- 30 maten ist aber noch nichts über die Schutzfähigkeit von Fernsehserien und deren fiktiver Inhalten gesagt. Denn diese Frage hatte der BGH in der angesprochenen Entscheidung nicht abschließend beantwortet. Vielmehr weist er ausdrücklich daraufhin, dass man zwischen Fernsehserien- und Fernsehshowkonzepten unterscheiden müsse.49 Während es bei letzteren darum gehe, ob deren allgemeines Konzept geschützt werden kann, stelle sich bei Fernsehserienformaten die Frage nach dem inhaltlichen Zusammenhang und danach, ob einzelne Elemente der Serie urheberrechtlich geschützt sein können.50 Unter gleichzeitiger Beachtung der unterinstanzlichen Rechtsprechung steht damit auch nach der Formatentscheidung des BGH einer Schutzfähigkeit solcher Konzepte grds nichts entgegen. So können tragende Charaktere oder die im Konzept zum Ausdruck kommende Fabel, die dem Konzept individuellen Charakter verleihen, sehr wohl urheberrechtlich geschützt sein. Zu beachten ist dabei aber immer, dass Handlungsideen nur in ihrer konkreten Ausgestaltung schutzfähig sein können.51 Schutzunfähig sind zudem auch all diejenigen Teile des Inhalts, die der fremde Urheber nicht selbst geschaffen hat, sondern die dem freiem Gemeingut oder fremden Schöpfungen entnommen wurden.52 43
44
Schließlich gilt, dass, selbst wenn das Format durch hinreichende Individualität gekennzeichnet und damit ein Werk iSd § 2 Abs 2 UrhG wäre, eine Verletzung der Urheberrechte zusätzlich davon abhängig ist, dass auch tatsächlich Elemente übernommen wurden, die urheberrechtlich geschützt sind. Darüber hinaus dürfte die Nachahmungsshow auch nicht als freie Benutzung iSd § 24 UrhG entstanden sein; vgl dazu auch bei von Hartlieb/Schwarz/U. Reber S 131 f; Peters 74. Vgl OLG München AfP 1992, 381 f – DallAs; OLG Düsseldorf WRP 1995, 1032 ff – Taxi-TV/Taxi-Talk; OLG Hamburg ZUM 1996, 245 ff – Goldmillion.
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OLG Düsseldorf WRP 1995, 1032, 1034 – Taxi-TV/Taxi-Talk. OLG Düsseldorf WRP 1995, 1032, 1034 – Taxi-TV/Taxi-Talk. Vgl von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 132. OLG Hamburg ZUM 1996, 245 f – Goldmillion; OLG München AfP 1992, 381 (1. Ls) – Dall-AS. BGH ZUM 2003, 771, 772 – Sendeformat. BGH ZUM 2003, 771 (1. Ls) – Sendeformat. OLG München GRUR 1990, 674, 676 – Forsthaus Falkenau. OLG München ZUM 1999, 149, 151 – Das doppelte Lottchen.
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2. Teil
5. Zur Urheberrechtsfähigkeit von Exposé, Treatment und Drehbuch
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Die rechtliche Klärung der Werkeigenschaft von Exposé, Treatment und Drehbuch ist für den Filmhersteller von Bedeutung, entscheidet diese doch darüber, ob er daran ein Nutzungsrecht erwerben muss oder nicht, und welche Anforderungen gegebenenfalls an eine erlaubnisfreie Benutzungen gestellt werden müssen. In einem Grobschema lassen sich drei Entwicklungsstadien von der Idee bis zum kurbelfertigen Drehbuch ausmachen: Bevor ein Drehbuch geschrieben wird und damit erste umfangreiche Investitionen ge32 tätigt werden, wird zunächst mit dem Exposé ein knapper Entwurf der dem Projekt zugrunde liegenden Idee angefertigt.53 Entscheidet man sich in Folge dessen dafür, dass das Projekt vielversprechend ist, lässt man idR ein Filmkonzept ausfertigen. In diesem sog Treatment wird das inhaltliche Konzept erstmals ausführlich, unter Aufschlüsselung der einzelnen Handlungsstränge, der Charaktere und der verschiedenen Settings, beschrieben. Erst danach entstehen das vollständige Drehbuch und damit die dramatische Grundlage des Films. Während das Drehbuch grds als urheberrechtlich geschützt angesehen werden muss, 33 ist die Sachlage bei den bloß konzeptionell geprägten Treatments und Exposés nicht so eindeutig. Die Festlegung der Werkeigenschaft ist in diesen Fällen, wie so oft, eine Entscheidung des Einzelfalls. Wohltuend ist, dass der BGH keine quantitativen Maßstäbe an die Festlegung der Schutzfähigkeit knüpft, sondern das Exposé oder das Treatment danach überprüft, ob nicht im Einzelfall der Handlung mit ihren dramatischen Konflikten und Höhepunkten oder den darin vorkommenden Charakteren Individualität und damit Werkeigenschaft zukommt. So hat der BGH dann auch einem eine Seite umfassenden Exposé die urheberrechtliche Werkfähigkeit zuerkannt.54 Zu beachten gilt es gerade in den Fällen von Exposé und Treatment, dass die Voraus34 setzungen für das Vorliegen einer freien Benutzung nach § 24 UrhG von der Rechtsprechung zu Recht niedrig angesetzt werden. So liegt etwa in der Übernahme bloßer Ideen generell keine Urheberrechtsverletzung, wenn die konkrete Ausgestaltung eine andere ist.55
II. Urheber und Produzenten eines Filmwerkes 35
Die Frage der Beteiligung am Filmwerk hat die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. Diese Unsicherheit rührt aus der Vielzahl der an der Herstellung Beteiligten, von denen jeder einen mehr oder minder künstlerischen Beitrag leistet. Bereits seit langem umstritten ist daher, wer bereits Urheber des Filmwerkes ist. Doch 36 nicht nur die künstlerische Filmherstellung ist das Ergebnis einer arbeitsteiligen Produktion. Auch die Filmfinanzierung und -herstellung ist zunehmend dadurch gekennzeichnet, dass auf der Seite des sog Filmproduzenten der Kreis der Beteiligten sukzessive erweitert wurde. Deswegen ist es mindestens ebenso entscheidend zu klären, wem die Rechte aus § 94 UrhG tatsächlich im Einzelfall zukommen. 53
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Detlef Michel meint dazu: „Acht Seiten sollte ein Exposé für einen Spielfilm von 90 Minuten Dauer umfassen. Auf weniger Seiten kann ein Spielfilm nicht vollständig erzählt werden, mehr als acht Seiten liest keiner, also acht Seiten.“ BGH GRUR 1963, 40, 42 – Straßen –
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gestern und morgen; OLG München GRUR 1990, 674, 675 – Forsthaus Falkenau (Exposés); speziell zur Schutzfähigkeit des Treatments BGH GRUR 1962, 531, 533 – Bad auf der Tenne II. OLG München GRUR 1990, 674, 675 f – Forsthaus Falkenau.
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Praktische Fragen des Filmrechts
1. Die Urheberschaft am Filmwerk a) Allgemeine Betrachtungen der Urheberschaft am Filmwerk. Die Frage der Ur- 37 heberschaft am Film gehört mit zu den am längsten geführten Kontroversen des Filmrechts.56 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Filmwerk erst durch die Arbeiten vieler zum urheberrechtlich geschützten Werk wird. Gleichzeitig findet sich in Deutschland, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, die oftmals den Drehbuchautor, den Komponisten der Filmmusik und den Regisseur sowie den Produzenten als Filmurheber benennen,57 keine gesetzlich maßgebliche Aufzählung darüber, wer Filmurheber ist. Im Filmurheberrecht gilt zunächst das Schöpferprinzip des § 7 UrhG. Besonderheiten 38 bestehen dabei ua jedoch darin, dass die Filmherstellung nicht in einer, sondern in mehreren Phasen verläuft, in denen die Beteiligten unterschiedlich involviert sein können. Es gilt daher, in jeder einzelnen Phase bei jedem Beteiligten zu prüfen, ob sein konkreter Beitrag für die Frage der Filmwerkeigenschaft bedeutsam ist, wobei sich hierbei oftmals ergeben wird, dass Einzelne mehrfach relevante Beiträge geleistet haben, was besondere Beachtung verdient. Die generelle Beachtung von Mehrfachfunktionen des Beteiligten ist nämlich deswe- 39 gen so bedeutsam, als diese gleichsam Einfluss auf die Verteilung der Erlöse aus der Nutzung des Filmwerkes haben kann. Schließlich richtet sich der Prozentsatz der Ausschüttung nach Art und Umfang der schöpferischen Beiträge. b) Konkrete Bestimmung der Filmurheberschaft. Für die Frage der Anerkennung der Urheberschaft am Filmwerk ist es nicht entscheidend wie umfangreich der schöpferische Beitrag im Einzelnen ist, sondern dass überhaupt ein schöpferischer Beitrag vorliegt. Welche Leistung jedoch in diesem Zusammenhang als urheberrechtlich anerkannt wird, ist nicht abschließend geklärt. Dies ist aber entscheidend, denn wird jemand schöpferisch tätig oder übt er gar eine Doppel- oder Mehrfunktion aus, so muss unterschieden werden, ob es sich beim Filmbeitrag um eine Beteiligung am Film iSd § 2 Abs 2 UrhG handelt oder ob nur ein mittelbarer Werkbeitrag vorliegt. Denn je nachdem richtet sich ua die Nutzungsrechtseinräumung nach § 88 Abs 1 UrhG oder § 89 Abs 1 UrhG. Europäische Vorgaben helfen in dieser Frage nicht weiter. Zwar benennt Art 2 Abs 1 der Richtlinie 93/98 EWG vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der urheberrechtlichen Schutzdauer den Regisseur als den Urheber des Filmwerks, besagte Richtlinie stellt es den Mitgliedsstaaten jedoch darüber hinaus frei, weitere Personen zu Miturhebern am Filmwerk zu erklären. Die im deutschen Urheberrecht bestehende Unsicherheit wurde auch nicht durch die in Folge der Schutzdauer-Richtlinie aufgenommene Regelung des § 65 Abs 2 UrhG beseitigt. Darin werden zwar Hauptregisseur, Urheber des Drehbuchs, Urheber der Dialoge, Komponist der für das Filmwerk komponierten Musik als Urheber des Filmwerkes geführt, die hM lehnt jedoch trotz dieser gesetzlichen Vorgabe eine Urheberstellung des Drehbuchautors und des Filmkomponisten gerade ab.58 Unabhängig von dieser Frage sollte man sich zunächst vor einer abschließenden Kategorisierung der Filmurheber, wie § 65 Abs 2 UrhG sie vorsieht, schon deshalb hüten, da gerade der Film gezeigt hat, wie sehr die technische Entwicklung im Fluss ist und wie schnell sich neue Filmarten (bspw die sog CGI-Filme) entwickelt haben, die neue Beteiligte hervorgerufen haben und in Zukunft noch hervorrufen werden.59 Die deutsche Ein56 57
So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 318. Vgl zu den einzelnen gesetzlichen Regelungen Poll ZUM 1999, 29, 33.
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Vgl dazu Rn 44. Vgl zur Frage der Digitalisierung umfassend bei Veit.
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zelfallmethode ist daher beizubehalten. Denn mit dieser lassen sich bisher unbekannte Filmmiturheber im Wege der Einzelfallgerechtigkeit auch in Zukunft erfassen. Denn die Frage der Zuerkennung der Urheberschaft ist trotz Angleichung der §§ 88, 89 UrhG noch bedeutend. Und das nicht nur wegen der sozialen Anerkennung der Leistung des Filmschaffenden als eine solche, sondern auch unter ideellen Gesichtspunkten, wenn es um die Frage der Namensnennung geht 60. Weitere Bedeutung erlangt die Frage, wenn es etwa um die Pflicht der Wahrnehmungsgesellschaft geht, einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen, sowie in Beteiligungsfragen am Einnahmeverteilungsschlüssel.61 Als Grundgerüst für die Zuerkennung der Filmurheberschaft lässt sich nach der hM 44 zunächst festmachen, dass all diejenigen Beteiligten als Filmurheber in Betracht kommen, die eine vom Film ununterscheidbare Leistung erbringen, die den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 UrhG genügt. Entscheidendes Kriterium ist danach, dass der Beitrag im Filmwerk aufgeht und nicht unabhängig davon verwertet werden kann.62 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beitrag während oder erst nach den Dreharbeiten erbracht wurde. Die Folge ist, dass die Urheber der sog vorbestehenden Werke, dh Werke, die auch außerhalb des Filmes verwertet werden können, wie etwa das Drehbuch oder die Filmmusik, nach der hM nicht Urheber des Filmwerkes sein können.63 Etwas differenzierter sieht dies hingegen die sog Lehre vom Doppelcharakter, wonach zumindest die Schöpfer sog filmbestimmter Werke ebenfalls Miturheber des Filmwerkes sein sollen. Die Besonderheit der filmbestimmten Werke bestehe nämlich danach darin, dass sie, anders als die sog filmunabhängigen Werke, „die vor der Herstellung des Filmwerkes als selbstständige Werke vorhanden waren und als Vorlage für die Herstellung dienten (wie Roman, Bühnenstück oder Schlager)“, „bereits unmittelbar mit der Zweckbestimmung für das Filmwerk geschaffen wurden“.64 Hieraus resultiert dann auch die Argumentation der Lehre vom Doppelcharakter. So vernachlässige die hM in ihrer Betrachtung, dass es sich bei Filmwerken um „synchronistische Werkeinheiten“, also um Gesamtkunstwerke aus einer Vielzahl einzelner Beiträge handele.65 Dazu zählten die filmbestimmten Werke. So seien diese nicht nur wesentliche Beiträge zum Filmwerk,66 als auch mit diesem zu einer untrennbaren Einheit – dem Filmwerk – verschmolzen 67. Die Folge sei, dass den Schöpfern filmbestimmter Werke ein Doppelschutz zustehe, nach dem ihnen einmal Alleinurheberschaft an den filmbestimmten Werken zukomme, sie darüber hinaus aber auch Filmurheber seien. Die Rechtsprechung ist der Lehre vom Doppelcharakter bisher nicht gefolgt. Überzeugen können beide Auffassungen nicht, da sie nur unzureichend den schöpferi45 schen Charakter der Leistung im Einzelfall und seine Bedeutung für das Filmwerk berücksichtigen. Besser ist es, eine Differenzierung danach zu ziehen, ob einer mittelbar oder unmittelbar an der Schöpfung des Filmwerkes mitgewirkt hat. Unmittelbar ist ein schöpferischer Beitrag immer dann, wenn mit diesem der Film steht und fällt und der Film keine Bearbeitung desselben ist (Lehre von der Unmittelbarkeit). Dies gilt insbesondere für das Drehbuch, denn ohne dieses wäre eine filmische Ausführung einer Vorlage 60 61 62
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Schricker/Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 73. Wandtke/Bullinger/Manegold Vor §§ 88 UrhG Rn 43. Dreier/Schulze/Schulze § 89 Rn 6; Schricker/ Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 61; Wallner 87. So etwa Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 2 UrhG Rn 263; von Hartlieb/Schwarz/Dobberstein-Schwarz 120.
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AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 318. Schricker/Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 65. Bohr ZUM 1992, 121, 126 ff; Katzenberger ZUM 1988, 545, 549; Reupert 104 f. Schricker/Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 65.
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Praktische Fragen des Filmrechts
nicht möglich. Insbesondere aber ist das Drehbuch nicht so ohne weiteres austauschbar, als der besondere Charakter des Filmes maßgeblich durch das Drehbuch beeinflusst und kanalisiert wird. Schließlich ist das Drehbuch die dramatische Bearbeitung der Vorlage. Besonders deutlich wird diese Überlegung am Film The Boston Strangler von 1968. Dieser war nach der ersten Drehbuchfassung des britischen Dramatikers Sir Terence Rattigan zunächst als Komödie vorgesehen, bevor man sich später entschloss, Rattingan durch Edward Anhalt zu ersetzen, der aus dem zugrunde liegenden Tatsachenbericht einen Psychothriller schrieb. Dies zeigt, wie sehr ein Drehbuch unmittelbaren Einfluss auf die konkrete Filmgestaltung ausübt und dabei zum Stützpfeiler und entscheidenden Werkbeitrag schöpferischen Filmschaffens wird. Der Film ist dabei, sofern während der filmischen Umsetzung keine umfassenden Veränderungen vorgenommen werden, keine erneute Bearbeitung des Drehbuchs, da es sich bei diesem dann um die Anweisung zur filmischen Ausführung handelt. Das Drehbuch wird in einem solchen Fall nämlich nicht verändert, sondern vielmehr vollendet.68 Darin unterscheidet es sich gerade von der Vorlage, die erst durch das Drehbuch bearbeitet werden muss, um eine filmische durchführbare Grundlage zu schaffen. Gleicht die hier vertretene Ansicht im Ergebnis noch der Lehre vom Doppelcharakter, 46 ist jedoch gegenüber dieser eine differenziertere Bewertung bei der Filmmusik zu treffen. Diese führt als filmbestimmtes Werk nicht per se zur Miturheberschaft ihres Komponisten, sondern ist nur dann unmittelbarer Teil des Filmwerkes, wenn sie für den Film identitätsstiftend ist, also der Film nach ihrem kompletten oder teilweisen Austausch seine Aussage bzw seinen besonderen Charakter verloren hätte. Gleiches gilt für die Kostümierungen und die Szenenbilder. So zeigt sich die besondere Individualität des Films William Shakespeares Romeo and Juliet von Baz Luhrmann aus dem Jahre 1996 darin, dass unter weitestgehender Verwendung der Originaltexte, diese gerade dadurch kontrastiert werden, in dem die Handlung in ein modernes und fiktives „Verona Beach“ der 90er Jahre in den USA verlegt wird, wo die Schauspieler moderne Alltagskleidung tragen und Schwerter durch Schusswaffen und Schlösser durch Wolkenkratzer ersetzt wurden. Dadurch erhält der Film eine eigene Note, die ihn von bisherigen Verfilmungen unterscheidet und die erst durch die schöpferische Leistung der Requisiteure zur Geltung kommt. c) Allgemein anerkannte Filmurheber. Generell anerkannt als Urheber sind, soweit 47 sie eine persönlich geistige Schöpfung erbringen, der Regisseur 69, der Mischtonmeister 70, der Kameramann 71, der Cutter 72, der Filmtonmeister und der Beleuchter 73. Diese Aufzählung ist freilich nicht verallgemeinerungsfähig, als jede Zuerkennung der Urheberschaft einer genauen Prüfung unterliegt, innerhalb derer sowohl die einzelne Tätigkeit des Schutzbegehrenden, als auch die daraus resultierende Urheberleistung stets für den konkreten Einzelfall untersucht wird.74 Denn grds gilt nach der Rechtsprechung das sog Letztentscheidungsrecht. Dh, dass derjenige kein Urheber sein kann, dessen Gestaltungs-
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Bohr ZUM 1992, 121, 125; Straßer 59. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 316 f, 318; vgl dazu auch BGH GRUR 1991, 133, 135 – Videozweitauswertung I; BGH GRUR 1984, 730 ff – Filmregisseur. BGH GRUR 2002, 961 (1. Ls) – Mischtonmeister. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 316, 318; vgl dazu auch OLG Köln GRUR-RR 2005, 337,
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338 – Veröffentlichungsbefugnis einer Kamerafrau. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 316, 318. Dreier/Schulze/Schulze § 89 Rn 12 ff; vgl zu den einzelnen Werkbeiträgen auch umfassend Heidmeier 123 ff. BGH GRUR 2002, 961, 963 – Mischtonmeister; OLG Köln GRUR-RR 2005, 337, 338 – Veröffentlichungsbefugnis einer Kamerafrau.
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willen dem eines anderen so untergeordnet ist, dass er dessen Wille lediglich ausführt, ohne aber eigene schöpferische Ideen zu verwirklichen.75 Dies gilt insbesondere, wenn der Produzent konkret, kreative Vorgaben im Vorfeld vertraglich festlegt oder konkret während des Drehs macht.
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d) Produzentenurheberrecht? Weitestgehende Einigkeit besteht darin, dass der Filmhersteller grds kein originäres Urheberrecht am Filmwerk erwirbt, sofern er nicht einen schöpferischen Beitrag leistet und seine Arbeit sich nicht allein auf die Finanzierung der Filmherstellung beschränkt.76 Diese Feststellung wurde schon im Regierungsentwurf deutlich gemacht.77 Zwar gab es in der Vergangenheit immer wieder Stimmen, die dem Produzenten generell den Urheberstatus zubilligen wollten, da die organisatorische Beteiligung des Produzenten, die maßgeblich zum Zusammenhalt der kreativen Kräfte führe, eine schöpferische Leistung sei 78. Dieser Konstruktion bedarf es jedoch nicht. Zwar sind bloße Visionen des Produzenten, die nicht von ihm selbst umgesetzt werden, sondern für deren Entwicklung er der Hilfe Dritter bedarf, nicht schutzfähig,79 doch liegt eine schöpferische Leistung des Produzenten immer schon dann vor, wenn er etwa den sog Final Cut oder die zu verfilmende Geschichte maßgeblich mitbestimmt. Regelmäßig ist er schon deswegen bereits als Urheber geschützt. Einer Anerkennung des Urheberrechts an den Produzenten wegen bloß organisato49 rischer Leistungen bedarf es somit im Ergebnis nicht, denn dem Produzenten ist im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ein Urheberrecht am Film zuzuerkennen, wenn sich seine schöpferische Leistung soweit konkretisiert hat, dass man von einer persönlich geistigen Schöpfung iSd § 2 Abs 2 UrhG sprechen kann80. Dies wird regelmäßig der Fall sein.
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e) Zu den Rechtsverhältnissen der am Film beteiligten Urheber. Die Urheber des Filmwerks sind unter der hM problemlos als Miturheber iSv § 8 UrhG anzusehen, da die von ihr als Filmurheber anerkannten Beteiligten ihre Beiträge nicht gesondert verwerten können 81. Schwieriger wird die Sachlage zu beurteilen, wenn man wie die Lehre vom Dop51 pelcharakter oder wie die hier vertretene Lehre von der Unmittelbarkeit auch solche Beteiligte als Urheber ansieht, deren Beiträge sich prinzipiell gesondert verwerten ließen. Die Vertreter der Lehre vom Doppelcharakter gehen gleichwohl teilweise unter Berufung auf Sinn und Zweck von § 8 UrhG davon aus, dass auch nach ihrem Verständnis von der Filmurheberschaft von einer Miturheberschaft zwischen den einzelnen Filmurhebern auszugehen ist 82. Bei dem Rechtsverhältnis zwischen Urhebern vorbestehender Werke untereinander 52 sowie zwischen Filmurhebern und Urhebern vorbestehender Werke, die nicht zugleich Filmurheber sind, handelt es sich grds nicht um einen Anwendungsfall des § 9 UrhG. Dies ist damit zu begründen, dass sich die Urheber dieser vorbestehenden Werke nicht mit den Filmurhebern zu einer gemeinsamen Verwertung zusammenschließen, sondern viel75 76 77 78
LG München I ZUM 1999, 332, 337 – Miturheberschaft des Kameramannes. So etwa bei Bohr UFITA 78 (1977), 95, 116; Reupert 87 f. Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 173; Loewenheim/A. Nordemann § 9 Rn 183. Kreile/Höfinger ZUM 2003, 719, 731; Poll ZUM 1999, 29, 35; Weltersbach ZUM 1999, 55, 58.
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Ott ZUM 2003, 765. Ähnlich von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 173. Vgl dazu bei Loewenheim/Schwarz-Reber § 12 Rn 36 f mwN; aA Fromm/Nordemann/ Nordemann § 8 UrhG Rn 13, der vom Filmwerk als ein Gesamtkunstwerk sui generis ausgeht, auf dass die §§ 8 und 9 UrhG nicht anwendbar sind. Vgl dazu umfassend bei Reupert 108 ff.
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Praktische Fragen des Filmrechts
mehr dem Filmhersteller die Nutzung an den vorbestehenden Werken überlassen. Ebenso wenig kann von einer Werkverbindung der vorbestehenden Werke untereinander ausgegangen werden. Es besteht vielmehr an den vorbestehenden Werken Alleinurheberschaft.83 Eine andere Wertung wird man jedoch dort treffen müssen, wo die Beteiligten sich im Vorfeld bereits bewusst zusammengeschlossen haben, mit dem konkreten Ziel, ein Filmwerk zu schaffen und zu diesem ihre kreativen Kräfte zu bündeln und darauf auszurichten, da dann der klassische Fall der Werkverbindung nach § 9 UrhG gegeben ist; wobei bei nicht näherer Konkretisierung der Gesellschaftsform im Zweifel eine GbR vorliegt. Die Werkschöpfung gilt in diesem Fall dann nicht als gemeinschaftlich, wenn entgegen 53 der ursprünglichen Planung ein Regisseur oder ein sonstiger Mitwirkender abgelöst und durch einen anderen ersetzt wird. Dann handelt es sich beim im Anschluss daran fertiggestellten Filmwerk um die Bearbeitung eines unvollendeten Filmwerkes iSd §§ 3, 23 UrhG.84 2. Der Herstellerbegriff beim Film Die Feststellung, wer Hersteller eines Filmwerkes ist, ist deswegen von so entschei- 54 dender Bedeutung, da zum einen § 94 UrhG dem Produzenten ein eigenes, in seiner Person originär entstehendes Leistungsschutzrecht zubilligt, dass er nicht erst mühsam durch vertraglich Abreden als Nutzungsrecht erwerben muss und das er auch dann geltend machen kann, wenn die Nutzungsrechtseinräumung gescheitert ist oder der Urheber bestimmte Nutzungsrechte von der Übertragung ausgenommen hat. Daneben knüpfen die §§ 88, 89 UrhG jeweils eine Vermutungsregel an die Person des Filmherstellers, wonach ihm im Zweifel das ausschließliche Recht eingeräumt wird, das vorbestehende bzw das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu benutzen. a) Zur Filmherstellereigenschaft im Allgemeinen. Der BGH hat zur Frage der Her- 55 stellereigenschaft Stellung bezogen und entschieden, dass der Filmhersteller diejenige natürliche oder juristische Person ist, die die wirtschaftliche Verantwortung und die organisatorische Tätigkeit 85 übernommen hat, die erforderlich sind, um den Film als fertiges Ergebnis der Leistung aller bei seiner Schaffung Mitwirkenden und damit als ein zur Auswertung geeignetes Werk herzustellen.86 Entscheidend sind dabei nicht die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten, sondern die objektiven Verhältnisse. D.b, der Filmhersteller muss das mit der Stellung eines Filmherstellers verbundene wirtschaftliche Risiko tatsächlich tragen. Weiter kommt es darauf an, dass er die notwendigen Entscheidungen, zu denen der BGH exemplarisch den Abschluss der entsprechenden Verträge mit den Vertragspartnern zählt, in die Tat umsetzt und in ihren wirtschaftlichen Folgen verantwortet.87 Diese Entscheidungspraxis des BGH überzeugt, weil sie interessengerecht ist. Denn es gilt zu berücksichtigen, dass die Herstellung eines Filmes regelmäßig eine erhebliche organisatorische und wirtschaftliche Leistung darstellt.88 Eine Belohnung darf aber 83 84 85
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Loewenheim/Schwarz-Reber § 12 Rn 32. Loewenheim/Schwarz-Reber § 12 Rn 38; Schack Rn 289. Zur Gewichtung der einzelnen unternehmerischen Leistungen iRd Filmherstellung vgl umfassend Baur UFITA 2004/III, 665, 735 ff. BGH NJW 1993, 1470, 1471 – Filmhersteller; BGH UFITA 55 (1970), 313, 316 ff – Triumph des Willens; die hier gezogenen Schlussfolgerungen zum Filmherstellerbegriff
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werden vom BFH unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls angewandt, vgl dazu BFH DB 1996, 254 – ZDF-Auftragsproduktion. BGH NJW 1993, 1470, 1471 – Filmhersteller; zuletzt ua bestätigt in OLG Düsseldorf GRUR-RR 2002, 121, 122 – Das weite Land. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 321.
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dann auch nur demjenigen zu Gute kommen, der diese Leistung tatsächlich erbracht hat. Ob die dem Produzenten zustehenden Rechte aufgrund vertraglicher Regelungen dann noch auf andere übergehen, ist dabei unerheblich. Dies zugrunde legend wäre es falsch, den Angestellten eines Unternehmens, der be56 sagte Tätigkeit durchgeführt hat, als Filmhersteller zu betrachten. Vielmehr muss in analoger Anwendung der Vorschrift des § 85 Abs 1 S 2 UrhG davon ausgegangen werden, dass, wenn der Film in einem Unternehmen durch Hinzuziehung seiner Angestellten hergestellt worden ist, das Unternehmen, in dem diese beschäftigt sind, als der privilegierte Filmhersteller gilt.89 Dies ist schon deswegen gerechtfertigt, da das Unternehmen, trotz Delegation der organisatorischen Einzelleistungen auf einen Dritten, die wirtschaftlichen Folgen tragen muss.90 Entscheidend ist es damit, auf die wirtschaftliche und organisatorische Gesamtverantwortung abzustellen 91 und nicht auf die Verantwortlichkeit Dritter in der Herstellung bloß einzelner Teilbereiche des Films Ansonsten wird man bei geteilter Verantwortung in diesen Fällen schon von einer Koproduktion oder Auftragsproduktion ausgehen müssen.92
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b) Besonderheiten bei einzelnen Produktionsformen. Unübersichtlich scheint die genaue Bestimmung der Person des Filmherstellers in den Fällen zu werden, in denen organisatorische und wirtschaftliche Verantwortung nicht durchgehend in der Hand einer einzelnen natürlichen oder juristischen Person liegt, sondern wo es zu Koproduktionen und Auftragsproduktionen kommt, wo Filmfonds auftreten, wo im Grunde die Produktionsstrukturen komplexer werden.93 Dennoch lassen sich auch diese komplexeren Fragestellungen mit den oben benannten Grundüberlegungen des BGH interessengerecht lösen. Mit einer Koproduktion bezeichnet man die Gemeinschaft mehrerer inländischer 58 oder ausländischer Partner, die sich, zumindest als GbR,94 zur Produktion eines Filmes zusammengeschlossen haben.95 Das Merkmal der Koproduktion sagt freilich noch nichts über die rechtliche Einordnung der Beteiligten als Hersteller aus. Diese ist vielmehr nach den hergebrachten Grundsätzen des BGH 96 zu bestimmen. Danach ist es im Einzelfall festzustellen, ob den Beteiligten mehr oder minder gleichermaßen Entscheidungsbefugnis zukommt und sie das entsprechende wirtschaftliche Risiko tragen. Ist dies der Fall, muss man neben den Gesellschaftern auch die GbR als solche, als Filmhersteller ansehen.97 Denn nach der überzeugenden Gruppenlehre 98, der sich auch der BGH angeschlossen hat, ist die BGB-Außengesellschaft als Rechtsträgerin selbst Träger des Gesamthandsvermögens, zu dem dann aber auch die Leistungsschutzrechte und übertragenen Nutzungsrechte nach §§ 88, 89 UrhG als Vermögensrechte zählen.99
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So auch BGH NJW 1993, 1470, 1471 – Filmhersteller; BFH DB 1996, 254 – ZDF-Auftragsproduktion. Baur UFITA 2004/III, 665, 749. So im Ergebnis letztlich auch OLG Düsseldorf GRUR-RR 2002, 121, 122 – Das weite Land; ähnlich auch Fromm/Nordemann/Hertin § 94 UrhG Rn 4; von Gamm § 94 UrhG Rn 3; Paschke FuR 1984, 403, 406 ff. Vgl dazu Rn 57 ff. Vgl dazu auch die Musterverträge bei Jacobshagen 85 ff. LG München I ZUM 2005, 336, 339 – TVSerie; von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 247.
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Vgl umfassend zur Koproduktion bei Umbeck 22 ff; von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 245 ff. BGH NJW 1993, 1470 ff – Filmhersteller. AA Schricker/Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 36; Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 53, die noch ausschließlich von einer Mitherstellereigenschaft der Gesellschafter in Gesamthandsbindung ausgehen. Vgl zu den einzelnen Argumenten für die Verrechtlichung der BGB-Außengesellschaft ua bei Habersack BB 2001, 477 ff. Vgl dazu BGHZ 146, 341, 343 ff – Parteifähigkeit einer BGB-Gesellschaft.
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§2
Praktische Fragen des Filmrechts
Gerade bei größeren Produktionen wird man zudem oftmals eine andere Gesellschaftsform als die der GbR wählen. Ist dies geschehen, erwirbt auch in diesen Fällen die jeweils gewählte Personen- oder Kapitalgesellschaft die Rechte am Film in ihrer Funktion als Filmhersteller.100 Anders ist jedoch die Sachlage zu beurteilen, wenn man sich unter den Koproduzenten auf einen sog executive producer geeinigt hat. Wird dieser im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig, handelt es sich also bei der zugrunde liegenden Gesellschaft um eine reine Binnengesellschaft, ist ausschließlich dieser als Filmhersteller anzusehen.101 Dies folgt nicht zuletzt aus der Grundüberlegung des § 94 UrhG, der ja gerade das wirtschaftliche Risiko und die organisatorische Leistung belohnen will. Es sollte in diesen Fällen dann im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, dass die ihm kraft seiner Stellung als Filmhersteller zustehenden Rechte seine Einlage in die Gesellschaft sind. Umgekehrt bleibt die Gesellschaft dennoch Filmhersteller, wenn der bestellte executive producer ausschließlich auf Rechnung und im Namen der Gesellschaft und damit als geschäftsführender Gesellschafter tätig wird. Bei einer Auftragsproduktion wird der Film im Auftrag eines Dritten hergestellt. Man unterscheidet die echte und die unechte Auftragsproduktion.102 Während erstere dadurch gekennzeichnet ist, dass der Auftragnehmer als selbstständiger und weisungsunabhängiger Unternehmer die Herstellung des Films und damit einhergehend das wirtschaftliche Risiko tatsächlich übernimmt, ist die unechte Auftragsproduktion im Gegenzug dadurch geprägt, dass der Auftragnehmer vollständig den Weisungen des Auftraggebers unterworfen ist. Diese unterschiedliche Ausgestaltung der Auftragsproduktion hat dazu geführt, dass die Herstellerfrage unterschiedlich beantwortet werden muss. So ist bei der echten Auftragsproduktion zunächst der Auftragnehmer Filmhersteller.103 Denn zum einen trifft er die maßgeblichen Entscheidungen alleine oder aber in Absprache mit dem Auftraggeber, niemals aber ist der Auftraggeber alleinverantwortlich für die Organisation. Zum anderen aber trägt der Auftragnehmer regelmäßig das wirtschaftliche Risiko. Denn entweder ist eine Vergütung nach den Bestimmungen des § 640 BGB, die für die echte Auftragsproduktion gelten,104 davon abhängig, dass die Auftragsproduktion abgenommen wird, zum anderen aber wird bei Fernsehproduktionen, bei denen der Auftraggeber eine Sendeanstalt ist, das wirtschaftlich bedeutendere Sendehonorar an die tatsächliche Ausstrahlung geknüpft.105 Diese Wertung kann nicht durch vertragliche Binnenregelungen abgeändert werden. Zwar ist der Auftragnehmer in diesen Fällen verpflichtet, dem Auftraggeber alle ausschließlichen Nutzungsrechte einzuräumen,106 er selbst bleibt aber dennoch Filmhersteller iSd UrhG.107 Auch bei den sog Festpreisproduktionen, bei denen sich das Sendeunternehmen verpflichtet, die Filmfinanzierung zu einer bestimmten Summe zu übernehmen, ändert sich an dieser Wertung nichts, so lange der Auftragnehmer nicht Verträge im Namen des Auftraggebers abschließt und das wirtschaftliche Risiko auch bei Kostenüberschreitung nicht tragen muss,108 mithin eine unechte Auftragsproduktion vorliegt. 100 101 102
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Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 247. Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 247. Vgl zur Auftragsproduktion ausf Umbeck 8 ff; von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 252 ff. OLG München NJW-RR 1997, 1405, 1406 – Boxveranstaltung. Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 253; Pense ZUM 1999, 121, 124.
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Pense ZUM 1999, 121, 124; Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 33. Vgl Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 41 Anm 5. KG Berlin GRUR 1999, 721 – DEFA-Film; KG Berlin MMR 2003, 110, 112 – Paul und Paula. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2002, 121, 123 – Das weite Land; KG ZUM 1999, 415,
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Bei der unechten Auftragsproduktion bleibt nämlich der Auftraggeber Filmhersteller, da hier der Auftraggeber sowohl die entscheidenden organisatorischen als auch die wirtschaftlichen Risiken übernimmt.109 So erstellt er ua das Budget, trägt das Risiko für die Produktion und nimmt das kurbelfertige Drehbuch ab. Zudem handelt es sich bei der unechten Auftragsproduktion um einen Geschäftsbesorgungsvertrag, wonach der Auftragnehmer lediglich die Tätigkeit, nicht aber die Abnahme schuldet 110 und sein wirtschaftliches Risiko schon deswegen minimiert ist. Die zur Auftragsproduktion getroffenen Wertungen gelten auch für den Fall, in dem 63 der Auftraggeber ein sog Filmfonds ist.111 Dies wird zwar teilweise dahingehend abgemildert, dass es als ausreichend anzusehen ist, wenn der Filmfonds im Wesentlichen die wirtschaftliche Gesamtverantwortung trägt,112 dies allein reicht jedoch nicht, um bspw Sinn und Zweck des § 94 UrhG zu genügen.113
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c) Maßgeblicher Produktionszeitpunkt. Die Filmherstellung lässt sich grob in vier Phasen einteilen: 1. Stoffentwicklung und Stoffsuche, 2. Projektentwicklung, 3. Produktionsphase und 4. Auswertungsphase, wobei sich die Produktionsphase wiederum in die sog Vorproduktion, die Dreharbeiten und die sog Endproduktion aufteilen lässt.114 In jeder Phase kann ein Produzent ausscheiden und durch einen neuen ersetzt werden. Damit drängt sich praktisch von selbst die Frage auf, ab welchem Zeitpunkt Herstellereigenschaft eintritt und wie die Behandlung mehrerer Produzenten in ihrem Verhältnis zueinander zu erfolgen hat. Die Filmherstellung ist ein Realakt mit der Folge, dass ein tatsächliches Leistungs65 ergebnis erst mit der Fixierung des Films in Form der sog Nullkopie eintritt.115 Wer in diesem Zeitpunkt die wirtschaftliche und organisatorische Gesamtverantwortung trägt, gilt nach der hM als Filmhersteller.116 Dies führt dazu, dass eine Mitherstellereigenschaft unter ausgewechseltem und ersetzendem Produzent nicht so ohne weiteres angenommen werden kann. Derjenige Produzent, der vor Erstellung der Nullkopie ausscheidet, wird nämlich nicht als Filmhersteller angesehen, da er das fertige Filmwerk nicht mehr als Gesamtwerk fertiggestellt und der kommerziellen Verwertbarkeit zugeführt hat.117 Diese am Wortlaut des § 94 UrhG orientierte und sich iRv Sinn und Zweck der 66 europäischen Vorgaben der Vermiet- und Verleih-Richtlinie 93/98/EWG sowie der Informations-Richtlinie 2001/29/EG bewegende Auffassung wurde jedoch kritisiert. So wurde ua bemängelt, dass derjenige, der erst kurz vor Fertigstellung des Films in die laufende Produktion eintritt, trotz fehlender Leistung dennoch als Filmhersteller angesehen werden müsste.118 Besser sei es, bei vertikaler Arbeitsteilung von einer Mitherstellerschaft auszugehen, die im Einzelfall aber durchaus einer Alleinherstellerschaft weichen könne, wenn der Zweitproduzent nochmals maßgebliche eigene organisatorische Leistungen innerhalb der Produktion vornimmt.119 Schon aufgrund dieser Überlegung überzeugt die Kritik am
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416 – Defa Studio; Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 8; Hertin Rn 473. OLG München NJW-RR 1997, 1405, 1406 – Boxveranstaltung; Schricker/Katzenberger Vor §§ 88 ff UrhG Rn 35 mwN. Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 256. Vgl dazu ausf bei Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 48. Möhring/Niccolini/Lütje § 94 UrhG Rn 6, 9 ff. Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 49.
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Vgl dazu im einzelnen Baur UFITA 2004/III, 665, 672 ff. Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 21. Baur UFITA 2004/III, 665, 734; Pense ZUM 1999, 121, 125 f; Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 21, 47. Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 47. Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 7. Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 7.
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Praktische Fragen des Filmrechts
hier gewählten Herstellerbegriff nicht. Selbst wenn ein Filmhersteller erst kurz vor der Fixierung der Nullkopie in die Produktion eintritt und diese übernimmt, liegt immer auch in der Organisierung der Erstfixierung ein wichtiger Leistungsbeitrag, müssen doch die einzelnen filmbestimmten Leistungen noch auf einem Filmträger zusammengeführt werden.120 Davon abgesehen, wird der vormalige Produzent ausgezahlt, entfällt sein wirtschaftliches Risiko und damit eine der grundlegenden Komponenten für die Zuerkennung der Herstellereigenschaft. Eine andere Bewertung wird man aber freilich immer dann treffen müssen, wenn der 67 ausscheidende Produzent nach wie vor Teile des wirtschaftlichen Gesamtrisikos zu tragen hat, etwa in dem sein Honorar erfolgsmäßig an die Verwertung des Filmwerkes gekoppelt ist. Dann liegt nämlich kein Ausscheiden des vormaligen Produzenten aus der Produktion vor. Sein Leistungsbeitrag sowie das von ihm zu tragende wirtschaftliche Risiko machen ihn im Einzelfall zum Mithersteller.121 d) Einzelfragen zur Herstellereigenschaft. Zur Herstellereigenschaft muss zusätzlich noch 68 in bestimmten Einzelfragen Stellung bezogen werden. Danach gilt, angesichts der Grundüberlegungen zum Filmherstellerbegriff, zu Recht, dass dasjenige Sendeunternehmen Filmhersteller ist, das selbst Filme produziert.122 Ist der Film in Gemeinschaftsproduktion von Senderunternehmen/Rundfunkanstalten und Produktionsunternehmen entstanden, kommt es darauf an, wer nach den og Voraussetzungen das Kosten- und Abnahmerisiko trägt.123 Filmhersteller sind weiterhin der Synchronproduzent, wenn der Tonteil ganz oder neu geschaffen wird,124 sowie iFd Nachkolorierung,125 derjenige, der die entsprechende Nachbearbeitung vornimmt, da hier die zusätzlichen Elemente regelmäßig eigenständig geschaffen wurden und die Nachbearbeitung mit einem zumindest nicht unerheblichen wirtschaftlichen Aufwand verbunden war.126 Dieser wirtschaftliche und organisatorische Neuaufwand ist zudem immer bei Neuverfilmungen gegeben. Denn hier entsteht ein völlig neues Filmwerk, dem neue organisatorische Leistungen und wirtschaftliche Risiken zugrunde liegen127. Ein weiterer Effekt dieser Herangehensweise ist iÜ, dass der Filmhersteller gegen Neuverfilmungen nicht aus § 94 UrhG vorgehen kann, da sein Leistungsschutzrecht aus § 94 UrhG immer auf die konkrete im Film verkörperte Leistung beschränkt ist.128 Kein Filmherstellungsrecht entsteht hingegen bei der automatisierten Digitalisierung 69 von Filmen zur Herstellung von DVDs.129 Denn hierin liegt eine bloße Vervielfältigungshandlung ohne für die Filmherstellung maßgebliche organisatorische Leistung. Gleiches gilt in den Fällen, in denen bereits bestehende Filmwerke lediglich um bisher nicht gezeigte Szenen ergänzt werden. Dies gilt grds für solche Bearbeitungen, die ohne schöpferische Leistung aus bestehenden Filmausschnitten neu zusammengeschnitten werden, um sie erneut zu vermarkten.130 Anders ist dies hingegen bei solchen Collagen zu beurteilen, bei denen etwas völlig eigenes, dh ein neues Werk iSd § 2 Abs 2 UrhG, entsteht. Hier kommt
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Pense ZUM 1999, 121, 125 f. Vgl als Beispiel für eine Abwägung in dieser Frage exemplarisch OLG München NJW 2003, 683, 684 – Alpensinfonie. AllgA vgl statt vieler Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 12 mwN. OLG Düsseldorf UUR 2002, 238. Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 15 mwN. Dreier/Schulze/Schulze § 94 UrhG Rn 17 mwN.
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Fromm/Nordemann/Hertin § 94 UrhG Rn 10; Schricker/Katzenberger § 94 UrhG Rn 13; Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 24. Schricker/Katzenberger § 94 UrhG Rn 17. Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 7. Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 25 mwN. Vgl dazu OLG Stuttgart ZUM-RD 2003, 586, 588.
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es nicht auf einen erheblichen wirtschaftlichen Aufwand an, da ein nach § 24 UrhG zu beurteilender und damit vom Ausgangswerk selbstständiger Film entstanden ist.131 Weiterhin ist grds der Tonträgerhersteller kein Filmhersteller. Denn aufgrund der Be70 sonderheit des Filmwerkes als Gesamtwerk wird die verwendete Tonspur Teil des Filmes. Die Rechte des Filmherstellers erstrecken sich mithin auch darauf, wenn nicht im Vorfeld eine Koproduktion vereinbart wurde, nach der der Tonträger- und der Hersteller des übrigen Films arbeitsteilig in der Herstellung des Gesamtwerkes zusammenwirken. Dann wird aber der Tonträgerhersteller mglw dennoch nicht Filmhersteller, sondern die der Vereinbarung zugrunde liegende Gesellschaft.132 Dagegen bleiben hinsichtlich der Tonspur die Rechte nach § 85 UrhG beim Tonträ71 gerhersteller, wenn die Herstellung des beabsichtigten Films scheitert.133 Bei erstmaliger Fixierung einer Live-Sendung durch eine Aufzeichnung beim Empfang mittels Recorder entsteht ebenfalls keine Herstellereigenschaft beim Aufzeichnenden. Nicht etwa deshalb, weil ansonst eine unüberschaubare Vielzahl von Filmherstellern begründet wäre,134 sondern weil darin schon keine organisatorische und wirtschaftlich belohnenswerte Leistung liegt.135 Auch an die Live-Sendung selbst ist keine Filmherstellereigenschaft gekoppelt. Denn die Live-Sendung ist zwar ein Filmwerk, mangels materiellen Trägers liegt aber im Zeitpunkt der Erstausstrahlung keine Nullkopie vor. So fehlt es daher bereits an einer ganz entscheidenden Voraussetzung für die Zuerkennung der Herstellereigenschaft. Es entstehen damit an der Live-Sendung nur die Rechte des Sendeunternehmens aus § 87 UrhG. Die Wertungen des Urheberrechts in der Frage des Filmherstellers und die des Me72 dienerlasses der Bundesregierung laufen parallel. Insbesondere wird die urheberrechtliche Einordnung des Filmherstellers nicht modifiziert, da dieser ausschließlich iRv steuerrechtlichen Gründen Bedeutung erlangt.136
III. Filmverträge und Filmauswertung 73
Im Filmurheberrecht gilt es, zwischen der Verfilmungsphase und der Auswertungsphase zu unterscheiden. Es handelt sich dabei jeweils um unterschiedliche Ebenen, an denen zum Teil ganz unterschiedliche Interessengruppen beteiligt sein können. Um die vertraglichen Regelungen dennoch unter einen übergeordneten Rahmen subsummieren zu können, spricht man in der Gesamtheit der Verträge von sog Filmverträgen, dh von Verträgen, „durch die Rechte zum Zwecke der Herstellung und Auswertung eines Filmes erworben oder an Dritte lizenziert werden“.137 1. Gebräuchliche vorvertragliche Vereinbarungen im Filmbereich
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Filmverträge sind oftmals in ihrer rechtlichen Wirkung ganz unterschiedlich ausgestaltet. Neben dem Vertrag, mithin der klassischen Angebot-Annahme-Situation, finden 131
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In dieser Frage ähnlich Wandtke/Bullinger/ Manegold § 94 UrhG Rn 28; vgl umfassend Czernik Die Collage S 275 ff. Vgl dazu oben Rn 58, 59. Loewenheim/Schwarz-Reber § 42 Rn 11. So aber Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 22; Loewenheim/Schwarz-Reber § 42 Rn 18.
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Dies benennend ua auch Dreier/Schulze/ Schulze § 94 UrhG Rn 21, 26; Schricker/ Katzenberger § 94 UrhG Rn 14. Vgl ausf zum Medienerlass Wandtke/Bullinger/Manegold § 94 UrhG Rn 50. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 1.
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Praktische Fragen des Filmrechts
sich gerade im Filmbereich zahlreiche vorvertragliche Regelungen mit mehr oder minder weitreichender rechtlicher und vor allem bindender Wirkung. So finden sich unter anderem der Vorvertrag, der Optionsvertrag, aber auch die im Wirtschaftsverkehr gerne genutzten Letter of Intent und Deal of Memo, deren rechtliche Bindungswirkung sich, wenn es Streit gibt, oftmals gar nicht so einfach bestimmen lassen, wie man noch im Zeitpunkt der Niederschrift annahm. a) Der Vorvertrag. Von den besagten vorvertraglichen Regelungen ist in der Praxis der 75 Vorvertrag die am wenigsten genutzte vertragliche Vereinbarung im Vorfeld. Schließlich wird durch den Vorvertrag nur eine Abschlusspflicht begründet, wonach den Vertragsparteien die Verpflichtung obliegt, zu einem späteren Zeitpunkt einen sog Hauptvertrag abzuschließen.138 Dies hat zur Folge, dass der Berechtigte zunächst auf Abgabe einer zum Abschluss des Hauptvertrages führenden Willenserklärung klagen muss (§ 894 ZPO), bevor er seinen Vorvertragspartner aus dem Hauptvertrag in Anspruch nehmen kann.139 b) Der Optionsvertrag. Weit interessanter gestaltet sich da die Möglichkeit des Op- 76 tionsvertrages, da durch diesen den Parteien ein weitgehender Spielraum in der konkreten Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen eingeräumt wird.140 Zusätzlich ermöglicht der Optionsvertrag bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Erlangung einer gesicherten Rechtsposition. Dies kann deswegen interessant sein, da man nicht immer bereits alle rechtlichen und finanziellen Details geregelt haben wird, sich aber dennoch die Chance auf ein lukratives Geschäft nicht entgehen lassen möchte. Der klassische Optionsvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass anders, als beim Vor- 77 vertrag,141 kein schuldrechtlicher Anspruch auf Abschluss eines Hauptvertrages, sondern ein Gestaltungsrecht begründet wird.142 Diese Absolutheit gilt jedoch gerade im Filmurheberrecht nur bedingt. So unterscheidet man heute zwischen zwei den Beteiligten zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten des Optionsvertrages: dem einfachen und dem qualifizierten Optionsvertrag. Während die einfache Option nur den Vertragsgegenstand sowie die vertragliche Vereinbarung eines Erstanbietungsrechtes des Werkes regelt,143 werden in dem sog qualifizierten Optionsvertrag bereits alle wesentlichen Vertragsbedingungen des Filmvertrages von vornherein festgelegt.144 Diese unterschiedliche Ausgestaltung hat Folgen. So kann nach der hM bei Wahl des 78 bloß einfachen Optionsvertrages der Vertragspartner entscheiden, ob er den Vertrag zu den vom Optionsberechtigten bei Ausübung des Optionsrechtes genannten Bedingungen annimmt oder ein anderweitig ergangenes günstiges Angebot eines Dritten vorzieht.145 Das einfache Optionsrecht führt damit nur zum Erstanbietungsrecht,146 wodurch aber keine vorweggenommene Bindung des Urhebers vorliegt, sondern es dem Urheber überlassen bleibt, ob er den Vertrag zu den vom Optionsberechtigten genannten Bedingungen annimmt oder Rechte am optionierten Werk einem Dritten zu für ihn günstigeren Konditionen einräumen will.147 138 139 140 141 142 143
BGHZ 102, 384, 388 – Architektenvertrag; Palandt/Heinrichs Einf v § 145 BGB Rn 19. Brox/Walker § 4 Rn 75. So die Einschätzung Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 522. Vgl hierzu Rn 75. Palandt/Heinrichs Einf v § 145 BGB Rn 23. Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 516; Brandi-Dohrn 61, insofern etwas verwirrend bei Hohmann 83.
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Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 101. LG Hamburg ZUM 2002, 158, 159 f – Option als Vorrechtsvereinbarung; Fromm/ Nordemann/Hertin § 40 UrhG Rn 4; Hohmann 83; Peters 216. OLG München ZUM 2008, 68, 69. Vgl hierzu ausf bei Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 516.
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Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Gestaltungsformen besteht mithin darin, dass bei der qualifizierten Option bereits eine einseitige Erklärung des Filmherstellers den Vertragsschluss herbeiführt. Nur beim qualifizierten Optionsvertrag handelt es sich damit um einen aufschiebend bedingten Vertrag, der durch die Abgabe der Optionserklärung, dh mit Ausübung des Gestaltungsrechts einseitig zwingend, zu einem unbedingten wird.148 Dennoch ist auch die einfache Option mehr als ein bloßer Vorvertrag im oben genannten Sinne, wird doch keine Abschlusspflicht begründet.149 Bei der einfachen Option handelt es sich vielmehr um einen mehrfach bedingten Optionsvertrag, in Folge dessen der Berechtigte ebenso wie iFd qualifizierten Option ein obligatorisches Anwartschaftsrecht am Werk erhält.150 Eine besondere Gestaltungsform nimmt ein Vertrag an, wenn dem Optionsberechtigten sowohl die erste als auch die letzte Option zukommt. Hier sah das OLG München zugunsten des Optionsbegünstigten eine Rechtsposition begründet, die über die Einräumung eines Erstanbietungsrechts bzw. eines Erstverhandlungsrechts hinausgeht.151 Zu Recht, denn hier werden Option und Vorkaufsrecht quasi vermengt, in dem nämlich neben der Zugriffsmöglichkeit über das Ziehen der „Ersten Option“ dem Optionsberechtigten die Möglichkeit gegeben wird, auch nach Verstreichenlassen der Optionsfrist, den Verfilmungsvertrag durch Ausübung der „Letzten Option“, zu den Konditionen zu schließen, zu denen der Optionsverpflichtete die Rechte einem Dritten angeboten hat, sofern dieses Angebot an den Dritten den rechtlichen Anforderungen an Ernstlichkeit genügt.152 Schon aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen sollten die Parteien immer genau festlegen und sich vor allem bewusst sein, welche Optionsmöglichkeit sie ihrer Einigung zugrunde legen wollen. Die bloße Wahl des Wortes Option ist nicht aussagekräftig,153 entscheidend ist vielmehr die Reichweite der inhaltlich angestrebten Bindung. Das Fehlen einer Vergütungsvereinbarung führt hingegen nicht dazu, das Vorliegen einer qualifizierten Option abzulehnen, da nach § 32 Abs 1 S 2 UrhG nunmehr auch bei unterbliebener ausdrücklicher vertraglicher Abrede eine angemessene Vergütung zumindest als konkludent vereinbart gilt.154 Die Angemessenheit einer Optionsvergütung richtet sich grds nach der Länge der Ausübungsfrist und wird teilweise mit 5–10 %,155 teilweise aber auch mit 10–15 % 156 des Honorars, das bei Verfilmung des Werkes gezahlt würde, taxiert, wobei bei Ausübung des Optionsrechts Options- und Verfilmungsvergütung regelmäßig miteinander verrechnet werden.157 Grds bedarf der Optionsvertrag wegen § 40 Abs 1 UrhG nur dann der Schriftform, wenn das optionierte Werk noch nicht näher bzw nur der Gattung nach bestimmt ist. Ist dies nicht der Fall, kann der Optionsvertrag formlos geschlossen werden. Allerdings ist eine schriftliche Vereinbarung schon aus Gründen der Beweisbarkeit anzuraten. 148
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Vgl dazu BGHZ 47, 387, 391; teilweise wird das Optionsrecht auch als langfristig ausgestaltetes Angebot angesehen (Homann 83) bzw als Vertrag sui generis (Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513); vgl zur rechtlichen Einordnung umfassend bei Weber JuS 1990, 249 ff. Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 517. BGHZ 22, 347, 350 – Verlagsrechtlicher Optionsvertrag; Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 516; iFd qualifizierten Option wird teilweise auch gefordert der qualifizierten Option dingliche Wirkung zuzugestehen,
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da dann auch der Sukzessionsschutz gem § 33 UrhG dem optionsberechtigten Produzenten zugute kommen würde, vgl dazu Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 520. OLG München ZUM 2008, 68, 69. OLG München ZUM 2008, 68, 69. LG Hamburg ZUM 2002, 158, 160 – Option als Vorrechtsvereinbarung. Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 519. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 107; Schwarz 205 Fn 17. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 40. Vgl hierzu auch ausf bei Brehm 94.
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Empfehlenswert ist es zudem, die Ausübung des Optionsrechts unter eine für den Verpflichteten überschaubare Frist zu stellen, notfalls dem Verpflichteten die Möglichkeit zu geben, eine Erklärung des Optionsberechtigten durch Aufforderung dazu unter einer angemessenen Fristsetzung herbeizuführen.158 Andernfalls könnte bei einer zeitlich unbegrenzten Bindung, ohne Möglichkeit der Vertragsanpassung, die Rechtsprechung eine solche Vereinbarung durchaus als sittenwidrig werten.159 Zumindest aber wird eine angemessene Frist fingiert, deren Dauer nicht immer dem Optionsberechtigten gefallen wird. Als übliche Frist werden dabei idR zwölf bis vierundzwanzig Monate angesehen.160 Als zulässig anerkannt ist zudem grds die Vereinbarung einer Verlängerungsoption gegen Zahlung einer weiteren Optionsvergütung,161 die zumeist eine anteilige Gebühr bezogen auf den ersten Optionszeitraum darstellt und daher regelmäßig zwischen 50 und 100 % der anfänglichen Optionsvergütung liegt.162 Probleme bereitet ein Optionsvertrag immer dann, wenn der Vertragsgegenstand nicht hinreichend bestimmt werden kann. Diese Problematik tritt vor allem in den Fällen auf, in denen das optionierte Werk noch nicht fertiggestellt ist oder noch gar nicht begonnen wurde und es sich deswegen auch noch nicht in seinen Einzelheiten bestimmen lässt. Dennoch sollte das dem Optionsvertrag zugrunde liegende Werk im Vertragstext zumindest dergestalt bezeichnet werden, dass später durch einen objektiven Dritten zweifelsfrei nachvollzogen werden kann, dass Vertragsgegenstand des Optionsvertrages das nunmehr streitgegenständliche Werk war. Eine entsprechende Bestimmbarkeit des Vertragsgegenstandes in diesem Sinne kann entweder über eine inhaltsbezogene (zB über ein dem Optionsvertrag zugrunde gelegtes Exposé) oder eine personenbezogene Werkfeststellung (zB über eine zeitliche Komponente: „das nächste Werk“) erfolgen.163 Dies braucht es schon deswegen, als auch ein Optionsvertrag den gesetzlichen Vertragsvoraussetzungen genügen muss. Eine Auslegung erfolgt hierbei nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB.164 Die Abtretung eines Optionsrechts ist nicht so ohne weiteres möglich, sondern bedarf der Zustimmung des Verpflichteten. Dies folgt nicht zuletzt aus der besonderen persönlichen Vertrauensbeziehung zwischen Urheber und Optionsberechtigten.165 Zu beachten ist weiter, dass in dem Fall, in dem ein Optionsrecht nicht ausgeübt wird, nach der Rechtsprechung keine Rückgabepflicht des Optionsberechtigten an dem ihm übergebenen Material besteht,166 da sich eine derartige Pflicht aus dem Optionsvertrag ohne eine ausdrückliche, vertraglich vereinbarte Rückverschaffungspflicht nicht herleiten lasse. Danach handele sich bei der Verschaffung des Eigentums an Manuskripten und Unterlagen nicht um eine ihrer Natur nach vorläufigen Leistung, sondern um eine auf Dauer angelegte Regelung der Eigentumsverhältnisse an den übergebenen Gegenständen.167 Aus diesem Grund könne eine Eigentumsrückübertragung auch nicht auf be-
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160 161
Hohmann 84. Vgl dazu BGHZ 22, 347, 354 – Verlagsrechtlicher Optionsvertrag; LG Hamburg ZUM 2002, 158, 160 – Option als Vorrechtsvereinbarung; aA ua Brauneck/Brauner, die wegen § 40 UrhG von einer grundsätzlichen Zulässigkeit langfristiger Bindungen auch über künftige Werk ausgehen, ZUM 2006, 513, 522 mwN. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 103. Vgl Hohmann 85.
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Brehm 94; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 107. Vgl dazu ausf bei Brauneck/Brauner ZUM 2006, 513, 514 f. OLG München ZUM 2008, 68, 69. Peters 218 f mwN. BGH ZUM 1999, 478 ff – Hunger und Durst; OLG München ZUM 2000, 66 ff – Vera Brühne. OLG München ZUM 2000, 66, 68 – Vera Brühne.
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2. Teil
reicherungsrechtlichen Vorschriften begründet werden.168 Ob eine Rückgabepflicht ausnahmsweise dann angenommen werden kann, wenn der Optionsvertrag frühzeitig bspw durch Kündigung 169 beendet wird,170 ist zweifelhaft. Denn die dazu ergangene Entscheidung des BGH gründet sich mehr auf der besonderen Situation beim Musikverlagsvertrag, denn auf dem Umstand der vorzeitigen Beendigung.171 Es ist daher ratsam, eine solche Rückgabeverpflichtung bereits als schriftliche Vertragsklausel in die Optionsvereinbarung mit aufzunehmen. Dies ist schon allein deswegen anzuraten, als es dem Verpflichteten obliegt, die Übergabe von Material im Einzelnen zu beweisen.
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c) Deal Memo und Letter of Intent. Für Verwirrung sorgen regelmäßig die in der Filmbranche häufig zu findenden Letter of Intent und Deal Memo, denn teilweise werden sie bereits als rechtsverbindliche Regelungen verstanden.172 Bei einem Letter of Intent handelt es sich jedoch zunächst nur um eine unverbindliche Absichtserklärung, bei der einzelne für die Vertragsverhandlungen wesentliche Punkte benannt werden.173 Ziel eines Letters of Intent ist es, dem Vertragspartner Nachhaltigkeit und Vertrauen in die Ernstlichkeit der Verhandlungsabsichten zu signalisieren. Ähnliches gilt für den Deal Memo,174 der auch als memo of understanding bezeichnet wird. Hier liegt eine Niederschrift einzelner bisher erreichter Zwischenergebnisse vor, die zunächst keine rechtliche Bindungswirkung entfalten.175 Insofern ist vor einer unreflektierten Übernahme englischer Begriffe zu warnen. Denn 90 auch das Common Law, aus dem die Begriffe kommen, kennt eine grundsätzliche Trennung zwischen einem Vertrag im Rechtssinne und den schlichten vorvertraglichen Regelungen ohne Bindungswirkung.176 Die bloße Benutzung der Begriffe führt damit nicht automatisch bereits zu einer rechtlich bindenden Einigung.177 Bindungswirkung ist damit bei einem Letter of Intent oder einem memo of understanding immer nur dann gegeben, wenn consideration, dh eine inhaltlich bestimmte Einigung der Parteien vorliegt, von der alle wesentlichen Bedingungen, die die Parteien der Einigung zugrunde legen wollen, erfasst sind. Zusätzlich dürfen die Parteien nicht zum Ausdruck gebracht haben, dass sie an die Vereinbarung nicht gebunden sein wollen.178 Dabei kommt es bei der Feststellung, ob im Einzelnen eine bindende Vereinbarung getroffen werden sollte, auch darauf an, außerhalb der Vertragsurkunde liegende Umstände mit zu berücksichtigen.179 2. Die entscheidenden Verträge in der Verfilmungsphase
91
a) Der Verfilmungsvertrag. Das Verfilmungsrecht ist kein Verwertungsrecht iSd § 15 UrhG. Schon die amtliche Begründung weist ausdrücklich daraufhin, dass der Gesetzgeber verzichtet hat, das Verfilmungsrecht als ein eigenständiges Verwertungsrecht zu 168
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173
BGH ZUM 1999, 478, 479 f – Hunger und Durst; OLG München ZUM 2000, 66, 68 – Vera Brühne. Zur Kündigung vgl im einzelnen Brauneck/ Brauner ZUM 2006, 513, 521. Dies überlegend Peters 219 Fn 409 unter Verweis auf BGH ZUM 1999, 478, 479 f – Hunger und Durst. Vgl hierzu BGH ZUM 1999, 478, 480 3. Abschnitt – Hunger und Durst. Dies gilt zumindest für den Letter of Intent, der nach Homann im Filmbereich grds eine rechtsverbindliche Regelung darstellt, 82. Brehm 90; Peters 214.
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178 179
Muster bei Jacobshagen 143 f. Brehm 91 f; Homann 82; Loewenheim/ Schwarz-Reber § 74 Rn 102; Peters 214 . OLG München ZUM 2001, 439, 441 – murder in the first. Vgl zu den vier, sich aus einer sog quick note ergebenden denkbaren rechtlichen Bedeutungen OLG München ZUM 2001, 439, 441 – murder in the first. OLG München ZUM 2001, 439, 441 – murder in the first. OLG München ZUM 2001, 439, 441 f – murder in the first.
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§2
Praktische Fragen des Filmrechts
konzipieren.180 Die Verfilmung wird deswegen entweder als Vervielfältigung, sofern das Werk in den Film veränderungslos hineinkopiert wird, oder als Bearbeitung angesehen.181 Das Verfilmungsrecht ist aber ein Bündel von verschiedenen Nutzungsrechten,182 die 92 der Produzent von den Urhebern der einzelnen vorbestehenden Werke erwerben muss, bevor er das Filmwerk herstellen und nachfolgend verwerten darf.183 aa) Der Verfilmungsvertrag und seine Besonderheiten gegenüber den allgemeinen Re- 93 geln des UrhG. Die Nutzungsrechtseinräumung am vorbestehenden Werk erfolgt im Wege des sog Verfilmungsvertrages. Dabei handelt es sich um einen Lizenzvertrag sui generis,184 dessen Inhalt durch die §§ 31 ff, 88, 90 UrhG sowie ergänzend durch die Vorschriften über den Rechtskauf (§ 453 BGB), die Rechtspacht (§ 581 BGB) und die Abtretung (§ 398 BGB) bestimmt wird.185 Eine Verfilmungspflicht besteht trotz des Verfilmungsvertrages nicht.186 Das folgt 94 schon aus der grundsätzlichen Möglichkeit des Urhebers, die Nutzungsrechtseinräumung wegen Nichtausübung (§ 41 UrhG) zurückzurufen, die wegen § 90 S 2 UrhG, trotz der dispositiven Regelung des § 90 S 1 UrhG,187 auch im Filmurheberrecht besteht. Entscheidend dafür ist, dass der Produzent mit der Herstellung des Films noch nicht begonnen hat, dh, dass in dem Fall, in dem die Dreharbeiten eines Films bereits abgeschlossen sind und der Film dennoch nicht verwertet wird, § 41 UrhG keine Anwendung findet.188 Wird mit den Dreharbeiten begonnen und werden diese kurz danach wieder unterbrochen, so stellt dies für sich genommen die Rückrufsmöglichkeit des Urhebers nicht wieder her. Dazu bedarf es einer längeren Unterbrechung, aus der ersichtlich wird, dass es bereits an der für den Privilegierungstatbestand des § 90 Satz 1 UrhG notwendigen Voraussetzung der Ernstlichkeit fehlt und deutlich wird, dass es dem Produzenten letztlich einzig und allein darauf ankommt sich die Rechte auf Vorrat zu sichern.189 Die Dreharbeiten müssen daher den planmäßigen Abschluss erkennen lassen.190 Das Rückrufsrecht der Urheber besteht allerdings nicht voraussetzungslos. Neben 95 Beachtung der gesetzlichen Mindestfrist in § 41 Abs 2 S 1 UrhG, nach der das Rückrufsrecht nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit Einräumung oder Übertragung des Nutzungsrechtes (die Optionsfrist wird nicht auf die Rückfrist angerechnet) 191 ausgeübt werden kann, wird nach § 41 Abs 3 UrhG vom Urheber verlangt, dass er eine angemessene Nachfrist zur zureichenden Ausübung des Nutzungsrechtes gestellt hat, bevor er den Rücktritt erklären kann. Ob eine Nachfrist angemessen ist oder nicht, hängt dabei stark vom Einzelfall, dh vor allem von der geplanten Verfilmungsart ab. So wird etwa bei Kinofilmen eine Nachfrist von neun bis zwölf Monaten, bei Fernsehproduktionen eine Nachfrist von sechs Monaten und bei Fernsehserien eine Nachfrist von mehr als zwölf Monaten als angemessen angesehen.192 In jedem Fall muss dem Produzent aber nicht so viel Zeit eingeräumt werden, dass er in die Lage versetzt wird, dass bisher weder organisatorisch
180 181
182 183
Vgl dazu die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 317. Vgl statt vieler BGHZ 123, 142, 146 – Videozweitsauswertung II; BGH GRUR 2006, 319, 321 – Alpensinfonie; Wandtke/ Bullinger/Manegold § 88 UrhG Rn 22; aA Breloer 63; zur Auseinandersetzung vgl umfassend Ventroni 93 ff. Ventroni 98. Zu den Nutzungsrechten im Allgemeinen vgl Teil 2 Kap 1 Rn 188 ff.
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Brehm 95; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 12; Peters 230. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 12. BGHZ 27, 90, 98 – Die Privatsekretärin. Beucher/Frentz ZUM 2002, 511, 513. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 143. Mestmäcker/Schulze/Obergfell § 90 Rn 7. Mestmäcker/Schulze/Obergfell § 90 Rn 8. Brehm 79; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 65. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 65.
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noch wirtschaftlich geplante Projekt zu beginnen.193 Ist dem Filmhersteller eine zu kurz bemessene Frist eingeräumt worden, wird eine angemessene Frist in Gang gesetzt.194 Auch das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG kann der Urheber des vorbestehenden Werkes, wie schon beim Rückrufsrecht in § 41 UrhG, ausschließlich in Bezug auf das Filmherstellungsrecht selbst geltend machen (§ 90 S 2 UrhG), die spätere Auswertung eines bereits hergestellten Filmwerkes kann vom Urheber des vorbestehenden Werkes nicht mehr verhindert werden.195 Diese Beschränkungen in den Rückrufsrechten des Urhebers gelten allerdings nur für die in § 88 Abs 1 UrhG genannten Rechte, weitergehende Verfügungen, wie die Einräumung der Computerspielrechte, können vom Urheber auch noch nach Fertigstellung des Filmwerks und zudem von den Nutzungsrechtsinhabern auf der zweiten Stufe zurückgerufen werden.196 Doch gilt es auch in diesem Zusammenhang festzustellen, dass die Urheberrechtsreform 2007 ihre Spuren hinterlassen hat. Unterfallen doch nunmehr, anders als das vorher der Fall war, wegen des Wortlauts der §§ 88, 89 UrhG auch unbekannte Nutzungsarten dem Anwendungsbereich des § 90 Satz 1 UrhG.197 Doch nicht nur die Rückrufsrechte des Urhebers erfahren im Filmurheberrecht eine Änderung, auch seine Zustimmungsrechte nach den §§ 34, 35 UrhG weichen von den allgemeinen Regelungen ab: So kann der Vertragspartner des Urhebers das Verfilmungsrecht zwar vor Drehbeginn nur nach dessen vorheriger Zustimmung (§ 34 UrhG) an einen Dritten weiterübertragen, gleiches gilt, wenn er diesem Nutzungsrechte auf zweiter Stufe einräumen will (§ 35 UrhG), wobei jedoch die Zustimmung gem § 34 Abs 1 S 2 UrhG nicht wider Treu und Glauben verweigert werden darf. Nach Drehbeginn lassen sich jedoch alle in § 88 UrhG benannten Nutzungsrechte zustimmungsfrei übertragen.198
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bb) Die Nutzungsrechtseinräumung im Wege des Verfilmungsvertrages. (1) Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung. Durch den Verfilmungsvertrag erwirbt der Produzent ein Bündel an eigenständigen Nutzungsrechten mit dinglicher Wirkung.199 Das Besondere an der Nutzungsrechtseinräumung beim Verfilmungsvertrag ist, dass der Produzent zusätzlich das Recht zur Bearbeitung erhält, das normalerweise wegen § 37 Abs 1 UrhG beim Urheber verbleibt.200 Dies folgt bereits aus der Eigenart der Verfilmung, die regelmäßig eine Bearbeitung der vorbestehenden Werke (Romanvorlage) sein wird, ist aber zudem in § 88 Abs 1 Var 2 UrhG gesetzlich kodifiziert.201 Dabei gilt es freilich zu beachten, dass die Grenze der Bearbeitungsfreiheit einerseits die gröbliche Entstellung nach §§ 14, 93 UrhG 202 bildet, andererseits das Bearbeitungsrecht inhaltlich ausschließlich auf den konkreten Akt der Filmherstellung beschränkt ist,203 dh eine Bearbeitung des vorbestehenden Werkes außerhalb des Filmwerkes nicht erlaubt ist. Besondere Beachtung iRv Verfilmungsverträgen ist § 88 UrhG zu schenken. Dieser 102 findet zwar hauptsächlich Anwendung in Verfilmungsverträgen mit Filmherstellern und
193 194 195 196 197 198 199
Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 65. LG München I ZUM 2007, 758, 761. Beucher/Frentz ZUM 2002, 511, 513. Homann 287. Mestmäcker/Schulze/Obergfell § 90 Rn 5. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 143. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 14 mwN.
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Vgl zum Bearbeitungsrecht Teil 2 Kap 1 Rn 79 ff. Vgl iÜ zur Problematik des Bearbeitungsrechtes am Drehbuch unter der hM unter Rn 124. Zur gröblichen Entstellung vgl Rn 272 ff. Vgl hierzu auch bei Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 35.
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Praktische Fragen des Filmrechts
in Sendeverträgen auf der Grundlage von sog Honorarbedingungen,204 entfaltet aber seine Wirkung auch iRv Arbeitsverträgen bei angestellten Urhebern, solange zugleich Nutzungsrechte eingeräumt werden.205 Wegen § 88 Abs 1 UrhG ist davon auszugehen, dass dem Produzenten im Zweifel das Verfilmungsrecht als ein Bündel ausschließlicher Nutzungsrechte am Film eingeräumt wird, wodurch es ihm erlaubt ist, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten in Anspruch zu nehmen. Diese Nutzungsrechte betreffen ausschließlich die Verwertung des konkreten Filmwerkes, wobei allerdings auch das Recht zur Werbung (Trailer); Klammerteilrechte (zB Making of) und Restematerialverwertung (zB Director’s cut) von der Rechtseinräumungsvermutung des § 88 Abs 1 UrhG mit umfasst sind, da dies regelmäßig dem gemeinsamen Vertragszweck entspricht.206 Damit wird die Zweckübertragungsregelung des § 31 Abs 5 UrhG für den Fall verdrängt, dass die Parteien keine oder keine anderweitige vertragliche Regelung getroffen haben.207 Dies gilt insbesondere auch seit der Zauberberg-Entscheidung des BGH, der dies für § 89 Abs 1 UrhG ausdrücklich angenommen hat 208 und deren Grundsätze auch für § 88 UrhG Wirkung entfaltet. Schließlich tritt mit § 88 Abs 1 UrhG an die Stelle der bisherigen nur eingeschränkten Vermutung der Rechtseinräumung des § 88 Abs 1 Nr 2–4 UrhG aF die Vermutung der umfassenden Rechtseinräumung,209 deren Wirkung mit der gesetzgeberischen Entscheidung im Zuge der Urheberreform 2007 noch verstärkt wird.210 Trotz allem kommt § 88 UrhG in der Praxis eine weit geringere Bedeutung zu, als man annehmen mag, da idR eine genaue Aufschlüsselung der einzelnen Nutzungsarten oftmals sogar im Wege des Formularvertrages erfolgt. Formularverträge mit buy-out Charakter sind nach Auffassung des BGH auch mit Blick auf die Regelungen der §§ 305 ff BGB AGB-rechtlich wirksam, da der Zweckübertragungsgrundsatz in § 31 Abs 5 UrhG nicht als Leitbildfunktion anerkannt werden kann, sondern letztlich eine reine Auslegungsregelung ist.211 Daraus, dass § 88 Abs 1 UrhG dem Produzenten die Möglichkeit gibt, Übersetzungen des Filmwerkes auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen, wird geschlossen, dass das Filmherstellungsrecht prinzipiell räumlich unbeschränkt eingeräumt wird,212 man spricht deswegen vom sog Prinzip des Weltverfilmungsrechts.213 Im Rahmen der räumlichen Nutzungsrechtseinräumung gilt es an dieser Stelle noch auf eine Besonderheit im Zusammenhang mit den DEFA-Filmen hinzuweisen. Die Wiedervereinigung hat nicht zu einer automatischen Ausdehnung von Lizenzen, die bislang entweder ausschließlich für das alte Bundesgebiet oder das Gebiet der ehemaligen DDR beschränkt vergeben waren, auf den jeweils hinzukommenden Teil geführt. Die Lizenzgebiete der Rechteinhaber haben sich damit nicht vergrößert. Im Bedarfsfall müsste daher nachlizensiert werden.214 Grds wird zudem von einer zeitlich unbegrenzten Nutzungsrechtseinräumung ausgegangen, wobei jedoch zu beachten ist, dass bei Vorliegen einer zeitlichen Begrenzung diese im Zweifel nicht nur auf die Herstellungsphase beschränkt ist, sondern auch für die
204 205 206 207 208 209
Vgl dazu die Vertragsmuster bei Schütze/ Weipert/Hertin Bd 3/I 962 ff. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 28. Homann 103; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 56. Homann 99; Peters 228. BGH ZUM 2005, 816, 818 – Der Zauberberg. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 2b.
210
211 212 213 214
Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 3; vgl iÜ zur einschränkenden Auslegung des § 89 unter Rn 117; die dort genannten Grundsätze gelten auch hier. BGH GRUR 1984, 45, 49 – Honorarbedingungen: Sendevertrag. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 38. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 34. BGHZ 147, 244, 261 f.
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Auswertungsphase Wirkung entfaltet.215 Dies ist freilich nicht zwingend. Die Länge der Auswertungsphase kann abweichend geregelt werden, was zu einem Nebeneinander verschiedener ausschließlicher Nutzungsrechte führt.216 Inhaltlich beschränkt ist das Verfilmungsrecht bereits durch seine Natur als konkret 107 auf den Film bezogenes Recht. Somit hat die Vermutungsregel des § 88 Abs 1 UrhG keine Aussagekraft bzgl der Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung bei außerfilmischen Verwertungsmaßnahmen.217 Zugleich werden von der Einräumungsvermutung des § 88 Abs 1 UrhG weder gesetzliche Vergütungsansprüche noch das sog Zweitwiedergaberecht erfasst.218 Hingegen ist die bisher vertretene Auffassung, wonach eine Nutzungsrechtseinräumung nach dem konkreten Verfilmungszweck bestimmt ist, spätestens seit der Urheberrechtsreform 2007 mit dem Wortlaut des § 88 UrhG nicht mehr vereinbar.219
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(2) Geltungsbereich des § 88 UrhG. Vertragspartei des Urhebers muss nicht immer ein Filmhersteller sein. So kann das Verfilmungsrecht bereits im Wege eines Verlagsvertrages einem Verlag als Nebenrecht eingeräumt sein. Dennoch gilt auch in dieser Vertragskonstellation § 88 UrhG.220 Dies ist deswegen entscheidend, da bei einer entsprechenden Weiterübertragung des Verfilmungsrechts oder bei der Einräumung eines Nutzungsrechts zweiter Stufe, der Verlag schließlich nur diejenigen Rechte übertragen kann, die ihm selbst zustehen 221. Im Übrigen findet § 88 UrhG weiter dann Anwendung, wenn der Verlag einem Filmhersteller das Verfilmungsrecht weiterüberträgt.222 Der Anwendungsbereich des § 88 UrhG endet aber in dem Moment, in dem es zu Vertragsbeziehungen zwischen Filmhersteller und anderen Nutzern kommt, die den fertigen Film auswerten wollen.223 Dies hat ua zur Folge, dass bspw das Synchronisationsrecht nicht mehr als über § 88 UrhG eingeräumt angesehen werden kann, sondern gesondert erworben werden muss.224 Die Regelung des § 88 Abs 1 UrhG gilt in der jetzigen Form seit dem 1.1.2008, sowie 109 rückwirkend für alle seit dem 1.1.1966 geschlossenen Verträge, sofern von der Möglichkeit des § 137l UrhG Gebrauch gemacht wurde. Sofern hiervon kein Gebrauch gemacht wurde gilt § 88 Abs 1 UrhG aF wegen § 132 Abs 3 S 1 UrhG nur für Verträge, die nach dem 30.6.2002 geschlossen wurden. Hinsichtlich solcher Verträge, die vor diesem Stichtag vereinbart wurden, findet nach wie vor § 88 Abs 1 UrhG aF mit seiner nur eingeschränkten Auslegungsregel in den Nr 1–5 Anwendung. Danach gilt es insbesondere zu beachten, dass nach § 88 UrhG aF eine Übertragung aller Nutzungsarten nur dann anzunehmen ist, wenn diese gesondert eingeräumt wurden, was insbesondere bei der Videozweitauswertung ein Problem ist.225 Für Verträge, die vor 1965 geschlossen wurden, gilt § 88 Abs 1 UrhG aF analog. 110 Zwar scheidet eine direkte Anwendung der Vermutungsregelung wegen § 132 Abs 1 UrhG aus, allerdings galt in der Rechtsprechung schon damals die später in § 88 Abs 1 UrhG aF kodifizierte Rechtsvermutung.226 Auf eine Besonderheit gilt es noch im Rahmen von DDR-Altverträgen hinzuweisen. Zwar gilt das bundesdeutsche Urheberrecht 215 216 217 218 219 220 221 222
BGHZ 5, 116, 121 – Parkstraße 13. Homann 104. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 36g. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 36h. Vgl hierzu Rn 112. Fromm/Nordemann/Hertin § 88 UrhG Rn 9 mwN. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 28. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 26;
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Fromm/Nordemann/Hertin § 88 UrhG Rn 9. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 26. Mestmäcker/Schulz/Obergfell § 88 Rn 23. Vgl dazu umfassend Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 32 ff. Vgl dazu bei RGZ 140, 231, 244 f – Tonfilm; BGHZ 5, 116, 122 – Parkstraße; BGH GRUR 1955, 596, 597 – Lied der Wildbahn I.
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Praktische Fragen des Filmrechts
seit dem 3.10.1990 nunmehr bundeseinheitlich auch im Beitrittsgebiet, allerdings unterfallen Filmverträge, die vor dem 3.10.1990 geschlossen wurden wegen Art 232 § 1 EGBGB nach wie vor dem Urhebervertragsrecht der DDR.227 (3) Das Recht zum Remake. Die ausschließlichen Nutzungsrechte des Produzenten 111 sind auf die konkrete und von ihm hergestellte Filmfassung beschränkt. Das Recht zum Remake verbleibt daher nach dem Grundsatz der einmaligen Verfilmung 228 in § 88 Abs 2 S 1 UrhG im Zweifel beim Urheber.229 Damit kann der Urheber spätestens nach zehn Jahren die Verfilmungsrechte erneut übertragen, wenn nicht etwas anderes geregelt ist, wobei auch hier eine formularmäßige Rechtseinräumung als zulässig erachtet wird.230 Vor der Zehn-Jahres-Frist aus § 88 Abs 2 UrhG, zu unterscheiden ist die von § 30 FFG 112 (ab 2009 § 20 FFG) vorgegebene Auswertungskaskade, wonach bei Filmen, die Referenzfilm-, Projektfilm- oder Absatzförderungsmittel in Anspruch genommen haben, bestimmte Sperrfristen beachtet werden müssen. Hierbei handelt es sich um Vorgaben, die den Produzent im Zuge der Weiterlizenzierung des fertigen Films bspw an TV-Sender betreffen, sollte der Film mit Mitteln des FFA gefördert worden sein. Eine Nichtbeachtung führt regelmäßig dazu, dass die Fördergelder zurückgezahlt werden müssen. Denn Zweck der Förderung ist zunächst, die Komplettauswertung des Films im Kino zu ermöglichen. b) Die Mitwirkungsverträge und die Vermutungsregelung des § 89 UrhG. Die Film- 113 entstehung bedarf der Mitwirkung einzelner Filmurheber, deren Beteiligung über sog Mitwirkungsverträge sichergestellt wird. Denn anders als bei den vorbestehenden Werken fehlt es ja gerade am fertigen Endprodukt, welches erst noch geschaffen werden muss. Probleme in diesem Zusammenhang bereitet oftmals auch die Abnahme,231 da der Film als geistiges Produkt mehr noch als handwerkliche Produkte einem gewissen künstlerischen Gestaltungsspielraum unterliegen. aa) Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung. Neben den schuldrechtlichen Beteili- 114 gungsvereinbarungen iRd Mitwirkungsvertrages,232 werden oftmals zugleich auch Nutzungsrechtsvereinbarungen geschlossen. Denn neben der Mitwirkung verpflichtet sich der Filmurheber regelmäßig auch dazu, die entsprechenden Nutzungsrechte an den Filmhersteller zu übertragen. Diese Nutzungsrechtseinräumungen richten sich dabei nach den §§ 31 ff UrhG. Daneben gilt es jedoch auch, die zu § 88 Abs 1 UrhG parallele Regelung des § 89 Abs 1 UrhG zu beachten. Zweck des § 89 Abs 1 UrhG ist es nämlich, wie bei § 88 Abs 1 UrhG auch, dem Filmhersteller weitestgehend ungestört die Auswertung des Films zu gewährleisten. Grundvoraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Vermutungs- 115 regelung in § 89 Abs 1 UrhG ist zunächst, dass der Film nach § 2 Abs 1 Nr 6, Abs 2 UrhG eine schöpferisch geistige Leistung darstellt, da nur dann der Hersteller neben den Rechten an den vorbestehenden Werken auch die Nutzungsrechte am Filmwerk erwerben muss. Das bedeutet, dass § 89 UrhG anders als § 88 UrhG nicht auf den Laufbilderschutz 116 anwendbar ist.233 227 228 229
230
BGHZ 147, 244, 249. Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 55. Dieser Grundsatz galt schon vor 1965 bspw in BGH GRUR 1957, 614, 615 – Ferien vom Ich. BGH GRUR 1984, 45, 48 f – Honorarbedingungen: Sendevertrag.
231 232 233
Vgl dazu näher unter Rn 126 ff. Vgl dazu ua Rn 123 ff. Schricker/Katzenberger § 89 UrhG Rn 5 mwN.
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2. Teil
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Darüber hinaus entsprechen sich die Anwendungsbereiche der §§ 88 Abs 1, 89 Abs 1 UrhG jedoch. Insbesondere gilt es auch im Zusammenhang mit § 89 Abs 1 UrhG, den Vorrang der ausdrücklichen vertraglichen Einigung zu beachten.234 Des Weiteren gilt auch hier mittlerweile, dass wegen des Wortlauts und des klaren Bekenntnisses des Gesetzgebers zum buy-out durch die Urheberrechtsreform 2007 eine nach dem Vertragsgegenstand über § 31 Abs 5 UrhG beschränkte Nutzungsrechtseinräumung, wie sie teilweise in der Vergangenheit angedacht wurde,235 nicht mehr vertretbar ist.236 Zumal von jeher der BGH der Vermutungsregel des § 89 Abs 1 UrhG gegenüber der Zweckübertragungsregelung des § 31 Abs 5 UrhG den Vorrang gewährt.237 Mithin ist es nunmehr unerheblich ob ein Kino- oder Fernsehfilm gedreht werden soll. Eine Nutzungsrechtseinräumung erfolgt vollumfänglich. Der weitere Umfang der Rechtseinräumung entspricht dem bereits zum Verfilmungs118 vertrag Gesagten 238. Danach erwirbt der Filmhersteller von den Filmurhebern im Zweifel ein ausschließliches Nutzungsrecht, welches weltweit und zeitlich unbeschränkt eingeräumt wird. Das ausschließliche Nutzungsrecht des Filmherstellers ist dabei auf das konkrete Filmwerk beschränkt. Dem Filmhersteller ist es aber gleichwohl erlaubt, Teile des Films zu Werbezwecke auszugliedern (Klammerteilauswertung).239 Nicht erfasst von der Nutzungsrechtseinräumung ist das Recht zu einer selbstständi119 gen Verwertung des Beitrags außerhalb des Filmwerkes. Der Filmhersteller darf also zB im Zweifel nicht einen schöpferischen Einfall des Regisseurs für einen anderen Film verwenden.240 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Filmurheber vorbehaltlich anderweitig vertraglicher Regelung ihre Beiträge auch außerhalb des Filmwerkes verwerten dürfen.241 Insofern sollten immer vertragliche Regelungen getroffen werden, wenn dieses unterbunden werden soll. Weiter ist zu beachten, dass das Recht zur Neuverfilmung unter Verwendung ge120 schützter Filmbeiträge nicht mit übertragen wurde, sondern es dazu einer zusätzlichen Nutzungsrechtseinräumung bedarf.242 Zu beachten ist zum Abschluss auch, dass die Rspr des BGH zu Lizenzrechtsfragen bei DEFA-Filmen auch iRd § 89 UrhG gilt.243
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bb) Die Besonderheit des § 89 Abs 2 UrhG: Die doppelte Verfügungsbefugnis. Ein entscheidender Unterschied zwischen den Regelungen der §§ 88, 89 UrhG besteht darin, dass den Filmurhebern ausnahmsweise eine doppelte Verfügungsbefugnis zukommt. Denn nach § 89 Abs 2 UrhG kann der Urheber des Filmwerkes, obwohl er Dritten (bspw der GEMA) bereits Nutzungsrechte am Filmwerk eingeräumt hat, dieselben Rechte dem Filmhersteller beschränkt oder unbeschränkt einräumen. Dabei spielt es keine Rolle, ob nur einzelne Nutzungsformen oder alle Nutzungsrechte am Filmwerk übertragen wurden. Denn in jedem Fall steht eine Verfügung darüber unter der auflösenden Bedingung des § 89 Abs 2 UrhG.244 234 235 236 237 238 239 240
Franz ZUM 2006, 306, 309; Dreier/Schulze/ Schulze § 89 UrhG Rn 2. Klages/Dreier-Kalscheuer Rn 900. Mestmäcker/Schulze/Obergfell § 88 Rn 10, 17 f. BGH ZUM 2005, 816, 818 – Der Zauberberg. Vgl dazu unter Rn 103 ff. Vgl dazu unter Rn 103. So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 319.
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So bereits die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 319; vgl dazu auch Schricker/Katzenberger § 89 UrhG Rn 20. Möhring/Nicolini/Lütje § 89 UrhG Rn 19; vgl dazu auch unter Rn 111. Vgl dazu oben Rn 105, 110. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 143; Wandtke/Bullinger/Manegold § 89 UrhG Rn 34.
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Sinn und Zweck des § 89 Abs 2 UrhG ist nach der zutreffenden Vorstellung des Gesetz- 122 gebers die Wahrung der persönlichen Handlungsfreiheit der Filmschaffenden und dient damit zugleich der Rechtssicherheit des Filmherstellers.245 Denn dieser erlangt wirksam, trotz bereits erfolgter Nutzungsrechtseinräumung an Dritte, ein ausschließliches Nutzungsrecht am Filmwerk, wobei der einzelne Dritten darauf beschränkt ist, Schadensersatzansprüche bspw gegen den Filmregisseur geltend zu machen.246 Dies mag zwar auf den ersten Blick nicht gerechtfertigt erscheinen. Die Rechte des Dritten werden dennoch ausreichend berücksichtigt und zwar insofern, als die doppelte Verfügungsbefugnis bspw des Filmregisseurs unter einer zweifachen Bedingung gestellt wurde. Danach kann (1) der Filmurheber nur die in § 89 Abs 1 UrhG bezeichneten Rechte übertragen, darüber hinaus ist eine Verfügung des Filmurhebers, trotz vorheriger Nutzungsrechtseinräumung, (2) nur gegenüber einem Filmhersteller wirksam. Diese Konstruktion überzeugt deswegen, da ein Dritter, der nicht Filmhersteller ist, regelmäßig wissen muss, dass die zu seinen Gunsten erfolgte Nutzungsrechtseinräumung nicht von Dauer sein muss. Insofern weiß der Dritte in diesen Fällen regelmäßig, dass er sich auf ein Risikogeschäft einlässt, dass sich als uU nachteilig für ihn erweisen kann. Einen überhöhten Schutz des Dritten braucht es daher, angesichts dieser besonderen Sachverhaltskonstellation und seiner Kenntnis davon, nicht. c) Besondere Vertragsformen auf der Verfilmungsebene. aa) Der Drehbuchvertrag. Beim Drehbuchvertrag ist danach zu differenzieren, ob bereits ein fertiges Drehbuch vorliegt oder ob dieses erst für den Film angefertigt werden muss. Während im ersten Fall ein urheberrechtlicher Nutzungsvertrag zustande kommt, handelt es sich bei der Verpflichtung zur Herstellung eines Drehbuches in der Regel um einen Werkvertrag gemäß den §§ 631 ff BGB,247 wobei die Mitwirkung am Film sich generell als Folge eines Gesellschaftsvertrag oder eines sonstigen Mitwirkungsvertrages ergeben kann.248 Beim Drehbuchvertrag kann die genaue Beurteilung der zugestandenen Reichweite der Rechtseinräumung Probleme bereiten. Dies vor allem dann, wenn der Produzent an dem kurbelfertigen Drehbuch Änderungen vornehmen will. Die Beurteilung der Bearbeitungsbefugnis des Produzenten am Drehbuch ist dabei nicht unumstritten. So wird vertreten, dass bei Nutzungsverträgen mit Drehbuchautoren die Bearbeitungsbefugnis des Produzenten nach § 88 Abs 1 UrhG stillschweigend abbedungen wurde und der Produzent sich dieses Recht ausdrücklich einräumen lassen muss,249 sofern nicht Änderungen vorgenommen werden sollen, die schon unter § 39 Abs 2 UrhG erlaubt wären.250 Insofern sollte, wenn gewünscht, in die vertragliche Vereinbarung immer eine Klausel aufgenommen werden, in der sich der Produzent ein Bearbeitungsrecht ausdrücklich einräumen lässt, um insoweit Probleme bereits im Vorfeld auszuräumen. Schwierigkeiten treten darüber hinaus immer wieder dann auf, wenn es um die Abnahme des Drehbuches 251 nach § 640 BGB geht.252 Grds ist der Filmhersteller nach § 640 Abs 1 S 1 BGB verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk abzunehmen, wobei er die Abnahme nicht wegen unwesentlicher Mängel verweigern darf (§ 640 Abs 1 S 2 BGB).
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AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 319; vgl iÜ auch bei Dreier/Schulze/Schulze § 89 UrhG Rn 36. Schricker/Katzenberger § 89 UrhG Rn 22. Brehm 95; Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 30 Anm 3; vgl ausf bei Fischer/Reich/Reich § 10 Rn 133 ff. Dreier/Schulze/Schulze § 89 UrhG Rn 23.
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Fromm/Nordemann/Hertin § 88 UrhG Rn 12; Homann 100. Homann 100. Die nachfolgenden Überlegungen gelten für den Film als solchen entsprechend. Vgl insb. zur Fristsetzung in diesem Fall bei Brehm 94.
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Ein wesentlicher Mangel liegt erst dann vor, wenn es dem Besteller unzumutbar ist, die Leistung als im wesentlichen, vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen und sich mit den Mängelrechten aus § 634 BGB zu begnügen253. Grds darf die Abnahme vor allem nicht schon deswegen verweigert werden, weil das Drehbuch dem Geschmack des Filmherstellers nicht entspricht. Wer einen Künstler mit der Herstellung eines Kunstwerkes beauftragt, muss sich vorher mit dessen künstlerischen Eigenarten und Auffassung vertraut machen.254 Um dieses negative Ergebnis zu verhindern, wird bereits im Vorfeld versucht, häufig 128 über eine AGB-Klausel im Drehbuchvertrag, eine Abnahme als vertragsgemäßes Werk erst dann als bindend und vor allem vergütungsauslösend anzunehmen, wenn der Produzent die Leistung als vertragsgemäß ansieht.255 Solche Formularklauseln im Drehbuchvertrag, die grds zulässig sind,256 führen jedoch strategisch gesehen nur bedingt zum Erfolg. Schließlich gilt es zu beachten, dass zwar der Gestaltungsspielraum eines Urhebers vertraglich eingeengt werden kann, eine spätere Abnahmeverweigerung nach der Rechtsprechung jedoch einen Verstoß des Drehbuchautors gegen konkrete Vorgaben im Vorfeld voraussetzt, für die der Produzent darlegungs- und beweisbelastet ist.257 Denn selbst wenn man zugunsten des Filmproduzenten von einem vertraglich vereinbarten „extrem subjektiven“ Fehlerbegriff gem § 633 BGB ausgeht, entbindet das nach Auffassung der Rechtsprechung den Produzenten nicht davon, die tatsächliche Abweichung zwischen Soll- und Ist-Beschaffenheit der Arbeiten „seines“ Drehbuchautors konkret darzulegen. Diese Vorgaben müssen dabei so konkret sein, dass nur ausdrücklich vertraglich festgelegte Hinweise zum Inhalt und zur Art und Weise der Darstellung die Gestaltungsfreiheit des Autors beschränken können. Danach reicht es nicht aus, dass der Produzent dem Drehbuchautor ein nur sehr vages und unbestimmt gehaltenes Exposé übergibt, nachdem der Drehbuchautor sich richten soll.258 Die Rechtsprechung gesteht zwar zu, dass bei unkörperlichen Werken die Billigung der Arbeiten durch den Besteller im Vordergrund stehen mag. Das berechtige den Produzenten jedoch nicht dazu, jegliche Missbilligung des Werkes schlicht als Mangel zu charakterisieren und damit die Honoraransprüche des Drehbuchautors für die von ihm geleistete Arbeit in Frage zu stellen.259 Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass das Werk eines Drehbuchautors bereits dann abnahmefähig ist, wenn es trotz subjektiven Fehlerbegriffs den vereinbarten Zweckgedanken und die tragende Idee des Filmherstellers zum Ausdruck bringt, auch wenn es nicht seinem Geschmack oder seinen Qualitätsvorstellungen entspricht,260 denn Abweichungen vom perfekten sind hinzunehmen.261 Aus diesem Grund sollten bereits im Vorfeld stringente und transparente Vorgaben an den Drehbuchautoren gemacht werden, die sich quasi als Abhakliste lesen lassen. Je weniger Punkte dieser Abhakliste umgesetzt werden, desto eher ist es mit Erfolg möglich iR gerichtlicher Auseinandersetzung die Berechtigung der Abnahmeverweigerung zu beweisen. Derartige Vorgaben unter Einhaltung strenger Dokumentation bedarf es auch deswe129 gen, da es nach der Rspr dem Filmproduzenten idR nicht hilft, den Drehbuchvertrag nach § 649 S 1 BGB zu kündigen. Diese Möglichkeit bleibt ihm zwar bis zur Vollendung
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Palandt/Sprau § 640 BGB Rn 8; zur Frage der Zumutbarkeit vgl auch BGH NJW 1981, 1448 f – Abnahme. BGHZ 19, 382 (2. Ls) – Kirchenfenster; KG ZUM-RD 1999, 337. Vgl dazu den Mustervertrag bei Jacobshagen 43.
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OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 559 – Dr. Monika Lindt. KG ZUM-RD 1999, 337, 338. KG ZUM-RD 1999, 337, 338. KG ZUM-RD 1999, 337, 339. KG ZUM-RD 1999, 337, 339. BGHZ 19, 382 ff – Kirchenfenster.
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Praktische Fragen des Filmrechts
des Werkes, dh bis zur Abnahme, unbenommen.262 Der Drehbuchautor ist aber im Ausgleich dazu berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen (§ 649 S 2 BGB). Diese Rechtsfolge aus § 649 BGB kann zwar sowohl individualvertraglich als auch formularvertraglich in den Grenzen des § 308 Nr 7 BGB pauschaliert werden,263 dabei müssen aber der Umfang der geleisteten Arbeit und die notwendigen Auslagen des Autors angemessen berücksichtigt werden. Pauschalabgeltungen, die auf der Einschätzung des Produzenten beruhen, sind für den Drehbuchautor nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs 3 S 1 BGB).264 Ob eine Entschädigung billig ist oder nicht, ist vom Produzent darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Stellt sich heraus, dass die vom Produzenten bestimmte Vergütung unbillig ist, wobei Unbilligkeit nicht erst dann vorliegt, wenn die getroffene Bestimmung grob unbillig ist, wird eine billige Entschädigung durch das zu erkennende Gericht durch Urteil festgelegt (§ 315 Abs 3 S 2 BGB).265 Dem steht nicht entgegen, dass der Drehbuchautor keine abnahmefähigen und verfilmungsreifen Drehbücher abliefert und für den Produzenten das gezahlte Honorar in keinem Gegenverhältnis steht, da dies ja gerade Sinnbild des § 649 BGB ist.266 Verweigert der Besteller die Abnahme des Werkes, erwirbt er auch keine Nutzungs- 130 rechte. Etwas anderes kann sich aber aus besonderen Umständen ergeben, sofern diese dem Urheber bekannt sind. So hat das OLG Hamburg in einem Fall trotz fehlender Abnahme eine stillschweigende vertragliche Nutzungsrechtseinräumung für den Fall angenommen, als eine Notlage die einmalige Nutzung des Werkes erforderlich machte.267 bb) Der Regievertrag. Die besondere Situation beim Regievertrag besteht darin, dass, 131 anders als bei den vorbestehenden Werken, ein fertiges und damit verwertbares Produkt noch nicht vorliegt. Der Hersteller muss deswegen mit dem Filmregisseur nicht nur eine Nutzungseinräumungsvereinbarung am noch zu erstellenden Filmwerk nach §§ 31 ff UrhG treffen, sondern diesen auch zur Herstellung des Filmes verpflichten. Die Möglichkeiten, den Regisseur vertraglich zur Mitwirkung zu verpflichten, geschieht regelmäßig im Wege des sog Mitwirkungsvertrages.268 Dabei kann es sich je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung um einen Mischvertrag zwischen Dienst- und Werkvertrag 269 (eine Mischung aus den benannten Vertragstypen deswegen, da der Regisseur mit der Inszenierung der Produktion nicht nur ein konkretes Arbeitsergebnis schuldet, sondern er oftmals auch eine Reihe von Leitungsaufgaben, wie die Überwachung des Schnitts oder der Synchronisationsarbeit übernimmt) oder aber, bei Festanstellung des Regisseurs bspw bei einem Fernsehsender, um einen Arbeits- und Dienstvertrag handeln,270 wobei auch eine andere Form des Mitwirkungsvertrages denkbar ist. Einer Schriftform nach § 40 UrhG bedarf es dazu grds nicht. Der Filmregisseur kann 132 sich auch stillschweigend zur Nutzungsrechtseinräumung und Mitwirkung verpflichten.271 262
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OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 558 – Dr. Monika Lindt; KG ZUM-RD 1999, 337, 339. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 559 – Dr. Monika Lindt; Palandt/Sprau § 649 BGB Rn 13 mwN. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 559 – Dr. Monika Lindt. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 559 – Dr. Monika Lindt. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 557, 559, 560 – Dr. Monika Lindt; vgl zu dieser Problematik insgesamt auch bei Brehm 96.
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Vgl dazu ausf OLG Hamburg ZUM-RD 2006, 16, 24 – Still waiting. Vgl dazu von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 269; sowie bei Fischer/Reich/Reich § 10 Rn 136 f. Vgl dazu LG München I ZUM 2000, 414, 416 – down under. BGH GRUR 1991, 133, 135 – Videozweitauswertung I; von Hartlieb/Schwarz/ U. Reber S 281 ff. BGH GRUR 1960, 199, 200 – Tofifa.
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Die Mitwirkung des Regisseurs ist, vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung, ausschließlich auf den konkret vereinbarten Film beschränkt.272 Ausschnitte aus seinem Film können daher nicht so ohne Weiteres in andere Filme inkorporiert werden. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Filmurheber in Arbeitsverhältnissen bzw Werbe- und Propagandafilme,273 ist die Übernahme einzelner Filmausschnitte in andere Filme, ohne eine dahingehende weitere Vereinbarung mit dem Filmregisseur, zulässig.274 Problematisch kann es sein, den Regisseurs eines Films zu kündigen, da beim ihm das 134 sog Erstveröffentlichungsrecht liegt. Dies hat zur Folge, dass der Regisseur trotz Kündigung darüber entscheiden kann, ob sein Werk als vollendet freizugeben ist.275 Allerdings beschränkt sich sein Verbietungsrecht einzig auf die von ihm angefertigten Filmteile. Sollten diese bereits an den Produzenten zur Abnahme übergeben worden sein, liegt darin eine endgültige Freigabeerklärung.276 In jedem Fall sollten für diesen Fall eindeutige vertragliche Regelungen getroffen werden, nach denen der Regisseur eine Freigabe auch nach Kündigung nicht verweigern darf, wenn nicht ausnahmsweise Gründe vorliegen, die eine Weigerung rechtfertigen, wobei diese sich wiederum am Grundsatz des § 8 Abs 2 S 2 UrhG zu orientieren haben, dessen allgemeiner Wertungsgesichtspunkt in diesem Fall nicht nur den Miturhebern zu Gute käme, sondern über die Vertragsklausel auch dem Produzenten.277 Darüber hinaus ist aber ein Kündigung des Regisseurs nur dann zulässig, wenn ein 135 hinreichender Grund vorliegt, der eine derart drastische Maßnahme rechtfertigt, was insbesondere nur dann gegeben sein wird, wenn der Regisseur in irgendeiner Weise mitverantwortlich gehandelt hat,278 bspw auf eine wirtschaftlich kaum verwertbare Schnittfassung besteht. In diesem Zusammenhang gilt es ferner zu beachten, dass Vereinbarungen, die es 136 einem der Vertragspartner untersagen Konflikte vor staatlichen Gerichten auszutragen und die die Vertragspartner darauf beschränken, die Probleme untereinander zu lösen, sittenwidrig sind.279
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cc) Der Musikverfilmungsvertrag. Musikurheber können auf zweifache Weise am Filmwerk beteiligt sein. Entweder sie werden beauftragt, exklusiv für den Film eine Filmmusik zu komponieren oder es wird im Film eine bereits vorhandene Komposition des Musikurhebers verwendet. Im ersten Fall handelt es sich um eine sog Auftragskomposition. Dieser liegt ein Kom138 positionsvertrag zugrunde. Dabei handelt es sich dogmatisch um eine Mischung aus Werk- und Lizenzvertrag, werden doch dem Filmhersteller zugleich, die für die Filmverwertung notwendigen, Nutzungsrechte eingeräumt 280. Neben dem Kompositionsvertrag werden zusätzlich häufig auch Musikproduktionsverträge geschlossen. Danach ist der Filmkomponist verpflichtet, nicht nur die Musik zu komponieren, sondern diese unter 272 273
274 275
Dreier/Schulze/Schulze § 89 UrhG Rn 25. Zu den einzelnen Ausnahmen in den oben genannten Fällen vgl auch bei BGH UFITA 55 (1970), 313, 322 f – Triumph des Willens (Propagandafilm); BGH GRUR 1960, 609, 611 ff – Wägen und Wagen (Werbefilm); LG Berlin GRUR 1962, 207, 208 – Maifeiern (angestellter Kameramann). Vgl dazu auch bei Schricker/Katzenberger § 89 UrhG Rn 15. LG München I ZUM 2000, 414, 416 – down under.
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276 277 278 279
280
OLG München ZUM 2000, 767, 772 – down under. Vgl hierzu Rn 298. OLG München ZUM 2000, 767, 773 – down under; Brehm 163. OLG München ZUM 2000, 767, 770 – down under; LG München I ZUM 2000, 414, 415 – down under; einschränkende Beurteilung von Brehm 163 f. Ventroni 44.
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Praktische Fragen des Filmrechts
Übertragung der entsprechenden Leistungsschutzrechte an der Musikproduktion nach § 85 UrhG 281 und der an der Aufnahme Beteiligter nach §§ 74 ff UrhG 282, als fertig produziertes Endprodukt auf einem Tonträger dem Filmhersteller zur weiteren Benutzung zur Verfügung zu stellen. Dafür erhält er regelmäßig eine Pauschalvergütung.283 In der Praxis kommt den in den Kompositionsverträgen niedergelegten Vereinbarungen über die Filmverwendungsrechte mit Ausnahme des Filmherstellungsrechtes, bei dem die Verfügung des Musikurhebers als Nichtberechtigten in der Praxis nicht thematisiert wird,284 lediglich schuldrechtliche Bedeutung zu,285 denn die Filmverwendungsrechte wurden im Wege der Vorausübertragung bereits der GEMA übertragen und werden von ihr wahrgenommen. Diese Rechtsfolge ist die Konsequenz der strikten Zweiteilung zwischen Filmwerk und vorbestehenden Werken.286 Nach der hier vertretenen Lehre von der Unmittelbarkeit kommt es jedoch darauf an, ob sich die Komposition als für den Film unmittelbar oder mittelbar herausstellt. Je nachdem, ist dann die Vermutungsregelung aus § 88 UrhG oder aus § 89 UrhG einschlägig. Dies hat Auswirkungen. Denn wegen § 89 Abs 2 UrhG könnte der Filmkomponist, sollte er Filmurheber sein, die in § 89 Abs 1 UrhG bezeichneten Nutzungsrechte gleichwohl dem Filmhersteller wirksam einräumen.287 Aber auch unter der hM ist es dem Urheber nicht unbenommen, die Auswertung seines Musikwerkes selbst vorzunehmen. Denn Filmverwendungsrechte werden nur unter einer auflösenden Bedingung an die GEMA übertragen.288 Der Urheber kann daher unter den Voraussetzungen des § 1i des GEMA-Berechtigungsvertrages Rückübertragung der für die Filmherstellung und -auswertung notwendigen Nutzungsrechte verlangen, sofern es sich bei dem Filmwerk nicht um eine Eigen- oder Auftragsproduktion für das Fernsehen handelt (§ 1i Abs 3 GEMA Berechtigungsvertrag).289 Der Zustimmung des Berechtigten bedarf es zudem immer dann, wenn die Musik für einen Werbefilm verwendet wird (§ 1k GEMA-Berechtigungsvertrag).290 Bei vorbestehenden Musikwerken, die nicht filmbestimmt geschaffen wurden, sondern bereits vor Herstellung des Films vorhanden waren, werden sog Filmmusiklizenzverträge, in denen das Filmherstellungsrecht eingeräumt wird, abgeschlossen.291 Die Ausgestaltung orientiert sich dabei rein formal an der Entscheidung des BGH zur Videozweitauswertung, nach der eine gegenständliche Aufspaltung des Filmherstellungsrechts nicht möglich sei.292 Allerdings wird diese Entscheidung im Ergebnis durch eine schuldrechtliche Aufteilung der Gesamtvergütung, die sich an der Vornahme der einzelnen Auswertungshand-
281 282
283 284 285
Ventroni 44 Fn 132. Dies betrifft die Leistungsschutzrechte nach §§ 74 ff UrhG. Dazu bedarf es deswegen einer vertraglichen Abrede, als die Vermutungsregel aus § 92 UrhG ausschließlich die konkrete Verwertung des Filmwerkes nicht aber die isolierte Verwertung der Filmmusik als Soundtrack mitumfasst, Moser ZUM Sonderheft 1996, 1025, 1026 f; Ventroni 45. Vgl umfassend Moser ZUM Sonderheft 1996, 1025, 1026; Ventroni 44. Ventroni 44 Fn 131. Fischer/Reich/Reich § 10 Rn 149; Moser ZUM Sonderheft 1996, 1025, 1026; Ventroni 44.
286 287 288 289 290
291 292
Vgl dazu unter Rn 44. Vgl dazu unter Rn 121 f. Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 19; Schricker/Katzenberger § 88 UrhG Rn 30. Vgl dazu auch bei Dreier/Schulze/Schulze § 88 UrhG Rn 20. Vgl dazu auch OLG Hamburg GRUR 1991, 599, 600 – Rundfunkwerbung; OLG München NJW 1998, 1413, 1415 – Carmina Burana. Ventroni 45. BGH GRUR 1994, 41, 42 f – Videozweitauswertung II.
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lungen orientiert und unter gleichzeitiger Vertragsstrafenvereinbarung iFe Folgenauswertung ohne Abgeltungszahlung geschlossen wird, praktisch nicht beachtet.293 Doch es werden nicht nur Verträge mit den Musikurhebern geschlossen, daneben 144 schließen die Filmhersteller oftmals direkt mit der GEMA Nutzungsverträge ab. Diese ist nämlich nach § 11 Abs 1 WahrnG dazu verpflichtet, jedermann Nutzungsrechte an den von ihr wahrgenommenen Rechten auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen einzuräumen oder die dazu erforderlichen Einwilligungen zu erteilen. Das hat ua dazu geführt, dass sich die einzelnen Fernsehsender zweckmäßiger Weise 145 die Nutzung des von der GEMA wahrgenommenen Repertoires für Eigen- und Auftragsproduktionen unter Zahlung einer Pauschallizenz haben einräumen lassen. Daneben finden sich häufig Rahmenverträge, die bereits allgemeine Vertragsbedin146 gungen vorgeben, nach denen Nutzungsrechte durch Einzelverträge eingeräumt werden können. Schließlich ist die GEMA nach § 12 WahrnG verpflichtet, mit Vereinigungen, deren Mitglieder nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Werke oder Leistungen nutzen oder zur Zahlung von Vergütungen nach dem Urheberrechtsgesetz verpflichtet sind, über die von ihr wahrgenommenen Rechte und Ansprüche Gesamtverträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen.294 3. Die entscheidenden Verträge in der Auswertungsphase
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a) Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Filmlizenzverträgen auf der Auswertungsebene. Der Filmhersteller wird in der Regel die Auswertung des Films nicht selbst vornehmen wollen und können, sondern sich dazu der Hilfe Dritter bedienen. Diesen muss er dafür die entsprechenden Nutzungsrechte am Werk einräumen. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Reichweite der Vergabe von Sublizenzen uU durch Regelungen des FFG oder anderer Fördergesetze eingeschränkt werden kann. Denn wenn ein Filmprojekt Zuwendungen bspw nach dem FFG erhält sind diese ua an die Einhaltung einer festen Auswertungskaskade gebunden. Ein Filmhersteller sollte daher vorher genau prüfen, ob der Sublizenzvertrag den Fördervorgaben entspricht. Denn ein Verstoß hiergegen, führt idR dazu, dass der Förderungsbescheid widerrufen wird und er uU den gesamten Förderbetrag, zumindest aber einen nicht unerheblichen Teil zurückzahlen muss.
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aa) Die Reichweite der Sublizenz. Die Reichweite der Sublizenzvergabe wird primär durch die vertragliche Vereinbarung zwischen Urheber und Filmhersteller bestimmt. So kann der Filmhersteller zunächst nur diejenigen Rechte einräumen, die ihm selbst vom Urheber im Wege der Hauptlizenz eingeräumt wurden. Die Vergabe von Sublizenzen ist nämlich in ihrer Reichweite sowohl inhaltlich, räumlich als auch zeitlich akzessorisch zum Inhalt der Hauptlizenz. Da es einen gutgläubigen Erwerb von Nutzungsrechten nicht gibt, wäre eine vertrag149 liche Leistungspflicht, die einen den Umfang der Hauptlizenz überschreitenden Inhalt aufweist und die nicht durch eine vertragliche Ausnahmegenehmigung des Urhebers erlaubt wäre, nach § 275 Abs 1 BGB ausgeschlossen. Der Hauptlizenznehmer wäre dem Sublizenznehmer, wenn nicht bereits eine Garantiehaftung für den Rechtsbestand vertraglich vereinbart sein sollte, wegen anfänglicher Unmöglichkeit nach § 311a BGB schadensersatzpflichtig.295 293 294
Ventroni 46; vgl dazu auch bei Schulze GRUR 2001, 1084 f. Vgl im Übrigen umfassend zur Rechtspraxis der GEMA im Filmbereich Ventroni
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48 ff; sowie allgemein Teil 2 Kap 3 Rn 57. Homann 288; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 247.
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Darüber hinaus hängt der Inhalt der Nutzungsrechtseinräumung entscheidend von der konkreten vertraglichen Vereinbarung zwischen Filmhersteller und Drittem ab. Die §§ 88, 89 ff UrhG entfalten auf der Auswertungsebene zwischen Filmhersteller und Drittem nämlich keine Wirkung, da sie schon dem Wortlaut nach nur zwischen dem Filmhersteller und den Urheber bzw deren Rechtsnachfolgern gelten. Die Nutzer des Filmwerkes auf der zweiten Ebene können sich mithin gegenüber dem Filmhersteller oder dem Filmverleih im Zweifel nicht auf die Vermutungsregelungen der §§ 88, 89 UrhG berufen,296 wenn es darum geht, die Reichweite ihrer Nutzungsrechtsübertragung festzustellen. Allerdings findet bei der Vergabe von Sublizenzen die Zweckübertragungsregel des § 31 Abs 5 UrhG Anwendung.297 Neben der Weiterlizenzierung von Nutzungsrechten an Rechten des Urhebers kann der Filmproduzent nach § 94 Abs 2 UrhG dem Dritten auch Lizenzen an dem ihm aus § 94 Abs 1 UrhG zukommende Leistungsschutzrecht einräumen. Anzuwenden sind insoweit die §§ 31 ff UrhG sowie die §§ 398 ff, 413 BGB.298 Dies galt auch schon vor 2003, als eine Einräumung von Nutzungsrechten am Leitungsschutzrecht des Filmherstellers unter analoger Anwendung der §§ 31 ff UrhG aF anerkannt war. Vom Leistungsschutzrecht des § 94 Abs 1 S 1 UrhG umfasst sind die dem Urheber zustehenden Verwertungsrechte aus den §§ 16, 17, 19 Abs 4, 19a, 20, 20 a und 20b Abs 1 UrhG.299 Die Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung am Leistungsschutzrecht des Filmherstellers wird dabei ebenfalls vom Zweckübertragungsgrundsatz des § 31 Abs 5 UrhG bestimmt.300
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bb) Aktivlegitimation des Produzenten bei Nutzungsrechtseinräumung an Dritte. 154 Räumt der Produzent ein ausschließliches Nutzungsrecht an dem von ihm produzierten Film bspw einer Fernsehanstalt ein und sieht die vertragliche Gestaltung vor, dass der Vertragspartner das Werk zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkt benutzen darf, führt dies dazu, dass der Produzent, in Bezug auf die von ihm übertragenen Rechte, seine Aktivlegitimation verliert. Damit kann er nicht gegen Rechtsverletzungen Dritter vorgehen.301 Dies gilt allerdings nur soweit, als die verletzten Nutzungsrechte von der Übertragung auf den Vertragspartner auch erfasst waren.302 cc) Das Zurückholen der Rechte durch den Produzenten oder den Urheber vom Drit- 155 ten. Der Filmhersteller kann die weitere Übertragung der Nutzungsrechte durch seinen Vertragspartner nicht durch Ausübung eines Vetorechts aus §§ 34, 35 UrhG stoppen, da diese ausschließlich zugunsten des originären Urhebers wirken und ihr Anwendungsbereich nicht durch § 94 Abs 2 UrhG auf die Leistungsschutzrechte des Filmherstellers erstreckt wird. Nach Ansicht des BGH soll der Filmhersteller aber zumindest einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt geltend machen können.303 Denn dieser sei im gesamten gewerblichen Schutzrecht bei Nutzungsrechtseinräumungen üblich und Filmverwertungsverträgen sogar immanent. Schließlich brächte der Filmhersteller regelmäßig bei einer Erlösbeteiligung dem Lizenznehmer auf der zweiten Stufe nicht nur ein besonderes Vertrauen entgegen. So sei es typischer Vertragszweck, dass die Auswertung durch den 296 297 298 299 300
Vgl dazu auch Franz ZUM 2006, 306, 310. BGHZ 9, 262, 265 – Lieder der Wildbahn I; OLG München ZUM-RD 1998, 101, 105 ff. Schricker/Katzenberger § 94 UrhG Rn 40. Vgl im Einzelnen dazu bei Schricker/Katzenberger § 94 UrhG Rn 21 ff. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2002, 121, 122 – Das weite Land.
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BGH GRUR 1957, 614, 616 – Ferien vom Ich; OLG Köln GRUR-RR 2005, 179 – Standbilder im Internet. BGH GRUR 1992, 697, 698 – ALF; OLG Köln GRUR-RR 2005, 179 – Standbilder im Internet. BGH NJW-RR 1987, 181, 182 – Videolizenzvertrag.
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konkreten Vertragspartner vorgenommen werde. Der BGH erkennt dem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt sogar dingliche Wirkung zu und gesteht im Verletzensfalle Schadensersatzansprüche nach § 97 UrhG zu.304 Zudem soll sich ein Rückrufsrecht des Filmherstellers, dem grds keines aus §§ 41, 42 UrhG zusteht, gegenüber seinen Lizenzpartnern nach §§ 30, 32 VerlG analog herleiten lassen. Voraussetzung sei es, dass der Lizenznehmer keine vertraglich adäquate Verwertung des Werkes vornimmt.305 Den Urhebern stehen solche Möglichkeiten nicht zu. Denn in der weiteren rechtlichen Auswertung wird der Filmhersteller schließlich nur durch die Reichweite der Nutzungsrechtseinräumung beschränkt, da wegen § 90 S 1 UrhG die §§ 41, 42 UrhG keine Anwendung zu Gunsten des Urhebers finden. Aufgrund der Tatsache, dass auf der Auswertungsebene die §§ 41, 42 UrhG nicht einschlägig sind, kann ein Urheber seinen Vertrag nur gegenüber seinem Vertragspartner unter Rückgriff auf die herkömmlichen schuldrechtlichen Gestaltungsrechte beenden. Hierbei besteht die Problematik, dass im Urheberrecht nach der hM 306 das Abstraktionsprinzip nicht gilt. Dies hat zur Folge, dass bei Beendigung des schuldrechtlichen Vertrages nicht nur das eingeräumte Nutzungsrecht unmittelbar an den Urheber zurückfällt, sondern dass zusätzlich auch die an den Sublizenznehmer erteilten Nutzungsrechte aufgrund der Akzessorietät der Sublizenz zur Hauptlizenz ihre Geltungskraft verlieren. Sublizenznehmer werden somit zu Nichtberechtigten und damit ab Kenntnis des Umstandes uU nach § 97 Abs 1 UrhG schadensersatzpflichtig. Gerade bei Lizenzketten, wie sie im Filmurheberrecht die Regel sind, wären die Sublizenznehmer daher mit einem stark erhöhten wirtschaftlichen und rechtlichen Risiko belastet, ohne dass sie es gleichzeitig in der Hand hätten, dieses zu beeinflussen. Die hM begründet ihre Auffassung mehrheitlich unter Rückgriff auf den Verlagsvertrag. Dieser sei als der einzige (im VerlG) gesetzlich geregelte Urhebervertrag Sinnbild für den gesetzgeberischen Willen. Die im VerlG getroffenen Wertungen seien daher entsprechend auf alle urheberrechtlichen Verträge anzuwenden. Dies gelte auch für § 9 Abs 1 VerlG, wonach das Nutzungsrecht am Werk mit der Beendigung des schuldrechtlichen Vertragsverhältnisses erlischt.307 Diese Überlegung der hM ist nicht unberechtigt, kommt sie doch in der Tat mittelbar in § 40 Abs 3 UrhG zum Ausdruck, aus dem folgt, dass mit Beendigung des Vertrages die Verfügung hinsichtlich der Nutzungsrechte an künftigen Werken unwirksam wird. Nicht zuletzt spricht dafür der Zweckübertragungsgrundsatz in § 31 Abs 5 UrhG. Der Bestand des Nutzungsrechts ist im Urheberrecht nun einmal untrennbar mit einer kausalen Zweckbindung versehen, die sich gerade aus der vertraglichen Vereinbarung ergibt.308 Die von der Gegenmeinung vorgeschlagene Aufrechterhaltung des Abstraktionsprinzips im Filmurheberrecht 309 scheitert damit bereits an den gesetzgeberischen Vorgaben. Auch eine (vermittelnde) Unterscheidung zwischen außerordentlicher und ordentlicher Beendigung des Hauptlizenzvertrages, bei der im ersten Fall das Abstraktionsprinzip gilt, im 304 305 306
BGH NJW-RR 1987, 181, 182 – Videolizenzvertrag; dafür auch Homann 297. Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 34 Anm 4; Homann 298. Vgl dazu ua OLG Hamburg ZUM 2001, 1005, 1007 – TTT; Fromm/Nordemann/ Hertin § 34 UrhG Rn 15; Homann 290; Went/Härle GRUR 1997, 96, 99.
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OLG Hamburg ZUM 2001, 1005, 1007 – TTT; Went/Härle GRUR 1997, 96, 99. OLG Hamburg ZUM 2001, 1005, 1007 – TTT. Ua Reupert 205 ff; Schwarz/Klinger GRUR 1998, 103, 105; von Hartlieb/Schwarz/ Schwarz 457.
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Praktische Fragen des Filmrechts
zweiten Fall jedoch nicht,310 überzeugt nicht. Denn es wäre nicht gerecht, den Urheber, der seinem Vertragspartner eine Frist setzt und sich damit zunächst für die Beibehaltung des Vertrages ausspricht, schlechter zu stellen, als denjenigen der Urheber, der das Vertragsverhältnis mit seinem Hauptlizenznehmer sofort beendet. Dennoch gilt es, die wirtschaftlichen Interessen der Sublizenznehmer zu beachten. Dies schon aus dem Grund, als diese ohne ihr Zutun eine Rechtsposition verlieren, die ihnen deswegen eingeräumt werden konnte, weil der Urheber seinem Hauptlizenznehmer ein ausschließliches Nutzungsrecht am Filmwerk übertragen hat. Die negativen Folgen, die sich für Sublizenznehmer bei Wegfall der Hauptlizenz ergeben, sind damit vom Urheber mitverantwortlich in die Welt gesetzt worden. Es wäre aus Rechtschutz- und Fairnessgründen überlegenswert, bei Beendigung des vertraglichen Schuldverhältnisses mit dem Hauptlizenznehmer von einer Vertragsübernahmepflicht des Urhebers bezogen auf die bestehenden Sublizenzverträge auszugehen. Der Gedanke, dass jemandem Schutzpflichten gegenüber einem am Vertrag nicht Beteiligten obliegen, ist dem Zivilrecht im Übrigen nicht fremd. Eine unberechtigte Verweigerung der Fortführung der Sublizenzen durch die Urheber selbst wäre in diesem Fall dann nach § 8 Abs 2 UrhG analog im Übrigen unbeachtlich. Diese Überlegung ist praktisch durchsetzbar. Schließlich ist der Hauptlizenznehmer bei berechtigter Beendigung des Hauptlizenzvertrages immer verpflichtet, diesen Umstand seinen Sublizenznehmern mitzuteilen. Zusätzlich zu dieser ohnehin schon bestehenden vertraglichen Pflicht gilt es dann, von ihm als nachvertragliche Pflicht nach §§ 311 Abs 1, 241 Abs 2 BGB zu verlangen, dass er zusätzlich noch die Namen der Hauptlizenzgeber seinen Vertragspartnern benennen muss, damit sich diese mit den Urhebern zum Zweck der Fortsetzung der bisherigen Sublizenzverträge in Verbindung setzen könnten. Im Übrigen ist es den Parteien der Hauptlizenz grds anzuraten, für den Fall der Beendigung ihres schuldrechtlichen Vertrages entsprechende vertragliche Verfahrensweisen zu treffen. b) Besondere Vertragsformen auf der Auswertungsebene.311 aa) Der Filmverleih- und Filmvertriebsvertrag. Erster Ansprechpartner des Filmherstellers und oftmals dessen einziger Vertragspartner ist der Filmverleih bzw der Filmvertrieb. Filmverleih meint die inländische Kinoauswertung, Filmvertrieb die internationale Auswertung.312 Beiden liegen regelmäßig sog Filmlizenzverträge zugrunde, in denen der Filmhersteller dem Verleih bzw dem Vertrieb mehr oder minder weitreichende Nutzungsrechtspakete an dem Filmwerk einräumt, damit dieser dann das Filmwerk entsprechend umfassend auswerten kann.313 Seltener tritt das Verleihunternehmen als Stellvertreter des Produzenten auf. Dann müsste es nämlich mit dem Produzenten einen Agenturvertrag (§ 675 BGB iVm §§ 611 ff BGB) geschlossen haben und die Auswertung des Films im Namen, zumindest aber für Rechnung des Produzenten übernommen haben.314 Gelegentlich ist das Verleihunternehmen auch Koproduzent des Films, in dem es an der Produktion über eine Produktionstochtergesellschaft beteiligt ist.315 310
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Vgl dazu Schricker/Schricker § 35 UrhG Rn 11; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 35 UrhG Rn 8. Zu den einzelnen Musterverträgen vgl auch Jacobshagen 242 ff. Homann 296.
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Vgl zum Filmverleihvertrag insbesondere BGH UFITA 71 (1974), 184 ff – Filmauswertungs- und Bestellverträge. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 218. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 219.
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Filmverleihverträgen sind zunächst Nutzungsrechtsverträge sui generis.316 Ihre nähere schuldrechtliche Qualifizierung hängt maßgeblich von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung ab. Seltener handelt es sich bei dem Filmverleihvertrag (so im Fall des sog outright sale) um einen Rechtskauf (§ 453 iVm §§ 433 ff BGB). Dieser liegt nämlich nur im Falle einer unbefristeten und unbeschränkten Entäußerung der Nutzungsrechte an das Verleihunternehmen vor.317 Der Regelfall sind eher Filmbestellverträge, die ihrem Wesen nach als Pachtverträge nach § 581 iVm §§ 535 ff BGB angesehen werden müssen.318 Sie sind deswegen Pachtverträge, als die oftmals in Filmverleihverträgen vertraglich festgelegte zeitliche Begrenzung gerade das typische Charakteristikum eines Pachtvertrages ist.319 Ist das Filmwerk noch nicht fertiggestellt oder werden in dem Filmverleihvertrag Nutzungsrechtseinräumung über mehrere noch in der Zukunft zu erstellende Filme (sog output-agreements)320 vereinbart, finden zusätzlich noch die §§ 631 ff BGB Anwendung.321 Eine Nutzungsrechtseinräumung an zukünftigen Filmwerken ist möglich und wird als pre-sale-Vertrag bezeichnet.322 Die Möglichkeiten der Auswertung für den Verleih/Vertrieb richten sich in ihrer Reichweite nach den übertragenen Nutzungsrechten. Diese können auf einzelne, unter inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Gesichtspunkten begrenzte Nutzungsarten beschränkt sein, wobei eine derartige Aufspaltung der Gesamtrechte in einzelne Teilbefugnisse immer dingliche Wirksamkeit entfaltet (§ 31 Abs 1 S 2 UrhG). Damit richtet sich der Umfang der eingeräumten Rechte nach den vertraglich vorgesehenen Nutzungsarten, die deswegen in der vertraglichen Vereinbarung auch immer einzeln und ausdrücklich benannt werden sollten.323 Soll sich die vertragliche Vereinbarung ausschließlich auf die reine Kinoauswertung beschränken, müssen dem Verleih oder dem Vertrieb unter Angabe der Nutzungsart zumindest das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Vorführungsrecht eingeräumt werden, wobei das Vorführungsrecht an im Filmwerk verwendeten Musikwerken vom Filmhersteller nicht vergeben werden kann, sondern zusätzlich von der GEMA eingeholt werden muss. Soll der Film vom Vertrieb oder vom Verleih beworben werden, bedarf es zusätzlich der Klammerteilauswertungsrechte. Regelmäßig werden die Vertragspartner das Filmwerk ganz oder teilweise verwenden dürfen. Ist ihm dies vertraglich gestattet, kann der Filmhersteller nicht dagegen vorgehen, dass der Filmverleiher zu Werbezwecken Bilder aus dem Filmwerk verwendet.324 Ist der Filmhersteller an den Einspielergebnissen seiner Vertragspartei beteiligt, ergibt sich für diese eine Auswertungspflicht, ohne dass eine solche vorher ausdrücklich vertraglich vereinbart worden sein muss.325 Eine Verletzung der Auswertungspflicht kann dabei sogar zu einer Schadensersatzhaftung wegen positiver Vertragsverletzung führen.326 Trotz dieser weitreichenden Folge ist der Filmverleih aber dennoch nicht unbedingt zur
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BGHZ 9, 262, 264 – Lied der Wildbahn. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 225. Allg für Lizenzverträge vgl Fromm/Nordemann/Hertin Vor § 31 UrhG Rn 62; für Filmlizenzverträge vgl Homann 296. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 225. Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 228. Insbesondere zum Problem der Abnahme vgl Rn 126 ff. Von Hartlieb/Schwarz/Schwarz 418; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 229.
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Homann 297. OLG Köln GRUR-RR 2005, 179 – Standbilder im Internet. BGH ZUM 2003, 135, 136 – Filmauswertungspflicht; BGHZ 2, 331, 335 – Filmverwertungsvertrag. BGH ZUM 2003, 135, 136 – Filmauswertungspflicht; BGH GRUR 1980, 38, 40 – Fullplastverfahren.
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bestmöglichen Filmauswertung verpflichtet.327 So müssen in diesem Zusammenhang auch die Interessen des Filmverleihs angemessenen berücksichtigt werden, eine bloße einseitige Berücksichtigung der Interessen des Filmherstellers gilt als unzumutbar.328 Es ist zu bedenken, dass gerade auch der Filmverleih regelmäßig eigene Interessen haben wird. Bspw will er mit den Kinobesitzern dauerhaft zusammen arbeiten und wird aus diesem Grund nicht in der Lage sein, die insoweit bloß einseitigen Interessen des Filmherstellers gegen die Kinobesitzer rücksichtslos durchzusetzen.329 Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist es aber nach der Rspr Sache des 176 Filmverleihs/-vertriebs darzulegen und zu beweisen, dass ihm die Erfüllung von Auswertungspflichten unzumutbar ist.330 Der Filmhersteller trägt lediglich die Beweislast dafür, dass sein Vertragspartner objektiv gegen seine Vertragspflichten verstoßen hat und dass dadurch ein Schaden entstanden ist.331 bb) Der Filmbestellvertrag. Die sog Filmbestellverträge werden mit den einzelnen Betreibern der Kinotheater geschlossen.332 Auf diese finden neben den §§ 31 ff UrhG noch die §§ 535 ff BGB entsprechend Anwendung.333 IdR erwirbt der Betreiber des Kinotheaters im Gegensatz zum Filmverleih 334 nur ein einfaches und nicht-exklusives Nutzungsrecht.335 Dadurch wird er berechtigt, den Film vorzuführen. Auch hier gilt, wie schon beim Verleihvertrag, dass die Vorführungsrechte vom Kinotheater für im Filmwerk verwendete Musik zusätzlich noch bei der GEMA erworben werden müssen. Zudem soll auch hier bei entsprechender Umsatzbeteiligung des Verleihs oder des Produzenten an den Kinoeinnahmen eine Auswertungspflicht des Kinotheaters bestehen.336 Da dem Kinotheater keine ausschließliche Rechtsposition zukommt, kann es nicht gegen etwaige Verletzer vorgehen. Dies gilt auch dann, wenn ihm eine Priorität gegenüber anderen Kinotheatern durch den Filmverleih oder den Filmhersteller eingeräumt wird, in dem ihm bspw das Erstaufführungsrecht zugesagt wird. Teilweise wird dazu zwar vertreten, dass die Gewährung der Ausübung der Uraufführungsrechte iSv § 12 UrhG bei Verletzung der Prioritätsstellung durch ein rangniedrigeres Theater zu einem bereicherungsrechtlichen Anspruch gegen dieses führt,337 die hM belässt es aber bei dem vertraglichen Anspruch des Kinotheaters gegen seinen Vertragspartner.338
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BGH ZUM 2003, 135, 137 – Filmauswertungspflicht. BGH ZUM 2003, 135, 137 – Filmauswertungspflicht. BGH ZUM 2003, 135, 137 – Filmauswertungspflicht. BGH ZUM 2003, 135, 137 – Filmauswertungspflicht; BGH UFITA 71 (1974), 184, 188 – Filmauswertungs- und Bestellverträge. BGHZ 61, 118, 120 – Beweislast; BGH ZUM 2003, 135, 137 – Filmauswertungspflicht. Vgl zum Filmbestellvertrag insbesondere BGH UFITA 71 (1974), 184 ff – Filmauswertungs- und Bestellverträge; von Hartlieb/Schwarz/Schwarz 177 ff; Reupert 249 f.
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Vgl insbesondere zu den schuldrechtlichen Vereinbarungs- und Haftungsmöglichkeiten bei von Hartlieb/Schwarz/Klingner 499 ff; Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 35 Anm 12; Homann 299 ff. Vgl dazu von Hartlieb/Schwarz/Schwarz 448. Von Hartlieb/Schwarz/Klingner 492; Loewenheim/Schwarz-Reber § 74 Rn 215. BGH UFITA 71 (1974), 184, 188 – Filmauswertungs- und Bestellverträge; Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 35 Anm 6; Homann 300; noch weitergehend von Hartlieb/ Schwarz/Klingner 506 ff. Homann 300. Schütze/Weipert/Hertin Bd 3/I IX 35 Anm 5.
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cc) Der Videogrammrechtevertrag. Unter Videogrammrechte (teilweise auch als AVRechte bezeichnet) 339 versteht man das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung zum Zweck der nichtöffentlichen Wiedergabe des Filmwerks auf einem körperlichen Träger wie der DVD, der VHS-Kassette, dem USB-Stick oder in Zukunft vor allem der Blu-ray Disc oder der HD-DVD.340 Unter den Videogrammen spielt heute die DVD-Nutzung die überragende Rolle. So 182 betrug 2005 der Anteil des DVD-Umsatzes am Videomarkt 96,7 % auf dem Kaufmarkt und 98,4 % auf dem Verleihmarkt.341 Damit hat die DVD die VHS-Kassette als körperlichen Träger vom Markt verdrängt. Allerdings entfalten die Grundsätze, die zum Videolizenzvertrag entwickelt worden sind, auch beim DVD-Lizenzvertrag ihre Wirkung. Dies schon deshalb, da die DVD gegenüber der VHS-Kassette nicht als neue Nutzungsart 342 anzusehen ist.343 So tritt durch die DVD für den Verbraucher zwar eine technische Verbesserung ein, es wird mit der DVD aber kein neuer, von der VHS-Kassette abgrenzbarer Markt erschlossen, sondern nur ein bereits bestehender Markt mit einem neuen Trägermedium besetzt.344 Die Rechte zur Video-/DVD-Auswertung müssen separat erworben werden, da diese 183 sowohl gegenüber der Kinovorführung als auch der Fernsehausstrahlung eine selbstständige Nutzungsart darstellen.345 Eine Ausnahme gilt nur iRv Musiklizenzen. Hier besteht in der Rechtsprechung die Auffassung, dass mangels eines Video-Verfilmungsrechts, als eigenem Verwertungsrecht, den Berechtigten für die Videozweitauswertung kein zusätzliches Nutzungsentgelt über die Einräumung eines eigenständigen Nutzungsrechts zustände. Es reicht damit in diesen Fällen aus, wenn sich der Verwerter die entsprechenden Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte durch die GEMA einräumen lässt.346 In der Regel wird der Filmverleih die DVD-Verwertung nicht selbst übernehmen, son184 dern die für die Auswertung notwendigen Videogrammrechte, sofern sie ihm vom Filmhersteller als ausschließliches Nutzungsrechts übertragen wurden und dieser nicht selbst aktiv wird, an einen DVD-Hersteller auf der zweiten Nutzungsebene übertragen. Damit erhält der DVD-Hersteller die Möglichkeit, Filmwerke und daneben Bonusmaterial wie Trailer, deleted scenes und Making ofs zu vervielfältigen und zu vertreiben. Darüber hinaus wird dem DVD-Hersteller zusätzlich noch das Recht eingeräumt, Sublizenzen an Videotheken und Verkaufsstellen in Form von einfachen Nutzungsrechten vergeben zu können. Zu beachten ist dabei, dass das Videovermietrecht und das Videoverkaufsrecht jeweils von einander abgrenzbare selbstständige Nutzungsarten sind, die separat eingeräumt werden können.347 Aus diesem Grund kommt es entscheidend darauf an, genau zu klären, welche Art von Sublizenzen an die weiteren Verwerter in der Lizenzkette vergeben wer339 340
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Peters 196. OLG München ZUM 1998, 413, 415 – Video-on-demand; Fromm/Nordemann/ Hertin Vor § 88 UrhG Rn 7; Schwarz 209. Berauer 51. Vgl zum Begriff der neuen Nutzungsart grundlegend BGH GRUR 1991, 133 ff – Videozweitauswertung I; BGH GRUR 1997, 215 ff – Klimbim; BGH ZUM 2005, 816, 817 – Der Zauberberg. BGH ZUM 2005, 816, 818 – Der Zauberberg; OLG München ZUM 2002, 922, 929 – Der Zauberberg. BGH ZUM 2005, 816, 819 – Der Zauber-
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berg; OLG München ZUM 2002, 922, 928 – Der Zauberberg. BGH GRUR 1991, 133, 136 – Videozweitauswertung I; OLG Düsseldorf ZUM 2002, 221, 223 – Videorechte an Fernsehproduktionen; OLG München ZUM-RD 1998, 101, 106. BGH GRUR 1994, 41, 44 – Videozweitauswertung II; vgl dazu aber auch die Ausführungen unter RN; sowie bei Schulze GRUR 2001, 1084 ff. BGH NJW-RR 1987, 181, 182 – Videolizenzvertrag.
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den dürfen. Dies hängt von der an den DVD-Hersteller übertragenen Hauptlizenz ab. Wurde diesem nur das ausschließliche Recht des Videoverkaufs eingeräumt, ist er im Zweifel nicht berechtigt, an Dritte Sublizenzen über die Videovermietung zu erteilen348. Von den Videogrammrechten nicht umfasst ist das Recht zur Übermittlung von Film- 185 werken im sog on-demand-Verfahren 349 oder unter zuhilfenahme sonstiger interaktiver Dienste 350. Denn hierbei handelt es sich anders als bei den herkömmlichen Videogrammen wie der DVD oder der VHS-Kassette, nicht um eine körperliche Verwertungsmöglichkeit.351 Zudem findet aus Sicht des Verbrauchers eine andere Form der Nutzung statt. So kann der Endnutzer direkt über einen online-Dienst den gewünschten Film per Kabel auf seinen Bildschirm laden.352 Damit unterscheidet sich diese Art der Konsumierung aber von der herkömmlichen DVD-Nutzung, die zunächst voraussetzte, dass sich der Heimkonsument einen körperlichen Träger beschafft und diese in das entsprechende Abspielgerät einlegt.353 dd) Der Fernsehlizenzvertrag. Die Sendung des Films im Fernsehen ist eine selbstständige Nutzungsart, die gesondert übertragen werden muss.354 Ist ein Nutzungsrecht zur fernsehmäßigen Nutzung erst einmal eingeräumt, kann der Fernsehsender dieses umfassend nutzen. Der Film kann dabei sowohl über Kabel als auch über Satellit ausgestrahlt werden, da hierin keine Unterschiede der Nutzungsmöglichkeit aufgrund technischen Fortschritts liegen. So finden sich darin keine technischen Unterschiede im Übermittlungsvorgang, die dazu führen, dass sich die Werknutzung wesentlich verändert.355 Gleiches gilt für die Pay-TV Nutzung, da die Art der Werknutzung sich nicht vom Free-TV unterscheidet. Der Sendevorgang ist bei Free-TV und PayTV vom Grundsatz her der gleiche, eine besondere Art der Nutzung ist allein durch die zuhilfenahme von Verschlüsselungstechniken beim Pay-TV nicht gegeben.356 Fernsehsender erhalten neben der Übertragung des Senderechts oftmals auch Bearbeitungsbefugnisse, davon umfasst ist nicht nur die Klammerteilauswertung, sondern auch die Anpassung ausländischer Serien an deutsche Sehgewohnheiten, indem bspw der Vorund Nachspann angepasst werden. Zudem brauchen sie das Bearbeitungsrecht auch, um den Film mit Werbung unterbrechen zu können. Wurde ein ausländischer Film noch nicht synchronisiert und bleibt dies dem Fernsehsender überlassen, bedarf es zusätzlich auch des Synchronrechtes. Im Übrigen gilt es in der vertraglichen Vereinbarung genau aufzuschlüsseln, welche Nutzungsarten dem Fernsehsender eingeräumt werden sollen, denn aufgrund des Zweckübertragungsgrundsatz in § 31 Abs 5 UrhG ist bei der Verwertung des Films vor einer Reihe von eigenständigen Nutzungsarten auszugehen.357 Ist nur eine Einräumung von Rechten zwecks fernsehmäßiger Verwertung vorgesehen, sind die Auswertungsmöglichkeiten des Fernsehsenders ausschließlich auf die Fernseh-
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BGH NJW-RR 1987, 181, 182 – Videolizenzvertrag. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 137; Homann 91; Klages/Schlünder Rn 928; Peters 196 f; Weber in Mainzer Rechtshandbuch IX Rn 68; aA OLG München ZUM 1998, 413, 415 – Video-on-demand. Homann 90. Homann 91; Weber in Mainzer Rechtshandbuch IX Rn 42.
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Klages/Schlünder Rn 927 f. Peters 197. BGH UFITA 78 (1977), 179, 182 – Es muss nicht immer Kaviar sein. BGH GRUR 1997, 215, 217 – Klimbim. KG ZUM-RD 2000, 384, 386; Weber in Mainzer Rechtshandbuch IX Rn 64. Vgl zur Anwendung des § 31 Abs 5 UrhG bei Fernsehlizenzverträgen OLG München ZUM-RD 1998, 101, 105 ff.
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ausstrahlung beschränkt. Die Videogrammverwertung ist vom bloßen Fernsehlizenzvertrag nicht mehr mit umfasst.358 Gleiches gilt für das sog Video-on-demand. Hierbei handelt es sich gegenüber dem 191 Fernsehen um eine selbstständige Nutzungsart. Denn der Film erreicht den Nutzer nicht herkömmlich, im Wege eines von ihm nicht beeinflussbaren Empfangs eines in der Abfolge vorgegebenen Programms Video-on-demand zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass das Werk individuell und dabei vor allem zu einem vom Nutzer gewünschten Zeitpunkt abgerufen werden kann.359 Ob das sog Internet-TV im Streaming-Verfahren 360 gegenüber der herkömmlichen 192 Fernsehsendung eine eigenständige Nutzungsart darstellt, wird vor allem angesichts der zukünftigen Entwicklung der Fernsehtechnik in Zweifel gezogen.361 Entscheidendes Kriterium in diesem Zusammenhang ist mE ob weiterhin das typische Fernsehpublikum angesprochen wird oder ein Benutzerkreis, der sich durch andere Sehgewohnheiten auszeichnet 362 und dem sich durch das Internet neue Verwendungsmöglichkeiten ergeben. Sollte die Fernsehtechnik dahin gehen, dass Fernsehen nur noch über Internet empfangbar ist, wird mE nur der Übertragungsweg verändert, neue Konsumenten werden hier nicht generiert, sondern diese werden das eine Gerät (Fernseher) lediglich durch das neue Multifunktionsgerät (Multimediacomputer) ersetzen. Ob eine Konsumtion des gesendeten Programms im Wege des Streams oder herkömmlich erfolgt, macht dabei keinen Unterschied. Dies entspricht letztlich dem Wechsel von der VHS-Kassette zur DVD.363 Damit fehlt es aber an der vom BGH verlangten neuen Benutzergruppe. Allerdings hat bspw das LG München I die Digitalisierung eines bereits im „Normal-“Fernsehen gesendeten Beitrags zwecks anschließenden „Ins-Netz-Stellens“ als neue Nutzungsart angesehen.364 In jedem Fall gilt es aber zu berücksichtigen, dass bestimmte Nutzungsformen von der Rechteübertragung ausgeschlossen und nebeneinander lizenziert werden können.365 Damit kann in Lizenzverträgen wirksam zwischen den klassischen Fernsehrechten und den Online-Fernsehrechten mit dinglicher Wirkung differenziert werden.366 Vor allem Fernsehlizenzverträge 367 sehen oftmals eine Enthaltungspflicht des Film193 herstellers vor. Danach ist es dem Filmhersteller untersagt, das Filmwerk bspw im Wege der DVD auszuwerten. Dabei gilt es jedoch festzustellen, dass nach der Rspr die in Nutzungsrechtsverträgen zu findenden typischen Enthaltungspflichten allerdings keine dingliche, sondern nur schuldrechtliche Wirkung entfalten.368 Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass das Urheberrecht vom Leitbild ausgeht, dass eine Enthaltungspflicht bzgl nicht übertragener Nutzungsrechte nicht besteht (§§ 31 Abs 4, 5, 41, 42 UrhG; 2 VerlG). Inso358
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OLG München ZUN-RD 1998, 101, 106; OLG Düsseldorf GRUR 2002, 121, 122 – Das weite Land. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber S 137; Homann 304; Peters 196; Weber in Mainzer Rechtshandbuch IX Rn 66 ff; vgl dazu auch OLG München ZUM 1998, 413, 416 – video-on-demand. Zur Streaming Technik vgl Bortloff GRUR Int 2003, 669, 670; Veit 107 ff. Insbesondere vertreten von Schwarz ZUM 2007, 816, 822 ff; Weber in Mainzer Rechtshandbuch IX Rn 92; für eine eigenständige Nutzungsart von Sendungen im Wege des Simulcastings hingegen Bortloff GRUR Int 2003, 669, 675; Homann 90; vgl dazu auch
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umfassend bei Klages/Schlünder Rn 920 ff, insb 926; unschlüssig Poll GRUR 2007, 476, 482. Hierfür bspw Klages/Schlünder Rn 924. Zu den Grundsätzen vgl deswegen BGH ZUM 2005, 816, 819. Der Zauberberg; sowie unter Rn 182. LG München I ZUM-RD 2000, 77. Vgl etwa zur räumlichen Aufteilung bei BGH GRUR 1997, 215, 218 – Klimbim; Poll GRUR 2007, 476, 482. Poll GRUR 2007, 476, 482. Vgl dazu unter Rn 186. OLG Düsseldorf GRUR 2002, 121, 122 – Das weite Land.
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weit droht bereits bei der Vertragsformulierung die Gefahr, dass die zudem oftmals als Standardformulierung aufgenommene Vertragsklausel in ihrer Pauschalität AGB-rechtlich unverhältnismäßig ist,369 hier gilt es aufzupassen. ee) Der Internetrechtevertrag. Die Internetauswertung ist keine einheitliche Nut- 194 zungsart.370 Sie besteht vielmehr aus einer Vielzahl einzelner Nutzungsarten, wie dem video-on-demand, dem download-Recht ua, die gesondert übertragen werden müssen. Einer Einzelübertragung ist zudem in den Fällen möglich, in denen bestimmte Nutzungsformen von der Nutzungsrechtseinräumung ausgeschlossen sein sollen.371 Im Übrigen gelten hier die allgemeinen Überlegungen zu den Lizenzverträgen im Allgemeinen 372 und im Filmurheberrecht.373
IV. Das Vergütungssystem der §§ 32 ff UrhG und seine Besonderheiten beim Film Die Vergütungsfrage rückt im Urheberrecht mehr und mehr in den Vordergrund. Denn neben der vertraglich festgelegten Vergütung, die im Ausgleich zur Nutzungsrechtsübertragung steht, erlangen gesetzliche Vergütungsansprüche mehr und mehr an Bedeutung. Es ist eines der Grundprinzipien des Urheberrechts, dass der Urheber angemessen an dem wirtschaftlichen Nutzen seines Werkes zu beteiligen ist. Diese Leitbildfunktion der angemessenen Vergütung findet sich in § 11 S 2 UrhG wieder und wird auch vom Gesetzgeber ausdrücklich betont 374. Oftmals wird aber gerade bei einem Überraschungsfilm (wie bspw Passion Christi oder der Film My Big Fat Greek Wedding) das Budget nicht so umfangreich bemessen sein, dass der Urheber im Vorfeld bereits entsprechend am Erfolg beteiligt ist. Das UrhG sieht drei Ansatzpunkte vor, mit denen Unverhältnismäßigkeiten zwischen Nutzungsvergütungen einerseits und wirtschaftlichem Ertrag andererseits ausgeglichen werden sollen – die Regelung des § 32 UrhG, die des sog Bestsellerparagrafen § 32a UrhG und die des § 32c UrhG bei der Übertragung von unbekannten Nutzungsarten. Alle drei Regelungen finden auch im Filmurheberrecht Anwendung. Sowohl bei § 32 UrhG als auch bei § 32a Abs 1 UrhG und § 32c UrhG handelt es sich um gesetzliche Korrekturansprüche, die der Vertragsanpassung dienen sollen. Denn Grundvoraussetzung ist in allen drei Fällen das Vorliegen eines wirksamen Nutzungsvertrages. Es handelt sich daher bei den §§ 32, 32a Abs 1, 32c Abs 1 UrhG jeweils um eine gesetzlich indizierte, objektive Inhaltskontrolle des zugrundeliegenden Vertrages,375 auf die vom Urheber weder formularmäßig noch durch Individualvereinbarung wirksam im Voraus verzichtet werden kann, §§ 32 Abs 3 UrhG, 32a Abs 3 UrhG, 32c Abs 3 UrhG ggf iVm § 307 Abs 1 BGB. Trotz der Internationalität im Film, dh trotz ausländischer Produktion, trotz internationaler Koproduktion, gilt es zu beachten, dass, sobald eine für die Erhöhung der Vergütung maßgebliche Nutzungshandlung im Inland erfolgt ist, sich die §§ 32, 32a UrhG 369
370
OLG Düsseldorf GRUR 2002, 121, 122 – Das weite Land; vgl dazu umfassend Umbeck 156 ff. So im Ergebnis va Klages/Schlünder Rn 914 ff, 916.
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Vgl dazu unter Rn 192. Vgl dazu Teil 2 Kap 13 Rn 14 ff. Vgl dazu unter Rn 147 f. Vgl dazu AmtlBegr BT-Drucks 14/8058, 2. Berger ZUM 2003, 173.
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wegen § 32b Abs 2 UrhG als zwingende Normen gegenüber dem ausländischen Recht durchsetzen.376 Dies gilt trotz fehlender Verweisung des § 32b UrhG auf § 32c UrhG in diesem Zusammenhang, schon aufgrund der vergleichbaren Sachverhalte selbstverständlich entsprechend. 1. Die angemessene Vergütung nach § 32 UrhG im Filmbereich
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Mit § 32 UrhG steht dem Urheber kein isolierter Vergütungsanspruch gegenüber jedermann zu. § 32 UrhG sieht die Anpassung einer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht angemessenen Vergütungsabrede vor. Insoweit kann der Urheber nur von seinem Vertragspartner nach § 32 UrhG Vertragsanpassung verlangen.377 § 32 Abs 1 UrhG stellt nämlich insoweit ausdrücklich klar, dass der Vorrang der vertraglichen Vergütungsabrede zu beachten ist.378 IRd § 32 UrhG ist daher immer erst zu prüfen, ob das dem Nutzungsvertrag zugrundegelegte Honorar bereits aus einer Betrachtung ex ante, dh im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unangemessen ist. Ist dies der Fall, kann vom Urheber eine entsprechende Differenz zwischen Honorar und Korrekturanspruch nachträglich geltend gemacht werden. Ein Honorar gilt grds dann als angemessen, wenn eine gemeinsame Vergütungsregel der vereinbarten Vergütung zugrundegelegt wurde (§ 36 UrhG) 379 oder sich die Höhe der Vergütung aus einem Tarifvertrag ergibt (§ 32 Abs 4 UrhG). In diesen Fällen besteht Rechtssicherheit für die beteiligten Vertragsparteien, da für diese Vergütungsregeln eine unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit gilt. Zu beachten ist dabei, dass ausländische Vergütungsregeln, wie die Vereinbarungen der amerikanischen Guilds, auch in Deutschland diese Wirkung entfalten.380 Schwieriger wird es jedoch dann, wenn es an festgelegten Vergütungsregeln fehlt. Dann muss die Angemessenheit gem § 32 Abs 2 S 2 UrhG im Wege einer wertenden Überprüfung des Einzelfalls, unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Geschäftsverkehr geltenden, sich nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung orientierender Üblichkeit und Redlichkeit festgestellt werden. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Betrachtung der zu überprüfenden Umstände ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da anspruchsauslösend die Einräumung der Nutzungsrechte und nicht erst die tatsächliche Nutzung ist.381 Die Betrachtungsweise ist nach der amtlichen Begründung des Gesetzgebers ex ante und objektiv.382 Bei Optionsverträgen, die vor allem im Filmrecht eine Rolle spielen, wird man bereits den Abschluss des Optionsvertrages als maßgeblichen Zeitpunkt für die Ermittlung der Angemessenheit ansehen müssen, wenn die Bindung des Urhebers an den Optionsvertrag so ausgestaltet ist, dass man sie als vorweggenommene Einigung ansehen muss.383 376 377
378 379
Vgl dazu AmtlBegr BT-Drucks 14/8058, 20. Vgl dazu auch OLG Naumburg ZUM 2005, 759, 761 – Logo; für den Fall des angestellten Urhebers vgl ua bei Berger ZUM 2003, 173 ff. Schmidt ZUM 2002, 781, 783. Vgl zu den gemeinsamen Vergütungsregeln und insb dem Problem der Durchsetzung gemeinsamer Vergütungsregeln trotz abgelehnter Einigungsvorschläge bei Ory ZUM 2006, 915 ff.
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Von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 168, zu den Guilds im Einzelnen von Hartlieb/Schwarz/ U Reber 173 mwN; sowie Reber GRUR 2003, 393, 396. Berger ZUM 2003, 521, 522; Jani 303. AA Berger ZUM 2003, 521, 523; vgl dazu iÜ Teil 2 Kap 1 Rn 219 ff. Wie hier auch Berger ZUM 2003, 521, 526; von Hartlieb/Schwarz/U Reber 172.
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Angemessenheit setzt also zunächst voraus, dass die Vergütung dem Üblichen entspricht, was in vergleichbaren Situationen durch die Branche gezahlt wird. Danach wird bei Kinoproduktionen die Überprüfung der Üblichkeit einer Vergütungsbeteiligung an das zur Verfügung stehende Budget gekoppelt. So gelten in der Rechtsprechung Beteiligungen des Drehbuchautors am Budget in Höhe von 2–3 Prozent und bei Regisseuren in Höhe von 2–5 Prozent als üblich.384 Konkret bedeutet dies einen Vergütungsrahmen von € 95 000,– bis € 550 000,– bei Regisseuren, sowie € 55 000,– bis € 145 000,– bei Drehbuchautoren.385 Dabei handelt es sich freilich um Mittelwerte, die je nach Marktwert der Beteiligten sowie nach Arbeitseinsatz höher oder niedriger ausfallen können.386 Bei der Herstellung sog TV-Produktionen gelten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls für den Regisseur Honorare von € 40 000,– bis € 125 000,– als üblich. Bei Drehbuchautoren werden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk üblicherweise € 23 000,– Grundhonorar und Wiederholungshonorare von 100 % pro Ausstrahlung im ersten und zweiten Programm und bei Ausstrahlung im Dritten Programm 20 % pro Ausstrahlung gezahlt. Im Privatfernsehen sind buy-out Honorare zwischen € 45 000,– und € 60 000,– die Regel.387 Treatments werden generell mit Einmalzahlungen zwischen € 3 000,– und € 7500,– abgegolten. Für Exposés werden € 2 000,– bis € 3500,– gezahlt.388 Die bezahlte Vergütung darf aber nicht nur üblich, sondern muss darüber hinaus auch redlich sein. Schon der BGH stellte in einer Entscheidung zu § 36 UrhG aF fest, dass eine entsprechende Branchenüblichkeit einer bestimmten Honorierung noch nichts darüber aussagt, ob die Honorierung auch angemessen ist.389 Danach gilt vor allem die Abwälzung des Auswertungsrisikos durch unangemessene Beteiligungsregeln als unzumutbar.390 In keinem Fall darf es zu einer bloß einseitigen Bevorzugung nur einer der Parteien kommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass fehlende Angemessenheit erst dann anzunehmen ist, wenn die Vergütungsvereinbarung sittenwidrig ist.391 Abschließend gilt es zu beachten, dass jede Abwägungsentscheidung eine Frage des Einzelfalls darstellt, in der von einer Gleichberechtigung der Interessen der Konfliktparteien auszugehen ist, wodurch auch ein gewisser Spielraum in der Betrachtung eröffnet wird.392 So verstoßen etwa buy-out Honorare grds auch unter der Regelung des § 32 UrhG nicht per se gegen das Gebot der Redlichkeit.393 Dies wird zum einen bereits durch den im Gesetz eindeutig vorgesehenen Vorrang der Individualabrede in § 32 Abs 1 S 1 UrhG formuliert, zum anderen aber ist jede Pauschalvergütung, unabhängig davon, ob sie als buy-out konzipiert wird, zunächst immer am konkreten Fall nach den genannten Kriterien zu überprüfen, bevor verabsolutiert über ihr das Urteil der Unredlichkeit gefällt
384 385
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OLG München ZUM 1999, 579 – approved budget of film. Vgl dazu eingehend Stellungnahme der Filmwirtschaft vom 21.8.2001 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern S 30; abrufbar unter www.urheberrecht.org/UrhGE-2000/ download/stellungnahmen/SPIO_Stellungn_ 21_08_2001.pdf. Vgl dazu im Einzelnen Brehm 97, 160; sowie Peters 29. Vgl dazu eingehend Stellungnahme der Filmwirtschaft vom 21.8.2001 zum Regierungs-
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entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der ver traglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern S 30, abrufbar unter www.urheberrecht.org/UrhGE-2000/ download/stellungnahmen/SPIO_Stellungn_ 21_08_2001.pdf; sowie bei Peters 28. Peters 28. BGH GRUR 2002, 602, 604 – Musikfragmente. Reber GRUR 2003, 393, 397. Reber GRUR 2003, 393, 394. Berger ZUM 2003, 521, 522; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 31. AA aber Nordemann 78.
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werden kann.394 Um sicher zu gehen, sollte der Verwerter bei umfangreichen und vor allem bei langfristigen Rechtseinräumungen jedoch von vornherein auch bei buy-out-Verträgen zusätzlich mit Beteiligungssätzen arbeiten, die an einzelne Nutzungsrechtseinräumungen, also bspw bei Filmwiederholungen, anknüpfen.395 Denn diese Form ist sicherlich am ehesten geeignet, Sinn und Zweck des § 32 Abs 2 S 2 UrhG zu entsprechen. Oftmals wird der Urheber gar nicht die Möglichkeit haben, eine branchenübliche 209 Budgetbeteiligung nachzuprüfen, da ihm die entsprechenden Unterlagen des Verwerters nicht zur Verfügung stehen. Zur praktischen Durchsetzung seines Anspruchs aus § 32 UrhG, der auf Abgabe einer Willenserklärung auf Vertragsänderung zu richten ist, steht dem Urheber deswegen ein Auskunftsanspruch gegen seinen Vertragspartner zur Seite. Dieser wurde zwar gesetzlich nicht näher geregelt, ergibt sich jedoch aus der schon vorher praktizierten BGH-Rechtsprechung. Danach gilt es, dass der Vertragspartner des Urhebers immer dann auskunftspflichtig ist, wenn (1) zwischen den Parteien eine Sonderverbindung besteht, (2) der Auskunftsbegehrende in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Anspruchs im Ungewissen ist, er sich aber gleichzeitig diese Information nicht anderweitig beschaffen kann und (3) der Vertragspartner des Urhebers unschwer in der Lage ist, die Auskunft zu erteilen.396 Zu raten ist deswegen, schon bei Vertragsschluss schriftlich die Erwägungen niederzulegen, die die niedrige Vergütung in diesem besonderen Fall rechtfertigen. Zusätzlich sollte eine genaue Dokumentation der Kostenberechnungen und der erwarteten Einnahmen niedergelegt werden.397 2. Der Fairnessausgleich aus § 32a UrhG im Filmbereich
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Der sog Beststellerparagraph des § 32a UrhG gesteht dem Urheber eine zusätzliche Beteiligung für den Fall zu, dass das Werk einen so von den Parteien nicht erwarteten, und deshalb sich nicht in der Vergütung niederschlagenden Erfolg verbucht. Bei § 32a UrhG handelt es sich also um einen Fairnessausgleich, „der ex-post ein auffälliges Missverhältnis zwischen den Erträgen und Vorteilen der Nutzung und der Vergütung korrigiert“.398
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a) Anwendungsvoraussetzungen des § 32a UrhG. § 32a Abs 1 UrhG gewährt Vertragsanpassung für den Fall, dass Nutzungsrechte zu Bedingungen eingeräumt wurden, die dazu führen, dass die Vergütung unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen stehen.399 212 Als Erträge iSd § 32a UrhG gelten alle aus der Nutzung erzielten Bruttoerlöse.400 Die Kosten, die der Nutzer aufwenden muss, um das Werk entsprechend zu vermarkten, werden hierbei zunächst nicht anspruchsmildernd berücksichtigt,401 da der Urheber andernfalls das Betriebsrisiko des Verwerters mittragen müsste.402
394
395 396 397
Wie hier von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 169; Jani 313; vgl dazu iÜ eingehend bei Reber ZUM 2003, 393, 395 ff. So auch Berger ZUM 2003, 521, 525. BGHZ 95, 285, 287 f – GEMA-Vermutung II; Palandt/Heinrichs § 261 BGB Rn 9 ff. Vgl zu weiteren Hinweisen für die praktische Ausgestaltung und Begründbarkeit der Vergütungssätze im späteren Verfahren bei Peters 32 ff.
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AmtlBegr BT-Drucks 14/8058, 46. Vgl zu § 32a UrhG ausf Teil 2 Kap 1 (Jani) Rn 235 ff. BGH GRUR 2002, 153, 154 – Kinderhörspiele; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32a UrhG Rn 11 mwN. BGH NJW 1991, 3150, 3151 – Horoskop Kalender. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32a UrhG Rn 11 mwN.
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Gegenleistungen iSd § 32a UrhG sind vor allem Vergütungsansprüche, die nicht not- 213 wendig entgeltlich, sondern auch als geldwerter Vorteil erfolgt sein können.403 Bloß ideelle Gegenleistungen müssen aber bei der Überprüfung der vereinbarten Vergütung unberücksichtigt bleiben.404 Von einem auffälligen Missverhältnis 405 zwischen diesen beiden Positionen ist aus- 214 weislich der amtlichen Begründung jedenfalls dann auszugehen, „wenn die vereinbarte Vergütung um 100 % von der angemessenen Beteiligung abweicht. Nach Maßgabe der Umstände können aber bereits geringere Abweichungen ein auffälliges Missverhältnis begründen“ 406. Umgekehrt können Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall ergibt, dass kein grobes Missverhältnis vorliegt; dazu zählen ua: ein hohes unternehmerisches Risiko, die Verwendung von urheberrechtlichen Leistungen Dritter, etc.407 Angemessenheit wird auch hier für den Fall unwiderleglich vermutet, in dem die Ver- 215 gütung tarifvertraglich bestimmt oder durch eine gemeinsame Vergütungsregel erfasst ist (§ 32a Abs 4 UrhG).408 b) § 32a UrhG und sein allgemeiner Anwendungsbereich gegenüber Sublizenzneh- 216 mern. Anders als bei § 32 UrhG beschränkt sich die Regelung des § 32a UrhG jedoch nicht allein auf den konkreten Vertragspartner, sondern der Fairnessausgleich aus § 32a UrhG kann gegenüber jedermann geltend gemacht werden, mit der Folge, dass, wenn sich das auffällige Missverhältnis aus den Erträgen (wozu auch Lizenzerlöse zählen) eines Sublizenznehmers ergibt, dieser dem Urheber nach Maßgabe des § 32a Abs 1 UrhG haftet (§ 32a Abs 2 UrhG).409 Der Anwendungsbereich des § 32a Abs 2 UrhG gilt im Besonderen im Filmurheber- 217 recht, da hier Lizenzketten die Regel sind.410 Dem können auch nicht dogmatische Einwände entgegengesetzt werden, die darauf abzielen, dass § 32a Abs 2 UrhG der Privatautonomie systemfremd ist, indem einem Sublizenznehmer die Möglichkeit gegeben werde, in fremde Vertragsverhältnisse einzugreifen.411 Im Gegenteil, bleiben doch die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Urheber und Produzent auch in Bezug auf die Vergütungsfrage unberührt. § 32a Abs 2 UrhG darf deswegen nicht, wie die §§ 32, 32a Abs 1 UrhG, als Vertragsanpassungsanspruch begriffen werden, sondern als Fairnessanspruch der aus dem Beteiligungsgrundsatz des § 11 Abs 2 UrhG herrührt.412 c) Sonderprobleme. Aufgrund der Regelung des § 32a Abs 2 UrhG gilt es vor allem 218 im Filmbereich, folgendes zu beachten: aa) Freistellungsklauseln. Grds besteht die Möglichkeit des Lizenznehmers, Rückgriff 219 auf den Produzenten zu nehmen, etwa in dem der Produzent seinen Lizenznehmer von Inanspruchnahme Dritter freistellt.413 Bei generellen Freistellungsklauseln sollte man sich als Produzent jedoch vorher sicher sein, ob man angesichts der Regelung des § 32a Abs 2 UrhG den Lizenznehmer auch von derartigen Nachvergütungsansprüchen des Urhebers freistellen möchte. Denn bei all denjenigen Verträgen, die nach Inkrafttreten der Rege403 404
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Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32a UrhG Rn 8. Dreier/Schulze/Schulze § 32a UrhG Rn 27; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32a UrhG Rn 9. Vgl dazu ausf in der Abwägung bei BGH GRUR 2002, 153, 154 – Kinderhörspiel. AmtlBegr BT-Drucks 14/8058, 19. BGH NJW 1991, 3150, 3151 – Horoskop Kalender; Peters 43.
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Vgl Rn 202. Vgl dazu auch umfassend bei Reinhard/ Distelkötter ZUM 2003, 269 ff. Vgl dazu auch unter Rn 147 ff. So aber Weber in Mainzer Rechtshandbuch der Neuen Medien IX Rn 85. Vgl im Einzelnen zudem unter Rn 196. Peters 44.
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lung des § 32a Abs 2 UrhG geschlossen wurden, wird man davon ausgehen müssen, dass bei allgemeingehaltenen Freistellungsklauseln der Wille der Parteien dahin geht, dass auch diese von der Freistellung mit umfasst sind.414 So kann sich bei der nunmehr eindeutigen Regelung des § 32a Abs 2 UrhG der Produzent nicht darauf berufen, er hätte diese Folge seiner Willenserklärung nicht vorhersehen können. Auch ist nicht davon auszugehen, dass der zwingende Charakter des § 32a UrhG einer solchen Regelung entgegensteht.415 Denn zum einen widerspräche dies dem Grundsatz der Privatautonomie, die hier auch aufgrund der Bekanntheit des Regelungscharakters keinen übermäßigen Schutz bedarf.416 Zum anderen aber schützt § 32a UrhG den Urheber und nicht den Produzenten. Eine Schlechterstellung des Urhebers ist aber mit der generellen Möglichkeit der Freistellung nicht gegeben, da diese ihn nicht hindert, gegen den Dritten vorzugehen. Eine andere Wertung wird man nur dann treffen können, wenn dies der Einzelfall verlangt.417 Bei allen übrigen Verträgen, bei denen die Nutzungshandlung, welche die Vergütungsregel des § 32a UrhG auslöst, vor dem 28.3.2002 vorgenommen werden, gilt es im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung den hypothetischen Willen der Parteien herauszufiltern.418 Bei der echten Auftragsproduktion ist zwar der Auftragnehmer der eigentliche Filmhersteller und damit primärer Vertragspartner der Urheber, regelmäßig werden die Erträgnisse und Vorteile, die geeignet sind, ein auffälliges Missverhältnis zu begründen, aber ausschließlich vom Auftraggeber erwirtschaftet. Insofern spielt hier der Vertragsanpassungsanspruch aus § 32a Abs 1 UrhG kaum eine Rolle. Der Fokus liegt bei der echten Auftragsproduktion daher auf § 32a Abs 2 S 1 UrhG. Angesichts der besonderen Situation bei der echten Auftragsproduktion wird man ausnahmsweise nicht von einer wirksamen, die Haftung nach § 32a Abs 2 UrhG mit umfassenden Freistellungsvereinbarung ausgehen können. Denn Wesen der Auftragsproduktion ist es, dass der Auftragnehmer mit Abnahme des Werkes auch sämtliche Rechte an den Auftraggeber überträgt. Damit trägt allein der Auftraggeber den Mehrwert des Films. Es wäre nicht gerechtfertigt, dem Auftragnehmer, der diesen Mehrwert gerade nicht für sich generieren kann, diese Risiken zusätzlich aufzubürden, ohne dass er dafür einen Gegenwert erwirtschaften kann.419 Eine solche Freistellungsvereinbarung muss man als nach § 138 Abs 1 BGB sittenwidrig ansehen. Bei Koproduktionen wird oftmals die der Koproduktion zugrunde liegende Gesellschaft der Vertragspartner der Urheber sein. Insofern findet gegenüber ihr der Vertragsanpassungsanspruch aus § 32a Abs 1 UrhG Anwendung. Bei der Wahl eines sog executive producer hingegen, der sämtliche Rechte am Film in die Gesellschaft mit einbringt, gilt, ähnlich wie bei der echten Auftragsproduktion, dass regelmäßig diese über § 32a Abs 2 UrhG in Anspruch genommen werden muss, da auch nur diese die Möglichkeit besitzt, die Rechte am Film gewinnbringend einzusetzen.420 Aus diesem Grund wäre auch eine Vereinbarung der Gesellschaft gegenüber dem executive producer, die sie von der Haftung nach § 32a Abs 2 UrhG freistellt, denselben Bedenken ausgesetzt wie bei der echten Auftragsproduktion.421 bb) Haftungsproblematiken iRv § 32a UrhG bei Lizenzketten. (1) Allgemeine Grundaussagen zur Haftung bei mehreren Lizenznehmern. Treten Missverhältnisse sowohl nach 414 415 416 417
Peters 44. So aber von Hartlieb/Schwarz/U. Reber 171. So im Ergebnis ähnlich Reinhard/Distelkötter ZUM 2003, 269, 275 f. Vgl dazu Rn 221 ff.
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Vgl dazu eingehend Peters 44 f. Brauner ZUM 2004, 96, 103; vgl dazu auch bei Jani 311 f; Nordemann 102. Vgl dazu schon unter Rn 60. Vgl dazu schon unter Rn 221.
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§ 32a Abs 1 UrhG als auch nach § 32a Abs 2 UrhG auf, kann der Urheber sowohl gegen den Filmhersteller, als auch gegen den Dritten vorgehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Produzent an den Erträgen des Dritten beteiligt ist. Aber auch wenn der Produzent selbst noch Nutzungsrechte am Werk hält und sich aus diesen ein auffälliges Missverhältnis zu der gezahlten Vergütung ergibt, kann der Urheber einen Anspruch aus Fairnessgründen haben. Dieses Verständnis von § 32a UrhG bedarf es deswegen, da der Urheber auf diese Weise den Vorteil der besseren Durchsetzbarkeit auf seiner Seite hat.422 Dagegen steht auch nicht der Wortlaut des § 32 Abs 2 S 2 UrhG. Dieser ist nämlich teleologisch zu reduzieren. So soll nach dem Wortlaut des § 32 Abs 2 S 2 UrhG zwar die Haftung des anderen (des Produzenten) entfallen, wenn dem Urheber gegen den Dritten ein Anspruch nach § 32 Abs 2 S 1 UrhG zukommt, dies widerspricht jedoch Sinn und Zweck des § 32a UrhG, wonach jeder für die Erträge einstehen muss, die bei ihm selbst angefallen sind. Dh die Haftung des privilegierten Produzenten entfällt nur dort, wo (1) die Erträge ausschließlich beim Dritten generiert werden 423 und sie entfällt (2) ganz, wenn die Beteiligung des Produzenten an den Erträgen des Dritten bzw die aus der Verwertung der eigenen Nutzungsrechte generierten Erträge in keinem auffälligen Missverhältnis zur Vergütung des Urhebers stehen. Nur im ersten Fall besteht im Filmurheberrecht zwischen dem Dritten und dem Pro- 226 duzenten ein Teil-Gesamtschuldverhältnis, wobei allerdings die Gesamtschuld nur diejenigen Pflichten erfasst, die bei beiden deckungsgleich sind. Dh der Produzent haftet nur in Höhe der ihm zugeflossenen Erträge und des sich daraus ergebenden auffälligen Missverhältnisses. Trotz gegenteiliger Stimmen in der Literatur 424 ist diese Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Lizenznehmer untereinander im Filmurheberrecht sachgerecht und folgt bereits mittelbar aus der Wertung des § 34 Abs 4 UrhG. Dieser sieht eine gesamtschuldnerische Haftung des Gesamtschuldners nämlich in dem Fall vor, in dem § 34 Abs 1 UrhG nicht anwendbar ist. Dies ist aber gerade im Filmurheberrecht auf der hier interessierenden Auswertungsebene der Fall. Insofern gilt es, den Rechtsgedanken des § 34 Abs 4 UrhG aufzugreifen und entsprechend anzuwenden. Dies führt dazu, dass, wenn der Dritte dem Urheber wegen § 32a Abs 2 S 1 UrhG eine angemessene Vergütung zahlt, er den Produzenten anteilig nach § 426 Abs 2 BGB in Anspruch nehmen kann.425 Ein Teil-Gesamtschuldverhältnis besteht aber freilich dann nicht, soweit es um die 227 Haftung aus bei den Beteiligten liegenden verschiedenen Nutzungsrechten geht, die unabhängig voneinander zu Mehrerträgen geführt haben.426 (2) Die Freistellungsregelung des § 32a Abs 2 UrhG bei Sublizenznehmern. Im Film- 228 bereich ist es die Regel, dass an verschiedene Sublizenznehmer Einzellizenzen vergeben werden. Diese haften dem Urheber nach § 32a Abs 2 UrhG unabhängig voneinander. Zu beachten ist dabei, dass die Freistellungsregelung in § 32a Abs 2 S 2 UrhG in diesem Zusammenhang grds auch für alle anderen Sublizenznehmer und nicht nur zugunsten des Vertragspartners gilt. Die Regelung des § 32a Abs 2 S 2 UrhG entfaltet hier jedoch dann keine Wirkung, soweit Sublizenznehmer an den Erlösen anderer Sublizenznehmer, die zu einem auffälligen Missverhältnis führen, partizipieren.427 Denn es kann dem Urheber grds nicht zum Nachteil gereichen, dass eine Nutzungsrechtsaufspaltung erfolgt ist. 422 423 424 425
Reinhard/Distelkötter ZUM 2003, 269, 271. Brauner ZUM 2004, 96, 102; Reinhard/ Distelkötter ZUM 2003, 269, 270 f. Brauner ZUM 2004, 96, 98 ff; Berger GRUR 2003, 680. Für eine allgemeine Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses zwischen den Lizenzneh-
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mern auch außerhalb des Filmurheberrechts Reinhard/Distelkötter ZUM 2003, 269, 271. So auch bei allgemeiner Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses vertreten von Reinhard/Distelkötter ZUM 2003, 269, 272. Brauner ZUM 2004, 96, 102; Reinhard/ Distelkötter ZUM 2003, 269, 272 f.
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(3) Haftung der Sublizenznehmer bei Gesamtaddition der Einzelbeträge. Problematisch ist eine Haftung der Sublizenznehmer aus § 32a Abs 2 UrhG dann, wenn sich das auffällige Missverhältnis erst zeigt, wenn man die Erträge der verschiedenen Sublizenznehmer zu einem Gesamtbetrag addiert, gleichzeitig aber die jeweils einzelnen Erträge der Einzellizenznehmer kein auffälliges Missverhältnis aufweisen. Eine Haftung nach § 32a Abs 2 S 1 UrhG entfällt in diesem Zusammenhang. Nicht nur, dass die praktische Durchsetzung der Rechte aus § 32a Abs 2 UrhG schwierig wäre. Der Urheber wird zudem nicht über die Maßen schutzlos gestellt, da der Produzent, als sein Vertragspartner regelmäßig an den Einzellizenzierungen entsprechend hoch beteiligt sein wird. Gegen diesen ergibt sich damit eine Haftung regelmäßig schon nach § 32a Abs 1 UrhG.428
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cc) § 32a UrhG bei Miturheberschaft und anderen Urhebergemeinschaften. Die Besonderheit beim Film besteht darin, dass zu seinem Bestehen mehrere ihren Beitrag geleistet haben. Daran knüpft denklogisch die Frage an, wer von den Beteiligten nun zusätzlich nach § 32a UrhG vergütet werden muss. Nur derjenige, der die Kausalität seines Werkbeitrages für den Erfolg beweisen kann? Nein, denn nach der amtlichen Begründung muss der Werkbeitrag nicht ursächlich für den eingetretenen Erfolg sein (wobei jedoch bloß untergeordnete Beiträge zurückhaltend beurteilt werden sollen).429 Dies ergibt sich im Filmurheberrecht schon aufgrund des besonderen Werkcharakters des Films als Gesamtwerk, in dem sich die einzelnen Werkbeiträge nicht ohne weiteres aufsplitten lassen.430 Darüber hinaus spricht aber auch der Wortlaut des § 32a Abs 1 UrhG selbst für diese Annahme. Vertragsregelungen, die die einzelnen Beteiligten dazu zwingen, ihre Ansprüche nach 231 § 32a UrhG nur im Wege der notwendigen Streitgenossenschaft geltend zu machen, werden als sittenwidrig nach § 138 BGB oder als unwirksam nach § 307 BGB angesehen.431 Denn Sinn und Zweck ist es gerade, dass der Urheber sich gegen unangemessene Vergütungen zu Wehr setzen kann. Dies darf ihm aber im Gegenzug nicht durch die vertragliche Voraussetzung der vorherigen Bildung einer notwendigen Streitgenossenschaft verbaut werden. Dies ist angesichts der gesetzlichen Regelung konsequent. Eine solche Regelung wäre zudem auch in praktischer Hinsicht eine mittelbare Umgehung des Grundsatzes der Unverzichtbarkeit des Rechts aus § 32a UrhG, da eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Gefahr besteht, dass der Urheber mit seinem Anspruch schon im Vorfeld scheitert, unabhängig davon, ob tatsächlich ein Anspruch nach § 32a UrhG dem Grunde nach besteht oder nicht. 3. Die Vergütung für unbekannte Nutzungsarten nach § 32c UrhG
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a) Zur Übertragbarkeit von unbekannten Nutzungsarten. Mit dem zweiten Korb brach eine neue Zeit an. Denn die lang umkämpfte Norm des § 31 Abs 4 UrhG wurde aufgehoben. An unbekannten Nutzungsarten können nach § 31a Abs 1 UrhG nunmehr Nutzungsrechte eingeräumt werden. Dies gilt rückwirkend auch für alle seit dem 01.01.1966 geschlossenen Verträge, sofern der Verwerter alle „wesentlichen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannten Nutzungsrechte ausschließlich sowie räumlich und zeitlich unbegrenzt“ erworben hat (§ 137l Abs 1 Satz 1 UrhG) 432. Dabei ist zu beachten, dass dieses Widerspruchsrecht aus § 137l UrhG auch dem Filmurheber zusteht 428 429 430 431 432
Vgl dazu auch bei Brauner ZUM 2004, 96, 102 f. AmtlBegr BT-Drucks 14/8058, 19. Vgl dazu oben Rn 12. Peters 51. Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines
422
Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22. März 2006, abrufbar unter www.urheberrecht.org/topic/ Korb-2/bmj/1174.pdf.; sowie Mestmäcker/ Schulze/Obergfell § 88 Rn 4, § 89 Rn 4.
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Praktische Fragen des Filmrechts
(Eine Bereichsausnahme, wie sie iRd § 31a UrhG iVm § 88 I, § 89 I UrhG vorkommt, gibt es hier nicht). Je nachdem ob die bisher unbekannte Nutzungsart nun vor dem 1. Januar 2008 oder 233 erst danach bekannt wurde, hat der Urheber verschiedene Widerrufsfristen zu beachten. Im ersten Fall, also wenn die Nutzungsart bereits bei Inkraftreten des § 137l UrhG bekannt war beträgt die Widerrufsfrist ein Jahr. Wird eine Nutzungsmöglichkeit erst nach dem 1. Januar 2008 bekannt beschränkt sich die Widerrufsfrist im Gleichlauf zu § 31a UrhG auf drei Monate. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass dem Urheber ähnlich wie iRd § 32c UrhG ein Anspruch auf angemessene Vergütung zusteht, wobei dieser durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht wird, § 137l V UrhG. Damit sich der Urheber bei Vertragsschluss über die Reichweite seiner Handlung 234 bewusst wird, können die Vereinbarungen, durch die der Urheber Rechte für unbekannte Nutzungsarten einräumt oder sich dazu verpflichtet, nur schriftlich unter den Voraussetzungen des § 126 BGB getroffen werden, § 31a Abs 1 S 1 UrhG.433 Zudem gibt man dem Urheber mit § 31a Abs 1 S 2 UrhG die Möglichkeit, seine Einwilligung in die Verwertung seines Werkes iR von unbekannten Nutzungsarten auch nachträglich zurücknehmen zu können.434 Angesichts der strengen Formerfordernisse, die § 31a UrhG verlangt, sollte man iRd 235 Vertragsgestaltung, vor allem bei AGB-rechtlichen Nutzungsrechtseinräumungen, besonderen Wert auf die Form legen und neben dem allgemeinen Vertragsschluss die Übertragung aller Nutzungsrechten sowohl der bekannten als auch der unbekannten gesondert unterschreiben lassen. Weiter sollte für die Zukunft sichergestellt werden, dass iRd Vertragsgestaltung beiden Parteien umfangreiche Dokumentations- und Informationspflichten aufgegeben werden, die sie zwingen dem Vertragspartner bspw Änderungen in der Anschrift oder ähnlichem mitzuteilen. Dies folgt nicht zuletzt aus dem von § 31a UrhG vorgegebenen Procedere. Zudem sollte sich die Verwerterseite verpflichten jede Weiterlizenzierung an den Urheber zu melden. Dies schon deshalb, als insofern eine Weiterleitung der Rechte und Pflichten aus § 31a, 32c UrhG auf den neuen Lizenzinhaber erfolgt. Zwar ergibt sich eine solche Verpflichtung schon nach Sinn und Zweck der Regelung des § 31a UrhG unter Berücksichtigung einer allgemeinen vertraglichen Verpflichtung aus § 242 BGB, allerdings würde eine derartige Regelung für ausreichend Rechtssicherheit sorgen. b) Die Sonderregelung im Filmurheberrecht. Für den Filmbereich gilt es in dieser Hin- 236 sicht auf eine Besonderheit hinzuweisen. Zwar unterliegen auch im Filmbereich geschlossene Nutzungsverträge über unbekannte Nutzungsarten dem Schriftformerfordernis aus § 31a UrhG iVm § 126 BGB, allerdings findet die besondere Widerrufsregelung des § 31a Abs 1 S 2 UrhG im Filmurheberrecht keine Anwendung. Denn dies würde, so die amtliche Begründung, dem Ziel der Regelungen in §§ 88, 89 UrhG widersprechen, eine möglichst ungehinderte Verwertung des Films in einer unbekannten Nutzungsart durch den Filmhersteller zu gewährleisten.435 Dies führt für den Filmbereich dazu, dass die über § 31a UrhG zugelassene Nutzungsrechtseinräumung hier sogar zur Regel erklärt wird.436 Als Grund für diese Bevorzugung der Produzenten im Filmurheberrecht gegenüber solchen, anderer Werkgattungen benennt die amtliche Begründung die im Filmbereich auf433 434 435
Krit zum Schriftformerfordernis insb Berger GRUR 2005, 907, 909. Dieses wird von Berger GRUR 2005, 907, 909 als noch zu weit empfunden. Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheber-
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rechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 71, abrufbar unter www.urheberrecht.org/ topic/Korb-2/bmj/1174.pdf. Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheber-
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tretenden praktischen Schwierigkeiten beim Nacherwerb von Rechten an unbekannten Nutzungsarten. Diese seien darin begründet, dass an einem Filmwerk typischer Weise eine Vielzahl von Urhebern beteiligt sind,437 welche sich im Nachhinein oftmals nur schwer ermitteln ließen, vor allem dann, wenn es darum gehe, die Erben ausfindig zu machen. Darüber hinaus könne bereits durch die Zustimmungsverweigerung auch nur eines der Urheber die Rechtseinräumung und damit eine Verwertung des Werkes in der unbekannten Nutzungsart zumindest zeitweilig ausgeschlossen werden, wodurch für den Filmhersteller finanzielle und rechtliche Risiken entständen.438 Diese Situation sei aber weder im Interesse der Urheber, noch der Filmproduzenten, die jeweils aufgrund eigener finanzieller Interessen an einer möglichst umfassenden Verwertung interessiert seien, die jedoch durch die bisherige Regelung des § 31 Abs 4 UrhG aF konterkariert würden.439
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c) Bewertung der Neuregelungen. Die Regelung des § 31 Abs 4 UrhG aF galt schon immer als unbeliebt. Gerade auch, weil sie dem anglo-amerikanischen Rechtskreis gänzlich fremd war, die Verwerter, die aus diesen Rechtsordnungen kommen, zugleich aber immer wieder bei einer angestrebten globalen Verwertung des Filmwerkes mit ihr konfrontiert wurden. Dies hatte vor allem im Filmbereich für große Irritationen gesorgt. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass vor allem die USA mit einem durchschnittlichen Anteil von rund 34 % den Hauptteil der in Deutschland erstaufgeführten Spielfilme ausmachen.440 So war es dann mit den §§ 31a, 32c UrhG zu einer weitreichenden Entlastung der 238 Lizenznehmer gekommen. Aus diesem Grund wurde die Neuregelung, vor allem im Filmbereich, in dem der Abfederungsmechanismus des Widerrufes zusätzlich noch zurückgenommen wurde, vielfach kritisiert. Der von vielen als Rückkehr zur Vertragsfreiheit gepriesene § 31a UrhG 441 leiste danach nur einer einseitigen Fremdbestimmung durch den Verwerter unter einer Verdopplung des Risikos beim Urheber Vorschub.442 So wurde in der Vergangenheit oftmals argumentiert, dass § 31a Abs 1 S 1 UrhG 239 scheinbar eklatant mit dem System des Urheberrechts, das sich in der Zweckübertragungsregelung des § 31 Abs 5 UrhG äußere und das dem Urheber gerade seine Selbstbestimmtheit sichern solle, breche. Ließe man nämlich pauschale Vertragsklauseln über die generelle Einräumung unbekannter Nutzungsarten zu, werde damit die Reichweite der Einräumung von Nutzungsrechten im Zweifel nicht mehr maßgeblich vom Vertragszweck abhängig gemacht, sondern weicht einer Pauschalveräußerung. Die Gefahr sei groß, dass man dabei den Rechtsgedanken des § 31 Abs 5 UrhG übersehe,443 der aber
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rechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 71, 72, abrufbar unter www.urheberrecht.org/ topic/Korb-2/bmj/1174.pdf. Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 71, abrufbar unter www.urheberrecht.org/ topic/Korb-2/bmj/1174.pdf. Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 71, abrufbar unter www.urheberrecht.org/ topic/Korb-2/bmj/1174.pdf.
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Vgl dazu die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 71, abrufbar unter www.urheberrecht.org/ topic/Korb-2/bmj/1174.pdf. Zu den Anteilen der einzelnen Herstellungsländer im Deutschen Spielfilmsektor vgl auch Berauer 24. Vgl ua Berger GRUR 2005, 907, 908. Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 25a; Schulze GRUR 2005, 828, 831; Wandtke/ Holzapfel GRUR 2004, 284, 287. Diese Gefahr sieht ua Becker ZUM 2005, 303, 306.
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Praktische Fragen des Filmrechts
dennoch auch hier seine Wirkung zu entfalten habe. Erschwerend komme hinzu, dass vor allem die Urheber im Filmrecht in dem Moment, in dem sie pauschal in die Nutzungsrechtseinräumung eingewilligt haben, zunächst endgültig ihr einziges Druckmittel aus der Hand gegeben haben, das es ihnen tatsächlich erlaube, selbstbestimmt über diese neue Verwertungsart zu verhandeln.444 Die zu §§ 31a, 32c UrhG geführte Diskussion legt mE den falschen Schwerpunkt. 240 Denn zunächst darf nicht übersehen werden, dass das Grundgesetz von einem freiheitlichen Grundgedanken ausgeht, das einen harten Paternalismus nicht kennt, insofern entsprechen die Neuregelungen eher den grundgesetzlichen Vorgaben als die Vorgängerregelungen. Die eigentliche Krux der Neuregelung liegt daher auch vielmehr darin, dass die vielfach behauptete praktische Erleichterung, die mit der Neuregelung verbunden sein soll, nicht erreicht wird. Denn auch mit der Einführung der Regelung des § 31a UrhG blieb es weiter notwendig, den richtigen Urheber bzw. dessen Erben ausfindig zu machen. Sieht doch die Neuregelung, in dem Bewusstsein, dass der Urheber als regelmäßig unterlegene Vertragspartei möglichst umfassend an der Verwertung beteiligt werden soll, im Ausgleich für die Möglichkeit der Nutzungseinräumung nach § 31a UrhG über § 32c Abs 1 S 1 UrhG einen vertraglichen Korrekturanspruch vor. Damit soll es dem Urheber nunmehr ermöglicht werden, im Falle der Vornahme der entsprechenden Nutzungshandlung in der neuen Nutzungsart an den Früchten der Verwertung seines Werkes auch praktisch beteiligt zu werden.445 Doch dafür müssten zunächst der Urheber bzw dessen Erben durch den Filmhersteller aufgrund der Regelung des § 32c Abs 1 S 2 UrhG erst einmal ausfindig gemacht werden. Darüber hinaus bestehen für die Produzenten und Verwerter zahlreiche Unsicherheiten, da diese nicht abschließend einschätzen können, welche Folgekosten auf sie zukommen können. Schließlich wurde das Thema der konkreten Ausgestaltung der Vergütung bisher nur unzureichend behandelt. Zuletzt hilft die Neuregelung auch nicht in der eigentlichen Kernfrage des § 31 Abs 4 UrhG aF weiter, denn was eine unbekannte Nutzungsart ist, bleibt gesetzlich nach wie vor ungeklärt. Damit bleiben die vom BGH entwickelten Grundsätze, trotz der damit verbundenen Unsicherheiten auch in Zukunft anzuwenden.446 Nach wie vor muss der Urheber beweisen, dass die neu aufgenommene Nutzung eine 241 unbekannte Nutzung ist.447 Dies musste er zwar vorher auch, nunmehr ist ihm aber sein Durchsetzungsrecht genommen. Denn, wo vorher die Möglichkeit bestand die Verwertung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu stoppen, besteht nun für den Nutzungsberechtigte die Möglichkeit den Film trotz der laufenden Auseinandersetzung im Rahmen der neuen Nutzungsart weiter verwerten zu dürfen.448 Insofern hat die Neuregelung zumindest den positiven Effekt, dass die vom Produzenten bereits aufgewendeten Kosten schon während der Auseinandersetzung refinanziert werden können und, sollte sich im Prozess herausstellen, dass es sich um eine neue Nutzungsart handelt, er die entsprechenden Gelder zur Nachfinanzierung einnehmen kann. Andernfalls wäre er womög444 445
446
Wandtke/Holzapfel GRUR 2004, 284, 292. Vgl zu dieser und zu den in der Darstellung noch folgenden Überlegungen der Bundesregierung unter Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft durch die Bundesregierung vom 22.3.2006, 50, abrufbar unter www.urheberrecht.org/topic/ Korb-2/bmj/1174.pdf. Danach gilt eine Nutzungsart nur dann als
447 448
bekannt, wenn sie nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich in bedeutsamer Weise bereits genutzt und verwertet wird. Entscheidend ist dabei die subjektive Sicht eines durchschnittlichen Urhebers bei Vertragsschluss, vgl dazu zuletzt BGH GRUR 2005, 937 ff – Der Zauberberg. Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 77a. Für eine Rechtmäßigkeit der Werknutzung va Berger GRUR 2005, 907, 910.
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lich mit der Situation konfrontiert, den Urheber ausbezahlen zu müssen, ohne eigene Einnahmen generieren zu können. Dies kann angesichts der hohen wirtschaftlichen Risiken schnell den Ruin bedeuten.
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d) Das Problem der Bestimmung der Angemessenheit in § 32c UrhG bei unbekannten Nutzungsarten. Der Urheber hat nach § 32c Abs 1 S 1 UrhG einen Anspruch auf eine gesonderte angemessene Vergütung, wenn der Vertragspartner eine neue Art der Werknutzung nach § 31a UrhG aufnimmt, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart, aber noch unbekannt war. Was unter einer angemessenen Vergütung zu verstehen ist, soll der Rechtsprechung überlassen bleiben, die diesen Rechtsbegriff zu konkretisieren hat. 243 Zwar ist der Begriff der angemessenen Vergütung dem UrhG nicht unbekannt. Auch in § 32 UrhG spricht das UrhG bereits von einer angemessenen Vergütung des Urhebers. Dennoch ist ein Offenlassen der Begriffsdefinition der Angemessenheit, insbesondere ohne prozentuale Vorgaben, iRd § 32c UrhG angesichts der besonderen Situation der Nutzungsrechtseinräumung an unbekannten Nutzungsarten nicht unproblematisch. Besteht doch im Zusammenhang mit § 32c UrhG, anders als bei § 32 UrhG, gerade das Problem, dass es sich hier um eine bisher unbekannte Nutzungsart handelt, zu der weder eine tarifvertragliche Regelung, noch eine gemeinsame Vergütungsregelung existiert. Auch eine Branchenüblichkeit kann es bei einer Nutzungsart, die bisher weder technisch möglich war, noch wirtschaftlich genutzt wurde, nicht geben. Denn eine Auswertung, unter gleichzeitiger Herausbildung einer ständigen Übung einer Vergütung, ist bei unbekannten Nutzungsarten nicht möglich.449 244 Insofern zeigt sich die Regelung des § 32c UrhG für beide Seiten schon aus diesem Grund als unausgegoren, da sie mehr Fragen als Antworten aufwirft. Zumal gerade die mangelnde Klärung der Angemessenheitsfrage in vielerlei Hinsicht zu Rechtsunsicherheit führt. Denn sowohl Urheber als auch Produzent können sich nicht sicher sein, dass die nach § 32c Abs 1 UrhG an den Urheber gezahlte Vergütung, die aufgrund von § 32c Abs 1 S 2 UrhG auf erzwungener Freiwilligkeit beruht, tatsächlich angemessen ist, was insbesondere für den Produzenten zu Planungsunsicherheit führt, da dieser im Zeitpunkt der Vornahme der Nutzungshandlung gerade angesichts des vorstehend festgestellten nicht sicher wissen kann, ob er nicht noch zusätzliche Gelder bereit halten muss, für den Fall, dass der scheinbar nach § 32c Abs 1 S 1 UrhG ausbezahlte Urheber eine gerichtliche Überprüfung der bisher gezahlten Vergütung anstrebt.
245
e) Ein Vorschlag zur Bestimmung der Angemessenheit in § 32c UrhG. Man muss den Urhebern über § 32c UrhG gegenüber den herkömmlichen Grundsätzen zu §§ 32, 32a UrhG eine völlig neue Form der Beteiligung zugestehen. Angemessenheit in § 32c UrhG bedeutet eine Mindestbeteiligung des Urhebers. Dh von jedem Bruttobetrag, den der Nutzungsberechtigte einnimmt, ist ein gewisser Betrag an den bzw die von ihm zu benachrichtigenden Urheber auszuschütten. Für beide Seiten interessengerecht ist eine degressiv gestaffelte Beteiligung, wie sie auch in der Folgerechts-Richtlinie für die Vergütungsregelung des § 26 UrhG gefordert wird.450 So sind: – bis zu € 500 000,– 3,00 % der Bruttoerlöse, – bis zu € 1 000 000,– 2,75 % der Bruttoerlöse, – bis zu € 2 000 000,– 2,50 % der Bruttoerlöse, – bis zu € 4 000 000,– 2,25 % der Bruttoerlöse, – ab € 4 000 001,– 2,00 % der Bruttoerlöse 449
Dies kritisierend auch Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 25a.
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450
Art 4 Abs 1 Folgerecht-RL (RL 2001/84/ EG).
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an die Urheber auszuschütten.451 Dies ist interessengerecht. Denn auf diese Weise wird eine angemessene Langzeitbeteiligung erreicht, die gerade auch mit Blick auf § 32 UrhG zeitgemäß ist, ist doch aufgrund der Regelung des § 32 UrhG mehr und mehr eine anteilige Vergütungsform in der Vertragspraxis vorzuziehen.452 Zudem wird man mit einer anteiligen Beteiligungsform, die sich an den Bruttobeiträgen orientiert, zusätzlich dem Rechtsgedanken des § 32a UrhG gerecht, der natürlich in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen muss, denn es darf nicht sein, dass der Urheber bei der Übertragung unbekannter Nutzungsarten schlechter gestellt wird als bei der Übertragung bei Vertragsschluss bereits bekannter. So ist mit einer, wie hier vorgeschlagenen, anteiligen Beteiligungsform auch im Falle eines Long- oder Bestsellers der Urheber umfassend über die Vergütungsregelung des § 32c UrhG an der wirtschaftlichen Verwertung beteiligt. Damit findet zwar der § 32a UrhG direkt keine Anwendung mehr, sein Rechtsgedanke ist aber bereits ausreichend über § 32c UrhG erfasst. Einer zusätzlichen Berücksichtigung des § 32a UrhG bedarf es dann nicht mehr, da 246 dessen Grundsatz bereits über den oben vorgeschlagenen Weg vollumfänglich erfasst wird.
V. Die originalgetreue Verwendung von fremdem Filmmaterial im nachgeschaffenen Werk Das mediale Zeitalter ist durch einen absoluten Öffentlichkeitsbezug gekennzeichnet. 247 Vor allem Filmwerke dienen hierbei als Massenkommunikationsmittel. Indem das Internet nämlich Kommunikationsplattformen wie Youtube und damit interaktive Gestaltungsmöglichkeiten bereitstellt, auf die von jedem überall und zu jeder Zeit mittels PC und Internetzugangs zurückgegriffen werden kann, sind die filmischen Produkte mehr noch als früher einem globalen Zugriff ausgesetzt, der sich nicht nur in der Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten äußert, sondern auch konkrete künstlerische Reaktionen auf das Vorgefundene und damit Kommunikation mit dem Werk und mit anderen Usern hervorbringt. Doch nicht nur innerhalb der neuen Medien, auch die herkömmlichen Filmgestaltungen haben immer wieder vorbestehendes mit neuem gemischt und damit miteinander kommuniziert. Man denke nur an den Film Forrest Gump oder an Dokumentationen, in denen Archivmaterial verwendet wird, um ihnen eine besondere Authentizität zu geben. Wie aber ist mit diesem Potential umzugehen? Wie lässt es sich erreichen, dass filmi- 248 sche Ausgangswerke in nachgeschaffene Werke erlaubnisfrei eingefasst werden und damit als Grundlage neuen Werkschaffens herangezogen werden können, ohne dass dafür im Gegenzug eine Vergütung gezahlt werden muss? Letztlich handelt es sich bei diesem Konflikt um einen ureigenen verfassungsrecht- 249 lichen – nämlich dem Herbeiführen einer praktischen Konkordanz zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit nach Art 5 GG und dem Eigentumsschutz aus Art 14 Abs 1 GG. Denn dem Recht des Urhebers oder Nutzungsberechtigen an einer möglichst monopolartigen Nutzungsbeschränkung steht das verfassungsrechtlich verbriefte Interesse der Filmschaffenden an freiheitlicher Nutzung gegenüber. Da es dem nachschaffenden Filmemacher nicht nur um die erlaubnisfreie, sondern vor allem auch um die vergütungsfreie Verwendung der vorbestehenden Filmwerk geht, 451
Generell für eine angemessene Vergütung im vorhinein auch Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 77a.
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Vgl dazu auch oben Rn 208.
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sind für ihn vor allem das Recht der Zitierfreiheit (§ 51 UrhG) und das Recht der freien Benutzung (§ 24 UrhG) in diesem Zusammenhang interessant. Mit diesen stellt das Urheberrecht dem nachschaffenden Filmemacher zwei Instrumente an die Seite, mit denen sich eine künstlerisch motivierte und damit freie Nachschöpfung rechtfertigen lässt und die nichts anderes als der Ausfluss verfassungsrechtlicher Überlegungen sind. 1. Das Filmzitat Der Begriff des Filmzitats wird iRd urheberrechtlichen Beurteilung oftmals als wenig aussagekräftig empfunden. Dies liegt darin begründet, dass damit sowohl das zitierende wie auch das zitierte Werk gemeint sein können. Man hat sich allerdings darauf verständigt, darunter das zitierende Werk zu verstehen. Wenn man daher von einem Filmzitat spricht, bedeutet dass damit immer die Übernahme von praktisch jeder anderen Werkart im Filmwerk.453 Handelt es sich beim zitierten Werk um ein Filmwerk, dann spricht man auch vom sog echten Filmzitat oder Filmzitat im engeren Sinne.454 Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und anderen Film251 werken, sowie zwischen Zitaten in sog vorbestehenden Werke oder in Werken, die in Folge des Films entstehen, die aber nicht selbst das Filmwerk sind, ist mittlerweile aufgrund des zweiten Korb obsolet geworden. Unter Berücksichtigung der Grundsätze aus der BGH Entscheidung „Filmzitat“ 455 ist 252 nunmehr davon auszugehen, dass das Zitatrecht in § 51 UrhG aufgrund des Allgemeininteresses an der Förderung des kulturellen Lebens und damit aus verfassungsrechtlicher Sicht auch auf das Filmwerk, und hier va im Dokumentarfilmbereich, anzuwenden ist. Denn der Grundgedanke des § 51 UrhG, interkommunikatives Schaffen zu fördern, gilt auch hier. Auch bei Filmemachern muss ein kultureller Diskussionsaustausch möglich und vom Gesetzgeber gefördert werden. Diese teologische Extension führt nicht zu einer Verletzung der Eigentumsrechte des Urhebers aus Art 14 Abs 1 GG. So ist das Filmzitat im konkreten Einzelfall und unter den Voraussetzungen des § 51 UrhG 456 nur dann zugelassen, wenn die wirtschaftliche Existenz des Urhebers weder bedroht, noch mit einer Substitutionskonkurrenz durch das nachgeschaffene Werk zu rechnen ist. Schließlich gilt iRd Zitierfreiheit, dass eine Zitierung immer dann unzulässig ist, wenn eine normale Verwertbarkeit des Werkes nicht mehr garantiert wäre.457 Besonderheiten bestehen aber bei Laufbildern. So können Laufbilder immer Zitierma253 terial sein, niemals aber kann in Laufbildern zitiert werden. Da sie keine urheberrechtlich geschützten Werke sind, kommt ihnen auch keine Selbstständigkeit iSd § 51 UrhG zu.458
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2. Die freie Benutzung beim Film
254
Eine weitere Form der erlaubnisfreien Bearbeitung ist die filmische Bearbeitung der Ausgangswerke im Wege der freien Benutzung nach § 24 Abs 1 UrhG.459 Ein Erwerb von Nutzungsrechten bedarf es in diesem Fall nicht. Denn in dem ein selbstständiges Werk geschaffen wird, liegt schon gar kein Eingriff in den Schutzbereich des Werkoriginals vor. So entsteht mit dem nachgeschaffenen Filmwerk ein eigenes, mit dem Aus453 454 455 456 457
Seydel 80. W Schulz ZUM 1998, 221, 225; Haesner GRUR 1986, 854, 855. BGH GRUR 1987, 362 ff – Filmzitat. Vgl dazu oben Teil 2 Kap 1 Rn 159 f. Vgl dazu auch bei BGHZ 50, 147, 153 – Kandinsky I.
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458 459
Vgl zu den Voraussetzungen des Zitates Teil 2 Kap 1 Rn 159 f. Vgl zur freien Benutzung im Einzelnen auch Teil 2 Kap 1 Rn 86 f.
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Praktische Fragen des Filmrechts
gangswerk nicht gleichzusetzendes Produkt künstlerischen Filmschaffens, was ua auch dazu führt, dass der Urheber des Ausgangswerkes nicht aufgrund seiner Urheberpersönlichkeitsrechte gegen die Nachschöpfung vorgehen kann. Die Bestimmung der Voraussetzungen der freien Benutzung wird seit langem von 255 Rechtsprechung und Literatur diskutiert.460 Als bisheriges, allgemein anerkanntes Ergebnis lässt sich zusammenfassend sagen, dass ein Filmwerk dann als selbstständig iSd § 24 UrhG anerkannt wird, wenn es „gegenüber dem vorbenutzten Werk völlig neue Wege geht“.461 Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend davon ab, ob ein objektiver Vergleich zwischen Original und Zweitwerk unter Zugrundelegung der Gemeinsamkeiten beider Werke 462 im Einzelfall 463 ergibt, dass die geistig-ästhetische Gesamtwirkung des nachgeschaffenen Filmwerkes erkennen lässt, das „angesichts der Individualität des neuen Werkes die Züge des benutzten Werkes verblassen“ 464. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn sich die schöpferischen Elemente des benutzten Werkes im neuen Werk zeigen,465 wobei zu beachten ist, dass mit stärkerer Eigenart des benutzten Vorbildes die Anforderungen an die im neuen Werk verkörperte geistige Leistung proportional steigen.466 Ausnahmsweise kann aber auch unter Übernahme der vorgegebenen Formgestaltung 256 in das nachgeschaffene Filmwerk eigenständiges Werkschaffen vorliegen. Dies ist unter der Maßgabe des § 24 UrhG ausnahmsweise dann erlaubt, wenn das nachgeschaffene Werk im Einzelfall einen genügenden inneren Abstand zum Ausgangswerk vorweist.467 Entscheidend dabei ist, dass die Filmemacher mit ihrem Werk zu erkennen geben, dass sie das Ausgangswerk lediglich als Projektionsebene für ihr eigenes selbstständiges Schaffen gewählt und es dementsprechend antithematisch bearbeitet haben.468 Im Grunde soll auch in dieser Herangehensweise des Künstlers ein Verblassen der Individualität des älteren Werkes anzunehmen sein, da man davon ausgeht, dass durch den inneren Abstand des nachgeschaffenen Werkes der eigenschöpferische Gehalt des Ausgangswerkes überlagert wird.469 So wird in diesem Zusammenhang vom sog sinngemäßen Verblassen 470 bzw vom Verblassen im weiteren Sinne gesprochen.471 Ob es im konkreten Fall tatsäch460 461
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Vgl dazu Chakraborty 55 ff. Vgl statt vieler BGH GRUR 1963, 40, 42 – Straßen – gestern und morgen; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 24 UrhG Rn 12; Fromm/Nordemann/Vinck § 24 UrhG Rn 2. KG GRUR 1926, 441, 443 – „Alt Heidelberg“ – „Jung-Heidelberg“; RGZ 121, 65, 70 – Rundfunkszenen als Schriftwerk; BGH GRUR 1981, 267, 269 – Dirlada; BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bisschen Frieden. Statt vieler BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bisschen Frieden; BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; BGH GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter; Hess 39, Schricker/ Loewenheim § 24 UrhG Rn 10, 15. Ulmer 276. Ua BGH GRUR 1991, 531 – Brown Girl I; BGH GRUR 1991, 533, 535 – Brown Girl II; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 16; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 24 UrhG Rn 18.
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BGH GRUR 1965, 45, 47 – Stadtplan; vgl ua auch bei BGH GRUR 1958, 500, 502 – Mecki-Igel I; BGH GRUR 1978, 305, 306 – Schneewalzer; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 24 UrhG Rn 10. So zuletzt va BGH GRUR 2000, 703, 704 – Mattscheibe; BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies Adler. BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; BGH GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter; BGH GRUR 2000, 703, 704 – Mattscheibe; BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies Adler; vgl in der Literatur zu diesem Kriterium auch bei Chakraborty 73 f; Delp 319 ff; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 16, 25; Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Dreyer § 24 UrhG Rn 19. Fromm/Nordemann/Vinck § 24 UrhG Rn 2; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 11. Chakraborty 74. Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 11.
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lich im Wege der antithematischen Bearbeitung zu einem Verblassen kommt, soll dabei aus der Sicht eines Betrachters zu beurteilen sein, der einerseits das Ausgangswerk kennt, andererseits aber über diejenigen intellektuellen Fähigkeiten verfügt, die es ihm ermöglichen, beide Werke miteinander zu vergleichen.472 Damit scheidet der nur durchschnittliche Konsument als Gradmesser aus. Vielmehr bedarf es eines Sachverständigengutachtens, das unter Zugrundelegung der Sichtweise eines Betrachters mit durchschnittlichem Fachwissen zu erstellen ist.473 Zusammenfassend wird man sagen müssen, dass die Zuerkennung der Selbstständigkeit nach § 24 UrhG davon abhängt, ob sich eine neue Individualität im nachgeschaffenen Film zeigt. Dies bedeutet nicht, dass vom nachschaffenden Filmemacher nicht auch grds die geistige Idee des Ausgangswerkes übernommen werden kann. Es darf eben nur nicht die im Ausgangswerk vorhandene Fremdindividualität mit übernommen werden. Mithin muss ein Werk unter Zugrundelegung einer völlig neuen im Werk verkörperten Individualität geschaffen worden sein. Dem ist grds zuzustimmen. Denn die Voraussetzungen, die an die Zuerkennung des Status „in freier Benutzung geschaffen“ an den Film gestellt werden müssen, müssen zu Recht hoch sein. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Konzeption des § 24 Abs 1 UrhG, wie sie hier verstanden wird. Diese hat zur Konsequenz, dass der Urheber schon gar nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art 14 Abs 1 GG verletzt ist, da mangels Übernahme der fremden geistigen Schöpfung und damit der fremden Individualität auch keine Leistungsübernahme in dem von Art 14 Abs 1 GG verlangten Sinne vorliegt. Demnach müssen die Voraussetzungen des § 24 Abs 1 UrhG über dem liegen, was generell für eine Schrankenregelung iSd Art 14 Abs 1 S 2 GG verlangt wird. Unproblematisch ist sicherlich der Fall zu beurteilen, in dem ohne Übernahme der ursprünglichen Werkgestaltung ein nachgeschaffenes Werk vorliegt. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass gerade bei Filmwerken, die Fremdindividualität auch dann nicht vollständig überwunden werden konnte, wenn das nachgeschaffene Filmwerk im Ergebnis die individuelle Handlungsstränge, die schöpferischen Personencharakterisierungen oder die Gedankenwelt das Ausgangswerkes übernommen hat.474 Dies muss jedoch nicht immer so sein. So kann, wie oben gesehen, auch in der Übernahme der äußeren Gestaltungsform eine freie Benutzung vorliegen. Dieser im Grunde richtigen Überlegung ermangelt es jedoch an der entsprechenden dogmatischen Einschätzung und einem Fehlverständnis zur Auslegung des Rechtsbegriffs persönlich geistige Schöpfung und im Besonderen des Tatbestandsmerkmals der Individualität. Dabei ist dies doch auch der Schlüssel für die Bestimmung der Selbstständigkeit des nachgeschaffenen Werkes iSd § 24 UrhG, das auf den ersten Blick keine antithematische Behandlung des Ausgangswerkes darstellt. Individualität wird im Werk heute von der Mehrzahl der Stimmen in Literatur und Rechtsprechung ausschließlich anhand der äußeren materiellen Gestaltung des Werkstücks festgestellt.475 Die Vorstellung aber, dass sich die Individualität im Werk allein in der erkennbaren Formgestaltung zeigt, ist überholt.476 Denn bevor die Filmschaffenden 472
473
BGH GRUR 1971, 588, 589 – Disney-Parodie; BGH GRUR 1994, 191, 194 – Asterix Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 209 – Alcolix; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 24 UrhG Rn 16. Chakraborty 79; Reinhart UFITA 103 (1986), 65, 78.
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475 476
OLG München NJW-RR 2000, 268 – Doppeltes Lottchen; Hertin Rn 66; vgl dazu iÜ auch oben Rn 7. Vgl dazu oben Teil 2 Kap 1 Rn 86 f. Dazu grundlegend Czernik Die Collage 230 ff; Fuchs 135 ff.
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mit der konkreten Gestaltung beginnen, durchläuft ihr Werkschaffen einen Reflexionsprozess. Darin entwickeln die Filmemacher die künstlerische Leitlinie, mithin die künstlerische Aussage, die sie verfolgen wollen. Diese gilt es als Fundamentalkonzeption zu begreifen. Davon abhängig sind ua ihre späteren Gestaltungsentscheidungen, mithin ihre Werkkonzeption. Die Werkkonzeption, dh die konkrete Gestaltungsform, die das Werk gefunden hat, ist damit das Ergebnis der Fundamentalkonzeption und wird von dieser bestimmt.477 Individualität äußert sich also nicht erst in der Werkkonzeption, sondern vielmehr schon in der Fundamentalkonzeption als deren Ausgangspunkt. Erst beide Konzeptionen zusammengenommen ergeben die persönlich geistige Schöpfung. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung des urheberrechtlichen Werkes nach § 2 Abs 2 UrhG, seinen Entstehungsprozess, mithin also die sog Fundamentalkonzeption, mit in die Überlegungen zu seiner Schutzfähigkeit einzubeziehen.478 Gleichsam ist es für die Beurteilung nach § 24 UrhG bedeutsam, auch die Fundamen- 262 talkonzeptionen der zu beurteilenden Werke miteinander zu vergleichen. So führt bereits die Veränderung der Fundamentalkonzeption zu einer Veränderung der im Werk verkörperten Individualität. Liegt dem nachgeschaffenen Werk mithin eine grundlegend andere Fundamentalkonzeption zu Grunde, liegt keine Übernahme der fremden Individualität vor, auch wenn es zu einer Übernahme der äußeren Gestaltungsform kommt, da diese auf eine bloß inhaltsleere Hülle reduziert ist. Das Ergebnis kann damit, auch unter Beibehaltung der vorgefundenen äußeren Gestaltung, sein, dass eine eigenständige schöpferische Gestaltung entwickelt wurde, die zur Inspiration auf den künstlerischen Pool des Bestehenden zurückgreift.
VI. Die Sonderstellung des Integritätsinteresses im Filmurheberrecht Grds kann ein Urheber nach § 14 UrhG jede Entstellung oder anderweitige Beein- 263 trächtigung seines Werkes verbieten, soweit diese geeignet sind, seine berechtigten und persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.479 Dieser weitreichende Schutz wird iRd Filmrechts über die Ausnahmeregelung des § 93 Abs 1 UrhG zugunsten des Filmherstellers wieder entschärft. Danach können unter Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen am Filmwerk Beteiligten nur solche Entstellungen oder Beeinträchtigungen verboten werden, die gröblich sind. § 93 Abs 1 UrhG wirkt hierbei als zweistufiges Korrektiv.480 Er lässt zunächst Ent- 264 stellungen bis zur Grenze der Gröblichkeit uneingeschränkt zu. Darüber hinaus ist aber, selbst bei Vorliegen einer gröblichen Entstellung, noch nicht mit einer Bejahung des Verbietungsrechts des Urhebers im Prozess zu rechnen. Denn bevor dies der Fall ist, müssen sich seine Interessen zusätzlich noch in einer umfassenden Interessenabwägung aller am Film Beteiligten stellen.481 Schließlich haben nach § 93 Abs 1 UrhG die einzelnen Urheber bei der Ausübung ihres Integritätsrechtes aufeinander und auf den Filmhersteller angemessen Rücksicht zu nehmen.482 477 478 479 480
Czernik Die Collage 236 ff; Fuchs 139. Fuchs 136. Vgl dazu oben Teil 2 Kap 1 (Jani) Rn 104 f. Wie hier auch gesehen von OLG München GRUR 1986, 460, 461, 464 – Die unendliche Geschichte; Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 1; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 93 UrhG Rn 4; von Hartlieb/Schwarz/ Reber 176; anders aber ua Schricker/Dietz
481 482
§ 93 UrhG Rn 10; Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 17, die das Rücksichtnamegebot bereits als Ausfluss der Interessenabwägung in den §§ 14, 75 UrhG sehen. Vgl dazu schon die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 320. Vgl dazu die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 320.
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Begründet wird diese weitreichende Beschränkung des Integritätsschutzes des einzelnen Urhebers vornehmlich mit der besonderen Situation beim Film. Danach sehen sich die Geldgeber eines Filmwerkes einem besonderen finanziellen Risiko ausgesetzt, mit der Folge, dass dem Filmhersteller ein „gewisser Spielraum zugestanden werden (müsse), der es ihm erlaube, eine möglichst weite Verbreitung zu sichern, ohne die eine Einspielung der zu seiner Herstellung aufgewandten Kosten oft nicht möglich sein“ wird.483 1. Anwendungsbereich des § 93 UrhG
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Der persönliche Anwendungsbereich des § 93 UrhG ist klar umrissen. § 93 Abs 1 S 1 legt fest, dass die sich aus § 93 UrhG ergebende Einschränkung sowohl für Urheber des Filmwerkes als auch für Urheber der zur Herstellung des Filmwerkes benutzten Werke gleichermaßen gilt. Im Übrigen findet § 93 Abs 1 S 1 UrhG ausweislich seines Wortlauts auch auf Inhaber verwandter Schutzrechte und durch Verweisung auf § 75 UrhG für ausübende Künstler Anwendung. Zu beachten ist ferner, dass nach der Rechtsprechung jeder nur gegen die Beeinträchtigungen seines eigenen Beitrags vorgehen kann. Denn „wenn der eigene Werkbeitrag im Rahmen der Verwendung bloßer Filmteile gar nicht benutzt“ werde, könne „von einer gröblichen Entstellung nicht die Rede sein“.484 Darüber hinaus gilt § 93 UrhG auch zugunsten des Laufbildherstellers.485 Dabei handelt es sich in diesem Fall jedoch nicht um ein Persönlichkeitsrecht im klassischen Sinne, sondern ist diesem nachgebildet. Damit kann es auch juristischen Personen zustehen und kann zudem an Dritte frei übertragen werden (§ 94 Abs 2 UrhG), womit § 94 Abs 1 S 2 UrhG iVm §§ 14, 93 UrhG damit nicht einem ideellen sondern rein wirtschaftlichen Überlegungen geschuldet ist. In diesem Zusammenhang gilt es, zusätzlich auch noch auf eine Besonderheit hinzuweisen. So fällt der Filmhersteller wegen § 94 Abs 1 S 2 UrhG nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 93 UrhG. Damit bleibt es ihm weiter möglich, grds gegen jede Entstellung oder Beeinträchtigung des Filmwerkes etwa iRd Zweitverwertung vorzugehen. Nicht einheitlich wird der gegenständliche Anwendungsbereich bei Fernsehfilmen beurteilt. So hat das OLG Saarbrücken im Fall eines für das Fernsehen arbeitenden Dokumentarfilmers ausschließlich eine Verletzung § 14 UrhG geprüft.486 Ähnlich geschehen ist dies in der Entscheidung Christoph Columbus des OLG München.487 Die Literatur geht dennoch überwiegend davon aus, dass § 93 Abs 1 UrhG umfassend Anwendung findet auf: Kinofilme, Fernsehwerke, Fernsehfilme, Multimediaprodukte.488 Dies ist konsequent. Denn im Zuge einer einheitlichen Anwendung des Filmbegriffs auf alle filmischen Produkte sollte § 93 UrhG auch auf Fernsehfilme angewandt werden.489 Probleme bereitet die Frage der Zweitverwertung. Während teilweise eine teleologische Reduktion des § 93 Abs 1 UrhG auf die filmische Erstverwertung gefordert
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Vgl dazu die AmtlBegr zum UrhG von 1965, vgl dazu UFITA 45 (1965/II), 320, darauf rekurrierte in der Folge va von Hartlieb/ Schwarz/Reber 176. OLG Hamburg GRUR 1997, 822, 825 f – Edgar-Wallace-Filme. Zu den Bedenken dieser Anwendungserstreckung vgl Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 7.
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OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364 ff – Dokumentarfilm. OLG München GRUR Int 1993, 322 ff – Christoph Columbus. Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 6; Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 11; in Bezug auf Multimediaprodukte aA Heeschen 187. Vgl dazu oben unter Rn 11.
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Praktische Fragen des Filmrechts
wird,490 wird von der üA unter dem Argument der Sicherung einer umfassenden filmischen Verwertung eine solche Überlegung abgelehnt.491 Dabei lässt sich jedoch besser folgender Kompromiss andenken: Danach kann man iFd Zweitverwertung ein gewisses Mehr an Rücksicht auf die Interessen des Urhebers im Wege der Interessenabwägung nehmen.492 Denn schließlich konnte zumindest ein Teil der Investitionen des Filmherstellers bereits im Wege der Erstverwertung oder uU über die FFA493 generiert werden. Gestaltet sich die Sachlage somit in einer Weise, dass die Investitionskosten bereits teilweise wieder refinanziert wurden, besteht kein Grund, warum man dies nicht im Wege der stets erforderlichen Interessenabwägung entsprechend berücksichtigen sollte. Es sollte also graduell in dem Maße, in dem das finanzielle Interesse des Filmherstellers befriedigt wurde, die Interessenlage des Urhebers iRd Abwägungsentscheidung mehr und mehr Gewicht bekommen. Einig ist man sich in der Frage der sog außerfilmischen Verwertungsmaßnahmen, die 271 heutzutage, wie die Beispiele Harry Potter oder Herr der Ringe zeigen, vor allem im Merchandisinggeschäft liegen. Hier kann sich der Filmproduzent zu Recht nicht auf die Privilegierung des § 93 Abs 1 UrhG berufen.494 Denn im Merchandising liegt keine Verwertung des Filmwerkes iSd § 93 Abs 1 UrhG, sondern nur seine mittelbare Auswertung, wie etwa der im Film vorkommenden Filmfiguren. § 93 Abs 1 UrhG ist aber ausweislich seines Wortlautes ausschließlich auf die unmittelbare Verwertung des Films beschränkt. 2. Der Gröblichkeitsbegriff Als gröblich gilt eine Entstellung dann, wenn der ursprüngliche Sinngehalt völlig ver- 272 kehrt bzw der wesentliche Teil des Films oder des Werkes entgegen den Intentionen des Urheberberechtigten völlig verunstaltet wurde.495 Darüber hinaus geht Schulze auch dann von einer gröblichen Entstellung aus, wenn der Film ohne die betreffende Änderung ausgewertet werden kann.496 Letztlich entscheidend für die Feststellung der Gröblichkeit bleibt aber nach der 273 Rechtsprechung, die sich hierbei auf den Wortlaut des § 93 UrhG beruft, eine umfassende Gesamtbetrachtung des Films. Danach kann zwar zunächst eine isoliert betrachtete Szene entstellend wirken, die Gesamtwirkung des Films kann diesen Eindruck aber wieder relativieren.497 Als Gradmesser ist dabei (auch bei Filmwerken) der Eindruck des Werkes, den es nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstdingen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt.498 Damit wird deutlich, dass 490
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Vgl dazu va Wallner 112 ff; Wandtke FS Schricker 609, 613 f; sowie umfassend und Berufung auf den historischen Kontext und den Anwendungsbereich des § 93 UrhG Zlanabitnig AfP 2005, 35, 36 f. Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 93 UrhG Rn 3; Möhring/Nicolini/Lütje § 93 UrhG Rn 14; Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 11; Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 6. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 11. Vgl dazu unten Rn 300. Vgl dazu auch bei Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Meckel § 93 UrhG Rn 3; Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 6.
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Grundlegend OLG München GRUR 1986, 460, 461 – Die unendliche Geschichte, unter Berufung auf von Hartlieb 2. Aufl 1984, 132, zuletzt ähnlich formuliert auch bei KG GRUR 2004, 497 (1. Ls) – Schlacht um Berlin. Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 9. OLG München GRUR 1986, 460, 462 – Die unendliche Geschichte. OLG München GRUR 1986, 460, 462 – Die unendliche Geschichte, unter Berufung auf BGH GRUR 1974, 675, 677 – Schulerweiterung und BGH GRUR 1983, 107, 110 – Kirchen-Innenraumgestaltung.
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eine klare Aussage, wann bereits eine gröbliche Entstellung vorliegt, nicht getroffen werden kann. Jede Entscheidung in dieser Frage bleibt letztlich eine Bewertung des Einzelfalls.499 Zu beachten ist weiter, dass bei der Feststellung der Gröblichkeit auf die verschiede274 nen Produktionsstufen eines Filmes Rücksicht genommen werden muss. So entspricht es der allgemeinen Auffassung, dass es der Herstellung des Filmes immanent ist, dass fremde Werke als Grundlage herangezogen werden. Diese werden dabei aber aufgrund ihrer Transformation in ein neues Medium zwangsläufig verändert.500 Das bedeutet, dass solche Änderungen, die der sachgerechten filmischen Verwertung dienen, nicht als intensive Entstellung angesehen werden. Damit wird von den Urhebern regelmäßig verlangt, diese hinzunehmen.501 3. Das Gebot der Rücksichtnahme
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Vom Gebot der Rücksichtnahme begünstigt ist nicht nur der Hersteller eines Filmwerks. § 93 Abs 1 S 2 UrhG erweitert den Anwendungsbereich des § 93 UrhG vielmehr auf alle am Filmwerk Beteiligten. Von Teilen der Literatur wird das Gebot der Rücksichtnahme als bloß deklaratorische 276 Formulierung in § 93 UrhG begriffen. Danach ergebe sich das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Beteiligten bereits aus der Interessenabwägung in den §§ 14, 75 UrhG.502 Dies widerspricht der Praxis. So trennt die Rechtsprechung bewusst beide Kontrollmechanismen, mit der Folge, dass, obwohl eine Entstellung in der Entscheidung Die unendliche Geschichte des OLG München als gröblich angesehen wurde, diese über das Gebot der Rücksichtnahme doch noch erlaubt wurde.503 Dieser Entscheidungspraxis wurde nun vorgeworfen, dass eine derartige doppelte 277 Interessenabwägung einzig und allein dazu diene, den Anwendungsbereich des Urhebers noch weiter zu verengen und damit von vornherein den wirtschaftlichen Interessen des Produzenten eine vorzugswürdige Stellung eingeräumt werde.504 Gerade angesichts dieser rigide Entscheidungspraxis sollte man aber in der vorgericht278 lichen Auseinandersetzung nach alternativen Möglichkeiten zur Interessenabsicherung des Urhebers fahnden, bevor man eine Integritätsverletzung über die §§ 14, 93 UrhG gerichtlich zu verbieten sucht. Als eine Möglichkeit bietet sich mit § 13 UrhG ein milderes Mittels gegenüber dem Verbietungsrecht des §§ 14, 93 UrhG an. Denn wenn schon der Anwendungsbereich des § 14 UrhG einschlägig ist, dann wird man auch das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 13 UrhG nicht ablehnen können.505 Danach sollte der Urheber in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung vom verletzenden Filmhersteller bei einer Beeinträchtigung seines Integritätsinteresses zunächst die Zurückziehung seines Namens verlangen.506 Zumindest aber sollte er dieses Verlangen als Hilfsantrag in der gerichtlichen Auseinandersetzung stellen. Denn durch die Verneinung des Integritäts499 500 501 502
Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 12 mwN. Vgl dazu auch bei Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 8. Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 12. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 10; Wandtke/ Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 17; aA Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 93 UrhG Rn 4.
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Vgl dazu OLG München GRUR 1986, 460 ff – Die unendliche Geschichte. Wandtke FS Schricker 609, 611. OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364, 366 – Dokumentarfilm. Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 16; von Hartlieb/Schwarz/Reber 176.
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schutzes zugunsten des Filmproduzenten wird man dessen wirtschaftlichen Interessen bereits umfassend gerecht.507 4. In Literatur und Rechtsprechung diskutierte Einzelfragen Die mangelnde Absolutheit in der Feststellung, wann man schon von einer gröblichen Entstellung ausgehen kann und ob nicht vielleicht über das Rücksichtnamegebot eine solche ausnahmsweise als unbeachtlich zu betrachten ist, muss zu Rechtsunsicherheit führen. Die wenigen Entscheidungen in der Rechtsprechung zeigen zudem, dass eine gerichtliche Entscheidung aufgrund dieser Unsicherheit und aufgrund von vertraglichen Abreden nur selten gesucht wird. Dennoch haben sich im Laufe der Zeit, einzelne Problemschwerpunkte herausgebildet, die bis heute konträr diskutiert werden. Eines der entscheidungsträchtigsten Probleme ist bis heute das der Laufzeitveränderung geblieben. Die Möglichkeiten des Produzenten wurden dabei zuletzt durch die Rechtsprechung aufgeweicht. So wurde zwar noch in den 90er Jahren die Kürzung eines Films um 1/3 508 sowie die Kürzung eines eine Stunde dauernden Fernsehfilms um zehn Minuten 509 als gröblich Entstellung gewertet. Doch bereits gut zehn Jahre später entschied das KG Berlin, dass der vom Kläger als Regisseur gedrehte Dokumentarfilm Schlacht um Berlin um die Hälfte seiner Laufzeit gekürzt werden durfte, da keine völlige Verkehrung des ursprünglichen Sinngehaltes und auch keine völlige Verunstaltung von urheberrechtlich wesentlichen Teilen des Films entgegen den Intentionen des Urhebers bewirkt worden sei.510 Diese Einschätzung überzeugt freilich nicht. Denn allein, dass der Urheber gegen diese Art der Kürzung mit dem Argument vorgegangen ist, seine beabsichtigte Darstellung werde verkehrt, zeugt eher vom Gegenteil. Abgesehen davon sollte in der Tat entscheidend sein, welche Szene herausgeschnitten wurde und welche Bedeutung diese für den Film haben,511 und ob der geschnittene Film unter seiner Verständlichkeit und seiner Aussage leidet, was wohl letztlich nur bei Kernszenen der Fall sein wird. Dies gilt auch bei Veränderungen der Laufgeschwindigkeit im Film. Bei der als cutting bekannten Methode kommt es entscheidend auf den Grad der Geschwindigkeitsveränderung an.512 Dabei gilt jedoch zu bedenken, dass angesichts der geringen Veränderung durch das Hinzufügen von Szenen dieses dem Zuschauer oftmals gar nicht auffallen wird und allein schon deswegen keine schwerwiegende Integritätsbeeinträchtigung vorliegen wird.513 Sog Schnittauflagen, wie sie von der FSK vorgegeben werden, müssen akzeptiert werden.514 Hatte doch schließlich bereits der Gesetzgeber dieses Fallbeispiel in seiner amtlichen Begründung genannt und hierin eine der Hauptüberlegungen für die Existenzberechtigung des § 93 Abs 1 UrhG gesehen.515 Eine Ausnahme muss man aber sicherlich dort machen, wo die Filmaussage völlig entwertet wird. 507
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Vgl dazu auch OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364, 366 – Dokumentarfilm; Wandtke/Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 13. OLG Frankfurt GRUR 1989, 203, 205 – Wüstenflug. LG Berlin ZUM 1997, 758, 761 – Barfuß ins Bett. Vgl dazu KG Berlin GRUR 2004, 497 ff – Schlacht um Berlin. Wie hier Wallner 191, der allerdings diese
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Abwägungsgedanken iRd § 14 UrhG erörtert. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 24. So auch Wallner 189, der schon das Vorliegen einer Entstellung nach § 14 UrhG ablehnt. So auch Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 9; vgl dazu von Hartlieb/Schwarz/Reber 176. Vgl dazu die AmtlBegr zum UrhG von 1965, UFITA 45 (1965/II), 320.
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Generell sollte beachtet werden, dass grds der am wenigsten einschneidende Weg zu wählen ist, um das Werk schnitttechnisch anzupassen.516 Im Allgemeinen sollten zu all diesen Fragen frühzeitig vertragliche Abreden geschlossen werden, die hinreichend konkrete Regelungen dazu formulieren. Bei der nachträglichen Kolorierung eines Films (bspw bei Der längste Tag) ist bislang 284 nicht einheitlich geklärt, ob darin eine gröbliche Entstellung vorliegt oder nicht.517 So können Schwarz-Reber aufgrund der fortgeschrittenen Kolorierungstechnik und der Beibehaltung des Sinngehaltes hierin gerade keine gröbliche Beeinträchtigung des Werkes erkennen.518 Dem kann nicht gefolgt werden. Denn in dem Bewusstsein, dass ein SchwarzWeiß-Film niemals dasselbe Realitätsgefühl vermitteln kann, wie ein Farbfilm, unterliegt ein Schwarz-Weiß-Film ganz anderen cineastischen Regeln. So gilt es zu berücksichtigen, dass Schwarz-Weiß-Filme aufgrund der Besonderheit ihrer Abbildung, nämlich dem Fehlen der Farben, anders konzipiert werden als Farbfilme. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Scheinfarbigkeit, die durch eine vorher abgestimmte Grautonabstufung erreicht wird. Zudem sind Perspektive und Tiefe beim Schwarz-Weiß Film eine andere, gleiches gilt für die Beziehungen der Form.519 Jede Veränderung aber in diesen Kompositionen bzw jede schwerwiegende Nichtbeachtung führt letztlich zu einer gröblichen Entstellung, die eine Verletzung der Rechte des Urhebers aus §§ 14, 93 UrhG nach sich zieht und die durch nichts gerechtfertigt ist. Im Übrigen lässt sich hier im Rahmen des Rücksichtnamegebotes insbesondere auch nicht mit dem wirtschaftlichen Interesse des Filmherstellers argumentieren. Zwar ist es richtig, dass die Mehrzahl der Konsumenten kolorierte Altfilme den Schwarz-Weiß-Kopien vorzieht, dennoch darf dabei nicht übersehen werden, dass sich die Kosten für die Herstellung des Schwarz-Weiß-Films in der Regel längst amortisiert haben werden. Ein Überwiegen der wirtschaftlichen Interessen des Filmherstellers gegenüber denjenigen des Urhebers ist also abzulehnen.520 Für Teile der Literatur ist eine grobe Entstellung zudem bei Veränderung des Bildfor285 mates gegeben.521 Dies überzeugt, da das Wegschneiden eines auf 16 : 9 ausgerichteten Filmes auf ein 4 : 3 Format regelmäßig zu einer Beschränkung der Gesamtszene führt und damit die atmosphärische Dichte zerstört, zumal, wenn diese durch die Beifügung eines schwarzen Balkens oben und unten als mildere Maßnahme vermieden werden kann.522 Auch Werbeunterbrechungen können nach der Literatur gröblich entstellend sein. Sie 286 sind dies zumindest dann, wenn sie sich nicht an die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages 523 und der Richtlinie 89/552/EWG halten.524 Allerdings ist die hA an dieser Stelle 516 517
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Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 9. Wegen § 129 Abs 1 S 1 UrhG gilt die Regelung des § 93 UrhG auch für solche Schwarz-Weiß-Filme, die vor 1965 gedreht wurden, vgl zur Frage der Urheberschaft alter Schwarz-Weiß-Filme und daraus resultierender Fragestellungen umfassend bei Heidmeier 139 ff, sowie bei Reupert 139 ff. Von Hartlieb/Schwarz/Reber 177. Vgl dazu ausf bei Huber 80 ff unter Bezugnahme auf Karkosch 19 und Balázs 137 ff. Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 9; ähnlich vertreten auch schon von Platho GRUR 1987, 424, 426; Huber 86; vgl dazu auch die Entscheidung des Court d’appel de Paris GRUR Int 1989, 937 ff – John Huston,
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auf die sich Schulze beruft, und in der das Gericht grds bei einer Kolorierung eine Entstellung angenommen hat. AA von Hartlieb/Schwarz/Reber 177. Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 9. Danach dass die Werbeausstrahlung während eines Filmes die Ausnahme ist. Doch auch dann darf Werbung einen Film ausschließlich unter der Voraussetzung unterbrechen, dass sein gesamter Zusammenhang und sein Wert nicht beeinträchtigt werden, vgl umfassend zu der Frage des RfStV und den Werbeunterbrechungen bei Heidmeier 167 ff. Von Hartlieb/Schwarz/Reber 177; Zlanabitnig AfP 2005, 35, 38; aA aber Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 93 UrhG Rn 2.
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großzügiger und nimmt eine gröbliche Entstellung schon dann an, wenn der Erzählrhythmus beeinträchtigt wird. Denn der Zuschauer soll über die Dauer des gesamten Films die gleiche Spannung empfinden, die vom Urheber beabsichtigt wurde.525 So soll es ausreichen, wenn dies bereits bei einer einzigen Unterbrechung nicht mehr gewährleistet werden kann.526 Vor allem bei künstlerisch ambitionierten Filmen soll daher eine Werbeunterbrechung ausgeschlossen sein,527 wobei sich dann aber die Frage stellen wird, wann man von einem künstlerisch ambitionierten Film sprechen kann. Ein mehr an Rechtssicherheit ist damit sicherlich nicht erreicht, da nunmehr qualitative und ästhetische Merkmale in die Bewertung des Werkes hineinspielen, die aber bei der künstlerischen Bewertung des Filmes besser außen vor bleiben sollten. Doch selbst wenn man eine gröbliche Entstellung annimmt, wird man über das Rücksichtnahmegebot oft dazu kommen, ein Überwiegen der Interessen des Filmherstellers anzunehmen. Denn ein Urheber muss heute wissen, dass, wenn sein Film im privaten Fernsehen gezeigt wird, diese durch Werbung unterbrochen werden wird. Letztlich wird es daher wohl auf eine good will Entscheidung des Sendeunternehmens hinauslaufen, wie dies regelmäßig bei der Ausstrahlung des Films Schindlers Liste geschieht, in dem aufgrund der besonderen Thematik des Films auf jede Einblendung von Werbung verzichtet wird. Wenn man sich darauf nicht verlassen will, ist es besser, im Vorfeld diese Fragen vertraglich zu regeln. Wobei konkret festgelegt werden sollte, an welchen Stellen Werbeblöcke eingestrahlt werden. Beachtet werden sollte jedoch, dass nicht gegen die Regeln des RfStV verstoßen wird. Dies zieht zwar keine Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 BGB nach sich, man wird sich allerdings uU mit der Rundfunkaufsicht auseinander setzen müssen, was eine Verwertung des Films im Fernsehen wertlos machen würde.528 Teilweise wird auch die Einblendung des Logos eines Fernsehsenders im Film als gröbliche Entstellung angesehen.529 Diese Überlegung ist in der praktischen Durchsetzung nicht haltbar. Schließlich führt das Logo schon aufgrund seiner nur geringen Größe, seiner Einblendung ausschließlich in einer der oberen Bildecke und seiner regelmäßig transparenten Darstellung nicht zu einer intensiven Beeinträchtigung des Filmwerkes.530 Von der Rechtsprechung als gröbliche Entstellung wurde darüber hinaus der teilweise Austausch der Musik zu einer Fernsehserie durch die Musik eines anderen angesehen.531 Dies überzeugt, da der Urheber der Filmmusik diese für das ganze Filmwerk konzipiert und eine Gesamtkomposition entwirft, die hier zerstört würde.
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5. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen bei einer Verletzung des Integritätsschutzes iFd §§ 14, 93 UrhG 291 bestimmen sich nach §§ 97 ff UrhG. Dabei wird jedoch übereinstimmend vertreten, dass eine Entschädigung in Geld ganz generell nur dann in Betracht kommen soll, wenn sich eine mildere Maßnahme nicht finden lässt.532 Maßgeblich ist dabei einmal mehr der Umstand des Einzelfalls. 525 526 527 528 529 530
Zlanabitnig AfP 2005, 35, 38. Huber 93; Zlanabitnig AfP 2005, 35, 38. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 21. Vgl zu dieser Frage Heidmeier 176 ff. Huber 97. Vgl weitere Argumente auch bei Heidmeier 186 f; aA Huber 96 f, der von einer nicht gerechtfertigten gröblichen Entstellung aus-
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geht, differenziert die Betrachtung auch bei Reupert 158 f, die von Fall zu Fall entscheiden will. OLG München GRUR Int 1993, 332, 333 – Christoph Columbus. OLG München GRUR Int 1993, 332, 334 – Christoph Columbus.
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Zusätzlich gilt es zu beachten, dass das KG Berlin in seiner Entscheidung von 1971 unter Zustimmung der herrschenden Meinung in der Literatur 533 festgelegt hat, dass das Vorliegen einer gröblichen Entstellung iSd § 93 Abs 1 UrhG nicht notwendig einen immateriellen Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs 2 UrhG nach sich zieht, wenn bereits im Vorfeld eine deutliche Distanzierung des Filmherstellers vom betroffenen Urheber erfolgt ist.534 Es gilt also, auf die konkrete Situation des Einzelfalls abzustellen. Dazu zählt, dass dem 293 Filmhersteller grds niemals ein Anspruch aus § 97 Abs 2 UrhG zusteht.535 Seine rein vermögensrechtlichen Interessen werden bereits ausreichend über § 97 Abs 1 UrhG gewahrt, denn solange der Filmhersteller keinen eigenen Werkbeitrag erbringt, solange fehlt es auch an einer den zusätzlichen Anspruch aus § 97 Abs 2 UrhG rechtfertigenden Leistung. 6. § 93 UrhG im Gesamtkomplex des Integritätsschutzes
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§ 14 und § 93 UrhG ergänzen einander. Ihre Verbindungsstelle ist die Abwägungsentscheidung, die auch in den regulären Anwendungsfällen des § 14 UrhG vollzogen werden muss. Hier wirkt § 93 UrhG als Korrektiv, da es die allgemeine Abwägungsentscheidung in § 14 UrhG durch zwei nachfolgende Aspekte ergänzt. Insofern wirkt § 93 UrhG iRd Auslegung um § 39 UrhG. So kann über § 39 S 2 UrhG nicht rückwirkend das Gröblichkeits- und Rücksichtnamekriterium wieder aufgehoben werden.536 Das bedeutet aber nicht, dass § 39 UrhG damit bedeutungslos geworden ist. Vielmehr 295 greift er dort ein, wo die dispositive Vorschrift des § 93 UrhG wirksam nach § 39 Abs 1 UrhG abbedungen wurde.537 Nach der Auffassung des OLG München kann dies dabei in zwei Richtungen wirken. 296 Einmal muss ein Filmurheber eine derartige Entstellung, auch wenn sie seiner inneren Intention zuwiderläuft, gegen sich gelten lassen, wenn er nicht rechtzeitig widersprochen hat, zum anderen aber, kann der Urheber auch jegliche Änderung ausschließen.538 7. Der Film und die §§ 12 und 13 UrhG
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§ 93 UrhG schränkt lediglich den Integritätsschutz des Urhebers ein. Unberührt bleiben sein Recht zur Veröffentlichung (§ 12 UrhG) und sein Recht auf Anerkennung und Namensnennung (§ 13 UrhG).539 Zu Recht wird zwar das Verbot der Namensnennung in § 13 UrhG auch als Alternative zur Geltendmachung des Entstellungsverbotes gesehen,540 dies darf jedoch nicht dazu verführen anzunehmen, dass die Beschränkungen aus § 93 UrhG auch iFd § 13 UrhG gelten. Denn § 13 UrhG ist eben nicht bloß Alternative sondern vielmehr eigene Anspruchsgrundlage, und damit losgelöst von der Regelung des § 93 UrhG zu betrachten.541 533 534 535 536 537 538
Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 25; Wandtke/ Bullinger/Manegold § 93 UrhG Rn 18. KG UFITA 59 (1971), 279, 284 – Kriminalspiel. Fromm/Nordemann/Hertin § 94 UrhG Rn 14. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 15. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 18; vgl umfassend dazu bei Wallner 215 ff. OLG München GRUR 1986, 460, 463 – Die unendliche Geschichte.
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So entscheidet bspw über die Veröffentlichungsreife des Filmes der Regisseur und nicht etwa der Filmhersteller, etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 93 UrhG, KG NJW-RR 1986, 608 f – Paris Texas; LG München I ZUM 2000, 414. OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364, 366 – Dokumentarfilm; Wandtke/Bullinger/ Manegold § 93 UrhG Rn 13. Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 13.
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Allerdings werden auch diese Urheberpersönlichkeitsrechte nicht unbeschränkt ge- 298 währt. So hat unlängst das OLG Köln 542 entschieden, dass das Gebot der Rücksichtnahme bei Filmwerken im Fall der Verweigerung der Veröffentlichung, vor allem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, im Übrigen aber auch aus § 8 Abs 2 S 2 UrhG, komme. Diese Grundsätze gelten in besonderem Maße beim Film, der ja gerade erst durch die urheberrechtlich relevanten Beiträge zahlreicher Personen entstehe. Andernfalls wären die regelmäßig mit einem hohen Investitionsaufwand betriebenen Filmprojekte immer einem unsicheren und damit wirtschaftlich kaum mehr kalkulierbaren Risiko ausgesetzt.543 8. Bewertung der Regelung des § 93 UrhG Nicht zu Unrecht ist festgestellt und kritisiert worden, dass der Entstellungsschutz im Geltungsbereich des § 93 UrhG nur in den seltensten Fällen aus inhaltlichen Gründen zum Erfolg führen wird.544 Diese Schlechterstellung der Urheber muss kritisiert werden. Denn eine gesetzliche Regelung, die einseitig zu Lasten des Urhebers geht und die Interessenlage damit von vornherein gegen ihn einnimmt, ist übertrieben und de lege ferenda nicht notwendig. So sprechen neben der praktischen Konsequenz gegen die verschärfte Regelung des § 93 UrhG vor allem folgende Argumente: Der Filmbereich ist sonach nicht der einzige Bereich, in dem hohe Investitionen getätigt werden, bevor ein Produkt verwertet werden kann. So tragen auch die Musikbranche, die Verlagsbranche, aber auch Sendeunternehmen hohe Kosten und müssen mit einer Vielzahl von verschiedenen Urhebern zusammenarbeiten.545 Zudem wird das Argument des besonderen Investitionsrisikos im Filmbereich gegenüber anderen Kulturbranchen gerade auch dann fragwürdig, wenn man sich die Finanzierungsmodelle der öffentlichen Hand vor Augen hält. Denn anders als in den meisten Branchen möglich, kann sich die Filmindustrie heute durch die verschiedenen Filmförderfonds bis zu sechzehn Prozent der Ausgaben für einen Film durch öffentliche Mittel refinanzieren lassen.546 Angesichts dessen stellt selbst die Filmwirtschaft fest: „dass wir fest mit sechzehn Prozent des Budgets planen können, ohne ewig im Konjunktiv reden zu müssen“. Dies sei „für eine mittelständische Filmproduktion gar nicht hoch genug zu bewerten“. Eine Schlechterstellung der Filmindustrie gegenüber den anderen Branchen, ist damit nicht zu erkennen. Eine Besserbehandlung der Filmhersteller vor dem Gesetz lässt sich also ausschließlich mit dem Argument des hohen Investitionsrisikos nicht rechtfertigen. Auch die internationalen Vorgaben zwingen nicht unbedingt zu einer verschärften Regelung, wie sie von § 93 Abs 1 UrhG vorgesehen ist. So ist auch mit Blick auf die internationalen Regelungen der RBÜ eine Beschränkung der Integritätsrechte des Urhebers fragwürdig. Diese kennt nämlich gerade keine Differenzierung des Integritätsinteresses des Urhebers in Art 6bis Abs 1 RBÜ nach Werkarten. Und auch Art 14bis RBÜ enthält keine Sonderregelung zuungunsten des Urhebers bei der Ausübung seiner Ur-
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OLG Köln GRUR-RR 2005, 337 ff – Veröffentlichungsbefugnis einer Kamerafrau. Vgl dazu OLG Köln GRUR-RR 2005, 337, 338 – Veröffentlichungsbefugnis einer Kamerafrau. So deutlich va Grün ZUM 2004, 733, 737;
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Schricker/Dietz § 93 UrhG Rn 10; Wandtke FS Schricker 609, 611. Wandtke FS Schricker 609, 610. Sagt etwa der Münchner Produzent Jakob Claussen, www.sueddeutsche.de/,ra4m3/ kultur/artikel/955/124772/.
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heberpersönlichkeitsrechte im Filmbereich, zumindest nicht in dem Maße, wie dies durch § 93 Abs 1 UrhG geschieht.547 Und schließlich darf die historische Auslegung des § 93 UrhG nicht übergangen wer303 den. Die Fallbeispiele des Gesetzgebers in der amtlichen Begründung zum UrhG von 1965 machen deutlich, dass nur solche Änderungen vom Urheber hingenommen werden sollen, die nur unerheblich in seine Rechte eingreifen. Insbesondere sind die vom Gesetzgeber erwähnten Entstellungen ausschließlich solche, die auf unternehmensexterne Zwänge zurückzuführen sind und die vom Filmhersteller nicht durch eigenes wirtschaftliches Handeln beeinflusst werden können.548 Letztlich entscheidend sind aber verfassungsrechtliche Überlegungen, die die Rechtferti304 gung des § 93 UrhG endgültig aushebeln. So wird durch die Regelung des § 93 UrhG zunächst das Integritätsinteresse des Urhebers in einer Weise reduziert, die nicht etwa auf eigenverantwortlichem Handeln beruht, als vielmehr auf gesetzlich vorgegebener Fremdbestimmtheit. Dies an sich stellt schon einen verfassungsrechtlich bedenklichen Einschnitt in die Rechte des Urhebers dar. Schließlich wird ihm seine de jure autonomy iSd Art 2 Abs 1 GG aus der Hand genommen. Der Urheber kann somit nicht selbst entscheiden, ob er auf sein Integritätsinteresse im Einzelfall verzichten möchte, sondern muss dieses durch den Gesetzgeber hinnehmen. Dies mag man zwar noch hinnehmen, schließlich kann die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt werden. Erschwerend tritt jedoch dazu, dass die verfassungsrechtliche Entsprechung des § 14 Abs 1 UrhG, die im Filmbereich vor allem in Art 5 Abs 3 GG zu finden ist, durch den Gesetzgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Denn Art 5 Abs 3 GG kann nur durch ein verfassungsrechtlich entsprechendes Gegengewicht auf Seiten des Filmherstellers aufgewogen werden. Ein solches den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art 5 Abs 3 GG entsprechendes und damit ein das Urheberinteresse überragendes Interesse lässt sich hier aber nicht erkennen. Zwar muss man den Leistungsschutzrechten Eigentumscharakter und damit eine verfassungsrechtliche Einbindung über Art 14 Abs 1 GG anerkennen, dies bedeutet jedoch zunächst nur, dass damit eine verfassungsrechtliche Abwägungsentscheidung eröffnet ist. Schließlich gilt nach der Auffassung des BVerfG, dass immer dann, wenn die Kunstfreiheit betroffen ist, eine einzelfallgerechte Problemlösung nur auf Verfassungsebene erzielt werden kann. Damit kann der Konflikt zwischen Filmhersteller und Urheber nur in einem Ausgleich der widerstreitenden, verfassungsrechtlich geschützten Belange durch Grundrechtsoptimierung, dh im Wege der praktischen Konkordanz, gelöst werden. D.b, es darf keines der Grundrechte überwiegen. Beide, sowohl Filmhersteller als auch Urheber, müssen Einschränkungen hinnehmen. Eine solche vom Grundgesetz geforderte Abwägungsentscheidung wird aber bereits in ausreichender Weise durch die Abwägungsentscheidung in § 14 UrhG gewährleistet. Jede zusätzliche Beschränkung ausschließlich zu Lasten des Urhebers, wie sie von § 93 UrhG vorgesehen ist, ist damit nicht mehr von den grundgesetzlichen Überlegungen erfasst. Damit ist § 93 UrhG unter verfassungsrechtlichen Aspekten mit der Schrankensystematik des Art 5 Abs 3 GG, wie sie vom BVerfG vorgegeben wird, nicht vereinbar und sollte deswegen einschränkend ausgelegt werden. 9. Das kommerzialisierte Urheberpersönlichkeitsrecht
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Eine Ablehnung der verschärften Regelung des § 93 UrhG bedeutet freilich nicht, dass der Urheber eines Filmwerkes oder der Urheber vorbestehender Werke nicht vertraglich in eine Beschränkung seines Integritätsinteresses über die Vorgaben von § 39 547
Dreier/Schulze/Schulze § 93 UrhG Rn 2.
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Vgl dazu Zlanabiting AfP 2005, 35, 36.
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Abs 2 UrhG hinaus einwilligen kann. Im Gegenteil. Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung müssen die Urheberpersönlichkeitsrechte heutzutage als zusätzliche Vermögensrechte des Urhebers betrachtet werden. Über diese muss der Urheber dann aber auch in gleichem Maße verfügen können, wie ihm dies im Rahmen seiner Verwertungsrechte bereits möglich ist. Diese Wertung der Urheberpersönlichkeitsrechte ergibt sich schließlich nicht zuletzt als Folge seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs 1 GG.549 So wäre jede andere Entscheidung zu Lasten der freien Selbstbestimmtheit des Urheber darüber ob er seine Persönlichkeitsrechte kommerzialisieren darf oder nicht, nichts anderes als eine unnötige und eine dem Grundgesetz fremde, weil paternalistische Usurpation seiner Entscheidungstätigkeit.550 Dies wurde auch vom Gesetzgeber erkannt, der nunmehr in der Neufassung des § 29 Abs 2 UrhG zum Ausdruck bringt, dass Rechtsgeschäfte über Urheberpersönlichkeitsrechte möglich sind.551 Dh also, dass es gerade auch unter einem liberalen Grundrechtsverständnis die restriktive Regelung des § 93 UrhG schon allein deswegen nicht bedarf, da vertragliche Beschränkungen bis zur Grenze der Zweckübertragungsregel und des § 138 BGB möglich sein müssen.552 Dieser Weg erscheint damit nicht nur gangbar, sondern als verfassungsrechtliche opportune vor allem aber interessengerechte Möglichkeit, den Besonderheiten im Filmgeschäft zu begegnen.
VII. Persönlichkeitsrechte und Spielfilme Als Öffentlichkeitsprodukt kann ein Film immer auch in die Persönlichkeitssphäre 306 Dritter eingreifen. Dies ist deshalb problematisch, da es grds dem einzelnen obliegt „selbst darüber (zu) befinden …, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob oder inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen können sollen, indem sie diese zum Gegenstand öffentlicher Erörterung machen“ 553. Ist er in seiner Person verletzt können er und seine Erben/Angehörige 554 dagegen vorgehen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Recht am eigenen Bild. Hierbei handelt 307 es sich um eine spezielle Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes,555 in dem den §§ 22 ff KUG zunächst grds Vorrang vor der Generalklausel des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aus § 823 BGB iVm Art 1 Abs 1, 2 Abs 1 GG zukommt.556 Diese Vorrangwirkung des KUG gilt allerdings iRd Filmbereiches nur eingeschränkt. 308 Grundvoraussetzung für den Anwendungsbereich der §§ 22 ff KUG ist, dass der Film eine Abbildung von real existierenden Personen vornimmt, die aufgrund der Art und Weise der Darstellung von einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis erkannt werden können,557 wobei es dafür ausreicht, dass der Betroffene begründeten Anlass hat
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553
Vgl dazu Schricker Informationsgesellschaft 93. Vgl dazu auch bei Czernik Die Collage 132 ff, 412 ff. Metzger 98 f. Wie hier von Hartlieb/Schwarz/Reber 178. In Bezug auf die Reichweite von Rechtsgeschäften über Urheberpersönlichkeitsrechte wie hier Metzger 215 ff, Schricker Informationsgesellschaft 94. BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach I; BVerfGE
554 555 556 557
63, 131, 142; zuletzt BVerfG vom 13.6.2007, Az: 1 BvR 1783/05. Vgl BGH GRUR 2000, 715, 716 – Marlene Dietrich. BGH NJW-RR 1987, 231 – Nena. BGHZ 30, 7, 11 – Catarina Valente. BGH GRUR 1979, 732, 733 – Fußballtor; OLG Hamburg NJW-RR 1993, 923, 924 – Augenbalken; BGH ZUM 2005, 735, 736 – Esra.
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anzunehmen, er werde von diesem Personenkreis erkannt.558 Auf ein Erkanntwerden vom Durchschnittszuschauer wird nicht abgestellt.559 Dieses Kriterium der Erkennbarkeit wird grds weit aufgefasst, so dass nicht aus309 schließlich nur die Gesichtszüge zur Erkennbarkeit des Abgebildeten führen können, sondern der Regelungsbereich der §§ 22 ff KUG immer auch dann vorliegen soll, wenn bestimmte Charakteristika gezeigt werden, die der Person eigen sind 560 oder sich aus anderweitigen begleitenden Umständen eine Erkennbarkeit ergibt.561 Die Darstellung der Lebensgeschichte ist von den Regelungen der §§ 22 ff KUG nicht 310 umfasst 562, da diese ausschließlich das äußere Erscheinungsbild schützt, nicht aber die Persönlichkeit als solche 563. Daher verbiete sich eine Ausdehnung der insoweit eindeutigen Sondervorschriften des KUG auf Fiktivfilme schon aus rechtssystematischen Gründen.564 Das heißt nun aber nicht, dass die Darstellung einer tatsächlich existierenden Persön311 lichkeit durch einen Schauspieler, wie etwa bei einem Dokumentarspiel,565 dass explizit auf eine bestimmte Person rekurriert und dieses durch eine möglichst detailgetreue Darstellung der Person in ihren äußeren Zügen zeigt, nicht auch vom Regelungsbereich des KUG erfasst sein kann.566 Es gilt vielmehr bei Filmwerken danach zu unterscheiden, ob eine Darstellungen tatsächlicher Ereignisse unter Übernahme der äußeren Gestalt des Dargestellten vorliegt, oder ob es sich um eine solche Darstellung handelt, die vor allem beim Fiktivfilm eine Rolle spielen wird, und bei der eine Identifizierung nicht aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Dargestellten erfolgt, sondern aufgrund außerhalb der Abbildung liegender Umstände.567 Erfolgt dabei eine Darstellung ausschließlich aufgrund des Kontextes und nicht aufgrund der Wiedergabe einer wirklichen „live-Abbildung“ ist der Regelungsbereich der §§ 22 ff KUG nicht eröffnet. Lediglich das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist anwendbar,568 wobei mE im Rahmen der Interessenabwägung in gewissem Maße die jeweils entwickelten Grundsätze sowohl zum KUG als auch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht jeweils im anderen Anwendungsbereich Anwendung finden sollten,569 solange man die jeweiligen Besonderheiten respektiert.570
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BGH GRUR 1979, 732, 733 – Fußballtor; BGH NJW 1971, 698, 700 – Pariser Liebestropfen. BVerfG NJW 2004, 3619, 3620 – Rechtsanwalt. BGH GRUR 2000, 715, 716 – Der Blaue Engel; BGH ZUM 2005, 735, 736 – Esra. BGH GRUR 2000, 715, 716 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 1979, 732, 733 – Fußballtor; OLG Düsseldorf GRUR 1970, 618, (1. Ls) – Schleppjagd; vgl dazu auch bei Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 3 die weitere Rechtsprechungsnachweise benennen. Offen gelassen bei OLG Frankfurt ZUM 2006, 407, 411 – Rothenburg, das jedoch letztlich den zu beurteilenden Fall ausschließlich nach § 823 I BGB iVm Art 1 Abs 1, 2 Abs 1 GG entschied; diskussionslos OLG Hamburg 7 U 142/06, dass seine
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Bewertung ebenfalls ausschließlich auf den Regelungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht stützt; in einem anderen Fall auch so entschieden vom OLG Karlsruhe GRUR 2004, 1058; aA Loewenheim/Schertz § 18 UrhG Rn 5. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 6 mwN Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 80 mwN. Vgl allg hierzu von Becker ZUM 2008, 323 ff. Vgl dazu schon BVerfGE 35, 202, 224 – Lebach I; OLG Hamburg NJW 1975, 649, 650 – Opfer eines Mordversuchs. Wandte/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 6. OLG München ZUM 2007, 932, 933. Ähnlich auch von Becker ZUM 2008, 265, 269. Vgl hierzu Rn 312, 322.
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Daneben gilt es zusätzlich zu beachten, dass die Regelungen des KUG auch nicht bei 312 Filmen über Unternehmen Anwendung finden.571 Diese können ausschließlich, sobald sie in ihrem sozialen Geltungsbereich als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen betroffen sind,572 im Wege des Unternehmenspersönlichkeitsrechtes gegen derartige Darstellungen vorgehen. Es hängt nun im Einzelfall davon ab, herauszufinden, welche Fallkonstellation vor- 313 liegt, denn je nachdem bestimmen sich die Anforderungen an die Darstellungen und die Rechtsfolgen nach dem KUG oder nach den Regelungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dies hat ua deswegen Bedeutung, als die Schutzdauer im Regelungsbereich des KUG post mortem eine kürzere ist, als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht.573 1. Öffentlichkeitsbezug Eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte, gleich ob sie sich als Verletzung der Rechte 314 aus dem KUG, des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes oder des Unternehmenspersönlichkeitsrechtes zeigt, setzt zunächst ganz prinzipiell einen Öffentlichkeitsbezug voraus. Dh der persönlichkeitsrechtsverletzende Film muss von einer Öffentlichkeit wahrgenommen werden können. Schließlich muss immer noch ein persönlichkeitsverletzungsfreier Raum verbleiben, in dem der einzelne seine (auch künstlerisch verarbeitete) Auffassung über Dritte sanktionslos zum Ausdruck bringen können muss. Ein solcher Öffentlichkeitsbezug ist regelmäßig nicht schon dann gegeben, wenn das Drehbuch oder die Nullkopie im internen Bereich bleibt, mithin ausschließlich von den am Film Beteiligten wahrgenommen werden kann. Es fehlt nämlich dann bereits an der Begehungsgefahr.574 Denn Öffentlichkeit bedeutet in dem hier diskutierten Zusammenhang, dass der Film von einer Mehrzahl von Personen, die nicht in persönlicher Beziehung miteinander verbunden sind, zumindest theoretisch wahrgenommen werden kann. Die Dauer der Darstellung und damit der verfolgte Öffentlichkeitsbezug spielt hin- 315 gegen keine Rolle, so kann bereits eine Sekunde ausreichen 575, um eine öffentliche Darstellung und damit einhergehend eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu begründen. 2. Filmische Darstellungen unter Berücksichtigung des KUG 576 Eine filmische Darstellung kann ausnahmsweise ohne Einwilligung 577 des zur Schau 316 gestellten unter den Voraussetzungen der §§ 23 f KUG veröffentlicht werden. Die bedeutendste Ausnahmeregelung in diesem Kontext, die auch für den Filmbereich 317 von herausgehobener Bedeutung ist, ist dabei die Regelung des § 23 Abs 1 Nr 1 KUG, die von einer grundsätzlichen Abbildungsfreiheit von sog Personen der Zeitgeschichte ausgeht.
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Vgl dazu zuletzt OLG Hamburg ZUM 2007, 483 ff – Contergan II. BGH WM 1994, 641, 643 – Jahresabschluss; BGH GRUR 2000, 247 – Vergabepraxis; KG NJW 2000, 2210 – Aufnahmen in Bahn mit versteckter Kamera; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 486 – Contergan II. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 91. Vgl dazu auch OLG Hamburg 2007, 479,
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480 – Contergan I; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 484 – Contergan II. OLG München ZUM 1999, 848 f – Marlene Dietrich; zwei Sekunden genügten in der Entscheidung BGH NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto im Fernsehen. Vgl ausf zu den Ausnahmen nach § 23 KUG Teil 6 Kap 3. Vgl dazu Rn 333 ff.
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Unter Zeitgeschichte versteht man zunächst, das politische, soziale und kulturelle Leben eines Volkes.578 Man unterscheidet hierbei zwischen absoluten Personen (dh solchen, die aufgrund ihrer besonderen Stellung in Staat und Gesellschaft, durch besondere Taten und Verhaltensweisen derart in das Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt sind, dass an ihrem Tun ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht) 579 und relativen Personen (dh solchen, die aufgrund eines einmaligen zeitgeschichtlichen Ereignisses vorübergehend aus der Anonymität herausgetreten sind und in das Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt sind) 580 der Zeitgeschichte. Diese Kategorien müssen dabei klar und eindeutig voneinander getrennt sein, damit der Einzelne genau weiß, wie er sich verhalten muss Denn je nachdem zu welcher Kategorie der Abgebildete zählt, richtet sich die Reichweite der Darstellungsfreiheit.581 So kann über relativen Personen der Zeitgeschichte nur im konkreten Zusammenhang mit dem Ereignis berichtet werden, das sie bekannt gemacht hat,582 während das Berichtspektrum bei absoluten Personen der Zeitgeschichte demgemäß weiter gefasst ist. Immer zu berücksichtigen ist, dass es zur Veröffentlichung nicht ausreicht, Person der 319 Zeitgeschichte zu sein, es bedarf nämlich eines Informationsinteresses der Öffentlichkeit, wobei ein bloß einfaches Informationsinteresse dafür nicht genügt. Entscheidend ist vielmehr, dass eine Debatte von allgemeinem Interesse angeschoben wird.583 Zudem steht einer Schaustellung und Verbreitung von Bildnissen von Personen der Zeitgeschichte das berechtigte Interesse der Abgebildeten gegenüber (§ 23 Abs 2 KUG). Hierbei handelt es sich vor allem um Persönlichkeitsinteressen der Abgebildeten, die gerade in der Intimund Privatsphäre liegen und innerhalb dessen keine Bildnisse gemacht werden dürfen.584 Berechtigte Interessen stehen zudem auch dann entgegen, wenn die Verwendung der Abbildung allein den wirtschaftlichen Interessen Dritter (etwa zu Werbezwecken) dienen soll,585 wenn der Abgebildete entstellt wiedergegeben wird 586 und damit eine Darstellung vorliegt, die nicht bloß geringfügig verändert wurde,587 wenn die Darstellung keine Satire mehr ist, dh wenn es in ihr zu direkten Angriffen auf die personale Würde kommt,588 sowie wenn durch die Darstellung eine starke soziale Prangerwirkung besteht.589 Abbildungsfreiheit ist ferner auch dann zu verneinen, wenn es aufgrund der
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Loewenheim/Schertz § 18 Rn 18. Vgl dazu va EGMR GRUR 2004, 1051, 5. Leitsatz – Caroline von Hannover; BGHZ 20, 345, 349 – Paul Dahlke; BGH NJW 1996, 985, 986 – Kumulationsgedanke; Peters 143. BVerfG AfP 2001, 212, 214 – Prinz Ernst August von Hannover; BGH NJW 1965, 2148, 2149 – Spielgefährtin. EGMR GRUR 2004, 1051, 1054 – Caroline von Hannover. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 14 mwN. EGMR GRUR 2004, 1051, 1054 – Caroline von Hannover. BVerfG GRUR 2000, 446, 450 – Caroline
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von Monaco (Privatsphäre); BGH GRUR 1996, 923, 925 – Caroline von Monaco II (Privatsphäre); BGH GRUR 1985, 398, 399 – Nacktfoto (Intimsphäre). BGHZ 20, 345, 350 – Paul Dahlke; BGH GRUR 2000, 715, 717 – Marlene Dietrich; BGH NJW-RR 1987, 231 – Nena; BGH NJW 1997, 1152, 1153 – Bob Dylan. BGH NJW 1996, 593, 595 – Willy Brandt. BVerfG AfP 2005, 171, 173 – Fotomontage; BGH WRP 2004, 240, 242 – Fotomontage. BVerfG NJW 1987, 2661 – konkret. BVerfG NJW 1987, 2661 – konkret; BGH NJW 1966, 2353, 2355 – Vor unserer eigenen Tür.
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Veröffentlichung zu einer Gefährdung des Abgebildeten kommen kann 590 oder wenn bereits die Bildnisherstellung rechtswidrig 591 war.592 3. Filmische Darstellungen unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt für alle filmischen Darstellungen, die tatsächliche Begebenheiten abbilden, und auf diesem Weg auf bestimmte tatsächlich existierende Personen Bezug nehmen,593 was va beim Fiktivfilm aber auch bei der mehr und mehr an Beliebtheit gewinnenden Docu-Fiction der Fall wäre. Eine Persönlichkeitsverletzung kann auch in diesem Zusammenhang bereits dann vorliegen, wenn die dargestellte Person erkennbar ist. Ähnlich wie iRd KUG genügt dazu bereits die Widergabe von Teilinformationen, sofern sich der Dargestellte hierdurch mühelos ermitteln lässt.594 Eine Person gilt daher dann nicht als erkennbar übernommen, wenn sich das Abbild im Film gegenüber dem Urbild in der Realität verobjektiviert hat. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab wie sehr es zu einer Verselbstständigung des Urbildes innerhalb der Darstellung gekommen ist.595 Dabei geht es bei solcher Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit, sondern darum, dass dem Leser deutlich gemacht wird, dass er nicht von der Faktizität des Erzählten ausgehen soll 596. Für eine ausreichende Verselbstständigung reicht es dazu nicht aus, die Figur in eine fiktionale Erzählung einzubetten.597 Entscheidend ist es vielmehr, ob der verständige Zuschauer aufgrund des Films und der dort erfolgten Anknüpfung an einen realen Sachverhalt zwangsläufig einen Bezug zu einer an dem zeitgeschichtlichen Geschehen beteiligten Person herstellt und diese als eine solche im Film erkennt.598 Auf ein Erkanntwerden vom Durchschnittszuschauer wird nicht abgestellt.599 „Der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber künstlerischen Werken würde sonst auf Prominente beschränkt, obwohl gerade die Erkennbarkeit einer Person durch deren näheren Bekanntenkreis für diese besonders nachteilig sein kann.“ 600 „Die Identifizierung muss sich aber für den mit den Umständen vertrauten Leser aufdrängen. Das setzt regelmäßig eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen voraus.“ 601 Die Grenzen des Möglichen und der Grad der notwendigen Verselbstständigung werden darüber hinaus, wie schon im Rahmen des KUG durch die Unterscheidung von absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte bestimmt.602 Während erstere sich freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben und deswegen, unter Achtung ihrer Intimsphäre, sofern diese nicht durch sie selbst zum Gegenstand der Öffentlichkeit geworden 590 591
592 593 594 595
OLG München AfP 1991, 435, 436. Vgl dazu im einzelnen BGH GRUR 1996, 923, 925 – Caroline von Monaco II; BGH NJW 1966, 2353, 2355 – Vor unserer eigenen Tür; OLG Frankfurt NJW 1987, 1087, 1088 – Betrunkener. Vgl dazu ausf bei Peters 153 ff. Vgl dazu unter Rn 310. BGH ZUM 2005, 735, 736 – Esra; LG Koblenz ZUM 2006, 951, 952. BVerfGE 30, 173, 195 – Mephisto; BVerfG ZUM 2008, 323, 324 – Hagener Mädchenmord. BGH ZUM 2005, 735, 738 – Esra.
596
597 598 599 600 601 602
BVerfG vom 13.6.2007, Az: 1 BvR 1783/05 BVerfG ZUM 2008, 323, 324 – Hagener Mädchenmord. BGH ZUM 2005, 735, 738 – Esra; LG Koblenz ZUM 2006, 951, 952. BVerfG ZUM 2007, 730, 733 – Contergan. BVerfG NJW 2004, 3619, 3620 – Rechtsanwalt. BVerfG vom 13.6.2007, Az: 1 BvR 1783/05. BVerfG vom 13.6.2007, Az: 1 BvR 1783/05. Vgl dazu unter Rn 317.
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ist, eine grundsätzliche Darstellung ihres Lebens hinnehmen müssen, sind relative Personen der Zeitgeschichte zunächst grds zu verfremden, so dass sie für das Publikum nicht identifizierbar sind.603 Hierbei gilt es freilich zu berücksichtigen, dass die Darstellungsfreiheit in Fiktivfilmen, vor allem bei absoluten Personen der Zeitgeschichte, naturgemäß großzügiger zu bewerten ist, als sie das nach dem KUG wäre, da schließlich nur eine mittelbare Abbildung erfolgt. 4. Besondere Berücksichtigung der Kommunikationsgrundrechte in Art 5 GG
324
Ist ein Film der Öffentlichkeit zugänglich führt allein der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte jedoch nicht immer zwangsläufig dazu, Schadens- oder Verbotsansprüche des Betroffenen zu begründen. Denn durch das spezifische Medium Film kann eine künstlerische Aussage und damit Kunst vorliegen, die ihrerseits durch Art 5 Abs 3 S 1 GG als Verfassungsgut geschützt ist.604 Dabei gilt es zunächst zu beachten, dass sich nicht nur die Filmurheber selbst auf 325 Art 5 Abs 3 GG berufen können, da auch für den Filmhersteller und ggf. den Filmverleih der personale Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet sein kann. Diese Erstreckung der Kunstfreiheit auf den eigentlich nicht Kunstschaffenden und damit auf die Filmschaffenden im weiteren Sinne lässt sich damit begründet, dass diese den Film der Öffentlichkeit zugänglich machen und damit am Kommunikationsprozess Kunst zwingend teilnehmen und dementsprechend auch geschützt werden müssen. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass sich eine Befugnis zur Ausstrahlung immer 326 auch noch im Hinblick auf die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk ergeben kann (Art 5 Abs 1 S 2), wenn ein ausreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einem sachbezogenen Diskussionsbeitrag besteht.605 Dies gilt dabei insbesondere dann, wenn der einzelne seine zunächst geschützte Privatsphäre verlässt, in die Gesellschaft hinaustritt und dabei in die persönliche Sphäre seiner Mitmenschen oder in die Belange des Gemeinschaftslebens einwirkt. In diesem Moment verliert er regelmäßig in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit gemessen am Informationsinteresse der Öffentlichkeit das ausschließliche Bestimmungsrecht über seinen Privatbereich, soweit nicht sein innerster Lebensbereich betroffen sein sollte.606 Es gilt damit trotz grundsätzlicher Bejahung eines Persönlichkeitseingriffs zusätzlich 327 zu in den og Abwägungskriterien auf einer zweiten Stufe (Zwei-Stufen-Lehre) den konkreten Film dahingehend zu überprüfen, ob der Persönlichkeitsrechtseingriff unter verfassungsrechtlichen Konkordanzerwägungen ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Art 5 GG vom Betroffenen hinzunehmen ist.607 Einer solchen Herangehensweise ist sachgerecht, da nur so die besonderen Umstände des Einzelfalls hinreichend berücksichtigt werden können 608, wobei dieses insbesondere auch beim Fiktivfilm gilt.
603 604
605
Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber S 90 f. BVerfG ZUM 2007, 730, 734 – Contergan; OLG Hamburg ZUM 2007, 479, 481 – Contergan I; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 485 – Contergan II; für einen Horrorfilm OLG Frankfurt ZUM 2006, 409 f – Rothenburg. BVerfG ZUM 2007, 730, 734 – Contergan; OLG Koblenz bei Staehle ZUM 2006, 956, 957.
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BVerfG NJW 1973, 1226 – Lebach I. Ähnlich auch BVerfG ZUM 2008, 323, 324 – Hagener Mädchenmord, das von einer kunstspezifischen Betrachtung in diesem Zshg spricht. Vgl dazu auch BVerfG vom 13.6.2007, Az: 1 BvR 1783/05.
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Praktische Fragen des Filmrechts
Die Grenze zwischen den hier beschriebenen kollidierenden Grundrechten ist fließend. Entscheidend ist es im Einzelfall festzustellen, welche nachteiligen Auswirken die Veröffentlichung für das geltend gemachte Freiheitsrecht einerseits und für das Persönlichkeitsrecht des Dargestellten andererseits entfalten.609 Welchem Grundrecht im Einzelfall mehr Gewicht zuzubilligen ist, hängt hierbei davon ab, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums die konkret beanstandeten Szenen als fiktional oder als historische Wahrheit wahrgenommen werden, ob also der verständige Zuschauer davon ausgehen muss, dass mit dem Film ein Wahrheitsanspruch über die Verbreitung des Dargestellten als Tatsache verbunden ist.610 Dazu gilt es im Einzelfall den Film auf seine Realitätsnähe hin zu untersuchen. So kann eine Fülle von Abweichungen in den Charakteristika und Handlungsweisen der dargestellten Personen dazu führen, dass die beanstandeten Szenen nicht den Eindruck einer umfassenden tatsachengetreuen Schilderung des realen Geschehens vermitteln sollen.611 Gleiches kann durch entsprechende Zusätze in Vor- und Nachspann erreicht werden.612 Maßgeblich können zudem auch die szenische Umsetzung, und andere verfremdende Elemente sein. Unter Umständen bedarf es dazu einer Analyse der einzelnen Passagen.613 Bei deutlich erkennbarer fiktionaler Darstellung unter Einbindung tatsächlicher Geschehnisse ist dabei von einer wesentlich geringeren Beeinträchtigungswirkung auszugehen, als bei solchen Darstellungen, die sich durch eine starke Realitätsnähe auszeichnen. Zusätzlich Abwägungskriterium zu Gunsten oder zu Lasten der Rechtsschutzbegehrenden kann zudem die Zielsetzung eines Films sein. So hat das OLG Frankfurt einem Horrorfilm, in dem die Lebensgeschichte des Kannibalen von Rothenburg verfilmt wurde, ein hinreichendes Informationsinteresse bei schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzung aberkannt, da die Zielsetzung einzig auf Unterhaltung und nicht auf einen hinreichenden Beitrag iRd öffentlichen Diskussion abzielt.614 Dies ist nicht von der Hand zu weisen, schließlich fehlt es hier bereits an einem sachbezogenen Beitrag, der durch die Art und Weise der Darstellung bereits nicht erreicht werden kann,615 so steht hier nicht die Aufarbeitung des Verbrechens, sondern einzig die Zurschaustellung des Dargestellten und seiner Tat im Vordergrund. Nicht Informationsvermittlung sondern ausschließlich Verfolgung wirtschaftlicher Interessen war das Ziel des Films Rothenburg. Zu einem anderen Ergebnis kommt man aus diesem Grund auch nicht unter Heranziehung der Kunstfreiheit. Denn diese ist auch nicht unter dieser Maßgabe unverhältnismäßig eingeschränkt. Schließlich besteht nach wie vor, die grundsätzliche Freiheit einen Film über eine derartige Tat zu drehen. Notwendig dafür wäre schließlich nur, dass keine schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte vorgenommen wird, zumal wenn bloß relative Personen der Zeitgeschichte abgebildet werden. Eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung ließe sich nun aber schon dadurch vermeiden, dass eine entsprechende Verselbstständigung des Abbildes gegenüber dem Urbild vorgenommen wird. Eine gewisse Eigenleisung ist schließlich nicht zu viel verlangt. Als Mindestwert lässt sich abschließend festhalten, dass die Grenze des Zulässigen in jedem Fall dann überschritten ist, wenn das Lebensbild einer bestimmten deutlich zu er609
610 611 612
BVerfG ZUM 2007, 730, 732 – Contergan; OLG Hamburg ZUM 2007, 479, 481 – Contergan. BVerfG ZUM 2007, 730, 733 – Contergan; OLG München ZUM 2007, 932, 934. BVerfG ZUM 2007, 730, 733 – Contergan. BVerfG 2007, 730, 733 – Contergan.
613
614 615
Vgl dazu unter OLG Hamburg ZUM 2007, 479, 482 f – Contergan I; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 487 – Contergan II. OLG Frankfurt ZUM 2006,407, 411 – Rothenburg. Zust auch Staehle ZUM 2006, 956, 957; aA Kaboth ZUM 2006, 412, 414.
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kennenden Person durch frei erfundene Zutaten ausschließlich negativ dargestellt wird, ohne dass dies dabei als notwendiges künstlerisches Gestaltungsmittel erkennbar wäre.616 Zu Lasten des Persönlichkeitsrechtsschutzbegehrenden kann zudem auch eine ent332 sprechende Selbstvermarktung durch ihn gehen.617 Denn wer seine eigene Geschichte öffentlich macht, kann sich nicht auf denselben Schutzumfang berufen, wie derjenige, der sich vor der Öffentlichkeit oder sogar der Kommerzialisierung der eigenen Person verschließt. Grundsätzlich anders ist der Fall zu bewerten, wenn feststeht, dass eine Handlung in 333 das postmortale Persönlichkeitsrecht eingreift. Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Eingreifenden findet dann nicht statt, da die Handlung hier bereits ausnahmsweise die Rechtswidrigkeit indiziert und der Schutz nicht im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden darf.618 5. Einverständniserklärungen
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Bereits im Vorfeld sollten, um derartigen Unstimmigkeiten zu vermeiden, deswegen die persönlichkeitsrechtlichen Fragen frühzeitig, etwa durch Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen durch den Betroffenen 619 geklärt werden. Dazu stehen den Beteiligten hauptsächlich zwei wirksame 620 Vertragskonzeptionen (Gestattungs- und Exklusivvertrag) zur Seite.
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a) Gestattungs- und Exklusivvertrag. Mit dem Gestattungsvertrag vereinbaren die Beteiligten die Einräumung einer Nutzungsgestattung an Informationen, die zur Verfilmung seiner Geschichte notwendig sind, unter gleichzeitiger Duldungsvereinbarung der damit verbundenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen.621 Der Exklusivvertrag geht in seiner Wirkung noch einen Schritt weiter, da darin der 336 Betroffene verpflichtet wird, einzig und allein dem Produzenten die Informationen über seine Geschichte zu liefern. Die hat zur Folge, dass andere Filmproduzenten dadurch zwar nicht an der Verfilmung gehindert sind, sie aber nicht mehr in der Lage sind, die dafür notwendigen Informationen durch den Betroffenen zu erlangen.622 Ein Exklusivrecht an einer „Story“ zu besitzen heißt daher nicht, dass andere nun von der Verfilmung derselben Tatsachen ausgeschlossen wären, auch wenn ihre Verfilmungsfreiheit mangels Einwilligung in das Eindringen der Persönlichkeitssphäre weit weniger weitreichend ist.623 Dieser dem Grundsatz nach wirksamen Vereinbarung 624 steht dass allgemeine Infor337 mationsinteresse nur dann entgegen, wenn eine allgemeine zugängliche Informationsquelle durch den Exklusivvertrag zum Schweigen gebracht werden soll.625 Dies ist regelmäßig nicht schon dann der Fall, wenn dem Exklusivvertrag Informationsmaterial zugrunde liegt, dass dem Betroffenen allein zur Verfügung steht und gegen dessen unberechtigte Veröffentlichung ihm ein Verbietungsrecht zustünde.626 616
617 618 619 620
LG Koblenz ZUM 2006, 951, 956; KG NJW-RR 2004, 1415, 1416 – Irene; zust auch Staehle ZUM 2006, 956, 957. LG Koblenz, ZUM 2006, 951, 955; Kaboth ZUM 2006, 412, 414. BVerfG ZUM 2008, 323, 324 mwN – Hagener Mädchenmord. Brehm 63; Peters 183. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 116, 118; OLG Frankfurt ZUM-RD 1998, 277, 280.
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621 622 623 624 625
626
Vgl dazu Peters 183 mwN. Vgl dazu auch Brehm 63 f. Vgl dazu auch umfassend bei Eickmeier/ Eickmeier ZUM 1998, 1 ff. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 116 (1. Ls). BGH MDR 1968, 118, 119 – Lengede; OLG München AfP 1981, 347 (1. Ls) – Vera Brühne. OLG München AfP 1981, 347 (1. Ls) – Vera Brühne.
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§2
Praktische Fragen des Filmrechts
Hat man sich erst einmal auf einen Exklusivvertrag geeinigt, ist es nicht so ohne wei- 338 teres möglich, sich davon zu lösen. Der Exklusivvertrag wird nämlich grds als ein Dauerschuldverhältnis begriffen, dass idR nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.627 Jede Verletzung des Exklusivvertrages durch den Vertragspartner des Produzenten würde zudem nicht nur Unterlassungs- sondern auch Schadensersatzansprüche, nach sich ziehen.628 Und auch der konkurrierende Filmhersteller, der vom Vertragsbruch profitiert, käme im Verletzensfalle uU nicht ungeschoren davon. Denn hat ein anderer Produzent Kenntnis von der von der Person eingegangenen Exklusivverpflichtung, handelt er in Ausnutzung fremden Vertragsbruchs und damit wettbewerbswidrig, mit der Folge, dass er mit den entsprechenden Sanktionen nach dem UWG rechnen muss. Des Weiteren wird auch eine Verletzung von § 826 BGB gegeben sein,629 wenn er den Vertragspartner seines Konkurrenten zum Vertragsbruch animiert hat. b) Einwilligung. Vor allem im KUG spielt darüber hinaus noch die sog Einwilligung 339 eine bedeutende Rolle. Diese kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent vorliegen. Dabei ist heute mehr und mehr anerkannt, dass es sich bei der Einwilligung um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung 630 handelt, wobei aber auch diejenigen Stimmen, die die Einwilligung als einen Realakt ansehen, die §§ 104 ff BGB analog anwenden, so dass es letztlich keinen Unterschied macht, das eine oder das andere anzunehmen. Die Anwendung der Grundsätze über die Geschäftsfähigkeit hat Folgen, so dass eine 340 Abbildung Minderjähriger grds der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter bedarf 631 (wobei teilweise auch davon ausgegangen wird, dass es zusätzlich noch immer auch der Einwilligung des Minderjährigen bedarf und damit die gesetzlichen Vertreter nicht ohne dessen Einverständnis in eine Veröffentlichung zustimmen können) 632 und Betrunkene keine wirksame Einverständniserklärung abgeben können.633 Ob eine Einwilligung vorliegt, dafür ist der Verwender darlegungs- und beweisbelas- 341 tet.634 Die Reichweite der Einwilligung wird, vor allem bei bloß konkludenter Erteilung, maßgeblich durch den äußeren Rahmen der Aufnahme 635 aber auch durch ihre Zweckgebundenheit nach § 31 Abs 5 UrhG analog,636 bestimmt. Zu unterscheiden ist dabei insbesondere zwischen einem bloß privaten Rahmen und der Aufnahme bei einer öffentlichen Veranstaltung, bei der zu erwarten ist, dass entsprechende Filmaufnahmen gemacht werden.637 Das gilt auch für Passanten, die zufällig während der Filmaufnahme ins Bild geraten sind und die sich nicht sofort gegen die weitere Verwertung der Aufnahme, und dabei insbesondere gegen eine spätere Ausstrahlung gewehrt haben.638 Gleiches gilt wenn die Anfertigung unter Umständen vorgenommen wurde, die eine spätere Veröffentlichung nahelegen und dem Abgebildeten Sinn und Umfang der geplanten Veröffentlichung erkennbar waren.639 627
628 629 630 631 632 633
OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 116 (2. Ls); OLG Frankfurt ZUM-RD 1998, 277, 280, 281. OLG Frankfurt ZUM-RD 1998, 277, 280. OLG Hamburg ZUM-RD 1998, 116, 3. Leitsatz. OLG München AfP 1982, 230, 2. Leitsatz – Badewanne. OLG München AfP 1982, 230, 2. Leitsatz – Badewanne. Loewenheim/Schertz § 18 Rn 11 mwN. OLG Frankfurt NJW 1987, 1087 – Betrunkener.
634 635 636
637 638 639
BGHZ 20, 345, 348 – Paul Dahlke; LG Hannover ZUM 2000, 970, 971 – Störfälle. Vgl ua BGH GRUR 1985, 398 – Nacktfoto. Von Hartlieb/Schwarz/N. Reber 79; vgl dazu auch die konkrete Anwendung dieses Grundsatzes in der Entscheidung LG Hannover ZUM 2000, 970, 971 – Störfälle. OLG Koblenz GRUR 1995, 771 – Werbefoto. OLG Köln NJW-RR 1994, 865 – Wir im Südwesten. OLG Frankfurt GRUR 1991, 49 (1. Ls) – Steuerberater.
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Eine Einwilligung kann nicht widerrufen werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass dem Einwilligenden die Tendenz des Beitrages nicht gefällt. Ein solcher Widerruf hätte nur dann Erfolg, wenn es vorher genaue Absprachen über die Art und Weise der Darstellung gegeben hätte, die später aber nicht eingehalten wurden.640 6. Wahrheitsbeachtungspflicht
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Liegt eine vertragliche Einverständniserklärung des Betroffenen vor oder führt eine verfassungsrechtliche Abwägung dazu, dass Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre gerechtfertigt sind, ist auf einer nächsten Stufe immer noch zu prüfen, ob der zu beurteilende Film zutreffende Tatsachen über den Abgebildeten vermittelt. Der Maßstab der hier an gelegt wird, ist ua davon beeinflusst wie genau die historische Abbildung des dargestellten Geschehens sein soll. Somit kommt es darauf an, wie sehr die Filmschaffenden für sich beanspruchen die soziale Wirklichkeit darzustellen. Denn je mehr dies beabsichtigt ist, desto stärker steigt das Interesse des Dargestellten an der wahrhaftigen Wirklichkeit seiner Darstellung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine namentliche Nennung des Dargestellten erfolgt, so lange für einen Teil des sachlich interessierenden Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände ohne weiteres dessen Identität zu erkennen ist.641 Entscheidend ist daher die Art und Weise, nach der Realitätsnähe vermittelt wird. Dies hängt von der Figurenbildung und der Geschichte ab, die dargestellt wird.642 Grds muss dabei auch innerhalb eines Films eine Abschichtung der Anforderungen an die Wahrhaftigkeit der Darstellung vorgenommen werden. Dies hat zur Folge, dass bei solchen Passagen, die deutlich fiktiver Natur sind, nur schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen anspruchsauslösend sein können, während tatsächlich historische Vorgänge, die auch als solche dargestellt werden und bei denen für den Zuschauer zu erkennen ist, dass es sich dabei um eine im Kern wahrheitsgetreue Wiedergabe handelt, deutliche engere Grenzen in der Freiheit der Darstellung gezogen werden müssen.643 IRd Unternehmenspersönlichkeitsrechtes gilt es zusätzlich zu beachten, dass kritische 344 Angriffe der Öffentlichkeit grds in einem weiteren Maße hingenommen werden müssen, als dies iRd allgemeinen Persönlichkeitsrechtes der Fall wäre, denn der Unternehmensbereich ist prinzipiell Öffentlichkeitsbereich.644 Dies hat zur Folge, dass nur offensichtlich falsche Informationen untersagt werden müssen, wobei allerdings die journalistische Pflicht zur schonenden Berichterstattung zu beachten ist.645
640 641 642
Vgl dazu OLG München NJW-RR 1996, 1487, 1489 – Sex Papst. BGH ZUM 2005, 735, 736 – Esra; OLG Müchen ZUM 2007, 932, 934. OLG Hamburg ZUM 2007, 479, 481 f – Contergan I; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 485 f – Contergan II.
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OLG Hamburg ZUM 2007, 479, 481 f – Contergan I; OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 485 – Contergan II. OLG Hamburg ZUM 2007, 483, 486 – Contergan II. Klages/Albin Rn 203.
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Kapitel 3 Musikrecht Literatur Becker Musik im Internet – Praktische Erfahrungen bei der Rechteübertragung, Rechteverwaltung und Rechtedurchsetzung, GEMA Jahrbuch 2002/2003, 90 (zit Becker GEMA-Jahrbuch); ders Die Lizenzierungspraxis der GEMA bei Ruftonmelodien in: FS für Rehbinder, Recht im Wandel seines sozialen und technologischen Umfeldes, Jürgen Becker ua (Hrsg) München 2002, 187 (zit Becker FS Rehbinder); Boddien Alte Musik in neuem Gewand. Der Schutz musikalischer Updates und der Quasischutz gemeinfreier Musikaufnahmen, Baden-Baden 2006; Brandhorst Musik im Film und die Rechtewahrnehmung durch die GEMA, GEMA-Nachrichten, November 2006, München 2006; Brauner Die urheberrechtliche Stellung des Filmkomponisten, Baden-Baden 2001; Briegleb Die verschlafene Revolution c’t Nr 25, 2007 84; Castendyk Gibt es ein „Klingelton-Herstellungsrecht“? ZUM 2005, 9; Davis/Troupe Miles, the Autobiography, New York 1989; Dörr Kunstfreiheit und Menschenwürde in der Film- und Fernsehproduktion, www.sichtwechsel.de/media/doc/ Kunstfreiheit_und_Menschenw.pdf, 2008; Dünnwald Zum Begriff des ausübenden Künstlers UFITA 52 (1969) 49; Fellerer Bearbeitung und Elektronik als musikalisches Problem im Urheberrecht, Berlin 1965; Gercke Tauschbörsen und das Urheberstrafrecht – Ein Überblick über die strafrechtliche Bewertung der Tauschbörsennutzung unter Berücksichtigung der Änderungen durch den „Zweiten Korb“ der Urheberrechtsreform ZUM 2007, 791; Goldmann Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, München 2001; Hanser-Strecker Das Plagiat in der Musik, Frankfurt 1968; Häuser Sound und Sampling, Der Schutz der Urheber, ausübender Künstler und Tonträgerhersteller gegen digitales Soundsampling nach deutschem und US-amerikanischem Recht, München 2002; Hertin Zur Lizenzierung von Klingeltonrechten KUR 2004, 101; ders Zum Künstlerbegriff des Urheberrechts und des Rom-Abkommens UFITA 81 (1978) 39; Hoeren Das Teledienstmediengesetz NJW 2007, 801; Klees Der Erwerb von Handyklingeltönen durch Minderjährige CR 2005, 626; Klees/Lange Bewerbung, Nutzung und Herstellung von Handyklingeltöne CR 2005, 684; Mankowski Klingeltöne auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand GRUR 2007, 1013; Melichar Die Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften, München 1983; Moser Musik im Film aus wirtschaftlicher und rechtlicher Sicht, in: Musik im Film, herausgegeben von Jürgen Becker, Baden-Baden 1993, 29; ders Tonträgerrechte ZUM Sonderheft 1996, 1025; Müller Festlegung und Inkasso von Vergütungen für die private Vervielfältigung auf der Grundlage des „Zweiten Korbs“ ZUM 2007, 777; Nordemann Das Recht der Bearbeitung gemeinfreier Werke GRUR 1964, 117; Pendzich Von der Coverversion zum Hit-Recycling. Historische, ökonomische und rechtliche Aspekte eines zentralen Phänomens der Pop- und Rockmusik, Münster 2004; Peukert/Kur Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbsund Steuerrecht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in deutsches Recht GRUR Int 2006, 292; Poll Urheberrechtliche Beurteilung der Lizenzierungspraxis von Klingeltönen MMR 2004, 67; ders Anmerkung zu OLG Hamburg, Urteil vom 18. Januar 2006 ZUM 2006, 335 – Klingeltöne ZUM 2006, 379; Prill Urheberrecht und Klingeltöne. Die Lizenzierung von Ruftonmelodien und Ringbacktones und das Bearbeitungsrecht gem §§ 23 iVm 14 und 39 UrhG; Baden-Baden 2006; Riesenhuber Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, Berlin 2004; ders Beim Abschluss des Wahrnehmungsvertrags sind die Berechtigten Unternehmer iSv § 14 BGB ZUM 2002, 777; Russ Das Lied eines Boxers, Grenzen der Rechtswahrnehmung durch die GEMA am Beispiel des Falles „Henry Maske“ ZUM 1995, 32; Schmieder Werkintegrität und Freiheit der Interpretation NJW 1990, 1945; Schulze Zur Beschränkung des Filmherstellungsrechts bei Musikwerken GRUR 2001, 1084; ders Teil-Werknutzung, Bearbeitung und Werkverbindung bei Musikwerken – Grenzen des Wahrnehmungsumfangs der GEMA
Sebastian Schunke
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Kapitel 3 Musikrecht
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ZUM 1993, 255; Schunke Das Bearbeitungsrecht in der Musik und dessen Wahrnehmung durch die GEMA, Berlin 2008; Spindler Anmerkung zu OLG Hamburg MMR 2006, 398, 400 – Cybersky MMR 2006, 403; Schwartmann Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 2008 (zit Schwartmann/Bearbeiter); Schwarz/Brauneck Verbesserung des Rechtsschutzes gegen Raubkopierer auf der Grundlage der EU-Enforcement-Richtlinie und deren Umsetzung in deutsches Recht ZUM 2006, 701; Siebert Die Auslegung der Wahrnehmungsverträge unter Berücksichtigung der digitalen Technik München 2002; Staats Aufführungsrecht und kollektive Wahrnehmung bei Werken der Musik, Baden-Baden 2003; ders „O Fortuna“ – Zur Wahrnehmungsbefugnis der GEMA, Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 5. August 2004 – 7 O 15 374/02 ZUM 2005, 789; Stroh Der Rechtsschutz von Musiknoten vor unerlaubter Vervielfältigung, Berlin 1995; Tenschert Ist der Sound urheberrechtlich schützbar? ZUM 1987, 612; Ulbricht Der Handyklingelton – Das Ende der Verwertungsgesellschaften? CR 2006, 468; von Have/Eickmeier Das Lied eines Boxers ZUM 1995, 321; Von Zimmermann Recording-Software für Internetradios MMR 2007, 553; Ventroni Das Filmherstellungsrecht, Baden-Baden 2001; Ventroni/Poll Musiklizenzerwerb durch Online-Dienste MMR 2002, 648; Wandtke Zum Bühnentarifvertrag und zu den Leistungsschutzrechten der ausübenden Künstler im Lichte der Urheberrechtsreform 2003 ZUM 2004, 505; Wandtke/Schunke Einheitliche Lizenzierung der Klingeltöne – eine rechtliche Notwendigkeit? UFITA 2007/I, 61; Weßling Der zivilrechtliche Schutz gegen digitales Sound-Sampling, 1. Aufl Baden-Baden 1995.
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Rn
1–112 1–5
2. Die Grauzonen der GEMAWahrnehmung . . . . . . . 63–108 a) Klingeltonnutzung . . . 63–70 aa) § 1 GEMA-BV in der Version vom 25./26.6.2002 . . . 64–67 bb) Ergänzung des GEMA-BV vom 29.6.2005 . . . . . 68–70 b) Coverversion oder Bearbeitung? . . . . . . 71–78 aa) Coverversion = Vervielfältigung? . . . . 72, 73 bb) Umfang der GEMALizenz . . . . . . . 74–78 c) Filmmusik – rechtliche Widersprüche in der GEMA Wahrnehmung . 79–93 aa) Bedingte Rechtseinräumung gem § 1i Abs 1 GEMA-BV . 80, 81 bb) Umfang der Rechtseinräumung nach § 1i Abs 1 GEMA-BV . 82, 83 cc) Ausnahmen für Fernsehproduktionen, § 1i Abs 3 GEMA-BV . 84, 85 dd) Abgrenzungsprobleme 86–93 (1) Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen . . 87–89 (2) Nutzung durch Dritte 90, 91 (3) Senderprivileg . . . 92 (4) Abgrenzungsvereinbarung . . . . . . . 93 d) Musik und Bühne – Großes oder Kleines Recht? . 94–101
§ 1 Musik im Medienzeitalter . . . . . . I. Musik und sein medialer Bezug II. Die beteiligten Personen und deren Neuorientierung im Medienschungel . . . . . . . . 1. Komponist und Texter . . 2. Instrumentalisten . . . . . 3. Plattenfirmen . . . . . . . 4. Musikverlag . . . . . . . . 5. Sender . . . . . . . . . . . 6. Manager . . . . . . . . . 7. Konzertagentur . . . . . . 8. Konzertveranstalter . . . . 9. Verwertungsgesellschaft . . a) Die GEMA . . . . . . . b) Die GVL . . . . . . . . c) Aufsicht über die GEMA und die GVL . . . . . . 10. Neue Spieler . . . . . . . . III. Besondere Vertragstypen im Musikbusiness . . . . . . . . 1. Der Gastspielvertrag . . . 2. Der Bandübernahmevertrag 3. Der Musikverlagsvertrag . 4. Der Künstlerexklusivvertrag 5. Verbindung des Verlagsvertrages mit Künstlervertrag oder Bandübernahmevertrag . . . . . . . 6. Filmmusikverträge . . . . IV. Die GEMA im medialen Zeitalter – Laster oder Chance für die Komponisten? . . . . . . . 1. Der Berechtigungsvertrag . a) Zweck . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . .
58–108 58–62 60, 61 62
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6–37 7, 8 9–13 14–17 18 19, 20 21–23 24, 25 26–28 29–36 29–34 35 36 37 38–57 39, 40 41, 42 43–46 47–53
54–56 57
§1
Musik im Medienzeitalter Rn
e) Musik im Rahmen von Sport- und Politikveranstaltungen oder als Hintergrundmusik . . . f) Musik und Werbung . . V. Die GVL im medialen Zeitalter 1. Wesen und Funktion . . . . 2. Der Wahrnehmungsvertrag der GVL – Tätigkeitsfeld der GVL . . . . . . . . . . . . 3. Das Verteilungsprinzip . . . § 2 Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters . . . . . . . I. Jingles und Erkennungsmelodien – Abkehr vom Prinzip der kleinen Münze . . . . . . II. Klingeltöne – Unzulässigkeit des doppelten Lizenzsystems .
Rn 1. Einleitung . . . . . . . . . 2. Betroffene Rechte . . . . . 3. Unzulässiges doppeltes Lizenzsystem . . . . . . . . III. Up- und Downloading von Musik – Privatkopie oder Rechtsmissbrauch? . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . 2. Die betroffenen Rechte und Rechtsverletzer . . . . . . . 3. Besonderheit bei internationalen Sachverhalten . . . . IV. Internetradio – neue Formen der Musiknutzung ohne wirtschaftliche Beteiligung der Rechtsinhaber? . . . . . . . . V. Fernsehshowformate – die neue Form der Leibeigenschaft? . .
102–104 105–108 109–112 109
110, 111 112 113–139
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126–133 126–128 129–132 133
134–137 138, 139
§1 Musik im Medienzeitalter I. Musik und sein medialer Bezug Die Musik steht im ständigen Verhältnis zu den Medien. Betrachtet man die Entwick- 1 lung des Musikmarktes so fällt auf, dass der Erfolg eines Produktes vor allem durch seine Medienpräsenz bestimmt wird. Zu dem Produkt zählen dabei nicht nur das musikalische Werk, sondern auch die Personen, die für dessen Entstehung und Klanglichwerdung zuständig sind. Die Bedeutung der Medien geht aber noch wesentlich weiter: die Werkschaffung als solche wird im Wesentlichen durch die sie umgebende mediale Wirklichkeit beeinflusst. So bilden sich neue Vermarktungsformen von Musik über das Fernsehen. Dazu gehören Fernsehshowformate 1, die nicht bei der musikalischen Qualität des Musikers anknüpfen sondern vorwiegend dessen medienwirksame Vermarktungsfähigkeit im Auge haben. Das besondere Auftreten, das Aussehen, die sexuelle Neigungen, ein Skandal, eine Drogenabhängigkeit oder neuerdings auch die Teilnahme an Entziehungskuren garantieren einen musikalischen Erfolg weit eher, als eine gute Stimme oder eine anspruchsvolle Komposition. Die neuen Technologien mit der Digitalisierung und dem Internet haben die traditio- 2 nellen Musikvermarktungs- und Musikvertriebsformen revolutioniert und die Musikindustrie in eine wirtschaftliche Existenzkrise getrieben.2 Keine andere Industrie hat die digitale Revolution des 21. Jahrhunderts so hart getroffen wie die Musik.3 Die CD als zentrales Medium der Musikindustrie hat einen erheblichen Wertverlust erfahren.4 Die durch das Internet hervorgerufene Internationalität und Freiheit von Informationen und den schellen internationalen kommunikativen Austausch haben weltweit die Einstellung
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Vgl dazu Rn 138. Vgl Briegleb c’t 25/2007, 82 f. Vgl Tretbar im Tagesspiegel Berlin vom 17.11. 2007, Artikel „Pop und weg“ 29.
4
Vgl Moser/Scheuermann/Renner 239, 242.
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Kapitel 3 Musikrecht
2. Teil
der Verbraucher zum Wert von Musik nachhaltig verändert. Dies wurde unterstützt durch die Entwicklung neuer Technologien wie mp3 und der Möglichkeit Musiktitel über Downloads zu erwerben wie bspw bei iTunes. Das Konsumverhalten der Verbraucher in Bezug auf Musikprodukte hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Die Bereitschaft viel Geld für ein Musikprodukt zu bezahlen ist nicht zuletzt aufgrund der Tauschbörsen 5, aber auch dem Verhalten der Plattenindustrien enorm gesungen, während der Drang, möglichst viele Musiktitel auf seinem heimischen Computer, MP3Handy oder MP3-Player zu besitzen, angestiegen ist. Allein in Deutschland waren im Jahr 2007 auf Rechnern, MP3-Playern und MP3-Handys rund 16,6 Milliarden Musikdateien gespeichert. Im Vorjahr waren es noch 8,8 Milliarden. Das geht aus der Brennerstudie 2007 hervor, die die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der Deutschen Phonoverbände erstellt hat. Der Anteil der Deutschen über 10 Jahre, die Musik auf PCs speichern, stieg im Vergleich zu 2005 von 31 auf 37 Prozent. Jede der 23,5 Millionen Personen hatte durchschnittlich 614 Titel auf dem PC gespeichert, was rund 14,44 Milliarden Musikstücke ergibt. Hinzu kommen weitere zwei Milliarden Musikdateien auf MP3-Playern und 128 Mio auf MP3-Handys.6 Der erhöhte mediale Einfluss der sich der Verbraucher durch Werbung, Internet, 3 Fernsehen und Radio ausgesetzt sieht, die damit einhergehende Informationsflut, sorgt gleichzeitig dafür, dass die Bereitschaft ungewohnte Inhalte zu konsumieren und zu verstehen gesunken ist. Gerade bei einem Produkt, welches primär über das Ohr als Sinnesorgan aufgenommen wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Produkt selbst. Zum einen wird deshalb vermehrt probiert, über den visuellen Effekt den Verbraucher an den Kunden heranzuführen. Zum anderen wird vermieden, dem Verbraucher zu komplexe Inhalte anzubieten, die ihn überfordern könnten.7 Neben den musikalischen Fähigkeiten eines ausübenden Künstlers oder Komponisten rücken damit die sonstigen Künstler-Rechte wie dessen Persönlichkeits- und Merchandisingrechte und damit einhergehend das Künstler-Image in den Vordergrund der Rechteverwerter.8 Gleichzeitig bieten moderne Technologien vollkommen neue Möglichkeiten der Werk4 schöpfung und das Internet den Raum für die Bildung und das Fortbestehen musikalischer Subkulturen. Regelmäßig muss sich aber der in Subkulturen agierende Künstler oder Musikverwerter fragen, wie er die Medien einsetzen kann, um sein Publikum bei der Informationsflut überhaupt noch zu erreichen. Die direkte Verbindung zum Konsumenten ist sicherlich ein gangbarer Ausweg.9 Mit diesen neuen Gegebenheiten müssen sich die am Musikmarkt beteiligten Perso5 nenkreise bei der Produktentwicklung, Vermarktung und Lizenzierung auseinandersetzen.10 Ein fundamentales Umdenken und eine Neuausrichtung der Musikindustrie ist die Folge.11 Die neuen Produktionswege, Absatzmärkte und veränderten Aufnahmestrukturen sorgen für neue rechtliche Fragestellungen in der Erfassung dieser von Medien und modernen Technologien geprägten Musikwelt.
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Vgl dazu Rn 126 f. Bericht der IFPI vom 26.4.2007, www.ifpi.de. Ähnl Moser/Scheuermann/Vormehr 223, 233 f. Moser/Scheuermann/Renner 239, 244.
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Ähnl Moser/Scheuermann/Renner 239, 243. Vgl Moser/Scheuermann/Renner 239, 243. Vgl Moser/Scheuermann/Schenk 251 ff; Ventroni/Poll MMR 2002, 648.
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§1
Musik im Medienzeitalter
II. Die beteiligten Personen und deren Neuorientierung im Mediendschungel Die neuen Marktbedingungen aufgrund der digitalen Revolution und des durch die 6 Medien bestimmten „karma-kapitalistischen“ Konsumverhaltens der Verbraucher hat die in den 80er und 90er Jahren entwickelten Rollenverständnisse der in der Musikindustrie beteiligten Personen vollkommen verändert. Dies führt zum einen zu neuen Vertragstypen im Musikbusiness. Zum anderen ist eine inhaltliche Neugestaltung der traditionellen Vertragstypen und „Standardverträge“ erforderlich. Nur dann kann die Musik im 21. Jahrhunderts ein zukunftsfähiges Produkt bleiben. 1. Komponist und Texter Ausgangspunkt jedes musikalischen Schaffens sind die Kompositionen und der Text. 7 Es gibt also einen oder mehrere Komponisten und einen oder mehrere Texter.12 Den neuen Herausforderungen und Chancen durch eine medialisierte Musiklandschaft, muss sich vor allem der Komponist eines musikalischen Werkes stellen. Der Komponist bildet durch sein Schaffen den Ursprung für den Musikkreislauf. Im rechtlichen Sinne ist der Komponist der Urheber (§ 7 UrhG) eines musikalischen Werkes iSd § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG.13 Für den Komponisten stellt sich insofern bereits die Frage, welche Arten der Werkschöpfung von dem musikalischen Werkbegriff erfasst werden – sei es, weil der Werkschöpfer neue Formen der Erzeugung eines Musikwerkes benutzt, also besonders innovativ ist – um unter Umständen überhaupt mediale Aufmerksamkeit zu erlangen oder weil das Musikprodukt so einfach gehalten sein muss, um den Verbraucher nicht zu überfordern. Der Texter ist gem § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG Schöpfer eines urheberrechtlich geschützten Werkes. Komponist und Texter müssen sich fragen, wie sie den medialen Anforderungen 8 gerecht werden können, und wie sich dieses in ihren Beziehung zu ihren unmittelbaren Geschäfts- und Vertragspartnern auswirkt. Wie weit sind die traditionellen Strukturen des Musikgeschäfts und damit deren branchenübliche Verträge sinnvoll und wie gestalten sich die Verträge zu neuen Partnern. Komponist und Texter sind üblicherweise Mitglied der GEMA14. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und deren Notwendigkeit wird von jungen Komponisten oft in Frage gestellt, da in vielen Medienbereichen das Stichwort der „GEMA freie Musik“ fällt. Neben den Konsequenzen einer Mitgliedschaft in der GEMA steht die Verlagsbindung und Vermarktung der eigenen Persönlichkeit im Mittelpunkt der Fragen der Komponisten und Texter. 2. Instrumentalisten Noch mehr als der Komponist steht der Instrumentalist (Sänger, Pianist, Streicher) – 9 unabhängig von dem musikalischen Genre in dem er tätig ist (Rock, Pop, Klassik oder Jazz) – im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. Im rechtlichen Sinne handelt es sich bei dem Instrumentalisten um einen ausübenden Künstler iSd §§ 73 ff UrhG und damit um einen Leistungsschutzberechtigten.15 Nach § 73 UrhG ist ein ausübender Künstler, wer ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt 12 13 14
Schwartmann/Waldhausen 981, Rn 11. Vgl zum Begriff des Urhebers und dessen Rechten Teil 2 Kap 1 Rn 32 ff. Zur GEMA vgl Rn 58–108.
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Zum Begriff und zu den Rechten des ausübenden Künstlers vgl Wandtke/Bullinger/ Büscher Vor §§ 73 UrhG Rn 3 ff; sowie Teil 2 Kap 1 Rn 98 ff.
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Kapitel 3 Musikrecht
2. Teil
oder auf andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt. Als ausübender Künstler iSd § 73 UrhG gelten im Bereich der Musik nicht nur die klassischen Instrumentalisten wie Streicher, Klavierspieler oder Bläser, sondern auch der Dirigent.16 Rechtsprechung und Teile der Literatur lassen die Leistung des Tonmeisters weder 10 direkt noch analog unter § 73 UrhG fallen.17 Der BGH vertritt insoweit einen engen Darbietungsbegriff, wonach lediglich die unmittelbare, im Moment der Klangerzeugung durch Instrumente und Stimmen wahrnehmbare Klangdarbietung eine Aufführung iSd § 19 Abs 2 UrhG darstellen soll. Die nachträgliche Beeinflussung stelle kein „Mitwirken“ iSd § 73 UrhG dar und zwar auch dann nicht, wenn im Zuschauerraum das LiveErlebnis mitbestimmt wird.18 Diese Auffassung geht in vielen Bereichen an der Produktionsrealität von Musik und der Bedeutung der Tontechniker vorbei. Zuzustimmen ist dem BGH lediglich für den Fall, dass der Tonmeister oder Toningenieur nur auf Anweisung Verfremdungseffekte am Tonmaterial vornimmt. In vielen Fällen ist der Toningenieur, Tonmeister oder DJ gleichermaßen eigenständig an der Soundgestaltung der Darbietung bspw durch Verfremdungseffekte oder Einsatz elektronischer Geräte mit beteiligt. Gerade im Bereich der elektronischen Musik kommt den Toningenieuren oder Djs eine wesentliche Funktion zu, den Klang des aufführenden Musikers während seines Livespiels zu verändern oder eigenständige Sounds hinzuzufügen. Besonders Schlagzeuger und Sänger sind auf die Mitwirkung des Toningenieurs angewiesen.19 Entscheidendes Kriterium muss insoweit die Frage der unabhängigen eigenständigen Einflussnahme des Toningenieurs oder Djs sein.20 Auf eine zeitliche Komponente abzustellen passt nicht zu den modernen Produktionsformen – auch Instrumentalisten spielen oft nachträglich eine Solopassage oder ein Riff ein, so dass es bei dem Großteil der Aufnahmen gar nicht eine bestimmte unmittelbare Klangerzeugung gibt. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für Live-Darbietungen und für Studio-Darbietungen.21 So ist es nur konsequent auch bei dem sog Remix ein Leistungsschutzrecht nach § 73 UrhG entstehen zu lassen.22
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OLG Dresden ZUM 2000, 955; Wandtke ZUM 2004, 505, 506; Wandtke/Bullinger/ Büscher § 73 UrhG Rn 15; Hertin UFITA 81 (1987) 39, 46. BGH GRUR 1983, 22, 23 – Tonmeister; OLG Köln GRUR 1984, 345, 347 – Tonmeister II; OLG Hamburg ZUM 1995, 52 – Tonmeister III; Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 8; aA Nordemann GRUR 1980, 568, 572; Tenschert ZUM 1987, 612, 617 f. BGH GRUR 1983, 22, 25 – Tonmeister. Vgl bspw die Aufnahmen des Trompeters Nils Peter Molvaer „Solid Ether“ ECM 1722. So wohl auch OLG Hamburg GRUR 1976, 708 – Staatstheater; Wandtke ZUM 2004, 505, 506; Schack Rn 599; Hertin UFITA 81 (1978) 39, 46 f, der sogar die Möglichkeit einer Miturheberschaft anspricht; Wandtke/ Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 17. AA Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG
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Rn 15; OLG Hamburg GRUR 2002, 220 – Remix/Remastering; entscheidend man sich dafür, dass § 73 UrhG nur die persönliche Darbietung und nicht die öffentliche Darbietung meint, ist es nicht ersichtlich, warum bei der Frage der Mitwirkung zwischen öffentlicher und nicht öffentlicher Darbietung unterschieden werden soll; vgl zur Frage der analogen statt direkten Anwendung des § 73 UrhG auf Studio-Darbietungen Schricker/Krüger § 73 UrhG Rn 16; Dünnwald UFITA 52 (1969) 49, 63 f. Unter Remix versteht man die Anpassung einer bestehenden Aufnahme durch Einwirkung auf die Einzelspuren an einen anderen Musikstil, sei es durch die Einfügung neuer Tonspuren oder der Einwirkung auf bereits bestehende. Nicht eindeutig insoweit Boddien 30 f, der den Begriff wohl enger sieht. Dies entspricht aber nicht der Verwendung im Musikalltag.
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§1
Musik im Medienzeitalter
Der Quizmaster kann als ausübender Künstler gem § 73 UrhG angesehen werden.23 11 Das digitale Remastering fällt nicht unter § 73 UrhG.24 Korrepetitoren, Gesangslehrer oder sonstige musikalische Lehrmeister fallen nicht unter § 73 UrhG. Ihre Einflussnahme im Rahmen der Ausbildung ist nicht ausreichend zur Begründung der Eigenschaft als ausübender Künstler.25 Es sind Fälle vorstellbar, in denen schöpferische und darbietende Leistung in einer 12 Person zusammenfallen. Dies kann insbesondere auf den interpretierenden Jazzmusiker zutreffen.26 Ob allein das Spielen eines Solos bereits ausreichend ist neben der Eigenschaft als ausübender Künstler auch Miturheber oder Bearbeiterurheber nach § 3 UrhG zu sein ist fragwürdig und bedarf der Einzelfallbetrachtung. Die Verneinung einer schöpferischen Leistung des improvisierenden Instrumentalisten lässt sich aber nur bei der Verneinung des Prinzips der kleinen Münze und einer engen Auslegung des § 3 UrhG für alle Fälle der musikalischen Gestaltung rechtfertigen.27 Problematisch ist die Koppelung des Leistungsschutzrechts des § 73 UrhG an den Werkbegriff. Im Bereich der Musik fallen damit viele Künstler, die bspw für bestimmte Beateinspielungen zuständig sind nicht in den Anwendungsbereich des § 73 UrhG. Die Zweitverwertungsrechte des ausübenden Künstlers nimmt die GVL in den meisten Fällen wahr. Neuerdings probieren etablierte Künstler ihr Schicksal aufgrund der geänderten 13 Marktstrukturen in die eigenen Hände zu nehmen. Prince, der sich mit seinem Label überworfen hatte, brachte seine neue Platte in Großbritannien als Gratisbeilage einer Sonntagszeitung auf den Markt. Die Band Radiohead bot für einen bestimmten Zeitraum ihre neue CD zum freien Download über ihre eigene Homepage an. Die Fans konnten selbst entscheiden wie viel sie für den Download bezahlen wollten. Unbekannte Bands hoffen auf Selbstvermarktungen über Plattformen wie Myspace. Dort sind die Grenzen aufgrund der Vielzahl der Bandangebote aber vorhersehbar.28 3. Plattenfirmen Die Plattenfirmen haben sich sehr schwer getan mit den neuen Entwicklungen am 14 Markt. Die Plattenfirmen sind häufig Tonträgerhersteller iSd §§ 85 ff UrhG. Die Begriffe sind jedoch nicht inhaltsgleich. Tonträgerhersteller iSd § 85 Abs 1 UrhG ist derjenige, der die organisatorische und wirtschaftliche Hoheit über die Aufnahmen besitzt.29 Dem Tonträgerhersteller steht gem § 85 Abs 1 UrhG das Leistungsschutzrecht der 15 Vervielfältigung, der Verbreitung und der öffentlichen Zugänglichmachung an dem Tonträger zu. Dieses Recht ist nach den Regeln der §§ 31 ff UrhG übertragbar.30 Strittig im Zusammenhang mit den Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller ist vor allem der
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BGH GRUR 1981, 419. OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 220; Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 8; zum Begriff des Remastering vgl Boddien 32 f; Boddien weist richtigerweise daraufhin, dass ein Bearbeiterurheberrecht beim Remastering ausgeschlossen ist, Boddien 79. Beim Remastering stellt sich die Frage, ob ein Leistungsschutzrecht nach § 85 UrhG entstehen kann, vgl dazu Rn 15. Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 17.
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Ausf insoweit Schunke Rn 56 ff; LG München I ZUM 1993, 432, 434; Wandtke/Bullinger/Büscher § 73 UrhG Rn 20. Vgl Schunke 55 f; 60 f. Vgl Briegleb c’t 25/2007, 84. Ausf zur Frage der Tonträgerherstellereigenschaft vgl Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 8. Vgl dazu Teil 2 Kap 1 Rn 185 ff.
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Kapitel 3 Musikrecht
2. Teil
Beginn des Leistungsschutzes. In der Popularmusik, gerade in Bereichen des Rap, Techno aber auch des Mainstream-Pop wird viel mit Samples gearbeitet.31 Fraglich ist, ob kleine Ausschnitte eines Tonträgers in den Schutzbereich des § 85 UrhG fallen.32 Der Leistungsschutz des Tonträgerherstellers setzt gerade nicht bei dem Werkbegriff als Schutzvoraussetzung an, so dass jedwede ausschnittsweise Nutzung eines Tonträgers hinsichtlich des Herstellerrechts zustimmungsbedürftig ist.33 Ebenfalls umstritten ist die Frage der Entstehung eines eigenen Tonträgerherstellerrechtes beim Remastering.34 Werden bei dem Remastering lediglich kleine klangliche Veränderung und eine Übertragung auf ein neues Medium vollzogen ist eine Anwendung des § 85 UrhG unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm zu verneinen. In jedem Fall wird durch die Aufarbeitung der Altaufnahmen eine Vervielfältigung des ursprünglichen Tonträgers hergestellt.35 Im Gegensatz zum Remastering ist beim Remix ein Tonträgerherstellerrecht zu bejahen.36 Daneben können auch Urheberrechte iSd § 3 UrhG entstehen. Die großen Plattenfirmen, auch Major-Plattenfirmen genannt, wie Sony/BMG, Univer16 sal, Warner und EMI führen in der Regel Eigenproduktionen mit den Künstlern durch, so dass sie Tonträgerhersteller iSd § 85 Abs 1 UrhG sind.37 Aufgrund der fortgeschrittenen technologischen Entwicklung und den schlechten Absatzahlen im Tonträgergeschäft scheuen die kleineren unabhängigen Plattenfirmen, auch Independent-Plattenfirmen 38 genannt, das Risiko eine Produktion von Anfang an (dh bereits die anfallenden Studiound Künstlerkosten) zu finanzieren. Die fortgeschrittene Computer- und Softwareentwicklung hat zum Entstehen vieler kleiner privater Studios geführt, in dem die Künstler entweder Bänder vorproduzieren oder die Aufnahmen selbst fertig stellen, so dass sie den Plattenfirmen fertige Bänder vorlegen. Dies gilt insbesondere für Newcomer-Bands im Bereich des Pop und Rock und für Nischenmusik wie dem Jazz. In diesem Fall sind die Künstler Tonträgerhersteller iSd § 85 Abs 1 UrhG und die Plattenfirmen müssen sich neben den Künstlerleistungsschutzrechen die Rechte an dem Tonträger übertragen lassen. In der Musikbranche hat sich dafür die Begriff „Bandübernahmevertrag“ etabliert.39 Die Bedeutung der Plattenfirmen, zumindest deren Kerngeschäft des physischen Ton17 trägermarktes, die jahrelang den Musikmarkt beherrschten, wird aufgrund der Entwicklung in der Medienwelt zurückgehen. Der Tonträgermarkt wird in vielen Bereichen der Musik aufgrund des geänderten Konsumverhaltens nicht mehr die Haupteinnahmequelle im Bereich der Musikverwertung sein. Der Downloadmarkt 40 und andere neue Formen der Musiknutzung wie die Klingeltonnutzung 41 werden marktbestimmend werden. So 31
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Zur Grundlage der Sampletechnik vgl Häuser 5 ff; die Bezeichnung Samples stammt aus dem Englischen und bedeutet „Probe“, vgl Weßling 137. Vgl Wandtke/Bullinger/Schäfer § 85 UrhG Rn 25. Ebenso Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 25; dagegen OLG Hamburg ZUM 1991, 545, 548; Schricker/Vogel § 85 UrhG Rn 35. Dafür Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 16; Boddien 110 ff; dagegen Schricker/ Vogel § 85 UrhG Rn 25; Dreier/Schulze/ Schulze § 85 UrhG Rn 21; zum Begriff des Remastering vgl Boddien 32 f. Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 16.
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Ebenso Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 15; Boddien 126, der jedoch den Begriff des Remix anders versteht; vgl Rn 10; aA Schricker/Vogel § 85 UrhG Rn 25. Ausf zur Struktur des Tonträgermarktes Moser/Scheuermann/Mahlmann 178 ff. Ausf zu den Independent-Plattenfirmen Moser/Scheuermann/Vormehr 223 ff: Unter Independent-Plattenfirmen versteht man in der Regel kleine Plattenfirmen, deren Unabhängigkeit darin besteht, musikalisch und kulturell eigenständige Wege zu gehen. Vgl dazu Rn 41. S dazu Rn 126 ff. S dazu Rn 115 ff.
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§1
Musik im Medienzeitalter
stehen die Plattenfirmen vor der großen Herausforderung ihre Unternehmen umzustrukturieren und sich in neuen Absatzmärkten zu behaupten, sei es durch Ausdehnung auf den Live-Sektor oder die Zurückeroberung der Online-Vermarktung der eigenen Produkte. 4. Musikverlag Im eigentlichen Sinn ist der Musikverlag 42 dafür zuständig, die Kompositionen, also 18 das urheberrechtliche Werk der Komponisten, kommerziell zu verwerten. Es gibt konzerngebundene Verlage und unabhängige Verlage. Bei den konzerngebundenen Verlagen handelt es sich um Unternehmen, deren Gesellschafter Tonträgerhersteller sind. Hauptzweck dieser konzerngebundenen Verlage ist, an der GEMA-Ausschüttung der Komponisten beteiligt zu werden. Das diese Verlage nicht mehr primär den Interessen der Urheber sondern denen des Tonträgerherstellers dienen, liegt auf der Hand. Dadurch erscheint die Rechtfertigung einer GEMA-Mitgliedschaft dieser Verlage äußerst zweifelhaft. Diese konzerneigenen Verlage haben sich mittlerweile zu sehr großen Unternehmen entwickelt, die zum Teil marktbeherrschend agieren.43 Im Gegensatz dazu ist der unabhängige Musikverleger nicht an einen Tonträgerhersteller gebunden. Im Rahmen des Verlagsvertrages lässt sich der Verlag wesentliche Rechte an dem Musikwerk von dem Komponisten einräumen.44 5. Sender Den Sendern kommt eine immer bedeutendere Rolle im Musikgeschäft zu. Mit Show- 19 formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“, „die Talentshow“, „Popstars“, „Dschungelcamp“ oder „die Chartshow“ haben die Sender das Produkt Musik sich wirtschaftlich zu eigen gemacht. Nicht nur die privaten Sender auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich vom Kulturauftrag verabschiedet, hin zur stromlinienförmigen Berieselung.45 Das Urheberrecht räumt dem Sendeunternehmen in § 87 Abs 1 UrhG ein originäres, 20 ausschließliches Leistungsschutzrecht für seine Produktionen im Hinblick auf deren Weitersendung und öffentliche Zugänglichmachung (Nr 1) Aufzeichnung, Vervielfältigung und Verbreitung auf Bild- oder Tonträger bzw als Lichtbild (Nr 2) und entgeltliche öffentliche Wahrnehmbarmachung (Nr 3) ein. Dieses Leistungsschutzrecht ist auf Dritte übertragbar.46 Die Showformate selbst stellen aber keine urheberrechtlich geschützten Werke dar.47 Das Verhältnis der Sender zu der GEMA ist in vielen Bereichen sehr unübersichtlich und bereitet Schwierigkeiten bei der Lizenzierung der Musikrechte.48
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Vgl zur Geschichte des Musikverlags Moser/ Scheuermann/Sikorski 281 ff. Ausf hierzu Moser/Scheuermann/Budde 300. S dazu 43 ff; 54 ff. So auch Moser/Scheuermann/Vormehr 223, 233. Ausf zum Leistungsschutzrecht des § 87
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UrhG, vgl Wandtke/Bullinger/Ehrhardt § 87 UrhG Rn 1 ff. BGH NJW 2003, 2828, 2830 – Fernsehformat Kinderquatsch mit Michael; Wandtke/ Bullinger/Manegold § 88 UrhG Rn 33 f. S Rn 79 ff.
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6. Manager
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Der Manager ist ein in rechtlicher Hinsicht nicht festgelegter Begriff. Im Musikbereich gibt es ua den Künstler-Manager, den Tourmanager, den Stagemanager oder den Eventmanager. Größte Bedeutung kommt dem Künstler-Manager zu. Nicht alle, die sich Manager nennen haben die nötige Erfahrung, Kontakte, Einfluss und das Wissen, um den Aufgaben eines Managers gerecht zu werden. Der Manager kann eine sehr wichtige, sogar die wichtigste Person in der Karriere eines Künstlers sein. 22 Der Manager kümmert sich um die Belange des Künstlers sowohl in wirtschaftlicher, als auch in künstlerischer Sicht. Im klassischen Sinn muss das Management sowohl im Innenverhältnis gegenüber dem Künstler als auch im Außenverhältnis gegenüber sämtlichen Dritten der erste Ansprechpartner für die Belange des Künstlers sein und alle für die Entwicklung des künstlerischen Produktes notwendigen Entscheidungen vorbereiten, einleiten und begleiten.49 Von großer Relevanz ist daher, dass direkt zu Beginn der Vertragsbeziehung schriftlich die gegenseitigen Rechten und Pflichten in einem Managementvertrag niedergelegt werden, um für eine ausreichende Transparenz in dem Vertragsverhältnis zu sorgen.50 Bei einem solchen Vertrag handelt es sich um einen Dienstleistungsvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter.51 Die klassischen Managementverträge gehen von einem Exklusivverhältnis aus. Ein Exklusivverhältnis ist grundsätzlich zu befürworten, macht aber nur Sinn, wenn die Laufzeit des Vertrages jederzeit bzw zumindest in einem überschaubaren Zeitabschnitt beendet werden kann. Die Regelungen des §§ 621 BGB bieten insofern für beide Seiten bei einem Managementverhältnis eine gerechte Lösung. Eine davon vertraglich abweichende Regelung ist insofern nur ausnahmsweise zu empfehlen, insbesondere sind feste Laufzeiten zu vermeiden. Ein solches Exklusivverhältnis ist für sich betrachtet nicht nach § 297 SGB III unwirksam.52 23 Schwierigkeiten bereiten bei Managementverträgen regelmäßig die Regelungen zur Vertretungsmacht und zur Vergütung. Grundsätzlich ist es mit dem Selbstverständnis des modernen Künstlers nicht mehr zu vereinbaren, dem Manager eine generelle Handlungsvollmacht im Rahmen des Vertrages iSd § 167 BGB zu erteilen. Der Künstler sollte die Verträge, die der Manager in Verhandlungen vorbereitet, selbständig lesen, verstehen und unterschreiben. Vertretbar sind gewisse Einzelvollmachten, die der Künstler dem Manager zur Erleichterung von einzelnen Arbeitsvorgängen erteilen kann, zB Hotelbuchungen oder Flugtickets, sofern das finanzielle Risiko überschaubar bleibt. Eine gerechte Vergütungsregelung zu finden ist in der Tat nicht einfach. Möglich sind insofern ein fester Monatssatz, den sich der Künstler regelmäßig nicht leisten kann oder eine prozentuale Beteiligung am Umsatz. Streitige Punkte sind hierbei auf welchen Umsatz sich die Beteiligung des Managers bezieht und ob nach Vertragsende der Manager weiterhin Anspruch auf eine Umsatzbeteiligung hat. Es sei den Parteien angeraten eine Regelung zu finden, die es ermöglicht, dass nach Ende der Vertragslaufzeit keine weitergehenden Vergütungsansprüche des Managers mehr bestehen – dies würde nur zur Lähmung der weiteren Karriereplanung des Künstlers führen und ist für den Manager nicht wirklich ergiebig. Im übrigen kann eine für den Künstler besonders nachteilige Konstellation aus Exklusivität, Vertretungsmacht und nachvertraglicher Vergütungsabsprache zur Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 138 Abs 1 BGB führen.53
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Moser/Scheuermann/Gottschalk 451, 452. Moser/Scheuermann/Gottschalk 451, 452 f. OLG Hamburg 2008, 144, 146.
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Vgl OLG Hamburg ZUM 2008, 144, 145. AA OLG Hamburg ZUM 2008, 144, 146.
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7. Konzertagentur Eine Konzertagentur (auch Booking-Agentur) ist eine Agentur, die Künstler für Live- 24 Veranstaltungen bucht. Sie ist Bindeglied zwischen Veranstaltern von Live-Clubs, Festivals und Open-Air-Konzerten und den Künstlern und gegebenenfalls der Labels der Künstler. Die Konzertagentur sollte mit den Künstlern und deren Plattenfirmen in Bezug auf Promotion und Terminierung eng zusammenarbeiten. Zum Aufgabenbereich einer Konzertagentur gehören: Tourneeplanung- und Durchführung, Booking, Buchhaltung, Vertragsaushandlungen, Vermarktung, Künstler- und Kundenbetreuung sowie Pressearbeit. Zum Booking gehört an sich nicht nur das Organisieren von Auftritten sondern auch die Organisation der Flüge, das Beantragen notwendiger Visa oder sonstiger Papiere, die man braucht, um in bestimmte Länder einreisen zu können. Normalerweise reist ein Mitglied der Konzertagentur auf der Konzertreise eines Künstlers mit und kümmert sich so um das rechtzeitige ankommen der Band und die korrekte Bezahlung. In der Regel sind die Konzertagenturen national beschränkt tätig. Bekannte Booking Agenturen sind bspw FourArtist, die die Fantastischen Vier unter Vertrag haben, Karsten Jahnke im Bereich des Pop und der Jazzmusik und die Urban Agency für DJs. Im Vertrag sollte eine Laufzeit festgelegt werden. Von einer allzu langen Bindung 25 sollte abgesehen werden. Ebenso problematisch sind Exklusivbindungen, da der Künstler mehr denn je von einem erfolgreichen Live-Auftreten abhängig ist. Exklusive Verpflichtungen seitens des Künstlers können von daher nur für einen bestimmten, überschaubaren Zeitraum eingeräumt werden. 8. Konzertveranstalter Waren in wirtschaftlicher Hinsicht die Konzertveranstalter in den 80er und 90er Jah- 26 ren für die Musikindustrie nicht so bedeutungsvoll, so hat sich dieses bei dem zusammenbrechenden Tonträgermarkt des 21. Jahrhunderts grundsätzlich gewandelt. Das Konzertbusiness boomt. Allein in Amerika ist der Umsatz von 1,7 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 3,1 Milliarden Dollar im Jahr 2006 gestiegen.54 Das Konzertbusiness ist der letzte Zufluchtsort einer direkt erlebbaren Musik – obwohl gerade das visuelle Moment und Showeffekte bei Konzertveranstaltungen eine ganz wesentliche Rolle einnehmen und Playbackkonzerte die Direktheit einer solchen Veranstaltung fraglich erscheinen lassen. Durch die zunehmende Bedeutung von Live-Konzerten verändern sich die Verträge mit Konzertveranstaltern. Madonna hat dies eindrucksvoll bestätigt durch einen Wechsel, weg von ihrer Plattenfirma Warner Music, hin zu einem Rechtsverkauf in Höhe von 120 Millionen Dollar an den Konzertveranstalter Live Nation.55 Der Begriff Veranstalter wird im Musikbusiness unterschiedlich verstanden. Im 27 Rechtssinnmeint bezeichnet der Veranstalter das Unternehmen, welches die Darbietung des ausübenden Künstlers veranstaltet (§ 81 UrhG). Dann steht dem Veranstalter gem § 81 UrhG ein selbständiges Leistungsschutzrecht an der Darbietung des ausübenden Künstlers zu.56 Der Veranstalter soll im Hinblick auf seine organisatorisch-wirtschaftliche Leistung im Kulturbereich privilegiert werden. Damit erhält nur der Veranstalter ein Leistungsschutzrecht, der die organisatorische und finanzielle Verantwortung für die Veranstaltung trägt.57 Was unter dem Begriff organisatorische Verantwortung zu verste54 55
Tretbar Tagesspiegel Berlin vom 17.11.2007, 23. Tretbar Tagesspiegel Berlin vom 17.11.2007, 23.
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Ausf vgl Wandtke/Bullinger/Büscher § 81 UrhG Rn 1 ff. Wandtke/Bullinger/Büscher § 81 UrhG Rn 10.
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hen ist, ist unklar – in jedem Fall kann dazu nicht die künstlerische Gestaltung des einzelnen Konzertes zählen. Das zur Verfügung stellen eines Konzertraumes, bzw dessen Anmietung, die Programmgestaltung, Werbemaßnahme und der Kartenvorverkauf deuten auf eine organisatorische Verantwortung.58 Bei Clubkonzerten sind sog „Kassendeals“ üblich, dh, dass der Künstler einen be28 stimmten Prozentsatz der Kasseneinnahmen bekommt. Dadurch mindert sich das finanzielle Risiko des Veranstalters erheblich, so dass in diesen Fällen dem Veranstalter kein Leistungsschutzrecht zusteht. Etwas anderes ergibt sich nur, sofern der Veranstalter durch die Übernahme von Hotelkosten und der Garantie einer Mindestgage das Risiko des Künstlers erheblich mindert. Problematisch ist die Frage der Zuordnung der Veranstaltungseigenschaft bei gesponsorten Konzerten. Insofern müssen die einzelnen finanziellen Aufwendungen gegeneinander abgewogen werden. War der Künstler für die Sponsoringverträge verantwortlich, scheidet der Betreiber des Konzertraumes regelmäßig als Veranstalter aus, es kann dann aber unter Umständen der Sponsor selbst als Veranstalter iSd § 81 UrhG angesehen werden. Voraussetzung für eine Veranstaltung nach § 81 UrhG ist nach überwiegender Auffassung die Anwesenheit eines Publikums.59 9. Verwertungsgesellschaft
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a) Die GEMA. Die GEMA ist eine Verwertungsgesellschaft im Sinne des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes.60 Die Pflichten und Aufgaben der GEMA als Verwertungsgesellschaft bestimmen sich im wesentlichen durch das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz.61 Gem § 2 GEMA-Satzung obliegt der GEMA die treuhänderische Verwaltung musika30 lischer Nutzungsrechte von Komponisten und Textdichtern. In § 1 GEMA-BV werden dementsprechend der GEMA die Rechte als „Treuhänderin“ übertragen. Weiter sind auch die Verlage Mitglieder der GEMA, welches bei den Mitgliederversammlung regelmäßig zu Interessenkollisionen zwischen Komponisten und Verlagen führt. Weiter legt der GEMA-BV in § 3 fest, dass die GEMA berechtigt ist, die Ausübung der ihr übertragenen Rechte im eigenen Namen durchzuführen. Damit finden die §§ 164 ff BGB keine Anwendung.62 Die kollektive Wahrnehmung durch eine Verwertungsgesellschaft hat unter anderem 31 den Sinn den Rechtserwerb für den Nutzer zu erleichtern. Zweck der GEMA ist die umfängliche Rechtswahrnehmung für die Berechtigten.63 Es wäre ansonsten für den Nutzer sehr schwer Musik in größerem Umfang legal zu nutzen, da es ihm nicht möglich wäre, zum Beispiel bei Radio- oder Konzertveranstaltungen die einzelnen Komponisten zu kontaktieren und in Vertragsverhandlungen zu treten. Gleichzeitig wäre eine Kontrolle der Werknutzung durch den Urheber alleine nicht zu bewältigen.64 Im Übrigen lässt sich verstärkt eine Tendenz des Gesetzgebers feststellen, Nutzungen 32 im Wege der gesetzlichen Lizenz zu ermöglichen, die nur durch Verwertungsgesellschaf-
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Wandtke/Bullinger/Büscher § 81 UrhG Rn 11. Wandtke/Bullinger/Büscher § 81 UrhG Rn 7. Schricker/Reinbothe Vor §§ 1 ff WahrnG Rn 14; eine fragliche Alternative zur GEMA bietet die VG-Medien.
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Im Folgenden WahrnG. Vgl Palandt/Heinrichs Einf v § 164 BGB Rn 6; Ventroni 177. Schulze ZUM 1993, 255, 258. Schulze ZUM 1993, 255, 258.
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ten geltend gemacht werden können.65 Damit ist ein Urheber, der seine Rechte umfänglich beachtet wissen will, faktisch gezwungen GEMA-Mitglied zu werden.66 Die GEMA ist als Verwertungsgesellschaft bestimmten Wahrnehmungsgrundsätzen 33 unterworfen. Gem § 11 Abs 1 WahrnG ist die Verwertungsgesellschaft verpflichtet, auf Grund der von ihr wahrgenommenen Rechte jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen.67 Sie ist gem § 10 WahrnG im Vorfeld zur Auskunft über ihren Rechtskatalog verpflichtet.68 Aufgrund des Abschlusszwangprinzips verliert der Urheber bzgl der der GEMA eingeräumten Nutzungsrechte die Kontrolle darüber, von wem das Werk genutzt werden darf. Zur Garantie der Angemessenheit und Gleichförmigkeit der Lizenzbedingungen ist die Verwertungsgesellschaft verpflichtet feste Tarife für die einzelnen Nutzungsarten zu erstellen.69 Der Begriff der angemessenen Bedingungen wird nicht näher definiert.70 Für bestimmte regelmäßig wiederkehrende Nutzungsvorgänge ist die GEMA berechtigt einheitliche Tarife gem § 13 UrhWG aufzustellen.71 Aus der Konzeption des § 11 UrhWG folgt, dass die GEMA einfache Nutzungsrechte iSd § 31 UrhG einräumt, da sie ansonsten dem Abschlusszwang bei erneuter identischer Nutzung desselben Werkes nicht nachkommen könnte.72 Neben dem Abschlusszwang gilt auch der Wahrnehmungszwang für die GEMA als 34 Verwertungsgesellschaft. Gem § 6 Abs 1 WahrnG ist die Verwertungsgesellschaft verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche auf Verlangen der Berechtigten zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen. Der Wahrnehmungszwang korrespondiert mit der faktischen Monopolstellung der meisten Verwertungsgesellschaften und dem Abschlusszwang nach § 11 WahrnG.73 Ohne Wahrnehmungszwang stünde es der GEMA frei, bei gewissen Rechten oder den Rechten bestimmter Urheber nach eigenem Ermessen die Wahrnehmung zu verweigern.74 Sowohl für die Rechte die zwingend verwertungsgesellschaftspflichtig sind,75 als auch für eine Vielzahl urheberrechtlicher Positionen, die individuell nur schwer durchsetzbar sind, wäre dem Urheber im Einzelfall faktisch die Durchsetzung seiner finanziellen Beteiligungsrechte verwehrt.76 65
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Vgl § 20b Abs 2 S 3, § 26 Abs 5, § 27 Abs 3, § 54 UrhG, sowie die Änderungen bzgl des § 54a nF UrhG im Rahmen des Korb II; ob diese Tendenz aus urheberrechtlicher Sicht zu begrüßen ist, insbesondere unter dem Blickwinkel der Verteilungsgerechtigkeit ist fragwürdig. Schulze ZUM 1993, 255, 258. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz bildet das Kernstück der gesetzlichen Regulierung und erkennt positivrechtlich die deutschen Verwertungsgesellschaften an. Es wurde gleichzeitig mit dem Urheberrechtsgesetz in der Reform von 1965 erlassen; vgl Goldmann 182; zur Geschichte des Kontrahierungszwanges vgl Fromm/Nordemann/ Nordemann § 11 WahrnG Rn 1. Nur in besonderen Fällen ist eine Ausnahme von dem Abschlusszwangprinzip zulässig; vgl OLG München GRUR-RR 2007, 186 f; Goldmann 191. Vgl § 13 Abs 1 WahrnG; eine gerichtliche
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Überprüfung der Tarife durch den Nutzer ist zulässig; vgl Goldmann 193; Melichar 39. Wandtke/Bullinger/Gerlach § 11 WahrnG Rn 3; vgl zur Frage der Angemessenheit Fromm/Nordemann/Nordemann § 6 WahrnG Rn 5, 6. Kreile/Becker/Riesenhuber/Riesenhuber/ von Vogel Kap 14 Rn 47. Kreile/Becker/Riesenhuber/Riesenhuber/ von Vogel Kap 14 Rn 41. Wandtke/Bullinger/Gerlach § 6 WahrnG Rn 2; Goldmann 185. Goldmann 185; Wandtke/Bullinger/Gerlach § 6 WahrnG Rn 2. Vgl § 20b Abs 2 S 3, § 26 Abs 5, § 27 Abs 3, § 54 UrhG. Vom Wahrnehmungsumfang nicht umfasst ist das Verhältnis der einzelnen Verwertungsgesellschaften zueinander. Eine ausländische Verwertungsgesellschaft hat keinen Anspruch gegenüber der GEMA auf Abschluss eines Gegenseitigkeitsvertrages; vgl Goldmann 185.
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b) Die GVL. Die GVL nimmt die Rechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller seit 1959 war. Die GVL nimmt nicht in demselben Umfang wie die GEMA die Rechte an der Darbietung des ausübenden Künstlers und die Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller wahr. Die GVL ist ebenso wie die GEMA dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz unterworfen, so dass gleichfalls das Abschluss- und Wahrnehmungsprinzip für die GVL gilt.77 Die Gesamterträge der GVL beliefen sich im Jahr 2004 auf € 150,6 Mio. Der GVL gehören 97 000 Musikinterpreten und 13 000 Wortinterpreten an. Die Zahl der Tonträgerhersteller ist im Vergleich von Jahr 2003 bis 2006 um 42 % gestiegen und beträgt 6 137. Dies ist ein Zeichen der veränderten Marktbedingungen.78
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c) Aufsicht über die GEMA und die GVL. In Korrelation zu den durch das WahrnG auferlegten Pflichten bildet die Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) über Verwertungsgesellschaften nach § 18 Abs 1 WahrnG den zweiten Grundpfeiler der Kontrolle kollektiver Wahrnehmung.79 Mit der staatlichen Aufsichtspflicht über Verwertungsgesellschaften wollte der Gesetzgeber den Gefahren begegnen, die sich aus der faktischen Monopolstellung der treuhänderisch tätigen Verwertungsgesellschaft ergeben können.80 Weitere Gefahren können sich aus der Treuhandstellung der Verwertungsgesellschaften ergeben. Die Urheber vertrauen der Verwertungsgesellschaft einen wesentlichen Teil ihres Vermögens an.81 Zweck der Aufsicht ist es zu gewährleisten, dass die Verwertungsgesellschaft ihren Verpflichtungen ordnungsgemäß gegenüber ihren Berechtigten und den Nutzern nachkommt. Die Aufsicht wird von der Behörde im Interesse der Allgemeinheit ausgeübt.82 10. Neue Spieler
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Neue Beteiligte im Musikgeschäft sind zum einen die Plattformbetreiber. Diese bieten mit verschiedenen Portalen den Hauptumsatzmarkt für das Musikgeschäft in der nahen Zukunft. Zum anderen nehmen die verschiedenen Telekommunikationsunternehmen und Medienunternehmen im weiteren Sinn eine immer größere Bedeutung in der Frage der Vermarktung von dem Produkt Musik ein. Apple als Computerhersteller hat mit iTunes für positive Zahlen im Musikbusiness gesorgt. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Unternehmen oder die Telekommunikationsunternehmen wie die Telecom oder Vodafone selbst nicht nur Inhaltsanbieter von Musik werden, sondern den Musikproduktionsbereich in Zukunft beherrschen wollen.
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S Rn 33, 34. Bericht der Geschäftsführer über die Entwicklung der GVL seit dem Jahr 2001, S 1, vom 31.10.2006. Goldmann 197; bereits § 1 des Gesetzes über die Vermittlung von Musikaufführungsrechten vom 4.7.1933 unterwarf die „Vermittlung von Rechten zur öffentlichen Aufführung von Werken der Tonkunst mit oder ohne Text“ einer Genehmigungspflicht; vgl Kreile/
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Becker/Riesenhuber/Himmelmann Kap 18 Rn 1. Wandtke/Bullinger/Gerlach § 18 WahrnG Rn 1; Kreile/Becker/Riesenhuber/Himmelmann Kap 18 Rn 6. Kreile/Becker/Riesenhuber/Himmelmann Kap 18 Rn 9. Ausf zur Aufsichtspflicht Wandtke/Bullinger/ Gerlach § 18 WahrnG Rn 2.
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III. Besondere Vertragstypen im Musikbusiness In der Musikbranche haben sich vor allem in den 80er und 90er Jahren bestimmte 38 Vertragstypen herausgebildet – die mehr oder weniger abgeändert standardisiert von den Vertretern der Branche verwendet wurden. Dies führt in vielen Bereichen dazu, dass Verträge unterschrieben werden, ohne dass sich die beteiligten Kreise über den genauen Inhalt der schriftlich unterschriebenen Bedingungen im klaren sind. Erschwerend kommt hinzu, dass in der durch neue Medien und Technologien bestimmten Musikbranchen vollkommen geänderte Produktions-, Absatz- und Vermarktungsbedingungen herrschen, die nicht mehr kompatibel mit den Bestimmungen der Standardverträge sind. Viele Bestimmungen älterer Verträge dürften aufgrund der nicht vorhersehbaren Entwicklungen auf dem Musikmarkt in vielen Bereichen unter das Rechtsinstitut der „Störung der Geschäftsgrundlage“ fallen. Die Prinzipien des § 313 BGB können aber nur auf Standardverträge angewendet werden, die vor Beginn der veränderten Marktbedingungen im Musikbusiness unterzeichnet wurden, also vor 1999.83 Von daher ist es allen Vertragsparteien abzuraten Standardverträge zu verwenden und sich auf den eigentlichen Sinn und Zweck von Verträgen zu besinnen: Die Parteien legen fest was zwischen ihnen rechtens sein soll und nicht was in einer Branche üblich ist.84 1. Der Gastspielvertrag Von wesentlicher Bedeutung im Bereich der Musik ist der Gastspielvertrag. Gastspiel- 39 vertrag bezeichnet die vertragliche Bindung von ausübendem Künstler und Veranstalter, sei es des Clubbetreibers oder des Festivalorganisators. Die Rechtsnatur des Gastspielvertrages ergibt sich aus den Umständen. In Betracht kommt ein Dienstvertrag oder ein Werkvertrag. Ein Gastspielvertrag, in dem sich ein Opernsänger gegen ein bestimmtes Gastspielhonorar verpflichtet, an bestimmten Tagen zu Vorstellungen und Proben zu singen, ist ein gegenseitiger Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen.85 Neben dem Dienstvertrag bedarf es einer Regelung bzgl der Einräumung der Nutzungsrechte der ausübenden Künstler, die ihre Leistung darbieten. Diese Frage wird oft vernachlässigt, wirkt sich aber besonders bei Live-Mitschnitten von Konzerten aus. Fehlt es an einer Absprache muss der Gastspielvertrag gem §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden. Aufgrund von §§ 31 Abs 5, 79 Abs 2 UrhG räumt der Künstler nicht die Rechte für die Festlegung seiner Darbietung iSd § 77 Abs 2 UrhG ein.86 Für den Künstler ist diese Frage erheblich für die Anmeldung von Entgelten bei der GVL und damit die Frage der Vergütung seiner Zweitverwertungsrechte. Ohne nachgewiesene Abgeltung der Erstverwertungsrechte hat der Künstler keinen Anspruch auf Vergütung gegenüber der GVL.87 Die Einwilligung in die Festlegung einer Live-Darbietung zu Rundfunkzwecken deckt aber im Zweifel nicht die Einräumung des Rechts zur Vervielfältigung zum Zwecke des Vertriebs als Schallplatte oder DVD.88 Die Verwendung der Darbietung des Künstlers zu Werbezwecken bedarf immer der ausdrücklichen Genehmigung.89 Weiter ist die Frage von Bedeutung, ob die Künstlerin selbständig tätig oder Arbeit- 40 nehmerin ist. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung ist für die Wertung einer
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Vgl Palandt/Heinrichs § 313 BGB Rn 14. Palandt/Heinrichs Vor § 145 BGB Rn 1. BGH NJW 1995, 903. Vgl zu einzelnen Fallgestaltungen Schricker/Krüger § 79 UrhG Rn 11.
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S dazu Rn 112. Schricker/Krüger § 79 UrhG Rn 11; BGHZ 33, 1 – Künstlerlizenz. Schricker/Krüger § 79 UrhG Rn 11.
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Beschäftigung als abhängig ausschlaggebend, dass sie in persönlicher Abhängigkeit verrichtet wird. Diese äußert sich regelmäßig in der Eingliederung des Beschäftigten in einem fremden Betrieb, sei es, dass er umfassend einem Zeit, Dauer und Ort der Arbeit betreffenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, sei es auch nur, insbesondere bei Diensten höherer Art, dass er funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Arbeitgebers teil hat. Demgegenüber kennzeichnen eine selbständige Tätigkeit das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsfreiheit über die eigene Arbeitskraft sowie die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Weist im Einzelfall eine Tätigkeit sowohl Merkmale der Abhängigkeit wie der Selbständigkeit auf, so kommt es bei der Beurteilung des Gesamtbildes darauf an, welche Merkmale überwiegen. Grundlage der Beurteilung sind die tatsächlichen Verhältnisse. Die in einer vertraglichen Vereinbarung gewählte Bezeichnung oder rechtliche Einordnung einer Tätigkeit ist dagegen nicht maßgebend, wenn sie davon abweicht.90 2. Der Bandübernahmevertrag
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Im Bandübernahmevertrag werden der Plattenfirma die Rechte an dem Masterband und die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler, die an der Erstellung des Masters beteiligt waren übertragen, damit die Plattenfirma einen Tonträger (in der Regel eine CD) produzieren und vertreiben kann. Bandübernahmeverträge sind heutzutage in Nischenbereichen üblich, da die Plattenfirmen es scheuen, die Produktionskosten von Anfang an zu übernehmen, ohne das musikalische Endergebnis zu kennen. Die in den 80er und 90er Jahren herausgebildeten Standard-Bandübernahmeverträge, auf die unwissende Vertragsparteien nur zu gerne zurückgreifen, haben mit den heutigen tatsächlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen aus Sicht eines wirtschaftlich und künstlerisch vernünftig denkenden Menschen nichts mehr gemein. In einer aufgrund von neuen Technologien, Umsatzeinbußen und neuen Medien beherrschten Musikwelt von „Standardverträgen“ und einer Branchenüblichkeit aus den 80er Jahren auszugehen, zeigt schon von vornherein, dass diese Verträge nicht dem eigentlichen Interessen beider Parteien entsprechen können und oft von einer Unwirksamkeit nach § 138 BGB auszugehen ist. Es ist daher den Parteien anzuraten, nicht einfach einen Standardvertrag als Basis für eine gemeinsame Zusammenarbeit zu wählen, auch wenn dieses den Plattenfirmen oft als eine besonders attraktive Lösung erscheint. Vertragsgegenstand eines Bandübernahmevertrages ist die Lizenzübertragung der er42 forderlichen Rechte von einem fertigen Master, welches von dem Künstler zuvor in Eigenverantwortlichkeit im Tonstudio aufgenommen wurde, damit die Plattenfirma Kopien des Masters als Produkt am Markt positionieren und vertreiben kann. Problematische Bestimmungen in dem Bandübernahmevertrag sind regelmäßig die Rechtseinräumung. Üblicherweise lässt sich die Plattenfirma die Auswertungsrechte weltweit einräumen. Gerade bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Plattenfirmen verwundert diese Regelung, ob ihrer schlechten Marktpräsenz im Ausland. Eine für die Beteiligten sinnvolle Regelung stellen Optionsrechte für den Vertrieb im Ausland dar. Die Plattenfirma lässt sich regelmäßig Bearbeitungsrechte einräumen und das Recht Werbung auch für Drittprodukte mit den Vertragsaufnahmen machen zu dürfen. Diese Regelungen sind aus Sicht des Künstlers problematisch, da unmittelbar in die künstlerische Arbeit und die Außendarstellung eingegriffen wird – diese Rechte sollten von daher nur nach
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Vgl BSGE 13, 130, 132; BSGE 36, 7 f.
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vorheriger Zustimmung von der Plattenfirma wahrgenommen werden dürfen. Nicht mehr zeitgemäß sind Bestimmungen die den Künstler für einen längeren Zeitraum exklusiv an eine Plattenfirma binden. 3. Der Musikverlagsvertrag In dem Musikverlagsvertrag räumt der Komponist dem Verlag die Nutzungsrechte an seinen Kompositionen ein. Im Regelfall ist der Komponist als Urheber Mitglied der GEMA, so dass er mit der GEMA bereits einen Berechtigungsvertrag abgeschlossen hat und somit diese einen Großteil der Rechte des Urhebers exklusiv wahrnimmt. Die Rechtseinräumung bezieht sich somit zunächst nur auf die von der GEMA nicht wahrgenommenen Rechte. Die Rechtseinräumung bzgl der GEMA-Rechte lässt sich je nach Formulierung auf unterschiedliche Weise verstehen. Zum einen wäre eine Schadensersatzpflicht des Komponisten vorstellbar, wenn er seine GEMA-Mitgliedschaft verschwiegen hat und er damit die Unmöglichkeit der Rechtseinräumung zu vertreten hat. Weiter wäre an eine Einigung unter einer aufschiebende Bedingung iSd §§ 398, 158 BGB zu denken. Letztlich wäre an einen offenen Einigungsmangel zu denken. Da der Berechtigungsvertrag in vielen Bereichen nicht eindeutig gefasst ist, entstehen bei der Wahrnehmungskompetenz zwischen Verlag und GEMA oft Abgrenzungsfragen. In den 80er und 90er Jahren hat sich eine Branchenüblichkeit im Verhältnis von Verlag und Komponist herausgebildet, die insbesondere im Hinblick auf nicht bekannte Komponisten sehr zu Lasten der Komponisten ausgestaltet waren. Insbesondere Fragen der ausschließlichen Rechtseinräumung, der räumlich, zeitlich und inhaltlichen Unbeschränktheit sind aus musikalischer wie auch wirtschaftlicher Sicht oft nicht nachvollziehbar.91 Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass in vielen Verlagsverträgen die Pflichten des Verlages nicht genau bezeichnet werden und der Verlagsvertrag oft nur als zusätzliches finanzielles Polster von Tonträgerherstellern und Sendern gesehen wird. Die Frage der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB muss insofern immer wieder gestellt werden.92 Regelmäßig lässt sich der Verlag im Rahmen des Verlagsvertrages das Bearbeitungsrechts ausschließlich einräumen. Durch diese Regelung begibt sich der Komponist, der zugleich ausübender Künstler ist, also seine Werke, wie in der Pop, Rock und Jazzmusik üblich, selbst aufführt, unumwunden in ein großes nicht vermeidbares Haftungsrisiko gegenüber dem Verlag. Die Jazzmusik lebt davon, dass bei Live-Konzerten die Stücke jedes Mal anders klingen. Dies bedingt sich schon aufgrund der unterschiedlichen Solopassagen, so dass regelmäßig eine Bearbeitung nach § 23 UrhG gegeben ist. Dasselbe gilt überwiegend für innovative Rock und Popbands, deren Aufführung gerade durch die Andersartigkeit der Darbietung im Gegensatz zur Tonträgereinspielung lebt. Die Vertragslaufzeit beträgt auf Betreiben des Verlages oft die Dauer der Schutzfrist, also bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Eine solche Vertragslaufzeit ist heutzutage bei den ständig wechselnden Gegebenheiten im Musikbusiness nicht mehr hinnehmbar. Ein Verlagsvertrag kann aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Rechtsprechung hatte insofern mehrere Fälle zu entscheiden.93 Die Fülle der Rechtsstreitigkeiten verdeutlicht schon, dass eine lange Laufzeitregelung in jedem Fall abzulehnen ist.
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Zur Einräumung ausschließlicher Nutzungsrechte vgl § 31 Abs 3 UrhG; Schricker/ Schricker § 31 UrhG Rn 4. Zur bereicherungsrechtlichen Abwicklung
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vgl BGH GRUR 2000, 685 – Formunwirksamer Lizenzvertrag. Vgl den Überblick bei Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 24.
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4. Der Künstlerexklusivvertrag
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Künstlerexklusivverträge waren in den 80er und 90er Jahren im Rock- und Popbereich zwischen Plattenfirma und ausübendem Künstler, der zugleich auch Komponist sein konnte, üblich. Gegenstand des Künstlerexklusivvertrages war ursprünglich die exklusive Verpflichtung eines ausübenden Künstlers oder einer Künstlergruppe durch ein Tonträgerproduktionsunternehmen zum Zwecke der Herstellung und Auswertung der während der Laufzeit des Vertrages hergestellten Aufnahmen.94 Die Künstlerexklusivverträge werden mittlerweile in anderen Branchen abgeschlossen. Gerade in Zeiten der neuen Fernsehshowformate wird diese Exklusivität nicht nur auf die künstlerische Leistung, sondern auch auf die Verwertung der gesamten Persönlichkeit des Interpreten ausgedehnt. 48 Nach der Rechtsprechung ist der Künstlerexklusivvertrag ein urheberrechtlicher Verwertungsvertrag eigener Art, der verschiedene Elemente des Dienst-, Geschäftsbesorgungs- sowie Kauf- Pachtvertrages beinhaltet.95 Da Künstlerexklusivverträge die Rechte an künftigen Leistungen regeln, unterliegen sie gem § 79 Abs 2 S 2 iVm § 40 Abs 1 S 1 UrhG der Schriftform.96 49 Die Wirksamkeit solcher Verträge erscheint sehr fragwürdig. Zunächst liegt die Nichtigkeit eines Künstlervertrages aus § 138 BGB nahe, bzw einzelner Bestimmungen oder des ganzen Vertrages 97 aufgrund der Grundsätze der AGB-Kontrolle iSd §§ 305 ff BGB. OB der Künstler Unternehmer iSd § 14 BGB iVm § 310 BGB ist, hängt vom Einzelfall und der Organisationsstruktur des Künstlers ab.98 Existenzgründer sind bis zum Beginn ihrer unternehmerischen Tätigkeit als Verbraucher anzusehen.99 In jedem Fall müssen die Verträge der Inhaltskontrolle über § 307 BGB standhalten. 50 Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt und Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Hierbei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich; es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt. Dem steht es gleich, wenn sich jemand bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt. Dadurch können gegenseitige Verträge, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs 2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der objektiven und subjektiven Mittel als sittenwidrig erscheinen lässt. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so kann dies den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstand rechtfertigen.100 Diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Sittenwidrigkeit gegenseitiger Verträge aufgestellten Grundsätze sind auf Künstlerverträge ohne Einschränkung anzuwenden.101
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Homann 251. BGH GRUR 1989, 198, 201 – Hubert K; Homann 251. Homann 251. Vgl die Rechtsfolge der Teilnichtigkeit in § 306 Abs 1 BGB sowie der Gesamtnichtigkeit des § 306 Abs 3 BGB.
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Ausf aber mit abweichendem Ergebnis Riesenhuber ZUM 2002, 777, 778 f. Palandt/Heinrichs § 13 BGB Rn 3. BGH NJW 1993, 1587, 1589; Palandt/Heinrichs § 138 Rn 7, 35, 39. OLG Karlsruhe ZUM 2003, 785, 786; OLG München GRUR-RR 2007, 186 f.
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Dabei ist es unbedeutend, dass es zwischen unbekannten Newcomern und Produzen- 51 ten nicht ungewöhnlich ist, dass sittenwidrige Verträge abgeschlossen werden. Die Branchenüblichkeit ist unbeachtlich. Insoweit findet die Privatautonomie ihre Grenze.102 Folgende Kriterien können eine Sittenwidrigkeit herbeiführen: mangelndes Mitbe- 52 stimmungerecht des ausübenden Künstlers, ungünstige Vergütungs- und Abrechnungsregelungen und die vertraglich vereinbarte Laufzeitregelung. Eine solche Sittenwidrigkeit kann sich aus der Gesamtschau dieser Faktoren ergeben.103 Grundsätzlich sind Exklusivbindungen nur für einen begrenzten Zeitraum legitim. Verträge, die von einer exklusiven Laufzeit von mehr als 4 Jahre ausgehen, dürften wegen sittenwidriger Knebelung nach § 138 BGB sittenwidrig sein.104 Im Übrigen kann bei persönlichkeitsrechtlichen Klauseln ein Verstoß gegen Art 1 GG 53 vorliegen. Gerade bei den neuen Fernsehshowformaten, die vor allem die Auswertung der Persönlichkeit des Künstlers und nicht so sehr dessen gesangliche oder kompositorische Leistung im Blickfeld haben, sind solche Verstöße vorprogrammiert.105 5. Verbindung des Verlagsvertrages mit Künstlervertrag oder Bandübernahmevertrag Es entspricht der Üblichkeit im Musikgeschäft, dass Künstlerverträge oder auch 54 Bandübernahmeverträge mit Verlagsklauseln oder Verlagsverträgen kombiniert werden. Die Motivation sind vor allem die zusätzlichen Einnahmen die der Produzent dadurch über die GEMA-Ausschüttungen und Lizenzierungen bekommt. Die Künstler werden insbesondere durch die Verlagsklauseln faktisch gezwungen 55 einen Verlagsvertrag abzuschließen und damit die Rechte an ihren eigenen Kompositionen zu übertragen. Die Wirksamkeit solcher Verlagsklauseln ist zweifelhaft. Eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB lehnt das OLG Frankfurt aM jedoch ab.106 Ein Eingreifen des § 307 BGB mit dem Argument zu verneinen, dass es nicht unüblich sei, dass Tonträgerproduktionsverträge eine Verlagsauswertungsverpflichtung enthalten, ist aber wenig überzeugend. Ebenso verneint das OLG Frankfurt selbst bei einer möglichen Unwirksamkeit der Verlagsklausel eine Nichtigkeit aus § 139 BGB.107 Auch für den Fall, dass der Künstlervertrag nach § 138 BGB unwirksam ist, soll die- 56 ses nicht die Wirksamkeit des gleichzeitig abgeschlossenen Verlagsvertrages nach § 139 BGB erfassen.108 Es mangelt nach Auffassung des OLG Frankfurt am Merkmal der Einheitlichkeit. Dem ist zu widersprechen. Es ist gerade nicht so, wie das OLG Frankfurt behauptet, dass Tonträgerverträge von Verlagsverträgen streng getrennt werden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Dass die Beendigung eines Betreuungsvertrages nicht auch zur Beendigung des Verlagsvertrages führt, ist nicht Ausdruck der mangelnden Einheitlichkeit, als vielmehr ein Zeichen der Schwäche des Vertragspartners (Künstlers), dass sich dieser noch über die Vertragsdauer des Produktionsvertrages an den Verlag hat binden lassen – eine zwar übliche aber rechtsunwirksame Vertragspraxis.109
102 103
104 105
OLG Karlsruhe ZUM 2003, 785, 786. OLG Karlsruhe ZUM 2003, 785, 786; bestätigt von BVerfG GRUR 2005, 880 und von OLG Karlsruhe ZUM RD 2007, 76, 78 – Xavier Naidoo. Ebenso Schack Rn 1113. S Rn 139.
106 107 108 109
OLG Frankfurt GRUR 2004, 144. OLG Frankfurt GRUR 2004, 144. Vgl OLG Frankfurt GRUR 2004, 144. So wohl auch OLG Zweibrücken ZUM 2001, 346 – AGB-ZDF-Komponistenverträge; Homann 274; aA OLG Frankfurt GRUR 2004, 144.
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2. Teil
6. Filmmusikverträge
57
Die Nutzung von Musik im Film bietet in rechtlicher Hinsicht problematische Fallkonstellationen. Es ist zu unterscheiden zwischen den Urheberrechten am Musikwerk und den Leistungsschutzrechten an der Musikaufnahme. Das Recht zur Verwendung eines Musikwerkes in einem Film wird als Filmherstellungsrecht bezeichnet.110 Insofern ist die GEMA als Verwertungsgesellschaft oder die Verlage selbst zuständig für die Einräumung der entsprechenden Lizenzen.111 Das Recht zur Nutzung der Aufnahme im Film wird teilweise als Einblendungs- oder master-use Recht bezeichnet.112 Rechtsinhaber sind insofern in der Regel die Plattenfirmen. Das Urheberrecht bietet in den §§ 88 ff UrhG Sonderregeln für die Verwendung von urheberrechtlichen Werken im Film.113
IV. Die GEMA im medialen Zeitalter – Laster oder Chance für die Komponisten? 1. Der Berechtigungsvertrag
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Jede Verwertungsgesellschaft schließt mit dem Berechtigten gem § 6 WahrnG einen Wahrnehmungsvertrag, der die Rechte und Ansprüche der Berechtigten näher regelt. Bei der GEMA wird dieser Wahrnehmungsvertrag als Berechtigungsvertrag bezeichnet, vgl § 3 GEMA-Satzung.114 Die sich aus dem Berechtigungsvertrag ergebenden Rechtsbeziehungen betreffend die Einräumung oder Übertragung von Nutzungsrechten an die GEMA sind dem individualrechtlichen Bereich zuzuordnen. Sie regeln nicht das mitgliedschaftliche Verhältnis sondern die schuldrechtliche treuhänderische Beziehung.115 Es handelt sich um bundesweit angewandte Allgemeine Geschäftsbedingungen.116 Rechtlich ist der Berechtigungsvertrag als urheberrechtlicher Nutzungsvertrag sui generis einzuordnen.117 59 Damit finden nicht nur die §§ 133, 157 118 und §§ 305 ff BGB auf den Berechtigungsvertrag Anwendung, sondern auch die Bestimmungen zum Urhebervertragsrecht, insbesondere der § 31 Abs 4 UrhG aF 119, der § 31a UrhG 120 und die Zweckübertragungsregel des § 31 Abs 5 UrhG.121 Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen grundsätzlich als Vertragsbedingungen nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen, so ergeben sich
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Homann 299. S dazu Rn 79 ff. Homann 299. Vgl dazu Wandtke/Bullinger/Manegold Vor §§ 88 UrhG Rn 1 ff. Homann 90. BGH WRP 2005, 1177, 1180 – PRO-Verfahren; Wandtke/Bullinger/Gerlach § 6 WahrnG Rn 3. BGH GRUR 2006, 319, 321 – Alpensinfonie; BGH WRP 2005, 1177, 1180 – PROVerfahren; BGHZ 136, 394, 396 f; Prill 70; Landfermann 139. Landfermann 130. Riesenhuber 46 ff. BGH GRUR 2006, 319, 321 – Alpensinfonie; BGH GRUR 1986, 62, 65 – GEMA-
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Vermutung I; OLG Hamburg ZUM 2002, 480, 484; Riesenhuber 59 f; aA Schricker/ Schricker §§ 31/32 UrhG Rn 29: § 31 Abs 4 UrhG passe von seinem Zweck nicht, da die Wahrnehmungsverträge gerade dazu dienen den Urheber angemessen an der Nutzung seines Werkes zu beteiligen. Ausf zum neu eingefügten § 31a UrhG vgl Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31a UrhG Rn 1 ff. BGH ZUM 2000, 234, 236 – Musical-Gala; OLG Hamburg GRUR 1991, 599, 600 – Rundfunkwerbung, Staats ZUM 2005, 789, 791; Wandtke/Bullinger/Gerlach § 6 WahrnG Rn 5; Siebert 55; Riesenhuber 41 ff; Landfermann 138 ff; Homann 90.
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wegen der Standardisierung Besonderheiten.122 Die Bestimmungen sind objektiv auszulegen, die individuellen Umstände des Einzelfalles sind vorrangig nicht zu berücksichtigen.123 Bei unklaren Regelungen des Berechtigungsvertrages ist nicht der geäußerte Wille der individuellen Vertragspartner bedeutend; entscheidend ist vielmehr, wie die Regelungen bei einer typisierten, vom Einzelfall losgelösten Betrachtung unter Einbeziehung teleologischer Erwägungen zu verstehen ist.124 Die treuhänderische Stellung der GEMA schränkt das Prinzips des § 31 Abs 5 UrhG insofern ein, als dass bei der Anwendung des § 31 Abs 5 UrhG die von der GEMA verfolgten Zwecke mit in die Wertung einzubeziehen sind.125 a) Zweck. Dem Berechtigungsvertrag liegt der Zweck zugrunde, der GEMA als Ver- 60 wertungsgesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung Rechte einzuräumen, deren individuelle Wahrnehmung dem einzelnen Urheberberechtigten nicht möglich ist, während Rechte, die der Urheberberechtigte individuell verwerten kann, diesem verbleiben sollen.126 Darüber hinaus kommt dem Berechtigungsvertrag noch der Zweck zu, dem Urheber 61 über die kollektive Vertretung durch die Verwertungsgesellschaft die für sie erforderliche Position gegenüber den wirtschaftlich stärkeren Verwertern zu verschaffen.127 Der Berechtigungsvertrag wahrt zusätzlich das Funktionsinteresse der Verwertungsgesellschaft.128 b) Inhalt. In dem Berechtigungsvertrag der GEMA übertragen die Mitglieder die von 62 der GEMA wahrzunehmenden Nutzungsrechte und bestimmen den Umfang der übertragenen Rechte (§ 1 GEMA-BV). Die Mitglieder erkennen die Geltung des Verteilungsplanes und der Satzung an.129 Letzteres beinhaltet, dass einzelne Nutzungsarten mittels Individualvereinbarung aus dem Wahrnehmungsumfang der GEMA herausgenommen werden können, nicht jedoch einzelne Werke.130 Der Standard-Berechtigungsvertrag der GEMA zielt auf eine umfassende Rechtseinräumung durch den berechtigten Urheber oder Verleger. Übertragen wird das Aufführungs- und Senderecht nebst aller Wiedergabemöglichkeiten von Musik durch Fernsehen, Lautsprecher und Tonträger.131 Die GEMA lässt sich die Rechte übertragen, die Werke mittels Multimedia-Datenträger wahrnehmbar zu machen und Werke der Tonkunst elektronisch zu übermitteln, wie auch die Rechte zur mechanischen Vervielfältigung auf Ton-, Bild-, Multimedia- und anderen Datenträgern sowie die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte an diesen, wozu die Einspeicherung von Werken der Tonkunst in Datenbanken oder Speicher ähnlicher Art gehört. Des Weiteren werden im Wahrnehmungsvertrag die gesetzlichen Vergütungsansprüche abgetreten. Dies korrespondiert mit der gesetzlichen Ausgestaltung dieser Rechte als verwertungsgesellschaftspflichtige Ansprüche, die nur über Organisationen der kollektiven Rechtswahrnehmung geltend gemacht werden können.132 Die Rechte werden 122 123 124 125 126 127 128
Palandt/Heinrichs § 305c BGB Rn 15; Riesenhuber 46 f. Riesenhuber 47; Palandt/Heinrichs § 305c BGB Rn 16; Prill 70; Landfermann 138. Landfermann 138. Riesenhuber 41, 43; dagegen OLG München ZUM 1997, 275, 279. BGH ZUM 2000, 234, 236, 237 – MusicalGala. Wandtke/Bullinger/Gerlach § 6 WahrnG Rn 5; Schulze ZUM 1993, 255, 258. Riesenhuber 41; Landfermann 138 f; Schunke 128 f.
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In § 6a GEMA-BV erfolgt ein dynamischer Verweis auf den Verteilungsplan und die Satzung in seiner jeweils gültigen Form; vgl Goldmann 300. Die Rechtsübertragung erfolgt auch nicht erst mit der Anmeldung des Werkes bei der GEMA, so aber überraschenderweise das OLG Frankfurt GRUR 2006, 578, 580. Vgl § 1 GEMA-BV. Goldmann 298; Schunke 184 .
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der GEMA ausschließlich und weltweit zur Rechtsausübung übertragen.133 Bei dem Berechtigten selbst verbleibt kein einfaches Nutzungsrecht. Damit sollen die Werke für jedermann nutzbar gemacht werden. Die Rechte an zukünftigen Werken werden im Voraus an die GEMA abgetreten, so dass man nur bzgl all seiner Werke GEMA-Mitglied sein kann – ein Komponieren unter einem Pseudonym lässt diese Werke nicht zu GEMA freien Werken werden.134 Der GEMA-Komponist der ausschließlich eigene Werke auf CD aufnimmt oder diese aufführt135 bedarf damit ebenso einer GEMA-Lizenz, als wenn ein Künstler fremde Werke zur Aufführung bringt. Aufgrund der GEMA-Vermutung obliegt dem Verwender von musikalischen Werken der Nachweis, dass es sich bei der benutzten Komposition nicht um von der GEMA wahrgenommene Werke handelt, sondern um GEMA freie Werke.136 Die GEMA nimmt in Deutschland aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge und begünstigt durch die GEMA-Vermutung das Weltrepertoire der Musik, sofern sich keine abweichenden Anhaltspunkte ergeben, wahr.137 2. Die Grauzonen der GEMA-Wahrnehmung
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a) Klingeltonnutzung. Es besteht Streit darüber, wer in welchem Umfang für die Lizenzierung bei der Klingeltonnutzung zuständig ist. Als mögliche Lizenzpartner kommen die GEMA und die Urheber bzw die Verlage in Betracht.138 Derzeit gehen sowohl GEMA als auch Verlage von einem doppelten Lizenzierungsverfahren aus. Dem ist in zweifacher Hinsicht zu widersprechen. Zum einen wäre ein doppeltes Lizenzsystem rechtlich unzulässig 139 und zum anderen unterstützen die Regelungen des GEMA-Berechtigungsvertrages die derzeitige doppelte Lizenzierungspraxis.
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aa) § 1h GEMA-BV in der Version vom 25./26.6.2002. § 1h GEMA-BV 140 umfasst von seinem Wortlaut 141 in jedem Fall die Einräumung des Vervielfältigungsrechts nach § 16 UrhG, wie auch des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG. Strittig ist, inwiefern im Rahmen des GEMA-BV, in der Version vom 25./26.6.2002 das Bearbeitungsrecht nach § 23 UrhG und urheberpersönlichkeitsrechtliche Änderungsbefugnisse iSd §§ 14, 39 UrhG vom Berechtigten auf die GEMA übertragen wurden. Eine ausdrückliche Rechtseinräumung sieht § 1h GEMA-BV nicht vor, da lediglich die Nutzungsart „Ruftonmelodie“ und nicht die einzelnen Nutzungsrechte erwähnt werden.142 In Betracht käme von daher nur eine konkludente Rechtseinräumung an die 133
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Die Vertragslaufzeit beträgt drei Jahre und verlängert sich automatisch falls keine Kündigung erfolgt, vgl § 10 GEMA-BV iVm § 16 GEMA-BV. Homann 91. Dem Komponisten steht sofern 80 % der aufgeführten Werke Eigenkompositionen sind die Möglichkeit der Netto-Einzelverrechnung zu, welches sich bei der GEMAAusschüttung positiv bemerkbar macht. Homann 92. Ventroni/Poll MMR 2002, 648, 651. S dazu auch Rn 115 ff; ausf Schunke 219 ff. S dazu unten Rn 123 f. GEMA-BV vom 25./26.6.2002. Die Hereinnahme des letzten Absatzes erfolgte in der Mitgliederversammlung vom 25./26.6.2002 als Reaktion auf die Entschei-
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dung des OLG Hamburg CR 2002, 578 ff, dass die Handynutzung als unbekannte Nutzungsart iSd § 31 Abs 4 aF UrhG anerkannte. Die Klingeltonnutzung von Musikwerken war damit nach Auffassung des Gerichts nicht von der Rechtsübertragung der Berechtigten auf die GEMA im Rahmen des GEMA-BV mit umfasst; vgl Becker GEMA-Jahrbuch 90, 109. LG Hamburg ZUM 2005, 485, 487; LG Hamburg ZUM 2005, 483, 484; LG München I ZUM 2005, 920, 921; Hertin KUR 2004, 101, 108; Klees/Lange CR 2005, 684, 688; so wohl auch Becker FS Rehbinder 187, 188; Becker GEMA-Jahrbuch 90, 108; Castendyk ZUM 2005, 9, 17; Poll MMR 2004, 67, 72; Landfermann 136. Zu den Voraussetzungen der Auslegung von Wil-
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GEMA.143 Dies richtet sich nach den allgemeinen Regeln, insbesondere den §§ 157, 133 BGB.144 Daneben ist § 31 Abs 5 UrhG zu beachten.145 Man könnte den Parteiwillen nach §§ 133, 157 BGB dahingehend interpretieren, dass 65 das Bearbeitungsrecht und die betroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse bei dem Urheber verbleiben sollen, während das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung durch die GEMA lizenziert werden sollen. Das Ergebnis wäre ein doppeltes Lizenzierungssystem, wie es bis dato von der GEMA und den Verlagen praktiziert wird. In diesem Sinn verneinen die Rechtsprechung 146 und Teile der Literatur 147 eine konkludente Übertragung des Bearbeitungsrechts und urheberpersönlichkeitsrechtlicher Änderungsbefugnisse im Rahmen des § 1h GEMA-BV.148 Vorzuziehen ist jedoch der Ansatz, dass die Abrede über die Nutzungsart als umfäng- 66 liche Rechtseinräumung verstanden werden soll iSd § 31 Abs 5 S 2 UrhG iVm §§ 133, 157 BGB.149 Von einem quasi Monopolisten wie der GEMA ist zu erwarten, dass er die Rechte entweder ganz oder gar nicht wahrnehmen will.150 Dieses gilt auch für das Bearbeitungsrecht und die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse.151 Ansonsten würde die GEMA als Vertragspartner an Handlungsstärke verlieren und die GEMA Mitglieder würden sich Rechte herausnehmen, die aus nutzungsrechtlichen Erwägungen unbillig erscheinen. Über die Brücke der Urheberpersönlichkeitsrechte würde das nicht wünschenswerte Ergebnis des Vorenthaltens einzelner Massennutzungsarten erreicht. Damit wäre das Funktionsinteresse der GEMA erheblich gestört.152 Die GEMA müsste das Bearbeitungsrecht wegen § 6 WahrnG an die Nutzer einräu- 67 men. Aus § 4 des Informationsblatts der GEMA zu dem einschlägigen Tarif VR-OD 1 geht hervor, dass die GEMA das Bearbeitungsrecht nicht übertragen möchte. Die GEMA koppelt die Lizenzierung des Vervielfältigungsrechtes an eine zuvor eingeholte Einwilligung des Nutzers vom Urheber bzw Verlag. Die GEMA geht entgegen der tatsächlichen Rechtslage davon ausgeht, dass sie nicht befugt ist, Bearbeitungsrechte und urheberpersönlichkeitsrechtliche Änderungsbefugnisse Dritten zu übertragen.153 Damit verstößt die
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lenserklärungen vgl Palandt/Heinrichs § 133 BGB Rn 3. Landfermann 137; vgl zur Auslegung von Nutzungsverträgen Wandtke/Bullinger/ Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 133 ff. Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 9; vgl Palandt/Heinrichs § 133 BGB Rn 7–26. Vgl Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 70; Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 31 ff. LG Hamburg ZUM 2005, 485, 487; LG Hamburg ZUM 2005, 483, 484; LG München I ZUM 2005, 920, 921; OLG Hamburg ZUM 2006, 335; OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 441. Hertin KUR 2004, 101, 108; Klees/Lange CR 2005, 684, 688; Landfermann 136, 170; so wohl auch Becker FS Dietz 187, 188; Becker GEMA-Jahrbuch 90, 108; unklar insoweit Prill 86.
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Ausf dazu Schunke 220 ff. In diesem Sinn Castendyk ZUM 2005, 9, 17; Poll MMR 2004, 67, 72; Schunke 224. Dies anerkennend OLG Hamburg ZUM 2002, 480, 484. Zur Frage der Übertragbarkeit der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse vgl Schunke 143 ff. Ausf Schunke 224; aA OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 441 f. Nach Auffassung des LG München I ist die GEMA wegen § 11 Abs 1 WahrnG nicht berechtigt, die Lizenzierung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts unter die Bedingung des Nachweises einer Bearbeitungsgenehmigung stellen; vgl LG München I ZUM 2005, 920, 921. Eine solche Bedingung ergebe sich weder aus der Treupflicht der GEMA noch unter Treuegesichtspunkten des Mitgliedschaftsverhältnisses, da die GEMA nicht nur verbandsrechtlichen
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GEMA derzeit gegen ihre Wahrnehmungspflicht aus §§ 6, 11 WahrG, da die Auslegung des Berechtigungsvertrages zu einem gegenteiligen Ergebnis führt. Die Verlage können den Nutzern die notwendigen Bearbeitungsrechte demnach gar nicht einräumen. Die derzeitige Lizenzpraxis entspricht folglich nicht dem eigentlichen Rechtsverbleib.154
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bb) Ergänzung des GEMA-BV vom 29.6.2005. Der GEMA-BV wurde am 29.6.2005 ergänzt. Gem § 1k GEMA-BV überträgt der Berechtigte nicht der GEMA die Rechte zur Bearbeitung, Umgestaltung und/oder Kürzung eines Werkes der Tonkunst zur Verwendung als Ruftonmelodie. Die Befugnis des Berechtigten, die Einwilligung in die Verwendung solcher Werkfassungen im Einzelfall zu erteilen soll unberührt bleiben. Die Ergänzung ist zum 16.12.2005 wirksam geworden. Vor diesem Datum vorgenommene Rechtseinräumungen durch die GEMA richten sich ausschließlich nach dem Berechtigungsplan vom 25./26.6.2002.155 Die Neuformulierung des GEMA-Berechtigungsvertrages lässt bzgl des Parteiwillens 69 keine Zweifel offen, dass die GEMA die Bearbeitungsrechte im Zusammenhang mit der Klingeltonnutzung nicht wahrnehmen will. Es besteht damit ein Widerspruch im ausgedrückten Parteiwillen. Einerseits soll gem § 1h GEMA-BV die Nutzungsart „Klingeltonnutzung“ eingeräumt werden. Andererseits soll aufgrund der Regelung des § 1k GEMABV das erforderliche Bearbeitungsrecht nicht mit übertragen werden. Trotz der Änderung des GEMA-Berechtigungsvertrages ist die GEMA weiterhin 70 befugt das Bearbeitungsrecht zu lizenzieren. Zum einen wäre ein doppeltes Lizenzsystem unzulässig.156 Zum anderen wiegt die Abrede über die Nutzungsart schwerer, als ein Vorbehalt, das Bearbeitungsrecht und mögliche Urheberpersönlichkeitsrechte nicht einräumen zu wollen.157 Gem § 31 Abs 5 S 2 UrhG iVm §§ 133, 157 BGB ist der Vorbehalt rechtlich unbeachtlich.158 Hat sich der Komponist entschieden, einem Vertragspartner die Nutzungsart der Klingeltonnutzung einzuräumen, hat er notwendigerweise die Einwilligung zur Verwertung und Veröffentlichung einer bearbeiteten Version seiner Komposition gem §§ 133, 157 BGB erteilt.159
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b) Coverversion oder Bearbeitung? Bei jeder Einspielung eines Musikwerkes auf einen Tonträger muss sich der ausübende Künstler und der Plattenproduzent die Frage stellen, ob er die Rechte für die Aufnahme eines fremden Werkes ausschließlich bei der GEMA erwerben kann. In der Praxis gehen die meisten Produzenten davon aus, dass eine GEMA-Lizenz für den Fall ausreichend ist, sofern es sich um eine „Coverversion“ handelt. Zwei rechtliche Probleme sind in diesem Zusammenhang zu prüfen: Zum einen muss geklärt werden, was eine „Coverversion“ im rechtlichen Sinn bedeutet und zum
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Grundsätzen ihrer Mitglieder verpflichtet sei, sondern aufgrund ihrer faktischen und vom Gesetzgeber gewünschten Monopolstellung als Verwertungsgesellschaft auch der Allgemeinheit aller Nutzer; vgl LG München I ZUM 2005, 920, 922. Ausf Schunke 227. Vgl dazu die Ausführungen Rn 64. Schunke 230 ff; aA Kreile/Becker/Riesenhuber/ Staudt Kap 10 Rn 212; Landfermann 175 f; Prill 88; OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 444; LG München I ZUM 2005, 920, 922. Das Gericht sieht in der Formulierung lediglich eine Klarstellung der ohnehin schon geltenden Rechtslage; s ausf Rn 123.
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So Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61, 84. Zu überlegen wäre auch in § 1k GEMA-BV einen schuldrechtlichen Vorbehalt zu sehen. Dies ist aber mit der Funktionsweise einer Verwertungsgesellschaft nicht zu vereinbaren und verstieße gegen § 11 WahrnG; vgl Prill 88. Es stellt sich dann aber das Problem, dass die GEMA entgegen ihrer Verpflichtung aus § 11 WahrnG das Bearbeitungsrecht den Nutzern nicht einräumt und auch keinen entsprechend hohen Tarif verlangt; aA OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 444.
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anderen die Frage, wie weit die GEMA-Lizenz reicht, insbesondere, ob auch Bearbeitungen eines Werkes mit von der Lizenz umfasst sind. aa) Coverversion = Vervielfältigung? In der „Coverversion“-Entscheidung160 vertritt 72 der BGH die Auffassung, dass die Darbietung eines Liedes nur eine Vervielfältigung des Ursprungswerkes iSd § 16 UrhG und nicht zugleich eine Bearbeitung nach § 23 S 1 UrhG darstelle.161 In der „Alpensinfonie“-Entscheidung162 bestätigt der BGH indirekt diese Einschätzung, dass Werkinterpretationen bei „notengetreuer“ Aufführung keine Bearbeitung nach § 23 UrhG darstellen. Diese Auffassung wird von Teilen der Literatur geteilt.163 Der geistig-ästhetische Gesamteindruck sei bei Darbietungen von Musikwerken nicht verändert.164 Die Werkinterpretation sei keine urheberrechtlich relevante Änderung.165 Betrachtet man allein diesen Ansatz liegen die Abgrenzungsprobleme bereits auf der Hand. Wann liegt eine solche „notengetreue“ Einspielung vor und wann ist das zugrundeliegende Notenmaterial wirklich identisch mit der „Originalkomposition“ des Komponisten? Gerade in Genrebereichen wie der Pop oder Rockmusik, ganz zu schweigen von Jazzproduktionen, hilft diese Definition und Einordnung des BGH nicht weiter. Einziger Ausweg ist, dass man in der Interpretation des vom Komponisten vorgegebenen Materials regelmäßig eine Bearbeitung iSd § 23 UrhG sieht. Nur so lassen sich Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden.166 Die Begrifflichkeit „Interpretation“, sowie die Natur des Menschen bringen es not- 73 wendig mit sich, dass jede von Menschenhand gespielte Musiknote zwangsläufig eine Änderung des geistig-ästhetischen Gesamtausdrucks eines Musikwerkes ist.167 Die ausübenden Künstler prägen entscheidend den vom Hörer wahrgenommenen klanglichen Eindruck der Komposition. Durch seine Phrasierung, Dynamikauffassung, Anschlagsbzw Blastechnik gibt der ausübende Künstler dem Werk sein besonderes Gepräge.168 bb) Umfang der GEMA-Lizenz. Will die GEMA alleiniger Lizenzpartner bei Ein- 74 spielungen von Musikwerken auf Tonträgern sein, so muss sowohl das Vervielfältigungsrecht nach § 16 Abs 2 UrhG, als auch das Bearbeitungsrecht nach § 23 UrhG der GEMA im Rahmen des Berechtigungsvertrages durch die Berechtigten eingeräumt worden sein. Während das Vervielfältigungsrecht ausdrücklich von der Rechtseinräumung nach § 1h Abs 1 GEMA-BV umfasst ist, fehlt eine Erwähnung des Bearbeitungsrechts. Damit liegt zumindest keine ausdrückliche Einräumung eines Bearbeitungsrechts und 75 urheberpersönlichkeitsrechtlicher Änderungsbefugnisse durch den GEMA-BV bei Werkinterpretationen im Rahmen von Aufnahmen vor.169 Es liegt jedoch eine konkludente
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BGH GRUR 1998, 376 – Coverversion; nicht ganz eindeutig OLG Hamburg ZUM 2002, 480, 482. BGH GRUR 1998, 376, 378 – Coverversion. BGH GRUR 2006, 319, 321 – Alpensinfonie. Schulze ZUM 1993, 255, 256; Schricker/ Loewenheim § 23 UrhG Rn 6; Loewenheim/ Czychowski § 9 Rn 79; Schwartmann/Waldhausen 989 Rn 40 ff. Schulze ZUM 1993, 255, 256. Schmieder NJW 1990, 1945, 1947. Vgl Schunke 52 ff. Schmieder NJW 1990, 1945, 1947.
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Häuser 32; Fellerer 15; Tenschert ZUM 1987, 612, 618; wie sehr ausübende Künstler die Darbietung einer Komposition beeinflussen, zeigt sich besonders in der Stilrichtung des Jazz. Miles Davis beschreibt dies sehr treffend in seiner Autobiografie: “I had to change the way the band sounded again for Bill’s (Bill Evans, Jazzpianist) style by playing different tunes, softer ones at first. Bill played underneath the rhythm and I liked the way he played scales with the band.” Davis/Troupe 226. So auch Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 157.
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Kapitel 3 Musikrecht
2. Teil
Einräumung170 des Bearbeitungsrechts und der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse vor. Will ein Urheber das Bearbeitungsrecht nicht mit übertragen, obwohl die entsprechende Nutzungsart notwendigerweise ein solches mit umfasst, muss der Urheber einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt deutlich machen.171 Die Nutzungsart der Werkinterpretation beinhaltet eine Bearbeitung nach § 23 UrhG. In dem Berechtigungsvertrag ist kein ausdrücklicher Vorbehalt gegeben, so dass von der Einräumung des Bearbeitungsrechts an die GEMA auszugehen ist. Dies ergibt sich auch aus teleologischer Sicht. Sinn und Zweck der GEMA ist die umfassende Rechtswahrnehmung. Nur so kann ein reibungsloser weltweiter Umgang mit Musik und dessen Kontrolle garantiert werden. Dieses ist sowohl im Interesse des Urhebers, als auch der Verwertungsgesellschaft. Ansonsten würde bei jeder Live-Einspielung eines musikalischen Werkes die Unsicherheit herrschen, ob die aktuelle Interpretation zusätzlich einer Einwilligung des Berechtigten bedarf. Ein mit der Musikpraxis nicht zu vereinbarendes Ergebnis. Die Rechtsprechung 172 lässt kein einheitliches Bild bei der Frage erkennen, ob der 76 GEMA das Recht zukommen soll, das Bearbeitungsrecht nach § 23 S 1 UrhG und die Urheberpersönlichkeitsrechte nach § 14 UrhG wahrzunehmen. Der BGH geht in mehreren Entscheidungen zumindest inzident von einem Wahrnehmungsumfang der GEMA aus, der auch das Musikbearbeitungsrecht nach § 23 S 1 UrhG mit umfasst.173 Zumindest das OLG Hamburg 174 sieht über § 1h GEMA-BV die Möglichkeit der veränderten Einspielung durch den ausübenden Künstler gegeben, ohne dieses jedoch rechtlich näher zu begründen. Der Musikinterpret solle nicht gehindert sein, ein von der GEMA wahrgenommenes Musikwerk ganz anders – oder überhaupt nicht – arrangiert unter seinem Namen neu einzuspielen und zu nutzen, solange dies nicht eklatant werkentstellend sei. In der Literatur wird zum großen Teil die Möglichkeit der Wahrnehmung des Bearbeitungsrechts und urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse durch die GEMA zu Unrecht verneint.175 Das von den Berechtigten nach § 23 UrhG eingeräumte Bearbeitungsrecht müsste die 77 GEMA im Rahmen der Lizenzierung Dritten einräumen und dementsprechend die Tarife gestalten. Der Tarif VR-T-H 1 stellt die Grundlage für die Vergütungsberechnung bei Tonträgereinspielungen dar.176 Der Lizenzwert berechnet sich entweder aus dem Endverkaufspreis netto (Vergütungssatz 10 %) oder Händlerabgabepreis netto (Vergütungssatz 13, 75).177 Aus den Allgemeinen Bestimmungen zum Tarif VR-T-H 1 folgt nicht, dass die GEMA das Bearbeitungsrecht und die dadurch betroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbestimmungen mit einräumen möchte.
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Vgl Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 76. BGH GRUR 1984, 528, 529 – Bestellvertrag; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 76. Vgl BGH ZUM 2000, 234, 237 – Musical Gala; BGHZ 15, 249, 255 f – Cosima Wagner. Vgl BGH ZUM 2000, 234, 237 – Musical Gala; BGHZ 15, 249, 255 f – Cosima Wagner.
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OLG Hamburg ZUM 2002, 480, 482. Vgl Schwartmann/Waldenberger 3.24 Rn 41; Ventroni/Poll MMR 2002 648, 650; ausf dazu Schunke 191 ff. Vgl Information und Lizenzierung der GEMA zur Vervielfältigung von handelsüblichen Audio-Tonträgern, www.gema.de 3. Vgl Information und Lizenzierung der GEMA zur Vervielfältigung von handelsüblichen Audio-Tonträgern, www.gema.de 3.
Sebastian Schunke
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Musik im Medienzeitalter
Eine Nichteinräumung würde aber gegen §§ 6, 11 WahrnG verstoßen.178 Diese Nicht- 78 erwähnung ist wenig erfreulich und führt in der Praxis bei vielen Produzenten und ausübenden Künstlern zu erheblicher Rechtsunsicherheit, die von der GEMA klargestellt werden muss zugunsten der Wahrnehmung eines umfänglichen Bearbeitungsrechts.179 c) Filmmusik – rechtliche Widersprüche in der GEMA Wahrnehmung. Die derzeitigen 79 Regelungen zur Verwendung von Musik im Zusammenhang mit Filmwerken sind von dem Prinzip getragen, dass die betroffenen Nutzungsrechte durch verschiedene Personen, nämlich auf der einen Seite durch die GEMA und auf der anderen Seite durch die Verlage bzw die Urheber wahrgenommen werden können.180 Grund für die Zweigleisigkeit der Rechtseinräumung sollen vor allem wirtschaftliche und urheberpersönlichkeitsrechtliche Erwägungen der Verlage und Urheber sein.181 Eine ähnliche Problematik stellt sich bei Multimediaprodukten, bei denen Musik regelmäßig mit Bildmaterial verbunden wird.182 aa) Bedingte Rechtseinräumung gem § 1i Abs 1 GEMA-BV. Gem § 1i Abs 1 GEMA- 80 BV liegen die Rechte zur Benutzung eines Werkes zur Herstellung von Filmwerken bei der GEMA. Die Rechtseinräumung erfolgt nach § 1i Abs 1 S 2 GEMA-BV unter einer auflösenden Bedingung iSd § 158 Abs 2 BGB.183 Der Rechtsrückfall vollzieht sich durch eine auf einen konkreten Fall bezogene schriftliche Mitteilung des Berechtigten an die GEMA, dass er die Rechte im eigenen Namen selbst wahrnehmen möchte.184 Der Rückruf des Filmherstellungsrechts bildet in der Praxis den Regelfall, insbesondere, wenn Verlage die Rechte der Urheber wahrnehmen.185 Hat der Urheber oder Verlag von seinem Rückrufsrecht Gebrauch gemacht, muss der Verwender dem Verlag eine Gebühr für die Nutzung der Musik zur Herstellung des Films zahlen.186 Diese Gebühr ist frei verhandelbar. Die weiteren Nutzungsrechte, die bei der Verwendung des hergestellten Films betroffen sind, wie das Vervielfältigungs- und Senderecht, verbleiben bei der GEMA. Alle Verfügungen der GEMA die vor Ausübung des Rückrufsrechts getätigt werden, 81 sind gem § 161 BGB unwirksam, sofern sie die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln oder beeinträchtigen würde. Damit kann der Urheber unmittelbar und einzelfallbezogen auf die Rechtswirkung Einfluss nehmen.187 bb) Umfang der Rechtseinräumung nach § 1i Abs 1 GEMA-BV. § 1i Abs 1 GEMA- 82 BV spricht vom „Recht zur Benutzung eines Werkes zur Herstellung von Filmwerken“. Diese Vorschrift ist in Abgrenzung zu § 1h GEMA-BV zu verstehen, in der ohne an eine auflösende Bedingung gebunden zu sein, dass Recht der Aufnahme auf Ton- und Bildton178
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§ 11 WahrnG führt nicht zur Unwirksamkeit eines derartigen Vorbehalts, vgl Reinbothe 74 ff. Schunke 194 ff. Schulze GRUR 2001, 1084. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 259; Brandhorst 136, 137. Ventroni/Poll MMR 2002, 648, 649. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 259; vgl die Deutungsvarianten bei Schunke 201 ff. § 1i Abs 1 S 3 GEMA-BV. In der Praxis vergisst der Urheber/Verlag in vielen Fällen, dieser schriftlichen Mitteilungspflicht nachzukommen. Die daraus resultierende Nichtberechtigung des Urhebers, wird von der
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GEMA nach bekannt werden grundsätzlich bewilligt, was als Verfügungsermächtigung iSd § 185 Abs 2 BGB zu verstehen ist. Ventroni/Poll MMR 2002 648, 649; meistens haben die Komponisten bzgl ihrer Werke einen Verlagsvertrag abgeschlossen, in dem sie umfänglich alle Rechte an dem Werk dem Verlag einräumen. Komponist und Verlag wiederum sind Mitglieder der GEMA; vgl Schulze GRUR 2001, 1084. In den Verlagsverträgen lässt sich der Verleger die Ausübung dieses Rückrufsrechts grundsätzlich übertragen. Ob dieses allerdings zulässig ist, ist zweifelhaft. Schulze GRUR 2001, 1084. Vgl Palandt/Heinrichs § 161 BGB Rn 1.
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Kapitel 3 Musikrecht
2. Teil
träger sowie die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte an diesen Trägern der GEMA zur treuhänderischen Wahrnehmung eingeräumt werden. Das Filmherstellungsrecht 188 umschreibt eine Nutzungsart iSd §§ 31 ff UrhG.189 Die 83 Nutzungsart der Filmherstellung ist von der anschließenden Verwertung zu trennen.190 Die Frage nach dem Umfang der Einräumung von Nutzungsrechten im Rahmen von § 1i Abs 1 GEMA-BV hat sich nach den Grundsätzen der urheberrechtlichen Vertragsauslegung zu richten.191 Aufgrund der treuhänderischen Funktion der GEMA ist von einer umfangreichen ausschließlichen Rechtseinräumung von Nutzungsrechten auszugehen, sofern sich nichts Gegenteiliges aus dem Berechtigungsvertrag ergibt. Damit nimmt die GEMA für den Fall, dass das Rückrufsrecht nicht von dem Urheber bzw Verlag ausgeübt wird, neben dem Vervielfältigungsrecht des § 16 UrhG sowohl das Bearbeitungsrecht nach § 23 UrhG, als auch die dadurch betroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse umfänglich wahr. Die Einräumung an Dritte bestimmt sich bei der Filmherstellung mit Kinoauswertung nach dem Tarif VR-TH-F 1, während die Filmherstellung ohne Kinoauswertung gemäß des Tarifs VR-TH-F 2 lizenziert wird.192
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cc) Ausnahme für Fernsehproduktionen, § 1i Abs 3 GEMA-BV. Eine Ausnahme zu der auflösend bedingten Einräumung iSd § 1i Abs 1 GEMA-BV bildet § 1i Abs 3 GEMA-BV. Danach liegen die Filmherstellungsrechte ohne Vorbehalt bei der GEMA, sofern es sich um Eigen- oder Auftragsproduktionen von Fernsehanstalten handelt.193 Der Begriff der Fernsehproduktion umfasst dabei nicht nur Fernsehspielfilme, son85 dern den gesamten Bereich der filmischen Produktion im Fernsehen, also auch Fernsehshows und Nachrichtensendungen.194 Dadurch wird es der GEMA ermöglicht im Rahmen ihrer Pauschalverträge den Fernsehsendern das Recht zur Herstellung von Filmwerken einzuräumen. Hintergrund dieser Ausnahmeregelung ist die umfangreiche Musiknutzung bei fernseheigenen Produktionen, so dass eine Einzellizenzierung nur schwer möglich wäre.195
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dd) Abgrenzungsprobleme. Die Ausnahmeregelung des § 1i Abs 3 GEMA-BV bringt in der Praxis erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich.
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(1) Eigen-, Auftrags- und Koproduktion. Für die Lizenzierung des Filmherstellungsrechts ist es wegen der Differenzierung in § 1i Abs 3 GEMA-BV von weitreichender wirt188
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Das Filmherstellungsrecht wird auch oft als Synchronisationsrecht bezeichnet, vgl Brandhorst 136, 137. Wandtke/Bullinger/Manegold § 88 UrhG Rn 5. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 101. Lange umstritten war die Frage, ob bei der Videozweitauswertung eines Kinofilms erneut das Filmherstellungsrecht iSd § 1i GEMA-BV betroffen sei, welches zusätzlich nach Rückruf hätte erworben werden müssen. Es bedarf jedoch keiner gesonderten abspaltbaren Einräumung eines Nutzungsrechts. Vielmehr handelt es sich um eine Lizenzierung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts nach §§ 16, 17 UrhG durch die GEMA nach § 1h GEMA-BV; vgl BGH
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GRUR 1994, 41, 42 – Videozweitauwertung; Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 257. Etwas anderes ergibt sich, sofern es sich um eine Videoerstherstellung handelt, da insofern die unter § 31 ff UrhG fallende Nutzungsart der erstmaligen Verbindung von Film und Musik betroffen ist; Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 258. Vgl Brandhorst 136, 139. Eine Ausnahme von diesem Verfahren ist bei Bühnenaufführungen von dramatisch-musikalischen Werken gegeben; vgl Brandhorst 136, 138. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 263. Ventroni 62; Kreile/Becker/Riesenhuber/ Staudt Kap 10 Rn 263; Brandhorst 136, 138.
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schaftlicher und rechtlicher Bedeutung, wann eine Eigen- bzw Auftragsproduktion in Abgrenzung zur Koproduktion vorliegt. Der Begriff der Eigen-, Auftrags- und Koproduktion ist weder durch den Berechtigungsvertrag noch durch das UrhG definiert. Damit hängt die Unterscheidung allein von Wertungsgesichtspunkten ab, was zum einen zu erheblicher Rechtsunsicherheit auf Seiten der Sender und Verwerter führt. Auf der anderen Seite ist es nicht nachvollziehbar, wieso aufgrund kleiner Wertungsunterschiede plötzlich die Wahrnehmung von Bearbeitungsrechten und Urheberpersönlichkeitsrechten unproblematisch durch die GEMA erfolgen können soll. Eine Eigenproduktion liegt vor, wenn der Sender den Film selbst herstellt.196 Gerade 88 bei der vielschichtigen Filmproduktion und den unterschiedlich ausgestalteten Vertragsund Herstellungsmodellen ist damit der Rechtsunsicherheit Tür und Tor geöffnet. Die erste Hürde bildet schon die Frage des Bildmaterials. Liegt ein eigene Herstellung vor, wenn auf fremdes Bildmaterial zurückgegriffen wird?197 Zumindest liegt wohl keine Eigenproduktion iSd § 1i Abs 3 GEMA-BV vor, wenn es sich um einen Werbespot iSd § 1k GEMA-BV handelt, da ansonsten die Ausnahmevorschrift des § 1k GEMA-BV leer liefe.198 Auftragsproduktionen der Sender fallen wie die Eigenproduktion unbeschränkt in 89 den Wahrnehmungsbereich der GEMA. Nach dem OLG München199 liegt eine Auftragsproduktion bei Weisungsbindung und eine Koproduktion bei gleichberechtigter Partnerschaft vor, welche jedem Vertragspartner in seinem jeweiligen „natürlichen“ Interessengebiet die Federführung zubillige. Andere wiederum sprechen sich gegen ein inhaltliches Mitbestimmungsrecht bzw eine Weisungsbefugnis als Abgrenzungskriterium aus.200 Zum Teil wird angenommen, dass es unerheblich für das Vorliegen einer Auftragsproduktion im Sinne des GEMA-BV sei, ob der Auftragsproduzent Rechte als Filmhersteller iSd § 94 UrhG erlangt oder ob Dritte iSd § 1i Abs 3 S 2 GEMA-BV beteiligt sind, da eine Drittbeteiligung der Auftragsproduktion immanent sei.201 Die unterschiedlichen Definitionen veranschaulichen, dass eine verlässliche Abgrenzung der Koproduktion zur Auftragsproduktion nicht möglich ist und der Berechtigungsvertrag unbedingt im Sinne einer einheitlichen Lizenzierung durch die GEMA geändert werden muss. (2) Nutzung durch Dritte. Selbst bei Eigen- und Auftragsproduktionen ist die GEMA 90 nicht mehr zuständig, sofern Dritte an der Herstellung beteiligt sind oder wenn die Fernsehproduktionen von Dritten genutzt werden sollen. Insoweit bedarf es gem § 1i Abs 3 S 2 GEMA-BV der gesonderten Einwilligung des Berechtigten. Diese Ausnahme der Ausnahme hat ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Frage der 91 Lizenzierung des Filmherstellungsrechts. Der Berechtigungsvertrag sagt nichts darüber aus, wann es sich um Dritte im Sinne der Vorschrift handelt. Eine Nutzung durch „Dritte“ könnte bspw bereits bei der DVD-Produktion einer Fernsehsendung durch Videohersteller angenommen werden.202 Die Wirkung des Einwilligungsvorbehalts des § 1i Abs 3 GEMA-BV ist ebenfalls umstritten. Diesem könnte lediglich eine schuldrechtliche 203 196 197
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Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 264. Dafür Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 264; dagegen OLG München ZUM 1997, 275, 279. Vgl ausf OLG München ZUM 1997, 275, 278; trotz allem ist auch der Sinn und Zweck dieser Ausnahmevorschrift durchaus fragwürdig.
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OLG München ZUM 2003, 235, 237. Ventroni 224 ff, 232. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 265. So OLG München ZUM 2003, 235; vgl OLG Hamburg ZUM 1992, 303 ff. Dafür LG Hamburg ZUM-RD 1997, 256 ff; Poll ZUM 2003, 237, 238.
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oder eine dingliche Wirkung zwischen den Urhebern und der GEMA zukommen.204 Für eine schuldrechtliche Wirkung spricht der Kontrahierungszwang der GEMA, da § 11 Abs 1 WahrnG ansonsten umgangen würde.205 Fraglich ist daneben, ob sich der Vorbehalt der Einwilligung nur auf das urheberpersönlichkeitsrechtlich fundierte „Filmherstellungsrecht“ bezieht.206 Es zeigt sich, dass die schwer greifbare Ausnahmevorschrift für erhebliche Rechtsunsicherheit im Bereich der Fernsehproduktion sorgt. Die Regelung des § 1i Abs 3 S 2 GEMA-BV ist unter dem Gesichtspunkt des Kontrahierungszwanges und dem Funktionsinteresse der GEMA nicht haltbar.
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(3) Senderprivileg. Fernsehanstalten iSd § 1i Abs 3 GEMA-BV sollen nur inländische Sendeanstalten sein.207 Andere wiederum lassen auch ausländische Sendeanstalten unter das Senderprivileg des § 1i Abs 3 GEMA-BV fallen.208 Vom Wortlaut sind beide Deutungsalternativen zulässig. Würde § 1i Abs 3 GEMA-BV einen sinnvollen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts beinhalten, wäre es zu unterstützen, dass das Senderprivileg solchen Sendeanstalten vorzubehalten, die wegen § 41 Abs 1 RStV Urheberpersönlichkeitsrechte zu beachten haben. Da jedoch die Regelung des § 1i Abs 3 GEMA-BV ohnehin nicht geeignet ist, verlässliche Abgrenzungskriterien zu geben, erscheint eine Beschränkung des § 1i Abs 3 GEMA-BV auf inländische Sender 209 nicht gerechtfertigt.210
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(4) Abgrenzungsvereinbarung. Nicht vom Senderprivileg umfasst sind Bühnenaufführungen dramatisch-musikalischer Werke. Um für die Sendung von Teilen oder Ausschnitten aus Werken des „Großen Rechts“ den Zugriff auf das Filmherstellungsrecht zu erleichtern, wurde zwischen der GEMA und den Rundfunkanstalten die sog „Abgrenzungsvereinbarung“ getroffen.211 Betrachtet man die Regelung der Abgrenzungsvereinbarung, wird der Wahrnehmungsumfang der GEMA noch weiter verschleiert, da sich in der Abgrenzungsvereinbarung viele auslegungsbedürftige Begriffe befinden. So bestimmt die Abgrenzungsvereinbarung bspw, dass das szenische Geschehen des ganzen Werks nicht in seinen wesentlichen Zügen dargeboten werden darf oder das fernseheigene Choreographien konzertanter Werke gezeigt werden dürfen. Die Abgrenzungsvereinbarung nennt weder, was unter wesentlichen Zügen eines Werkes gemeint ist, noch wie der Begriff „fernseheigene Choreographie konzertanter Werke“ zu verstehen ist.
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d) Musik und Bühne – Großes oder Kleines Recht? Neben der Nutzung im Film, werden Musikwerke im Rahmen von Bühnenwerken genutzt.212 Durch die Inbezugnahme des musikalischen Werkes zu der auf der Bühne dargebotenen visuellen Begebenheit sind neben dem Recht aus § 19 Abs 2 UrhG regelmäßig das Bearbeitungsrecht nach § 23 UrhG und die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse iSd § 14 UrhG berührt.213 Es handelt sich bei der Benutzung eines Musikwerkes im Rahmen eines 204
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So OLG Hamburg, ZUM 1992, 303 ff – „Piccolo Bolero“; zum Ganzen Ventroni 243 ff. Poll ZUM 2003, 237, 238. Poll ZUM 2003, 237, 238. Moser Musik im Film 53, 75; Moser ZUM Sonderheft 1996, 1025, 1027. Ventroni 235. Gerade bei bestehenden und zu erwartenden Senderfusionen ist es ohnehin fraglich, was unter inländischen Sendern zu verstehen ist. Eine Unterscheidung ist auch nur schwer mit europäischem Recht zu vereinbaren.
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Brandhorst 136, 138; der Text der Abgrenzungsvereinbarung ist teilweise in dem GEMA-Jahrbuch abgedruckt. Bühnenwerke sind keine besondere Werkart, sondern entweder als dramatische Werke reine Sprachwerke iSd § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG (zB Schauspiele), choreografische Werke nach § 2 Abs 1 Nr 3 UrhG oder Werkverbindungen iSd § 9 UrhG, bei denen die verbundenen Werke verschiedenen Werkkategorien angehören; vgl Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 95. Schunke 76, 112.
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Bühnenwerkes um eine eigene Nutzungsart iSd § 31 UrhG.214 Werkaufführungen in der Privatsphäre berühren weder das Aufführungs- noch das Bearbeitungsrecht.215 In der Regel wird zwischen den wenig hilfreichen Begriffen „kleines und großes Recht“ unterschieden, wenn es um die Frage geht, ob die GEMA die Verwendung von Musik im Rahmen von Bühnenwerken lizenziert („kleines Recht“) oder der Urheber, bzw der Verlag selbst. Ausgangspunkt ist zunächst § 1a GEMA-BV. Nach § 1a GEMA-BV überträgt der 95 Berechtigte der GEMA das Recht der Aufführung an Werken der Tonkunst. Unter Aufführungsrecht iSd § 1a GEMA-BV ist nicht nur das Musikwerk ohne Text zu verstehen, sondern auch ein textiertes Musikwerk.216 Davon nicht umfasst ist das Recht zur „Neutextierung“ eines Musikwerkes.217 § 1a GEMA-BV schließt den Wahrnehmungsumfang für die bühnenmäßige Auffüh- 96 rung dramatisch musikalischer Werke in § 1a GEMA-BV aus. Dem Begriff der bühnenmäßigen Aufführung kommt dieselbe Bedeutung zu, wie dem der bühnenmäßigen Darstellung des § 19 Abs 2, 2. Var. UrhG.218 Danach liegt eine bühnenmäßige Aufführung jedenfalls in den Fällen vor, in denen das (Musik)-Werk durch ein für das Auge oder Ohr bewegtes Spiel im Raum dargeboten wird.219 Nach Auffassung des BGH220 liegt bei Eisrevuen, in denen die Musikstücke sowie die 97 gesungenen Schlagerlieder zur Begleitung von Eislaufdarbietungen gespielt werden, keine bühnenmäßige Aufführung der Musikwerke vor, sofern sich die allgemeine Handlungsführung der Operetten nicht erkennen lasse, sondern willkürlich zur Begleitung der Tänzer zusammengestellt wurden. Eine ähnliche Kostümierung der Tänzer reiche nicht aus.221 In diesen Fällen wäre damit die GEMA für die Lizenzierung zuständig. In der Entscheidung „Musical Gala“ vertritt der BGH222 die Auffassung, dass sich aus § 1a Abs 1 GEMA-BV kein gänzlicher Ausschluss des bühnenmäßigen Aufführungsrechtes iSd § 19 Abs 2 UrhG schließen lässt: „Gerade Musikwerke können in Bühnenaufführungen in verschiedenster Weise so integriert werden, dass sie bei diesen Aufführungen auch selbst als bühnenmäßig aufgeführt anzusehen sind, ohne selbst als dramatisch-musikalische Werke angelegt zu sein.“223 Eine Rechtswahrnehmung durch die GEMA sei in diesen Fällen zu bejahen.224 Der BGH hatte in dem Fall „Musical Gala“ über die Frage zu entscheiden, ob ein Schlager als integrierender Bestandteil einer Bühnenaufführung wiedergegeben wurde. Obwohl dieser Schlager bühnenmäßig aufgeführt wurde, handelte es sich nach Auffassung des BGH nicht um ein dramatisch-musikalisches Werk, da der Schlager nicht geeignet sei „in Szene gesetzt zu werden“, da er kein geschlossenes, dramatisch angelegtes Geschehen vermittele.225 214 215 216 217 218
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Schunke 138. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 49. Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 1. Staats 89 ff. So auch BGH ZUM 2000, 234, 237 – Musical-Gala; OLG Braunschweig ZUM 1989, 134 ff – Die Ideal-Operette. BGH ZUM 2000, 234, 237 – Musical-Gala; BGH GRUR 1960, 604, 605 – Eisrevue I; Wandtke/Bullinger/Ehrhardt § 19 UrhG Rn 16. BGH GRUR 1960, 604, 605 – Eisrevue I. BGH GRUR 1960, 604, 605 – Eisrevue I;
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223 224
225
ebenso von Have/Eickmeier ZUM 1995, 321, 322. BGH ZUM 2000, 234, 236 – Musical-Gala, auch abgedruckt in BGH GRUR 2000, 228 – Musical Gala. BGH ZUM 2000, 234, 236 – Musical-Gala. BGH ZUM 2000, 234, 237 – Musical-Gala; eine andere Auffassung vertrat der BGH noch in BGH GRUR 1962, 256, 257 – Im weißen Rößl; ebenso LG Hamburg ZUM 1996, 980, 981. BGH GRUR 2000, 228, 230 – MusicalGala; dem zust Becker/Kreile/Riesenhuber/ Staudt Kap 10 Rn 62, 63; vgl zum Ganzen Schunke 209 ff.
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Das Unterscheidungskriterium der objektiven Eignung des in Szene gesetzt werdens ist ungeeignet. Die Vorgänge sollten aus urheberpersönlichkeitsrechtlichen Schutzgesichtspunkten aus dem Wahrnehmungsumfang der GEMA herausgenommen werden.226 Bei dem Aneinanderreihen verschiedener Musikwerke, wird im Zusammenhang mit einer Aufführung eine Verbindung zu anderen Komponisten, wie auch zu dem szenischen Geschehen hergestellt, die Einfluss auf den geistig-ästhetischen Ausdruck des Musikwerks hat. Dadurch erfolgt regelmäßig eine Zweckentfremdung, die einen Eingriff in das Bearbeitungsrecht und das Urheberpersönlichkeitsrecht mit sich bringt. Dies erfolg unabhängig von der Frage, ob eine objektive Eignung zur in Szene Setzung gegeben ist. Der Ausschluss der GEMA-Wahrnehmung bezieht sich gem § 1a GEMA-BV auf büh99 nenmäßige Aufführungen dramatisch-musikalischer Werke, sei es vollständig, als Querschnitt oder in größeren Teilen. Der GEMA-BV gibt keine eindeutige Definition der Begriffe „vollständig, als Querschnitt oder in größeren Teilen“, was die Grauzone des Wahrnehmungsumfangs der GEMA vergrößert. Mangels einer genauen Definition bleibt es augenscheinlich im Dunklen, in welchen Fällen der Verbindung von Musik mit szenischer Kunst die Wahrnehmungsbefugnis der GEMA eingreift oder individuell von den Urhebern bzw. Verlagen vorgenommen wird.227 Zur Abgrenzung von kleinen dem Wahrnehmungsumfang der GEMA zuzurechnen100 den Bereichen und großen Werkteilen schließt die GEMA Abgrenzungsvereinbarungen mit den Rundfunk- und Sendeanstalten ab.228 Diesen Abgrenzungsvereinbarungen können aber nur Indizwirkungen zukommen, da grundsätzlich auf die ursprüngliche Rechtseinräumung zwischen Urhebern und GEMA abzustellen ist, um zu prüfen, welche Rechte die GEMA Dritten gegenüber und damit auch gegenüber Sendeanstalten wahrnehmen kann.229 Zum Teil wird argumentiert, dass der Wortlaut dafür spräche, dass die GEMA die 101 Rechte an kleineren Teilen von dramatisch-musikalischen Werken wahrnimmt.230 Dies ergäbe sich aus § 31 Abs 5 UrhG, da eine Kontrolle durch den Einzelnen nur schwer möglich sei. Die dabei betroffenen Urheberpersönlichkeitsrechte würden bei einer identischen Teilwerknutzung die Wahrnehmung durch die GEMA nicht hindern.231 Fazit ist in jedem Fall, dass aufgrund der vielen nicht genau definierten Begrifflichkeiten im Rahmen der Ausschlussklausel der Wahrnehmungsumfang der GEMA nicht eindeutig ist und gerade unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Urheberpersönlichkeitsrechts des Urhebers diese Ausschlussklausel nicht überzeugt. Diese Unsicherheit in der Abgrenzung der Wahrnehmungskompetenzen von GEMA und Verlag wird durch die Regel des § 1a Abs 2 GEMA-BV noch verstärkt.232
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e) Musik im Rahmen von großen Sport- und Politikveranstaltungen oder als Hintergrundmusik. Die Nutzung von Musik als Hintergrund in Telefonwarteschleifen oder bei Großveranstaltungen wird im Unterschied zur Nutzung als Werbung im GEMA-BV nicht gesondert geregelt. Diese Ungleichbehandlung ist aus rechtlicher Sicht nicht nachvoll226 227 228 229
Schunke 212. Vgl Russ ZUM 1995, 32, 33. OLG Hamburg GRUR 1991, 599, 600 – „Rundfunkwerbung“. OLG Hamburg GRUR 1991, 599, 600 – „Rundfunkwerbung“ zur Frage, ob Abgrenzungsvereinbarung der GEMA mit Dritten bei der Vertragsauslegung mit herangezogen werden können.
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Staats ZUM 2005, 789, 791 in Bezug auf das Chorstück „O Fortuna“ aus der szenischen Kantate „Carmina Burana“. Staats ZUM 2005, 789, 791; Russ ZUM 1995, 32, 33. Vgl dazu Schunke 214 ff.
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Musik im Medienzeitalter
ziehbar. Die Nutzungshandlungen fallen demnach unter die allgemeinen Vorschriften des § 1a, b, h GEMA-BV je nachdem, ob die Musik im Rahmen der Nutzung Live gespielt, gesendet oder aber vom Tonträger abgespielt wird.233 Das Bearbeitungsrecht wird in beiden Vorschriften nicht explizit bei der Einräumung genannt. Um eine wirksame Rechtseinräumung zu erreichen, ist gem §§ 133, 157 BGB iVm § 31 Abs 5 UrhG von einer umfangreichen Rechtseinräumung an die GEMA auszugehen.234 Bei der Benutzung von Tonträgereinspielungen in Telefonwarteschleifen gilt der Tarif 103 W-T 2.235 Aus den allgemeinen Bestimmungen folgt, dass die GEMA die Rechte überträgt, die ihr zustehen und damit auch die im Rahmen der Verwendung in einer Telefonwarteschleife betroffenen Nutzungsrechte einschließlich der Bearbeitungsrechte und urheberpersönlichkeitsrechtlicher Änderungsbefugnisse. Zweifelhaft ist aber, ob die Tarifhöhe tatsächlich diesen Tatumstand mit berücksichtigt. Wird Musik als Hintergrund in Veranstaltungsräumen eingesetzt, gilt der allgemeine 104 Vergütungssatz des Tarif M-U. Bei bestimmten Veranstaltungen gelten besondere Vergütungssätze des Tarif M-U.236 Wie bei dem Tarif W-T erfolgt keine explizite Auseinandersetzung zur Frage der Einräumung des Bearbeitungsrechts und der damit verbundenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse. Wegen des Grundgedankens der umfänglichen Rechtseinräumung an die GEMA, folgt aber aus § 31 Abs 5 UrhG, dass bei der Verwendung von Musik als Hintergrund, bei Großveranstaltungen oder bei Telefonwarteschleifen alle notwendigen Nutzungsrechte einschließlich des Bearbeitungsrechts umfänglich durch die GEMA eingeräumt werden. f) Musik und Werbung. Die Nutzung von Musikwerken innerhalb der Werbung wird 105 in § 1k GEMA-BV erwähnt. Gem § 1k bleibt die Befugnis des Berechtigten, die Einwilligung zur Benutzung eines Werkes zur Herstellung von Werbespots der Werbung betreibenden Wirtschaft zu erteilen, unberührt. Bei der Nutzung eines Musikwerkes zur Herstellung von Werbespots handelt es sich um eine eigenständige Nutzungsart iSd § 31 Abs 5 UrhG, so dass eine gesonderte Regelung und eine Herausnahme aus dem Anwendungsbereich des Berechtigungsvertrages grundsätzlich zulässig ist.237 Grund für die gesonderte Behandlung der Benutzung von Werken der Musik zur Herstellung von Werbespots sollen Urheberpersönlichkeitsrechte des Komponisten und wirtschaftliche Interessen der Berechtigten sein.238 Die Herausnahme bezieht sich aber nur auf die Einwilligung der Verwendung der Musik zu Werbezwecken und damit der bearbeitungsrechtlichen und urheberpersönlichkeitsrechtlichen Komponente der Nutzungsart.239 Die sonstigen betroffenen Nutzungsrechte wie das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG, sofern der Werbespot im Internet dargeboten wird, sollen bei der GEMA verbleiben. Die Folge ist ein doppeltes Lizenzierungssystem. Die Begründung der Notwendigkeit einer gesonderten Einwilligung bei der Nutzung 106 von Musik zu Werbezwecken aufgrund der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen ist nicht stichhaltig, da die GEMA befugt ist urheberpersönlichkeitsrechtliche Änderungsbefugnisse wahrzunehmen und dieses bereits bei anderen Nutzungsarten durch-
233 234 235 236 237
Vgl Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 80. S Rn 58 ff. Abrufbar unter www.gema.de; vgl Kreile/ Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 80. Abrufbar unter www.gema.de. OLG München ZUM 2007, 60, 61; OLG
238
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Hamburg ZUM 1991, 90 – The Pink Panther Theme. Vgl OLG München ZUM 2007, 60, 64; Kreile/Becker/Riesenhuber/Staudt Kap 10 Rn 282. So auch OLG München ZUM 2007, 60, 63.
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2. Teil
führt.240 Die Zulässigkeit des doppelten Lizenzierungssystems ist zweifelhaft.241 Daneben stellen sich wie bei jeder Ausnahmeregelung Grenzfragen, die zu Rechtsunsicherheiten bei der Rechtseinräumung zwischen Verlagen und GEMA führen und letztendlich auf Kosten der Urheber und Nutzer gehen: Das OLG München242 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem das Chorstück „O 107 Fortuna“ für einen Filmtrailer im Fernsehen verwendet wurde. Die Musik erklingt nur in dem Trailer, nicht jedoch in dem beworbenen Film. Das OLG vertrat die Ansicht, dass es sich nicht um einen Fall des § 1i Abs 3 GEMA-BV handelte, sondern § 1k GEMA-BV einschlägig sei und damit eine gesonderte Einwilligung des Urhebers erforderlich gewesen wäre.243 Hier zeigen sich die Abgrenzungsschwierigkeiten zweier Ausnahmevorschriften des GEMA-BV. § 1k GEMA-BV soll das Urheberpersönlichkeitsrecht schützen. Dieses soll nun aber gerade durch die Fernsehanstalten gewährleistet werden, so dass es gem § 1i Abs 3 GEMA-BV keiner gesonderten Einwilligung der Urheber bedarf.244 Warum nun ausgerechnet bei einem Musikwerk im Rahmen eines Trailers die Fernsehanstalten die Wahrung urheberpersönlichkeitsrechtliche Befugnisse nicht genauso gewährleisten können wie bei Spielfilmen, vermag nicht einzuleuchten.245 Hält man sich aber an den Wortlaut von § 1k GEMA-BV, so ist die Auslegung des 108 OLG München nicht fernliegend, da man einen „Trailer“ in der Tat unter den Begriff „Werbespot“ subsumieren kann.246 Dieser Zuordnung ist aber aus teleologischer Sicht mit Bedenken zu begegnen, da der Rechtswahrnehmung über § 1i Abs 3 GEMA-BV zur Genüge Rechnung getragen wird. Verfolgt man die Argumentation der Rechtsprechung konsequent, würde daraus folgen, dass bei allen Filmtrailern eine gesonderte Einwilligung des Urhebers erforderlich ist. Dieses kann durch die Fernsehanstalten nur schwer durchgeführt werden.247
V. Die GVL im medialen Zeitalter 1. Wesen und Funktion
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Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL) nimmt die Rechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller wahr. Zur Übertragung der Nutzungsrechte schließen die Berechtigten mit der GVL einen Wahrnehmungsvertrag ab.248 Im Gegensatz zum Berechtigungsvertrag der GEMA ist die Rechtseinräumung der GVL beschränkt. Zur Beschreibung des Umfangs der Rechtswahrnehmung wird überwiegend darauf hingewiesen, dass die GVL nicht die Erstverwertungsrechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller wahrnimmt.249 Insofern sind die Berechtigten von der Verwertungsgesellschaft unabhängig, ihnen stehen selbständig die Ausschließlichkeitsrechte zu. Erst- und Zweitverwertungsrechte sind jedoch keine feststehenden Rechtsbegriffe und führen deshalb oft zu Verwirrung.
240 241 242 243 244 245
Schunke 230 ff. S Rn 123 ff. OLG München NJW 1998, 1413. OLG München NJW 1998, 1413, 1414. Schunke 205 ff; s Rn 84 ff. Schunke 216 ff.
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246 247 248 249
Vgl ausf zur Subsumtion unter § 1k OLG München NJW 1998, 1413, 1414 ff. Schunke 218. S dazu Rn 35. Moser/Scheuermann/Dünnwald/Gerlach 708, 709.
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Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters
2. Der Wahrnehmungsvertrag der GVL – Tätigkeitsfeld der GVL Der Künstler überträgt der GVL das Recht aus § 77 Abs 1 UrhG, dh das Recht seine 110 Darbietung auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen. Ebenso überträgt er das Recht seine Darbietung öffentlich zugänglich zu machen (§ 78 Abs 1 Nr 1 iVm § 19a UrhG), seine Darbietung zu senden (§ 78 Abs 1 Nr 2 UrhG), seine Darbietung außerhalb des Raumes, in dem sie stattfindet, durch Bildschirm, Lautsprecher oder ähnliche technische Einrichtungen öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 78 Abs 1 Nr 3 UrhG). Diese im Allgemeinen als Erstverwertungsrecht bezeichnete Befugnis kann der ausübende Künstler daneben selbständig ausüben und tut dieses im Regelfall auch. Für den Bereich der Zweit- und Drittverwertung stellt das Urheberrechtsgesetz den 111 Künstlern und Tonträgerherstellern keine Verbotsrechte sondern einen Anspruch auf angemessene Vergütung zur Verfügung.250 Diese Vergütungsansprüche werden von der GVL treuhänderisch wahrgenommen. Darunter fällt vor allem der Vergütungsanspruch für das Recht seine erlaubterweise auf einen Tonträger aufgenommene Darbietung zu senden (§ 78 Abs 1 UrhG iVm § 78 Abs 2 Nr 1 UrhG – Tonträgersendung; vgl Abs 1 Nr 2a) des Wahrnehmungsvertrages), das Recht die Darbietung mittels Bild- oder Tonträger öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 78 Abs 2 Nr 2 UrhG; Abs 2 Nr 2b Wahrnehmungsvertrag) und das Recht die Sendung oder die auf öffentlicher Zugänglichmachung beruhende Wiedergabe der Darbietung öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 78 Abs 2 Nr 3 UrhG; Abs 2 Nr 2c Wahrnehmungsvertrag). Bei der Tonträgersendung wird von den Fernsehanstalten ein prozentualer Anteil an den Rundfunkgebühren und Werbeeinnahmen direkt an die GVL bezahlt.251 3. Das Verteilungsprinzip Die Bemessungsgrundlage für die Ausschüttungen des Künstlers, ist der Verdienst aus 112 den Einnahmen aus der Erstverwertung seiner Rechte. Dieses führt zu einer erheblichen Schieflage in der Verteilungsgerechtigkeit und ist mit dem Prinzip der angemessenen Vergütung des § 11 UrhG und § 32 UrhG, wie auch der Eigentumsgarantie aus Art 14 GG nicht zu vereinbaren. Es ist nicht ersichtlich, wieso sich der Wert der Zweitverwertung eines Werkes nach den Verhandlungsfähigkeiten des Künstlers oder dessen Managements bei der Tonträgereinspielung richten soll. Gerade bei Platten in Nischenbereichen wie dem Jazz, die oft über Jahre hinweg im Radio gespielt werden, führt diese Verteilung zu nicht hinnehmbaren Einschnitten in die Eigentumsgarantie des Art 14 GG. Die Verteilungsansprüche für Tonträgerhersteller berechnen sich nach Sendeminuten. Die Funkanstalten listen alle gespielten Platten auf.
§2 Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters Nach allgemeiner Auffassung liegt ein Musikwerk iSd § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG vor, 113 sofern Töne als Ausdrucksmittel benutzt werden, wobei es unerheblich ist, auf welche Weise der Ton erzeugt wird.252 Diese Definition greift zu kurz. Geräusche oder Klänge, 250 251
Moser/Scheuermann/Dünnwald/Gerlach 708, 710. Moser/Scheuermann/Dünnwald/Gerlach 708, 710.
252
Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 118; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 68; Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 134.
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sei es elektronischer oder natürlicher Art müssen auch als Gestaltungsmittel eines Musikwerkes iSd § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG zugelassen werden.253 Ein Musikwerk im Sinne des UrhG muss dem Merkmal der persönlich geistigen Schöpfung nach § 2 Abs 2 UrhG genügen. Das Verwenden von technischen Hilfsmitteln wie Computern, Programmen, Synthesizern oder Effektgeräten schließt die Zurechnung eines Werkes zu der menschlich gestalterischen Tätigkeit eines Urhebers nicht aus.254 Einer Festlegung des Werkes in Notenform bedarf es nicht, so dass auch improvisierte Musik in den Schutzbereich des UrhG fällt.255
I. Jingles und Erkennungsmelodien – Abkehr vom Prinzip der kleinen Münze 114
Zunehmend von Bedeutung im Gebrauch von Musik sind Werbejingles und Erkennungsmelodien. Die Firmen benutzen die psychologische Komponente der Musik, um den Wiedererkennungseffekt für ein Produkt zu steigern. Typische Beispiele wären Melodien für die „Merci“-Werbung, die Tagesschau oder den Sat1 Sender. Gemeint sind Jingles und Erkennungsmelodien, deren Kürze und einfache musikalische Struktur, so dass regelmäßig die Frage nach der Urheberrechtsschutzfähigkeit eines solchen musikalischen Elementes aufkommt. Voraussetzung einer persönlich geistigen Schöpfung nach § 2 Abs 2 UrhG ist unter anderem die ausreichende Individualität.256 Durch das Merkmal der Individualität bzw der schöpferischen Eigentümlichkeit unterscheidet sich das urheberrechtlich geschützte Werk von der nicht geschützten Masse des Alltäglichen, des Banalen bzw der sich im üblichen Rahmen haltenden Erzeugnisse.257 Die Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit eines Musikwerkes wird durch das durch die Rechtsprechung entwickelte Prinzip der kleinen Münze entscheidend beeinflusst.258 Danach werden keine zu hohen Anforderungen an die schöpferische Eigentümlichkeit iSd § 2 Abs 2 UrhG gestellt, so dass einfache geistige Leistungen in den Schutzbereich des Urheberrechts fallen können.259 Wendet man die Grundsätze der Rechtsprechung auf Jingles und Erkennungsmelodien an, wäre in den überwiegenden Fällen eine schützensfähige Zuordnung unter § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG iVm § 2 Abs 2 UrhG zu bejahen. Dem ist jedoch entschieden zu widersprechen. Gerade kurze Jingles und einfache Erkennungsmelodien sollten aus dem Schutzbereich des § 2 Abs 2 UrhG herausgenommen werden und eher einen Schutz durch das Markenrecht oder das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller erfahren. Die Rechtsprechung selbst hat das Prinzip der kleinen Münze eingeschränkt, lässt aber kein einheitliches Bild erkennen.260 Ähnliche Sachverhalte werden von verschiedenen Gerichten unterschiedlich behandelt – so dass sich keine verlässliche Auskunft geben lässt, ob nach derzeitiger Rechtslage einfache Melodien und Jingles Schutz
253 254 255 256
257 258
Schunke 32; Brauner 19; Hanser-Strecker 43; Schack Rn 185; Weisthanner 37. Schunke 33; Stroh 16, Boddien 43. Schwartmann/Kuck 737, Rn 70. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 23; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 21, 23; Pendzich 149; Riekert 51. Boddien 46. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 121.
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259
260
BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bißchen Frieden; BGH GRUR 1988, 810, 811 – Fantasy; BGH UFITA 51 (1968) 295, 315 – Haselnuß; BGH GRUR 1991, 533 – „Brown Girl II“; OLG München ZUM 1989, 309; OLG München ZUM 1992, 202, 203. Vgl BGH GRUR 1991, 533 – Brown Girl II; OLG München ZUM 2002, 306, 308; LG München I ZUM 2003, 245, 246 f.
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§2
Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters
nach § 2 Abs 2 UrhG genießen.261 Allein diese Rechtsunsicherheit gebietet schon eine Abschaffung des Prinzips der kleinen Münze.262
II. Klingeltöne – Unzulässigkeit des doppelten Lizenzsystems 1. Einleitung Besondere Aufmerksamkeit genießt in Rechtsprechung 263 und Literatur 264 die Klin- 115 geltonnutzung von Werken der Musik. Bei der Klingeltonnutzung handelt es sich um eine eigenständige Nutzungsart iSd § 31 UrhG.265 Das Anbieten von Klingeltönen beschert der Musikbranche nennenswerte Erträge in Milliardenhöhe.266 Bis 2009 werden Steigerungsraten von 37 % jährlich auf € 720,– Mio allein in Deutschland prognostiziert.267 Entsprechend wird um die Verteilung der Einnahmen gekämpft. An dem Verteilungskampf beteiligt sind die GEMA, die Musikverlage, die Klingeltonanbieter und die Urheber.268 Die Nutzer von Klingeltönen sollen Gebühren an die GEMA abführen. Zugleich wird eine gesonderte Lizenz von den jeweiligen Urhebern bzw den Verlagen erhoben.269 Die Vergütung bei der GEMA beträgt 15 % der Vergütungsgrundlage, dazu kommt noch ein entsprechend hoher frei verhandelbarer Satz durch die Musikverleger, so dass die Gesamtlizenz bei ca 30 % des Verkaufspreises liegt.270 Unter Klingeltönen sind Imitationen oder Ausschnitte von Musikwerken insbesondere 116 der Popmusik zu verstehen, die sich der Endnutzer auf sein Mobiltelefon herunterladen kann und die ertönen, wenn der Endnutzer auf seinem „Handy“ angerufen wird.271 Man unterschiedet zwischen der Real- und Mastertonnutzung 272 und polyphone bzw monophone Klingeltonnutzung.273 Neben Unternehmen, die sich auf mobile Informationsund Entertainmentdienste spezialisiert haben,274 bieten auch Mobilfunkanbieter Handyklingeltöne an. Die Musikbranche selbst oder TV-Sender im Rahmen von Musiksendungen 275 haben diesen Markt in jüngster Zeit für sich entdeckt.276 So werden Handyklingeltöne der Musikunternehmen massiv im Rahmen der Musikkanäle Viva und MTV
261
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265
Vgl OLG München ZUM 1989, 309 das die Schutzfähigkeit eines Schlagerrefrains bejaht, während OLG Hamburg ZUM 1991, 590, 591 einen Schutz einer vergleichbaren musikalischen Passage nach § 2 UrhG versagt. Ausf insoweit Schunke 38 ff. LG Hamburg ZUM 2005, 485; LG Hamburg ZUM 2005, 483; OLG Hamburg ZUM 2006, 335; OLG Hamburg ZUM 2008, 438. Landfermann 1, 165 ff; Schricker/Dietz § 14 UrhG Rn 11a, 11c; Schunke 19 ff, 79 ff, 219 ff; Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 14 UrhG Rn 54; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 136a; Poll MMR 2004, 67 ff; Hertin KUR 2004, 101 ff; von Einem ZUM 2005, 540 ff; Castendyk ZUM 2005, 9 ff; Poll ZUM 2006, 379 ff. So auch OLG Hamburg ZUM 2002, 480,
266 267 268 269
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481; vgl zum Begriff des Nutzungsrechts Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 17 ff. Klees CR 2005, 626 f; Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61. Mankowski GRUR 2007, 1013. Zur GEMA-Problematik s oben Rn 63 ff. Von Einem ZUM 2005, 540; Hertin KUR 2004, 101, 107; Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61. Vgl zur GEMA-Problematik Rn 63; sowie Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61; Hertin KUR 2004, 101, 107; Schunke 19 ff. Von Einem ZUM 2005, 540. Klees CR 2005, 626, 627. Ausf Schunke 82 ff; Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61 ff. Jamba! GmbH oder ZED Germany GmbH. ZB RTL bei dem Fernsehformat „Deutschland sucht den Superstar“. Klees CR 2005, 626, 627.
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beworben.277 Klingeltonwerbung macht inzwischen den Löwenanteil der Werbung auf Musiksendern im Fernsehen und in Jugendzeitschriften aus.278 Die Zulässigkeit von Klingeltonwerbung steht auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand. Der BGH hat sich erstmals mit der Klingeltonwerbung auseinandergesetzt.279 Die vom BGH konkret zu beurteilende Fallgestaltung, der unzulässigen Werbung mit Minutenpreisen ist heute vom Markt verschwunden und wird durch fixe Downloadpreise ersetzt. Aber auch insofern bestehen Fragen zur Zulässigkeit.280 2. Betroffene Rechte
117
Bei der Herstellung des Klingeltons werden Audio-Dateien mit dem Werkausschnitt auf einem Datenträger gespeichert. Dieser Herstellungsvorgang ist eine Vervielfältigung des Originalwerkes iSd § 16 UrhG 281, selbst wenn es sich wie bei monophonen oder polyphonen Klingeltönen um eine erstmalige Einspielung des Werkes handelt. Anschließend wird dieses schützenswerte Werkelement auf einem anderen Medium, nämlich sowohl auf dem Server des Anbieters als auch nach der Übermittlung auf dem Datenspeicher des Mobiltelefons des Nutzers festgelegt. Bei beiden Vorgängen handelt es sich um eine Nutzung, die das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG betrifft.282 Eine andere Beurteilung kann sich ergeben, wenn der Nutzer selbst den Handyklingelton herstellt oder auf sein Handy überspielt.283 Das Angebot von Klingeltönen zum Download über das Internet berührt das Recht 118 des öffentlichen Zugänglichmachens nach § 19a UrhG.284 Im Falle eines Vertriebs von Handyklingeltönen auf CD-ROM wird das Verbreitungsrecht iSd § 17 UrhG tangiert.285 Durch das Ertönen des Klingeltones im Moment des Anrufs könnte gleichzeitig das 119 Aufführungsrecht nach § 19 Abs 2 UrhG bzw das Recht der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger nach § 21 UrhG betroffen sein, sofern es sich um eine öffentliche Tonwiedergabe handelt. Nach § 15 Abs 3 UrhG ist eine Wiedergabe öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist.286 Entscheidende Bedeutung kommt damit der Frage zu, ob die Wiedergabe für die Öffentlichkeit bestimmt war.287 Ergibt sich die Wiedergabe nur zufällig, so ist die Wiedergabe nicht öffentlich.288 Wird eine vollständige Version eines Originalwerkes als Handyklingelton verwendet, 120 in dem der Master lediglich digital kopiert wird, scheidet eine Bearbeitung iSd § 23 S 1 UrhG oder eine Beeinträchtigung iSd § 14 UrhG aufgrund einer Kürzung aus. Sowohl § 23 UrhG als auch § 14 UrhG sind aber aufgrund der Verwendung Musikwerkes in 277 278 279
280 281 282
283
Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61, 64 f. Mankowski GRUR 2007, 1013. BGH GRUR 2006, 775 – Werbung für Klingeltöne; ausf dazu Mankowski GRUR 2007, 1013 ff. Vgl dazu Mankowski GRUR 2007, 1013, 1014 ff. Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61, 65; Landfermann 87. Wobei auch der Downloadvorgang in der Regel nicht durch § 53 Abs 1 S 1 UrhG gerechtfertigt sein wird; ebenso OLG Hamburg GRUR 2006, 323. Vgl grds zu § 53 Abs 1 S 1 UrhG, Wandtke/ Bullinger/Lüft § 53 UrhG Rn 8–21.
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284
285 286 287
288
So auch OLG Hamburg GRUR 2006, 323 – Handy-Klingeltöne II und LG Hamburg ZUM 2005, 483, 484 für den Fall des Downloads von einer Website; von Einem ZUM 2005, 540, 541; Landfermann 88. Vgl Hertin KUR 2004, 101, 103. Zum Öffentlichkeitsbegriff Dreier/Schulze/ Dreier § 15 UrhG Rn 37 ff. Dieses wird teilweise bejaht, vgl Hertin KUR 2004, 101, 103; Landfermann 92, der § 21 UrhG für gegeben hält. Dreier/Schulze/Dreier § 15 UrhG Rn 46; AG Erfurt GRUR-RR 2002, 160.
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Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters
einem neuen Kontext verletzt. Die Verwendung des Klingeltons als Signalton stellt gleichfalls eine Bearbeitung nach § 23 UrhG und eine Beeinträchtigung nach § 14 UrhG dar, da das Musikwerk in einem neuen Sinnzusammenhang erscheint. Es entsteht ein neuer geistig-ästhetischer Gesamteindruck des Werkes.289 Dies gilt jedoch nicht, wenn ein Werk eigens als Klingelton produziert wurde oder dem Komponisten bewusst war, dass sein Werk als Klingelton verwendet wird. In der Wiedergabe des Werkes durch einen unzureichenden Handylautsprecher eine Bearbeitung zu sehen, führt in der Regel zu weit, da die Sendung eines Werkes durch verschiedene Lautsprecher mittlerweile dem von dem Urheber intendierten Gebrauch seines Werkes entspricht und somit keine neue geistig ästhetische Darstellungsweise seines Werkes beinhaltet.290 Einen Eingriff in das Bearbeitungsrecht aus § 23 UrhG oder das Recht aus § 14 UrhG aufgrund eines möglichen Merchandising-Effektes durch die Klingeltonnutzung zu sehen ist abzulehnen, da der Signaltoneffekt eindeutig im Vordergrund steht.291 Bei den Handyklingeltönen werden meistens wiedererkennbare Ausschnitte, die 121 Melodie oder der Refrain eines Werkes entnommen. Rechtsprechung und Literatur müssten aufgrund des absoluten Melodieschutzes und des Prinzips der kleinen Münze regelmäßig zu einer Bejahung der Schutzvoraussetzungen nach § 2 Abs 2 UrhG kommen.292 Bei der Verwendung einfacher musikalischer Motive oder bei eigens hergestellten Klingeltönen kann sich jedoch eine andere Wertung ergeben. Einfache Tonfolgen, die eher in Verbindung mit einem grafischen Moment Aufmerksamkeit erregen, fallen aus dem Schutzbereich des § 2 Abs 2 UrhG heraus. Es liegt dann ein Fall der freien Benutzung nach § 24 UrhG vor. Insoweit gewährt das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller nach § 85 UrhG Schutz, da § 85 UrhG im Gegensatz zu § 23 UrhG nicht an die eigenschöpferische Leistung anknüpft.293 Daneben gibt das Markenrecht auch die Möglichkeit, musikalische Logos zu schützen.294 Klingeltöne können als Hörmarke im Sinn der §§ 3 Abs 1, 4 MarkenG angemeldet und geschützt werden.295 Gerade bei Klingeltönen, die nur aus kurzen signalartigen Elementen bestehen, ist diese Logofunktion gegeben und nicht die einer eigenschöpferischen Leistung iSd § 2 Abs 2 UrhG.296 Bei polyphonen und monophonen Klingeltönen werden die Stimmenzahlen im Ver- 122 hältnis zur Originaltonträgeraufnahme reduziert. Dieses wird teilweise mit einer Bearbeitung der zugrundeliegenden Komposition gleichgesetzt.297 Bei genauer Betrachtung der urheberrechtlichen Zusammenhänge ist diese Annahme ungenau. Oft werden die Songs in der Popindustrie von Songwritern geschrieben und dann von den Musikverlagen den Tonträgerfirmen angeboten. Die Tonträgerhersteller verwenden diese Kompositionen für die mit ihnen in Vertragsbeziehungen stehenden ausübenden Künstlern wie Madonna oder Shakira. Die Kompositionsvorlage besteht in diesen Fällen nur aus Melodie, Akkordstruktur und Refrain. Der Song bekommt seine endgültige Struktur durch die Mitwirkung des Produzenten und der ausübenden Künstler. Es muss genau darauf geachtet 289
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OLG Hamburg GRUR 2006, 323 – Handy-Klingeltöne II: bejaht zumindest einen Eingriff in § 14 UrhG; OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 441; Hertin KUR 2004, 101, 105; Schunke 81 ff, 113 ff. So für die Frage des Eingriffs in § 14 UrhG von Einem ZUM 2005, 540, 542; OLG Hamburg ZUM 2002, 480, 484. Schunke 114 f; aA OLG Hamburg GRUR 2006, 323 – Handy-Klingeltöne II. Von Einem ZUM 2005, 540, 541; Hertin KUR 2004, 101, 103.
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Wandtke/Bullinger/Schaefer § 85 UrhG Rn 25. Bei den audiovisuellen Klingeltönen kommt statt § 85 UrhG möglicherweise § 94 UrhG zur Anwendung. Ausf insoweit Landfermann 189 ff. Landfermann 189. Wandte/Schunke UFITA 2007/I, 61, 74. So offensichtlich von Einem ZUM 2005, 540, 541.
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Kapitel 3 Musikrecht
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werden, inwiefern der Klingelton von der zugrundeliegenden Komposition und nicht lediglich von dem auf dem Tonträger festgelegten Klangerlebnis abweicht. Sachgemäß ist es jedoch, in der klanglichen Darstellung eines Werkes regelmäßig eine Bearbeitung iSd § 23 S 1 UrhG zu sehen und damit auch jegliche Form der monophonen oder polyphonen Klingeltonverwertung. Denn die Aufnahme eines Klingeltones auf einen Tonträger ist nichts anderes als die Interpretation eines Werkes, wodurch ein bestimmter ästhetischer Eindruck des Werkes hervorgerufen wird, eine konkrete Klangfarbe erzeugt wird, die damit eine Bearbeitung darstellt. Die Wertung darf sich insoweit nicht von der Werkinterpretation bei einer Aufführung oder Einspielung eines „normalen“ Tonträgers unterscheiden.298 3. Unzulässiges doppeltes Lizenzsystem
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Derzeit vertreten sowohl die GEMA als auch die Verlage ein zweistufiges Lizenzsystem bei der Klingeltonnutzung.299 Dieses doppelte Lizenzsystem ist nach richtiger Auffassung unzulässig. Eine Nutzungsart kann nur einheitlich mit allen Rechten an einen Lizenznehmer ein124 geräumt werden. Denn im Falle einer Nutzungsart mit Bearbeitungscharakter wird zumindest – wenn nicht ausdrücklich – von einer stillschweigenden Erlaubnis der damit verbundenen Änderungen ausgegangen. Es können dann auch entstellende Eingriffe von der Vereinbarung gedeckt sein.300 Insofern kann sehr wohl der GEMA das Änderungsrecht als urheberpersönlichkeitsrechtliche Komponente übertragen werden.301 Ein zweistufiges Lizenzierungssystem, welches die jeweilige Nutzung für die Verwerter über die Rechtseinräumung durch die GEMA hinaus von dem durch die Urheber selbst zu vergebenen Recht zur Vornahme notwendiger Bearbeitungen abhängig macht, stellt eine rechtsmissbräuchliche Aufspaltung eines einheitlichen Verwertungsvorganges dar.302 § 31 Abs 1 UrhG bestimmt, dass der Urheber einem anderen das Recht einräumen kann, das Werk auf einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen. Dadurch wird vom Wortlaut schon ausgeschlossen, dass es dem Urheber erlaubt sein soll, einem Dritten zwar eine Nutzungsart einzuräumen, die erforderlichen Rechte zur Ausübung dieser Nutzungsart sich aber vorzubehalten oder gar einem Dritten einzuräumen. Die dennoch durchgeführte doppelte Lizenzierung beruht auf der Konstruktion eines dinglichen Vorbehaltes bzgl des Bearbeitungsrechts nach § 23 UrhG. Die Folge des dinglichen Vorbehalts wäre nach §§ 133, 157 BGB iVm § 31 UrhG, dass das Bearbeitungsrecht und die betroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Änderungsbefugnisse bei dem Urheber verbleiben, während die sonstigen von der Nutzungshandlung betroffenen Nutzungsrechte durch die GEMA lizenziert würden. Ein solcher dinglicher Vorbehalt ist aufgrund von § 242 BGB schon rechtlich unbedeutend. Es handelt sich um ein venire contra factum propium. Alle Beteiligten (ob Komponist, Verleger, GEMA oder der Lizenznehmer) wissen, dass die Komposition für die Klingeltonherstellung bearbeitet werden muss.303 Eine nachträgliche Ausübung des Abwehrrechts durch den Komponisten bzw den Rechtsinhaber würde dem Grundsatz des § 242 BGB widersprechen.304 Ein dinglicher Vorbehalt ist damit selbst für den Fall, dass man einen solchen Parteiwillen gem der §§ 133, 157 BGB 298 299 300 301 302
Ausf zu dieser Frage Schunke 219 ff, 230 ff. S oben Rn 65. Schricker/Dietz § 14 UrhG Rn 11. So auch Schricker/Dietz § 14 UrhG Rn 11a. Poll MMR 2004, 67, 75; aA OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 441, 445.
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Von den Ausnahmen des § 93 UrhG abgesehen. Poll ZUM 2006, 379, 383; aA Landfermann 168.
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annimmt, wegen § 242 BGB unzulässig und die Nichteinräumung des Bearbeitungsrechts unwirksam. Die Abrede über die Nutzungsart wiegt damit schwerer, so dass das Bearbeitungsrecht immer mit eingeräumt wird. In Ausnahmefällen kann von einem Dissenz nach § 154 BGB ausgegangen werden. Dies gilt jedoch nicht im Verhältnis der GEMA zum Berechtigten, da ansonsten die Konsequenz eine Nichtübertragung der Rechte auf die GEMA wäre, was zu einem noch größeren Nachteil der Musiknutzung führen würde. Im Übrigen müsste man zur Nichtigkeit eines solchen Nutzungsvorbehalts kom- 125 men.305 Durch einen dinglichen Vorbehalt würde die Tarifbindung des § 13 WahrnG umgangen. Das hätte eine Nichtigkeit nach § 134 BGB iVm § 13 WahrnG zur Folge. Ein Verstoß gegen § 14 WahrnG ist ebenfalls gegeben.306 Die Tarifbindung würde durch die vorgeschaltete Individualabrede ausgehebelt. Weiter ist ein solcher dinglicher Vorbehalt mit § 11 WahrnG unvereinbar.307 Die Nichtigkeit würde nun dazu führen, dass die ganze Rechtseinräumung bzgl der Nutzungsart unwirksam wäre, da man nicht von einem versteckten Einigungsmangel iSd § 155 BGB ausgehen kann. Auch § 306 BGB greift insoweit nicht. Sieht man in den Abreden zwischen GEMA und Berechtigten einen dinglichen Vorbehalt und verneint eine Anwendung von § 242 BGB, wäre demnach die Folge, dass die GEMA nicht Rechtsinhaber bzgl der Nutzungsarten geworden ist. Lässt man die dinglich abspaltbare Wirkung von einzelnen Nutzungsrechten nicht zu, muss diese Wirkung auch Dritten gegenüber zur Geltung kommen. Nutzungsrechte können wegen des fehlenden Publizitäts- und Rechtsscheintatbestandes nicht gutgläubig erworben werden.308 Folglich wäre die GEMA nicht in der Lage Dritten wirksam die Nutzungsrechte an den jeweiligen Nutzungsarten einzuräumen, da diese Rechte aufgrund der Nichtigkeit bei dem Urheber verblieben sind.309
III. Up- und Downloading von Musik – Privatkopie oder Rechtsmissbrauch? 1. Einleitung Neben der Verwendung als Klingelton ist im Zuge der neuen Medien und Technolo- 126 gien das Herunterladen von Musik ein wesentlicher Weg der neuen Generation, Musik zum privaten Gebrauch zu erlangen. Das Herunterladen der Musik über Tauschbörsen und die Möglichkeit der digitalen Privatkopie werden von der Industrie als Hauptgrund für den Rückgang der Umsätze verantwortlich gemacht. Das Funktionsprinzip von Tauschbörsen basiert auf einer weltweiten Vernetzung der Nutzer über zentrale Knotenpunkte, so genannte Server oder Hubs.310 Werden die Musikdateien auf Servern zum individuellen Download gespeichert, handelt es sich um Music-on-Demand Angebote. Music-on-Demand stellt eine eigenständige Nutzungshandlung dar.311 Auf den Compu-
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So auch Ulbricht CR 2006, 468, 471. Einen Verstoß und damit Nichtigkeit bejahend Ulbricht CR 2006, 468, 471. Hingegen eine Umgehung des GEMA-Verteilungsplanes anzunehmen, ist fernliegend und auch im Rahmen von § 138 BGB zwischen Urhebern und Dritten zulässig. In diesem Sinn Ulbricht CR 2006, 468, 472; Wandtke/Schunke UFITA 2007/I, 61, 83; aA OLG Hamburg ZUM 2008, 438, 445.
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Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 47. Vgl zum Ganzen Schunke 230 ff. Vgl Pressemitteilung der IFPI, www.musikindustrie.de/recht_aktuell_ einzel.html?&tx_ttnews[tt_news]=10&tx_ ttnews[backPid]=59&cHash=f707d6ca7a. OLG Hamburg ZUM 2007, 869, 870; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 62.
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tern kann aber auch lediglich die Informationen gespeichert sein, wie eine gesuchte Datei zu finden ist. Die Diskussion um die Zulässigkeit wurde in der Vergangenheit heftig geführt. Gerade die Bedeutung von Peer-to-Peer-Filesharing-Netzwerken hat in letzter Zeit aufgrund medienwirksamer Ermittlungsverfahren und Abmahnverfahren der Industrie abgenommen.312 Als Music-on-Demand Angebot gelten daneben Angebote von Internetradios, bei denen sich die Nutzer ihr Programm mit eigenen Play- und Favoritenlisten selbst zusammenstellen können.313 Es ist fraglich, ob das Herunterladen von Musik im Rahmen von Tauschbörsen wirk127 lich der Grund für den Umsatzrückgang ist. Fakt ist lediglich, dass der CD-Handel in weiten Bereichen im Wege der digitalen Revolution Anfang der 90er Jahre zunächst extrem angestiegen ist (CD-Verkäufe), dann jedoch durch das Internet und die sonstige mediale Entwicklung in der Gesellschaft nachließ. In den nächsten Jahren wird der CD Markt noch mehr an Bedeutung verlieren. Hatten die Firmen im ersten Moment den Trend des Downloading verschlafen und damit Platz für viele Piraterieplattformen geschaffen, so legalisiert sich dieser Markt zunehmend und stellt eine der wenigen Chancen dar, dass zukünftig neue Musikproduktionen auch wirtschaftlich interessant sein können. Kostenpflichtige Plattformen wie iTunes erfreuen sich einer immer größeren Beliebtheit.314 Es ist ein anerkannter Leitgedanke des Urheberrechts, dass der Urheber an den wirt128 schaftlichen Früchten aus der Verwertung seiner Werke angemessen zu beteiligen ist. Dazu zählt auch die Nutzung der Werke in der privaten Spähre.315 Insofern wird aber das ausschließliche Recht des Urhebers durch § 53 UrhG eingeschränkt, der die private Kopie erlaubt. Als Ausgleich für die Zulässigkeit der Privatkopie hat der Gesetzgeber 1965 eine gesetzliche Lizenz für die private Vervielfältigung eingeführt, deren Höhe er in § 54d aF UrhG festgelegt hatte.316 Mit der Umsetzung des Korb 2 gibt es eine solche gesetzlich festgelegte Vergütung nicht mehr, sondern die Höhe der gesetzlichen Lizenz soll nunmehr vertraglich zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Herstellern von Geräten und Leermedien vereinbart werden.317 Es ist also falsch, wenn man sagt, dass die Privatkopie nicht zu einer Vergütung auf Urheberseite führt – natürlich ist bei einer gesetzlich oder zwischen Interessenverbänden ausgehandelten Pauschalvergütung auf die Trägermedien immer das Problem der Verteilungsgerechtigkeit gegeben. Des weiteren wird die Umsetzung der Vergütungshöhe in der Praxis enorme Schwierigkeiten bereiten.318 2. Die betroffenen Rechte und Rechtsverletzer
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Durch den Up- und Downloadvorgang werden die Rechte der Komponisten aus § 19a UrhG und § 16 UrhG, des Tonträgerherstellers aus § 85 Abs 1 UrhG und der ausübenden Künstler aus § 78 Abs 1 UrhG berührt.319 Für den Upload-Vorgang bedarf es in 312
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Von Zimmermann MMR 2007, 553; vgl www.heise.de/newsticker/meldung/91122: im ersten Halbjahr 2007 sind 25 000 Strafanzeigen gegen mutmaßliche Raubkopierer ergangen. Vgl OLG Hamburg ZUM 2007, 869, 870; www.ifpi.de Bericht vom 24.5.2007; zu Internetradios vgl Rn 134 ff. Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Müller ZUM 2007, 777.
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Schricker/Loewenheim § 54d UrhG Rn 2, 3; Müller ZUM 2007, 777. Vgl zu den Problemen die daraus resultieren Müller ZUM 2007, 777 ff. Müller ZUM 2007, 777, 784. LG Köln ZUM 2007, 568, 571; LG München MMR 2007, 453, 454; Ventroni/Poll MMR 2002, 648, 649; Wandtke/Bullinger/ Bullinger § 19a UrhG Rn 11.
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jedem Fall der Zustimmung der Rechtsinhaber an der zugrundeliegenden Komposition, an der Tonträgeraufnahme wie auch die Rechte der ausübenden Künstler.320 Das Vervielfältigungsrecht aus § 16 UrhG und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung aus § 19a UrhG an der zugrundeliegenden Komposition (Komponist und Texter) nimmt die GEMA wahr, zumindest sofern der Server-Betreiber in Deutschland ansässig ist.321 Die Tonträgerhersteller nehmen selbständig das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und das Vervielfältigungsrecht aus § 85 Abs 1 UrhG wahr, so dass insofern nicht die GVL zuständig ist.322 § 86 UrhG findet keine Anwendung, es bedarf eines Nutzungsvertrages zwischen Tonträgerhersteller und Inhaltsanbieter.323 Gleiches gilt für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung der ausübenden Künstler aus § 78 Abs 1 Nr 1 UrhG. Der gesetzliche Vergütungsanspruch des § 78 Abs 2 UrhG findet keine Anwendung. Bei der Verwendung „GEMA-freier Musik“ ist es dem Betreiber möglich gänzlich ein Portal ohne die Einflussmöglichkeiten der Verwertungsgesellschaften zu führen. Rechtsverletzer ist zunächst der Inhaltsanbieter, also die Person, die Musikdateien 130 zum Download auf einer Internetseite bereitstellt. Das Recht aus § 19a UrhG wird nicht beim Kauf einer CD an den Käufer lizenziert. § 53 UrhG vermag in jedem Fall eine Verletzung von § 19a UrhG nicht zu legitimieren.324 In der Regel ist es schwer diesen Rechtsverletzer ausfindig zu machen. Da der Rechtsverletzer auch strafrechtlich belangt werden kann, können die Rechtsinhaber bei dem Ausfindigmachen der Person die Strafverfolgungsbehörden einschalten.325 Die zu erwartende Änderung des Urhebergesetzes durch die Enforcement-RL gibt nunmehr den Rechtsinhabern in § 101 UrhG einen Auskunftsanspruch gegenüber den Service-Providern, so dass diese die Daten ihrer Kunden herausgeben müssen.326 Daneben könnte der Betreiber der Internetplattform 327wie auch die Softwareentwick- 131 ler 328 von Peer-to-Peer Software Verletzer sein. Problematisch ist insofern, ob die Betreiber der Internetplattform eine eigene Urheberrechtsverletzung iSd § 97 UrhG begangen haben oder lediglich der Inhaltsanbieter, der die Musiktitel upgeloaded hat.329 Es handelt sich um Fragen der Kausalität. Es finden zunächst die allgemeinen deliktischen Haftungszugrechnungsgrundsätze Anwendung.330 Die Serverbetreiber können sich im Gegensatz zu den Softwareentwicklern auf die Haftungserleichterung des TDG bis zum 1.3.2007 und seit dem 1.3.2007 die Haftungserleichterung des inhaltsgleichen § 9 TMG berufen.331 Eine Schadensersatzpflicht ergibt sich danach nur bei vorsätzlichem Verhalten.332 Von der Haftungsfreistellung nicht umfasst ist der Unterlassungsanspruch.333 320 321 322
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Wandtke/Bullinger/Schäfer § 85 UrhG Rn 40. S dazu oben Rn 58 ff; Die GEMA-Vermutung spricht für die Zuständigkeit der GEMA. OLG Hamburg ZUM 2007, 869, 870; Von Zimmermann MMR 2007, 553, 555; Wandtke/Bullinger/Schaefer § 86 UrhG Rn 5, 7. OLG Hamburg ZUM 2007, 869, 871. Wandtke/Bullinger/Schäfer § 85 UrhG Rn 40 mit Hinweis auf § 53 Abs 6 UrhG; Gercke ZUM 2007, 791, 797. Zu den strafrechtlichen Einschätzungen vgl Gercke ZUM 2007, 791 ff. Es ist jedoch nur vorsätzliches Handeln strafbar im Wege des § 106 UrhG. Ausf hierzu Wandtke/Bullinger/Bohne § 101
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UrhG Rn 11, 14, 31 f; Peukert/Kur GRUR Int 2006, 292, 296 f; Schwarz/Brauneck ZUM 2006, 701, 702 ff. LG Köln ZUM 2007, 568, 571 ff. OLG Hamburg MMR 2006, 398 ff – Cybersky. Nicht eindeutig LG Köln ZUM 2007, 568– 574; vgl LG München MMR 2007, 453, 454 f zur Frage der Haftung des UseNetZugangsvermittlers. S dazu Palandt/Heinrichs Vorb v § 249 BGB Rn 54 ff. LG München MMR 2007, 453, 454; LG Köln ZUM 2007, 568, 572; Hoeren NJW 2007, 801, 805. LG München MMR 2007, 453, 454 f. LG München MMR 2007, 453, 455;
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Insofern gelten in Erweiterung der deliktischen Haftungszurechnungsregeln die Grundsätze der Störerhaftung.334 Danach kann derjenige, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines absoluten Rechts beiträgt, als Störer für eine Schutzrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.335 Bei objektiver Betrachtung darf der rechtsverletzende Gebrauch nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen.336 Aufgrund dieser Grundsätze wurden Plattformbetreiber dazu verurteilt ihre Rechner vom Netz zu nehmen, solange dort illegale Musikdateien zum Download angeboten wurden.337 Gleichfalls als Störer haften die Entwickler der Peer-to-Peer Software oder die Personen, die technische Einrichtungen zum Betrieb eines solchen Netzwerks bereitstellen, zumindest sofern sie Werbung für die Missbrauchsmöglichkeit machen.338 Die Frage der Mitverantwortung stellt sich gleichfalls bei Plattformen wie Youtube und Myspace.de. Diese Plattformen erfreuen sich großer Beliebtheit und auf ihnen werden viele immaterielle Güter, insbesondere Musik, nicht rechtmäßig verwendet. Die Betreiber weisen die Nutzer zwar regelmäßig daraufhin, dass es nicht zulässig sei Urheberrechte zu verletzen. Gleichzeitig wissen die Betreiber aber, dass jeder Musiker Musik hochlädt und dieses in der Regel nicht in legaler Form. Es ist sehr zweifelhaft, ob man nicht zumindest einen bedingten Vorsatz bei den Betreibern sehen kann, so dass uU sogar ein Schadensersatzanspruch durchgehen könnte. Der Unterlassungsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung gegeben.339 Die Störer können unter Beachtung von zumutbaren Prüfungspflichten unter Umständen einer Haftung entgehen.340 Eine Störerhaftung im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs scheidet auch dann aus, wenn mildere Mittel zur Beseitigung der Rechtsverletzung möglich sind.341 Schließlich könnte die Person, die die Musik auf den heimischen Computer herunter132 lädt eine Rechtsverletzung begehen. Tatbestandlich stellt das anschließende Downloading von den Musikdateien eine Vervielfältigung iSd § 16 UrhG dar.342 Das Herunterladen könnte durch § 53 UrhG gerechtfertigt sein. Entscheidende Bedeutung kommt insofern der Frage zu, ob die Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt war.343 Die Frage, ob aus Nutzersicht bei Tauschbörsen von illegalen Uploads auszugehen ist, ist umstritten.344 Im Rahmen der Urheberrechtsreform zum Korb 2 ist nunmehr bedeutend, wann es für den Nutzer offensichtlich ist, dass die verwendete Vorlage offensichtlich rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde.345 Damit scheidet neuerdings eine Anwendbarkeit
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LG Köln ZUM 2007, 568, 572; Hoeren NJW 2007, 801, 805. Vgl zu der nicht unproblematischen Störerhaftung Spindler MMR 2006, 403, 404. BGH MMR 2001, 671 – ambiente.de; LG Köln ZUM 2007, 568, 572; LG München MMR 2007, 453, 455. OLG Hamburg MMR 2006 398, 400 – Cybersky. LG Köln ZUM 2007, 568, 571 ff; LG Hamburg Az 308 O 273/07. OLG Hamburg MMR 2006, 398, 400 – Cybersky. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Einlenken von Youtube Deutschland, so dass es nunmehr eine Einigung von Youtube und der GEMA gibt. Äußerst
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problematisch ist insofern die Verteilungsgerechtigkeit. OLG Hamburg MMR 2006, 398, 401 – Cybersky; LG Köln ZUM 2007, 568, 572, 573; vgl zu den Problemen insoweit Spindler MMR 2006, 403, 405. OLG Hamburg MMR 2006, 398, 402 – Cybersky: Hinweise und die Verpflichtung zur Einholung einer Genehmigung reichen nicht aus. Gercke ZUM 2007, 791, 797. Gercke ZUM 2007, 791, 798. Dafür OLG Hamburg ZUM-RD 2007, 344, 346; Wandtke/Bullinger/Schäfer § 85 UrhG Rn 40; dagegen Gercke ZUM 2007, 791, 798. Gercke ZUM 2007, 791, 798.
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von § 53 UrhG in jedem Fall aus, wenn jemand eine zulässige Privatkopie seiner nicht kopiergeschützten Musik-CD macht, sie damit rechtmäßig herstellt und diese anschließend unzulässigerweise im Internet zum Download anbietet. Fraglich bleibt aber weiterhin, ob der Vorgang der Zugänglichmachung für den Tauschbörsennutzer offensichtlich rechtswidrig war.346 Die öffentliche Zugänglichmachung ist rechtswidrig, wenn keine ernsthaften Zweifel an ihrer Rechtswidrigkeit bestehen und insbesondere die Möglichkeit einer Erlaubnis durch den Rechtsinhaber ausgeschlossen ist.347 Gerade letzteres ist zweifelhaft, zumal immer mehr Bands oder Künstler ihre Vertragsaufnahmen zum freien Download zur Verfügung stellen oder zumindest zum unentgeltlichen Download ihrer Musik aufrufen.348 Die Situation auf dem Tauschbörsenmarkt ist keineswegs so eindeutig, wie es das Bundesjustizministerium oder die IFPI suggerieren.349 Eindeutiger ist die Situation bei den sog Torrent-Systemen im Gegensatz zu den traditionellen Peer-to-PeerSystemen. Insofern wird der Download zwangsweise an einen Upload gekoppelt, so dass der Endabnehmer immer zugleich auch Inhaltsanbieter ist und damit nicht über § 53 UrhG vollständig gerechtfertigt ist. 3. Besonderheiten bei internationalen Sachverhalten Es handelt sich in der Regel um Rechtsverletzungen mit Auslandsbezug, da die Platt- 133 formbetreiber oder die Personen, die die Inhalte auf die Plattform gebracht haben oft im Ausland ihren Sitz haben, bzw dort wohnen. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Ansprüche aus Urheberrechtsverletzungen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits dann gegeben, wenn von Rechtsinhaberseite eine von Verletzerseite im Inland begangene Urheberrechtsverletzung schlüssig vorgetragen und eine solche nicht von vornherein ausgeschlossen ist.350 Dazu ist es ausreichend, dass die Internetseite in Deutschland abrufbar ist und sich bestimmungsgemäß an deutsche Nutzer richtet. Letzteres kann auch schon angenommen werden, wenn die Inhalte lediglich in englischer Sprache angeboten werden.351 Da deutsche Gerichte zuständig sind, ist auch deutsches IPR anwendbar, in der Regel die Art 27 ff EGBGB. Nach dem Schutzlandprinzip wird insoweit angeknüpft an das Recht des Schutzlandes, also desjenigen Landes, für das Schutz beansprucht wird.352 Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, dass die betreffende Verletzungshandlung im Inland erfolgt.353 Dies ergibt sich aus dem Territorialitätsprinzip. Die auf das Inland beschränkte Wirkung nationaler Regelungen bedingt, dass nur durch eine im Inland begangene Handlung ein deutsches Urheberrecht verletzt werden kann, nicht durch eine Verwertungshandlung, die ausschließlich im Ausland erfolgt.354 346 347 348
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Gercke ZUM 2007, 791, 798. Gercke ZUM 2007, 791, 798. ZB die letzte CD von Radiohead oder Äußerungen von Dieter Bohlen in der Talkshow Menschen 2007 bei RTL; aA OLG Hamburg ZUM-RD 2007, 344, 346. Vgl den illegalen Downloadzähler der IFPI auf www.ifpi.de; sowie „Kabinett beschließt Novelle des Urheberrechts“, Pressemitteilung des BMJ vom 22.3.2006; Gercke ZUM 2007, 791, 798; aA Wandtke/Bullinger/Schäfer § 85 UrhG Rn 40. Vgl BGH GRUR 2005, 531; LG Köln ZUM 2007, 568, 571.
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Nicht ganz so weitgehend LG Köln ZUM 2007, 568, 571. LG Köln ZUM 2007, 568, 571; Dreier/Schulze/Schulze Vor §§ 120 ff UrhG Rn 30. Dreier/Schulze/Schulze Vor §§ 120 ff UrhG Rn 31; BGH GRUR 2004, 421; LG Köln ZUM 2007, 568, 571. Dreier/Schulze/Schulze Vor §§ 120 ff UrhG Rn 32; BGH GRUR 2004, 421; LG Köln ZUM 2007, 568, 571.
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IV. Internetradio – neue Formen der Musiknutzung ohne wirtschaftliche Beteiligung der Rechtsinhaber? 134
Als Zukunftsgeschäftsmodell der Musikbranche werden neben userfreundliche Music-on-Demand Angeboten die Internetradios betrachtet. Bei Internetradios handelt es sich in rechtlicher Sicht um eine Sendung iSd § 20 UrhG. Immer wenn der Dienst eine interaktive Einflussnahme auf das Programm zulässt, ist § 19a UrhG betroffen und damit gelten die Regeln für den Music-on-Demand Dienst.355 Die Abgrenzungen können mitunter schwierig sein, sind aber für die Frage des rechtmäßigen Sendens und der Beteiligung von Verwertungsgesellschaften bedeutend. Webcasting und Simultancasting fallen in den Anwendungsbereich des § 20 UrhG, bzw § 78 Abs 1 Nr 2 UrhG. Bei Near-ondemand Diensten kommt es auf die zeitlichen Abständen des neuen Programmstarts an.356 Sofern es sich um ein interaktives Angebot, handelt greift § 19a UrhG und die GVL ist nicht mehr zuständig.357 Liegt eine Sendung iSd § 20 UrhG, also keine interaktive Programmbeeinflussung vor, 135 muss der inländische Betreiber sich für eine inländische Ausstrahlung grundsätzlich nur an die Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL wenden. Verwendet der Betreiber ausschließlich GEMA-freie Musik ist die GEMA nicht mehr zuständig. GVL-Gebühren werden von der GEMA normalerweise für diesen Bereich eingetrieben. Es ergibt sich für diesen Fall also eine Regelungslücke. Bei ausländischen Betreibern oder einer Ausstrahlung über die nationalen Grenzen hinaus, was bei Internetradio der Regelfall ist, ist fraglich, ob neben der im Ausland erworbenen Lizenz eine erneute Lizenz im jeweiligen Ausstrahlungsland erworben werden muss.358 Selbst erfolgreiche Downloadplattformen müssen die verschiedenen Ausgestaltungen 136 von Internetradios fürchten, wenn darüber hinaus die Möglichkeit besteht die im Internetradio gespielten Songs am heimischen Computer aufzunehmen.359 Recording-Software wird für diesen Bereich immer bekannter.360 Bei Recording-Software nimmt der Kunde selbst die Vervielfältigungshandlung vor, die auf § 53 Abs 1 S 1 UrhG als zulässige Privatkopie gerechtfertigt sein kann.361 Für die Rechtmäßigkeit der Vervielfältigungshandlung ist jedoch entscheidend, dass es sich um eine rechtmäßig veranstaltete Sendung handelt. Davon zu unterschieden ist das Online-Recording, wie der Dienst Mp3Flat.com. 137 Mp3flat.com hat bis Februar 2007 für Radioprogramme die Aufnahmen auf eigenen Servern für den Nutzer im Internet zum späteren Download bereitgehalten, wodurch der Nutzer keine Recording-Software auf seinem eigenen Rechner installieren muss.362 Beim Online-Recording ist der Betreiber des Dienstes Werknutzer. Er kann als Hersteller nur nach § 53 Abs 1 S 2 UrhG gerechtfertigt sein.363 Für den Betreiber kommt daher eine Rechtfertigung nur in Betracht, sofern er das Angebot unentgeltlich betreibt. Problematisch ist der Begriff der Entgeltlichkeit wie auch die Tatsache, dass der Betreiber die Internetradios überwacht und selektiert. Im Ergebnis wir man eine Entgeltlichkeit bereits
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Wandtke/Bullinger/Büscher § 78 UrhG Rn 8; vgl Rn 126 ff. Vgl Wandtke/Bullinger/Büscher § 78 UrhG Rn 8. Vgl die krit Anmerkungen bei Ventroni/Poll MMR 2002, 648, 652. Vgl von Zimmermann MMR 2007, 553, 556.
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Vgl ausf zu dieser Frage von Zimmermann MMR 2007, 553, 554 ff. Vgl zu den technischen Fragen und deren rechtlicher Einordnung ausf von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554. Von Zimmermann MMR 2007, 553, 554.
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Das Musikwerk als Teil des globalisierten Medienzeitalters
dann bejahen müssen, wenn gerade aufgrund des Dienstes die Attraktivität der Seite gegeben ist und der Betreiber hohe Werbeeinnahmen erreichen kann.364 Eine Rechtfertigung aus § 53 UrhG wird damit in den meisten Fällen ausscheiden.
V. Fernsehshowformate – die neue Form der Leibeigenschaft? Wohl auch von den Umsatzeinbußen des Tonträgermarktes bedingt, suchten sich die 138 Plattenfirmen neue Partner und fanden sie im Fernsehen und zwar in neuen Showformaten. Dadurch ersparten sich die Plattenfirmen das Aufbauen von Bands, die oft mit erheb- 139 lichen finanziellen Risiken verbunden waren. Zu solchen Showformaten zählen bspw „Deutschland sucht den Superstar“ „Popstars“, die „Talentshow“ oder „Big Brother“ und das „Dschungelcamp“. Durch die Formate wurde es ermöglicht, dass die Qualität der Musik vollkommen belanglos wurde und nur die Persönlichkeit des Künstlers in Verbindung mit einer geschickten PR zu einem kurzfristigen Erfolg des Künstlers und der CD führte. Solche Showformate bringen es mit sich, dass die Halbwertzeit dieser Künstler bewusst kurz gehalten werden muss, da ein Jahr später bereits wieder der neue „Superstar“ gefunden werden muss. Bei den Kandidaten handelt es sich in der Regel um unbekannte Künstler oder um ehemals bekannte Musiker, die mittlerweile alles daran setzen müssen, nicht in Vergessenheit zu geraten und somit notfalls auch Kakerlaken essen, damit vielleicht eine danach eingespielte Single wieder besser verkauft wird. Dies führt dazu, dass die Künstler bereit sind sehr scharfe Künstlerexklusivverträge zu unterschreiben. Solche Showformate sind für sich genommen grundsätzlich nicht urheberrechtlich schutzfähig.365 Umso mehr haben die Sender ein Interesse daran alle sonstigen Rechte umfassend zu erwerben. Fraglich ist, ob die Künstlerexklusivverträge wirksam sind oder nicht nach § 138 BGB sittenwidrig sind, bzw unwirksam aufgrund einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff BGB.366 Es stellen sich insbesondere Fragen der Wahrung der Menschenwürde gem Art 1 Abs 1GG.367 Beim Fernsehen liegt die Gefahr der Verletzung der Menschenwürde in der Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Menschen.368 Die objektive Wertordnung ist dann verletzt, wenn bestimmte Gruppen in menschenverachtender Weise aus der Gesellschaft durch das Fernsehen ausgegliedert werden.369 Gerade bei dem Fernsehformat „Dschungelcamp“ liegt eine Verletzung der objektiven Wertordnung sehr nahe.
364 365
Aa von Zimmermann MMR 2007, 553, 555. BGH GRUR 2003, 876 ff – Sendeformat; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 124, 126.
366 367 368 369
Insofern gelten die Ausführungen zum Künstlerexklusivvertrag Rn 47 ff. Dörr 14 f. Dörr 14. Vgl BVerfGE 87, 209, 229 f.
Sebastian Schunke
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Kapitel 4 Fotorecht Literatur Beater Der Schutz von Eigentum und Gewerbebetrieb vor Fotografien JZ 1998, 1101; von Becker Parodiefreiheit und Güterabwägung GRUR 2004, 104; ders Grenzenlose Freiheit der Satire? NJW 2001, 583; Berberich Die urheberrechtliche Zulässigkeit von Thumbnails bei der Suche nach Bildern im Internet MMR 2005, 145; Berking Kein Urheberrechtsschutz für Fernsehshowformate? GRUR 2004, 109; Boeckh Markenschutz an Namen und Bildnissen realer Personen GRUR 2001, 29; Chakraborty Das Rechtsinstitut der freien Benutzung im Urheberrecht Bern 1997; Dorf Luftbildaufnahmen und Unverletzlichkeit der Wohnung NJW 2006, 951; Dreier Sachfotografie, Urheberrecht und Eigentum, in: Ganea/Heath/Schricker (Hrsg) Urheberrecht Gestern – Heute – Morgen, Festschrift für Adolf Dietz zum 65. Geburtstag München 2001, 235; Ebling/Schulze Kunstrecht München 2007 (zit Ebling/Schulze/Bearbeiter); Ekey/Klippel (Hrsg) Kommentar zum Markenrecht Heidelberg 2003 (zit Ekey/Klippel/Bearbeiter); Ernst Zur Panoramafreiheit des Urheberrechts ZUM 1998, 1101; ders Nochmals – zur Panoramafreiheit bei kurzlebigen und bei verfälschten Kunstwerken AfP 1997, 458; Finkenrath Der Arbeitnehmerbegriff und kurzfristige Beschäftigung von Fotomodellen insbesondere im Hinblick auf das Arbeitsvermittlungsmonopol München 1990; Franzen/ von Olenhusen Lichtbildwerke, Lichtbilder und Fotoimitate. Abhängige Bearbeitung oder freie Benutzung? UFITA 2007, 435; Ganea Ökonomische Aspekte der urheberrechtlichen Erschöpfung GRUR Int 2005, 102; Gass Digitale Wasserzeichen als urheberrechtlicher Schutz digitaler Werke? ZUM 1999, 815; Gerstenberg Fototechnik und Urheberrecht, in: Herbst (Hrsg) Festschrift für Rainer Klaka München 1987, 120; Griesbeck Der „Verhüllte Reichstag“ – und (k)ein Ende? NJW 1997, 1133; Hamann Grundfragen der Originalfotografie UFITA 1981, 45; Hamm Der neue Markt der Kunstszene, in: Pues/Quadt/Rissa (Hrsg) Art-Investor – Handbuch für Kunst & Investment München 2002, 150; Heitland Der Schutz der Fotografie im Urheberrecht Deutschlands, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika München 1995; Hertin Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werbeleistungen unter besonderer Berücksichtigung von Werbekonzeptionen und Werbeideen GRUR 1997, 799; Hoeren/Nielen (Hrsg) Fotorecht – Recht der Aufnahme, Gestaltung und Verwertung von Bildern Berlin 2004 (zit Hoeren/Nielen/Bearbeiter); Hüper Zum Schutz vor Nachfotografie und Nachbildungen von urheberrechtlich geschützten Fotoaufnahmen AfP 2004, 511; Jacobs Photographie und künstlerisches Schaffen, in: Westermann/Rosener (Hrsg) FS für KarlHeinz Quack Berlin 1991, 33; Kassung Hat der Künstlermanager entsprechend § 89b HGB Anspruch auf einen Handelsvertreterausgleich? AfP 2004, 89; Katzenberger Neue Urheberrechtsprobleme der Photographie GRUR Int 1989, 116; Lammek/Ellenberg Zur Rechtmäßigkeit der Herstellung und Veröffentlichung von Sachaufnahmen ZUM 2004, 715; Maaßen Urheberrechtliche Probleme der elektronischen Bildverarbeitung ZUM 1992, 338; ders Kunst oder Gewerbe? 3. Aufl Heidelberg 2001 (zit Maaßen Kunst oder Gewerbe); ders (Hrsg) BFF Handbuch Basiswissen 3. Aufl Stuttgart 2005 (zit Maaßen/Bearbeiter); ders Bildzitate in Gerichtsentscheidungen und juristischen Publikationen ZUM 2003, 830; ders BFF Handbuch Verträge 2. Aufl Stuttgart 2006 (zit Maaßen Verträge); ders Designers’ Calculator 2. Aufl Düsseldorf 2006 (zit Maaßen Calculator); Martinek/ Bergmann Künstler-Repräsentanten, -Agenten und -Manager als Handelsvertreter: Konkurrenzvertretung und Interessenwahrnehmung als Grundlagenprobleme des Handelsvertreterrechts WRP 2006, 1047; Müller-Katzenburg Offener Rechtsstreit um verhüllten Reichstag NJW 1996, 2341; Nennen Rechtsschutz von Akquiseleistungen der Werbebranche WRP 2003, 1076; A Nordemann Die künstlerische Fotografie als urheberrechtlich geschütztes Werk Baden-Baden 1992; J B Nordemann Die MFM-Bildhonorare: Marktübersicht für angemessene Lizenzgebühren im Fotobereich
Wolfgang Maaßen
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Kapitel 4 Fotorecht
2. Teil
ZUM 1998, 642; von Olenhusen/Ling Parodie und Urheberrechtsverletzung in der Schweiz und in Deutschland, insbesondere im Bereich der bildenden Künste UFITA 2003, 695; Ott Zulässigkeit der Erstellung von Thumbnails durch Bilder- und Nachrichtensuchmaschinen? ZUM 2007, 119; Piper Der Schutz der bekannten Marken GRUR 1996, 429; Platena Das Lichtbild im Urheberrecht Frankfurt aM 1998; Pöppelmann Verhüllter Reichstag ZUM 1996, 293; Reuter Digitale Bild- und Filmbearbeitung im Licht des Urheberrechts GRUR 1997, 23; Riedel Fotorecht für die Praxis 4. Aufl München 1988; Ruijsenaars Comic-Figuren und Parodien GRUR Int 1993, 811 und 918; Schack Neue Techniken und Geistiges Eigentum JZ 1998, 753; ders Rechtprobleme der Online-Übermittlung GRUR 2007, 639; Schricker Der Urheberrechtsschutz von Werbeschöpfungen, Werbeideen, Werbekonzeptionen und Werbekampagnen GRUR 1996, 815; ders Werbekonzeptionen und Fernsehformate GRUR Int 2004, 923; Schulze Der Schutz von technischen Zeichnungen und Plänen, Lichtbildschutz für Bildschirmzeichnungen? CR 1988, 181; Schulze/Bettinger Wiederaufleben des Urheberrechtsschutzes bei gemeinfreien Fotografien GRUR 2000, 12; Spieker Die fehlerhafte Urheberbenennung: Falschbenennung des Urhebers als besonders schwerwiegender Fall GRUR 2006, 118; Wanckel Foto- und Bildrecht 2. Aufl München 2006; Wandtke Doppelte Lizenzgebühr im Urheberrecht als Modell für den Vermögensschaden von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet? GRUR 2000, 942; Weberling Keine Panoramafreiheit beim verhüllten Reichstag? AfP 1996, 34; Wüterich/Breucker Wettbewerbsrechtlicher Schutz von Werbe- und Kommunikationskonzepten GRUR 2004, 389; Zentek Präsentationsschutz WRP 2007, 507.
Übersicht § 1 Medium Fotografie . . . . . . . . . I. Erscheinungsformen . . . . . 1. Analoge und digitale Fotografie . . . . . . . . . . . . 2. Lichtbildwerke, Lichtbilder und Werke der angewandten Kunst . . . . . . . . . . . II. Strukturen des Fotomarkts . . 1. Fotoproduzenten und Produktionsbeteiligte . . . . . a) Fotografen . . . . . . . b) Repräsentanten (Fotoagenten) . . . . . . . . c) Fotomodelle und Modellagenturen . . . . . . . . d) Weitere Produktionsbeteiligte . . . . . . . . 2. Vermarkter . . . . . . . . . a) Bildagenturen . . . . . . b) Kunsthandel . . . . . . 3. Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst . . . . . . . . . 4. Verwerter . . . . . . . . . a) Erwerber von Nutzungsrechten . . . . . . . . . b) Käufer von Kunstobjekten . . . . . . . . § 2 Rechte an der Fotografie . . . . . . I. Urheberrechte und Leistungsschutzrechte . . . . . . . . . . 1. Gegenstand des Urheberund Leistungsschutzes . . . a) Schutz der Lichtbildwerke und Lichtbilder . b) Ungeschützte Werke und Leistungen . . . . . . .
500
Rn
Rn
1–39 1–10
aa) Gemeinfreie Fotografien . . . . . . . 44–46 bb) Methoden, Techniken, Stilelemente, Bildsprache . . . . 47, 48 cc) Bildideen, Bildkonzeptionen . . . . . 49–51 dd) Bildmotive . . . . . 52–54 ee) Posen . . . . . . . 55 ff) Bildausschnitte . . . 56, 57 2. Rechtsinhaber . . . . . . . 58–69 a) Urheber und Lichtbildner . . . . . . . . . 58–61 b) Miturheber und Co-Lichtbildner . . . . . 62–65 c) Vermutung der Urheberschaft . . . . . . . . . . 66–69 3. Urheberpersönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . 70–78 a) Recht der Erstveröffentlichung . . . . . . . . . 70, 71 b) Anerkennung der Urheberschaft . . . . . . 72–75 c) Entstellungsverbot . . . 76–78 4. Verwertungsrechte . . . . . 79–120 a) Recht zur Verwertung in körperlicher und unkörperlicher Form . . . . . 79, 80 b) Einwilligungsvorbehalt bei Bearbeitungen und anderen Umgestaltungen 81–83 c) Zulässigkeit der freien Benutzung . . . . . . . 84–115 d) Sonderfall der Doppelschöpfung . . . . . . . . 116 e) Zulässigkeit der Parodie 117–120
1–4
5–10 11–39 11–24 11–15 16, 17 18–20 21–24 25–32 25–28 29–32 33–36 37–39 37, 38 39 40–181 40–160 40–57 40–43 44–57
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Kapitel 4 Fotorecht Rn 5. Folgerecht und Begriff des Originals . . . . . . . . 6. Schranken der Urheber- und Leistungsschutzrechte an Fotografien . . . . . . . . . a) Fotografien in amtlichen Werken . . . . . . . . . b) Weitere Schrankenregelungen . . . . . . . . . aa) Vervielfältigung von Bildnissen durch Gerichte und Behörden . . . . . bb) Verwendung von Fotografien zur Berichterstattung über Tagesereignisse . . . cc) Verwendung von Fotografien zu Zitatzwecken . . . . . . dd) Vervielfältigung von Fotografien für den privaten Gebrauch . ee) Vervielfältigung und Verbreitung von Bildnissen durch Besteller und Abgebildete . . 7. Schadensersatz bei Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten . . . . . . . . a) Ersatz des materiellen Schadens . . . . . . . . b) Bereicherungshaftung des Rechtsverletzers . . . . . c) Ersatz des immateriellen Schadens . . . . . . . . 8. Technische Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . a) Schutz vor Umgehung (§ 95a UrhG) . . . . . . b) Schutz von Informationen zur Rechtewahrnehmung (§ 95c UrhG) . . . . . . II. Gewerbliche Schutzrechte . . . 1. Wettbewerbsrechtlicher Schutz . . . . . . . . . . . a) Schutz gegen Nachahmungen (§§ 3, 4 Nr 9 UWG) . . b) Schutz gegen Vorlagenfreibeuterei (§ 18 UWG) . . . . . . . 2. Markenrechte . . . . . . . III. Eigentumsrechte an analogen Bildträgern . . . . . . . . . . § 3 Rechte am Aufnahmegegenstand . . I. Rechte der abgebildeten Personen . . . . . . . . . . . . . II. Rechte an abgebildeten Objekten . . . . . . . . . . .
121–123
124–142 124–126 127–142
128, 129
130–133
134–137
138
139–142
143–156 143–152 153 154–156 157–160 157, 158
159, 160 161–174 161–171
161–168
169–171 172–174 175–181 182–292 182, 183 184–283
Wolfgang Maaßen
Rn 1. Urheber- und Leistungsschutzrechte . . . . . . . . 184–223 a) Geschützte Werke . . . . 185–187 b) Fotografische Abbildungen geschützter Werke und Werbehinweisrecht . 188–192 c) Schranken der Urheberund Leistungsschutzrechte an abgebildeten Werken 193–223 aa) Rechtspflege und öffentliche Sicherheit 194 bb) Berichterstattung über Tagesereignisse 195–200 cc) Zitate . . . . . . . 201–204 dd) Sonderfall des Kunstzitats . . . . . . . . 205–207 ee) Unwesentliches Beiwerk . . . . . . . . 208–211 ff) Werke in Ausstellungen, öffentlichem Verkauf und öffentlich zugänglichen Einrichtungen . . . . . . . 212, 213 gg) Werke an öffentlichen Plätzen . . . . . . . 214–222 hh) Weitere Schrankenbestimmungen . . . 223 2. Gewerbliche Schutzrechte . 224–242 a) Geschmacksmusterrechte 224–232 b) Markenrechte . . . . . . 233–242 aa) Markenmäßiger Gebrauch geschützter Zeichen . . . . . . 234–239 bb) Schutz gegen nicht markenmäßigen Gebrauch . . . . . . . 240–242 3. Eigentums- und Besitzrechte 243–253 a) Grundsatz der Abbildungsfreiheit . . . . . . 244, 245 b) Beschränkung der Abbildungsfreiheit . . . . . . 246–249 c) Abbildungserlaubnis und Zutrittsrecht . . . . . . 250–253 4. Persönlichkeitsrechte . . . . 254–277 a) Schutzbereich und Schutzberechtigte . . . . . . . 255–257 b) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . 258–269 aa) Aufnahmestandort innerhalb des befriedeten Besitztums . . 258, 259 bb) Aufnahmestandort im öffentlichen Raum . . . . . . . 260–265 cc) Aufnahmestandort auf einem privaten Nachbargrundstück 266, 267 dd) Satellitenbilder und Luftbildaufnahmen 268, 269 c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs . . . . . . . . 270–277
501
Kapitel 4 Fotorecht
2. Teil Rn
5. Sonstige Rechte . . . . . . a) Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch . b) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb . . . . . . . . . III. Gesetzliche Fotografier- und Verwertungsverbote . . . . . . 1. Gerichtsverhandlungen . . . 2. Militärische Einrichtungen . 3. Luftbildaufnahmen . . . . . 4. Höchstpersönlicher Lebensbereich . . . . . . . . . . . 5. Weitere Beschränkungen . . a) Pornografische Aufnahmen . . . . . . . . . b) Werbung für Heilmittel und Heilbehandlungen . . . . . . . . . § 4 Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . I. Fotoproduktionsverträge . . . 1. Rechtliche Einordnung . . . 2. Vertragsabschluss . . . . . 3. Vertragspflichten . . . . . . a) Leistungspflichten der Fotografen . . . . . . . aa) Werkleistung . . . . bb) Einräumung der Nutzungsrechte . . cc) Eigentumsübertragung . . . . . . dd) Nebenleistungen . . b) Abnahme- und Vergütungspflicht der Auftraggeber . . . . . . . . . .
278–283 278–280
281–283 284–292 284 285, 286 287 288 289–292 289
290–292 293–351 293–331 293–295 296, 297 298–323 298–314 298, 299 300–311 312 313, 314
Rn aa) Abnahmepflicht . . bb) Vergütung der Werkleistung . . . . . . cc) Vergütung der Nutzungsrechte . . 4. Haftung bei Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . a) Sach- und Rechtsmängel aa) Sachmängel . . . . bb) Rechtsmängel . . . b) Verletzung der Treuepflicht . . . . . . . . . . 5. Vertragsmuster . . . . . . . II. Lizenzverträge . . . . . . . . 1. Verträge mit Bildagenturen . a) Verträge zwischen Agenturen und Fotografen . . b) Verträge zwischen Agenturen und Verwertern . . aa) Bildlizenz für begrenzte Nutzungen . bb) Royalty-Free-Lizenz 2. Verträge mit Verlagen . . . a) Verträge zwischen Fotografen und Buchverlagen b) Verträge zwischen Fotografen und Zeitungs-/ Zeitschriftenverlagen . . III. Verträge über fotografische Kunstobjekte . . . . . . . . . 1. Ausstellungsverträge . . . . 2. Kommissionsverträge . . . 3. Kaufverträge . . . . . . . .
315, 316 317, 318 319–323 324–329 324–328 324–327 328 329 330, 331 332–347 333–341 334–336 337–341 337–339 340, 341 342–347 342–344
345–347 348–351 348, 349 350 351
315–323
§1 Medium Fotografie I. Erscheinungsformen 1. Analoge und digitale Fotografie Die klassische Fotografie entsteht in einem analogen Verfahren. Lichtstrahlen werden durch das optische System einer Kamera geführt und beim Auftreffen auf die lichtempfindliche Schicht eines Silberhalogenidfilms chemisch-physikalisch umgewandelt. Das Ergebnis des Belichtungsverfahrens ist ein Negativ oder ein Diapositiv, von dem Abzüge angefertigt werden können. Zwar wird heute nach wie vor analog fotografiert, doch verdrängt die digitale Foto2 grafie nach und nach die herkömmlichen Bildbelichtungsverfahren. Digitale Bilder entstehen ebenso wie die auf Zelluloid fixierten Aufnahmen durch Lichteinwirkung. Allerdings treffen die Strahlen in einer Digitalkamera nicht auf einen beschichteten Film,
1
502
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§1
Medium Fotografie
sondern auf lichtempfindliche Sensoren, die das Licht in binäre Informationen umwandeln.1 Diese Informationen werden in einer Bilddatei gespeichert. Digitale Bilder entstehen auch dann, wenn analoge Fotos, Grafiken oder sonstige 3 Bildvorlagen mit einem Scanner erfasst werden. Der Scanner tastet das Bild mit einem Laserstrahl ab und wandelt jeden Bildpunkt in binäre Informationen um, die in einer Datei gespeichert werden. Die Digitalisierung analoger Bilder ist in der Druckvorstufe allgemein üblich, weil in der Regel nur noch digitale Druckvorlagen verarbeitet werden. Die digitale Technik hat die Fotografie in den vergangenen Jahren stark verändert. 4 Weitere tiefgreifende Änderungen finden derzeit vor allem im Bereich der Produktfotografie statt. So werden bspw Bilder von Automobilen vielfach nicht mehr mit einer Kamera aufgenommen, sondern aus den bei den Automobilherstellern vorhandenen 3DDaten des jeweiligen Modells am Bildschirm generiert. Mit Hilfe der 3D-Daten lässt sich das Fahrzeug aus jedem Blickwinkel darstellen, wobei die von einer speziellen Software bereit gestellten Lack-, Stoff- und sonstigen Materialshader dafür sorgen, dass ein naturgetreues Abbild in bester Fotoqualität entsteht. Das Computerbild wird anschließend mit einer HDR-Fotografie kombiniert. HDR ist die Abkürzung für High Dynamic Range. Damit wird ein Aufnahmeverfahren beschrieben, das eine viel größere Bandbreite der Belichtung erlaubt als die herkömmliche digitale Fotografie. HDR-Aufnahmen erfassen eine Landschaft oder einen Raum mit einer 360-Grad-Rundumsicht und mit allen Helligkeitswerten vom direkten Sonnenlicht bis zum tiefsten Schatten. Die gespeicherten Belichtungsdaten decken einen Bereich ab, für den ein herkömmliches Kameraobjektiv bis zu 26 Blenden benötigt. Das bedeutet, dass es bei HDR-Bildern keine Über- oder Unterbelichtungen mehr gibt und ein Objekt exakt so fotografiert werden kann, wie es das menschliche Auge sieht. Wird eine HDR-Landschaftsfotografie mit dem aus 3D-Daten generierten Bild eines Automobils kombiniert, werden die zum Aufnahmezeitpunkt herrschenden Lichtverhältnisse auf der Fahrzeugkarosserie als Reflexe und Spiegelungen sichtbar, so dass der Eindruck entsteht, als sei ein reales Fahrzeug unmittelbar vor Ort fotografiert worden.2 2. Lichtbildwerke, Lichtbilder und Werke der angewandten Kunst Das Urheberrecht schützt analoge Fotografien entweder als Lichtbildwerke (§ 2 Abs 1 5 Nr 5 UrhG) oder als einfache Lichtbilder (§ 72 UrhG). Bilder, die mit einer Digitalkamera aufgenommen werden, fallen ebenfalls unter diese Schutzvorschriften. Allerdings ist umstritten, ob digitale Aufnahmen als Lichtbildwerke bzw Lichtbilder oder lediglich als lichtbildähnliche Erzeugnisse einzustufen sind. Problematisch ist auch die rechtliche Einordnung von Bildern, die ohne eine Kamera mit Hilfe des Computers generiert werden, und von Bildcollagen, die bspw aus der Kombination einer Computergrafik mit einer HDR-Fotografie entstehen. Bei solchen Bildern stellt sich die Frage, ob für sie der Lichtbildschutz gilt oder ob sie nur dann geschützt sind, wenn sie den besonderen Anforderungen genügen, die an Werke der angewandten Kunst zu stellen sind. Lichtbilder sind Abbildungen, die eine Strahlungsquelle (Licht, Wärme, Röntgen- 6 strahlen) durch chemische oder physikalische Veränderungen auf strahlenempfindlichen Schichten hervorruft.3 Lichtbildwerke unterscheiden sich von den einfachen Lichtbildern 1 2
Vgl dazu Maaßen ZUM 1992, 338 f. Dazu auch Jostmeier Reality Based Visualization PHOTONEWS 10/06, 24; Spilker Wirklicher als die Wirklichkeit, SPIEGEL ONLINE
3
vom 3.1.2007, www.spiegel.de/netzwelt/tech/ 0,1518,457359,00.html. Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 UrhG Rn 30; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 175;
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Kapitel 4 Fotorecht
2. Teil
dadurch, dass sie zusätzlich das Merkmal der persönlichen geistigen Schöpfung (§ 2 Abs 2 UrhG) erfüllen. Den Lichtbildwerken sind diejenigen Werke rechtlich gleichgestellt, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG). Außerdem sind Erzeugnisse, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden, in gleicher Weise geschützt wie einfache Lichtbilder (§ 72 UrhG). Die vom Gesetz geforderte Ähnlichkeit der Herstellungsprozesse ist gegeben, wenn ein Bild zwar unter Verwendung einer Strahlungsquelle, aber nicht durch Veränderung einer lichtempfindlichen Schicht erzeugt wird.4 Nach dieser Definition gehören die analogen Fotografien zu den Lichtbildern oder – falls es sich um persönliche geistige Schöpfungen handelt – zu den Lichtbildwerken. Dagegen sind die mit einer Digitalkamera aufgenommenen Bilder als Werke oder Erzeugnisse einzustufen, die ähnlich wie Lichtbildwerke oder Lichtbilder hergestellt werden, weil sie zwar unter Verwendung des Lichts als Strahlungsquelle, aber nicht durch chemische oder physikalische Veränderungen einer lichtempfindlichen Schicht entstehen.5 Für den urheberrechtlichen Schutz ist diese Unterscheidung allerdings ohne Bedeutung. Wird ein analoges Foto mit Hilfe eines Scanners digitalisiert, entsteht kein neues 7 Lichtbild, sondern lediglich eine digitale Kopie der als Vorlage verwendeten Fotografie.6 Da auch einfache Lichtbilder nur dann geschützt sind, wenn sie ein Mindestmaß an persönlicher Leistung erkennbar werden lassen,7 genügen solche Reproduktionen vorhandener Bilder nicht den Anforderungen des § 72 UrhG.8 Bei einem Bild, das ohne eine Kamera ausschließlich mit Hilfe des Computers gene8 riert wird, handelt es sich weder um ein Lichtbild noch um ein lichtbildähnliches Erzeugnis, weil bei der Herstellung keine Strahlungsquelle zum Einsatz kommt.9 Das gilt auch dann, wenn das Computerbild wie ein Foto aussieht und das auf dem Bild dargestellte Objekt so realistisch wirkt, als sei es mit einer Kamera aufgenommen worden. Deshalb
4
5
Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 18; Hoeren/ Nielen/Fleer Rn 129; Riedel 18, 22 f; Maaßen ZUM 1992, 338, 339; Platena 86 ff; anders wohl Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 110, Ulmer 153, 511, Schack Kunst und Recht Rn 836, Hoeren/Nielen/Nielen Rn 225 und A. Nordemann 65 f, die lediglich den Einsatz strahlender Energie für erforderlich und das Verfahren der Bildaufzeichnung für unerheblich halten. BGH GRUR 1962, 470, 471 – AKI; BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion; Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 UrhG Rn 31; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 176; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 19; Hoeren/ Nielen/Fleer Rn 136; Maaßen ZUM 1992, 338, 339 f. Hoeren/Nielen/Fleer Rn 140; Maaßen ZUM 1992, 338, 339 f; aA Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 175: Die digitalen Aufnahmetechniken seien den analogen Verfahren gleichzusetzen und digitale Aufnahmen deshalb als Lichtbildwerke oder Lichtbilder und nicht als lichtbild(werk)ähnliche Erzeugnisse einzustufen; ebenso Schack Kunst und Recht Rn 836.
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7 8
9
Hoeren/Nielen/Fleer Rn 141; Maaßen ZUM 1992, 338, 340; anders Möhring/Nicolini/ Ahlberg § 2 UrhG Rn 31, der die zitierte Fundstelle aber offensichtlich missverstanden hat. Dazu Rn 42. BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 9; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 23; Wandtke/ Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 6; Schack Kunst und Recht, Rn 837; Hoeren/Nielen/ Fleer Rn 130; Hoeren/Nielen/Nielen Rn 227; Heitland 73 ff. So OLG Hamm ZUM 2004, 927, 928 – Webdesign; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 176; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 21; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 12; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 72 UrhG Rn 3; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 138; Maaßen ZUM 1992, 338, 340 ff; Schack JZ 1998, 753, 754; Heitland 23 ff; aA Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 200 und § 72 UrhG Rn 7; Schulze CR 1988, 181, 188 ff.
Wolfgang Maaßen
§1
Medium Fotografie
kann zB für eine Fahrzeugabbildung, die aus den 3D-Daten des Automobilherstellers entwickelt wird und bei der es sich um ein reines Computererzeugnis handelt, kein Schutz gem § 2 Abs 1 Nr 5 UrhG oder § 72 UrhG beansprucht werden. Ein solches Bild ist allenfalls als Werk der angewandten Kunst (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG) schutzfähig.10 Werden verschiedene Fotografien am Computerbildschirm zu einem neuen Bild 9 zusammengefügt, kann für das Ergebnis dieser Bearbeitung nur dann ein eigenständiger Urheberrechtsschutz beansprucht werden, wenn es sich um eine persönliche geistige Schöpfung handelt (§ 3 UrhG). Das neue Bild ist ungeachtet der Tatsache, dass dafür ausschließlich Fotografien verwendet wurden, nicht als Lichtbildwerk (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG), sondern als Werk der angewandten Kunst (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG) einzuordnen.11 Zwar sollte man meinen, dass das, was aus der Bearbeitung von Lichtbildwerken oder Lichtbildern entsteht, ebenfalls ein Lichtbildwerk oder Lichtbild oder jedenfalls ein lichtbild(werk)ähnliches Erzeugnis sein muss. Diese Betrachtungsweise übersieht jedoch, dass die am Bildschirm entstandene Bildkomposition ohne die Einwirkung strahlender Energie geschaffen wurde. Deshalb kann es sich dabei auch nicht um ein Lichtbild oder ein lichtbildähnliches Erzeugnis handeln.12 Dementsprechend sind die für Lichtbildwerke und Lichtbilder geltenden Schutzvor- 10 schriften auf die in der Automobilbranche inzwischen üblichen Werbebilder, die eine computergenerierte Abbildung des beworbenen Fahrzeugs mit einer HDR-Landschaftsaufnahme kombinieren, nicht anwendbar. Da solche Bildkompositionen am Bildschirm entstehen, sind sie allenfalls als Werke der angewandten Kunst schutzfähig. Das bedeutet aber, dass sie die Hürde des § 2 Abs 2 UrhG überspringen müssen. Im Bereich der angewandten Kunst ist diese Hürde deutlich höher als bei den anderen Werkarten des § 2 Abs 1 UrhG, denn dort gibt es im Hinblick darauf, dass bei Werken der angewandten Kunst ein Geschmacksmusterschutz möglich ist, keinen Schutz der kleinen Münze.13 Will man daher für eine Bildkomposition, die mit dem Computer geschaffen wurde, den für Werke der angewandten Kunst bestehenden Urheberschutz in Anspruch nehmen, ist der Nachweis zu führen, dass sich das neue Bild von der bloßen Durchschnittsgestaltung abhebt und sie deutlich überragt.14 Damit sind die Schutzanforderungen bei Bildern und Bildkompositionen, die ausschließlich am Bildschirm entstehen, erheblich höher als bei den Bildern, die unter Verwendung des Lichts als Strahlungsquelle geschaffen werden und die deshalb auch ohne den Nachweis, dass sie die Durchschnittsgestaltung deutlich überragen, entweder als Lichtbildwerke oder als einfache Lichtbilder geschützt sind.
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Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 176; Schack Kunst und Recht, Rn 836; Wanckel Rn 363. Dreier/Schulze/Schulze § 3 UrhG Rn 40; Schricker/Loewenheim § 3 UrhG Rn 31; Riedel 35; Hoeren/Nielen/Nielen Rn 229; aA offenbar A. Nordemann 66, der auch das aus einzelnen Fotos zusammengesetzte Bild als Lichtbild einstufen will. Hoeren/Nielen/Fleer Rn 142; Hoeren/Nielen/
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Nielen Rn 228; Maaßen ZUM 1992, 181, 341. BVerfG GRUR 2005, 410 – Laufendes Auge; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 158 mwN. BGH GRUR 1995, 581, 582 – Silberdistel; Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 160; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 96.
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II. Strukturen des Fotomarkts 1. Fotoproduzenten und Produktionsbeteiligte a) Fotografen. Für Fotografen gibt es in Deutschland unterschiedliche Ausbildungswege und Ausübungsformen. Man unterscheidet zwischen den handwerklich ausgebildeten Fotografen, die eine Gesellenprüfung und eventuell auch eine Meisterprüfung abgelegt haben, und den akademisch ausgebildeten Fotografen, die an einer Fachhochschule oder Kunsthochschule das Fach Fotodesign, Kommunikationsdesign oder Visuelle Kommunikation studiert und ihr Studium mit einer Diplomprüfung abgeschlossen haben.15 Die akademisch ausgebildeten Fotografen bezeichnen sich häufig als Fotodesigner, doch ist diese Berufsbezeichnung nicht geschützt, so dass sie auch von Fotografen, die lediglich über eine handwerkliche Ausbildung verfügen oder als Autodidakten in den Beruf gelangt sind, verwendet werden kann.16 Die Dualität der Ausbildung ist historisch bedingt. Früher war die Handwerkslehre 12 der einzige Ausbildungsweg und eine selbstständige Berufstätigkeit als Fotograf war nur möglich wenn man die Meisterprüfung absolvierte und sich in die Handwerksrolle eintragen ließ. Die akademische Ausbildung wurde erst vor etwa 40 Jahren eingeführt, als sich nach und nach die Erkenntnis durchsetzte, dass die Fotografie (auch) ein künstlerisches Medium ist und eine kreative Bildgestaltung mit den Mitteln der Fotografie mehr erfordert als die Beherrschung handwerklicher Techniken. Die akademisch ausgebildeten Fotografen betrachten ihre Arbeit nicht als Handwerk, sondern als eine künstlerische Tätigkeit. Anders als die Handwerksfotografen deklarieren sie ihre Einkünfte deshalb auch nicht als gewerbliche Einkünfte (§ 15 EStG), sondern als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, wozu auch die künstlerische Tätigkeit gehört (§ 18 Abs 1 Nr 1 EStG).17 Als Freiberufler sind sie im Gegensatz zu den handwerklich arbeitenden Fotografen von der Verpflichtung befreit, sich bei der Handwerkskammer in das Verzeichnis der zulassungsfreien Handwerke (§ 18 Abs 2 HandwO) eintragen zu lassen und Kammerbeiträge zu leisten.18 Als rein handwerkliche fotografische Leistungen gelten inzwischen nur noch die 13 Hochzeit-, Porträt- und Passbilder sowie Aufnahmen von Schulkindern und Schulklassen. Die Werbe- und Modefotografie entwickelt sich dagegen immer mehr zu einer Domäne der freiberuflichen Fotografen (Fotodesigner). Auch die Architekturfotografie wird heute weitgehend von akademisch ausgebildeten Fotografen beherrscht. Die Handwerksfotografie verliert dagegen zunehmend an Bedeutung. Die allmähliche Verdrängung des Fotografenhandwerks durch die freiberufliche Foto14 grafie erklärt sich vor allem daraus, dass die Einstufung als Handwerker mit erheblichen Nachteilen verbunden ist. Anders als ihre freiberuflichen Kollegen unterliegen die Handwerksfotografen der Gewerbesteuer und außerdem den Restriktionen der Gewerbe- und Handwerksordnung. Die einzige Möglichkeit, diesen Belastungen zu entgehen, ist der Nachweis einer freiberuflichen Tätigkeit. Dieser Nachweis ist problemlos möglich, wenn
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Dazu Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 152 ff; Hoeren/Nielen/Berndzen Rn 43. Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 118. Zu der schwierigen steuerlichen Abgrenzung der freiberuflichen Fotografen von den Handwerksfotografen Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 279 ff; Hoeren/Nielen/Doepner
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Rn 323 ff; vgl auch Ebling/Schulze/Ebling 274 ff; Schack Kunst und Recht Rn 76 ff. Maaßen/Maaßen 217; zur Handhabung des Abgrenzungsproblems im Handwerksrecht Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 564 ff, 591 ff; Hoeren/Nielen/Doepner Rn 325 f; Schack Kunst und Recht Rn 73 ff.
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Medium Fotografie
ein Fotograf als Bildberichterstatter arbeitet, denn Bildberichterstatter (Bildjournalisten) üben stets einen freien Beruf aus.19 Ein Fotograf, der nicht im Bereich des Bildjournalismus tätig ist, kann dagegen den Status eines Freiberuflers nur erreichen, wenn seine Berufstätigkeit als künstlerisch anerkannt wird.20 Der unterschiedliche Status der Fotografen hat bisher die Entstehung eines einheit- 15 lichen Berufsverbandes verhindert. Die Interessen der Fotografen, die eine künstlerische Tätigkeit ausüben, werden vor allem vom Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF) wahrgenommen.21 Die Handwerksfotografen sind im Centralverband Deutscher Berufsphotographen (CV) organisiert, der die Funktion eines Bundesinnungsverbandes gem § 85 HandwO wahrnimmt.22 Die Fotojournalisten (Bildberichterstatter) haben sich in der Vereinigung FreeLens zusammengeschlossen.23 b) Repräsentanten (Fotoagenten). Selbstständige Fotografen, insbesondere Werbefoto- 16 grafen, arbeiten häufig mit Repräsentanten zusammen.24 Repräsentanten sind Agenten, die für die von ihnen betreuten Fotografen Aufträge akquirieren und sich meist auch um die Vertragsabwicklung kümmern. Sie pflegen die Kontakte zu den Art-Buyern der großen Werbeagenturen, legen dort die Präsentationsmappen ihrer Fotografen vor und vermitteln so Vertragsabschlüsse über neue Fotoproduktionen oder die Nutzung bereits vorhandener Bilder. Die Repräsentanten verfassen in der Regel auch die Kostenvoranschläge, prüfen die Auftragsschreiben der Kunden oder bestätigen mündlich erteilte Aufträge und erteilen über die von den Fotografen erbrachten Leistungen eine Abrechnung. Sie handeln dabei in der Regel als Bevollmächtigte der Fotografen und in deren Namen. Diese Agenten- und Managertätigkeit wird dadurch abgegolten, dass die Repräsentanten für jeden Vertragsabschluss eine Provision in Höhe von 25 bis 35 % der Honorare erhalten, die der Fotograf mit dem von dem Repräsentanten vermittelten Auftrag verdient.25 Es ist umstritten, ob die Repräsentanten rechtlich als Handelsvertreter oder als Mak- 17 ler einzustufen sind.26 Die Statusfrage ist von erheblicher praktischer Bedeutung, weil einem Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ein Ausgleichsanspruch zusteht, der die Höhe einer Jahresprovision erreichen kann (§ 89b HGB). Gegen eine Einstufung als Handelsvertreter spricht, dass Repräsentanten im Regelfall mehrere Fotografen gleichzeitig betreuen und deshalb – anders als die Handelsvertreter – keine einseitige Interessenvertretung eines einzelnen Unternehmers, sondern – ähnlich wie die Makler – lediglich eine neutrale Vermittlungstätigkeit schulden.27 19
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Zum Begriff des Bildberichterstatters Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 292 ff und Rn 956. Zum Verfahren der steuerlichen Anerkennung der Künstlereigenschaft in den einzelnen Bundesländern Maaßen Kunst oder Gewerbe, Rn 376 ff; Ebling/Schulze/Ebling 301 ff. Hoeren/Nielen/Berndzen Rn 46; weitere Informationen unter www.bff.de. Hoeren/Nielen/Berndzen Rn 45; weitere Informationen unter www.cvphoto.de. Informationen zu diesem Berufsverband unter www.freelens.de. Vgl dazu die Vertragsmuster bei Maaßen Verträge 241 ff und 251 ff. Zur Tätigkeit der Repräsentanten vgl auch
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Maaßen/Klubert 68 ff; Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047, 1048; zu den typischen Regelungen in Repräsentantenverträgen Maaßen Verträge 241 ff. Gegen eine Einstufung als Handelsvertreter: OLG Hamburg GRUR 2006, 788 – Werbefotograf; LG München I Urteil vom 4.12.1992 (13 HKO 9608/91) – Repräsentantenvertrag I; LG Köln Urteil vom 11.3.2002 (2 O 594/00) – Repräsentantenvertrag II; LG Hamburg Urteil vom 24.6.2004 (309 O384/02) – Repräsentantenvertrag III; Kassung AfP 2004, 89, 91 ff; Maaßen/Maaßen 73 ff; aA Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 ff. So auch OLG Hamburg GRUR 2006, 788, 789 – Werbefotograf.
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c) Fotomodelle und Modellagenturen. Fotografen und insbesondere die Werbefotografen sind häufig auf die Mitwirkung von Fotomodellen angewiesen. Für Fotomodelle bestand früher ein staatliches Vermittlungsmonopol, das von der Bundesanstalt für Arbeit wahrgenommen wurde.28 Heute erfolgt die Vermittlung in der Regel durch Modellagenturen, die dafür inzwischen keiner behördlichen Erlaubnis mehr bedürfen.29 Außerdem können Fotomodelle weiterhin über die Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit gebucht werden. Modellagenturen fordern für ihre Vermittlungsleistungen sowohl von dem Fotomo19 dell als auch von dem Kunden, an den das Modell vermittelt wird, eine Provision. Allerdings darf die von dem Fotomodell zu zahlende Provision einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer gem § 2 der Vermittler-Vergütungsverordnung 30 bei einer Beschäftigung von mehr als sieben Tagen höchstens 14 % und bei einer kürzeren Beschäftigung maximal 18 % des Modellhonorars betragen. Modellagenturen schließen die Verträge mit ihren Kunden regelmäßig nicht im eige20 nen Namen, sondern im Namen der von ihnen vertretenen Fotomodelle ab. Dabei werden dem Vertragsabschluss häufig die vom Verband der lizenzierten Modellagenturen (VELMA) empfohlenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen31 oder das vom Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF) herausgegebene Buchungsreglement für Fotomodelle 32 zugrundegelegt. Wird ein Fotomodell nicht über eine Modellagentur gebucht, verzichten die Beteiligten meist auf eine umfassende Regelung ihrer Vertragsbeziehung. Stattdessen lassen sich die Fotografen von dem Fotomodell eine einfache Freigabeerklärung (Model Release) 33 unterschreiben, die ihnen in der Regel das Recht zur umfassenden Nutzung der Aufnahmen sichert.
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d) Weitere Produktionsbeteiligte. Werbe- und Modefotografen werden bei den Aufnahmearbeiten häufig von Assistenten unterstützt. Fotoassistenten arbeiten in der Regel weisungsgebunden. Sie erbringen keine eigenständigen schöpferischen Leistungen und gelten deshalb auch nicht als Künstler im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes.34 Meist werden Fotoassistenten als freie Mitarbeiter geführt, obwohl sie vielfach wie Angestellte in den Betrieb des Fotografen eingebunden sind und ihre formale Selbstständigkeit nur eine Scheinselbstständigkeit ist.35 Zu den Aufnahmearbeiten im Bereich der Werbung und Mode werden in der Regel 22 Visagisten und Stylisten hinzugezogen.36 Visagisten sind für das Make-up und die Frisuren der Fotomodelle zuständig, während sich die Stylisten um die passende Kleidung, die richtige Ausstattung der dargestellten Szenen und um die Beschaffung der Requisiten kümmern, die für ein Shooting benötigt werden. An Food-Aufnahmen sind häufig Food-
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Dazu Finkenrath 93 ff. Die Regelung des § 291 SGB III, derzufolge die Vermittlung von Fotomodellen durch Modellagenturen nur mit einer staatlichen Arbeitsvermittlungserlaubnis zulässig war, wurde durch Art 3 Nr 3 des Gesetzes zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 26.3.2002 (BGBl I S 1130) aufgehoben. Verordnung über die Zulässigkeit der Vereinbarung von Vergütungen von privaten Vermittlern mit Angehörigen bestimmter Berufe und Personengruppen (Vermittler-Vergü-
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tungsverordnung) vom 27.6.2002 (BGBl I S 2439). Abrufbar unter www.velma-models.de/agb. html; vgl dazu auch Hoeren/Nielen/Conrady Rn 401 ff. Abgedruckt bei Maaßen Verträge 219 ff. Vgl dazu das Muster bei Maaßen Verträge 230 ff. Maaßen Kunst oder Gewerbe Rn 832. Dazu Maaßen Verträge 269 f. Zum Inhalt einer Buchungsvereinbarung mit Visagisten und Stylisten vgl Maaßen Verträge 234 ff.
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Stylisten beteiligt, die sich auf die optische Aufbereitung der aufzunehmenden Nahrungsmittel oder Speisen spezialisiert haben. Visagisten und Stylisten gelten im Bereich der Künstlersozialversicherung als Künstler, so dass die an sie gezahlten Entgelte der Künstlersozialabgabe unterliegen.37 Daraus versuchen einige Visagisten und Stylisten neuerdings urheberrechtliche Mitspracherechte gegenüber den Fotografen abzuleiten.38 Zu den weiteren Mitarbeitern im Team eines Werbe- und Modefotografen gehört bei 23 größeren Fotoproduktionen meist auch ein Locationscout. Er hat die Aufgabe, vor Beginn der Aufnahmearbeiten einen passenden Aufnahmeort (Location) oder bestimmte Architektur- und Landschaftsmotive ausfindig zu machen. Ist ein geeigneter Aufnahmeort oder das gewünschte Motiv gefunden, kümmert sich der Locationscout um die Einholung der erforderlichen Aufnahmegenehmigungen und Einwilligungserklärungen sowie um die Durchführung eventuell notwendiger weiterer Maßnahmen (zB Straßensperrung, Abschluss von Versicherungen). Von der eigentlichen Aufnahmetätigkeit (dem Shooting) zu unterscheiden ist die Post- 24 produktion, die sich an das Shooting anschließt. In der Postproduktion werden die aufgenommenen Bilder mit Hilfe des Computers nachbearbeitet. Die digitale Nachbearbeitung erfolgt meist durch Fachleute, die mit der jeweils eingesetzten Bildbearbeitungssoftware umgehen können. Die Bildbearbeiter optimieren oder verändern die mit einer Digitalkamera aufgenommenen oder nachträglich digitalisierten Bilder und arbeiten dabei in der Regel nach den Vorgaben des Fotografen. 2. Vermarkter a) Bildagenturen. Fotografien werden nur dann neu produziert, wenn es die Bilder, 25 die ein Verwerter benötigt, (noch) nicht gibt oder das in Frage kommende Bildmaterial für eine Verwertung blockiert ist. Da zahlreiche Bildagenturen eine Fülle von Fotografien zu allen denkbaren Themen und Motiven zur Nutzung bereithalten, suchen Werbeunternehmen, Verlage und andere Verwerter oft erst einmal in den Katalogen oder OnlineDatenbanken der Agenturen nach geeignetem Material, bevor sie den Auftrag für eine aufwendige Fotoproduktion erteilen. Bildagenturen sind das Bindeglied zwischen den Fotografen und den Verwertern. Sie 26 kümmern sich um die Vermarktung von bereits produzierten Bildern.39 Dabei handelt es sich meist um Bildmaterial, das Fotografen auf eigene Faust oder speziell für die Vermarktung durch eine Bildagentur produziert haben. In den Archiven und Datenbanken der Bildagenturen sind aber auch Bilder zu finden, die zunächst als Auftragsarbeit entstanden sind und die nach Beendigung der primären Nutzung durch den Auftraggeber über die Agentur einer Zweitverwertung zugeführt werden. Da die Zweitverwertung durchaus lukrativ sein kann, nehmen große Zeitungs- und Zeitschriftenverlage dieses Geschäft bei Bildern, die in ihrem Auftrag für bestimmte Publikationen produziert worden sind, oft selbst in die Hand. Die Vermarktung der Zweitverwertungsrechte durch die Verlage bezeichnet man üblicherweise als „Syndication“. Die Bildagenturen spielen auf dem Bildermarkt eine bedeutende Rolle. Fotografen 27 erhalten durch sie einen besseren Marktzugang und die Chance, ihre Bilder mehrfach zu 37 38
BSG SGb 2006, 44 – Visagisten. Vgl dazu etwa die Allgemeinen Vertragsbedingungen der optix agency for styling, hair & make up (abrufbar unter www. optixagency.de/contact.html).
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Schack (Kunst und Recht Rn 854) weist darauf hin, dass die Bilder der Fotojournalisten zu 80 bis 90 % über kommerzielle Bildagenturen vermarktet werden.
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verwerten. Den Verwertern ermöglichen die Kataloge und Datenbanken der Bildagenturen einen schnelleren Überblick über das Bildangebot und einen leichteren Zugriff auf Bildmaterial, das einzelne Fotografen in dieser Bandbreite niemals anbieten könnten.40 Die Struktur des Marktes, auf dem die Bildagenturen tätig sind, hat sich in den letz28 ten Jahren stark verändert. Während früher vor allem mittelständische Unternehmen das Marktgeschehen bestimmt haben, wird das Geschäft mit den Bildern jetzt weitgehend von zwei großen Agenturen, Getty Images und Corbis, dominiert. Es gibt zwar in Deutschland immer noch zahlreiche andere Anbieter, doch werden die Mitbewerber immer stärker durch die beiden Global Player der Branche verdrängt. Mehr als 100 kleinere Bildagenturen haben sich im Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA) zusammengeschlossen. Dieser Verband hat einen Arbeitkreis eingerichtet, der unter der Bezeichnung „Mittelstandgemeinschaft Foto-Marketing“ (MFM) eine jährlich aktualisierte Übersicht über die marktüblichen Honorare für Fotoveröffentlichungen herausgibt.41
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b) Kunsthandel. Künstlerische Fotografien werden meist von Galerien und Auktionshäusern vermarktet. Bis vor einigen Jahren war die Fotografie als Kunstgattung noch stark unterbewertet. Inzwischen haben jedoch Künstler wie Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Ruff dafür gesorgt, dass auf dem Kunstmarkt auch mit Fotografien hohe Preise erzielt werden.42 Die Verwertung künstlerischer Fotografien erfolgt in der Form, dass hochwertige 30 Abzüge in limitierter und signierter Auflage angefertigt und über den Kunsthandel verkauft werden. Der Wert solcher Fotoabzüge hängt zum einen vom künstlerischen Renommee des Fotografen, zum anderen aber auch davon ab, wann und von wem und in welcher Auflage die Abzüge angefertigt werden. Ein hoher Preis lässt sich in der Regel nur mit solchen Abzügen erzielen, die der Fotograf selbst oder eine von ihm beauftragte Person kurz nach der Filmbelichtung vom Negativ anfertigt (Vintage Prints). Werden die Abzüge erst nach fünf bis zehn Jahren (Period Prints), nach mehr als zehn Jahren (Modern Prints) oder erst nach dem Tod des Fotografen von den Erben angefertigt (Posthumous Prints), fällt der auf dem Kunstmarkt erzielbare Preis deutlich geringer aus. Bei der Vermarktung von künstlerischen Fotografien durch Galerien oder Auktions31 häuser geht es nicht um die Übertragung von Nutzungsrechten, sondern um die Einräumung von Eigentumsrechten an dem fotografischen Original.43 Der Galerist erwirbt ebenso wie der Auktionator in der Regel kein Eigentum an den Kunstwerken. Er verkauft sie im eigenen Namen, aber für Rechnung des Künstlers (Fotografen) und betätigt sich somit als Kommissionär (§§ 383 ff HGB).44 Von dem Verkaufserlös erhält der Galerist eine Provision, die üblicherweise 30 bis 50% beträgt und bei jungen Künstlern auch 70 % erreichen kann.45 Bei einer Versteigerung liegt die Provision des Auktionators bei etwa 10 bis 15 % des Erlöses.46 40
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Zu den Vorteilen und zur Praxis der Vermarktung von Bildern durch Bildagenturen Maaßen/Weise 84 ff. Dazu Loewenheim/A. Nordemann § 73 Rn 29 ff; Hoeren/Nielen/Berndzen Rn 51; Maaßen Calculator 72 ff. Vgl Hamm 150 ff; Hoeren/Nielen/Berndzen 62. Ebling/Schulze/G. Schulze 155 (Rn 5 f); zum Begriff des fotografischen Originals vgl Rn 122 f.
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Schack Kunst und Recht Rn 109 (zum Auktionator) und Rn 636 (zum Galeristen); Ebling/Schulze/G. Schulze 159 (Rn 16). Schack Kunst und Recht Rn 624; vgl auch Ebling/Schulze/G. Schulze 159 (Rn 17). Ebling/Schulze/G. Schulze 160 (Rn 20); Hoeren/Nielen/Berndzen Rn 56; vgl aber auch Schack Kunst und Recht Rn 113, demzufolge Auktionshäuser wie Sotheby’s und Christie’s die Provision bereits auf 19,5 % erhöht haben.
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Auktionshäuser haben die gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung und der 32 Versteigererverordnung 47 zu beachten. Ihre Tätigkeit bedarf einer behördlichen Erlaubnis (§ 34b Abs 1 GewO). Außerdem dürfen sie nur gebrauchte Sachen versteigern (§ 34b Abs 5 lit b GewO). Deshalb können künstlerische Fotografien, die eigens für den Verkauf produziert worden sind, nicht unter Umgehung des Kunsthandels auf dem Auktionsweg abgesetzt werden.48 3. Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst Einige Verwertungsrechte an Lichtbildwerken und Lichtbildern können auf Grund gesetzlicher Vorschriften (zB §§ 26 Abs 6, 27 Abs 3, 49 Abs 1 S 3, 54h Abs 1 UrhG) oder aus praktischen Gründen nicht individuell von den Fotografen oder den Inhabern der Bildrechte, sondern nur durch eine Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden. Die für die Fotografen zuständige Verwertungsgesellschaft ist die VG Bild-Kunst. Sie ist als rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung organisiert. Die VG Bild-Kunst erwirbt die von ihr wahrzunehmenden Rechte und Vergütungsansprüche durch die Wahrnehmungsverträge, die sie mit den einzelnen Berechtigten (Urhebern, Rechtsinhabern) abschließt. In den Wahrnehmungsverträgen sind die kollektiv von der Verwertungsgesellschaft wahrgenommenen Rechte und Ansprüche in einem umfangreichen Katalog aufgelistet. Dieser Katalog wird laufend erweitert und der aktuellen Rechtsentwicklung angepasst. Anders als eine Bildagentur bemüht sich die VG Bild-Kunst nicht aktiv um eine Vermarktung der von ihr wahrgenommenen Rechte. Sie vereinnahmt lediglich die Entgelte für gesetzliche Lizenzen und bietet den Verwertern den Abschluss von Verträgen über die Nutzungsrechte an, die ihr zur kollektiven Wahrnehmung übertragen worden sind. In Bezug auf diese Rechte besteht für die VG Bild-Kunst wie für jede andere Verwertungsgesellschaft ein Abschlusszwang, wobei das Gesetz eine Lizenzierung „zu angemessenen Bedingungen“ vorschreibt (§ 11 Abs 1 WahrnG).49 Die Lizenzgebühren werden mit den Verwertern in Gesamtverträgen oder Einzelverträgen vereinbart. Der Abschluss von Einzelverträgen erfolgt in der Regel auf der Basis der „Allgemeinen Konditionen der Rechtevergabe“ der VG Bild-Kunst 50 und nach den Tarifen, die für die Nutzung von Fotografien in verschiedenen Medien ausgearbeitet wurden.51 Diese Tarife sind ähnlich strukturiert wie die Bildhonorarlisten der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM). Die VG Bild-Kunst verteilt ihre Einnahmen nach den Verteilungsplänen, die von der Mitgliederversammlung beschlossen werden. Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass jeder Berechtigte den auf die Nutzung seiner Werke entfallenden Anteil am Ertrag erhalten soll. Soweit allerdings der individuelle Anteil der Nutzung am Ertrag nicht oder nicht mit angemessenen Mitteln feststellbar ist, erfolgt die Verteilung des Erlöses pauschal nach allgemeinen Bewertungs- und Verteilungsregeln, also ohne Rücksicht auf die tatsächliche Nutzung der einzelnen Werke.
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Verordnung zur Neuregelung des Versteigerungsrechts und zur Änderung weiterer gewerberechtlicher Verordnungen vom 24.4.2003 (BGBl I S 547). Schack Kunst und Recht Rn 108. Eine Kollision mit den geschäftlichen Interessen der Bildagenturen wird dadurch vermie-
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den, dass die VG Bild-Kunst keine Reproduktionsrechte der Fotografen wahrnimmt; vgl Schack Kunst und Recht Rn 859. Abrufbar unter www.bildkunst.de/html/ body_tarife_agb.html#konditionen. Abrufbar unter www.bildkunst.de/html/pdf/ Tarifealle2.PDF.
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4. Verwerter a) Erwerber von Nutzungsrechten. Da Fotografien entweder als Lichtbildwerk oder als einfaches Lichtbild urheberrechtlich geschützt sind, ist ihre Verwertung nur auf der Grundlage eines Lizenzvertrags möglich. Das Spektrum der möglichen Partner eines Lizenzvertrages reicht von den Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlagen über Wirtschaftsunternehmen und Werbeagenturen bis hin zu Privatpersonen, die ein Foto bspw für ihre Homepage verwenden wollen. Werden bereits vorhandene Bilder lizenziert, erwirbt der Verwerter meist nur die ein38 fachen Nutzungsrechte, während in den Fällen, in denen der Fotograf die Bilder für einen Kunden neu produziert, die Übertragung von ausschließlichen (exklusiven) Nutzungsrechten die Regel ist. In welchem Umfang die (einfachen oder ausschließlichen) Nutzungsrechte übertragen werden, hängt sehr stark von der wirtschaftlichen Machtposition des jeweiligen Verwerters ab. Bedeutende Verlage und Unternehmen, die das Markgeschehen stark beeinflussen und von denen die Fotografen in hohem Maße abhängig sind, bestehen vielfach darauf, dass ihnen die Nutzungsrechte zeitlich und geografisch unbeschränkt für alle in Betracht kommenden Nutzungsarten überlassen werden. Kleinere Verwerter werden ein solches „Buyout“ sämtlicher Rechte dagegen meist nicht durchsetzen können.
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b) Käufer von Kunstobjekten. Im Kunsthandel geht es bei der Verwertung von Fotografien nicht um die Nutzungsrechte, sondern um das Eigentum an den Originalen. Die Erwerber wollen die Fotografien nicht vervielfältigen, verbreiten oder öffentlich wiedergeben, sondern über die Rechte verfügen können, die das Gesetz (§ 903 BGB) dem Eigentümer zubilligt. Dementsprechend werden im fotografischen Kunsthandel keine Lizenzverträge, sondern Kaufverträge abgeschlossen und im Zweifel auch nur Eigentumsrechte, aber keine urheberrechtlichen Nutzungsrechte übertragen (§ 44 Abs 1 UrhG).
§2 Rechte an der Fotografie I. Urheberrechte und Leistungsschutzrechte 1. Gegenstand des Urheber- und Leistungsschutzes a) Schutz der Lichtbildwerke und Lichtbilder. § 2 Abs 1 Nr 5 UrhG schützt analoge Fotografien als Lichtbildwerke und die mit einer Digitalkamera aufgenommenen Bilder als lichtbildwerkähnliche Erzeugnisse, sofern es sich um persönliche geistige Schöpfungen handelt. Fotografien, die das Kriterium der persönlichen geistigen Schöpfung nicht erfüllen, sind gem § 72 UrhG als Lichtbilder oder als lichtbildähnliche Erzeugnisse geschützt. Wird ein Bild ohne eine Kamera ausschließlich mit Hilfe eines Computers erzeugt, kommt weder ein Schutz als Lichtbildwerk noch ein Lichtbildschutz in Frage. Solche Bilder sind aber eventuell gem § 2 Abs 1 Nr 4 UrhG als Werke der angewandten Kunst schutzfähig.52 Für Lichtbildwerke besteht ein uneingeschränkter Urheberrechtsschutz, für die ein41 fachen Lichtbilder dagegen nur ein Leistungsschutz. Allerdings sind die Lichtbilder den
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Dazu bereits Rn 8.
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Rechte an der Fotografie
Lichtbildwerken weitgehend gleichgestellt, da die für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften des Urheberrechts auf Lichtbilder und lichtbildähnliche Erzeugnisse gem § 72 Abs 1 UrhG entsprechend anzuwenden sind. Unterschiede zeigen sich lediglich bei den Schutzfristen, denn Lichtbilder sind nur für die Dauer von 50 Jahren ab ihrem Erscheinen, der ersten erlaubten öffentlichen Wiedergabe oder der Herstellung geschützt (§ 72 Abs 3 UrhG), während für Lichtbildwerke eine Schutzdauer von 70 Jahren ab dem Tod des Urhebers gilt (§ 64 UrhG). Außerdem ist auch der Schutzumfang unterschiedlich, denn einfache Lichtbilder sind zwar ebenso wie Lichtbildwerke gegen Bearbeitungen und Umgestaltungen geschützt, doch genügen bei einem Lichtbild mangels ausreichender Individualität bereits geringfügige Änderungen, um die Grenze zwischen der unzulässigen Bearbeitung (§ 23 UrhG) und der zulässigen freien Benutzung (§ 24 UrhG) zu überschreiten.53 Bei Lichtbildern besteht somit nur ein Schutz gegen identische oder nahezu identische Übernahmen, während der Schutzbereich bei Lichtbildwerken deutlich weiter gezogen ist.54 Lichtbildwerke unterscheiden sich von den Lichtbildern dadurch, dass sie eine persönliche geistige Schöpfung erkennbar werden lassen. Das Merkmal der persönlichen geistigen Schöpfung ist bei Fotografien erfüllt, wenn sie von der Individualität ihres Urhebers geprägt sind.55 Es ist im Hinblick auf Art 6 der Schutzdauer-Richtlinie 56 nicht erforderlich, dass die Bilder auch ein besonderes Maß an schöpferischer Gestaltung aufweisen.57 Da auch die kleine Münze geschützt ist, genügt es für die Einstufung als Lichtbildwerk, dass die Aufnahme eine individuelle Betrachtungsweise oder künstlerische Aussage des Fotografen zum Ausdruck bringt, die sie von der lediglich gefälligen und technisch einwandfreien Abbildung abhebt.58 Entscheidend ist dabei, dass die Wahl des Motivs, des Bildausschnitts, der Perspektive, der Beleuchtung oder der Kontrastgebung eine individuelle Zuordnung von Fotografie und Fotograf ermöglicht.59 Im Gegensatz zu den gestalteten Lichtbildwerken (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG) handelt es 42 sich bei den Lichtbildern (§ 72 UrhG) um fotografische Abbildungen, die nicht die Qualität einer persönlichen geistigen Schöpfung aufweisen. Zwar erfordert auch der Lichtbildschutz ein Mindestmaß an persönlicher Leistung, doch sind diese Mindestanforderungen in der Regel bei allen einfachen Fotografien erfüllt.60 Entscheidend ist, dass eine natürliche Person die Aufnahmebedingungen bestimmt und das Lichtbild als Urbild, also nicht durch bloße Reproduktion eines bereits vorhandenen Bildes geschaffen wird.61 Unerheblich ist die eingesetzte Technik. Deshalb sind nicht nur Knipsbilder, die ein Foto-
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Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 30; Franzen/ von Olenhusen UFITA 2007, 435, 446. Vgl OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 219 – Troades; LG München I ZUM-RD 2002, 489, 493 – Rudolf der Eroberer I. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 179. Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10. 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte. BGH ZUM 2000, 233, 234 – Werbefotos; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 179; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 22; Heitland 60 ff; Platena 237 f; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 439. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 179;
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Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 439; vgl auch Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 22; Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 195. OGH ZUM-RD 2002, 281, 283 f – EUROBIKE; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 179. BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion; BGH GRUR 1993, 34, 35 – Bedienungsanweisung; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 12. BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion; Fromm/Nordemann/Hertin § 72 UrhG Rn 3; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 23; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 9; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 130.
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2. Teil
amateur mit einer einfachen Digitalkamera anfertigt,62 sondern auch die mit einer automatischen Kamera aufgenommen Luftbilder,63 Satellitenfotos,64 Standbilder einer Wetterkamera,65 Radarbilder 66 und Passbilder aus dem Fotoautomaten 67 als Lichtbilder geschützt, sofern die eingesetzte Technik von einem Menschen programmiert wird. Für die rein technische Reproduktion einer Grafik mit Hilfe einer Reprokamera be43 steht dagegen ebenso wenig ein eigenständiger Lichtbildschutz 68 wie für Reproduktionen bereits vorhandener Fotografien (Abzüge von Negativen, Diaduplikate, Scans, Fotokopien etc), da das notwendige Mindestmaß an persönlicher Leistung bei dem Reproduktionsvorgang nicht erreicht wird.69 Dasselbe gilt für Bilder, die ohne bewusste Mitwirkung eines Menschen durch Zufall entstehen.70 So sind bspw die Farbverläufe auf den Anfangsabschnitten entwickelter Diafilmstreifen, die manchmal wie Landschaftsbilder aussehen, dem Zufall zu verdanken und die „Landschafts-Epiphanien“ des Künstlers Timm Ulrichs, die aus solchen zufällig entstandenen Filmschnipseln bestehen, weder als Lichtbildwerke noch als einfache Lichtbilder geschützt.
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b) Ungeschützte Werke und Leistungen. aa) Gemeinfreie Fotografien. Ein urheberrechtlicher Schutz besteht nur für die Dauer der gesetzlichen Schutzfristen. Bei Fotografien ist die Dauer der Schutzfristen und das genaue Datum ihres Ablaufs oft schwierig zu bestimmen, weil die Schutzfristen im Laufe der Zeit immer wieder geändert und verlängert wurden.71 So waren Fotografien ursprünglich nur für die Dauer von 5 Jahren ab ihrem Erscheinen geschützt. 1907 wurde die Schutzdauer auf 10 Jahre und 1940 auf 25 Jahre verlängert. Ab 1985 differenzierte das Gesetz bei den Schutzfristen zwischen den Lichtbildwerken, deren Schutzdauer auf 70 Jahren post mortem auctoris verlängert wurde, und den Lichtbildern, die für die Dauer von 50 Jahren ab ihrem Erscheinen geschützt waren, falls es sich um Dokumente der Zeitgeschichte handelte, und für die ansonsten weiterhin eine Schutzfrist von 25 Jahren galt. 1995 führte dann die Umsetzung der Schutzdauer-Richtlinie in das deutsche Recht zu einer erneuten Änderung. Die
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Hoeren/Nielen/Fleer Rn 134. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 20; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 4; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 10; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 132; Katzenberger GRUR Int 1989, 116, 118 f; Wanckel Rn 365; Heitland 80; Platena 105 ff; aA Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 72 Rn 3. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 20; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 4; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 10; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 133; Katzenberger GRUR Int 1989, 116, 118 f; Wanckel Rn 365; Heitland 80 f; Platena 105 ff; aA Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 72 UrhG Rn 3; offen gelassen von LG Berlin GRUR 1990, 270 – Satellitenfoto. OGH GRUR Int 2001, 351, 352 – Vorarlberg Online; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 4; Wanckel Rn 365. Schricker/Vogel § 72 Rn 20; aA Wandtke/ Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 12; Möhring/ Nicolini/Kroitzsch § 72 UrhG Rn 3; Dreyer/
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Kotthoff/Meckel/Meckel § 72 UrhG Rn 8; Wanckel Rn 365. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 20; Dreier/ Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 4; Fromm/ Nordemann/Hertin § 72 UrhG Rn 3; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 10; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 72 UrhG Rn 3; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 131; Wanckel Rn 365; Platena 102 ff. BGH ZUM-RD 2001, 322, 325 – Telefonkarte; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 12; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 441. BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 23; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 10; Schack Kunst und Recht Rn 837. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 23 aE; Hoeren/Nielen/Fleer Rn 135; Heitland 79; aA Gerstenberg 124; differenzierend Heitland 79; Platena 107 ff. Vgl dazu auch die Übersicht bei Loewenheim/A. Nordemann § 22 Rn 26 f.
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§2
Rechte an der Fotografie
Schutzfrist für die einfachen Lichtbilder wurde einheitlich auf 50 Jahre ab dem erstmaligen Erscheinen festgesetzt und die Sonderregelung für die Dokumente der Zeitgeschichte aufgegeben. Angesichts der wiederholten Änderung der Schutzfristen und der Differenzierung zwi- 45 schen den Lichtbildwerken, den Dokumenten der Zeitgeschichte und sonstigen Lichtbildern ist bei älteren Fotografien eine sichere Aussage darüber, ob sie bereits gemeinfrei oder noch geschützt sind, häufig nicht möglich. Die Umsetzung der Schutzdauer-Richtlinie hat dieses Problem noch verschärft, denn die Übergangsregelung (§ 137f Abs 2 UrhG) sieht ein Wiederaufleben des urheberrechtlichen Schutzes für Lichtbildwerke vor, deren Schutz nach deutschem Recht vor dem 1.7.1995 bereits abgelaufen war, die aber zu diesem Zeitpunkt in einem anderen EU- oder EWR-Staat noch geschützt waren. Eine solche längere Schutzdauer gab es bspw in Spanien.72 Dort waren alle Fotografien, die einen gewissen Grad an Originalität aufweisen und eine persönliche Leistung des Urhebers erkennen lassen, bereits seit 1879 für die Dauer von 80 Jahren ab dem Tod des Urhebers geschützt. Deshalb bestand am 1.7.1995 für zahlreiche Bilder, die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland wegen der früher üblichen kurzen Schutzfristen bereits gemeinfrei waren, zumindest in Spanien noch ein urheberrechtlicher Schutz. Bei solchen Fotografien ist der deutsche Urheberrechtsschutz zum 1.7.1995 wieder aufgelebt.73 Er erlischt jetzt erst 70 Jahren nach dem Tod des Fotografen, der das Bild aufgenommen hat. Man kann demnach bei älteren Fotos nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die 46 Bilder wegen der früher gültigen kurzen Schutzfristen inzwischen gemeinfrei sind. Selbst für Aufnahmen aus der Anfangszeit der Fotografie, deren Urheber schon vor mehr als 70 Jahren verstorben sind, kann heute noch ein urheberrechtlicher Schutz bestehen. Wenn nämlich solche Bilder bis zum Erlöschen des Urheberrechts nicht publiziert worden sind und erst nach diesem Zeitpunkt erscheinen, dann steht demjenigen, der die Fotografien erstmals erscheinen lässt, für die Dauer von 25 Jahren ab ihrem erstmaligen Erscheinen das ausschließliche Verwertungsrecht zu (§ 71 Abs 1 UrhG).74 Ein gemeinfreier Gebrauch ist dann nicht möglich. bb) Methoden, Techniken, Stilelemente, Bildsprache. Urheberrechtlich geschützt ist 47 immer nur das konkrete Foto. Nicht geschützt ist dagegen die Methode oder die Technik, mit der ein Foto geschaffen wird.75 Deshalb kann bspw ein Fotograf, der eine technische Methode zur Darstellung von Bewegungsabläufen in einem einzigen Bild entwickelt, dafür keinen Urheberrechtsschutz beanspruchen. Auch der Stil einer Fotografie ist als solcher nicht geschützt. Deshalb kann niemand 48 bestimmte fotografische Stilmittel unter Berufung auf den Urheberrechtsschutz für sich monopolisieren.76 Dasselbe gilt für die von einem Fotografen entwickelte Bildsprache. cc) Bildideen, Bildkonzeptionen. Die Gedanken sind frei. Deshalb besteht für Bild- 49 ideen kein Urheberrechtsschutz. Schutzfähig ist immer nur das konkrete Foto, in dem 72 73
Dazu Schulze/Bettinger GRUR 2000, 12, 15 ff. Vgl OLG Hamburg ZUM-RD 2004, 303 – U-Boot-Krieg im Atlantik. Allerdings ist ein Wiederaufleben des Schutzes nur bei Lichtbildwerken, nicht dagegen bei einfachen Lichtbildern möglich; dazu OLG Düsseldorf GRUR 1997, 49/50 – Beuys-Fotografien; Dreier/Schulze/Dreier § 137 f UrhG Rn 6 ff.
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Dazu auch LG Magdeburg ZUM 2004, 580 – Himmelsscheibe von Nebra. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 48; Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 45; A. Nordemann 215 f. Schack Kunst und Recht Rn 234; A. Nordemann 216.
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sich die Bildidee manifestiert. Solange deshalb die Idee zu einem Bild nur ein Gedanke ist und noch keine konkrete Ausformung in einer Skizze oder einem Probebild gefunden hat, scheidet ein urheberrechtlicher Schutz aus, auch wenn der Einfall noch so originell sein mag.77 Bei der künstlerischen Konzeption einer Bildserie ist die Rechtslage weniger eindeutig. 50 Da für Werbekonzeptionen 78 und das Format einer Fernsehshowreihe (Sendekonzeptionen) 79 teilweise die urheberrechtliche Schutzfähigkeit bejaht wird, stellt sich die Frage, ob nicht auch für eine künstlerische Bildkonzeption unabhängig von ihrer jeweiligen Ausdrucksform ein Urheberrechtsschutz anzuerkennen ist. Die Schutzfähigkeit von Bildkonzeptionen widerspricht jedoch dem allgemeinen Grundsatz, dass die Gedanken (gemein)frei bleiben müssen und ein urheberrechtlicher Schutz deshalb nur für die äußere Formgebung, nicht dagegen für die der Formgebung zugrunde liegende Gestaltungsidee in Betracht kommt. Wollte man auch Bildkonzeptionen diesen Schutz zubilligen, wäre ein wesentliches Prinzip des Urheberrechts außer Kraft gesetzt. Dann könnten Gestaltungskonzepte und Ideen von denen, die diese Ideen und Konzepte entwickeln, monopolisiert werden. Zutreffend weist der BGH in der Sendeformat-Entscheidung 80 darauf hin, dass Gegenstand des Urheberrechtsschutzes immer nur das Ergebnis der schöpferischen Formung eines bestimmten Stoffs sein kann. Die äußere Formgebung sei von der bloßen Anleitung zur Gestaltung gleichartiger anderer Stoffe zu unterscheiden. Das Urheberrecht schütze nur die konkrete Formgebung und es schütze diese Formgebung auch nur gegen eine unbefugte Verwertung in unveränderter oder bearbeiteter Form, nicht aber dagegen, dass das in der Formgebung manifestierte Gestaltungskonzept als Anleitung zur Gestaltung anderer Stoffe verwendet wird. Dementsprechend kann es für Bildkonzeptionen keinen Urheberrechtsschutz geben.81 Denkbar ist allenfalls ein wettbewerbsrechtlicher Schutz.82 Der fehlende Urheberrechtsschutz wirft die Frage auf, wie sich ein Fotograf wirksam 51 davor schützen kann, dass eine von ihm entwickelte Bildidee oder Bildkonzeption von Dritten einfach übernommen wird. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn ein Fotograf vor einer Auftragserteilung zunächst gebeten wird, seine Ideen und Konzepte vorzustellen. Zwar gibt es gesetzliche Regelungen, die demjenigen, dem ein Fotograf bspw ein Scribble, eine Fotomontage oder ähnliche Vorlagen präsentiert, die unbefugte Verwertung solcher Vorlagen verbieten (§ 18 UWG) und einem potentiellen Auftraggeber, dem ein Fotograf in der Hoffnung auf einen Vertragsabschluss bestimmte Bildideen oder -konzeptionen offenbart, gewisse Schutzpflichten auferlegen, wozu auch die Verpflichtung zur Geheimhaltung der anvertrauten Dinge gehört (§ 311 Abs 2 Nr 2 BGB).83 Es wird aber oft nur schwer nachzuweisen sein, dass sämtliche Voraussetzungen dieser Vorschriften im konkreten Fall erfüllt sind und welcher konkrete Schaden dem Fotogra77
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Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 50; Dreier/Schulze/Dreier § 2 UrhG Rn 37; Schack Kunst und Recht Rn 234. Schricker GRUR 1996, 815 ff und GRUR Int 2004, 923 ff; zust Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 Rn 23; Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 244; abl Hertin GRUR 1997, 799 f; Schack Kunst und Recht Rn 827. Schricker GRUR Int 2004, 923 ff; Berking GRUR 2004, 109 ff; abl BGH GRUR 2003, 876 – Sendeformat. GRUR 2003, 876, 878.
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So auch LG Hamburg Urteil vom 4.3.1997 (308 O 272/95) – Rote Couch I: Das von Horst Wackerbarth und Kevin Clarke entwickelte Konzept, Menschen aus aller Welt an unterschiedlichen Orten auf eine rote Couch zu setzen und sie zu fotografieren, ist urheberrechtlich nicht geschützt. Zum wettbewerbsrechtlichen Konzeptionsschutz Wüterich/Breucker GRUR 2004, 389 ff. Dazu Zentek WRP 2007, 507 ff; Nennen WRP 2003, 1076 ff.
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§2
Rechte an der Fotografie
fen durch die Verletzung der gesetzlichen Pflichten entstanden ist. Deshalb erweist sich eine vertragliche Vereinbarung zum Ideenschutz, die vor einer solchen Präsentation abgeschlossen wird, vielfach als die bessere Absicherung.84 dd) Bildmotive. Ebenso wenig wie die Bildidee ist das Bildmotiv geschützt.85 Ein Mo- 52 tivschutz würde die Arbeits- und Gestaltungsmöglichkeiten anderer Fotografen derart einschränken, dass kein vernünftiges Arbeiten mehr möglich wäre. Deshalb ist niemand daran gehindert, das gleiche Motiv vom gleichen Standort aus mit den gleichen technischen Apparaten und Hilfsmitteln erneut aufzunehmen.86 Wenn allerdings ein Fotograf bei der Wiedergabe eines Landschaftsmotivs bestimmte 53 schöpferische Gestaltungselemente verwendet (zB gezielter Einsatz von Gegenlicht, Wiedergabe von Personen als Silhouette, außergewöhnliche Einstellung der Brennweite, Wahl besonderer Lichtverhältnisse), kann die erneute Ablichtung desselben Motivs durch einen anderen Fotografen eine unzulässige Bildbearbeitung (§ 23 UrhG) darstellen, sofern das jüngere Bild außer dem Motiv und der Perspektive auch die wesentlichen schöpferischen Gestaltungselemente des älteren Bildes übernimmt.87 Zudem kann das Nachfotografieren eines Motivs wettbewerbswidrig sein, falls derjenige, der das ältere Foto nachstellt, die dafür erforderlichen Kenntnisse über den Standort des Objekts und die ideale Perspektive unredlich erlangt hat (§ 3 iVm § 4 Nr 9c UWG).88 Unzulässig ist die Übernahme eines Motivs auch in den Fällen, in denen das Motiv 54 auf einem künstlerischen Arrangement des Fotografen beruht und eine schöpferische Leistung darstellt.89 Da solche arrangierten Motive urheberrechtlich geschützt sind, dürfen sie nicht nachgestellt und erneut fotografiert werden.90 ee) Posen. Wenn es zwar keinen Motivschutz, aber einen Schutz des künstlerischen 55 Arrangements gibt, dann stellt sich die Frage, wie es mit dem Schutz einer bestimmten Pose aussieht, die von einem Fotografen abgelichtet wird. Dazu wird teilweise die Auffassung vertreten, dass menschliche Posen als solche nicht geschützt sind und deshalb nachgestellt werden dürfen.91 Diese Rechtsauffassung wird man dahingehend einschränken müssen, dass auch für die Pose ein Urheberrechtsschutz beansprucht werden kann, sofern sie neu und eigentümlich ist und ein künstlerisches Arrangement des Fotografen erkennbar werden lässt.92 ff) Bildausschnitte. Teile eines Lichtbildwerkes sind nur dann gegen eine Übernahme 56 geschützt, wenn sie für sich genommen den Schutzvoraussetzungen des § 2 Abs 2 UrhG genügen, also eine persönliche geistige Schöpfung darstellen.93 Dementsprechend ist bei 84
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Vgl dazu das Muster einer Vereinbarung über den Schutz einer Bildidee/Bildkonzeption bei Maaßen Verträge 100 ff. OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 221 – Troades; A. Nordemann 215 f. OLG München NJW-RR 1992, 369 – Hochzeits-Fotograf; OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 221 – Troades. LG Mannheim ZUM 2006, 886 – Freiburger Münster; aA Hüper AfP 2004, 511, 512 f. Vgl dazu auch OLG München NJW-RR 1992, 369 – Hochzeits-Fotograf; Schricker/ Vogel § 72 Rn 28; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 40; Hüper AfP 2004, 511, 513.
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OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 221 – Troades; ebenso LG Hamburg, Urteile vom 24.10.1995 (308 S 6/95) – Cowboy mit Baby, und vom 19.12.1997 (416 O 67/97) – New York City 1974; vgl auch OLG Köln GRUR 2000, 43, 44 – Klammerpose; aA Hüper AfP 2004, 511, 512 f. Dazu auch BGH GRUR 2003, 1035, 1037 – Hundertwasser-Haus. OLG Hamburg ZUM 1996, 315, 316 – Power of Blue. So OLG Köln GRUR 2000, 43, 44 – Klammerpose. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 66.
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der Entnahme von einzelnen Ausschnitten aus einer Fotografie zu prüfen, ob der entnommene Teil für sich betrachtet hinreichend individuell ist.94 Ist diese Voraussetzung erfüllt, können auch kleinste Ausschnitte einer Fotografie geschützt sein. Auf das quantitative oder qualitative Verhältnis des entnommenen Ausschnitts zu der Gesamtfotografie kommt es dabei nicht an.95 Auch einzelne Teile von Lichtbildern können schutzfähig sein. Allerdings ist bei Licht57 bildern nicht darauf abzustellen, ob der Bildausschnitt eine hinreichende Individualität aufweist. Maßgebend ist vielmehr, ob der aus einem Lichtbild entnommene Ausschnitt noch als Gegenstandsfotografie individualisiert und zugeordnet werden kann.96 2. Rechtsinhaber
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a) Urheber und Lichtbildner. Das Urheberrecht an einem Lichtbildwerk steht dem Urheber und das Leistungsschutzrecht an einem Lichtbild dem Lichtbildner zu. Urheber ist der Schöpfer des Werkes (§ 7 UrhG). Lichtbildner ist derjenige, der das Lichtbild persönlich herstellt.97 Als Urheber und Lichtbildner kommen nur natürliche Personen in Betracht.98 Juris59 tische Personen können keine Urheber sein, so dass bspw die European Space Agency (ESA) weder Urheber noch Lichtbildner der Fotos sein kann, die von den Satelliten dieses Unternehmens aufgenommen werden.99 Bei Satellitenbildern ist ebenso wie bei Luftbildern, die vom Flugzeug aus mit einer automatischen Kamera aufgenommen werden, derjenige als Lichtbildner anzusehen, der den Automaten konditioniert und damit die Herstellung des Lichtbildes bewirkt.100 Wer einen Fotografen beauftragt oder anregt, ein Bild aufzunehmen, wird dadurch 60 nicht zum Urheber oder Lichtbildner. Auch die Lieferung der Idee zu einer Aufnahme oder die Formulierung inhaltlicher Vorgaben können für sich allein keine Urheberschaft begründen oder dem Ideengeber die Rechtsstellung eines Lichtbildners verschaffen.101 Das Urheber- oder Leistungsschutzrecht an einem Foto steht daher regelmäßig nur dem Fotografen zu, der die Aufnahme eigenhändig anfertigt, indem er die Kamera einstellt und den Auslöser betätigt, nicht aber dem demjenigen, der das Thema oder bestimmte inhaltliche Anforderungen vorgibt. Folglich kann der Auftraggeber ebenso wie der Arbeitgeber eines Fotografen an den Lichtbildwerken und Lichtbildern, die aufgrund eines Werkvertrages oder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geschaffen werden, zwar Nutzungsrechte, nicht aber das Urheberrecht oder das Leistungsschutzrecht eines Lichtbildners erwerben.102 94 95 96
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Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 76. Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 67. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 29; Wandtke/ Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 17; ähnlich Reuter GRUR 1997, 23, 28; sehr großzügig Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 15, der auch für kleinste Teile eines Lichtbildes einen Schutz anerkennen will. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 35; Dreier/ Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 32; dazu auch Platena 195, der darauf abstellt, wer das Lichtbild „adäquat verursacht“. Schricker/Loewenheim § 7 UrhG Rn 2; Schack Kunst und Recht Rn 236.
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LG Berlin GRUR 1990, 270 – Satellitenfoto. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 20; Fromm/ Nordemann/Hertin § 72 UrhG Rn 6; Katzenberger GRUR Int 1989, 116, 118. BGH GRUR 1995, 47, 48 – Rosaroter Elefant; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 33, 34 – Maschinenmensch; Schricker/Loewenheim § 7 UrhG Rn 7; Dreier/Schulze/Schulze § 7 UrhG Rn 4; Schack Kunst und Recht Rn 239. Schricker/Loewenheim § 7 UrhG Rn 4; Dreier/Schulze/Schulze § 7 UrhG Rn 4, 8 und § 72 UrhG Rn 32; Schack Kunst und Recht Rn 236 und Rn 451.
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§2
Rechte an der Fotografie
Wird ein Fotograf bei den Aufnahmearbeiten von Gehilfen (zB Fotoassistenten) 61 unterstützt, kommt bei einem Lichtbildwerk eine Urheberschaft oder Miturheberschaft der Gehilfen nur dann in Betracht, wenn sie eigene schöpferische Beiträge leisten.103 Bei einem Lichtbild erwirbt der Gehilfe die Rechtsstellung eines Lichtbildners nur, wenn ihm der Fotograf die Aufnahmearbeiten zur selbstständigen Erledigung überträgt und die Details der Bildgestaltung nicht vorher im einzelnen festlegt.104 b) Miturheber und Co-Lichtbildner. Wenn mehrere Personen ein Lichtbildwerk gemeinsam schaffen, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, sind sie Miturheber (§ 8 UrhG). Bei einfachen Lichtbildern ist von einer Miturheberschaft (Co-Lichtbildnerschaft) auszugehen, wenn mehrere Personen einen Beitrag zu den Aufnahmen beisteuern und zwischen den Beteiligten kein Unterordnungsverhältnis, sondern Gleichrangigkeit besteht.105 Die Gleichrangigkeit fehlt, wenn der Fotograf bspw einen Fotoassistenten hinzuzieht, der ihn bei den Aufnahmearbeiten unterstützt. Sofern in einem solchen Fall alle wesentlichen Einstellungen durch den Fotografen selbst oder nach seinen Anweisungen von dem Assistenten vorgenommen werden, erwirbt der Fotoassistent als weisungsabhängige und damit untergeordnete Person keine eigenen Leistungsschutzrechte an den Lichtbildern, selbst wenn er nach Abschluss der Vorbereitungen den Auslöser betätigt.106 Ein Bildbearbeiter, der die von dem Fotografen angefertigten Aufnahmen in der Postproduktion mit Computerunterstützung optimiert, erbringt wegen der Bindung an die Gestaltungsvorgaben und Anweisungen des Fotografen in der Regel keine eigene schöpferische Leistung. Er vollendet lediglich ein weitgehend fertiggestelltes Lichtbildwerk und ordnet sich dabei der von dem Fotografen entwickelten Gestaltungsidee unter, so dass er durch die Bildbearbeitung nicht zum Miturheber des fertigen Bildes wird.107 Wenn es sich bei dem aufzunehmenden Motiv um ein künstlerisches Arrangement handelt, das als persönliche geistige Schöpfung urheberrechtlich geschützt ist, kann derjenige, der das Motiv in Zusammenarbeit mit dem Fotografen für die Aufnahme arrangiert (zB Stylist), ein Miturheberrecht an den Fotografien erwerben.108 Dagegen wird ein Fotomodell, das sich für Aufnahmen zur Verfügung stellt und die von dem Fotografen gewünschten Posen einnimmt oder eine bestimmte Mimik präsentiert, dadurch nicht zum Miturheber der Fotografien, die bei dem Shooting entstehen.109 Anders sind die Fälle zu beurteilen, in denen die fotografierte Person den Auslöser betätigt und somit selbst entscheidet, mit welcher Mimik und Pose sie auf dem Bild erscheint. So hat der Fotograf Stefan Moses für seine Bildserie „Spiegelbilder“ berühmte Zeitgenossen (zB Ernst Bloch) vor einen Spiegel gestellt und seine Kamera jeweils hinter den aufzunehmenden Personen platziert, so dass sie auf den Fotos von hinten und zugleich als Spiegelbild von vorne zu sehen sind. Zwar bestimmt der Fotograf die Kameraposition und die Kameraeinstellungen, doch halten die Prominenten den Auslöser in der Hand und können daher selbst bestimmen, wann die Blende geöffnet und der 103
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BGH GRUR 1995, 47, 48 – Rosaroter Elefant; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 33, 34 – Maschinenmensch. Heitland 122. OGH GRUR Int 2001, 351, 353 – Vorarlberg Online; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 35; Platena 200. OGH GRUR Int 2001, 351, 353 – Vorarlberg Online; Platena 200; Heitland 122.
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Vgl auch Schricker/Loewenheim § 8 UrhG Rn 8; Dreier/Schulze/Schulze § 8 UrhG Rn 2. Vgl Hoge Raad GRUR Int 1991, 649 – Fotostylist; aA LG Stuttgart Urteil vom 19.6.1998 (17 O 155/98) – Bier-Werbeplakat. OLG Düsseldorf Urteil vom 25.3.1999 (5 U 217/98) – Dona Margarida.
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Film belichtet wird. Damit nehmen die abgelichteten Personen einen entscheidenden gestalterischen Einfluss auf die Lichtbildwerke, so dass sie neben dem Fotografen, der das künstlerische Bildkonzept entwickelt und ihm durch die Aufstellung der Requisiten (Spiegel) und die Einstellung der Kamera auch eine konkrete Form gegeben hat, als Miturheber anzusehen sind.
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c) Vermutung der Urheberschaft. Wer bei der Veröffentlichung eines Lichtbildwerkes in Zeitschriften, Büchern oder anderen Printmedien in der üblichen Weise als Urheber benannt wird, wird bis zum Beweis des Gegenteils als Urheber des Werkes angesehen (§ 10 Abs 1 UrhG). Diese Regelung gilt gem § 72 Abs 2 UrhG auch für einfache Lichtbilder.110 Die Urheberbezeichnung muss inhaltlich so gestaltet sein, dass sie eine eindeutige Zu67 ordnung des gekennzeichneten Fotos zu dem Urheber ermöglicht. Eine solche Zuordnung ist nicht gewährleistet, wenn in einer Zeitschrift mehrere Bilder unterschiedlicher Fotografen auf einer Seite abgedruckt und sämtliche Fotografennamen in einem Sammelhinweis aufgelistet werden, so dass für die Leser nicht erkennbar ist, welcher Name zu welchem Foto gehört.111 Ob die Urheberbezeichnung „in der üblichen Weise“ erfolgt ist, hängt von dem jewei68 ligen Medium ab. Der Name des Fotografen muss nicht immer direkt unter oder neben dem Bild platziert werden. Bei Büchern genügt eine Namensangabe auf der Titelseite oder dem Vorblatt, im Impressum oder in einem gesonderten Bildquellennachweis. Auch bei Zeitschriften kann es eventuell ausreichen, wenn im Impressum oder in einem Bildquellennachweis auf den Urheber der abgedruckten Fotos hingewiesen wird. Bei Fotodateien, die auf einer CD-ROM verbreitet werden, muss nicht jeder einzelne Datenträger mit einem Urhebernachweis versehen sein, vielmehr greift die Vermutungswirkung des § 10 Abs 1 UrhG auch dann, wenn sich aus einer ebenfalls auf der CD befindlichen Textdatei ergibt, wer Urheber der digitalen Bilder ist.112 Wird ein digitales Bild in eine Online-Datenbank eingegeben, kann dagegen die gesetzliche Urhebervermutung nur dann zum Zuge kommen, wenn die Urheberbezeichnung mit dem Bild derart verknüpft wird, dass sie bei einem Online-Abruf des Bildes auf dem Bildschirm erscheint.113 Fraglich ist, ob die Urhebervermutung auch dadurch begründet werden kann, dass 69 die Benennung des Fotografen in den zu jeder Bilddatei gehörenden Dokumentinformationen oder in Form eines verdeckten digitalen Wasserzeichens erfolgt.114 3. Urheberpersönlichkeitsrechte
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a) Recht der Erstveröffentlichung. Jeder Fotograf hat das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist (§ 12 Abs 1 UrhG). Dieses Recht gilt nur für die Erstveröffentlichung. Es ist verbraucht, sobald ein Lichtbildwerk oder Lichtbild mit Zustimmung des Urhebers bzw Lichtbildners publiziert wird. Durch die Speicherung eines digitalen Bildes in einer Online-Datenbank kommt es 71 bereits zu einer Veröffentlichung mit der Folge, dass das Erstveröffentlichungsrecht 110
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KG GRUR-RR 2002, 125, 126 – Gruß aus Potsdam; Schricker/Loewenheim § 10 UrhG Rn 2. LG Düsseldorf GRUR 1993, 664 f – Urheberbenennung bei Foto; LG München I ZUM 1995, 57 f – Venus der Lumpen; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 22.
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LG Kiel ZUM 2005, 81, 83 – Ostseeheilbad Großebrode; Schricker/Loewenheim § 10 UrhG Rn 7; Wanckel Rn 382. Maaßen ZUM 1992, 338, 343; Hoeren/ Nielen/Nielen Rn 236. Dazu Hoeren/Nielen/Nielen Rn 236.
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Rechte an der Fotografie
erlischt. Bei späteren unerlaubten Publikationen kann deshalb der Fotograf keine Verletzung seines Veröffentlichungsrechts mehr geltend machen, selbst wenn das Bild bis dahin noch kein einziges Mal aus der Datenbank abgerufen wurde.115 b) Anerkennung der Urheberschaft. Der Urheber eines Lichtbildwerkes hat ebenso wie der Lichtbildner ein Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft an dem Werk bzw Lichtbild (§ 13 S 1 UrhG). Der Fotograf kann daher bestimmen, ob seine Aufnahmen mit einer Urheberbezeichnung zu versehen sind und welche Bezeichnung zu verwenden ist (§ 13 S 2 UrhG). Die Benennung als Urheber oder Lichtbildner hat gerade für Berufsfotografen einen sehr wichtigen Werbeeffekt.116 Der Werbeeffekt stellt sich nur ein, wenn eine eindeutige Zuordnung eines Fotos zu dem Fotografen möglich ist, der es aufgenommen hat. An der notwendigen Eindeutigkeit fehlt es, wenn die Urheber der Fotos, die in einer Zeitschrift oder in einem Buch abgedruckt sind, lediglich in einem Sammelnachweis benannt werden und keine konkrete Zuordnung der Namen zu den einzelnen Bildern erfolgt.117 Es ist Sache der Fotografen, die Art der Urheberbezeichnung zu bestimmen. Sie brauchen es nicht hinzunehmen, dass ihre Bilder mit dem Namen der Bildagentur oder der Kurzbezeichnung einer Nachrichtenagentur veröffentlicht werden.118 Die gesetzliche Verpflichtung zur Urheberbenennung kann durch vertragliche Vereinbarungen mit dem Fotografen ausgeschlossen werden und auch dann entfallen, wenn das Weglassen der Urheberbezeichnung einer allgemeinen Branchenübung entspricht. Meist wird in den Fällen, in denen die Veröffentlichung eines Fotos ohne Angaben zum Urheber erfolgt, kein Verzicht des Fotografen auf die Urheberbenennung nachweisbar sein. Die Verwerter berufen sich deshalb zu ihrer Rechtfertigung häufig auf eine Branchenübung, derzufolge Fotografien insbesondere dann, wenn es sich um Werbefotos handelt, regelmäßig ohne Urheberbezeichnung abgedruckt werden. Die angebliche Branchenübung ist aber nichts weiter als eine weit verbreitete Unsitte, die sich nur deshalb durchsetzen konnte, weil die Fotografen wirtschaftlich meist in der schwächeren Position sind und sich gegen die Verletzung ihres Rechts auf Anerkennung der Urheberschaft nur selten zur Wehr setzen. Solche Unsitten sind rechtlich unbeachtlich.119 Abgesehen davon könnte eine Branchenübung oder Verkehrsgepflogenheit die gesetzliche Pflicht zur Urheberbenennung nur dann außer Kraft setzen, wenn sie ausdrücklich oder zumindest stillschweigend Vertragsinhalt geworden wäre.120 An den Nachweis einer Einbeziehung der Branchenübung in den Vertrag sind strenge Anforderungen zu stellen.121 Die Veröffentlichung von Fotos ohne Urheberbenennung wird deshalb in der Regel 122 nicht mit dem Hinweis auf tatsächliche oder vermeintliche Branchengepflogenheiten zu rechtfertigen sein, so dass die Fotografen grds auch bei der Wiedergabe ihrer Fotos in Werbeanzeigen oder Prospekten als Urheber kenntlich zu machen sind.123 115 116 117
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Maaßen ZUM 1992, 338, 343; Hoeren/Nielen/Nielen Rn 235. Wanckel Rn 383; Platena 180; Spieker GRUR 2006, 118, 120. LG Düsseldorf GRUR 1993, 664 f – Urheberbenennung bei Foto; LG München I ZUM 1995, 57 f – Venus der Lumpen; Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 22. Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 22; Wanckel Rn 383. So LG München I ZUM 1995, 57, 58 – Venus der Lumpen; Schricker/Dietz § 10
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UrhG Rn 25; Dreier/Schulze/Schulze § 13 UrhG Rn 26. LG Hamburg ZUM 2004, 675, 678 – Copyright-Vermerk; Schricker/Dietz § 13 UrhG Rn 24 Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 13 UrhG Rn 21; Wanckel Rn 384. Riedel Rn 4.533 nennt als denkbare Ausnahme die Verwendung eines Fotos für ein Wahlplakat. LG München I ZUM-RD 1997, 249, 253 – „bike“-Werbeanzeige; Dreier/Schulze/
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c) Entstellungsverbot. Der Urheber eines Lichtbildwerkes hat das Recht, jede Entstellung oder sonstige Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen an dem Werk zu gefährden (§ 14 UrhG). Es ist umstritten, ob diese Regelung auch bei einfachen Lichtbildern zur Anwendung kommt.124 Eine Fotografie kann zum einen durch eine direkte Veränderung des Originals oder 77 der Bilddatei, zum anderen aber auch indirekt dadurch entstellt werden, dass sie in einen beeinträchtigenden Sachzusammenhang gestellt wird.125 So kann zB eine Entstellung vorliegen, wenn ein Lichtbildwerk durch starke Beschneidungen auf einem Buchumschlag verstümmelt wiedergegeben 126 oder die Aufnahme eines renommierten Berufsfotografen durch eine unzutreffende Legende zum Urlaubsfoto eines Amateurs umfunktioniert wird.127 Eine Entstellung kommt auch dann in Betracht, wenn künstlerische Fotografien in einer Ausstellung herabwürdigend präsentiert werden, nicht aber schon dann, wenn es sich lediglich um eine lieblose Hängung handelt.128 Werden Fotografien mit Bilderrahmen versehen, die durch ihre Bemalung so wirken, als würden sich die fotografierten Bilder in den Rahmen fortsetzen, kann auch das den Tatbestand des § 14 UrhG erfüllen.129 Ob dagegen auch die Wiedergabe eines digitalen Fotos im Internet mit einer niedrigen Auflösungsfrequenz zu einer Entstellung führen kann,130 erscheint zweifelhaft. Geht man mit der herrschenden Rechtsauffassung davon aus, dass das Entstellungs78 verbot auch für einfache Lichtbilder gilt, dürfte eine Anwendung des § 14 UrhG in der Regel jedenfalls daran scheitern, dass die Veränderung eines Lichtbildes nur selten geeignet sein wird, die ideellen Interessen des Fotografen zu gefährden.131 So ist bspw bei Pressebildern, bei denen es in erster Linie um technische Perfektion und die authentische Wiedergabe der Realität geht, eine Entstellung im Grunde nur bei gravierenden Eingriffen in den tatsächlichen Aussagegehalt denkbar.132 4. Verwertungsrechte
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a) Recht zur Verwertung in körperlicher und unkörperlicher Form. Der Fotograf hat als Urheber bzw Lichtbildner das ausschließliche Recht, seine Aufnahmen zu verwerten und sich so eine angemessene Beteiligung an dem wirtschaftlichen Nutzen zu sichern, der aus seinen Bildern gezogen wird. Das Verwertungsrecht umfasst das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG), das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) und das Recht der öffentlichen Wiedergabe (§§ 19 ff UrhG), wozu insbesondere das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) gehört. Niemand darf da-
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Schulze § 13 UrhG Rn 27 und § 72 UrhG Rn 27; anders wohl Riedel Rn 4.533. Für eine entsprechende Anwendung Wandtke/Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 23; Fromm/Nordemann/Hertin § 72 UrhG Rn 7; Dreier/Schulze/Schulze § 72 UrhG Rn 16; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Meckel § 72 UrhG Rn 13; dagegen Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 31; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 72 UrhG Rn 6. Schricker/Dietz § 14 UrhG Rn 24; Heitland 89. BGH GRUR 1971, 525, 526 – Petite Jacqueline.
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OLG Köln Schulze OLGZ 129 – Mein schönstes Urlaubsfoto; dazu auch Schricker/ Dietz § 14 UrhG Rn 26; Riedel Rn 4.534. Vgl dazu den bei Wandtke/Bullinger/Bullinger § 14 UrhG Rn 47 geschilderten Fall. BGH GRUR 2002, 532, 534 – Unikatrahmen. So Hoeren/Nielen/vom Hofe Rn 117. So Schack Kunst und Recht Rn 840. Wanckel Rn 386; ähnlich Hoeren/Nielen/ vom Hofe Rn 116.
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her ohne Zustimmung des Fotografen dessen Bilder reproduzieren, an Dritte weitergeben, öffentlich ausstellen oder im Internet verbreiten. Die Speicherung von digitalen Bildern im Arbeitsspeicher eines Computers oder auf 80 externen Datenträgern berührt ebenso wie das Scannen analoger Fotografien das Vervielfältigungsrecht der Fotografen.133 Auch die Erfassung von Fotos durch Internet-Suchmaschinen und ihre Wiedergabe in Form von Thumbnails führt zu einer Vervielfältigung. Umstritten ist, ob die Anzeige solcher Thumbnails unzulässig134 oder durch eine konkludent erteilte Einwilligung desjenigen gedeckt ist, der die von der Suchmaschine angezeigten Lichtbildwerke und Lichtbilder auf seiner Webseite online gestellt und damit allgemein zugänglich gemacht hat.135 b) Einwilligungsvorbehalt bei Bearbeitungen und anderen Umgestaltungen. Bearbei- 81 tungen und andere Umgestaltungen eines Lichtbildwerkes dürfen nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden (§ 23 UrhG). Im Gegensatz zu der Vervielfältigung, bei der das Lichtbildwerk unverändert übernommen wird, handelt es sich bei der Umgestaltung ebenso wie bei der Bearbeitung um eine Übernahme, bei der das Originalwerk einerseits verändert wird, andererseits aber in seinen wesentlichen Zügen erhalten bleibt. Die Umgestaltung (Bearbeitung) setzt zwar eine Veränderung des Original-Lichtbild- 82 werkes, aber nicht unbedingt einen Eingriff in dessen Substanz voraus. So kann eine Bearbeitung des Werkoriginals ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn es unverändert in ein neues „Gesamtkunstwerk“ derart integriert wird, dass es als dessen Teil erscheint. Deshalb bedarf bspw die Verwendung künstlerischer Fotografien oder anderer Lichtbildwerke in Bilderrahmen, die durch ihre Bemalung so wirken, als würden sich die Fotografien in den Rahmen fortsetzen, gem § 23 UrhG der Einwilligung des Urhebers.136 Werden dagegen legal erworbene Vervielfältigungsstücke eines Lichtbildwerkes für Zwecke verwendet, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren, wird dadurch das Bearbeitungsrecht des Fotografen nicht berührt. Das Aufziehen von Posterbildern auf das Trägermedium eines Flachmembranlautsprechers ist deshalb keine Bearbeitung oder Umgestaltung, die der Einwilligung der Urheber der dafür verwendeten Bilder bedarf.137 Der Einwilligungsvorbehalt für Bearbeitungen und andere Umgestaltungen gilt zwar 83 im Prinzip auch für Lichtbilder.138 Da aber einfache Lichtbilder nur gegen eine identische oder nahezu identische Übernahme geschützt sind, genügen bereits geringfügige Änderungen, um den Schutzbereich des § 23 UrhG zu verlassen.139 c) Zulässigkeit der freien Benutzung. Im Gegensatz zur Bearbeitung und Umgestal- 84 tung ist die freie Benutzung eines fremden Lichtbildwerkes oder Lichtbildes auch ohne
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KG ZUM-RD 2001, 485, 488 – Tagesspiegel-Homepage; Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 16 ff; Dreier/Schulze/Schulze § 16 UrhG Rn 13; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 16 UrhG Rn 18; Maaßen ZUM 1992, 338, 344. So LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313, 316 ff – thumbnails I; Dreier/Schulze/Schulze § 16 UrhG Rn 14 aE; Schack GRUR 2007, 639, 643. So LG Erfurt ZUM 2007, 566, 567 f – thumbnails II; Berberich MMR 2005, 145,
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147 f; differenzierend Ott ZUM 2007, 119, 127: zulässig bei Bildersuchmaschinen, unzulässig bei Nachrichtensuchmaschinen. BGH GRUR 2002, 532, 534 – Unikatrahmen. OLG Hamburg GRUR 2002, 536 – Flachmembranlautsprecher. Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 30. OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 219 – Troades; LG München I ZUM-RD 2002, 489, 493 – Rudolf der Eroberer I.
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die Zustimmung des Urhebers des benutzten Bildes zulässig (§ 24 UrhG). Die freie Benutzung ist dadurch gekennzeichnet, dass das als Vorlage dienende Bild nicht in identischer oder umgestalteter Form übernommen wird, sondern lediglich als Anregung für das eigene Werkschaffen dient.140 Während die Bildvorlage bei der bloßen Umgestaltung (Bearbeitung) zwar weiterentwickelt und umgeformt wird, dabei aber in ihrem Wesenskern und ihren Grundzügen erhalten bleibt, löst sich die freie Benutzung vom Original und schafft ein neues Werk mit neuen, eigenen Wesenszügen. Dieses neue Werk ist so eigentümlich, dass demgegenüber die Wesenszüge des Originals verblassen.141 Ob die für eine freie Benutzung erforderliche Neuschöpfung gelingt und der notwen85 dige Abstand zu dem als Vorlage verwendeten Original gewahrt ist, hängt vom Grad der Individualität des benutzten und des neu geschaffenen Werkes ab. Je ausgeprägter die Individualität des benutzten Werkes ist, desto weniger werden seine Wesenszüge gegenüber dem neu geschaffenen Werk verblassen.142 Umgekehrt wird das Original umso eher verblassen, je stärker die Individualität des neuen Werkes ist.143 Übertragen auf die Fotografie bedeutet das, dass eine freie Benutzung bei einfachen Lichtbildern, die häufig keine oder nur eine sehr geringe Individualität aufweisen, sehr viel eher möglich ist als bei Fotografien, die auf Grund ihrer schöpferischen Eigenart und Individualität als Lichtbildwerke geschützt sind.144 Die Prüfung der Frage, ob im konkreten Fall eine Bearbeitung oder eine freie Benut86 zung vorliegt, erfordert eine vergleichende Beurteilung des benutzten und des neu geschaffenen Bildes.145 Dabei ist nicht auf die Übereinstimmung der einzelnen Bildelemente abzustellen, sondern der schöpferische Gehalt der miteinander zu vergleichenden Werke zu erfassen und zu klären, ob und inwieweit dieser Gehalt übereinstimmt.146 Nur wenn sich die schöpferische Eigentümlichkeit des neuen Werkes so sehr von der des benutzten Werkes abhebt, dass das ältere Werk vollkommen in den Hintergrund tritt, ist von einer freien Benutzung auszugehen. Diese Abgrenzungsmethode mag in der Theorie einleuchtend sein, doch erweist sich ihre Handhabung in der Praxis als außerordentlich schwierig. Bereits die für eine vergleichende Beurteilung erforderliche Erfassung der „Individualität“ und der „schöpferischen Eigentümlichkeit“ einer Fotografie ist angesichts der Unschärfe dieser Begriffe ein problematisches Unterfangen. Wenn dann auch noch geprüft werden soll, ob die „individuellen Züge“ des benutzten Bildes gegenüber denen des neuen Bildes „verblassen“, dann
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BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen; OLG Köln GRUR 2000, 43, 44 – Klammerpose; OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217, 219 – Troades; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 33, 36 – Maschinenmensch; LG München I GRUR 1988, 36, 37 – Hubschrauber mit Damen; Schricker/ Loewenheim § 24 UrhG Rn 10; Franzen/ von Olenhusen UFITA 2007, 435, 450 f. BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 1971, 588, 589 – Disney-Parodie; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 33, 36 – Maschinenmensch; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 10; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 8.
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BGH GRUR 1991, 531, 532 Brown Girl I; BGH GRUR 1991, 533, 534 – Brown Girl II; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 33, 36 – Maschinenmensch; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 453. BGH GRUR 1981, 267, 269 – Dirlada; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 8. Heitland 95; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 457 f. Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 12; vgl zur Prüfungsmethode auch Dreier/ Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 11 ff. BGH GRUR 2004, 855, 857 – Hundefigur; OLG Hamburg ZUM 1996, 315, 316 – Power of Blue; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 13.
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gerät die Rechtsanwendung vollends in einen Bereich, in dem ein Richter nur noch seinem persönlichen Rechtsempfinden folgen und ein Anwalt nicht mehr beraten, sondern nur noch raten kann. Die folgenden Beispiele147 verdeutlichen, dass die Rechtsprechung gerade im Bereich der Fotografie bei der Abgrenzung der abhängigen Bearbeitung von der freien Benutzung häufig „schwimmt“ und nicht in der Lage ist, eine klare Trennlinie aufzuzeigen: „Hubschrauber mit Damen“148 Gegenstand des Rechtsstreits war ein Ölbild mit dem Titel „Modell-Hubschrauber“. Als Vorlage hatte der Maler zwei Fotografien verwendet, die jeweils ein nacktes Mädchen mit erhobenen Armen zeigen. Die Fotos waren zuvor als „stern“-Titelbilder erschienen. Auf dem Gemälde sind die Mädchenkörper in fotorealistischer Manier abgebildet. In Höhe der Köpfe ist außerdem ein roter Hubschrauber zu sehen.149 Das LG München I wertete das Gemälde als abhängige Bearbeitung (§ 23 UrhG) der beiden Fotografien.150 Zwar handele es sich bei den Fotos um Lichtbilder von geringer Eigenart und Ausdruckskraft. Es sei aber zu berücksichtigen, dass der Maler die Mädchenkörper nahezu identisch nachgebildet habe. Der in das Ölbild eingefügte Hubschrauber beeinträchtige den Eindruck einer nahezu identischen Nachbildung nicht entscheidend. Auch die „zweifellos vorhandene Eigenart“ des Gemäldes und die Tatsache, dass es „von künstlerischem Rang“ sei, rechtfertigten nicht die Annahme einer freien Benutzung und die Anwendung des § 24 UrhG. Die Entscheidung ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Übertragung eines Werkes in eine andere Kunstform und insbesondere die Benutzung einer Fotografie durch einen bildenden Künstler normalerweise als „klassischer Fall der freien Benutzung“ gewertet wird.151 Das LG München I vertritt jedoch die Auffassung, dass auch Fotografien und Werke der bildenden Kunst untereinander bearbeitungsfähig sind und dass es für die Annahme einer freien Benutzung nicht auf die Übertragung in eine andere Kunstform, sondern allein darauf ankommt, ob die individuellen Züge der Fotografien in dem neu geschaffenen Gemälde verblassen. „Galeriebilder“ .152 In diesem Fall wurden nicht Fotos für ein Gemälde, sondern zwei Gemälde für ein Foto verwendet. Das Foto zeigt eine GORE-TEX-Jacke, die nahezu bildfüllend auf einem farbig gemusterten Untergrund liegt. Am oberen und unteren Bildrand sind Ausschnitte von zwei abstrakten Gemälden zu sehen. Die Gemälde werden teilweise von der Jacke verdeckt und befinden sind zum Teil auch außerhalb des Bildbereichs. Das LG München I sah in der Einbindung der beiden Gemälde in das Werbefoto keine freie Benutzung, sondern eine abhängige Bearbeitung. Zwar seien die Bilder nur in Ausschnitten im Hintergrund zu sehen, doch hätten die verwendeten Bildausschnitte individuelle Züge, die gegenüber der Eigenart des Werbefotos nicht verblassten.
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Weitere Beispiele aus der (überwiegend unveröffentlichten) Rechtsprechung bei Hüper AfP 2004, 511 ff. LG München I GRUR 1988, 36 – Hubschrauber mit Damen. Vgl dazu die Abbildungen bei A. Nordemann 220. Zust Möhring/Nicolini/Ahlberg § 24 UrhG Rn 25; Schack Kunst und Recht Rn 342; Wanckel Rn 392; A. Nordemann 225 f; abl
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Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 36; Chakraborty 130. So Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 19; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 30; vgl auch RG RGZ 169, 109 – Hitler-Porträt; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 20; Jacobs 33, 39; aA Schack Kunst und Recht Rn 342, 843; Wanckel Rn 392. LG München I Schulze LGZ 219 – Galeriebilder.
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„WM-Fußballpokal“. Bei diesem Fall ging es um ein Foto von Annie Leibovitz, das den nackten, bronzefarbenen Körper des Pop-Art-Künstlers Jeff Koons in der Pose eines griechischen Diskuswerfers mit herausgestreckter Zunge zeigt. Das Foto war von einer Zeitschrift für eine Montage verwendet worden, in der man den Kopf von Jeff Koons gegen den des Sängers Campino von der Punkgruppe Die Toten Hosen ausgetauscht, der Figur einen Fußball in die rechte Hand gelegt und sie außerdem auf ein stilisiertes Podest gestellt hatte, um ihr das Aussehen eines WM-Fußballpokals zu verleihen.153 Das AG Hamburg154 sah in der Fotomontage ein selbstständiges neues Lichtbildwerk mit einer eigenen künstlerischen Aussage. Das neue Bild habe nicht mehr den provozierenden Unterton der ursprünglichen Aufnahme, sondern erhalte durch die eingefügten Änderungen eine eher ironische und humorvoll-witzige Gesamtaussage. Dadurch werde die Grenze von der unzulässigen Bearbeitung zur zulässigen freien Benutzung deutlich überschritten. Das LG Hamburg155 kam in der Berufungsinstanz zu einem ganz anderen Ergebnis. Seiner Meinung stellt der bronzefarbene Torso des gebückten männlichen Körpers für sich betrachtet (also auch ohne den Kopf von Jeff Koons) ein Lichtbildwerk dar. Dieses geschützte Werk sei unverändert für eine Fotomontage übernommen worden, die ihrerseits „keinen Werkcharakter“ habe, sondern lediglich eine simple Collage sei, die „das allgemeine Durchschnittskönnen eines im Umgang mit Grafikprogrammen geschulten Gestalters nicht übersteigt“. Die Fotomontage sei daher eine „abhängige Vervielfältigung“. „Cowboy mit Baby“. Ein Foto, das einen Mann mit Cowboyhut und einem schlafenden Baby in der Jacke zeigt, war für eine Werbeanzeige mit einem anderen Mann und einem anderen Baby nachgestellt worden. Auf dem älteren Bild neigt der Mann den Kopf nach rechts, auf dem jüngeren Bild nach links. Beide Männer tragen einen beigefarbenen Cowboyhut und eine gleichfarbige Winterjacke mit Pelzkragen.156 Auch zu diesem Fall gibt es gegensätzliche Entscheidungen. Während das AG Hamburg 157 eine abhängige Bearbeitung verneinte, weil für das Motiv „Cowboy mit Baby“ kein Urheberrechtsschutz bestehe und deshalb niemand gehindert sei, dasselbe Motiv unter identischen Bedingungen erneut aufzunehmen, hieß es in der Berufungsentscheidung des LG Hamburg 158, dass das auf dem Ursprungsfoto abgebildete Motiv des fürsorglichen Cowboys mit dem schlafenden Baby auf einem besonderen künstlerische Arrangement des Fotografen beruhe und deshalb Urheberrechtsschutz genieße. Das später aufgenommene Foto habe die Gestaltungsmerkmale, die den ästhetischen Gesamteindruck der Fotovorlage bestimmen, nahezu identisch übernommen, so dass die jüngere Aufnahme als unfreie Bearbeitung des älteren Lichtbildwerkes einzustufen sei. „Rote Couch“. Für sein Projekt „Rote Couch“ hat der Fotograf Horst Wackerbarth in den vergangenen 30 Jahren auf der ganzen Welt bekannte und unbekannte Personen fotografiert, die auf einer roten Couch sitzen. Vor einigen Jahren ließ ein Tabakkonzern nach diesem Konzept verschiedene Werbeanzeigen anfertigen. Auf einem der Werbefotos 153 154 155 156
Vgl dazu die Abbildungen in PHOTONEWS 3/1996, 15. Urteil vom 2.8.1994 (36a C 1322/94) – WM-Fußballpokal. Urteil vom 11.7.1995 (308 S 3/94) – WMFußballpokal. Vgl dazu die Abbildungen in PHOTONEWS 2/1996, 10.
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Urteil vom 17.1.1995 (36a C 3842/94) – Cowboy mit Baby. Urteil vom 24.10.1995 (308 S 6/95) – Cowboy mit Baby; dazu auch Hüper AfP 2004, 511, 512.
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Rechte an der Fotografie
war ein elegant gekleideten Mann zu sehen, der auf einer roten Couch über den Häusern von Manhattan schwebte. Ein ähnliches Foto hatte zuvor Horst Wackerbarth aufgenommen. Es zeigt einen Fensterputzer in luftiger Höhe auf einer roten Couch vor der Fassade eines New Yorker Wolkenkratzers. Das LG Hamburg159 konnte sich trotz signifikanter Übereinstimmungen zwischen den beiden Bildern nicht dazu entschließen, das Werbefoto als abhängige Bearbeitung der Wackerbarth-Aufnahme einzustufen. Zur Begründung hieß es, dass Horst Wackerbarth für das Bildkonzept „Rote Couch“ keinen Urheberrechtsschutz beanspruchen könne und niemand gehindert sei, dieses Konzept aufzugreifen und neu umzusetzen. Zwar könne für das besondere Arrangement der Szene mit dem Fensterputzer ein urheberrechtlicher Schutz bestehen, doch sei dieses Arrangement nicht übernommen worden, denn das Werbefoto unterscheide sich hinsichtlich des Blickwinkels, der Beleuchtung und der Aufhängung des Sofas deutlich von dem Fensterputzer-Bild. Acht Jahre später kam es zu einem weiteren Rechtsstreit, der vor derselben Kammer des LG Hamburg ausgetragen wurde. Diesmal ging es um eine Werbeanzeige, die drei junge Leute mit einem Bierglas auf einer roten Couch zeigt. Die Couch hängt über einer Wiese und ist wie eine Schaukel am Ast eines Baumes mit grünem Blattwerk befestigt. Zuvor hatte Horst Wackerbarth ein ähnliches Bild aufgenommen. Es zeigt zwei Mädchen auf einer roten Couch, die ebenfalls wie eine Schaukel an einem Ast hängt. Allerdings trägt der Baum auf dem Wackerbarth-Foto keine Blätter und die Couch schwebt über einem Kiesboden. Trotz dieser Unterschiede sah das LG Hamburg160 in dem Werbefoto eine abhängige Bearbeitung der Aufnahme von Horst Wackerbarth. Das ältere Foto habe nicht nur als Anregung, sondern als Vorlage für die Werbeaufnahme gedient und es seien alle wesentlichen gestalterischen Elemente übernommen worden. „Troades“.161 Der Fall betrifft ein Szenenfoto einer „Troades“-Inszenierung. Es zeigt die Darstellerin der Hekabe mit einer Krone auf dem Kopf, die sie mit beiden Händen festhält. Die Aufnahme wurde von einem Zeitungsverlag für eine Werbeanzeige nachgestellt. Das OLG Hamburg wertete das als freie Benutzung (§ 24 UrhG), da das Motiv der Hekabe mit der Krone auf dem Kopf nicht geschützt und niemand gehindert sei, dieses Motiv nachzustellen und ebenfalls zu fotografieren. Geschützt sei ein Motiv nur dann, wenn es auf einem künstlerischen Arrangement des Fotografen beruhe. Davon sei hier aber nicht auszugehen, denn die Theaterfotografin habe auf die „Troades“-Inszenierung keinen Einfluss gehabt und die von ihr aufgenommene Szene somit auch nicht selbst arrangiert.162 „Power of Blue“.163 In dem Rechtsstreit ging es um ein schwarz-weißes Aktfoto von Helmut Newton. Es zeigt eine nackte Frau, die mit einem hochgestellten Bein auf einem Hocker sitzt, den linken Arm angewinkelt nach oben hält und die Hand zu einer Faust geballt hat. Das Foto wurde von dem Maler George Pusenkoff für ein Gemälde mit dem Titel „Power of Blue“ verwendet. Das Acrylbild zeigt die Frau in einer stilisierten und eher skizzenhaften Form vor einem blauen Hintergrund. In der Bildmitte befindet sich ein gelbes Quadrat, das die Frauenfigur vom Knie bis zum Nabel verdeckt. 159 160
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Urteil vom 4.3.1997 (308 O 272/95) – Rote Couch I. Urteil vom 21.9.2005 (308 O 435/05) – Rote Couch II; Urteilstext mit Abbildungen abrufbar unter www.lawmas.de> Gerichtsentscheidungen. OLG Hamburg ZUM-RD 1997, 217 – Troades; dazu auch Wanckel Rn 390; Hüper AfP
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2004, 511, 512; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 467 ff. Krit dazu Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 468. OLG Hamburg ZUM 1996, 315 – Power of Blue; dazu auch Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 469.
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Das OLG Hamburg sah in dem Bild von Pusenkoff (im Gegensatz zur Vorinstanz) eine zulässige freie Benutzung des Fotos von Newton.164 Gegenstand der Fotografie sei ein Akt, also die Darstellung von Nacktheit und Erotik. Bei dem Gemälde von Pusenkoff gehe es dagegen nicht um die Darstellung des nackten weiblichen Körpers, sondern um die Farbe. Alles, was die Eigentümlichkeit und Schutzfähigkeit der Fotografie von Newton begründe, fehle in dem Bild „Power of Blue“. Es bleibe eigentlich kaum etwas, was Pusenkoff noch hätte tun können, um sich von dem Newton-Bild zu entfernen, ohne die Wiedererkennbarkeit zu gefährden und auf die beabsichtigte Bezugnahme ganz verzichten zu müssen. „Ärmelhochkrempeln“.165 Die Entscheidung befasst sich mit einer Aufnahme des Fotografen Charles Thatcher, auf der ein Mann in einem weißen Hemd mit dunkler, gemusterter Krawatte zu sehen ist, der mit seiner energisch zupackenden linken Hand den rechten Ärmel hochkrempelt. Sein rechter Unterarm ist dabei leicht angewinkelt und die rechte Hand zu einer Faust geballt. Ein Beratungsunternehmen verwendete für eine Stellenanzeige ein Foto, das dieselbe Szene zeigt. Allerdings weicht das für die Anzeige verwendete Bild insofern von dem Thatcher-Foto ab, als es sich um eine Schwarz-WeißAufnahme handelt, die den Vorgang des Ärmelaufkrempelns in einem etwas kleineren Ausschnitt und außerdem die rechte statt der linken Faust in der Bewegung zeigt. Das LG München I stufte die Aufnahme von Thatcher als ein Lichtbildwerk (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG) ein. Sämtliche Gestaltungsmerkmale dieses Werkes seien nahezu unverändert in das später aufgenommene Anzeigenfoto übernommen worden. Da eine vom Original abweichende ästhetische Gesamtwirkung der Nachbildung nicht festgestellt werden könne, sei eine freie Benutzung der Vorlage auszuschließen. „Klammerpose“.166 Gegenstand des Rechtsstreits waren zwei Fotos, die einen aufrecht stehenden Mann mit seitlich ausgebreiteten Armen von hinten zeigen. Der Mann wird umklammert von einer Frau, die ihre Beine um seine Hüften schlingt und unter einem Arm des Mannes hervor auf den Betrachter schaut. Auf dem zuerst entstandenen Bild trägt der Mann ein Hemd und eine Hose, die seine Beine bedeckt, während der Mann auf dem später aufgenommenen Foto mit nacktem Oberkörper und einer kurzen Hose zu sehen ist. Die beiden Bilder unterscheiden sich außerdem dadurch, dass die Frau auf dem älteren Foto unter dem linken Arm und die auf dem jüngeren Foto unter dem rechten Arm des Mannes hervorschaut. Für das OLG Köln waren diese Unterschiede unerheblich. Entscheidend sei der Gesamteindruck der prägenden Merkmale. Vergleiche man die beiden Fotos unter diesem Aspekt, dann zeige sich eine Übereinstimmung in allen wesentlichen gestalterischen Elementen (Klammerpose, Bildausschnitt). Die vorhandenen Abweichungen seien nicht geeignet, den für eine freie Bearbeitung notwendigen Abstand zu schaffen. „Rudolf der Eroberer“. Während eines umstrittenen Nato-Einsatzes deutscher Soldaten in Mazedonien erschien in der Zeitschrift BUNTE unter der Überschrift „Total verliebt auf Mallorca“ ein Bildbericht, der den damaligen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping mit seiner neuen Partnerin beim Bad in einem Swimmingpool zeigte. Eine Woche später war die Badeszene auch auf der Titelseite des Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL in Form einer satirischen Illustration (Überschrift: „Rudolf der Erobe-
164
Zust Möhring/Nicolini/Ahlberg § 24 UrhG Rn 25 aE; vgl dazu auch Dreier/Schulze/ Schulze § 24 UrhG Rn 36; Schack Kunst und Recht Rn 342; Wanckel Rn 392.
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LG München I AfP 1999, 521 – Ärmelhochkrempeln; dazu auch Wanckel Rn 390. OLG Köln GRUR 2000, 43 – Klammerpose; dazu auch Wanckel Rn 390.
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§2
Rechte an der Fotografie
rer“) zu sehen. Allerdings schwamm das Paar dort nicht in einem Pool, sondern in einem umgestülpten, mit Wasser gefüllten Stahlhelm mit dem Aufkleber „Make love not war“. Das LG München I 167 stufte zwar das Foto, das in der Zeitschrift BUNTE erschienen war, als einfaches Lichtbild ein und bestätigte außerdem, dass bereits geringfügige Änderungen genügen, um den engen Schutzbereich des § 72 UrhG zu verlassen. Dennoch wertete es die SPIEGEL-Illustration als abhängige Bearbeitung des zuvor erschienenen Fotos, weil der Illustrator das badende Paar nicht nachfotografiert, sondern das vorhandene Foto unmittelbar in seine Collage eingearbeitet hatte. Da sich somit das Lichtbild in der Illustration als integraler Bestandteil vollständig und weitestgehend identisch wiederfinde, sei eine freie Benutzung auszuschließen. Auch das OLG München 168 bewertete die SPIEGEL-Illustration als bloße Bearbeitung der Fotografie zu dem BUNTE-Bericht. Zwar sei die Verlegung der Badeszene in einen umgestülpten Stahlhelm mit dem Aufkleber „Make love not war“ in Verbindung mit der ironischen Überschrift „Rudolf der Eroberer“ geeignet, der Illustration insgesamt einen Werkcharakter gem § 2 Abs 1 UrhG zu verleihen. Allerdings war das Oberlandesgericht ebenso wenig wie zuvor das Landgericht gewillt, das aus dem Foto übernommene badende Paar und die von dem Illustrator hinzugefügten satirischen Elemente als eine gestalterische Einheit zu betrachten. Stattdessen zerlegen beide Entscheidungen die SPIEGEL-Illustration in ihre Einzelteile und stellen ausschließlich darauf ab, dass eines dieser Teile – das badende Paar – mit dem als Vorlage verwendeten Lichtbild weitgehend übereinstimmt. „TV-Man“.169 Ein Fotograf hatte einen Mann fotografiert, der in einem abgedunkelten Zimmer vor einem Fernsehapparat mit zwei Stabantennen sitzt. Der Mann ist von hinten zu sehen und so platziert, dass die beiden Antennenstäbe wie die Fühler eines Insekts aus seinem Kopf hervorzuwachsen scheinen. Ein später entstandenes Foto, das für eine Werbeanzeige verwendet wurde, zeigt ebenfalls einen Mann in einem abgedunkelten Zimmer vor einem Fernesehapparat mit Stabantennen, die scheinbar direkt auf seinem Kopf angebracht sind. Für das LG Düsseldorf handelt es sich bei dem später entstandenen Foto um eine unfreie Bearbeitung des älteren Bildes. Alle Gestaltungselemente, die den Gesamteindruck der früheren Aufnahme prägen und ihre schöpferische Eigenart ausmachen, seien für das Werbefoto übernommen worden. Zwar vermittele das Werbefoto im Gegensatz zu dem als Vorlage verwendeten Bild einen „gestylten“ Eindruck, doch lasse diese Abweichung den insgesamt übereinstimmenden Gesamteindruck unberührt. „Freiburger Münster“. Gegenstand des Rechtsstreits waren zwei Aufnahmen des Freiburger Münsters mit dem Karlssteg im Vordergrund. Beide Aufnahmen stimmen hinsichtlich der Perspektive, der Lichtverhältnisse, der Brennweite und der Anordnung der Aufnahmeobjekte (Kirchtürme, Karlssteg, Spaziergänger am Ende des Stegs) weitgehend überein. Das AG Freiburg 170 konnte keine Verletzung der Rechte des Fotografen erkennen, der das ältere Bild aufgenommen hatte. Da es sich bei dieser Aufnahme lediglich um ein ein-
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ZUM-RD 2002, 489 – Rudolf der Eroberer. AfP 2003, 553 – Rudolf der Eroberer. LG Düsseldorf Urteil vom 8.3.2006 (12 O 34/05) – TV-Man; Urteilstext mit Abbildungen abrufbar unter www.lawmas.de> Gerichtsentscheidungen.
170
Urteil vom 29.8.2003 (10 C 943/03) – Freiburger Münster; zust Hüper AfP 2004, 511, 512 f.
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faches Lichtbild (§ 72 UrhG) mit beschränktem Schutzumfang handele, sei das Nachfotografieren des Motivs und die Anfertigung einer nahezu identischen Aufnahme vom gleichen Standort und unter denselben Lichtverhältnissen nicht zu beanstanden. Das LG Mannheim 171 sah dagegen in der älteren Aufnahme ein Lichtbildwerk (§ 2 115 Abs 1 Nr 5 UrhG), das nicht einfach ein von der Natur vorgegebenes Motiv abbilde, sondern durch den Einsatz schöpferischer Gestaltungselemente (Abendstimmung, gezielter Einsatz von Gegenlicht, Abbildung der Personen als Silhouette) eine besondere Bildwirkung erziele. Diese schöpferischen Gestaltungselemente seien in dem jüngeren Bild nahezu vollständig wiederzufinden. Der Abstand zu dem älteren Foto sei so gering, dass man nicht von einer zulässigen freien Benutzung, sondern von einer unzulässigen Übernahme des älteren Bildes ausgehen müsse.
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d) Sonderfall der Doppelschöpfung. Eine unzulässige Bearbeitung ist auszuschließen, wenn es zu einer Doppelschöpfung kommt. Eine Doppelschöpfung liegt vor, wenn zwei Fotografen unabhängig voneinander übereinstimmende Aufnahmen anfertigen, ohne dass der eine bewusst oder unbewusst auf das Werk des anderen zurückgreift.172 Solche Doppelschöpfungen sind zwar theoretisch möglich, aber in der Praxis wohl eher eine seltene Ausnahme. Ein solcher Ausnahmefall ist das berühmte Foto „V. J. Day at Times Square“, das Alfred Eisenstaedt am 14.8.1945 in New York aufgenommen hat. Es zeigt einen Marinesoldaten, der ein Mädchen bei einer Siegesfeier auf dem Times Square stürmisch umarmt und küsst. Exakt dieselbe Szene hat der Fotograf Victor Jorgensen festgehalten, wobei seine Aufnahme erkennen lässt, dass beide Fotografen dicht nebeneinander gestanden und fast gleichzeitig auf den Auslöser gedrückt haben müssen. Da es im Urheberrecht weder den Grundsatz der Priorität noch das Erfordernis der absoluten Neuheit gibt, haben bei einer echten Doppelschöpfung beide Fotografen uneingeschränkte Rechte an ihren Bildern. Allerdings legen weitgehende Übereinstimmungen zwischen zwei Aufnahmen in der Regel die Annahme nahe, dass der Urheber des jüngeren Fotos das ältere Foto entweder bewusst nachgeahmt oder unbewusst benutzt hat. Die Rechtsprechung geht deshalb in solchen Fällen vom Anscheinsbeweis einer Urheberrechtsverletzung aus.173 Dieser Anscheinsbeweis lässt sich nur durch den Nachweis entkräften, dass der Fotograf, der die jüngere Aufnahme angefertigt hat, das ältere Foto nicht kannte und deshalb auch nicht unbewusst darauf zurückgreifen konnte. Dieser Nachweis wird in der Praxis nur schwer zu führen sein.
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e) Zulässigkeit der Parodie. Die Benutzung einer Fotografie für ein anderes Werk oder – umgekehrt – eines anderen Werkes für eine Fotografie kann in den Fällen, in denen sich das neue Werk mit dem als Vorlage benutzten Original künstlerisch oder kritisch auseinandersetzt, durch die Parodiefreiheit gedeckt sein. Das Wesensmerkmal der Parodie ist die spielerische Nachahmung, die – anders als das Plagiat – offen auf ein bereits vorhandenes Werk Bezug nimmt.174
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ZUM 2006, 886 – Freiburger Münster; dazu Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 466. Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 27; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 23 UrhG Rn 19; Dreier/Schulze/Schulze § 23 UrhG Rn 29; Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 UrhG Rn 72; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 462.
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BGH GRUR 1988, 812, 814 f – Ein bisschen Frieden; OLG Köln GRUR 2000, 43, 44 – Klammerpose; Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 28; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 23 UrhG Rn 21; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 463 f. Zum Begriff der Parodie von Olenhusen/ Ling UFITA 2003, 695, 697 ff; von Becker GRUR 2004, 104.
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§2
Rechte an der Fotografie
Nach herrschender Rechtsauffassung 175 ist die Zulässigkeit der Parodie prinzipiell 118 nach denselben Regeln zu beurteilen, die für die freie Benutzung (§ 24 UrhG) gelten.176 Allerdings sind diese Regeln nur in abgeschwächter Form anzuwenden. Wird ein geschütztes Werk für parodistische Zwecke benutzt, kann es nicht darauf ankommen, dass die entlehnten eigenpersönlichen Züge in dem neuen Werk verblassen. Denn der Sinn der Parodie besteht gerade darin, dass das ältere Werk und seine Eigenheiten in dem neuen Werk erkennbar bleiben. Deshalb ist bei einer Parodie nicht der äußere Abstand, sondern nur der innere Abstand zwischen dem parodierten und dem neuen Werk maßgebend.177 Der notwendige innere Abstand wird in der Regel nur dann gewahrt sein, wenn sich das neue Werk mit dem älteren auseinandersetzt. Zwingend ist das jedoch nicht. Eine freie Benutzung kann durchaus auch dann vorliegen, wenn sich die kritische Auseinandersetzung nicht auf das parodierte Werk selbst, sondern auf dessen thematisches Umfeld bezieht.178 Ein markantes Beispiel dafür, wie eine Fotografie für parodistische Zwecke eingesetzt 119 werden kann, ist der Fall „Rudolf der Eroberer“.179 Zwar setzt sich die SPIEGEL-Illustration, die für die Badeszene in einem umgestülpten Soldatenhelm ein Foto des damaligen Bundesverteidigungsminister und seiner neuen Freundin aus der Zeitschrift BUNTE verwendete, nicht mit dem als Vorlage dienenden Foto, sondern mit den auf dem Foto abgebildeten Personen und deren Verhalten auseinander. Eine solche kritische Auseinandersetzung mit dem thematischen Umfeld der Bildveröffentlichung reicht aber aus, um den für eine zulässige Parodie erforderlichen inneren Abstand herzustellen.180 Fehlt es an einer inhaltlichen (künstlerischen oder kritischen) Auseinandersetzung mit 120 dem älteren Werk oder dessen thematischem Umfeld und wird das als Vorlage benutzte Werk nicht in einen neuen antithematischen Zusammenhang gestellt, sondern lediglich verzerrt oder verfremdet, dann handelt es sich auch dann, wenn durch die Verzerrung oder Verfremdung ein komischer Effekt erzielt wird, nicht um eine nach § 24 UrhG zulässige Parodie.181 So mag es zwar sehr witzig sein, wenn bei dem bekannten Bild der Arbeiter, die beim Bau des Rockefeller Center im Jahre 1932 hoch über den Häusern von New York auf einem Stahlträger ihr Frühstück einnehmen, die wagemutigen Arbeiter durch kleine Kinder ersetzt werden. Da aber die digitale Collage „Kids over New York“ keine Auseinandersetzung mit dem dafür benutzten Lichtbildwerk oder dessen thema-
175
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BGH GRUR 1958, 354, 356 – Sherlock Holmes; BGH GRUR 1971, 588, 589 f – Disney-Parodie; BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; BGH GRUR 2000, 703, 704 – Mattscheibe; BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler; OLG Frankfurt ZUM 1996, 97, 99 – Magritte Kondomverpackung; OLG Hamburg GRUR 1997, 822, 824 f – Edgar-Wallace-Filme; LG Mannheim GRUR 1997, 364, 366 – Freiburger Holbein-Pferd; Schricker/Loewenheim § 24 UrhG Rn 23; Dreier/Schulze/Schulze § 24 UrhG Rn 25; von Olenhusen/Ling UFITA 2003, 695, 711 ff. Teilweise wird die Zulässigkeit der Parodie aus dem Zitatrecht (§ 51 UrhG) abgeleitet; Nachweise dazu bei Rujsenaars GRUR Int
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178 179 180
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1993, 918, 924; vgl auch von Becker NJW 2001, 583, 584 mit Hinweis auf BVerfG GRUR 2001, 149 – Germania. BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; dazu auch von Becker GRUR 2004, 104, 105 f. BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler. Dazu oben Rn 108 ff. So auch von Becker GRUR 2004, 104, 106; anders dagegen OLG München AfP 2003, 553, 555 – Rudolf der Eroberer (das Urteil ist ca zwei Monate vor BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler ergangen). OLG Frankfurt ZUM 1996, 97, 99 – Magritte Kondomverpackung; Schack Kunst und Recht Rn 361.
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tischem Umfeld erkennbar werden lässt, ist das neu entstandene Bild auch nicht als Parodie einzustufen. 5. Folgerecht und Begriff des Originals
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Wird das Original eines Lichtbildwerkes weiterveräußert und ist hieran ein Kunsthändler oder Versteigerer als Erwerber, Veräußerer oder Vermittler beteiligt, muss der Veräußerer einen gewissen Anteil des Verkaufspreises an den Urheber abgeben (§ 26 UrhG). Das gilt allerdings nicht, wenn der Verkaufserlös weniger als € 400,– beträgt. Der Anteil an dem Verkaufserlös, den der Urheber (Fotograf) als Folgerechtsvergütung beanspruchen kann, ist degressiv gestaffelt. Er liegt zwischen 4 % (bei Verkaufserlösen bis zu € 50 000,–) und 0,25 % (bei Verkaufserlösen über € 500 000,–). Der Gesamtbetrag der möglichen Folgerechtsvergütung aus einer Weiterveräußerung beträgt unabhängig von dem jeweils erzielten Verkaufserlös maximal € 12 500,–. Da das Folgerecht einem Fotografen nur dann Ansprüche gewährt, wenn Originale 122 seiner Lichtbildwerke weiterveräußert werden, stellt sich die Frage, wie der Begriff des Originals in der Fotokunst zu definieren ist. Gewisse Anhaltspunkte ergeben sich dazu aus Art 2 Abs 2 der Folgerechts-Richtlinie.182 Danach gelten außer den LichtbildwerkUnikaten (Daguerreotypien, Fotogramme, Polaroidfotos, Negative, Diapositive)183 auch diejenigen „Exemplare“ von Lichtbildwerken als Originale im Sinne der Richtlinie, „die vom Künstler selbst oder unter seiner Leitung in begrenzter Auflage hergestellt wurden“, wobei derartige Exemplare „in der Regel nummeriert, signiert oder vom Künstler auf andere Weise ordnungsgemäß autorisiert sein“ müssen. Fertigt daher der Fotograf von einem Negativ oder Dia-Positiv, das er selbst belichtet hat, oder von einer Bilddatei, die er selbst geschaffen hat, eigenhändig Abzüge oder Ausdrucke in begrenzter Auflage, dann handelt es sich bei den Abzügen und Ausdrucken um Originale. Dasselbe gilt in den Fällen, in denen Abzüge der belichteten Filme oder Ausdrucke der digitalen Bilder unter der Aufsicht des Fotografen oder jedenfalls nach seinen Weisungen erstellt werden. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass die Abzüge oder Ausdrucke auch von dem Fotografen signiert werden.184 Fehlt allerdings die Signatur, ist der Nachweis erschwert, dass es sich um autorisierte Exemplare handelt. Die Folgerechts-Richtlinie lässt offen, wie viele Abzüge oder Ausdrucke von einem 123 Lichtbildwerk maximal gefertigt werden dürfen, damit die Abzüge und Ausdrucke noch als Originale gelten können. Da allerdings Art 2 Abs 2 der Richtlinie ausdrücklich eine „begrenzte Auflage“ fordert, ist auszuschließen, dass sämtliche vom Fotografen autorisierten Abzüge und Ausdrucke als Originale anzusehen sind.185 Die Beschränkung der Auflage ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Kunstmarkt einen Fotoabzug oder -ausdruck als Original anerkennt. Zwar lässt sich nicht exakt festlegen, ab welcher Auflagenhöhe die Abzüge und Ausdrucke ihre Singularität einbüßen und nur noch als Kopien gehandelt werden. Man wird aber wohl davon ausgehen müssen, dass die Auflagen, die renommierte Fotokünstler wie Andreas Gursky, Candida Höfer oder Thomas Ruff von ihren Werken erstellen lassen, einen gewissen Standard vorgeben und 182
183
Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.9.2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Werkes. Heitland 90 f; speziell zu den Diapositiven OLG Düsseldorf GRUR 1988, 542 – Warenkatalogfoto.
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Schricker/Vogel § 44 UrhG Rn 25; Schack Kunst und Recht Rn 24. So aber Hamann UFITA 1981, 45, 51 f; Dreier/Schulze/Schulze § 44 UrhG Rn 19.
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Rechte an der Fotografie
aufzeigen, wo etwa die Grenze zwischen der Herstellung von Originalen und der Produktion von Kopien verläuft. Im Falle von Andreas Gursky liegt diese Grenze bei maximal sechs signierten Exemplaren pro Bild. Hinzu kommen noch einzelne unsignierte Ausdrucke, die lediglich für Ausstellungszwecke bestimmt sind (exhibition copies) und die nach Beendigung der Ausstellung vernichtet werden. 6. Schranken der Urheber- und Leistungsschutzrechte an Fotografien a) Fotografien in amtlichen Werken. Amtliche Werke genießen keinen Urheberrechts- 124 schutz (§ 5 Abs 1 UrhG). Werden deshalb Fotografien in Gerichtsentscheidungen oder anderen amtlichen Werken wiedergegeben, stellt sich die Frage, ob sie dadurch ihren urheberrechtlichen Schutz verlieren mit der Folge, dass ihre Verwertung auch ohne Zustimmung der Urheber, der Lichtbildner und der Inhaber von Nutzungsrechten möglich ist. Fotografien werden durch die Einbindung in ein amtliches Werk nur dann gemeinfrei, 125 wenn das amtliche Werk die Fotografien in zulässiger Weise verwendet.186 Werden also bspw in den Text einer Gerichtsentscheidung auch Fotos einbezogen, muss die Nutzung der Bilder durch das Zitatrecht (§ 51 UrhG) oder eine andere gesetzliche Bestimmung gedeckt sein. Ist das nicht der Fall, kann die Wiedergabe in dem amtlichen Werk nicht zu einem Verlust der Schutzrechte an den Lichtbildwerken oder Lichtbildern führen. Sodann werden auch Fotografien, die in rechtlich zulässiger Weise Bestandteil eines 126 amtlichen Werkes geworden sind, nur in beschränktem Umfang gemeinfrei. Nutzbar sind sie nur, soweit sie in den Kontext des amtlichen Werkes eingebunden bleiben. Werden sie aus dem Kontext herausgelöst und isoliert verwendet, ist ihre Verwertung nicht mehr durch § 5 Abs 1 UrhG gedeckt. Deshalb dürfen Bilder, die im Tenor, im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen eines Urteils wiedergegeben werden, nur als Bestandteil der Gerichtsentscheidung oder im Zusammenhang mit einer Besprechung der Entscheidung vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben werden. b) Weitere Schrankenregelungen. Die Urheber- und Leistungsschutzrechte der Foto- 127 grafen und die Nutzungsrechte der Verwerter fotografischer Arbeiten unterliegen grds denselben gesetzlichen Beschränkungen, die auch für andere geschützte Werke gelten. Diese Schrankenregelungen (§§ 44a ff UrhG) werden im Zusammenhang mit den Rechten, die an den auf einer Fotografie abgebildeten Objekten bestehen, ausführlich erläutert.187 Die nachfolgende Darstellung befasst sich lediglich mit den Einschränkungen, die das Gesetz speziell für Lichtbildwerke und Lichtbilder vorsieht, sowie mit Gerichtsentscheidungen, in denen es um die konkrete Anwendung der Schrankenregelungen auf Fotografien geht. aa) Vervielfältigung von Bildnissen durch Gerichte und Behörden. Gerichte und Be- 128 hörden dürfen Bildnisse für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit vervielfältigen oder vervielfältigen lassen (§ 45 Abs 2 UrhG). Personenaufnahmen können daher auch ohne Zustimmung der Fotografen zur Anfertigung von Fahndungsfotos oder Steckbriefen verwendet werden. § 45 Abs 2 UrhG beschränkt lediglich die Rechte der Bildurheber, nicht dagegen die 129 Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Personen. Ob auch die Abgebildeten die Wiedergabe ihrer Bildnisse hinnehmen müssen, ist nach § 24 KUG zu entscheiden.188 186 187 188
Maaßen ZUM 2003, 830, 833 f. Dazu Rn 193 ff. Schricker/Melichar § 45 UrhG Rn 2;
Maaßen ZUM 2003, 830, 834; aA Heitland 108.
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bb) Verwendung von Fotografien zur Berichterstattung über Tagesereignisse. Im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse dürfen Lichtbildwerke und Lichtbilder, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Medien, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden (§ 50 UrhG). So durfte zB die Zeitschrift FOCUS über die als „Hamburger Rosenkrieg“ bekannt 131 gewordene Auseinandersetzung zwischen Verona Feldbusch und ihrem damaligen Ehemann Dieter Bohlen durch den Abdruck eines Fotos berichten, das kurz zuvor in der BILD-Zeitung erschienen war und das Verona Feldbusch mit einem blauen Auge, Pflaster und Verband zeigt.189 Da der Ehestreit zum Zeitpunkt der FOCUS-Veröffentlichung noch ein Tagesereignis war und der von der Ehefrau erhobene Vorwurf, ihr Mann habe sie geschlagen, durch das Foto belegt werden konnte, war die Verwendung des Fotos aus der BILD-Zeitung gem § 50 UrhG zulässig. Durch § 50 UrhG gedeckt war auch die SPIEGEL-Illustration „Rudolf der Eroberer“, 132 die auf ein Foto zurückgreift, das eine Woche vorher in der Zeitschrift BUNTE zu sehen war und das den damaligen Bundesverteidigungsminister Scharping mit seiner Freundin im Swimmingpool zeigt.190 Zwar wird das Tagesereignis, auf das der SPIEGEL-Titel Bezug nimmt, nicht in Form eines nüchternen Tatsachenberichts, sondern ironisierend dargestellt, doch privilegiert § 50 UrhG auch solche wertenden und kommentierenden Darstellungen, solange die Information über die tatsächlichen Vorgänge noch im Vordergrund steht.191 Auch die Verwendung von Lichtbildern aus Fernsehsendungen zur Ankündigung der 133 betreffenden Sendungen in einer Programmzeitung stellt eine zulässige Bildberichterstattung dar, denn die Programmpunkte der großen Fernsehsender sind „Tagesereignisse“ iSd § 50 UrhG, selbst wenn sie Banalitäten zum Gegenstand haben.192 Werden deshalb einzelne Bilder zur Illustration des Inhalts der angekündigten Fernsehsendungen verwendet, ist das ohne die Zustimmung der Sender zulässig.
134
cc) Verwendung von Fotografien zu Zitatzwecken. Die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Lichtbildwerken und Lichtbildern ist auch dann zulässig, wenn dies zu Zitatzwecken geschieht (§ 51 UrhG). Dabei dürfen die Bilder auch in nichtwissenschaftlichen Werken in der Regel vollständig wiedergegeben werden, wenn anders ein sinnvolles Zitieren nicht möglich ist.193 Eine Fotografie darf in einem Zeitschriftenartikel, in einem Buch oder in einem ande135 ren Werk nicht um ihrer selbst willen, sondern immer nur als Beleg oder zur Erläuterung des Inhalts des zitierenden Werkes wiedergegeben werden. Zwischen dem Foto und dem Werk, für das es verwendet wird, muss dabei ein innerer Zusammenhang hergestellt werden.194 Diese Voraussetzung erfüllt zB eine Wahlkampfbroschüre, in der als Beleg für die 189 190
191
BGH GRUR 2002, 1050 – Zeitungsbericht als Tagesereignis. Anders dagegen OLG München AfP 2003, 553, 556 – Rudolf der Eroberer: Das SPIEGEL-Titelbild sei keine zulässige Bildberichterstattung, weil nicht die Information über tatsächliche Vorgänge im Vordergrund stehe. So BGH GRUR 2002, 1050, 1051 – Zeitungsbericht als Tagesereignis.
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OLG Köln GRUR-RR 2005, 105 – Elektronischer Fernsehprogrammführer. Schricker/Vogel § 51 UrhG Rn 24 mwN. BGH GRUR 1986, 59, 60 – Geistchristentum; OLG Hamburg GRUR 1993, 666, 667 – Altersfoto; OLG Köln GRUR 1994, 47, 48 f – Filmausschnitt.
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Rechte an der Fotografie
dort angeprangerte „Diffamierungskampagne“ gegen den damaligen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß eine von Klaus Staeck gestaltete Fotocollage mit dem Titel „Entmannt alle Wüstlinge“ abgedruckt war.195 Dagegen fehlt es an dem notwendigen inneren Zusammenhang, wenn zu einem Zeitschriftenartikel über Marlene Dietrich und deren Klagen über die Veröffentlichung gefälschter Bilder ein Foto abgedruckt wird, auf dem Marlene Dietrich als alte Frau im Rollstuhl zu sehen sein soll, sofern das Foto nicht als Beleg für eine Fälschung, sondern nur zur Abrundung und Ausschmückung des Artikels gezeigt wird.196 Ebenso wenig ist die Übernahme einzelner Bilder aus einem Fernsehbericht in einen Zeitungsartikel durch § 51 UrhG gedeckt, wenn sie nur deshalb erfolgt, weil sich der Verfasser des Artikels damit eigene Ausführungen ersparen will.197 Fotozitate sind nur in dem durch den jeweiligen Zitatzweck gebotenen Umfang zuläs- 136 sig. Was durch den Zitatzweck geboten ist und was über den zulässigen Umfang hinausgeht, entscheiden die Gerichte anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung dessen, was allgemein üblich ist. So wurde etwa bei einer Zeitschriftenrezension zu einem Fotobuch die Wiedergabe von ein oder zwei repräsentativen Fotos als Beleg dafür, um was es in dem Buch geht und von welcher Machart die dort wiedergegebenen Fotos sind, als ausreichend erachtet.198 In einem anderen Fall wurde entschieden, dass zu einem Artikel der Zeitschrift EMMA, der sich unter der Überschrift „Kunst oder faschistoide Propaganda?“ mit dem Werk des Fotografen Helmut Newton befasst, statt der dort wiedergegebenen 19 Newton-Bilder nur 9 Fotos hätten zitiert werden dürfen.199 Auch bei einer Beschränkung der Bildwiedergabe auf den durch den Zitatzweck ge- 137 botenen Umfang ist ein Fotozitat nur zulässig, wenn das zitierende Werk seinerseits urheberrechtlich geschützt ist.200 Diese Voraussetzung ist nach Auffassung des OLG München 201 bei der SPIEGEL-Illustration „Rudolf der Eroberer“ nicht erfüllt, weil die Illustration ohne das aus der Zeitschrift BUNTE übernommene Foto mit der Badeszene „keinen Sinn macht“. Die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Werkes der angewandten Kunst hängt jedoch nicht davon ab, ob das Werk – für sich betrachtet – einen Sinn ergibt. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um eine persönliche geistige Schöpfung iSd § 2 Abs 2 UrhG handelt. Das dürfte aber bei der SPIEGEL-Illustration auch dann noch der Fall sein, wenn man sich das badende Paar in dem mit Wasser gefüllten Soldatenhelm wegdenkt. Folglich kann die Verwendung der Badeszene für die SPIEGEL-Illustration auch durch das Zitatrecht gedeckt sein. dd) Vervielfältigung von Fotografien für den privaten Gebrauch. § 53 Abs 1 UrhG 138 erlaubt die Anfertigung analoger und digitaler Vervielfältigungen von Fotografien zum (ausschließlich) privaten Gebrauch. Dient die Vervielfältigung zugleich beruflichen Zwecken (etwa bei einem Theaterregisseur, der Theaterfotos zur Dokumentation seiner beruflichen Tätigkeit dupliziert), darf sie nur mit Zustimmung des Inhabers der Bildrechte durchgeführt werden.202
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LG München I Schulze LGZ 182, 3 f – Entmannt alle Wüstlinge. OLG Hamburg GRUR 1993, 666, 667 – Altersfoto. LG Berlin GRUR 2000, 797 – Screenshots; Wanckel Rn 101. OLG Hamburg GRUR 1990, 36, 37 – FotoEntnahme.
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LG München I AfP 1994, 326, 328 – Fotozitat. Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 20; Dreier/Schulze/Dreier § 51 UrhG Rn 6. AfP 2003, 553, 555 – Rudolf der Eroberer. BGH GRUR 1993, 899, 900 – Dia-Duplikate.
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ee) Vervielfältigung und Verbreitung von Bildnissen durch Besteller und Abgebildete. Werden Personenaufnahmen auf Bestellung angefertigt (zB Pass- oder Porträtfotos), dürfen diese Bildnisse vom Besteller und – falls der Besteller und der Abgebildete nicht identisch sind – auch von dem Abgebildeten vervielfältigt und unentgeltlich verbreitet werden, sofern die Verbreitung nicht zu gewerblichen Zwecken erfolgt (§ 60 UrhG). Die gleichen Rechte stehen dem Rechtsnachfolger des Bestellers und nach dem Tod des Abgebildeten dessen Angehörigen zu. Da das Gesetz nur die unentgeltliche Verbreitung von Bildniskopien erlaubt, darf 140 derjenige, der die Vervielfältigungsstücke verbreitet, weder unmittelbar noch mittelbar irgendwelche Zahlungen oder Gegenleistungen erhalten. Der Abdruck eines Porträtfotos in einer Zeitung oder Zeitschrift ist demnach nicht durch § 60 UrhG gedeckt, da solche Presseerzeugnisse nicht unentgeltlich verbreitet werden.203 Dasselbe gilt für die Verbreitung in kostenlos verteilten Anzeigenblättern, da deren Herstellung und der Vertrieb mittelbar durch Werbeeinnahmen finanziert werden. Die Verbreitung muss nicht nur unentgeltlich erfolgen, sondern darf darüber hinaus 141 auch keinen gewerblichen Zwecken dienen. Wer daher sein Porträtfoto für Autogrammkarten verwendet, um damit Eigenwerbung zu treiben, kann sich nicht auf § 60 UrhG berufen, auch wenn die Verbreitung der Autogrammkarten unentgeltlich erfolgt.204 Das Gesetz gestattet ausdrücklich nur die Vervielfältigung und die (unentgeltliche 142 sowie nichtgewerbliche) Verbreitung von Bildnissen. Nicht erlaubt ist dagegen die öffentliche Wiedergabe von Personenbildern, die auf Bestellung angefertigt worden sind. Deshalb dürfen solche Fotos nicht im Internet gezeigt werden, denn das ist keine Verbreitung (§ 17 Abs 1 UrhG), sondern eine öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG).205 7. Schadensersatz bei Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten
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a) Ersatz des materiellen Schadens. Wer die Urheber- oder Leistungsschutzrechte eines Fotografen widerrechtlich verletzt, kann vom Verletzten nicht nur auf Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung, sondern auch auf Ersatz des materiellen Schadens in Anspruch genommen werden, sofern er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 97 Abs 1 UrhG). Falls der geschädigte Fotograf nachweisen kann, dass ihm durch die Rechtsverletzung 144 eine konkrete Vermögenseinbuße entstanden oder ein Gewinn entgangen ist, hat er Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens einschließlich des entgangenen Gewinns. Hat der Rechtsverletzer durch seine Tat einen Gewinn erzielt, ist er zur Herausgabe des Gewinns verpflichtet. Wenn sich dagegen weder eine Vermögenseinbuße auf Seiten des Verletzten noch die Erzielung eines Gewinns auf Seiten des Rechtsverletzers nachweisen lässt, bleibt dem Geschädigten nur die Möglichkeit, als Schadensausgleich eine Zahlung in Höhe der Lizenzgebühr (Entschädigungslizenz) zu fordern, die der Rechtsverletzer bei einem ordnungsgemäßen Erwerb der Nutzungsrechte üblicherweise hätte zahlen müssen.206 203 204
Schricker/Vogel § 60 UrhG Rn 28; Dreier/ Schulze/Dreier § 60 UrhG Rn 8. Schricker/Vogel § 60 UrhG Rn 28; anders die Entscheidungen OLG Hamm Schulze OLGZ 236 – Song-Do Kwan und OLG Karlsruhe ZUM 1994, 737 – Musik-
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gruppe S, die aber noch zu § 60 UrhG aF ergangen sind. OLG Köln ZUM 2004, 227, 228 – Porträtfoto im Internet. Zur Zulässigkeit dieser Berechnungsmethode BGH GRUR 1993, 899, 900 f –
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Rechte an der Fotografie
Welche Lizenzgebühren marktüblich sind, wird bei Fotografien meist anhand der 145 Bildhonorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) ermittelt.207 Es gibt inzwischen eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, in denen die jährlich aktualisierte MFM-Honorarliste als zuverlässige Richtlinie bei der Bestimmung der üblichen Vergütung für Fotolizenzen anerkannt wird.208 Diese Rechtsprechung findet in der Literatur weitgehende Zustimmung.209 Ob allerdings die Bildhonorarempfehlungen der MFM tatsächlich die marktüblichen Honorarsätze widerspiegeln, bedarf nach Auffassung des BGH 210 stets einer sachkundigen Prüfung anhand des konkreten Einzelfalles, wobei die Gerichte mangels hinreichender eigener Sachkunde in der Regel auf die Unterstützung eines Sachverständigen angewiesen sein werden. Die Tarife der VG Bild-Kunst kommen nur dann als Grundlage für die Bemessung 146 der fiktiven Lizenzgebühr in Frage, wenn es um Nutzungen geht, die über die Verwertungsgesellschaft abgewickelt werden.211 Das ist aber bei der rechtswidrigen Nutzung von Fotografien in der Regel nicht der Fall. Die Schadensersatzforderungen der Fotografen resultieren meist aus der unzulässigen Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Bilder. Es geht also um Verwertungsformen, die zumindest bei den Fotografen nicht oder jedenfalls nur in sehr beschränktem Umfang zum Repertoire der Verwertungsgesellschaft gehören und für die es deshalb auch keine einschlägigen Tarife gibt. Umstritten ist, ob die Lizenzgebühr in den Fällen, in denen das rechtswidrig genutzte 147 Foto bereits Gegenstand einer Lizenzvereinbarung war oder zwischen dem Rechtsverletzer und dem Fotografen bei anderer Gelegenheit bestimmte Lizenzbedingungen vereinbart wurden, unter Zugrundelegung dieser früheren Vereinbarungen zu bemessen ist.212 Ein solcher Rückgriff auf frühere Lizenzvereinbarungen verbietet sich zumindest dann, wenn das bei früherer Gelegenheit vereinbarte Honorar niedriger als das marktübliche Lizenzhonorar war, denn solche Abweichungen sind ein Indiz dafür, dass dem Vertragspartner abweichend von den üblichen Konditionen besondere Vorteile eingeräumt wurden, die dem Rechtsverletzer nicht zugute kommen können. Abgesehen davon ist bei der
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Dia-Duplikate; BGH GRUR 1990, 1008, 1009 – Lizenzanalogie; Schricker/Wild § 97 UrhG Rn 57; Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 58. Abgedruckt in ZUM 1998, 701 ff (Stand: 1998); vgl dazu auch Loewenheim/ A Nordemann § 73 Rn 29 ff; Hoeren/ Nielen/Berndzen Rn 51; Maaßen Calculator 72 ff; J B Nordemann ZUM 1998, 642 ff. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 393, 394 – Informationsbroschüre; OLG Hamburg ZUM 2002, 833,836 – Internetnutzung; OLG Düsseldorf ZUM 1998, 668, 672 – Werbefotografien; OLG München ZUM 1992, 152, 153 – Ballon; LG München I ZUM 2006, 666, 669 f – Architekturfotografien; LG Kiel ZUM 2005, 81, 84 – CD-Nutzung; LG Berlin GRUR-RR 2003, 97, 98 – MFM-Empfehlungen II; LG Berlin GRUR 2000, 797, 798 – Screenshots; LG München I ZUM 2000, 519, 521 – Schüler-
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kalender; LG Berlin ZUM 1998, 673, 674 – MFM-Empfehlungen I; LG Düsseldorf GRUR 1993, 664 – Urheberbenennung bei Foto; weitere Rechtsprechungshinweise im BVPA-Handbuch „Der Bildermarkt 2007“ 89 f. Schricker/Wild § 97 UrhG Rn 62; Dreier/ Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 287 und § 32 UrhG Rn 40; Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 63; Möhring/Nicolini/Lütje § 97 UrhG Rn 202; Wandtke/Bullinger/ von Wolff § 97 UrhG Rn 71; Wanckel Rn 419. GRUR 2006, 136, 138 – Pressefotos. So auch Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 287. Dafür LG München I ZUM-RD 1997, 249, 254 – „bike“-Werbeanzeige; dagegen LG Berlin ZUM 1998, 673 f – MFM-Empfehlungen I und GRUR-RR 2003, 97, 98 – MFM-Empfehlungen II.
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Ermittlung der üblichen Lizenzgebühr nach der BGH-Rechtsprechung 213 stets auf den objektiven Wert der Benutzungsberechtigung abzustellen, so dass nicht die (individuellen) früheren Vereinbarungen, sondern nur die auf dem Fotomarkt allgemein üblichen Lizenzhonorare maßgebend sein können. Bei der Bestimmung des marktüblichen Honorars ist zu berücksichtigen, dass die Bildhonorarliste der MFM lediglich darauf abstellt, in welchem Medium, in welchem Format und für welchen Zeitraum ein Bild genutzt wird. Die Art und Qualität der Aufnahme sowie der Rang und Ruf des Fotografen bleiben dagegen unberücksichtigt, obwohl diese Faktoren häufig Auswirkungen auf die Höhe des Lizenzhonorars haben.214 Deshalb müssen diese Faktoren gegebenenfalls über eine angemessene Erhöhung der MFM-Listenpreise in die Honorarkalkulation einfließen. So hat das LG Mannheim 215 wegen der besonderen Qualität der rechtswidrig genutzten Bilder einen Aufschlag von 20 % auf das Fotohonorar zuerkannt, das sich nach den MFM-Empfehlungen ergibt. Für die Bemessung der Lizenzgebühr ist unerheblich, welche Vergütungen der Rechtsverletzer selbst üblicherweise für Fotonutzungen zahlt und ob er bereit gewesen wäre, für die rechtswidrig erfolgten Nutzungen die marktübliche Vergütung zu zahlen.213 Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob und in welchem Umfang der Verletzer mit seiner unzulässigen Nutzung einen wirtschaftlichen Erfolg erzielt hat.216 Ein pauschaler Verletzerzuschlag in Form einer Verdoppelung der üblichen Lizenzgebühr wird überwiegend abgelehnt.217 Für manche Rechtsverletzer ist das geradezu ein Anreiz, fremdes Bildmaterial ohne die erforderliche Lizenz zu nutzen, da sie bei Entdeckung der Urheberrechtsverletzung letztlich nur das zu zahlen brauchen, was sie bei einem ordnungsgemäßen Erwerb der Nutzungsrechte ohnehin hätte zahlen müssen. In den Fällen, in denen zu der rechtswidrigen Nutzung eine fehlende, unzureichende oder falsche Urheberbenennung hinzukommt, wird von der Rechtsprechung 218 üblicherweise ein Aufschlag von 100 % auf die Lizenzgebühr zuerkannt.219 Dabei ist nicht immer klar, ob die Gerichte den Aufschlag entsprechend den MFM-Empfehlungen als marktüblich und damit als Teil der Entschädigungslizenz (§ 97 Abs 1 UrhG) 220 oder aber als 213 214 215 216
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BGH GRUR 2006, 136, 137 – Pressefotos. Vgl OLG Hamburg GRUR 1990, 36, 37 – Foto-Entnahme; Wanckel Rn 420. ZUM 2006, 886, 888 – Freiburger Münster. BVerfG NJW 2003, 1655, 1656 – Urheberrechtlicher Schadensersatzprozess; BGH GRUR 1990, 1008, 1009 – Lizenzanalogie; LG Kiel ZUM 2005, 81, 85 – CD-Nutzung; Wanckel Rn 419. OLG Düsseldorf ZUM 1998, 668, 672 – Werbefotografien; LG Kiel ZUM 2005, 81, 85 – CD-Nutzung; LG München I ZUM-RD 1997, 249, 254 f – „bike“-Werbeanzeige; LG Berlin ZUM 1998, 673, 674 – MFM-Empfehlungen I; anders dagegen LG Düsseldorf GRUR 1993, 664, 665 – Urheberbenennung bei Foto; Wandtke GRUR 2000, 942, 945 f. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 393, 394 – Informationsbroschüre; OLG Düsseldorf ZUM 1998, 668, 673 – Werbefotografien; OLG Hamburg GRUR 1989, 912, 913 – Spiegel-Fotos; LG Berlin GRUR 2006,
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141; LG Hamburg ZUM 2004, 675, 679 – Syndication; LG München I ZUM 2000, 519, 522 – Schülerkalender; LG Berlin ZUM 1998, 673, 674 – MFM-Empfehlungen I; LG München I ZUM-RD 1997, 249, 254 – „bike“-Werbeanzeige; LG Münster NJW-RR 1996, 32, 33 – T-Magazin; LG München I ZUM 1995, 57, 58 – Venus der Lumpen; LG Düsseldorf GRUR 1993, 664, 665 – Urheberbenennung bei Foto; ebenso Wandtke/ Bullinger/Thum § 72 UrhG Rn 22; Wanckel Rn 422; aA LG Kiel ZUM 2005, 81, 85 – CD-Nutzung; dazu auch Schack Kunst und Recht Rn 555. Spieker GRUR 2006, 118, 123 (Fn 52) hält bei einer Falschbenennung wegen der stärkeren Intensität des Eingriffs in das Urheberbenennungsrecht sogar einen Zuschlag von 200 % für angemessen. So wohl OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 393, 394 – Informationsbroschüre; OLG Düsseldorf ZUM 1998, 668, 673 – Werbe-
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Rechte an der Fotografie
Ersatz für den immateriellen Schaden (§ 97 Abs 2 UrhG) 221 betrachten, der durch die Verletzung des Urheberbenennungsrechts entstanden ist. Fehlt die Urheberbenennung, kann der Rechtsverletzer nicht geltend machen, dass 152 eine Namensnennung bei den Nutzungen, für die er den Aufschlag zahlen soll, nicht branchenüblich ist. Denn eine Branchenübung kann das Benennungsrecht des Urhebers nur dann einschränken, wenn er sich dieser Übung im Rahmen einer vertraglichen Abrede ausdrücklich oder stillschweigend unterwirft.222 Eine derartige Unterwerfung ist aber auszuschließen, wenn die Nutzung – wie es bei Urheberrechtsverletzung stets der Fall ist – ohne eine vertragliche Absprache mit dem Urheber erfolgt.223 b) Bereicherungshaftung des Rechtsverletzers. Ist dem Rechtsverletzer kein Verschul- 153 den nachzuweisen, lässt sich ein Anspruch auf Zahlung der üblichen Lizenzgebühr zwar nicht aus § 97 Abs 1 UrhG, wohl aber aus § 97 Abs 3 UrhG iVm § 812 BGB ableiten.224 Der Bereicherungsanspruch gleicht einen Vermögenszuwachs auf Seiten des Rechtsverletzers aus, der ein Foto genutzt hat, ohne die für solche Nutzungen übliche Lizenzgebühr zu zahlen, und deshalb in Höhe der eingesparten Gebühr grundlos bereichert ist. c) Ersatz des immateriellen Schadens. Ein Fotograf kann bei einer Verletzung seiner 154 Urheber- oder Leistungsschutzrechte auch Ersatz des immateriellen Schadens verlangen, der ihm durch die Rechtsverletzung entstanden ist. Allerdings besteht eine solche Schadensersatzpflicht nur, wenn und soweit dem Verletzer ein schuldhaftes Verhalten nachzuweisen ist und eine Entschädigung in Geld der Billigkeit entspricht (§ 97 Abs 2 UrhG). Voraussetzung für die Zuerkennung einer Geldentschädigung für immaterielle Schä- 155 den ist eine besonders schwerwiegende Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten. Es genügt also nicht, dass jemand ein Foto ohne die Zustimmung des Fotografen nutzt, denn dadurch werden lediglich dessen Verwertungsrechte, aber keine Urheberpersönlichkeitsrechte verletzt.225 Auch der Abdruck eines Fotos in einer Zeitschrift, mit deren Inhalt sich der Fotograf nicht identifizieren kann, reicht zur Begründung eines Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz nicht aus.226 Dagegen kann ein solcher Anspruch entstehen, wenn das Erstveröffentlichungsrecht des Fotografen (§ 12 UrhG) in schwerwiegender Weise verletzt 227 oder ein künstlerisches Lichtbildwerk auf einem Buchumschlag verstümmelt wiedergegeben und dadurch das Recht des Urhebers auf die Integrität seines Werkes (§ 14 UrhG) erheblich beeinträchtigt wird.228 Auch bei einer besonders dreisten Anmaßung der Urheberschaft an einem Lichtbildwerk oder Lichtbild kommt ein Schadensersatzanspruch gem § 97 Abs 2 UrhG in Betracht, weil dadurch das Recht des wirklichen Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft (§ 13 UrhG) beeinträchtigt wird.229 Ob dagegen eine lediglich fehlende oder unvollständige Urheberbenennung ausfotografien; LG Hamburg ZUM 2004, 675, 679 – Syndication; LG München I ZUM 2000, 519, 522 – Schülerkalender. 221 So LG Berlin GRUR 2006, 141; LG Berlin ZUM 1998, 673, 674 – MFM-Empfehlungen I; LG München I ZUM 1995, 57, 58 – Venus der Lumpen; zust Spieker GRUR 2006, 118, 121. 222 Schricker/Dietz § 13 UrhG Rn 24. 223 So auch LG Hamburg ZUM 2004, 675, 678 – Syndication. 224 BGH GRUR 1995, 673, 676 – Mauerbilder; OLG Hamburg ZUM-RD 1999, 69, 71 f –
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Heidemörder; Schricker/Wild § 97 UrhG Rn 86 f; Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 87; Wanckel Rn 426. Wanckel Rn 423. OLG München NJW-RR 1997, 493, 494 – Ausgleich Nichtvermögensschaden. LG Berlin GRUR 1983, 761 – Porträtbild; Schricker/Wild § 97 UrhG Rn 79. BGH GRUR 1971, 525, 526 – Petite Jacqueline; vgl auch OLG Köln Schulze OLGZ 129 – Mein schönstes Urlaubsfoto. Wanckel Rn 424.
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reicht, um einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz zu begründen, erscheint zweifelhaft.230 In solchen Fällen, in denen wegen der verhinderten Werbemöglichkeit vor allem kommerzielle Belange betroffen sind, führt wohl eher der in den MFM-Empfehlungen vorgesehene Aufschlag auf die marktüblichen Lizenzhonorare zu einem angemessenen Schadensausgleich. Bei der Prüfung der Frage, ob die Zuerkennung einer Entschädigung der Billigkeit 156 entspricht, ist die Bedeutung, der Umfang, die Intensität und die Dauer des Eingriffs in die Urheberpersönlichkeitsrechte zu berücksichtigen.231 Außerdem ist zu prüfen, ob und wie sich der Eingriff auf den Ruf und den künstlerischen Rang des Geschädigten auswirkt und welche Beweggründe den Rechtsverletzer zu dem Eingriff veranlasst haben. Dabei wird man ein vorsätzliches Handeln aus rein kommerziellen Gründen oder die Verwertung einer Fotografie gegen den ausdrücklichen Willen des Fotografen als Indiz für eine besonders schwerwiegende Rechtsverletzung zu werten haben, die eine Geldentschädigung gem § 97 Abs 2 UrhG rechtfertigt.232 8. Technische Schutzmaßnahmen
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a) Schutz vor Umgehung (§ 95a UrhG). Wirksame technische Maßnahmen zum Schutz von Lichtbildwerken, Lichtbildern und Bilddatenbanken dürfen ohne die Zustimmung des Urhebers, Lichtbildners oder sonstigen Rechtsinhabers nicht bewusst umgangen werden (§ 95a UrhG). Unerlaubte Eingriffe in solche technischen Schutzmaßnahmen erfüllen den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung (§ 97 UrhG). Sie sind außerdem strafbar (§ 108b Abs 1 UrhG). Bei den technischen Schutzmaßnahmen unterscheiden das Gesetz zwischen Zugangs158 und Nutzungskontrollen. Eine Zugangskontrolle gewährleisten bspw Passwörter und Verschlüsselungsverfahren.233 Eine Nutzungskontrolle wird bei Fotografien vor allem durch digitale Wasserzeichen ermöglicht.234 Digitale Wasserzeichen enthalten Informationen zum Urheber und zu den Nutzungsbedingungen. Sie sind in die Bilddateien eingebettet. Der Zweck solcher Wasserzeichen besteht hauptsächlich darin, missbräuchliche Nutzungen zu verhindern oder – falls eine Verhinderung nicht gelingt – sie erkennen und verfolgen zu können. Außerdem lässt sich mit Hilfe der digitalen Wasserzeichen feststellen, ob unerlaubte Veränderungen an einer Bilddatei vorgenommen wurden. Man unterscheidet zwischen den sichtbaren Wasserzeichen und den zwar unsichtbaren, aber mit einer speziellen Software „lesbaren“ Wasserzeichen. Sichtbare Wasserzeichen bestehen meist aus einem über das gesamte Bild verteilten ©-Zeichen mit dem Namen des Urhebers oder der Bildagentur, bei der man eine Lizenz erwerben kann. Sie haben den Zweck, eine ungenehmigte Nutzung des Bildes zu verhindern, indem sie es durch die visuelle Überlagerung mit dem ©-Zeichen oder sonstigen störenden Zeichen unbrauchbar machen. Unsichtbare, aber mit technischen Hilfsmitteln „lesbare“ Wasserzeichen werden meist durch eine Veränderung der redundanten Bereiche des digitalen Bildes in die Bilddatei eingebunden. Diese Veränderung ist bei normaler Betrachtung des Bildes nicht sichtbar, so dass eine Nutzung möglich bleibt. Die in das Bild eingebetteten Meta-
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So aber LG Berlin GRUR 2006, 141; LG Berlin ZUM 1998, 673, 674 – MFM-Empfehlungen I; Spieker GRUR 2006, 118, 121. Dreier/Schulze/Dreier § 97 UrhG Rn 75 So auch Wanckel Rn 424.
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Vgl Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 14 und Rn 19 f. Dazu Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 24 f; Hoeren/Nielen/ Stauder Rn 522; Wanckel Rn 430; Gass ZUM 1999, 815, 817.
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daten können mit einer speziellen Software wieder ausgelesen werden, so dass sich die Herkunft des Bildes und die Identität des Urhebers unzweifelhaft ermitteln lassen. b) Schutz von Informationen zur Rechtewahrnehmung (§ 95c UrhG). Ebenso wie die 159 technischen Schutzmaßnahmen sind auch Informationen geschützt, die ein Rechtsinhaber zur Wahrnehmung seiner Rechte mit einem digitalen Lichtbildwerk oder Lichtbild verknüpft. Solche Informationen dürfen, wenn sie an einem Vervielfältigungsstück des Bildes angebracht sind oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Wiedergabe des Bildes erscheinen, nicht wissentlich unbefugt entfernt oder verändert werden (§ 95c Abs 1 UrhG). Zu den geschützten Informationen gehören alle Hinweise, die eine Identifizierung des Urhebers oder anderer Rechtsinhaber ermöglichen, ebenso Informationen über die Modalitäten und Bedingungen für die Nutzung der Bilder sowie die Zahlen und Codes, durch die derartige Informationen ausgedrückt werden (§ 95c Abs 2 UrhG). Zu den üblichen Verfahren, die Informationen zur Rechtewahrnehmung mit einem 160 digitalen Bild zu verknüpfen, gehört die Einbindung eines Wasserzeichens in die Bilddatei. Auch das Labeling ist ein häufig verwendetes Verfahren, bei dem die Hinweise, die eine Identifizierung des Urhebers oder Rechtsinhabers ermöglichen, entweder in die zu jeder Bilddatei gehörenden Dateiinformationen eingegeben oder bspw dadurch mit der Bilddatei verknüpft werden, dass man den Namen des Fotografen oder die Bildnummer der Bildagentur als Dateibezeichnung verwendet.235 Als weitere Möglichkeit zur Verknüpfung von Bildinformationen mit dem digitalen Bild wird häufig das Tatooing genannt, das aber nichts anderes ist als die Einbindung eines sichtbaren Wasserzeichens in eine Bilddatei. Beim Tatooing werden die Informationen in Klarschrift, als Logo, als Nummer oder als Code wie eine Tätowierung sichtbar in das Bild eingefügt.236
II. Gewerbliche Schutzrechte 1. Wettbewerbsrechtlicher Schutz a) Schutz gegen Nachahmungen (§§ 3, 4 Nr 9 UWG). Das Wettbewerbsrecht schützt 161 Fotografen unter den in §§ 3, 4 Nr 9 UWG genannten Voraussetzungen davor, dass ihre Leistungen nachgeahmt werden. Dieser ergänzende Leistungsschutz ist allerdings gegenüber dem Sonderschutz des Urheberrechtsgesetzes sekundär. Soweit sich daher ein Fotograf gegen das Nachstellen seiner Bilder mit urheberrechtlichen Mitteln zur Wehr setzen kann, scheidet ein Rückgriff auf die wettbewerbsrechtlichen Schutzvorschriften aus.237 Zu den Leistungen, für die kein urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommt, gehört 162 bspw die Entwicklung von Gestaltungskonzepten oder die Konzeption einer Bildserie.238 Deshalb kann bei der Übernahme solcher Leistungen durch Dritte unter Umständen der ergänzende Leistungsschutz des Wettbewerbsrechts eingreifen. Voraussetzung für den wettbewerbsrechtlichen Schutz ist zunächst, dass zwischen den 163 Beteiligten ein Wettbewerbsverhältnis besteht und die zu schützende Leistung eine wettbewerbliche Eigenart hat. Das Wettbewerbsverhältnis ist ohne weiteres gegeben, wenn die Leistung, für die ein Fotograf den ergänzenden Leistungsschutz beansprucht, durch einen anderen Fotografen, eine Bildagentur, eine Werbeagentur oder andere Bildanbieter 235 236 237
Hoeren/Nielen/Stauder Rn 520. Hoeren/Nielen/Stauder Rn 521; Gass ZUM 1999, 815, 816. Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 39; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4
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UWG Rn 9.7; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 473; aA OLG Frankfurt ZUM-RD 2008, 171, 172. Dazu oben Rn 50.
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nachgeahmt wird. Die wettbewerbliche Eigenart der Leistung ist zu bejahen, wenn sie besondere Merkmale aufweist, die geeignet sind, auf ihre betriebliche Herkunft oder ihre Besonderheiten hinzuweisen.239 In diesem Sinne hat zB das von dem Fotografen Horst Wackerbarth entwickelte Bildkonzept „Rote Couch“240 eine wettbewerbliche Eigenart, weil die nach diesem Konzept erstellten Fotografien weltweit bekannt und wegen des ständig wiederkehrenden Motivs der roten Couch als Teil eines „Gesamtkunstwerks“ erkennbar sind. Da die rote Couch in der öffentlichen Wahrnehmung außerdem eng mit dem Namen von Horst Wackerbarth verbunden ist, hat das Konzept zusätzlich eine herkunftshinweisende Funktion und damit die für den ergänzenden Leistungsschutz notwendige Eigenart.241 Eine Leistung, die eine wettbewerbliche Eigenart aufweist, ist nicht gegen jede Nachahmung, sondern nur gegen unlautere Nachahmungen geschützt. Von einer Nachahmung ist auszugehen, wenn die Leistung unverändert übernommen wird (unmittelbare Leistungsübernahme), wenn sie mit geringfügigen Änderungen übernommen wird (fast identische Leistungsübernahme) oder wenn sie lediglich als Vorbild benutzt und dann nachschaffend unter Einsatz eigener Leistung wiederholt wird (nachschaffende Leistungsübernahme).242 Unlauter ist die Nachahmung, wenn einer der Tatbestände des § 4 Nr 9 UWG erfüllt ist, wobei die dort aufgeführten Fälle unlauteren Verhaltens nicht abschließend sind. Bei der Übernahme einer Bildkonzepts, das eine wettbewerbliche Eigenart aufweist, kann unter Umständen der Tatbestand der Herkunftstäuschung (§ 4 Nr 9a UWG) erfüllt sein. Voraussetzung ist allerdings, dass das Konzept bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt hat und – wie bei dem Bildkonzept „Rote Couch“ – mit einem bestimmten Namen verbunden wird. Unlauter ist auch die unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der nachgeahmten Leistung (§ 4 Nr 9b UWG). Lässt sich daher feststellen, dass das von einem Fotografen entwickelte Bildkonzept durch Fotoausstellungen oder Publikationen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine besondere Wertschätzung erworben hat, stellt die Realisierung dieses Konzepts durch einen anderen Fotografen eine unlautere Nachahmung dar, falls es dadurch zu einer Ausbeutung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des Bildkonzepts kommen kann. Von einer unlauteren Nachahmung ist schließlich auch in den Fällen auszugehen, in denen die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erworben wurden (§ 4 Nr 9c UWG). Hat bspw ein Fotograf einen Standort entdeckt, der eine besonders interessante Perspektive auf ein Landschaftsmotiv bietet, und hat er von diesem Standort aus Fotografien angefertigt, die durch Ausstellungen und Publikationen eine große öffentliche Aufmerksamkeit und Bekanntheit erlangt haben, dann ist es unredlich, wenn sich ein Berufskollege die für eine Wiederholung der Aufnahmen notwendigen Kenntnisse über den genauen Standort unter Ausnutzung einer Vertrauensbeziehung beschafft, die zwischen ihm und dem Urheber der Original-Aufnahmen besteht. In einem solchen Fall steht der wettbewerbsrechtliche Nachahmungsschutz ungeachtet der Tatsache, dass es für Motive und die fotografische Perspektive keinen Urheberrechts239
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BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; BGH GRUR 2006, 79, 81 – Jeans; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.24; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 476. Vgl Rn 98 ff.
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Abl LG Hamburg Urteil vom 4.3.1997 (308 O 272/95) – Rote Couch I. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.34 ff; dazu auch Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 477 f.
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schutz geben kann, einer Verwertung von Aufnahmen entgegen, die dasselbe Motiv vom gleichen Standort aus zeigen. Da die Auflistung der unlauteren Umstände in § 4 Nr 9 UWG nicht abschließend ist, 168 sind weitere Fälle einer unlauteren Leistungsübernahme denkbar. So handelt zB ein Fotograf unlauter, der eine Hochzeitsgesellschaft, die ein Mitbewerber auf einer eigens für diesen Zweck errichteten Tribüne aufstellt und fotografiert, unter Ausnutzung der Vorbereitungsmaßnahmen seines Mitbewerbers ebenfalls ablichtet, um mit seinen Bildern dem von den Brautleuten beauftragten Fotografen Konkurrenz zu machen. Eine Urheberrechtsverletzung ist in diesem Fall wegen der Motivfreiheit auszuschließen, doch fällt das Verhalten des Fotografen, der die Situation ausnutzt und ohne eigene Vorleistungen nahezu identische Bilder aufnimmt, unter das allgemeine Verbot unlauteren Wettbewerbs (§ 3 UWG).243 b) Schutz gegen Vorlagenfreibeuterei (§ 18 UWG). Wer Vorlagen, die ihm im ge- 169 schäftlichen Verkehr anvertraut werden, zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt, macht sich strafbar (§ 18 UWG). Als zivilrechtliche Folge der Vorlagenfreibeuterei kommen ua Unterlassungsansprüche (§ 18 UWG iVm §§ 823 Abs 2, 1004 BGB analog) und Schadensersatzansprüche (§ 18 UWG iVm § 823 Abs 2 BGB) in Frage. Eine „Vorlage“ kann zB die schriftlich ausgearbeitete Darstellung einer Bildkonzep- 170 tion sein, die als Anleitung zur Anfertigung einer bestimmten Art von Fotografien dienen soll.244 Eine besondere Eigenart, Individualität oder schöpferische Qualität der Bildkonzeption ist nicht erforderlich, denn das Verbot der Vorlagenfreibeuterei dient nicht dem Schutz von Leistungen oder Entwürfen, sondern der Verhinderung eines Wettbewerbsvorsprungs durch Vertrauensbruch.245 „Anvertraut“ ist eine Vorlage, wenn sie dem Empfänger vertraglich oder im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit der ausdrücklich oder konkludent auferlegten Verpflichtung überlassen wurde, sie nur im Interesse des Anvertrauenden zu verwenden, und wenn die Vorlage nicht bereits offenkundig war.246 Von einem unbefugten „Verwerten“ ist dann auszugehen, wenn der in der Vorlage verkörperte Gedanke unmittelbar oder auch nur mittelbar wirtschaftlich genutzt wird und diese Nutzung dem Interesse des Anvertrauenden zuwiderläuft.247 „Mitgeteilt“ wird die Vorlage durch jede Weitergabe an Dritte.248 Werbefotografen werden häufig aufgefordert, für eine Anzeigenserie oder eine Plakat- 171 aktion ein Bildkonzept zu erarbeiten und im Rahmen einer Präsentation vorzustellen. Wenn der Fotograf daraufhin eine schriftliche Darstellung seines Konzepts vorlegt, ist in der Regel davon auszugehen, dass es sich bei dieser Ausarbeitung um eine „anvertraute Vorlage“ iSd § 18 UWG handelt. Das Unternehmen, das zu der Präsentation eingeladen hat, darf deshalb das Bildkonzept nur im Einvernehmen mit dem Fotografen in konkrete Fotos umsetzen oder an Dritte weitergeben.
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So OLG München NJW-RR 1992, 431 – Hochzeits-Fotograf; Schack Kunst und Recht Rn 841; Hoeren/Nielen/Dierking Rn 530; Franzen/von Olenhusen UFITA 2007, 435, 480. Vgl Wüterich/Breucker GRUR 2004, 389, 390 f; Zentek WRP 2007, 507, 512 f. Zentek WRP 2007, 507, 511.
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 18 UWG Rn 11; Wüterich/Breucker GRUR 2004, 389, 391; Zentek WRP 2007, 507, 513 f. Zentek WRP 2007, 507, 515. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 17 UWG Rn 19.
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Kapitel 4 Fotorecht
2. Teil
2. Markenrechte Bildnisse prominenter Personen werden zunehmend in der Werbung oder zur Ausstattung von Merchandising-Artikeln eingesetzt. Um diese Form der Verwertung rechtlich abzusichern und ein Monopolrecht zur Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen mit dem Porträtfoto eines Prominenten zu erlangen, wird häufig versucht, solche Bildnisse als Marke eintragen zu lassen.249 Die Registrierung als Marke bietet insbesondere dann, wenn sie nicht nur in Deutschland, sondern europaweit und auch international erfolgt, gegenüber dem urheberrechtlichen Schutz als Lichtbildwerk oder Lichtbild gewisse Vorteile.250 So steht bei einer Markenanmeldung bspw die Schutzfähigkeit des Bildnisses auch in den Ländern, in denen es eine mit § 72 UrhG vergleichbare Regelung nicht gibt, außer Frage. Außerdem ist es mit Hilfe einer Markeneintragung möglich, selbst für solche Lichtbildwerke und Lichtbilder noch eine Schutzposition zu erwerben, die urheberrechtlich gemeinfrei sind.251 Prinzipiell ist die Eintragung eines Porträtfotos als Marke möglich.252 Das zeigt das 173 Beispiel des Rennfahrers Michael Schumacher, dessen Bildnis beim DPMA unter der Nr 396 54 239 als Bildmarke registriert ist. Das BPatG hat dem Bildnis eine ausreichende Unterscheidungskraft (§ 8 Abs 1 Nr 1 MarkenG) attestiert und ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei Michael Schumacher um eine absolute Person der Zeitgeschichte handelt, ein Freihaltebedürfnis (§ 8 Abs 1 Nr 2 MarkenG) verneint.253 Auch das allgemeine Bedürfnis, das Bildnis einer Person der Zeitgeschichte für redaktionelle Zwecke frei verwenden zu können, steht nach Auffassung des Gerichts einer Markeneintragung nicht entgegen, weil der Markeninhaber eine solche Verwendung gem § 23 Nr 2 MarkenG dulden muss. Bei einem Porträtfoto von Marlene Dietrich hat das BPatG dagegen die Eintragung 174 als Bildmarke abgelehnt.254 Begründet wurde der Beschluss damit, dass das Foto für bestimmte Waren und Dienstleistungen lediglich inhaltsbeschreibende Eigenschaften habe und deshalb freizuhalten sei. Im Übrigen fehle dem Bildnis für alle Waren und Dienstleistungen – einschließlich derjenigen, für die kein Freihaltebedürfnis bestehe – die erforderliche Unterscheidungskraft. Das angesprochene Publikum nehme das Foto von Marlene Dietrich bei den Waren, bei denen es keine inhaltsbeschreibende Funktion habe, als reines Werbemittel wahr und betrachte es lediglich als Hinweis auf die Künstlerin selbst, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft der Waren aus einem bestimmten Unternehmen.255
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III. Eigentumsrechte an analogen Bildträgern 175
Während das Urheberrecht die geistige Leistung schützt, die durch ein Lichtbildwerk dokumentiert wird, und das Leistungsschutzrecht des § 72 UrhG die mit der Herstellung eines Lichtbildes verbundene technische Leistung honoriert, geht es beim Eigentumsrecht
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Zu den Gründen für die Anmeldung von Bildnissen als Marke auch Boeckh GRUR 2001, 29, 30. Dazu Loewenheim/Schertz § 79 Rn 18. Vgl Schack Kunst und Recht Rn 211. Fezer § 8 Rn 75a; Hoeren/Nielen/Winzer Rn 68. BPatG BIPMZ 1999, 43 – Porträtfoto
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Michael Schumacher; krit dazu Boeckh GRUR 2001, 29, 34 f. BPatG GRUR 2006, 333 – Porträtfoto Marlene Dietrich. BPatG GRUR 2006, 333, 335, 337 – Porträtfoto Marlene Dietrich; ebenso Ekey/ Klippel/Bender GMV Art 7 Rn 41.
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§2
Rechte an der Fotografie
um das Recht an der Sache, in der sich die geistige oder technische Leistung materialisiert. Bei Fotografien erfolgt die Materialisierung in der Regel auf einem Bildträger, wobei sich die Frage, wem das Eigentum an dem Bildträger zusteht, normalerweise nur bei den analogen Bildträgern (Negativen, Diapositiven, Fotoabzügen) stellt. Das Eigentumsrecht an dem Bildträger besteht unabhängig von dem Urheber- oder Leistungsschutzrecht an dem Lichtbildwerk oder Lichtbild, das der Bildträger verkörpert. Eigentümer des Bildträgers kann also jemand anderes sein als derjenige, dem das Urheber- oder Leistungsschutzrecht an dem Bild zusteht. Normalerweise erlangt der Fotograf mit der Belichtung des Films außer dem Urheber- 176 oder Leistungsschutzrecht an den von ihm aufgenommenen Bildern auch das Eigentumsrecht an dem Filmmaterial (§ 950 Abs 1 BGB).256 Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen jemand ein Bild als angestellter Fotograf im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses anfertigt. Bei solchen Fotoproduktionen wird das Sacheigentum unmittelbar bei dem Arbeitgeber des Fotografen begründet, während dem Angestellten nur das Urheber- oder Leistungsschutzrecht verbleibt.257 Überträgt der Fotograf die Nutzungsrechte an seinen Bildern auf Dritte, stellt sich die 177 Frage, ob der Erwerber der Nutzungsrechte auch das Eigentum an den Negativen, den Diapositiven oder den Fotoabzügen erwirbt, die ihm zur Nutzung überlassen werden. Die Beantwortung der Frage ist unproblematisch, wenn es zu den Eigentumsrechten klare Vertragsabsprachen gibt, bspw eine AGB-Klausel, die eine Übertragung des Eigentums auf den Vertragspartner des Fotografen ausdrücklich vorsieht. Problematisch sind dagegen die Fälle, in denen über die Eigentumsrechte nicht gesprochen wurde. Dann ist zu klären, ob die Eigentumsübertragung zu den vertraglich geschuldeten Leistungen des Fotografen gehört oder ob er lediglich zur Überlassung der Nutzungsrechte verpflichtet ist. Dabei ist die Zweckübertragungsregel zu berücksichtigen, die zwar normalerweise nur im Urheberrecht gilt, deren Grundgedanke aber auch bei der Klärung der Eigentumsfrage anwendbar ist.258 Dementsprechend ist von einer Eigentumsübertragung nur dann auszugehen, wenn die Überlassung des Eigentums zur Erfüllung des Vertragszwecks zwingend notwendig ist.259 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Ausübung der fotografischen Nutzungs- 178 rechte regelmäßig auch ohne den Erwerb des Eigentums an den Bildträgern (Negativen, Diapositiven, Abzügen) möglich ist und die Eigentumsrechte deshalb bei dem Fotografen verbleiben, soweit nicht im Einzelfall ausnahmsweise etwas anderes vereinbart wird.260 Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn der Vertrag zwischen dem Fotografen und dem Verwerter nicht nur die Einräumung oder Übertragung von Nutzungsrechten, sondern auch die Herstellung der Fotografien zum Gegenstand hat.261 256
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Riedel Rn 4.442; Loewenheim/Loewenheim/ J B Nordemann § 26 Rn 11; Schack Kunst und Recht Rn 159. KG ZUM-RD 1998, 9, 10 – Theater-Plastiker; Schricker/Rojahn § 43 UrhG Rn 37; Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 UrhG Rn 37; Loewenheim/Loewenheim/ J B Nordemann § 26 Rn 12. So BGH GRUR 2007, 693, 695 (Abs 31) – Archivfotos; OLG München GRUR 1984, 516, 517 – Tierabbildungen; Riedel Rn 4.443; aA KG ZUM-RD 1998, 9, 10 – Theater-Plastiker.
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Loewenheim/Loewenheim/J B Nordemann § 26 Rn 11. So bereits RGZ 108, 44 – Graf Zeppelin; ebenso BGH GRUR 2007, 693, 695 – Archivfotos; LG Stuttgart Schulze LGZ 181; vgl auch OLG Hamburg GRUR 1980, 909, 911 – Gebrauchsgrafik für Werbezwecke; OLG München GRUR 1984, 516, 517 – Tierabbildungen; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 39. Anders dagegen Wanckel Rn 347 f, der bei Fotoproduktionen unter Hinweis auf §§ 651, 433 BGB von einer Verpflichtung
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Kapitel 4 Fotorecht
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Bei Hochzeitbildern war zeitweise die Auffassung vorherrschend, dass die Fotografen ihren Kunden außer den Fotoabzügen auch das Eigentum an den Negativen überlassen müssen.262 In späteren Entscheidungen wurde dann aber geklärt, dass auch Hochzeitbildfotografen in der Regel das Eigentum an den Negativen behalten und deshalb nicht verpflichtet sind, die Filme an den Auftraggeber herauszugeben.263 Streitig ist, ob Fotoabzüge, die einem Zeitschriftenverlag oder einem anderen Verwer180 ter gegen Zahlung eines Honorars zur Aufnahme in ein Bildarchiv überlassen werden, in das Eigentum des Verwerters übergehen. Dazu wird teilweise die Auffassung vertreten, dass bei der Überlassung von Fotoabzügen zu Archivzwecken stets 264 oder jedenfalls dann eine Eigentumsübertragung stattfindet, wenn der Fotograf für die Abzüge eine Archivgebühr oder ein sonstiges Entgelt erhält.265 Dem ist entgegenzuhalten, dass aus der Berechnung einer Archivgebühr oder eines ähnlichen Entgelts zumindest dann kein Wille des Fotografen zur Übertragung des Eigentums an den Archivbildern abgeleitet werden kann, wenn das Entgelt keinen realen Gegenwert für die überlassenen Abzüge darstellt.266 Wenn zudem der Fotograf durch einen entsprechenden Vermerk auf der Rückseite der Abzüge oder auf andere Weise klarstellt, dass die Überlassung der Bilder nur „leihweise“ erfolgt, dann schließt das eine Eigentumsübertragung definitiv aus.267 Mit der Überlassung der Fotoabzüge zu Archivzwecken kommt dann lediglich ein Leihvertrag oder ein gemischter Vertrag mit leih- und mietvertraglichen Elementen zustande kommt, so dass der Fotograf seine Bilder nach Kündigung des Vertrages wieder zurückfordern kann.268 Wird dagegen im Kunsthandel ein Fotoabzug als Original angeboten und einem Inte181 ressenten zu einem Preis überlassen, der dem Kunstwert des Lichtbildwerkes entspricht, ist regelmäßig von einem Kaufvertrag auszugehen, der den Verkäufer verpflichtet, dem Käufer das Eigentum an dem Lichtbildwerk-Original zu übertragen.269 In solchen Fällen werden dem Erwerber im Zweifel nur die Eigentumsrechte, aber keine Nutzungsrechte eingeräumt (§ 44 Abs 1 UrhG). Allerdings darf er das Werk öffentlich ausstellen, sofern nicht auch das Ausstellungsrecht bei der Veräußerung des Originals ausdrücklich ausgeschlossen wurde (§ 44 Abs 2 UrhG).
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zur Eigentumsübertragung ausgeht. Diese Auffassung verkennt, dass bei einer Fotoproduktion kein Werklieferungsvertrag, sondern ein Werkvertrag abgeschlossen wird; dazu Rn 293. So AG Regensburg NJW-RR 1987, 1008 – Hochzeitbilder I. Vgl LG Hannover NJW-RR 1989, 53 – Hochzeitbilder II; LG Wuppertal GRUR 1989, 54 – Hochzeitbilder III; ebenso Schricker/Vogel § 44 UrhG Rn 17 aE. So offenbar Riedel Rn 4.443. OLG Hamburg GRUR 1989, 912, 914 – Spiegel-Fotos; OLG München GRUR-RR
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2004, 220, 221 ff – Fotoabzüge; Wandtke/ Bullinger/Wandtke § 44 UrhG Rn 14; Loewenheim/Loewenheim/J B Nordemann § 26 Rn 12; Wanckel Rn 349 aE. BGH GRUR 2007, 693, 695 (Abs 31 aE) – Archivfotos; Schricker/Vogel § 44 UrhG Rn 17. BGH GRUR 2007, 693, 695 (Abs 29) – Archivfotos; Schricker/Vogel § 44 UrhG Rn 17. BGH GRUR 2007, 693, 695 (Abs 35 ff) – Archivfotos. Wanckel Rn 349.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
§3 Rechte am Aufnahmegegenstand I. Rechte der abgebildeten Personen Bei Aufnahmen, auf denen Personen erkennbar sind, muss das Persönlichkeitsrecht 182 der Abgebildeten und insbesondere deren Recht am eigenen Bild beachtet werden. Es gilt die Grundregel, dass die erkennbare Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes einer Person, also ein Bildnis, nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden darf (§ 22 KUG). Von dieser Regel gibt es vier Ausnahmen. So ist die Verbreitung und Zurschaustellung eines Bildnisses auch ohne die Einwilligung des Abgebildeten zulässig, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs 1 Nr 1 KUG) oder um ein Bild handelt, auf dem die abgebildete Person nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheint (§ 23 Abs 1 Nr 2 KUG). Außerdem bedarf es der Einwilligung des Abgebildeten dann nicht, wenn es sich um Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen handelt, an denen die betreffende Person teilgenommen hat (§ 23 Abs 1 Nr 3 KUG), oder um Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern deren Verbreitung und Zurschaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs 1 Nr 4 KUG). Alle vier Ausnahmeregelungen stehen unter dem Vorbehalt, dass durch die Verbreitung und Zurschaustellung kein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird (§ 23 Abs 2 KUG). Zu den Einzelheiten des Rechts am eigenen Bild wird auf die Erläuterungen in Teil 6 183 Kap 3 verwiesen.
II. Rechte an abgebildeten Objekten 1. Urheber- und Leistungsschutzrechte Das Fotografieren eines urheberrechtlich geschützten Werkes führt zu einer Vervielfäl- 184 tigung des abgelichteten Objekts und damit zu einem Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers, der das Werk geschaffen hat. Wird die fotografische Abbildung des geschützten Werkes verbreitet, ist auch das Verbreitungsrecht des Urhebers berührt. a) Geschützte Werke. Zu den urheberrechtlich geschützten Werken, die für eine foto- 185 grafische Abbildung in Frage kommen, gehören insbesondere die Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG), aber auch pantomimische Werke und Werke der Tanzkunst (§ 2 Abs 1 Nr 3 UrhG). Werden Pläne, Karten, Skizzen oder technische Modelle fotografiert, können die abgebildeten Objekte als Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art (§ 2 Abs 1 Nr 7 UrhG) geschützt sein. Auch beim Abfotografieren von Fotos kann ein Eingriff in fremde Urheber- oder Leistungsschutzrechte vorliegen, da Fotografien entweder als Lichtbildwerke (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG) oder als Lichtbilder (§ 72 UrhG) geschützt sind. Um feststellen zu können, ob ein fotografiertes Objekt urheberrechtlich geschützt ist, 186 reicht es nicht aus, die Möglichkeit einer Zuordnung des Objekts zu einer der in § 2 Abs 1 UrhG genannten Werkkategorien zu überprüfen. Vielmehr muss darüber hinaus auch geklärt werden, ob es sich bei dem Objekt um eine persönliche geistige Schöpfung iSd § 2 Abs 2 UrhG handelt. Mit dieser Klärung ist aber ein juristisch nicht vorgebildeter Fotograf angesichts der kontroversen Diskussionen, die es zu dem Begriff der „persönlichen geisti-
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gen Schöpfung“ in der Rechtsprechung und juristischen Literatur gibt,270 in der Regel vollkommen überfordert. Das führt vor allem beim Fotografieren von Gebrauchsobjekten, die aufgrund ihres Designs eventuell als Werke der angewandten Kunst geschützt sind, zu erheblichen Unsicherheiten. Bei klassischen Kunstwerken – etwa einer Plastik von Henry Moore oder einem 187 Gemälde von Pablo Picasso – mag die urheberrechtliche Schutzfähigkeit sofort erkennbar sein. Bei einem Bauwerk, einem Sitzmöbel, einer Lampe oder einem Bekleidungsstück ist dagegen nicht immer klar, ob es sich um eine persönliche geistige Schöpfung und damit um ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder um ein ungeschütztes Objekt handelt, das ohne weiteres fotografiert werden darf. So wird den meisten Fotografen kaum bekannt sein, dass zB die Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeldt,271 der Hocker B9 von Marcel Breuer,272 die LC-Sesselserie von Le Corbusier,273 der TrippTrapp-Kinderstuhl von Peter Opsvik 274 oder das USM-Haller-Möbelprogramm 275 als Werke der angewandten Kunst geschützt sind. Ebenso wenig werden sie wissen, dass sogar der Garten- und Flächengestaltung im Innenhof des Bundesfinanzministeriums,276 einem Kleid mit der aufgedruckten Darstellung eines röhrenden Hirschen,277 einem Ohrclip mit dem Motiv einer Silberdistel 278 und den Swarovski-Kristallfiguren 279 von der Rechtsprechung die urheberrechtliche Schutzfähigkeit attestiert wurde.280 Angesichts der zunehmenden Ausdehnung des Urheberrechtsschutzes auf Designobjekte, die als Gebrauchsgegenstände überall sichtbar sind und deren Abbildung sich selbst beim Fotografieren von Alltagssituationen kaum vermeiden lässt, besteht ein erhöhtes Risiko, dass Fotografen mit ihren Bildern fremde Urheberrechte verletzen.281
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b) Fotografische Abbildungen geschützter Werke und Werbehinweisrecht. Als Vervielfältigung iSd § 16 Abs 1 UrhG gilt jede körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen.282 Eine solche körperliche Festlegung erfolgt auch beim Fotografieren von urheberrechtlich geschützten Werken, denn die Werke werden entweder auf einem analogen Film fixiert oder auf dem Datenträger einer Digitalkamera gespeichert, was für eine Vervielfältigung ausreicht.283 Unerheblich bleibt nach allgemeiner Auffassung, dass dreidimensionale Objekte beim Fotografieren in ein zweidimensionales Bild übertragen werden.284 Zwar wird die Übertragung eines geschützten Werkes in eine 270
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Vgl dazu Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 11 ff und Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 6 ff jeweils mwN. OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 – Bauhaus-Leuchte. OLG Düsseldorf ZUM-RD 2002, 419 – Breuer-Hocker. Vgl dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Zentek 411 ff. OLG Hamburg ZUM-RD 2002, 181 – Tripp-Trapp-Stuhl. OLG Frankfurt GRUR 1990, 121 – USMHaller. KG ZUM 2001, 590 – Gartenanlage. LG Leipzig GRUR 2002, 424 – Hirschgewand. OLG München ZUM 1994, 515 – Silberdistel. BGH GRUR 1988, 690 – Kristallfiguren I.
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Weitere Beispiele bei Zentek 313 ff (Figuren), 360 ff (Mode- und Textildesign), 393 ff (Möbel), 485 ff (diverse Produkte wie Armaturen, Brillen, Lampen etc). Vgl zu diesem Problem auch Kur GRUR Int 1999, 24, 26 (unter III 1). BGH GRUR 1983, 28, 29 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; BGH GRUR 2001, 51, 52 – Parfumflakon; Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 5; Dreier/Schulze/Schulze § 16 UrhG Rn 6; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 16 UrhG Rn 3. Zur körperliche Festlegung bei einer digitalen Speicherung vgl Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 17. BGH GRUR 1983, 28, 29 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; Schricker/Loewenheim § 16 UrhG Rn 9 aE;
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andere Kunstform in der Regel nicht als Vervielfältigung, sondern als freie Benutzung (§ 24 UrhG) und die Übertragung in eine andere Werkart als Bearbeitung (§ 23 UrhG) eingestuft.285 Bei der Übertragung eines Werkes der bildenden oder angewandten Kunst (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG) in ein Lichtbildwerk (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG) oder ein Lichtbild (§ 72 UrhG) soll das jedoch nicht gelten.286 Auch die Tatsache, dass bspw ein LC-Sessel auf der fotografischen Abbildung seine Funktion verliert, weil die zweidimensionale Abbildung des Sessels im Gegensatz zu dem dreidimensionalen Original nicht als Sitzmöbel verwendbar ist, steht der Annahme, dass es sich bei der fotografischen Abbildung um eine Vervielfältigung des Sofas handelt, nicht entgegen. Diese Auslegung des Begriffs „Vervielfältigung“ mag dogmatisch korrekt sein, entspricht aber wohl kaum dem Alltagsverständnis, das von einer Vervielfältigung erwartet, dass sie in Form und Funktion mit dem Original übereinstimmt. Die Tatsache, dass bereits die Ablichtung eines geschützten Werkes eine Vervielfälti- 189 gung darstellt, schränkt die Arbeitsmöglichkeiten der Fotografen erheblich ein, weil sie unter Umständen für jedes Foto, auf dem ein solches Werk zu sehen ist, die Zustimmung des Werkurhebers einholen müssen. Eine Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass man das Recht zur zweidimensionalen Reproduktion eines dreidimensionalen Werkes der angewandten Kunst nach dem ersten Inverkehrbringen des Werkes prinzipiell für erschöpft erklärt.287 Es ist jedoch fraglich, ob die in § 17 Abs 2 UrhG geregelte Erschöpfung des Verbreitungsrechts auch auf andere Verwertungsrechte und insbesondere auf das Vervielfältigungsrecht übertragbar ist. Zwar hat der BGH in einigen früheren Entscheidungen tendenziell die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Erschöpfungsgrundsatz um einen allgemeinen Rechtsgedanken handelt, der auch für andere Verwertungsrechte gilt.288 Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass sich aus diesem Grundsatz keine generelle Einschränkung des Vervielfältigungsrechts ableiten lässt.289 Allerdings werden gewisse Einschränkungen akzeptiert, soweit der mit der Erschöp- 190 fung verfolgte Zweck, die Verkehrsfähigkeit der legal in Verkehr gesetzten Werkstücke sicherzustellen, einen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht erfordert. So darf ein urheberrechtlich geschützter Parfümflakon, der mit Zustimmung des Flakongestalters in Verkehr gebracht worden ist, nicht nur weiterverbreitet, sondern auch in Prospekten, Werbeanzeigen und anderen Publikationen, mit denen das Parfum beworben wird, abgebildet werden.290 Um die ungehinderte Verbreitung der in zulässiger Weise in Verkehr gebrachten Werkstücke zu gewährleisten, muss also der Urheber einen Eingriff in sein Vervielfältigungsrecht hinnehmen. Damit lässt sich aus dem Erschöpfungsgrundsatz ein allgemeines Werbehinweisrecht 191 ableiten, das die fotografische Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zumindest dann erlaubt, wenn die Fotografien für Werbeankündigungen, die das abgebildete Werk betreffen, eingesetzt werden. Ist also zB auf einem Bucheinband ein Foto oder
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Dreier/Schulze/Schulze § 16 UrhG Rn 11; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 16 UrhG Rn 10, der dazu auf § 59 UrhG verweist. Vgl Schricker/Loewenheim § 23 UrhG Rn 6; Schack Rn 244. So Möhring/Nicolini/Ahlberg § 24 UrhG Rn 25. Dazu Kur GRUR Int 1999, 24, 28. BGH GRUR 1981, 413, 416 – Kabelfernsehen in Abschattungsgebieten; BGH GRUR
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1995, 673, 676 – Mauer-Bilder; anders dagegen BGH GRUR 2000, 699, 701 – Kabelweitersendung. BGH GRUR 2001, 51, 53 – Parfumflakon; Schricker/von Ungern-Sternberg § 15 UrhG Rn 34 mwN; Kur GRUR Int 1999, 24, 28. BGH GRUR 2001, 51, 53 – Parfumflakon; Dreier/Schulze/Schulze § 17 UrhG Rn 30; Ganea GRUR Int 2005, 102, 107.
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eine urheberrechtlich geschützte Illustration abgebildet, darf der Einband auch ohne die Zustimmung des Einbandgestalters und der Urheber der dort abgedruckten Bilder für Werbeanzeigen, Plakate oder Buchkataloge, die auf das Buch hinweisen sollen, abgelichtet werden. Dasselbe gilt für Designermöbel, die für die Werbeankündigungen eines Möbelhauses fotografiert werden.291 Wird dagegen ein urheberrechtlich geschütztes Werk auf Fotografien abgebildet, die 192 nicht der Bewerbung dieses Werkes, sondern anderen Zwecken dienen, bedarf die fotografische Vervielfältigung der Zustimmung des Urhebers. Das Werbehinweisrecht deckt also zB nicht die Ausstattung einer Werbeszene mit einem Designersofa, für das Urheberrechtsschutz besteht, sofern mit dem Foto keine Sofawerbung betrieben, sondern ein anderer Werbezweck verfolgt wird.
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c) Schranken der Urheber- und Leistungsschutzrechte an abgebildeten Werken. Ein Werk, das die Schutzkriterien des § 2 UrhG erfüllt, darf auch ohne Zustimmung des Rechtsinhabers fotografiert und damit vervielfältigt werden, wenn die urheberrechtliche Schutzfrist bereits abgelaufen und das Werk gemeinfrei geworden ist. Die Zustimmung braucht außerdem dann nicht eingeholt zu werden, wenn eine der gesetzlichen Schrankenbestimmungen (§§ 44a ff UrhG) eingreift, die im Hinblick auf die Sozialbindung des geistigen Eigentums eine Einschränkung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte vorsehen.
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aa) Rechtspflege und öffentliche Sicherheit. § 45 Abs 1 UrhG erlaubt die Herstellung einzelner Vervielfältigungsstücke geschützter Werke zur Verwendung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren. Es ist daher zulässig, ein Werk der bildenden Kunst oder andere geschützte Werke zu fotografieren, um das Foto zB als Beweismittel in einem Zivil- oder Strafprozess vorlegen zu können. Die für ein Gerichtsverfahren angefertigten fotografischen Vervielfältigungen dürfen auch in dem Urteil wiedergegeben werden, mit dem das Verfahren abgeschlossen wird.292 Dagegen ist eine Weitergabe der Bilder an Dritte (zB Presse) nicht zulässig.293
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bb) Berichterstattung über Tagesereignisse. Im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse dürfen geschützte Werke, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang fotografisch vervielfältigt werden (§ 50 UrhG). Unter denselben Voraussetzungen ist auch die Verbreitung der fotografischen Abbildungen und ihre öffentliche Wiedergabe im Fernsehen oder im Internet zulässig. „Tagesereignis“ ist jede aktuelle Begebenheit, die für die Allgemeinheit von Interesse 196 ist.294 Die notwendige Aktualität ist gegeben, solange der Bericht über ein Ereignis von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird.295 Dazu genügt ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Berichterstattung, wobei auch die Erscheinungsweise des jeweiligen Mediums zu berücksichtigen ist. So ist ein Zeitungsbericht über die Eröffnung einer Kunstausstellung noch hinreichend aktuell, wenn die Eröffnung an einem Sonntag stattfindet und der Bericht über dieses Ereignis erst am darauffolgenden Wochenende im Feuilletonteil der Zeitung erscheint.296 291 292 293 294
Wanckel Rn 89. Maaßen ZUM 2003, 830, 834 f. Schricker/Vogel § 45 UrhG Rn 6. BGH GRUR 2002, 1050, 1051 – Zeitungsbericht als Tagesereignis.
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Möhring/Nicolini/Engels § 50 UrhG Rn 5. KG Schulze KGZ 74, 11.
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Rechte am Aufnahmegegenstand
Bei einer Monatsschrift kann ein solcher Bericht sogar vier Wochen nach der Ausstellungseröffnung noch eine Berichterstattung über ein Tagesereignis sein. Dagegen fehlt es an der notwendigen Aktualität, wenn über das Ereignis erstmals in einem Jahresrückblick berichtet wird.297 Gegenstand der Berichterstattung muss stets das Tagesereignis sein. Das schließt allerdings nicht aus, dass ein einzelnes Werk, das anlässlich des Tagesereignisses wahrnehmbar geworden ist, im Rahmen der Berichterstattung ohne einen konkreten optischen Bezug zu dem Ereignis gezeigt wird. So darf zB ein Gemälde, das neben anderen Werken in einer Ausstellung zu sehen ist, im Rahmen der Berichterstattung über die Ausstellungseröffnung selbstständig abgebildet werden.298 Es ist also nicht erforderlich, dass das Bild nur im Hintergrund erscheint und im Vordergrund der Künstler mit einzelnen Teilnehmern der Vernissage zu sehen ist. Das Werk, das im Rahmen der Berichterstattung über ein Tagesereignis fotografisch abgebildet wird, muss im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar geworden sein. Ein bloßer sachlicher Zusammenhang zwischen dem Tagesereignis und dem Werk reicht dazu nicht aus.299 Wird daher in einem Bericht über eine Ausstellungseröffnung eine Skulptur gezeigt, die zwar von einem auf der Ausstellung vertretenen Künstler geschaffen wurde, die aber in den Ausstellungsräumen nicht zu sehen ist, dann ist eine solche Werkwiedergabe nicht durch § 50 UrhG gedeckt.300 Da § 50 UrhG die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe geschützter Werke nur „in einem durch den Zweck gebotenen Umfang“ erlaubt, darf in einem Bildbericht über die Eröffnung einer Kunstausstellung lediglich eine begrenzte Anzahl von Werken gezeigt werden. Eine starre Fixierung auf eine bestimmte Menge ist insoweit nicht möglich, weil das, was im Einzelfall „geboten“ ist, von Art und Umfang des Berichts sowie von der Abbildungsgröße der einzelnen Werke abhängt.301 Privilegiert sind durch § 50 UrhG nur direkte fotografische Abbildungen der Werke, die im Verlauf eines Ereignisses wahrnehmbar werden, nicht dagegen Fotografien oder digitale Kopien von Fernsehbildern, die das Ereignis zeigen.302 Das Recht, Einzelbilder von Fernsehsendungen herzustellen, haben gem § 87 Abs 1 Nr 2 UrhG ausschließlich die Sendeunternehmen.
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200
cc) Zitate. Die fotografische Vervielfältigung geschützter Werke ist ebenso wie die 201 Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe der fotografischen Abbildungen zulässig, wenn dies zu Zitatzwecken geschieht. Allerdings erlaubt das Gesetz ein Zitieren des vollständigen Werkes normalerweise nur in einem selbstständigen wissenschaftlichen Werk (§ 51 Nr 1 UrhG). In anderen Werken, die keinem wissenschaftlichen Zweck dienen, dürfen dagegen nur einzelne Stellen eines geschützten Werkes angeführt werden (§ 51 Nr 2 UrhG). Die herrschende Rechtsauffassung hält aber auch bei nichtwissenschaftlichen Werken ein Zitieren des ganzen Werkes ausnahmsweise für zulässig, wenn anders eine sinnvolle Bezugnahme auf das zitierte Werk nicht möglich ist.303 Das betrifft vor 297
298 299 300
LG Hamburg GRUR 1989, 591, 592 – Neonrevier; Pöppelmann ZUM 1996, 293, 297. BGH Schulze BGHZ 300, 6 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I. Schricker/Vogel § 50 UrhG Rn 22; Dreier/ Schulze/Dreier § 50 UrhG Rn 7. Vgl auch LG München I Schulze LGZ 162, 6 f – Aufgeschlagenes Buch.
301
302 303
Anders wohl Schricker/Vogel § 50 UrhG Rn 24, der sich auf „ein bis zwei Kunstwerke“ als Regelfall festlegt. Schricker/Vogel § 50 UrhG Rn 26. OLG Hamburg GRUR 1990, 36, 37 – FotoEntnahme; OLG Hamburg GRUR 1993, 666 – Altersfoto; Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 45 mwN.
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allem die Bildzitate, die vielfach unverständlich blieben, wenn man nur einzelne Teile des Bildes wiedergeben könnte. Soweit es der Zitatzweck erfordert, dürfen deshalb Gemälde, Zeichnungen und Illustrationen auch in nichtwissenschaftlichen Werken vollständig abgebildet werden. In allen Zitatfällen darf das zitierte Werk nicht um seiner selbst willen, sondern nur 202 als Beleg oder zur Erläuterung des Inhalts eines anderen Werkes wiedergegeben werden.304 Es muss also eine innere Verbindung zwischen dem zitierten und dem zitierenden Werk hergestellt werden. Diese Verbindung fehlt bei einem Werbefoto, das eine Jacke vor einem Hintergrund zeigt, in den zwei nur teilweise sichtbare Gemälde hineingeschoben sind. Durch eine in die Jackentasche eingesteckte Einladungskarte mit dem Aufdruck „Galerie“ wird zwar ein gedanklicher Zusammenhang zwischen der Jacke, der Einladungskarte und den Gemälden erkennbar, doch handelt es sich dabei nach Auffassung des LG München I 305 nur „um eine äußere, künstliche und aufmontierte Verbindung“, die für eine Anwendung des § 51 UrhG nicht ausreicht. Die fotografische Abbildung eines geschützten Werkes in einem anderen Werk muss 203 zwar einem Zitatzweck dienen, doch braucht der Zitatzweck nicht der einzige Zweck zu sein, der mit der Abbildung verfolgt wird. Es ist durchaus zulässig, ein fremdes Werk auch zu Schmuckzwecken oder als Blickfang einzusetzen, sofern der Zitatzweck im Vordergrund steht und gegenüber den sonstigen Zwecken überwiegt.306 Auch wenn ein Zitatzweck erkennbar ist und im Vordergrund steht, darf das zitierte 204 Werk nur „in einem durch den Zweck gebotenen Umfang“ (§ 51 UrhG) wiedergegeben werden. Diese Einschränkung betrifft in erster Linie die Anzahl der fotografischen Abbildungen, die als Beleg in dem zitierenden Werk verwendet werden dürfen. Lässt sich der Zitatzweck bereits dadurch erreichen, dass nur ein oder zwei Bilder gezeigt werden, dann geht die Wiedergabe von 15 bis 20 Bildern über den zulässigen Umfang hinaus.307 Eine generelle Festlegung auf eine bestimmte Anzahl von Abbildungen ist allerdings nicht möglich. Maßgebend ist vielmehr, was der jeweilige Zitatzweck gebietet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Zitat auch zwingend erforderlich ist. Es genügt, dass es sich den Umständen nach um eine sachgerechte und vernünftige Wahrnehmung des Zitatzwecks handelt.308
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dd) Sonderfall des Kunstzitats. Eine besondere Form des Zitats ist das Kunstzitat. Kunstzitate unterscheiden sich von herkömmlichen Zitaten dadurch, dass das zitierte Werk nicht in einem wissenschaftlichen Werk oder in einem Sprachwerk, sondern in einem Werk der bildenden Kunst wiedergegeben wird.309 Das Kunstzitat hat nicht die Belegfunktion, die § 51 UrhG für das Zitat vorschreibt, da das zitierte Kunstwerk in der Regel nicht dazu bestimmt ist, den in dem zitierenden Werk offenbarten Gedankeninhalt aufzuhellen oder dem Verständnis zu erschließen. Meist dient das Kunstzitat ganz anderen Zwecken. So wird es häufig als Stilmittel eingesetzt oder als Zeichen der Ehrerbietung („Hommage“) gegenüber einem großen Künstler verwendet. Es fehlt zwar eine gesetzliche Bestimmung, die das Kunstzitat explizit regelt. Nach 206 Auffassung des BVerfG 310 lässt sich jedoch die Zulässigkeit des Kunstzitats aus § 51 304
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Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 16 f; Dreier/Schulze/Dreier § 51 UrhG Rn 3 f; Maaßen ZUM 2003, 830, 835. Schulze LGZ 219, 6 f – Galeriebilder. BGHZ 50, 147, 155 – Kandinsky I; Maaßen ZUM 2003, 830, 835. OLG Hamburg GRUR 1990, 36, 37 – Foto-
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Entnahme; LG München I AfP 1994, 326, 328 – Fotozitat. Schricker/Schricker § 51 UrhG Rn 19; Maaßen ZUM 2003, 830, 835. Dazu Schack Kunst und Recht Rn 335 ff. GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3; vgl auch von Becker NJW 2001, 583, 584.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
Nr 2 UrhG ableiten, sofern man bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift das verfassungsrechtliche Gebot der Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 GG) ausreichend beachtet. Die Kunstfreiheit gebietet es, ein Zitat über die bloße Belegfunktion hinaus auch als Mittel des künstlerischen Ausdrucks und der künstlerischen Gestaltung anzuerkennen. Deshalb kann die Zulässigkeit der Verwendung fremder Kunstwerke nicht davon abhängen, dass sich der zitierende Künstler mit dem von ihm zitierten Werk auseinandersetzt. Maßgebend ist vielmehr, ob sich das zitierte Werk in die künstlerische Gestaltung des neuen Werkes einfügt und zum integralen Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage wird.311 Unter dieser Voraussetzung dürfen fremde Kunstwerke in anderen Kunstwerken „zitiert“ werden. § 51 Nr 2 UrhG erlaubt allerdings auch bei einer verfassungskonformen Auslegung 207 unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit immer nur geringfügige Eingriffe in fremde Urheberrechte. Unzulässig sind daher Zitate, die für den Urheber des zitierten Kunstwerks die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile begründen.312 In solchen Fällen hat das Interesse, ein fremdes Werk für das eigene künstlerische Werkschaffen nutzen zu können, hinter den Verwertungsinteressen desjenigen zurückzustehen, dessen Werk man zitieren will. Wenn daher ein Fotograf ein Gemälde fotografisch nachbildet und das dabei entstehende Lichtbildwerk als Hommage an den Maler kennzeichnet, um es dann in großem Stil als Poster oder Postkarte zu vermarkten, ist diese Vermarktung nicht mehr durch die Kunstfreiheit und das Zitatrecht gedeckt, sofern dadurch die wirtschaftlichen Interessen des Malers beeinträchtigt werden könnten. ee) Unwesentliches Beiwerk. Werke der bildenden oder angewandten Kunst sind häu- 208 fig als Wandschmuck, Dekorationsobjekte oder Einrichtungsgegenstände auf Fotografien zu sehen, die einen Wohn- oder Arbeitsraum oder eine sonstige Örtlichkeit zeigen. Wenn die geschützten Werke dabei nur als unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen Gegenstand der Darstellung in Erscheinung treten, ist ihre Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe auch ohne die Zustimmung der Urheber oder Nutzungsberechtigten zulässig (§ 57 UrhG). Unwesentliches Beiwerk ist ein Gegenstand nur dann, wenn er zu dem, was sonst 209 noch auf der Fotografie zu sehen ist, keine inhaltliche Verbindung aufweist und ohne Beeinträchtigung der Gesamtwirkung aus dem Bild entfernt oder unbemerkt gegen einen anderen Gegenstand ausgetauscht werden könnte.313 Wenn dagegen das urheberrechtlich geschützte Werk innerhalb des Gesamtbildes eine konkrete Funktion erfüllt, weil es zB ein bestimmtes Milieu dokumentiert, ist es kein unwesentliches Beiwerk mehr und seine Abbildung deshalb auch nicht durch § 57 UrhG gedeckt.314 Die Frage, ob ein Kunstgegenstand oder ein anderes geschütztes Objekt unwesent- 210 liches Beiwerk ist, stellt sich besonders häufig bei Werbeaufnahmen, auf denen Möbel oder andere Produkte in einem sorgfältig gestalteten Umfeld zu sehen sind. Die Skulpturen, Gemälde oder Poster, die bei solchen Aufnahmen als Wandschmuck oder Dekorationsobjekt zum Einsatz kommen, sind in der Regel keine beliebigen Requisiten im Hintergrund, sondern bewusst gewählte Bildelemente, die in ein bestimmtes Milieu visualisieren und eine wichtige optische Funktion zu erfüllen haben. Sie sind nicht beliebig austauschbar und somit auch kein unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen
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BVerfG GRUR 2001, 149, 152 – Germania 3. So BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3; Schack Kunst und Recht Rn 342.
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Schricker/Vogel § 57 UrhG Rn 6; Dreier/ Schulze/Dreier § 57 UrhG Rn 2. Schricker/Vogel § 57 UrhG Rn 9.
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Gegenstand des Interesses.315 Ihre Verwendung für die Werbeaufnahmen bedarf daher der Zustimmung des Inhabers der Urheber- oder Leistungsschutzrechte, die an den Dekorationsobjekten bestehen. Die Einstufung als wesentliches oder unwesentliches Beiwerk richtet sich zwar prinzi211 piell nach objektiven Maßstäben, doch sind auch die jeweiligen Umstände des Einzelfalles und insbesondere die inhaltlichen Zusammenhänge zu beachten, in die ein geschütztes Werk hineingestellt wird. So kann ein Gemälde, das als Teil einer Werbeaufnahme eine wichtige optische Funktion hat, durchaus zu einem unwesentlichen Beiwerk werden, wenn die Aufnahme nicht mehr in einem werblichen Umfeld, sondern in einem anderen inhaltlichen Zusammenhang publiziert wird.316
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ff) Werke in Ausstellungen, öffentlichem Verkauf und öffentlich zugänglichen Einrichtungen. Geschützte Werke, die öffentlich ausgestellt oder zur öffentlichen Ausstellung bzw zum öffentlichen Verkauf bestimmt sind, dürfen von dem Veranstalter für die Werbung fotografiert und die Fotos zu Werbezwecken verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Förderung der Veranstaltung erforderlich ist (§ 58 Abs 1 UrhG). Außerdem dürfen fotografische Abbildungen solcher Werke in Verzeichnissen (zB Katalogen) abgedruckt werden, die von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen in inhaltlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einer Ausstellung oder zur Dokumentation von Beständen herausgegeben werden, sofern damit kein eigenständiger Erwerbszweck verfolgt wird (§ 58 Abs 2 UrhG). Da § 58 Abs 1 UrhG einen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Veran213 staltung voraussetzt, entfällt die dort vorgesehene Nutzungsmöglichkeit mit dem Ende der Veranstaltung.317 Außerdem besteht sie nur für den Veranstalter selbst (also zB nicht für den Sponsor einer Kunstausstellung) und sie gilt nur für Publikationen, mit denen kein eigenständiger Erwerbszweck verfolgt wird. Kommerzielle Publikationen sind daher durch § 58 UrhG ebenso wenig gedeckt wie bspw der Verkauf von Postkarten oder Plakaten mit den Werken, die in einer Ausstellung gezeigt werden.318 Auch eine Publikation, die in erster Linie der Selbstdarstellung und der Imagewerbung des Veranstalters dient, ist durch die Katalogbildfreiheit des § 58 UrhG nicht gedeckt.319
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gg) Werke an öffentlichen Plätzen. Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen befinden, dürfen mit Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder Film vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden (§ 59 UrhG). Es ist deshalb zulässig, ein von der Straße aus sichtbares Kunstwerk oder Bauwerk abzulichten und die Ablichtung zB als Postkarte oder in Büchern und Zeitschriften zu vermarkten. Die Zustimmung des Künstlers oder des Architekten muss dazu nicht eingeholt werden. Die damit vom Gesetzgeber gewährte Panoramafreiheit (Straßenbildfreiheit) berück215 sichtigt, dass Werke, die sich dauerhaft an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, in gewissem Sinne Gemeingut werden.320 Wer als Urheber zustimmt, dass sein
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OLG München NJW 1989, 404 f – Kunstwerke in Werbeprospekten; Wanckel Rn 102 f. Dazu Maaßen ZUM 2003, 830, 837 f. Schricker/Vogel § 58 UrhG Rn 21; Möhring/Nicolini/Gass § 58 UrhG Rn 35. Schricker/Vogel § 58 UrhG Rn 19; Dreier/
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Schulze/Dreier § 58 UrhG Rn 7; Schack Kunst und Recht Rn 283. LG Berlin ZUM-RD 2007, 421, 422 – Zeitschriftenbeilage eines Auktionshauses. BGH GRUR 2002, 605, 606 – Verhüllter Reichstag; BGH GRUR 2003, 1035, 1037 – Hundertwasser-Haus.
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Rechte am Aufnahmegegenstand
Werk an einem öffentlichen Ort aufgestellt wird, widmet das Werk dadurch in bestimmtem Umfang der Allgemeinheit. „Öffentlich“ sind Wege, Straßen oder Plätze dann, wenn sie jedermann frei zugänglich und dem Gemeingebrauch gewidmet sind, wobei allerdings eine formelle öffentlichrechtliche Widmung nicht erforderlich ist.321 Dementsprechend gehören auch Privatwege und private Parks sowie Passagen, Galerien und Hausdurchgänge zu den öffentlichen Wegen und Plätzen, sofern nur für jedermann freier Zugang besteht.322 Das gilt selbst dann, wenn solche Örtlichkeiten zeitweilig geschlossen werden, wie es zB bei Friedhöfen nachts der Fall ist. Dagegen gehören die Innenräume eines privaten Gebäudes selbst dann nicht zu den öffentlichen Plätzen, wenn sie – wie etwa ein U-Bahnhof oder eine Bahnhofshalle – bei Tag und Nacht frei betreten werden können.323 Ein Werk befindet sich „an“ einem öffentlichen Weg, einer öffentlichen Straße oder einem öffentlichen Platz, wenn es von dort aus ohne besondere Hilfsmittel (zB Leiter, Hubschrauber, ausfahrbares Superstativ) frei einsehbar ist.324 Es ist nicht notwendig, dass sich das Werk seinerseits auf einem öffentlich zugänglichen Grundstück oder direkt an der Straße befindet, vielmehr können auch zurückgesetzte Gebäude oder weiter entfernt auf privatem Grund aufgestellte Kunstwerke frei fotografiert werden.325 Dagegen befindet sich ein Werk nicht mehr „an“ einer öffentlichen Straße, wenn es hinter Hecken, Zäunen oder sonstigen blickschützenden Vorrichtungen verborgen ist und erst nach Beseitigung dieser Hindernisse (zB durch Beiseitedrücken der Hecke) von der Straße aus sichtbar wird. Zwar setzt § 59 Abs 1 UrhG seinem Wortlaut nach lediglich voraus, dass sich die geschützten Werke an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinden. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass sich der Standort, von dem aus solche Werke fotografiert werden, auch außerhalb öffentlicher Straßen oder Plätze befinden darf.326 Nach herrschender Rechtsauffassung ist durch die Panoramafreiheit nur der Blick von einem für das allgemeine Publikum zugänglichen Ort aus privilegiert.327 Deshalb darf bspw das (als Werk der Baukunst geschützte) Hundertwasser-Haus, das sich in Wien in der sehr engen Löwengasse befindet, trotz der dort bestehenden optischen Beschränkungen nur von der Gasse aus fotografiert werden. Es ist nicht zulässig, dieses Bauwerk wegen der besseren Perspektive vom Balkon einer Privatwohnung im gegenüberliegenden Gebäude aufzunehmen.328 Die Panoramafreiheit deckt nur die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die sich „bleibend“ an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden. Das bedeutet nicht, dass das Werk selbst von Dauer sein muss. Deshalb dürfen
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Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 9; Dreier/ Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 3; Dreyer/ Kotthoff/Meckel/Dreyer § 59 UrhG Rn 3. LG Frankenthal GRUR 2005, 577 – Grassofa; Dreier/Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 3; aA offenbar Wanckel Rn 92. Schricker/Vogel § 59 Rn 9; Dreier/Schulze/ Dreier § 59 Rn 3. Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 10; Dreier/ Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 4. LG Berlin NJW 1996, 2380, 2381 – Verhüllter Reichstag als Postkartenmotiv; MüllerKatzenburg NJW 1996, 2341, 2344.
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So aber OLG München ZUM 2001, 76, 78 – Hundertwasser-Haus I. BGH GRUR 2003, 1035, 1037 Hundertwasser-Haus; Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 10; Dreier/Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 4. Anders die Rechtslage in Österreich, die auch ein Fotografieren aus dem gegenüberliegenden Haus erlaubt; dazu OLG München GRUR 2005, 1038, 1039 – Hundertwasser-Haus II.
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auch vergängliche Werke (zB Schneeskulpturen, Pflastermalereien) fotografiert werden, sofern sie im öffentlichen Raum aufgestellt werden und dort für die Dauer ihrer Existenz verbleiben.329 Auch Werke, die sich im Laufe der Zeit verändern und als „work in progress“ konzipiert sind, gehören zu den bleibenden Werken iSd § 59 UrhG, wenn ihre Aufstellung im öffentlichen Raum auf Dauer erfolgt.330 Umstritten ist dagegen, wie es sich mit Kunstwerken verhält, die von vornherein nur zeitlich befristet an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aufgestellt werden. Wenn solche Werke (wie zB der „Verhüllte Reichstag“ von Christo und Jeanne-Claude) nach Beendigung der Aktion abgebaut werden und nicht mehr weiterbestehen, stellt sich die Frage, ob es sich nicht ebenso wie bei der Pflastermalerei um „bleibende“ Werke handelt, da sie sich während der gesamten Dauer ihrer Existenz im öffentlichen Raum befinden. Setzt man das Tatbestandsmerkmal „bleibend“ mit der Lebensdauer des Werkes 220 gleich, dann hat man es in der Tat mit bleibenden Werken iSd § 59 UrhG zu tun.331 Stellt man dagegen darauf ab, ob das Werk nach dem Willen des Künstlers dauerhaft oder nur vorübergehend der Öffentlichkeit gewidmet werden soll, dann ist bspw beim „Verhüllten Reichstag“ davon auszugehen, dass es sich nicht um ein bleibendes Werk handelt, da die beiden Künstler dieses Werk erklärtermaßen nur für zwei Wochen im öffentlichen Raum präsentieren wollten.332 Der BGH folgt weder der einen noch der anderen Rechtsauffassung und vertritt stattdessen den Standpunkt, dass es auf den objektiven Zweck ankommt, zu dem das geschützte Werk an dem öffentlichen Ort aufgestellt worden ist.333 Dient die Aufstellung der Werkpräsentation im Sinne einer zeitlich befristeten Ausstellung, dann befindet sich das Werk nur vorübergehend im öffentlichen Raum, so dass eine Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe nur mit Zustimmung des Künstlers zulässig ist. Wird dagegen mit der Installation im öffentlichen Raum eine Werkpräsentation im Sinne einer Dauerausstellung bezweckt, dann ist das Merkmal „bleibend“ erfüllt und eine Anwendung des § 59 UrhG möglich. Bei Bauwerken ist zu beachten, dass sich die Befugnis zur Vervielfältigung, Verbrei221 tung oder öffentlichen Wiedergabe nur auf die äußere Ansicht erstreckt (§ 59 Abs 1 S 2 UrhG). Es ist deshalb nicht zulässig, ohne die Zustimmung des Berechtigten das Treppenhaus oder die Innenräume eines Hauses zu fotografieren.334 Dasselbe gilt für das Ablichten geschützter Werke, die sich in Schaufenstern oder Schaukästen oder im Inneren eines Gebäudes befinden und durch ein geöffnetes Fenster oder eine Eingangstür von der Straße aus sichtbar sind.335 § 59 UrhG schränkt zwar die Verwertungsrechte, nicht aber die Persönlichkeitsrechte 222 des Urhebers ein. Wird daher eine Skulptur, die im öffentlichen Raum aufgestellt ist, durch Bemalungen oder auf andere Weise entstellt, kann der Urheber die fotografische Abbildung des entstellten Werkes und die Verbreitung solcher Abbildungen untersagen,
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Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 11; Dreier/ Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 5; Möhring/ Nicolini/Gass § 59 UrhG Rn 9. LG Frankenthal GRUR 2005, 577 – Grassofa; ebenso Wanckel Rn 93. So zB Pöppelmann ZUM 1996, 293, 298 ff; Griesbeck NJW 1997, 1133, 1134; Weberling AfP 1996, 34, 35. So KG GRUR 1997, 129, 130 – Verhüllter Reichstag II; LG Hamburg GRUR 1989, 591, 592 – Neonrevier; LG Berlin NJW
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1996, 2380, 2381 – Verhüllter Reichstag als Postkartenmotiv; Fromm/Nordemann/ Nordemann § 59 UrhG Rn 2; Möhring/ Nicolini/Gass § 59 UrhG Rn 12; Ernst AfP 1997, 458, 459 und ZUM 1998, 475, 476; Müller-Katzenburg NJW 1996, 2341, 2344. BGH GRUR 2002, 605, 606 f – Verhüllter Reichstag; ebenso Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 26. Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 7 mwN. Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 10.
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Rechte am Aufnahmegegenstand
da die durch die Entstellung bewirkte Beeinträchtigung seines Urheberpersönlichkeitsrechts (§ 14 UrhG) durch die Vervielfältigung und Verbreitung vertieft würde.336 Allerdings kann die Verbreitung von Abbildungen der bemalten Skulptur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Entstellungen zulässig sein (§ 50 UrhG).337 hh) Weitere Schrankenbestimmungen. Es gibt weitere Schrankenbestimmungen, die 223 für Fotografen relevant sein können. So erlaubt § 46 UrhG gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung die fotografische Abbildung geschützter Werke und die Verbreitung sowie öffentliche Zugänglichmachung solcher Abbildungen als Elemente von Sammlungen, die für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt sind. Außerdem ist gem § 53 UrhG die Anfertigung von Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch gestattet, so dass private Urlaubs- und Erinnerungsfotos von geschützten Werken zulässig sind. Die für den Privatgebrauch aufgenommenen Fotos dürfen allerdings weder verbreitet noch zur öffentlichen Wiedergabe verwendet, also insbesondere nicht über das Internet öffentlich zugänglich gemacht werden (§ 53 Abs 6 UrhG). 2. Gewerbliche Schutzrechte a) Geschmacksmusterrechte. Manche Objekte, die fotografiert werden, sind in ihrer 224 äußeren Gestaltung als Geschmacksmuster gegen unbefugte Benutzungen geschützt (§ 38 Abs 1 GeschmMG). Auch ein Schutz als eingetragenes oder nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster kommt in Betracht (Art 19 Abs 1 GGV). So besteht zB für die Gestaltung der ICE-Triebwagen ein Geschmacksmusterschutz.338 Damit ergibt sich die Frage, ob ein solcher Triebwagen problemlos fotografiert werden kann oder ob das Ablichten bereits eine Benutzung darstellt, die der Zustimmung des Inhabers der Geschmacksmusterrechte bedarf.339 Zu den zustimmungspflichtigen Benutzungshandlungen gehört außer den in § 38 Abs 1 S 2 GeschmMG explizit aufgeführten Nutzungen auch die fotografische Wiedergabe von Erzeugnissen, in die das geschützte Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet wird.340 Der Rechtsinhaber hat daher prinzipiell die Möglichkeit, gegen die Abbildung von mustergemäßen Erzeugnissen in Bildbänden, im Internet oder in sonstigen Medien vorzugehen.341 Der Zustimmung des Inhabers der Geschmacksmusterrechte bedarf es allerdings nicht, soweit das Gesetz die fotografische Wiedergabe ausnahmsweise erlaubt. Dabei ist nur ein Rückgriff auf die geschmacksmusterrechtlichen Ausnahmebestimmungen zulässig. Die urheberrechtlichen Regelungen (§§ 44a ff UrhG) sind dagegen weder direkt noch analog anwendbar, da das Geschmacksmusterrecht eine eigenständige Rechtsmaterie darstellt.342 Die Ausnahmen, die das Geschmacksmusterrecht zulässt, decken sich jedoch weitgehend mit den Ausnahmetatbeständen des Urheberrechts, so dass eine Anwendung der urheberrechtlichen Vorschriften auch nicht erforderlich ist.
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LG Mannheim GRUR 1997, 364, 365 – Freiburger Holbein-Pferd; ebenso Schricker/ Vogel § 59 UrhG Rn 21; aA AG Freiburg NJW 1997, 1160 – Holbein-Pferdchen. So auch Wanckel Rn 95. Das Geschmacksmuster ist beim DPMA unter Nr M9000546.5 registriert. Vgl dazu LG Frankfurt Urteil vom 26.1.2000 (2/6 S 11/99) – ICE I und LG
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München I ZUM-RD 2005, 193, 195 – ICE II, die diese Frage offen lassen. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 19. BGH GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 204, 205 – Catwalk-Uhr. So Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 20.
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2. Teil
So lässt sich aus § 48 GeschmMG und Art 21 GGV das Recht ableiten, fotografische Abbildungen mustergemäßer Erzeugnisse für Werbeankündigungen zu verwenden, die der verkehrsüblichen Unterstützung der Weiterverbreitung solcher Erzeugnisse dienen.343 Dieses Werbehinweisrecht folgt aus der Erschöpfung der Geschmacksmusterrechte, die immer dann eintritt, wenn die mit dem Geschmacksmuster ausgestatteten Erzeugnisse legal in den Verkehr gebracht werden. Insoweit besteht eine vollständige Übereinstimmung mit dem Urheberrecht.344 Zu der urheberrechtlichen Regelung, die eine fotografische Vervielfältigung geschützter Werke im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse erlaubt (§ 50 UrhG), findet sich zwar im GeschmMG und in der GGV keine direkte Entsprechung. Die Befugnis, ein geschmacksmusterrechtlich geschütztes Objekt zum Zwecke der Berichterstattung zu fotografieren, lässt sich jedoch unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 GG) ableiten, die insoweit den Geschmacksmusterschutz einschränkt.345 Ausdrücklich gestattet ist im Geschmacksmusterrecht die Wiedergabe von mustergemäßen Erzeugnissen zum Zwecke der Veranschaulichung oder der Lehre, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine solche Wiedergabe mit den Gepflogenheiten des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbar ist, dass sie die normale Verwertung des Geschmacksmusters nicht beeinträchtigt und dass die Quelle angegeben wird (§ 40 Nr 3 GeschmMG, Art 20 Abs 1 lit c GGV). Diese Bestimmung entspricht weitgehend der urheberrechtlichen Schrankenregelung zum Zitatrecht (§ 51 UrhG). Allerdings ist die geschmacksmusterrechtliche Regelung weiter gefasst, denn eine „Veranschaulichung“ kann auch die fotografische Wiedergabe von geschmacksmusterrechtlich geschützten Objekten in einem Ausstellungs- oder Versteigerungskatalog sein.346 Die Ausnahmetatbestände des § 40 Nr 3 GeschmMG und des Art 20 Abs 1 lit c GGV decken somit zumindest teilweise auch den Bereich ab, den das Urheberrecht in § 58 UrhG regelt. Wird die fotografische Abbildung eines geschmacksmusterrechtlich geschützten Objekts für ein Kunstzitat verwendet, ist ein Rückgriff auf § 40 Nr 3 GeschmMG oder Art 20 Abs 1 lit c GGV in der Regel nicht möglich, weil es an dem Veranschaulichungszweck fehlt. Dennoch sind solche Kunstzitate zulässig. Das ergibt sich aus der verfassungsrechtlich garantierten Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 GG), die ebenso wie die Pressefreiheit den Geschmacksmusterschutz einschränkt, allerdings nur mit dem Vorbehalt, dass die normale Verwertung des Geschmacksmusters durch die Wiedergabe in Form eines Kunstzitats nicht über Gebühr beeinträchtigt werden darf.347 Auch insoweit besteht also kein Unterschied zum Urheberrecht.348 Die Benutzung von Geschmacksmustern ist auch im privaten Bereich zu nichtgewerblichen Zwecken ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zulässig (§ 40 Nr 1 GeschmMG, Art 20 Abs 1 lit a GGV). Für die Ablichtung von mustergemäßen Erzeugnissen gelten insoweit dieselben Bedingungen wie bei der Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Werken zum privaten Gebrauch (§ 53 Abs 1 UrhG).
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Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 48 GeschmMG Rn 9. Vgl Rn 190 f. So Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 20 aE. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 40 GeschmMG Rn 4.
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Vgl BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3. Zum Kunstzitat im Urheberrecht vgl Rn 205 ff.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
Erscheint ein geschmacksmusterrechtlich geschütztes Objekt auf einem Foto nur als 230 unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen Gegenstand der Darstellung, ist diese Form der fotografischen Wiedergabe zulässig.349 Das steht zwar so nicht explizit im Gesetz, ergibt sich aber aus der Begründung zu § 40 GeschmMG, in der es heißt, dass die Wiedergabe als Beiwerk unter den in § 57 UrhG genannten Voraussetzungen gestattet ist.350 Dogmatisch lässt sich diese Einschränkung des Geschmacksmusterschutzes aus dem Grundsatz der Verkehrsfreiheit (§ 48 GeschmMG, Art 21 GGV) ableiten. Zur urheberrechtlichen Katalogbildfreiheit (§ 58 UrhG)351 findet sich im Ge- 231 schmacksmusterrecht zwar keine direkte gesetzliche Entsprechung. Die Zulässigkeit der Abbildung von geschmacksmusterrechtlich geschützten Objekten in Ausstellungs- oder Versteigerungskatalogen ergibt sich jedoch aus dem Recht der Wiedergabe zum Zwecke der Veranschaulichung (§ 40 Nr 3 GeschmMG, Art 20 Abs 1 lit c GGV) und außerdem aus dem Grundsatz der Verkehrsfreiheit (§ 48 GeschmMG, Art 21 GGV).352 Das Fotografieren von geschützten Erzeugnissen, die sich an öffentlichen Wegen, 232 Straßen oder Plätzen befinden, ist im Geschmacksmusterrecht nicht geregelt. Allerdings werden solche Erzeugnisse regelmäßig nur dann als Abbildungsobjekt von Interesse sein, wenn es sich um persönliche geistige Schöpfungen handelt, für die Urheberrechtsschutz besteht.353 Die Zulässigkeit der fotografischen Wiedergabe lässt sich in solchen Fällen unmittelbar aus § 59 UrhG ableiten. b) Markenrechte. Fotografien können eventuell fremde Markenrechte verletzen, 233 wenn auf den Bildern Zeichen zu erkennen sind, für die Markenschutz besteht. Wird zB bei Modeaufnahmen ein Luxusfahrzeug als Requisite verwendet und ist auf den Fotos die auf der Motorhaube angebrachte Marke des Fahrzeugs zu sehen, dann stellt sich die Frage nach einer möglichen Verletzung der Markenrechte des Automobilherstellers. aa) Markenmäßiger Gebrauch geschützter Zeichen. Grds kommt eine Markenrechts- 234 verletzung nur dann in Frage, wenn das geschützte Zeichen markenmäßig verwendet wird.354 Ein markenmäßiger Gebrauch setzt voraus, dass die Marke zur Kennzeichnung der Herkunft einer Ware oder Dienstleistung eingesetzt wird. Dieser Verwendungszweck fehlt, wenn die Abbildung einer Marke vom Verkehr nur als Sachhinweis zur Unterrichtung des Publikums verstanden wird.355 Deshalb wird insbesondere bei einer redaktionellen Verwendung von Markenabbildungen ein markenmäßiger Gebrauch und damit auch eine Markenrechtsverletzung regelmäßig auszuschließen sein.356 Dasselbe gilt bei der Wiedergabe von Marken in einem Gemälde oder Lichtbildwerk, das ausschließlich künstlerischen Zwecken dient.357 Aber auch dann, wenn eine Markenabbildung für werbliche Zwecke verwendet wird, 235 ist darin nicht immer ein markenmäßiger Gebrauch zu sehen. Das zeigt das Beispiel einer Werbeanzeige für einen amerikanischen Whiskey.358 Auf dem für die Anzeige verwendete Foto erkennt man die Vorderansicht eines Rolls-Royce-Automobils mit der bekannten
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353
Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 20. BT-Drucks 15/1075, 54. Dazu Rn 212 f. So Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 20 und § 40 GeschmMG Rn 4. So auch Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 20.
354
355 356 357 358
BGH GRUR 2005, 583 f – Lila-Postkarte mwN; BGH GRUR 2006, 329, 331 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem. BGH GRUR 2004, 775, 778 – EURO 2000. So auch Wanckel Rn 114. LG Düsseldorf GRUR-RR 2007, 201 – Borussia Mönchengladbach. Dazu BGH GRUR 1983, 247 – Rolls-Royce.
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Kapitel 4 Fotorecht
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Kühlerfigur („Flying Lady“), dem Emblem „RR“ und dem charakteristischen Kühlergrill. Auf den Kotflügeln des Fahrzeugs sitzen zwei Texaner beim Kartenspiel und im Vordergrund des Bildes ist eine Flasche des beworbenen Whiskeys mit zwei gefüllten Gläsern dargestellt. Obwohl für die auf dem Bild deutlich sichtbaren Merkmale der Rolls-Royce-Kühlerpartie ein Markenschutz besteht, werden durch die Anzeige keine Markenrechte verletzt, weil die Abbildung der geschützten Zeichen nicht dazu dient, auf die Herkunft des Whiskeys hinzuweisen oder den Eindruck zu erwecken, dass die Firma Rolls-Royce wirtschaftlich oder organisatorisch mit dem Whiskey-Hersteller verbunden ist. Es fehlt damit an einem markenmäßigen Gebrauch, so dass die Anzeige markenrechtlich nicht zu beanstanden ist.359 An einem markenmäßigen Gebrauch fehlt es auch dann, wenn ein Hersteller von 236 Aluminiumrädern in seiner Werbung ein Porsche-Fahrzeug abbildet, das mit den beworbenen Rädern ausgestattet ist und auf dessen Motorhaube man das als Marke geschützte Porsche-Wappen erkennen kann. Denn durch die fotografische Abbildung des Fahrzeugs mit dem geschützten Zeichen wird nicht auf die Herkunft der Aluminiumräder, sondern auf deren Bestimmungszweck hingewiesen und dem Betrachter verdeutlicht, dass die Räder auch für den abgebildeten Fahrzeugtyp verwendbar sind.360 Solche Abbildungen, bei denen die abgebildete Marke auf die Bestimmung einer Ware hinweisen soll, erklärt § 23 Nr 3 MarkenG insbesondere bei Zubehör- und Ersatzteilen ausdrücklich für zulässig, soweit ihre Verwendung für diesen Zweck notwendig ist und nicht gegen die guten Sitten verstößt. Von einem markenmäßigen Gebrauch ist dagegen in den Fällen auszugehen, in denen 237 eine fremde Marke für ein Produkt (zB eine Scherzpostkarte) übernommen und dabei in parodistischer Absicht verändert wird. Bei solchen Markenparodien ergibt sich der Witz gerade aus der erkennbaren Verbindung zwischen der benutzten Marke und dem, was daraus gemacht wurde. Da die parodistisch veränderte Markendarstellung unmissverständlich auf ihre Vorlage verweist, sind die Voraussetzungen für eine markenmäßige Benutzung erfüllt.361 Dennoch ist in solchen Fällen eine Markenrechtsverletzung regelmäßig zu verneinen, weil die Parodie durch die Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 GG) gedeckt ist, die insoweit die Markenrechte einschränkt.362 Vorrang haben die Markenrechte allenfalls dann, wenn die Parodie auf eine Herabsetzung oder Verunglimpfung der benutzten Marke abzielt oder die Marke ausschließlich dazu verwendet wird, ein sonst nicht verkäufliches Produkt auf den Markt zu bringen. Ein markenmäßiger Gebrauch findet auch dann statt, wenn ein Ferrari-Sportwagen, 238 den der Hersteller eines Kräuterlikörs bei einem Preisrätsel als Gewinn auslobt, in der Werbung für das Preisausschreiben abgebildet wird und dabei das als Marke geschützte „Ferrari-Pferd“ zu erkennen ist. In diesem Fall dient die Abbildung der Marke zur Kennzeichnung der Herkunft des ausgelobten Preises. Allerdings werden dadurch keine Markenrechte verletzt, da das in der Preisrätselwerbung abgebildete Fahrzeug mit dem Ferrari-Emblem durch den Markeninhaber in den Verkehr gebracht wurde und die Markenrechte damit erschöpft sind (§ 24 Abs 1 MarkenG). Wegen der Erschöpfung seiner Rechte kann sich der Markeninhaber einer Benutzung seiner Marke im Zusammenhang 359 360 361
Zu den alternativen Beanstandungsmöglichkeiten vgl Rn 241 f. BGH GRUR 2005, 163, 164 – Aluminiumräder. So BGH GRUR 2005, 583, 584 – Lila-Postkarte.
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BGH GRUR 2005, 583, 584 f – Lila-Postkarte; vgl auch LG Düsseldorf GRUR-RR 2007, 201 f – Borussia Mönchengladbach.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
der Auslobung des Ferrari-Sportwagens nur dann widersetzen, wenn es dafür berechtigte Gründe gibt (§ 24 Abs 2 MarkenG). Ein solcher Grund läge vor, wenn die Herkunftsoder Garantiefunktion der Marke durch die Abbildung des Fahrzeugs in den Werbeankündigungen gefährdet wäre oder die Wertschätzung der Marke dadurch in unlauterer Weise ausgenutzt oder beeinträchtigt würde. Das ist aber bei der Auslobung von Markenwaren im Rahmen eines Preisrätsels in der Regel auszuschließen.363 Da sich die Markenrechte mit dem Inverkehrbringen der gekennzeichneten Waren 239 durch den Markeninhaber erschöpfen, ist es zulässig, den Absatz solcher Waren durch Werbehinweise zu fördern und dafür auch Abbildungen der geschützten Marken zu verwenden.364 Wenn daher Markenwaren zu dem Zweck fotografiert werden, den legalen Vertrieb dieser Waren in Werbeveröffentlichungen anzukündigen, dann werden durch die Abbildung der geschützten Warenzeichen ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um einen markenmäßigen Gebrauch handelt, keine Markenrechte verletzt. bb) Schutz gegen nicht markenmäßigen Gebrauch. Werden geschützte Zeichen nicht 240 markenmäßig verwendet, kann die fotografische Abbildung solcher Zeichen dennoch rechtswidrig sein, wenn dadurch unlauterer Wettbewerb betrieben wird oder der Gebrauch zu einem Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Inhabers der Markenrechte führt. Wenn fremde Marken nicht zur Kennzeichnung der Herkunft einer Ware eingesetzt 241 werden, geht es bei der fotografischen Abbildung der geschützten Zeichen meist darum, den guten Ruf der Waren, die mit diesen Zeichen ausgestattet sind, auf die eigene Ware zu übertragen („Imagetransfer“). Eine solche Rufausnutzung erfüllt den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs, sofern sie im Rahmen einer vergleichenden Werbung erfolgt (§ 6 Abs 2 Nr 4 UWG) oder zu einer unzulässigen Behinderung (§ 4 Nr 10 UWG) führt.365 In beiden Fällen muss allerdings zwischen demjenigen, der die fremde Marke verwendet, und dem Inhaber der Markenrechte ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen (§ 2 Abs 1 Nr 3 UWG). Ein solches Wettbewerbsverhältnis setzt voraus, dass sich die beteiligten Parteien um dieselben Abnehmer bemühen.366 Bei der Werbeanzeige für einen amerikanischen Whiskey, die den guten Ruf der Rolls-Royce-Automobile auf den Whiskey zu übertragen versucht, fehlt es an dieser Voraussetzung. Deshalb ist die in der Werbeanzeige erfolgte Abbildung eines Rolls-Royce mit seinen markenrechtlich geschützten Merkmalen auch nicht wettbewerbswidrig.367 Kommt das Markenrecht nicht zum Zuge, weil das geschützte Zeichen nicht marken- 242 mäßig verwendet wird, und ist auch das Wettbewerbsrecht nicht anwendbar, weil es an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis fehlt, liegt dennoch eine Rechtsverletzung vor, wenn die Ausbeutung des guten Rufs einer Marke zu einem unzulässigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb führt.368 In dem Rolls-RoyceFall369 ist diese Situation gegeben, so dass sich die Unzulässigkeit der Werbeanzeige, die 363 364 365
366 367
BGH GRUR 2006, 329, 332 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem. EuGH GRUR Int 1998, 140, 143 – Dior/ Evora. Dazu Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 6 UWG Rn 69 ff und § 4 UWG Rn 10.81 f. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 UWG Rn 60 und § 4 UWG Rn 10.79. Anders noch BGH GRUR 1983, 247 –
368
369
Rolls-Royce, doch dürfte diese Entscheidung im Hinblick auf die Neufassung des UWG im Jahre 2004 überholt sein; vgl Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.79. So Piper GRUR 1996, 429, 436; dazu auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.101. BGH GRUR 1983, 247 – Rolls-Royce.
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den guten Ruf der Rolls-Royce-Automobile für einen amerikanischen Whiskey nutzbar zu machen versucht, aus § 823 Abs 1 BGB ableiten lässt. 3. Eigentums- und Besitzrechte
243
Werden bewegliche oder unbewegliche Sachen fotografiert, stellt sich die Frage, ob das Ablichten der Objekte und die anschließende Verwertung der Fotografien fremde Eigentums- oder Besitzrechte berührt und deshalb der Zustimmung des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers bedarf.
244
a) Grundsatz der Abbildungsfreiheit. Das Fotografieren einer Sache ist ein Realakt, der in rechtlicher Hinsicht weder das Sacheigentum (§ 903 BGB) noch den Besitz (§ 854 BGB) beeinträchtigt und auch die tatsächliche Nutzung der Sache nicht behindert oder verhindert.370 Deshalb stehen dem Eigentümer und dem Besitzer einer Sache keine Abwehransprüche dagegen zu, dass diese von anderen Personen fotografiert wird. Sie können Dritten aufgrund ihrer Sachherrschaft lediglich den Zugang verwehren oder die freie Sicht auf das Objekt einschränken und so dessen Ablichtung verhindern oder zumindest erschweren. Dementsprechend dürfen Häuser und andere Objekte, die für jedermann sichtbar sind oder zu denen ein freier Zugang besteht, auch ohne die Erlaubnis des Eigentümers oder Besitzers fotografiert werden.371 Ebenso wie die Anfertigung einer Sachaufnahme lässt auch ihre anschließende Ver245 wertung das Eigentums- und Besitzrecht unberührt. Die Verwertung solcher Aufnahmen bedarf deshalb selbst dann, wenn sie gewerblich erfolgt, grds nicht der Zustimmung des Eigentümers oder des Besitzers der abgelichteten Objekte.372 So ist es bspw zulässig, ein im typisch friesischen Stil errichtetes Haus mit Reetdach, ein altes Fachwerkhaus oder ein Haus mit einer schönen Jugendstilfassade zu fotografieren und die Fotos anschließend für Ansichtskarten, Werbedrucksachen oder sonstige gewerbliche Zwecke zu verwenden, weil die Eigentümer durch eine solche Nutzung der frei zugänglichen Außenansicht ihrer Häuser weder in ihren Eigentumsrechten noch in der tatsächlichen Nutzung ihres Eigentums beeinträchtigt werden.373
370
371
BGH GRUR 1990, 390 f – Friesenhaus; OLG Bremen NJW 1987, 1420 – Friesenhaus. BGH GRUR 1990, 390 f – Friesenhaus; OLG Celle Schulze OLGZ 222, 4 – Balkonfoto; OLG München Schulze OLGZ 293, 4 – Klinikum; OLG Bremen NJW 1987, 1420 – Friesenhaus; OLG Oldenburg NJW-RR 1988, 951, 952 – Luftaufnahmen; OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 425 – Jugendstilhaus; OLG Brandenburg NJW 1999, 3339, 3340 – Wessi-Kuckuck; OLG Köln GRUR 2003, 1066, 1067 – Wayanfiguren; LG Freiburg GRUR 1985, 544 – Fachwerkhaus; LG Oldenburg AfP 1988, 167 – Almwiese als Dach; LG Hamburg AfP 1994, 161 – Segelyacht; LG Waldshut-Tiengen AfP 2000, 101, 102 – CityServer; VG Karlsruhe NJW 2000, 2222, 2223 – CityServer;
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Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 3; Wenzel/ von Strobl-Albeg Rn 7.88; Prinz/Peters Rn 886; Wanckel Rn 3 ff; anders dagegen Dreier 248 ff, der von einem umfassenden Eigentumsschutz ausgeht und deshalb die Anfertigung von Sachaufnahmen als Eingriff in das Eigentumsrecht betrachtet. BGH GRUR 1990, 390 – Friesenhaus; OLG München Schulze OLGZ 293, 4 – Klinikum; OLG Bremen NJW 1987, 1420 – Friesenhaus; OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 425 – Jugendstilhaus; LG Freiburg GRUR 1985, 544 – Fachwerkhaus; LG Waldshut-Tiengen AfP 2000, 101, 102 – CityServer. BGH GRUR 1990, 390 – Friesenhaus; OLG Bremen NJW 1987, 1420 – Friesenhaus; OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 425 – Jugendstilhaus; LG Freiburg GRUR 1985, 544 – Fachwerkhaus.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
b) Beschränkung der Abbildungsfreiheit. Der Grundsatz der Abbildungsfreiheit gilt nach herrschender Rechtsauffassung allerdings nur für Sachaufnahmen, die von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus angefertigt werden. Erfolgt die Ablichtung eines Objekts dagegen von einer Stelle aus, die nicht öffentlich zugänglich ist, steht dem Eigentümer gegen die gewerbliche Verwertung der Aufnahmen ein Abwehrrecht gem § 1004 BGB zu.374 Der Besitzer hat in einem solchen Fall die Möglichkeit, die Rechte aus §§ 858, 862 BGB geltend zu machen. So darf der Besucher eines Museums oder einer Schlossanlage zwar auf dem privaten Gelände und innerhalb der Gebäude fotografieren, sofern die Gewährung des Zutritts nicht erkennbar mit einem Fotografierverbot verknüpft wird. Solche Aufnahmen sind jedoch nur für private Zwecke verwertbar, weil es – so der BGH – „das natürliche Vorrecht des Eigentümers ist, den gewerblichen Nutzen, der aus seinem nur gegen Erlaubnis zugänglichen Eigentum gezogen werden kann, für sich zu beanspruchen“.375 Begründet wird diese Beschränkung der Abbildungsfreiheit damit, dass ein Eigentümer aufgrund seines Hausrechts ohne weiteres die Möglichkeit hat, den Zugang zu den Objekten, die in seinem Eigentum stehen, vollständig zu verbieten oder nur unter der Bedingung zu erlauben, dass keine Fotos aufgenommen werden. Deshalb müsse dem Eigentümer auch das ausschließliche Recht zur gewerblichen Verwertung der Aufnahmen vorbehalten bleiben, die von solchen Objekten innerhalb des Bereichs angefertigt werden, der seiner rechtlichen und tatsächlichen Sachherrschaft unterstellt ist.376 Die Grenzen der Sachherrschaft des Eigentümers und des Besitzers werden üblicherweise anhand des § 59 UrhG bestimmt, der das Fotografieren von Werken gestattet, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen befinden. Zwar beschränkt diese Regelung nur die Rechte der Urheber, doch besteht Einigkeit darüber, dass dieselben Beschränkungen auch für die Eigentümer und Besitzer solcher Werke gelten.377 Anderenfalls bliebe unverständlich, weshalb der Gesetzgeber die Abbildung von Werken an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen urheberrechtlich freigibt, wenn sie gleichwohl unter Berufung auf das bürgerlichrechtliche Eigentums- oder Besitzrecht untersagt werden könnte.378 Der Schutz des Eigentums und des Besitzes kann nicht weiter reichen als der Urheberschutz, so dass die Abbildung einer Sache, die sich bleibend im öffentlichen Raum befindet, weder vom Eigentümer noch vom Besitzer der Sache unterbunden werden kann. Dasselbe gilt für die gewerbliche Verwertung solcher Abbildungen, die der Eigentümer und der Besitzer ebenso wie der Urheber hinzunehmen haben. Die Rechtsprechung verweist zwar einerseits auf § 59 UrhG, wenn es darum geht, wann ein Objekt ohne die Zustimmung des Eigentümers oder Besitzers fotografiert wer374
375 376
BGH GRUR 1975, 500, 501 – Schloss Tegel; OLG München Schulze OLGZ 293, 5 – Klinikum; OLG Köln GRUR 2003, 1066, 1067 – Wayanfiguren; Wenzel/von StroblAlbeg Rn 7.89; Prinz/Peters Rn 887. BGH GRUR 1975, 500, 501 – Schloss Tegel. BGH GRUR 1975, 500 – Schloss Tegel; OLG München Schulze OLGZ 293, 5 – Klinikum; differenzierend Beater JZ 1998, 1101, 1105 f, der dem Eigentümer lediglich einen Unterlassungsanspruch, aber keinen Anspruch auf eine Beteiligung an dem wirtschaftlichen Nutzen aus der Verwertung der Sachaufnahmen zugestehen will.
377
378
BGH GRUR 1990, 390, 391 – Friesenhaus; OLG Bremen NJW 1987, 1420 – Friesenhaus; OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 425 f – Jugendstilhaus; LG Freiburg GRUR 1985, 544 f – Fachwerkhaus; LG WaldshutTiengen AfP 2000, 101, 102 – CityServer; Schricker/Vogel § 59 UrhG Rn 3; Dreier/ Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 14; Beater JZ 1998, 1101, 1103; Dreier 235, 251; Lammek/Ellenberg ZUM 2004, 715, 716. BGH GRUR 1990, 390, 391 – Friesenhaus.
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den darf und unter welchen Voraussetzungen eine gewerbliche Verwertung solcher Aufnahmen zulässig ist. Auf der anderen Seite setzt sie sich aber über die Vorgaben dieser Regelung immer wieder hinweg. So wird etwa die Abbildungsfreiheit und die damit verbundene Beschränkung der Eigentums- und Besitzrechte auch bei Objekten anerkannt, die sich nicht bleibend, sondern nur zeitweise im öffentlichen Raum befinden.379 Veränderungen, die mittels Retusche oder auf andere Weise an den fotografierten Objekten vorgenommen werden und die bei urheberrechtlich geschützten Werken durch § 59 UrhG nicht gedeckt wären, sollen vom Eigentümer hinzunehmen sein.380 Auch Fotos, die nicht von der öffentlichen Straße, sondern von einer Nachbarwohnung aus aufgenommen werden, halten die Gerichte für zulässig, ebenso Luftaufnahmen eines Hauses, sofern die Aufnahmen lediglich den Eigentümern zum Kauf angeboten und ansonsten nicht verwertet werden.381 In der Literatur wird sogar unter Hinweis darauf, dass die Grenzen der Abbildungsfreiheit bei den Eigentums- und Besitzrechten weiter zu ziehen sind als bei den Urheberrechten, teilweise die vollständige Freigabe der Perspektive befürwortet, so dass Sachaufnahmen generell auch aus einem anderen Blickwinkel als dem von der öffentlichen Straße aus zulässig wären.382
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c) Abbildungserlaubnis und Zutrittsrecht. Befindet sich ein Objekt innerhalb eines befriedeten Besitztums und kann es nur von dort aus fotografiert werden, hat der Inhaber des Hausrechts (Eigentümer, Mieter, Pächter) die Möglichkeit, anderen Personen den Zugang zu verwehren und so die Ablichtung des Objekts zu unterbinden. Ist das Objekt von der öffentlichen Straße aus sichtbar, darf derjenige, der die Sachherrschaft über das befriedete Besitztum ausübt, unerwünschte Ablichtungen des Objekts durch geeignete Sichtschutzmaßnahmen verhindern. Unterbleiben solche Maßnahmen oder sind sie aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht möglich, können Sachaufnahmen in der Regel nur dann untersagt werden, wenn ihre Anfertigung oder Verwertung fremde Persönlichkeitsrechte verletzt.383 Erlaubt der Inhaber des Hausrechts anderen Personen den Zutritt zu dem befriedeten 251 Besitztum, kann die Erlaubnis unter der Bedingung erteilt werden, dass die Besucher keine Fotografien anfertigen oder die Aufnahmen nur für private Zwecke verwenden.384 Wird der Zugang ohne ein ausdrückliches Fotografierverbot gewährt, kann sich aus den Umständen ergeben, dass Sachaufnahmen nicht erlaubt sind. Liegen auch dafür keine Anhaltspunkte vor, ist in der Regel davon auszugehen, dass mit der Gewährung des Zutritts jedenfalls die gewerbliche Verwertung von Sachaufnahmen, die innerhalb des befriedeten Besitztums entstehen, stillschweigend ausgeschlossen wird.385 Erlaubt ist dann zwar das Fotografieren, doch dürfen die Aufnahmen nur für private Zwecke verwendet werden, wobei allerdings zur privaten Nutzung auch der Abdruck der Bilder in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder die Präsentation in nicht gewinnorientierten Ausstellungen gehören kann.386 Allein daraus, dass für den Zutritt zu einem Objekt ein
379 380 381
382 383 384
LG Hamburg AfP 1994, 161 – Segelyacht. OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 426 – Jugendstilvilla OLG Celle Schulze OLGZ 222 – Balkonfoto; OLG Oldenburg NJW-RR 1988, 951 – Luftaufnahmen. So Lammek/Ellenberg ZUM 2004, 715, 718. Dazu ausführlicher Rn 254 ff. So verbietet etwa die auf allen Bahnhöfen ausgehängte Hausordnung der Deutschen
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Bahn die Anfertigung gewerblicher Foto-, Film- und Fernsehaufnahmen ohne vorherige Genehmigung; dazu Wanckel Rn 10. So BGH GRUR 1975, 500, 501 – Schloss Tegel; OLG Köln GRUR 2003, 1066, 1067 – Wayanfiguren; vgl auch Lammek/ Ellenberg ZUM 2004, 715, 718. Vgl OLG Köln GRUR 2003, 1066, 1067 – Wayanfiguren.
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Rechte am Aufnahmegegenstand
Entgelt gezahlt wird, lässt sich im Zweifel weder eine Fotografiererlaubnis noch das Recht zur gewerblichen Verwertung der Aufnahmen ableiten, die innerhalb des befriedeten Besitztums von dem Objekt angefertigt werden.387 Der Inhaber des Hausrechts ist in der Regel nicht dazu verpflichtet, anderen Personen 252 den Zugang zu seinem befriedeten Besitztum zu gewähren und die Anfertigung von Sachaufnahmen zu dulden. Eine solche Verpflichtung lässt sich auch nicht ohne weiteres aus den Landespressegesetzen oder dem Versammlungsgesetz ableiten.388 Bildjournalisten haben deshalb keinen klagbaren Anspruch auf freien Zutritt zu einer Sportveranstaltung oder zu ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen.389 Ein solcher Anspruch kann sich allenfalls daraus ergeben, dass ein Veranstalter, der sich für die Zulassung von Bildjournalisten entscheidet, den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten muss und deshalb nicht einzelne Berichterstatter willkürlich von der Veranstaltung ausschließen darf.390 Wird einem Bildberichterstatter der Zugang gewährt wird, dürfte er auch dazu be- 253 rechtigt sein, innerhalb des befriedeten Besitztums zu fotografieren und die Aufnahmen im Rahmen der aktuellen Berichterstattung zu verwerten. Insoweit unterliegt der Inhaber des Hausrechts ähnlichen Beschränkungen, wie sie gem § 50 UrhG für den Urheber gelten.391 Das betrifft allerdings nur Aufnahmen, die auf rechtmäßige Weise angefertigt werden. Knüpft bspw ein Veranstalter den Zugang zu seiner Veranstaltung an bestimmte Bedingungen, dürfen Aufnahmen, die diese Bedingungen nicht erfüllen, nur dann für die Berichterstattung verwertet werden, wenn daran ein überragendes öffentliches Interesse besteht.392 Dasselbe gilt für die Verwertung von Aufnahmen, die der Bildberichterstatter nur deswegen anfertigen konnte, weil er sich den Zutritt zu dem befriedeten Besitztum ohne Wissen und Willen des Eigentümers oder Besitzers verschafft hat.393 4. Persönlichkeitsrechte Das Fotografieren eines Objekts und die anschließende Verwertung der Aufnahmen 254 kann auch dann, wenn weder fremde Urheber- oder Geschmacksmusterrechte noch irgendwelche Eigentums- oder Besitzrechte entgegenstehen, wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unzulässig sein. a) Schutzbereich und Schutzberechtigte. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt 255 die Privat- und Intimsphäre sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sofern deshalb eine Sachfotografie unzulässige Einblicke in die Intimsphäre einer Person gewährt, unerlaubt in ihre Privatsphäre eindringt oder ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht missachtet, kann die Anfertigung und Verbreitung der Aufnahme wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts gem §§ 1004 Abs 1, 823 Abs 1 BGB iVm Art 2 Abs 1 und Art 1 Abs 1 GG untersagt werden. Wenn im Zusammenhang mit Sachfotografien eine Verletzung des allgemeinen Per- 256 sönlichkeitsrechts in Frage steht, geht es meist um den räumlichen Schutz der Privat-
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388 389 390
So auch BGH GRUR 1975, 500, 501 – Schloss Tegel; Prinz/Peters Rn 887; Wanckel Rn 9. Dazu Wanckel Rn 40 ff. OLG München AfP 1985, 222 – Flohmarkt; Wanckel Rn 39. Vgl OLG Köln NJW-RR 2001, 1051 – Sportredakteur; Wanckel Rn 42.
391 392 393
So auch Beater JZ 1998, 1101, 1109; Dreier 251. Vgl BVerfG NJW 1984, 1741, 1743 – Wallraff. So Beater JZ 1998, 1101, 1109; großzügiger offenbar BGH ZUM 1998, 566, 568 – Appartement-Anlage.
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sphäre. Der geschützte private Raum entspricht dem Bereich, den auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 Abs 1 GG) erfasst.394 Geschützt sind demnach nicht nur Wohnräume nebst Keller, Speicher, Garage, Balkon und Terrasse, sondern auch Betriebs- und Geschäftsräume, solange sie nicht allgemein zugänglich sind.395 Ebenso fallen Gartenflächen, die durch eine Mauer, einen Zaun oder eine Hecke befriedet sind, unter den räumlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn sie Teil eines Hausgrundstücks und damit als individueller Rückzugsbereich ausgewiesen sind.396 Ob nur natürliche Personen oder auch juristischen Personen eine Verletzung des Per257 sönlichkeitsrechts geltend machen können, ist nicht vollständig geklärt.397 Die zivilgerichtliche Rechtsprechung vertritt dazu die Auffassung, dass auch bei juristischen Personen ein Unternehmerpersönlichkeitsrecht anzuerkennen ist, wobei dieses Recht allerdings auf den räumlich-gegenständlichen Bereich des Unternehmens beschränkt bleibt. Wird daher auf dem Betriebsgelände fotografiert oder werden Aufnahmen der Betriebsund Geschäftsräume von der Straße aus mit unzulässigen Hilfsmitteln angefertigt, kann das Unternehmen dagegen in gleicher Weise vorgehen wie eine natürliche Person, die sich gegen einen Eingriff in ihre Privatsphäre zur Wehr setzt.398
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b) Eingriff in den Schutzbereich. aa) Aufnahmestandort innerhalb des befriedeten Besitztums. Zu einem unzulässigen Eingriff in den räumlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kommt es regelmäßig dann, wenn jemand ohne Wissen und Willen des Eigentümers oder Besitzers in dessen befriedetes Besitztum eindringt, um dort zu fotografieren.399 Aber auch in den Fällen, in denen bspw ein Wohnungsmieter einem Beauftragten des Vermieters die Besichtigung der Wohnung gestattet und der Beauftragte dann gegen den Willen des Mieters die einzelnen Räume fotografiert, führt die Anfertigung der Fotos zu einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Mieters.400 Fraglich ist allerdings, ob es in diesen Fällen überhaupt eines Rückgriffs auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht bedarf, da regelmäßig der Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt sein wird und die Verbreitung der rechtswidrig angefertigten Aufnahmen deshalb ohne weiteres gem § 1004 Abs 1 BGB analog iVm § 823 Abs 2 BGB, § 123 StGB unterbunden werden kann. 259 Das Fotografieren in Betriebs- und Geschäftsräumen kann das Unternehmerpersönlichkeitsrecht beeinträchtigen und bedarf deshalb in der Regel der Zustimmung des Betriebsinhabers.401 Das gilt auch für Aufnahmen von fingierten Diebstahlszenen, die in Zügen der Deutschen Bahn zur Dokumentation des dort bestehenden Diebstahlrisikos mit einer versteckten Kamera angefertigt werden.402 Ebenso führt die verdeckte Videoüberwachung eines Stellplatzes in einer Tiefgarage zu einem Eingriff in das Persönlich-
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398
Vgl Dorf NJW 2006, 951, 952. Dorf NJW 2006, 951, 953 f. Dazu Dorf NJW 2006, 951, 953 mwN. Das BVerfG hat diese Frage bisher offen gelassen; vgl BVerfG ZUM 2005, 474, 475 – Tierversuche. KG NJW 2000, 2210 f – Versteckte Kamera; OLG Hamm ZUM-RD 2005, 131, 132 f – Tierversuche; LG Berlin ZUM 2004, 578, 579 – Autohaus; ebenso Wenzel/von StroblAlbeg Rn 7.92; Wanckel Rn 9.
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LG Düsseldorf NJW 1959, 629 – Wohnungsfotos. OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971 – Unerlaubtes Fotografieren; Wenzel/von StroblAlbeg Rn 7.90. OLG München AfP 1992, 78, 80 – Rechtsanwaltskanzlei; Prinz/Peters Rn 888 mwN; vgl aber Rn 280 zum Sonderfall der Anfertigung von Testfotos in den Geschäftsräumen eines Konkurrenten. KG NJW 2000, 2210 f – Versteckte Kamera.
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Rechte am Aufnahmegegenstand
keitsrecht aller Mitbenutzer der Garage, selbst wenn diese Maßnahme dazu dient, den Verursacher von wiederholten Beschädigungen an einem PKW zu überführen.403 bb) Aufnahmestandort im öffentlichen Raum. Bei Sachaufnahmen, die von öffent- 260 lichen Wegen, Straßen und Plätzen aus angefertigt werden, ist ein Eingriff in fremde Persönlichkeitsrechte in der Regel auszuschließen. So wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Eigentümers eines Miethauses nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Fassade seines Hauses in einem Film über eine Prostituierte zu sehen ist, die in dem Haus gewohnt hat und dort auch ermordet wurde.404 Auch das Fotografieren eines typischen Friesenhauses oder eines Jugendstilhauses von der öffentlichen Straße aus lässt das Persönlichkeitsrecht des Hauseigentümers unberührt, selbst wenn die Aufnahmen anschließend für Werbezwecke eingesetzt werden.405 Ebenso greift die systematische fotografische Erfassung der Außenansicht von Gebäuden und die Eingabe der Fotos in eine Datenbank mit genauen Angaben zur geografischen Position der einzelnen Gebäude weder in den räumlichen Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts der Hausbewohner noch in deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, weil die Anfertigung der Aufnahmen und deren gewerbliche Weiterverbreitung lediglich den Teil des Persönlichkeitsrechts berührt, der ohnehin der Öffentlichkeit zugewandt ist und für den deshalb auch nur ein begrenzter Schutz besteht.406 Anders verhält es sich in den Fällen, in denen ein Objekt zwar von der öffentlichen 261 Straße aus fotografiert, die Aufnahme anschließend aber in einer irreführenden Art und Weise verwendet wird. So beeinträchtigt bspw die fotografische Wiedergabe eines Landhauses auf Teneriffa in dem Werbeprospekt eines Immobilienunternehmens das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Hauseigentümers, wenn dabei wahrheitswidrig der Eindruck erweckt wird, das abgebildete Haus liege in einem von dem Immobilienunternehmen erschlossenen Gebiet und sei von diesem Unternehmen erbaut worden.407 Dagegen soll es für einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht ausreichen, wenn die Betrachter der Werbeanzeige eines Immobilienfinanzierers, in der ein Jugendstilhaus abgebildet ist, lediglich aufgrund dieser Abbildung fälschlicherweise von einer geschäftlichen Verbindung zwischen dem Eigentümer des Hauses und dem Finanzierungsunternehmen ausgehen.408 Werden von der Straße aus Objekte fotografiert, die sich innerhalb eines Hauses 262 befinden und nur durch ein Fenster oder eine geöffnete Tür sichtbar sind, ist trotz des Aufnahmestandortes im öffentlichen Raum eine Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten denkbar. Da das Innere eines Hauses zur Privatsphäre gehört und die Fenster oder Türen nur einen eher zufälligen Blick in die privaten Räume ermöglichen, bedarf die Ablichtung dieses Bereichs in der Regel der Zustimmung der Betroffenen. Dasselbe gilt für Fotos von den Geschäftsräumen eines Autohauses, die vom Gehsteig aus durch ein Schaufenster angefertigt werden.409
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OLG Karlsruhe NJW 2002, 2799 – Verdeckte Videoüberwachung. BGH NJW 1960, 1614 – Rosemarie Nitribitt; einschränkend Wenzel/von Strobl-Albeg Rn 7.100. So BGH GRUR 1990, 390, 391 – Friesenhaus; OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 425 – Jugendstilvilla. LG Waldshut-Tiengen AfP 2000, 101, 102 f – CityServer; VG Karlsruhe NJW
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2000, 2222, 2223 f – CityServer; Wenzel/ von Strobl-Albeg Rn 7.101. BGH GRUR 1971, 417 – Landhaus auf Teneriffa. Vgl OLG Düsseldorf AfP 1991, 424, 426 – Jugendstilvilla; krit dazu Wenzel/von StroblAlbeg Rn 7.99. LG Berlin ZUM 2004, 578, 579 – Autohaus.
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Zu einem Eingriff in fremde Persönlichkeitsrechte kommt es auch dann, wenn besondere Hilfsmittel (zB Leiter, ausfahrbares Superstativ) eingesetzt werden, um ein Objekt von der Straße aus fotografieren zu können. Fraglich ist allerdings, ob bereits der Einsatz eines Teleobjektivs zu den unerlaubten Hilfsmitteln gehört.410 Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist schließlich in den Fäl264 len denkbar, in denen Häuser prominenter Personen von der öffentlichen Straße aus fotografiert werden, wenn die anschließende Veröffentlichung der Aufnahmen unter Nennung des Eigentümers oder Bewohners erfolgt. Entsteht durch eine solche Veröffentlichung die Gefahr, dass das Wohnhaus seine Eignung als privater Rückzugsort des Betroffenen verliert, weil Schaulustige das Grundstück besuchen, ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu bejahen.411 Ist dagegen ein Auffinden des Hauses durch unliebsame Besucher ausgeschlossen, weil es an einer hinreichend konkreten Ortsangabe fehlt, muss es der Betroffene hinnehmen, dass seine Wohnverhältnisse der Öffentlichkeit so präsentiert werden, wie sie auch jeder Passant vor Ort wahrnehmen kann. Fraglich ist, welche Angaben im konkreten Fall geeignet sind, die genaue Lage des 265 Hauses zu ermitteln. Dazu wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Bekanntgabe des Stadtteils, in dem das Haus des Prominenten zu finden ist, zumindest bei einer Großstadt wie Berlin nicht ausreicht.412 Andere Entscheidungen sehen dagegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen bereits durch die allgemeine Ortsangabe „Potsdam“ oder „Berlin-Zehlendorf“ beeinträchtigt.413 In diesem Zusammenhang kann es auch von Bedeutung sein, ob die Aufnahme der Prominentenwohnung in gedruckter Form erscheint oder nur im Fernsehen gezeigt wird, weil die genaue Adresse mit Hilfe eines gedruckten Fotos eher zu ermittelt ist als mit einem Bild, das man nur einmal flüchtig in einem Fernsehbeitrag gesehen hat.414 Ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen ist auf jeden Fall dann zu bejahen, wenn die Abbildung des Hauses zusammen mit einer genauen Wegbeschreibung veröffentlicht wird und die Lage des Grundstücks nicht bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist oder problemlos anhand allgemein zugänglicher Quellen (zB Telefonverzeichnis) ermittelt werden kann.415 Auch bei Personen, die nicht zu den Prominenten gehören, ist von einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auszugehen, wenn die Straßenansicht ihres Privathauses unter Angabe ihres Familiennamens und Wohnorts in einer Werbebroschüre veröffentlicht wird.416
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cc) Aufnahmestandort auf einem privaten Nachbargrundstück. Besteht kein Zugang zu dem befriedeten Besitztum, auf dem sich das Aufnahmeobjekt befindet, und ist es auch nicht möglich, das Objekt von der öffentlichen Straße aus zu fotografieren, stellt sich die Frage, ob die gewünschte Aufnahme von einem Nachbargrundstück aus angefer-
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Bejahend BGH GRUR 2004, 438, 440 (unter 2c) – Feriendomizil I; LG Berlin ZUM 2004, 578, 580 – Autohaus; verneinend Dreier/Schulze/Dreier § 59 UrhG Rn 4. KG AfP 2006, 564 – Grönemeyer-Villa I; OLG Hamburg AfP 2005, 75 – Grönemeyer-Villa II; KG NJW 2005, 2320 – Jauch-Villa; LG Berlin AfP 2004, 152, 154 – Villa in Potsdam. KG AfP 2006, 564 – Grönemeyer-Villa I; LG Berlin AfP 2004, 149, 150 – Villa in
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Harvestehude; LG Berlin AfP 2004, 152, 154 – Villa in Potsdam. OLG Hamburg AfP 2005, 75 – Grönemeyer-Villa II; KG NJW 2005, 2320 – Jauch-Villa. So OLG Hamburg AfP 2006, 182 – Wohnanlage in Köln. BGH GRUR 2004, 438, 441 – Feriendomizil I; BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (Abs 14) – Wohnhäuser auf Mallorca II. AG Rüsselsheim AfP 2003, 83; Wanckel Rn 8.
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tigt werden darf. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Außenanlagen eines Hauses generell weniger geschützt sind als die eigentlichen Wohnräume, in denen sich die Bewohner nach allen Seiten gegen ein optisches Eindringen abschirmen können.417 So wie jeder Eigentümer oder Besitzer eines Hauses den Blick des Nachbarn über den Gartenzaun oder aus einem Fenster des Nachbarhauses in Kauf nehmen muss, hat er auch die Ablichtung seines Hauses und der zum Haus gehörenden Außenanlagen hinzunehmen, sofern die Aufnahmen nur das zeigen, was jeder Nachbar wahrnehmen kann.418 Zu einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht kommt es in solchen Fällen erst, wenn die optische Erfassung des Hauses oder der Außenanlagen mit Hilfe eines Teleobjektivs oder anderer Hilfsmittel (zB Leiter) erfolgt, weil ein solcher Blick in die Privatsphäre über das sozialübliche Maß hinausgeht. Von einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen ist außerdem dann auszugehen, wenn die vom Nachbargrundstück aus angefertigten Aufnahmen für gewerbliche Zwecke verwertet werden. Das sozialübliche Maß dessen, was jeder Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks 267 an Beobachtung durch seine Nachbarn hinzunehmen hat, wird auch durch die Installation einer Videokamera überschritten, die eine Überwachung seines Grundstücks ermöglicht. Wird bspw über der Eingangstür eines Hauses eine Videokamera installiert, kann diese Maßnahme ungeachtet der Tatsache, dass damit einem gehbehinderten Bewohner des Hauses die Eingangskontrolle ermöglicht werden soll, zu einem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der benachbarten Grundstückseigentümer und -besitzer führen, sofern die Kamera auch eine Beobachtung des Eingangsbereichs zu ihrem Grundstück ermöglicht.419 dd) Satellitenbilder und Luftbildaufnahmen. Werden Grundstücke, Häuser und an- 268 dere Objekte von einem Flugzeug oder Hubschrauber aus fotografiert, geht die Rechtsprechung allgemein von einem Eingriff in den räumlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus.420 Zur Begründung heißt es, dass niemand es hinnehmen müsse, wenn seine Privatsphäre gegen seinen Willen unter Überwindung bestehender Hindernisse oder mit geeigneten Hilfsmitteln (zB Teleobjektiv, Leiter, Flugzeug) ausgespäht werde, um daraus ein Geschäft zu machen und Dritten die so gewonnenen Einblicke gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen.421 Eine Beeinträchtigung der Privatsphäre wird nur für den Fall verneint, dass die Luftbilder nicht an Dritte weitergegeben, sondern ausschließlich den Betroffenen zum Kauf angeboten werden.422 Bei konsequenter Anwendung dieser Rechtsprechung müsste auch die Bereitstellung 269 von Satellitenaufnahmen und Luftbildern der Erde, wie sie das Programm „Google Earth“ 423 bietet, als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht derjenigen eingestuft werden, deren Grundstücke und Häuser damit teilweise in hoch aufgelöster Form auf jedem Bild-
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Dazu Dorf NJW 2006, 951, 954; aA LG Berlin AfP 1999, 525, 527 – Star-Guide Mallorca, das den Außenbereich (Garten, Balkon) offenbar in gleicher Weise geschützt sieht wie das Wohn- und Schlafzimmer. So wohl auch OLG Celle Schulze OLGZ 222, 4 – Balkonfoto. AG Spandau ZUM-RD 2005, 196 f – Videoüberwachung; vgl auch BGH AfP 1995, 597, 598 – Videoüberwachung; AG Frankfurt NJW-RR 2003, 158 – Videoüberwachung in Wohnanlage; Wanckel Rn 17.
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BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (Abs 13) – Wohnhäuser auf Mallorca II; BGH GRUR 2004, 438, 440 – Feriendomizil I; LG Berlin AfP 1999, 525, 527 – Star-Guide Mallorca; offen gelassen in KG ZUM 2001, 236, 237 – StarGuide Mallorca. So BGH GRUR 2004, 438, 440 – Feriendomizil I OLG Oldenburg NJW-RR 1988, 951, 952 – Luftaufnahmen. Das Programm ist im Internet unter earth.google.de abrufbar.
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schirm sichtbar gemacht werden können. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Außenbereich eines Hauses gegen ein optisches Eindringen naturgemäß weniger geschützt ist als der Innenbereich.424 Deshalb kann eine Beeinträchtigung der Privatsphäre nicht allein damit begründet werden, dass das Programm „Google Earth“ dem Benutzer einen optischen Einblick verschafft, der von der Erde aus nicht möglich ist. Angesichts der weltweiten Verbreitung und Zustimmung, die dieses Programm mittlerweile gefunden hat, ist vielmehr darauf abzustellen, ob sich der durch ein Satelliten- oder Luftbild gewährte Einblick in die Privatsphäre im Rahmen dessen hält, was – ähnlich wie der Blick des Nachbarn über den Gartenzaun – sozial allgemein akzeptiert wird. Wendet man diesen Maßstab an, dann kann in der fotografischen Erfassung der gesamten Erdoberfläche vom Weltall aus selbst dann, wenn dabei hoch aufgelöste Bilder einzelner Grundstücke und Häuser entstehen, angesichts der breiten sozialen Akzeptanz solcher Aufnahmen kein Eingriff in die geschützte Privatsphäre gesehen werden.425 Anders verhält es sich dagegen bei dem gezielten Ausspähen einzelner Prominentenvillen von einem Hubschrauber aus, denn es ist nicht erkennbar, dass dieses Verhalten als sozialüblich angesehen und allgemein akzeptiert wird.
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c) Rechtswidrigkeit des Eingriffs. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht. Bei einem Eingriff in den Schutzbereich dieses Rechts muss die Rechtswidrigkeit des Eingriffs stets positiv festgestellt werden. Dabei ist eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, weil das Persönlichkeitsrecht wegen seines weiten Rahmens vielfach mit den Rechten Dritter kollidiert.426 So kann es insbesondere in den Fällen, in denen die Anfertigung oder Verwertung von Sachaufnahmen in die Privatsphäre des Eigentümers oder Besitzers einer Sache eingreift, zu einem Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) und der Freiheit der Bildberichterstattung (Art 5 Abs 1 GG) kommen.427 Ergibt die Abwägung der kollidierenden Interessen, dass das öffentliche Informationsinteresse im konkreten Fall die persönlichen Belange des Betroffenen überwiegt, muss das Persönlichkeitsrecht hinter dem Recht auf eine freie Berichterstattung zurückstehen mit der Folge, dass der Betroffene die Anfertigung und Verwertung der Sachaufnahmen hinzunehmen hat. Die notwendige Interessenabwägung erfordert auf der einen Seite eine Bewertung der 271 Intensität des Eingriffs in die Privatsphäre. Auf der anderen Seite ist die Bedeutung der Informationen zu bewerten, die der Öffentlichkeit durch die Aufnahmen vermittelt werden. Bei Eingriffen, die nicht in den Kernbereich der Privatsphäre vordringen und ihren räumlich-gegenständlichen Schutzbereich nicht nachhaltig beeinträchtigen, muss das Schutzinteresse des Betroffenen eher hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt hat wird man regelmäßig dem Schutz der Privatsphäre den Vor-
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Dorf NJW 2006, 951, 954. Ähnlich Dorf NJW 2006, 951, 955 für Luftbildaufnahmen, die von Gemeinden zu Zwecken der Selbstdarstellung angefertigt werden, sowie für Aufnahmen der staatlichen Vermessungsämter und anderer öffentlicher Einrichtungen. BGH GRUR 2004, 438, 440 – Feriendomizil I mwN. BGH GRUR 2004, 438, 440 – Feriendomizil I; KG NJW 2000, 2210, 2211 – Ver-
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steckte Kamera; KG ZUM 2001, 236, 238 – Star-Guide Mallorca; KG AfP 2006, 564 – Grönemeyer-Villa I; OLG Hamburg AfP 2005, 75 – Grönemeyer-Villa II; KG NJW 2005, 2320, 2321 – Jauch-Villa; OLG Hamburg AfP 2006, 182, 183 – Wohnanlage in Köln; LG Oldenburg AfP 1988, 167 – Almwiese als Dach; LG Berlin AfP 1999, 525, 527 – Star-Guide Mallorca; LG Berlin ZUM 2004, 578, 580 – Autohaus.
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rang einräumen müssen, wenn die Sachaufnahmen nur einen geringen Informationswert für die Allgemeinheit haben.428 Bei der Prüfung des Informationswertes ist zu berücksichtigen, dass die Pressefreiheit nicht nur die Weitergabe „wertvoller“ Informationen gewährleistet, sondern auch eine Berichterstattung schützt, die in erster Linie das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt. Deshalb darf der Wert einer Bildberichterstattung nicht allein deshalb, weil sie in erster Linie der Unterhaltung oder der Befriedigung der Neugier des Publikums dient, geringer bewertet werden als der Wert von Informationen über wichtige Belange der Allgemeinheit.429 Die Intensität des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht hängt davon ab, ob nur die Randzone oder der Kernbereich der Privatsphäre berührt ist. Außerdem kommt es darauf an, ob der Eingriff den räumlich-gegenständlichen Schutzbereich nur geringfügig oder nachhaltig beeinträchtigt. So wird etwa die Verbreitung von Luftbildaufnahmen, die lediglich die Außenanlagen eines Privathauses zeigen, allenfalls als Eingriff in die Randzone der Privatsphäre zu werten sein, sofern auf den Bildern nichts zu sehen ist, was als peinlich gelten oder nachteilige Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen könnte.430 Als nachhaltig wird man die Beeinträchtigung durch einen solchen Eingriff in der Regel nur dann einstufen können, wenn der Betroffene dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum in der Nutzung seines Grundstücks gestört wird, weil aufgrund der Bildveröffentlichung bspw mit einer Belästigung durch unerwünschte Besucher zu rechnen ist.431 Bei der Prüfung der Frage, wie schwerwiegend ein Eingriff in die Privatsphäre ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Wenn zB bei der Veröffentlichung einer Sachaufnahme keine Informationen weitergegeben werden, die eine Identifizierung des Eigentümers oder Besitzers der Sache ermöglichen, ist die Schwere des Eingriffs geringer zu bewerten als bei der Bekanntgabe des Namens und der Adresse der Person, der die Sache gehört. Eine eher geringe Bedeutung wird dem Eingriff auch dann beizumessen sein, wenn der Teil der Privatsphäre, den die Sachaufnahmen zeigen, bereits von dem Betroffenen selbst durch eigene Veröffentlichungen oder dadurch, dass er eine umfangreiche Bildberichterstattung über seine privaten Wohn- und Lebensverhältnisse zugelassen oder hingenommen hat, einem breiten Publikum bekannt gemacht worden ist.432 Werden Betriebs- oder Geschäftsräume fotografiert und wird dadurch in das Persönlichkeitsrecht eines Unternehmens eingegriffen, ist zu beachten, dass die berufliche Sphäre in weit geringerem Maße als die Privatsphäre gegen optische Eingriffe geschützt ist.433 Dennoch können die besonderen Umstände eines solchen Eingriffs, insbesondere der Einsatz unzulässiger Hilfsmittel oder die Anwendung rechtswidriger Methoden bei der Informationsbeschaffung, einen Vorrang der Belange des Unternehmens vor dem öffentlichen Informationsinteresse begründen.434 428
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BVerfG NJW 2000, 1021 – Caroline von Monaco; BVerfG NJW 2000, 2194 – Fotos von Flick-Tochter. BGH GRUR 2004, 438, 440 f – Feriendomizil I; KG NJW 2005, 2320, 2321 – JauchVilla; OLG Hamburg AfP 2006, 182, 183 – Wohnanlage in Köln. BGH GRUR 2004, 438, 441 – Feriendomizil I. Vgl OLG Hamburg AfP 2005, 75 – Grönemeyer-Villa II; KG NJW 2005, 2320 – Jauch-Villa.
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BGH GRUR 2004, 438, 441 – Feriendomizil I; BGH GRUR 2004, 442, 443 f – Feriendomizil II; zust BVerfG NJW 2006, 2838 – Wohnhäuser auf Mallorca I; BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (Abs 17) – Wohnhäuser auf Mallorca II. OLG Hamm ZUM-RD 2005, 131, 133 – Tierversuche. Vgl KG NJW 2000, 2210, 2211 – Versteckte Kamera; OLG Hamm ZUM-RD 2005, 131, 135 – Tierversuche; LG Berlin ZUM 2004, 578, 580 – Autohaus.
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Wie unterschiedlich die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf eine freie Berichterstattung ausfallen kann, zeigt sich am Beispiel der Luftbildaufnahmen, die ein Fotograf von verschiedenen Prominentenvillen auf Mallorca angefertigt hat und die in einem „Star-Guide Mallorca“ unter Angabe des Namens der Villenbesitzer und Beifügung einer Wegbeschreibung veröffentlicht wurden. Während das LG Berlin435 und das Kammergericht 436 in diesem Fall dem Schutz der Privatsphäre den Vorrang einräumen, weil die Bildveröffentlichung nur dem allgemeinen Unterhaltungsinteresse diene und die Betroffenen eine solche Kommerzialisierung ihrer Privatsphäre nicht hinnehmen müssten, stuft der BGH 437 die Pressefreiheit höher ein, da seiner Meinung nach nur die Randzone des Persönlichkeitsrechts betroffen ist und die Tatsache, dass die Aufnahmen in erster Linie das Publikums unterhalten sollen, keine Einschränkung der Freiheit der Berichterstattung rechtfertigt. Lediglich in Bezug auf die Veröffentlichung der Wegbeschreibung ist dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen nach Auffassung des BGH ein höherer Stellenwert einzuräumen als dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit.438 Unterschiedlich fallen auch die Entscheidungen dazu aus, ob bei einer Veröffent277 lichung der Abbildung eines Hauses unter Bekanntgabe des Namens der Hausbewohner dem Schutz der Privatsphäre oder der Pressefreiheit der Vorzug zu geben ist. Während ein Teil der Rechtsprechung das Persönlichkeitsrecht durch die Namensnennung so schwerwiegend beeinträchtigt sieht, dass die Pressefreiheit dahinter zurückstehen muss,439 messen andere Entscheidungen dem Schutzbedürfnis des Hausbewohners auch bei einer Bekanntgabe seines Namens ein geringeres Gewicht zu als dem Schutz der Freiheit der Berichterstattung.440 5. Sonstige Rechte
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a) Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch. Das Fotografieren von Objekten und die Verwertung der Aufnahmen kann eventuell wettbewerbswidrig sein. Die Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Eigentümer oder Besitzer des fotografierten Objekts und demjenigen, der die Fotografien anfertigt oder verwertet, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht (§ 2 Abs 1 Nr 3 UWG) und die Fotografien zu Zwecken des Wettbewerbs eingesetzt werden (§ 2 Abs 1 Nr 1 UWG). Außerdem müssen besondere Umstände vorliegen, die das Fotografieren und die Verwertung der Aufnahmen unlauter erscheinen lassen. Ein Wettbewerbsverstoß kann zB darin zu sehen sein, dass sich jemand den Zutritt zu 279 einem nicht frei zugänglichen Schlosspark erschleicht, um dort Motive für Ansichtskarten abzulichten, sofern der Eigentümer des Schlossparks ebenfalls Ansichtskarten verkauft und durch den Vertrieb der Konkurrenzprodukte benachteiligt werden könnte (§ 4 Nr 9c UWG).441 Wettbewerbswidrig ist das Fotografieren von Objekten auch in den Fäl-
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AfP 1999, 525, 527 – Star-Guide Mallorca. ZUM 2001, 236, 238 – Star-Guide Mallorca. GRUR 2004, 438, 441 – Feriendomizil I. BGH GRUR 2004, 438, 441 f – Feriendomizil I; zust BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (Abs 14) – Wohnhäuser auf Mallorca II. OLG Hamburg AfP 2005, 75 – Gröne-
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meyer-Villa II; KG NJW 2005, 2320, 2321 f – Jauch-Villa. Vgl KG AfP 2006, 564 – GrönemeyerVilla I; OLG Hamburg AfP 2006, 182, 183 – Wohnanlage in Köln; LG Oldenburg AfP 1988, 167 – Almwiese als Dach. Vgl KG WRP 1974, 407 – Schloss Tegel.
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len, in denen mit der Fotografie zugleich eine verkörperte Wiedergabe eines Geschäftsoder Betriebsgeheimnisses hergestellt wird (§ 17 Abs 2 Nr 1a UWG).442 Das unerlaubte Fotografieren in den Geschäftsräumen eines Mitbewerbers stellt dage- 280 gen nicht in jedem Fall eine Wettbewerbsverletzung dar.443 Wenn Testpersonen zur Dokumentation eines vermeintlichen oder tatsächlichen Wettbewerbsverstoßes in fremden Geschäftsräumen ohne Genehmigung des Geschäftsinhabers einzelne Objekte (zB Warenkörbe mit Werbeschildern) fotografieren, ist dieses Verhalten nach der aktuellen BGHRechtsprechung wettbewerbsrechtlich jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn der behauptete Wettbewerbsverstoß ohne die Aufnahmen nicht hinreichend belegt werden könnte.444 Die in früheren Entscheidungen für möglich gehaltene Gefahr, dass der Geschäftsbetrieb durch das ungenehmigte Fotografieren erheblich gestört werden könnte, schließt der BGH nunmehr aufgrund der geänderten Lebensverhältnisse aus. Da heute mit Kameras in Mobiltelefonen und kleinen Digitalkameras jederzeit und überall fotografiert werde, sei die Anfertigung von Fotografien in Geschäftsräumen inzwischen nicht mehr als so ungewöhnlich anzusehen, dass man mit einer Störung des Betriebs rechnen müsse. b) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Fotografien von Be- 281 triebs- oder Geschäftsräumen können unter Umständen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigen. Dieses Recht ist allerdings subsidiär. Es handelt sich um einen Auffangtatbestand, der nur eingreift, soweit die dem Unternehmensschutz dienenden speziellen Deliktstatbestände keine abschließende Regelung enthalten.445 Das Recht am Gewerbebetrieb schützt zwar alles, was der unternehmerischen Betäti- 282 gung und Entfaltung im Wirtschaftsleben dient, doch können nur solche Eingriffe in den geschützten Bereich zu einer Rechtsverletzung führen, die betriebsbezogen erfolgen. Außerdem muss der Eingriff eine Schadensgefahr begründen, die über die bloße Belästigung oder sozialübliche Behinderung hinausgeht und geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen werden bei der Anfertigung und Verbreitung von Sachfotografien nur in seltenen Fällen erfüllt sein. So hat der BGH einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 283 durch ungenehmigte Filmaufnahmen in einer Hotel-Appartment-Anlage verneint. In dem Fall ging es um einen Fernsehbeitrag über unzufriedene Kunden eines Reiseveranstalters, dem für diese Anlage ein Belegungsrecht zustand. Da der Reiseveranstalter nicht Eigentümer des Hotels war, konnte er sich nur auf sein Recht am Gewerbebetrieb berufen. Dieses Recht wurde jedoch nach Auffassung des BGH nicht beeinträchtigt, weil die Appartement-Anlage nicht zu den Betriebsmitteln des Unternehmens gehörte und es somit an der notwendigen Betriebsbezogenheit des Eingriffs fehlte.446
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Beater JZ 1998, 1101, 1102. Anders noch BGH GRUR 1991, 843 – Testfotos I; BGH NJW-RR 1997, 104 – Testfotos II; Wenzel/von Strobl-Albeg Rn 7.91; Wanckel Rn 13. BGH GRUR 2007, 802, 804 f – Testfotos III.
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Dazu BGH ZUM 1998, 566, 567 – Appartement-Anlage; Beater JZ 1998, 1101, 1107. BGH ZUM 1998, 566, 567 – AppartementAnlage; krit dazu Beater JZ 1998, 1101, 1106 ff.
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III. Gesetzliche Fotografier- und Verwertungsverbote 1. Gerichtsverhandlungen
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§ 169 S 2 GVG verbietet Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen während einer Gerichtsverhandlung zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts. Dieses Verbot gilt nur für Filmaufnahmen (bewegte Bilder), so dass Zeichnungen und Fotografien (Standbilder) auch während einer Gerichtsverhandlung grds zulässig sind.447 Allerdings kann der Vorsitzende aufgrund der ihm übertragenen sitzungspolizeilichen Befugnisse (§ 176 GVG) das Fotografieren während der Sitzung ausschließen. Sitzungspolizeiliche Maßnahmen sind im gesamten räumlichen Bereich der Sitzung zulässig. Dazu gehören alle für die Verhandlung erforderlichen Räumlichkeiten, also nicht nur der Gerichtssaal selbst, sondern auch das Beratungszimmer des Gerichts und alle angrenzenden Räume wie Flure und Korridore. Deshalb darf der Vorsitzende zum Schutz der Verfahrensbeteiligten das Fotografieren von Zeugen verbieten, die vor dem Gerichtssaal auf ihre Vernehmung warten.448 2. Militärische Einrichtungen
§ 5 Abs 2 des Schutzbereichsgesetzes 449 verbietet das Fotografieren von Gebieten, die als Schutzbereich gekennzeichnet sind. Das Fotografierverbot gilt auch für alle Anlagen, die sich innerhalb des geschützten Gebiets befinden. Schutzbereiche dienen zum Schutz und zur Erhaltung der Wirksamkeit von militärischen Verteidigungsanlagen. Zusätzlich stellt § 109g StGB das Fotografieren von Wehrmitteln, militärischen Ein286 richtungen oder Anlagen und militärischen Vorgängen unter Strafe, soweit dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet werden.450 Auch die Weitergabe solcher Aufnahmen ist strafbar. Diese Regelung gilt sowohl für Aufnahmen, die vom Boden aus angefertigt werden (§ 109g Abs 1 StGB), als auch für Luftbilder der geschützten Gebiete und Gegenstände (§ 109g Abs 2 StGB).
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3. Luftbildaufnahmen
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Der frühere § 27 Abs 2 LuftVG, der das Fotografieren aus einem Luftfahrzeug außerhalb des Fluglinienverkehrs nur mit behördlicher Erlaubnis gestattete, gilt seit Mitte 1990 nicht mehr.451 Seitdem unterliegen Luftbilder nur noch den speziellen Beschränkungen, die für sicherheitsgefährdende Aufnahmen gem § 109g Abs 2 StGB bestehen, sowie den allgemeinen Beschränkungen, die sich aus dem Persönlichkeitsrecht der Eigentümer und Besitzer der Objekte ergeben, die aus der Luft fotografiert werden.452
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BVerfG ZUM 2001, 220, 226 – Rundfunkübertragung aus dem Gerichtssaal; BGH NJW 1970, 63, 64 – Filmaufnahmen in der Verhandlungspause; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann/Albers § 169 GVG Rn 6; Wenzel/von Strobl-Albeg Rn 7.33; Prinz/ Peters Rn 819; Hoeren/Nielen/Jakublik Rn 485; Wanckel Rn 21. BGH NJW 1998, 1420 – Aufnahmen im Gerichtsflur; Wenzel/von Strobl-Albeg Rn 7.33.
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Gesetz über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung vom 7.12.1956 (BGBl I S 899). Dazu ausführlicher Wanckel Rn 29 ff. Die Regelung wurde durch Art 37 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28.6.1990 (BGBl I S 1221) aufgehoben, was Hoeren/Nielen/Jakubik Rn 488 offenbar entgangen ist. Dazu Rn 268 f.
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§3
Rechte am Aufnahmegegenstand
4. Höchstpersönlicher Lebensbereich § 201a StGB stellt das unbefugte Fotografieren von Personen unter Strafe, die sich in 288 einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden, sofern die Aufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich dieser Personen verletzten. Auch die Weitergabe, der Gebrauch und die Zugänglichmachung solcher Aufnahmen ist strafbar. Damit werden die Absatzwege für unbefugt aufgenommene Personenbilder blockiert, da auch diejenigen strafrechtlich belangt werden können, die solche Fotos als Verleger oder Redakteure ankaufen und an die Öffentlichkeit bringen. 5. Weitere Beschränkungen a) Pornografische Aufnahmen. § 184 Abs 1 Nr 8 StGB verbietet die Herstellung, den 289 Bezug, die Lieferung, das Vorrätighalten und die Einfuhr pornografischer Schriften, soweit sie für die in § 184 Abs 1 Nr 1 bis 7 StGB genannten Zwecke verwendet werden sollen. Abbildungen stehen gem § 11 Abs 3 StGB den pornografischen Schriften gleich, so dass auch Fotografien von der Strafvorschrift des § 184 Abs 1 Nr 8 erfasst werden. Als Pornografie gilt die grobe Darstellung des Sexuellen, die den Menschen in einer den Sexualtrieb aufstachelnden Weise zum bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert und die ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen bleibt bzw minimale gedankliche Inhalte lediglich zum Vorwand für provozierende Sexualität nimmt.453 b) Werbung für Heilmittel und Heilbehandlungen. Für Arzneimittel darf außerhalb 290 der Fachkreise nicht mit der bildlichen Darstellung von Personen in der Berufskleidung oder bei der Ausübung der Tätigkeit von Angehörigen der Heilberufe, des Heilgewerbes oder des Arzneimittelhandels geworben werden (§ 11 Abs 1 S 1 Nr 4 HWG). Dasselbe gilt für die Bewerbung von Verfahren, Behandlungen, Gegenständen und anderen Mitteln, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch oder Tier bezieht (§ 1 Abs 1 Nr 2 HGW). Zu den „Gegenständen“, die von dem Werbeverbot erfasst werden, gehören auch Gegenstände zur Körperpflege (§ 1 Abs 2 S 2 HGW). Mit den „anderen Mitteln“ sind kosmetische Mittel gemeint (§ 1 Abs 2 S 1 HGW). § 11 Abs 1 S 1 Nr 4 HWG soll verhindern, dass durch Abbildungen der Eindruck 291 erzeugt wird, das beworbene Mittel oder Verfahren werde fachlich empfohlen oder angewendet, und dass die Autorität der Heilberufe dazu ausgenutzt wird, direkt oder indirekt die Vorstellung besonderer Wirksamkeit bestimmter Präparate oder Behandlungen zu wecken.454 Mit Rücksicht auf die durch Art 12 Abs 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit ist die Regelung allerdings einschränkend auszulegen und nur bei Werbemaßnahmen anzuwenden, die geeignet sind, das Laienpublikum unsachlich zu beeinflussen und dadurch zumindest eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu bewirken.455 Ein weiteres „Bilderverbot“ enthält § 11 Abs 1 S 1 Nr 5 HWG. Danach darf für 292 medizinische Produkte, Verfahren und Behandlungen außerhalb der Fachkreise nicht mit Bildern geworben werden, die Veränderungen des menschlichen Körpers oder seiner Teile
453 454
OLG Düsseldorf NJW 1974, 1474, 1475 – Pornografie. BGH GRUR 1985, 936 – Sanatorium II; BGH GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum.
455
So BGH GRUR 2007, 809, 810 – Krankenhauswerbung.
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2. Teil
durch Krankheiten, Leiden oder Körperschäden (§ 1 Abs 1 S 1 Nr 5a HWG), die Wirkung der beworbenen Produkte, Verfahren oder Behandlungen durch eine vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach der Anwendung (§ 1 Abs 1 S 1 Nr 5b HWG) oder ihren Wirkungsvorgang am menschlichen Körper oder an seinen Teilen zeigen (§ 1 Abs 1 S 1 Nr 5c HWG).
§4 Vertragsrecht I. Fotoproduktionsverträge 1. Rechtliche Einordnung
293
Wird ein Fotograf mit der Herstellung neuer Bilder beauftragt, geht es nicht oder jedenfalls nicht vorrangig um die Herstellung einer beweglichen Sache, sondern um die schöpferische Gestaltung von Lichtbildwerken, auch wenn sich diese Gestaltungsarbeit letztlich in einem konkreten Werkstück (zB Dia, CD mit Bilddateien) manifestiert. Deshalb ist ein solcher Produktionsauftrag rechtlich als Werkvertrag (§ 631 BGB) und nicht als Werklieferungsvertrag (§ 651 BGB) einzustufen.456 294 Zusammen mit dem Werkvertrag, spätestens aber nach Ablieferung der Werkleistung, wird in der Regel noch ein zweiter Vertrag abgeschlossen, der dem Auftraggeber die Verwertung der Werkleistung ermöglicht. Der zweite Vertrag ist deshalb erforderlich, weil die von dem Fotografen aufgenommenen Bilder entweder als Lichtbildwerke (§ 2 Abs 1 Nr 5 UrhG) oder als einfache Lichtbilder (§ 72 UrhG) geschützt und deshalb für den Auftraggeber nur dann verwertbar sind, wenn er zuvor die entsprechenden Nutzungsrechte erwirbt. Für den Nutzungsvertrag gelten die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB und die urheberrechtlichen Bestimmungen über die Einräumung von Nutzungsrechten (§§ 31 ff UrhG). Ergänzend sind die §§ 398 ff BGB heranzuziehen (arg § 413 BGB).457 295 Die Koppelung von Werkvertrag und Nutzungsvertrag ist eine typische Erscheinung bei fast allen Fotoproduktionen.458 Dabei sind zwei Varianten denkbar. Einmal kann bereits bei der Auftragserteilung festgelegt werden, dass und in welchem Umfang der Auftraggeber die Nutzungsrechte an den bestellten Bildern erwerben soll. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass der Auftrag zunächst auf die Fotoproduktion beschränkt wird und der Auftraggeber erst danach entscheidet, ob er die fertigen Bilder auch nutzen und welche Nutzungsrechte er im einzelnen erwerben will. Bei der ersten Variante muss der Auftraggeber die Gesamtvergütung für die Herstellung und Nutzung auch dann zahlen, wenn ihm die Bilder nach der Fertigstellung nicht gefallen und eine Nutzung deshalb
456
457
OLG Karlsruhe GRUR 1984, 522, 523 – Herrensitze in Schleswig-Holstein; Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 36; Hoeren/ Nielen/Mercelot Rn 364; Schack Rn 846; Maaßen/Maaßen 104; widersprüchlich dagegen Wanckel Rn 316 (Werkvertrag) und Rn 348 (Werklieferungsvertrag). Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG
576
458
Rn 45; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 18. Dreier/Schulze/Schulze (Vor § 31 UrhG Rn 165 ff und Rn 276) bezeichnet diese Koppelung als „Zwei-Stufen-Vertrag“; ebenso OLG Köln GRUR 1986, 889, 891 – ARD-1.
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§4
Vertragsrecht
nicht stattfindet. Die zweite Variante bietet den Vorteil, dass der Auftraggeber zumindest das Nutzungshonorar einsparen kann, wenn die Fotoproduktion nicht seinen Vorstellungen entspricht und er deshalb auf eine Nutzungsrechtsübertragung verzichtet. 2. Vertragsabschluss Die Aufforderung an einen Fotografen, eine Kostenkalkulation für eine Fotoproduk- 296 tion vorzulegen, stellt noch kein Vertragsangebot dar. Anders verhält es sich dagegen in den Fällen, in denen ein Fotograf gebeten wird, Bildideen für einem bestimmten Thema zu entwickeln und dazu einige Probefotos vorzulegen. Da die Entwicklung von Bildideen und die fotografische Umsetzung solcher Ideen normalerweise die kreative Hauptleistung eines Fotografen darstellt, kann niemand erwarten, dass solche Arbeiten kostenlos vor Abschluss eines Vertrages ausgeführt werden.459 Die Aufforderung, Bildideen und Probefotos zu präsentieren, ist daher im Regelfall bereits als Vertragsangebot zu werten. Kommt der Fotograf dieser Aufforderung nach, so liegt darin die Annahme des Angebots. Es wird also ein Werkvertrag abgeschlossen mit der Folge, dass die Entwicklung der Bildideen und die Anfertigung der Probefotos auch dann zu vergüten ist, wenn die Fotoproduktion nicht realisiert wird (§ 632 Abs 1 BGB). Ein Vergütungsanspruch wäre nur dann auszuschließen, wenn solche Vorarbeiten in erster Linie der Darstellung der eigenen Leistungsfähigkeit dienen460 oder wenn damit bezweckt wird, die Grundlage für eine umfassende Zusammenarbeit der Parteien zu schaffen, und sich die anfallenden Kosten über die angestrebte längerfristige Zusammenarbeit amortisieren sollen.461 Aufträge für Fotoproduktionen werden in der Praxis meist mündlich erteilt und 297 anschließend schriftlich bestätigt. Solche Bestätigungen haben ungeachtet der Tatsache, dass die selbstständigen Fotografen regelmäßig keine Kaufleute sind, dieselbe Wirkung wie ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, sofern Absender und Empfänger des Schreibens wie Kaufleute am geschäftlichen Verkehr teilnehmen. Wenn daher ein Fotograf mit einer Werbeagentur einen mündlichen Vertrag abschließt, diesen Vertrag anschließend gegenüber der Agentur schriftlich bestätigt und die Agentur dazu schweigt, wird das Schweigen in der Regel als Zustimmung zu dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zu werten sein.462 3. Vertragspflichten a) Leistungspflichten der Fotografen. aa) Werkleistung. Die Werkleistung, die der 298 Fotograf zu erbringen hat, wird insbesondere bei Fotoproduktionen im Bereich der Werbung durch ein schriftliches oder mündliches Briefing des Auftraggebers festgelegt. Die Briefings sind häufig so formuliert, dass der schöpferischen Phantasie ein breiter Spielraum verbleibt. Diese Gestaltungsfreiheit darf der Fotograf so nutzen, wie er es nach seinem künstlerischen Ermessen für richtig hält.463 Allerdings müssen sich die Aufnahmen 459
460
Vgl OLG Hamburg MDR 1985, 321 f – Künstlerischer Entwurf; OLG Düsseldorf GRUR 1991, 334 f – Firmenlogo; OLG Köln NJW-RR 1994, 1208 – Lambada; OLG Zweibrücken NJW-RR 1995, 1265 – Selbstdarstellungsbroschüre; OLG Frankfurt NJW-RR 1997, 120 f – Gesellschaftsspiel; Palandt/Sprau § 632 BGB Rn 10. OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 931 – Etatpräsentation.
461 462 463
BGH NJW-RR 2005, 19 – Werbekonzept. Maaßen/Maaßen 103; Wanckel Rn 315. BGHZ 19, 382, 384 – Gedächtniskapelle; KG ZUM-RD 1999, 337 – Dokumentarfilm; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 34; Loewenheim/Schulze § 70 Rn 45; Wanckel Rn 317 und Rn 354.
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stets im Rahmen dessen halten, was der Auftraggeber konkret vorgegeben hat. Eigenmächtige Abweichungen von den Briefing-Vorgaben berechtigen den Auftraggeber, die Abnahme der Fotos zu verweigern. Eine Fotoproduktion besteht regelmäßig aus drei Arbeitsphasen. Die erste Phase dient 299 der Vorbereitung der eigentlichen Aufnahmearbeiten. So werden etwa bei Werbeproduktionen geeignete Aufnahmeorte (Locations) gesucht, die weiteren Beteiligten (Fotomodelle, Stylisten, Visagisten) gebucht sowie eventuell benötigte Requisiten und Genehmigungen beschafft. In der zweiten Phase wird fotografiert. Diese Phase bezeichnet man im Werbebereich als Shooting. Als dritte Phase schließt sich die Postproduktion an, sofern die Aufnahmen – wie es inzwischen allgemein üblich ist – digital nachbearbeitet werden. Zur Postproduktion gehört auch die Digitalisierung analoger Aufnahmen, falls zuvor analog fotografiert wurde. Nach Abschluss der Produktion werden dem Auftraggeber die fertigen Bilder übergeben, wobei die Übergabe heute meist in Form von druckfähigen Bilddateien erfolgt.
300
bb) Einräumung der Nutzungsrechte. Zu den Vertragspflichten des Fotografen gehört in der Regel die Einräumung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den Bildern, die der Auftraggeber als vertragsgemäße Werkleistung abnimmt. Davon ausgenommen sind Fotoproduktionen, die ausschließlich für private Zwecke des Auftraggebers bestimmt sind. So ist es zB bei Hochzeitbildern oder privaten Porträtfotos nicht üblich, den Auftraggebern irgendwelche Nutzungsrechte zu überlassen, da solche Aufnahmen meist nur für den eigenen Gebrauch benötigt werden und die Anfertigung von Vervielfältigungsstücken ebenso wie die unentgeltliche Weitergabe der Bilder an Freunde oder Bekannte regelmäßig durch § 53 Abs 1 und § 60 UrhG gedeckt ist.464 Auch dann, wenn die Einräumung von Nutzungsrechten an sich zum vertraglichen Leistungsumfang gehört, ist der Fotograf zu einer Rechtsübertragung nicht verpflichtet, soweit der Auftraggeber die Abnahme der Werkleistung gem § 640 Abs 1 BGB und die Bezahlung der Fotoproduktion verweigert.465 Denn die Verpflichtungen aus dem Nutzungsvertrag bestehen nur unter der aufschiebenden Bedingung, dass der vorgeschaltete Werkvertrag von beiden Parteien vollständig erfüllt wird (§ 158 Abs 1 BGB). Wenn ein Fotograf zur Überlassung von Nutzungsrechten verpflichtet ist, ist anhand 301 der Parteivereinbarungen zu prüfen, welche Rechte der Auftraggeber beanspruchen kann. Gibt es dazu keine klaren Festlegungen oder sind die getroffenen Vereinbarungen nicht nachweisbar, ist auf die Zweckübertragungsregel (§ 31 Abs 5 UrhG) zurückzugreifen. Es muss dann nach dem von beiden Parteien zugrundegelegten Vertragszweck bestimmt werden, auf welche Nutzungsarten sich das Nutzungsrecht erstreckt, ob es als einfaches oder ausschließliches Recht einzuräumen ist und welchen Einschränkungen es unterliegt. Bei der Anwendung der Zweckübertragungsregel ist zu berücksichtigen, dass die ur302 heberrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Fotografen zu verbleiben, damit dieser an der Verwertung seiner Bilder in angemessener Weise beteiligt wird.466 Es gilt deshalb der Grundsatz, dass im Allgemeinen nur diejenigen Nutzungsrechte stillschweigend eingeräumt werden, die für das Erreichen des Vertragszwecks unerlässlich sind, und dass die Einräumung von Nutzungsrechten über den vom Vertragszweck geforderten Umfang hinaus nur angenommen werden kann, wenn sich den
464 465
So auch Schack Rn 846, 847. Dazu OLG Hamburg ZUM-RD 2006, 16, 24 – Musikvideo.
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466
BGH GRUR 1996, 121, 122 – Pauschale Rechtseinräumung.
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§4
Vertragsrecht
Begleitumständen oder dem schlüssigen Verhalten der Beteiligten ein entsprechender Parteiwille unzweideutig entnehmen lässt.467 Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die in Anspruch genommenen Nutzungsrechte dem Vertragszweck entsprechen, trägt der Verwerter.468 Dabei ist als Vertragszweck nur zu berücksichtigen, was sich als gemeinsam verfolgter Zweck zweifelsfrei feststellen lässt.469 Bei der Prüfung der Frage, welche Nutzungsrechte der Vertragszweck erfordert, sind 303 alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. So wird bei der Bereitstellung von Bildern für eine Fremdenverkehrsbroschüre zu beachten sein, dass die mit der Broschüre bezweckte Werbung ein Daueranliegen ist und der Verwerter deshalb die Einräumung der zeitlich und quantitativ unbegrenzten Nachdruckrechte erwartet.470 Auch aus der Höhe der gezahlten Vergütung können sich Anhaltspunkte dafür ergeben, welche Nutzungsrechte damit abgegolten werden sollen.471 Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass bei Auftragsproduktionen generell von 304 einer umfassenden Einräumung der Nutzungsrechte auszugehen ist.472 Zur Begründung heißt es, dass man einem Auftraggeber, der bei solchen Produktionen sämtliche Kosten übernimmt und somit das wirtschaftliche Risiko trägt, als Äquivalent eine weitgehende Dispositionsfreiheit bei der Verwertung der Bilder zugestehen müsse. Es ist jedoch nicht erkennbar, wieso sich aus der Finanzierung der Produktionskosten durch den Auftraggeber die Notwendigkeit ergeben soll, ihm sämtliche Nutzungsrechte ohne Rücksicht auf die konkret beabsichtigte Verwendung der Bilder zu überlassen.473 Zwar mag die Übernahme der Kosten ein Indiz dafür sein, dass der Auftraggeber an einer exklusiven Auswertung der Produktionsergebnisse interessiert ist und deshalb die Überlassung von ausschließlichen Nutzungsrechten erwartet. Dass diese Rechtseinräumung aber zugleich ohne jede inhaltliche, zeitliche und räumliche Beschränkung zu erfolgen hat, auch wenn die Bilder nur für einen bestimmten Verwendungszweck produziert werden, dürfte mit der Zweckübertragungsregel kaum zu vereinbaren sein. Insoweit ist auch zu bedenken, dass die Vergütung, die der Fotograf bei einer Auftragsproduktion für die Einräumung der Nutzungsrechte erhält, in der Praxis nach der jeweils beabsichtigten Verwendung der Fotos bemessen wird. Deshalb kann der Auftraggeber einer Fotoproduktion nicht erwarten, dass ihm sämtliche Nutzungsrechte überlassen werden, obwohl er den Fotografen nur für die Nutzungen bezahlt, die bei der Auftragserteilung konkret geplant sind. Eine solche Vertragsauslegung würde dem Prinzip der angemessenen Vergütung (§ 11 S 2 UrhG) zuwiderlaufen.
467
468 469
470
BGH GRUR 2000, 144, 145 – Comic-Übersetzungen II; BGH GRUR 2004, 938 f – Comic-Übersetzungen III; BGH GRUR 2002, 248, 251 – SPIEGEL-CD-ROM; OLG Hamburg GRUR 2000, 45, 46 – CD-Cover; KG GRUR 2002, 252, 254 f – Mantellieferung. KG GRUR 2002, 252, 255 – Mantellieferung; Wanckel Rn 328. So OLG Hamburg GRUR 2000, 45, 46 – CD-Cover; Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 41. BGH GRUR 1988, 300, 301 – Fremdenverkehrsbroschüre; vgl auch OLG Thüringen ZUM 2003, 55, 58 – Rudolstädter Vogelschießen.
471
472
473
So BGH GRUR 1986, 885, 886 – METAXA; Dreier/Schulze/Dreier Vor § 31 UrhG Rn 184. OLG Karlsruhe GRUR 1984, 522, 523 – Herrensitze in Schleswig-Holstein; ebenso OLG Hamburg Urteil vom 30.8.1990 (3 U 50/90) – Auftragsproduktion; Dreier/ Schulze/Dreier § 31 UrhG Rn 139. So auch OLG Hamburg ZUM-RD 1999, 80, 85 – Deklaratorisches Anerkenntnis; OLG Hamburg GRUR 2000, 45, 47 f – CDCover; ebenso Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 38.
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305
Bei der Anwendung der Zweckübertragungsregel ist zwar auch die Branchenübung zu berücksichtigen.474 Gerade im Bereich der Fotografie sind aber die als branchenüblich akzeptierten Verhaltensweisen sorgfältig von den gerade in dieser Branche verbreiteten Unsitten zu unterscheiden.475 So gibt es zwar immer wieder Versuche der Auftraggeber, von den Fotografen sämtliche Nutzungsrechte ohne jede inhaltliche, zeitliche oder räumliche Beschränkung gegen Zahlung eines geringen Pauschalhonorars zu erhalten, doch entspricht eine solche unbeschränkte Rechtseinräumung keineswegs einer allgemeinen Branchenübung. Abgesehen davon wäre eine solche Branchenübung selbst dann, wenn sie existieren sollte, bei der Anwendung der Zweckübertragungsregel nur zu berücksichtigen, wenn der betroffene Fotograf diese Übung gekannt und sich ihr erkennbar unterworfen hat.476 Erwirbt ein Auftraggeber – was der Regelfall sein dürfte – an der Werkleistung nur 306 beschränkte Nutzungsrechte, kann der Fotograf nach Treu und Glauben verpflichtet sein, ihm bei Bedarf eventuell weitere Rechte gegen Zahlung einer Zusatzvergütung einzuräumen und einer entsprechenden Vertragsanpassung zuzustimmen.477 Voraussetzung ist allerdings, dass die Nutzungsvereinbarung eine Lücke enthält, wie sie bspw dann entsteht, wenn sich neue technische Möglichkeiten der Werknutzung ergeben, die beiden Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht bekannt waren. Der Auftraggeber kann in solchen Fällen nach dem Rechtsgedanken, der auch § 34 Abs 1 S 2 UrhG zugrunde liegt, die Zustimmung des Fotografen zu der erweiterten Nutzung einfordern, sofern er bereit ist, dafür eine weitere angemessene Vergütung zu zahlen. Zur Anwendung der Zweckübertragungsregel bei Fotoproduktionsverträgen gibt es 307 inzwischen eine umfangreiche Kasuistik. So wurde entschieden, dass sich die exklusiven Abdruckrechte an einer Fotoserie, die dem Auftraggeber für eine deutschsprachige Illustrierte eingeräumt werden, auch auf das zum Kernverbreitungsgebiet der Zeitschrift gehörende deutschsprachige Ausland (Österreich, Schweiz) erstrecken.478 Werbefotos, die ein Lampenfabrikant und -großhändler für seine Kataloge bestellt, dürfen nicht an die Einzelhändler für deren Werbezwecke weitergegeben werden, auch wenn die Weitergabe der Absatzförderung der Lampen dient.479 Dagegen soll eine Fotomontage, die zunächst nur zu Präsentationszwecken für den Dummy eines Verkaufskartons angefertigt wurde, auch für die spätere Produktion des Verkaufskartons verwendet werden dürfen, falls die Präsentation für den Auftraggeber erfolgreich verläuft.480 Generell dürfen Fotografien, die auf dem Titel einer Zeitschrift oder eines Buches 308 erscheinen, auch für Veröffentlichungen verwendet werden, die mit dem Titelbild für die betreffende Zeitschrift oder das Buch werben.481 Eine Aufnahme, mit der für einen Kino474
475
476 477
BGH GRUR 1986, 885, 886 – METAXA; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 184. Vgl LG München I ZUM 1995, 57, 58 – Venus der Lumpen; Dreier/Schulze/Schulze § 31 UrhG Rn 125. BGH GRUR 2004, 938, 939 – Comic-Übersetzungen III; Wanckel Rn 329. OLG Hamburg GRUR 2000, 45, 48 – CDCover; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 46 und § 31 UrhG Rn 139; Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 39; vgl aber BGH GRUR 2002, 248, 252 – SPIEGEL-CD-ROM: keine Verpflichtung,
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478 479 480 481
einer bereits erfolgten rechtswidrigen Nutzung nachträglich zuzustimmen. OLG Hamburg NJW-RR 1986, 996 f – Deutschsprachige Illustrierte. OLG Köln Urteil vom 13.10.2004 (6 U 104/04) – Lampenkatalog. So BGH GRUR 1986, 885 – METAXA; krit dazu Wanckel Rn 330. LG Hamburg Urteil vom 28.3.1995 (308 O 351/93) – Titelfotos; vgl auch OLG Celle AfP 1998, 224, 225 – Cebit; dazu, dass solche Veröffentlichungen auch durch das Werbehinweisrecht gedeckt sind, vgl Rn 190 f.
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§4
Vertragsrecht
film geworben wird, ist auch als Coverbild auf den Videokassetten dieses Films verwendbar, ohne dass es dazu besonderer Absprachen bedarf.482 Dagegen ist ein Verleger nicht berechtigt, die für einen Ausstellungskatalog bestellten Bilder auch für eine Buchausgabe zu verwenden.483 Eine Reihe von Entscheidungen befasst sich mit der Frage, ob Fotos, die in einem her- 309 kömmlichen Medium erschienen sind, auch für die neuen Medien (zB Internet) verwendet werden dürfen. Die Rechtsprechung verfährt dabei grds restriktiv. So dürfen Fotos, die ein Fotograf in den Jahren 1989 bis 1993 für die Printausgabe einer Zeitschrift angefertigt hat, nicht für eine später erscheinende CD-ROM-Ausgabe der Jahrgangsbände dieser Zeitschrift verwendet werden.484 Hat ein Verlag von einem Pressefotografen das Recht erworben, seine Fotos in der gedruckten Ausgabe einer Tageszeitung zu veröffentlichen, umfasst diese Rechtseinräumung nicht auch das Recht zur Nutzung der Fotos in der Online-Ausgabe oder in einem Internet-Archiv derselben Zeitung.485 Werden dem Auftraggeber die Bildnutzungsrechte nicht allgemein „für Werbung“, sondern „für Katalog und Folder“ überlassen, ist er nicht berechtigt, die Bilder auch für die Werbung im Internet zu verwenden.486 Dagegen darf ein Foto, das ein Musikproduzent im Jahre 1982 für das Cover einer Langspielplatte erworben hat, gegen Zahlung einer angemessenen Zusatzvergütung auch für das Cover einer später erscheinenden CD-Ausgabe verwendet werden.487 Gibt es keine klare Vereinbarung dazu, ob die Bildnutzungsrechte als einfache oder 310 ausschließliche Rechte einzuräumen sind, wird man berücksichtigen müssen, dass der Auftraggeber im Hinblick auf die von ihm aufgewendeten Produktionskosten ein erkennbares Interesse an einer exklusiven Nutzung der Werkleistung für die vereinbarten Zwecke hat. Deshalb ist bei einer Auftragsproduktion in der Regel von einer Überlassung der ausschließlichen Nutzungsrechte auszugehen, wobei sich die Exklusivität allerdings nur auf den jeweiligen Verwendungszweck bezieht. So erwirbt zB ein Verlag, dem Fotografien für eine Buchveröffentlichung überlassen werden, zwar das exklusive Recht für eine Nutzung in Buchform, doch bleibt der Fotograf berechtigt, die Bilder für andere Zwecke zu verwenden oder entsprechende Nutzungsrechte an Dritte zu vergeben.488 Teilweise wird allerdings die Auffassung vertreten, dass der Auftraggeber an den für ihn produzierten Fotos jedenfalls dann, wenn er für die geplante Verwertung keine weitergehenden Berechtigungen benötigt, im Zweifel nur die einfachen Nutzungsrechte (§ 31 Abs 2 UrhG) erwirbt.489 Werden Nutzungsrechte an Fotografien zeitlich befristet eingeräumt und die Bilder 311 bspw für einen Werbekatalog verwendet, ist die Verbreitung des Katalogs nach Ablauf der vereinbarten Frist einzustellen, selbst wenn er weiterhin aktuell ist.490 Stellt der Auftraggeber seinen Geschäftsbetrieb ein und ist es ihm verwehrt, die Nutzungsrechte auf Dritte zu übertragen, fallen diese Rechte mit der Beendigung des Geschäftsbetriebs an den Fotografen zurück.491 482 483 484 485 486 487
OLG München ZUM 1995, 798 – Das Boot. LG München I ZUM 1995, 725 – Buchausgabe. BGH 2002, 248 – SPIEGEL-CD-ROM. KG GRUR 2002, 252 – Mantellieferung. OGH GRUR Int 2001, 186 – Für Katalog und Folder. OLG Hamburg GRUR 2000, 45 – CDCover.
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489
490 491
Vgl LG Köln ZUM-RD 2002, 307, 309 f – Erotic Acts I; LG Hamburg ZUM-RD 2002, 451, 452 – Erotic Acts II. So OLG Düsseldorf GRUR 1988, 541 – Warenkatalogfotos; so auch Loewenheim/ A Nordemann § 73 Rn 39. LG München I ZUM-RD 2007, 208, 211 f – Befristete Fotolizenz. OLG Hamburg ZUM-RD 1999, 80, 84 – Deklaratorisches Anerkenntnis.
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2. Teil
cc) Eigentumsübertragung. Die Frage, ob zu den Leistungspflichten des Fotografen auch die Übertragung des Eigentums an den Ergebnissen der Fotoproduktion gehört, stellt sich in der Regel nur dann, wenn analog fotografiert wird. Soweit es zur Eigentumsverschaffung keine klaren Vereinbarungen gibt, ist die Zweckübertragungsregel anzuwenden.492 Danach besteht eine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung nur dann, wenn die Verschaffung des Eigentums an den analogen Bildträgern (Negativen, Diapositiven, Fotoabzügen) zur Erreichung des Vertragszwecks zwingend erforderlich ist. Das wird aber bei der Abwicklung einer Fotoproduktion nur selten der Fall sein, da die Verwertung der Bilder üblicherweise im Wege der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe erfolgt. Eine solche Verwertung erfordert lediglich die Übertragung entsprechender Nutzungsrechte. Deshalb hat der Auftraggeber einer Fotoproduktion keinen Anspruch darauf, dass ihm die Eigentumsrechte an den Bildträgern übertragen werden, sofern nicht ausnahmsweise auch die Überlassung dieser Rechte vertraglich vereinbart wurde.493
313
dd) Nebenleistungen. Die Abwicklung einer Fotoproduktion erfordert außer der Anfertigung der Fotografien und der Übertragung der Nutzungsrechte häufig weitere Leistungen. So müssen beispielweise bei Werbeaufnahmen geeignete Aufnahmeorte gesucht, die Fotomodelle nebst Visagisten und Stylisten gebucht sowie alle notwendigen Requisiten beschafft werden. In der Regel erwarten die Auftraggeber, dass der Fotograf diese Aufgaben erledigt. Lässt sich der Fotograf darauf ein, können zu seinen Hauptleistungspflichten noch etliche Nebenverpflichtungen hinzukommen. Zugleich erhöht sich damit sein Haftungsrisiko, weil er sich nicht nur um den Abschluss der Verträge mit den Fotomodellen und den anderen Subunternehmern kümmern muss, sondern eventuell auch für mangelhafte Leistungen der von ihm engagierten Mitwirkenden einzustehen und deren Rechnungen selbst dann zu begleichen hat, wenn sein eigener Auftraggeber die Bezahlung verweigert oder zahlungsunfähig wird. Die komplette organisatorische Vorbereitung eines Shootings durch den Fotografen 314 und insbesondere die Übernahme der Verträge, die mit den weiteren Beteiligten abzuschließen sind, mag aus der Sicht des Auftraggebers vorteilhaft erscheinen, doch sind auch die Nachteile einer solchen Produktionsabwicklung zu bedenken. So kann die Beauftragung von Mitwirkenden, die künstlerische oder publizistische Leistungen erbringen, eine doppelte Belastung mit der Künstlersozialabgabe zur Folge haben. Die Doppelbelastung entsteht dadurch, dass zunächst für die Entgelte, die der Fotograf als Vertragspartner der mitwirkenden Künstler und Publizisten zu zahlen hat, eine Abgabe zu entrichten ist. Diese Kosten fließen dann in die Rechnung des Fotografen ein, die der Auftraggeber erhält und die ihrerseits in vollem Umfang – also einschließlich der darin enthalten Kosten der Subunternehmer – der Künstlersozialabgabe unterliegt, da auch die Fotografen zu den Künstlern gehören und die von ihnen berechneten Honorare und Kosten abgabepflichtig sind. Will der Auftraggeber eine solche Doppelbelastung vermeiden, muss er entweder die Verträge mit den künstlerischen oder publizistischen Mitwirkenden selbst abschließen oder dem Fotografen die Vollmacht erteilen, bei den Vertragsabschlüssen in seinem Namen zu handeln.
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b) Abnahme- und Vergütungspflicht der Auftraggeber. aa) Abnahmepflicht. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die vertragsmäßig ausgeführte Fotoproduktion abzunehmen (§ 640 Abs 1 BGB). Stellt er bei der Abnahme sichtbare Mängel fest oder weiß er, dass 492
BGH GRUR 2007, 693, 695 (Abs 31) – Archivfotos.
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Dazu auch Rn 177 ff.
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Vertragsrecht
versteckte Mängel vorhanden sind, muss er sich seine Rechte wegen dieser Mängel ausdrücklich vorbehalten. Geschieht das nicht, verliert er die in § 634 Nr 1 bis 3 BGB bezeichneten Gewährleistungsrechte (§ 640 Abs 2 BGB). Im Bereich der Werbefotografie kommt es sehr häufig zu einer vorbehaltlosen Ab- 316 nahme, weil die Produktionsaufträge in vielen Fällen nicht direkt zwischen dem Auftraggeber und dem Fotografen, sondern über eine zwischengeschaltete Werbeagentur abgewickelt werden. Da die Agentur regelmäßig auch für die Abnahme der Bilder zuständig ist, kann es passieren, dass die Agentur die Werkleistung des Fotografen als vertragsgemäß abnimmt und der Auftraggeber, dem die Bilder anschließend vorgelegt werden, die Produktionsergebnisse als mangelhaft beanstandet, weil sie nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Da wesentliche Sachmängel gerade bei fotografischen Arbeiten in der Regel sofort sichtbar sind, muss sich der Auftraggeber in solchen Fällen entgegenhalten lassen, dass die in seinem Namen handelnde Werbeagentur die Aufnahmen in Kenntnis der Punkte, die er beanstandet, vorbehaltlos abgenommen hat und die Geltendmachung von Mängelrügen somit nicht mehr möglich ist. bb) Vergütung der Werkleistung. Mit der Abnahme der Fotoproduktion wird die 317 Vergütung fällig, die der Auftraggeber bei Abschluss des Werkvertrages mit dem Fotografen vereinbart hat (§ 641 Abs 1 BGB). Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, besteht für den Auftraggeber dennoch eine Zahlungspflicht, da niemand von einem Berufsfotografen kostenlose Leistungen erwarten kann und eine Vergütung deshalb als stillschweigend vereinbart gilt (§ 632 Abs 1 BGB).494 Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, hat der Fotograf Anspruch auf die übliche Vergütung (§ 632 Abs 2 BGB). Welche Vergütung für eine Fotoproduktion üblich ist, muss im Streitfall durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden. Eine Heranziehung der MFM-Bildhonorarliste 495 kommt nicht in Frage, da sich diese Liste in erster Linie mit den üblichen Lizenzhonoraren für bereits produzierte Fotos befasst und insbesondere für den Bereich der Werbefotografie ausdrücklich keine Richtlinien zur Honorierung von Auftragsarbeiten enthält.496 Kündigt der Auftraggeber den Produktionsvertrag, bevor der Fotograf mit den Auf- 318 nahmearbeiten begonnen hat, oder fordert er den Fotografen auf, die bereits begonnen Arbeiten abzubrechen, ist dennoch die vereinbarte Vergütung zu zahlen, sofern keine besonderen Gründe vorliegen, die den Auftraggeber zu einer vorzeitigen Vertragsauflösung berechtigen (§ 649 S 2 BGB). Allerdings muss sich der Fotograf ersparte Kosten und einen eventuellen Ersatzverdienst anrechnen lassen.497 Da sich viele Auftraggeber die Möglichkeit offen halten wollen, den Produktionsvertrag jederzeit gem § 649 S 1 BGB kündigen zu können, zugleich aber die finanziellen Folgen vermeiden möchten, die § 649 S 2 BGB für diesen Fall vorsieht, wird häufig versucht, die Vergütungsansprüche des Fotografen bei einer vorzeitigen Vertragsauflösung auf die bereits erbrachten Leistungen zu beschränken. Solche Beschränkung bleiben jedoch unwirksam, wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgen, weil sie die Fotografen entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen und deshalb gegen § 307 Abs 1 S 1, Abs 2 Nr 1 BGB verstoßen.498 cc) Vergütung der Nutzungsrechte. Die Nutzungsrechte, die der Fotograf dem Auf- 319 traggeber einräumt, haben einen eigenen wirtschaftlichen Wert. Diesen Wert erhält der 494 495 496
So auch Dreier/Schulze/Dreier Vor § 31 UrhG Rn 53. Dazu Rn 145. Vgl Maaßen Calculator 76.
497 498
Dazu Maaßen/Maaßen 107 f; Wanckel Rn 343. BGH NJW 2007, 3423, 3424 – Vergütungsklausel.
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Auftraggeber zusätzlich zu der Werkleistung, so dass dafür auch eine gesonderte Vergütung zu zahlen ist.499 Der Vergütungsanspruch ergibt sich entweder aus den vertraglichen Vereinbarungen oder – falls es solche Vereinbarung nicht gibt – unmittelbar aus § 32 Abs 1 S 2 UrhG. In beiden Fällen muss die Vergütung angemessen sein. Die Vergütungen für die Werkleistung und die Einräumung der Nutzungsrechte werden häufig in einem Betrag zusammengefasst. So decken bspw die für eine Fotoproduktion berechneten Tagessätze bei manchen Fotografen sowohl die Produktionsarbeiten als auch die Überlassung der jeweils benötigten Nutzungsrechte ab. Andere Fotografen weisen dagegen den Werklohn für die Anfertigung der Bilder und die Vergütung für die Nutzungsrechte in ihren Rechnungen getrennt aus. Die Trennung der Nutzungsvergütung vom Werklohn hat zum einen den Vorteil, dass damit die Überprüfung der Angemessenheit der Vergütung, die der Fotograf für die Nutzungsrechte erhält, erleichtert wird. Zum anderen kann eine solche Trennung in den Fällen, in denen die Fotoproduktion mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von derzeit 7 % abgerechnet wird, auch aus steuerlichen Gründen vorteilhaft sein, weil das Mehrwertsteuerprivileg nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn die Überlassung von Nutzungsrechten wesentlicher Teil der geschuldeten Leistung ist (§ 12 Abs 2 Nr 7c UStG).500 Der Nachweis, dass diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist bei einem getrennten Ausweis der Nutzungsvergütung in der Rechnung leichter zu führen als bei einer Verschmelzung mit dem Werklohn. Wird bei der Abrechnung einer Fotoproduktion für die Einräumung der Nutzungsrechte keine gesonderte Vergütung ausgewiesen, ist im Zweifel davon auszugehen, dass mit dem Produktionshonorar außer der Werkleistung auch die Nutzungsrechte abgegolten werden sollen. Um in einem solchen Fall feststellen zu können, ob die Nutzungsvergütung auch angemessen iSd § 32 Abs 1 UrhG ist, muss im Wege der Schätzung ermittelt werden, welcher Anteil des Produktionshonorars auf die Einräumung der Nutzungsrechte entfällt. Dieser Anteil dürfte bei Fotoproduktionen regelmäßig mit 45 % anzusetzen sein.501 Ob die von dem Auftraggeber gezahlte Nutzungsvergütung angemessen ist, ist gem § 32 Abs 2 UrhG zu klären. Maßgebender Vergleichsmaßstab ist dabei in erster Linie die nach einer gemeinsamen Vergütungsregel ermittelte Vergütung (§ 32 Abs 2 S 1 UrhG). Da es allerdings im Bereich der Fotografie zur Zeit noch keine gemeinsamen Vergütungsregeln gibt, ist jeweils individuell zu klären, ob die an den Fotografen gezahlte Vergütung dem entspricht, was im redlichen Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände üblicherweise zu leisten ist (§ 32 Abs 2 S 2 UrhG). Welche Nutzungsvergütungen in diesem Sinne verkehrsüblich sind, lässt sich bei Fotografien prinzipiell anhand der MFM-Bildhonorarliste ermitteln.502 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Liste auf normale, durchschnittliche Bildqualitäten abgestimmt ist und deshalb nur begrenzt darüber Aufschluss geben kann, welche Nutzungsvergütungen bei Fotografen üblich sind, deren Arbeiten qualitativ über dem allgemeinen Durchschnittsniveau liegen.503 Außerdem ist zu bedenken, dass es sich bei der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) um eine Interessenvertretung der Bildagenturen handelt, so dass auch aus diesem Grunde stets sachkundig zu prüfen ist, ob die nach
499 500
Dreier/Schulze/Dreier Vor § 31 UrhG Rn 33 und Rn 53. Dazu ausf Maaßen/Emmerling 260 ff.
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Maaßen Calculator 147. Dazu bereits Rn 145. Maaßen/Maaßen 198.
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dem MFM-Liste ermittelten Honorare tatsächlich dem entsprechen, was im konkreten Einzelfall verkehrsüblich ist.504 4. Haftung bei Pflichtverletzungen a) Sach- und Rechtsmängel. Der Fotograf, der mit einer Fotoproduktion beauftragt 324 wird, hat das geschuldete Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln abzuliefern (§ 633 Abs 1 BGB). Sind die Aufnahmen mangelhaft, kann der Auftraggeber die in § 634 BGB aufgeführten Gewährleistungsrechte geltend machen. aa) Sachmängel. Fotografien sind frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte 325 Beschaffenheit haben (§ 633 Abs 2 S 1 BGB). Wurde zur Beschaffenheit nichts vereinbart, ist darauf abzustellen, ob sich die Fotos für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Nutzung eignen (§ 633 Abs 2 S 2 BGB). Die Frage, ob eine Fotoproduktion diesen Anforderungen genügt, ist einfach zu beantworten, wenn bspw sämtliche Bilder falsch belichtet sind. Eine solche Arbeit ist eindeutig mangelhaft. Schwieriger wird es dagegen, wenn der Fotograf eine ungewöhnliche Belichtung bewusst wählt, um damit einen bestimmten künstlerischen Effekt zu erzielen, und wenn diese Art der Belichtung dem Auftraggeber nicht gefällt. Hier zeigt sich, dass das Werk eines Fotografen immer auch das Produkt eines künstlerischen Prozesses ist, der sich bei der Auftragserteilung nur selten bis ins Detail festlegen lässt. Grds genießt ein Fotograf bei der Abwicklung einer Auftragsproduktion eine Gestal- 326 tungsfreiheit, die seiner künstlerischen Eigenart entspricht und die es ihm erlaubt, das Werk nach seinen individuellen schöpferischen Vorstellungen zu gestalten.505 Die bestellten Fotografien müssen daher zwar die Beschaffenheit aufweisen, die bei der Auftragserteilung vereinbart oder vertraglich vorausgesetzt wurde. Es ist aber nicht unbedingt erforderlich, dass sie dem Auftraggeber auch gefallen und seinem Geschmack entsprechen.506 Wer einen Fotografen beauftragt, geht damit immer das Risiko ein, dass dieser seine künstlerische Gestaltungsfreiheit in einer Art und Weise nutzt, die den Vorstellungen des Auftraggebers zuwiderläuft. Dieses Risiko lässt sich nur dadurch vermeiden, dass sich der Auftraggeber vor Vertragsabschluss mit der künstlerischen Eigenart des Fotografen vertraut macht. Wenn er dies versäumt, muss er in Kauf nehmen, dass ihm das Werk nach der Fertigstellung möglicherweise nicht gefällt. Bei Werbeproduktionen besteht allerdings die Besonderheit, dass die konkrete Gestal- 327 tung der Motive zum Zeitpunkt der Auftragserteilung häufig noch nicht in allen Einzelheiten feststeht. Der Auftraggeber und die von ihm eingeschaltete Werbeagentur müssen in solchen Fällen die Möglichkeit haben, ihre Vorstellungen noch während des Shootings zu konkretisieren und dem Fotografen entsprechende Anweisungen zu erteilen. Solche Anweisungen sind von dem Fotografen zu beachten, soweit sie sich im Rahmen der ursprünglichen Auftragserteilung bewegen und von ihm keine Gestaltung verlangt wird, die sein fachliches Ansehen beeinträchtigen könnte.507
504 505
So BGH GRUR 2006, 136, 138 – Pressefotos; vgl auch Maaßen Calculator 78. BGHZ 19, 382, 384 – Gedächtniskapelle; KG ZUM-RD 1999, 337 – Dokumentarfilm; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 34; Loewenheim/Schulze § 70 Rn 45; Wanckel Rn 317 und Rn 354.
506 507
So OLG Köln MDR 1981, 757 – Musikalischer Geschmack. OLG Düsseldorf Urteil vom 11.4.2000 (23 U 137/99) – Londoner Anzeigenmotiv.
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bb) Rechtsmängel. Anders als bei den Sachmängeln geht es bei den Rechtsmängeln nicht um die optische oder funktionelle Beschaffenheit der Fotografien, sondern um die Frage, ob der Auftraggeber die Bilder auch ungehindert nutzen kann. Fotos sind frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf diese Arbeiten keine oder nur die in dem Werkvertrag übernommenen Rechte gegen den Auftraggeber geltend machen können. Besteht für Dritte (zB Fotomodelle, Urheber von abgebildeten Werken) die Möglichkeit, die vereinbarte bzw vertraglich vorausgesetzte Nutzung der Fotos unter Berufung auf Urheberrechte, Eigentumsrechte oder das Recht am eigenen Bild zu unterbinden, zu behindern oder einzuschränken, dann ist die Leistung des Fotografen mangelhaft.
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b) Verletzung der Treuepflicht. Zu den vertraglichen Pflichten, die bei der Abwicklung einer Fotoproduktion zu beachten sind und deren Verletzung die in §§ 280 ff BGB geregelten Rechtsfolgen auslösen kann, gehört die Treuepflicht. Sie verpflichtet den Fotografen, alles zu unterlassen, was die vertragsgemäße Auswertung der von ihm anfertigten Fotografien durch den Auftraggeber erheblich beeinträchtigen könnte.508 Das bedeutet allerdings nicht, dass die Motive oder Objekte, die der Fotograf für einen bestimmten Auftraggeber aufgenommen hat, für weitere Aufnahmen gesperrt sind. Da die urheberrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Fotografen zu verbleiben, sind die aus der Treuepflicht erwachsenden Beschränkungen eng auszulegen. Deshalb darf zwar ein Fotograf die Fotos, die er für einen Auftraggeber aufgenommen hat, nicht genauso oder mit lediglich geringfügigen Änderungen nochmals aufnehmen und Dritten zur Nutzung überlassen, sofern dadurch die Verwertungsinteressen seines Auftraggebers beeinträchtigt werden. Er ist ihm jedoch nicht verwehrt, dieselben Motive und Objekte nochmals zu fotografieren, wenn die neuen Aufnahmen in freier Benutzung (§ 24 UrhG) der früheren Bildern geschaffen werden, denn eine freie Benutzung ist auch Dritten ohne weiteres erlaubt.509 5. Vertragsmuster
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Fotoproduktionsverträge werden in der Praxis meist mündlich abgeschlossen. Zu schriftlichen Vertragsabschlüssen kommt es allenfalls dann, wenn ein langfristiges Projekt geplant ist oder zwischen den Parteien eine fortlaufende Zusammenarbeit stattfindet. Verschiedene Muster solcher Verträge sind in dem Vertragshandbuch des Berufsverbandes Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF) zu finden.510 Musterverträge für Bildjournalisten sind auch von der Webseite des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) abrufbar.511 Bei mündlich erteilten Aufträgen erfolgt häufig eine schriftliche Bestätigung der ge331 troffenen Vereinbarungen. In solchen Bestätigungsschreiben wird in der Regel auf die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Absenders verwiesen. Die Fotografen verwenden üblicherweise die vom BFF, der Fotografenvereinigung FreeLens oder dem DJV empfohlenen Geschäftsbedingungen.512 Die Verwerter, insbesondere die Werbe-
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509 510
Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 42 und Rn 46; Loewenheim/Schulze § 70 Rn 146. So auch Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 43. Vgl Maaßen Verträge 63 ff (Buchprojekt), 68 ff (Zeitschriftenbeitrag), 75 ff (Fotodokumentation eines Bauwerks), 82 ff und
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89 ff (Rahmenverträge über ständige Zusammenarbeit). www.djv.de/Vertraege.548.0.html. Die AGB des BFF sind abgedruckt bei Maaßen Verträge 48 ff. Die AGB von FreeLens sind abrufbar unter www.freelens.de/ agb/index.html und die des DJV unter www.djv.de/AGB.998.0.html.
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agenturen und die großen Zeitschriftenverlage, haben teilweise eigene Geschäftsbedingungen für Fotoproduktionen entwickelt.
II. Lizenzverträge Werden die für eine bestimmte Nutzung benötigten Bilder nicht extra für den Verwer- 332 ter produziert, sondern aus einem bereits vorhandenen Bestand ausgewählt, beschränkt sich die Vertragsbeziehung auf die Einräumung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an dem Bildmaterial. Die Rechtseinräumung erfolgt durch einen Lizenzvertrag, der den Verwerter in die Lage versetzt, die ausgewählten Bilder für die vereinbarten Zwecke zu nutzen. Solche Lizenzverträge werden vor allem mit Bildagenturen, aber auch mit Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlagen abgeschlossen. 1. Verträge mit Bildagenturen Bei der Lizenzierung von Bildern durch Bildagenturen sind zwei Vertragsbeziehungen 333 zu unterscheiden.513 Zunächst müssen die Agenturen bei den Fotografen die Nutzungsrechte erwerben, die sie an die Verwerter weitergeben wollen. Danach müssen sie dann mit den Verwertern regeln, für welche Zwecke und in welchem Umfang das Bildmaterial genutzt werden darf. Es werden also zwei eigenständige Lizenzverträge abgeschlossen. An dem ersten Vertrag sind die Fotografen als Lizenzgeber und die Bildagenturen als Lizenznehmer beteiligt, während bei dem zweiten Vertrag die Agenturen die Lizenzgeber und die Verwerter die Lizenznehmer sind. a) Verträge zwischen Agenturen und Fotografen. Bei dem Vertrag, der zwischen der 334 Bildagentur und dem Fotografen abgeschlossen wird, handelt es sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag in der Form eines Dienstvertrages (§§ 675, 611 BGB).514 Der Vertrag verpflichtet die Agentur zur treuhänderischen Wahrnehmung der Bildrechte, die ihr der Fotograf zur Vermarktung überlässt. Die Agentur erwirbt an dem Bildmaterial normalerweise die ausschließlichen Nut- 335 zungsrechte mit der Maßgabe, dass sie zur Einräumung weiterer Nutzungsrechte (§ 35 UrhG) berechtigt ist.515 Die Erlöse, die durch die Lizenzierung der Bilder erzielt werden und über die regelmäßig eine Abrechnung zu erteilen ist, werden nach dem vereinbarten Schlüssel (meist 50 : 50) zwischen der Agentur und dem Fotografen aufgeteilt. Verschiedene Vertragsmuster werden im Handbuch des BFF 516 und im Münchener 336 Vertragshandbuch 517 vorgestellt. Sie zeigen, welche Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen der Agentur und dem Fotografen zu regeln sind. b) Verträge zwischen Agenturen und Verwertern. aa) Bildlizenz für begrenzte Nut- 337 zungen. Anders als die Rechtsbeziehung zwischen der Bildagentur und dem Fotografen, die langfristig angelegt ist und deshalb regelmäßig in einem schriftlichen Vertrag fixiert wird, geht es im Verhältnis zwischen der Agentur und den Verwertern um die häufig sehr kurzfristige Lizenzierung einzelner Bildnutzungen. Da die Anforderung des Bildmaterials
513
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Dazu auch Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 4 ff; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 277 ff. Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 5; Schack Kunst und Recht Rn 854.
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Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 6; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 278. Vgl Maaßen Verträge 187 ff und 193 ff. Schütze/Weipert/Vinck Bd 3 1147 ff.
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durch die Verwerter vielfach telefonisch erfolgt, kommen die Verträge meist dadurch zustande, dass die Agentur die gewünschten Bilder liefert und dabei auf die Geltung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweist. In den Geschäftsbedingungen sind dann alle wesentlichen Punkte des Lizenzvertrages geregelt. Früher war es allgemein üblich, dass die Verwerter zu einem bestimmten Thema zu338 nächst eine Bildauswahl anforderten, die ihnen von der Agentur in analoger Form zur Verfügung gestellt wurde. Mit der Übersendung der Bildauswahl kam zwischen den Beteiligten ein Leihvertrag (§§ 598 ff BGB) mit einer Option auf Abschluss eines Lizenzvertrages zustande.518 Inzwischen ermöglichen die meisten Bildagenturen einen direkten Zugriff auf ihr digitales Bildarchiv, so dass die Kunden das Bildangebot selbst durchsehen und unmittelbar die Bilder auswählen können, die sie für die beabsichtigte Nutzung benötigen. Analoges Bildmaterial wird nur noch selten übermittelt, so dass auch die damit verbundenen Rechtsprobleme (Beschädigung, Verlust oder verspätete Rückgabe des Bildmaterials)519 kaum noch auftreten. Da die Verwerter die Bilder inzwischen selbst in der gewünschten Auflösung aus dem Bildarchiv der Agenturen abrufen können, kommen die Lizenzverträge heute in der Regel direkt, also ohne vorherigen Abschluss eines Leihvertrages zustande. Für den Lizenzvertrag gelten die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB und die urheberrechtlichen Bestimmungen über die Einräumung von Nutzungsrechten (§§ 31 ff UrhG). Ergänzend sind die §§ 398 ff BGB heranzuziehen (arg § 413 BGB). Der Lizenzvertrag, der mit dem Abruf der Bilder aus dem Archiv zwischen der Agen339 tur und dem Verwerter zustande kommt, regelt üblicherweise Art, Umfang und Dauer der Bildlizenz, die Höhe der dafür zu zahlenden Vergütung und die Frage, ob eine digitale Bearbeitung der Bilder zulässig und der Fotograf bei der Bildveröffentlichung als Urheber kenntlich zu machen ist. Der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA) hat dazu Konditionsempfehlungen herausgegeben, die im BFF-Vertragshandbuch nachzulesen sind. Dort ist auch ein weiteres AGB-Muster zu finden, das die Rechtsbeziehungen zwischen den Bildagenturen und den Verwertern regelt.520 bb) Royalty-Free-Lizenz.521 Eine Reihe von Bildagenturen bietet inzwischen RoyaltyFree-Bilder an. Das sind Fotografien, die den Verwertern ohne jede Nutzungsbeschränkung überlassen werden und für die sie nur einmal eine Lizenzgebühr zu bezahlen brauchen. Da Royalty-Free-Bilder für alle denkbaren Verwendungszwecke beliebig oft und unbefristet zur Verfügung stehen, bezeichnet man sie auch – juristisch nicht ganz korrekt – als „lizenzfrei“. Für die Verwerter haben die Royalty-Free-Bilder den Vorteil, dass sie dauerhaft und weltweit in allen denkbaren Medien mehrfach verwendet werden können, ohne dass jedes Mal neue Lizenzgebühren anfallen. Die Preise für Royalty-Free-Lizenzen sind meist sehr niedrig. Deshalb ist fraglich, ob 341 die Erwerber solcher Lizenzen erwarten können, dass sie das Bildmaterial frei von sämtlichen Rechten Dritter erhalten. Teilweise wird dazu die Auffassung vertreten, dass die Lizenzgebühren für Royalty-Free-Bilder lediglich den Erwerb der urheberrechtlichen Nutzungsrechte abdecken und dass sich die Verwerter deshalb selbst um den Erwerb der
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BGH GRUR 2002, 282, 283 – Bildagentur; ebenso Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 22. Dazu Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 32 f; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31
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UrhG Rn 284 ff; Hoeren/Nielen/Mercelot Rn 355; Wanckel Rn 358 f. Maaßen Verträge 205 ff und 210 ff. Vgl dazu das Vertragsmuster bei Maaßen Verträge 199 ff.
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eventuell benötigten Bildnisrechte, Markenrechte, Geschmacksmusterrechte oder sonstigen Rechte Dritter kümmern müssen.522 2. Verträge mit Verlagen a) Verträge zwischen Fotografen und Buchverlagen.523 Auf einen Lizenzvertrag, der 342 die Überlassung von Bildnutzungsrechten für ein Buch zum Gegenstand hat, sind die Vorschriften des Verlagsgesetzes unmittelbar anwendbar, sofern der Textanteil überwiegt und die Fotografien lediglich zur Illustration oder als schmückendes Beiwerk abgedruckt werden.524 Handelt es sich dagegen um einen Bildband oder einen Fotokalender, bei dem der Bildanteil überwiegt, kommt unter der Voraussetzung, dass sich der Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung der Bilder im Rahmen des Projekts verpflichtet, eine analoge Anwendung der verlagsrechtlichen Bestimmungen in Frage.525 Falls daher die Beteiligten keine abweichenden Vereinbarungen treffen, erwirbt der Verleger die Nutzungsrechte an den Fotografien nur für eine Auflage (§ 5 Abs 1 S 1 VerlG) und im Zweifel auch nur für eine Auflage von maximal 1 000 Exemplaren (§ 5 Abs 2 S 1 VerlG). Geht es um eine Publikation, bei der zwar die Bilder im Vordergrund stehen, der Ver- 343 leger aber keine Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung übernimmt, sind die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB, die urheberrechtlichen Bestimmungen über die Einräumung von Nutzungsrechten (§§ 31 ff UrhG) sowie ergänzend die §§ 398 ff BGB anzuwenden. Ob auch in solchen Fällen ein Rückgriff auf das Verlagsgesetz möglich ist,526 erscheint fraglich. Das Lizenzhonorar wird bei Buchveröffentlichungen üblicherweise so bemessen, dass 344 der Fotograf unter Zugrundelegung des Nettoladenpreises prozentual an den Buchverkäufen beteiligt wird.527 Handelt es sich bei dem Buch um einen Bildband, bei dem die Fotografie im Vordergrund steht, entspricht der Prozentanteil des Fotografen vielfach den Werten, die bei Textautoren üblich sind (zwischen 5 % und 15 % des Ladenpreises).528 Steht dagegen nicht das Bild, sondern der Text im Vordergrund, erhält der Fotograf meist nur einen Bruchteil der Beteiligung des Textautors. b) Verträge zwischen Fotografen und Zeitungs-/Zeitschriftenverlagen.529 Überlässt 345 ein Fotograf seine Bilder einem Zeitungs- oder Zeitschriftenverlag und verpflichtet sich der Verlag zur Vervielfältigung und Verbreitung des Bildmaterials, kommt ein Verlagsvertrag zustande, auf den die für periodische Sammelwerke geltenden Vorschriften der §§ 41 bis 46 VerlG und des § 38 UrhG anzuwenden sind.530 Um eine Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung zu begründen, reicht es aus, dass der Verleger den Zeitpunkt nennt, zu dem der Bildbeitrag des Fotografen erscheinen soll (§ 45 Abs 2 VerlG). Besteht für den Verleger keine Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht, gelten nur 346 die Regelungen des § 38 UrhG. Danach erwirbt der Verleger oder Herausgeber einer Zeitschrift im Zweifel das ausschließliches Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung, 522 523 524
525 526
So LG München I ZUM-RD 2005, 193, 195 – ICE II. Dazu Maaßen Verträge 63 ff und 109 ff. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 83; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 274. Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 45. So Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 74 aE.
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Vgl Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 47. Dazu Maaßen Calculator 35 f; vgl auch Loewenheim/A Nordemann § 73 Rn 48 (10 % des Ladenpreises). Vertragsmuster dazu bei Maaßen Verträge 114 ff und 119 ff. Schricker/Schricker Vor §§ 28 ff UrhG Rn 74.
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allerdings beschränkt auf ein Jahr, so dass der Fotograf seine Bilder nach Ablauf der Jahresfrist anderweitig vervielfältigen und verbreiten darf, wenn nichts anderes vereinbart ist (§ 38 Abs 1 UrhG). Dagegen räumt der Fotograf dem Verleger oder Herausgeber nur ein einfaches Nutzungsrecht ein, wenn er die Fotografien nicht für eine Zeitschrift, sondern für eine Zeitung zur Verfügung stellt (§ 38 Abs 3 S 1 UrhG).531 In diesem Fall darf der Fotograf seine Bilder also anderweitig verwerten, sofern nichts anderes vereinbart wird. Aber auch dann, wenn der Zeitungsverlag die ausschließlichen Nutzungsrechte erwirbt, ist der Fotograf sogleich nach dem Erscheinen seines Bildbeitrags berechtigt, ihn anderweitig zu vervielfältigen und zu verbreiten, falls es dazu keine abweichenden Vereinbarungen gibt (§ 38 Abs 3 S 2 UrhG). Übernimmt ein Verlag die von einem Fotografen zugesandten Fotoabzüge in sein 347 Archiv, um sie im Bedarfsfall für eine Zeitungs- oder Zeitschriftenveröffentlichung zu verwenden, verbleibt das Eigentum an den Abzügen beim Fotografen.532 Das gilt auch dann, wenn der Fotograf für die Bereitstellung der Fotoabzüge eine Archivgebühr berechnet. Von einer Eigentumsübertragung auf den Verlag kann nur dann ausgegangen werden, wenn dafür besondere Anhaltspunkte vorliegen.
III. Verträge über fotografische Kunstobjekte 1. Ausstellungsverträge
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Fotografien werden in zunehmendem Maße als Kunstobjekte ausgestellt. Gegenstand der Verträge, die die Fotografen zu diesem Zweck mit den Ausstellungsveranstaltern abschließen, ist das Ausstellungsrecht gem § 18 UrhG. Unter das Ausstellungsrecht fallen allerdings nur unveröffentlichte Lichtbildwerke und Lichtbilder. Bei bereits veröffentlichten Fotografien ist das Ausstellungsrecht verbraucht, so dass die Ausstellung nach einer rechtmäßig erfolgten Erstveröffentlichung auch ohne die Zustimmung der Fotografen durchgeführt werden kann und es keiner vertraglichen Einräumung des Ausstellungsrechts mehr bedarf.533 Erfolgt die Ausstellung künstlerischer Fotografien in einer Galerie, wird diese Gele349 genheit häufig dazu genutzt, die ausgestellten Bilder zu verkaufen. Der Ausstellungsvertrag enthält dann auch Regelungen zur Durchführung der Verkäufe und zur Beteiligung der Galerie an den Verkaufserlösen.534 Der Ausstellungsvertrag verpflichtet den Galeristen zur Durchführung der Ausstellung, so dass der Fotograf Schadensersatzansprüche geltend machen kann, wenn diese Pflicht verletzt wird.535 2. Kommissionsverträge536
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Überlässt ein Fotograf seine Arbeiten einem Kunsthändler zum Verkauf, wird in der Regel ein Kommissionsvertrag (§§ 383 ff HGB) abgeschlossen. Der Kommissionsvertrag regelt insbesondere Art, Ausstattung und Verkaufspreise der Editionen, die der Fotograf 531
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Zum Unterschied zwischen einer „Zeitung“ und einer „Zeitschrift“ vgl Schricker/ Schricker § 38 UrhG Rn 11 ff. BGH GRUR 2007, 693, 695 – Archivfotos. Schricker/Vogel § 18 UrhG Rn 15; Dreier/ Schulze/Schulze § 18 UrhG Rn 9.
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Vgl dazu das Vertragsmuster bei Maaßen Verträge 169 ff. OLG Düsseldorf ZUM-RD 1998, 513, 517 – Ausstellungsvertrag. Vertragsmuster dazu bei Maaßen Verträge 173 ff (Galerie-Kommissionsvertrag) und 177 ff (Internet-Kommissionsvertrag).
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bereitzustellen hat, die von dem Kommissionär geschuldeten Werbemaßnahmen und die an ihn zu zahlenden Provisionen. Werden die künstlerischen Fotografien im Internet vermarktet, sind in dem Kommissionsvertrag auch die besonderen Verhältnisse dieses Mediums zu berücksichtigen. 3. Kaufverträge537 Bei einem Verkauf künstlerischer Fotografien werden im Zweifel nur Eigentums- 351 rechte, aber keine Nutzungsrechte übertragen (§ 44 Abs 1 UrhG). Allerdings erwirbt der Käufer eines Originals 538 das Ausstellungsrecht, falls dazu keine abweichenden Vereinbarungen getroffen werden (§ 44 Abs 2 UrhG). Der Verkäufer hat dafür einzustehen, dass eine vertraglich zugesagte Limitierung der Auflage eingehalten wird und später nicht weitere Abzüge auf den Markt gelangen.539
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Vgl dazu das Vertragsmuster bei Maaßen Verträge 183 f.
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Zum Begriff des Originals vgl Rn 122 f. Loewenheim/A Nordesmann § 73 Rn 62.
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Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele Literatur Anschütz/Nägele Die Rechtsposition des Modellherstellers gegenüber dem Hersteller des Vorbilds in Deutschland WRP 1998, 937; Arlt Ansprüche des Rechtsinhabers bei Umgehung seiner technischen Schutzmaßnahmen MMR 2005, 148; Berking Kein Urheberrechtsschutz für Fernsehshowformate? – Anmerkung zum Urteil des BGH „Sendeformat“ GRUR 2004, 109; Bonnert Attraktion für breite Massen c’t 23/2007, 48; Bürge Online Gaming – Reale rechtliche Stolpersteine in virtuellen Welten sic! 11/2006, 802; Cichon Urheberrechte an Webseiten ZUM 1998, 897; Erdemir Killerspiele und gewaltbeherrschte Medien im Fokus des Gesetzgebers K&R 2008, 223; Esteve Das Multimediawerk in der spanischen Gesetzgebung GRUR Int 1998, 858; Fairfield Virtual Property Boston University Law Review (85) 1047; Festinger Video Game Law Ontario 2005; Frey Spiele mit dem Computer – SciFi, Fantasy, Rollenspiele & Co. Ein Reiseführer Kirchberg (Schweiz) 2004; Gauß Oliver Kahn, Celebrity Deathmatch und das Right of Publicity – Die Verwertung Prominenter in Computer- und Videospielen in Deutschland und den USA GRUR Int 2004, 558; Geis/Geis Rechtsaspekte des virtuellen Lebens CR 2007, 721; Gieselmann Teilchenbeschleuniger – Was Physik-Karten in Spiele-PCs wirklich bringen c’t 17/2006, 72; ders Wer spielt was? c’t 22/2007, 80; Habel Eine Welt ist nicht genug – Virtuelle Welten im Rechtsleben MMR 2008, 71; Härting/Kuon Designklau CR 2004, 527; Henkenborg Der Schutz von Spielen Berlin 1994; Hoeren Werbung im WWW – aus der Sicht des neuen UWG MMR 2004, 643; Hopf/Braml Virtuelle Kinderpornografie vor dem Hintergrund des Online-Spiels Second Life ZUM 2007, 354; Höynck/Pfeiffer Verbot von „Killerspielen“? – Thesen und Vorschläge zu Verbesserung des Jugendmedienschutzes ZRP 2007, 91; Huizinga Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg 1987; Junker/Benecke Computerrecht 3. Aufl Baden-Baden 2003; Koch Begründung und Grenzen des urheberrechtlichen Schutzes objektorientierter Software GRUR 2000, 191; Koch Die rechtliche Bewertung virtueller Gegenstände auf Online-Plattformen JurPC Web-Dok 57/2006; Koesch/Magdanz/Stadler Echte Telefonnummer für Handys in „Second Life“ 24.11.2007 spiegel-online, www.spiegel.de/netzwelt/mobil/0,1518, 519068,00.html (letzter Zugriff: 24.11.2007); Köhne Veraltete Indizierungen MMR 2003 Heft 4, XIV; Körber/Lee Rechtliche Bewertung der Markenbenutzung in Computerspielen nach dem OpelBlitz-Urteil des EuGH WRP 2007, 609; Krasemann Onlinespielrecht – Spielwiese für Juristen MMR 2006, 351; Kreutzer Computerspiele im System des deutschen Urheberrechts. Eine Untersuchung des geltenden Rechts für Sicherungskopien und Schutz technischer Maßnahmen bei Computerspielen CR 2007, 1; Lambrecht Der urheberrechtliche Schutz von Bildschirmspielen Baden Baden 2006; Lehmann Titelschutz für Software CR 1998, 2; Liesching Internetcafés als „Spielhallen“ nach Gewerbe- und Jugendschutzrecht NVwZ 2005, 898; Liesching/Knupfer Die Zulässigkeit des Betreibens von Internetcafés nach gewerbe- und jugendschutzrechtlichen Bestimmungen MMR 2003, 439; Lischka Spielplatz Computer – Kultur, Geschichte, Ästhetik des Computerspiels Heidelberg 2002; Lober Jugendgefährdende Unterhaltungssoftware – kein Kinderspiel CR 2002, 397; ders Spiele in Internet-Cafés: Game Over? MMR 2002, 730; ders Spielend werben: Rechtliche Rahmenbedingungen des Ingame-Advertising MMR 2006, 643; ders Virtuelle Währungen c’t 24/2007, 88; ders Virtuelle Welten werden real Hannover 2007; Lober/Karg Unterlassungsansprüche wegen User Generated Content gegen Betreiber virtueller Welten und Online-Spiele CR 2007, 647; Lober/Weber Entgeltliche und freie Nutzung von Persönlichkeitsrechten zu kommerziellen Zwecken im deutschen englischen Recht ZUM 2003, 658; dies Money für Nothing? Der Handel mit virtuellen Gegenständen und Charakteren MMR 2005, 653; dies Den Schöpfer verklagen – Haften Betreiber virtueller Welten ihren Nutzern für virtuelle Güter? CR 2006, 837; Loewenheim Urheberrechtlicher Schutz
Michael Kauert
593
Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele
2. Teil
von Videospielen in Hans Forkel, Alfons Kraft (Hrsg) FS Hubmann Frankfurt/M 1985, 307 (zit Loewenheim FS Hubmann); Loy Zocken gegen die besten Spieler der Welt 13.11.2007 spiegel-online, www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,515795,00.html (letzter Zugriff: 13.11.2007); Marly Urheberrechtsschutz für Computersoftware in der Europäischen Union München 1995 (zit Marly); ders Softwareüberlassungsverträge 3. Aufl München 2003 (zit J. Marly); Maume Bestehen und Grenzen des virtuellen Hausrechts MMR 2007, 620; Merschmann Die Botschaft ist das Spiel 12.01.2007 spiegel-online, www.spiegel.de/netzwelt/spielzeug/0,1518, 458953,00. html (letzter Zugriff: 30.10. 2007); Mielke Spiel mit Grenzen c’t 12/2006, 200; Müller-Lietzkow Zwischen Rentabilität und Kulturmedium Politik und Kultur (Beilage kultur kompetenz bildung) (2) 2007, 8; Nordemann Bildschirmspiele – eine neue Werkart im Urheberrecht GRUR 1981, 891; Otto Deutscher Verbotsaktionismus schadet der kulturellen Vielfalt, Politik und Kultur 3/2007, 14; Piasecki Für 8,50 Dollar in den Krieg gegen Israel 20.11.2003 faz.net, www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/ Doc~E9FF99B64BBAD41E08088E6CBD53B604F~ATpl~Ecommon~Scontent.html (letzter Zugriff: 30.10.2007); Poll/Brauneck Rechtliche Aspekte des Gaming-Markts GRUR 2001, 389; Popitz Spielen Göttingen 1994; Pressemitteilung-Interview „Ein mentaler Kampf“ 12.02.2008 www.spiegel.de/ netzwelt/spielzeug/0,1518,533843,00.html (letzter Zugriff: 12.02.2008); Ritlewski Virtuelle Kinderpornographie in Second Life K&R 2008, 94; Rötzer Computerspiele verbessern die Aufmerksamkeit 29.05.2003 www. heise.de/tp/r4/artikel/14/14900/1.html (letzter Zugriff: 26.09.2007); Schaar Rechtliche Grenzen des „In-Game-Advertising“ GRUR 2005, 912; Schmid-Petersen Rechtliche Grenzen der Vermarktung von Persönlichkeiten: Computerspiel mit Oliver Kahn SpuRt 2004, 248; Schricker Urheberrechtsschutz für Spiele GRUR Int 2008, 200; Siemons Chinas Geschäft mit der Lebenszeit 22.10.2006 spiegel-online, www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,443947,00.html (letzter Zugriff: 29.10.2007); Sosnitza Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld zwischen Europa und Deutschland – Zum Regierungsentwurf zur Reform des UWG vom 9.5.2003 GRUR 2003, 739; Spindler Die Verantwortlichkeit der Provider für „Sich-zu-Eigengemachte“ Inhalte und für beaufsichtigte Nutzer MMR 2004, 440; Stöcker Die Pixel-Demagogen 16.10.2007 spiegel-online, www.spiegel.de/netzwelt/spielzeug/0,1518,511754,00.html (letzter Zugriff: 30.10. 2007); Ulbricht Unterhaltungssoftware: Urheberrechtliche Bindungen bei Projekt- und Publishingverträgen CR 2002, 317; Wemmer/Bodensiek Virtueller Handel – Geld und Spiele K&R 2004, 432; Wirsing Das große Lexikon der Computerspiele Berlin 2003; Zagouras/Körber Rechtsfragen des Game-Designs – Die Gestaltung von Computerspielen und -animationen aus medien- und markenrechtlicher Sicht WRP 2006, 680; Zahrnt Titelschutz für Software-Produkte – ein Irrtum? BB 1996, 1570; Zimmermann/Geißler (Hrsg) Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz Berlin 2008.
Übersicht Rn § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Computerspiele . . II. Stand der Entwicklung . . . . 1. Aussehen moderner Computerspiele . . . . . . . . . 2. Plattformen für Computerspiele . . . . . . . . . . . . 3. Ausblick . . . . . . . . . . III. Arten der Computerspiele . . . 1. Online-Spiele . . . . . . . . 2. Online-Offline Hybriden . . 3. Browsergames . . . . . . . IV. Propagandaspiele . . . . . . . V. Wirtschaftliche Bedeutung und Vermarktung . . . . . . . . . VI. Vertrieb und Erwerb von Computerspielen . . . . . . . . . . § 2 Recht und Gesetz in Computerspielen . . . . . . . . . . . . . . .
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1–28 3, 4 5–11 5, 6 7–9 10, 11 12–16 13, 14 15 16 17 18–21 22–28 29–169
Michael Kauert
Rn I. Rechtsnatur der Spiele . . . . 1. Grundrechtsschutz . . . . . 2. Patentstreitigkeiten . . . . . 3. Urheberrecht . . . . . . . . 4. Computerspiele als Software 5. Spiel als Filmwerk bzw Laufbild . . . . . . . . . . . . . 6. Mehr als nur die Summe der Einzelteile – Spiele als Multimediawerke . . . . . . . . II. Einzelelemente des Computerspiels . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz von Spielidee, Spielaufgabe und Gamedesign . 2. Screenshots . . . . . . . . . 3. Musik, Soundeffekte, Sprache . . . . . . . . . . 4. Der Name des Spiels – Titelschutz . . . . . . . . . . .
30–48 32 33 34 35–39 40–46
47, 48 49–75 50–54 55–59 60–62 63
§1
Einführung Rn
Rn
5. Untertitel . . . . . . . . . . 64 6. Spielfiguren und andere Objekte der virtuellen Welt . . 65–67 7. Texturen . . . . . . . . . . 68, 69 8. Die „Spielwelt“ – Spieletopographie und Schutz der virtuellen Welt . . . . . . . 70–75 a) Geschichte . . . . . . . . 70 b) Konkreter Spielablauf . . 71 c) Freie virtuelle Welten . . 72–75 III. Folgeprobleme der Multinatur von Computerspielen . . . . . 76–82 1. Prozessual . . . . . . . . . 77, 78 2. Schranken . . . . . . . . . 79 3. Technische Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . 80–82 IV. In der Spielwelt – Das Betreten eines rechtsfreien Raumes? . . 83–169 1. In-Game-Advertising . . . . 84–106 a) Formen des In-Game-Advertising . . . . . . . . 86–90 b) Anwendbare Rechtsnormen . . . . . . . . . 91–105 aa) Lauterkeit von Werbung im Spiel – UWG 92–97 (1) Verschleierung . . . 93–95 (2) Belästigung . . . . 96, 97 bb) Werbung – Ein Mangel im Spiel? . . . . 98, 99 cc) Werbung als Gefahr für die Jugend und Sonderprobleme der dynamischen Werbung . . . . . . . . 100–105 c) Fazit . . . . . . . . . . 106 2. Mensch-ärgere-Dich-nicht – Kommunikation in virtuellen Welten . . . . . . . . . . . 107–121 a) Möglichkeiten . . . . . 107
b) Formelles . . . . . . . . c) Haftung der Teilnehmer und anwendbares Recht d) Haftung des Betreibers von Spiele-Servern . . . 3. Add-ons – Spielergänzungen a) Spielstände – unechte Ergänzungen . . . . . . b) Echte Spielergänzungen . c) Andere Zusatzprodukte und Drittanbieter-Netzwerke . . . . . . . . . . 4. Realer Handel mit irrealer Ware – Der Wert virtueller Spielfiguren, Gegenstände und Immobilien . . . . . . a) Helden, Schwerter und magische Teppiche als reale Handelsware . . . b) Gegenstand des Handels mit Items . . . . . . . . aa) Virtuelle Sachen analog § 90 BGB . . . bb) Schlichtes Dateneigentum . . . . . . c) Übertragung der Items . d) Handel mit Figuren (Accounts) . . . . . . . e) Schuldrechtliche Gestaltung . . . . . . . . . . . f) Wiederherstellung von virtuellen Gegenständen durch den Betreiber . . . 5. Virtuelles Hausrecht . . . . § 3 Rechtsverletzungen durch Spiele . . . I. Rechte Dritter . . . . . . . . . II. Virtuelle Straftaten in Computerspielen? . . . . . . . . . III. Jugendschutzrecht . . . . . . .
108 109–115 116–121 122–138 123–128 129–132
133–138
139–167
139–142 143–153 146, 147 148–153 154–157 158–162 163–165
166, 167 168, 169 170–178 170–173 174 175–178
§1 Einführung „Machen Killerspiele Mörder aus unseren Kindern?“1 In ähnlicher Aufmachung kann 1 man seit geraumer Zeit tagtäglich Auseinandersetzungen mit dem Thema Computerspiele aus den Massenmedien erfahren. Über diese hitzigen Diskussionen hinaus, werfen die elektronischen Spielwelten eine breite Vielfalt ethischer wie rechtlicher Fragestellungen auf, deren Bedeutung angesichts der omnipräsenten Gewaltdebatte gering erscheint.2 1
Der reißerische Begriff Killerspiel entstammt nicht der Spielerszene, sondern von den politischen Gegnern der dieser Spiele. In BR-Drucks 76/07, 5 wird der Begriff als „Spielprogramme, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen
2
Menschen oder menschenähnliche Wesen darstellen und dem Spieler die Beteiligung an dargestellten Gewalttätigkeiten solcher Art ermöglichen“ umschrieben. Vgl Erdemir K&R 2008, 223. Vgl die Sammlung von Pressemeldungen und
Michael Kauert
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Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele
2. Teil
Das Computerspiel als „Medienprodukt“ befindet sich in vielen Bereichen und aus verschiedenen Blickwinkeln gleichauf mit anderen Sparten der Medien.3 In Computerspielen gab es Multimedia lange bevor dieser Begriff prägend für eine neue Generation von Unterhaltung war, denn in elektronischen Spielen wurden seither mehrere Ebenen der medialen Wahrnehmung(-smöglichkeiten) angesprochen. Als Medienprodukte gehören sie seit 50 Jahren zur Kultur und damit auch zum Kulturgut der Zivilisation.4 Unter heutigen Jugendlichen ist der Computer das Informations- und Kommunikationsmittel Nummer 1. Von den 97 % der Jugendlichen, die Computer nutzen, spielen nur 28 % überhaupt nicht und 37 % intensiv.5 Für den E-Sport gibt es mittlerweile Weltmeisterschaften die durch gut verdienende Profi-Computerspieler (E-Sportler)6 ausgetragen werden.7 Hinzu kommen die Nutzung von Handys und mobilen Konsolen. Von kaum einem anderen Medium wird eine derart intensive Beeinflussung des menschlichen Verhaltens erwartet wie von Computerspielen. Viel mehr als andere Medienprodukte werden Computerspiele mit Themen wie Sucht, Gewalt, Unsportlichkeit, ungesundem Lebenswandel und mangelnder Medienkompetenz in Verbindung gebracht. Die meisten Standpunkte sind dabei eher gefühlsmäßig eingeschätzt, denn wissenschaftlich belegt. Dennoch gibt es neben den umstrittenen und bisher unbewiesenen negativen Faktoren auch positive Fakten zum Umgang mit Computerspielen. Sie sollen zu einer verbesserten Hand-AugeKoordination und je nach Art des Spiels auch das logische, strategische und kreative Denken anregen.8 Weiterhin fördern gerade Online-Spiele durchaus auch die soziale Kompetenz, denn gespielt wird nicht gegen den Computer, sondern gegen andere Menschen. Computer stellen dafür lediglich die virtuelle Arena dar. Die Skepsis und Ignoranz breiter Schichten der Bevölkerung gegenüber Computerspielen ist in Deutschland ausgeprägter als in anderen Ländern. Besonders im asiatischen Raum gilt das Computerspiel als veritables Freizeitvergnügen. Die wirtschaftliche Bedeutung des Mediums ist ungebrochen hoch.9 Der Wettbewerb 2 zwischen den Anbietern wird mit harten Bandagen geführt. Der Umsatz von Video- und Computerspielen in Deutschland steigt kontinuierlich.10 Angesichts dieser Entwicklung ist es kaum verwunderlich dass auch Rechtsfragen um Computerspiele immer öfter vor die Kammern getragen werden.11 Neben dem Konkurrenzkampf auf dem realen Markt steigt auch die kommerzielle Bedeutung der virtuellen Welten an sich.12 Der Handel mit virtuellen Schwertern und Gold ist erst der Anfang von komplett virtuellen Wirtschaftssystemen. In Einzelfragen dieses virtuellen Handels entwickelt sich zaghaft eine rechtswissenschaftliche Diskussion. Haben die Möglichkeiten und die Teilnehmerzahlen erst eine kritische Masse erreicht, dürften die rechtlichen Auseinandersetzungen sprunghaft ansteigen. Dies hängt in erster Linie davon ab, wie viele Dauergäste wirklich in den virtuellen Welten „leben“. Ähnlich wie andere Prognosen über andere vermeintlich zukunftsträchtige Märkte ist ein gesundes Misstrauen angebracht.
3 4
5
6
Aufsätzen unter www.kulturrat.de/text.php? rubrik=72. Vgl Ulbricht CR 2002, 317, 317 f. Müller-Lietzkow Politik und Kultur (Beilage kultur kompetenz bildung) (2) 2007, 8; vgl auch die Beiträge in Zimmermann/Geißler. Vgl die aktuelle JIM-Studie unter www.mpfs. de/fileadmin/JIM-pdf06/JIM-Studie_2006.pdf (36 f). Pressemitteilung-Interview „Ein mentaler Kampf“.
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11 12
Loy spiegel-online. Rötzer. Vgl Rn 18. Der Bundesverband Interaktiver Unterhaltungssoftware eV verzeichnete 2006 einen Umsatz von € 1,126 Mrd. Dies entspricht einem Zuwachs von 7,4 % gegenüber 2005. S auch Otto Politik und Kultur 2007, 14. Vgl auch Krasemann MMR 2006, 351. Koesch/Magdanz/Stadler spiegel-online; Ulbricht CR 2002, 317, 317 f.
Michael Kauert
§1
Einführung
I. Begriff der Computerspiele Computerspiele sind eine Form des Spielens 13 unter Zuhilfenahme elektronischer 3 Geräte und deshalb ein noch junges Kultur- und Medienprodukt.14 Unter Computerspielen sind im Folgenden, unabhängig von der jeweiligen technischen Plattform, alle Medienprodukte zu verstehen, die durch Ton- und Grafikausgaben auf einem Bildschirm eine virtuelle Umgebung erzeugen, auf welche der Spieler durch Interaktion Einfluss nehmen kann.15 Die Interaktivität grenzt das Medium von rein rezeptiven Produkten wie Musik, Filmen oder Büchern ab. Die Grenzen gestalten sich wie bei vielen anderen Medienprodukten mittlerweile fließend. Neue interaktive Inhalte auf DVD und besonders dem nachfolgenden HD-Format 16 Blu-ray Disc 17 können obige Definition erfüllen, ohne im klassischen Sinne als Computerspiele zu gelten. Mangels einer rechtlichen Anknüpfung an den Begriff selbst ist eine randscharfe Definition nicht erforderlich, sie soll lediglich den Bezug dieser Ausführungen eingrenzen. Neben inhaltlichen Unterscheidungskriterien, die das Genre des Spiels betreffen 18, 4 werden für die Spiele je nach der verwendeten technischen Plattform unterschiedliche Begriffe 19 verwendet. Die Unterscheidung in PC-Spiele, Video-Spiele, Konsolen-Spiele, Handy-Spiele, Tele-Spiele oder Arcade-Spiele ist zwar für die Werbung und die Nutzerkreise interessant.20 Für die rechtliche Bewertung spielt die begriffliche Reichweite hingegen keine unmittelbare Rolle.21
II. Stand der Entwicklung 1. Aussehen moderner Computerspiele Grundlegendes Erfordernis aller Computerspiele ist eine elektronische Datenverarbei- 5 tungsanlage.22 Diese erzeugt durch Auswertung der vom Nutzer getätigten Eingaben grafische und akkustische Ausgaben nach den Algorithmen des Spielprogramms.23 Die Möglichkeiten der Eingaben über Tastatur, Joystick, Gamepad, Maus, Trackball, Lenk13
14 15 16
17
Unter dem Spielen an sich versteht Huizinga 37 „… eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des „Andersseins“ als das „gewöhnliche Leben“. Vgl auch Popitz 20 ff; Schricker GRUR Int 2008, 200. Zum Begriff Habel MMR 2008, 71, 73. Vgl Lambrecht 22, der den Begriff Bildschirmspiele bevorzugt. HD ist die geläufige Abkürzung für High Definition (1920 × 1080, 16 : 9, etwa 2,1 Megapixel), welche sich auf die gegenüber bisherigen Bewegtbildern (SD Standard Definition, 768 × 576, 4 : 3, 0,4 Megapixel) bis zu 5-fach höhere Auflösung bezieht. Das frühere Konkurrenzformat HD DVD hat
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den Formatwettstreit im Frühjahr 2008 durch den Ausstieg namhafter Filmproduzenten und Hersteller nicht überlebt. Vgl dazu Rn 12. Als Computerspiele werden diejenigen Spiele bezeichnet, die auf spezifischer Spielehardware, sondern allgemeiner Computerhardware laufen; zB IBM-kompatible PC (meist unter Windows), Mac. Dagegen werden Spiele welche auf spielespezifischer Hardware laufen meist Video- oder Konsolenspiele genannt; Playstation 1–3, XBox, Gamecube, Playstation portable, Gameboy. Vgl die Aufstellung bei Lambrecht 39. Daher wird im Folgenden der Begriff Computerspiel für alle technischen Plattformen verwendet. Ausf Lambrecht 24. Zur Technik der Bildschirmausgabe Nordemann GRUR 1981, 891.
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Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele
2. Teil
rad, Lichtpistole, etc sind dabei extrem vielfältig. Meist kann der Nutzer sich seine bevorzugte Variante aussuchen. Eine der neuesten Errungenschaften dürfte das Eingabekonzept der Konsole Nintendo Wii sein, bei welcher Bewegungen des Arms in entsprechende Bewegungen des virtuellen Sportlers oder Kämpfers übertragen werden. Spiele auf Datenverarbeitungsanlagen gibt es seit den Anfängen der elektronischen Rechenmaschinen. Auch sie folgen dem für jede Software grundlegenden Arbeitsprinzip Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe. Nach dem ersten dokumentierten Spiel auf einem Computer 195824 und dem ersten 6 Patent in Amerika 1968 wurden in den letzten 20 Jahren rasante Fortschritte gemacht. Die stetig steigende Rechen- und Grafikleistung erhöht sowohl die Realitätstreue, als auch die Komplexität der Computerspiele. In den Anfängen der Spiele stellten oft abstrakte Zeichen die Umgebung dar. Autos, Raumschiffe oder Tennisbälle wurden einst abstrakt durch Sternchen und Kästchen repräsentiert. Die Grafikleistung heutiger Konsolen und Computer kann dagegen eine virtuelle Realität schaffen, die auch auf den zweiten Blick verblüffend echt wirkt. 2. Plattformen für Computerspiele
7
Als Plattformen für Computerspiele eigenen sich sowohl für allgemeine Aufgaben vorgesehene Computer (PC 25, Mac) als auch spezielle Spielkonsolen (Playstation 1–3, XBox (360), Wii, Gamecube, Playstation portable, Gameboy (DS)).26 Beide Möglichkeiten für das elektronische Spielen entwickelten sich parallel. Die Realitätstreue in Grafikund Tonausgabe unterscheidet sich nicht wesentlich. Hinsichtlich spezieller Parameter hat mal die eine, mal die andere Architektur ihre Vorzüge. In den letzten Jahren kommen auch immer mehr Mobiltelefone als Plattform hinzu. Die Grafik- und Soundqualität hinkt ihren großen Vorbildern noch um etwa 10 Jahre hinterher, kann jedoch zügig aufholen. Die Grenzen zwischen den Plattformarchitekturen selbst und zwischen den Nutzungs8 möglichkeiten verschwimmen immer mehr. So eignen sich moderne Spielkonsolen, zB Playstation 3 oder XBox 360 auch zum Surfen im Internet, DVD anschauen, als Fotospeicher, zur Kommunikation und zum Musikhören. Auch andere elektronische Plattformen werden zum Spielen benutzt. So sind ebenfalls aufgrund der enorm gestiegenen Rechenleistung bei gleichzeitiger Miniaturisierung selbst in Mobiltelefonen, Satellitenreceivern oder PDAs 27 Spiele integriert oder installierbar. Der Vorteil letzterer Integrierung ist die ständige Verfügbarkeit der Spielmöglichkeit. Es liegt in allen Fällen eine mehr oder weniger spezialisierte Spiele-geeignete Hard9 ware und das Spiel an sich vor. Spielesoft- und Hardware sind tatsächlich und rechtlich voneinander zu trennen.
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„Tennis for two“ auf einem Großrechner. Vgl zur Entwicklungsgeschichte der Computerspiele Lambrecht 45 ff; Lischka 22 ff; Wirsing 1 ff; www.8bit-museum.de/. Unter PC versteht man gewöhnlich IBMkompatible Rechner. Die meisten kommerziellen Spiele setzen das Betriebssystem Windows XP oder Windows Vista voraus. Sog Gamer-PC oder Gamer-Laptops sind beson-
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ders leistungsfähige und auf die Bedürfnisse von Spielern ausgerichtete Computer. Aufgrund der hohen Verbreitung von leistungsfähiger Hardware in Privathaushalten sind die Spielhallen-Computerspiele (sog Arcade-Games oder Automatenspiele) nahezu vollständig verschwunden. Abk für Personal Digital Assistent, ein elektronischer Terminplaner.
Michael Kauert
§1
Einführung
3. Ausblick Die Entwickler arbeiten ständig an weiteren Verbesserungsmöglichkeiten. Dazu zählt 10 neben realistischen Grafik- und Soundeffekten auch eine realistische Physik.28 Während in Simulationsspielen schon immer eine möglichst reale Welt erschaffen werden sollte, die dem Spieler die gleichen Risiken und Möglichkeiten der realen Welt nachzuahmen in der Lage war, gehen auch eher dem Spaß dienende Spiele mehr und mehr diesen Weg. Gegenstände fallen realitätsgetreu zu Boden und fliegen durch die Luft. Kollisionen führen zu realistischen Reaktionen, je nach Größe, Material, Masse und Geschwindigkeit der virtuellen Gegenstände. Zur Berechnung werden eigens dafür gefertigte Physik-Beschleuniger-Chips eingesetzt. Die virtuelle Welt der Computerspiele wird immer mehr der realen Umgebung angepasst bzw wird eine immer realer scheinende virtuelle Welt erzeugt. Einher mit der technischen Verbesserung der Spiele gehen die Möglichkeiten der 11 Interaktion der Spieler untereinander. Die steigende Beliebtheit der Online-Spiele holt das Computerspiel als vermeintlich einsame Beschäftigung zu fortgeschrittener Stunde auf die Stufe der Massenkommunikationsmittel und einer Zentrale der menschlichen Interaktion und Kommunikation.
III. Arten der Computerspiele Ebenso wie bei Büchern, Filmen und Musik werden in Computerspielen sämtliche 12 Themen der menschlichen Kultur und Geschichte behandelt.29 Entsprechend vielfältig sind die verfügbaren Arten der Computerspiele.30 Obwohl täglich neue Spiele erscheinen, ist die Anzahl der zugrundeliegenden Ideen begrenzt. Für die juristische Betrachtung ist die Einteilung nach den zu lösenden Aufgaben oder der simulierten Tätigkeit mithin also das Genre des Spiels indes nicht primär entscheidend.31 Bedeutsam für eine Vielzahl von Rechtsfragen ist aber die Einteilung nach Offline-Spielen und Online-Spielen. Offline-Spiele stellen die klassischen Computerspiele dar. Sie sind für den einzelnen Spieler gedacht, welcher die durch die Spiele-Entwickler festgelegten Aufgaben bewältigen muss. 1. Online-Spiele Immer größerer Beliebtheit erfreut sich die Gattung der Online-Spiele, welche über 13 das Internet gegen andere von Menschen gesteuerte Alter-Egos (auch Charaktere oder Spielfiguren, im Szenejargon aber Avatare) gespielt werden. Die Möglichkeiten sind dabei äußerst vielfältig, von einzelnen Runden in Minutenlänge (Autorennen, Counterstrike) bis hin zu ganzen Parallelwelten (SecondLife, The Sims online, World of Warcraft).32 Man bewegt sich in einer je nach Spiel mehr oder minder umfangreichen virtuellen Welt, deren Ausgestaltung, Detailreichtum sowie physisches und soziales Grundmodell kaum begrenzt ist. Die Nutzung der virtuellen Online-Welt setzt neben einem Breitbandinternetanschluss und der Spielplattform 33 auch das meist kommerziell vertriebene Computerspiel voraus. Das erworbene Spiel ist in diesem Fall kein Produkt von 28 29 30
Gieselmann c’t 17/2006, 72. Frey 5 ff. Eine Übersicht und Beschreibung in Deutschland erhältlicher Unterhaltungssoftware finden sich samt der Jugendschutzeinstufung unter www.zavatar.de und www.usk.de.
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Vgl dazu Lambrecht 42. Zu Aufbau und Geschäftsmodellen Habel MMR 2008, 71. Computer oder Spielkonsole vgl Rn 7.
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Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele
2. Teil
selbstständigem Nutzen. Es handelt sich vielmehr um eine Client-Software die der Übertragung von Benutzernamen und Passwort dient und somit hilft, sich in den Account 34 einzuloggen, den man bei der Installation anlegen muss. Der eigentliche Spielverlauf, also die Interaktion und die Positionen der Avatare in der virtuellen Welt, wird von den Server-Computern berechnet. Der Client des Benutzers überträgt dessen Aktionen an den Server und setzt wiederum die vom Server erhaltenen Daten mithilfe des lokalen Computers in Echtzeit in eine für den Spieler wahrnehmbare virtuelle Welt um. Die Nutzung der Online-Spielmöglichkeit kann im Kaufpreis des Spiels enthalten 35 oder zusätzlich entgeltpflichtig sein.36 Die Bezahlung der Zusatznutzung kann über monatliche Abonnements 37, im Voraus zu bezahlende Zeitpakete oder in anderer Form realisiert werden. Bestimmte Bereiche der virtuellen Welten sind oft nur gegen Bezahlung oder den Kauf von Erweiterungspaketen gestattet. Durch die Interaktion mit anderen Charakteren, hinter denen letztlich ebenfalls Men14 schen stehen, ist die gesamte Bandbreite an zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen und ihrer Fortsetzung vor Gericht möglich.38 In einem Onlinespiel werden häufig spielerisch genutzte Pendants von in der wirklichen Welt genutzten Internetfunktionen eingebunden. Spiele enthalten Auktionsplattformen, Chaträume, Diskussionsboards, Geschäfte, presseähnliche Publikationen uvm. Durch die prinzipielle Grenzenlosigkeit des Internets können selbst in einfachen Konstellationen schwierige grenzüberschreitende Probleme auftreten. 2. Online-Offline Hybriden
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Die Grenzen zwischen den Online- und Offline-Spielen kann nicht randscharf gezogen werden. Es gibt zwar reine Online- und Offline-Spiele, der weit überwiegende Teil der verkauften Computerspiele besteht aus Mischformen mit variierenden Anteilen. Dies lässt sich aus der Entwicklungsgeschichte der Spiele heraus erklären. Schon immer konnten mit Hilfe eines Computers zwei Personen gegeneinander antreten. Gerade das erste Computerspiel überhaupt wurde von zwei menschlichen Gegnern ausgetragen.39 Später wurden zwei Computer per seriellem Verbindungskabel oder per Modem über die Telefonleitung verbunden. Noch heute ist die Verbindung von zwei bis über tausend Computern auf LAN-Partys 40 durch ein lokales Netzwerk sehr beliebt. Das Internet hat zunächst lediglich die Funktion dieser Kopplung der Computer über große Distanzen übernommen. Schnell entwickelten sich daraus Plattformen um andere Spielwillige zu finden, wenn die eigenen Bekannten keine Zeit hatten. Der Schritt zur dauerhaften virtuellen Welt war schließlich nicht mehr groß.41 3. Browsergames
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Nicht per se Online-Spiele im eigentlichen Sinne sind die sog Browsergames.42 Dabei handelt es sich meist um einfache Spielkonzepte mit verhältnismäßig geringem Grafikund Soundaufwand. Sie können zwar nur mit einer aktiven Internetverbindung gespielt 34 35 36 37 38
Vgl dazu Rn 158 ff. So bei dem umstrittenen Spiel Counterstrike, bei Battlefield und weiteren. Das ist der Fall bei World of Warcraft oder dem Premiumaccount von SecondLife. Pro Monat etwa € 10–30 Nutzungsgebühren. Krasemann MMR 2006, 351.
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Vgl Rn 6 und Fn 23. LAN steht für Local Area Network, die Vernetzung von Computern über kurze Distanzen (bis zu 300 m). Lober 7 ff. Vgl auch Lober 33 ff.
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werden. Die Art des Spiels unterscheidet sich jedoch nicht von der eines lokal installierten Spiels. Das Internet und der Browser werden nur als Distributionskanal und technische Plattform genutzt. Andererseits kann auch diesen Spielen eine den online-Spielen inhärente Interaktion mit anderen von Menschen gesteuerten Spielfiguren hinzugefügt werden, zB Poker oder Schiffeversenken gegen andere Internetnutzer. Neue Möglichkeiten erreicht das Browsergame als Ersatz für die bisher notwendige Clientsoftware zum Betreten virtueller Online-Welten. Mehrere Anbieter entwickeln derzeit eine Web-Oberfläche für eine derartige Nutzung.43 Die Qualität der audio-visuellen Ausgabe soll derjenigen von dedizierter Clientsoftware entsprechen. Dann wird es möglich sein, sich von jedem verfügbaren Internetanschluss aus in die virtuelle Welt einzuloggen. Dies kann zu komplizierten Fragen der Haftung und des anwendbaren Rechts führen.44
IV. Propagandaspiele Der Mangel an wissenschaftlich erforschten Hintergründen der Zusammenhänge von 17 Medienkonsum und Sozialverhalten, insbesondere bei Jugendlichen hinsichtlich der Gewaltbereitschaft, behindert niemanden, Computerspielen starke Wechselwirkungen zwischen Spieleinhalt und Spieler nachzusagen. Während bei gewalthaltigen Spielen dieser Umstand als gefährdend befürchtet wird, hoffen die Vertreiber von Propagandaspielen geradezu auf diesen Zusammenhang. Unterschiedliche Interessengruppen von Umweltschützern über die US-Armee bis hin zu radikalen Gruppen versuchen mithilfe von inhaltlich indoktrinierten Spielen ihre Ansichten zu verbreiten.45 Der Nutzen derartiger Beeinflussung ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.46 In der rechtswissenschaftlichen Diskussion sind Progagandaspiele als Medienprodukte bisher nicht berücksichtigt. Da diese Spiele ob des erhofften beeinflussenden Hintergrundes nicht über die gewöhnlichen kommerziellen Vertriebswege das Zielpublikum erreichen, besteht die Gefahr einer nicht ausreichend überwachten Versorgung von Jugendlichen mit fragwürdigen Inhalten.
V. Wirtschaftliche Bedeutung und Vermarktung Wie andere Kulturprodukte besitzen auch Computerspiele ein erhebliches Marktpo- 18 tenzial.47 Die Spieleproduzenten, die etwa 5000 Menschen Arbeitsplätze bieten, erfreuen sich an dem stärksten wachsenden Markt der Medienindustrie, insbesondere bei den mobilen Spielekonsolen.48 Im Jahr 2006 stieg der Umsatz der Spieleindustrie in Deutschland auf ca € 1,12 Mrd und erhöhte sich im ersten Halbjahr 2007 erneut um 17 %. Zwar leidet auch die Computerspiel-Industrie unter der Piraterie, jedoch sind anders als bei anderen Medienprodukten nicht so starke Einbußen verzeichnet worden. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass Spiele seit ihrem Aufkommen massiv kopiert werden und es niemals eine Zeit ohne Kopien gab, auf welche dann ein Einbruch erfolgte. Zur 43 44 45 46 47
Bonnert c’t 23/2007, 48. Vgl Rn 107 ff. Merschmann spiegel-online; Piasecki faz.net. Stöcker spiegel-online. Lambrecht 57 f; Gieselmann c’t 22/2007, 80; die Realität der Spieleproduktion verkennend Wandtke/Bullinger/Manegold § 95 UrhG Rn 16.
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Vgl die Daten des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware unter www. biu-online.de/fakten/marktzahlen/. Daten der Kinoauswertung von Spielfilmen unter www.ffa.de/.
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Robustheit der Branche hat sicherlich beigetragen, dass bei Computerspielen schon seit langem sehr effektive Kopierschutzverfahren eingesetzt werden, von denen manche selbst Jahre nach ihrem Erscheinen nicht geknackt wurden.49 Im Gegensatz zum seit Jahren rückläufigen Tonträgermarkt ist der Markt für Computerspiele noch immer im Wachstum. Aufgrund der Hardwareabhängigkeiten moderner Computerspiele besteht ein enger 19 Zusammenhang zwischen dem Markt für leistungsfähige Hardware und dem Computerspiele-Markt.50 Moderne Computerspiele setzen leistungsfähige Rechner der neuesten Generation voraus. Zeitgleich erscheinende Spiele können einen nagelneuen Computer dennoch so sehr ausreizen, dass eigentlich ein schnellerer Rechner benötigt wird. Ein Computer zum Spielen muss daher immer auf dem neuesten Stand sein. Auf einem etwa zwei Jahre alten Rechner muss man schon erhebliche Abstriche bei der Darstellungsqualität oder bei der Geschwindigkeit machen. Die Spieleentwickler sind daher zur Verbesserung ihrer Spiele und zu Steigerung des Kaufanreizes auf immer leistungsfähigere Hardware angewiesen. Die Hardwarehersteller ihrerseits bauen auf die Zugkraft guter Spiele, denn die Grafikleistung selbst des langsamsten verfügbaren Chips reicht für normale Büroanwendungen bei weitem aus. Dem Potenzial des Marktes folgt eine höchst professionell ausgerichtete Industrie, die 20 nicht hinter anderen Medienindustriezweigen zurückstehen muss. Während in der Anfangsphase der Computerspiele der Programmierer selbst seine eigene Idee und je nach seinen künstlerischen Fähigkeiten auch in Bild und Ton umsetzte, arbeiten heute an einem Spiel wie beim Film mehrere hundert Menschen. Die Spieleproduktion ist zwischen Designer, Autoren Grafiker, Komponisten, Sprecher, Sänger, sogar Schauspieler und natürlich auch Programmierer verteilt.51 Sie ist durch sog Publishingverträge zwischen den Beteiligten geregelt.52 Darin übertragen die Kreativen ihre Rechte an den Hersteller/Publisher. Aufgrund der unterschiedlichen Natur der Rechte und erbrachten Leistungen sind unterschiedliche Regelungen zu beachten.53 Das Katz- und Mausspiel zwischen Hard- und Software ist bei den Konsolenspielen 21 nicht so stark ausgeprägt. Über 3–4 Jahre müssen sich neue Spiele mit den Möglichkeiten der jeweiligen Konsole begnügen und ihre Fähigkeiten so gut wie möglich ausnutzen. Neue Konsolenspiele führen daher insbesondere dann zu einem Kaufanreiz, wenn sie exklusiv für eine bestimmte neue Konsole herausgebracht werden. Konsolen-Neuerscheinungen sind daher regelmäßig von besonderen Spiele-Neuerscheinungen begleitet, die teils speziell zu diesem Zweck entwickelt wurden.
VI. Vertrieb und Erwerb von Computerspielen 22
Beim Erwerb von Computerspielen gelten die allgemeinen Regeln zum Erwerb von Software, insbesondere Standardsoftware und somit nach hM das Kaufrecht der §§ 433 ff BGB.54 Der Erwerb von Computerspielen ist grds wie ein Sachkauf zu behandeln.55 49 50 51
ZB der „StarForce Professional“ Kopierschutz. Ulbricht CR 2002, 317, 321. Zu den Entwicklungsphasen von Spielen Lambrecht 32. Zu den Problemen der Verträge zwischen den Programmierern, Grafikern, Musikern und anderen an der Entstehung beteiligten Personen und den Herstel-
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lern bzw Publishern vgl Ulbricht CR 2002, 317, 321 f; Poll/Brauneck GRUR 2001, 389. Vgl dazu Ulbricht CR 2002, 317, 322 f. Ulbricht CR 2002, 317, 323. BGHZ 109, 97; BGHZ 102, 195; vgl Marly Rn 62 ff zu weiteren Meinungen und Nachweisen. So auch Lober/Weber MMR 2005, 653, 656.
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Einführung
Hinzu kommen weitere Verträge und Vertragselemente, insbesondere bei Online-Spielen. Dies können dienstvertragliche (Servernutzungsverträge), werkvertragliche (Patches) oder mietrechtliche Regeln (Servermiete) sein. Durch die auch für Computerspiele nach ihrem erstmaligen Inverkehrbringen durch einen Berechtigten eintretende Erschöpfung gem § 17 UrhG kann der Datenträger mit Ausnahme der Vermietung frei auf dem Markt innerhalb der gesamten europäischen Union gehandelt werden. Besonderheiten im Verhältnis zum allgemeinen Sachkauf bestehen hinsichtlich des Vertragsschlusses und der Mängelgewährleistung.56 Mit dem Kauf und der meist begleitenden Übereignung des Datenträgers erwirbt der Käufer das Eigentum an dem Datenträger und dem Begleitmaterial sowie eine Lizenz zur Nutzung der enthaltenen Software. Entgegen den restriktiven Bestimmungen bzgl Allgemeiner Geschäftsbedingungen der §§ 305 ff BGB werden dem Verbraucher oft zweifelhafte Nutzungsbestimmungen, -bedingungen, Lizenzverträge und Haftungsausschlüsse suggeriert. Wegen der bei Vertragsschluss nicht vorhandenen Einsehbarkeit sind sämtliche, nicht ohne ein Öffnen der Verpackung zugängliche Bestimmungen unwirksam, zB regelmäßig die sog EULA oder TOS 57, die erst beim Installieren eingesehen werden können (§ 305 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 2 BGB).58 Auf der Verpackung angebrachte Hinweise müssen lesbar und verständlich sein.59 Um in den Vertrag einbezogen zu werden, dürfen die Klauseln nicht überraschend sein (§ 305c Abs 1 BGB). Wird die Verkehrsfähigkeit von erworbenen Gütern eingeschränkt, ist dies für den Nutzer meist überraschend.60 Schließlich wird jedoch eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB idR vorliegen, da der Nutzer ohne ein berechtigtes Interesse des Herstellers/Betreibers in seiner Verfügungsmacht eingeschränkt werden soll.61 Etwas anderes kann beim Softwareerwerb durch Download gelten.62 Im Falle eines kostenpflichtigen Erwerbs sind etwaige Nutzungsbestimmungen jedoch auch hier zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses zu treffen. Auch wenn eine Software kostenlos erhältlich ist, sind die Bedingungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, hier im Zweifel der Beginn des Downloads, zugänglich zu machen. Einzig wenn eine Softwareinstallation direkt aus dem Internet her erfolgt, können EULA im Rahmen des Installationsvorganges Geltung entfalten, wenn der Nutzer noch die Wahl hat, die Installation abzubrechen.63 Probleme können sich beim Erwerb von reinen Online-Spielen ergeben.64 Bei ihnen ist der eigentliche Datenträger allein nicht zu gebrauchen. Gespielt werden kann nur bei einer Verbindung zum Server.65 Kern des gekauften Gegendstandes ist hier also nicht allein die für sich selbst nutzlose Standardsoftware, sondern ein Nutzungsrecht des Serversystems zum Betreten und Nutzen der virtuellen Welt.66 Ein solcher Kauf könnte sich 56 57
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Vgl hierzu auch Rn 98 f. EULA engl für End User License Agreement, TOS engl für Terms of Service. Weitere Bezeichnungen für derartige Vertragsbestimmungen sind Terms of Use, Nutzungsbedingungen, Bedingungen. Vgl Krasemann MMR 2006, 351, 352. Palandt/Heinrichs § 305 BGB Rn 39. Lober/Weber MMR 2005, 653, 359; aA Koch, P JurPC Web-Dok 57/2006, Abs 10. Koch, P JurPC Web-Dok 57/2006, Abs 10; Lober/Weber MMR 2005, 653, 659. Neben dem Standard Anwendungsfall PC-
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Spiele können mittlerweile auch Konsolenspiele online erworben werden. Vgl Pressemeldung c’t 25/2007, 34. Auch die Gegenleistung muss er dann natürlich zurückerhalten bzw etwaige, eingeleitete Zahlungsvorgänge abgebrochen werden. Insb zu Second Life Habel MMR 2008, 71, 73 ff. Vgl Rn 13. Lober/Weber MMR 2005, 653, 656 vergleichen den Erwerb eines Computerspiels mit einem prepaid-Mobiltelefon.
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als gemischter Sach- und Rechtskauf darstellen. Besser erscheint die Betrachtung als Sachkauf (§ 433 BGB) in Verbindung mit einem Dienstvertrag (§ 611 BGB).67 Zu einer zweckmäßigen juristischen Betrachtung kommt man nur durch weitere Differenzierung. Dafür muss das konkrete Zahlungsmodell des Betreibers berücksichtigt werden. Im Kaufpreis enthalten ist zunächst der Preis für die gegenständlichen Sachen und ein in aller Regel zeitlich oder inhaltlich beschränktes Nutzungsrecht, mithin die Gegenleistung aus einem Dienstvertrag über eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Inhalt. Will der Spieler die Serverinfrastruktur weiter in Anspruch nehmen, werden neue Dienstverträge abgeschlossen (Paketmodelle) oder ein Dauerschuldverhältnis eingegangen (Abonnementmodelle). Dabei sind die Regeln zum Schutz der beschränkt Geschäftsfähigen (§§ 106 ff BGB) zu beachten. Da Dauerschuldverhältnisse ohne Zustimmung der Eltern nicht wirksam zustande kommen, sind Paketmodelle für den Anbieter die sicherere Wahl. Auch diese Verträge kann der Minderjährige zwar nicht allein rechtswirksam abschließen, jedoch kann zumindest über § 110 eine Wirksamkeit durch die vollständige Bewirkung der Gegenleistung herbeigeführt werden. Computerspiele teilen aufgrund ihres Softwarecharakters die Probleme, die generell 27 beim Kauf von Software auftreten können. Mängel können sich zum einen aus der physischen Beschaffenheit der Datenträger und des Zubehörs ergeben. Nicht vollständig gelieferte Ware gilt nach § 434 Abs 3 BGB als mangelhaft und wird nach dem Gewährleistungsrecht behandelt. Nach § 434 Abs 2 S 2 BGB gelten Fehler in der Montageanleitung als Sachmangel. Diese IKEA-Klausel lässt sich ohne weiteres auf die Installationsanleitung zu einem Computerspiel übertragen. Enthält sie Fehler ist das Spiel mangelhaft, es sei denn das Spiel ist (zB aufgrund von Fachkenntnis oder Selbsthilfe) fehlerfrei installiert worden. Spezifische Probleme können hinsichtlich des Computerspiels an sich bestehen. Zum einen kann der in den meisten Spielen integrierte Kopierschutz für Unverträglichkeiten mit bestimmter Hardware oder anderer installierter Software sorgen. Zum anderen werden auch Computerspiele regelmäßig durch Patches und Updates nach dem Gefahrenübergang verändert. Dies erfolgt in erster Linie zur Fehlerbehebung oder Verbesserung. Zweifelhaft können insbesondere Sammelupdates sein, die nicht nur Fehler ausmerzen, sondern vom Nutzer unerwünscht neue Beschränkungen in die Software integrieren.68 Die Rechtsnatur von Updates kann somit einerseits geschuldete Fehlerbeseitigung im Rahmen der Gewährleistung sein, zum anderen ein vom Kaufvertrag unabhängiger Werkvertrag auf Integration neuer Bestandteile. Werden durch die Aufwertung des Spiels zugleich auch neue Fehler eingearbeitet, haftet der Herausgeber des Updates für Mängel nach §§ 634 ff BGB. Weitere Besonderheiten bestehen im Fernabsatz durch die Einschränkung des Wider28 rufsrechts gem § 312d Abs 4 Nr 2 BGB für entsiegelte Datenträger und bei den für alle Formen des Handels zu beachtenden Regeln des Jugendschutzes, welche wie für andere Medienprodukte auch für Computerspiele gelten.69
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Lober/Weber MMR 2005, 653, 656 erwägen auch einen Mietvertrag über virtuellen Raum. Zum möglichen Mangel durch nachträglich
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eingearbeitete oder veränderte Werbung s Rn 98 f. Vgl Rn 175 ff u Teil 7 Kap 2 Rn 103 ff.
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§2 Recht und Gesetz in Computerspielen Computerspiele unterliegen wie alle Medienprodukte den allgemeinen Regeln und 29 Vorschriften. Dazu zählen das BGB, UWG,70 GWB, StGB und immer mehr auch das TMG. Darauf wird im Folgenden nur bei Besonderheiten, die Computerspiele betreffen eingegangen. Daneben kommt ein Sonderschutz insbesondere aus dem UrhG in Frage. Spezifische Sonderregeln gibt es auch im JuSchG.
I. Rechtsnatur der Spiele Um die Rechtsnatur und den damit verbundenen Schutz eines Computerspiels einord- 30 nen und bestimmen zu können, ist es notwendig zu differenzieren. Ein spezialgesetzlicher Schutz, der gerade auf Computerspiele ausgerichtet ist, besteht nicht.71 Daher müssen im jeweiligen Einzelfall die allgemeinen immaterialgüterrechtlichen Vorschriften auf ihre konkrete Anwendbarkeit hin überprüft werden. Eine wesentliche Besonderheit der Computerspiele stellt die Eigenschaft als multimediale Mischform dar.72 Jedes Computerspiel besteht aus mehreren verschiedenen Elementen, deren Zusam- 31 menspiel erst das interaktive Spielerlebnis ermöglicht. Dazu gehören: die Basissoftware, zusätzliche Hilfsprogramme für Ein- und Ausgabe, Treiberprogramme für externe Spielgeräte 73, Grafikdateien für die Elemente des Spiels (Texturen, Landkarten, Zwischengrafiken, Menüs, Personen, Gegenstände, Werbung usw), Sounddateien für Geräuscheffekte, Sprachausgabe, Musik und Videodateien für Einblendungen und Zwischensequenzen. In die Basissoftware integriert sind die für die Grafik- und Soundausgabe hauptverantwortliche Grafik-Engine und die Sound-Engine sowie die grundlegende Spielfunktionen bereitstellende Game-Engine.74 Je nach Plattform werden diese Programme und Daten in ein und derselben Datei gespeichert (Spiele für Mobiltelefone, PDA) oder teilen sich auf viele verschiedene Dateien (PC, Konsolen) oder sogar Datenträger (PC) auf. Diese Elemente werden immaterialgüterrechtlich teilweise recht unterschiedlich behandelt. Infrage kommen vor allem Urheberrechte und Leistungsschutzrechte an den Einzelelementen,75 wie auch am Gesamtprodukt. Daher kann es keine allgemeingültigen Aussagen hinsichtlich des Schutzes des Spiels an sich geben. 1. Grundrechtsschutz Als Werke und Leistungsschutzrechtsobjekte unterliegen Computerspiele grds der 32 Eigentumsgarantie aus Art 14 GG, welcher durch die immaterialgüterrechtlichen Sondervorschriften konkretisiert wird. Die Betätigung und den Wettbewerb am Markt schützt die Berufsfreiheit Art 12 GG. Zumindest den aufwendiger gestalteten Spielen muss auch die Kunstfreiheit aus Art 5 Abs 3 GG zur Seite stehen. Es lässt sich im Hinblick auf den offenen Kunstbegriff nicht rechtfertigen, warum Computerspiele als moderne Medienform im Gegensatz zu Spielfilmen, Romanen und Bildern vom Schutz dieses Grundrechts 70
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Zum Schutz von Computerspielen nach UWG vgl Kilian/Heussen/Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5, 50 Rn 40 und Teil 5, 57 Rn 9 ff. Zum Schutz „analoger“ Spiele vgl Schricker GRURInt 2008, 200 ff.
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Poll/Brauneck GRUR 2001, 389; Für Spanien vgl Esteve GRUR Int 1998, 858. Vgl Rn 36. Lambrecht 34 ff. Vgl Rn 34 ff.
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ausgeschlossen sein sollen.76 Der primär kommerzielle Hintergrund der Herstellung besteht gerade auch bei der Filmwirtschaft und der Verlagsindustrie, deren Produkte unstreitig unter dem Schutz der Kunstfreiheit stehen. 2. Patentstreitigkeiten
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Die ersten Spiele waren mit ihrer Hardware entweder fest verbunden und integriert oder wurden in Cartridges ausgeliefert. In den frühen Jahren wurde aufgrund dieser Hardware-Nähe hauptsächlich im common-law Rechtskreis das Patentrecht zur Streitlösung herangezogen, da dort das Patentrecht einen weiteren Anwendungsbereich hat.77 Aufgrund der Technikbezogenheit des deutschen Patentrechts verbietet sich eine Anwendung für bloße Software (§ 1 Abs 3 Nr 3 PatG).78 Soweit mithilfe von Software ein technisches Problem gelöst werden kann, dass man bspw auch durch eine komplizierte Mechanik lösen könnte, ist in Einzelfällen auch Programmen der Patentschutz zuerkannt worden.79 Bisher konnte sich die Auffassung, Software sei generell auch über das Patentrecht schutzfähig, beim Gesetzgeber nicht durchsetzen.80 Solange weder im deutschen, noch im europäischen Recht Softwarepatente für eine Software als solche eingetragen werden können, sind Computerspiele an sich nicht durch das Patentrecht geschützt, denn sie lösen keine technischen Probleme. Anderes kann aber für spezielle Eingabe- und Zusatzgeräte für die Spiele gelten; zB Spieletastaturen, Gamecontroller, Joysticks, Lenkräder, 3-D-Brillen und sogar kleine Windmaschinen. Wie bei anderen Medienprodukten sind die Geräte unverzichtbar für den Genuss der Medien. Die technische Plattform und deren Zubehörteile selbst sind jedoch nicht als Medienprodukte zu klassifizieren, da sie selbst lediglich Hilfsmittel für die Medienverwendung durch den Nutzer darstellen. 3. Urheberrecht
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Die Einordnung der Computerspiele in den Werkkatalog des § 2 Abs 1 UrhG fällt auf den ersten Blick nicht ganz leicht.81 Das Fehlen einer spezifischen Kategorie „Computerspiel“ sollte nach der offenen Konzeption des Werkbegriffes und der lediglich beispielhaften Aufzählung der Werkarten unproblematisch sein.82 Dennoch gelten für einige Werkkategorien Ausnahmen und Sonderregeln, die der eigentlich beispielhaften Aufzählung des § 2 Abs 1 UrhG dennoch differenzierendes Gewicht verleihen. Daher ist der Rechtsanwender stets gehalten, ein Werk den Kategorien zuzuordnen. Computerspiele sind aufgrund ihres komplexen und collagenhaften Charakters nicht pauschal einer einzigen Werkart zuzuordnen.83 Vielmehr können nur einzelne Elemente und Wesenszüge 76
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AA Zagouras/Körber WRP 2006, 680, 681, differenzierend OLG Hamburg ZUM 2004, 309, 310 – Oliver Kahn. Vgl Festinger 7. BPatG GRUR 2007, 316 – Bedienoberfläche; BPatG MMR 2005, 593 – Strukturierungsprogramm; BGHZ 67, 22, 26 ff – Dispositionsprogramm; BGH GRUR 1977, 657 – Straken. BGHZ 143, 255, 263 – Logikverifikation; BGH GRUR 1992, 430, 431 – Tauchcomputer. Eine entsprechende Initiative des europäischen Gesetzgebers konnte sich nicht durch-
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setzen. Obwohl die Einordnung von Software als urheberrechtlich geschütztes Werk von der hM als eher unglücklich angesehen wird (Marly), ist auch die Zuordnung zum Patentrecht wegen der damit verbundenen Folgen sehr umstritten. Poll/Brauneck GRUR 2001, 389. Schack 152; s dazu Teil 2 Kap 1 Rn 51 ff. OLG Köln GRUR 1992, 312 – Amiga Club; LG Bochum CR 1995, 274; OLG Düsseldorf MMR 1999, 602 – Die Siedler III; Die urheberrechtliche Behandlung dieser Mischform ist sowohl de lege lata als auch de lege
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eines Spiels bestimmten Werkarten zugerechnet werden. Man kann von einer künstlerisch-technischen Doppelnatur sprechen.84 Zutreffender ist jedoch eine Multinatur, denn auch künstlerisch treffen verschiedene Welten zusammen. Zu vermeiden sind deshalb Aussagen, die zu allgemeingültig aufgestellt sind oder verstanden werden können. Stets ist eine Differenzierung erforderlich. 4. Computerspiele als Software Grds beinhaltet ein Computerspiel per definitionem ein ausführbares Programm 85 für 35 eine elektronische Datenverarbeitungsanlage und ist somit als Software, welche gem § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG zu den Sprachwerken zählt, urheberrechtlich geschützt.86 Dieser Schutz für das Softwarewerk bezieht sich auf die konkrete Ausprägung des Quelltextes und der kompilierten Version. Gemäß dem obigen Differenzierungsgebot, bezieht sich der Softwareschutz lediglich auf Elemente des Computerspiels, die auch ausführbaren Programmcode enthalten. Nicht unter die Programmdefinition fallen mangels Ausführbarkeit und Steuerungs- 36 funktion Daten, Ausgangswerte und bloße Rechenergebnisse durch die Anwendung der Software.87 Diese reinen Daten werden vom urheberrechtlichen Softwareschutz grds nicht erfasst.88 Die durch die Entwickler geschaffenen, fertig vorbereiten Grafiken, Töne und Videos, die durch die Software lediglich wiedergegeben werden, sind nicht Bestandteil eines ausführbaren Programms. Die vorberechneten und fertig vorliegenden Einzelelemente selbst fallen demnach nicht unter den Softwarewerkschutz. Sie werden nur als Objekte durch die Software genutzt. Die eigentliche Spiele-Software generiert mit ihrer Hilfe die virtuelle Umgebung. Durch die Verarbeitung dieser Daten werden selbige nicht zu einem ausführbaren Programm. Die audio-visuellen Daten werden durch die Software bearbeitet und zu einer wahrnehmbaren Ausgabe verbunden. Die virtuellen Welten werden auf diese Weise mithilfe von digitalen Karten (maps), Objektbeschreibungen und Texturen und Soundsamples erzeugt und auf dem Bildschirm ausgegeben. Die Auffassung, auch die Bildschirmausgabe eines Programms sei (zumindest auch) 37 konkreter Ausdruck des zugrundeliegenden Quelltextes 89, vermengt die urheberrechtliche Einordnung der Software als Sprachwerk mit einem de lege ferenda möglicherweise von manchen gewünschten Schutzumfang. Der Schutz eines Programms in jeder Ausdrucksform, meint eben das Programm an sich, nicht jedoch die notwendigen Dateneingaben und die Ergebnisse seiner Ausführung.90 Die gleiche Ausgabe kann nämlich auf
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ferenda stark im Fluss, vgl Rehbinder Rn 160 ff. Rehbinder 169; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 76. Zum Programmbegriff BGH GRUR 1985, 1041, 1047 – Inkasso-Programm; OLG Frankfurt aM GRUR 1983, 753, 755 – Pengo; Koch GRUR 2000, 191, 195; Rehbinder 168. OLG Köln GRUR 1992, 312 – Amiga Club; OLG Hamburg NJW-RR 1999, 483 – Superfun II; OLG Hamburg ZUM-RD 1999, 14 – Superdead II; OLG Hamburg CR 1999, 298 – Perfect Alert; LG Bochum CR 1995, 274.
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Vgl Marly Rn 26 ff; Lambrecht 74, 80, 92, der auch einen (möglichen) erweiterten Programmbegriff ablehnt. LG Düsseldorf ZUM 2007, 559, 563. OLG Karlsruhe ZUM 1995, 143 – Bildschirmmasken; KG NJW 1997, 331 – OEM Software; Härting/Kuon CR 2004, 527, 530. OLG Frankfurt aM MMR 2005, 705, 706 – Urheberrecht an Website-Gestaltung; OLG Düsseldorf MMR 1999, 729 – baumarkt.de; OLG Düsseldorf MMR 1999, 602 – Die Siedler III; Rehbinder 168; Poll/Brauneck GRUR 2001, 389, 390.
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programm-technisch verschiedene Art und Weise erreicht werden. Die Gleichheit oder Ungleichheit einer Datenausgabe sagt über die Vergleichbarkeit des zugrundeliegenden Programms nichts aus. Gegen die Zugehörigkeit der Bildschirmausgabe zum Softwareschutz spricht auch, dass es auf modernen Betriebssystemen „die Bildschirmausgabe“ kaum mehr gibt. Unzählige Parameter der Ausgabe kann der Nutzer nach seinem Geschmack anpassen und einstellen. Darauf hat der Entwickler eines Programms kaum Einfluss. Weiterhin würde die Abgrenzung reiner digitaler Daten von lauffähigen Programmen vermischt. Die bloße Wiedergabe von digitalisierten Inhalten könnte andernfalls Softwareschutz für diese Inhalte bewirken, was nicht die Absicht des Gesetzgebers war. Die Ausgabe, die Oberfläche und Aussehen eines Programms müssen daher getrennt von seinen ausführbaren Bestandteilen betrachtet werden.91 Hinsichtlich der Anforderungen an die urheberrechtliche Schutzfähigkeit ist zu beach38 ten, dass für Computerprogramme keine persönliche, sondern eigene Schöpfung vorliegen muss. Die hM folgert daraus, dass aber auch hier die kleine Münze ausreichend ist.92 Besondere, erhöhte Anforderungen an die Gestaltungshöhe, wie sie die ältere Rechtsprechung verlangte, sind daher nicht mehr Schutzvoraussetzung.93 Wird die notwendige Schöpfungshöhe durch die dem urheberrechtlichen Software39 schutz zugänglichen Programmteile erreicht,94 genießen diese Bestandteile des Computerspiels den vollen Schutzumfang wie andere Softwarewerke. Unbestritten nicht unter den Softwareschutz fallen Handbücher und Anleitungen.95 5. Spiel als Filmwerk bzw Laufbild
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Die Bildschirmausgabe 96, die durch die Spiele-Software veranlasst und berechnet wird kann als visuelle Darstellung Filmwerkschutz nach § 2 Abs 1 Nr 6 UrhG und Filmherstellerschutz nach § 94 UrhG 97 oder Laufbildschutz nach § 95 UrhG erlangen.98 Der an den Filmherstellerschutz angelehnte Laufbildschutz unterscheidet sich auf Tatbestandsebene von den Filmwerken hauptsächlich durch die fehlende Individualität. Die Art der Erzeugung der bewegten Bilder ist für die Erlangung des Schutzes im Gegensatz zum Lichtbild- und Lichtbildwerkschutz, die eine strahlende Energie voraussetzen 99, gleichgültig.100 Auch das bildlich dargestellte Rechenergebnis eines Programms kann daher
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Poll/Brauneck GRUR 2001, 389, 390; Schricker/Loewenheim § 69a UrhG Rn 25; Vgl zur differenzierten Disskussion Lambrecht 74 ff. BGH GRUR 2005, 860, 861 – Fash 2000; LG Düsseldorf ZUM 2007, 559, 563. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 33. Zu den Kriterien des Werkschutzes in Bezug auf Computerspiele/Software vgl LG Düsseldorf ZUM 2007, 559, 563; Lambrecht 98 f; Marly Rn 122 ff. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 13; Schricker/Loewenheim § 69a UrhG Rn 6. Dazu Nordemann GRUR 1981, 891. Filmwerke erlangen den eigentlichen ur-
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heberrechtlichen Werkschutz sowie das zusätzliche Leistungsschutzrecht des Filmherstellers. Laufbilder hingegen erlangen lediglich eine leistungsschutzrechtliche Position. Aus Gründen sprachlicher Vereinfachung wird auf die weitere besondere Erwähnung des Filmherstellerschutzes neben dem Filmwerkschutz verzichtet. Vgl Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 129; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 183 mwNw; Ulbricht CR 2002, 317, 320; für ältere Spiele abl und die Erforderlichkeit generell in Zweifel ziehend Schack Rn 653 f. Vgl Teil 2 Kap 4 Rn 6. Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 205, 207.
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Laufbild- oder Filmwerkschutz erlangen.101 Abweichend vom üblichen Automatismus kann somit Laufbildschutz entstehen, ohne dass den einzelnen Bildern Lichtbildschutz nach § 72 UrhG zukommt.102 Allerdings genießen auch Standbilder den Filmherstelleroder Laufbildschutz.103 Die Bildschirmausgabe selbst muss nach den interaktiven Teilen (dem eigentlichen Spiel) und in das Spiel eingearbeiteten Filmsequenzen (Intro, Zwischensequenzen, Trailer) unterschieden werden. Die Zwischensequenzen sind meist aufwändig produziert. Sie können mithilfe echter Schauspieler und Kulissen durchgeführt werden. Oft sind die Sequenzen aber auch als reine Animation im Computer entstanden. Beide Varianten erzählen Geschichten, denen Drehbücher, Recherche und detaillierte Planung zugrunde liegen. Die fertigen Sequenzen genießen mittlerweile fast ausschließlich Filmcharakter und sind damit als Filmwerke, hilfsweise als Laufbilder, zu klassifizieren.104 Bei gegebener Individualität ebenfalls grds als Filmwerke einzuordnen sind Zwischensequenzen, die zwar nicht als fertiger Film vorliegen, in denen die Abläufe jedoch fest vorprogrammiert sind und der Spieler diese lediglich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann.105 Sie stellen gewissermaßen einen begehbaren Film dar und stehen zwischen dem interaktiven Spiel und einem gänzlich unbeeinflussbaren Filmwerk. Anders als bei herkömmlichen Filmen oder Laufbildern kann der Spieler auf die Bildschirmausgabe interaktiv Einfluss nehmen; dies ist gerade der Sinn des Mediums Computerspiel. Die Bildschirmausgabe ist deshalb nie völlig identisch und von den Eingaben den Spieler abhängig. Die Ansicht, alle möglichen Ausgaben seien schon im Spiel angelegt und vorprogrammiert 106 ist technisch nicht ganz sauber formuliert, trifft jedoch sinngemäß den Kern. Insbesondere moderne virtuelle Welten sind programmiertechnisch von den automatisch ablaufenden Welten vergangener Spielegenerationen weit entfernt. Dennoch lässt sich sagen, dass die Programmierer den Aktionsradius und die Ausgabemöglichkeiten des Computerspiels zwar nicht direkt festgelegt, jedoch durch ihr Programm die möglichen Ausgaben zumindest theoretisch determiniert haben.107 Auch Zufallsmomente im Spielablauf können diese Bewertung nicht ändern,108 denn deren Reichweite und Einsatz hat der Programmierer ebenfalls festgelegt. In der Software sind daher nicht sämtliche möglichen Geschehensabläufe abgelegt, sie bestimmt vielmehr funktionell die Möglichkeiten und Grenzen des Machbaren. Während für Computerspiele älterer Machart überwiegend der Laufbildschutz bejaht wurde, muss man aufgrund der grafischen Weiterentwicklung der letzten Jahre und der damit verbundenen besseren erzählerischen Möglichkeiten immer häufiger den Filmwerkschutz annehmen. Die gesamte Produktion von Computerspielen ist aufwändiger und professioneller geworden. In den Anfangszeiten hing die grafische Ausgabe eines
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OLG Hamburg GRUR 1983, 436, 437 – Puckman; OLG Hamburg GRUR 1990, 127 – Super Mario III; OLG Köln GRUR 1992, 312, 313 – Amiga Club; Nordemann GRUR 1981, 891, 893; Lambrecht 159. Vgl Rn 55 ff. OLG Köln ZUM 2005, 235 – Standbilder im Internet. Schack Rn 654. ZB die Zwischensequenzen im Spiel HalfLife 2. OLG Hamm ZUM 1992, 99, 100;
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BayObLG GRUR 1992, 508 – Verwertung von Computerspielen; Loewenheim FS Hubmann 307, 318; Nordemann GRUR 1981, 891, 893. So iE auch die hM OLG Köln GRUR 1992, 312, 313 – Amiga Club; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 183; Wandtke/Bullinger/ Bullinger § 2 UrhG Rn 121; Dreier/Schulze/ Schulze § 2 UrhG Rn 207; aA noch OLG Frankfurt aM GRUR 1983, 753 – Pengo. Kilian/Heussen/Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5 50 Rn 36; Lambrecht 131.
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2. Teil
Computerspiels hauptsächlich von den grafischen Fähigkeiten der Programmierer ab. Heute werden wie im Filmbusiness unzählige Spezialisten in die Entwicklung eines Spiels miteinbezogen. Die Spiele erhalten auf diese Art und Weise eine enorme Dichte an Handlung und einen komplexen, teilweise sogar nicht-linearen, Spielverlauf. Die auch für die Bildschirmausgabe von Computerspielen geltenden minimalen Individualitätskriterien der kleinen Münze 109 dürften somit in objektiver und subjektiver Hinsicht die meisten modernen Computerspiele erreichen.110 Es dürfen daher nicht lediglich bekannte grafische Elemente aneinandergereiht werden. Vielmehr muss eine individuelle Gestaltung erfolgen. Der Schutz über den 25 Jahre währenden Laufbildschutz weist einige Schwächen im 45 Gegensatz zum Filmwerkschutz auf, der erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt.111 Dazu gehören die eingeschränkte Reichweite gegen starke Verfremdungen und die Unanwendbarkeit auf im Ausland produzierter Computerspiele ausländische Hersteller, wenn nicht nach den §§ 128 Abs 2, 126 Abs 3 S 2, 121 Abs 4 UrhG die Gegenseitigkeit des Schutzes begründet werden kann. Schutz wird weiterhin gewährt, wenn das Spiel erstmals in Deutschland oder innerhalb von 30 Tagen nach dem Erscheinen im Ausland auch in Deutschland erschienen ist. Die Bildschirmausgabe eines Computerspiels ist daher immer geschützt. Ihre Beein46 trächtigung muss stets von der Verletzung an Urheberrechten der zugrundeliegenden Software getrennt betrachtet werden.112 6. Mehr als nur die Summe der Einzelteile – Spiele als Multimediawerke
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Der Schutz von Computerspielen setzt sich als rechtlicher Fleckenteppich seiner geschützten Bestandteile zusammen.113 Nach überwiegender Ansicht ist gerade auch in dieser spezifischen Zusammensetzung eine schöpferische Leistung zu sehen.114 Letztlich müssen zu Beurteilung der Werkqualität die herkömmlichen Begriffe herangezogen werden. Die unmögliche Zuordnung des gesamten Computerspiels zum Softwareschutz wurde oben bereits dargestellt.115 Mangels eines allgemeinen Leistungsschutzrechts, welches eine solche Leistung angemessen schützen würde und des abschließenden Kanons der Leistungsschutzrechte, bleibt nur der Rückgriff auf den offenen Werkbegriff. Unabhängig von Stilrichtung und Einordnung in klassische Werkkategorien, kann jede persönlich-geistige Schöpfung den Urheberschutz erlangen.116 Für Computerspiele als Medienprodukte muss dies uneingeschränkt gelten. Ungeachtet des Schutzes des Quellcodes als Software und der einzelnen gestalteten grafischen und tonalen Elemente kann der Gesamteinheit des Spiels daher Schutz als Werk zukommen.117 Die Besonderheit ist hier
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OLG Hamburg GRUR 1983, 436, 437 – Puckman. Zu den Kriterien vgl Nordemann GRUR 1981, 891, 894; Lambrecht 139 ff. Der zeitliche Unterschied ist trotz der enormen Differenz kaum praktisch relevant. Mit der Einführung neuer Hardware, spätestens der übernächsten Generation laufen die meisten Spiele nicht mehr. Wirtschaftliche Bedeutsamkeit können sich nur die wenigsten Spiele über 1–2 Jahre sichern. Vgl Rn 37.
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Junker/Benecke Rn 54. Schack Rn 217. Vgl Rn 35 ff. Schack Rn 216. Vgl OGH ZUM-RD 2005, 11 – Fast Film; In der Entscheidung OGH erstmals mit der Frage beschäftigt, ob Computer- bzw Videospiele als Ganzes und in den einzelnen Teilen der Oberfläche urheberrechtlichen Schutz – unabhängig von der zugrunde liegenden Programmsoftware – genießen können.
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gerade die Verschmelzung altbekannter Werkarten zu einer neuen Einheit. Computerspiele stellen neben Webseiten118 ein Paradebeispiel für solche Multimediawerke dar.119 Die schöpferische Betätigung müsste aber für ein solches Werk unabhängig von den 48 Rechten an Bildschirmausgabe und Software gerade in der Zusammenstellung der einzelnen Elemente liegen, denn die Werkqualität der Einzelbestandteile kann nicht auch die Werkeigenschaft in Form eines Multimediawerkes nach sich ziehen.120 Diese übergeordnete Individualität erscheint auch unter Berücksichtigung der geringen Anforderungen der kleinen Münze für viele Computerspiele zweifelhaft. Der dogmatisch richtige Ansatzpunkt für einen solchen Schutz der Gesamtzusammenstellung wäre eher ein Leistungsschutzrecht für Computerspiele-Produzenten. Die Organisation der Zusammenstellung und die Planung sind eher finanzielle und technisch-organisatorische Leistungen. Der praktische Nutzen eines übergeordneten Gesamtschutzes ist aufgrund der Reichweite des Schutzes der Einzelbestandteile fraglich. Wünschenswert wäre indes ein eigener Regelungskomplex für Multimediawerke, der die derzeit offenen Rechtsfragen klärt, Widersprüche auflöst 121 und der wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung des Multimediawerkes nachkommt.122 Auf diese Weise könnten die aus der unterschiedlichen Natur des Rechtsschutzes der Bestandteile des Computerspiels resultierenden Folgen ausgeglichen werden.
II. Einzelelemente des Computerspiels Die einzelnen Bestandteile eines Computerspiels können ungeachtet der rechtlichen 49 Beurteilung von Steuersoftware und Bildschirmausgabe eigenständigen rechtlichen Schutz beanspruchen, wenn die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Der urheberrechtliche Schutz eines Einzelelements eines Werks ist vom Schutz des Gesamtwerks grds unabhängig.123 1. Schutz von Spielidee, Spielaufgabe und Gamedesign Ideen124 sind nach den Leitvorstellungen des deutschen Immaterialgüterrechts nicht 50 schutzfähig.125 Nur die konkrete Ausprägung einer Idee kann nach den Sonderschutzgesetzen Schutz erlangen. Die zugrundeliegenden abstrakten Prinzipien und Abläufe aber auch die künstlerischen Stilmittel zur Gestaltung sind somit grds nicht als solche zu monopolisieren.126 Die Entscheidungen für herkömmliche Spiele können hier analog angewendet werden.127 Dies dient dem Interesse des Wettbewerbs und dem Freihalte118 119 120 121
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Dazu OLG Rostock GRUR-RR 2008, 1; Cichon ZUM 1998, 897. Schack Rn 217. Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 243. Vgl dazu hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtsfolgen betreffend technische Schutzmaßnahmen und Schranken Rn 76 ff. Nach Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 76 wäre der Gesetzgeber gut beraten, den Katalog des § 2 UrhG entsprechend zu ergänzen. BGHZ 9, 262, 267 – Lied der Wildbahn I; BGHZ 9, 237, 241 – Gaunerroman. Problematisch ist die Reichweite des Begriffs
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„Idee“ in Abgrenzung zum Konzept, vgl Henkenborg 107 ff. BGH GRUR 1962, 51 , 52 – Zahlenlotto; Dreier/Schulze/Schulze § _ UrhG Rn 37; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 50. BGH GRUR 1988, 690, 693 – Kristallfiguren; BGH GRUR 2003, 876, 877 – L’ecole des fans; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 39; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 48. BGH GRUR 1962, 51, 52 – Zahlenlotto; OLG Frankfurt aM ZUM 1995, 795, 796 – Golfregeln.
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2. Teil
bedürfnis für Kunst und Wissenschaft.128 Wie bei anderen Softwareprodukten oder Medienprodukten kann daher auch eine noch so originelle Idee für das Grundprinzip eines Computerspieles nicht für sich geschützt werden.129 Von der Idee zu einem Spiel ist das Spielkonzept zu unterscheiden.130 Es enthält in abstrakten Grundzügen den Kern der Aufgaben des Spiels.131 Der Schutz des Konzeptes an sich wäre wirtschaftlich günstig für die jeweiligen Entwickler. Konkurrenzformate wären dann schwieriger zu entwickeln. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Spiels entscheidet das Konzept maßgeblich über den Spielspaß und die Annahme durch die Spieler. Problematisch am Konzeptschutz ist meist die Einfachheit der zugrundeliegenden Konzepte. Ein einfaches und leicht zu verstehendes Spielkonzept ist essentiell für die Benutzung, jedoch kaum geeignet, die Tatbestandsvoraussetzungen für den Werkschutz zu erfüllen.132 Obwohl von manchen eine grundsätzliche Schutzversagung bezweifelt wird,133 erreicht das Konzept bei Anwendung der Voraussetzungen des § 2 Abs 2 UrhG kaum je die erforderliche Individualität und Schöpfungshöhe. Dem abstrakten Spielkonzept fehlt es an der persönlichen Komponente die in diesem Stadium der Entwicklung notwendigerweise noch fehlt. Die dem Computerspiel zugrundeliegende Spielidee wie auch die Spielaufgaben sind daher nicht als losgelöste Spielprinzipien geschützt, sondern in nur ihrer konkreten Ausgestaltung im Spiel.134 Aus den gleichen Gründen ist der Schutz des bloßen Spieldesigns als solchem grds nicht möglich. Zwar können einzelne Elemente Sonderschutzrechte in Anspruch nehmen, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Die Atmosphäre und die designerische Gestaltung die sich durch das Spiel zieht, ist jedoch nicht ohne weiteres schutzfähig. Für den Produzenten und die Spieleentwickler besteht somit die sehr anspruchsvolle Aufgabe, die Leitideen und eine originelles Gameplay derartig mit schutzfähigen Elementen zu verweben, dass die bloße Übernahme der Idee kaum lohnenswert erscheint. 2. Screenshots
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Screenshots sind Momentaufnahmen der Bildschirmausgabe. Sie können extern mit einem Fotoapparat aufgenommen werden oder mittels der in fast allen Spielen enthaltenen Screenshot-Taste. Letzteres bewirkt die Speicherung des Bildschirminhalts im Augenblick des Tastendrucks in einer Grafikdatei. Dadurch können besonders witzige, originelle oder spannende Augenblicke im Spiel festgehalten werden. Ob solche Bilder Schutz erlangen können, hängt von verschiedenen Parametern ab. 56 Infrage kommen der Lichtbildschutz aus § 72 UrhG und der Lichtbildwerkschutz aus
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Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 UrhG Rn 96. LG Düsseldorf ZUM 2007, 559, 563; OLG München GRUR 1991, 510 – Rätsel; OLG Hamburg GRUR 1983, 436 – Puckman; Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 27; Schricker/Loewenheim § 69a UrhG Rn 12; Rehbinder 98; Kilian/Heussen/ Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5 50 Rn 36. Zum Konzeptschutz BGHZ 18, 175 – Werbeidee; BGH GRUR 2003, 876 – L’école des fans; OLG München ZUM 1999, 244.
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Henkenborg 114, 119 ff; Loewenheim FS Hubmann 307, 310 f. Vgl Lambrecht 177 f. Zum Parallelproblem bei Fernsehshowformaten BGH GRUR 2003, 876 – Sendeformat; Berking GRUR 2004, 109. Fromm/Nordemann/Vinck § 2 UrhG Rn 25; Henkenborg 107, 119, 206. Ausführliche Darstellung und weitere Differenzierungen bei Lambrecht 161 ff.
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§ 2 UrhG. Dies hängt von der Schöpfungshöhe des Inhalts ab und von der Frage ob man die Bildschirmausgabe als Erscheinungsform des Softwarewerkes per se mitumfasst sieht, was die hM verneint.135 Weiterhin drängt sich die Frage auf, ob es sich nicht um eine bloße Vervielfältigung 57 handelt. Dagegen könnte man anführen, dass die Bildschirmausgabe selbst flüchtig ist. Die Flüchtigkeit einer Wiedergabe beeinträchtigt jedoch weder ihre Schutzfähigkeit, noch ihre Eignung als Vervielfältigungsvorlage. Das Fotografieren des Computerbildschirms gleicht daher dem Fotografieren eines Kinofilms oder einer (live-) Fernsehsendung. Dagegen spricht auch nicht, dass das Computerspiel im Unterschied zum Film noch nicht in seiner Erscheinung festgelegt ist, sondern erst durch die immer wieder unterschiedliche Interaktion des Spielers einen anderen Verlauf nimmt. Es handelt sich somit sowohl beim Fotografieren, als auch beim Benutzen der Speichertaste um die technische Reproduktion eines bereits vorhandenen Bildes. Die Bildschirmausgabe ist als bildlich dargestelltes Rechenergebnis nicht in einem 58 lichtbildähnlichen Verfahren mit Hilfe strahlender Energie erzeugt worden und daher weder nach § 72 UrhG noch als Lichtbildwerk nach § 2 Nr 5 UrhG geschützt.136 Die generelle Schutzunfähigkeit der Vorlage oder eine schon eingetretene Gemeinfreiheit eines vormals geschützten Werkes begründen aber gerade keine andere rechtliche Bewertung des Reproduktions- oder Vervielfältigungsvorganges; etwa durch Abfotografieren.137 Somit können weder die Bildschirmausgabe noch davon angefertigte Screenshots einen Lichtbild- oder Lichtbildwerkschutz erlangen. Durch das Fotografieren oder Abspeichern entstehen somit keine neuen originären Rechte an dem Bildmaterial. Dennoch können durch die Anfertigung von Screenshots die Schutzrechte der Inhaber 59 der Laufbildrechte und gegebenenfalls Filmurheberrechte verletzt werden.138 Im Rahmen der Schranken, insbesondere § 53 UrhG,139 können aber zB für private Zwecke Screenshots angefertigt werden. 3. Musik, Soundeffekte, Sprache Die Musik in Computerspielen ist meist aufwändig produziert und unterliegt dem 60 musikalischen Urheberschutz gem § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG. Umgebungsgeräusche und Soundeffekte sind mangels der erreichten Schöpfungshöhe keine Werke. Sie fallen jedoch unter den Tonträgerherstellerschutz, den der wirtschaftliche Produzent 140 des aufgenommenen Tonträgers gem § 85 UrhG erlangt. Unerheblich für das Erlangen dieses Schutzes ist es, ob die aufgezeichneten Töne auf einem körperlichen Träger publiziert werden und zu welchem Zweck sie aufgenommen wurden. Sprachausgaben im Spiel stellen eine Vervielfältigung und aufgezeichnete Wiedergabe 61 des zugrundeliegenden Sprachwerkes dar, wenn die notwendige Individualität erreicht
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Vgl Rn 37. Schack Rn 645; Schricker/Vogel § 72 UrhG Rn 18; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 175; vgl auch Teil 2 Kap 4 Rn 8. BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion. Vgl Rn 40. Die Schranken der urheberrechtlichen Befugnisse zugunsten spezieller Berechtigter (§§ 44a ff UrhG) gelten nicht für Computer-
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programme. Die dort geltenden Schranken regelt § 69d UrhG speziell und abschließend. Vgl Dreier/Schulze/Dreier § 44a UrhG Rn 2. Da die Bildschirmausgabe kein Teil des Computerprogrammschutzes darstellt, sind für sie jedoch die allgemeinen Schranken (§§ 44a ff UrhG) maßgebend. Dies ist derjenige, welcher das finanzielle Risiko und die wirtschaftliche Verantwortung trägt.
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wird. Im Rahmen von Spielen kann das bei besonders originellen Textstellen und bei längeren Mono- und Dialogen der Fall sein. Zusätzlich besteht auch bei den Sprachaufnahmen der Tonträgerherstellerschutz. Besonderheiten ergeben sich im Zusammenhang mit der Bildschirmausgabe. Erreicht 62 diese aufgrund ausreichender Individualität und Schöpfungshöhe den Filmwerkschutz ist die Tonausgabe von diesem Filmwerkschutz mitumfasst. Ein eigenständiges Tonträgerherstellungsrecht entsteht in diesem Fall nicht. Neben dem Laufbildschutz kann und wird dagegen regelmäßig Tonträgerherstellerschutz vorliegen. 4. Der Name des Spiels – Titelschutz
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Als Träger eines umsetzungsfähigen geistigen Gehalts können Computerspiele gem § 5 Abs 1 MarkenG nach ganz hM Werktitelschutz beanspruchen.141 Der Titel muss den gleichen Anforderungen wie andere geschützte Titel genügen.142 Dazu gehört in erster Linie die Unterscheidungskraft.143 Der Titel darf deshalb nicht nur den Inhalt des Computerspiels beschreiben. Für Ansprüche aus dem MarkenG ist die Verwechslungsgefahr entscheidend, daher muss der betreffende Titel in Beziehung zu anderen Produkten gesetzt werden. Das sind neben Computerspielen möglicherweise weitere interaktive Medien, aber nicht alle Unterhaltungsmedien schlechthin. Weiterhin darf der Titel insbesondere nicht (Kennzeichen-)Rechte Dritter verletzen. Formell sind nur die Aufnahme der Benutzung oder die öffentliche Anzeige in einer Titelschutzanzeige erforderlich (§ 5 Abs 3 MarkenG). Einen stärkeren Schutz können die Titel erlangen wenn sie als Marke eingetragen werden.144 5. Untertitel
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Die in vielen Spielen eingeblendeten Untertitel 145 können bei Vorliegen der erforderlichen Individualität zumindest in Form der kleinen Münze einen Schutz als Sprachwerke gem § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG erlangen. Dazu ist nicht der einzelne Untertitel zu betrachten sondern zB bei Dialogen die gesamte Sequenz. 6. Spielfiguren und andere Objekte der virtuellen Welt
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Die in den virtuellen Welten agierenden Spielfiguren sind aus mehreren Blickwinkeln interessant. Zum einen kann es um immaterialgüterrechtliche Fragen bzgl des rechtlichen Schutzes der Spielfiguren unabhängig vom konkreten Spiel und ihrer Ausgestaltung gehen. Andererseits können die Figuren zum Handelsobjekt unter den Spielern werden.146 Einzelne Objekte eines Werkes können eigenständigen urheberrechtlichen Schutz er66 langen, wenn sie für sich allein betrachtet die Anforderungen des § 2 UrhG erfüllen.147
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BGH GRUR 1993, 767 – Zappel-Fisch; KG Berlin GRUR-RR 2003, 372; LG Hamburg MMR 1998, 485 – emergency; Fezer § 15 MarkenG Rn 154j; Junker/Benecke Rn 141; Zagouras/Körber WRP 2006, 680, 686; Lehmann CR 1998, 2; aA noch Zahrnt BB 1996, 1570, 1572. S dazu Teil 2 Kap 8 Rn 1 ff; Teil 2 Kap 7 Rn 182 ff.
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BGH MarkenR 2004, 342 – EURO 2000; OLG München CR 1995, 394 – Multimedia. S dazu Teil 2 Kap 7 Rn 20 ff. Untertitel sind keine Schutzobjekte des Titelschutzes nach dem MarkenG. Vgl dazu Rn 139 ff. Vgl BGH GRUR 1958, 500 Mecki-Igel; BGH GRUR 1992, 697 – ALF; BGH ZUM
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Recht und Gesetz in Computerspielen
Dies betrifft nicht nur die konkret dargestellte Figur, sondern deren Charakter mit all ihren spezifischen Merkmalen.148 Somit kann auch Schutz für Darstellungen und Verwendungen einer Figur erlangt werden, wenn diese Darstellungen im Originalwerk in dieser Form überhaupt nicht vorkamen.149 Nicht leicht zu beantworten, aber hauptsächlich von akademischer Natur, ist wiederum die Frage der Einordnung in den Werkkatalog. Infrage käme der Schutz als Teil eines Filmwerkes oder als Werk der bildenden Künste nach § 2 Nr 4 UrhG. Näher liegen aufgrund der dreidimensionalen Schöpfung Parallelen zur bildenden Kunst.150 Zwar sind die virtuellen Objekte nicht greifbar wie die gängige bildende Kunst. Jedoch unterscheiden sie sich auch von den bloßen Abbildungen und Filmen durch ihre potentiell unendlichen Blickwinkel aus denen man sie virtuell betrachten kann. Es spricht daher viel dafür virtuelle Objekte als virtuelle bildende Kunst zu betrachten. Auch die Grundsätze der kleinen Münze sind bei virtueller bildender Kunst angebracht und reichen für die erforderliche Schöpfungshöhe aus. Figuren und Objekte aus Computerspielen können somit eigenständigen und von 67 sonstigen Elementen des Spiels unabhängigen Schutz erlangen.151 7. Texturen Texturen sind grafische Überzüge für dreidimensionale Körper in virtuellen Welten. 68 Für eine Hauswand bspw wird auf ein Wandobjekt ein Bild von Ziegeln gelegt, um die Wand nicht nur monoton in einer Farbe darzustellen. Die verwendeten Darstellungen werden nur selten die für den Werkschutz erforderliche Schöpfungshöhe erreichen.152 Abhängig von ihrer Entstehungsweise könnte in seltenen Fällen ein Lichtbildschutz nach § 72 gegeben sein. Dafür müsste die Grundlage der Textur in einer Fotografie oder in einem der Fotografie ähnlichen Verfahren unter Zuhilfenahme strahlender Energie gegeben sein.153 Die übliche Erstellung mit Hilfe von Grafikprogrammen kann nach überwiegender Meinung den Lichtbildschutz nicht erlangen. Texturen als solche sind daher regelmäßig nicht Gegenstand von Sonderschutzrechten. Nicht zur eigentlichen Textur gehören Teile der Ausgaberoutinen der Spielesoftware, 69 die mithilfe spezieller Algorithmen die Texturen noch realistischer aussehen lassen. Diese Programmteile werden als Software nach § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG geschützt, was wiederum die Ausgabe der fertig bearbeiteten Textur an sich nicht umfasst.154 8. Die „Spielwelt“ – Spieletopographie und Schutz der virtuellen Welt a) Geschichte. Über die Kernaufgaben eines Spiels hinaus werden die spielerischen 70 Grundkonzepte in eine bei den meisten Spielen recht liebevoll gestaltete Geschichte eingearbeitet. Anders als beim Roman oder Kinofilm kann der Spieler die Geschichte nicht nur aufnehmen sondern ist selbst für den Fortgang des Erzählten verantwortlich. Moderne Computerspiele werden mit ähnlich viel Energie und Aufwand vorbereitet, wie
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1995, 482 – Rosaroter Elefant; OLG Frankfurt aM GRUR 1984, 520 – Schlümpfe; OLG Hamburg ZUM 1989, 359 – Pillhuhn. BGH GRUR 1994, 206, 207 – Alcolix; BGH GRUR 1991, 191, 192 – Asterix Persiflagen. Wenn sich zB ein urheberrechtlich geschützter Schlumpf in Kampfmontur durch eine Vampirwelt kämpft.
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Kilian/Heussen/Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5 50 Rn 37 Eingehend Lambrecht 182 ff. LG Köln CR 2008, 463; LG Düsseldorf ZUM 2007, 559, 563. Vgl dazu Teil 2 Kap 4 Rn 5 ff. Vgl dazu Rn 37.
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2. Teil
Spielfilme. Den Spieler erwartet zumeist eine spannende Story. Soweit sie wiederum die erforderliche Individualität aufweist, ist eine der Spielhandlung unterlegte Geschichte ohne weiteres urheberrechtlich schutzfähig.155 Keine individuelle Geschichte liegt vor, wenn zB einfach nur ein Autorennen ausgetragen wird oder nur Tennis gespielt wird. Muss der Autofahrer hingegen Missionen erledigen, um Geld zu Verdienen und sein Auto zu verbessern, kann dies eine andere Bewertung nahelegen. Entscheidend ist die Bewertung der Geschichte im Einzelfall.
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b) Konkreter Spielablauf. Viele Spiele gerade im offline-Bereich werden durch einen bestimmten zur Spielgeschichte passenden Ablauf geprägt. Der Spieler muss sich bei steigendem Schwierigkeitsgrad von Aufgabe zu Aufgabe durcharbeiten. Die Reihenfolge dieser Aufgaben ist meist linear durch die Entwickler vorgegeben. Auch bei nichtlinearen Ansätzen ist die Anzahl und die Art der Möglichkeiten vorgegeben. Die Anpassung auf die Geschichte und die konkrete Aufgabenfolgen in ihrer individuellen Gestaltung kann durchaus urheberrechtlichen Schutz erlangen.156
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c) Freie virtuelle Welten. Eine andere Gestaltung besitzen insbesondere meist Mehrspieler-Spiele, die im LAN oder Online gespielt werden. Hier kann es die virtuelle Welt und eine klar definierte Aufgabe geben, deren Erfüllung über Sieg oder Niederlage entscheidet. So zB die Aufgabe im Spiel Counterstrike für die Polizisten, alle Geiseln unversehrt zu befreien oder die Bombe zu entschärfen. Die gegnerische Mannschaft muss genau dies verhindern. Die Spiele werden nach Runden ausgetragen. Es gibt keine übergeordnete Geschichte. Noch weniger Handlungsvorgaben hat das Spiel „Second Life“.157 Der Nutzer kann einfach nur in der virtuellen Welt herumschlendern, ohne spezielle Aufgaben erledigen zu müssen. Diese virtuelle Welt ist eine Nachbildung der realen Welt; man kann sich abmühen oder aber auf der faulen Haut liegen. Bisher kaum diskutiert ist, ob die Spielwelt als solche Rechtsschutz erlangen kann. 73 Die virtuelle Welt wird durch die Spieleserver berechnet und für den Menschen mithilfe der oben beschriebenen Grafikdateien und Programmroutinen in einen virtuellen, wahrnehmbaren Raum projiziert. Obwohl dabei keinerlei darstellerische Grenzen gesetzt sind, erfolgt die Abbildung auf gewohnte und vertraute Weise. Es gibt Wälder, Berge, Flüsse, Häuser, Dörfer, Straßen usw. Die virtuelle Welt gleicht der realen immer mehr. Die Welten der rundenbasierten Spiele unterscheiden sich von den persistenten Welten wie Second Life oder World of Warcraft in erster Linie durch die Größe. Grundlage für die Darstellung durch den Server sind sog „maps“. Diese digitalen Karten beschreiben das Aussehen der Computerwelten vollständig. Sie sind keine Software sondern reine Daten, anhand derer die Spielsoftware die virtuelle Welt erzeugt. Da solche maps allein den persönlichen Vorlieben und dem Geschmack ihres Ent74 wicklers und seinem gestalterischen Talent unterliegen, können sie grds urheberrechtliche Werke sein. Dies kann auch bei zufällig durch den Computer erzeugten Karten der Fall sein, wenn sie zumindest der Intention und gewissen, durch den Entwickler bestimmten, Grundregeln folgen.158 Der erforderliche geistige Gehalt und die notwendige Individualität richten sich nach den allgemeinen Maßstäben für bildende Künste, zu denen die visuell wahrnehmbaren Welten gehören dürften. In den meisten Fällen werden sich die 155 156 157
Vgl die Beispiele bei Lambrecht 180 ff. Henkenborg 120 ff; Lambrecht 179. Die Spieleigenschaft von Second Life ließe sich durchaus kontrovers diskutieren, je nach der Definition eines „Spiels“; dazu Habel MMR 2008, 71, 73. Mangels
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rechtlicher Bedeutung kann eine solche Diskussion hier unterbleiben. Vgl Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 2; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 17.
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aufwändigen und mit viel Liebe zum Detail aufgebauten Welten über das Alltägliche erheben. Urheber ist der Entwickler der einzelnen map. Geschützt ist dann die konkrete virtuelle Welt in ihrer individuellen Beschaffenheit und Komposition. Bei den frei wachsenden Welten ist indes fraglich, wem die Urheberschaft zukommt. 75 In einer Welt wie Second Life gibt es tausende Kreative. Die ganze Welt basiert auf der Kreativität der Nutzer. Es gibt keinen „Schöpfer“. Auch entwickelt sich diese Welt nicht nach einem bewusst schaffenden Geist. Sie ist dem zufälligen und freien Spiel der Kräfte ihrer Nutzer ausgesetzt. Eine solche frei entstehende Welt kann daher nicht und das Schöpferprinzip des Urheberrechts subsumiert werden.
III. Folgeprobleme der Multinatur von Computerspielen Durch die urheberrechtliche Ambivalenz des Schutzgegenstands Computerspiel muss 76 bei Feststellung der Schutzfähigkeit und Verletzung von Rechten besonders genau differenziert werden.159 Die Verwendung der Steuersoftware mit anderen Grafikdateien durch Dritte kann ein gänzlich anderes Aussehen auf dem Bildschirm hervorrufen. Dadurch sind die Rechte an der (Original-)Bildschirmausgabe nicht verletzt, wohl aber die Rechte an dem Computerprogramm.160 Umgekehrt ist es möglich mit einer vom ursprünglichen Programm völlig unabhängigen Spiele-Software die Bildschirmausgabe des ersten Spiels nachzuahmen. Dann wären die Rechte an der Software unberührt, jedoch die Urheberund Leistungsschutzrechte an der audio-visuellen Ausgabe möglicherweise verletzt.161 1. Prozessual Die gerichtliche Feststellung von Bestehen und Umfang der verschiedenen Rechte 77 benötigt unterschiedlichen prozessualen Aufwand. Die Bildschirmausgabe kann ein Gericht meist aus eigener Sachkunde heraus beurteilen. Für die der Ausgabe zugrundeliegende Software ist dies oft nur durch Sachverständige möglich.162 Die bisher lediglich für den Urheber geltende Vermutung der Rechtsinhaberschaft 78 wurde in Umsetzung der Durchsetzungs-RL auf Leistungsschutzrechtsinhaber erweitert (§§ 94 Abs 4 iVm 10 Abs 1 UrhG), sodass der bisherige Streit um eine analoge Anwendung beigelegt ist. Der auf oder in einem Computerspiel bezeichnete Rechtsinhaber gilt daher als Berechtigter. 2. Schranken Unterschiedliche Ergebnisse bestehen auch hinsichtlich des Eingreifens von Schranken 79 bei privilegierten Nutzungen nach den §§ 44a ff UrhG. Diese bestehen durch die grundsätzliche Doppelnatur des Computerspiels als Software und als Filmwerk bzw Laufbild. Für Software gelten nicht die allgemeinen Schranken der §§ 44a ff UrhG, sondern das spezielle System nach §§ 69c, d UrhG. Eine eigene Werkkategorie und ein einheitliches Schrankensystem wäre de lege ferenda wünschenswert.163
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Ulbricht CR 2002, 317, 321. Kilian/Heussen/Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5 50 Rn 38. So auch Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 183.
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Kilian/Heussen/Harte-Bavendamm/Wiebe Teil 5 50 Rn 38. Poll/Brauneck GRUR 2001, 389, 392.
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2. Teil
3. Technische Schutzmaßnahmen
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Probleme bereitet das unterschiedliche Schutzinstrumentarium von Software und sonstigen Werken auch beim flankierenden Schutz über technische Schutzmaßnahmen iSd §§ 95a UrhG. Auf Computerprogramme finden diese Vorschriften nach § 69a Abs 5 UrhG keine Anwendung. Die Beurteilung von gemischten Produkten wie Computerspielen ist gesetzlich nicht geregelt wird daher nicht einheitlich vorgenommen.164 Nicht klar ist insbesondere, ob die Kombination von Programm und anderem Werk zu eine vollen Anwendbarkeit der §§ 95a ff UrhG führt.165 Dann liefe die Sperre des § 69a Abs 5 UrhG weitgehend leer. Deshalb wollen manche dieser Sperrnorm stets den Vorrang einräumen.166 Eine vermittelnde Ansicht will die Anwendbarkeit nach dem inhaltlichen Schwerpunkt des Schutzes ausmachen.167 Dieser Schwerpunkt ist jedoch gerade bei Computerspielen schwer zu bestimmen. 81 Schwerpunkt des Schutzansatzes ist nicht die Verhinderung der Vervielfältigung des Programmcodes, denn dieser kann trotz Kopierschutzverfahren problemlos vervielfältigt werden. Schwerpunkt ist vielmehr die Lauffähigkeit des Programms. Das Programm überprüft je nach verwendeter Kopierschutzmethode verschiedene Parameter zu Erkennung der Rechtmäßigkeit des Vervielfältigungsstücks. Liefert diese Verifizierung ein negatives Ergebnis, wird der Start des Spiels verhindert bzw eingeschränkt. Somit dient der Kopierschutz der meisten Spiele der Verhinderung der Lauffähigkeit der Spiele und somit auch der Lauffähigkeit vom enthaltenen Filmwerken, Laufbildern, Sounds, Figuren etc. Nach der vermittelnden Ansicht ist daher eine Anwendung der §§ 95a ff UrhG auf Computerspiele zu bejahen.168 Sämtliche Nutzungshandlungen sind deshalb an dem jeweils verletzten Gegenstand 82 und den für den konkreten Schutzgegenstand einschlägigen Vorschriften zu beurteilen. Für einzelne Elemente können sich unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich der gesetzlichen Lizenzen ergeben.
IV. In der Spielwelt – Das Betreten eines rechtsfreien Raumes? 83
Spielwelten existieren nicht real. Sie sind rein virtuelle Räume in dem sich von Menschen gesteuerte Avatare bewegen.169 Gerade in den großen persistenten Welten halten sich viele durch Menschen gesteuerte Avatare für eine lange Zeit auf. Wie beschrieben, können in den komplexen Welten mit ihren vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten zahlreiche reale Probleme zwischen den Avataren, respektive Menschen, auftauchen. Problematisch sind weiterhin virtuelles Eigentum als Handelsgegenstand und die Frage der Beurteilung echter wirtschaftlicher Betätigung wie In-Game-Advertising.170 In der Welten-Simulation Second Life schaffen sich mittlerweile viele reale Wirtschaftsunternehmen eine zweite Existenz. Die auftretenden juristischen Probleme sind derzeit erst oberflächlich sichtbar.
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Dazu Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 83. Arlt MMR 2005, 148, 154 f. Loewenheim/Peukert § 34 Rn 8. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 83; Kreutzer CR 2007, 1, 6.
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AA Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69a UrhG Rn 83; Kreutzer CR 2007, 1, 6. Vgl Rn 13. Zur virtuellen Bezahlung Habel MMR 2008, 71, 72; Lober c’t 24/2007, 88.
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Recht und Gesetz in Computerspielen
1. In-Game-Advertising „In-Game-Advertising“ also eine Werbung im Spiel stellt eine der neueren Entwick- 84 lungen in der Computerspiele- und Werbeindustrie dar und ist in der deutschen Rechtswissenschaft bisher spärlich durchdrungen.171 Die Werbung in Computerspielen war bisher nicht Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Die Bewertung der Zulässigkeit der verschiedenen Werbemodelle durch die Gerichte ist daher weitgehend offen. In den Anfangszeiten der Computerspiele wurde Werbung lediglich als Stilmittel eingesetzt, damit das Spiel realistischer aussah. Geworben wurde entweder für den Hersteller des Spiels selbst oder für Fantasieprodukte. Der Einsatz von Werbung in Spielen wird auch heute noch zu Realitätssteigerung 85 genutzt, vor allem in Renn-, Simulations- und Sportspielen. Hinzu kommt jedoch echte Werbung im funktionellen Sinn. Die Werbeindustrie hat im Computerspiel ein neues Medium entdeckt, um ihre Botschaft zu übermitteln. Daher zahlen mittlerweile nicht mehr die Spielehersteller, um Lizenzen für die Verwendung von Markennamen zu erhalten, sondern die Werbenden für die Integration ihrer Produkte im Spiel. Es sind verschiedene Formen der Werbung zu unterscheiden.172 a) Formen des In-Game-Advertising. Werbung in Computerspielen kommt in qualitativ und quantitativ unterschiedlicher Ausprägung daher. Die Art und Weise der Einbettung hängt stark vom Spielgenre ab. Nur vergleichsweise wenige Spiele eignen sich für die Einbindung von aktueller Werbung. Notwendig ist eine Geschichte die zur Integration taugt. Das werden Situationen sein, die auch in der realen Welt Werbung enthalten.173 Eine Klassifizierung der in Computerspielen vorkommenden Werbung kann nach AdGames, Sponsored Games, Product Placement und echter Werbung vorgenommen werden. Die meist kostenlos erhältlichen AdGames sind speziell für die Werbung programmiert, während bei Sponsored Games ein großer Werbepartner die Herstellung unterstützt hat und so die ebenfalls kostenlose Verbreitung ermöglicht. Das Erdulden der dem Nutzer präsentierten Werbung ist daher gewissermaßen die Gegenleistung für die kostenlose Überlassung des Spiels. Anderseits ist der Unterschied zwischen gesponserten Spielen und lizenzierten Spielen, die für die Nutzung der Marken zahlen müssen, für Dritte in der Regel nicht erkennbar. Beim Product Placement 174 werden nicht einfach Fantasieprodukte verwendet, zB ein Auto einer nicht existierenden Marke, sondern echte und vor allem aktuelle Markenprodukte in die Spiele eingebunden. Echte Werbung im klassischen Sinne kann außerhalb des Spielablaufs unabhängig vom eigentlichen Spiel auftauchen, etwa vor dem Start oder seltener in Zwischensequenzen. Sie ist dann vergleichbar mit Fernsehspots kurz vor dem Beginn einer Sendung. Häufiger wird sie aber im Spiel selbst in Form von virtuellen Werbetafeln, auf der Bekleidung der Charaktere, auf Rennwagen, Motorräder und dergleichen in der virtuellen Welt eingebunden sein. Alle Formen der Werbung können statisch ins Spiel eingebunden sein oder ihre Inhalte dynamisch und eventuell auf den jeweiligen Nutzer personalisiert über eine Inter-
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Grundlegend dazu Schaar GRUR 2005, 912; Lober MMR 2006, 643. Vgl die Aufstellung bei Lober MMR 2006, 643, 643.
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Sportsimulationen, Darstellung von Straßenzügen, Medien im Spiel selbst. Vgl dazu auch Teil 3 Kap 1 Rn 127.
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netverbindung nachladen.175 Beim Product Placement kommt die dynamische Werbung bisher nicht vor, wäre technisch jedoch ohne weiteres realisierbar.
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b) Anwendbare Rechtsnormen. Sondervorschriften zur Werbung in Computerspielen gibt es derzeit nicht. Auftretende Fragen zur Werbung in Spielen müssen mithilfe von UWG, BGB und dem JuSchG gelöst werden. Neben den grds für jede Werbung geltenden Vorschriften (vgl §§ 5, 6 UWG) wird diskutiert, ob für Computerspiele besondere Einschränkungen gelten. Werbung in Computerspielen berührt die Verbote der verschleierten Werbung (§ 4 Nr 3 UWG) und belästigenden Werbung (§ 7 UWG), das Sachmängelgewährleistungsrecht (§§ 434 BGB ff) sowie den Umgang mit jugendgefährdenden Datenträgern (§ 12 JuSchG).
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aa) Lauterkeit von Werbung im Spiel – UWG. Mangels eines spezialgesetzlichen Trennungsgebots 176, welches die klare Grenzziehung zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten vorschreibt, ist die fließende Integration von Werbung in Computerspiele nicht grds verboten. Keinen speziellen Anwendungsbereich hat auch § 5 UWG, der die Irreführung bzgl des beworbenen Produkts verbietet. Hier unterscheidet sich die Werbung in Computerspielen nicht von anderen Werbemaßnahmen. Anspruchsgegner sind nach § 8 Abs 1 UWG neben dem Hersteller des Spiels auch das werbende Unternehmen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten bestimmt sich nach § 8 Abs 3 UWG.
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(1) Verschleierung. Während sich bei AdGames, Sponsored Games und echter Werbung der Werbecharakter jedem erschließt, kann Product Placement mit dem Verbot der verschleierten Werbung gem § 4 Nr 3 UWG kollidieren.177 Diese Norm enthält ein von der Art des Mediums unabhängiges Trennungsgebot für eine klare Differenzierung von Werbung und anderen Inhalten.178 Sie ist ein alle Medienprodukte erfassendes Schleichwerbungsverbot.179 Es greift, wenn ein vorliegender Werbezweck 180 verschleiert wird. Ein Werbezweck liegt vor, wenn die Werbung gegen Entgelt erfolgt, was Beweisschwierigkeiten mit sich bringt, oder der Werbezweck unmittelbar und offensichtlich hervortritt, was höhere Anforderungen an die Verschleierung stellt. Die Maßstäbe für die Klarheit der Trennung von Inhalt und Werbung sind abhängig vom jeweiligen Medium.181 Unterhaltungsmedien wie Spielfilme und Computerspiele sind nicht mit der gleichen Strenge wie wissenschaftliche und (vermeintlich) objektive Darstellungen zu behandeln.182 Letztlich bestehen zwischen dem konkreten Inhalt des Spiels und dem Maßstab zur Beurteilung Wechselwirkungen. Bedeutend dafür ist die Erwartungshaltung des Verkehrs, also der Spieler, an die Kompetenz und Objektivität des Mediums Computerspiel.183 Lernspiele und andere Edutainment-Software, die eine gewisse inhaltliche Ernsthaftigkeit vorgeben, müssen daher strenger betrachtet werden, als ein Autorennspiel, das für den Kunden erkennbar auf die Autos einer Marke zugeschnitten wurde.184 Je stärker der Werbezweck für den Nutzer erkennbar wird, desto höher sind die Anforderungen an eine Verschleierung. Was sich dem Spieler unmittelbar aufdrängt, kann nicht gleichzeitig vor ihm verschleiert werden. 175 176 177 178 179
Vgl Lober MMR 2006, 643, 644; Schaar GRUR 2005, 912, 913. Ein solches besteht nur für Rundfunk, Fernsehen und Presse; vgl Teil 3 Kap 1 Rn 116. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.46. S Teil 3 Kap 1 Rn 115; Hoeren MMR 2004, 643. BT-Drucks 15/1487, 17.
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Zum Tatbestandsmerkmal vgl Teil 3 Kap 1 Rn 118 ff. BGHZ 130, 205 – Feuer, Eis und Dynamit I. Lober MMR 2006, 643, 645; Schaar GRUR 2005, 912, 914. BGHZ 130, 205 – Feuer, Eis und Dynamit I. ZB Porsche in Need for Speed: Porsche oder Mercedes Benz Autos in World Racing 1.
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Recht und Gesetz in Computerspielen
Keine Indizwirkung kann hier der Preis für ein Computerspiel haben.185 Der Käufer 94 eines Spiels kann wegen eines hohen Preises nicht von einer Werbefreiheit ausgehen, wenn sich der Werbecharakter zugleich aufdrängt. Selbst bei sich nicht aufdrängender Werbung kann der Käufer sich nicht automatisch darauf verlassen, dass das erworbene Produkt sich allein aus dem Verkaufspreis finanziert. Vielmehr ist es zB bei Sportveranstaltungen, DVDs, Konzerten, Kinos und Zeitschriften geläufig, dass sich die Verbraucher trotz hoher Preise der (zusätzlichen) Werbung aussetzen (müssen). Eine den Verbrauchern unterstellte Naivität gegenüber dieser Werbeform und die Be- 95 rücksichtigung der jugendlichen Zielgruppe kann keine Verschärfung der Kriterien gegenüber anderen reinen Unterhaltungsmedien bedingen.186 Es ist nicht ersichtlich, weshalb Jugendliche in Computerspiele eingebettete Werbung schlechter erkennen können als solche in Spielfilmen oder Fernsehserien. (2) Belästigung. Enthaltene Werbung kann für den Nutzer eine Belästigung sein. 96 Diese zunächst subjektive Beurteilung wird jedoch nur dann unzulässig, wenn der Empfänger sie erkennbar nicht wünscht (§ 7 Abs 2 Nr 1 UWG). Wegen des Erfordernisses eines Empfängers und der Unmöglichkeit der Trennung zwischen einzelnen Betrachtern von allgemein zugänglicher Werbung wird diese Fallgruppe von vielen nur auf Individualwerbung wie Postwurfsendungen angewendet.187 Beim Vertrieb von Computerspielen ist eine solche Erkennbarkeit für den Hersteller nicht gegeben. Die einzige Möglichkeit für den Nutzer besteht im Nichterwerb. Die Grenze der Unlauterkeit wird somit erst überschritten, wenn es auf eine Erkenn- 97 barkeit für den Hersteller nicht mehr ankommt, weil die Unlauterkeit sich allein aus der Unzumutbarkeit ergibt (§ 7 Abs 1 UWG).188 Dies kann sich nicht aus einer Senkung der Rechnerperformance ergeben, da die Darstellung von Werbung ebensoviel Rechenleistung erfordert, als wenn an ihrer Stelle andere Texturen gezeigt würden. Die Grenze der Unzumutbarkeit dürfte dann gegeben sein, wenn die Darstellung von Werbung das zur Authentizität der virtuellen Umgebung erforderliche Maß deutlich überschreitet. Das ist idR der Fall, wenn die Werbung von einem verobjektivierten Betrachter als Fremdkörper im Spiel betrachtet werden muss und in keiner Beziehung zum Spielgeschehen steht. Auf der sicheren Seite sind die Hersteller, wenn die Werbung auf Nutzerwunsch in neutrale Flächen geändert werden kann.189 bb) Werbung – Ein Mangel im Spiel? Probleme können sich aus der Mängelgewähr- 98 leistung nach den §§ 434 ff BGB für das Computerspiel ergeben.190 Das Vorliegen nicht erwarteter Werbung kann einen Mangel darstellen (§ 434 Abs 1 S 2 BGB). Mangels einer Beschaffenheitsvereinbarung und einer vom Vertrag konkludent vorausgesetzten Verwendung, ist das Computerspiel nur frei von Mängeln, wenn es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann (§ 434 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB). Eine technische Beeinträchtigung des Spielablaufs wird nicht kausal gerade auf die 99 Werbung zurückführbar sein.191 Kein Mangel ist somit auch ein redaktioneller Zuschnitt des Spielablaufs auf die Werbung. Die Sollbeschaffenheit richtet sich in erster Linie nach 185 186 187 188 189
So aber Schaar GRUR 2005, 912, 914. AA Schaar GRUR 2005, 912, 915. Vgl Sosnitza GRUR 2003, 739, 744. So auch Lober MMR 2006, 643, 645; Schaar GRUR 2005, 912, 913. Schaar GRUR 2005, 912.
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Lober MMR 2006, 643, 646 weist auf die akademische Natur und die praktische Bedeutungslosigkeit der Sachmängelgewährleistung beim In-Game-Advertising hin. Engere Auffassung Schaar GRUR 2005, 912, 917.
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den Vorstellungen des Produzenten und nicht nach den Wünschen der Kunden. Trotz der enthaltenen Werbung eignen sich die Spiele für die gewöhnliche Verwendung und Werbung im Spiel ist auch üblich. Letztlich muss der Kunde seine Erwartungen an das Computerspiel am Angebot der Hersteller ausrichten. Ist eine gewünschte Situation oder Möglichkeit nicht enthalten, lohnt sich vielleicht der Kauf des Spiels nicht. Dennoch ist es nicht mangelhaft iSd BGB. Die Möglichkeiten des Mängelgewährleistungsrechts sind daher sehr begrenzt, wenn überhaupt relevant.192
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cc) Werbung als Gefahr für die Jugend und Sonderprobleme der dynamischen Werbung. Die Werbung muss neben den Inhalten für die entsprechende Altersfreigabe geeignet sein.193 Ein besonderes Problem stellt die in Zukunft immer mehr verbreitete Möglichkeit der dynamischen virtuellen Umgebung dar. Inhalte, auch Im-Spiel-Werbung, kann über eine bei vielen Spielen ohnehin erforderliche Online-Verbindung nachgeladen werden. Die eingebettete Werbung bleibt so nicht nur auf dem aktuellen Stand, sondern kann sich auch an den Spieler und seine Gewohnheiten anpassen. Auf diese nachträglich ins Spiel eingebundenen Inhalte hat der Spieler keine Einwirkungsmöglichkeit. Da die nachträglich eingespielte Werbung nicht das erforderliche Prüfungsverfahren absolviert hat könnte daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Alterseinstufung automatisch erlischt, weil das Spiel als ungeprüft gilt. Dies ist dann der Fall, wenn man die nachträglich geladene Werbung als elektronische Verbreitung von Medien gem § 1 Abs 2 S 2 JuSchG auffasst. Andererseits könnten die dynamischen Inhalte als Telemedien (§ 1 Abs 3 JuSchG) eingestuft werden, für die kein Freigabeverfahren erforderlich ist. Die Anforderungen an das Jugendschutzrecht müssen freilich dennoch eingehalten werden, da auch die Telemedien der Kontrolle unterliegen und indiziert werden können (§ 18 Abs 1 JuSchG). Weitere Rechtsfolgen richten sich nach Landesrecht (§ 16 JuSchG). Eine Zuordnung durch die Rechtsprechung liegt bislang nicht vor. Die besseren Gründe sprechen für eine Klassifizierung als Telemedien, da das dynamische Nachladen weitgehend automatisch und unbemerkt vom Nutzer erfolgt. Die elektronische Verbreitung bezieht sich dagegen auf Surrogate der gegenständlichen Verbreitung von Medienträgern. Damit ist in erster Linie der Übergang vom Kauf einer CD oder DVD hin zum kostenpflichtigen Download des Spiels als ganzen gemeint. Dagegen spricht allerdings der durch das Freigabeverfahren gewährte effektive Schutz noch vor der Verbreitung. Ein solches Verfahren wäre jedoch bei dynamischer Werbung extrem aufwändig und kostenintensiv. Problematisch ist indes eine mögliche Rechtszersplitterung durch divergierendes Landesrecht im Bereich der Telemedien. Dem ist jedoch durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) vorgebeugt. Dessen Rechtsfolgen entsprechen dem der Trägermedien (§ 4 JMStV). Daher besteht im Ergebnis lediglich ein Systemunterschied zwischen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Trägermedien) und Erlaubnis mit Eingriffsvorbehalt (Telemedien). Auf dynamische Werbung kann das Mängelgewährleistungsrecht keine Anwendung finden. Auch wenn der Kaufgegenstand ohne Zustimmung des Käufers nachträglich geändert wird, bezieht sich die Feststellung eines Mangels auf den Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache (§§ 434, 446 BGB) Eine Einwirkungsmöglichkeit auf die verkaufte Sache hat der Verkäufer danach eben normalerweise nicht. Bei Computerspielen mit Online-Funktionen ist keine unveränderliche Beschaffenheit gegeben. Mit dem ändern192
Lober MMR 2006, 643, 646, zu den Rechtsfolgen Schaar GRUR 2005, 912, 917.
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S dazu Rn 176.
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den Hersteller kommt bei einfachen Online-Funktionen selten ein Vertrag zustande. Vertragspartner des Kaufvertrags ist der Händler. Es liegt nahe ein konkludentes Einverständnis des Käufers anzunehmen, wenn dieser von der dynamischen Werbefunktion durch Information über das Spiel Kenntnis hat. Ob seine Informationspflichten vor dem Kauf derart weit reichen, ist zweifelhaft. Es ergeben sich mehrere Möglichkeiten. Entstehen durch die Datenübertragung zusätzliche Kosten für den Käufer, zB bei Zeittarifen, ist die gesamte Funktion der dynamischen Werbung grds ein Mangel. In der Regel ist der Hinweis auf die Notwendigkeit einer kostenverursachenden Internetverbindung auf der Verpackung enthalten. Ein nicht spezifisch werberechtliches Problem ist die Analyse des Nutzerverhaltens 105 zur Personalisierung von Werbung. Aus dem Verhalten des Spielers in und außerhalb des Spieles können Informationen über den persönlichen Geschmack und Gewohnheiten gezogen werden. Ist der dynamischen Werbeeinblendung eine Analyse des Nutzerverhaltens vorgelagert, so hat dieser Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung wenn dabei personenbezogene Daten gesammelt (§ 3 Abs 1 BDSG) werden, nach § 4 Abs 1 BDSG nur mit Einwilligung des Nutzers möglich. Eine solche Einwilligung liegt in der Regel nicht vor und ist auch nicht durch AGB einholbar (§ 4a Abs 1 BDSG). Bei Minderjährigen ist darüber hinaus die Einwilligung der Eltern maßgebend. Diese ist derzeit auf dem online-Wege praktisch nicht beweissicher einzuholen. Die Nutzung von dynamischen Techniken in Spielen für Jugendliche ist damit ein hohes rechtliches Risiko für die Hersteller bzw die mit der Datensammlung befassten (Sub-)Unternehmen. c) Fazit. Mangels Rechtsprechung zum Thema In-Game-Advertising sind zuverlässige 106 praktische Hinweise schwer zu geben. In aller Regel dürfte Werbung, die nicht aus dem Spielablauf heraustritt, sich sinnvoll in das Geschehen einfügt und den Realismus steigert nicht zu beanstanden sein. Zu empfehlen sind Hinweise auf Sponsoren an geeigneter Stelle im Spiel, möglichst auf der Verpackung. Dem kommerziellen Interesse zuwiderlaufend, aber der Rechtsicherheit dienend wäre die Möglichkeit Werbung in ihrer Intensität abzumildern, durch Jugendfilter einzustellen oder ganz abzuschalten. 2. Mensch-ärgere-Dich-nicht – Kommunikation in virtuellen Welten a) Möglichkeiten. Der Serverbetreiber von Online-Spiel-Servern ist Bereitsteller einer 107 Plattform.194 Auf diesen Plattformen wird zwar hauptsächlich gespielt. Verbreitete Zusatzfunktionen sind jedoch virtuelle Marktplätze, Foren, Newsgroups und Chaträume. Sprachkommunikationsdienste gewähren Echtzeitkommunikation der Teilnehmer und verbinden durch transparente Anschlussnummern sogar die virtuelle mit der echten Welt.195 Auf Bewertungsfunktionen über das Verhalten einzelner Spieler sind die Kriterien zu übertragen, die zum ebay-Bewertungssystem entwickelt wurden.196 Viele dieser Dienste existieren anderweitig auch unabhängig von Computerspielen und sind bereits Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen geworden. Die zunehmenden Kommunikations- und Handelsmöglichkeiten in Computerspielen machen den Betreiber selbst in immer größeren Umfang rechtlich angreifbar. Der Spieleplattformbetreiber tritt daher in vielen Funktionen auf, die unterschiedlichen Regelungen unterworfen sind. b) Formelles. Onlinespiele sind wegen ihrer individuellen Online-Basierten Nutzungs- 108 möglichkeiten zugleich als „Teledienste“ im Sinne des Telemediengesetzes einzustufen. 194
Zu Ansprüchen gegen die Betreiber virtueller Welten Lober MMR 2006, 643, 645; Lober/Karg CR 2007, 647.
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Koesch/Magdanz/Stadler spiegel-online. Dazu Krasemann MMR 2006, 351, 354.
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Somit besteht nach § 4 TMG keine Zulassungs- oder Anmeldepflicht.197 Weiter unterliegen sie keinen inhaltlichen Anforderungen und müssen aber nach §§ 6 TMG eine Anbieterkennzeichnung aufweisen.
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c) Haftung der Teilnehmer und anwendbares Recht. Für ihre Handlungen müssen die Teilnehmer von Onlinespielen, welche die zur Verfügung gestellten Kommunikationsmöglichkeiten nutzen, in vollem Umfang einstehen. Sie haften dabei aus den allgemeinen Normen. Schwierig kann die Bestimmung des anwendbaren Rechts werden, wenn erfolgreiche Online-Spiele weltweit angeboten und allen Teilnehmern eine einzige virtuelle Welt zur Verfügung steht (zB Second Life, World of Warcraft).198 Die Server wie auch die Clients können in den verschiedensten Ländern der Erde beheimatet sein. Selbst die grenzüberschreitende Nutzung ist mit funkgestützten Internetverbindungen und einem Laptop oder einer mobilen Spielekonsole realisierbar. Die gängigen Anknüpfungstheorien helfen hier nur bedingt.199 Bei unerlaubten Handlungen ist nach § 40 Abs 1 S 1 EGBGB deutsches Recht an110 wendbar, wenn der Handlungsort im Inland liegt. Einen Ort der Handlung, zB bei Beleidigungen oder Verleumdungen, kann man indes nur schwer bestimmen, denn die Handlung findet primär in der virtuellen Welt statt. Bei den eher statischen Kommunikationsformen (Forum, Newsgroups) lässt sich der upload, der am Ort des Verletzers durchgeführt wird, als Handlungsort bestimmen. Schwieriger wird es bei der live-Kommunikation in Chaträumen und durch Sprachkommunikation. Zum einen wirkt es gekünstelt bei zusammenhängenden live-Handlungen den Ort des uploads der Datenpakete als Handlungsort zu kennzeichnen. Zum anderen würde jede Handlung nach dem Recht des Landes des Handelnden bestimmt. So könnte sich dann derjenige mit dem liberalsten Recht das meiste herausnehmen und sich beleidigend durch die virtuelle Welt bewegen. Die Anknüpfung an das Recht des Erfolgsortes gem § 40 Abs 1 S 2 EGBGB, also im 111 Regelfall dem Standort des Verletzten200, begründet wiederum für den Handelnden ein unvorhersehbares Risiko in globalen Ausmaßen. Dies gilt umso mehr bei der zukünftigen Verwendung des einfachen Internetbrowsers zum Einloggen in virtuelle Welten.201 Für andere Teilnehmer ist sein Standort und der damit verbundene Rechtskreis nicht zu ermitteln. Ort der virtuellen Handlung könnte auch der Standort des Servers sein, auf dem die 112 virtuelle Welt berechnet wird.202 Dies hilft indes auch nur solange weiter, wie alle diese Server im gleichen Land stehen, was technisch keinesfalls erforderlich ist. Im Bereich der Servertechnik werden zunehmend virtualisierte Lösungen eingesetzt. Damit ist der Spieleserver nicht einfach ein Computer oder ein Verbund, sondern ein virtueller Computer, der die Rechenleistung vieler möglicherweise weit entfernt stehender Rechner nutzt. Skalierte Serversysteme führen in Zukunft zu einer bei Bedarf zu erwerbenden Rechnerleistung. Diese Rechenleistung wird den virtuellen Servern zur Verfügung gestellt. Ein realer Standort des Servers kann in diesem Fall nicht mehr benannt werden. Da die Nutzer mit-
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Vgl dazu Teil 5 Kap 1 Rn 145 ff. Vgl auch Teil 5 Kap 1 Rn 78 ff. Darüber hinaus können die deutschen Regeln ohnehin nur die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und die Zuständigkeit deutscher Gerichte statuieren. Andere
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Rechtsordnungen können dies unabhängig davon regeln. Palandt/Heldrich Art 40 EGBGB Rn 14. Vgl Rn 16. LG Düsseldorf NJW-RR 1998, 979; aA Palandt/Heldrich Art 40 EGBGB Rn 12.
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einander zunächst keine vertraglichen Bindungen eingehen, könnte somit eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Nutzern und dem Plattformbetreiber hilfreich sein, welche dann auch für die Nutzer untereinander gilt. Wegen der kommerziellen Natur der meisten Spieleplattformen wird in der Regel ein Nutzungsvertrag zwischen Plattformbetreiber und Nutzer abgeschlossen werden. Nach § 28 EGBGB unterliegt der Vertrag dem Recht, zu dem er den engsten Bezug aufweist.203 Fraglich ist dann aber, wonach sich dieser engste Bezug bestimmt. Der Bezug auf den Serverstandort sollte wegen oben genannter Entwicklungen keine überragende Rolle spielen. Die größte Rechtssicherheit in der Praxis bietet daher eine wirksam vertraglich einbezogene Gerichtsstandklausel. Nicht hilfreich ist ein Blick auf das Spielgeschehen selbst.204 Zwar wird die virtuelle 113 Welt auf den Servern der Betreiber berechnet. Ohne die eingeloggten Clients gäbe es jedoch nur eine leere Welt und kein Geschehen. Das Spiel findet gerade durch die Echtzeitkommunikation zwischen den Clients und dem Server statt. Selbst wenn man das Spiel als alleinig auf dem Server laufend ansehen würde, hätte man wiederum das Folgeproblem der nicht immer zweifelsfreien Standortbestimmung des Servers. Zwar ist auch nach dieser Lösung das Haftungsrisiko für den Nutzer nur schwer einschätzbar, wenn er die Rechtsordnung des Serverstandortes nicht kennt. Tatsächlich minimiert sich das Risiko mit für den Nutzer mit einer Vielzahl unbekannter Rechtsordnungen in Kontakt zu kommen beträchtlich. Keine Lösung ist auch die demokratische Variante nach dem Heimatland der meisten 114 teilnehmenden Spieler, da sich diese Mehrheitsverhältnisse je nach Tageszeit ändern können und eine massive Rechtsunsicherheit zur Folge hätte. Der Teilnehmer von internationalen Plattformen setzt sich derzeit somit einem relativ 115 unkalkulierbaren Risiko bzgl des anwendbaren Rechts und der Reichweite seiner Haftung aus. Dies betrifft neben der zivilrechtlichen Haftung auch die staatliche Überwachung der Kommunikation. Kein Nutzer kann sich sicher sein mit wem er gerade wirklich spricht und welche Behörde eines beliebigen Staates gerade nach dessen Gesetzeslage mithört. Abhilfe könnte nur der Gesetzgeber mit auf den virtuellen Raum angepassten Gesetzen schaffen. d) Haftung des Betreibers von Spiele-Servern. Grds haftet der Betreiber eines Spiele- 116 servers wie jeder für eigene Inhalte und selbst begangene Rechtsverstöße.205 Gesetzliche Regelungen über die Haftung für fremde Handlungen existieren nur für den Serverbetreiber als Kommunikationsdienstleister iSd TMG. Andere ausdrückliche Normen für Plattformbetreiber außerhalb davon gibt es bisher nicht. Dennoch lässt sich aus der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur zu Auktionsplattformen, zur Forenhaftung und zur Link-Haftung der gemeinsame Grundgedanke entnehmen, dass der Plattformbetreiber grds nicht für die Handlungen der User einzutreten hat, sich diese daher nicht wie eine eigene zurechnen lassen braucht.206 Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass der Betreiber gegen ihm bekannte Rechts- 117 verletzungen alles Zumutbare zu unternehmen hat. Eine Rechtsverletzung ist ihm bekannt, wenn eine positive Kenntnis über den konkreten Sachverhalt vorliegt und sich nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre die Rechtswidrigkeit dieses Sachverhalts aufdrängt. Über den Grad der zumutbaren Möglichkeiten besteht bisher keine Einigkeit. Auf jeden Fall hat der Betreiber statische rechtswidrige Inhalte, zB Forenbeiträge, anzüg203 204
Vgl Teil 5 Kap 1 Rn 119. Dieses Merkmal regt Krasemann MMR 2006, 351, 352 an.
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OLG München MMR 2004, 611 – Gewerbeschädigende Äußerungen. Lober/Karg CR 2007, 647.
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liche Avatare, zu beseitigen und konkret hinsichtlich weiterer Rechtsverletzungen zu untersuchen. Problematischer ist die Situation bei dynamischen Inhalten, dh flüchtigen live-Inhalten. Dies betrifft vor allem Chaträume, Sprachkommunikation und das Verhalten in der virtuellen Welt selbst. Während es bei den textbasierten Chaträumen möglich und zumutbar ist aktuelle Filtersoftware-Lösungen einzusetzen, gibt es derzeit keine automatischen Lösungen für Sprache oder sonstiges virtuelles Verhalten. Eine manuelle Überprüfung ist nach dem BGH nicht ausgeschlossen.207 Die zusätzliche personelle und finanzielle Belastung muss jedoch mit der Schwere der Rechtsverletzung abgewogen werden. Die Rechtslage hinsichtlich der Reichweite der Haftung des Plattformbetreibers für 118 (ihm) unbekannte Rechtsverletzungen ist sehr umstrittenen.208 Die Meinungen reichen dabei von einer grundsätzlichen Haftung für jedwede durch die User begangenen Verstöße bis hin zu einer weitgehenden Haftungsverschonung. Kern des Anstoßes ist der Umfang der dem Plattformbetreiber obliegenden Kontrollpflichten. Einige Auffassungen gehen dabei, obschon einen gutgemeinten Schutz des Einzelnen installieren zu wollen, an der Realität und den Möglichkeiten der Inhaltskontrolle im Internet vorbei. Die technischen und manuellen Kontrollmöglichkeiten auf Verdacht sind ebenso aufwändig wie die oben beschriebene Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Unterlassung. Hintergrund des Streites um die Pflichten des Plattformbetreibers ist die weitgehende Anonymität der Plattformnutzer. Sie sind häufig nicht greifbar. Der Plattformbetreiber ist dagegen wohlbekannt und hat auch alle technischen Hebel in der Hand. Zumutbar für den Betreiber dürfte es bei Mitteilung eines rechtswidrigen Sachverhalts zumindest sein, die Identität des Rechtsverletzers mitzuteilen. Diese Möglichkeit greift auch die Auffassung von der vorrangigen Haftung des Verletzers auf.209 Der Plattformbetreiber soll erst dann in die Haftung genommen werden können, wenn der Verletzer selbst nicht ermittelbar ist. Damit hätte der Betreiber die Möglichkeit zur Risikominderung. Er müsste lediglich Namen und ladungsfähige Anschrift der Nutzer zur Voraussetzung der Nutzung seines Systems machen. Teilweise werden eine ausdrückliche Distanzierung und eine Kennzeichnung der frem119 den Beiträge gefordert.210 Das wird von einigen in Form eines pauschalen Disclaimers gestattet.211 Diese weitgehend ohne konkreten Bezug durchgeführte Formaldistanzierung wird wiederum von anderen als nicht ausreichend empfunden und eine konkrete Distanzierung in jedem Einzelfall gefordert 212, was wiederum an der Realität deutlich vorbeigehen dürfte. Eine einzelfallbezogene Distanzierung setzt gerade die Kenntnis des konkreten Beitrags voraus. Das Nichtzueigenmachen dieses Beitrags ist dann jedoch schon überflüssig, denn bei Kenntnis von etwaigen Rechtsverstößen muss der Betreiber sowieso handeln. Die pauschale wie konkrete Verwendung von Disclaimern ist daher weitgehend nutzlos. Eine Gewinnerzielungsabsicht des Betreibers kann für die Frage der Zurechnung von fremden Inhalten und Meinungen keine Rolle spielen. Die Zurechnung fremder Inhalte kann nicht von der kommerziellen oder nichtkommerziellen Ausrichtung des Betreibers abhängen. Aus der Sicht des Verletzten wäre eine solche Unterscheidung auch nicht nachvollziehbar. Eine Einzelfreigabe durch den Betreiber ist nicht nur unpraktikabel, sondern auch nicht finanzierbar. Den Betreibern eine generelle Gefährdung der
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BGH GRUR 2007, 708 – Internetversteigerung. Ausführliche Darstellung der Problematik der Haftung vgl Teil 5 Kap 1 Rn 256 ff.
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OLG Düsseldorf MMR 2006, 629. Spindler MMR 2004, 440, 442. Abl OLG München MMR 2002, 611, 613. LG Hamburg MMR 2007, 450.
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Allgemeinheit durch die Zurverfügungstellung einer Kommunikationsinfrastruktur zu unterstellen, dürfte zu weit gehen. Der gebotene rechtliche Kontrollumfang von Plattformbetreibern ist derzeit mehr als 120 unklar. Klar ist hingegen, dass überzogene Pflichten direkt zum Aussterben dieser Kommunikationsform führen könnten oder die Problematik durch eine Abwanderung der Server ins Ausland verlagern würden. Für betroffene Nutzer in Deutschland würde der Schutz dann noch unübersichtlicher. Spieleplattformbetreiber sind zunächst gut beraten, Hinweise auf Rechtsverletzungen 121 ernstzunehmen und wo immer möglich, aktuelle technische Möglichkeiten für die Kontrolle von Rechtswidrigkeiten zu installieren. Desweiteren sollte eine manuelle Überwachung zumindest stichprobenartig regelmäßig vorgenommen werden, um sich vor dem Vorwurf zu schützen, keine zumutbaren Maßnahmen getroffen zu haben. Weiterhin sollten sich sämtliche Teilnehmer mit ihren realen Namen und Anschriften registrieren lassen müssen. 3. Add-ons – Spielergänzungen Neben den originalen Computerspielen werden seit langem – hauptsächlich im Be- 122 reich der PC-Spiele – sog Add-Ons angeboten. Diese Ergänzungen erweitern die Spiele um zusätzliche Möglichkeiten im Gegensatz zum ursprünglichen Computerspiel. Es kommen neue Charaktere, Levels, Gegenstände, Spielwelten, Fahrzeuge oder Missionen hinzu.213 Manchmal kommt das Originalspiel nur als Basistechnik für ansonsten gänzlich eigenständige Spiele zum Einsatz.214 Schon aus dem unterschiedlichen Umfang der Spielergänzungen ergibt sich, dass eine einheitliche Bewertung über die Zulässigkeit nicht getroffen werden kann. Die rechtliche Einordnung unterscheidet sich ebenfalls nach der Art der angebotenen Ergänzung. Grds kann es sich bei der Spielergänzung um Software oder nur schlichte Daten handeln. Keine rechtlichen Probleme ergeben sich, wenn die Spielergänzung vom Rechtsinhaber autorisiert ist. a) Spielstände – unechte Ergänzungen. Eine eigentlich unechte Ergänzung stellen ab- 123 gespeicherte Spielstände dar. Dabei handelt es sich um abgespeicherte Spielstände, mit deren Hilfe der Spieler Levels überspringen kann, bzw in höhere Levels gelangen kann, ohne sich dies „ehrlich“ zu erarbeiten indem er die gestellten Aufgaben selbst meistert. Um eine unechte Ergänzung handelt es sich deshalb, weil den durch den Originalhersteller vorgesehene Möglichkeiten und Gestaltungen des Spiels nichts hinzugefügt wird. Der Spieler kann mit dem Spiel nur das machen, was der Hersteller so vorgesehen hat. Andererseits erreicht er höhere Levels des Spiels eben ohne die erforderliche eigene Anstrengung. Insoweit liegt eine Gebrauchswertsteigerung und -mehrung durch die angebotenen Spielstände vor.215 Der Spieler betrügt sich selbst; der Hersteller wird dadurch nicht beeinträchtigt. Die Produktion solcher Spielstände geschieht durch einfaches Spielen und die Nut- 124 zung von im Originalspiel vorgesehenen Möglichkeiten zum Abspeichern. Der Spielstand wird in Form von digitalen Daten in einer Datei abgelegt, die die relevanten Informatio-
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Lambrecht 70 versteht darunter auch den Handel mit Avataren und sonstigen virtuellen Gegenständen, der aber von den add-ons zu differenzieren ist. Vgl Rn 139 ff. Dies ist zB beim umstrittenen Spiel „Coun-
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terstrike“ der Fall, dass auf dem Spiel „Half-Life“ basiert. OLG Hamburg MMR 1999, 230 – Unautorisierte Spielergänzung auf CD-ROM, Superfun II oder Tomb Raider.
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nen enthält. Dabei handelt es sich nicht um Programmcode, sondern um schlichte digitale Daten, die als solche nicht dem Softwareschutz nach §§ 2, 69a ff UrhG zugänglich sind.216 Werden durch den Anbieter von Spielständen lediglich digitale Daten und keine Teile urheberrechtlich geschützter Software vervielfältigt und verbreitet, kann dieses Verhalten aus urheberrechtlicher Sicht nicht beanstandet werden.217 Einschlägig könnte hier evtl der Datenbankschutz nach § 87a UrhG sein. Eine Sammlung von Spielständen mag zwar der Datenbankdefinition durchaus entsprechen, jedoch wurde die Datenbank nicht durch den Originalhersteller erstellt, sondern lediglich seine Software dazu genutzt. Hersteller der Spielstände-Datenbank ist somit der Spieler, der die Spielstände abspeichert und nicht der Hersteller des Spiels. Ein in Deutschland bisher nicht entschiedener Fall lag in Japan bzgl manipulierter Spielstände vor. Die angebotenen Spielstände wurden nicht nur normal erspielt und abgespeichert, sondern auch so manipuliert, dass man Spielkonstellationen und Punktestände erreichen konnte, die über normales Spielen nicht möglich gewesen wären. Das japanische Gericht wertete dies als Urheberrechtsverstoß.218 Nach deutschem Urheberrecht erscheint dies bedenklich. Wenn die gespeicherten Spielstand-Daten selbst keinen Schutz nach dem Urheberrecht beanspruchen können, so kann daran auch eine Manipulation nichts ändern. Eine zustimmungspflichtige Bearbeitung kann nur bei Werken iSd § 2 UrhG vorliegen. Etwas anderes würde gelten wenn man mit einer Mindermeinung auch die Ausgabe des Programms als Gegenstand des Urheberschutzes ansieht.219 Denkbar wäre ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht unter dem Gesichtspunkt der Leistungsübernahme und des Einschiebens in eine fremde Serie. In den von den Gerichten entschiedenen Fällen wurde dies zu Recht verneint.220 Werden die Spielstände als „Neue Levels“ bezeichnet, so kann eine Irreführung vorliegen, da es sich gerade nicht um etwas neues, im Originalspiel nicht Vorhandenes, sondern um die schnellere Erreichbarkeit ohnehin enthaltener Möglichkeiten handelt.221 Nicht näher erwähnt wurden indes die Bestimmungen zum Titelschutz, Markenrecht und Namensrecht, welche durch die Ergänzungen verletzt werden können. Möglich wäre eine Bestimmung in den Nutzungsbedingungen, dass der Spieler seine Spielstände nicht an andere weiterreichen darf. Diese schuldrechtliche Verpflichtung scheitert zumeist an einer mangelnden Einbindung bei Vertragsschluss und ist daher unwirksam.222 Das Anbieten und auch der Tausch von reinen Spielstand-Daten unter Vermeidung von irreführenden Angaben und Markenrechtsverletzungen sind daher zulässig. b) Echte Spielergänzungen. Echte Spielergänzung fügen dem Originalspiel Möglichkeiten hinzu, die noch nicht enthalten sind, zB gänzlich neue Spielsituationen, Levels, Charaktere usw.223 Die Zulässigkeit von echten Add-Ons richtet sich nach den verletzten Schutzgegenständen. Werden Spielergänzungen angeboten, die urheberrechtlich geschützten Programmcode, Grafiken, Sounds oder geschützte Teile des Originalspiels enthalten,
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OLG Düsseldorf MMR 1999, 602 – Die Siedler III. OLG Hamburg MMR 1999, 230 – Unautorisierte Spielergänzung auf CD-ROM. Obergericht Osaka GRUR Int 2001, 256, 258 ff – Tokimeki Memorial; zust Lambrecht 71. Vgl Rn 35.
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OLG Düsseldorf MMR 1999, 602 – Die Siedler III; OLG Hamburg MMR 1999, 230 – Unautorisierte Spielergänzung auf CD-ROM. OLG Hamburg CR 1998, 332. Vgl Rn 23 ff. OLG Hamburg, CR 1999, 298 – Perfect Alert.
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liegen unautorisierte Vervielfältigung und Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials vor. Somit ist die Verbreitung solcher Zusätze urheberrechtlich nicht zulässig.224 Dabei ist die Schutzfähigkeit jedes Elements gesondert festzustellen.225 Selbst wenn der Anbieter von Zusätzen keinerlei Material des Originalherstellers verwendet und die Spielergänzung lediglich auf dem unangetasteten Spiel aufbaut, können sich rechtliche Probleme ergeben. Unproblematisch ist die Veränderung der Speicherstruktur auf der Festplatte, solange 130 die originalen Dateien nicht verändert werden. Das Anlegen zusätzlicher Ordner mit den Ergänzungsdaten oder das Anlegen von Registrierungsdatenbankeinträgen ist keine Bearbeitung von Programmcode und daher urheberrechtlich irrelevant. Auch das Verändern von Konfigurationsdateien ist, solange sie keinen Programmcode enthalten, problemlos möglich. Die Grenzen werden allerdings oft nicht trennscharf gezogen. So bewertete das OLG Hamburg eine rules.ini-Datei als Programmcode, was bei der üblichen Gestaltung von ini-Dateien in tatsächlicher Hinsicht durchaus bezweifelt werden kann.226 Probleme bei der Herstellung von Zusätzen für Spiele können sich aber aus dem 131 UWG unter den Gesichtspunkten Einschieben in fremde Serie ergeben.227 Hier ist die Rechtsprechung zu den auf Ergänzung und Komplettierung angelegten Produktserien anzuwenden.228 So wie dies im Falle der Produktion von neuen Spielsituationen für ein Spiel, für das dessen Hersteller ebenfalls Ergänzungen auf den Markt bringen will, zu Recht bejaht wurde.229 Unter dem Stichwort der Irreführung ist es wettbewerbsrechtlich untersagt, wenn 132 einem Add-On Möglichkeiten oder Eigenschaften angeheftet werden, die aber auch schon im Originalspiel vorhanden sind.230 c) Andere Zusatzprodukte und Drittanbieter-Netzwerke. Nicht im klassischen Sinne 133 als Add-Ons zählen auch Zusatzprodukte, die nicht unmittelbar das Spiel selbst betreffen. Dazu gehört neben Lösungshandbüchern und speziellen Eingabegeräten auch Serversoftware von Drittanbietern. Im Gegensatz zu den Online-Verbindungsmöglichkeiten früherer Spiele benötigen 134 viele heutige Computerspiele proprietäre Server der Hersteller für Mehrspielerfunktionen. Die Hersteller des Spiels oder von ihm autorisierte Drittanbieter stellen die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung. Neben Vorteilen für die Spieler 231 kann der Hersteller auf diese Art und Weise sicherstellen, dass nur ordnungsgemäß erworbene Spiele verwendet werden können. Auch lassen sich Geschäftsmodelle mit Abonnement nur auf diese Weise realisieren. Raubkopien, die nicht über einen gültigen Schlüssel (Key) verfügen, werden so erfolgreich vom Online-Spiel ausgeschlossen. Auf diese Weise ist der Käufer der Originalspielsoftware gleichzeitig an das autorisierte Servernetz des Herstellers gebunden. Diese Bindung ist soweit ersichtlich noch nicht kartellrechtlich angegriffen worden, obwohl einige Zweifel der Bindung des Zweitmarktes bestehen. Auch ehrliche
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OLG Hamburg, CR 1999, 298 – Perfect Alert; OLG Hamburg Urteil vom 12.3.1998 – 3 U 206/97 (Command & Conquer). S dazu die Ausführungen unter Rn 49 ff. OLG Hamburg, CR 1999, 298 – Perfect Alert. Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69g UrhG Rn 23 ff. BGH GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine.
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LG Saarbrücken Urteil vom 22.12.1998 – 7 IV O 126/98 – Anno 1602. OLG Hamburg MMR 1999, 230 – Unautorisierte Spielergänzung auf CD-ROM. Dazu gehören in der Regel ordentlich gepflegte Server, die leistungsfähig und ausfallsicher sind, weltweite Rangsysteme und automatische Updates der Software.
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Spielekäufer empfinden diese Bindung oft als Belastung. So sind die Spieler hinsichtlich des Funktionsumfanges an die Vorstellungen des Herstellers und einzigen Anbieters gebunden. Unterstützt dessen System nur unzureichenden Schutz vor Spielbetrügern (Cheatern) kommt bei den ehrlichen Spielern oft Frust auf. Ein US-Bundesgericht hat das Anbieten von Spiel-Netzwerken durch Drittanbieter wegen Verletzung des DMCA 232 verboten.233 Der US-amerikanische DMCA verbietet neben Reverse Engineering auch das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen, einem der wesentlichen Zwecke der originalen Herstellernetzwerke. Ob im Anbieten von nicht autorisierten Spiel-Netzwerken eine Umgehung von technischen Schutzmaßnahmen nach § 95a UrhG liegt, ist fraglich. Es ist zwischen der Nutzung des Drittanbieternetzwerks mit legal erworbenen Spielen und Raubkopien zu unterscheiden sowie die Software/Filmwerk Doppelnatur zu beachten.234 Die §§ 95a ff UrhG greifen nach § 69a Abs 5 UrhG nicht bei Software. Auf den Softwareteil des Computerspiels sind die Vorschriften über technische Schutzmaßnahmen im Gegensatz zum Laufbild/Filmwerkschutz deshalb nicht anwendbar. Daher gilt wegen der Doppelnatur letztlich immer das schärfere Sanktionssystem.235 Das Reverse Engineering von Software ist nach § 69d Abs 3 UrhG zur Ermittlung der zugrundeliegenden Ideen und Grundsätze durch Beobachtung und Untersuchung des Ablaufs der Software grds erlaubt.236 Nicht gestattet ist indes die Dekompilierung zum Programmverständnis.237 Die §§ 69a ff UrhG verbieten die Schaffung von ähnlichen Programmen unter Verwendung legal erworbener Kenntnisse daher gerade nicht. Die Nutzer legaler Computerspiele haben mit dem Datenträger ein entsprechendes Nutzungsrecht erworben. Nach hM ergibt sich bei medialen Vervielfältigungsstücken, zu der kommerzielle Computerspiele zweifellos gehören, das Nutzungsrecht aus der Eigentümerstellung am Trägermedium und nicht aus einem etwaigen Lizenzvertrag. Dem Eigentümer steht damit ein Benutzungsrecht am Computerspiel zu. Nach der Vorstellung des Anbieters sollte der Käufer eines Onlinespiels jedoch lediglich dessen eigenes System nutzen. Ist es mit dem Spiel möglich auch Drittanbieternetze zu nutzen, liegt darin keine Umgehung eines Schutzes, denn der rechtmäßige Eigentümer nutzt sein legales Spiel auf die gleiche Weise wie beim Einloggen in die Server des Originalanbieters. Anders stellt sich die Lage dar, wenn das originale Serversystem durch Authentifizierungstechnologien die Echtheit des Spiels und damit die Berechtigung des Nutzers feststellt. Unabhängig vom Schutz des Trägermediums kann der Anbieter durch die Abgeschlossenheit und Einzigartigkeit seines Systems in Zusammenhang mit der Authentifizierung die Nutzung von unrechtmäßigen Vervielfältigungen (Raubkopien) verhindern. Das Computerspiel könnte somit zwar vervielfältigt werden, aber eine Online-Nutzung wäre ausgeschlossen. Bei reinen Online-Spielen ist die Vervielfältigung damit wertlos. Es handelt sich somit bei derartigen Authentifizierungstechnologien um geeignete technische Schutzmaßnahmen iSd § 95a Abs 2 UrhG, die eine Nutzung unrechtmäßiger Kopien wirksam verhindert. Dem Anbieter solcher Netze muss in der Regel bekannt sein, dass
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Digital Millennium Copyright Act. Urteil im Volltext unter www.eff.org/IP/ Emulation/Blizzard_v_bnetd/20050901_ decision.pdf. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 8. Vgl Rn 80 ff; für die grundsätzliche Einordnung der Computerspiele als Software Loe-
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wenheim/Peukert § 34 Rn 8; aA wohl Arlt MMR 2005, 148, 154. Schricker/Loewenheim § 69d UrhG Rn 20 ff; Wandtke/Bullinger/Grützmacher § 69d UrhG Rn 62 ff. Dekompilierung ist nur im engen Rahmen von § 69e UrhG gestattet.
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sein System auf die Authentifizierung verzichtet und damit auch die Nutzung unrechtmäßiger Vervielfältigungen ermöglicht. Aufgrund des Laufbild/Filmwerkschutzes von Computerspielen und den §§ 95a ff UrhG ist somit das Anbieten von Drittanbieternetzen grds rechtswidrig. Im Falle der missbräuchlichen Ausnutzung seiner Stellung als Alleinanbieter einer Infrastruktur können sich möglicherweise im konkreten Fall kartellrechtliche Einschränkungen ergeben. Da die Vorschriften zum Schutz vor Umgehungen von technischen Schutzmaßnahmen vorrangig die wirtschaftliche Verwertung urheberrechtlich geschützter Gegenstände schützen sollen, ist eine wirtschaftliche Abwägung unter Einbeziehung kartellrechtlicher Kriterien nicht von vornherein ausgeschlossen. 4. Realer Handel mit irrealer Ware – Der Wert virtueller Spielfiguren, Gegenstände und Immobilien a) Helden, Schwerter und magische Teppiche als reale Handelsware. Im Laufe vieler 139 Online-Spiele 238, insbesondere MMORPGs 239, kann der Spieler seine Figur mit verschiedenen Kräften, Fähigkeiten, gesammelten Gegenständen und Erfahrungspunkten ausrüsten. Je mehr und besser gespielt wird, desto mächtiger wird die anfangs meist schwächliche Figur. Das Erarbeiten von nützlichen Utensilien und Superkräften kostet bei den meisten Spielen eine gehörige Portion Zeit und spielerisches Geschick. Spieler, die das eine oder andere nicht aufbringen (wollen) und über das nötige Kleingeld verfügen, kaufen sich die begehrte virtuelle Ware für reales Geld. Neben einzelnen Gegenständen (Items) kann man sich auch gleich ganze Spielfiguren (Avatare, Charaktere) kaufen. Letztere definieren sich über den Account (auch Spielzugang) in Form eines Kontos beim Betreiber der Online-Plattform (Server), welches durch Benutzernamen und Passwort gesichert ist. Beim nachgelagerten Handel ist somit zwischen den Items, den Charakteren und dem Account zu differenzieren.240 Wegen der Bindung der Charaktere an den Account durch die Serversoftware betrifft ein Übertragungsvorgang grds immer beides, obwohl es sich nicht und denselben Gegenstand handelt. Die Betreiber der Plattformen könnten es technisch unproblematisch ermöglichen, dass die Inhaber von Accounts ihre Avatare untereinander austauschen. Soweit ersichtlich, ist dies bisher bei keinem Anbieter der Fall. Daher wird auf diesen Sonderfall nicht näher eingegangen. Man könnte die Situation bei oberflächlicher Betrachtung mit der des Verkaufs von 140 Spielständen vergleichen.241 Während bei Offline-Spielen beliebig viele Spieler die Spielstände kaufen können und somit schneller in höhere generelle Spielstufen (Levels) gelangen, wird bei Online-Spielen nicht nach einer erreichten generellen Stufe im Spiel gezählt, sondern die einzelne über den Account des Spielers definierte Spielfigur entwickelt sich weiter. Das Level der Spielfigur haftet daher nur dieser selbst an. Ein Account kann nur einmal gleichzeitig genutzt werden und bezieht sich immer auf einen Charakter. Da Nachfrage fast immer auch ein Angebot nach sich zieht, entwickelte sich schnell ein Markt für die virtuellen Gegenstände (items) und Figuren (zugeordnet zu Accounts). Die optimale Vertriebsplattform wurde zeitgleich mitgereicht – wiederum das Internet. Bei
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Zum Begriff vgl Rn 13. Engl Abk für „Massively Multiplayer Online Role-Playing Game“. Darunter werden Rollenspiele verstanden, die nur über das Internet spielbar sind und in denen sich alle Spieler weltweit gleichzeitig in einer einzigen
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riesigen virtuellen Welt befinden. Erfolgreiche Spiele sind zB Everquest, World of Warcraft, Lineage, SecondLife, Ultima Online uvm. Abbildungen bei Lober 122 ff. Lober/Weber MMR 2005, 653, 254. Vgl dazu Rn 122 ff.
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den großen Auktionsplattformen 242 werden für hochwertige Spielfiguren über 800 EUR gezahlt! 243 Die Internationale Dimension der Geschäfte um Accounts und Items führt zu der 141 vorab zu klärenden Frage, ob deutsches Recht auf die zugrundeliegenden Rechtsverhältnisse überhaupt Anwendung findet. Dies können die Parteien nach § 27 EGBGB grds vertraglich regeln. Wurde eine solche Regelung nicht getroffen findet das Recht des Staates Anwendung zu dem der Vertrag die engste Bindung aufweist (§ 28 Abs 1 S 1 EGBGB). Dies ist idR der Wohnsitzstaat der Partei, welche die Leistung erbringt, die den Vertragscharakter bestimmt (§ 28 Abs 2 S 2 EGBGB). Manche sehen daher als Hauptcharakteristikum den Spielserver an und meinen, dessen Standort 244 bestimme das anzuwendende Recht.245 Dies mag zwischen Betreiber und Nutzer gelten, nicht aber für Rechtsgeschäfte zwischen zwei Spielern. Geschäfte zwischen diesen sind vom Rechtsverhältnis der Spieler zum Betreiber zu trennen. Hier kommt es nach obigen Kriterien auf den Wohnsitz des Verkäufers an. Die Verbraucherschutzregelung nach § 29 EGBGB greift in beiden Verhältnissen nicht. Neben der zivilrechtlichen, dogmatischen Problematik stecken hinter diesen Geschäf142 ten nicht selten mafiöse Strukturen, die Menschen ähnlich wie Sklaven zum „Produzieren der Figuren“ – sog leveling einsetzen. In China, Mexiko, Rumänien und anderen Schwellenländern „arbeiten“ viele oft unterbezahlte Menschen in den sog Goldfarmen um Accounts und Items durch Spielen zu erzeugen.246
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b) Gegenstand des Handels mit Items. Die Feststellung des anwendbaren rechtlichen Instrumentariums setzt die Bestimmung des Rechtscharakters der gehandelten Ware voraus.247 Die Frage, was zwischen den Spielern überhaupt gehandelt wird, ist nicht leicht zu beantworten.248 Dennoch sind auch nicht körperliche Gegenstände dem Recht als Bezugsobjekte nicht grds fremd, wie das Immaterialgüterrecht beweist.249
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Neben der allgemeinen Plattform ebay.de gibt es mehrere spezialisierte Anbieter zB Itembay.com, Gameconomy.de,gamegoods. de,gamesavor.com und Ingameparadise.de. So sind jederzeit Auktionen zu beobachten bei welchen herausragende Figuren den Online-Rollenspiels „World of Warcraft“ für € 500–1500 den Inhaber wechseln, obwohl das Originalspiel etwa 20 EUR kostet. Das gesamte Marktvolumen soll bis 2009 eine Steigerung auf 7 Mrd US-Dollar erfahren, vgl Pressemeldung unter www.medienforum. nrw.de/presse/pressemitteilungen/volltext/ article/schadensersatz-fuer-das-virtuelleschwert.html Auch die diese lokale Anknüpfung ist nicht unproblematisch vgl Rn 109 ff. Geis/Geis CR 2007, 721, 722; Wemmer/ Bodensiek K&R 2004, 432, 434. Siemons spiegel-online. In den USA und China sprechen sich viele für die Anerkennung virtuellen Eigentums als vollwertiges Eigentum aus, vgl Geis/Geis CR 2007, 721, 722; Fairfield Boston Univer-
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sity Law Review (85) 1047. Zur Beurteilung nach schweizer Recht Bürge sic! 11/2006, 802. Koch, P JurPC Web-Dok 57/2006, Abs 20 ff. Deutsche Rechtsprechung ist zu diesem Fragenkreis bisher nicht ergangen. In der Literatur ist das Problem bisher nicht sehr intensiv diskutiert. In China gibt es dagegen schon reale Auseinandersetzungen um virtuelle Gegenstände. Dort hat ein Spieler gegen den Betreiber einer Spieleplattform nach dem Verlust seiner Figur durch einen Hacker, welcher einen Fehler des Betreibers ausnutzte, erfolgreich auf Wiederherstellung „seiner“ Figur geklagt. Das Gericht sprach dem Spieler die Eigentumsrechte an seiner Figur zu, vgl edition.cnn.com/2003/TECH/ fun.games/12/19/china.gamer.reut/. Mit einer Übertragung auf deutsche Terminologie sollte man indes vorsichtig sein, da China einen völlig anderen Eigentumsbegriff zugrunde legt. Darauf weist Festinger 103 hin.
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Krasemann sieht die virtuellen Gegenstände als vertraglich beschriebene Pflichten.250 144 Diese Ansicht nimmt jedoch zu wenig Rücksicht auf das Abstraktionsprinzip und differenziert nicht ausreichend. Ob ein Werkvertrag, Dienstvertrag oder Kaufvertrag vorliegt, hat nichts mit dem Bezugsgegenstand dieser schuldrechtlichen Verträge zu tun. Aus der Natur der schuldrechtlichen Beziehung kann daher kein Rückschluss auf die dingliche Einordnung des Gegenstandes dieses schuldrechtlichen Verhältnisses gezogen werden. Sachen sind nur körperliche Gegenstände (§ 90 BGB). Andere Gegenstände als kör- 145 perliche werden vom BGB nicht ausdrücklich benannt, aber zB in § 453 BGB erwähnt. Der Gegenstandsbegriff wird nicht näher definiert. Gegenstand im Sinne des BGB ist alles, was Objekt von Rechten sein kann. Außerhalb der körperlichen Gegenstände sind dies Forderungen, Immaterialgüterrechte und alle sonstigen Vermögensrechte.251 Mangels Körperlichkeit sind die virtuellen Sachen keine Sachen iSd § 90 BGB. Sie entstehen zwar im Rahmen eines Nutzungsverhältnisses, stellen selbst aber keine Forderungen dar.252 Ebenso werden die virtuellen Sachen kaum die Voraussetzungen der immaterialgüterrechtlichen Sondernormen erfüllen.253 Die Betrachtung als bloßes Nutzungsrecht 254 schützt gerade die Interessen der Spieler nur unzureichend. Mangels einer absoluten Wirkung bietet es dem Spieler keine Handlungsoptionen gegen deliktische Handlungen Dritter und auch die Abhängigkeit vom Serverbetreiber ist eine starke Benachteiligung seiner Rechtsstellung. Obwohl vom Recht nicht ausdrücklich benannt, stellen die virtuellen Sachen zumindest unter den Teilnehmern von Online-Spielen vermögenswerte Objekte dar. Auch bei den körperlichen Sachen kann die Wertschätzung für bestimmte Objekte hohe Differenzen aufzeigen. Ein Oldtimer, der für einen Sammler unschätzbaren Wert hat, ist für den Pragmatiker einfach nur ein altes Auto. Die virtuellen Sachen sind auch keine Persönlichkeitsrechte, denn sie sind nicht der Person des Nutzers anhaftende Merkmale. Unproblematisch ist, dass die virtuellen Sachen nur in der virtuellen Welt wahrnehmbar sind.255 Die Abhängigkeit im Bestand vom Willen des Betreibers kann nicht die Fähigkeit der virtuellen Sachen beeinträchtigen, Bezugspunkt von Rechten zu sein.256 aa) Virtuelle Sachen analog § 90 BGB. Einige wollen auf die virtuellen Gegenstände 146 die für körperliche bewegliche Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anwenden.257 Sie beziehen sich auf die weitgehende Gleichartigkeit der virtuellen Sachen hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeiten und der Beherrschung. Es sei offensichtlich, dass die Verkehrsanschauung den virtuellen Sachen keine Körperlichkeit iSd § 90 BGB zukommen lasse. Andererseits stünde der Verkehr den virtuellen Sachen als Handelsware offen gegenüber. Die nicht vorhandene Körperlichkeit sei somit für die Käufer und Verkäufer von virtuellen Gegenständen kein praktisches Problem. Diese Wertung dürfe das Recht nicht ignorieren. Für diese Sicht spricht die wahrnehmbare virtuelle Sachqualität. Bis auf die Körper- 147 lichkeit teilen sich die virtuellen Sachen die meisten Eigenschaften mit den körperlichen Sachen. Die für das Sachenrecht des BGB wesentliche Differenzierung zwischen Mobilien und Immobilien erscheint für die virtuelle Welt entbehrlich. Die besondere Behandlung der Grundstücke in der realen Welt basiert unter anderem darauf, dass die Erdoberfläche 250 251 252 253 254 255
Krasemann MMR 2006, 351. Palandt/Heinrichs § 90 BGB Rn 2. So auch Lober/Weber MMR 2005, 653, 255. Vgl die gleichgelagerte Problematik bei Figuren Rn 159. Wemmer/Bodensiek K&R 2004, 432, 436. Lober/Weber MMR 2005, 653, 655.
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Lober/Weber MMR 2005, 653, 655. Lober/Weber MMR 2005, 653, 654 f; zust Geis/Geis CR 2007, 721; das gleiche Ergebnis verschiedener Auffassungen betonend Wemmer/Bodensiek K&R 2004, 432, 435; aA Krasemann MMR 2006, 351.
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endlich ist. Diese Beschränkung besteht in der virtuellen Welt nicht. Sie ist theoretisch unbegrenzt.
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bb) Schlichtes Dateneigentum. Nicht der Bezug und die Handhabung in der virtuellen Welt sind für eine Beurteilung maßgebend, sondern die reale Entsprechung. Die Verkehrsanschauung muss zwar berücksichtigt werden, ist jedoch nicht das einzige Zuordnungskriterium. Bezugspunkt bei virtuellen Sachen kann nicht die in der virtuellen Welt wahrnehm149 bare virtuelle Sachqualität sein, sondern die reale Anknüpfung. Dies sind die zugrundeliegenden digitalen Daten. Jede virtuelle Sache wird durch einen sie definierenden Datensatz im Serversystem dargestellt. Diese Daten sind nicht Teil der Software, da sie keinen ausführbaren Code enthalten. Sie stellen einen durch die Spielesoftware auswertbaren Datensatz dar. Mit der virtuellen Sache selbst haben diese digitalen Daten die fehlende Körperlichkeit gemeinsam. Bezugspunkt der Inhaberschaft einer virtuellen Sache ist daher die Rechtsmacht über die real vorliegenden Daten. Das besondere an diesen Daten ist ihre Schlichtheit und gleichzeitig doch ihr Wert. In Abgrenzung zu anderen durch das Recht geregelten Daten, geht es weder um Immaterialgüterrechte noch persönlichkeitsbezogene Daten. Das Zivilrecht bietet keinen ausdrücklichen Ansatzpunkt für die Zuordnung solcher 150 schlichten Daten. Dabei handelt es sich nicht, wie teilweise undifferenziert behauptet wird, um Teile von Software.258 Der Programmbegriff umfasst gerade nicht die reinen Daten. Ein virtueller Gegenstand ist eine Summe von digitalen Parametern, aus denen die Steuerungssoftware mit Hilfe verschiedener Ausgaberoutinen in einer virtuellen Welt die Darstellung eines Gegenstandes bewirkt. Die Eigenschaften dieses virtuellen Gegenstandes sind durch Datensätze vollständig beschrieben und werden durch Programme lediglich ausgewertet. Vergleichbar sind die tatsächliche Beschaffenheit und die rechtlichen Interessen bei etwa mp3-Dateien oder digitalen Fotos 259, die nicht lokal, sondern auf einem Serverlaufwerk abgespeichert sind. Durch eine Software werden sie angezeigt, aber es handelt sich um reine Daten. Unabhängig von der immaterialgüterrechtlichen Bewertung des Inhalts „gehören“ diese Daten demjenigen, der sie dort abgelegt hat. Ein nicht urheberrechtsfähiger Text in Dateiform gehört grds demjenigen, der ihn auf „seinem“ Internetspeicherlaufwerk abgespeichert hat. Fraglich ist dies bei nicht rechtmäßigem Verschaffen der Textdatei, jedoch ist die Textdatei wie auch körperliches Diebesgut zunächst im Besitz des Diebes. Die fortschreitende Digitalisierung schafft Probleme, die es in der körperlichen Welt nicht gibt. Der Verfasser eines urheberrechtlich nicht geschützten Briefes kann andere durch Wegschließen des Briefes vom Zugriff kraft seines Eigentums am Papier ausschließen. Diese Möglichkeit muss auch im digitalen Kontext gegeben sein. Nach der hier vertretenen Theorie vom schlichten Dateneigentum und schlichten Datenbesitz müssen hinsichtlich digitaler Daten unabhängig von einer etwaigen immaterialgüterrechtlichen Sonderbehandlung des Inhalts die Daten selbst eindeutig zugeordnet werden können. Betrachtet wird also nicht der darstellbare oder immaterialgüterrechtliche Inhalt digitaler Daten, sondern die Zugehörigkeit der Daten an sich zur Rechtssphäre einer Person. Die Daten selbst sind vermögenswerte Gegenstände 260 und fallen somit unter den Schutz der Eigentumsgarantie aus Art 14 GG. Unabhängig vom zivil258 259
Koch, P JurPC Web-Dok 57/2006, Abs 14. Es schließen sich inbesondere bei der Speicherung auf Internetlaufwerken interessante Fragestellungen an, ob die Beeinträchtigung der abgelegten Daten des Nutzers nur
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260
schuldrechtliche Ansprüche oder auch dingliche Ansprüche auslösen kann. Koch, P JurPC Web-Dok 57/2006, Abs 50 ff; Lober/Weber MMR 2005, 653, 655.
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§2
Recht und Gesetz in Computerspielen
rechtlichen Eigentumsbegriff wird von Art 14 GG jede konkrete vermögenswerte Rechtsposition geschützt.261 Eine solche Betrachtungsweise kommt den Bedürfnissen der virtuellen Eigentümer 151 nach. Der virtuelle Eigentümer eines magischen Schwertes möchte nicht kraft eines Sonderschutzes andere vom Besitz eines ebensolchen Schwertes abhalten oder Lizenzgebühren einnehmen, sondern nur sein Schwert als vermögenswerten Gegenstand von der Rechtsordnung geschützt sehen. Somit unterscheidet ihn nichts vom Besitzer eines SerienKfz, der ebenfalls nur sein konkretes Kfz vor dem Zugriff Dritter abhalten möchte und zB nicht den Erwerb eines gleichartigen Fahrzeugs durch Dritte unterbinden möchte. Der sachenrechtliche Typenzwang verbietet einerseits die Schaffung neuer absoluter Rechte. Andererseits muss der Praktiker auftauchende Probleme und Streitigkeiten auch dann lösen, wenn das Gesetz dafür (noch) keine zufriedenstellende Konstruktion vorweisen kann. Die Anknüpfung an real vorhandene auf den Server-Speichersystemen abgelegte Da- 152 ten erleichtert auch die Vollstreckung nach einer Klage auf Herausgabe. Die Vollstreckung kann sich nicht auf eine virtuelle Sache in einer virtuellen Welt beziehen, sondern auf reale Daten im Speichersystem des Servers. Virtuelle Gegenstände beziehen ihren Rechtscharakter daher aus dem Rechtscharak- 153 ter der ihnen zugrundeliegenden Daten. c) Übertragung der Items. Hinsichtlich der Übertragung von virtuellen Sachen 154 kommt es auf eine Übertragung dieser Daten an. Problematisch dabei ist, dass es anders als in der körperlichen Welt nicht zu einer echten Übertragung kommt. Rein technisch werden die Daten beim einen Nutzer gelöscht werden und beim anderen ein neuer Datensatz angelegt. Andererseits werden die konkreten Informationen die virtuelle Sache betreffend übertragen. Insofern kann nach der Verkehrsanschauung und einer technischen Gesamtbetrachtung von einer Übertragung der Daten des betreffenden virtuellen Gegenstands ausgegangen werden. Der Betreiber kann durch Spielregeln frei festlegen, wie mit virtuellen Spielgegenstän- 155 den im Spiel zu verfahren ist. Grds müssen alle Übertragungsformen gelten, die der Betreiber im Rahmen des Spiels zulässt. Wenn es im Rahmen der Regeln ist, kann dies also eine freie Übergabe eines Gegenstandes im Rahmen eines Handels sein. Jedoch kann auch virtueller Raub eine im Spiel erlaubte Möglichkeit sein, an einen begehrten Gegenstand zu gelangen. Es kann somit kein Typenzwang wie im Recht der körperlichen Sachen bestehen. Die 156 freie Schaffung von Übertragungsmöglichkeiten verbietet es jedoch nicht, eine Grundregel der Übertragung von virtuellen Sachen aufzustellen. Man könnte § 929 S 1 BGB insoweit analog anwenden.262 Im Hinblick auf die Typenfreiheit im Spiel ist bei der Prüfung allerdings zu beachten, dass eine Nichteinhaltung der Voraussetzungen nicht auch notwendig zu einer erfolglosen Übertragung führt. Insoweit kann nur gelten, dass jedenfalls die Erfüllung der Voraussetzungen des § 929 S 1 BGB (Einigung, Übergabe, Berechtigung des Veräußerers) zu einer wirksamen Übertragung des schlichten Dateneigentums führt. Bei der Verschaffung des schlichten Datenbesitzes durch einen scheinbar zur Veräußerung Berechtigten führt der gute Glaube (§ 932 BGB) des Erwerbers an die Eigentümerstellung des Veräußerers zum gutgläubigen Erwerb. Von der Eigentümerstellung darf der Erwerber idR ausgehen, wenn der Veräußerer die Zugangsdaten für die virtuellen Gegenstände kennt. 261
Jarass/Pieroth/Jarass Art 14 GG Rn 6.
262
Lober/Weber MMR 2005, 653, 656.
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Kapitel 5 Computerrecht – Computerspiele
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2. Teil
Ein Schutz der Items über das Markenrecht, Geschmacksmusterrecht oder Urheberrecht kommt wegen des Grundsatzes der Erschöpfung zum Schutz der Verkehrsfähigkeit (§§ 17 UrhG, 24 MarkenG) grds nicht in Betracht.263 Auch herkömmliche körperliche Sachen können vor allem wegen des Grundsatzes der Erschöpfung nach dem erstmaligen rechtmäßigen Inverkehrbringen frei gehandelt werden.
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d) Handel mit Figuren (Accounts). Figuren (Avatare) in virtuellen Welten sind grds Rechtsobjekte. Sie sind Gegendstände und keine Personen. Einer Figur stehen damit keine Schutzmöglichkeiten zu, die gerade aus der Persönlichkeit des Individuums erwachsen. Avatare besitzen daher kein allgemeines Persönlichkeitsrecht, kein Recht am eigenen Bild und kein Namensrecht.264 Diese Rechte können nur verletzt sein, wenn die Rechte der dahinterstehenden realen Person berührt werden. Auch wenn die Figuren die Anforderungen an Sonderschutzrechte erfüllen, stehen 159 diese Rechte zumeist den Betreibern als Erschaffer zu. Etwas anderes kann dann gelten, wenn die konkrete Ausprägung der Figur durch den Nutzer in der Art frei gestaltet werden kann, dass er selbst eine von Vorgaben der Betreiber unabhängige Gestaltung der Figuren kreieren kann.265 Infolgedessen könnten die Figuren oder Gegenstände urheberrechtlichen Schutz erlangen und der Spieler als Urheber die benötigten Rechte ausschließlich einem Anderen einräumen. Zu beachten ist, dass nach der urheberrechtlichen Systematik die Rechte an den Figuren nicht übertragen werden können (§ 29 Abs 1 UrhG).266 Es besteht nur die Möglichkeit ausschließliche Nutzungsrechte daran einzuräumen. In der Realität werden dem Nutzer mangels der erforderlichen Schöpfungshöhe kaum Urheberrechte an der Figur entstehen.267 Die meisten Spiele bieten derartig weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten der Figuren und Gegenstände nicht an, sondern beschränken sich auf vorgegebene Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Figuren. Lediglich etwas Personalisierung durch Farbgebung, Logos und Namen oder auch eigene Töne werden gewährt. Unabhängig von einem bestehenden Sonderschutz kommt hinsichtlich der Charaktere 160 die schlichte Dateneigenschaft in Frage.268 Eine Besonderheit bei der Übertragung von Charakteren ist die Bindung des Charakters an den Account. Der Account basiert wiederum auf einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen Nutzer und Plattformbetreiber.269 Ein Wechsel des Vertragspartners durch eine gesetzlich nicht geregelte Vertragsübernahme kommt regelmäßig nicht ohne Zustimmung des anderen Vertragspartners zustande.270 Die Notwendigkeit der Zustimmung im Einzelfall hängt wiederum von den konkreten Vertragsbedingungen und dem zugrundeliegenden Zahlungsmodell ab. Einen Zwang zur Zustimmung gibt es grds nicht. Ihre Verweigerung ist eine zulässige Form der Privatautonomie und grds kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Bei vorausbezahlten Ratenzahlungsmodellen hat der Plattformanbieter allerdings kein 161 schützenswertes Interesse an der Bonität seines Vertragspartners, da der Vertrag sich regelmäßig und nur dann erneuert, wenn der Nutzer weiteres Entgelt im Voraus entrichtet. Ist die Account-Nutzung nicht mehr von weiteren Zahlungen abhängig und mit dem Kauf des Original-Datenträgers abgegolten, besteht ebenfalls kein schützenswertes Interesse des Anbieters, die Verkehrsfähigkeit des Datenträgers durch die enthaltende Online-Nutzungsmöglichkeit einzuschränken. Der Anbieter hat nämlich auch beim Erst263 264 265
Vgl dazu Lober/Weber MMR 2005, 653, 657 ff. Geis/Geis CR 2007, 721, 724. Solche Möglichkeiten sind in der virtuellen Welt etwa von SecondLife gegeben.
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266 267 268 269 270
Vgl Teil 2 Kap 1 Rn 41. So auch Geis/Geis CR 2007, 721, 724. Vgl Rn 148 ff. Wemmer/Bodensiek K&R 2004, 432, 434. BGHZ 96, 302.
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§2
Recht und Gesetz in Computerspielen
erwerb keinen Einfluss auf den Erwerber. Anderenfalls wäre der Grundsatz der Erschöpfung bzgl des Datenträgers leicht zu umgehen. Über die Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung kann der Plattformbetreiber die weitere Verwertung seiner in Umlauf gebrachten Datenträger jederzeit kontrollieren. Verfügungsverbote in Nutzungsbedingungen sind meist wegen unwirksamer Einbindung 271 oder wegen § 137 S 1 BGB unwirksam. Weiterhin spricht die wirtschaftliche Interessenlage gegen eine Unterstellung der Verweigerung der Zustimmung. Unabhängig davon, ob die erschaffenen Gegenstände schutzrechtsfähig sind oder 162 nicht, gewährt der zB Betreiber von SecondLife dem Nutzer die volle Verfügungsfreiheit über die geschaffenen Gegenstände. Dies unterscheidet SecondLife von den herkömmlichen Spielen, deren Betreiber in erster Linie das Spiel ermöglichen wollen und Übertragungen von Items eher kritisch gegenüberstehen. Die wirtschaftliche Ausrichtung des SecondLife-Paralleluniversums zeigt sich hier deutlich. e) Schuldrechtliche Gestaltung. In den allermeisten Fällen wird hinsichtlich der Items 163 und Charaktere ein Kaufvertrag gem §§ 433, 453 BGB, seltener auch Tausch, Schenkung, Miete oder Leihe in Frage kommen. Mangels der Sachqualität kommt ein Rechtskauf in Frage, der nicht nur für gesetzlich anerkannte Rechte sondern auch für sonstige (immaterialgüterrechtliche) Gegenstände die Anwendung der Vorschriften des Sachkaufs anordnet.272 Soweit bisher ersichtlich gibt es einen Markt für Miete noch nicht. Es ist jedoch nicht undenkbar, dass gute Spieler gegen Geld die Möglichkeit anbieten, einmal mit einem mächtigen Avatar zu spielen.273 Auch wenn die Rahmenbedingungen und die rechtliche Einordnung von Avataren und Items noch in den Anfängen stecken, darf das Abstraktionsprinzip nicht außer Acht gelassen werden, sodass zwischen Verpflichtungsund Verfügungsgeschäft zu unterscheiden ist.274 Mangels direkt anwendbarerer Rechtsnormen kommt der privatautonomen Gestal- 164 tung der Verhältnisse durch die Parteien ein hohes Gewicht zu.275 Hier spielt nahezu das gesamte Vertragsrecht eine Rolle, so dass hier nicht alle möglichen Probleme aufgezeigt werden können. Viele Vereinbarungen zwischen den Parteien beim Softwarekauf und anderen Software-bezogenen Verträgen werden durch Nutzungsbedingungen geregelt. Diese sind nahezu immer vorformulierte Bedingungen der Anbieter und unterliegen somit den Regeln der AGB-Kontrolle. Scheitern die Vertragsbedingungen nicht schon an der wirksamen Einbeziehung,276 stellen Verkaufsverbote für den Erwerber in aller Regel überraschende Klauseln (§ 305c Abs 1 BGB) oder eine unangemessene Benachteiligung dar. In den seltenen Fällen eines schuldrechtlich wirksamen vertraglichen Ausschlusses sind weiterhin die Vorschriften des europäischen (Art 81, 82 EG) und deutschen Kartellrechts (§§ 1, 19, 20 GWB) zu beachten.277 Die Gegenleistung kann in echtem Geld aber auch durch eine Bezahlung im Spiel 278 165 erfolgen. Durch die quasi-Handelbarkeit von beliebigen Spielwährungen wird zum einen das Notenbankmonopol infrage gestellt. Zum anderen werden Möglichkeiten der Geld271 272 273
Vgl Rn 24 ff. Palandt/Weidenkaff § 453 BGB Rn 9. Dies kann daran liegen, dass für den Vermieter erhebliche tatsächliche Risiken bestehen. Ein unerfahrener Anfänger könnte die mühsam erspielte Erfahrung des Vermieters durch unbedachtes Handeln rasch zerstören. Dabei kann es zu erheblichen Werteinbußen kommen.
274
275 276 277 278
Unklar hinsichtlich der Zuordnung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft Krasemann MMR 2006, 351, 353. Zu Nebenpflichten und Mängelgewährleistung Lober/Weber MMR 2005, 653, 657. Vgl Rn 23 ff. Dazu Lober/Weber MMR 2005, 653, 659 f. Kurse von Spielwährung zu US-Dollar sind zu finden unter www.gameusd.com
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2. Teil
wäsche geschaffen und ein Handelsbereich eröffnet, der bisher keinerlei Kontrollbehörden unterworfen ist.279 Die Problematik des wertvollen Spielgeldes ist erst ansatzweise erkannt. Die Schaffung von Spielgeld ist mangels Körperlichkeit keine Geldfälschung iSd § 146 StGB, denn das Tatbestandsmerkmal Geld bezieht sich auf zugelassene Zahlungsmittel in Form von Münzen oder Scheinen.280
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f) Wiederherstellung von virtuellen Gegenständen durch den Betreiber. In der realen Welt kann man eine beschädigte Sache reparieren, eine zerstörte durch Neubeschaffung funktionell ersetzen. Eine echte Wiederherstellung der Originalsache ist nicht möglich. In den digitalen Welten ist dies lediglich vom Willen des Plattformbetreibers abhängig. Er hat die umfassende Herrschaftsmacht über seine Spielwelt. Somit kann grds jede virtuelle Sache beliebig oft wiederhergestellt oder verändert werden. Eine derartig gottgleiche Institution gibt es im herkömmlichen zivilrechtlichen Aufbau verständlicherweise nicht. Die virtuellen Gegenstände der Teilnehmer können zB durch technische Defekte, 167 Regeländerungen oder vorsätzliches bzw fahrlässiges Fehlverhalten anderer Teilnehmer „beschädigt“ oder „zerstört“ werden. Für eigene Versäumnisse und Pflichtverletzungen haftet der der Betreiber dem Nutzer grds nach § 280 BGB iVm dem Nutzungsvertrag. Mit anderen Teilnehmern hat der Nutzer in der Regel keinen Vertrag geschlossen.281 Insoweit muss daher eine vertragliche Pflicht des Betreibers nachgewiesen werden, die dessen Einstehen für die Handlungen Dritter verlangt. Unter der Prämisse des schlichten Dateneigentums oder der analogen Anwendung der Vorschriften über das Eigentum iSd BGB wäre eine solche Haftung auch über das Deliktsrecht zu bewerkstelligen. Allen Anspruchsgrundlagen kann entgegengehalten werden, dass regelkonformes Spiel nicht zu einer Haftung führen kann. Inwieweit der Betreiber die Spielregeln ändern darf, ist eine Frage des konkreten Vertrages. 5. Virtuelles Hausrecht
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In der realen Welt verfügt der Berechtigte einer Räumlichkeit über das Recht, anderen das Betreten zu untersagen und den Zutritt zu regeln.282 Dieses Hausrecht gewährt auch die Befugnis, Regeln für den Aufenthalt zu bestimmen. Das dem Herrschaftsrecht des Eigentümers/Besitzers entspringende und aus §§ 903, 858, 862, 1004 BGB und § 123 StGB hergeleitete Hausrecht kann auf andere übertragen werden oder durch andere wahrgenommen werden. Auch in virtuellen Welten bedarf es für das Zusammenkommen der Menschen regeln. Diese kann auch hier grds der Berechtigte frei aufstellen. Aufgrund der vielfältigen Überwachungspflichten setzt das Gesetz ein solches Recht gewissermaßen voraus. In virtuellen Räumen (Foren, Chats, Computerspiele), muss daher ebenfalls ein Hausrecht des Betreibers bestehen.283 Der Nutzer kann solchen Regeln vertraglich ausdrücklich zustimmen. Werden die Regeln aufgrund der Bestimmungen der §§ 305 ff BGB nicht Bestandteil des Vertrages, so kann sich hinsichtlich der spezifischen hausrechtlichen Bedingungen des Betreiber eine abweichende Betrachtung ergeben. Mit dem Betreten eines fremden virtuellen Raumes erkennt der Nutzer solche Regeln des Betreibers konkludent an, welche die Rechte und Pflichten in Bezug auf die Raumnutzung selbst unmittelbar bestimmen. Die Anerkennung der Hausordnung weicht damit von sonstigen 279 280 281
Dazu Habel MMR 2008, 71, 72; Lober c’t 24/2007, 88. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 StGB Rn 2. Weiterführend Lober/Weber CR 2006, 837, 838 ff.
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282 283
BGH GRUR 2006, 249, 251. OLG Hamm MMR 2008, 175; OLG Hamburg MMR 2008, 58; OLG Köln MMR 2001, 52; LG Bonn MMR 2000, 109; Maume MMR 2007, 620.
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§3
Rechtsverletzungen durch Spiele
Nutzungsbestimmungen ab. Damit ist nicht automatisch ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien begründet. Kraft seines Hausrechts kann der Betreiber den Nutzern nur solche Verhaltensweisen 169 untersagen mit denen diese in Bezug auf in konkrete (Vertrags-) Verhältnis vernünftigerweise rechnen mussten. Bei der Bestimmung der Reichweite der gegenseitigen Rechte und Pflichten sind selbstverständlich weitere vertragliche Pflichten der Parteien (insb § 242 BGB) und allgemeine Vorschriften (zB § 19 AGG 284) zu berücksichtigen. Untersagt zB ein Betreiber dem Nutzer endgültig das Betreten einer virtuellen Welt aufgrund der Hausordnung ist dies zugleich eine Kündigung des Nutzungsverhältnisses.
§3 Rechtsverletzungen durch Spiele I. Rechte Dritter Wie bei allen audiovisuellen Medien können durch Computerspiele Rechte Dritter 170 verletzt werden. Dazu gehören Urheber- und Leistungsschutzrechte, Geschmacksmusterrechte, Markenrechte sowie Persönlichkeitsrechte. Unter letzteres fallen insbesondere Bildnisrechte und Namensrechte. Die Verwendung fremden urheberrechtlich geschützten Materials in Computerspielen 171 stellt in der Regel eine Vervielfältigung (§ 16 UrhG), Verbreitung (§ 17 UrhG) und nicht selten auch eine öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) oder Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (§ 21 UrhG) dar.285 Die Wiedergabe fremder Werke und Gegenstände des Leistungsschutzes in Computerspielen fallen in aller Regel nicht unter das Schrankensystem nach §§ 44a ff UrhG, insbesondere das Zitatrecht nach § 51 UrhG. Marken werden insbesondere zur realistischen Darstellung von Gegenständen ver- 172 wendet. Anders als bei den realen Gegenständen werden jedoch dafür nicht die vom Hersteller in Verkehr gebrachten und mit seinen Marken versehenen Produkte benutzt, sondern grafisch dargestellt. Es handelt sich auch nicht um die bloße Wiedergabe fremder Produkte durch Fotografie oder Film bzw Video, sog Markennennung.286 Die Markenrechte der Hersteller werden daher grds verletzt.287 Anderseits ist nach der Wertung der Opel-Logo-Entscheidung des EuGH 288 besonders auf die Feststellung der markenmäßigen Benutzung zu achten. Selbst und gerade durch die detaillierte Nachbildung auch der Markenzeichen von Automobilherstellern werden nach dem EuGH nicht die Rechte der Inhaber verletzt. Die beteiligten Verkehrskreise erwarteten gerade eine möglichst realistische Nachbildung in dem vollen Bewusstsein, dass der Nachbildende eben nicht der Markeninhaber ist. Diese Wertung ist auf andere auf Genauigkeit ausgelegte Nachbildungen und insbesondere auf Simulationsspiele zu übertragen.289 Ein Computerspiel mit Simulationscharakter gilt den Nutzern als besonders hochwertig, wenn die Realität so weit wie technisch möglich nachgebildet wird. Der Spieler erwartet deshalb nicht, dass 284 285 286 287
Dagegen Maume MMR 2007, 620, 624. Zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen vgl Teil 2 Kap 1 Rn 106 ff. Ingerl/Rohnke § 14 MarkenG Rn 81. Vgl dazu Zagouras/Körber WRP 2006, 680, 688 ff.
288 289
EuGH GRUR 2007, 318 – Opel-Logo. So schon Anschütz/Nägele WRP 1998, 937, 944; ausf Körber/Lee WRP 2007, 609, 612 ff.
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2. Teil
die virtuellen Nachbildungen auf die Herkunft vom Markeninhaber hinweisen. Zugpferd des Spiels darf also nicht die verwendete Marke in ihrer Herkunftsfunktion, sondern die detaillierte virtuelle Nachbildung sein. Bildet sich der Kaufanreiz gerade aus der Marke selbst, liegt eine markenmäßige Benutzung vor. Liegt kein vertragliches Verhältnis mit dem Hersteller vor, durch das im Wege des Product Placement die Ware gezielt in den Computerspielen zu Werbezwecken platziert wird, sind idR Lizenzen einzuholen, wenn nicht die Darstellung den Anspruch einer möglichst genauen Abbildung der Realität ohne markenmäßige Benutzung hat. In jedem Falle anwendbar sind die Grundsätze der Rufbeeinträchtigung und Wertschätzung einer bekannten Marke. Die Betrachtung von Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht richtet sich 173 nach den allgemeinen Regeln. Hinsichtlich bildlicher Abbildungen von Personen gelten §§ 22, 23 KUG und bzgl des Namens § 12 BGB.290 Somit ist von einer dargestellten, erkennbaren Person im Spiel grds eine Einwilligung erforderlich.
II. Virtuelle Straftaten in Computerspielen? 174
Die Virtualität der Spielwelten setzt dem auf die reale Welt zugeschnittenen Strafrecht deutliche Grenzen. Die Zerstörung von virtuellen Gegenständen kann nicht gem § 303 StGB wegen Sachbeschädigung geahndet werden, da eine Sache iSd Tatbestandes nicht vorliegt. Dennoch werden echte materielle Werte vernichtet, in die der Spieler möglicherweise viel Zeit und Geld investiert hat. Problematisch für die Anwendung des Strafrechts als hoheitlichem Recht ist die Spielnatur und die Virtualität der Spiele. Grds zieht ein Spiel keinerlei Folgen in der realen Welt nach sich. Werden die Grenzen zwischen Spielwelt und echter Welt derart miteinander vermengt, dass zB Spielgeld und reales Geld zu bestimmten Kursen getauscht werden kann, sind strafrechtlich relevante Absichten nicht fern. Problematisch für die Auslegung der einschlägigen Tatbestände ist die Hoheit des Spielbetreibers über seine Welt. Er kann Regeln und Grenzen weitgehend frei bestimmen. Ist es Ziel des Spiels, fremde Reiche und Besitztümer zu stehlen oder zu zerstören, kann nicht mit Hilfe des Strafrechts konterkariert werden. Über die Tatbestände zum Schutz von Daten ist ein Handeln in Spielewelten nicht sinnvoll erfassbar. Das Erobern und Zerstören feindlicher Gegenstände gehört bei vielen Spielen zur Grundidee. Wie in der realen Welt hört der Spaß bei Geld schnell auf. Dafür existieren bislang keinerlei Regeln oder Kontrollmechanismen. Während der Kommunikation im Spiel können vor allem Straftaten gegen die Ehre eine Rolle spielen. Weiterhin müssen sich die Darstellungen und Handlungen im Spiel an den §§ 130; 131; 177 ff; 184; 201 ff; 240; 253; 263 ff StGB messen.291
290
Zum Bildnisschutz vgl Teil 6 Kap 3 Rn 1 ff. Spezifisch zum Bildnisschutz in Computerspielen Zagouras/Körber WRP 2006, 680, 682. Vgl auch OLG Hamburg ZUM 2004, 309 – Oliver Kahn; dazu Gauß GRUR Int 2004, 558; Schmid-Petersen SpuRt 2004, 248; Lober/Weber ZUM 2003, 658.
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291
Dazu eingehend Krasemann MMR 2006, 351, 354 ff; zur virtuellen Kinderpornografie Ritlewski K&R 2008, 94; Hopf/Braml ZUM 2007, 354.
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Rechtsverletzungen durch Spiele
III. Jugendschutzrecht Die eingangs erwähnte Killerspiel-Debatte sorgt de lege ferenda für viel Zündstoff.292 175 Killerspiele werden nach Gewaltexzessen geächtet, obwohl zB im Falle des Erfurter Schulmassakers der Schüler das umstrittene Spiel Counterstrike nicht installiert hatte. Die Diskussion lässt leider wissenschaftliche Fakten weitgehend vermissen und basiert hauptsächlich auf persönlichen Meinungen, Thesen, Erwartungshaltungen und Reaktionismus.293 Es besteht enormer Bedarf an gesicherter Grundlagenforschung und belastbaren Beweisen.294 Deutlichere Kausalzusammenhänge sind beim Suchtverhalten von Jugendlichen zu beobachten, jedoch handelt es sich bei den betreffenden Spielen gerade nicht um Ego-Shooter, sondern um Online-Rollenspiele. In China soll deshalb gegen die Spielsucht von Jugendlichen ein zeitliches Begrenzungssystem in die Spiele integriert werden.295 Unklar ist die oft unterschiedliche Bewertung von Computerspielen im Verhältnis zu „alten Medien“ wie Filmen, obwohl die Inhalte und Produktionsstrukturen seit Jahren annähern und konvergieren. Auf diesen Themenkomplex kann in voller Breite hier nicht weiter eingegangen werden. Nach geltendem Recht 296 müssen alle auf dem Datenträger enthaltenen Inhalte der 176 inhaltlichen Überprüfung nach §§ 12, 14 JuSchG standhalten.297 Dies gilt somit für Menüs, Spielgeschehen, Werbung und auch versteckte Funktionen.298 Ungeprüfte Spiele dürfen weder in Ladengeschäften noch im Versandhandel Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden (§ 12 Abs 3 JuSchG). Die Prüfungen von Computerspielen werden derzeit von der USK durchgeführt.299 Die Grundlage dafür bietet § 14 Abs 6 JuSchG.300 Über die Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Trägermedien (§ 24 JuSchG), sog Indizierung, entscheidet auf Antrag (§ 21 Abs 1 JuSchG) die Bundesprüfstelle. In besonders eiligen Fällen besteht die Möglichkeit eines vereinfachten Verfahrens (§ 23 JuSchG). Für indizierte Datenträger gelten enge Voraussetzung bzgl Vertrieb und Werbung (§ 15 JuSchG). Regelmäßig erlischt die Indizierung erst nach 25 Jahren (§ 18 Abs 7 S 2 JuSchG), kann jedoch nach 10 Jahren von Amts wegen gestrichen werden (§ 23 Abs 4 JuSchG), sowie auf Antrag wenn die Voraussetzungen der Indizierung nicht mehr vorliegen (§ 18 Abs 7 S 1 JuSchG).301 Klagen gegen die Indizierung von Spielen sind nur selten sinnvoll, da nach einer 177 rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung, die etwa 4–6 Jahre durch die Instanzen braucht, das Spiel am Markt keinerlei Bedeutung mehr hat. Oft ist nicht einmal mehr die ursprüngliche Plattform verfügbar. Den Hauptumsatz machen Computerspiele in den 292
293 294 295
Beachte hierzu die kürzliche Ergänzung des § 15 Abs 2 JuSchG um eine Nr 3a, die Trägermedien verbietet, die „besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, die das Geschehen beherrschen“, vgl BT-Drucks 16/4707; Erdemir K&R 08, 223, 226 f. Zu den spärlichen wissenschaftlichen Grundlagen Lober CR 2002, 397, 398 f. Höynck/Pfeiffer ZRP 2007, 91, 94. www.4players.de/4players.php/ spielinfonews/PC-CDROM/3933/64158/ Allgemein.html und english.people.com.cn/ 200704/10/eng20070410_364977.html.
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299 300
301
Zur alten Rechtslage nach GjSM Lober CR 2002, 397. Zur Trennung von Datenträgern und Telemediendiensten vgl Rn 100 ff. Inbesondere die Möglichkeit per „geheimer“ Tastenkombination besonders gewalthaltige Effekte einzuschalten. Vgl dazu Teil 7 Kap 2 Rn 174 ff. Krit dazu Höynck/Pfeiffer ZRP 2007, 91, 92 f. Daten zur Alterskennzeichnung unter www.usk.de. Zu veralteten Indizierungen Köhne MMR 2003 Heft 4, XIV.
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2. Teil
ersten beiden Monaten nach Erscheinen. Eine aufschiebende Wirkung von Klagen schließt § 25 Abs 4 JuSchG aus.302 Dagegen kann zwar im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aus § 80 Abs 5 VwGO vorgegangen werden, jedoch wird der Jugendschutz idR die höheren Interessen vorweisen können. Daher wirkt es sich so aus, dass der Bundesprüfstelle im Hinblick auf das Recht auf rechtliches Gehör nach Art 19 Abs 4 GG relativ viel Macht verliehen wird.303 Den Entwicklern ist somit zu raten sich nicht zu sehr darauf zu verlassen, dass man die eigene Rechtsauffassung in kalkulierbarer Zeit vor Gericht durchsetzen kann. Daher sind schon vor der Einstufung durch die USK Sondierungsgespräche notwendig.304 Angesichts der Kontrolldichte kann von einem schwachen Jugendschutzrecht nicht gesprochen werden. Mehr Probleme bereitet eher die Machtlosigkeit gegenüber der Umgehung des Jugendschutzrechtes durch Tauschbörsennutzung. In Deutschland werden Internet-Cafés seltener als in anderen Ländern zum exzessiven 178 Spielen genutzt. Dennoch ist das öffentliche Anbieten von Spielen nicht ungefährlich für die Betreiber.305 Auch die Betreiber von öffentlichen und privaten LAN-Partys kommen sowohl mit dem Urheberrecht als auch mit dem Jugendschutzrecht und Gewerberecht in Kontakt.306
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Dagegen kann zwar im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aus § 80 Abs 5 VwGO vorgegangen werden, jedoch wird der Jugendschutz idR die höheren Interessen vorweisen können. So auch Lober CR 2002, 397, 406, der einen finanziellen Ausgleichsanspruch bei rechtswidriger Entscheidung befürwortet. AA Höynck/Pfeiffer ZRP 2007, 91, 93, die
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gerade diese vorherigen Verhandlungen in der Entwicklungsphase für einen Interessenkonflikt halten. Dazu Liesching NVwZ 2005, 898; Liesching/Knupfer MMR 2003, 439; Lober MMR 2002, 730; vgl auch BVerwG CR 2005, 594 – Internet-Café als Spielhalle. Eingehend Mielke c’t 12/2006, 200.
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Kapitel 6 Verlagsrecht Literatur Baumbach/Hopt HGB, 33. Aufl München 2007 (zit Baumbach/Hopt/Bearbeiter); Berking Die Unterscheidung von Inhalt und Form im Urheberrecht, Baden-Baden 2002; Blanke/Kitz Grenzüberschreitende Buchpreisbindung und Europäisches Gemeinschaftsrecht JZ 2000, 118; Blömeke/Clement/Mahmudova/Sambeth Status quo der betriebswirtschaftlichen Erfolgsforschung bei Büchern M&K 2007, 412; Börsenverein des Deutschen Buchhandels Buchhandlungen und Neue Medien – Chancen, Visionen und Handlungskonzepte für den stationären Buchhandel aus Sicht strategischer Zielgruppen, Frankfurt aM 2006 (zit Börsenverein Neue Medien); ders Buch und Buchhandel in Zahlen 2007, Frankfurt aM 2007 (zit Börsenverein Buch und Buchhandel); ders Branchenbarometer Elektronisches Publizieren, Frankfurt aM 2007 (zit Börsenverein Branchenbarometer Elektronisches Publizieren); ders Report zur Branchenumfrage unter Hörbuchverlagen, Frankfurt aM 2006 (zit Börsenverein Branchenumfrage Hörbuch); Delp Der Verlagsvertrag 8. Aufl München 2008 (zit Delp Verlagsvertrag); ders Kleines Praktikum für Urheber- und Verlagsrecht 5. Aufl München 2005 (zit Delp Praktikum); Dernbach/Roth Literalität des Alltags: Von Scannern, Gehern und Direkteinsteigern M&K 2007, 24; von Eimeren/Frees ARD/ZDF-Online-Studie 2007 – Internetnutzung zwischen Pragmatismus und YouTube-Euphorie Media Perspektiven 2007, 362; Foerste Die Produkthaftung für Druckwerke NJW 1991, 1433; Franzen/Wallenfels/Russ Preisbindungsgesetz – Die Preisbindung des Buchhandels 5. Aufl München 2006; Freytag/Gerlinger Kombinationsangebote im Pressemarkt WRP 2004, 537; von Gamm Der verlagsrechtliche Bestellvertrag GRUR 1980, 531; Gergen Zur Auswertungspflicht des Verlegers bei Übersetzungsverträgen NJW 2005, 569; Gerhards/Mende ARD/ZDF-Online-Studie 2007 – Offliner 2007 Media Perspektiven 2007, 379; Goltz Verramschen und Makulieren beim Verlagsvertrag, in: Jagenburg/Maier-Reimer/Verhoeven (Hrsg) FS Oppenhoff, München 1985, 101; Gottschalk Wettbewerbsverbote in Verlagsverträgen ZUM 2005, 359; Grohmann Leistungsstörungen im Musikverlagsvertrag, Jena 2006; Haas/Trump/Gerhards/Klingler Web 2.0: Nutzung und Nutzertypen Media Perspektiven 2007, 216; Haupt (Hrsg) Electronic Publishing, München 2002 (zit Haupt/Bearbeiter); ders Urheber- und verlagsrechtliche Aspekte bei der Hörbuchproduktion UFITA 2002/II, 323; Heckmann Zum Erfordernis der Einwilligung in eine retrospektive Digitalisierung von Printwerken zu Werbezwecken AfP 2007, 314; Heinold Bücher und Büchermacher 5. Aufl Heidelberg 2001; Höckelmann Die Produkthaftung für Verlagserzeugnisse Baden-Baden 1994; Horz Gestaltung und Durchführung von Buchverlagsverträgen Berlin 2005; Jungermann/Heine Die Buchpreisbindung – elektronische Medien und der Markt für Verlagserzeugnisse CR 2000, 532; Jessen/Meyer-Maluck/Schlück/Schlück Literaturagentur. Erfolgreiche Zusammenarbeit Autor – Agentur – Verlag Berlin 2006; Junker Die Rechte des Verfassers bei Verzug des Verlegers – Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis des Verlagsrechts zum Bürgerlichen Recht GRUR 1988, 793; Kitz Anwendbarkeit urheberrechtlicher Schranken auf das E-Book MMR 2001, 727; ders Die Dauerschuld im Kauf – Interessen und Interessenschutz unter dem Einfluss der europäischen Privatrechtsentwicklung Baden-Baden 2004; ders Die Herrschaft über Inhalt und Idee beim Sprachwerk GRUR-RR 2007, 217; ders The Difference Between Books and Chocolate Bars – How EC Treaty Art. 151(4) Affects Community Actions AIPLA Quarterly Journal 2004, 361; Knaak Der Verlagsvertrag im Bereich der Belletristik, in: Beier/Götting/Lehmann/Moufang (Hrsg) FS Schricker München 1995, 263; Kraßer Grundlagen des zivilrechtlichen Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie von Know-how GRUR 1977, 177; Kuck Kontrolle von Musterverträgen im Urheberrecht GRUR 2000, 285; Larenz Lehrbuch des Schuldrechts Bd I – Allgemeiner Teil 14. Aufl München 1987; von Lucius Verlagswirtschaft 2. Aufl Konstanz 2007; H Oetker Das Dauerschuld-
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
verhältnis und seine Beendigung, Tübingen 1994; Pleister Buchverlagsverträge in den Vereinigten Staaten – ein Vergleich zu Recht und Praxis Deutschlands GRUR Int 2000, 673; Podszun Wettbewerb im Buchhandel GRUR Int 2007, 485; Prütting/Wegen/Weinreich BGB 2. Aufl Neuwied 2007 (zit Prütting/Wegen/Weinreich/Bearbeiter); Schmaus Der E-Book-Verlagsvertrag, Baden-Baden 2002; K Schmidt Verbraucherbegriff und Verbrauchervertrag – Grundlagen des § 13 BGB JuS 2006, 1; Schramm Das Konkurrenzverbot im Verlagsvertrag UFITA Bd 64 (1972), 19; Schricker Zum neuen deutschen Urhebervertragsrecht GRUR Int 2002, 797; Schulze Meine Rechte als Urheber 5. Aufl München 2004; ders Rechtsfragen von Printmedien im Internet ZUM 2000, 432; ders Die Einräumung unbekannter Nutzungsrechte nach neuem Urheberrecht UFITA Bd 2007/III, 641; Sieger Die Literarische Agentur ZUM 1987, 541; Spindler Reform des Urheberrechts im „Zweiten Korb“ NJW 2008, 9; Statistisches Bundesamt Datenreport 2006 Bonn 2006; Straus Der Verlagsvertrag bei wissenschaftlichen Werken, in: Beier/Götting/Lehmann/Moufang (Hrsg) FS Schricker München 1995, 291; Waldenberger Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften: Der neue § 15 GWB NJW 2002, 2914; Wündisch Wettbewerbsverbote im Verlagsvertrag Berlin 2002; Wüterich/Breucker Wettbewerbsrechtlicher Schutz von Werbe- und Kommunikationskonzepten GRUR 2004, 389; Zubayr/ Gerhard Tendenzen im Zuschauerverhalten Media Perspektiven 2007, 187.
Übersicht Rn § 1 Einleitung: Das Buch im Zeitalter der neuen Medien . . . . . . . . . . § 2 Verlagsvertrag . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich des VerlG 1. Vertragsgegenstand . . . . . 2. Parteien und Pflichtenprogramm . . . . . . . . . . . a) Verfasser . . . . . . . . b) Verleger . . . . . . . . . II. Personenmehrheit . . . . . . . 1. Auf Verfasserseite . . . . . 2. Auf Verlegerseite . . . . . . III. Mitwirkung literarischer Agenturen . . . . . . . . . . . . . 1. Typische Tätigkeit der literarischen Agentur . . . . . 2. Vertragsgestaltung . . . . . 3. Anwendbares Gesetzesrecht a) Beauftragung über gewissen Zeitraum . . . . . b) Beauftragung für Einzelprojekt . . . . . . . . . IV. Rechtverhältnisse bzgl Stoffentwicklung und Vorarbeiten . 1. Stoffentwicklung und Stoffumsetzung durch Verfasser . 2. Isolierte Stoffentwicklung durch Verfasser . . . . . . . 3. Stoffentwicklung durch Verleger (Bestellvertrag) . . . . a) Bestellvertrag als Werkvertrag . . . . . . . . . b) Abgrenzung zum Verlagsvertrag . . . . . . . . . c) (Verpflichtung zur) Rechtseinräumung . . . 4. Stoffentwicklung durch Dritte . . . . . . . . . . . 5. Stoffschutz . . . . . . . . . a) Konzeptschutz nach UrhG
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1–5 6–311 7–21 7–12 13–21 14, 15 16–21 22–33 22–32 33 34–46 34, 35 36–40 41–46 41–43 44–46 47–83 50 51–56 57–70 57, 58 59–66 67–70 71, 72 73–83 74–76
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Rn b) Konzeptschutz nach UWG und BGB . . . . . . . . V. Vertragsschluss: Anforderungen an Form und Inhalt . . . . . . VI. Verlagsvertrag und allgemeine Geschäftbedingungen . . . . . VII. Vertragsverhandlung und Vertragsinhalt . . . . . . . . . . 1. Vertragsgegenstand: Beschaffenheit des abzuliefernden Werks . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage nach dem VerlG . . . . . . . . . . b) Festlegung der inhaltlichen Werkbeschaffenheit c) Festlegung der formellen Werkbeschaffenheit . . . 2. (Pflicht zur) Rechtseinräumung . . . . . . . . . . . . a) Verlagsrecht . . . . . . . b) Weitere Rechte . . . . . c) Beschränkungen der Rechtseinräumung . . . aa) Räumlich . . . . . . bb) Zeitlich . . . . . . . cc) Inhaltlich . . . . . . 3. Honorar . . . . . . . . . . a) Grundentscheidung über die Vergütungspflicht . . b) Art und Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . c) Vorschuss und Garantiehonorar . . . . . . . . . 4. Art der (Erst-)ausgabe . . . 5. Fälligkeit der Hauptleistungen a) Leistung des Verfassers (Zeitpunkt der Manuskriptablieferung) . . . . b) Leistung des Verlegers (Erscheinungstermin) . .
77–83 84–87 88–93 94–179
96–108 96–100 101–104 105–108 109–131 109–119 120–122 123–131 124 125, 126 127–131 132–152 132, 133 134–144 145–152 153–158 159–163
159, 160 161–163
§1
Einleitung: Das Buch im Zeitalter der neuen Medien
6. Verramschung, Makulierung 7. Besondere Bindungen des Verfassers . . . . . . . . . a) Wettbewerbsklausel . . . b) Option auf weitere Werke VIII. Vertragsdurchführung . . . . . 1. Von der Manuskriptablieferung bis zur Druckreife . . a) Ablieferung des vertragsgemäßen Werks . . . . . b) Einräumung der vereinbarten Rechte . . . . . . c) Modifikationen an Manuskript und Satz . . aa) Änderungen . . . . bb) Korekturen . . . . . 2. Verwertung des Werks durch den Verleger . . . . . . . . a) Ausübung des Verlagsrechts (Auswertungspflicht) . . . . . . . . . aa) Art und Weise der Vervielfältigung . . . bb) Art und Weise der Verbreitung . . . . . cc) Auflagenzahl und -höhe . . . . . . . . dd) Festsetzung und Änderung des Ladenpreises . . . . . . . ee) Werbung . . . . . . ff) Fälligkeit des Auswertungsanspruchs . b) Ausübung sonstiger Rechte . . . . . . . . . . c) Schutz des Verlegers gegenüber dem Verfasser . aa) Enthaltungspflicht des Verfassers . . . . bb) Allgemeine Treuepflicht des Verfassers d) Schutz des Verlegers gegenüber Dritten . . . . . 3. Manuskriptrückgabe . . . . 4. Vergütung des Verfassers . . a) Bestehen eines Vergütungsanspruchs . . . . . b) Höhe des Vergütungsanspruchs . . . . . . . .
Rn
Rn
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aa) Vergütungshöhe bei vereinbarter Honorierungsart . . . . . . 245–252 bb) Vergütungshöhe bei fehlender Vereinbarung . . . . . . . . 253–256 cc) Anspruch auf Vertragsanpassung . . . 257, 258 c) Fälligkeit und Abrechnung 259–261 5. Frei- und Autorenexemplare 262–264 6. Neuauflagen . . . . . . . . 265–270 7. Leistungsstörungen . . . . . 271–289 a) Störungen im Bereich vertragswesentlicher Pflichten (§ 1 VerlG) . . . . . . . 271–286 aa) Rechte des Verlegers 273–283 bb) Rechte des Verfassers 284–286 b) Störungen im Bereich sonstiger Pflichten . . . . 287–289 IX. Vertragsbeendigung . . . . . . 290–311 1. Beendigungstatbestände . . 290–305 a) Zeitablauf . . . . . . . . 290, 291 b) Vergriffensein des Werks 292–296 c) Rücktritt und Kündigung 297–305 2. Folgen der Vertragsbeendigung 306–311 § 3 Haftung für fehlerhafte Inhalte von Verlagserzeugnissen . . . . . . . . . 312–320 I. Vertragliche Ansprüche . . . . 313–317 II. Deliktische Ansprüche . . . . 318, 319 III. Haftung im Innenverhältnis . . 320 § 4 Preisbindung für Verlagserzeugnisse 321–361 I. Einleitung . . . . . . . . . . . 321, 322 II. Sachlicher Anwendungsbereich 323–337 1. Bücher . . . . . . . . . . . 324–330 a) Definition . . . . . . . . 324 b) Gesetzliche Begriffserweiterungen und „Zukunftsklausel“ . . . . . . . . . 325–330 2. Ausnahmen . . . . . . . . 331–337 a) Fremdsprachige Bücher . 332 b) Gebrauchte Bücher . . . 333, 334 c) Mängelexemplare . . . . 335–337 III. Räumlicher Anwendungsbereich 338–341 IV. Persönlicher Anwendungsbereich und Pflichten . . . . . . 342–358 1. Pflichten des Verlegers oder Importeurs . . . . . . . . . 343–350 2. Pflichten des Buchverkäufers 351–358 V. Rechtsdurchsetzung . . . . . . 359–361
169–179 170–173 174–179 180–289 180–204 180–189 190–193 194–204 195–200 201–204 205–237
205–224 209–213 214 215
216, 217 218–223 224 225–227 228–234 228–231 232–234 235–237 238–240 241–261 241–244 245–258
§1 Einleitung: Das Buch im Zeitalter der neuen Medien Inmitten der neuen Medienlandschaft hat das Buch es nicht nur geschafft, bis heute 1 zu überleben – was manche bezweifelt hatten. Es hat sich auch gut behauptet: Der Umsatz der Buchbranche stieg auch 2006 nach einer Phase der Stagnation wieder leicht
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2. Teil
an, und zwar auf € 9,3 Mrd.1 Die 59. Frankfurter Buchmesse 2007 markierte ein Rekordjahr, 7 448 Aussteller – mehr als je zuvor in der Geschichte der Messe – aus 108 Ländern präsentierten insgesamt 391653 Titel.2 Auch die Zahl der Neuerscheinungen steigt seit Jahren stetig an und erreichte 2006 einen vorläufigen Höchststand von 94 716.3 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Nutzung bei den meisten anderen 2 Medien konseuquent steigt: Die durchschnittliche tägliche Sehdauer beim Fernsehen nimmt immer noch weiter zu,4 selbst der Teletext erfreut sich steigender Nutzerzahlen.5 Die Zahl der Internetnutzer hat sich von 1997 bis 2007 verzehnfacht.6 Dass das Buch demgegenüber nicht an Zuspruch verliert, belegt anschaulich, dass es auch solche Nutzerbedürfnisse befriedigen kann, die mit den neuen Medien besonders in den Blickpunkt geraten sind und oft als revolutionär beschrieben werden: Das Buch ist erstens ein mobiles Medium. Während Fernsehen und Internet auf das Ziel hinarbeiten,7 unterwegs auf jedem Mobiltelefon verfügbar zu werden, war das Buch schon immer mobil. Massenhafte Mediennutzung in der U-Bahn ist für das Fernsehen eine Vision, beflügelt von hochgesteckten Erwartungen in das Handy-TV; das Buch aber hat dieses Phänomen schon lange vorweg genommen. Das Buch ist zweitens, wenn man es sich einmal besorgt hat, auch in seiner klassischen gedruckten Form ein On-Demand-Medium: Der Nutzer bestimmt, wann, wie lange und wie oft er welchen Inhalt aus dem Buch rezipiert. Diese individuelle Nutzerauswahl von Zeitpunkt und Inhalt wird oft als klassische Errungenschaft der neuen Medien gefeiert 8 – beim Buch hatte der Nutzer diese Möglichkeit schon immer. Schließlich bedient das Buch – drittens – ebenso wie das Internet unterschiedliche Nutzungsmuster: 9 Man kann es als ganzes – längeres – Werk rezipieren, man kann es ausschnittsweise lesen und von einer Stelle zur anderen „springen“, und man kann Inhalt und Struktur überfliegen („scannen“). Dies gilt vor allem für Sachbücher; jedoch wird die Generation, die mit der Internetnutzung aufgewachsen ist, auch einen Roman nicht mehr zwingend linear von Anfang bis Ende durchlesen. Damit eignet sich das Buch nicht weniger als etwa das Internet zur Parallelnutzung neben einem anderen, im Hintergrund laufenden Medium (zB Rundfunk). Auch in einer Welt, in der die Parallelnutzung verschiedener Medien stetig zunimmt, ist das Buch daher für seinen Fortbestand gewappnet.10 Insgesamt erstaunt es nicht, dass die Zahl der Onlineverweigerer die der Buchverweigerer bei weitem übertriftt: Laut dem Datenreport 2006 lesen nur 19 % der Befragten „nie“ ein Buch, während über 50 % der Befragten „nie“ das Internet nutzen.11 Eine besondere Erfolgsgeschichte ist das Hörbuch: Umsätze und Novitätenzahl stei3 gen kontinuierlich.12 Denn das Hörbuch spricht nicht nur einen neuen Sinneskanal, son1 2 3
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6
Börsenverein Buch und Buchhandel 5. Pressemitteilung der Frankfurter Buchmesse vom 14.10.2007. Börsenverein Buch und Buchhandel 57 f; die Branche betrachtet die Neuerscheinungsflut freilich inzwischen als Problem, nicht als Wachstumsindikator, s Blömeke/Clement/ Mahmudova/Sambeth M&K 2007, 412, 415. 212 Minuten täglich, s hierzu Zubayr/Gerhard Media Perspektiven 2007, 187, 188. Die Tagesreichweite hat sich von 1996 bis 2006 mehr als verdreifacht, Zubayr/Gerhard Media Perspektiven 2007, 187, 199. von Eimeren/Frees Media Perspektiven 2007, 362, 363 (ARD/ZDF-Online-Studie 2007).
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Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 78. Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 77. Zur entsprechenden Analyse des Zeitungsleseverhaltens s Dernbach/Roth M&K 2007, 24, 35 ff. Vgl auch Teil 1 Kap 1 Rn 96. Statistisches Bundesamt 525; die OnlineStudie von ARD und ZDF beziffert den Anteil der „Offliner“ für 2006 mit gut 40 %, s Gerhards/Mende Media Perspektiven 2006, 379, 417. Börsenverein Neue Medien 52; Börsenverein Branchenumfrage Hörbuch 5 f.
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§2
Verlagsvertrag
dern auch einen zusätzlichen Nutzerkreis an: Eignet sich das Lesen eine Buchs eher für den aktiven Nutzertypen, so erschließt das Hörbuch nun auch dem passiven Typen Buchinhalte, ähnlich wie umgekehrt die On-Demand-Verfügbarkeit von Videos neben den eher passiven Fernsehnutzern auch die eher aktiven Seher anspricht 13 und so insgesamt den Nutzerkreis erweitert. Ein Sorgenkind ist hingegen das elektronische Publizieren: Das E-Book als transpor- 4 tables Lesegerät für elektronische Texte hat keinen Markt gefunden.14 Weil bereits das gedruckte Buch ein mobiles On-Demand-Medium ist, vermochten die Nutzer den Vorteil eines monofunktionalen Gerätes, das man statt des gebundenen Buchs zum „Blättern“ und Lesen mit sich herumtragen konnte, nicht zu erkennen. Der Nachteil eines solchen Geräts war vielmehr, dass es das haptische Erlebnis des gebundenen Buchs nicht ersetzen konnte. Diese Probleme stellen sich grds auch bei multifunktionalen Lesegeräten wie etwa Mobiltelefonen.15 Elektronisches Publizieren im Internet hat sich im Bereich der Nachschlagewerke und 5 der wissenschaftlichen Literatur bewährt – dort, wo nicht der Lesegenuss entscheidend ist, sondern das schnelle Auffinden und die unkomplizierte Verbreitung von Informationen im Vordergrund stehen. Insgesamt hingegen haben die Verlage mit elektronischem Publizieren noch keine besonders guten Erfahrungen gemacht: Die Kosten-Erlös-Situation entwickelt sich negativ.16 Dementsprechend lautete der Tenor der Branche auf der Buchmesse 2007 nach wie vor: Die Digitalisierung ist die größte Herausforderung.17
§2 Verlagsvertrag Ein Buch 18 entsteht durch die Zusammenarbeit zwischen Verfasser und Verleger. Das 6 Verhältnis zwischen beiden regelt der Verlagsvertrag. Dieser hat Sonderregeln im VerlG gefunden, die dispositiv sind.19 Die Vertragsgestaltung bietet deshalb einen großen Spielraum;20 für sie ist wiederum die Kenntnis des dispositiven Rechts nötig. Die folgende Darstellung erläutert dieses Wechselspiel.
I. Anwendungsbereich des VerlG 1. Vertragsgegenstand Ein Verlagsvertrag kann nach § 1 VerlG über einen Gegenstand geschlossen werden, 7 der drei Voraussetzungen erfüllt:
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Haas/Trump/Gerhards/Klingler Media Perspektiven 2007, 216, 216. Zur damaligen Aufbruchstimmung auf dem Markt sowie den rechtlichen Implikationen s Kitz MMR 2001, 727, 727 f. Börsenverein Neue Medien, 50 f; vgl auch Teil 1 Kap 1 Rn 88. Börsenverein Branchenbarometer Elektronisches Publizieren 7.
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Pressemitteilung der Frankfurter Buchmesse vom 8.10.2007. Zumindest das herkömmliche gedruckte Buch; zum elektronischen Selbstpublizieren s Teil 1 Kap 1 Rn 67. S Rn 94. S Rn 95 ff.
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2. Teil
– Es muss sich um ein Werk handeln. – Dieses muss der Literatur oder der Tonkunst angehören – und – als ungeschriebene Voraussetzung – verlagsfähig sein. Mit „Werk“ meint das VerlG grds ein Werk iSd § 631 Abs 2 BGB, also das Ergebnis einer Tätigkeit. Dieses Werk braucht kein urheberrechtlich schutzfähiges im Sinne einer persönlich-geistigen Schöpfung nach § 2 Abs 2 UrhG zu sein;21 in Betracht kommen daher auch Werke unterhalb der „kleinen Münze“. Die Formulierung „Werke der Literatur und Tonkunst“ erklärt sich historisch 22 und ist weit zu verstehen. Jedes Sprachwerk iSv § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG ist ein Werk der Literatur. Damit kann grds auch der Übersetzervertrag unter das VerlG fallen,23 wenn er nicht als Bestellvertrag nach § 47 VerlG einzuordnen ist.24 Der Herausgebervertrag vereint als gemischter Vertrag verlags-, dienst- und werkvertragliche Elemente.25 Der Literaturbegriff des VerlG umfasst auch Werke der Wissenschaft, obwohl §§ 1 und 2 UrhG Literatur und Wissenschaft als unterschiedliche Gattungen nebeneinander stellen. Auch der Begriff des Sprachwerks wiederum ist weit zu verstehen: Ausreichend ist jede Inhaltsäußerung mittels Schriftzeichen.26 Es braucht sich nicht um eine gesprochene Sprache zu handeln; Symbole genügen.27 Hierzu gehören etwa auch schriftlich fixierte Tanz- und Choreografieanweisungen. Da auch ein – für den Verlagsvertrag notwendigerweise 28 – durch Noten fixiertes Werk der Tonkunst einen Inhalt mittels Symbolen ausdrückt, kommt der zusätzlichen Nennung des Werks der Tonkunst in § 1 VerlG nur klar stellende Bedeutung zu. Auch der Musikverlagsvertrag unterfällt folglich dem VerlG.29 Nicht hingegen fallen Verträge über Werke der bildenden Kunst unter das VerlG.30 Das ungeschriebene Erfordernis der „Verlagsfähigkeit“ folgt aus dem Wesen des Verlagsvertrags, das in der „Vervielfältigung eines bereits vollendeten Werks in unveränderter Formgebung besteht“ 31 (vgl § 10 VerlG). Dies soll die Verlagspflicht des Verlegers bei Vertragsschluss für ihn überschaubar machen.32 Verlagsfähig ist das Werk demnach, wenn es in reproduzierbarer Form vorliegt. Es muss dazu – wiederum im Unterschied zum urheberrechtlich schutzfähigen Werk 33 – analog (auf Papier) oder digital (zB auf einer Diskette) fixiert sein.34 2. Parteien und Pflichtenprogramm
13
Als Parteien des Verlagsvertrags nennt § 1 VerlG Verfasser und Verleger. Obwohl sein Werkbegriff mit § 631 BGB übereinstimmt, ist der Verlagsvertrag kein Werkvertrag, sondern ein urheberrechtlicher Verwertungsvertrag sui generis.35 Ergänzend gelten die ur21 22 23 24 25 26 27 28 29
Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 17. Hierzu Schricker § 1 VerlG Rn 23. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 157. S Rn 59 ff. BGH GRUR 1954, 129, 130. BGH GRUR 1961, 85, 87. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 46. Wegen der nötigen Verlagsfähigkeit; s Rn 12. Schricker § 1 VerlG Rn 82 f, allerdings mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass beim Musikverlag der wirtschaftliche Schwerpunkt auf der Verwertung der Nebenrechte
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liegt. Zu einer Anwendbarkeit des VerlG bei Druckverzicht Grohmann 60 ff. Schricker § 1 VerlG Rn 33; Delp Verlagsvertrag 7. BGH GRUR 1958, 504, 506. Hierin liegt ein Unterschied etwa zum Verfilmungsvertrag, BGH GRUR 1958, 504, 507. Dieses braucht nicht fixiert zu sein, s Teil 2 Kap 1 Rn 47. Zum verlagsrechtlichen Werkbegriff BGH GRUR 1953, 497, 498. BGH GRUR 1960, 642, 643; Schricker § 1 VerlG Rn 11.
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§2
Verlagsvertrag
hebervertragsrechtlichen Regelungen des UrhG sowie die allgemeinen vertragsrechtlichen Regelungen des BGB. a) Verfasser. Der Verlagsvertrag verpflichtet den Verfasser dazu, dem Verleger das 14 Werk zur Vervielfältigung und Verbreitung für eigene Rechnung zu überlassen. Dazu muss er dem Verleger nach § 8 VerlG auch die entsprechenden Nutzungsrechte an dem Werk einräumen. Statt des Verfassers kann nach § 48 VerlG auch ein Verlaggeber der Vertragspartner 15 des Verlegers sein. Der Verlaggeber hat das Werk nicht selbst verfasst, verpflichtet sich aber dazu, dem Verleger das Verlagsrecht an dem Werk einzuräumen. Damit ist das VerlG auch auf den Lizenzvertrag anwendbar, wenn er ein Werk iSd § 1 VerlG zum Gegenstand hat.36 b) Verleger. Der Verleger muss das Werk vervielfältigen und verbreiten (Auswertungs- 16 pflicht); eine Vergütungspflicht gehört hingegen nicht notwendigerweise zum Verlagsvertrag. Hierdurch unterscheidet sich der Verlagsvertrag vom Werkvertrag, der den Besteller nicht dazu verpflichtet, mit dem Werk in bestimmter Art und Weise zu verfahren. Dafür muss der Besteller dem Werkunternehmer für die Werkherstellung eine Vergütung zahlen – ohne Vergütungspflicht liegt kein Werkvertrag vor, sondern ein Gefälligkeitsverhältnis. Eine Auswertungspflicht geht der Verleger auch dann ein, wenn er das Werk nur auf 17 individuelle Kundenanforderung vervielfältigen und verbreiten muss (Book-on-Demand),37 so dass das VerlG auch in diesem Fall anwendbar ist.38 Entscheidend ist, dass der Verleger das Werk auf eigene Rechnung herstellen und ver- 18 breiten muss.39 Der BGH hat dies einmal dahin gehend konkretisiert, dass den Verleger ein „ins Gewicht fallendes wirtschaftliches Risiko“ treffen müsse,40 womit er (nur) das Verlustrisiko meinte. Im entschiedenen Fall verneinte er diese Voraussetzung, weil das Reichspostministerium einen Verlag mit „drucktechnischer Herstellung, Verpackung und Versand“ eines Kalenders beauftragt und sich gleichzeitig dazu verpflichtet hatte, selbst eine sehr hohe Stückzahl des Kalenders abzunehmen. Weil in dem Fall aber schon eine eigene Verbreitungspflicht nach § 1 VerlG fehlte, ist die Aussage ein obiter dictum, das man nicht überbewerten darf, obschon es allenthalben herausgestellt wird.41 Ihre wortgetreue Anwendung würde das VerlG ohne sachlichen Grund auf einige übliche Vertragsgestaltungen unanwendbar machen: Gerade bei wissenschaftlichen Werken, zB im Dissertationsverlag, zahlen Verlage dem Verfasser oft nicht nur kein Honorar, sondern verlangen von ihm auch noch einen Druckkostenzuschuss.42 Ob der Verleger hier noch ein verlegertypisches Verlustrisiko übernimmt, kann im Einzelfall fraglich sein. Gleiches gilt für kleinere Sachbuch- und Belletristikverlage, die dem Verfasser weitgehend auf dessen eigene Kosten den Wunsch nach Veröffentlichung erfüllen.43 Es handelt sich hier um Fälle, in denen der Wunsch des Verfassers, seinen Text gedruckt zu sehen, eher im Vordergrund steht als ein verlegerisches Interesse.44 Auch bei Publikumsverlagen ist in aus36 37 38 39
Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 166. S Teil 1 Kap 1 Rn 89 ff. Schricker § 1 VerlG Rn 51; Haupt/Kruse Kap 6 Rn 9; Schulze 228. Delp Praktikum 27 will diese Pflicht stets dem Umstand entnehmen, dass ein Vertrag als „Verlagsvertrag“ bezeichnet ist, was im Hinblick auf § 133 BGB fragwürdig sein dürfte.
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BGH GRUR 1959, 384, 387. Etwa Schricker § 1 VerlG Rn 7; Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 16. Zur Anwendbarkeit des VerlG in diesem Fall Schack Rn 994. Hierzu von Lucius 134. Vgl die Gemeinsamen Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache (erhältlich unter www.bmj.bund.de/
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gewählten Fällen das Verlustrisiko minimiert bis nicht mehr nennenswert vorhanden, etwa wenn wegen der Bekanntheit des Verfassers der Handel bereits die Deckungsauflage vorbestellt hat 45 oder weil andere Absatz- oder Werbekooperationen, zB durch bereits verkaufte Anzeigenwerbung im Buch selbst, bestehen. Dass in solchen Fällen das VerlG nicht anwendbar sein sollte, ist ihm selbst nicht zu 19 entnehmen; warum es so sein sollte, begründet weder der BGH noch die auf ihn verweisende Literatur. Der vom VerlG geregelten Interessenlage ist auch nicht eigentümlich, dass der Verleger ein bestimmtes Verlustrisiko übernimmt. Entscheidend ist vielmehr die gegenseitige Verpflichtung, die für den Verleger Verlustrisiken und Gewinnchancen mit sich bringen kann und auf welche die Regeln zu Leistungsstörungen und Lösungsrechten zugeschnitten sind. Enthält der Vertrag also eine Verpflichtung des Verlegers zur Vervielfältigung und 20 Verbreitung nach § 1 VerlG, so ist zu fragen, ob dem auch eine echte Pflicht des Verfassers zur Manuskriptablieferung gegenüber steht. Ist dies der Fall, ist das VerlG anwendbar. Verstehen die Parteien die Manuskriptablieferung hingegen als Mitwirkungsobliegenheit iSv § 642 BGB, so liegt ein Werkvertrag vor: Der Verfasser beauftragt dann den Verleger als Werkunternehmer mit der Vervielfältigung und Verbreitung des Werks und zahlt ihm dafür eine Vergütung. Er ist aber zur Manuskriptablieferung nicht verpflichtet, sondern kann den Werkvertrag nach Maßgabe des § 649 BGB kündigen. Dies ist das Spiegelbild des Bestellvertrags nach § 47 VerlG, der ebenfalls ein Werkvertrag ist.46 Übernimmt der Verleger die Vervielfältigung und Verbreitung direkt für Rechnung des 21 Verfassers, so liegt erst recht kein Verlagsvertrag vor, sondern ein Kommissionsgeschäft nach §§ 383 ff HGB.47
II. Personenmehrheit 1. Auf Verfasserseite
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Oft wirken mehrere Verfasser an einem Werk mit, so dass sich die bereits bei der Vertragsverhandlung relevante Frage stellt, wie diese Personenmehrheit hinsichtlich ihrer vertraglichen Rechte und Pflichten zu behandeln ist. Weil eine Verfassermehrheit besonders häufig bei wissenschaftlichen Werken vorkommt, berücksichtigen etwa die Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Deutschen Hochschulverband 48 ausdrücklich verschiedene Konstellationen. Sonst gilt allgemeines Recht der Schuldner- und Gläubigermehrheit: Maßgebend sind 23 die §§ 420 ff BGB, die grundlegend danach unterscheiden, ob eine teilbare oder unteilbare Leistung in Rede steht. Auf der Pflichtenseite unterscheidet man insoweit sinnvoller Weise zwischen der Pflicht 24 zur Ablieferung des Manuskripts einerseits und der Pflicht zur Rechtseinräumung andererseits: files/-/962/GemVerguetungsreg.pdf), die hierzu aufzählen: Memoiren, private Familiengeschichten, Manuskripte unbekannter Autoren, an denen kaum Interesse der literarischen Öffentlichkeit zu erwarten ist und für die sich zu den allgemein üblichen Konditionen kein Verleger finden lässt.
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Zur großen Bedeutung der Bekanntheit des Verfassers für das Verlegerrisiko s Blömeke/ Clement/Mahmudova/Sambeth M&K 2007, 412, 429 f. S Rn 57. Rehbinder Rn 663; Schack Rn 996. Erhältlich unter www.boersenverein.de.
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§2
Verlagsvertrag
Soll jeder Verfasser einen abtrennbaren Teil des Manuskripts erstellen, so ist die Manuskriptablieferung grds eine teilbare Leistung. Nach § 427 BGB haften die Verfasser gleichwohl im Zweifel als Gesamtschuldner. Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn sie getrennte Verträge mit dem Verleger abschließen, sofern jeder subjektiv mit der Verpflichtung des anderen rechnet.49 § 427 BGB ist aber nur eine Auslegungsregel; 50 machen die Parteien die Aufteilung im Vertrag oder in den Verträgen deutlich (zB durch Kapitelzuweisungen oder Autorenvermerke in der Gliederung etc), so schuldet jeder Verfasser nur „seinen“ Teil des Manuskripts. Sollen die Verfasser das Werk nicht nach Stücken aufgeteilt, sondern gleichsam „aus einer Feder“ schreiben, so liegt eine unteilbare Leistung vor. In diesem Fall sind die Verfasser nach § 431 BGB zur Manuskriptablieferung stets gesamtschuldnerisch verpflichtet. Hinsichtlich der Rechtseinräumung ist danach zu unterscheiden, ob eine Miturheberschaft nach § 8 UrhG oder eine bloße Werkverbindung nach § 9 UrhG vorliegt. Miturheberschaft besteht, wenn die einzelnen Werkbeiträge nicht gesondert verwertbar sind.51 Das dürfte bei Teilen eines gemeinsamen Werks meist der Fall sein. So sind zB verschiedene Kapitel eines Sachbuchs oder gar eines Romans regelmäßig nicht gesondert verwertbar. Die Miturheber bilden dann nach § 8 Abs 2 UrhG hinsichtlich der Veröffentlichungs- und Verwertungsrechte eine Gesamthandsgemeinschaft, können also nur gemeinsam über diese Rechte verfügen. Zur Rechtseinräumung sind sie gemeinschaftlich verpflichtet, wobei jeder Verfasser einzeln auf seine Mitwirkung an dieser Gesamterfüllung in Anspruch genommen werden muss.52 Bei einer Werkverbindung nach § 9 UrhG soll nach verbreiteter Meinung 53 stets eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorliegen; der BGH hat dies freilich nicht ganz so klar gesagt, wie er oft zitiert wird.54 Vieles spricht gegen eine solche Annahme;55 insbesondere der Umstand, dass § 9 UrhG dann überflüssig wäre. Die Frage hat neue Bedeutung erlangt, seit der BGH die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft anerkannt hat:56 Bei Vorliegen einer Gesellschaft kommt diese selbst als Vertragspartnerin in Betracht und nicht mehr die einzelnen Verfasser; sie haften akzessorisch analog § 128 HGB.57 Mehrere Verfasser sollten daher bereits im Vertrag deutlich machen, ob sie als Gesellschaft auftreten und kontrahieren oder ob sie persönlich Vertragspartner werden möchten. Sind nur mehrere Verfasser namentlich als Vertragspartner aufgelistet, ist im Zweifel davon auszugehen, dass bei der Werkverbindung jeder Verfasser dem Verleger (nur) die Rechte an seinem Werkteil einräumen kann und muss.
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BGH NJW 1959, 2160, 2161. Prütting/Wegen/Weinreich/HF Müller § 427 BGB Rn 1. Wandtke/Bullinger/Thum § 9 UrhG Rn 8. OLG Hamburg UFITA 1957, 222, 227; Prütting/Wegen/Weinreich/HF Müller § 420 BGB Rn 4. Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 9 UrhG Rn 5; Fromm/Nordemann/Nordemann § 9 UrhG Rn 4. S zB die klare Unterscheidung zwischen Werkverbindung mit und ohne BGB-Gesellschaft in BGH GRUR 1973, 328, 329. Die Wortwahl in BGH NJW 1982, 641, 641 und
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GRUR 1982, 743, 744 („Verwertungsgemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts“) lässt ebenfalls den Schluss zu, dass es eben gerade noch urheberrechtliche Verwertungsgemeinschaften in anderer „Form“ gibt. Schon in BGH GRUR 1964, 326, 330, fragte der BGH neben der Werkverbindung ausdrücklich nach Anhaltspunkten für die Gründung einer Gesellschaft. S die ausführliche Kritik bei Möhring/Nicolini/Ahlberg § 9 UrhG Rn 14; Wandtke/ Bullinger/Thum § 9 UrhG Rn 7. BGH NJW 2001, 1056 ff. BGH NJW 2001, 1056, 1061.
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Die Überlegungen zur Rechtseinräumung gelten entsprechend für gestaltende Willenserklärungen, die das Vertragsverhältnis insgesamt betreffen.58 Für die Berechtigungsseite gilt: Der Anspruch der Verfasser auf Vervielfältigung und 31 Verbreitung ist unteilbar; mehrere Verfasser sind insoweit Mitgläubiger nach § 432 BGB. Hingegen ist ein etwa vereinbarter Vergütungsanspruch in Geld stets eine teilbare 32 Leistung. Sind nach der Vertragsauslegung die einzelnen Verfasser Vertragspartner geworden und nicht eine BGB-Gesellschaft, so kann nach § 420 BGB im Zweifel jeder Verfasser vom Verleger einen gleichen Anteil fordern. Bei der Miturheberschaft verdrängt § 8 Abs 3 UrhG diese Auslegungsregel; die Anteile bestimmen sich hier nach den Werkbeiträgen, die im Einzelfall schwer zu ermitteln sein können. Es kommt dabei nämlich nicht nur auf den Umfang der einzelnen Manuskriptteile an, sondern auf den Gesamtumfang der Mitarbeit, der auch nicht-schöpferische Arbeiten wie etwa Recherche oder Redaktion umfasst.59 Zur Streitvermeidung sollten die Parteien die Honoraraufteilung im Vertrag ausdrücklich festlegen. 2. Auf Verlegerseite
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Auf Verlegerseite ist eine Personenmehrheit seltener.60 Beim Gemeinschaftsverlag bilden mehrere Verleger idR eine Gesellschaft,61 die dann (einzige) Vertragspartnerin wird. Sollten die Voraussetzungen der Gesellschaft nicht erfüllt sein, sind mehrere Verleger im Zweifel Gesamtschuldner nach § 427 BGB, aber Mitgläubiger nach § 432 BGB, weil die Ansprüche auf Werkablieferung und Rechtseinräumung unteilbar sind.
III. Mitwirkung literarischer Agenturen 1. Typische Tätigkeit der literarischen Agentur
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Inzwischen hat sich auch im deutschsprachigen Raum ein lebhafter Markt für literarische Agenturen herausgebildet.62 Sie beraten Autoren bei der Stoffentwicklung und der strategischen Karriereplanung, bringen Exposés und Manuskripte zur Angebotsreife, bieten sie Verlagen an und vertreten die Interessen des Verfassers bei den Vertragsverhandlungen mit dem Verleger. Wegen ihrer Spezialisierung haben seriöse Agenturen einen guten Marktüberblick und einen persönlichen Zugang zu den Entscheidungspersonen bei den Verlagen. Für ihre Tätigkeit erhalten sie vom Autor eine Erfolgsprovision; branchenüblich sind 15 % aller Autoreneinnahmen aus dem vermittelten Geschäft.63 Anschließend überwacht die Agentur die Vertragserfüllung durch den Verlag, übernimmt idR das Inkasso und kontrolliert die Abrechnungen. Auftraggeber der Agentur ist der Verfasser. Insbesondere bei der internationalen Vermittlung von Übersetzungslizenzen sind Agenturen aber auch zwischen Verlagen tätig; hier liegt der Provisionssatz meist höher, üblich sind 20 %. Die Tätigkeit der literarischen Agentur unterliegt nicht der Erlaubnispflicht aus § 1 35 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (WahrnG), weil die Agentur keine Rechte mehrerer Urheber zur gemeinsamen Auswertung wahrnimmt.64 58
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S etwa zur Kündigung bei verbundenem Werk BGH NJW 1982, 641, 641 und GRUR 1982, 743, 744. Wandtke/Bullinger/Thum § 8 UrhG Rn 36. Vgl etwa den Fall in OLG Hamburg ZUM-RD 2002, 537.
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Hierzu Schricker § 1 VerlG Rn 31. Zur Entwicklung in USA und Deutschland Pleister GRUR Int 2000, 673, 677 ff; Sieger ZUM 1987, 541, 542 ff. Vgl Jessen/Meyer-Maluck/Schlück/Schlück 98. Pleister GRUR Int 2000, 673, 679.
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Verlagsvertrag
2. Vertragsgestaltung Die Vertragsgestaltung variiert in der Praxis. Üblich sind folgende Vereinbarungen: Die Agentur verpflichtet sich, die Interessen des Autors wahrzunehmen, sein Werk anzubieten und die Vertragsverhandlungen zu führen. Dabei räumt der Autor der Agentur selbst keine eigenen Nutzungsrechte an dem Werk ein; die Zweckübertragungsregel des § 31 Abs 5 UrhG 65 gilt daher nicht. Es brauchen im Agenturvertrag also nicht alle Nutzungsrechte einzeln aufgeführt zu werden, hinsichtlich derer die Agentur einen Auswertungsvertrag vermitteln soll. Oft ist ausdrücklich die Pflicht vereinbart, den Autor in allen beruflichen Belangen zu beraten. Da hierfür aber üblicherweise kein gesondertes Honorar vorgesehen ist, ist dies kein eigenständiges dienstvertragliches Element. Vielmehr ist die Beratungspflicht eine Nebenpflicht, die sich aus der Hauptpflicht der Interessenwahrnehmung auch ohne gesonderte Erwähnung ergibt. Das gilt zumindest dann, wenn der Vertrag sich nicht nur auf ein Einzelprojekt bezieht. IdR wird der Agentur keine Vollmacht zum Vertragsschluss eingeräumt; die Agentur ist insoweit nicht Stellvertreterin iSv §§ 164 ff BGB. Die oft verwendete Formulierung, die Agentur „vertrete“ einen Autor oder gar ein Werk, ist also nicht im juristischen Sinne gemeint. Die Provision wird idR als Abschlussprovision vereinbart und ist ausschließlich vom Autor zu zahlen. Vermittelt die Agentur keinen Vertragsschluss, schuldet der Autor ihr, wenn sie seriös ist, nichts, auch keinen Aufwendungsersatz 66 – wer möglichen Streit vermeiden will, sollte dies so ausdrücklich im Vertrag klar stellen. Ist der Vertrag nicht als Alleinauftrag abgeschlossen, so kann der Autor auch selbst oder über eine weitere Agentur einen Vertragsschluss mit einem Verlag herbeiführen, ohne damit einen Provisionsanspruch der ersten Agentur auszulösen.67 Üblicherweise ermächtigt der Autor die Agentur zum Inkasso gegenüber dem Verlag; die Agentur muss dann mit dem Autor abrechnen und ihm sein Honorar abzüglich der verdienten Provision weiterleiten.
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3. Anwendbares Gesetzesrecht a) Beauftragung über gewissen Zeitraum. Bezieht sich ein so gestalteter Vertrag nicht 41 nur auf ein Einzelprojekt, sondern auf einen Zeitraum,68 so wird er idR als Handelsvertretervertrag nach § 84 HGB einzuordnen sein.69 Ein solcher liegt vor, wenn ein selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln. Der Begriff des Unternehmers in § 84 HGB ist noch etwas weiter als in § 14 BGB;70 jeder freiberuflich tätige Schriftsteller, der seine Leistung am Markt anbietet, fällt hierunter.71 Auf einen solchen Vertrag sind die §§ 84 ff HGB anwendbar, wie sie für den Vermittlungsvertreter ohne eigene Abschlussvollmacht gelten. 65 66 67
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S Rn 69. Jessen/Meyer-Maluck/Schlück/Schlück 96 ff. Aus einer Alleinbeauftragung kann man zwar auf eine Pflicht zum Tätigwerden schließen (BGH NJW-RR 1987, 944, 944), dies gilt aber nicht umgekehrt. Ständige Betrauung iSd § 84 HGB erfordert keinen unbefristeten und auch keinen langfristigen Vertrag, vgl BGH NJW 1992, 2818,
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2819. Ausreichend ist Betrauung auf gewisse Zeit, kalendermäßig oder mit anderer Bestimmung, Baumbach/Hopt/Hopt § 84 HGB Rn 42. Generell für Handelsvertretervertrag Pleister GRUR Int 2000, 673, 679 f. S Rn 89. Pleister GRUR Int 2000, 673, 679; vgl auch Baumbach/Hopt/Hopt § 84 Rn 27.
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Das bedeutet ua: Überschreitet die Agentur ihre Befugnisse als Vermittlungsvertreterin, so muss der Autor nach § 91a Abs 1 HGB das Geschäft unverzüglich ablehnen, wenn er nicht daraus gebunden werden will. Auch als bloße Vermittlungsvertreterin kann und muss die Agentur aber nach § 91 Abs 2 HGB etwaige Mängelrügen des Verlegers 72 entgegen nehmen. Die vereinbarte Provision umfasst, wenn nicht von den Parteien ausdrücklich anders geregelt, die Abschlussprovision (§ 81 Abs 1 HGB) und die Inkassoprovision (§ 87 Abs 4 HGB). Ein Aufwendungsersatz nach § 87d HGB ist im literarischen Agenturgeschäft in Deutschland nicht branchenüblich. Der Autor muss der Agentur nach § 86a Abs 1 HGB alle für ihre Tätigkeit notwendigen Unterlagen (je nach Auftrag Exposé, Gliederung, Textproben oder gesamtes Manuskript, Vita) zur Verfügung stellen. Grds anwendbar ist auch § 89b HGB, der einen Ausgleichsanspruch nach Beendigung 43 des Vertragsverhältnisses vorsieht. Allerdings ist dieser Anspruch ein Billigkeitsanspruch, dessen Voraussetzungen bei der literarischen Agentur selten erfüllt sein werden. Der hinter der Vorschrift stehende Kundenstamm-Gedanke,73 nach dem der Handelsvertreter dem Unternehmer mit Mühe einen Markt erschlossen hat, von dem der Unternehmer nun ohne viel eigenes weiteres Zutun durch Nach- und Neubestellungen profitiert, verfängt hier idR nicht. Vielmehr muss der Autor auch innerhalb einer bestehenden Geschäftsbeziehung gegenüber seinem Verleger stets neue inhaltliche Überzeugungsarbeit leisten, wenn er ein weiteres, anderes Werk von ihm verlegt haben möchte. Der bloße Kontakt, den die Agentur geschaffen hat, dürfte demgegenüber selten ein „erheblicher“ Vorteil iSv § 89b Abs 1 S 1 Nr 1 HGB sein.
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b) Beauftragung für Einzelprojekt. Ist der Vertrag mit der Agentur auf ein Projekt beschränkt, so scheidet ein Handelsvertretervertrag nach § 84 HGB aus.74 Die §§ 84 ff HGB – und damit insbesondere der streitträchtige § 89b HGB – gelten bei der Einzelbeauftragung nicht. Erwogen wird hier eine Einordnung als Handelsmaklerverhältnis nach § 93 HGB.75 45 Der Handelsmakler unterscheidet sich vom Zivilmakler des § 652 BGB vor allem durch die Art des vermittelten Geschäfts:76 Eine Vermittlung von Gegenständen des Handelsverkehrs unterfällt dem HGB, und Schutzrechte sind Gegenstände des Handelsverkehrs.77 Allerdings passt das Handelsmaklerrecht des HGB nicht auf die oben beschriebene Vertragsgestaltung: Der Handelsmakler ist nicht zum Tätigwerden verpflichtet. Er ist grds für beide Parteien tätig (vgl insbesondere § 98 HGB), die ihm nach dem gesetzlichen Bild des § 99 HGB auch beide seinen Lohn zur Hälfte schulden. Zudem ist der Handelsmakler nach dem gesetzlichen Bild des § 97 HGB nicht zum Inkasso berechtigt. All diese Vorschriften wären durch die in der Praxis übliche Vertragsgestaltung modifiziert, so dass vom gesetzlichen Leitbild nichts mehr übrig bliebe. Die Einordnung als Handelsmaklerverhältnis hätte keinen Aussagewert. Passender ist es hier, den von der Rechtsprechung 78 entwickelten Maklerdienstvertrag 46 anzunehmen. Er verbindet eine Verpflichtung zum Tätigwerden mit einer Erfolgshonorie72 73 74
S Rn 273 ff. Vgl Baumbach/Hopt/Hopt § 89b BGB Rn 2. Vgl Baumbach/Hopt/Hopt § 84 BGB Rn 42: Entscheidend für § 84 HGB ist, dass der Vertrag auf eine unbestimmte Vielzahl von Abschlüssen angelegt ist, Betrauung mit der Vermittlung nur bestimmter einzelner Geschäfte genügt selbst bei längerer Tätigkeit nicht.
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Hierfür offenbar generell Sieger ZUM 1987, 541, 546 f. Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher § 652 BGB Rn 2. Baumbach/Hopt/Hopt § 93 HGB Rn 12. BGH NJW-RR 1987, 944, 944.
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Verlagsvertrag
rung in Form der Abschlussprovision. Hierauf sind die §§ 611 ff BGB und ergänzend die §§ 652 ff BGB anwendbar.79 Kommt es zu einer erfolgreichen Vermittlung, ohne dass ein Provisionsanspruch ausdrücklich vereinbart wurde, so hat die Agentur gegen den Autor einen Anspruch auf Abschlussprovision iHv 15 % aus §§ 612 Abs 1 und 2, 652 Abs 1 und 2 BGB.
IV. Rechtverhältnisse bzgl Stoffentwicklung und Vorarbeiten Die Werkentstehung gliedert sich in zwei grobe Phasen: die Stoffentwicklung und die 47 Stoffumsetzung. Kernstück der Stoffentwicklung ist das Exposé, das auf wenigen Seiten Hauptidee und Inhalt des Werks vorausschauend beschreibt. Um festzustellen, ob der geplante Inhalt über ein ganzes Buch trägt, wird meist schon im Anfangsstadium ein Gliederungsentwurf angefertigt. In verschiedenen Stufen wird dann die Gliederung mit inhaltlichen Details angefüllt und kann die Form annehmen, die in der Filmsprache als Treatment bekannt ist. Hieraus entsteht dann das eigentliche Werk. Nach dem Normalfall des Verlagsgesetzes schließt der Verfasser mit dem Verleger 48 einen Verlagsvertrag über ein fertiges Werk; dieses verkörpert das kombinierte Ergebnis von Stoffentwicklung und -umsetzung. Dieser Normalfall kommt in der heutigen Praxis aber kaum vor. Viel zu konkret sind die Bedürfnisse der Verlage, die sich aus Programm und hauseigenen Formaten ergeben: Der Buchmarkt verlangt präzise auf ihn zugeschnittene Projekte, und es ist selten, dass der außen stehende Verfasser dieses Bedürfnis genau trifft. Gerade beim Sachbuch kommt der Stoffentwicklung damit heute manchmal eine 49 größere Bedeutung zu als der dann folgenden Umsetzung. Die Stoffentwicklung ist zu einem eigenständigen, auskoppelungsfähigen Arbeitsschritt neben Stoffumsetzung und Werkverwertung geworden, wie dies etwa auf dem Fernsehmarkt schon lange der Fall ist. Wie auf dem Fernsehmarkt hat damit auch die Stoffentwicklung für das Buch heute einen eigenen Marktwert. Es muss deshalb Klarheit darüber herrschen, wer die Leistung der Stoffentwicklung erbringen soll – und gegen welche Gegenleistung. Folgende Konstellationen sind denkbar: 1. Stoffentwicklung und Stoffumsetzung durch Verfasser Dies ist der eingangs genannte Normalfall, von dem das VerlG ausgeht. Er bereitet 50 keine Schwierigkeiten: Die Gegenleistung des Verlegers – Vervielfältigung und Verbreitung und möglicherweise 80 ein Honorar – ist der Lohn an den Verfasser für beides, also für Stoffentwicklung und -umsetzung.81 Dass das VerlG dies so sieht, verdeutlicht es in § 47 VerlG: Besorgt der Verfasser „nur“ die Umsetzung eines vom Verleger entwickelten Stoffs, so liegt im Zweifel kein Verlagsvertrag vor. 2. Isolierte Stoffentwicklung durch Verfasser Häufig entwickelt der Verfasser einen Stoff, ohne dass es für ihn zum Abschluss eines 51 Verlagsvertrags kommt.
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Vgl OLG München NJW-RR 1997, 1146, 1146 f.
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S Rn 132 ff. OLG München ZUM 2000, 965, 967 f.
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Hatte ihn der der Verleger dazu von vornherein isoliert beauftragt und dabei klar gemacht, dass ein Dritter den Stoff später umsetzen soll, so liegt idR ein Werkvertrag nach § 631 BGB vor. Wegen des eigenen Marktwerts von Exposé und Treatment ist deren Erstellung den Umständen nach grds nur gegen Vergütung zu erwarten (§ 632 Abs 1 BGB). Die Höhe der Vergütung sollte in einem solchen Fall von vornherein vereinbart werden, um einen späteren Streit über die „übliche Vergütung“ nach § 632 Abs 2 BGB zu vermeiden. Ebenso klar ist das andere Extrem zu beurteilen, bei dem der Verfasser völlig unaufgefordert einen Stoff entwickelt und (erfolglos) einem Verleger anbietet: Der Verfasser investiert hier auf eigenes Risiko in ein eigenes Vertragsangebot; Vergütungsansprüche bestehen nicht. Dazwischen liegen aber Fälle, in denen der eine an den anderen mit einer vagen Idee herantritt und der Verfasser dann die Idee unter Anleitung des Verlegers weiterentwickelt. Folgt dem ein Verlagsvertrag, mündet die Interessenlage wieder in den oben 82 beschriebenen Normalfall. Nicht selten investiert der Verfasser in dieser Konstellation jedoch beträchtliche Arbeit in die weitere Stoffentwicklung nach den konkreten Vorgaben des Verlegers, ohne dass beide am Ende eine Einigung über das Projekt erzielen und einen Verlagsvertrag schließen. Für einen möglichen Vergütungsanspruch kommt es dann darauf an, ob die Vorgaben und „Ermunterungen“ des Verlegers zur weiteren Stoffentwicklung ein echter Auftrag waren oder nur eine gefällige Hilfestellung an den Verfasser, damit der sein eigenes Angebot an den Verlag möglichst Erfolg versprechend überarbeiten kann. Der Verleger wird meist, aber nicht immer, letzteres meinen, doch ist die Grenze fließend. Als Anhaltspunkt kann die Entwicklungstiefe ebenso herangezogen werden wie die Frage, ob der Verleger das entwickelte Konzept später von einem anderen Verfasser umsetzen lässt. Jedenfalls wenn der Verleger dem Verfasser eine Stoffentwicklung anträgt, sollten sich beide sogleich ausdrücklich darüber einigen, ob dies ein Angebot zu einem eigenständigen Stoffentwicklungsvertrag ist oder eine invitatio ad offerendum für einen Verlagsvertrag an den Verfasser. Stellt der Verleger dem Verfasser einen Vertragsschluss als sicher in Aussicht und lässt er den Verfasser konkrete Vorarbeiten erbringen, bricht dann aber ohne triftigen Grund die weiteren Vertragsverhandlungen ab, so kann er sich gegenüber dem Verfasser nach §§ 280 Abs 1, 311 Abs 2, 241 Abs 2 BGB schadensersatzpflichtig machen 83. Umgekehrt gilt dies natürlich auch, wenn der Verfasser einen als sicher hingestellten Vertragsschluss torpediert und der Verleger im Vertrauen darauf bereits Aufwendungen getätigt hat. Da aber die Parteien bis zum Vertragsschluss grds frei sind,84 ist die Schwelle zum triftigen Grund nicht all zu hoch anzusetzen.85 Sie wird idR nur unterschritten sein, wenn der Meinungswechsel bei gleich bleibender tatsächlicher Planungsgrundlage nur noch als völlig willkürlich, als launenhaft, bezeichnet werden kann. 3. Stoffentwicklung durch Verleger (Bestellvertrag)
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a) Bestellvertrag als Werkvertrag. Entwickelt der Verleger den Stoff vollständig selbst und beauftragt den Verfasser nur noch mit der Umsetzung, so liegt im Zweifel kein Verlagsvertrag vor, sondern ein Bestellvertrag iSv § 47 Abs 1 VerlG. Die Bestimmungen des VerlG finden keine, auch keine entsprechende Anwendung.86 82 83 84
S Rn 50. OLG München ZUM 2000, 965, 967. BGH NJW 1967, 2199, 2199; stRspr.
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Palandt/Grüneberg § 311 BGB Rn 32. BGH GRUR 1984, 528, 529.
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Verlagsvertrag
Der Bestellvertrag ist ein echter Werkvertrag, für den die §§ 631 ff BGB gelten.87 Das 58 bedeutet: Der Verleger, der dann „Besteller“ heißt, ist nicht zur Auswertung (Vervielfältigung und Verbreitung) des Werks verpflichtet, jedoch muss er die ausdrücklich oder nach § 632 Abs 1 BGB fiktiv vereinbarte Vergütung zahlen. b) Abgrenzung zum Verlagsvertrag. § 47 Abs 1 VerlG verlangt, dass der Besteller einem Verfasser (den das Gesetz an dieser Stelle nur mit „jemand“ bezeichnet) einen Plan vorlegt, der Inhalt des Werks sowie die Art und Weise der Behandlung genau vorschreibt. Der Inhalt ist weit mehr als die Grundidee; er ist gleichbedeutend mit einem Exposé, das der Besteller mindestens vorlegen muss. Zusätzlich muss der Verlag als Besteller aber auch die Art und Weise der Umsetzung genau vorschreiben. Dies erfordert mindestens eine ausführliche Gliederung sowie eine nähere Charakterisierung des Schreibstils, möglicherweise durch eine Textprobe oder eine Vorlage in Form eines bereits erschienen Titels derselben Reihe. Ein ausführliches Treatment wird hingegen idR nicht notwendig sein. Bei der Beurteilung kann es helfen, die Bedeutung von Stoffentwicklung und -umsetzung im Verhältnis zueinander zu sehen. Je nach Originalität des Stoffs einerseits und Umsetzungsaufwand andererseits kann der eine Beitrag neben dem anderen regelrecht verblassen. Der Umsetzungsspielraum des Verfassers braucht allerdings nicht derart eingeschränkt zu sein, dass er kein eigenständiges urheberrechtlich schutzfähiges Werk mehr schaffen kann, wenn er die Vorgaben ausfüllt.88 Ein Bestellvertrag liegt stets vor, wenn der Verfasser die Änderungen des Bestellers nach der Vereinbarung hinnehmen muss.89 Entscheidend für einen Bestellvertrag ist nicht bereits, dass der genaue Plan iSd § 47 Abs 1 VerlG Vertragsinhalt ist, sondern dass er vollständig vom Besteller vorgegeben wird. Herangezogen werden kann hier der Begriff des „Stellens“ aus dem Recht der AGB in § 305 Abs 1 S 1 BGB. Entsprechend detaillierte Vorgaben können nämlich auch dann Vertragsinhalt werden, wenn sie der Verfasser allein oder in Zusammenarbeit mit dem Verleger entwickelt hat, so dass bloß ein detailliertes Pflichtenprogramm des Verfassers nichts über das Vorliegen eines Bestellvertrags besagt.90 Den BGH hat die Abgrenzung zwischen Verlags- und Bestellvertrag vor allem beim Übersetzervertrag beschäftigt: So hat er beim Übersetzervertrag für Comics ohne weiteres einen Bestellvertrag angenommen.91 Später hat er klargestellt, dass keinesfalls jeder Übersetzervertrag von vornherein ein Bestellvertrag sei.92 Dieser Entscheidung hat große Rechtsunsicherheit verursacht, weil der BGH viele Kriterien anspricht, sich aber nicht dazu bekennt, welche für die Unterscheidung zwischen Bestell- und Verlagsvertrag entscheidend sein sollen: So sucht der BGH im Vertrag nach „Hinweisen“ auf eine Auswertungspflicht und findet sie etwa darin, dass die Regeln über Manuskriptrückgabe, Freiexemplare und Vergütung ihrer Formulierung nach eine Veröffentlichung als selbstverständlich voraussetzen.93 Weder spricht aus Sicht des BGH dann aber eine Pauschalhonorierung für, noch eine Erfolgsbeteiligung ab einer bestimmten Verkaufszahl gegen einen Bestellvertrag. Der BGH bricht seine Überlegungen schließlich abrupt mit der Fest-
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BGH GRUR 1984, 528, 529: „Werkvertrag besonderer Art“; von Gamm GRUR 1980, 531, 533. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 134. BGH GRUR 1984, 528, 529. S Rn 98 ff; aA offenbar Wegner/Wallenfels/ Kaboth 2. Kap Rn 138 f.
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BGH GRUR 1998, 680, 682; ebenso Wegner/ Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 157. BGH NJW 2005, 596, 598 f; dazu Gergen NJW 2005, 569 ff. BGH NJW 2005, 596, 599.
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stellung ab, dass allgemeine Geschäftsbedingungen vorlägen und die bestehende Unklarheit gem § 305c Abs 2 BGB zulasten des Verlegers gehe, so dass von einer Auswertungspflicht auszugehen sei – und damit von einem Verlagsvertrag. Man wird sagen dürfen, dass der BGH sich damit vorbehält, im Einzelfall zu entscheiden und anhand eher beliebiger Kriterien zu begründen, ob er eine Auswertungspflicht für gerechtfertigt hält oder nicht. Es kann deshalb bei der Vertragsgestaltung nur dringend geraten werden, immer aus65 drücklich positiv oder negativ zu vereinbaren, ob den Verleger einer Auswertungspflicht treffen soll oder nicht. Denn § 47 VerlG ist eine Auslegungsregel. Es steht den Parteien also frei, auch dann ausdrücklich einen Verlagsvertrag und keinen Werkvertrag zu schließen, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind. Nach § 47 Abs 2 VerlG liegt ein Bestellvertrag im Zweifel auch bei der Mitarbeit an 66 Enzyklopädien, fremden Werken oder Sammelwerken vor.
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c) (Verpflichtung zur) Rechtseinräumung. Als Werkvertrag verlangt der Bestellvertrag vom Verfasser, dass er das Manuskript erstellt und dem Besteller überlässt (§§ 631 Abs 1, 633 Abs 1 BGB). Erreicht das Werk des Verfassers trotz der Vorgaben des Bestellers eine eigene Schutz68 fähigkeit nach § 2 UrhG, so benötigt der Besteller zusätzlich entsprechende urheberrechtliche Nutzungsrechte, wenn er das Werk verwerten will.94 Eine Pflicht zur Einräumung entsprechender Nutzungsrechte muss dann zusätzlich vereinbart werden.95 Dies gilt insbesondere für die Zahl der Auflagen und die Weiterübertragung von Nutzungsrechten.96 Diese Pflicht und die Rechtseinräumung selbst werden aber oft stillschweigend vereinbart sein, wenn sie erforderlich sind, um einen beiden Parteien bekannten Zweck zu erreichen 97 oder wenn die bisherige 98 oder spätere 99 Geschäftsbeziehung oder die Korrespondenz 100 einen entsprechenden sicheren Schluss zulässt. Für die Rechtseinräumung selbst gelten die allgemeinen urhebervertragsrechtlichen 69 Regelungen.101 Die Beschränkungen der §§ 4 ff VerlG finden keine Anwendung, wohl aber der Zweckübertragungsgedanke des § 31 Abs 5 UrhG.102 Der BGH hat klargestellt, dass beim Bestellvertrag von einer umfassenden Rechtseinräumung nur ausgegangen werden kann, wenn sich dies aus dem Parteiwillen unzweideutig ergibt.103 Anders als der BGH in der Entscheidung ausführt, dürfte dabei ein Pauschalhonorar idR zumindest nicht für eine pauschale Rechtseinräumung sprechen. Gerade wenn das Honorar absolut beschränkt ist, wird der Verfasser als Gegenleistung auch nur beschränkte Rechte haben einräumen wollen.104 Etwas anderes kann aber gelten, wenn das Pauschalhonorar derart hoch ist, dass mit dem Vertrag ohne Zweifel nur ein „total buyout“ gemeint sein konnte. Zur Höhe der Vergütung gelten die Ausführungen zum Verlagsvertrag.105 70
94 95 96 97 98 99 100 101 102 103
BGH GRUR 1998, 680, 682. BGH GRUR 1984, 528, 529. BGH GRUR 1984, 528, 529. BGH GRUR 1998, 680, 682. BGH GRUR 1984, 528, 529. BGH GRUR 1998, 680, 682. OLG Frankfurt GRUR 1991, 601, 602. BGH GRUR 1998, 680, 683. BGH GRUR 1998, 680, 682. BGH GRUR 1998, 680, 682; OLG Frankfurt GRUR 1991, 601, 601: Bloße grund-
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sätzliche Billigung des Vorhabens genügt nicht. S aber auch die Erwägungen in BGH GRUR 1968, 152, 154; gegen die Zurückbehaltung eines Rechts zur Lizenzvergabe sprach in diesem Fall, dass es sich um einen Übersetzervertrag handelte und der Übersetzer ohne ein Recht am übersetzten Werk mit dem zurückbehaltenen Recht ohnehin nichts hätte anfangen können. S Rn 134 ff, 245 ff.
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§2
Verlagsvertrag
4. Stoffentwicklung durch Dritte Es kommt auch vor, dass weder Verfasser noch Verleger, sondern ein Dritter den Stoff 71 entwickelt hat. Dies kann etwa eine Agentur oder ein externes Unternehmen sein. Hier ist immer klar, dass der Dritte von seiner Tätigkeit eigenständig profitieren will. Der Dritte kann den Stoff nach § 631 BGB für einen Verlag entwickeln, der dann 72 einen Verfasser nach § 47 Abs 1 VerlG mit der Umsetzung beauftragt. Hat eine literarische Agentur den Stoff entwickelt, so wird sie sich einen Verfasser suchen, für den sie den Stoff und dessen Umsetzung einem Verlag anbietet. Dass die Agentur selbst den Stoff entwickelt hat, wird sie bei der Provisionshöhe berücksichtigen. 5. Stoffschutz Zu den größten Sorgen eines anbietenden Autors gehört oft, dass der Verlag ihm ab- 73 sagt, sein angebotenes Konzept aber mit einem anderen Verfasser verwirklicht. In tatsächlicher Hinsicht lässt sich dem dadurch vorbeugen, dass der Verfasser in seinem Angebot möglichst überzeugend darlegt, dass und warum gerade er für die Umsetzung des Stoffs kompetent ist. Eine solche Kompetenz kann er mit seiner Vita ebenso belegen wie mit entsprechenden Textproben. Dann gibt es für den Verlag idR schon gar keinen Anlass, das Konzept mit einem anderen Autor verwirklichen zu wollen: Bezahlen muss er ohnehin einen Autor, und warum sollte er dann den Stoff nicht gleich von dem Verfasser umsetzen zu lassen, der ihn anbietet – vorausgesetzt, dieser erscheint dafür kompetent? a) Konzeptschutz nach UrhG. Aber auch rechtlich kann der Verfasser im Angebots- 74 stadium Schutz genießen: Zunächst kommt ein urheberrechtlicher Schutz in Betracht. Er setzt voraus, dass das Angebot die notwendige Gestaltungshöhe eines Werks iSd § 2 UrhG aufweist.106 Dabei ist zu beachten, dass Ideen und Konzepte grds nicht urheberrechtlich schutz- 75 fähig sind.107 So kann jeder Verlag etwa die bloße Idee, ein Sachbuch zum Thema „Altersvorsorge“ oder einen Roman über eine Försterfamilie 108 zu schreiben, ohne Zustimmung des Anbietenden übernehmen und mit einem anderen Verfasser umsetzen. Schutzfähig ist aber die konkrete Ausgestaltung einer Idee, wenn sie eine individuelle 76 Gedankenführung oder eine individuelle Auswahl und Anordnung des Inhalts darstellt.109 Die frühere Annahme,110 nur die Form eines Sprachwerks, nicht sein Inhalt könne urheberrechtlich geschützt sein, ist dabei inzwischen aufgegeben:111 Die Gesetzesbegründung 112 zum UrhG erkennt ebenso wie Rechtsprechung 113 und Literatur 114 die Schutzfähigkeit von Inhalten jenseits ihrer konkreten textlichen Ausgestaltung an. Dieser Schutz kommt bei belletristischen Werken vor allem für die Fabel sowie für die Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Figuren infrage.115 Bei Sachbuchthemen
106 107
108 109
110
S Teil 2 Kap 1 Rn 49. BGH GRUR 1995, 47, 48; 1981, 520, 521; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 39. Vgl hierzu OLG München GRUR 1990, 674, 675. StRspr, s etwa BGH GRUR 1980, 227, 230; 1981, 352, 353; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 48 mwN. Zur Entwicklung Berking 22 ff.
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115
Kitz GRUR-RR 2007, 217 f. BGBl 1965 I S 1273. Grundlegend KG GRUR 1926, 441, 442. Möhring/Nicolini/Ahlberg § 2 UrhG Rn 53; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 37; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer § 2 UrhG Rn 30; Rehbinder Rn 164. BGH GRUR 1959, 379, 381; GRUR 1999, 984, 987; LG Hamburg GRUR-RR 2003, 233, 240.
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2. Teil
kann die Schutzfähigkeit aus der individuellen Gliederung, Gestaltung und Darstellung des Inhalts folgen.116 Hierin muss aber eine eigentümliche geistige Leistung zum Ausdruck kommen, was nicht der Fall ist, wenn sich etwa die Gliederung völlig aus der Natur der Sache ergibt oder ohnehin völlig üblich ist. Deshalb sollte der Verfasser bereits im ersten Angebot einige Sorgfalt darauf verwenden, die Fabel und Charaktere eines Romans bzw die von ihm ersonnene individuelle Gliederung eines Sachthemas so genau wie möglich zu beschreiben.
77 78
79 80 81 82 83
b) Konzeptschutz nach UWG und BGB. In Betracht kommt zudem ein Schutz nach § 18 UWG. Die Vorschrift stellt die sog „Vorlagenfreibeuterei“ unter Strafe; sie schützt vor unbefugter Verwertung im geschäftlichen Verkehr anvertrauter Vorlagen. Vorlage ist alles, was bei der Herstellung neuer Gegenstände als Vorbild dienen soll.117 Unter den Begriff der Vorlage lässt sich auch ein gedankliches Muster für Texte oder Grafiken subsumieren.118 So hat etwa das KG einen Werbeslogan als nach § 18 UWG schutzfähig erachtet.119 Das OLG München hat das Exposé zu einer Fernsehserie grds als geeignete Vorlage iSd § 18 UWG angesehen, jedoch die Anforderungen an die Gestaltungshöhe aus § 2 UrhG einschränkend auch hier angewandt.120 Das ist zustimmungswürdig: § 18 UWG kann nicht dazu dienen, bloße Ideen zu monopolisieren, die nach dem Urheberrecht frei sind. Zudem lässt sich allgemein Bekanntes nicht „anvertrauen“.121 Anders als bei § 17 UWG braucht es sich bei der Vorlage aber nicht um ein Geheimnis zu handeln,122 so dass es unschädlich ist, wenn ein Konzept schon mehreren Verlagen angeboten worden ist. Unbefugt ist jede Verwertung der Vorlage, die ohne Einwilligung des Verfügungsberechtigten erfolgt.123 § 18 UWG ist Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB.124 Der Vertrauensbruch stellt zudem idR eine vorvertragliche Pflichtverletzung nach § 311 Abs 2 BGB mit der Folge eines Schadensersatzanspruchs nach § 280 Abs 1 BGB dar.125 Hinsichtlich unverlangt eingesandter Manuskripte trifft den Verleger schließlich eine Obhutspflicht nach § 362 Abs 2 HGB.126
V. Vertragsschluss: Anforderungen an Form und Inhalt 84
Der Vertragsschluss kann grds formlos erfolgen. Eine Ausnahme gilt, wenn Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten eingeräumt werden sollen: Das ist seit 1.1.2008 nach dem neuen § 31a Abs 1 UrhG möglich 127, hierfür ist ausnahmsweise Schriftform 116 117 118 119 120 121
BGH GRUR 1981, 352, 353. KG GRUR 88, 702, 703; Piper/Ohly/Ohly § 18 UWG Rn 4. Ebenso Wüterich/Breucker GRUR 2004, 389, 390. KG GRUR 1988, 702, 703. OLG München GRUR 1990, 674, 676. BGH GRUR 1982, 225, 226; OLG München NJWE-WettbR 97, 38, 39; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 18 UWG Rn 9; Piper/Ohly/Ohly § 18 UWG Rn 4.
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BGH GRUR 1964, 31, 32; Piper/Ohly/Ohly § 18 UWG Rn 4; enger hingegen Kraßer GRUR 1977, 177, 180. Piper/Ohly/Ohly § 17 UWG Rn 15. Piper/Ohly/Ohly § 18 UWG Rn 11. OLG Hamm NJW-RR 1990, 1380, 1381. Schack Rn 998. Im Einzelnen s Teil 2 Kap 1 Rn 203 ff.
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§2
Verlagsvertrag
erforderlich.128 Weitere Ausnahme ist wegen § 40 UrhG ein Vertrag über ein künftiges Werk. „Künftig“ bedeutet dabei nicht nur, dass dieses Werk noch nicht hergestellt ist, sondern dass sein Inhalt noch unbestimmt und höchstens der Gattung nach vorgegeben ist.129 Nach allgemeinen Regeln (§§ 133 ff BGB) kann der Vertragsschluss auch stillschwei- 85 gend erfolgen. Entscheidend ist allein, dass sich die Parteien über die essentialia negotii einig sind, die nach § 1 VerlG (nur) die Pflicht zur Einräumung einerseits und Ausübung andererseits des Verlagsrechts umfassen. Dafür genügt grds, dass der Verleger mit Zustimmung des Verfassers mit dem Verlag beginnt.130 Weitere Absprachen sind für den Vertragsschluss auch vor dem Hintergrund von §§ 154 f BGB nicht notwendig, weil das VerlG für die nähere Ausgestaltung dispositive Regeln bereithält.131 In der Praxis verhandeln die Parteien aber regelmäßig über bestimmte Punkte, die 86 vom dispositiven Recht abweichen sollen; meist geschieht dies vorab per Telefon oder E-Mail. Treten die Parteien überhaupt in nähere Verhandlungen ein, so besteht nach der Branchenübung eine gewisse Vermutung dafür, dass sie die unten 132 aufgelisteten Punkte iSd § 154 Abs 1 S 2 BGB regelungsbedürftig fanden. Zudem werden Verlagsverträge idR schriftlich geschlossen, so dass § 154 Abs 2 BGB den Vertragsschluss aufschiebt.133 Verhandelt eine literarische Agentur den Vertrag, der – wie üblich – der Verfasser 87 keine Abschlussvollmacht eingeräumt hat, so gelten die §§ 164 ff BGB nicht. Die Agentur führt nur die Verhandlungen; die zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen gibt der Verfasser selbst ab. Ist aber Handelsvertreterrecht anwendbar 134 und überschreitet die Agentur ihre Befugnisse als Vermittlungsvertreterin, so muss der Verfasser nach § 91a Abs 1 HGB das Geschäft unverzüglich ablehnen, wenn er nicht daraus gebunden werden will.
VI. Verlagsvertrag und allgemeine Geschäftbedingungen Wohl weil die §§ 305 ff BGB in erster Linie auf Verträge über Warenlieferungen und 88 Dienstleistungen zugeschnitten sind, ist die Rechtsprechung zu Verlagsverträgen und allgemeinen Geschäftsbedingungen überschaubar. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrzahl der geschlossenen Verlagsverträge vollständig oder in Teilen allgemeine Geschäftsbedingungen iSd § 305 Abs 1 BGB darstellt.135 Deren Wirksamkeit richtet sich nach §§ 305 ff BGB. Einschränkungen gelten nach § 310 Abs 1 BGB gegenüber Unternehmern iSv § 14 89 BGB. Unternehmer kann auch der Verfasser sein.136 Die dafür notwendige selbstständige berufliche Tätigkeit kann Haupt- oder Nebentätigkeit sein, sie muss aber auf Dauer angelegt sein und der Schaffung und Erhaltung der Lebengrundlage dienen.137 128
129 130 131 132 133 134
Besondere über § 126 BGB hinausgehende Anforderungen an die Schriftform stellt die Vorschrift nicht; aA wohl Spindler NJW 2008, 9, 10. OLG Frankfurt GRUR 1991, 601, 601. OLG Karlsruhe GRUR 1993, 992, 993; Delp Praktikum 25. OLG Frankfurt GRUR 1991, 601, 602 S Rn 95 ff. Delp Verlagsvertrag 8. S Rn 41.
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Rehbinder Rn 664; Schack Rn 1010; ausf Kuck GRUR 2000, 285 ff. Pleister GRUR Int 2000, 673, 680 (Fn 138), geht davon aus, dass jeder Schriftsteller Unternehmer im Sinne des AGB-Rechts ist; vgl auch das Beispiel zum Schriftsteller bei K Schmidt JuS 2006, 1, 4 sowie zu § 84 HGB Baumbach/Hopt/Hopt § 84 HGB Rn 27. Palandt/Heinrichs § 14 BGB Rn 2; Prütting/ Wegen/Weinreich/Prütting § 14 BGB Rn 8 f.
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Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei als Verwender der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Dies können verlagsintern für das Alltagsgeschäft vorformulierte Vertragstexte ebenso sein wie Norm- und Musterverträge.138 Gebräuchlich sind zB 139 der Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen 140 und der Normvertrag für den Abschluss von Übersetzungsverträgen zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. sowie die Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke 141 zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Deutschen Hochschulverband. Verwender wird meist der Verleger sein; denkbar ist aber auch, dass eine literarische 91 Agentur für den Verfasser oder der Verfasser selbst vorformulierte Klauseln einführt. Oft wird ein Muster aber nur als Verhandlungsgrundlage eingeführt. In diesem Fall 92 ist bei jeder Klausel abzugrenzen zwischen allgemeiner Geschäftbedingung und individuell ausgehandelter Bestimmung iSv § 305 Abs 1 S 3 BGB. Dabei setzt ein „Aushandeln“ nach der Rechtsprechung des BGH aber mehr als „Verhandeln“ voraus:142 Der Verwender muss den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen. Der Vertragspartner muss also die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Verhandelt aufseiten des Verfassers eine literarische Agentur, so wird diese Voraussetzung eher erfüllt sein als gegenüber einem einzelnen Verfasser. Liegen nach diesen Maßstäben allgemeine Geschäftsbedingungen vor, so gehen Aus93 legungszweifel nach § 305c Abs 2 BGB grds zulasten des Verwenders. Nicht selten sind auch überraschende Klauseln iSd § 305c Abs 1 BGB, die nicht Vertragsbestandteil werden. Eine geringere Bedeutung hat hingegen bei Verlagsverträgen die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB; eine wichtige Ausnahme stellt die Rechtsprechung zu Wettbewerbsverboten dar.143 Auf Einzelheiten zu konkreten Klauseln wird im Folgenden jeweils bei den Ausführungen zu den entsprechenden Vertragsbestandteilen eingegangen.
VII. Vertragsverhandlung und Vertragsinhalt 94
Das gesamte Vertragsrecht des VerlG ist dispositiv.144 Das VerlG geht davon aus, dass jeder Vertragspartner innerhalb seines „Geschäftsbereichs“ einen weiten Ermessensspielraum hat: der Verfasser hinsichtlich der Art und Weise der Manuskripterstellung, der Verleger bzgl Art und Weise der Vervielfältigung und Verbreitung. Die Vertragspraxis schränkt dieses Ermessen im Sinne einer besseren Planbarkeit idR durch genauere Vereinbarungen jeweils ein.
138 139 140 141 142
MüKo/Basedow § 305 BGB Rn 13. Alle erhältlich unter www.boersenverein.de. Zu Entstehung und Bedeutung s Knaak 263, 266 f. Zu Entstehung und Bedeutung Straus 291, 308 ff. StRspr; s etwa BGH NJW 2005, 2543,
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143 144
2544; BGH NJW 2002, 2388, 2389; BGH NJW 2000, 1110, 1111; speziell zum Verlagsvertrag OLG München OLGR 2007, 737, 738. S Rn 171. Schack Rn 993.
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§2
Verlagsvertrag
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Folgende Punkte sind üblicherweise Verhandlungsgegenstand: 1. Vertragsgegenstand: Beschaffenheit des abzuliefernden Werks a) Ausgangslage nach dem VerlG. Viele verlagsrechtliche Streitigkeiten entstehen, weil die Parteien den Vertragsgegenstand unzureichend bestimmt haben. Der Verfasser kann seine Ablieferungspflicht nur mit einem vertragsgemäßen Manuskript erfüllen, und nur ein solches muss der Verleger vervielfältigen und verbreiten. Das folgt aus § 31 VerlG. Was vertragsgemäß ist, sagt das VerlG aber – abgesehen von der formellen Anforderung in § 10 VerlG – noch nicht einmal mit dispositiven Regeln. Hier sind die Parteien also allein auf ihre Vereinbarungen gestellt. Ohne nähere Vereinbarung liegen innerer Aufbau und Darstellungsweise des Werks grds im Ermessen des Verfassers.145 Es steht den Parteien aber frei, den Vertragsgegenstand näher zu bestimmen,146 und dies sollten sie auch tun, um Streit zu vermeiden.147 Die Frage, „ob und inwieweit etwa bei einem echten Verlagsvertrag, insbesondere auch mit Rücksicht auf die für ein geistiges Schaffen notwendige Bewegungsfreiheit des Verfassers, der Zulässigkeit solcher einengenden Vereinbarungen und der Zulässigkeit von Rügen gegen Abweichungen von solchen Vereinbarungen Grenzen zu setzen sind“ hat der BGH offen gelassen.148 Das „ob“ dieser Frage wird bereits zu verneinen sein, denn es spricht nichts dagegen, aber eine erhöhte Rechtssicherheit dafür, dass die Parteien den Vertragsgegenstand möglichst genau festlegen. Auch wird der Verlagsvertrag durch solche Vereinbarungen nicht zum Bestellvertrag nach § 47 VerlG: Die Abgrenzung zum Bestellvertrag erfolgt nicht über die Detaildichte der Vereinbarung, sondern über die Frage, ob die Details gerade vom Verleger vorgegeben werden.149 Schließen die Parteien einen Verlagsvertrag über ein bereits fertiges Werk, so machen sie dieses mit allen seinen Eigenschaften zum Vertragsgegenstand. Der Vertrag sollte sich dazu äußern, ob er über ein fertiges oder noch zu erstellendes Werk geschlossen wird, weil je nachdem unterschiedliche Regeln gelten können (zB in § 11 VerlG). Bei einem noch zu erstellenden Werk kann und sollte eine nähere Bestimmung des Vertragsgegenstands hinsichtlich des Inhalts und der Form erfolgen:
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97 98
99
100
b) Festlegung der inhaltlichen Werkbeschaffenheit. Der Inhalt des Werks lässt sich 101 auf verschiedene Weise näher vertraglich festlegen. So hat die Rechtsprechung bereits den vertraglichen Arbeitstitel des Werks herangezogen, um die Pflichten des Verfassers zu bestimmen: Der Arbeitstitel „Die Memoiren“ umfasse mehr als nur die Darstellung eines bestimmten Lebensabschnitts.150 Der Arbeitstitel dient damit nicht nur der Unterscheidung des Werks im Entstehungsprozess, sondern sollte im Hinblick auf die vertragliche Pflichtenfestlegung mit Bedacht formuliert werden. Weiterhin sollten die Parteien regelmäßig das Exposé ausdrücklich zum Vertragsinhalt 102 machen. Aus dem Exposé sollten Grundinhalt und Charakter des Werks, bei einem Sachbuch die Hauptthesen,151 hervorgehen. Idealerweise benennt das Exposé auch die Zielgruppe des Werks 152 und sagt etwas zu bereits existierende Konkurrenztiteln und dazu,
145 146 147 148 149
RG GRUR 1937, 485, 488; Schulze 229. BGH GRUR 1960, 642, 643 f . Vgl Delp Verlagsvertrag 41. BGH GRUR 1960, 642, 644. S Rn 63.
150 151 152
OLG München NJW-RR 1995, 568, 569. Vgl hierzu OLG München ZUM 2007, 863, 865. Hierzu BGH GRUR 1960, 642, 644.
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wie sich das vertragsgegenständliche Werk von ihnen unterscheiden soll. Schließlich kann auch eine bereits vorliegende Gliederung 153 oder ein Treatment ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht werden und so weiter Rechtsunsicherheit abbauen. Hinsichtlich der Art der Darstellung fließen oft einige Seiten oder auch ganze Kapitel 103 als Textprobe des Verfassers in die Verhandlungen ein. Auch auf sie kann und sollte der Vertrag Bezug nehmen. Aus alledem kann sich dann zB ergeben, dass das Werk einen provokanten Inhalt 104 haben soll, der auch die Gefahr gerichtlicher Auseinandersetzungen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen der im Werk behandelten Personen mit sich bringen kann.154 Allerdings darf sich der Vertrag nicht „bewusst und gezielt“ gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten richten, sonst ist er nach § 134 bzw § 138 BGB unwirksam.155
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c) Festlegung der formellen Werkbeschaffenheit. Formell schuldet der Verfasser nach § 10 VerlG ein Manuskript in einem für die Vervielfältigung geeigneten Zustand.156 Abzuliefern ist nach dispositivem Gesetzesrecht ein Manuskript in Papierform. Die Parteien können Abweichendes vereinbaren, etwa eine Ablieferung auf Diskette 106 oder per E-Mail. Auch sonstige Zusatzvereinbarungen sind möglich, zB zur Manuskriptgestaltung (Breite des Korrekturrands, Zeilenabstand etc). In jedem Fall sollten die Parteien auch vereinbaren, welche Rechtschreibregeln dem Werk zugrunde liegen sollen. Gängig sind die Kategorien alte Rechtschreibung, progressiv-neue Rechtschreibung und konservativ-neue Rechtschreibung. Die Vollständigkeit des Werks richtet sich nach dem geschuldeten Umfang, der für 107 beide Parteien besonders wichtig ist. Er ist die Kenngröße, nach der jede Partei den Umfang ihrer jeweiligen Verpflichtung und somit Aufwand und Risiko am zuverlässigsten einschätzen kann. Der Umfang des Werks sollte daher nie unbestimmt bleiben. Er wird im Vertrag idR in Seiten angegeben. Wenn nichts Abweichendes bestimmt ist, legt die Branche dabei die „Normseite“ 108 zugrunde. Diese hat sie für den Übersetzervertrag definiert als eine Seite mit 30 Zeilen zu 60 Anschlägen 157. Dabei gilt der normale Zeilenfall, so dass auch „leere Bereiche“ wie Leerzeilen oder nicht ganz ausgefüllte Zeilen die Normseite mit füllen. In Zeiten der elektronischen Textverarbeitung kann man außerhalb des Übersetzervertrags beim Verlagsvertrag mit einem Näherungswert von 1600 (tatsächlichen) Zeichen inklusive Leerzeichen pro Normseite rechnen. 2. (Pflicht zur) Rechtseinräumung
109
a) Verlagsrecht. Nach § 8 VerlG muss der Verfasser dem Verleger das Verlagsrecht an dem Werk verschaffen. Die Vorschrift definiert es legal als das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung. Die Branche bezeichnet dieses Recht auch als „Hauptrecht“. 153 154
155
Hierzu OLG München ZUM 2007, 863, 864 f. So im Fall BGH GRUR 1979, 396, 397 f, in dem sich der Verlag gerade von einem „brisanten Werk“ einen besonderen Erfolg versprach. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331; Nordemann GRUR 1979, 399, 399.
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S Rn 182. S § 6 des Übersetzernormvertrags zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien und dem Verleger-Ausschuss des Börsenverein des Deutschen Buchhandels eV, erhältlich unter www. boersenverein.de.
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§2
Verlagsvertrag
Parallel hierzu ist § 31 Abs 5 UrhG zu lesen, der die Zweckübertragungsregel verankert. Nach der Zweckübertragungsregel beschränkt sich der Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte auf den mit dem Vertrag verfolgten Zweck, wenn nicht jedes Nutzungsrecht einzeln benannt ist.158 Die Zweckübertragungsregel ist für die Rechtseinräumung selbst entwickelt worden, kann aber auch bereits für die Verpflichtung zur Rechtseinräumung fruchtbar gemacht werden, bei der sich oft die gleichen Auslegungsfragen stellen. Ohnehin formuliert die Praxis im Verlagsvertrag regelmäßig nicht die Pflicht zur Rechtseinräumung, sondern gleich die Rechtseinräumung selbst. Rechtsprechung und Literatur haben ein feines System einzelner Nutzungsarten innerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsformen der §§ 15 ff UrhG entwickelt, für die jeweils eigene Nutzungsrechte vergeben werden können. Jede nach der Verkehrsauffassung wirtschaftlich-selbstständige, abgrenzbare Art der Verwertung ist eine eigene Nutzungsart.159 So sind verschiedene Buchausgaben mit verschiedenen Gestaltungsmerkmalen (Format, Druckgröße, Einband), nicht aber schon wegen unterschiedlicher Preiskategorien, unterschiedliche Nutzungsarten.160 Eigenständige Nutzungsarten sind danach etwa:161 die Normalausgabe (Hardcover), die Taschenbuchausgabe 162 und – wegen des besonderen Vertriebswegs – auch die Buchclubausgabe.163 Den Erwerber trifft damit eine Spezifizierungslast 164: Benennt er im Vertrag nicht jede eigenständige Nutzungsart ausdrücklich, so erwirbt er im Zweifel nur so viele Rechte, wie es der beiden Parteien bekannte, objektiv verfolgte Vertragszweck erfordert.165 Dies steht zunächst scheinbar im Widerspruch zu dem pauschal formulierten § 8 VerlG, weshalb teilweise geraten wird, alle vom Verlagsrecht umfassten Einzelnutzungsarten im Vertrag gesondert aufzuführen.166 Die Praxis hingegen übernimmt oft die pauschale Formulierung aus § 8 VerlG und ergänzt „für alle Ausgaben und Auflagen“. Das dürfte für den Erwerb des Hauptrechts ausreichend sein, weil sich § 8 VerlG durchaus sinnvoll mit der Zweckübertragungsregel vereinbaren lässt: Der Zweck des Verlagsvertrags besteht darin, dem Verleger alle Verwertungen zu ermöglichen, die zum verlegerischen Kerngeschäft gehören. Dies führt dazu, dass der Vervielfältigungsbegriff des § 8 VerlG nicht mit dem des § 16 UrhG übereinstimmt, sondern eben nur die verlegertypischen Vervielfältigungsarten umfasst: die Form des gedruckten Buchs,167 allerdings jede Form des gedruckten Buchs. Innerhalb dieses verlagstypischen Vervielfältigungsbegriffs sind daher grds alle Ausgabenarten vom objektiven Zweck eines Verlagsvertrags gedeckt und brauchen nicht näher bezeichnet zu werden.168 Auch aus einem viel zitierten Urteil des KG 169 ergibt sich nichts anderes: Zwar sagt das KG an dieser Stelle, der Verleger komme mit der Formulierung „alle Ausgaben“ 158 159 160 161
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S Teil 2 Kap 1 Rn 196. BGH GRUR 1997, 215, 217. BGH GRUR 1992, 310, 312. Vgl KG GRUR 1991, 596, 599; Schricker § 8 VerlG Rn 5 e; Wegner/Wallenfels/Kaboth 1. Kap Rn 106. BGH GRUR 1992, 310, 312; KG GRUR 1991, 596, 599; OLG München ZUM 1989, 585, 587. BGH GRUR 1959, 200, 202. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 31 UrhG Rn 71; Möhring/Nicolini/Spautz § 31 UrhG Rn 47. BGH GRUR 1959, 200, 203; allerdings
166 167 168
169
kann die Zweckübertragungsregel nicht nur rechtsbegrenzend wirken, sondern auch rechtsbegründend, vgl etwa OLG Hamburg ZUM 2004, 128, 129 f. So etwa Schricker § 8 VerlG Rn 5 f; Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 46. Schricker § 1 VerlG Rn 51; Delp Verlagsvertrag 42 f. Vgl die Formulierung in OLG Frankfurt ZUM 2000, 595, 596: Der Verleger hat das „Buchrecht erhalten“, denn er „war und ist ein Buchverlag“; in diesem Sinne auch Knaak 263, 270. KG GRUR 1991, 596 ff.
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seiner Spezifizierungslast nicht nach. Es stellt jedoch maßgeblich darauf ab, dass die Parteien mündlich über eine Buchclubausgabe gesprochen und damit „diese besondere Nutzungsart einzeln hervorgehoben“ und ihre Absicht gezeigt hätten, „den Begriff der ‚Ausgabe‘ auszufüllen“. Die Einräumung einer weiteren Nutzungsart hat das Gericht „damit“ als ausgeschlossen angesehen.170 Ohnehin ging es in diesem Fall nicht um eine eigene Ausübung des Verlagsrechts, sondern um eine Lizenzierung, die noch einmal anders zu beurteilen ist.171 Das Urteil zeigt, dass es manchmal eher nachteilig sein kann, überhaupt über bestimmte Ausgabenarten zu sprechen, weil dies den sonst weiten Vertragszweck des VerlG im Einzelfall einschränken kann: Nach der Argumentation des Gerichts schränkte die mündliche Absprache den Ausgabenbegriff ein und verdrängte damit die dispositive, weitergehende Regel des § 8 VerlG. Für die Vertragsverhandlung ist daher zu empfehlen, innerhalb des verlagstypischen Vervielfältigungsbegriffs entweder keine Ausgabe besonders zu behandeln oder aber tatsächlich alle Ausgaben vollständig aufzuzählen, für die Rechte eingeräumt werden sollen. Wird – wie es üblich ist – die Art der Erstausgabe im Vertrag näher bestimmt, so liegt hierin aber keine entsprechende Beschränkung des Vertragszwecks. Eine solche Festlegung konkretisiert lediglich die Auswertungspflicht des Verlegers. Deutlich wird dies durch eine Formulierung, nach der das Werk „zunächst“ als …-Ausgabe erscheinen soll. Weil die Einräumung des Verlagsrechts „für alle Auflagen und Ausgaben“ weit verbreitet ist, scheitert sie auch nicht in Formularverträgen an § 305 Abs 1 BGB:172 Der von der Rechtsprechung für § 305 Abs 1 BGB geforderte echte Überrumpelungseffekt liegt nämlich nicht vor, wenn eine breite Rechtseinräumung branchenüblich ist.173 Auch bedeutet eine solche Rechtseinräumung ohne weitere Anhaltspunkte keine unangemessene Benachteiligung iSv § 307 Abs 1 BGB.174 Allerdings umfasst das verlegerische Kerngeschäft nur die eigene Vervielfältigung und Verbreitung, nicht aber eine Lizenzierung an Dritte. So hat der BGH entschieden, dass die Einräumung des Rechts zur Verbreitung auf dem üblichen Absatzweg nicht das Recht zur Lizenzvergabe an eine Buchgemeinschaft umfasst.175 Das Recht zur Lizenzvergabe muss daher – auch wegen § 34f UrhG – gesondert im Verlagsvertrag berücksichtigt werden. Auch das Bearbeitungsrecht und das Recht, das Werk auf Bild- oder Tonträger zu übertragen, sind nicht vom Verlagsrecht umfasst. Diese Rechte verbleiben nach § 37 Abs 1 und 2 UrhG im Zweifel beim Urheber.176 § 2 Abs 2 VerlG, der einige Beispiele dieser Rechte ausdrücklich vom Verlagsrecht ausnimmt, ist daher rein deklaratorisch.177 170
171 172 173 174
KG GRUR 1991, 596, 599; ähnlich OLG Köln ZUM-RD 1998, 213, 215, wo die Parteien zunächst über die Rechte für „all editions“ verhandelt, sich dann aber im Vertrag nach den Umständen auf eine konkrete Ausgabenart festgelegt hatten, ebenso LG München I ZUM 1995, 725, 726, und OLG München ZUM 2000, 404, 407, wo jeweils nach dem Umständen nur eine ganz bestimmte Ausgabe in Rede stand. S Rn 117, 121. Zweifelnd Schricker § 5 VerlG Rn 8. BGH NJW 1995, 1496, 1498; GRUR 1984, 119, 121. OLG Celle NJW 1987, 1423, 1424.
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BGH GRUR 1959, 200, 203; s aber für den Übersetzervertrag auch BGH GRUR 1968, 152, 154, wonach die Lizenzvergabe an eine Buchgemeinschaft vom Vertragszweck gedeckt sein kann. Zu weiteren im Zweifel beim Verfasser verbleibenden Rechten s Delp Verlagsvertrag 9 f. Vgl auch Schricker § 2 VerlG Rn 12 und 19: § 37 UrhG ist viel weiter als § 2 Abs 2 VerlG; ferner OLG Hamburg GRUR 1965, 689, 689, das hinsichtlich der Bearbeitung eines Kriminalromans in einem Comic auf eine klare Zuordnung zu einer der Alternativen des § 2 Abs 2 VerlG verzichtet.
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§2
Verlagsvertrag
Ebenso dürfte die elektronische Vervielfältigung, selbst wenn sie auf körperlichen 119 Vervielfältigungsstücken erfolgt, auch heute noch 178 nicht zum verlegerischen Kerngeschäft gehören und deshalb nicht generell vom objektiven Vertragszweck eines Verlagsvertrags gedeckt sein.179 Für den Erwerber riskant ist daher die Formulierung in § 2 Abs 1 des Normvertrags;180 nach welcher der Verfasser dem Verleger das Verlagsrecht des Werks pauschal „für alle Druck- und körperlichen elektronischen Ausgaben“ einräumt. b) Weitere Rechte. Rechte, die nicht vom Verlagsrecht umfasst sind, bezeichnet die 120 Branche oft als Nebenrechte. Bei ihnen führt die Zweckübertragungsregel in der Tat dazu, dass jedes Recht im Vertrag einzeln benannt werden muss. Seit 1.1.2008 können nach § 31a Abs 1 UrhG auch Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten eingeräumt werden; sie sind allerdings grds widerrufbar.181 Auch hierfür gilt die Zweckübertragungsregel,182 doch können unbekannte Nutzungsarten selbstverständlich nicht genau umschrieben werden. Ausreichend ist etwa, dass die Vereinbarung auch Nutzungsrechte an erst künftig entstehenden Technologien erfasst.183 Nachdem der Gesetzgeber diese Möglichkeit ausdrücklich geschaffen hat, wird man auch eine Einräumung von Nutzungsrechten an unbekannten Nutzungsarten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen idR nicht als Verstoß gegen § 307 BGB einstufen können.184 Dafür spricht insbesondere auch, dass der Urheber die Rechtseinräumung vor Nutzungsaufnahme ohnehin noch einmal widerrufen kann und seine Entscheidungsfreiheit bis dahin erhalten bleibt. Die Nebenrechte betreffen Verwertungshandlungen, die nicht im verlegerischem Kern- 121 geschäft 185 nach § 8 VerlG liegen. Nebenrechte sind etwa das Vorabdruck- und Nachdruckrecht, das Übersetzungsrecht, das Vortragsrecht, das Senderecht, das Verfilmungsrecht, das Recht zur Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung einer Aufzeichnung auf Tonträger (Hörbuch),186 die sonstigen in § 2 Abs 2 VerlG genannten Rechte, das Recht auf Vervielfältigungen, die nicht verlagstypisch sind, zB Recht der elektronischen Vervielfältigung (CD-ROM, E-Book,187 Electronic Publishing), Fotokopierrecht, das Recht zur Aufnahme in elektronische Datenbanken sowie das Recht zur Lizenzvergabe für die vom Verlagsrecht umfassten Rechte und die Nebenrechte. Auch lässt sich der Verleger oft das Merchandising-Recht im Hinblick auf Werkinhalte, insbesondere Namen und Figuren, einräumen. Weil das Schicksal der Nebenrechte bei Beendigung des Verlagsrechts umstritten ist,188 empfiehlt es sich, den Bestand der Nebenrechte ausdrücklich an den Bestand des Verlagsrechts zu koppeln. Hinsichtlich nicht vom Verlagsrecht nach § 8 VerlG umfasster Rechte enthält das 122 VerlG keine Auswertungspflicht; sie kann sich uU nur aus Treu und Glauben ergeben.189 178
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Für einen weiteren verlagsrechtlichen Vervielfältigungsbegriff bzgl elektronischer Offline-Ausgaben Schulze ZUM 2000, 432, 448; Schmaus 47 ff und 90 ff, der auch ein Online-Verlagsrecht diskutiert. Ebenso Rehbinder Rn 667; Haupt/Hölzer Kap 4 Rn 17. S Rn 90. S Rn 227 und ausf Teil 2 Kap 1 Rn 207. Schulze UFITA Bd 2007/III, 641, 662. BT-Drucks 16/1828, 24. AA Spindler NJW 2008, 9, 10. S Rn 113. Vgl auch Haupt/Haupt/Schmidt Kap 5
187
188 189
Rn 102 ff; zu den für eine Hörbuchproduktion notwendigen Vereinbarungen mit den weiteren Beteiligten s Wegner/Wallenfels/ Kaboth 2. Kap Rn 259 ff; Haupt UFITA 2002/II, 323, 347 ff; zur Bearbeitung des Werks für die Hörbuchfassung LG Stuttgart GRUR 2004, 325, 326 ff. Zur E-Book-Edition als eigenständiger Nutzungsart Schmaus 25 ff; zur geringen Akzeptanz des E-Books in der Praxis s freilich Börsenverein Neue Medien 45 ff. S Rn 308. Rehbinder Rn 678; Schack Rn 1021.
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Jedoch lässt sie sich durch ausdrückliche Vereinbarung erreichen, was freilich in der Praxis so gut wie nicht vorkommt,190 weil kaum ein Verleger ein solches Risiko eingehen möchte. Besonders bei Formularverträgen ist hier auf klare Sprache zu achten: Ist unklar, ob eine Auswertungspflicht bestehen soll, so ist nach der Unklarheitenregel des § 305 Abs 2 BGB zulasten des Verlegers als Verwender davon auszugehen, dass eine Verwertungspflicht besteht.191
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c) Beschränkungen der Rechtseinräumung. Nach dispositivem Recht muss der Verfasser dem Verleger das ausschließliche (§ 8 VerlG) Verlagsrecht zeitlich und räumlich unbeschränkt, jedoch nach § 5 VerlG nur für eine (einzige) Auflage mit 1000 Exemplaren einräumen. In diesem Umfang darf und muss der Verleger nach § 16 VerlG Abzüge des Werks herstellen.
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aa) Räumlich. In räumlicher Hinsicht wird dies in der Praxis selten modifiziert; der Verleger kann, wenn ihm auch das Recht zur Lizenzvergabe zusteht,192 dann Lizenzen an ausländische Verlage vergeben. Möglich ist aber auch eine territoriale Beschränkung. Dann behält der Verfasser die Auslandsrechte. Eine geografische Beschreibung des Territoriums bietet dabei größere Rechtssicherheit als eine Abgrenzung nach Sprachräumen.
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bb) Zeitlich. Zeitlich wird die Rechtseinräumung oft begrenzt. Üblich ist eine Laufzeit für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts. Der Verleger profitiert dann von etwaigen Schutzfristverlängerungen.193 Ganz unproblematisch ist diese lange Bindung nicht:194 Die Rechtsordnung ächtet 126 Ewigkeitsbindungen, weil sie das Selbstbestimmungsrecht in unverantwortlicher Weise beschneiden.195 Deshalb sieht sie bei auf unbestimmte Zeit geschlossenen Verträgen ein (grundloses) ordentliches Kündigungsrecht vor.196 Dieses ist für die meisten Dauerschuldverhältnisse gesetzlich normiert 197 und gilt analog für andere Dauerschuldverhältnisse.198 Eine Bindung für die Dauer des Urheberrechts ist zwar keine ewige, sondern gerade eine befristete; sie überdauert aber das Leben des Urhebers und kommt aus seiner Sicht daher einer Ewigkeitsbindung gleich. Entscheidend ist jedoch, dass § 35 VerlG und § 42 UrhG Sondervorschriften enthalten, welche das Selbstbestimmungsrecht des Urhebers auch während der langen Vertragsdauer schützen. Das OLG Celle hat eine Bindung für die Dauer des Urheberrechts ausdrücklich gebilligt, weil der Verfasser am Erlös aus jeder Auflage beteiligt war und §§ 30, 32 sowie 17 VerlG sicherstellen, dass seine Recht nicht gebunden sind, ohne ausgeübt zu werden.199 Doch wird man eine solche Bindung auch bei einem Pauschalhonorar hinnehmen müssen, weil sich Unangemessenheiten bei der Vergütung über §§ 32 ff UrhG ausgleichen lassen.
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cc) Inhaltlich. Inhaltlich wird § 5 VerlG idR dahin gehend abbedungen, dass der Verleger das Verlagsrecht nicht nur für alle Ausgaben, sondern auch „für alle Auflagen ohne Stückzahlbegrenzung“ erhält. Dies genügt der Spezifizierungslast, da eine einzelne Aufzählung der Auflagen wenig sinnvoll wäre.200 190 191 192 193 194 195 196
Delp Verlagsvertrag 52 f. S hierzu BGH GRUR 2005, 148, 151. S Rn 117, 121. Zu den Problemen Schricker § 29 VerlG Rn 9. Krit auch Wandte/Bullinger/Wandtke/ Grunert § 31 UrhG Rn 12. Larenz 30. H Oetker § 15 B II 3.
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So zB in §§ 542 Abs 1, 620 Abs 2, 723 Abs 1 S 1 BGB. Grundlegend RGZ 1978, 421, 424; vgl auch BGH LM § 242 Nr 8; BGH VersR 1960, 653, 654; NJW 1985, 2585, 2586; H Oetker § 15 B II 3. OLG Celle NJW 1987, 1423, 1424. Schricker § 5 VerlG Rn 7.
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Genaue Stückzahlen werden selten im Vertrag vereinbart, sondern in das Bestimmungsrecht des Verlegers gestellt. Das ist gerechtfertigt: Die Auflagenhöhe ist eine der wichtigsten kalkulatorischen Entscheidungen, deren Entscheidungsgrundlagen sich oft erst nach Vertragsschluss offenbaren und die daher derjenige treffen sollte, der das unternehmerische Risiko trägt. Der Verleger berechnet aus Herstellungskosten und Ladenpreis die Höhe der Deckungsauflage, bei der er seine Kosten amortisieren kann.201 Die tatsächliche Startauflage richtet sich dann idR nach den Vorbestellungen, die vom Handel aufgrund der Verlagsvorschau und der Vertreterreise beim Verlag eingehen. Die 1000 Exemplare der ersten Auflage aus § 5 Abs 2 VerlG sind iVm § 16 VerlG Mindest- und Höchststückzahl zugleich. Ersetzt der Vertrag diese Zahl durch eine unbegrenzte Stückzahl, so darf der Verleger nicht nur mehr als 1000 Exemplare herstellen, sondern auch weniger. Selbstverständlich können die Parteien sich aber auch vertraglich auf eine feste Stückzahl oder eine andere Höchst- oder Mindestzahl einigen. Schließen die Parteien einen Vertrag über eine Veröffentlichung als „Book on Demand“, bei dem jedes einzelne Exemplar individuell auf Kundenwunsch gedruckt werden soll, so empfiehlt sich stets die Vereinbarung einer Höchstzahl, anhand derer sich später ein Vergriffensein iSd § 29 VerlG feststellen lässt.202 Auch können die Parteien entgegen § 17 VerlG vereinbaren, dass der Verleger zu mehreren Auflagen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Abweichend von § 8 VerlG können die Parteien schließlich statt des ausschließlichen Nutzungsrechts auch ein einfaches Nutzungsrecht vereinbaren.
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3. Honorar a) Grundentscheidung über die Vergütungspflicht. Ein Verfasserhonorar gehört nicht 132 zu den wesentlichen Erfordernissen des Verlagsvertrags nach § 1 VerlG.203 Wie oben ausgeführt,204 gibt es Fälle, in denen der Verfasser nicht nur honorarfrei arbeitet, sondern dem Verleger auch noch einen Druckkostenzuschuss zahlt. Solche Vereinbarungen können gleichwohl Verlagsverträge sein und dem VerlG unterliegen.205 Das VerlG enthält eine Vermutung weder für noch gegen einen Honoraranspruch des 133 Verfassers, so dass es entscheidend auf die Vereinbarung ankommt. Fehlt eine solche, steht eine streitträchtige Feststellung nach § 22 Abs 1 S 2 VerlG an,206 was die Parteien vermeiden sollten. Der Vertrag sollte daher möglichst für jedes eingeräumte Recht ausdrücklich – positiv oder negativ – regeln, ob und in welcher Höhe eine Vergütungspflicht des Verlegers besteht. b) Art und Höhe der Vergütung. Besteht ein Vergütungsanspruch dem Grunde nach, 134 so muss noch die Höhe bestimmt werden. Ohne Vereinbarung schuldet der Verleger dem Verfasser nach § 22 Abs 2 VerlG eine angemessene Vergütung, die zwingend in Geld besteht. Im Bereich der Vereinbarung hingegen herrscht Vertragsfreiheit hinsichtlich Art und Höhe. So kann das Honorar zB in Freiexemplaren bestehen oder auch in dem Recht, andere Werke aus dem Verlagsprogramm verbilligt beziehen zu können. Für eingeräumte Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten kann eine individuelle Vergütung noch nicht vor Bekanntwerden der Nutzungsart vereinbart werden (vgl § 31a Abs 2 S 1 UrhG). Wegen § 32c Abs 1 UrhG kann auch ein bei Vertragsschluss vereinbartes Pauschalhono-
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Zur Auflagenkalkulation von Lucius 150 ff. S Rn 294. Schricker § 22 VerlG Rn 1.
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S Rn 18. Schack Rn 994. S Rn 242 ff.
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rar die Nutzung des Werks in einer neuen Nutzungsart nicht im Voraus mit abdecken. Besteht aber für neue Nutzungsarten eine gemeinsame Vergütungsregel nach § 36 Abs 1 UrhG, zB in Form einer prozentualen Beteiligung, so entfällt das Widerrufsrecht des Urhebers nach § 31a Abs 2 UrhG.207 Mit Abstand am häufigsten wird ein Absatzhonorar auf der Basis des Nettoladenverkaufspreises vereinbart. Es ist sinnvoll (nur) bei verlagseigener Verwertung.208 Üblich ist die Formulierung: „Der Verfasser erhält für jedes verkaufte Exemplar ein Honorar auf der Basis des um die darin enthaltene Mehrwertsteuer verminderten Ladenverkaufspreises.“ Weil diese Art der Honorierung so verbreitet ist, hat sie etwa das OLG Celle selbst aus einer Vertragsklausel „herausgelesen“, deren Formulierung sich eindeutig auf die Druckauflage, nicht auf die verkauften Exemplare bezog.209 Hierfür sprach, dass der Verleger eine vertragliche Abrechnungspflicht hatte, die § 24 VerlG nur beim Absatzhonorar vorsieht und die „auch allein bei einem Absatzhonorar sinnvoll“ ist. Möchten die Parteien also tatsächlich etwas anderes als ein Absatzhonorar (zB ein Auflagenhonorar) vereinbaren, empfiehlt sich eine besonders klare Vertragssprache. Keine Voraussetzung für den Honoraranspruch ist bei dieser Formulierung, dass der Händler dem Verleger die gekauften Exemplare auch bezahlt; der Verleger trägt hier ohne anders lautende Vereinbarung das Prozess- und Insolvenzrisiko.210 Wollen die Parteien dies abweichend regeln, müssen sie die Formulierung „für jedes verkaufte und bezahlte Exemplar“ wählen. Das Absatzhonorar folgt idR einem nach Verkaufszahlen gestaffelten Beteiligungssatz in Prozent. Die Beteiligungshöhe variiert meist nach Art der Ausgabe. Verfügt der Verlag also sowohl über ein Hardcover- als auch ein Taschenbuchprogramm, so sollten für beide Ausgaben entsprechende Beteiligungssätze vereinbart werden. Dies gilt auch, wenn das Werk als Taschenbuchoriginalausgabe erscheinen soll, da es durchaus zu einer Hardcoverausgabe als Zweitverwertung kommen kann. Üblich sind für Hardcoverausgaben Beteiligungssätze zwischen 8 und 12%, bei Taschenbuchausgaben zwischen 5 und 8 %.211 Möglich ist auch ein Absatzhonorar auf Grundlage des Nettoverlagsabgabepreises. In der Durchführung ist dies aber komplizierter, weil die Rabatte gegenüber den verschiedenen Abnehmern uneinheitlich sind. Auch kann als Berechnungsgrundlage ein fiktiver Stückpreis vereinbart werden. Verbreitet ist insoweit eine Berechnung vom Preis einer Paperbackausgabe, auch wenn das Werk nur gebunden erscheinen soll. Dies beruht auf der Überlegung, dass der Mehrwert in der materiellen Verarbeitung allein vom Verleger bezahlt und geschaffen wird. Daran ist etwas Wahres, doch nichts restlos Überzeugendes, denn bei einem Hardcover bestehen oft auch andere Anforderungen an Inhalt und Umsetzung des Werks, in die wiederum der Verfasser einen Mehraufwand investiert. In jedem Fall sollte der fiktive Ladenpreis des Paperbacks im Vertrag genannt oder wenigstens seine Berechnungsmethode beschrieben werden. Das Honorar für die Auswertung von Nebenrechten, insbesondere Lizenzvergaben, wird idR auf Grundlage des Nettoerlöses berechnet, den der Verleger mit Ausübung des jeweiligen Nebenrechts erzielt. „Nettoerlös“ bedeutet dabei grds: der um die Mehrwert207 208 209 210
BT-Drucks 16/1828, 24. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 88. OLG Celle GRUR 1964, 333, 333. So auch Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 89.
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So das Ergebnis der empirischen Erhebungen bei Horz 54.
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steuer verminderte Umsatz. Sollen sonstige Kosten des Verlegers, etwa selbst geschuldete Agenturprovisionen, abzugsfähig sein, muss dies ausdrücklich bestimmt werden. Die Parteien können schließlich auch ein Pauschalhonorar vereinbaren. Da diese Fall- 142 gestaltung regelmäßig Anlass zu Streitigkeiten über die Rechtseinräumung gibt, ist hier eine ganz besondere Sorgfalt bei der Formulierung der Rechtseinräumungen angezeigt.212 Auch birgt ein Pauschalhonorar heute mehr denn je die Gefahr, später von einem Gericht als unangemessen iSd § 32 UrhG eingestuft zu werden.213 Schließlich sollte bei jeder Honorierungsart eine Vereinbarung über die Pflicht zur 143 Umsatzsteuerzahlung nicht fehlen. Sollen verschiedene Berechnungssysteme nebeneinander gelten, so sollte genau ab- 144 gegrenzt werden, für welche eingeräumten Nutzungsrechte welche Vergütungsmethode gelten soll.214 c) Vorschuss und Garantiehonorar. Anspruch auf eine Vorschusszahlung hat der Verfasser nur, wenn dies ausdrücklich vereinbart ist. Ist das der Fall, sollten die Parteien genau Höhe, Fälligkeit und die Frage der Rückzahlbarkeit regeln. Die Höhe der Vorschusszahlung ist reine Verhandlungssache und richtet sich nach den kalkulierten Herstellungskosten, dem geplanten Ladenpreis sowie dem erwarteten Verkaufserfolg. Oft konkurrieren interessierte Verlage in erster Linie über die Vorschusshöhe um ein Projekt. Der Verfasser oder seine Agentur gibt das Konzept dann eine sog „Auktion“, an der zwei oder mehrere Häuser teilnehmen, von denen der meistbietende Verlag am Ende den Zuschlag erhält. Berechnet sich das Honorar nach der von den Parteien gewählten Methode zuzüglich Umsatzsteuer, so erhöht sich auch der Vorschussbetrag um die gesetzliche Umsatzsteuer, selbst wenn dies im Vertrag nicht ausdrücklich geregelt ist.215 Die Fälligkeit wird meist in zwei oder drei Raten festgelegt, und zwar bei Vertragsschluss, bei Manuskriptabgabe und bei Erscheinen. Ausdrücklich geregelt werden sollte zudem die streitige Frage, ob ein Vorschuss vom Verfasser zurückzuzahlen ist, soweit die später verdienten Honorare hinter dem Vorschussbetrag zurückbleiben.216 Das OLG Karlsruhe spricht ohne Begründung von einem „Grundsatz, dass nach Treu und Glauben eine Vorschusszahlung, falls die Rückzahlbarkeit nicht bestimmt ist, dem Autor verbleibt, auch wenn das Abrechnungsergebnis sie endgültig nicht erreicht“.217 Zwar ist richtig, dass entsprechende Vereinbarungen allgemein üblich sind. Dies besagt aber nicht, dass es nach Treu und Glauben so sein muss; vielmehr wird üblicherweise gerade zwischen Vorschuss und Garantiehonorar deutlich unterschieden.218 Die Aussage des OLG Karlsruhe ist ein obiter dictum, weil die Parteien 212 213 214
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S Rn 69, 111 ff. S Rn 257. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 92, empfehlen eine Differenzierung zwischen verlagseigener (Absatzhonorar) und nicht verlagseigener (Nettoerlösbeteiligung) Verwertung. So OLG München NJW-RR 1995, 568, 569, denn der Vorschuss ist nur „eine besondere Art“ des an anderer Stelle vereinbarten Honorars. Vgl Delp Verlagsvertrag 54. OLG Karlsruhe GRUR 1987, 912, 913, unter
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Berufung auf Schricker § 22 VerlG Rn 7, dort allerdings ebenfalls ohne Begründung. Das OLG Braunschweig NJW 1952, 310, 310, hat ausgeführt, durch die Vorschusszahlung entstehe „kein neues Schuldverhältnis, etwa ein Darlehensverhältnis zwischen den Parteien, das eine selbstständige Forderung auf Rückzahlung des vorgeschossenen Betrages und die Möglichkeit der Aufrechnung als Gegenforderung gegen den Honoraranspruch begründen könnte“. So schon OLG Dresden UFITA 1938, 162, 163; OLG Frankfurt NJW 1991, 1489;
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in dem entschiedenen Fall in ergänzendem Schriftwechsel den Vorschuss gerade ausdrücklich „garantiert“ hatten. Damit ergeben sich folgende Gestaltungsmöglichkeiten: Ohne abweichende Zusatz150 vereinbarung ist ein Vorschuss eine Vorauszahlung auf künftige Forderungen.219 Der Anspruch des Verfassers auf diese Zahlung steht unter der auflösenden Bedingung, dass die späteren Honoraransprüche endgültig hinter der Vorauszahlung zurückbleiben. In diesem Fall folgt ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs 1 S 2 Alt 1 BGB; der Verfasser kann sich unter den Voraussetzungen des § 818 Abs 3 BGB auf Entreicherung berufen.220 Soll der Verfasser den Vorschuss in jedem Fall behalten dürfen, sollte der Vertrag ihn 151 als „garantiertes Mindesthonorar“ bezeichnen. Üblich ist der Zusatz, dass die Zahlung „mit allen Ansprüchen des Verfassers aus diesem Vertrag verrechenbar ist“. Dies folgt bereits aus der Wortwahl, wenn von einem „Vorschuss als garantiertem Mindesthonorar“ die Rede ist; jedoch ist der Zusatz konstitutiv, wenn der Vertrag nur von einem „garantierten Mindesthonorar“ spricht und die Worte „Vorschuss“ oder „Vorauszahlung“ nicht verwendet. Grds für möglich erachtet wird auch eine globale Verrechnungsklausel, nach welcher 152 der Verleger den Vorschuss zwar nicht soll zurückfordern, ihn jedoch mit Ansprüchen auch aus anderen Verlagsverträgen mit dem Verfasser verrechnen können.221 Das OLG Frankfurt hat eine solche Klausel aber als mit dem Wort „Garantiehonorar“ für logisch unvereinbar erklärt.222 Besser regelt man in einem solchen Fall, dass der Vorschuss „nicht rückzahlbar, jedoch mit allen Honoraransprüchen des Verfassers gegen den Verleger aus diesem und anderen Verträgen verrechenbar ist“. Eine solche Regelung muss allerdings individualvertraglich erfolgen, weil sie sonst eine überraschende Klausel iSd § 305 Abs 1 BGB ist.223 4. Art der (Erst-)ausgabe
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Nach § 14 S 2 VerlG bestimmt grds der Verleger Form und Ausstattung der Abzüge. Mit „Abzug“ meint das VerlG das fertig hergestellte Werkexemplar.224 Zu dessen Form und Ausstattung gehört vor allem die Frage, ob das Werk zuerst als 154 Hardcover oder als Taschenbuch, in diesem Fall als Taschenbuchoriginalausgabe, erscheinen soll. Diese Frage ist sehr bedeutsam, denn Hardcover sind im Gegensatz zu Taschenbüchern eher „Individuen“ und finden daher in der Presse eine größere Beach-
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ebenso der Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien und dem Verleger-Ausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eV in § 4 Abs 4. RGZ 133, 249, 252; ebenso Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 96 mit überzeugender Parallele zum Auftrags- und Handelsvertreterrecht. Zu möglichen Entreicherungsposten s den Parteivortrag in BGH GRUR 1979, 396, 396. OLG Frankfurt NJW 1991, 1489, 1489;
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Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 98; zweifelnd OLG Karlsruhe GRUR 1987, 912, 913. OLG Frankfurt NJW 1991, 1489, 1489; ähnlich OLG Karlsruhe GRUR 1987, 912, 913: Globale Verrechnungsklausel im Widerspruch zum Garantiehonorar, denn sie „liefe wirtschaftlich auf eine Rückzahlung des nicht verrechneten Honorarvorschusses für den bevorschussten Titel hinaus“. OLG Frankfurt NJW 1991, 1489, 1490. Delp Praktikum 38.
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tung. Zudem führt die Kombination eines höheren Ladenpreises mit einer höheren Beteiligungsstaffel zu einem beträchtlich höheren Absatzhonorar pro Stück beim Hardcover, falls ein solches vereinbart ist. Ein „Hardcover zweiter Wahl“ ist die Ausgabe als Paperback: Sie hat einen flexiblen Kartoneinband wie ein Taschenbuch, gleicht im größeren Format aber dem Hardcover.225 Wie beim Hardcover kann der Erstausgabe als Paperback zudem eine Zweitverwertung als Taschenbuch folgen. Auch Presse und Bestsellerlisten behandeln das Paperback idR wie ein Hardcover. Weil die Frage so bedeutsam und das Bestimmungsrecht des Verlegers sehr weitgehend ist,226 empfiehlt sich zur Streitvermeidung eine frühe vertragliche Festlegung, die das einseitige Bestimmungsrecht des Verlegers einschränkt. Die Frage nach der Art der Erstausgabe ist in diesem Stadium der Vertragsverhandlung idR ohnehin bereits geklärt: Stellt der Verlag nur Hardcover oder nur Taschenbücher her, wird von vornherein nur über eine entsprechende Erstausgabe verhandelt. Aber auch ein Verlag, der beides herstellt, trifft die Entscheidung über die Aufnahme des Werks in sein Programm nicht unabhängig von der Entscheidung über die Art der Erstausgabe – zu unterschiedlich sind die beiden Herstellungsarten und Absatzmärkte.227 Vereinbart wird dann, dass das Werk „zunächst“ in einer bestimmten Ausgabe erscheint. Über etwaige Zweitverwertungen entscheidet der Verleger später anhand des bisherigen Markterfolgs. Auch bei Taschenbuchoriginalausgaben ist nicht ausgeschlossen, dass das Werk noch nachträglich als Hardcover erscheint, wenn es besonders erfolgreich war. Diese Ausgabe zielt dann meist auf den Geschenkmarkt. Die verbreitete Formulierung, dass das Werk zunächst in einer bestimmten Ausgabe erscheinen „soll“, ist idR nicht als harte Verpflichtung zu verstehen, bindet aber das Ermessen des Verlegers an sehr enge Grenzen: Sie drückt eine übereinstimmende Planung aus, von welcher der Verleger nur abweichen kann, wenn sich unvorhersehbar wesentliche Umstände ändern, auf denen diese Planung beruht. Zu Form und Ausstattung gehören weiterhin etwa Art des Papiers, Drucktyp, Layout und Umschlaggestaltung. Auch hier lässt die Übung dem Verleger einen breiten Entscheidungsspielraum; vertragliche Vereinbarungen hierzu sind in der Praxis selten.
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5. Fälligkeit der Hauptleistungen a) Leistung des Verfassers (Zeitpunkt der Manuskriptablieferung). Ist der Vertrag 159 über ein fertiges Manuskript geschlossen, hat es der Verfasser nach dem dispositiven § 11 Abs 1 VerlG sofort abzuliefern. Das würde sich auch aus § 271 Abs 1 BGB ergeben. Ist das Werk erst noch zu erstellen, gilt ohne besondere Vereinbarung die Fälligkeits- 160 regel des § 11 Abs 2 VerlG: Die Fälligkeit bestimmt sich dann nach dem Zweck des Werks, subsidiär nach dem Zeitraum, innerhalb dessen der Verfasser das Werk seinen persönlichen, subjektiven 228 Umständen nach herstellen kann. Das ist sehr vage;229 die Fälligkeit der Manuskriptabgabe wird deshalb in der Praxis regelmäßig durch ein eindeutiges Abgabedatum bestimmt. Weniger ratsam, da streitträchtig, ist die Formulierung „in Absprache mit dem Lektorat“.
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Heinold 383. S Rn 209 ff Vgl von Lucius 123 f.
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Schricker § 11 VerlG Rn 7. Vgl hierzu OLG Düsseldorf GRUR 1978, 590, 590 f.
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b) Leistung des Verlegers (Erscheinungstermin). Nach § 15 S 1 VerlG muss der Verleger mit der Vervielfältigung sofort nach Erhalt des vollständigen Manuskripts beginnen. Dies ist so zu verstehen, dass die Verlegerleistung nach § 1 VerlG insgesamt mit Ablieferung des vertragsgemäßen Manuskripts fällig wird, auch wenn das Gesetz über den Erscheinungstermin, also den Beginn der Verbreitung, nichts sagt.230 Dabei hat der Verleger nach dem Gesetz nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, sofort mit der Auswertung des Werks zu beginnen.231 Diese Vorschrift können die Parteien abbedingen,232 indem sie etwa im Vertrag einen 162 Erscheinungstermin festlegen (Frühjahrs- oder Herbstprogramm eines bestimmten Jahres) oder ihn in das Ermessen des Verlegers stellen. Oft wird beides kombiniert, indem ein Erscheinungstermin als „geplant“ genannt, dem Verleger aber ein einseitiges Änderungsrecht eingeräumt wird. Dies berücksichtigt, dass er eine integrierte Programmentscheidung treffen muss. Den Interessen des Verfassers trägt die Rechtsprechung dabei über den verlagsrechtlichen Treuegrundsatz Rechnung, nach dem der Verleger auch innerhalb seines Bestimmungsrechts binnen angemessener Frist mit der Drucklegung beginnen muss und sie nicht auf unbestimmte Zeit hinausschieben darf.233 Allerdings sollten die Parteien Drucklegung und Erscheinen nicht derart vage im Vertrag ansprechen, dass zweifelhaft sein kann, ob der Verleger überhaupt zur Vervielfältigung und Verbreitung verpflichtet sein und somit ein Verlagsvertrag vorliegen soll.234 Schließen die Parteien einen Vertrag über eine Veröffentlichung als „Book on De163 mand“, bei der jedes einzelne Exemplar individuell auf Kundenwunsch gedruckt werden soll, wird die Pflicht zur Vervielfältigung und Verbreitung mit jedem Kundenauftrag fällig. 6. Verramschung, Makulierung
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Erweist sich die Restauflage eines Werks als nicht mehr verkäuflich, so behilft sich die Branche oft mit Verramschung und Makulierung. Unter Verramschung versteht man die Aufhebung des Ladenpreises 235 und den Absatz der Restauflage über einen Grossisten oder speziellen Restebuchhändler. Makulierung bedeutet die Vernichtung der Restauflage. Beides allerdings kann nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung erfolgen, denn es 165 fehlt eine gesetzliche Grundlage: 236 § 21 S 2 VerlG ermöglicht dem Verleger zwar, den Ladenpreis zu ermäßigen, soweit dies nicht berechtigte Interessen des Verfassers verletzt. Eine Verramschung drückt dem Werk aber immer den öffentlichen Stempel der Unverkäuflichkeit auf und wird daher die Interessen des Verfassers stets verletzen.237 Auch für eine Makulierung ist im Gesetz keine Grundlage ersichtlich: Aus §§ 9 und 16 VerlG folgt, dass der Verleger während der Vertragsdauer zumindest alle Exemplare der ersten Auflage lieferbar halten muss; eine Einschränkung bei schwerer Verkäuflichkeit kennen diese Vorschriften nicht. Ohne anders lautende Vereinbarung darf der Verleger daher das Werk nur mit Zustimmung des Verfassers verramschen oder makulieren. 230 231 232 233 234
Junker GRUR 1988, 793, 794. Zur ausnahmsweise unzulässigen Verbreitung zur Unzeit Schricker § 15 VerlG Rn 10. LG Stuttgart GRUR 1951, 524, 524. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331; LG Stuttgart GRUR 1951, 524, 524. Vgl hierzu OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331.
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235 236
237
S hierzu auch Rn 344. Ebenso Schack Rn 1029; Goltz 101, 102; aA nach Treu und Glauben und Verkehrssitte: Rehbinder Rn 702; offenbar auch Schricker § 21 VerlG Rn 12. So auch Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 82; Schulze 235.
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§2
Verlagsvertrag
Weil dies an den Bedürfnissen der Praxis vorbei geht, ist eine vertragliche Regelung 166 üblich und empfehlenswert. Sie sieht idR vor, dass der Verleger die Restauflage verramschen darf, wenn der Verkauf stark nachlässt. Ein Recht zur Makulierung wird ihm üblicherweise eingeräumt, wenn sich auch ein Absatz zum Ramschpreis als nicht durchführbar erweist. Dem Verfasser wird das Recht eingeräumt, die Restauflage zum Ramschpreis oder – bei Makulierung – kostenlos zu übernehmen. Zur Streitvermeidung sollten die Voraussetzungen für das Recht auf Verramschung 167 mit klaren Angaben zu Absatzschwelle und Messungszeitraum geregelt werden. Sinnvoll ist eine Formulierung, nach welcher „der Absatz des Werks in zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren jeweils unter … Exemplaren gelegen hat“. Auch kann eine „Schonfrist“ nach Erscheinen vereinbart werden, innerhalb derer eine Verramschung keinesfalls erfolgen darf. Hier ist zu berücksichtigen, dass § 8 Abs 1 BuchPrG eine Aufhebung des Ladenpreises ohnehin frühestens 18 Monate nach Erscheinen zulässt.238 Soll hinsichtlich der verramschten Exemplare eine andere Honorierung als die sonst 168 vereinbarte gelten, so muss dies ebenfalls ausdrücklich geregelt werden. Möglich ist hier etwa ein besonderer Prozentsatz beim Absatzhonorar oder ein Systemwechsel vom Absatzhonorar zur Reingewinnbeteiligung: In diesem Fall schuldet der Verleger dem Verfasser kein Honorar, wenn der erzielte Ramschpreis unter den Herstellungskosten liegt. Das ist für den Verfasser allerdings schwer kontrollierbar. 7. Besondere Bindungen des Verfassers Der Verleger möchte den Verfasser, in den er einmal investiert hat, idR möglichst 169 auch über den konkreten Verlagsvertrag hinaus an sich binden. Hierzu bietet die Vertragsgestaltung in erster Linie zwei Möglichkeiten: a) Wettbewerbsklausel. Eine Wettbewerbsklausel kann die Tätigkeit des Verfassers 170 für andere Verlage einschränken.239 Sie untersagt es dem Verfasser idR, an einem Werk zum gleichen Gegenstand für einen anderen Verlag mitzuwirken, das dem vertragsgegenständlichen Werk Konkurrenz machen kann. Solche Klauseln sind grds zulässig, unterliegen aber Beschränkungen: Eine jüngere 171 Entscheidung des OLG München erklärte eine vom Verleger in allgemeinen Geschäftsbedingungen gestellte Klausel gem § 307 Abs 1 S 1 BGB für unwirksam, die dem Verfasser ein Wettbewerbsverbot für die gesamte Vertragslaufzeit auferlegte.240 Das Gericht sah die Freiheit des geistigen Schaffens des Verfassers durch ein solches Wettbewerbsverbot unzulässig eingeschränkt. Der sich aufdrängende Gegenschluss, einer unbefristeten Wettbewerbsabrede stehe 172 damit nichts im Wege, wenn sie nur individuell ausgehandelt ist, dürfte aber voreilig sein: Auch außerhalb des AGB-Rechts darf eine Wettbewerbsabrede nicht zu einer sittenwidrigen Knebelung führen.241 Eine solche dürfte aber regelmäßig anzunehmen sein, wenn der Verfasser sich einem umfassenden Wettbewerbsverbot für die gesamte Vertragsdauer unterwirft. Es kommt dann eine Nichtigkeit nach § 138 Abs 1 BGB in Betracht. Das OLG Hamburg hat noch einen anderen Ansatz gewählt und eine solche Knebelung durch
238 239
S Rn 344. Näher hierzu Gottschalk ZUM 2005, 359 ff; speziell zum Konkurrenzverbot bei wissenschaftlichen Werken Straus 291, 325 ff.
240 241
OLG München OLGR 2007, 737, 738. Schricker § 2 VerlG Rn 7; Schramm UFITA Bd 64 (1972), 19, 26.
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eine enge Begrenzung des Wettbewerbsverhältnisses in dem Sinne verhindert, dass beide Werke aus Endkundensicht austauschbar sein, also dieselbe Zielgruppe haben müssen.242 Anzuerkennen ist bei alledem aber jedenfalls ein Interesse des Verlegers an einem 173 gewissen zeitlichen Vorlauf.243 Auf welche Zeit ein Wettbewerbsverbot befristet sein muss, um zulässig zu sein, dürfte sich dabei in erster Linie nach Genre und Herstellungskosten richten. So wird bei einem eher zeitlosen, umfangreichen Ratgeber oder Nachschlagewerk ein längerer Zeitraum als „Schonfrist“ gerechtfertigt sein als bei einem broschierten Sachbuch zu einem aktuellen Thema.
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b) Option auf weitere Werke. Eine positive Bindung des Verfassers erreicht der Verleger durch eine Optionsklausel, die den Verfasser dazu verpflichtet, bestimmte künftige Werke zuerst ihm anzubieten (Optionsvertrag im weiteren Sinn). Legen die Parteien schon im Voraus die Bedingungen fest, zu denen der Hauptvertrag im Optionsfall zustande kommt – meist sind dies die Bedingungen des aktuellen Verlagsvertrags –, so spricht man von einem Optionsvertrag im engeren Sinn.244 Eine solche Optionsklausel ist grds zulässig,245 doch unterliegt auch sie Beschränkungen: Der BGH hat entschieden, dass sie jedenfalls dann nach § 138 Abs 1 BGB nichtig ist, wenn sie – kumulativ – ohne zeitliche oder gegenständliche Begrenzung für das gesamte künftige Schaffen des Verfassers gelten soll und der Verfasser für das Optionsrecht keine angemessene Gegenleistung erhält.246 Heute ist der Optionsvertrag gem § 40 Abs 1 S 2 UrhG in jedem Fall nach fünf Jahren kündbar,247 so dass eine lebenslange Bindung ohnehin nicht mehr eintreten kann. Gleichwohl dürfte die BGH-Rechtsprechung noch aktuell sein: 248 Auf dem heute sehr schnelllebigen Buchmarkt sind auch fünf Jahre für den Verfasser eine lange Zeitspanne, die seine Weiterentwicklung erheblich behindern kann, wenn er an einen Verleger gebunden ist. Entscheidend ist also, dass die Optionsabrede entweder eine ausdrückliche Gegenleistung enthält oder aber zeitlich oder gegenständlich beschränkt ist. Die Gegenleistung kann in Geld – nicht allerdings im Vorschuss für das aktuelle Werk – bestehen, aber auch in einem besonders hohen Verlegerrisiko,249 zB wenn der Verleger den Verfasser auf dem Markt einführt.250 Denkbar sind auch ganz besonders aufwändige Werbemaßnahmen, die nicht nur das Werk, sondern in erster Linie die Person des Verfassers bekannt machen. Gibt es eine solche Gegenleistung, sollte sie in der Optionsabrede konkret benannt werden. Eine gegenständliche Beschränkung ist erreicht, wenn der Verfasser nur sein „nächstes Werk“ 251 oder – sinnvoller – sein „nächstes Werk aus demselben Genre“ dem Verleger anbieten muss. Zu einer unzulässigen Bindung kann allerdings eine „Kettenoption“ führen, wenn die Optionsklausel sich für den Folgevertrag immer wieder selbst erneuert.252
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OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 95, 96; zur Wettbewerbsklausel beim Lizenzvertrag s auch KG GRUR 1984, 526, 527. Vgl auch Wündisch 74 f unter Hinweis auf die Handelsvertreterentscheidung BVerfGE 81, 242, 261 ff. BGH GRUR 1957, 387, 388; Wandtke/ Bullinger/Wandtke § 40 UrhG Rn 7. BGH GRUR 1953, 497, 498; BGH GRUR 1957, 387, 388.
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BGH GRUR 1957, 387, 390. Wandtke/Bullinger/Wandtke § 40 UrhG Rn 6. Vgl KG NJWE-WettbR 1998, 269, 270. BGH GRUR 1957, 387, 390. Delp Verlagsvertrag 39, 67. Zur Frage, welches Werk das „nächste“ ist, s BGH GRUR 1953, 497, 498. KG NJWE-WettbR 1998, 269, 270.
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§2
Verlagsvertrag
In Formularverträgen dürfte eine Optionsklausel regelmäßig überraschend iSd § 305c 179 Abs 1 BGB sein.
VIII. Vertragsdurchführung 1. Von der Manuskriptablieferung bis zur Druckreife a) Ablieferung des vertragsgemäßen Werks. Der Verfasser muss das Werk in formell und inhaltlich vertragsgemäßer Weise abliefern. Was dies bedeutet, folgt in erster Linie aus der Vereinbarung.253 Auch wenn Exposé, Gliederung oder Textproben nicht ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht wurden, so können sie herangezogen werden, um die Anforderungen an das Manuskript näher zu bestimmen.254 Voraussetzung ist natürlich, dass die Parteien irgendwie Einigkeit über diese Vorgaben erzielt haben, entweder weil sie Vertragsgrundlagen waren oder weil sich die Parteien durch spätere Korrespondenz auf sie geeinigt haben. Übertragbar sind hier die Anforderungen an die „nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung“ aus dem Kaufrecht (§ 434 Abs 1 S 2 Nr 1 BGB), die nach zutreffendem Verständnis im Bereich der gemeinsam zugrunde gelegten Vorstellungen, aber noch unterhalb der vertraglichen Vereinbarung liegen.255 Formell bestimmt § 10 VerlG – soweit nichts vertraglich vereinbart ist –, dass der Verfasser das Werk in einem für die Vervielfältigung geeigneten Zustand abzuliefern hat. Dies meint ein druckreifes Manuskript, also eines, das vollständig ist und sich in einer satzfähigen Form befindet.256 Nach der Verkehrssitte dürfte heute nur ein maschinengeschriebenes, nicht mehr ein handgeschriebenes Manuskript dieser Anforderungen entsprechen. Hinsichtlich des Umfangs ist sowohl eine Unter- als auch eine Überschreitung vertragswidrig, weil beides die Kalkulation des Verlegers beeinträchtigt.257 Inhaltlich liegen, soweit eine nähere Vereinbarung fehlt, der innere Aufbau und die Darstellungsweise des Werks grds im Ermessen des Verfassers.258 Die Rechtsprechung hat mehrfach betont, dass dem Rügerecht des Verlegers in diesem Fall enge Grenzen gezogen sind: So soll er Qualitätsmängel allgemein nicht rügen können,259 etwa die vom Verfasser „aufgestellten Thesen seien nicht ausreichend belegt, die Fundstellenangaben teilweise fehlerhaft oder nicht einschlägig“.260 Dieses Ermessen des Verfassers findet dort seine Grenze, wo es „offensichtlich fehlsam, das Interesse des Verlegers völlig aus den Augen setzend oder gar eigensüchtig“ ist.261 Das Werk ist dann nicht „ausgabefähig“.262 Nicht zu dulden braucht der Verleger jedenfalls „unzweifelhaft falsche Angaben“ in einem Sachbuch, sog „echte Fehler“,263 wozu – unabhängig vom Genre – auch sprachliche Fehler gehören.
253 254
255 256
OLG München ZUM 2007, 863, 864 f; s Rn 96 ff. RG GRUR 1937, 485, 488; zu Abweichungen von vorläufiger Gliederung OLG München ZUM 2007, 863, 864 ff. Prütting/Wegen/Weinreich/D Schmidt § 434 BGB Rn 46; Kitz 76. BGH GRUR 1960, 642, 643; Wegner/ Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 60.
257 258 259 260 261 262 263
RG GRUR 1937, 485, 487 f. RG GRUR 1937, 485, 488. BGH GRUR 1960, 642, 644 mwN. So in OLG München ZUM 2007, 863, 865 f. RG GRUR 1937, 485, 488. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331; näher Reimer GRUR 1960, 645, 646. BGH GRUR 1960, 642, 644.
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Allerdings unterscheidet der BGH hier zwischen Vertragsgemäßheit und Satzreife: Die Satzreife des Manuskripts ist nur dann beeinträchtigt, wenn solche Fehler in unvertretbarem Ausmaß vorhanden sind.264 Im Übrigen muss der Verleger das Manuskript mit gewissen Fehlern erst einmal annehmen und setzen; der Verfasser muss dann im späteren Korrekturverfahren sein Werk vertragsgemäß machen. Offen gelassen hat der BGH, „ob schon die durch den Inhalt des Werks begründete Gefahr straf- oder zivilrechtlicher Sanktionen die vertragsgemäße Beschaffenheit des Werks in Frage stellen kann“.265 Das Reichsgericht hatte dies bejaht.266 Isoliert hilft diese Frage jedoch ohnehin nicht weiter: Jeder öffentlichen Äußerung und somit auch jedem verlegten Werk ist immer ein gewisses Prozessrisiko immanent. Wollte man mit dieser Kategorie arbeiten, so müsste man Kriterien für ein erlaubtes Risiko definieren und jedes Manuskript vor diesem Hintergrund einer Risikoanalyse unterziehen. Das ist nicht praktikabel. Entscheidend kann daher allein sein, ob das Werk in Inhalt und Form der vertraglichen Vereinbarung entspricht.267 Ist das der Fall, so ist es unabhängig davon vertragsgemäß, welchen Grad an Prozessrisiko es in sich birgt. Es kann sogar sein, dass die Vertragsgemäßheit gerade eine gewisse „Brisanz“ des Werks fordert.268 Eine Auslegung der vertraglichen Vereinbarung wird allerdings regelmäßig ergeben, dass das Werk zumindest keine offensichtlichen Rechtsverletzungen enthalten darf: Wegen rechtlicher Unmöglichkeit müsste der Verleger nach § 275 Abs 1 BGB das Werk nicht verlegen; er kann nicht dazu gezwungen werden, selbst eine Rechtsverletzung zu begehen.269 Bei der Vertragsauslegung ist aber davon auszugehen, dass die Parteien im Zweifelsfall erfüllbare Leistungspflichten vereinbaren wollten. Wurde der Vertrag über ein fertiges Werk geschlossen, so ist die zugrunde gelegte Werkfassung, wenn nichts anderes vereinbart wurde, grds die vertraglich geschuldete. Prüft der Verleger das Werk nicht bei Vertragsschluss, und behält er sich etwaige Rügen auch nicht ausdrücklich vor, so kann er sich später nicht mehr darauf berufen, die Leistung des Verfassers sei nicht vertragsgemäß.270 Der Verfasser behält das Eigentum an seinem Manuskript; jedoch schränkt § 27 VerlG seinen Rückgabeanspruch ein.271 Möchte er sein Manuskript nach Abschluss der Vervielfältigung zurückerhalten, so muss er sich dies bis zum Beginn der Vervielfältigung gegenüber dem Verleger vorbehalten. Dies kann vor allem wichtig sein, wenn zum Manuskript Originalbildvorlagen gehören. Es empfiehlt sich, dass der Verfasser einen solchen Rückgabevorbehalt nach § 27 VerlG vor Abgabe auf dem Manuskript selbst vermerkt.
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b) Einräumung der vereinbarten Rechte. Der Verfasser muss dem Verleger an dem abgelieferten Manuskript die vereinbarten 272 Rechte einräumen. Im seltenen Fall, dass der Vertrag keine Ausführungen dazu enthält, gelten §§ 1, 8 VerlG: Der Verfasser muss dem Verleger das Verlagsrecht in dem oben 273 beschriebenen Umfang einräumen. Die Rechtseinräumung ist von der Verpflichtung zur Rechtseinräumung zu trennen.274 191 Sie setzt zunächst eine Einigung nach den Regeln des allgemeinen Urhebervertrags-
264 265 266 267 268 269
BGH GRUR 1960, 642, 644 f. BGH GRUR 1979, 396, 397. RGZ 84, 294, 295. S Rn 96 ff. Vgl BGH GRUR 1979, 396, 397 f. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331 f.
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270 271 272 273 274
OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331. S Rn 238 f. S Rn 109 ff. S Rn 113. Zum Trennungsprinzip Schricker § 9 VerlG Rn 3.
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rechts 275 voraus. Regelmäßig vereinbaren die Parteien bereits im Verlagsvertrag statt der Verpflichtung zur Rechtseinräumung bereits die Rechtseinräumung selbst. § 9 Abs 1 VerlG schafft als zusätzliche Voraussetzung die Ablieferung des Werks an 192 den Verleger, so dass die Verschaffung des Verlagsrechts ein zweiaktiger Tatbestand ist. Besagt der Vertrag – wie üblich – nichts Abweichendes über das Entstehen des Verlagsrechts, so ist diese zusätzliche Voraussetzung nicht abbedungen. Rechtspolitischer Grund für die Regelung ist, dass der Verleger das Werk ohnehin erst dann nutzen kann, wenn er es in Händen hält. Das Verlagsrecht muss zwar ausdrücklich eingeräumt werden, ist in Entstehen und 193 Bestand aber an Wirksamkeit und Fortbestand des Verlagsvertrags geknüpft (vgl § 9 Abs 1 VerlG); das Abstraktionsprinzip gilt hier nicht.276 c) Modifikationen an Manuskript und Satz. Nach Ablieferung kann der Verfasser 194 Änderungen am Manuskript nur nach Maßgabe von § 12 VerlG vornehmen. Das Gesetz unterscheidet solche Änderungen von dem, was es Korrekturen nennt (§ 20 VerlG). Die Korrekturen beziehen sich nur auf Abweichungen des Satzes vom Manuskript, meinen also lediglich die Berichtigung von Satzfehlern.277 Hingegen sind alle Modifikationen am Manuskript selbst Änderungen iSd Gesetzes, auch wenn es sich dabei zB um die Berichtigung sachlicher oder orthografischer Fehler handelt. aa) Änderungen. Der Verfasser ist zu Änderungen nach Manuskriptablieferung ver- 195 pflichtet, soweit diese Änderungen notwendig sind, um das Werk in einen vertragsgemäßen Zustand zu bringen.278 Das gilt jedenfalls, so lange der Verleger nicht sein Rügerecht entsprechend § 640 Abs 2 BGB durch vorbehaltlose Annahme verloren hat. War das Manuskript bei Ablieferung vertragsgemäß, so muss es der Verfasser aber nicht aktualisieren, wenn es durch längere Untätigkeit des Verlegers seine Aktualität verloren hat.279 Der Verleger muss das Manuskript dann in der abgelieferten Form veröffentlichen. Zu sonstigen Änderungen nach Manuskriptablieferung ist der Verfasser nach Maß- 196 gabe von § 12 VerlG berechtigt. Auch wenn § 12 VerlG Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts ist, so ist er gleichwohl abdingbar. Das – im Voraus unverzichtbare – Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG schützt den Urheber vor Härtefällen. Diese Vorschrift stellt den Urheber bewusst vor eine „Alles-oder-nichts“Entscheidung, die sein Persönlichkeitsrecht nach Ansicht des Gesetzgebers ausreichend schützt, so dass sich ein zwingender Charakter darüber hinaus auch von § 12 VerlG nur schwer begründen ließe.280 Es steht dem Verleger aber selbstverständlich auch bei abbedungenem § 12 VerlG frei, einem drohenden Rückruf nach § 42 UrhG dadurch zuvorzukommen, dass er sich auf bestimmte Änderungen am Werk einlässt. Zwischen Manuskriptablieferung und Beginn der Vervielfältigung muss der Verleger 197 Änderungen des Verfassers auf eigene Kosten ausführen. Die Vervielfältigung beginnt mit der Erstellung des Drucksatzes. Ab diesem Zeitpunkt kann der Verfasser zwar immer noch verlangen, dass seine Änderungen umgesetzt werden; er muss die Kosten hierfür jedoch selbst tragen, soweit seine Änderungen das übliche Maß übersteigen. 275 276 277 278
S Teil 2 Kap 1 Rn 187 ff. Schricker § 9 VerlG Rn 3. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 332; Schricker § 12 VerlG Rn 7. Zur Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen Satzreife und Vertragsgemäßheit s Rn 185.
279 280
OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 332. AA Schricker § 12 VerlG Rn 4: Im Anwendungsbereich des § 42 UrhG soll der Verfasser als „glimpflichere“ Lösung alternativ ein zwingendes Änderungsrecht nach § 12 VerlG haben.
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Als übliches Maß hat sich dabei in der Praxis eine Grenze bei 10 % der Satzkosten des Gesamtwerks herausgebildet.281 Nach dem entsprechend heranzuziehenden Rechtsgedanken aus § 42 Abs 3 S 4 UrhG muss der Verleger den Verfasser vor Ausführungen der gewünschten Änderungen darüber informieren, dass diese Schwelle überschritten ist und welche Kosten der Verfasser bei Umsetzung der Änderungen zu tragen hätte. Ausnahmsweise muss der Verfasser auch Kosten für das übliche Maß übersteigende Änderungen nicht tragen, soweit diese Änderungen das Werk inzwischen, also nach Ablieferung des Manuskripts, eingetretenen Umständen anpasst. Gemeint sind äußere Umstände, nicht ein Sinneswandel oder neue Erkenntnis durch verspätete Recherchen des Verfassers. Weil diese Umstände auch für den Verfasser selbst unvorhergesehen kommen, kann seinem Anspruch ein widersprüchliches Verhalten selbst dann nicht entgegengehalten werden, wenn er den Drucksatz auf einem Korrekturabzug bereits als druckreif genehmigt hatte. Besonders relevant ist diese Bestimmung wegen der oft verstrichenen Zeit bei Neuauflagen; hier muss der Verleger nach § 12 Abs 1 S 2 VerlG etwaige Änderungswünsche beim Verfasser sogar ausdrücklich abfragen. Ist die Vervielfältigung schließlich beendet, so hat der Verfasser keinen Anspruch 199 mehr auf Umsetzung seiner Änderungen. Das ist erst dann der Fall, wenn der Druckvorgang abgeschlossen, das Werk tatsächlich fertig gedruckt ist.282 Die inhaltliche Grenze des Änderungsrechts bildet zum einen die vertragsgemäße Be200 schaffenheit des Werks: Der Verfasser kann keine Änderungswünsche geltend machen, die ein vertragsgemäß abgeliefertes Manuskript vertragswidrig machen würden. Zum anderen dürfen die Änderungen die berechtigten Interessen des Verlegers nicht verletzen. Eine solche Interessenverletzung liegt jedenfalls dann vor, wenn das Werk durch die Änderungen seine „Ausgabefähigkeit“ verlöre.283 Die Änderungen müssen sich also innerhalb des Ermessensspielraums des Verfassers bewegen, den er auch bei der Manuskripterstellung gehabt hätte.
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bb) Korrekturen. Die Korrekturen im Sinne des VerlG, also die Berichtigung der Satzfehler, muss nach § 20 VerlG allein der Verleger vornehmen und auf eigene Kosten umsetzen. Das wäre auch ohne ausdrückliche Regelung selbstverständlich, denn der korrekte Satz ist von der Pflicht zur Vervielfältigung umfasst. Der Verfasser ist hierzu nur verpflichtet, wenn der Verleger – was allerdings gängiger Praxis entspricht – diese Pflicht im Vertrag auf ihn abgewälzt hat.284 Nach § 39 Abs 1 UrhG darf der Verleger keine Änderungen an dem Manuskript selbst vornehmen. Damit der Verfasser prüfen kann, ob der Verleger seiner Pflicht zum korrekten Satz 202 nachkommt, muss ihm der Verleger nach § 20 Abs 1 S 2 VerlG rechtzeitig einen Korrekturabzug vorlegen. Rechtzeitig bedeutet sofort nach Fertigstellung.285 Schweigt der Verfasser, gilt gem § 20 Abs 2 VerlG seine Genehmigung nach Ablauf einer angemessenen Frist als erteilt; er hat dann auf sein Rügerecht bzgl etwa noch enthaltener Fehler verzichtet. Für die Dauer der angemessenen Frist kann der Rechtsgedanke aus § 11 Abs 2 VerlG 203 herangezogen werden: Dieser stellt den Zweck des Werks über die subjektiven Umstände beim Verfasser. Übertragen auf § 20 Abs 2 VerlG bedeutet dies, dass die Frist sich nach der Zeit richtet, die noch verbleibt, um die Korrekturen umzusetzen und das Werk zum vorgesehenen Termin erscheinen zu lassen. Diese Frist kann sehr kurz sein, und sie ist es
281 282
Schricker § 12 VerlG Rn 17; Schulze 229; vgl auch § 8 Abs 2 des Normvertrags. AA Schricker § 12 VerlG Rn 6: wenn „der Drucksatz fertig vorliegt“.
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283 284 285
S Rn 184. Zur Haftungsverteilung bei Druckfehlern in diesem Fall s Rn 189. Schricker § 20 VerlG Rn 2.
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Verlagsvertrag
in der Praxis auch regelmäßig. Hat sie sich allerdings durch schuldhafte Verzögerungen des Verlegers im bisherigen Herstellungsprozess verkürzt, so ist dem Verfasser die Zeit zuzugeben, die ihm auch bei Einhaltung des Zeitplans zugestanden hätte. Nur wenn ein Erscheinungstermin noch nicht feststeht, können die in § 11 Abs 2 S 2 VerlG beschriebenen subjektiven Umstände beim Verfasser herangezogen werden.286 Die angemessene Frist läuft auch, wenn der Verleger sie nicht oder zu kurz bestimmt. Setzt er dem Verfasser hingegen eine unangemessen lange Frist, muss er sich hieran auch festhalten lassen. Bei sehr vielen Änderungen oder Korrekturen hat der Verfasser analog § 20 Abs 1 S 2 204 VerlG, der nur von „einem“ Abzug spricht, Anspruch auf Vorlage eines weiteren Korrekturabzugs, des sog Revisionsabzugs. Ein Anspruch auf Vorlage eines weiteren (zweiten) Revisionsabzugs kann sich nur ganz ausnahmsweise daraus ergeben, dass der Verleger bisherige Korrekturen und Änderungen derart unzuverlässig umgesetzt hat, dass der Verfasser auf eine korrekte Umsetzung der neuerlichen Korrekturen nicht vertrauen kann. 2. Verwertung des Werks durch den Verleger a) Ausübung des Verlagsrechts (Auswertungspflicht). Soweit dem Verleger das Verlagsrecht eingeräumt ist,287 ist er zu dessen Ausübung nicht nur berechtigt, sondern dem Verfasser gegenüber auch verpflichtet. Das folgt aus § 1 S 2 VerlG. Quantitativ und qualitativ wird die Auswertungspflicht in erster Linie durch die vertragliche Vereinbarung konkretisiert,288 also durch eine etwa vereinbarte Auflagenhöhe,289 einen Erscheinungstermin 290 oder eine bestimmte Art der Erstausgabe.291 Soweit nichts vereinbart ist,292 gelten die dispositiven §§ 14–17 VerlG: Nach § 14 VerlG müssen Vervielfältigung und Verbreitung in einer zweckentsprechenden und üblichen Weise erfolgen. „Weise“ meint alle qualitativen Fragen der Herstellung und Verbreitung, also alles außer dem Erscheinungstermin (hierzu § 15 VerlG) und der Anzahl der herzustellenden Exemplare (hierzu §§ 16 f, 5 VerlG). Nicht gemeint sind inhaltliche Fragen des Werks, sein Titel und der Inhalt der Urheberbezeichnung; all dies liegt nach § 39 UrhG im Ermessen des Verfassers. Der Verleger darf das Werk zB nicht eigenmächtig mit Illustrationen versehen.293 Allerdings ist § 39 Abs 1 UrhG dispositiv. IdR sieht der Vertrag vor, dass der Verleger den endgültigen Titel des Werks bestimmt, wobei er die Interessen des Verfassers, insbesondere dessen Persönlichkeitsrechte, zu berücksichtigen hat. Eine Ausnahme gilt nach § 39 Abs 2 UrhG zudem dann, wenn Treu und Glauben dies erfordern. Dies berücksichtigt, dass die Wahl des Titels auch für den Geschäftserfolg des Verlegers von herausragender Bedeutung sein kann.
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aa) Art und Weise der Vervielfältigung. Hinsichtlich der Vervielfältigung betrifft die 209 „Weise“ etwa Art der Ausgabe, Druckbild, Papier, Format, Umschlaggestaltung. Für die Wahl der „Form und Ausstattung“ statuiert § 14 S 2 VerlG scheinbar eine Sonderregel: Der Verleger soll sie bestimmen und hat dabei die im Verlagshandel herrschende Übung mit Rücksicht auf Zweck und Inhalt des Werks zu beachten. Diese Einschränkungen sind
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AA Schricker § 20 VerlG Rn 7. S Rn 109 ff. BGH GRUR 1988, 303, 305. S Rn 127 ff. S Rn 162.
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293
S Rn 153 ff. Zum Vorrang der Vereinbarung auch hinsichtlich der geschuldeten Form der Vervielfältigung BGH GRUR 1988, 303, 305. Schricker § 14 VerlG Rn 5.
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2. Teil
aber redundant; sie fügen dem Standard des Zweckentsprechenden und Üblichen, innerhalb dessen sich der Verleger grds bewegen darf, keine Substanz hinzu.294 Was üblich und zweckentsprechend ist, lässt sich durch einen Vergleich mit anderen Werken desselben Genres und mit derselben Zielgruppe ermitteln. Ist – wie etwa beim Dissertationsdruck – der Zweck in erster Linie die formelle Veröffentlichung und weniger die Erschließung des Massenmarkts, so können die Anforderungen an das Druckbild geringer sein als beim Publikumsverlag. Bei einem Geschenkbuch hingegen liegen die Anforderungen des Markts an die Ausstattung wesentlich höher, es muss äußerlich attraktiv wirken. Üblich ist auch verlagseigene Werbung im Anhang des Werks.295 Eingeschränkt wird das Ermessen des Verlegers durch die Pflicht zur Urheberbenennung nach § 13 S 2 UrhG; die Art und Weise (nicht der Inhalt der Urheberbenennung, vgl § 39 Abs 1 UrhG) der Urheberangabe richtet sich indes wieder nach dem Üblichen. Ohne entsprechende Vereinbarung kommt der Verleger seiner Auswertungspflicht nicht nach, wenn er das Buch nur im Book-on-Demand-Verfahren herausbringt,296 denn das ist nicht üblich. Überschreitet der Verleger seinen Ermessensspielraum, kann der Verfasser auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung klagen.297 Dieses Recht kann er aber verwirken, wenn er gegenüber dem Verleger durch objektives Verhalten den Eindruck erweckt, er sei mit der Vorgehensweise einverstanden und der Verleger daraufhin weiter Geld in diese Vorgehensweise investiert. Das kann zB dann der Fall sein, wenn der Verfasser einen bestimmten Satz auf einem Korrekturabzug akzeptiert oder sich mit einer Vorankündigung des Verlags einverstanden erklärt, aus der sich bestimmte Ausstattungsmerkmale klar ergeben. Stets kommt es darauf an, ob der Verfasser schuldhaft einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und eine spätere Rüge sich als widersprüchliches Verhalten darstellen würde.
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bb) Art und Weise der Verbreitung. Die Pflicht zur Verbreitung bedeutet, dass der Verleger körperliche Werkexemplare so in den Verkehr bringen muss, dass sie im Sortimentseinzelhandel erhältlich sind. Auf welchem Weg er dieses Ziel erreicht (Direktbelieferung, Belieferung über Zwischenhändler oder Kommissionäre), ist dem Verleger überlassen. Zum Sortimentseinzelhandel gehört auch der Internetbuchhandel. Der Verleger muss dafür sorgen, dass das Werk rechtzeitig und mit korrekten Angaben im Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB) aufgenommen wird. Denn dieses Verzeichnis genießt traditionell den Ruf der Vollständigkeit; ein hier nicht verzeichneter Titel gilt im Sortimentseinzelhandel idR als nicht lieferbar.
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cc) Auflagenzahl und -höhe. Die Zahl der herzustellenden und zu verbreitenden Exemplare richtet sich bei fehlender Vereinbarung nach §§ 16, 17, 5 VerlG.298 Danach muss der Verleger auch dann grds nur eine Auflage in Höhe von 1000 Exemplaren veranstalten, wenn er das Verlagsrecht für mehrere Auflagen eingeräumt bekommen hat. Aus der Höhe eines vereinbarten Honorarvorschusses lässt sich nicht auf die nach dem Vertrag oder Gesetz geschuldete Auflagenhöhe schließen.299
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dd) Festsetzung und Änderung des Ladenpreises. Nach § 21 VerlG setzt der Verleger den Ladenpreis fest, wenn im Vertrag nichts anderes bestimmt ist. Hierzu ist er auch 294 295
AA Schricker § 14 VerlG Rn 4: Entscheidungsspielraum bei S 2 weiter als bei S 1. Schricker § 14 VerlG Rn 6; weiter gehend Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 73: auch Werbung für Fremdprodukte.
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296 297 298 299
Haupt/Kruse Kap 6 Rn 6 f. S Rn 284. S Rn 123, 127 ff. LG Stuttgart GRUR 1951, 524, 524.
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§2
Verlagsvertrag
nach § 5 Abs 1 BuchPrG verpflichtet.300 Die Bestimmung beruht allein auf der Kalkulation des Verlegers;301 anders als bei § 14 VerlG ist sein Ermessen hier nicht durch Fragen der Üblichkeit oder Zweckdienlichkeit eingeschränkt.302 Hat der Verleger den Ladenpreis aber einmal bestimmt, so kann er ihn nur unter 217 engen Voraussetzungen ändern. „Bestimmt“ iSv § 21 VerlG ist der Ladenpreis, wenn er gem § 5 Abs 1 BuchPrG veröffentlicht ist.303 Nach diesem Zeitpunkt bedarf eine Erhöhung des Ladenpreises gem § 21 S 3 VerlG stets der Zustimmung des Verfassers, eine Ermäßigung nur dann, wenn sie berechtigte Interessen des Verfassers verletzt. Ist eine solche Ermäßigung nicht wegen eines nachlassenden Absatzes des Werks angezeigt, verletzt sie idR die Interessen des Verfassers.304 Eine Aufhebung des Ladenpreises (Verramschung) bedarf, wenn Vereinbarungen hierüber fehlen, auch dann der Zustimmung des Verfassers, wenn das Werk sich nur noch schleppend oder nicht mehr verkauft.305 ee) Werbung. Die Pflicht, das Werk angemessen zu bewerben, ist Teil der Verbreitungspflicht.306 Sie besteht daher auch dann, wenn sie im Vertrag nicht ausdrücklich erwähnt ist. Über Inhalt und Umfang gibt es immer wieder Streit, wenn der Erfolg des Werks hinter den Erwartungen zurückbleibt.307 Ein Misserfolg des Werks lässt allerdings nicht automatisch den Schluss darauf zu, dass der Verlag seine Werbepflicht verletzt hat.308 Das auch hier geltende Maß des Üblichen beschränkt sich auf einige Standardmaßnahmen: Weil der Endkunde nur über idR sehr teure Massenwerbekanäle zu erreichen ist, die Streuverluste dort aber hoch sind, setzen Publikumsverlage auf die Bewerbung des Handels, um dort einen „Push“ zu erzeugen.309 Üblich ist eine Ankündigung in der Programmvorschau des Verlags, die dem Handel und der Presse zweimal im Jahr (im Mai und Dezember) die Neuerscheinungen der Saison vorstellt. Betreibt der Verlag aber Endkundenwerbung in Form von Gesamtkatalogen, so muss er das Werk auch hierin aufnehmen. Gleiches gilt für einen Onlinekatalog auf der Website des Verlags. Auch muss der Verlag das Werk seinen Vertretern auf den üblicherweise halbjährlich (im April und November) stattfindenden Vertreterkonferenzen angemessen vorstellen. Schließlich muss sich der Verlag um Rezensionen des Werks in der Presse bemühen und hierzu Rezensionsexemplare versenden.310 Neben der Vorschau, die sich auch an Journalisten richtet, ist er aber idR nicht zu weiteren Informationsaussendungen an die Presse verpflichtet. Alles, was darüber hinausgeht, zielt auf eine exponierte Positionierung eines bestimmten Titels innerhalb des Programms ab und ist nicht mehr üblich. Den Werbemöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt; sie reichen von Flugblättern, Plakaten, Aufstellern, Teilnahme an besonderen Suchsystemen der Onlinehändler 311 bis hin zu Fernsehspots. Ohne anders lautende Vereinbarung 312 liegt die Entscheidung über solche besonderen 300 301 302 303
304 305 306
S Rn 343. Zur Kalkulation von Lucius 129 f. AA offenbar Schricker § 21 VerlG Rn 4 („zweckentsprechender Preis“). S Rn 349; eine Preisankündigung in der Vorschau ist hingegen unverbindlich, Schricker § 21 VerlG Rn 4. OLG München ZUM 2001, 889, 893. S Rn 165. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 77; Schulze 233.
307 308 309 310 311
312
Vgl Junker GRUR 1988, 793, 794. OLG Celle GRUR 1964, 333, 333. Heinold 130. Delp Verlagsvertrag 61. Zur Üblichkeit der Teilnahme an digitalisierter Volltextsuche Heckmann AfP 2007, 314, 318. In der Praxis gibt ein Verlag oft nur eine mündliche Zusicherung über besondere Werbemaßnahmen, s Horz 53 Fn 129.
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218
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220
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
Werbeformen auch dann im Ermessen des Verlegers, wenn ein Absatzhonorar vereinbart ist.313 Die Pflicht zur Förderung eines Werks lässt zudem idR nach, je länger das Erschei222 nungsdatum zurückliegt. Der Geschmack des Publikums ändert sich schnell, und bei der Masse der jährlichen Neuerscheinungen wird die „Lebensdauer“ eines Titels immer kürzer. Der Verleger muss sich daher nicht während der gesamten Vertragslaufzeit gleichermaßen für ein Werk einsetzen, wenn dieses beim Publikum nicht mehr gängig ist.314 Der Verfasser ist zu honorarfreier Mitwirkung an Werbeaktionen nicht verpflichtet; 223 er wird aber jedenfalls bei einem vereinbarten Absatzhonorar ein eigenes Interesse daran haben. Auch kann der Verleger Auszüge aus dem Werk oder das gesamte Werk, etwa zur digitalisierten Volltextsuche, zu Werbezwecken nur nutzen, soweit ihm ein entsprechendes Nutzungsrecht eingeräumt ist. Es soll aber buchhändlerischer Sitte entsprechen, kurze Passagen aus dem Werk auch ohne gesonderte Einwilligung des Verfassers als Leseproben zu veröffentlichen.315
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ff) Fälligkeit des Auswertungsanspruchs. Die Fälligkeit des Auswertungsanspruchs richtet sich ohne besondere Vereinbarung nach § 15 VerlG.316 Auch wenn der Erscheinungstermin vertraglich in das Ermessen des Verlegers gestellt ist, darf er mit der Auswertung nach Manuskriptablieferung nicht unangemessen lange warten.317
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b) Ausübung sonstiger Rechte. Für Rechte, die dem Verleger neben dem Verlagsrecht eingeräumt wurden, gilt § 1 S 2 VerlG nicht. Eine Auswertungspflicht besteht hier nur bei ausdrücklicher Vereinbarung. Geht es allerdings um Verwertungen, die dem Verleger kein finanzielles Risiko aufbürden, so muss er sich bietende Gelegenheiten zur Ausübung dieser Rechte nach Treu und Glauben318 jedenfalls dann wahrnehmen, wenn der Verfasser an den Einkünften aus dieser Verwertung beteiligt ist. Namentlich gilt dies für die Vergabe von Lizenzen. Ist in Formularverträgen unklar, ob eine Auswertungspflicht bestehen soll, so ist nach 226 der Unklarheitenregel des § 305 Abs 2 BGB zulasten des Verlegers als Verwender davon auszugehen, dass eine Verwertungspflicht besteht.319 Ob der Verleger eigene Lizenzen vergeben können oder nur als Agent des Verfassers handeln können soll, kann sich im Zweifel aus der Formulierung des Honoraranspruchs ergeben.320 Hat sich der Verleger das Recht einräumen lassen, das Werk in einer unbekannten 227 Nutzungsart zu nutzen, so kann er rechtssicher mit der Nutzung erst beginnen, wenn das Widerrufsrecht des Urhebers nach § 31a Abs 1 S 3 UrhG erloschen ist.321 Das Widerrufsrecht erlischt nach § 31a Abs 1 S 4 UrhG, wenn der Verleger eine Mitteilung über die beabsichtigte neue Art der Werknutzung an die letzte bekannte Adresse des Urhebers abgeschickt hat und der Urheber nicht binnen drei Monaten widerspricht.322 Nach § 31a Abs 2 UrhG erlischt es auch, wenn sich die Parteien nach Bekanntwerden der Nutzungsart auf eine angemessene Vergütung einigen oder wenn der Urheber verstorben ist. Für Altverträge gilt unter den Voraussetzungen des § 137l UrhG eine Übertragungsfiktion hinsichtlich bis zum 1.1.2008 bekannt gewordener Nutzungsarten, wenn der Urheber 313 314 315 316 317 318
OLG Celle GRUR 1964, 333, 333. BGH NJW 1969, 2239, 2239. Schricker § 14 VerlG Rn 10. S Rn 161 ff. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331; LG Stuttgart GRUR 1951, 524, 524. Rehbinder Rn 678; Schack Rn 1021; zum
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319 320 321 322
„handelsüblichen Einsetzen“ beim Musikverlag Grohmann 90 ff. S hierzu BGH GRUR 2005, 148, 151. OLG Frankfurt ZUM 2000, 595, 596. Im Einzelnen s Teil 2 Kap 1 Rn 207. Näher zum Verfahren Schulze UFITA Bd 2007/III, 641, 664 ff.
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§2
Verlagsvertrag
nicht bis 1.1.2009 widerspricht.323 Diese Fiktion gilt nur, wenn der Urheber dem Verleger alle wesentlichen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannten Nutzungsrechte ausschließlich sowie räumlich und zeitlich unbegrenzt eingeräumt hat. Was wesentlich ist, richtet sich dabei nach dem Vertragszweck; 324 beim Verlagsvertrag wird demnach die Einräumung des Verlagsrechts idR genügen. c) Schutz des Verlegers gegenüber dem Verfasser. aa) Enthaltungspflicht des Verfassers. Neben der Pflicht zur Rechtseinräumung erlegt § 2 Abs 1 VerlG dem Verfasser Unterlassungspflichten auf: Während der Dauer des Verlagsvertrags darf er das Werk selbst nicht mehr vervielfältigen und verbreiten, soweit dies auch einem Dritten verboten wäre. Damit korrespondiert ein entsprechendes Verbotsrecht des Verlegers, das als negatives Verlagsrecht bezeichnet wird. Auch wenn allenthalben betont wird, dieses negative Verlagsrecht gehe über das positive Nutzungsrecht des Verlegers hinaus,325 so lässt sich diese Aussage in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten;326 sie ergibt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres aus § 2 Abs 1 VerlG: Zum einen bleibt schon nach § 2 Abs 1 VerlG dem Verfasser erlaubt, was jeder Dritte nach dem UrhG darf. Der Verfasser kann sich also auf die Schranken des UrhG berufen 327 und sein Werk zB nach § 53 UrhG zum persönlichen Gebrauch vervielfältigen. Der Verleger kann ihm dies auch dann nicht verbieten, wenn sein Nutzungsrecht die gewählte Vervielfältigungsart umfasst. Insoweit geht nicht das negative Verlagsrecht weiter als das positive, sondern das Gegenteil ist der Fall. Zum anderen definieren §§ 2 und 8 VerlG die negative und positive Seite des Verlagsrechts mit den gleichen Begriffen, nämlich der Vervielfältigung und Verbreitung. Nach dem dispositiven Gesetzesrecht haben positives und negatives Verlagsrecht daher im Ausgangspunkt zunächst einmal den gleichen Umfang. Ergibt sich aus dem Vertrag unter Berücksichtigung der Zweckübertragungsregel, dass das positive Verlagsrecht auf bestimmte Nutzungsarten beschränkt worden ist, so wird regelmäßig auch die aus § 2 Abs 1 VerlG folgende Enthaltungspflicht entsprechend modifiziert sein.328 Alles andere ergäbe wenig Sinn: Dem Verfasser verblieben dann gewisse Nutzungsrechte, mit denen er aber nichts anfangen könnte. Er könnte sie allenfalls an denselben Verleger nachlizenzieren; mangels anderweitiger Verwertbarkeit ließe sich hierfür aber kein angemessener Marktpreis erzielen. Das negative Verlagsrecht geht aber dort über das positive hinaus, wo das Gesetz letzteres ausdrücklich einschränkt. Ein Beispiel ist § 4 VerlG: Danach darf der Verleger ein Einzelwerk nicht in einem Sammelwerk vervielfältigen, kann dies aber dem Verfasser nach § 2 Abs 1 VerlG verbieten. Gleiches gilt für Verwendung in einer Gesamtausgabe, nach der dispositiven Regel des § 2 Abs 3 VerlG aber nur, wenn seit Erscheinen des Werks noch keine 20 Jahre verstrichen sind.329
228
229
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bb) Allgemeine Treuepflicht des Verfassers. Erheblich ergänzt wird allerdings die aus 232 § 2 Abs 1 VerlG folgende Unterlassungspflicht durch die allgemeine vertragliche Treuepflicht.330 Danach haben beide Parteien alles zu unterlassen, was den Vertragszweck beeinträchtigen würde. 323 324 325
326
Im Einzelnen s Teil 2 Kap 1 Rn 210 ff. BT-Drucks 16/1828, 33. Schricker § 8 VerlG Rn 9; zum Verbotsrecht hinsichtlich Bearbeitungen vor Inkrafttreten des UrhG s dort und BGH GRUR 1960, 636, 637. Vgl Knaak 263, 269.
327 328 329
330
Schricker § 2 VerlG Rn 10. So auch Schulze 230. Näher zur Gesamtausgabe OLG Karlsruhe GRUR 1993, 992, 993; LG Frankfurt NJW 1989, 403, 404. BGH GRUR 1973, 426, 427; Wegner/ Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 33 ff.
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
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Der Verfasser darf daher bei ihm verbliebene Nutzungsrechte nicht so ausüben, dass er damit die Auswertung der dem Verleger eingeräumten Rechte erheblich behindert. So darf der Verfasser zB nicht kurz nach Erscheinen einer Hardcoverausgabe eine ähnlich ausgestattete Sonderausgabe desselben Werks im selben Preissegment herausbringen, selbst wenn das Nutzungsrecht für Sonderausgaben bei ihm verblieben ist. Der BGH hat diesen Gedanken sogar auf andere Werke ausgeweitet, was bedenklich 234 ist: Er möchte dem Verfasser grds Werke verbieten, die denselben Gegenstand und dieselbe Zielgruppe haben.331 Sachgerecht dürfte es aber sein, für ein solches umfassendes Konkurrenzverbot eine ausdrückliche Wettbewerbsabrede 332 zu verlangen. Sonst würde das Geschäftsrisiko des Verlegers allzu sehr auf den Verfasser abgewälzt, dessen Schaffensfreiheit all zu sehr eingeschränkt. In diesem Sinne hat das OLG München jüngst klargestellt, dass allein aus §§ 157, 242 BGB kein allgemeines Wettbewerbsverbot zu Lasten des Verfassers abgeleitet werden kann.333
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d) Schutz des Verlegers gegenüber Dritten. Als Inhaber eines Nutzungsrechts kann der Verleger gem § 97 UrhG auch gegen Dritte vorgehen, die rechtswidrig in sein Nutzungsrecht eingreifen.334 Dies stellt § 9 Abs 2 VerlG noch einmal ausdrücklich klar: Der Verleger geht insoweit – unabhängig vom Verfasser – aus eigenem Recht vor.335 Er kann aus diesem Recht etwa einem anderen Verlag die Verbreitung von Vervielfäl236 tigungsstücken verbieten, an denen das Verbreitungsrecht nicht nach § 17 Abs 2 UrhG erschöpft ist. Das hat das OLG Karlsruhe in einem Fall entschieden, in dem der Verleger remittierte Exemplare zum Makulieren weggab, die dann aber ihren Weg zu einem Konkurrenzverlag fanden, der sie stattdessen vertrieb.336 Mit der Remission war das Verbreitungsrecht des Verlegers an den Exemplaren wieder aufgelebt und hatte sich nicht dadurch erneut erschöpft, dass der Verleger die Exemplare als Altpapier veräußerte. Eine Störung des Verlagsrechts kann zudem auch einen unerlaubten Eingriff in den 237 eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verlegers darstellen,337 den die Rechtsprechung als sonstiges Recht iSd § 823 Abs 1 BGB anerkennt.338 Der BGH hat dies in einem Fall entschieden, in dem ein anderer Verlag mit dem Verfasser einen Verlagsvertrag über dasselbe Werk geschlossen und sich dabei fahrlässig darauf verlassen hatte, die Verlagsrechte des ursprünglichen Verlegers seien erloschen.339 3. Manuskriptrückgabe
238
Das „Werk“ hat der Verleger gem § 27 VerlG dem Verfasser nur dann zurückzugeben, wenn sich dieser die Rückgabe vorbehalten hat. Mit „Werk“ meint diese Vorschrift alles, was der Verfasser dem Verleger nach § 10 VerlG als Vervielfältigungsvorlage überlassen hat. Diese Vorlagen bleiben im Eigentum des Verfassers; der Verleger hat ein schuldrecht239 liches Besitzrecht an ihnen, um von seinem Verlagsrecht Gebrauch machen zu können.340 331 332 333 334 335 336 337 338
BGH GRUR 1973, 426, 427; ebenso OLG Frankfurt GRUR-RR 2005, 361, 361. S Rn 170 ff. OLG München OLGR 2007, 737, 738. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 55. Schricker § 9 VerlG Rn 15. OLG Karlsruhe GRUR 1979, 771, 772 f. Delp Praktikum 29. BGH NJW 1959, 479, 480, stRspr.
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339 340
BGH GRUR 1959, 331, 332 ff. BGH GRUR 1969, 551, 552; s aber auch den Fall in OLG München NJW-RR 2000, 777 ff, in dem ein (Options-)Vertrag eine ausdrückliche Pflicht zur Manuskriptübereignung enthielt; zur Möglichkeit der Ersitzung OLG München GRUR 1984, 516, 517 f.
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§2
Verlagsvertrag
Ohne einen Rückgabevorbehalt iSd § 27 VerlG darf der Verleger die Vorlagen auch nach Druck der ersten Auflage für etwaige weitere Auflagen behalten. Auf jeden Fall muss er sie aber nach Beendigung des Verlagsvertrags auch dann zurückgeben, wenn eine Rückgabe nicht vorbehalten ist.341 Weil Manuskripte heute idR elektronisch übermittelt werden, hat der Rückgabeanspruch praktische Bedeutung fast nur noch hinsichtlich etwaiger Bildvorlagen. Hinsichtlich unverlangt eingesandter Manuskripte trifft den Verleger eine Obhuts- 240 pflicht nach § 362 Abs 2 HGB.342 4. Vergütung des Verfassers a) Bestehen eines Vergütungsanspruchs. Ob und in welcher Höhe der Verleger eine Vergütung schuldet, richtet sich zunächst nach der Vereinbarung.343 Diese kann – im positiven wie im negativen Sinne – ausdrücklich oder konkludent erfolgt sein. Es gelten die allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung. Eine stillschweigende Honorarvereinbarung kann sich zB aus der bisherigen Geschäftsbeziehung ergeben, wenn der Verfasser ähnliche Werke immer nur gegen ein entsprechendes Honorar verfasst hat. Erst wenn die Auslegung ergibt, dass die Parteien weder positiv noch negativ etwas zur Vergütung vereinbart haben, wenn also eine echte vertragliche Regelungslücke vorliegt, kommt § 22 Abs 1 S 2 VerlG ins Spiel.344 Dieser Fall ist selten. Haben die Parteien zB einen ausführlicheren – also über den in § 1 VerlG bezeichneten Inhalt hinausgehenden – Vertrag geschlossen und eine Vergütung darin nicht geregelt, spricht dies ohne entgegenstehende Anhaltspunkte nicht für eine Regelungslücke, sondern für den stillschweigenden vertraglichen Ausschluss eines Vergütungsanspruchs. Haben die Parteien hingegen für bestimmte Verwertungsarten konkrete Vergütungshöhen vereinbart, für andere nicht, so spricht dies eher für eine stillschweigende Übereinkunft dahingehend, dass jede Verwertung honoriert werden soll. Liegt danach tatsächlich eine vertragliche Regelungslücke vor, so fingiert § 22 Abs 1 S 2 VerlG eine stillschweigende Honorarvereinbarung, wenn die Überlassung des Werks den Umständen nach nur gegen Entgelt zu erwarten war. Diese Fiktion verhindert, dass sich eine Partei wegen eines offenen oder verdeckten Einigungsmangels auf §§ 154, 155 BGB berufen kann; das Ergebnis der Fiktion ist nicht nach §§ 119 ff BGB anfechtbar.345 Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift erfordern dabei keine Anhaltspunkte für eine stillschweigende Vereinbarung – läge diese vor, bedürfte es der Fiktion des § 22 Abs 1 S 2 VerlG gerade nicht. Ausschlaggebend ist allein, ob der Verleger zum Zeitpunkt der Manuskriptannahme nach den objektiven Umständen erwarten durfte, dass der Verfasser honorarfrei arbeitet. Subjektive Erwartungen des Verfassers spielen keine Rolle. Eine generelle Vermutung für einen Honoraranspruch besteht dabei nicht.346 Anders als beim gewöhnlichen Werkvertrag, zu dessen essentialia negotii nach § 631 Abs 1 BGB die Vergütung gehört, geht es hier nicht um eine Abgrenzung zwischen Vertrag und Gefälligkeitsverhältnis. Insbesondere die beim gewöhnlichen Werkvertrag geltenden Kri341
342 343
BGH GRUR 1969, 551, 552 f, offen gelassen hat der BGH, ob § 27 VerlG vor Vertragsbeendigung den Rückgabeanspruch aus § 985 BGB einschränkt; aA wohl Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 104. Schack Rn 998. S Rn 132 ff.
344
345 346
Vgl zum gleich lautenden § 632 Abs 1 BGB Prütting/Wegen/Weinreich/Leupertz § 632 BGB Rn 4; anders (Auslegungsregel) Soergel/Teichmann § 632 BGB Rn 2. Prütting/Wegen/Weinreich/Leupertz § 632 BGB Rn 2. Schricker § 22 VerlG Rn. 2.
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
terien Umfang, Art und Dauer der Werkleistung können daher beim Verlagsvertrag nicht fruchtbar gemacht werden. Ebenso wenig kommt es auf die Bekanntheit des Verfassers an;347 veröffentlichen doch gerade im wissenschaftlichen Bereich nicht selten auch renommierte Verfasser aufwändige Werke ohne Honorar oder sogar mit eigenem Druckkostenzuschuss. Sachgerecht wird vielmehr in erster Linie ein Abstellen auf die Art des Verlags sein: Ein Publikumsverlag kann stets nur erwarten, dass ihm ein Manuskript – gleich welcher Art, welchen Umfangs und von welchem Verfasser – nur gegen Honorar überlassen wird. Für den Wissenschaftsverlag etwa gilt dies nicht. Ebenso wenig gilt es für die bereits erwähnten 348 Verlage, die ersichtlich 349 darauf spezialisiert sind, Verfassern den Wunsch nach Veröffentlichung zu erfüllen, anstatt mit dem Buch eine echte Nachfrage am Markt zu bedienen.
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b) Höhe des Vergütungsanspruchs. aa) Vergütungshöhe bei vereinbarter Honorierungsart. Steht eine Vergütungspflicht fest, so richtet sich deren Höhe auch wieder zunächst nach der Vereinbarung.350 Zunächst ist die vereinbarte Berechnungsart zu ermitteln: Ist – wie im häufigsten Fall – ein Honorar auf Grundlage des Nettoladenpreises vereinbart, so ist auch ohne ausdrücklichen Zusatz idR davon auszugehen, dass dies pro verkauftem Exemplar, also als Absatzhonorar, gelten soll.351 Eine – in der Praxis seltene – Berechnung nach der Höhe der Druckauflage kommt nur in Betracht, wenn sich aus dem Vertrag ein unmissverständlicher gemeinsamer Wille hierzu ergibt.352 Steht die Berechnungsart fest, sind die für sie notwendigen Berechnungsgrößen auszumachen: Ist kein fiktiver Ladenpreis im Vertrag vereinbart, so ist für eine Berechnung nach dem Ladenpreis der tatsächliche Ladenpreis zugrunde zu legen, zu dem das jeweilige Exemplar verkauft wurde.353 Das können auch die in § 5 Abs 4 BuchPrG aufgeführten Sonderpreise sein.354 Ohne weiteren Zusatz bedeutet „verkauftes Exemplar“, dass ein wirksamer Kaufvertrag zwischen dem Verleger und seinem Abnehmer zustande gekommen ist. Ist dem Händler ein Remissionsrecht eingeräumt, so schließen beide den Kaufvertrag unter der auflösenden Bedingung der Remission. Remittierte Exemplare zählen dann nicht zu den „verkauften“ Exemplaren. Hingegen sind auch verramschte Exemplare „verkaufte“ Exemplare; ohne gegenteilige Vereinbarung 355 ist eine Absatzhonorarstaffel auf diese Exemplare unverändert anzuwenden. Ist ein Stückhonorar ohne Bezugnahme auf den Ladenpreis vereinbart, so haben spätere Veränderungen des Ladenpreises keinen Einfluss auf die vereinbarte Höhe des Stückhonorars.356 Für Folgeauflagen gilt nach § 5 Abs 1 S 2 VerlG im Zweifel die gleiche Honorarhöhe wie für die erste Auflage. Die entsprechende Stufe eines nach Absatz gestaffelten Honorars errechnet sich ohne anders lautende Vereinbarung jedoch nach dem Gesamtabsatz über alle bisherigen Auflagen; das Werk wird forthonoriert.
347 348 349
350 351 352
AA Schricker § 22 VerlG Rn 3. S Rn 18. ZB weil sie Anzeigen schalten mit dem Text „Autoren gesucht“, „Schreiben Sie gerne?“ oä. S Rn 134 ff. So auch Schricker Rn 7. S Rn 168.
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Zum Schadensersatz bei unzulässiger Herabsetzung des Ladenpreises durch den Verleger s Rn 288. Für Subskriptionspreis LG Flensburg NJW-RR 1986, 1058, 1059. S Rn 136. LG Berlin GRUR 1969, 554, 555.
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§2
Verlagsvertrag
Für das am häufigsten vereinbarte Absatzhonorar auf Grundlage des Nettoladen- 251 preises gilt bei einem Mehrwertsteuersatz von 7 % und einem Beteiligungssatz von B % folgende Berechnungsformel: (Ladenpreis/107) × 100 × B % × Anzahl der verkauften Exemplare. Ist der Verfasser mehrwertsteuerpflichtig, so muss der Verleger die Mehrwertsteuer 252 auch dann zusätzlich zum Honorar zahlen, wenn dies nicht ausdrücklich im Vertrag steht. bb) Vergütungshöhe bei fehlender Vereinbarung. Fehlen Bestimmungen über die Höhe der Vergütung, so gilt nach § 22 Abs 2 VerlG eine angemessene Vergütung in Geld als vereinbart. Die Vorschrift deckt sich inzwischen mit § 32 Abs 1 S 2 UrhG, auf deren Konkretisierung in § 32 Abs 2 UrhG man zurückgreifen kann.357 Hat der Verleger sich Nutzungsrechte an unbekannten Nutzungsarten einräumen lassen, so schuldet er dem Urheber nach § 32c UrhG eine zusätzliche angemessene Vergütung, wenn er mit der neuen Werknutzung beginnt.358 Auch ihre Höhe richtet sich nach § 32 Abs 2 UrhG. Danach sind zunächst gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG heranzuziehen, soweit diese existieren. Auf Vermittlung des Bundesministeriums der Justiz kam es im Juni 2005 zu einer Vergütungsvereinbarung zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und einer Reihe von Belletristikverlagen.359 Sie gilt ausschließlich für belletristische Werke. Als angemessen wird dort beim Absatzhonorar vom Nettoladenverkaufspreis ein „Richtwert für den Normalfall“ von 10 % festgelegt, mit ansteigender Vergütungsstaffel bei größeren Verkaufserfolgen. Das Honorar kann zwischen 8 und 10 % liegen, wenn besondere Gründe für eine Abweichung sprechen, etwa Struktur und Größe des Verwerters, mutmaßlich geringe Verkaufserwartung, Vorliegen eines Erstlingswerkes, beschränkte Möglichkeit der Rechteverwertung, außergewöhnlicher Lektoratsaufwand, Notwendigkeit umfangreicher Lizenzeinholung, niedriger Endverkaufspreis und genrespezifische Entstehungs- und Marktbedingungen. Nur in außergewöhnlichen Fällen kann die Beteiligung unter 8 % liegen. Für verlagseigene Taschenbuchausgaben sieht die Vereinbarung Beteiligungen von 5 % bis 20 000 verkaufte Exemplare, 6 % ab 20 000 Exemplaren, 7 % ab 40 000 Exemplaren und 8 % ab 100 000 Exemplaren vor. Aus Lizenzerlösen soll der Verfasser 60 % bei „buchfernen Nebenrechten (insbesondere Medien- und Bühnenrechten)“ und 50 % bei „buchnahen Nebenrechten (zB Recht der Übersetzung in eine andere Sprache, Hörbuch)“ erhalten. Außenseiter, also Verfasser, die nicht Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller sind, werden durch diese Vergütungsvereinbarung nicht gebunden.360 Sie hat aber eine Indizwirkung für die Angemessenheit iSd § 32 Abs 2 S 2 UrhG, der zum Tragen kommt, wenn keine gemeinsame Vergütungsvereinbarung besteht. Entscheidend ist dann, was üblich und redlich ist. Für die Üblichkeit ist zunächst die Branchenübung festzustellen, also was ein Verfasser mit vergleichbarem Bekanntheitsgrad im selben Genre und Marktsegment und einem vergleichbar großen Verlag üblicherweise erlöst. Dies ist allerdings noch einer Billigkeitskontrolle zu unterziehen, sonst wäre das Merkmal „redlich“ über-
357 358 359
Im Einzelnen s Teil 2 Kap 1 Rn 223 ff sowie Schricker GRUR Int 2002, 797, 800 ff. Im Einzelnen s Teil 2 Kap 1 Rn 214. Wortlaut unter www.bmj.bund.de/files//962/GemVerguetungsreg.pdf.
360
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 26; Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Kotthoff § 32 UrhG Rn 13; Erdmann GRUR 2002, 923, 925.
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Kapitel 6 Verlagsrecht
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flüssig. Unredlich ist ein übliches Honorar dann, wenn es unter treuwidriger Ausnutzung der schwachen Verhandlungsposition des Urhebers zu dessen Nachteil vereinbart ist.361
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cc) Anspruch auf Vertragsanpassung. Die Ermittlung des angemessenen Honorars nach den beschriebenen Grundsätzen kann aber auch relevant sein, wenn die Parteien die Höhe der Vergütung individuell vereinbart haben. Liegt diese Vereinbarung unterhalb der Schwelle der Angemessenheit und ist sie nicht Teil eines Tarifvertrags (§ 32 Abs 4 UrhG), so hat der Urheber nach § 32 Abs 1 S 3 UrhG einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Ein solcher Anspruch kann sich daneben auch aus dem reformierten „Bestsellerpara258 grafen“ § 32a UrhG ergeben, wenn ein Honorar zwar angemessen ist, aber gleichwohl in auffälligem Missverhältnis zu Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werks steht. Wegen der Einzelheiten zu diesen beiden Vorschriften ist auf die Ausführungen zum allgemeinen Urhebervertragsrecht zu verweisen.362
259
c) Fälligkeit und Abrechnung. Die Fälligkeit der Vergütung richtet sich bei fehlender Vereinbarung nach §§ 23, 24 VerlG. Danach ist die Vergütung im Grundsatz bei Ablieferung des Werks fällig. Das gilt vor allem für Pauschalhonorare. Wenn sie vom Umfang der Vervielfältigung abhängt, tritt Fälligkeit nach Drucklegung ein. Gleiches gilt, wenn die Vergütungshöhe unbestimmt ist, sich also nach § 22 Abs 2 VerlG richtet, denn für die Angemessenheit können ebenfalls Art und Umfang der Vervielfältigung eine Rolle spielen. Ein Absatzhonorar wird, wie sich aus § 24 VerlG ergibt, jeweils nach Ablauf eines 260 Geschäftsjahrs innerhalb einer angemessenen Abrechnungsfrist fällig.363 Angemessen kann eine Abrechnungsfrist von bis zu drei Monaten sein; dies entspricht auch der üblichen Vertragspraxis. Der Verleger ist in diesem Fall zur Rechnungslegung verpflichtet, die der Verfasser 261 über ein Recht auf Bucheinsicht überprüfen kann. 5. Frei- und Autorenexemplare
262
Der Verleger muss dem Verfasser nach § 25 VerlG eine bestimmte Anzahl von Freiexemplaren nicht nur überlassen, sondern – ausdrücklich als Bringschuld – „liefern“. Dies gilt für jede Auflage und Ausgabe; die genaue Zahl wird meist in Abweichung von § 25 VerlG vertraglich geregelt. Der Verfasser kann über diese Exemplare grds frei verfügen; umstritten ist, ob er sie 263 verkaufen darf.364 Das kann vor allem bei teuren Werken mit geringer Auflage und auch deshalb relevant sein, weil sich Bücher heute leicht über Internetversandhändler oder Auktionsplattformen privat verkaufen lassen. Soweit angenommen wird, die Treuepflicht verbiete einen Verkauf,365 ist dies wenig überzeugend. Dass der Verfasser die Freiexemplare jedenfalls unentgeltlich weggeben darf, kann nicht zweifelhaft sein, sonst beschränkte sich der Sinn des Anspruchs auf Freiexemplare darauf, dass der Verfasser sie bei sich lagern, sonst aber nichts mit ihnen anfangen könnte. Die Freiexemplare dienen
361
362 363
BVerfG GRUR 2005, 880, 882; Wandtke/ Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 29. S Teil 2 Kap 1 Rn 219 ff. Schricker § 23 VerlG Rn 7a.
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364 365
Nachweise zum Streitstand bei Schricker § 25 VerlG Rn 5. So etwa Rehbinder Rn 350, Schack Rn 1026.
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§2
Verlagsvertrag
nicht nur als Beleg, sonst würde ein Exemplar je Auflage ausreichen. Ein Verkauf 366 beeinträchtigt die Interessen des Verlegers aber stets weniger als ein Verschenken, denn letzteres macht dem Verleger Konkurrenz zum Nulltarif. Darüber hinaus muss der Verleger dem Verfasser nach § 26 VerlG vorhandene Exem- 264 plare seines eigenen Werks zum niedrigsten Abgabepreis überlassen, ihm also den größten Rabatt gewähren, den er grds anbietet. Da dieser Preis für den Verfasser schwer zu ermitteln ist, bestimmen die Parteien meist abweichend von § 26 VerlG im Vertrag den Preis für diese sog Autorenexemplare. Der Verfasser darf diese Exemplare weiter verkaufen,367 sofern der Vertrag nichts Gegenteiliges bestimmt. 6. Neuauflagen Ist dem Verleger abweichend von § 5 Abs 1 S 1 VerlG das Recht zu mehr als einer Auflage eingeräumt, so besteht gleichwohl hinsichtlich der Neuauflagen nach § 17 VerlG keine Auswertungspflicht. Jedoch kann ihm der Verfasser eine Frist zur Veranstaltung einer Neuauflage setzen. Verstreicht diese Frist fruchtlos oder lehnt der Verleger eine Neuauflage ausdrücklich ab, kann der Verfasser vom Vertrag zurücktreten. Weil das Verlagsrecht des Verlegers in diesem Fall nach § 9 VerlG erlischt, kann der Verfasser es dann für eine Neuauflage einem anderen Verleger einräumen. Findet eine Neuauflage statt, so gelten nach § 5 Abs 1 S 2 VerlG im Zweifel die gleichen Bedingungen wie für die vorhergehende Auflage. Ist das Honorar nach der Zahl der verkauften oder gedruckten Exemplare gestaffelt, so ist für die Forthonorierung aber stets die Gesamtzahl aus allen Auflagen maßgeblich. Der Verleger muss dem Verfasser nach § 12 Abs 1 S 2 VerlG ausdrücklich Gelegenheit zu Änderungen geben. Hierfür muss er ihm genügend Zeit einräumen, deren Dauer sich analog § 11 Abs 2 VerlG bestimmen lässt.368 Der Verfasser ist zu einer Aktualisierung gesetzlich nicht verpflichtet. Jedoch nimmt die Vertragspraxis eine solche Pflicht regelmäßig auf. IdR wird auch bestimmt, dass der Verleger einen Dritten mit der Neubearbeitung beauftragen kann, wenn der Verfasser hierzu nicht imstande oder nicht bereit ist. Eine solche Klausel ist grds wirksam;369 je nach Art des Werks setzt aber das Urheberpersönlichkeitsrecht einer Änderung durch Dritte Grenzen.370 Bei einem Übersetzervertrag mit Auswertungspflicht 371 (Übersetzerverlagsvertrag) hat der BGH überzeugend dargelegt, dass § 17 VerlG nicht passt, weil der Übersetzer seine Übersetzung ohnehin nicht isoliert verwerten kann, solange er nicht die Rechte an dem übersetzten Werk hat.372 Als „Ausgleich“ muss aber der Verleger – wenn er sich für eine Neuauflage entscheidet – die Übersetzung der Vorauflage zugrunde legen, soweit nicht „vernünftige – bspw in der Qualität der Übersetzung liegende – Gründe“ dagegen sprechen.373 366 367 368 369 370
Zur Preisbindung auch des Verfassers s Rn 354. Zur Preisbindung auch des Verfassers s Rn 354. Schricker § 12 VerlG Rn 9. RGZ 112, 173. Zu diesen Grenzen Schricker § 12 VerlG Rn 13.
371 372 373
Zur Frage der Auswertungspflicht beim Übersetzervertrag s Rn 64. BGH NJW 2005, 596, 599 f; dem folgend LG München I GRUR-RR 2007, 195, 196. LG München I GRUR-RR 2007, 195, 196.
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265 266
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
7. Leistungsstörungen a) Störungen im Bereich vertragswesentlicher Pflichten (§ 1 VerlG). Erfüllt eine Partei ihre vertraglichen Pflichten nicht, so kann der Vertragspartner auf Erfüllung klagen und nach allgemeinem Nichterfüllungsrecht vorgehen, insbesondere unter den Voraussetzungen des § 320 BGB seine Gegenleistung verweigern. Dies gilt auch für einen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Honoraranspruch.374 Hinsichtlich der vertragswesentlichen Pflichten aus § 1 VerlG (hierzu gehört nicht 272 eine Vergütungspflicht!) gibt das VerlG dem jeweiligen Vertragspartner zudem spezifische Rechtsbehelfe an die Hand:
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aa) Rechte des Verlegers. Liefert der Verfasser das vollständige und vertragsgemäße Werk nicht rechtzeitig, also bei Fälligkeit,375 ab, so kann der Verleger seinen Erfüllungsanspruch geltend machen oder nach folgenden Vorschriften vorgehen: – Rücktritt nach § 30 (iVm § 31 Abs 1) VerlG – Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens nach §§ 280 Abs 1 u 3, 281 BGB iVm § 30 Abs 4 VerlG bzw § 31 Abs 2 VerlG (§ 30 Abs 4 VerlG verweist auf die Regeln des Schuldnerverzugs und meinte damit ehemals § 326 BGB aF. An dessen Stelle sind heute §§ 280 Abs 1 u 3, 281 BGB getreten: Sie regeln der Sache nach den Nichterfüllungsschaden bei Schuldnerverzug, auch wenn sie das nicht mehr wie § 326 BGB aF ausdrücklich so nennen.) Voraussetzung ist in allen Fällen, dass der Verleger dem Verfasser eine angemessene Nacherfüllungsfrist setzt. Die angemessene Frist braucht nicht so bemessen zu sein, dass der Verfasser mit der Manuskriptherstellung erst noch beginnen kann; sie muss vielmehr nur eine Vollendung der bereits begonnenen Arbeit am Manuskript ermöglichen. Eine Fristsetzung ist auch schon vor Fälligkeit möglich, wenn sich zeigt, dass der Verfasser das Manuskript nicht rechtzeitig abliefern wird. Andererseits verwirkt der Verleger sein Rücktrittsrecht nicht dadurch, dass er es erst viele Jahre nach Fälligkeit der nicht erfolgten Manuskriptabgabe ausübt, solange das Vorhaben nach dem Verhalten der Parteien „noch nicht aufgegeben war“.376 Das OLG München hat dies mit zutreffendem Hinweis darauf entschieden, dass in der Praxis oft Abgabetermine erheblich überschritten werden und die Parteien den Vertrag dennoch durchführen. Die Fristsetzung ist entbehrlich bei Unmöglichkeit und ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung. Gleiches gilt, wenn das Interesse des Verlegers einen sofortigen Rücktritt rechtfertigt. Das ist immer dann der Fall, wenn eine Nachfristsetzung den Vertragszweck vereiteln würde: Beispiele sind das geplante Erscheinen des Werks zu einem bestimmten Ereignis oder die Gefährdung eines Sammelwerks;377 im Normalfall aber nicht schon der bloße Umstand, dass ein mangelhaftes Manuskript überarbeitet werden muss.378 Hat eine literarische Agentur den Vertragsschluss vermittelt und sind die §§ 84 ff HGB anwendbar,379 so ist sie nach § 91 Abs 2 HGB Empfangsvertreterin des Verfassers in Bezug auf Mängelrügen des Verlegers. 374
375 376
So BGH GRUR 1960, 642, 643, der allerdings wegen nur geringfügiger Mängel des Manuskripts § 320 Abs 2 BGB anwandte. Zum Fälligkeitszeitpunkt s Rn 159 f. So im Fall OLG München GRUR 2002, 285, 286; anders indes OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 330, 331.
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Schricker § 30 VerlG Rn 19. BGH GRUR 1979, 396, 398. S Rn 41 ff.
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§2
Verlagsvertrag
Will der Verleger zurücktreten, so muss er mit der Nachfristsetzung ankündigen, dass er die Leistung nach Fristablauf nicht mehr annehmen wird (§ 30 Abs 1 S 1 VerlG); in diesem Fall erlischt der Anspruch auf Manuskriptablieferung mit fruchtlosem Fristablauf. Das Rücktrittsrecht gilt nach § 30 Abs 3 VerlG nicht in Bagatellfällen. Vertraglich wird der dispositive § 30 VerlG oft dahin gehen abgeändert, dass der Verleger erst zurücktreten kann, nachdem er zwei erfolglose Nachfristen gesetzt hat. Möchte der Verleger Schadensersatz verlangen, so kündigt er bei der Fristsetzung nichts an. Sein Erfüllungsanspruch bleibt ihm gem § 281 Abs 4 BGB dann noch so lange erhalten, bis er seine Schadensersatzforderung geltend macht. Bis dahin hat er ein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Schadensersatz. Ist das Manuskript zwar abgeliefert, aber vertragswidrig, so verhindert § 281 Abs 1 S 3 BGB ebenfalls in Bagatellfällen eine Lösung vom gesamten Vertrag. Ist dem Verfasser die Leistung dauerhaft unmöglich, so gelten die allgemeinen Unmöglichkeitsregeln, also §§ 275, 280 Abs 1 u 3, 283, 311a, 326 BGB. § 30 Abs 2 VerlG verdrängt diese nur, soweit eine rechtzeitige Ablieferung unmöglich ist.380 Eine dauernde Unmöglichkeit ist etwa denkbar, wenn sich herausstellt, dass ein Werk überhaupt nicht vertragsgemäß hergestellt werden kann, zB weil es ohne Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht die vertraglich geforderten Eigenschaften erreichen kann. Ein Sonderfall tritt ein, wenn das Urheberrecht an dem Werk erlischt und ein unbefristeter Vertrag fortbesteht;381 der Verfasser – oder besser: sein Rechtsnachfolger – kann seine Pflicht zur Verschaffung des Verlagsrechts dann nicht mehr erfüllen. §§ 39, 40 VerlG gelten in diesem Fall analog. Sie regeln den Fall, dass die Parteien bewusst einen Vertrag über ein gemeinfreies Werk geschlossen haben. Die Interessenlage ist vergleichbar, wenn sie eine Vertragslaufzeit vereinbaren, die über die Dauer des Urheberrechts hinausgeht: Dann ist ihnen bewusst, dass das Werk gemeinfrei werden wird. § 39 Abs 1 VerlG verdrängt die Unmöglichkeitsregeln der §§ 275, 326 BGB; er stellt nur den Verfasser von der Verschaffungspflicht, nicht aber den Verleger von seiner Gegenleistungspflicht frei. Auch das Rücktrittsrecht des § 326 Abs 5 BGB ist in diesem Fall verdrängt; in Betracht kommt aber regelmäßig ein ordentliches Kündigungsrecht.382 Einen gesonderten Verzugsschaden kann der Verleger schließlich unter den Voraussetzungen der § 30 Abs 4 VerlG, §§ 280 Abs 1 u 2, 286 BGB fordern.
278 279 280
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bb) Rechte des Verfassers. Erfüllt der Verleger seine Pflicht zur Vervielfältigung und 284 Verbreitung nicht vertragsgemäß, so kann der Verfasser seinen Erfüllungsanspruch geltend machen 383 oder nach folgenden Vorschriften vorgehen: – Rücktritt nach §§ 32, 30 VerlG – Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens nach §§ 280 Abs 1 u 3, 281 BGB iVm §§ 32, 30 Abs 4 VerlG Die Vorgehensweise ist entsprechend der des Verlegers;384 Gleiches gilt für die Aus- 285 führungen zu Unmöglichkeit 385 und Verzug.386 Sind die Voraussetzungen des § 41 UrhG erfüllt, so hat der Verfasser jedoch zusätz- 286 lich die Möglichkeit, das jeweils betroffene Recht zurückzurufen.387 Der BGH will
380 381 382 383
Schricker § 30 VerlG Rn 26. S Rn 291. S Rn 300. Zur Vollstreckung Schack Rn 1013; Junker GRUR 1988, 793, 795.
384 385 386 387
S Rn 274 ff. S Rn 281. S Rn 283. OLG München ZUM-RD 1997, 451, 453; OLG München, Urt. v. 6.12.2007 – 29 U
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
§§ 32, 30 VerlG vorrangig prüfen,388 wofür er Gründe allerdings nicht nennt. § 41 UrhG sieht in Abs 3 eine ähnliche Vorgehensweise vor wie § 30 VerlG. Zur Vertragsbeendigung führt ein Rechterückruf aber nur, wenn dem Verleger nach dem Rückruf keine anderen Rechte an dem Werk mehr verbleiben.389
287
b) Störungen im Bereich sonstiger Pflichten. Treten Leistungsstörungen bei anderen als den in § 1 VerlG genannten Pflichten – zB beim Honoraranspruch – auf, so gelten die §§ 30 ff VerlG nicht. Es gilt allgemeines Vertragsrecht, insbesondere gelten die §§ 280 ff (Schadensersatz) und 323 ff (Rücktritt) BGB. So kann etwa unzureichende Werbung des Verlegers für das Werk einen Schadens288 ersatzanspruch begründen.390 Setzt der Verleger den Ladenpreis unzulässig herab, so hat der Verfasser gegen ihn einen Schadensersatzanspruch, soweit ihm hierdurch Honorare entgehen. Gleiches gilt, wenn eine Verramschung unzulässig war, weil der Verleger entgegen der Vereinbarung dem Verfasser nicht zunächst die Möglichkeit geboten hat, die Restauflage selbst zu verwerten.391 Den entstandenen Schaden muss der Verfasser aber darlegen; bei der Beweislast hel289 fen ihm dann Erleichterungen, soweit Vorgänge in der Sphäre des Verlegers betroffen sind.392
IX. Vertragsbeendigung 1. Beendigungstatbestände
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a) Zeitablauf. Der Vertrag endet zunächst, wenn er zeitlich befristet war. Dies bringen die Parteien oft dadurch zum Ausdruck, dass sie die Rechtseinräumung zeitlich befristen. Ob die Parteien mit der Formulierung, die Rechte würden „zunächst“ für eine bestimmte Zeit eingeräumt, eine Befristung oder eine automatische Vertragsverlängerung mit Kündigungsmöglichkeit vereinbaren wollten, ist durch Auslegung anhand der Gesamtumstände zu ermitteln.393 Entgegen einer Reichsgerichtsentscheidung 394 und den überwiegenden Literaturstim291 men 395 gibt es allerdings keinen Grund dafür, dass das Vertragsverhältnis mit Ablauf des Urheberrechts automatisch enden sollte.396 § 9 Abs 1 VerlG knüpft zwar den Fortbestand des Verlagsrechts an den Fortbestand des Verlagsvertrags, nicht jedoch umgekehrt.397 Der Vertrag gilt dann mit Modifikationen398 fort.
292
b) Vergriffensein des Werks. Nach § 29 Abs 1 VerlG endet der Verlagsvertrag auch dann, wenn das Verlagsrecht nur für eine bestimmte Zahl von Auflagen oder Abzügen bestand und diese vergriffen sind. Das ist vor allem einschlägig, wenn § 5 VerlG nicht abbedungen ist.
388 389 390 391 392 393
2420/07; Schricker § 32 VerlG Rn 9 mwN auch zur Gegenmeinung. BGH GRUR 1988, 303, 305. S Rn 296 sowie Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 116. OLG Celle GRUR 1964, 333, 333. OLG Hamburg GRUR 1974, 413, 414. OLG Hamburg GRUR 1974, 413, 414. OLG Düsseldorf GRUR 2004, 53, 53.
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394 395 396 397
398
RGZ 79, 156, 160. Schricker § 29 VerlG Rn 7 mwN; Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap Rn 50. Wie hier auch Schack Rn 1032. Anderes folgt auch nicht aus BGH GRUR 1958, 504, 506; aA Schricker § 29 VerlG Rn 7. S Rn 282.
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§2
Verlagsvertrag
Vergriffen ist die Auflage allerdings erst dann, wenn dem Verleger keine zum Absatz bestimmten Stücke mehr zur Verfügung stehen.399 Ist die Restauflage bloß unverkäuflich, besteht der Vertrag grds fort.400 Beim „Book on Demand“-Verfahren ist das Werk vergriffen, wenn die vereinbarte Höchstzahl an Exemplaren hergestellt worden ist.401 Haben es die Parteien hier versäumt, eine Höchstzahl zu vereinbaren, und ist der Vertrag auch nicht befristet, so wird man ein Vergriffensein iSd § 29 VerlG ausnahmsweise annehmen können, wenn die Nachfrage nach dem Werk praktisch beendet ist. Das Gesetz geht davon aus, dass der Vertrag eine leere Hülse ist, wenn alle eingeräumten Rechte ausgeübt und das Werk vergriffen ist. Sind aber in dem Vertrag auch Nebenrechte eingeräumt, so wird man nach § 139 BGB entscheiden müssen, ob der Vertrag insoweit fortbesteht oder ebenfalls beendet ist.402 Wenn ein Rechterückruf des Verfassers nach §§ 41 oder 42 UrhG zum Rückfall des einzigen oder aller eingeräumten Rechte geführt hat, lässt sich ein Ende des Vertragsverhältnisses analog § 29 Abs 1 VerlG begründen. Verbleiben hingegen noch Rechte beim Verleger, so führt der Rückruf nach § 41 oder 42 UrhG nicht zu einer Beendigung des Verlagsvertrags. § 139 BGB gilt hier nicht, weil das Rückrufrecht des Verfassers sonst über die bewusst engen Voraussetzungen der §§ 41 oder 42 UrhG ausgedehnt würde. Ein Widerruf eines Nutzungsrechts für unbekannte Nutzungsarten nach § 31a Abs 1 S 3 UrhG lässt den Vertrag iÜ bestehen.403
293
c) Rücktritt und Kündigung. Der Verlagsvertrag endet auch durch Rücktritt oder Kündigung, also durch den Zugang einer form- und fristgerechten Erklärung aufgrund eines Rücktritts- oder Kündigungsrechts. Rücktrittsrechte sieht das Gesetz für den Verfasser vor in § 17 VerlG,404 §§ 32, 30 VerlG,405 § 35 VerlG wegen veränderter Umstände, solange mit der Vervielfältigung noch nicht begonnen ist, sowie in § 36 Abs 3 bei Insolvenz des Verlegers. Der Verleger hat Rücktrittsrechte in § 30 bzw §§ 31, 30 VerlG;406 zudem gibt § 18 VerlG ihm ein gesetzliches Kündigungsrecht, wenn der Zweck 407 des Werks nach Vertragsschluss weggefallen ist oder ein geplantes Sammelwerk nicht hergestellt wird. Ist der Vertrag nicht befristet und kein Kündigungsrecht vereinbart, so wird man beiden Parteien zumindest nach Ablauf des Urheberrechts ein ordentliches Kündigungsrecht analog §§ 542 Abs 1, 620 Abs 2, 723 Abs 1 S 1 BGB zugestehen müssen. Schließlich besteht bei jedem Verlagsvertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 BGB. Ein dafür erforderlicher wichtiger Grund liegt vor, wenn aus dem Verhalten des anderen Teils ersichtlich ist, dass er zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen nicht in der Lage oder nicht willens ist.408 Praktisch einschlägig war dies bisher vor allem bei Unregelmäßigkeiten bei der Honorarzahlung: Hier hängt es „von den Umständen ab, ob ein vereinzelter schwerer Verstoß oder dieser in Zusammenhang mit mehreren leichten Verstößen oder gar nur solche
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399 400 401 402 403 404 405
BGH GRUR 1960, 636, 639. BGH GRUR 1960, 636, 640. Zur Vertragsgestaltung s Rn 130. Zu den Folgen s Rn 308. BT-Drucks 16/1828, 24. S Rn 266. S Rn 284 ff.
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408
S Rn 273 ff. Nötig ist ein Sonderzweck, dessen Wegfall das Erscheinen praktisch sinnlos macht, bloße Verringerung der Absatzchancen genügt nicht, Schricker § 18 VerlG Rn 2. BGH GRUR 1974, 789, 793 zum Musikverlagsvertrag.
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2. Teil
einen Kündigungsgrund abgeben“.409 Bejaht worden ist ein wichtiger Grund, wenn ein Verleger es über Jahre hinweg trotz Aufforderungen des Verfassers „ständig“ versäumt hat, die Honorare pünktlich auszuzahlen.410 Die Verramschung einer Restauflage durch den Verleger kann eine Buchgemeinschaft 303 dazu berechtigen, den Lizenzvertrag zu kündigen, weil das Buch dadurch auf dem Markt „disqualifiziert“ wird.411 Diese Überlegung lässt sich auch auf den Verlagsvertrag mit dem Verfasser übertragen: Eine Verramschung schadet seinem Ansehen dermaßen, dass sie ihn zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, wenn sie unzulässig 412 erfolgte. Auch herabsetzende öffentliche Äußerungen der Parteien übereinander können das 304 Vertrauensverhältnis so zerstören, dass ein wichtiger Grund vorliegt.413 Jedoch gilt dies nicht schon immer dann, wenn der Verfasser durch sein persönliches Verhalten nach Ansicht des Verlags in der öffentlichen Meinung eine Verschlechterung erfahren hat: Das LG Passau wies im Falle einer öffentlich gewordenen Geschlechtsumwandlung eines Verfassers zu Recht darauf hin, dass auch ein als unangenehm empfundener „Presserummel“ dem Absatz des Werks und somit den Interessen des Verlegers oft mehr nützen als schaden kann.414 Ebenso wenig berechtigt der Umstand, dass der Verleger, wenn er hierzu nicht aus305 nahmsweise verpflichtet ist, keine Neuauflage veranstaltet, zur fristlosen Kündigung, weil sonst die Voraussetzungen des § 17 VerlG umgangen würden.415 2. Folgen der Vertragsbeendigung
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Nach § 9 Abs 1 VerlG erlischt das Verlagsrecht mit Beendigung des Verlagsvertrags – und damit auch die korrespondierende Enthaltungspflicht des Verfassers.416 Der Verleger darf das Werk ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vervielfältigen und vorhandene Vervielfältigungsstücke nicht mehr verbreiten. Dass § 29 Abs 3 VerlG dies für das Ende eines befristeten Vertrags ausdrücklich bestimmt, ist rein deklaratorisch. Allerdings können die Parteien im Vertrag davon abweichende Regeln für den Umgang mit einer Restauflage vorsehen. Hinsichtlich der eingeräumten Nebenrechte gilt: Ist der Vertrag nur teilweise beendet 307 (zB durch eine Teilkündigung), so ist nach § 139 BGB zu entscheiden, ob diese auch den restlichen Vertrag erfasst.417 Ist auch der Vertragsteil beendet, der die Einräumung der Nebenrechte enthält, so ist 308 umstritten, ob diese automatisch zurückfallen oder ob nur ein Rückübertragungsanspruch besteht. Der BGH hat es in einer älteren Entscheidung abgelehnt, § 9 Abs 1 VerlG analog auf ein eingeräumtes Wiederverfilmungsrecht anzuwenden, also einen automatischen Rückfall verneint.418 Begründet hat er dies damit, dass sich der Wiederverfilmungsvertrag vom Verlagsvertrag wesentlich unterscheide: Bei der Verfilmung stehe nicht die Vervielfältigung eines bereits vollendeten Werks in Rede, sondern eine neue Schöpfung, die ein erhebliches finanzielles Risiko mit sich bringe. Dies verbiete es, den Berechtigten 409
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411 412
BGH GRUR 1974, 789, 793 für Verstöße des Verlegers gegen Abrechnungs- und Zahlungspflicht. OLG Köln GRUR 1986, 679, 679; ähnlich OLG Köln ZUM-RD 1998, 450, 451 und OLG Schleswig ZUM 1995, 867, 873. OLG Hamm GRUR 1978, 436, 436. S Rn 164 ff.
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BGH GRUR 1982, 41, 43. LG Passau NJW-RR 1992, 759, 760. BGH NJW 1969, 2239, 2239 f; OLG Celle NJW 1987, 1423, 1424 f. Rehbinder Rn 684. Schricker § 9 VerlG Rn 11a. BGH GRUR 1958, 504, 506.
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Verlagsvertrag
der Unsicherheit eines möglichen Rechterückfalls nach § 9 Abs 1 VerlG auszusetzen. Der Grundton der Entscheidung lehnt aber wohl generell eine analoge Anwendung von § 9 Abs 1 VerlG auf andere urheberrechtliche Verträge als den Verlagsvertrag ab. Die Entscheidung ist in der Literatur weitgehend kritisiert worden.419 Das OLG Hamburg vertritt in einer neueren Entscheidung dann auch eine andere Linie: In der Regel sei § 9 Abs 1 VerlG auch auf andere Urheberrechtsverträge anzuwenden; dies betreffe auch das Schicksal von Sublizenzen.420 Das ist überzeugend, weil es dem Zweckübertragungsgedanken entspricht; sachgerecht ist es, weil es in der Praxis zu einer einheitlichen Behandlung der im Verlagsvertrag eingeräumten Rechte führt. Hat ein Lizenznehmer mit der Ausübung seines Rechts bereits begonnen und ist die Rückabwicklung schwierig, so lässt sich ein praktikables Ergebnis über eine analoge Anwendung von § 38 VerlG erzielen.421 Eine Kündigung beendet das Vertragsverhältnis ex nunc, ebenso ein Erlöschen der 309 Erfüllungsansprüche nach § 281 Abs 4 BGB. Ein gezahlter und nicht verbrauchter Vorschuss ist in diesem Fall nach Bereicherungsrecht zurückzugewähren.422 Gleiches gilt für ein übereignetes und wegen der vorzeitigen Vertragsbeendigung vom Verleger nicht mehr benötigtes Manuskript: die vom BGH gewählte Konstruktion einer ergänzenden Vertragsauslegung423 ist überflüssig. Der Rücktritt beendet den Vertrag ex tunc mit den Folgen der §§ 346 ff BGB (§ 37 310 VerlG). Es gibt aber Besonderheiten: Ist das Werk zum Zeitpunkt einer rückwirkenden Vertragsauflösung bereits ganz oder teilweise abgeliefert, so hängt es nach § 38 VerlG von den Umständen ab, ob der Vertrag trotz Rücktritt teilweise wirksam bleibt. Solche Umstände liegen dann vor, wenn die Rückabwicklung praktisch nicht möglich 311 oder wenig sinnvoll ist – es geht um Praktikabilitäts-, nicht Billigkeitserwägungen.424 Das ist nach § 38 Abs 2 VerlG im Zweifel der Fall, soweit es um frühere Auflagen oder Abteilungen geht. Diese Situation besteht bei einem Rücktritt nach § 17 VerlG.425 Hinsichtlich der aktuellen Auflage besteht der Vertrag im Zweifel für die Vervielfältigungsexemplare fort, die den Herrschaftsbereich des Verlegers bereits verlassen haben. Dem lässt sich entnehmen, dass das Gesetz die Tatsache, dass das Werk bereits vervielfältigt, aber noch nicht verbreitet ist, idR nicht als Grund für eine teilweise Aufrechterhaltung des Vertrags ansieht.426 Dies gilt erst recht, wenn mit der Vervielfältigung noch gar nicht begonnen worden ist.
419 420
421 422 423 424
S Schricker § 9 VerlG Rn 11a mwN. OLG Hamburg GRUR 2002, 335, 336; jedenfalls für Sublizenz ebenso Knaak 263, 285. So auch Schricker § 9 VerlG Rn 11a mwN. BGH GRUR 1979, 396, 399. BGH GRUR 1999, 579, 580. AA OLG Frankfurt JW 1932, 1905 (Verfasser durfte Vorschuss behalten, weil Verleger die Veröffentlichung zu lange hinaus-
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gezögert hatte); krit hierzu auch Junker GRUR 1988, 793, 795. Vgl BGH NJW 1969, 2239, 2240: Rücktritt nach § 17 VerlG beendet das Vertragsverhältnis für die Zukunft und ist vergleichbar mit einem Rechterückruf. Zum Schicksal der – rechtmäßig – hergestellten Exemplare Schricker § 37/38 VerlG Rn 12.
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2. Teil
§3 Haftung für fehlerhafte Inhalte von Verlagserzeugnissen 312
Sachbücher und Ratgeber dienen Lesern oft als Grundlage für teilweise weit reichende Entscheidungen und Handlungen. Fehlerhafte Aussagen können daher Schäden anrichten,427 so dass sich die Frage nach einer Haftung der Beteiligten stellt. Hier ist zu differenzieren:
I. Vertragliche Ansprüche 313 314 315 316
317
Vertragliche Ansprüche können sich nur gegen den Vertragspartner richten; der Verlagsvertrag ist kein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte.428 Eine Schadensersatzpflicht des Buchhändlers nach §§ 280 Abs 1, 437 Nr 3, 434 BGB wird regelmäßig ausscheiden: Weil er seine Bücher nicht auf inhaltliche Fehler zu überprüfen braucht, fehlt es an einem Vertretenmüssen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Verleger das Buch selbst an den Geschädigten verkauft hat,429 etwa beim Internetdirektvertrieb. Hier ist dann zunächst zu klären, ob tatsächlich ein Mangel nach § 434 BGB vorliegt. Sofern – wie regelmäßig – eine bestimmte Beschaffenheit und ein bestimmter Vertragszweck nicht vereinbart sind, richtet sich die Vertragsgemäßheit eines Buchs nach § 434 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB: Es muss sich für die gewöhnliche Verwendung eignen und eine übliche, erwartbare Beschaffenheit aufweisen. Eine etwa vorhandene spezielle Verwendungsabsicht des Käufers beeinflusst diesen gewöhnlichen Verwendungszweck nicht.430 Da praktisch kein Buch fehlerfrei ist, besteht die gewöhnliche Verwendung eines Buchs, selbst eines Fachbuchs, nicht darin, dass der Käufer seinem Inhalt blind und bedingungslos vertraut. Eine gewisse, mit vertretbarem Aufwand unvermeidbare Fehlerquote entspricht vielmehr gerade der üblichen Beschaffenheit, die der Käufer auch nicht anders erwarten kann.431 Je ausführlicher oder autoritärer eine wesentliche Aussage dargestellt wird, desto eher muss man aber einen Sachmangel annehmen, wenn sie falsch ist.432 Persönliche Meinungen oder Ratschläge, die als solche erkennbar sind, werden einen Sachmangel hingegen grds nicht begründen können. Ob der Verlag einen Mangel zu vertreten hat, hängt davon ab, wie die Verantwortlichkeiten für Inhalt, Änderungen und Korrekturen verteilt waren.433 IdR hat der Verfasser die Inhaltshoheit; der Verleger braucht dessen Aussagen nicht nachzuprüfen. Anders liegen die Dinge bei einem Druckfehler, denn für den Satz ist grds der Verleger verant-
427
428 429
430
Etwa eine ärztliche Fehlbehandlung durch ein falsch gesetztes Komma, so in BGH GRUR 1971, 328 f. Schack Rn 1046. So im Fall BGH GRUR 1974, 50, in dem der BGH die inhaltliche Richtigkeit einer vom Verlag selbst verkauften Nottestamentmappe als zugesicherte Eigenschaft ansah. Einen eigenständigen Beratungsvertrag konstruierte BGH NJW 1978, 997, 997 f. Kitz 24; vgl hierzu den Fall BGH JZ 1958, 309 ff.
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431
432 433
Zu § 823 BGB, aber der Sache nach ebenso BGH GRUR 1971, 328, 329; Schack Rn 1048. Zu verschiedenen Abstufungen Foerste NJW 1991, 1433, 1435. BGH GRUR 1971, 328, 329; s hierzu Rn 194 ff. Zur Überwachungspflicht des Verlegers beim Abdruck eines Bildes hinsichtlich der Verletzung der Rechte Dritter s aber OLG München NJW 1975, 1129 f.
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§3
Haftung für fehlerhafte Inhalte von Verlagserzeugnissen
wortlich.434 Diese Verantwortung verbleibt gegenüber dem geschädigten Vertragspartner auch dann bei ihm, wenn er die Satzkorrektur vertraglich auf den Verfasser abgewälzt hat.435
II. Deliktische Ansprüche Eine Gefährdungshaftung nach § 1 ProdHaftG kommt nur für Sach- und Personen- 318 schäden in Betracht. Das Buch ist als bewegliche Sache ein Produkt iSv § 2 ProdHaftG.436 Hersteller nach § 4 Abs 1 S 1 ProdHaftG ist nur der Verleger.437 Dass der Name des Verfassers auf dem Werk ebenso erscheint, macht ihn auch nicht nach § 4 Abs 1 S 2 ProdHaftG zum Hersteller – er gibt sich damit nur als Urheber des Textes, nicht als Hersteller des Produkts Buch aus. Ob das Buch einen Fehler iSv § 3 ProdHaftG hat, bestimmt sich nach den vorgenannten (restriktiven) Überlegungen zum Sachmangel beim Kauf.438 Aus allgemeinem Deliktsrecht nach § 823 Abs 1 BGB können grds Verfasser und Ver- 319 leger haften. Erforderlich ist ein Eingriff in eines der dort genannten Rechtsgüter oder absoluten Rechte; bloße Vermögensschäden reichen nicht aus.439 Voraussetzung ist die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Wie weit diese Pflicht geht, bestimmt sich wiederum nach dem Gefährdungspotenzial 440 und somit nach der Verkehrserwartung. Damit können auch hier die vorgenannten Grundsätze zu § 434 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB 441 fruchtbar gemacht werden. Die Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 GG) sowie die Wissenschaftsfreiheit (Art 5 Abs 3 GG) verlangen, dass der Sorgfaltsmaßstab nicht überspannt wird.442 Entsprechendes gilt für das Verschulden.443
III. Haftung im Innenverhältnis Die Haftung im Innenverhältnis zwischen Verfasser und Verleger beurteilt sich da- 320 nach, in wessen Verantwortungsbereich der Fehler fällt,444 soweit die Parteien hierüber keine gesonderte Vereinbarung getroffen haben. Hat der Verleger die Satzkorrektur vertraglich auf den Verfasser abgewälzt und beruht die Haftung auf einem Druckfehler, so kommt intern eine hälftige Aufteilung in Betracht: Den Verleger traf die Pflicht zum richtigen Satz, während der Verfasser einen Satzfehler hätte korrigieren müssen.
434 435 436 437 438
S Rn 201 ff. Zur internen Haftungsaufteilung zwischen Verfasser und Verleger s Rn 320. Schricker § 31 VerlG Rn 23; Höckelmann 118 ff; krit Schack Rn 1049. Schricker § 31 VerlG Rn 23; Höckelmann 132 ff. S Rn 316.
439 440 441 442 443 444
Schack Rn 1047. Vgl BGH GRUR 1971, 328, 329 f; Foerste NJW 1991, 1433, 1438. S Rn 316. Schricker § 31 VerlG Rn 23; Schack Rn 1048. S Rn 317. S Rn 201, 317.
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Kapitel 6 Verlagsrecht
2. Teil
§4 Preisbindung für Verlagserzeugnisse I. Einleitung 321
Die Preisbindung für Verlagserzeugnisse hat im deutschen Sprachraum eine über hundertjährige Tradition. Der Buch- und Zeitschriftenhandel hatte sich ursprünglich durch einen „Drei-Länder-Sammelrevers“ genannten Vertrag gegenüber den Verlagen verpflichtet, die von ihnen festgesetzten Ladenpreise einzuhalten. Weil dieses System nicht europafest war,445 gaben es die Beteiligten schließlich auf. Der Gesetzgeber regelte die Preisbindung durch Bundesgesetz, nämlich das Gesetz über die Preisbindung für Bücher (Buchpreisbindungsgesetz – BuchPrG). 322 Als Rechtfertigung für die Preisbindung wird seit Beginn angeführt, es ermögliche ein breites Netz von Buchhandlungen, eine große Titelvielfalt aufgrund von Mischkalkulationen sowie den flächendeckenden Beratungs- und Bestellservice im Buchhandel.446
II. Sachlicher Anwendungsbereich 323
Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes beschränkt sich auf Bücher und nicht mehr – wie noch der Sammelrevers – auf Verlagserzeugnisse. 1. Bücher
324
a) Definition. Den Begriff des Buchs definiert das Gesetz nicht. Gemeint ist damit zunächst jedes Exemplar eines Werks, das in verlagstypischer Weise vervielfältigt ist.447
325
b) Gesetzliche Begriffserweiterungen und „Zukunftsklausel“. § 2 Abs 1 BuchPrG erweitert den Begriff des Buchs zudem um Musiknoten, kartografische Produkte sowie um Produkte, die solche Erzeugnisse reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind. Diese „Zukunftsklausel“ ermöglicht eine Anwendung auf neue Verlagsprodukte. Reproduziert wird ein Buch, wenn sein Inhalt unverändert – und vollständig 448 – 326 anderweitig visuell dargestellt wird, zB auf CD-ROM 449 oder sonst im Wege elektronischer Publikation.450 Ob die Onlineausgabe eines Buchs hierunter fällt, ist umstritten. Dafür wird ange327 führt, dass § 2 Abs 1 Nr 3 BuchPrG keine Einschränkungen hinsichtlich Format und Vertriebsweg enthält.451 Dagegen spricht allerdings, dass Hauptzweck des Gesetzes der Schutz des mittelständischen Sortimentsbuchhandels ist.452 Die Vielzahl der Verkaufs-
445 446
447
Ausf Blanke/Kitz JZ 2000, 118 ff; Kitz AIPLA Quarterly Journal 2004, 369 ff. Vgl etwa BGH NJW 1986, 1256, 1257; BGH NJW 1997, 1911, 1912; Blanke/Kitz JZ 2000, 118, 118; heute sind diese Ziele teilweise ausdrücklich in § 1 BuchPrG genannt. Zur tatsächlichen Auswirkung der Buchpreisbindung auf den Markt Podszun GRUR Int 2007, 485, 491 f. S Rn 113.
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449 450 451 452
Das Gesetz gilt also nicht für die auszugsweise Werkverwertung zB in Datenbanken, Wegner/Wallenfels/Kaboth 5. Kap Rn 14. Hierzu schon zum früheren Preisbindungssystem BGH NJW 1997, 1911, 1913. Zum E-Book s Schmaus 137 f. Franzen/Wallenfels/Russ § 2 Rn 9; Wegner/ Wallenfels/Kaboth 5. Kap Rn 13. Vgl etwa § 1 S 3 u § 6 BuchPrG; s auch Franzen/Wallenfels/Russ § 1 Rn 4 ff.
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§4
Preisbindung für Verlagserzeugnisse
stellen mit ihrem flächendeckenden Bestellsystem kostet Geld, das der Handel leichter aufbringen kann, wenn ihm das Gesetz eine planbare Gewinnspanne ermöglicht. Dagegen findet eine Onlinedistribution idR direkt durch die Verlage selbst statt; jeder entlegene Winkel des Landes kann durch sie mit einem finanziellen Aufwand erreicht werden, der nicht ansatzweise mit den Kosten für die Aufrechterhaltung des Sortimentsbuchhandels vergleichbar ist.453 Nach Sinn und Zweck des Gesetzes fallen völlig unkörperlich vertriebene Buchinhalte daher nicht in seinen Anwendungsbereich.454 Als Alternative („oder“) zur Reproduktion des Buchs nennt das Gesetz dessen Substi- 328 tution. Dies soll die kulturpolitisch orientierte BGH-Rechtsprechung kodifizieren, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes auch neuartige Produkte als preisbindungsfähige Verlagserzeugnisse angesehen hatte, „wenn und soweit durch sie herkömmliche Verlagserzeugnisse substituiert“ worden waren.455 Die Gesetzesfassung wirft die Frage auf, welches Produkt ein Buch zwar nicht repro- 329 duzieren, aber dennoch substituieren könnte. Ton- oder Bewegtbilddarstellungen kommen hier nicht in Betracht; sie sprechen einen anderen Abnehmerkreis an als die verlagstypisch vervielfältigten Bücher. Daher besteht auch Einigkeit darüber, dass Bild- und Tonträger, insbesondere Hörbücher,456 nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen.457 Wohl einzig sinnvoller Anwendungsbereich dieser Alternative sind damit Produkte, die gar nicht erst als Buch erschienen sind und somit nicht reproduziert werden können, sondern gleich in einer neuartigen Form, zB als CD-ROM, hergestellt werden.458 Entscheidend ist, dass der Inhalt auch als Buch hätte erscheinen können. Schließlich erfasst das Gesetz nach seinem § 2 Abs 1 Nr 4 auch kombinierte Objekte, 330 deren Hauptsache eines der vorgenannten Erzeugnisse bildet. Wann das Buch noch Hauptsache ist und wann es zur Nebensache wird, ist oft nicht leicht zu beurteilen. Der BGH hat zu § 30 Abs 1 S 2 GWB, der Parallelvorschrift für Zeitschriften, eine Abgrenzung danach verworfen, ob die beigefügte Nebenware den Inhalt der Zeitschrift ergänzt oder ob es sich um eine branchenfremde Zugabe handelt.459 Eine Jugendzeitschrift blieb nach Ansicht des BGH auch durch Zugabe einer Sonnenbrille im Vordergrund der Kombination. Entscheidend sei nach dem Zweck des Gesetzes, ob nach Ankündigung, Aufmachung und Vertriebsweg aus Sicht des Verbrauchers insgesamt noch ein Zeitschriftenprodukt vorliege.460 Das ist der Fall, wenn eine kostenlose Zugabe die Attraktivität der Zeitschrift steigern soll. 2. Ausnahmen Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich enthält das Gesetz an verschiedenen 331 Stellen: a) Fremdsprachige Bücher. Für fremdsprachige Bücher gilt das Gesetz nach § 2 Abs 2 332 BuchPrG nur, wenn sie überwiegend für den Absatz in Deutschland bestimmt sind. 453
454 455 456 457
Zur den rechtlichen Auswirkungen der billigeren Vervielfältigungstechniken am Beispiel des E-Books s Kitz MMR 2001, 727, 729 f. IE ebenso Haupt/Hölzer Kap 1 Rn 83; Jungermann/Heine CR 2000, 532. BGH NJW 1997, 1911, 1912 f. BT-Drucks 14/9422, 11. Franzen/Wallenfels/Russ § 2 Rn 7; Wegner/ Wallenfels/Kaboth 5. Kap Rn 14.
458 459
460
So auch Franzen/Wallenfels/Russ § 2 Rn 8. BGH NJW-RR 2006, 409, 411; ebenso Freytag/Gerlinger WRP 2004, 537, 540; Waldenberger NJW 2002, 2914, 2918; aA OLG Hamburg NJW 1998, 1085, 1086; Wegner/ Wallenfels/Kaboth 5. Kap Rn 15. So auch Freytag/Gerlinger WRP 2004, 537, 540.
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2. Teil
„Überwiegend“ bedeutet dabei mehr, als dass das Produkt für den Weltmarkt produziert worden ist und auch in Deutschland verkauft wird. Der deutsche Markt muss das vorwiegende Ziel der Publikation sein. Das ist idR nur denkbar bei fremdsprachigen Büchern, die für den deutschen Markt zum Erlernen oder Üben der Fremdsprache hergestellt werden.
333
b) Gebrauchte Bücher. Gebrauchte Bücher fallen nach § 3 S 2 BuchPrG nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Diese Vorschrift hat sich als vermeintliches „Schlupfloch“ erwiesen, um Bücher auf Internetplattformen unter Ladenpreis zu verkaufen. Vor allem Autoren oder Journalisten, die Bücher zum Autorenpreis oder als Rezensionsexemplare bezogen haben, bieten diese im Internet oft als gebraucht zum ermäßigten Preis an. Jedoch kann ein Buch nur gebraucht sein, wenn es seinem Gebrauchszweck zugeführt 334 wurde. Dieser besteht nicht schon darin, die Vertriebskette des Buchhandels zu verlassen,461 sondern zumindest theoretisch darin, gelesen zu werden. Allerdings ist es auch kein Geheimnis, dass viele Bücher eben gerade nicht gelesen werden – sondern „nur“ verschenkt oder zur eigenen Freude gekauft und dann im privaten Bücherregal aufbewahrt. Auch dies ist ein Gebrauch des Buchs. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist daher darauf abzustellen, ob das Buch Spuren eines dieser Gebrauchsarten aufweist und daher auf dem Markt nicht mehr mit einem Neuexemplar konkurrieren kann. Das ist der Fall, wenn die Seiten ersichtliche Blätterspuren aufweisen, wie sie beim Lesen entstehen, oder wenn das Buch äußere Spuren einer Benutzung oder Lagerung im privaten Bücherregal aufweist. Keinesfalls als gebraucht kann ein Buch verkauft werden, das der Verkäufer selbst als „neu“ oder „originalverpackt“ bezeichnet.462
335
c) Mängelexemplare. Eine weitere Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich gilt nach § 7 Abs 1 Nr 4 BuchPrG für Mängelexemplare. Voraussetzung ist, dass diese Exemplare als Mängelexemplare gekennzeichnet sind und dass dies seinen Grund in einem Fehler oder einer sonstigen Beschädigung hat. Die Kennzeichnung muss auf den Büchern selbst stattfinden (in der Praxis durch deutlich sichtbaren Stempel); eine Bezeichnung als Mängelexemplar nur am Verkaufsort oder nur auf dem Preisschild genügt nicht. Dies soll Missbrauch verhindern. Das Buch muss aber auch tatsächlich einen Schaden oder anderen Fehler aufweisen, 336 der über den Stempelaufdruck „Mängelexemplar“ hinausgeht. Es muss sich dabei um einen äußerlich erkennbaren Fehler handeln, der einen Absatz zum regulären Neupreis nicht mehr zulässt 463. Damit unterscheidet sich der Begriff des Fehlers in § 7 Abs 1 Nr 4 BuchPrG grundlegend vom Fehlerbegriff in § 434 BGB. Ein remittiertes Exemplar ist nicht automatisch ein Mängelexemplar, sondern nur 337 dann, wenn es eine äußerliche Beschädigung erlitten hat.
III. Räumlicher Anwendungsbereich 338
§ 4 Abs 1 BuchPrG nimmt grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus. Dies trägt den vorrangigen Wettbewerbsregeln aus Art 82 EG-Vertrag Rechnung.464 Im deutschsprachigen Raum
461
So aber Franzen/Wallenfels/Russ § 3 Rn 30; wie hier OLG Frankfurt GRUR 2006, 520, 521.
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462 463 464
OLG Frankfurt NJW 2004, 2098, 2099. OLG Frankfurt NJW 2005, 3359, 3359 f. Franzen/Wallenfels/Russ § 4 Rn 1.
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§4
Preisbindung für Verlagserzeugnisse
darf es daher keine Preisbindung für grenzüberschreitende Verkäufe zwischen Deutschland und Österreich geben. Jedoch existiert in Österreich ein eigenes Bundesgesetz über die Preisbindung bei 339 Büchern 465, dessen § 3 dem deutschen § 5 BuchPrG 466 vergleichbare Regelungen über die Preisfestsetzungspflicht der Importeure enthält. Der grenzüberschreitende Handel mit dem Nicht-EWR-Land Schweiz ist von § 4 340 BuchPrG nicht betroffen. In der Schweiz bestand das vertragliche Preisbindungssystem zunächst fort; aufgrund dessen konnten deutsche Verlage ihre festgesetzten Preise auch in der Schweiz durchsetzen. Beim Import aus der Schweiz nach Deutschland gelten ohnehin die Verpflichtungen des Importeurs aus § 5 BuchPrG.467 Mehrere Entscheidungen 468 haben das vertragliche Preisbindungssystem in der Schweiz schließlich für unzulässig erklärt. In der Schweiz gibt es daher derzeit für deutschsprachige Bücher keine Preisbindung. Die Bemühungen um ein nationales Preisbindungsgesetz wie in Deutschland und Österreich hatten bislang keinen Erfolg. Die Preisbindungsregeln sind nach § 4 Abs 2 BuchPrG auch im grenzüberschreiten- 341 den Handel innerhalb der EWG anwendbar, wenn das Gesetz mittels einer beabsichtigten Wiedereinfuhr umgangen werden soll. Dies muss sich aus objektiven Umständen ergeben. Entscheidend ist, dass das Buch nach den objektiven Umständen nach dem Plan der Beteiligten beim Letztverkäufer in Deutschland landen soll.
IV. Persönlicher Anwendungsbereich und Pflichten Verpflichtete des Gesetzes sind gewerbs- oder geschäftsmäßige Verkäufer an Letztab- 342 nehmer einerseits sowie Verleger und Importeure andererseits: 1. Pflichten des Verlegers oder Importeurs Wer Bücher verlegt oder importiert, muss nach § 5 Abs 1 BuchPrG einen Endpreis einschließlich Umsatzsteuer für den Verkauf an Letztabnehmer festlegen und veröffentlichen. Anders als vor Geltung des BuchPrG steht die Preisfestsetzung also nicht mehr im Belieben des Verlegers oder Importeurs. Nach § 8 Abs 1 BuchPrG darf die Preisbindung frühestens 18 Monate nach Erscheinen der jeweiligen Ausgabe aufgehoben werden. Dabei kann der Verpflichtete nach § 5 Abs 5 BuchPrG für unterschiedliche Ausgaben unterschiedliche Preise festsetzen, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist. Eine solche sachliche Rechtfertigung kann sich in erster Linie aus den Kriterien Ausstattung und Erscheinungstermin ergeben.469 § 5 Abs 5 BuchPrG gibt auch dem Lizenznehmer des Verlegers das Recht, einen abweichenden Preis für eine Lizenzausgabe festzulegen, sofern die Voraussetzungen des sachlichen Grundes erfüllt sind. Dies ist vor allem für Buchclubs von Bedeutung.470 Der
465 466 467 468 469
BGBl 2000 I Nr 45 idF BGBl 2004 I Nr 113. S Rn 343, 348. S Rn 343, 348. Historie und Nachweise bei Franzen/Wallenfels/Russ § 1 Rn 31. Franzen/Wallenfels/Russ § 5 Rn 22.
470
OLG Frankfurt GRUR 2006, 520, 521; zu den Differenzierungserfordernissen bei der Buchgemeinschaftsausgabe nach den sog „Potsdamer Kriterien“ s Franzen/Wallenfels/Russ § 5 Rn 23 ff.
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Kapitel 6 Verlagsrecht
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2. Teil
Lizenznehmer hat aber nur das Recht, nicht die Pflicht, einen eigenen Preis festzusetzen. Macht er von diesem Recht Gebrauch, muss er den eigenen Preis veröffentlichen. Nach § 5 Abs 4 BuchPrG besteht schließlich die Möglichkeit, innerhalb derselben Ausgabe bestimmte Sonderpreise festzusetzen. Importeure haben nach § 5 Abs 2 BuchPrG bei der Festsetzung einen vom Verleger empfohlenen Preis zu beachten, dürfen nach Abs 3 aber gewisse Einkaufsvorteile weitergeben. Die Preise sind so zu veröffentlichen, dass alle belieferten Händler sich die erforderlichen Informationen über den jeweils geltenden Preis verschaffen können.471 Hierfür kommen branchentypische Datenbanken wie das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) und Mitteilungsorgane der Branche wie das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels in Betracht. Jedoch müssen die Verpflichteten die Informationen nur leicht zugänglich zur Verfügung stellen: Sich aus diesen Quellen über die maßgeblichen gebundenen Preise zu informieren, ist dann Sache desjenigen, der Bücher gewerbsmäßig anbietet.472 § 6 BuchPrG enthält zudem noch weitere Verpflichtungen der Verlage, die mit der Bindung des Ladenpreises nichts zu tun haben, nämlich bestimmte Diskriminierungsverbote bei der Belieferung des Buchhandels. 2. Pflichten des Buchverkäufers
351 352
353
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355
Wer gewerbs- oder geschäftsmäßig Bücher an Letztabnehmer verkauft, muss nach § 3 S 1 BuchPrG den gem § 5 BuchPrG festgesetzten Preis einhalten. Letztabnehmer ist der Endkunde, der das Buch zu eigenen Gebrauchszwecken oder zur unentgeltlichen Weitergabe erwirbt.473 Das trifft auch auf den Sammelbesteller zu, der im eigenen Namen für fremde Rechnung Bücher mitbestellt, weil er mit der Weitergabe keine eigenen wirtschaftlichen Zwecke verfolgt.474 Gewerbsmäßig handelt nur derjenige, „der berufsmäßig in der Absicht dauernder Gewinnerzielung geschäftlich tätig wird“.475 Das sind Sortimentsbuchhändler ebenso wie Versandbuchhändler und Verlage, die ihre Bücher direkt an den Endkunden verkaufen.476 Auch Letztgenannte müssen dann den von ihnen festgesetzten Ladenpreis einhalten. Hingegen handelt geschäftsmäßig bereits derjenige, „der – auch ohne Gewinnerzielungsabsicht – die Wiederholung gleichartiger Tätigkeiten zum wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung macht“.477 Dies kann insbesondere auch jemand sein, der Bücher über Internetplattformen verkauft, wenn diese Verkäufe den Gelegenheitscharakter verlassen. Gleiches gilt, wenn Verfasser ihre eigenen Bücher verkaufen.478 Einzuhalten ist grds der Endpreis als sofort zu entrichtender (Brutto-)Ladenpreis.479 Unzulässig ist daher ein Skonto für Barzahlung ebenso wie dafür, dass ein etwa eingeräumtes Zahlungsziel nicht ausgeschöpft wird.480 Der Händler kann aber dadurch differenzieren, dass er einen Zuschlag verlangt, wenn er dem Kunden ein Zahlungsziel einräumt. Auch darf ein Buch nicht als Prämie für ein Zeitschriftenabonnement zu einem 471 472 473 474 475
OLG Frankfurt GRUR 2006, 520, 521. OLG Frankfurt GRUR 2006, 520, 521; ebenso Franzen/Wallenfels/Russ § 3 Rn 8. OLG Frankfurt NJW 2004, 2098, 2099. OLG München GRUR 2005, 71, 71 f. BT-Drucks 14/9196, 10; OLG Frankfurt NJW 2004, 2098, 2099.
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476 477 478 479 480
Franzen/Wallenfels/Russ § 3 Rn 28. BT-Drucks 14/9196, 10; OLG Frankfurt NJW 2004, 2098, 2099. Franzen/Wallenfels/Russ § 3 Rn 29. OLG Frankfurt NJW 2004, 2098, 2098. BGH NJW 2003, 2525, 2526.
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§4
Preisbindung für Verlagserzeugnisse
als „Zuzahlung“ bezeichneten geringeren Preis als dem festgesetzten Ladenpreis verkauft werden.481 Ebenso stellen Gratisexemplare bei Sammelbestellungen unzulässige Rabatte dar.482 Ein unzulässiger Rabatt liegt auch vor, wenn der Händler selbst „Startgutscheine“ 356 über einen bestimmten Betrag ausgibt, den er dann bei einem Bücherkauf bei ihm anrechnet.483 Gleiches gilt, wenn derselbe Verkäufer beim Kauf preisgebundener Bücher Bonusmeilen vergibt und diese so erworbenen Meilen später beim Kauf wiederum preisgebundener Bücher anrechnet.484 Kein unzulässiger Rabatt liegt dagegen vor, wenn der Händler für den eingelösten Gutschein oder die eingelösten Meilen von dritter Seite den Differenzbetrag erhalten hat, so dass er effektiv den festgesetzten Preis für das Buch vereinnahmt. Als Ausnahme gestattet § 7 Abs 4 BuchPrG in beschränkten Ausmaß Zugaben und 357 Kundenbindungssysteme. Der Wert erlaubter Zugaben iSd § 7 Abs 4 Nr 1 BuchPrG darf 2 % des Buchpreises nicht übersteigen.485 Innerhalb dieser Geringwertigkeitsschwelle bleibt es einem Händler zB unbenommen, Meilen oder andere Bonuspunkte beim Kauf preisgebundener Bücher auszugeben, sofern diese nur nicht für preisgebundene Bücher bei demselben Händler wieder eingelöst werden.486 Eine Ausnahme für Räumungsverkäufe findet sich in § 7 Abs 1 Nr 5 BuchPrG. Weiter- 358 hin dürfen wissenschaftlichen Bibliotheken (§ 7 Abs 2 BuchPrG) und bei Sammelbestellungen für den Schulunterricht (§ 7 Abs 3 BuchPrG) bestimmte Rabatte eingeräumt werden. Schließlich privilegiert § 7 Abs 1 Nr 1–3 BuchPrG den Verkauf an bestimmte Personengruppen wie Verlagsmitarbeiter, Autoren und Lehrer zu Prüfungszwecken.
V. Rechtsdurchsetzung Bei Verstößen sieht § 9 BuchPrG Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche vor. 359 Allerdings nennt Abs 2 eine abschließende Liste Anspruchsberechtigter, die sich an § 8 UWG anlehnt. Für die Verleger kann ein von ihnen beauftragter Preisbindungstreuhänder tätig wer- 360 den. Diesen Auftrag hat seit langem der Rechtsanwalt Dieter Wallenfels aus Wiesbaden mit seiner Kanzlei.487 Gegen den Rechtsverletzer hat der Preisbindungstreuhänder einen Anspruch aus eigenem Recht auf Unterlassung und Anwaltskostenerstattung.488 Nicht nur die Normadressaten des BuchPrG selbst können in Anspruch genommen 361 werden: Die nach § 9 Abs 2 BuchPrG Berechtigten können auch gegen Anstifter oder Gehilfen gem § 830 Abs 2 BGB vorgehen. Das hat der BGH in einem Fall entschieden, in dem ein Kunde Buchhändler dazu zu bewegen versuchte, ihm rechtswidrige Rabatte einzuräumen.489
481 482 483 484 485 486 487
OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 200, 201. OLG München GRUR 2005, 71, 72. OLG Frankfurt NJW 2004, 2122, 2123. OLG Frankfurt NJW 2004, 3434, 3435. Franzen/Wallenfels/Russ § 3 Rn 18. OLG Frankfurt NJW 2004, 3434, 3436. Das OLG Frankfurt hat ausdrücklich klar-
488 489
gestellt, dass die Funktion des Preisbindungstreuhänders nicht nur von „einem Rechtsanwalt“, sondern auch von einer Sozietät wahrgenommen werden kann, s OLG Frankfurt NJW 2004, 3122, 3122. AG Gelsenkirchen ZUM 2004, 587. BGH NJW 2003, 2525, 2526.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht Literatur Deutsch Die »Tagesschau«-Urteile des Bundesgerichtshofs GRUR 2002, 308; Deutsch/Ellerbrock Titelschutz 2. Aufl München 2004; Eisenführ/Schennen Gemeinschaftsmarkenverordnung 2. Aufl Köln 2007; Goldmann Der Schutz des Unternehmenskennzeichens 2. Aufl Köln 2005; Hoffmann/ Kleespies/Adler (Hrsg) Formularkommentar Markenrecht Köln 2008; Richter/Stoppel Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen 13. Aufl Köln 2005; Tsoutsanis The Biggest Mistake of the European Trade Mark Directive and Why the Benelux is wrong again EIPR 2006, 74.
Übersicht Rn § 1 Begriffsdefinitionen und Grundfunktionen des Kennzeichenrechts . . . . I. Begriff des Kennzeichenrechts . II. Kennzeichenbegriff, Bedeutung und Funktion von Kennzeichenrechten . . . . . . . . . . . . III. Rechtsgrundlagen . . . . . . . 1. Staatsverträge . . . . . . . 2. Europarechtliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . 3. Nationale Vorschriften . . . IV. Prioritätsprinzip und Territorialitätsprinzip . . . . . . . . V. Arten von Kennzeichen . . . . § 2 Das Recht der Marken . . . . . . . I. Entstehung des Markenrechts . 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen des Markenschutzes durch Eintragung . . . . . . . . . a) Markenfähigkeit . . . . aa) Zeichen . . . . . . bb) Grafische Darstellbarkeit . . . . . . . cc) Abstrakte Unterscheidungseignung . b) Absolute Eintragungshindernisse . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Prüfungsgrundsätze der absoluten Schutzhindernisse . . . . . cc) Die absoluten Schutzhindernisse im Einzelnen . . . . . . .
Rn Unterscheidungskraft, beschreibende Angaben, übliche Bezeichnung . aa) Eintragungshindernis: Merkmalsbeschreibende Angaben . . . bb) Eintragungshindernis: Übliche Bezeichnungen . . . . . . . . gg) Eintragungshindernis: Fehlen der Unterscheidungskraft . . . . . . dd) Erwerb von Unterscheidungskraft infolge Benutzung . . . b) Eintragungshindernisse hinsichtlich der Form der Ware . . . . g) Eintragungshindernis: Bösgläubige Markenanmeldung . . . . . . d) Sonstige Eintragungshindernisse . . . . . . c) Relative Eintragungshindernisse . . . . . . . . 3. Markenschutz ohne Eintragung . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt des Markenrechts . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . 2. Der markenrechtliche Anspruch nach Art 9 GMV und § 14 MarkenG . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . b) Benutzung im geschäftlichen Verkehr . . . . . . a)
1–19 1
2–5 6–14 7–11 12, 13 14 15–18 19 20–155 20–65 20, 21
22 23–30 26 27–29 30 31–61 31, 32
33–40
41–61
Ulrich Hildebrandt/Thomas Tobias Hennig
41–57
43–45
46, 47
48–54
55–57
58
59 60, 61 62, 63 64, 65 66–120 66
67–120 67 68, 69
707
Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil Rn
III. IV. V.
VI. VII.
708
c) Rechtsverletzende Benutzung als Marke . . . . . d) Identitätsschutz . . . . . e) Verwechslungsschutz . . aa) Kennzeichnungskraft bb) Zeichenähnlichkeit . a) Allgemeines . . . . b) Wahrnehmungsrichtungen . . . . . aa) Prüfung der klanglichen Ähnlichkeit . bb) Prüfung der bildlichen Ähnlichkeit . gg) Prüfung der begrifflichen Ähnlichkeit (Ähnlichkeit im Bedeutungsgehalt) . . dd) Abweichende Ergebnisse in einzelnen Wahrnehmungsrichtungen und ihre Konsequenzen . . . . . g) Zeichenähnlichkeit aufgrund prägender Bestandteile . . . . d) Selbstständig kennzeichnende Stellung eines Elements . . . cc) Produktähnlichkeit dd) Wechselbeziehung zwischen Kennzeichnungskraft, Zeichenund Produktähnlichkeit . . . . . . . . f) Bekanntheitsschutz . . . aa) Schutzobjekt „bekannte Marke“ . . bb) Zeichenähnlichkeit . cc) Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung oder Unterscheidungskraft in unlauterer Weise ohne rechtfertigenden Grund . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . Verwirkung . . . . . . . . . . Schranken des Markenrechts . 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Gebrauch von Name und Anschrift . . . . . . . . . . 3. Merkmalsangaben . . . . . 4. Bestimmungsangaben . . . 5. Anerkannte Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel . . Erschöpfung . . . . . . . . . Rechtserhaltende Benutzung .
70–73 74–76 77–112 82, 83 84–108 84
Rn
§3
85–94 86, 87 88–90 §4 91
92–94 §5 95–102
103–108 109–111
112 113–120 114, 115 116
117–120 121 122–124 125–134 125, 126 127, 128 129, 130 131, 132 133, 134 135–141 142–155
§6 §7 §8
1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Voraussetzungen der rechtserhaltenden Benutzung . . . 3. Anforderungen bei Abweichung von eingetragener Marke und benutzter Form Beendigung des Markenrechts . . . I. Erlöschen wegen Nichtverlängerung oder Verzichts . . . . . II. Löschung wegen Verfalls . . . III. Löschung wegen Eingreifens absoluter Schutzhindernisse . . IV. Löschung wegen Bestehens älterer Rechte . . . . . . . . . Eintragungs- und Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahren vor dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt II. Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt . . . . III. Verfahren nach dem Madrider System zur internationalen Registrierung . . . . . . . . . Geschäftliche Bezeichnungen . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Unternehmenskennzeichen . . 1. Entstehung des Rechts an einem Unternehmenskennzeichen . . . . . . . . . . . a) Prüfung des Vorliegens namensmäßiger Unterscheidungskraft . . . . . b) Entstehung durch Benutzungsaufnahme . . . . . c) Entstehung durch Verkehrsdurchsetzung . . . 2. Inhalt des Unternehmenskennzeichenrechts . . . . . 3. Schutzumfang des Unternehmenskennzeichens . . . . . 4. Erlöschen des Rechts an einem Unternehmenskennzeichen . . . . . . . . . . . III. Werktitel . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Entstehung des Titelschutzes 3. Reichweite des Titelschutzes a) Allgemeines . . . . . . . b) Verwechslungsschutz . . aa) Kennzeichnungskraft bb) Zeichenähnlichkeit . cc) Werknähe . . . . . c) Bekanntheitsschutz . . . 4. Untergang des Titelschutzes Namen . . . . . . . . . . . . . . . Domains . . . . . . . . . . . . . . Geografische Herkunftsangaben . .
Ulrich Hildebrandt/Thomas Tobias Hennig
142, 143 144–150
151–155 156–161 156 157–159 160 161 162–170 163–165 166, 167
168–170 171–204 171 172–181
172–175
173 174 175 176, 177 178, 179
180, 181 182–204 182 183–191 192–203 192 193–201 196 197–199 200, 201 202, 203 204 205–211 212–223 224–227
§1
Begriffsdefinitionen und Grundfunktionen des Kennzeichenrechts
§1 Begriffsdefinitionen und Grundfunktionen des Kennzeichenrechts I. Begriff des Kennzeichenrechts Das Kennzeichenrecht bildet die Summe der Rechtsnormen, die die im geschäftlichen 1 Verkehr verwendeten Kennzeichen behandeln. Kennzeichen in diesem Sinne sind insbesondere Marken, Unternehmensbezeichnungen, Werktitel und geografische Herkunftsbezeichnungen. Das Kennzeichenrecht ist Teilgebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, zu dem außerdem insbesondere das Wettbewerbsrecht, das Patentrecht sowie das Musterrecht zählen.
II. Kennzeichenbegriff, Bedeutung und Funktion von Kennzeichenrechten Kennzeichenrechte dienen als spezielle Eigentumsrechte der Unterscheidung von Produkten, Unternehmen, Werken und anderem. In zahlreichen Entscheidungen wird diese Unterscheidungsfunktion hervorgehoben.1 Erst durch Kennzeichen wird der Verkehr in die Lage versetzt, Produkte oder Unternehmen zu unterscheiden und damit eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Unternehmen für die Qualität eines gekennzeichneten Produkts verantwortlich zu machen.2 So könnte der Verbraucher einer silbernen CD in einer handelsüblichen Hülle dieser nicht ansehen, welcher Inhalt sich auf ihr befindet. Die CD wäre unverkäuflich. Steht aber „BMG“ oder „The Beatles“ auf der CD oder der Hülle oder zeichnet sich diese durch eine andere bestimmte Aufmachung aus, ist dem Verbraucher eine Zuordnung in der Regel möglich. Neben dieser Herkunfts-/Unterscheidungsfunktion haben Kennzeichenrechte in der Regel auch eine Vertrauens- bzw Qualitäts- oder Garantiefunktion. So erwartet der Verbraucher zumeist, dass ein mit einer bestimmten Marke gekennzeichnetes Produkt eine gleich bleibende Qualität aufweist und gibt unter Umständen im Vertrauen hierauf auch künftig den Angeboten des Markeninhabers den Vorzug. Damit ermöglichen Kennzeichen ein gezieltes Marketing und den Einsatz von Werbung für ein bestimmtes Produkt oder Unternehmen. Hierdurch kann für ein Kennzeichen und vor allem dem damit verbundenen Produkt oder Unternehmen ein bestimmtes Image aufgebaut werden. Damit Kennzeichen diese Funktionen erfüllen können, gewährt der Gesetzgeber ihnen einen besonderen Schutz. Dieser Schutz beinhaltet zunächst, dass ein bestimmtes Unternehmen ein Kennzeichen für sich in einem bestimmten Produktbereich monopolisieren kann. So kann etwa der Inhaber der Marke „Sony“ dagegen vorgehen, wenn diese von einem Dritten für Studiotechnik verwendet wird. Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass unterschiedliche Kennzeichen verwechselt werden, wird über diesen reinen Identitätsschutz hinaus aber auch der Ähnlichkeitsbereich sowohl hinsichtlich der Produkte als auch hinsichtlich des Zeichens abgesichert. 1
Vgl etwa schon EuGH 102/77 vom 23.5.1978 – Hoffmann-La Roche Rn 7; aus jüngerer Zeit EuGH C-37/03 P vom 15.9.2005 – BioID Rn 27; C-120/04 vom 6.10.2005 – Medion Rn 23.
2
Vgl etwa EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 28; C-120/04 vom 6.10.2005 – Medion Rn 23.
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709
2
3
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5
Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
So kann der Inhaber der Marke Sony dagegen vorgehen, wenn diese für Dienstleistungen im Musikeventbereich verwendet wird oder eine Marke „Soni“ für Studiotechnik. Hier liegt eine Produktähnlichkeit bzw Zeichenähnlichkeit und damit eine Verwechslungsgefahr vor.
III. Rechtsgrundlagen 6
Dem Kennzeichenrecht liegt eine Vielzahl multinationaler, europäischer und nationaler Rechtsvorschriften zugrunde. 1. Staatsverträge
7
Das wohl bedeutendste Abkommen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und damit auch auf dem Gebiet des Kennzeichenrechts bildet auf internationaler Ebene das TRIPs-Abkommen, ein Zusatzabkommen der WTO. Dort finden sich neben zentralen Verfahrensregelungen (Art 41 ff) auch materiellrechtliche Vorschriften (Art 15 ff) – etwa über die Eintragungsfähigkeit von Marken, die Reichweite ihres Schutzes, den Benutzungszwang und die Verlängerung. International von ähnlich großer Bedeutung wie das TRIPs-Abkommen ist die Pariser 8 Verbandübereinkunft (PVÜ), die vor allem auch dadurch aufgewertet wurde, dass Art 2 Abs 1 TRIPs alle TRIPs-Mitglieder verpflichtet, die zentralen Vorschriften der PVÜ zu berücksichtigen. In der Sache enthält die PVÜ vor allem Vorschriften über die Eintragungsfähigkeit von Marken. Außerdem gebietet die PVÜ einen Sonderschutz für besonders bekannte (notorisch bekannte) Marken, einen Schutz des Handelsnamens sowie ganz bestimmte auf den internationalen Handelsverkehr zugeschnittene Ansprüche. Anders als TRIPs und PVÜ, die der materiellrechtlichen Vereinheitlichung des inter9 nationalen Markenschutzes dienen, wurde neben diesen Regelungswerken durch das Madrider Markenabkommen (MMA) mitsamt dem Protokoll zum Madrider Markenabkommen (PMMA) ein System internationaler Registrierung installiert. Hiermit wurden internationale Markenanmeldungen erheblich vereinfacht, da man über eine einzige nationale angemeldete oder auch schon eingetragene Marke in jedem Staat des Abkommens für diese Marke über nur einen Antrag Schutz beantragen kann. Aufwand und Kosten sind dabei erheblich geringer, als wenn jeweils nationale Anmeldungen vorgenommen würden. Der Sache nach weniger um internationale Verträge als vielmehr um (teilweise ver10 bindliche) Empfehlungslisten handelt es sich bei der Nizzaer und der Wiener Klassifikation. Die Nizzaer Klassifikation 3 mitsamt Nizzaer Klassifikationsabkommen 4 dient dazu, alle denkbaren Waren und Dienstleistungen, die mit einer Markenanmeldung beansprucht werden können, in eine systematische Ordnung zu fassen. Hierfür stehen mittlerweile 45 sachlich geordnete Klassen zur Verfügung. Die praktische Relevanz dieser Klasseneinteilung liegt vor allem darin, dem Markenanmelder einen Überblick über die Produktgruppen zu vermitteln für die eine Marke eingetragen werden kann. Darüber hinaus dient die Klassifikationseinteilung aber auch als Bemessungsgrundlage für die Gebühren
3
www.wipo.int/classifications/nice/en/about/ index.html bzw oami.europa.eu/de/database/ euroace.htm.
710
4
BGBl 1981 II S 359.
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§1
Begriffsdefinitionen und Grundfunktionen des Kennzeichenrechts
einer Markenanmeldung, so dass mit zunehmender Zahl der Klassen auch die Gebühren für die Markenanmeldung steigen. Anders als die Nizzaer Klassifikation dient die Wiener Klassifikation 5 dazu, be- 11 stimmte Bildelemente der Wiedergabe von Marken in ein recherchetaugliches System zu bringen. So existiert etwa ein Zahlencode für Abbildungen von Waffen oder ein anderer Zahlencode für Pferdeabbildungen. 2. Europarechtliche Vorschriften Zentrale Grundlage der europäischen Harmonisierung im Markenrecht ist die Mar- 12 kenrechts-Richtlinie (MRR).6 Diese gibt den Mitgliedstaaten vergleichsweise präzise – überwiegend obligatorische – Vorgaben im Hinblick auf das materielle Markenrecht. Vereinheitlicht werden damit die Eintragungshindernisse, der Schutzumfang von Marken, die Lizenz, die Verwirkung von Ansprüchen sowie die Benutzungserfordernisse. Daneben wurde mit der Gemeinschaftsmarkenverordnung 7 (GMV) zum Jahr 1996 13 das System der Gemeinschaftsmarke geschaffen. Die GMV enthält hierfür nicht nur umfangreiche Verfahrensvorschriften, sondern auch materiellrechtliche Vorschriften mitsamt eigenständigen Anspruchsgrundlagen. Die materiellrechtlichen Vorschriften der GMV stehen mit der MRR in Einklang und werden von der Rechtsprechung gleich ausgelegt. Aus diesem Grunde ergeben sich hier keine wesentlichen Besonderheiten zum nationalen Recht. Die formellen Vorschriften, insbesondere zum Verfahren des Gemeinschaftsmarkensystems, enthält die Durchführungsverordnung zu GMV 8 (GMDV), die zu zahlenden Gebühren sind schließlich in einer gesonderten Gebührenverordnung (GebührenVO) geregelt. 3. Nationale Vorschriften Das nationale deutsche Kennzeichenrecht ist im Markengesetz 9 (MarkenG) zusam- 14 mengefasst. Hier finden sich nicht nur die nach den Vorgaben der MMR umgesetzten nationalen Vorschriften zu Marken sowie markenrechtliche Verfahrensvorschriften. Vielmehr regelt das MarkenG auch das nur mittelbar harmonisierte Recht der Unternehmenskennzeichen, der Werktitel und der geografischen Herkunftsangaben. Ausführungsvorschriften formeller Art zum MarkenG enthält die Markenverordnung10 (MarkenVO), die in der Sache in etwa der DV bei der Gemeinschaftsmarke entspricht. Regelungen zu den Gebühren schließlich finden sich für Deutschland im Patentkostengesetz11 (PatKostG). 5
6
7
8
www.wipo.int/classifications/vienna/en/ about/index.html oder oami.europa.eu/pdf/ mark/vienna-en.pdf. Erste Richtlinie des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG). Verordnung (EG) Nr 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993 (ABl-EG Nr L 11 vom 14.1.1994, S 1). Verordnung (EG) Nr 2868/95 der Kommission vom 13.12.1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke.
9
10
11
In der Fassung vom 25.10.1994, zuletzt geändert durch Gesetz zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz vom 17.12.2006, BGBl I S 3171. In der Fassung vom 11.5.2004, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Markenverordnung vom 22.11.2006, BGBl I S 2660. In der Fassung vom 13.12.2001, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchverfahrens und des Patenkostengesetzes vom 21.6.2006, BGBl I S 1318.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
IV. Prioritätsprinzip und Territorialitätsprinzip 15
Dem gesamten Kennzeichenrecht liegen das Prioritätsprinzip und das Territorialitätsprinzip zugrunde. Das Prioritätsprinzip bedeutet, dass jeweils derjenige, der sein Kennzeichenrecht früher erworben hat, also Inhaber eines älteren Rechts ist, seine Ansprüche gegen jüngere Kennzeichen durchsetzen kann. Der Priorität eines Zeichens – auch Zeitrang genannt – kommt daher ausschlaggebende Bedeutung zu. Eine Priorität von eingetragenen Marken wird normalerweise dadurch begründet, 16 dass eine Anmeldung, die den wesentlichen Anforderungen (Art 26, 27 GMV; § 32 MarkenG) genügt, beim zuständigen Amt eingeht. Der Tag der Eintragung ist insoweit bedeutungslos. Bei Benutzungsmarken ist der Zeitpunkt des Erwerbs von Verkehrsgeltung bzw notorischer Bekanntheit maßgeblich. Gem Art 4 PVÜ, Art 2 Abs 1 TRIPs, Art 29, 30, 31 GMV, § 34 MarkenG kann der 17 Anmelder einer Marke die Priorität einer älteren Anmeldung – meist im Ausland – in Anspruch nehmen. Dies setzt ua voraus, dass die ältere Anmeldung identisch ist oder im Hinblick auf die geschützten Produkte die jüngere Anmeldung umfasst und dass seit der älteren Anmeldung nicht mehr als 6 Monate verstrichen sind. Als ältere Anmeldung kommt jede ausländische Anmeldung aus einem Mitgliedstaat der PVÜ oder des TRIPsAbkommens in Betracht. Dabei werden nationale Marken und Gemeinschaftsmarken wechselseitig wie ausländische Marken behandelt. Hat etwa ein Anmelder am 3.4.2007 eine deutsche Marke angemeldet und will er am 4.10.2007 eine Gemeinschaftsmarke anmelden, so kann er an die Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung vom 3.4.2007 denken. Neben dem Prioritätsprinzip ist auch der Territorialitätsgrundsatz im Kennzeichen18 recht von tragender Bedeutung. Dieser besagt, dass Kennzeichenrechte stets auf ein bestimmtes Territorium begrenzt sind. So ist der Schutzbereich einer Gemeinschaftsmarke auf die Europäische Union, der einer deutschen Marke auf Deutschland beschränkt. Bei ausländischen Verletzungshandlungen helfen diese Marken – vorbehaltlich etwaiger Import- oder Exportkonstellationen – folglich nicht weiter. Weltweiter Markenschutz bedarf daher der Anmeldung einer Vielzahl von nationalen Einzelmarken. So kann der Inhaber der deutschen Marke „Grundig“ einem japanischen Hersteller solange nicht verbieten, seine Geräte mit genau dieser Marke zu kennzeichnen, wie dieser keinerlei Berührungspunkte zur Bundesrepublik aufweist. Stellt der japanische Hersteller insoweit ausschließlich in Japan her und vertreibt die Produkte auch nur dort, bestehen keinerlei Ansprüche des Inhabers der deutschen Marke Grundig. Wird die Ware hingegen zum Zwecke des Vertriebs nach Deutschland importiert, bestehen sehr wohl Unterlassungs-, ggfs. auch Schadensersatzansprüche.
V. Arten von Kennzeichen 19
Die in der Praxis bedeutendsten Kennzeichen sind Marken und Unternehmenskennzeichen. Weiter kommt Werktiteln, Namensrechten und geografischen Herkunftsbezeichnungen eine gewisse Bedeutung zu. Eine gewisse Nähe zu den Kennzeichen weisen schließlich auch Domains12, Bezeichnungen von Pflanzensorten sowie die olympischen 12
Zum Domainrecht Teil 2 Kap 10.
712
Ulrich Hildebrandt/Thomas Tobias Hennig
§2
Das Recht der Marken
Ringe auf. Von besonderer Bedeutung hierbei ist, dass die verschiedenen Kennzeichen nicht isoliert zu betrachten sind, sondern sich unter Umständen wechselseitig gefährlich werden können. So kann aus einer Marke gegen Unternehmenskennzeichen, Werktitel oder Domains vorgegangen werden. Ebenso können Unternehmenskennzeichen einer Marke, einem Titel oder einer Domain entgegenstehen. Gleichwohl kommt Marken die wohl größte Bedeutung im Kennzeichenrecht zu.
§2 Das Recht der Marken I. Entstehung des Markenrechts 1. Allgemeines Die Entstehung des Markenrechts ist in Art 6 GMV, Art 4 MRR und § 4 MarkenG 20 geregelt. Danach kann Markenschutz durch Eintragung in ein Markenregister und auf nationaler Ebene außerdem duch Verkehrsgeltung infolge Benutzung (§ 4 Abs 1 Nr 2 MarkenG) oder durch notorische Bekanntheit (§ 4 Abs 1 Nr 3 MarkenG) erworben werden. In aller Regel entsteht das Markenrecht und damit der Schutz für eine Marke durch 21 Eintragung in ein Markenregister, das alle wesentlichen Daten und die Wiedergabe der Marke enthält. Das Register für Gemeinschaftsmarken führt das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) in Alicante. Auf deutscher Ebene wird das Register vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführt, welches seinen Hauptsitz in München hat. Die Eintragung erfolgt auf Anmeldung hin, wenn die Voraussetzungen der Eintragung erfüllt sind und das Zeichen damit markenfähig ist und keine Eintragungshindernisse bestehen. 2. Materielle Voraussetzungen des Markenschutzes durch Eintragung Da durch die Markeneintragung immer ein begrenztes, rechtlich abgesichertes Mono- 22 pol für ein bestimmtes Unternehmen geschaffen wird, kann allerdings nicht jedes beliebige Zeichen als Marke eingetragen werden. Vielmehr sind das Interesse des Markenanmelders auf der einen Seite sowie verschiedene Interessen der Allgemeinheit und insbesondere Interessen anderer Marktteilnehmer auf der anderen Seite in Einklang zu bringen. a) Markenfähigkeit. Den Interessen der Allgemeinheit wird dabei zunächst dadurch 23 Rechnung getragen, dass nicht jedes Zeichen eine Marke sein kann, sondern vielmehr bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um überhaupt markenfähig zu sein. Rechtsgrundlagen zur Markenfähigkeit eingetragener Marken sind für die Gemeinschaftsmarke Art 4 GMV und auf nationaler Ebene §§ 3 Abs 1 und 8 Abs 1 MarkenG. Die Markenfähigkeit eingetragener Marken ist dabei an drei Voraussetzungen ge- 24 knüpft. Erstens muss es sich um ein Zeichen handeln. Zweitens muss sich dieses Zeichen grafisch darstellen lassen, und drittens muss es geeignet sein, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden, also Unterscheidungseignung besitzen.13 13
EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel, Rn 23; C-49/02 vom 24.6.2004 – Heidelber-
ger Bauchemie Rn 22; auch EuGH C-53/01 bis C-55/01 vom 8.4.2003 – Linde Rn 37;
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
25
Art 4 GMV erwähnt als markenfähige Zeichen insbesondere Wörter einschließlich Personennamen,14 Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung einer Ware Das Wort „insbesondere“ im Gesetzestext weist allerdings darauf hin, dass die Aufzählung nicht abschließend ist.15 § 3 Abs 1 MarkenG nennt zusätzlich dreidimensionale Gestaltungen und Hörzeichen. In der Praxis haben Wortmarken und – aus einer Kombination von Wort und Bild bestehende – Wort-/Bildmarken, gefolgt von reinen Bildmarken, die bei weitem größte Bedeutung. Daneben hat sich inzwischen eine geringere Zahl dreidimensionaler Marken etabliert, mit Hilfe derer Unternehmen nicht selten versuchen, unmittelbar für ihre Produktgestaltung Schutz zu erlangen. Ferner existieren einige wenige Hörmarken (etwa der Jingle der Deutschen Telekom) und sog abstrakte Farbmarken (zB das Telekom-magenta), mit denen für eine Farbe oder Farbkombination unabhängig von einer konkreten Produktgestaltung Schutz beansprucht wird. Eine neue Markenform bilden darüberhinaus die sog Bewegungsmarken als Folge von bewegten Bildern. Eine solche Marke in Kombination mit einer Hörmarke bildet etwa der brüllende Löwe des Unternehmens Metro-Goldwyn-Meyer.
26
aa) Zeichen. Erste Voraussetzung der Markenfähigkeit bei eingetragenen Marken ist, dass es sich bei der zur Anmeldung gebrachten Marke überhaupt um ein Zeichen handelt. Hierbei genügt freilich die bloße Möglichkeit, in Bezug auf eine beliebige Ware oder Dienstleistung ein Zeichen sein zu können. Wird insoweit eine abstrakte Farbe zur Anmeldung gebracht, so kann zwar nicht generell davon ausgegangen werden, dass eine Farbe als solche ein Zeichen ist. Denn gewöhnlich ist eine Farbe eine bloße Eigenschaft von Gegenständen. Sie kann allerdings dann ein Zeichen sein, wenn sie hierzu gezielt eingesetzt wird. Eine abstrakte Farbe erfüllt damit grds die erforderliche Zeicheneigenschaft.16 Kein Zeichen wäre demgegenüber mangels Konkretisierung eine allgemeine und abstrakte Anmeldung für alle denkbaren Formen eines durchsichtigen CD-Spielers. Eine solche Anmeldung erschöpft sich in Wirklichkeit in einer bloßen Eigenschaft der betreffenden Ware.17
27
bb) Grafische Darstellbarkeit. Zweite Voraussetzung der Markenfähigkeit bei eingetragenen Marken ist die grafische Darstellbarkeit. Diese setzt voraus, dass das Zeichen insbesondere mit Hilfe von Figuren, Linien oder Schriftzeichen sichtbar wiedergegeben werden kann. Die Darstellung muss dabei klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv sein.18 Das Erfordernis der grafischen Darstellbarkeit, dient dabei vor allem dazu, die Marke 28 selbst festzulegen19 und damit den genauen Gegenstand ihres Schutzes zu bestimmen.
14 15
16
17
C-191/01 P vom 23.10.2003 – Doublemint Rn 28. Hierzu EuGH C-404/02 vom 16.9.2004 – Nichols Rn 22. EuGH C-273/00 vom 12.12.2002 – Sieckmann Rn 44; C-283/01 vom 27.11.2003 – Shield Mark Rn 35. EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 27; C-49/02 vom 24.6.2004 – Heidelberger Bauchemie Rn 23 f. Vgl EuGH C-321/03 vom 25.1.2007 – Dyson Rn 35 ff.
714
18
19
EuGH C-273/00 vom 12.12.2002 – Sieckmann Rn 55; C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 28 f; C-283/01 vom 27.11.2003 – Shield Mark Rn 55; C-49/02 vom 24.6.2004 – Heidelberger Bauchemie Rn 25 ff; s hierzu ausf Hildebrandt § 2 Rn 7 ff. Bei einer Diskrepanz von Anmeldung und Eintragung ist deswegen die eingetragene Gestaltung maßgeblich: BGH GRUR 2005, 1044 – Dentale Abformmasse.
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§2
Das Recht der Marken
Daher muss die grafische Darstellbarkeit derart beschaffen sein, dass Behörden und Wirtschaftsteilnehmer die genaue Ausgestaltung der Marke und damit das Risiko ihrer Verletzung in Erfahrung bringen können.20 Eine unmittelbare Verständlichkeit der grafischen Darstellung ist nicht erforderlich, solange die Darstellung den zuständigen Stellen und Verkehrskreisen ermöglicht zu erkennen, für welches Zeichen die Eintragung als Marke beantragt wird.21 Zusätzlich zur grafischen Darstellung kann der Anmeldung eine Beschreibung (Art 3 29 Abs 3 S 2 DV; §§ 8 Abs 5, 9 Abs 5, 10 Abs 2, 11 Abs 4, 12 Abs 3 MarkenVO) beigefügt werden, um ein nicht genügend deutliches Zeichen zu erläutern. Eine Beschreibung kann auch erforderlich sein, um klarzustellen, um welchen Markentyp es sich bei der Anmeldung handelt. Gibt etwa der Anmelder bei der Anmeldung eines Hörzeichens nicht an, dass es sich hierbei um ein Hörzeichen handelt, können die für die Eintragung zuständige Stelle und die Verkehrskreise, insbesondere die Wirtschaftsteilnehmer, davon ausgehen, dass es sich bei der Notenschrift um eine Bildmarke handelt. cc) Abstrakte Unterscheidungseignung. Dritte Voraussetzung der Markenfähigkeit ist 30 die Unterscheidungseignung des Zeichens. Hierunter versteht man die prinzipielle Eignung eines Zeichens, Produkte eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. In dieser Hinsicht ist ausreichend, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass es Situationen gibt, in denen das Zeichen auf die Herkunft der Produkte eines Unternehmens hinweist.22 Bei der Prüfung der Unterscheidungseignung im Rahmen der Markenfähigkeit ist dabei nicht auf die konkret unter der Marke beanspruchten Produkte abzustellen. Die hier zu prüfende Unterscheidungseignung wird daher auch als „abstrakte Unterscheidungskraft“ bezeichnet.23 Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat eine abstrakte Unterscheidungseignung im Rahmen der Markenfähigkeit bislang in keinem einzigen Fall verneint. b) Absolute Eintragungshindernisse. aa) Allgemeines. Neben den genannten Voraus- 31 setzungen der Markenfähigkeit tragen auch die absoluten Eintragungshindernisse den Interessen der Allgemeinheit Rechnung. Auch diese sind vor der Eintragung einer Marke zu prüfen. Greift ein Eintragungshindernis ein, darf ein grds markenfähiges Zeichen gleichwohl nicht eingetragen werden. Gesetzliche Grundlage für diese absoluten Eintragungshindernisse bilden im Wesentlichen die Vorschriften der Art 7 GMV und § 8 MarkenG. Hiernach darf eine Marke bspw nicht zur Beschreibung bestimmter Merkmale der 32 durch sie gekennzeichneten Produkte geeignet sein. Denn andernfalls wäre der Begriff für Konkurrenten gesperrt. Diese könnten dann die Eigenschaften ihrer Produkte nur unter erschwerten Bedingungen beschreiben. Auch ist zu prüfen, ob eine Marke im Hinblick auf die konkret beanspruchten Produkte überhaupt über hinreichende Unterscheidungskraft verfügt. Nur dann nämlich kann die Marke ihrer Funktion als Unterscheidungszeichen nachkommen. So ist bspw die Registrierung der Marken „Liebesfilm“ für die Ware „Filme“ oder „Rockmusik“ für „kulturelle Veranstaltungen“ unzulässig, da die Bezeichnungen weiterhin auch von anderen Marktteilnehmern benutzt werden sollen. 20 21
EuGH C-273/00 vom 12.12.2002 – Sieckmann Rn 48 ff. EuGH C-283/01 vom 27.11.2003 – Shield Mark Rn 63.
22 23
EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 41. BGH GRUR 2001, 240, 241 – Swiss Army.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
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2. Teil
bb) Prüfungsgrundsätze der absoluten Schutzhindernisse. Die einzelnen in Art 7 GMV, § 8 MarkenG genannten Eintragungshindernisse sind voneinander unabhängig und müssen daher getrennt geprüft werden.24 Ein Zeichen ist bereits dann von der Eintragung als Marke ausgeschlossen, wenn nur eines der Schutzhindernisse vorliegt (vgl Art 8, 51 GMV, § 8 Abs 2 MarkenG). Eintragungshindernisse sind stets in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen zu beurteilen, für die die Marke angemeldet worden ist.25 Liegt ein Grund für die Zurückweisung einer Marke von der Eintragung nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die Marke angemeldet ist, so wird sie nur für diese Waren oder Dienstleistungen zurückgewiesen (Art 13 MRR, Art 38 Abs 1 GMV, § 37 Abs 5 MarkenG). Wird die Eintragung einer Marke für verschiedene Waren oder Dienstleistungen beantragt, so ist daher zu prüfen, ob die Marke in Bezug auf jede dieser Waren oder Dienstleistungen unter kein Eintragungshindernis fällt. Diese Prüfung kann bei den betreffenden Waren oder Dienstleistungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.26 So ist etwa die Marke „Film“ zwar eine Produktbezeichnung für die Ware „Spielfilme“, nicht jedoch für „Erfrischungsgetränke“. Für „Filme“ wäre „Film“ daher nicht als Marke eintragungsfähig, wohl aber für „Erfrischungsgetränke“. Dass das Zeichen „Film“ und damit eine andere Ware als „Erfrischungsgetränke“ bezeichnet, ist unschädlich. Ob ein Zeichen als solches als Marke eintragungsfähig ist, ist darüber hinaus immer von der Warte des maßgeblichen Publikums aus zu beurteilen.27 In einem ersten Schritt ist daher zunächst das maßgebliche Publikum zu bestimmen. Die praktisch wichtigste Differenzierung erfolgt hierbei danach, ob die unter der Marke beanspruchten Produkte lediglich für Fachkreise oder (auch) für alle Verbraucher bestimmt sind. Fachkreise werden dabei etwa bei Marken in den speziellen Bereichen wie Studiotechnik angesprochen. Demgegenüber richten sich allgemeine Produkte der Unterhaltungselektronik und der Unterhaltungsmedien in erster Linie an den allgemeinen Verbraucher. Geht es um Waren und Dienstleistungen, die für alle Verbraucher bestimmt sind, so ist vom durchschnittlich informierten, durchschnittlich aufmerksamen und durchschnittlich verständigen Verbraucher als dem maßgeblichen Publikum auszugehen.28 Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass sich dem Durchschnittsverbraucher nur selten die Möglichkeit bietet, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen und er sich daher auf das unvollkommene Bild verlassen muss, das er von ihnen im Gedächtnis behalten hat.29 Die Aufmerksamkeit des Verbrauchers kann hierbei je nach betreffender Warenart unterschiedlich sein.30 24
25
26
Etwa EuGH C-53/01 bis C-55/01 vom 8.4. 2003 – Linde Rn 67; C-173/04 P vom 12.1. 2006 – Deutsche SiSi-Werke Rn 59. Etwa EuGH C-299/99 vom 18.6.2002 – Philips/Remington Rn 59; C-173/04 P vom 12.1.2006 – Deutsche SiSi-Werke Rn 25; EuG T-359/99 vom 7.6.2001 – EuroHealth Rn 23; T-387/03 vom 19.1.2005 – BIOKNOWLEDGE Rn 48 ff; BGH GRUR 2002, 261, 262 – AC mwN. EuGH C-363/99 vom 12.2.2004 – Postkantoor Rn 73; auch Art 13 MRR; vgl etwa EuG T-355/00 vom 20.3.2002 – TELE AID Rn 30 ff.
716
27
28
29 30
Etwa EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 45; C-173/04 P vom 12.1.2006 – Deutsche SiSi-Werke Rn 25. Etwa EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 46; C-329/02 P vom 16.9.2004 – SAT.2 Rn 24; C-107/03 P vom 23.9.2004 – Form einer Seife Rn 30, 39; C-136/02 P vom 7.10.2004 – Mag Instrument Rn 19. Etwa EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 26. EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 26; C-361/04 P vom 12.1.2006 – Picasso Rn 38; vgl etwa EuG T-185/02 vom 22.6.2004 – PICASSO/
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§2
Das Recht der Marken
So wird die Aufmerksamkeit des Publikums gegenüber Warenkennzeichnungen bei Medienprodukten des täglichen Bedarfs, wie Zeitungen, zwar je nach deren Art und Wert unterschiedlich sein, im Allgemeinen aber wohl allenfalls einen durchschnittlichen Grad erreichen. Bei Studio- oder Bühnentechnik wird demgegenüber insbesondere wegen des Preises und des sehr technischen Charakters der Grad der Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise beim Kauf eher hoch einzustufen sein.31 Häufig ist die Verkehrsauffassung zudem nicht einheitlich, sondern es existieren ver- 38 schiedene Verbrauchergruppen mit unterschiedlichem Verständnis der Marke (sog geteilte Verkehrauffassung).32 Dies ist etwa bei fremdsprachigen Markenwörtern33 der Fall, wenn nur Teile des Verkehrs Kenntnisse der fraglichen Fremdsprache aufweisen. Hierbei sind jedoch Fremdsprachenkenntnisse des inländischen Verbrauchers – vor allem der englischen Sprache 34, in geringerem Umfang auch der französischen, spanischen und italienischen Sprache – zu berücksichtigen. Die Schutzfähigkeit einer nationalen Marke kann allein aufgrund des jeweiligen 39 inländischen Verkehrsverständnisses beurteilt werden.35 Bei Gemeinschaftsmarken gilt aber nach Art 7 Abs 2 GMV konsequenterweise die Besonderheit, dass ein Zeichen bereits dann von der Eintragung ausgeschlossen ist, wenn Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Gemeinschaft vorliegen, es etwa in der Sprache eines Mitgliedstaats beschreibend oder nicht unterscheidungskräftig ist. Ist also etwa die Bezeichnung „Film“ im deutschen Sprachraum für „Spielfilme“ beschreibend, so ist eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung zurückzuweisen, ohne dass es darauf ankäme, dass Filme in anderen Mitgliedstaaten anders bezeichnet werden. Bei der Prüfung einer Marke im Hinblick auf ihre Schutzfähigkeit ist, wie auch in 40 allen übrigen Bereichen des Kennzeichenrechts, schließlich auch zu beachten, dass Marken auf verschiedene Weise wahrgenommen werden können. Üblicherweise unterscheidet die Rechtsprechung insofern in bildlicher (visueller), klanglicher (akustischer) und begrifflicher Hinsicht.36 Eine Marke muss in jeder dieser Wahrnehmungsrichtungen schutzfähig sein. Im Hinblick auf Wortmarken aus mehreren Bestandteilen, die sowohl gehört als auch gelesen werden sollen, ist der EuGH insoweit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen an die Schutzfähigkeit sowohl in Bezug auf den akustischen als auch den visuellen Eindruck von der Marke erfüllt sein müssen.37 Nichts anderes dürfte für Marken mit nur einem Bestandteil gelten.
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32 33
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PICARO Rn 59 f; T-117/02 vom 6.7.2004 – CHUFI/CHUFAFIT Rn 42; BGHZ 139, 340, 345 – Lions. In diese Richtung zumindest EuG T-185/02 vom 22.6.2004 – PICASSO/PICARO Rn 59, bestätigt durch EuGH C-361/04 P vom 12.1. 2006 – Picasso Rn 20, 23, 39. Vgl BGH GRUR 2004, 947 – Gazoz; auch Ströbele/Hacker/Ströbele § 8 Rn 107. Hierzu BGH GRUR 2004, 947 – Gazoz, GRUR 2005, 60 – Gazoz (Leitsatzberichtigung); EuG T-6/01 vom 23.10.2002 – Matratzen/Matratzen Markt Concord Rn 27; zu den Besonderheiten im BeneluxGebiet vgl auch EuGH C-108/05 vom 7.9.2006 – Bovemij Verzekeringen. Etwa BGH WRP 1998, 495, 496 – Today; BGH GRUR 1999, 1089 – YES; EuG
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T-34/04 vom 22.6.2005 – POWER/Turkish Power Rn 48. So zur Unterscheidungskraft EuGH C-218/01 vom 12.2.2004 – Henkel, Rn 65; BGH GRUR 2000, 502, 503 – St Pauli Girl; ähnlich BVerfG GRUR 2005, 52 – Unvollständige EuGH-Rechtsprechung; vgl aber die zurückhaltende Formulierung in EuGH C-421/04 vom 9.3.2006 – Matratzen Concord/Hukla-Germany. Im Rahmen der Verwechslungsgefahr EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 27; BGHZ 139, 340 – Lions. EuGH C-363/99 vom 12.2.2004 – Postkantoor Rn 99; C-265/00 vom 12.2.2004 – Campina Melkunie Rn 40; überholt damit wohl die Entscheidung vom selben Tag BPatG GRUR 2004, 873 – FRISH.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
So dürfte eine Marke „Vilm“ für Spielfilme schutzunfähig sein. In klanglicher Hinsicht ist „Vilm“ identisch mit dem Begriff „Film“ und bezeichnet damit die Ware. Dass in schriftbildlicher Hinsicht eine Abweichung vorliegt, ist unbedeutend.
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cc) Die absoluten Schutzhindernisse im Einzelnen. a) Unterscheidungskraft, beschreibende Angaben, übliche Bezeichnung. Die praktisch bei weitem bedeutendsten absoluten Schutzhindernisse sind die der fehlenden Unterscheidungskraft, der beschreibenden Angaben und der üblichen Bezeichnung bzw des allgemeinen Sprachgebrauchs nach Art 3 Abs 1 Buchst b, c und d MRR, Art 6quinquies B Nr 2 PVÜ, Art 7 Abs 1 Buchst b, c und d GMV bzw § 8 Abs 2 Nr 1–3 MarkenG. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die betreffenden Schutzhindernisse zwar 42 voneinander unabhängig und müssen daher getrennt geprüft werden; 38 dennoch überschneiden sich ihre jeweiligen Anwendungsbereiche erheblich. So fehlt bspw einer Wortmarke, die Merkmale von Produkten beschreibt, aus diesem Grund zwangsläufig auch die Unterscheidungskraft.39 Entsprechendes gilt für das Eintragungshindernis üblicher Bezeichnungen.40 Die Eintragungshindernisse der beschreibenden Angabe und der üblichen Bezeichnung erfassen also spezielle Fälle fehlender Unterscheidungskraft, ohne im Anwendungsbereich über das Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft hinauszugehen. Gemeinsam ist den drei Eintragungshindernissen zudem, dass sie keine Anwendung finden, wenn die Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat (Art 3 Abs 3 MRR, Art 7 Abs 3 GMV bzw § 8 Abs 3 MarkenG).
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aa) Eintragungshindernis: Merkmalsbeschreibende Angaben. Mit dem Verbot beschreibender Angaben nach Art 7 Abs 1 Buchst c GMV bzw § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG werden Zeichen oder Angaben, die im Verkehr zur Bezeichnung der Merkmale der beanspruchten Produkte dienen können, ihrem Wesen nach als ungeeignet angesehen, die Herkunftsfunktion der Marke zu erfüllen.41 Denn solche beschreibenden Angaben sollen nicht monopolisiert werden, und der Verkehr rechnet hier auch nicht mit einer Monopolisierung und damit nicht mit einem Herkunftshinweis. Beispielhaft und nicht abschließend nennt das Schutzhindernis als mögliche Merkmale die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert, die geografische Herkunft und die Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen. Das Schutzhindernis verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass Zeichen oder Angaben, die die Waren- oder Dienstleistungsgruppen beschreiben, für die die Eintragung beantragt wird, von allen frei verwendet werden können. Die Bestimmung erlaubt es daher vorbehaltlich eines Erwerbs von Unterscheidungskraft durch Benutzung 42 nicht, dass solche Zeichen oder Angaben durch ihre Eintragung als Marke einem einzigen Unternehmen vorbehalten werden.43
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Vgl insb EuGH C-304/06 P v 8.5.2008 Eurotypo; auch etwa EuGH C-53/01 bis C-55/01 vom 8.4. 2003 – Linde Rn 67; C-173/04 P vom 12.1. 2006 – Deutsche SiSi-Werke Rn 59. Etwa EuGH C-363/99 vom 12.2.2004 – Postkantoor Rn 86; C-265/00 vom 12.2.2004 – Campina Melkunie Rn 19; überholt etwa BGH GRUR 1993, 43 – Römigberg; BGH GRUR 2004, 329, 331 – Käse in Blütenform; BGH GRUR 2004, 503, 504 f – Gabelstapler II; GRUR 2004, 506, 507 – Stabtaschenlampen II.
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EuGH C-192/03 P vom 5.10.2004 – BSS Rn 29; C-64/02 P vom 21.10.2004 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT Rn 38, jeweils unter Hinweis auf EuGH C-517/99 vom 4.10.2001 – Bravo Rn 37. EuGH C-383/99 P vom 20.9.2001 – Babydry, Rn 37; C-150/02 P vom 5.2.2004 – Streamserve Rn 24. Hierzu unten Rn 55 ff. Etwa EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 25; C-326/01 P vom 5.2.2004 – Universaltelefonbuch/Universalkommunikationsverzeichnis Rn 27, 32.
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§2
Das Recht der Marken
Allerdings ist nicht schon jeder noch so entfernte Anklang an Produkteigenschaften eine schutzunfähige Merkmalsbeschreibung. So hielt der BGH etwa den Begriff „PREMIERE“ für Dienstleistungen eines Fernsehsenders,44 und „HOUSE OF BLUES“ für Tonträger 45 nicht für unmittelbar beschreibend. Der erforderliche Grad an Unmittelbarkeit war demgegenüber gegeben bei der Wortfolge „Bücher für eine bessere Welt“, die die durch sie gekennzeichnete Bücher oder Broschüren unmittelbar sachlich als Druckwerke beschreibt, die der Schaffung einer besseren Welt dienen sollen.46 Auch „Winnetou“ war beschreibend für Druckereierzeugnisse, Filmproduktion sowie die Herausgabe von Büchern und Zeitschriften. Denn der Name „Winnetou“ hat sich auf Grund der Bekanntheit der Romanfigur von Karl May zum Synonym für einen rechtschaffenen Indianerhäuptling entwickelt und ist geeignet als Sachhinweis auf den Inhalt oder Gegenstand der fraglichen Produkte dienen zu können, die sich mit dieser Romanfigur befassten.47 Ist ein Zeichen in seiner Begrifflichkeit mehrdeutig, so steht einer Eintragung bereits 44 entgegen, wenn es zumindest in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen bezeichnet. Ist ein Zeichen aber – gegebenenfalls auch wegen seiner Mehrdeutigkeit – derart unscharf, dass seine Verwendung zur Beschreibung von Merkmalen vernünftigerweise nicht zu erwarten ist, so wird es wohl in der Regel eintragungsfähig sein. Entscheidend ist zudem nicht, ob das fragliche Zeichen bereits zur Beschreibung von 45 Merkmalen des fraglichen Produktes verwendet wird. Vielmehr greift das Eintragungshindernis bereits ein, wenn vernünftigerweise für die Zukunft zu erwarten ist, dass das Zeichen zur Merkmalsbeschreibung verwendet wird.48 Die Zeichen „Universaltelefonbuch“ und „Universalkommunikationsverzeichnis“ werden zwar gegenwärtig nicht verwendet, stehen aber im Deutschen den Begriffen „universales Telefonbuch“ bzw „universales Kommunikationsverzeichnis“ gleich. Sie können daher die Art von Datenträgern und Druckereierzeugnissen die Bestimmung der Dienstleistungen eines Verlages oder eines Redakteurs bezeichnen.49 bb) Eintragungshindernis: Übliche Bezeichnungen. Das Schutzhindernis der üblichen 46 Bezeichnung nach Art 7 Abs 1 Buchst d GMV bzw § 8 Abs 2 Nr 3 MarkenG ist so auszulegen, dass es der Eintragung einer Marke nur dann entgegensteht, wenn die Zeichen oder Angaben, aus denen die Marke ausschließlich besteht, im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die diese Marke angemeldet wurde, üblich geworden sind. Ob die Bezeichnung schon immer üblich war oder – wie der Wortlaut von GMV und MarkenG nahe legt – üblich „geworden“ ist, spielt keine Rolle. Denn andernfalls würde das der Vorschrift zugrunde liegende Allgemeininteresse nicht gewahrt, eine Monopolisierung von Produktbezeichnungen zu verhindern.
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BGH GRUR 1999, 728, 729 – PREMIERE II. BGH GRUR 1999, 988, 989 – HOUSE OF BLUES. BGH GRUR 2000, 882, 883 – Bücher für eine bessere Welt. BGH GRUR 2003, 342, 343 – Winnetou. EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 31, 37; C-363/99
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vom 12.2.2004 – Postkantoor Rn 56; auch EuGH C-326/01 P vom 5.2.2004 – Universaltelefonbuch/Universalkommunikationsverzeichnis Rn 31; lehrreich auch BGH GRUR 2002, 884, 885 – B-2 alloy. EuGH C-326/01 P vom 5.2.2004 – Universaltelefonbuch/Universalkommunikationsverzeichnis Rn 30.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
So ist die ursprünglich als Marke eingeführte Bezeichnung „Walkman“ in Österreich zur üblichen Produktbezeichnung geworden.50 Dabei ist jedoch in Abgrenzung zu dem Schutzhindernis der merkmalsbeschreibenden 47 Angaben nicht erforderlich, dass mit dem fraglichen Zeichen zugleich auch Eigenschaften oder Merkmale der Produkte beschrieben werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob das Produkt selbst bezeichnet wird. So mag eine Marke „BRAVO“ durchaus positive Assoziationen wecken. Mit „BRAVO“ bezeichnet der Verkehr jedoch kein bestimmtes Produkt.
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gg) Eintragungshindernis: Fehlen der Unterscheidungskraft. Gesetzliche Grundlage für das Eintragungshindernis allgemein fehlender Unterscheidungskraft bilden Art 7 Abs 1 Buchst b GMV bzw § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG. Mit Blick auf die Hauptfunktion der Marke 51 bedeutet hierbei Unterscheidungskraft, dass die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.52 Die Prüfung der Unterscheidungskraft verlangt daher die Prognose, ob es ausgeschlossen erscheint, dass das fragliche Zeichen geeignet ist, in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise die betreffenden Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Herkunft zu unterscheiden.53 Dabei ist es nicht notwendig, dass die Marke genaue Angaben über die Identität des Herstellers der Ware oder des Erbringers der Dienstleistungen vermittelt. Es genügt vielmehr, dass sie den angesprochenen Verkehrskreisen eine Unterscheidung der mit ihr bezeichneten Produkte von den Produkten anderer betrieblicher Herkunft ermöglicht und den Schluss zulässt, dass alle mit ihr bezeichneten Produkte unter der Kontrolle des Inhabers dieser Marke hergestellt bzw erbracht worden sind, der für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann.54 So lässt etwa die Bezeichnung „Kuschelrock“ jedenfalls ohne Einsichtnahme in das Markenregister oder besondere Kenntnisse nicht erkennen, wer die bezeichneten Sampler hergestellt hat. Das Zeichen ermöglicht dem Verbraucher aber grds die Unterscheidung der bezeichneten Sampler von denjenigen anderer Hersteller und verfügt damit über die erforderliche Unterscheidungskraft.55 Bei Wortmarken gelangt die Praxis der Gerichte bei der Beurteilung des Eintragungs49 hindernisses des Fehlens der Unterscheidungskraft meist zu ähnlichen Ergebnissen wie beim Eintragungshindernis der merkmalsbeschreibenden Angabe. So wiesen etwa die Zeichen „DigiFilm“ sowie „DigiFilmMaker“ im Filmbereich keine Unterscheidungskraft auf.56 Unterscheidungskräftig war demgegenüber die Marke „SAT.2“ für satellitenbezogene Dienstleistungen. Zwar mag der Bestandteil „SAT“ die gebräuchliche Abkürzung für Satellit darstellen, und die Ziffer „2“ ebenso wie der Zeichenbestandteil „.“ im geschäftlichen Verkehr gewöhnlich verwendet werden. Doch zeigt der im Telekommunikationssektor häufige Gebrauch von Marken, die aus einem Wortund einem Zahlenbestandteil zusammengesetzt sind, dass derartigen Kombinationen
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ÖsterrOGH WRP 2002, 841, 842 f – SONY WALKMAN I. Vgl oben Rn 2. Etwa EuGH C-53/01 bis C-55/01 vom 8.4. 2003 – Linde Rn 40. So etwa EuG T-87/00 vom 5.4.2001 – EASYBANK Rn 40; T-335/99 vom 19.9.2001 – Tablette für Wasch- oder Geschirrspül-
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maschinen I Rn 44; T-88/00 vom 7.2.2002 – Form von Taschenlampen Rn 34. EuG T-335/99 vom 19.9.2001 – Tablette für Wasch- oder Geschirrspülmaschinen I Rn 43. Vgl EuGH C-383/99 P vom 20.9.2001 – Baby-dry Rn 44. EuG T-178/03 und T-179/03 vom 8.9.2005 – DigiFilm/DigiFilmMaker Rn 30 ff.
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§2
Das Recht der Marken
nicht grds Unterscheidungskraft abgesprochen werden kann.57 Auch Slogans wie „Das Prinzip der Bequemlichkeit“ für Möbel können unterscheidungskräftig sein.58 Bei kombinierten Wort-/Bildmarken kann eine bildliche Gestaltung einem an sich 50 nicht unterscheidungskräftigen Wortzeichen insgesamt die erforderliche Unterscheidungskraft verleihen. Voraussetzung ist dabei, dass ein merklicher Unterschied zwischen dem schutzunfähigen Wort und der Summe seiner begrifflichen und bildlichen Bestandteile besteht.59 Obwohl die Zahl „1“ für die Dienstleistungen eines Fernsehsenders ohne Unterscheidungskraft ist, kann die bekannte, konkret vom Fernsehsender ARD verwendete Zahl „1“ Schutz aufgrund ihrer spezifischen grafischen Gestaltung erlangen.60 Bei Bildmarken gilt allgemein der Grundsatz, dass einfachste geometrische Formen 51 oder sonstige einfache grafische Gestaltungselemente, die – wie dem Verkehr aus Erfahrung bekannt ist – in der Werbung aber auch auf Warenverpackungen oder sogar Geschäftsbriefen üblicherweise in bloß ornamentaler, schmückender Form verwendet werden, nicht geeignet sind, die Ware ihrer Herkunft nach zu individualisieren.61 Darüber hinaus wird einer Bildmarke die nötige Unterscheidungskraft aber auch dann fehlen, wenn das Bild auf die Art oder die Verwendungsweise des Produkts hinweist. So fehlt etwa einer fotografischen Abbildung eines Bürogebäudes, das als Angabe des Ortes aufgefasst werden kann, an dem die Dienstleistungen erbracht werden, jegliche Unterscheidungskraft.62 Im Hinblick auf andere Kategorien als Wort- oder Bildmarken ist folgendes zu beach- 52 ten: Das Gesetz unterscheidet bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft zwar nicht zwischen verschiedenen Kategorien von Marken.63 Auch dass ein Zeichen – etwa als Form der Ware – gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllt, ist für seine Unterscheidungskraft grds unerheblich.64 Die Unterscheidungskraft einer Marke, gleich zu welcher Kategorie sie gehört, muss vielmehr Gegenstand einer konkreten Beurteilung sein.65 So dürfen etwa bei Marken, die aus einem Personennamen bestehen, keine strengeren allgemeinen Beurteilungskriterien angewandt werden. Eine schematische Prüfung, ob eine bestimmte Zahl von Personen mit dem gleichen Namen existiert, ist daher nicht ausreichend.66
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EuGH C-329/02 P vom 16.9.2004 – SAT.2 Rn 30 ff, gegen EuG T-323/00 vom 2.7.2002 – SAT.2. EuG T-138/00 vom 11.12.2001 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT Rn 44; im Ergebnis ebenso EuGH C-64/02 P vom 21.10.2004 – DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT. Vgl EuGH C-363/99 vom 12.2.2004 – Postkantoor Rn 99, 104; C-265/00 vom 12.2. 2004 – Campina Melkunie Rn 43; vgl auch EuG T-19/99 vom 12.1.2000 – Companyline Rn 25; T-345/99 vom 26.10.2000 – Trustedlink Rn 37. BGH GRUR 2000, 608, 610 – ARD-1. BGH GRUR 2000, 502, 503 – St. Pauli Girl; BGH GRUR 2001, 56, 57 – Likörflasche; BGH GRUR 2001, 334, 336 – Gabelstapler I;
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BGH GRUR 2001, 413, 415 – SWATCH; BGH GRUR 2001, 734, 735 – Jeanshosentasche; BGH GRUR 2001, 1153 – anti KALK; BGH GRUR 2004, 594, 597 – Ferrari-Pferd. BGH GRUR 2005, 257, 258 – Bürogebäude. Etwa EuGH C-53/01 bis C-55/01 vom 8.4.2003 – Linde Rn 42. EuG T-128/01 vom 6.3.2003 – Kühlergrill Rn 43, unter Hinweis auf EuG T-36/01 vom 9.10.2002 – Glass Pattern Rn 24; vgl auch EuGH C-107/03 P vom 23.9.2004 – Form einer Seife Rn 53. EuGH C-404/02 vom 16.9.2004 – Nichols Rn 27. EuGH C-404/02 vom 16.9.2004 – Nichols Rn 26 ff.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
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Allerdings werden bestimmte Kategorien von Zeichen vom Publikum nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen werden wie eine Wort- oder Bildmarke, die das Publikum gewohnheitsmäßig unmittelbar als Zeichen auffasst, das auf eine bestimmte Herkunft der Ware hinweist. So sind es die Verbraucher in der Regel nicht gewöhnt, aus der Farbe von Waren oder ihrer Verpackung ohne grafische oder Wortelemente auf die Herkunft der Waren zu schließen, da eine Farbe als solche nach den derzeitigen Gepflogenheiten des Handels grds nicht als Mittel der Identifizierung verwendet wird.67 Bei abstrakten Farbmarken wird ein relativ strenger Maßstab angelegt. Der Grund 54 hierfür besteht darin, dass ein Zeichen, das aus einer Farbe als solcher besteht, vom maßgeblichen Publikum nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen wird wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das unabhängig vom Erscheinungsbild der gekennzeichneten Ware ist. Die Verbraucher sind es nämlich nicht gewöhnt, aus der Farbe von Waren oder ihrer Verpackung ohne grafische oder Wortelemente auf die Herkunft der Waren zu schließen, da eine Farbe als solche nach den derzeitigen Gepflogenheiten des Handels grds nicht als Mittel der Identifizierung verwendet wird.68 So ist es der Deutschen Telekom nur mit größtem Werbeaufwand gelungen, die ungewöhnliche Farbe Magenta als Unterscheidungszeichen zu etablieren. Die Deutsche Post war mit der gebräuchlicheren Farbe Gelb unter geringerem Werbeaufwand weniger erfolgreich.
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dd) Erwerb von Unterscheidungskraft infolge Benutzung. Die vorstehend erläuterten absoluten Eintragungshindernisse der merkmalsbeschreibenden Angaben, der üblichen Bezeichnung und des sonstigen Fehlens von Unterscheidungskraft – und zwar nur diese – können gem Art 7 Abs 3 GMV bzw § 8 Abs 3 MarkenG überwunden werden, wenn sich die Marke vor ihrer Eintragung infolge intensiver Benutzung in den beteiligten Verkehrskreisen als Unterscheidungszeichen durchgesetzt hat. Entscheidend ist hierbei, ob die Marke aus Sicht der beteiligten Verkehrskreise nunmehr geeignet ist, das beanspruchte Produkt als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.69 Eine solche Unterscheidungskraft kann insbesondere die Folge eines normalen Prozesses der Gewöhnung der beteiligten Verkehrskreise sein.70 So kann bspw eine geografische Bezeichnung wie Chiemsee als Marke eingetragen werden, wenn sie infolge ihrer Benutzung die Eignung als Herkunftshinweis erlangt hat. In einem solchen Fall hat die geografische Bezeichnung eine neue Bedeutung erlangt, die nicht mehr nur beschreibend ist, was ihre Eintragung als Marke rechtfertigt.71 67
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EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 65; C-107/03 P vom 23.9.2004 – Form einer Seife Rn 49 f; C-447/02 P vom 21.10. 2004 – Farbe Orange Rn 78; ähnlich schon EuG T-316/00 vom 25.9.2002 – Grün und Grau Rn 27; T-173/01 vom 9.10.2002 – Orange Rn 29. Etwa EuGH C-104/01 vom 6.5.2003 Libertel Rn 47 ff; auch EuGH C-49/02 vom 24.6. 2004 – Heidelberger Bauchemie Rn 41; C-447/02 P vom 21.10.2004 – Farbe Orange Rn 78 f.
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EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 46, 54; C-299/99 vom 18.6.2002 – Philips/Remington Rn 35; EuG T-262/04 vom 15.12.2005 – BIC-Feuerzeug I Rn 61; T-263/04 vom 15.12.2005 – BIC-Feuerzeug II Rn 61. EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5. 1999 – Chiemsee Rn 49, 54; C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel Rn 67; C-136/02 P vom 7.10.2004 – Mag Instrument Rn 47. EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 47.
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§2
Das Recht der Marken
Bei der Gemeinschaftsmarke setzt Art 7 Abs 3 GMV dabei voraus, dass die Marke 56 infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft in all den – wesentlichen72 – Teilen der Union erlangt hat, in denen ein Schutzhindernis einschlägig wäre. Ist eine Gemeinschaftsmarke bspw in Rumänien beschreibend, in der übrigen Gemeinschaft jedoch nicht, so kann diese Marke selbst dann nicht eingetragen werden, wenn sie bspw in anderen Teilen der Gemeinschaft mit Ausnahme Rumäniens infolge intensiver Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat. Das Gebiet Rumäniens macht ebenso wie jeder andere Mitgliedstaat der EU einen wesentlichen Teil der Union aus.73 Bei der Feststellung, ob eine Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft 57 erlangt hat, kommt es auf sämtliche Gesichtspunkte an, die zeigen können, dass die Marke die Eignung als Herkunftshinweis erlangt hat.74 Berücksichtigt werden können der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer der Benutzung dieser Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, der Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden.75 b) Eintragungshindernisse hinsichtlich der Form der Ware. Neben den genannten 58 absoluten Eintragungshindernissen bestehen nach Art 7 Abs 1 Buchst e GMV, § 3 Abs 2 MarkenG 76 auch noch weitere Eintragungshindernisse für solche Zeichen, die aus der Form der Ware bestehen. Nach diesen Vorschriften sind Zeichen von der Eintragung ausgeschlossen, die ausschließlich bestehen – aus der Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, oder – aus der Form der Ware, die zur Herstellung einer technischen Wirkung erforderlich ist, oder – aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht. Hintergrund dieser Eintragungshindernisse ist es zu verhindern, dass der Schutz des Markenrechts seinem Inhaber ein Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware einräumt, die der Benutzer auch bei den Waren der Mitbewerber suchen können soll. g) Eintragungshindernis: Bösgläubige Markenanmeldung. Ein weiteres absolutes Ein- 59 tragungshindernis liegt zudem vor, wenn eine Marke bösgläubig angemeldet wurde. Rechtsgrundlage sind hier § 8 Abs 2 Nr 10 MarkenG, der den Fall als Eintragungshindernis behandelt, sowie Art 51 Abs 1 Buchst b GMV, welcher den Fall lediglich als Nichtigkeitsgrund ausgestaltet. Rechtsprechung seitens der Europäischen Gerichte existiert hierzu bislang nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH ist von einer Bösgläubigkeit des Anmelders jedenfalls dann auszugehen, wenn die Anmeldung rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig erfolgt ist. Praktisch besonders bedeutsam ist dabei die Fallgruppe der Mar72
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EuG T-399/02 vom 29.4.2004 – Flasche mit Limettenscheibe Rn 43; T-262/04 vom 15.12. 2005 – BIC-Feuerzeug I Rn 62; T-263/04 vom 15.12.2005 – BIC-Feuerzeug II Rn 62; entsprechend zur bekannten Marke auch EuGH C-375/97 vom 14.9.1999 – Chevy Rn 28. EuGH C-25/05 P vom 22.6.2006 – Storck II Rn 83 ff. EuGH C-108/97 und C-109/97 vom
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4.5.1999 – Chiemsee Rn 49, 54; C-104/01 vom 6.5.2003 – Libertel, Rn 67; C-136/02 P vom 7.10.2004 – Mag Instrument Rn 48; C-353/03 vom 7.7.2005 – Nestlé Rn 31; auch BGH GRUR 2004, 331, 332 – Westie-Kopf. Etwa EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 51 ff. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorschrift der Markenfähigkeit zugeordnet, um auch nicht eingetragene Marken zu erfassen.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
kenanmeldung zu Spekulationszwecken. Dies setzt eine Vielzahl von Markenanmeldungen ohne Benutzungswillen voraus, mit der Zielrichtung, andere mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen.77
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d) Sonstige Eintragungshindernisse. Sonstige Eintragungshindernisse haben in der Praxis kaum Bedeutung erlangt. Zu nennen sind hier zunächst die Eintragungshindernisse hinsichtlich Zeichen, die gem Art 7 Abs 1 Buchst f GMV, § 8 Abs 2 Nr 5 MarkenG gegen die öffentliche Ordnung verstoßen oder sittenwidrig sind oder die gem Art 7 Abs 1 Buchst g GMV bzw § 8 Abs 2 Nr 4 MarkenG zur Täuschung geeignet sind. Weiter bestehen mit Art 7 Abs 1 Buchst h und i GMV, § 8 Abs 2 Nr 6, 7 und 8 MarkenG Eintragungshindernisse bzgl solcher Zeichen, die amtliche Hoheitszeichen, Prüf- und Gewährzeichen, Abzeichen, Embleme oder Wappen enthalten, denen ein öffentliches Interesse zukommt. Listen relevanter Zeichen, denen ein öffentliches Interesse zukommt, veröffentlicht das DPMA regelmäßig.78 Die links abgebildete Marke mit Wortbestandteil „ECA“ war bspw als Nachahmung des Europa-Emblems
anzusehen. Eine Anmeldung auf Eintragung wurde daher zurückgewiesen.79 Schließlich sehen Art 6quinquies B Nr 3 PVÜ, Art 3 Abs 2 Buchst a MRR und § 8 Abs 2 61 Nr 9 MarkenG generalklauselartig ein Verbot von Zeichen vor, deren Benutzung nach anderen Rechtsvorschriften als denen des Markenrechts im öffentlichen Interesse 80 untersagt werden kann. Allgemein wird die Vorschrift eng ausgelegt.
62
c) Relative Eintragungshindernisse. Während die absoluten Eintragungshindernisse den Interessen der Allgemeinheit dienen und daher beim Eintragungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen sind, dienen die relativen Eintragungshindernisse dazu, die privaten Interessen des Inhabers eines kollidierenden älteren Zeichens zu berücksichtigen. Relative Eintragungshindernisse werden dabei in Deutschland und bei der Gemeinschaftsmarke anders als etwa in den USA nicht von Amts wegen berücksichtigt, sondern müssen vielmehr von der entsprechenden Person geltend gemacht werden. Ist ein Zeichen insoweit markenfähig und greifen keine absoluten Eintragungshinder63 nisse ein, so wird eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung zunächst veröffentlicht, eine angemeldete deutsche Marke sogar gem § 41 MarkenG zunächst in das Markenregister eingetragen und die Eintragung veröffentlicht. Nun kann allerdings von einem Inhaber älterer Rechte innerhalb von drei Monaten gegen die Eintragung Widerspruch oder aber 77 78
BGH GRUR 2001, 242, 244 – Classe E. Zusammenschau im vom DPMA herausgegebenen Taschenbuch des gewerblichen Rechtsschutzes (Loseblattsammlung) unter Nr 218, 219, 223.
724
79 80
EuG T-127/02 vom 21.4.2004 – ECA Rn 39 ff. BGH GRUR 2005, 258, 260 – Roximycin.
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§2
Das Recht der Marken
zu einem späteren Zeitpunkt Löschungsklage nach § 51 Abs 1 MarkenG erhoben werden. Ob der Widerspruch erfolgreich verlaufen wird, hängt in erster Linie davon ab, ob das jüngere Zeichen tatsächlich vom Schutzbereich des älteren Rechts erfasst ist.81 3. Markenschutz ohne Eintragung Ohne Eintragung entsteht Markenschutz an einer deutschen Marke entweder durch 64 die Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr, soweit das Zeichen innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Marke Verkehrsgeltung erworben hat (§ 4 Nr 2 MarkenG), oder durch notorische Bekanntheit der Marke (§ 4 Nr 3 MarkenG) 82. Durch bloße Inbenutzungnahme entstehen hingegen keine Markenrechte – unter Umständen aber Rechte an einer geschäftlichen Bezeichnung.83 Durch die MRR wurde entsprechend ihrem vierten Erwägungsgrund sowie Art 1 MRR ausdrücklich keine Harmonisierung der Benutzungsmarke herbeigeführt. Auch eine Benutzungsgemeinschaftsmarke existiert nicht. Entscheidend sind folglich die nationalen Vorschriften. In Deutschland setzt der Erwerb von Markenrechten ohne Eintragung voraus, dass 65 das Zeichen einen hohen Bekanntheitsgrad erwirbt. Dies wiederum erfordert umfangreiche Investitionen. Unternehmen, die derartige Investitionen tätigen können, werden es in der Praxis aber nur selten versäumen, entsprechende Marken zur Anmeldung zu bringen. Markenschutz ohne Eintragung spielt daher in der Praxis eine immer geringere Rolle. Während dieser früher eine gewisse Bedeutung bei solchen Kennzeichnungsformen hatte, die – wie die Form der Ware – nicht eintragungsfähig waren, hat in der Zwischenzeit die Beseitigung einschlägiger Eintragungshindernisse dazu geführt, dass entsprechende Marken eingetragen wurden. Lediglich bei den neuen Markenformen sind Unternehmen aufgrund schleppender Eintragungsverfahren gelegentlich noch gezwungen, aus Benutzungsmarken vorzugehen.84 Auch soweit nur für Teilgebiete der Bundesrepublik Markenschutz geltend gemacht wird, können Benutzungsmarken relevant werden.85
II. Inhalt des Markenrechts 1. Allgemeines Wie bereits eingangs erwähnt, erwirbt der Inhaber mit seiner Marke ein ausschließ- 66 liches Recht in Form eines Verbietungsrechts. Er kann einerseits gegen die Registrierung eines vergleichbaren oder identischen Zeichens vorgehen (vgl Art 8 GMV, § 9 MarkenG), andererseits aber auch schon die bloße Benutzung des Zeichens durch Dritte untersagen und bspw gegebenenfalls Schadensersatz verlangen (Art 9 GMV, § 14 MarkenG). Hierfür stellt das Markenrecht dem Inhaber eines Kennzeichens in erster Linie Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritte zur Verfügung, hält daneben aber auch eine Vielzahl von Hilfsansprüchen bereit (vgl etwa §§ 17 ff MarkenG).86
81 82 83 84
Zum Schutzbereich von Marken unten Rn 66 ff. Hierzu EuGH C-328/06 vom 22.11.2007 – Nuño. Hierzu unten Rn 171 ff. Vgl etwa BGHZ 156, 126 – Farbmarkenver-
85 86
letzung I; auch BGH GRUR 2004, 514, 516 – Telekom. Vgl BGHZ 16, 82, 91 – Örtlich begrenzte Verkehrsgeltung. Zu den einzelnen Ansprüchen im Markenrecht s Hildebrandt § 27.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
2. Der markenrechtliche Anspruch nach Art 9 GMV und § 14 MarkenG
67
a) Allgemeines. Wichtigste Anspruchsgrundlage im Markenrecht bilden die von Art 5 MRR vorgezeichneten Art 9 GMV und § 14 Abs 5 iVm Abs 2 MarkenG. Hiernach kann der Inhaber einer Marke es Dritten insbesondere untersagen: 1. ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt (Identitätsschutz), 2. ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechselungen besteht, einschließlich der Gefahr, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird (Verwechslungsschutz), oder 3. ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht mit denen ähnlich sind, für die die Marke Schutz genießt, wenn es sich bei der Marke um eine bekannte Marke handelt und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt (Bekanntheitsschutz).
68
b) Benutzung im geschäftlichen Verkehr. Gemeinsame Voraussetzung der Untersagungstatbestände aus Art 9 GMV bzw § 14 MarkenG ist die Benutzung des fraglichen Zeichens durch einen Dritten im geschäftlichen Verkehr. Eine Benutzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs kann allenfalls namensrechtliche Unterlassungsansprüche begründen.87 Eine allgemeine Definition des Begriffs des geschäftlichen Verkehrs fehlt bislang. Der EuGH hat aber die Benutzung im geschäftlichen Verkehr als eine auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichtete kommerzielle Tätigkeit von der Benutzung im privaten Bereich abgegrenzt.88 So stellt die Benutzung der Marke „Arsenal“ auf Schals, die als Fanartikel an einem Verkaufsstand verkauft werden, eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr dar.89 Entsprechendes gilt für die Benutzung einer Marke in Anzeigen.90 Problematisch wird die Frage eines Handelns im geschäftlichen Verkehr in der Praxis 69 vor allem bei Gelegenheitsverkäufen über Internet-Plattformen wie Ebay. Ob hier noch im privaten oder schon im geschäftlichen Verkehr gehandelt wird, ist eine Frage des Einzelfalls.91
70
c) Rechtsverletzende Benutzung als Marke. Die Verletzungstatbestände erfordern neben einem Handeln im geschäftlichen Verkehr zudem, dass die Marke durch die Benutzung in ihrem Funktionsbereich berührt wird. Dies setzt beim Identitätsschutz und beim Schutz gegen Verwechslungsgefahr 92 voraus, dass die Benutzung in einem Zusam-
87 88
89
90 91
S hierzu noch unten Rn 205 ff. EuGH C-206/01 vom 12.11.2002 – Arsenal/ Reed Rn 39 f; C-48/05 vom 25.1.2007 – Adam Opel Rn 18. EuGH C-206/01 vom 12.11.2002 – Arsenal/ Reed Rn 39 f; vgl auch EuG T-195/00 vom 10.4.2003 – Offizielles Euro-Symbol Rn 93. EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 41, unter Hinweis auf Art 5 Abs 3 MRR. Unklar BGHZ 158, 236, 249 – Internet-Ver-
726
92
steigerung; vgl aber OLG Frankfurt GRURRR 2005, 317; OLG Frankfurt GRUR-RR 2006, 48; aA OLG Köln GRUR-RR 2006, 50, wogegen allerdings der BGH (Az I ZR 73/05) am 3.11.2005 auf Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zugelassen hat. Anders bei der bekannten Marke EuGH C-48/05 vom 25.1.2007 – Adam Opel; BGH GRUR 2005, 583, 584 f – Lila-Postkarte.
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§2
Das Recht der Marken
menhang mit der Unterscheidung von Produkten eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen steht und damit die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke beeinträchtigt oder zumindest beeinträchtigen könnte. Dies erfordert grds, dass das fragliche Zeichen vom Dritten als Marke benutzt wird und damit auch der Unterscheidung der Produkte eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen dient.93 Wird ein Zeichen von einem Dritten etwa zu rein beschreibenden Zwecken hinsichtlich der Merkmale der angebotenen Ware verwendet, so stellt dies keine rechtsverletzende Benutzung dar. Aus diesem Grunde stellen etwa Bezugnahmen auf eine Marke im Rahmen eines Verkaufsgesprächs, die lediglich dazu dienen, über die Merkmale der angebotenen Ware zu kommunizieren, keine rechtsverletzende Benutzung im Sinne der Untersagungstatbestände dar. Ob eine Benutzung als Marke und damit eine rechtsverletzende Benutzung vorliegt, 71 ist unter Zugrundelegung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittverbrauchers von der Warte der beteiligten Verkehrskreise aus zu beurteilen.94 Die Rechtsprechung verneint dabei eine rechtsverletzende Benutzung insbesondere dann, wenn die angegriffenen Zeichen oder ihre Wortbestandteile für die maßgeblichen Verkehrskreise beschreibend waren.95 Andererseits steht es der Wertung als rechtsverletzende Benutzung nicht entgegen, wenn die Marke (auch) dergestalt benutzt wird, dass eine Verbundenheit mit dem Markeninhaber dokumentiert wird. So würde etwa die Benutzung der Marke einer Band, etwa des Logos von Pink Floyd auf von einem Dritten angebotenen Fanartikel eine rechtsverletzende Benutzung darstellen.96 Soll aus einer Marke gegen ein Unternehmenskennzeichen vorgegangen werden, so 72 stellt die Verwendung des Unternehmenskennzeichens nicht in jedem Fall automatisch eine rechtsverletzende Benutzung dar. Hier liegt eine rechtsverletzende Benutzung erst dann vor, wenn ein Dritter das Zeichen, das seine Gesellschaftsbezeichnung, seinen Handelsnamen oder sein Firmenzeichen bildet, auf den Waren anbringt, die er vertreibt. Zudem liegt auch ohne Anbringung eine rechtsverletzende Benutzung vor, wenn der Dritte das Zeichen in der Weise benutzt, dass eine Verbindung zwischen dem Zeichen, das die Gesellschaftsbezeichnung, den Handelsnamen oder das Firmenzeichen des Dritten bildet, und den vom Dritten vertriebenen Waren oder den von ihm erbrachten Dienstleistungen hergestellt wird.97 Benutzt daher etwa ein Dienstleistungsunternehmen sein Unternehmenskennzeichen zugleich ausnahmslos für sämtliche Dienstleistungen, so wird eine rechtsverletzende Benutzung zu bejahen sein. Demgegenüber dürfte bei einer Mehrmarkenstrategie ohne explizite Verwendung des Unternehmenskennzeichens eines Dienstleistungsunternehmens ein markenrechtlicher Anspruch gegen das Unternehmenskennzeichen ausscheiden. 93 94
EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 38. EuGH C-48/05 vom 25.1.2007 – Adam Opel Rn 23 ff; BGHZ 153, 131, 139 – Abschlussstück; BGHZ 156, 126, 136 – Farbmarkenverletzung I; BGH GRUR 2002, 814, 815 – Festspielhaus I; BGH GRUR 2002, 812, 813 – FRÜHSTÜCKS-DRINK II; BGH GRUR 2003, 963, 964 – AntiVir/AntiVirus; BGH GRUR 2004, 154, 155 – Farbmarkenverletzung II; BGH GRUR 2004, 947, 948 –
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Gazoz; BGH GRUR 2005, 419, 421 – Räucherkate. BGH GRUR 2002, 814, 815 – Festspielhaus I; BGH GRUR 2002, 812, 813 – FRÜHSTÜCKS-DRINK II. In diesem Sinne für Fußballfanartikel EuGH C-206/01 vom 12.11.2002 – Arsenal/Reed Rn 39, 41, 55 ff. EuGH C-17/06 vom 11.9.2007 – Céline Rn 22 f; auch BGH I ZR 33/05 vom 13.9.2007 – THE HOME DEPOT Rn 22 f.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
73
2. Teil
Art 9 Abs 2 GMV und § 14 Abs 3 MarkenG enthalten schließlich einen nicht abschließenden 98 Beispielkatalog für typische Benutzungshandlungen als Marke. Danach kann insbesondere verboten werden, das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen, unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen, Waren unter dem Zeichen ein- oder auszuführen 99 oder das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen.
74
d) Identitätsschutz. Der erste der drei markenrechtlichen Eingriffstatbestände setzt eine Identität der sich jeweils gegenüberstehenden Zeichen und Produkte voraus – auch „doppelte Identität“ genannt. Regelungsgrundlage sind Art 16 Abs 1 TRIPs, Art 4 Abs 1 Buchst a, 5 Abs 1 Buchst a MRR, Art 8 Abs 1 Buchst a, 9 Abs 1 Buchst a GMV, §§ 9 Abs 1 Nr 1, 14 Abs 2 Nr 1 MarkenG. Anwendbar ist der Eingriffstatbestand vor allem in den klassischen „Pirateriefällen“, die gerade darauf abzielen, eine identische Marke für ein möglichst identisches Produkt zu verwenden. Der Begriff der Zeichenidentität ist hierbei grds eng auszulegen. Gleichwohl verlangt 75 der Begriff nicht, dass die sich gegenüberstehenden Zeichen in sämtlichen Punkten übereinstimmen. Vielmehr liegt eine Zeichenidentität bereits dann vor, wenn ein Zeichen ohne Änderung oder Hinzufügung alle Elemente wiedergibt, die die ältere Marke bilden, oder wenn es als Ganzes betrachtet Unterschiede gegenüber der Marke aufweist, die so geringfügig sind, dass sie einem Durchschnittsverbraucher entgehen können. Maßgeblich kommt es also auf die Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers der betreffenden Produkte an, dem unbedeutende Unterschiede zwischen dem Zeichen und der Marke entgehen können.100 Identisch sind daher etwa trotz unterschiedlicher Schreibweise die Zeichen „pc69“ und „PC 69“.101 Der Begriff der Produktidentität bereitet in der Praxis kaum Probleme. Von Bedeu76 tung ist, dass Produktidentität bereits dann besteht, wenn ein Zeichen für Produkte unter einem Oberbegriff Schutz beansprucht und das andere Zeichen nur einen Teil der unter den Oberbegriff fallenden Produkte betrifft.102 Hierbei ist belanglos, welches der beiden Zeichen älter ist. Ausreichend ist insoweit stets, dass auch nur in einem kleinen Bereich eine Überschneidung der Produkte vorliegt.
77
e) Verwechslungsschutz. Der Tatbestand der Verwechslungsgefahr ist der zentrale markenrechtliche Verletzungstatbestand. Regelungsgrundlage sind die Art 6bis I PVÜ; Art 16 Abs 1 S 1 TRIPs; Art 4 Abs 1 Buchst b, 5 Abs 1 Buchst b MRR; Art 8 Abs 1 Buchst b, 9 Abs 1 Buchst b GMV; §§ 9 Abs 1 Nr 2, 14 Abs 2 Nr 2 MarkenG. Der Tatbestand ist umfassend harmonisiert. Zu den zentralen Fragen hat sich inzwischen der EuGH äußern können. Allgemein besteht eine Verwechslungsgefahr dann, wenn die angesprochenen Ver78 kehrskreise sich in Bezug auf die Herkunft der betreffenden Produkte täuschen könn98
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100
EuGH C-355/96 vom 16.7.1998 – Silhouette Rn 17; auch C-228/03 vom 17.3.2005 – Gillette Rn 28. Die bloße Durchfuhr von Waren stellt demgegenüber keine Markenverletzung dar, vgl EuGH C-281/05 vom 9.11.2006 – Montex Rn 23. EuGH C-291/00 vom 20.3.2003 – LTJ Diffusion/Sadas Vertbaudet Rn 44 ff.
728
101 102
BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung. EuG T-385/03 vom 7.7.2005 – MILES/Biker Miles Rn 32; T-346/04 vom 24.11.2005 – Arthur/ARTHUR ET FELICIE Rn 34; T-29/04 vom 8.12.2005 – CRISTAL/ CRISTAL CASTELLBLANCH Rn 51.
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§2
Das Recht der Marken
ten.103 Hierbei genügt es, wenn die angesprochenen Verkehrskreise glauben könnten, dass die betreffenden Produkte aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen.104 Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände 79 des Einzelfalls umfassend zu beurteilen.105 Zwingende kumulative Voraussetzungen sind die Identität oder Ähnlichkeit der Zeichen und eine Identität oder Ähnlichkeit der Produkte.106 Sind die in Rede stehenden Produkte – wie etwa Blasinstrumente und Fotografien – nicht ähnlich, so scheidet eine Verwechslungsgefahr von vornherein aus. Entsprechendes gilt, wenn schon die Zeichen nicht ähnlich sind, wie etwa bei den Zeichen „Sony“ und „Universal“. Auf eine etwaige bestehende Produktähnlichkeit kommt es dann nicht mehr an. Neben Zeichen- und Produktähnlichkeit ist aber auch die Kennzeichnungskraft der 80 älteren Marke, insbesondere ihre Bekanntheit, ein dritter, wichtiger Faktor.107 Zwar mag die Gefahr tatsächlicher Verwechslungen mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Zeichens sogar sinken, weil das Zeichen dem Verkehr so häufig begegnet, dass er Fehlvorstellungen über sein tatsächliches Aussehen weniger unterliegen wird. Andererseits neigt der Verkehr jedoch gleichzeitig dazu, ihm bekannte Kennzeichnungen in einer anderen Kennzeichnung wiederzuerkennen.108 So wird der Verkehr etwa bei dem Zeichen DONLINE aufgrund der hohen Kennzeichnungskraft des Zeichens T-Online dazu neigen, das D in DONLINE ebenso wie bei T-online von dem Teil Online getrennt auszusprechen: D-Online.109 Die drei Faktoren der Zeichenähnlichkeit, der Produktähnlichkeit und der Kennzeich- 81 nungskraft stehen untereinander in einer gewissen Wechselbeziehung. So kann ein geringer Grad der Produktähnlichkeit durch einen höheren Grad der Zeichenähnlichkeit ausgeglichen werden und umgekehrt. Die Eintragung einer Marke kann also auch trotz eines eher geringen Grades der Produktähnlichkeit ausgeschlossen sein, wenn die Zeichenähnlichkeit groß und die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, insbesondere ihr Bekanntheitsgrad, hoch sind.110 aa) Kennzeichnungskraft. Um die Kennzeichnungskraft eines Zeichens zu ermitteln, 82 ist in erster Linie zu fragen, in welchem Maße die Marke geeignet ist, die Produkte, für die sie eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und damit diese Produkte von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden.111 Kennzeichnungskraft ist damit in der Sache nichts anderes als Unterscheidungskraft, umfasst jedoch insbesondere auch jede durch Benutzung erworbene Bekanntheit.
103
104 105
106 107
EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 26 ff; C-3/03 P vom 28.4.2004 – Matratzen Concord Rn 27; C-361/04 P vom 12.1.2006 – Picasso Rn 36. Etwa EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 29 f. Etwa EuGH C-251/95 vom 11.11.1997 – Springende Raubkatze Rn 22; C-361/04 P vom 12.1.2006 – Picasso Rn 18. Etwa EuGH C-106/03 P vom 12.10.2004 – SAINT-HUBERT 41/HUBERT Rn 51. Vgl den zehnten Erwägungsgrund der MRR.
108 109 110
111
Etwa BGH GRUR 2002, 171, 175 – Marlboro-Dach. Vgl BGH BGH GRUR 2004, 239 – DONLINE. EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 17, 19; C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 21. EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 22, 28, unter Hinweis auf EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 49.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
Während der Begriff der Unterscheidungskraft dabei im Eintragungsverfahren verwendet wird, hat der Begriff der Kennzeichnungskraft seinen Platz im Bereich der Zeichenkollisionen. Bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft gelten unabhängig von dieser begrifflichen Unterscheidung aber ähnliche Faktoren wie bei der Frage, ob eine Marke infolge Benutzung Unterscheidungskraft besitzt.112 Von Bedeutung sind insoweit, – die Eigenschaften, die die Marke von Haus aus besitzt, einschließlich des Umstands, ob sie beschreibende Elemente in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, aufweist, – der von der Marke gehaltene Marktanteil, – die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Marke, – der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, sowie – der Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt.113 Auszugehen ist in der Regel von durchschnittlicher Kennzeichnungskraft. Besondere 83 Umstände können jedoch die Kennzeichnungskraft entweder schwächen oder erhöhen. Von geringerer Kennzeichnungskraft ist dabei in zwei Fallgruppen auszugehen, nämlich zum einen bei einer Anlehnung der Marke an beschreibende Begriffe,114 zum anderen im Falle einer Schwächung durch Drittkennzeichen.115 Eine besonders einprägsame Markenkonzeption kann demgegenüber einem Zeichen von Hause aus erhöhte Kennzeichnungskraft verleihen.116 Gleiches gilt in Fällen einer infolge umfangreicher Benutzung erworbenen Bekanntheit.117
84
bb) Zeichenähnlichkeit. a) Allgemeines. Ist die Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Zeichens festgestellt, stellt sich als nächstes die Frage, ob und inwieweit sich die in Frage stehenden Zeichen ähneln. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auch die Zeichenähnlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Eine besondere Rolle spielen dabei die Prüfung der Ähnlichkeit der Marken in den verschiedenen Wahrnehmungsrichtungen – klanglich, bildlich, begrifflich.118 Sodann ist bei der Prüfung auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind.119 Schließlich kann ausnahmsweise auch dann eine Zeichenähnlichkeit bestehen, wenn ein Zeichenbestandteil in einer jüngeren Marke übernommen wird und dort eine selbstständig kennzeichnende Stellung behält.120 112 113 114 115
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118
Vgl hierzu bereits Rn 55 ff. Etwa EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 23, 28. Etwa BGHZ 156, 112, 122 – Kinder. Etwa BGHZ 45, 131, 140 – Shortening; BGH GRUR 2002, 626, 628 – IMS; EuG T-85/02 vom 4.11.2003 – EL CASTILLO/ CASTILLO Rn 45, 47. Etwa EuG T-33/03 vom 9.3.2005 – SHARK/ Hai Rn 60 f; T-126/03 vom 14.7.2005 – ALADDIN/ALADIN Rn 92. Etwa EuG T-8/03 vom 13.12.2004 – EMIDIO TUCCI/EMILIO PUCCI Rn 68; T-277/04 vom 12.7.2006 – VITAKRAFT/ VITACOAT Rn 34. EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd
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Schuhfabrik Meyer Rn 27; C-361/04 P vom 12.1.2006 – Ruiz-Picasso ua/HABM Rn 37; C-235/05 P vom 27.4.2006 – L’Oréal/ HABM Rn 40; C-334/05 P vom 12.6.2007 – HABM/Shaker Rn 36. EuGH C-251/95 vom 11.11.1997 – Springende Raubkatze Rn 23; C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 25; C-3/03 P vom 28.4.2004 – Matratzen Concord Rn 29; C-120/04 vom 6.10. 2005 – Medion Rn 28; C-361/04 P vom 12.1.2006 – Picasso Rn 19, 37; auch EuG T-104/01 vom 23.10.2002 – Miss Fifties/Fifties Rn 34; BGH GRUR 2000, 506, 509 – ATTACHÉ/TISSERAND. EuGH C-120/04 vom 6.10.2005 – Medion.
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§2
Das Recht der Marken
b) Wahrnehmungsrichtungen. Insbesondere wenn ein jüngeres Zeichen als Variation 85 einer älteren Marke erscheint, kommt es darauf an, ob die Zeichen in den verschiedenen Wahrnehmungsrichtungen, also klanglich, bildlich oder begrifflich, ähnlich sind. aa) Prüfung der klanglichen Ähnlichkeit. Vorfrage der Prüfung der klanglichen Ähn- 86 lichkeit ist grds die Untersuchung, wie der Verkehr die Zeichen unter Zugrundlegung der maßgeblichen Ausspracheregeln aussprechen wird. Denn bei der klanglichen Ähnlichkeit sind Sprachgewohnheiten, Ausspracheregeln und Lesegewohnheiten der beteiligten Verkehrskreise von erhöhter Relevanz. So ähnelt die Marke O.C. bspw in klanglicher Hinsicht – sofern man auf den deutschen Verbraucher abstellt – eher nicht der Marke „Hohes C“. Würde man aber demgegenüber auf den französischen Verbraucher abstellen, welcher ein „h“ am Anfang eines Wortes nicht ausspricht und die Endsilbe „es“ bei „hohes“ wahrscheinlich ebenfalls „verschlucken“ würde, so müsste eine klangliche Ähnlichkeit der Zeichen wohl bejaht werden. In (schrift-)bildlicher Hinsicht wäre hingegen unabhängig vom maßgeblichen Verbraucher eine Ähnlichkeit zu verneinen. Weiter kann es von Bedeutung sein, an welcher Position die in Frage stehenden Zei- 87 chen Ähnlichkeiten aufweisen. Hier ist eine Tendenz der Rechtsprechung auszumachen, Ähnlichkeiten im Zeichenbeginn größere Bedeutung beizumessen, als solchen in der Zeichenmitte oder am Zeichenende. So hielt das EuG wegen des übereinstimmenden Beginns die Zeichen „MUNDICOR“ und „MUNDICOLOR“ für ähnlich.121 Nicht ähnlich waren für das EuG bei einem Fachpublikum aufgrund des unterschiedlichen Zeichenbeginns demgegenüber die Zeichen „ASTERIX“ und „STARIX“.122 bb) Prüfung der bildlichen Ähnlichkeit. Die bildliche Ähnlichkeit kann nicht nur 88 dann geprüft werden, wenn sich zwei Wort-/Bildmarken oder Bild- oder Farbmarken gegenüberstehen, sondern auch dann, wenn es sich um einen Konflikt einer Wortmarke gegen eine andere Wortmarke oder gegen eine (Wort-)Bildmarke handelt. Meist gelangt die Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass Zeichen, die sich einander klanglich ähneln, auch schriftbildlich ähnlich sind. So führt auch in schriftbildlicher Hinsicht bei der Kollision der Zeichen „MUNDICOLOR“ und „MUNDICOR“ die zusätzliche Silbe „LO“ nicht dazu, dass die Zeichen nicht mehr ähnlich wären.123 Andererseits kann vor allem die Tatsache, dass eines der Zeichen getrennt, das andere 89 zusammen geschrieben wird, einer bildlichen Ähnlichkeit entgegenstehen. So spricht bei den Zeichen „OLLY GAN“ und „HOOLIGAN“ die unterschiedliche Schreibweise in einem bzw zwei Wörtern gegen eine schriftbildliche Ähnlichkeit.124 Bei der Kollision einer Wortmarke mit einer Wort-/ Bildmarke ist entsprechend zu 90 prüfen, ob sich die Wortbestandteile der Zeichen ähneln und – wenn dies zu bejahen ist – ob die zusätzlichen Schrift- oder Bildbestandteile das Zeichen aus dem Ähnlichkeitsbereich hinausführen.125 Insbesondere spezielle und originell gestaltete Bildbestandteile können dabei einer Ähnlichkeit entgegenwirken. 121
122 123
EuG T-183/02 und T-184/02 vom 17.3.2004 – MUNDICOLOR/MUNDICOR Rn 82 f. EuG T-311/01 vom 22.10.2003 – ASTERIX/ Starix Rn 53. EuG T-183/02 und T-184/02 vom
124 125
17.3.2004 – MUNDICOLOR/MUNDICOR Rn 81. EuG T-57/03 vom 1.2.2005 – OLLY GAN/HOOLIGAN Rn 55 f. Vgl etwa EuG T-211/03 vom 20.4.2005 – NABER/Faber Rn 37 ff.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
So sind bei der Kollision der Marken „NABER“ und
die Wortbestandteile in bildlicher Hinsicht zwar gerade noch ähnlich. Durch die besondere grafische Gestaltung wird diese geringe Ähnlichkeit jedoch hinreichend ausgeräumt.126
91
gg) Prüfung der begrifflichen Ähnlichkeit (Ähnlichkeit im Bedeutungsgehalt). Eine Prüfung der begrifflichen Ähnlichkeit wird dann in der Regel von vornherein nicht sachdienlich sein, wenn die Zeichen in der Sprache der angesprochenen Verkehrskreise keine Bedeutung haben.127 Das EuG lässt es jedoch für eine begriffliche Ähnlichkeit regelmäßig128 genügen, wenn die sich gegenüberstehenden Zeichen übereinstimmende semantische Anklänge aufweisen. So waren die Begriffe „LINDERHOF“ und „LINDENHOF“ begrifflich ähnlich, zumal nicht zu erwarten war, dass der Durchschnittsverbraucher in Deutschland das Schloss „Linderhof“ kennen und daher eher an einen „Hof“ oder ein „Landgut“ denken wird.129
92
dd) Abweichende Ergebnisse in einzelnen Wahrnehmungsrichtungen und ihre Konsequenzen. Ist in einer oder zwei der Wahrnehmungsrichtungen eine Ähnlichkeit zwar zu bejahen, in einer anderen Richtung jedoch zu verneinen, ist das Ergebnis eine Frage des Einzelfalls. Zunächst einmal können die einzelnen Wahrnehmungsrichtungen dabei unterschied93 liches Gewicht haben. So ist etwa beim Kauf von Bekleidungsstücken der bildliche Aspekt von größerer Bedeutung. In den Bekleidungsgeschäften können die Kunden die Kleidung, die sie kaufen möchten, im Allgemeinen entweder selbst auswählen oder sich von einem Verkäufer helfen lassen. Ein Gespräch über die Ware und die Marke ist zwar nicht ausgeschlossen, die Auswahl des Bekleidungsstücks erfolgt jedoch im Allgemeinen nach seinen äußeren Merkmalen.130 Auch kann zwar schon allein die Ähnlichkeit in einer Richtung eine Verwechslungs94 gefahr hervorrufen.131 Allerdings neutralisieren Unterschiede in einer Wahrnehmungsrichtung unter Umständen Ähnlichkeiten in einer anderen Richtung. Von praktischer
126 127 128
129 130
EuG T-211/03 vom 20.4.2005 – NABER/ Faber Rn 40 ff. Etwa EuG T-388/00 vom 23.10.2002 – ILS/ ELS Rn 74. Erheblich zurückhaltender aber EuG T-3/04 vom 24.11.2005 – KINNIE/KINJI by SPA Rn 53. EuG T-296/02 vom 15.2.2005 – LINDERHOF/LINDENHOF Rn 65 ff. EuG T-292/01 vom 14.10.2003 – PASH/ BASS Rn 55; auch EuG T-117/03 bis T-119/03 und T-171/03 vom 6.10.2004 – NL Rn 49 ff; T-57/03 vom 1.2.2005 –
732
131
OLLY GAN/HOOLIGAN Rn 66; auch BGHZ 139, 340 – Lions. EuGH C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 28; EuG T-104/01 vom 23.10.2002 – Miss Fifties/Fifties Rn 34; T-99/01 vom 15.1.2003 – Mystery/Mixery Rn 42, 48; BGHZ 139, 340 – Lions; BGH GRUR 1999, 990, 991 – Schlüssel; BGH GRUR 2003, 1044, 1046 – Kelly; BGH GRUR 2004, 779, 782 – Zwilling/Zweibrüder; BGH GRUR 2004, 783, 784 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX.
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§2
Das Recht der Marken
Bedeutung sind vor allem die Fälle, in denen eine klangliche und schriftbildliche Ähnlichkeit besteht, die aber durch begriffliche Unterschiede zurückgedrängt wird. In diesem Fall führt der begriffliche Unterschied in der Regel zu einer Aufhebung der Verwechslungsgefahr. Für eine solche Neutralisierung ist erforderlich, dass zumindest eines der Zeichen in der Wahrnehmung der maßgebenden Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, so dass die Verkehrskreise sie ohne Weiteres erfassen können.132 So weist bei der Kollision der Marken „PASH“ und „BASS“ das Wort „BASS“ eine für den deutschen Verbraucher erkennbare Bedeutung auf, wodurch eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen ist.133 Auch die Bedeutungsunterschiede zwischen den Zeichen „PICASSO“ – bekannt als Name des berühmten Malers – und „PICARO“ sind so beschaffen, dass sie die geringen optischen und klanglichen Ähnlichkeiten neutralisieren.134 g) Zeichenähnlichkeit aufgrund prägender Bestandteile. Gerade bei der Prüfung der 95 Zeichenähnlichkeit mehrteiliger Marken steht die Frage im Vordergrund, welche der Zeichenelemente unterscheidungskräftig und dominierend sind, also die jeweiligen Marken prägen. Die Beurteilung nach dem Gesamteindruck schließt dabei nicht aus, dass unter Um- 96 ständen ein oder mehrere Bestandteile einer zusammengesetzten Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können.135 Vor allem dieser Bestandteil ist dann der Prüfung der Zeichenähnlichkeit zugrunde zu legen und ist mit dem kollidierenden Zeichen zu vergleichen (sog Prägelehre). So ist etwa im Falle einer Kollision der Marken »GRUPO SADA« und »Sadia« in der Marke »GRUPO SADA« der Bestandteil »GRUPO« für den spanischen Verbraucher als Bezeichnung für eine Unternehmensgruppe beschreibend, die Marke daher durch »SADA« geprägt und der Bestandteil »GRUPO« als Hinweis auf eine etwaige Unternehmenszugehörigkeit eher noch geeignet, eine Verwechslungsgefahr der beiden Zeichen zu vergrößern.136 Ob ein einzelner Bestandteil eines Zeichens unterscheidungskräftig und dominierend 97 – also prägend – sein kann, beurteilt sich letztlich nach denselben Maßstäben wie sie auch bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft einer Marke im Rahmen der Verwechslungsgefahr angelegt werden.137 Während jedoch bei der Prüfung der Kennzeich-
132
133 134
135
EuG T-292/01 vom 14.10.2003 – PASH/ BASS Rn 54; T-355/02 vom 3.3.2004 – sir/ZIRH Rn 49; T-183/02 und T-184/02 vom 17.3.2004 – MUNDICOLOR/MUNDICOR Rn 93; T-185/02 vom 22.6.2004 – PICASSO/PICARO Rn 56; T-353/02 vom 13.4.2005 – INTESA/INTEA Rn 34; T-336/03 vom 27.10.2005 – OBELIX/ MOBILIX Rn 80. EuG T-292/01 vom 14.10.2003 – PASH/ BASS Rn 54. EuG T-185/02 vom 22.6.2004 – PICASSO/ PICARO Rn 57 f, bestätigt durch EuGH C-361/04 P vom 12.1.2006 – Picasso Rn 20. EuGH C-3/03 P vom 28.4.2004 – Matratzen Concord Rn 32; auch EuG T-6/01 vom
136 137
23.10.2002 – Matratzen/Matratzen Markt Concord Rn 31 ff; T-104/01 vom 23.10.2002 – Miss Fifties/Fifties Rn 47; T-31/03 vom 11.5.2005 – Sadia/GRUPO SADA Rn 49, 67; BGHZ 131, 122, 125 – Innovadiclophlont; BGH GRUR 2004, 865, 866 – Mustang. EuG T-31/03 vom 11.5.2005 Sadia/GRUPO SADA Rn 52 ff, 69. Zu unterscheiden ist die Frage jedoch davon, ob ein Zeichen überhaupt über hinreichende Unterscheidungskraft verfügt: EuG T-277/04 vom 12.7.2006 – VITAKRAFT/VITACOAT Rn 55.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
nungskraft 138 im Hinblick auf das Gesamtzeichen untersucht wird, welche Eigenschaften das Zeichen als Ganzes von Hause aus aufweist und welchen Bekanntheitsgrad es durch Benutzung erworben hat, werden im Rahmen der Prüfung der Zeichenähnlichkeit dieselben Grundsätze auf die Einzelelemente eines Zeichens angewandt.139 Es kann daher grds ergänzend auf die oben vorgestellten Grundsätze zur Beurteilung der Kennzeichnungskraft einer Marke verwiesen werden. Letztlich wird damit auch bei der Ermittlung der unterscheidungskräftigen und domi98 nierenden Elemente in erster Linie darauf abgestellt, ob ein Zeichenelement eine herkunftshinweisende Bedeutung aufweist.140 Wie fast immer im Kennzeichenrecht kommt es bei der Frage, ob eine prägende Fantasiebezeichnung oder eine lediglich beschreibende oder anpreisende Angabe vorliegt, auf die Sichtweise der maßgeblichen Verkehrskreise im Hinblick auf das konkrete Produkt an. So kann der Bestandteil »MATRATZEN« selbst bei einer für Matratzen geschützten Marke »MATRATZEN markt CONCORD« einem spanischen Verbraucher als Fantasiebestandteil erscheinen, weil das Wort »Matratzen« im Spanischen keine Bedeutung aufweist.141 Aus der Tatsache, dass bei der Frage der Prägung ähnliche Maßstäbe angelegt werden, 99 wie bei der Prüfung der Kennzeichnungskraft, folgt, dass (unterscheidungskräftige) Fantasiezeichen am ehesten ein Zeichen dominieren können,142 nicht aber schutzunfähige, insbesondere beschreibende Elemente. Dabei kommt es stets auf die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen an. So wird ein Zeichen wie »BLEIFREI«143 im Bekleidungsbereich nicht beschreibend verstanden. Andererseits sind Elemente wie »negra« als ein dem spanischen Verbraucher bekannter Hinweis auf dunkles Bier 144 oder die geografischen Angaben »New York«145 oder »American«146 als geografische Angabe schutzunfähig und damit nicht prägend. Ähnliches gilt für typische werbemäßige Anpreisungen wie etwa »Spezial«147. Demgegenüber erfordert die Beurteilung von Bestandteilen, die an schutzunfähige 100 Zeichen angelehnt sind sowie die von Bildelementen eine Einzelfallabwägung. Dabei werden die an schutzunfähige Zeichen angelehnten Bestandteile häufig nicht die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente darstellen.148 Auch bei Marken mit Bildelementen sind diese in den meisten Fällen unbeachtlich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verkehr darin lediglich eine werbeübliche grafische Ausgestaltung einer Wortmarke erblickt. Dies ist zunächst bei Zeichen der Fall, die wie übliche Etiketten wirken.
138 139 140 141 142
143 144
Zur Kennzeichnungskraft vgl oben Rn 82 f. Vgl auch EuGH C-235/05 P vom 27.4.2006 – L’Oréal Rn 43. BGHZ 153, 131, 143 – Abschlussstück. EuG T-6/01 vom 23.10.2002 – Matratzen/ Matratzen Markt Concord Rn 38. EuG T-356/02 vom 6.10.2004 – VITAKRAFT Rn 52, bestätigt durch EuGH C-512/04 P vom 1.12.2005 – Vitakraft Werke. BGH GRUR 1999, 52, 53 – EKKO BLEIFREI. EuG T-169/02 vom 15.2.2005 – Modelo/ negra modelo Rn 36.
734
145 146 147 148
EuG T-301/03 vom 28.6.2005 – CANALI/ CANAL JEAN CO NEW YORK Rn 48 ff. BGH GRUR 2002, 167, 170 – Bit/Bud mwN. EuG T-312/03 vom 14. 7. 2005 – Selenium Spezial A-C-E/SELENIUM-ACE Rn 35. BGH GRUR 1999, 995, 997 – HONKA mwN; BGH GRUR 1996, 775, 777 – Sali Toft; BGH GRUR 2000, 1031, 1032 – Carl Link; BGH GRUR 2004, 775, 776 – EURO 2000; BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT.
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§2
Das Recht der Marken
So vermutet der Verkehr insbesondere bei Etiketten – insbesondere von Getränkeflaschen –
eine bloße grafische Ausgestaltung.149 Auch bei anderen Zeichen als Etiketten prägt ein Bildbestandteil aus wenig aussage- 101 kräftigen geometrischen Grundformen, die vom Verkehr allenfalls als schmückendes Beiwerk, nicht aber als den kennzeichnenden Charakter mitbestimmender Bestandteil verstanden werden, ein Zeichen nicht mit.150 Insgesamt besteht bei den Gerichten eine Tendenz, eine Mitprägung durch Bildbestandteile abzulehnen. Während das EuG mehr oder weniger von Fall zu Fall entscheidet, arbeitet der BGH mit einem Erfahrungssatz. Danach gilt bei kombinierten Wort-/Bildzeichen jedenfalls bei normaler Kennzeichnungskraft des Wortbestandteils der Grundsatz, dass der Verkehr sich eher an dem Wortbestandteil als an dem Bildbestandteil orientiert, weil der Wortbestandteil in der Regel die einfachste Form ist, um die Ware zu bezeichnen.151 So waren etwa bei den Wort-/Bildmarken
die Bildbestandteile stets unbeachtlich.152 Stellt sich bei der Prüfung der prägenden Elemente heraus, dass das Zeichen aus meh- 102 reren gleichstarken Elementen zusammengesetzt ist, so war früher umstritten, ob alle diese Elemente das Zeichen in gleicher Weise prägen können.153 Dem hat der EuGH 149 150
151
BGH GRUR 2002, 809, 811 – FRÜHSTÜCKS-DRINK I. Etwa EuG T-31/03 vom 11.5.2005 – Sadia/ GRUPO SADA Rn 56 f, 60 f; BGH GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT. Vgl BGHZ 139, 59, 64 – Fläminger; BGH I ZB 40/03 vom 22.9.2005 – coccodrillo Rn 20.
152
153
EuG T-20/02 vom 31.3.2004 – HAPPIDOG/ HAPPY DOG Rn 42 ff; T-359/02 vom 4.5. 2005 – STAR TV Rn 44 ff; T-423/04 vom 5.10.2005 – BK RODS/BKR Rn 61. So noch EuG T-286/02 vom 25.11.2003 – MOU/KIAP MOU Rn 43.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
inzwischen eine Absage erteilt. Es kann nur dann für die Beurteilung der Ähnlichkeit allein auf den dominierenden Bestandteil ankommen, wenn alle anderen Markenbestandteile zu vernachlässigen sind.154 Bei gleichstarken Elementen ist dies nicht der Fall.155
103
d) Selbstständig kennzeichnende Stellung eines Elements. Auch dann, wenn in einer zusammengesetzten Marke ein Zeichenbestandteil den Gesamteindruck nicht prägt, kann dieser Bestandteil gleichwohl eine selbstständig kennzeichnende Stellung behalten. Denn in einem solchen Fall kann das Publikum immer noch glauben, dass die gekennzeichneten Produkte zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Folglich kann ausnahmsweise auch die Übereinstimmung in einem solchen, das Zeichen nicht dominierenden Bestandteil, eine Verwechslungsgefahr begründen. Als typische Beispielsfälle dafür, dass ein Zeichenbestandteil das Zeichen zwar nicht 104 dominiert, aber gleichwohl eine Verwechslungsgefahr begründen kann, gelten nach der Rechtsprechung die Kombination einer älteren Marke eines Dritten mit einer bekannten Marke oder mit einem Unternehmenskennzeichen. Zwar wird hier der Gesamteindruck meistens von der bekannten Marke oder eventuell der Unternehmensbezeichnung als Bestandteil des zusammengesetzten Zeichens dominiert. Gleichwohl kann Verwechslungsgefahr bestehen.156 Dies gilt etwa dann, wenn die Deutsche Telekom durch die Kombination mit ihrem bekannten Zeichenbeginn »T-« eine ältere Marke »Flexitel« in der Form »T-Flexitel« okkupieren will.157 Auch wenn die Firma Thomson eine ältere Marke »Life« mit ihrer Unternehmensbezeichnung zu »Thomson Life« kombiniert, kann der Bestandteil »Life« seine selbstständig kennzeichnende Stellung behalten. Anders kann demgegenüber ein Fall zu beurteilen sein, in dem einer Unternehmensbezeichnung ein kennzeichnungsschwaches älteres Zeichen hinzugefügt wird.158 Dabei muss die ältere Marke in dem jüngeren Zeichen nicht unbedingt identisch 105 übernommen werden. Vielmehr kann auch bei einer Variation des Zeichens noch eine Verwechslungsgefahr bestehen. Ähnlich waren sich daher die Marken
und zwar trotz der Abwandlung der grafischen Elemente der Kreuzdarstellung.159 Einen weiteren Anwendungsfall, in dem ein Zeichenbestandteil eine selbstständige 106 kennzeichnende Stellung behält, stellt die Verwendung einer Zweitmarke bei zusammengesetzten Zeichen dar. Denn hier geht der Verkehr von vornherein davon aus, dass es 154
155 156
EuGH C-334/05 P vom 12.6.2007 – HABM/Shaker Rn 42; C-193/06 P vom 20.9.2007 – Nestlé/HABM Rn 43. EuGH C-193/06 P vom 20.9.2007 – Nestlé/ HABM Rn 44 ff. EuGH C-120/04 vom 6.10.2005 – Medion Rn 34.
736
157
158 159
Vgl BPatG GRUR 2003, 64 – T-Flexitel/ Flexitel; in diesem Sinne auch BGH GRUR 2005, 515 – FERROSIL. Vgl EuGH C-120/04 vom 6.10.2005 – Medion. BGH I ZB 28/04 vom 11.5.2006 – Malteserkreuz.
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§2
Das Recht der Marken
sich gar nicht um eine einzige, sondern um zwei Marken handelt (Zweitmarke). Aufgrund dessen wird er in der Regel aber auch beiden Kennzeichenbestandteilen eine selbstständig kennzeichnende Funktion beimessen; andernfalls nämlich wäre die Zweitmarke überflüssig. Wird daher eine Marke in eine Kombinationsmarke aufgenommen, die auf den Verkehr wirkt wie mehrere selbstständige Marken, so droht auch hier eine Verwechslungsgefahr. So wäre etwa bei untenstehender Gestaltung der Zigarettenschachtel
zu prüfen, ob der Verkehr trotz des überlagernden Schriftzugs »CABINET« das bekannte rote Marlboro-Dach als Zweitmarke wiedererkennt.160 Bei einer Wort-/Bildmarke »Sixty Seven by Mustang Inter Sl Spain« könnte der Verkehr vor allem wegen der Verwendung des Worts »by« die Bezeichnung »Mustang« als selbstständig kennzeichnende Zweitmarke auffassen.161 Eine weitere Fallgruppe des Behaltens einer selbstständig kennzeichnenden Stellung 107 kann sich zudem in solchen Fällen ergeben, in denen Zeichenbestandteile verwendet werden, die dem Verkehr als Stammbestandteil einer Zeichenserie bekannt sind. Kennt der Verkehr etwa den Zeichenbestandteil »T-« als Stammbestandteil einer Vielzahl von Marken der Deutschen Telekom, so wird er vermuten, dass auch andere ihrer Struktur nach wesensgleiche162 mit dem Zeichenbestandteil »T-« gebildete Zeichen der Deutschen Telekom zuzuordnen sind.163 Eine selbstständig kennzeichnende Stellung werden normalerweise schließlich auch 108 bekannte oder erkennbare Unternehmenskennzeichen behalten. Da nämlich Unternehmenskennzeichen dazu dienen, ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen zu unterscheiden, kann der Verkehr regelmäßig mittelbar über das Unternehmen auch auf die unternehmerische Herkunft gekennzeichneter Produkte schließen. In diesem Sinne haben EuG und BGH im Fall einer Übernahme von Unternehmenskennzeichen eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne angenommen. Hierbei genügt es, wenn der Verkehr zwar erkennt, dass die Zeichen zu zwei verschiedenen Unternehmen gehören, aber wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Zeicheninhabern vermutet.164 Steht daher etwa verschiedenen Marken »Mustang« ein Kennzeichen »Sixty Seven 67 by Mustang Inter SI Spain« entgegen, so wird der Verkehr dieses Zeichen zwar nicht mit den Mustang-Marken verwechseln. Weil der Verkehr jedoch wirtschaftliche Zusammenhänge vermutet, besteht gleichwohl Verwechslungsgefahr.165
160 161 162 163
BGH GRUR 2002, 171, 175 – MarlboroDach. BGH GRUR 2004, 865, 866 – Mustang. Zu diesem Kriterium BGHZ 131, 122, 127 – Innovadiclophlont mwN. Vgl BGH I ZR 132/04 vom 28.6.2007 – INTERCONNECT/T-InterConnect.
164
165
EuG T-224/01 vom 9.4.2003 – TUFFTRIDE/NU-TRIDE Rn 62; BGH GRUR 2004, 598, 599 – Kleiner Feigling; BGH GRUR 2004, 779, 783 – Zwilling/Zweibrüder, jeweils mwN; BGH GRUR 2004, 865, 867 – Mustang. BGH GRUR 2004, 865, 867 – Mustang.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
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cc) Produktähnlichkeit. Neben der Zeichenidentität oder -ähnlichkeit zweite unverzichtbare166 Voraussetzung der Verwechslungsgefahr ist die Identität oder Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen (Produktähnlichkeit). Nach der Canon-Entscheidung des EuGH sind bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betroffenen Produkte alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Produkten kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren – Art, – Verwendungszweck und – Nutzung sowie – ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen.167 Andererseits reicht die bloße Tatsache, dass ein Produkt als Einzelteil, Zubehör oder 110 Komponente einer anderen Ware verwendet werden kann, noch nicht als Beweis dafür aus, dass die solche Komponenten enthaltenden Endprodukte ähnlich sind. Art, Verwendungszweck und Abnehmerkreis der fraglichen Produkte können nämlich ohne Weiteres verschieden sein.168 So genügt zur Begründung einer Ähnlichkeit vor allem nicht, dass die sich gegenüberstehenden Produkte jeweils auf Software angewiesen sind. In der heutigen hochtechnisierten Gesellschaft gibt es nahezu keine elektronischen oder digitalen Anlagen oder Geräte, die ohne Computer verschiedener Art funktionieren, so dass der Verkehr hieraus noch nicht auf eine Ähnlichkeit schließt.169 Die Rechtsprechung zur Produktähnlichkeit ist im Einzelnen unübersichtlich und 111 nicht immer einheitlich.170 Einen Überblick verschafft das Nachschlagewerk von Richter/ Stoppel,171 wobei jedoch hinsichtlich älterer, vor der Canon-Entscheidung des EuGH ergangener Entscheidungen größte Zurückhaltung geboten ist. In der Tendenz haben die Gerichte in jüngerer Zeit eine Ähnlichkeit meist bejaht. So waren „Fernsehprogramme der Sparte Cineastik“ und die „Ausstrahlung interaktiver elektronischer Fernsehprogramme“ teils identisch, teils ähnlich. Gleiches gilt im Verhältnis von „Produktion von Fernsehprogrammen“ und „Produktion, Vertrieb, Aufzeichnung und Entwicklung von Fernsehprogrammen, Videos, Bändern, CDs, CD-ROMs und Computerplatten“, die jedenfalls komplementär oder alternativ einsetzbar sind.172 Ähnlich sind auch das „Leasing von Computern und Computerprogrammen“ und die Waren „Computer und Computerprogramme“.173 Wiederum aufgrund ähnlichen Verwendungszwecks sind die Dienstleistungen „Entwicklung und Durchführung von Korrespondenzkursen“ und die Waren „Lehrbücher und Druckereierzeugnisse“ ähnlich.174
112
dd) Wechselbeziehung zwischen Kennzeichnungskraft, Zeichen- und Produktähnlichkeit. Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert schließlich nach der 166 167
168 169 170
EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 22. EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 23; auch EuG T-104/01 vom 23.10. 2002 – Miss Fifties/Fifties Rn 31; BGH GRUR 1999, 496 – TIFFANY. EuG T-336/03 vom 27.10.2005 – OBELIX/ MOBILIX Rn 61. EuG T-336/03 vom 27.10.2005 – OBELIX/ MOBILIX Rn 69. Vgl nur EuG T-292/01 vom 14.10.2003 –
738
171 172 173 174
PASH/BASS Rn 44 einerseits und EuG T-8/03 vom 13.12.2004 – EMIDIO TUCCI/ EMILIO PUCCI Rn 42 ff andererseits. Richter/Stoppel. EuG T-359/02 vom 4.5.2005 – STAR TV Rn 34 ff. EuG T-336/03 vom 27.10.2005 – OBELIX/ MOBILIX Rn 70. EuG T-388/00 vom 23.10.2002 – ILS/ELS Rn 54 ff.
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§2
Das Recht der Marken
Rechtsprechung des EuGH eine Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der von ihnen erfassten Waren oder Dienstleistungen.175 So kann etwa ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Produkte durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt.176 Auch kann der Eintragung einer Marke im Widerspruchsverfahren entgegenstehen, wenn zwar eher ein geringer Grad bei der Produktähnlichkeit besteht, dafür aber die Ähnlichkeit zwischen den Marken groß und die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, insbesondere ihr Bekanntheitsgrad, hoch ist.177 f) Bekanntheitsschutz. Der erweiterte Schutz bekannter Marken ist in Art 8 Abs 5, 9 113 Abs 1 Buchst c GMV bzw §§ 9 Abs 1 Nr 3, 14 Abs 2 Nr 3 MarkenG178 geregelt. Geschützt sind bekannte Marken davor, dass ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen benutzt wird, wenn die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Entgegen dem Gesetzeswortlaut kommt es dabei auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Produktähnlichkeit oder -identität nicht an.179 Voraussetzung für das Eingreifen des erweiterten Schutzes der bekannten Marke ist damit, dass die Angriffsmarke bekannt ist, dass Angriffsmarke und angegriffenes Zeichen ähnlich sind und dass die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. aa) Schutzobjekt „bekannte Marke“. Bekannt ist eine Marke dann, wenn sie eine 114 bestimmte Bekanntheitsschwelle überwunden hat. Dabei wird allerdings nicht verlangt, dass die Marke einem bestimmten Prozentsatz180 des Publikums bekannt ist. Der erforderliche Bekanntheitsgrad ist vielmehr als erreicht anzusehen, wenn die ältere Marke einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von den durch diese Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist.181 Bei der Prüfung kommt es auf alle relevanten Umstände des Einzelfalls an. Besonders bedeutsam sind insbesondere – der Marktanteil der Marke, – die Intensität, die geografische Ausdehnung und die Dauer ihrer Benutzung sowie – der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zu ihrer Förderung getätigt hat.182 Je nach der vermarkteten Ware oder Dienstleistung kann hierbei auf die breite 115 Öffentlichkeit oder ein spezielleres Publikum abzustellen sein.183 Demgegenüber kann nicht auf Verbraucher mit höherem Bildungsstand und überdurchschnittlichem Einkom175
176
177
178
EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 17; C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 19; C-425/98 vom 22.6.2000 – Marca/Adidas Rn 40. EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 17; auch BGH GRUR 2000, 506, 508 – ATTACHÉ/TISSERAND. EuGH C-39/97 vom 29.9.1998 – Canon Rn 19; C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer Rn 21; C-425/98 vom 22.6.2000 – Marca/Adidas Rn 40; vgl schon BGH GRUR 1996, 774, 775 – falke-run/ Le Run. Zur einheitlichen Auslegung EuGH
179 180 181
182 183
C-292/00 vom 9.1.2003 – Davidoff/Gofkid Rn 17. EuGH C-292/00 vom 9.1.2003 – Davidoff Rn 30. BGH GRUR 2002, 340, 341 – Fabergé. EuGH C-375/97 vom 14.9.1999 – Chevy Rn 22 ff; auch EuG T-67/04 vom 25.5.2005 – SPA/SPA-FINDERS Rn 34; BGH GRUR 2002, 340, 341 – Fabergé. EuGH C-375/97 vom 14.9.1999 – Chevy Rn 27. EuGH C-375/97 vom 14.9.1999 – Chevy Rn 22 ff; auch BGH GRUR 2002, 340, 341 – Fabergé.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
men abgestellt werden, weil die betreffende Marke auf Käufer von Luxusgütern zielt. Vielmehr sind die Produkte und damit das Verkehrsverständnis nach dauerhaften charakteristischen Kriterien zu beurteilen, nicht nach Werbekonzeptionen, die jederzeit geändert werden können.184
116
bb) Zeichenähnlichkeit. Der Begriff der Zeichenähnlichkeit beim erweiterten Schutz der bekannten Marke entspricht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht dem Begriff der Zeichenähnlichkeit bei der Verwechslungsgefahr. Denn bei der bekannten Marke setzt der Schutz nicht voraus, dass zwischen der bekannten Marke und dem Zeichen ein Grad der Ähnlichkeit festgestellt wird, der so hoch ist, dass für die beteiligten Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden besteht. Es genügt vielmehr, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen der bekannten Marke und dem Zeichen bewirkt, dass die beteiligten Verkehrskreise das Zeichen und die Marke gedanklich miteinander verknüpfen.185 Entgegen der Auffassung des BGH 186 sind danach bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit jeweils unterschiedliche Maßstäbe anzuwenden. Die Zeichenähnlichkeit beim Bekanntheitsschutz ist allerdings ebenso wie bei der Zeichenähnlichkeit im Rahmen der Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles umfassend zu beurteilen.187 Die Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen erfordert hier wie dort insbesondere Gemeinsamkeiten im Optischen, im Klang oder in der Bedeutung.188 In beiden Fällen kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen an.
117
cc) Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung oder Unterscheidungskraft in unlauterer Weise ohne rechtfertigenden Grund. Weitere Voraussetzung für das Eingreifen des Bekanntheitsschutzes ist, dass die Benutzung des in Frage stehenden Zeichens durch einen Dritten die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Durch das Unlauterkeitsmerkmal ist der erweiterte Schutz der bekannten Marke letztlich Lauterkeitsschutz.189 Es ist eine umfassende Unlauterkeitsprüfung vorzunehmen.190 So ist ein etwa beschreibender Charakter der bekannten Marke zu berücksichtigen.191 Auch kann eine witzige und humorvolle Verwendung einer bekannten Marke durch die Kunstfreiheit gedeckt sein; dies ist im Hinblick auf die bekannten Milka-Marken etwa beim Verkauf einer lila Postkarte mit dem Text „Über allen Wipfeln ist Ruh’, irgendwo blökt eine Kuh, Muh! – Rainer Maria Milka“ der Fall.192
184 185 186
187
188
BGH GRUR 2002, 340, 341 – Fabergé. EuGH C-408/01 vom 23.10.2003 – Adidas/ Fitnessworld Rn 31. BGH GRUR 2004, 594, 596 – FerrariPferd, mit zahlreichen Nachweisen zum Meinungsstand; BGH GRUR 2004, 598, 599 – Kleiner Feigling. EuGH C-408/01 vom 23.10.2003 – Adidas/ Fitnessworld Rn 30 mwN; auch EuG T-67/04 vom 25.5.2005 – SPA/SPA-FINDERS Rn 41. EuGH C-408/01 vom 23.10.2003 – Adidas/ Fitnessworld Rn 28, unter Hinweis auf Art 5 Abs 1 Buchst b MRR und EuGH C-251/95 vom 11.11.1997 – Springende
740
189 190
191
192
Raubkatze [Slg 1997, I-6191] Rn 23 aE; C-342/97 vom 22.6.1999 – Lloyd Schuhfabrik Meyer [Slg 1999, I-3819], Rn 25, 27 aE; auch BGH GRUR 2004, 594, 596 f – Ferrari-Pferd. Vgl BGH GRUR 2004, 239, 240 – DONLINE. BGH GRUR 1999, 992, 994 – BIG PACK; vgl auch BGH 2002, 613 – GERRI/KERRY Spring. BGH GRUR 1999, 992, 994 – BIG PACK; vgl auch BGH 2002, 613 – GERRI/KERRY Spring. BGH GRUR 2005, 583, 584 f – Lila-Postkarte.
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§2
Das Recht der Marken
Je größer dabei die Unterscheidungskraft und die Wertschätzung der bekannten 118 Marke sind, desto eher wird eine Beeinträchtigung vorliegen.193 Insbesondere bei der identischen oder ähnlichen Benutzung einer bekannten Marke zu dem Zweck, die mit ihrer Verwendung verbundene Aufmerksamkeit auszubeuten, ist regelmäßig von einem die Unlauterkeit begründenden Verhalten auszugehen.194 Lässt man bspw Rolls Royce Restaurants und Rolls Royce Cafés, Rolls Royce Hosen und Rolls Royce Bonbons zu, dann wird es in 10 Jahren die Marke Rolls Royce nicht mehr geben.195 Für die Begründung einer Rufbeeinträchtigung genügt allerdings nicht allein die ab- 119 strakte Gefahr einer Schwächung der Klagemarke aufgrund der Verwendung der angegriffenen Kennzeichnung; vielmehr bedarf es unter Heranziehung der konkreten tatsächlichen Umstände des Streitfalls der Auseinandersetzung mit dem Maß der Markenähnlichkeit und deren Beziehung zu der erforderlichen Unlauterkeit sowie der Frage eines rechtfertigenden Grundes.196 Je geringer der Branchenabstand zwischen den erfassten Waren oder Leistungen ist, desto eher ist eine Beeinträchtigung zu erwarten.197 Eine unlautere Benutzung liegt darüber hinaus auch in solchen Fällen vor, in denen 120 die Wertschätzung einer Marke beeinträchtigt wird. Erfasst sind hiervon vor allem solche Fälle, in denen die Waren, für die das kollidierende Zeichen verwendet wird, auf die Öffentlichkeit in einer solchen Weise wirken, dass die Anziehungskraft der Marke in Mitleidenschaft gezogen wird.198 Wird etwa die Zahl „4711“ nach Art einer Marke als Telefonnummer von einer Gülletransportfirma verwendet, so wird die Wertschätzung der berühmten Kosmetikmarke beeinträchtigt, weil der Verkehr künftig bei „4711“ an Gülle denkt.199
III. Verjährung Die Verjährung des Markenrechts regelt § 20 MarkenG. Dieser verweist auf die allge- 121 meinen Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 194 ff, 852 BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt damit drei Jahre, § 195 BGB und beginnt in der Regel mit Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, vgl § 199 BGB. Da die Ansprüche aus der Marke jedoch so lange nicht verjähren, wie der Störungszustand andauert (vgl § 199 Abs 5 BGB), spielen die Verjährungsregelungen bei den Unterlassungsansprüchen in der Praxis kaum eine Rolle. Von Bedeutung sind sie demgegenüber für Auskunfts- und Schadensersatzansprüche. Durchaus mögliche Bereicherungsansprüche verjähren zudem innerhalb einer Frist von zehn bzw dreißig Jahren nach Entstehung des Schadens, vgl § 852 BGB.
193 194 195
196
EuGH C-375/97 vom 14.9.1999 – Chevy Rn 30. BGH GRUR 2005, 583, 584 – Lila-Postkarte. Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs im Verfahren C-408/01 vom 10.7.2003 – Adidas/Fitnessworld Rn 37, mwN. BGH GRUR 2000, 608, 611 – ARD-1.
197 198
199
BGH GRUR 2001, 507, 509 – EVIAN/ REVIAN. Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs im Verfahren C-408/01 vom 10.7.2003 – Adidas/Fitnessworld Rn 38. Vgl BGH GRUR 1990, 711 – Telefonnummer 4711.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
IV. Verwirkung 122
Aufgrund der geringen Bedeutung der Verjährungsregelungen im Kennzeichenrecht kommt dem Einwand der Verwirkung eine gesteigerte Bedeutung zu. Die Verwirkung ist geregelt in Art 53 Abs 1 GMV und § 21 Abs 4 MarkenG. Das nationale Recht sieht hierbei weitergehende Fallgestaltungen der Verwirkung als die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen vor. Folge der Verwirkung ist, dass der Inhaber des Markenrechts ein kollidierendes jüngeres Zeichen weder für ungültig erklären lassen noch dessen Benutzung untersagen kann. Nach den Art 9 Abs 1 MRR, Art 53 Abs 1 GMV und § 21 Abs 1, 51 Abs 1 MarkenG 123 können Ansprüche zunächst dann verwirken, wenn der Inhaber einer älteren Marke die Benutzung einer jüngeren eingetragenen Marke während eines Zeitraumes von fünf Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat und die Anmeldung der jüngeren Marke nicht bösgläubig vorgenommen wurde. Ob ein Kennenmüssen hierbei ausreichend ist, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Das deutsche Recht geht über den Anwendungsbereich dieser gemeinschaftlichen Ver124 wirkungsregelungen in zweierlei Hinsicht hinaus: Zum einen gilt die Verwirkungsregelung hier auch für Angriffe aus geschäftlichen Bezeichnungen (§ 21 Abs 1, 2 MarkenG) gegen Benutzungsmarken und geschäftliche Bezeichnungen (§ 21 Abs 2 MarkenG). Zum anderen ordnet § 21 Abs 4 MarkenG – wohl richtlinienwidrig 200 – an, dass die harmonisierten Vorschriften die Anwendung allgemeiner Grundsätze über die Verwirkung von Ansprüchen unberührt lassen, wodurch hergebrachte, am Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB orientierte Verwirkungsregelungen ebenfalls angewandt werden können. Nach der Rechtssprechung hierzu ist Verwirkung auch dann gegeben, wenn bei dem Inhaber des jüngeren Zeichens infolge eines länger dauernden ungestörten Gebrauchs der angegriffenen Bezeichnung ein schutzwürdiger Besitzstand entstanden ist, der ihm nach Treu und Glauben erhalten bleiben soll, weil er aufgrund des Verhaltens des Rechtsinhabers darauf vertrauen konnte, dass dieser die Verwendung des Zeichens dulde.201
V. Schranken des Markenrechts 1. Allgemeines
125
Das Recht an der Marke ist nicht schrankenlos. Vielmehr ist es zuweilen erforderlich, dass Marken von Dritten benutzt werden. So muss ein Elektrofachgeschäft bspw darauf hinweisen dürfen, dass es sich auf Reparaturdienstleistungen für Geräte der Marke Sony spezialisiert hat. Ebenso muss ein Zubehörhersteller seine Produkte mit dem vorgesehenen Verwendungszweck, insbesondere den Produkten, für die das Zubehör geeignet ist, versehen können. Art 12 GMV bzw § 23 MarkenG regeln daher die Beschränkungen der Wirkungen 126 der Marke, die dem Recht des Markeninhabers im Geschäftsleben gezogen sind. Die Vorschriften tragen widerstreitenden Interessen an einer freien Verwendung von Marken und dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr Rechnung.202 Bei allen dort geregel200 201 202
Vgl Hildebrandt § 14 Rn 16 f. Vgl BGH I ZR 312/02 vom 21.7.2005 – BOSS-Club Rn 45. Vgl EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW
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Rn 62; C-100/02 vom 7.1.2004 – Gerolsteiner Brunnen Rn 16; C-228/03 vom 17.3. 2005 – Gillette Rn 29.
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§2
Das Recht der Marken
ten Tatbeständen greift die Beschränkung dabei nur ein, sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht. Im Gegensatz zu den absoluten Eintragungshindernissen betreffen die Beschränkungen der Wirkungen der Marke jeweils nur den Einzelfall, ohne die Schutzfähigkeit grds in Frage zu stellen.203 Der Anmelder einer Marke, die Verwechslungsgefahr begründet, kann sich daher nicht auf diese Regelungen berufen.204 2. Gebrauch von Name und Anschrift Art 6 Abs 1 Buchst a MRR, Art 12 Buchst a GMV, § 23 Nr 1 MarkenG stellen den 127 lauteren Gebrauch des eigenen Namens und der eigenen Anschrift frei. Von praktischer Relevanz ist insbesondere der Namensgebrauch. Ein Dritter kann 128 sich grds auf die Ausnahme berufen, um ein mit einer Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen zur Angabe seines Namens zu benutzen, auch wenn es sich um eine Benutzung handelt, die der Markeninhaber aufgrund seiner ausschließlichen Rechte grds verbieten könnte. Die Vorschrift erfasst nicht nur Namen natürlicher Personen, sondern auch Namen juristischer Personen und damit Handelsnamen bzw Unternehmenskennzeichen.205 Auf die Beschränkung des Markenrechts dürfte sich daher trotz existierender Labelmarke „Verve“ nicht nur ein Kaufmann mit dem bürgerlichen Namen „Lucius Verve“ berufen, sondern grds auch eine juristische Person unter entsprechender Phantasiefirma. Insbesondere bei Neugründungen wird die Benutzungsaufnahme indes nur selten den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entsprechen. 3. Merkmalsangaben Art 12 Buchst b GMV bzw § 23 Nr 2 MarkenG stellen die lautere Benutzung von 129 Merkmalsangaben frei. Die Vorschriften unterscheiden nicht nach den verschiedenen möglichen Verwendungen der dort genannten Angaben. Um in ihren Anwendungsbereich zu fallen, genügt es, wenn eine Angabe sich auf eines der Merkmale bezieht.206 So soll die Benutzung der Marke „Gazoz“, des türkischen Wortes für Limonade, an hervorgehobener Stelle auf Limonadenflaschen zulässig sein, wenn der Verkauf in Geschäften erfolgt, die auf das türkische Publikum zugeschnitten sind und in denen tatsächlich überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – die türkischsprachige Bevölkerung einkauft.207 Weiterer Anwendungsfall der Schrankenregelung ist der Umbau gebrauchter Pro- 130 dukte unter Hinweis auf den Hersteller der Originalware durch Nennung seiner Marke. Voraussetzung ist hierbei, dass auch auf den Umbau und die Person hingewiesen wird, die den Umbau durchgeführt hat. So darf derjenige, der einen nicht mehr als Geldspielgerät zugelassenen Spielautomaten zu einem Punktespielgerät unter Beibehaltung des Spiel- und Gewinnplans umbaut, 203
204
Vgl EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5.1999 – Chiemsee Rn 28; C-3/03 P vom 28.4.2004 – Matratzen Concord Rn 35; C-404/02 vom 16.9.2004 – Nichols Rn 32 f. Vgl hierzu EuGH C-3/03 P vom 28.4.2004 – Matratzen Concord Rn 35; EuG T-6/01 vom 23.10.2002 – Matratzen/Matratzen Markt Concord Rn 49.
205 206 207
EuGH C-245/02 vom 16.11.2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 78 ff. EuGH C-100/02 vom 7.1.2004 – Gerolsteiner Brunnen Rn 19. BGH GRUR 2004, 947 – Gazoz.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
unter Nennung der Marke und des Namens des Vertreibers der Originalware auf sich und die neue Bezeichnung des Geräts hinweisen.208 4. Bestimmungsangaben Art 12 Buchst c GMV bzw § 23 Nr 3 MarkenG privilegieren schließlich die lautere und notwendige Benutzung einer Marke als Hinweis auf die Bestimmung eines Produkts, insbesondere als Zubehör oder Ersatzteil. Aufgrund der Vorschrift ist es daher unter Umständen etwa möglich, beim Vertrieb von DVD-Rohlingen darauf hinzuweisen, dass diese mit bestimmten DVD-Brennern etwa von Sony oder HP kompatibel sind.209 Die Regelung verlangt, dass die Benutzung der Marke notwendig ist, um auf eine sol132 che Bestimmung des Produkts hinzuweisen. Die Benutzung einer Marke durch einen Dritten, der nicht deren Inhaber ist, ist als Hinweis auf die Bestimmung einer von diesem Dritten vertriebenen Ware notwendig, wenn eine solche Benutzung praktisch das einzige Mittel dafür darstellt, der Öffentlichkeit eine verständliche und vollständige Information über diese Bestimmung zu liefern.210 Gibt es etwa technische Standards oder Normen, die für die betreffende Warenart allgemein verwendet werden, dem angesprochenen Publikum bekannt und obendrein geeignet sind, eine verständliche und vollständige Information über die Bestimmung der vertriebenen Ware zu liefern, so ist die Verwendung einer Marke nicht notwendig.211
131
5. Anerkannte Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel
133
Mit Blick auf die Weite der drei Tatbestände in Art 12 GMV bzw § 23 MarkenG wird die Zulässigkeit der Benutzung häufig davon abhängen, ob die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht.212 Die in diesem Zusammenhang verwendeten unterschiedlichen Formulierungen „anständig“, „anerkannt“213, „lauter“ oder „nicht gegen die guten Sitten verstößt“ bedeuten keinen sachlichen Unterschied. Das Tatbestandsmerkmal normiert der Sache nach die Pflicht, den berechtigten Interessen des Markeninhabers nicht in unlauterer Weise zuwiderzuhandeln. Die Benutzung der Marke entspricht den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel insbesondere dann nicht, wenn sie in einer Weise erfolgt, die den Eindruck erwecken kann, dass eine Verbindung zwischen Markeninhaber und Drittem besteht, insbesondere eine Handelsbeziehung oder eine Zugehörigkeit zu einem Vertriebsnetz.214 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit der Dritte sich dessen hätte bewusst sein müssen.215 208
209 210 211 212
BGH GRUR 1998, 697, 699 – VENUS MULTI; vgl auch BGH GRUR 2005, 162 – SodaStream, wo die Problematik als Frage der markenmäßigen Benutzung behandelt wird. Vgl BGH GRUR 2005, 423 – Staubsaugerfiltertüten. EuGH C-228/03 vom 17.3.2005 – Gillette Rn 31, 35, 39, 51. EuGH C-228/03 vom 17.3.2005 – Gillette Rn 36. Vgl EuGH C-100/02 vom 7.1.2004 – Gerolsteiner Brunnen Rn 23 f, 27; C-245/02 vom
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213 214
215
16.11.2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 84 EuGH C-108/97 und C-109/97 vom 4.5. 1999 – Chiemsee Rn 28. EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 64; C-245/02 vom 16.11.2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 83; C-228/03 vom 17.3.2005 – Gillette Rn 42, 49, unter Hinweis auf EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 51. EuGH C-245/02 vom 16.11.2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 83.
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§2
Das Recht der Marken
Erweckt etwa eine Werkstatt, die auf die Instandsetzung und Wartung von Fahrzeugen der Marke BMW spezialisiert ist, im Zuge der Nennung der BMW-Marken den Eindruck, Vertragswerkstatt zu sein, ist dies unlauter.216 Die Benutzung einer Marke ist ferner auch dann unlauter, wenn die Marke durch die 134 Benutzung herabgesetzt oder schlechtgemacht wird.217 Hierbei ist zu berücksichtigen, ob es sich gegebenenfalls um eine Marke handelt, die von einer gewissen Bekanntheit ist, die der Dritte beim Vertrieb seiner Erzeugnisse ausnutzen könnte.218 Bei einer unbekannten Marke wird eine unlautere Beeinträchtigung des Wertes kaum möglich sein. Auch ein unterschiedliches Image der sich gegenüberstehenden Produkte wird nicht ohne weiteres zu einer Unlauterkeit führen.219 Demgegenüber geht vor dem Hintergrund der bekannten Marke „Meißen“ ein zur Bezeichnung eines bestimmten Musters verwendete Hinweis auf ein „original Meißner Dekor“ weit über das Notwendige hinaus.220
VI. Erschöpfung Mit den kennzeichenrechtlichen Verboten (Art 9 GMV, §§ 14, 15 MarkenG) könnte 135 grds jeder Vertrieb von gekennzeichneten Waren verhindert werden. Auch nachdem die Waren vom Zeicheninhaber in Umlauf gesetzt wurden, wäre deren Weitervertrieb betroffen. Wer gekennzeichnete Waren vertreibt, dürfte dies nur aufgrund einer ihm erteilten Lizenz. Der Weitervertrieb von Waren und damit insgesamt die Warenverkehrsfreiheit würden durch eine so verstandene Ausschließlichkeit der Markenrechte stark beeinträchtigt. Aus diesem Grunde greift hier der sog Erschöpfungsgrundsatz ein und schränkt die 136 Rechte der Zeicheninhaber ein. Nach dem Erschöpfungsgrundsatz hat der Zeicheninhaber nicht das Recht, einem Dritten zu untersagen, das Zeichen für Waren zu benutzen, die unter seinem Zeichen von ihm oder mit seiner Zustimmung in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind (Art 13 Abs 1 GMV; § 24 Abs 1 MarkenG). Einer zu weitgehenden Beeinträchtigung seiner Rechte kann der Zeicheninhaber entgegentreten, wenn hierfür berechtigte Gründe sprechen, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wurde (Art 13 Abs 2 GMV; § 24 Abs 2 MarkenG). Wie Art 28, 30 EG verfolgen die Erschöpfungsregelungen den Zweck, die grundlegen- 137 den Belange des Markenschutzes mit denen des freien Warenverkehrs im Gemeinsamen Markt in Einklang zu bringen. Das Markenrecht soll nicht dazu missbraucht werden können, den Markeninhabern die Möglichkeit zu eröffnen, die nationalen Märkte abzuschotten und dadurch die Beibehaltung von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen.221 216 217
218
219
EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 64. EuGH C-228/03 vom 17.3.2005 – Gillette Rn 43 f u. 49; auch C-245/02 vom 16.11. 2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 83. EuGH C-245/02 vom 16.11.2004 – Anheuser-Busch/Budeˇjovicky´ Budvar Rn 83. Vgl einerseits BGH GRUR 1999, 992, 995 –
220 221
BIG PACK; andererseits BGHZ 138, 349, 358 – MAC Dog. BGH GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. EuGH C-71 bis 73/94 vom 11.7.1996 – Eurim Pharm, Rn 33; C-427/93, C-429/93 u C-436/93 vom 11.7.1996 – Bristol-Myers Squibb Rn 46; C-232/94 vom 11.7.1996 – MPA Pharma Rn 19; C-349/95 vom 11.11. 1997 – Loendersloot/Ballantine Rn 23.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
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Voraussetzung für eine Erschöpfung des Markenrechts ist das Inverkehrbringen der Ware durch den Rechtsinhaber oder durch einen Dritten im EWR mit seiner Zustimmung. Von besonderer praktischer Bedeutung ist dabei, dass ein Inverkehrbringen der Ware 139 nur dann zur Erschöpfung führt, wenn dies im Gebiet des EWR erfolgt. Wo die Ware hergestellt wurde, ist hingegen ohne Bedeutung. Zum EWR gehören neben den Staaten der Europäischen Union die drei weiteren EWR-Staaten Liechtenstein, Norwegen und Island. Liegt ein Inverkehrbringen im EWR vor, so gewähren Art 13 Abs 1 GMV bzw § 24 140 Abs 1 MarkenG nicht nur das Recht, mit einer Marke versehene Waren weiterzuverkaufen, sondern auch das Recht, die Marke zu benutzen, um der Öffentlichkeit den weiteren Vertrieb dieser Waren anzukündigen. So kann der Inhaber von BMW-Marken einem Gebrauchtwagenhändler die Benutzung der Marken nicht verbieten, wenn dieser die Öffentlichkeit darauf hinweist, dass er Fachmann für den Verkauf von BMW-Gebrauchtfahrzeugen oder darauf spezialisiert sei. Die Werbung muss hierbei Fahrzeuge betreffen, die unter der Marke BMW von deren Inhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht wurden.222 Auch der Erschöpfungsgrundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Art 13 Abs 2 141 GMV, § 24 Abs 2 MarkenG sehen vor, dass sich der Markeninhaber dem weiteren Vertrieb der Waren unabhängig von einer etwaigen Erschöpfung widersetzen kann, wenn ein berechtigter Grund vorliegt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wurde. Die Verwendung des Begriffes „insbesondere“ zeigt, dass der genannte Fall nur beispielhaften Charakter hat.223 Neben der Veränderung oder Verschlechterung des Originalzustands der Ware kann auch dann eine Erschöpfung ausscheiden, wenn die Verwendung der Marke zu einer Schädigung des Rufs des Markeninhabers führt oder den Eindruck erweckt, dass zwischen dem Wiederverkäufer und dem Markeninhaber Handelsbeziehungen bestehen. So darf ein Händler gebrauchter Bekleidungsstücke diese vor dem Verkauf dann nicht verändern, etwa die Jeans umfärben, wenn hierdurch die Eigenart der Ware berührt wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Markeninhaber für die Jeans qualitativ hochwertige Farbstoffe verwendet, sog reaktive Farben, deren Moleküle beim Färbevorgang eine unmittelbare Verbindung mit den Molekülen des Stoffes eingehen und dadurch eine hohe Farbfestigkeit bewirken und wenn diese nach einem Bleichen und Umfärben durch Dritte nicht mehr gewährleistet ist. Ebenso kann es unzulässig sein, wenn das Umfärben den (modischen) Charakter der Ware verändert.224 Eine erhebliche Schädigung des Rufs der Marke kann außerdem vorliegen, wenn der Wiederverkäufer nicht dafür sorgt, dass die Marke in seinem Werbeprospekt in einer dem Markenimage unangemessenen Umgebung erscheint.225
222
223
EuGH C-63/97 vom 23.2.1999 – BMW Rn 50, unter Hinweis auf EuGH C-337/95 vom 4.11.1997 – Parfums Christian Dior Rn 36, 43. EuGH C-427/93, C-429/93, C-436/93 vom 11.7.1996 – Bristol-Myers Squibb ua Rn 26,
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224 225
39 f; C-337/95 vom 4.11.1997 – Parfums Christian Dior Rn 42. Vgl BGHZ 131, 308, 316 – Gefärbte Jeans. EuGH C-337/95 vom 4.11.1997 – Parfums Christian Dior Rn 43 ff.
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§2
Das Recht der Marken
VII. Rechtserhaltende Benutzung 1. Allgemeines Markenrechtliche Ansprüche können grds nur dann geltend gemacht werden, wenn 142 die Angriffsmarke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Geltendmachung des Anspruchs ernsthaft benutzt wurde (Art 15,226 43 Abs 2 GMV; §§ 25, 26, 43 MarkenG).227 Ziel dieser Regelungen ist es, die Anzahl der in der Gemeinschaft eingetragenen und geschützten Marken und damit die Anzahl der zwischen ihnen möglichen Konflikte zu verringern.228 Nur solche Marken die tatsächlich benutzt werden, sollen über längere Zeit Bestand haben. Der Gesetzgeber gesteht hierbei dem Markeninhaber jeweils eine anfängliche Schonfrist zu. Innerhalb der ersten fünf Jahre229 nach dem Tag des Abschlusses des Eintragungsverfahrens muss die Marke daher grds nicht benutzt werden (Art 15, 43 Abs 2 S 1 GMV bzw §§ 26, 49 Abs 2 S 1 MarkenG). Praktisch bedeutsame Einschränkungen erfährt diese Schonfrist jedoch dadurch, dass 143 bereits am Tag nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist der volle Nachweis einer ernsthaften Benutzung verlangt werden kann. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist bei der Gemeinschaftsmarke der Tag der Eintragung. Dies gilt auch für die deutsche Marke, sofern kein Widerspruch gegen die Anmeldung eingelegt wurde; dann nämlich beginnt die Frist erst mit dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens (§ 26 Abs 5 MarkenG). Wird etwa aus einer deutschen Marke, die zwar am 31.12.1998 eingetragen wurde, aber ihrerseits noch bis zum 31.12.2003 mit Widerspruch eines Dritten angegriffen wurde, am 31.12.2004 Widerspruch gegen eine jüngere Marke eingelegt, so kann sich der Markeninhaber im Widerspruchsverfahren auf § 26 Abs 5 MarkenG berufen und muss (zunächst) keine Benutzung nachweisen. 2. Voraussetzungen der rechtserhaltenden Benutzung Für eine rechtserhaltende Benutzung genügt nicht jede Benutzung der Marke. Viel- 144 mehr verlangen Art 15 GMV bzw § 26 MarkenG, dass die Marke ernsthaft benutzt wird.230 Dies ist dann der Fall, wenn die Marke entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Produkte, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Produkte einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern. Eine solche Benutzung setzt voraus, dass die Marke auf dem Markt der durch sie geschützten Waren oder Dienstleistungen benutzt wird und nicht nur innerhalb des betreffenden Unternehmens.231 Die Benutzung der Marke muss sich dabei auf Produkte beziehen, die bereits vertrieben werden oder deren Vertrieb von dem Unternehmen zur Gewinnung von Kunden insbesondere im Rahmen von Werbekampagnen vorbereitet wird und unmittelbar bevorsteht.232 226
227
228
Art 15 GMV gilt nur für die Gemeinschaftsmarke, nicht auch für eine nationale Widerspruchsmarke EuG T-183/02 und T-184/02 vom 17.3.2004 – MUNDICOLOR/MUNDICOR Rn 35. Gem Art 12 Abs 1 MRR; Art 50 GMV; § 49 Abs 1, 3 MarkenG kann eine Marke, die für längere Zeit als fünf Jahre nicht benutzt wurde zudem auf Antrag gelöscht werden. Vgl den 8. Erwägungsgrund der MRR.
229 230
231 232
Zur Berechnung der Frist im Einzelnen vgl Hildebrandt § 8 Rn 37 ff. Zur Benutzung für einen Teil der geschützten Waren oder Dienstleistungen vgl Art 43 Abs 2 S 3 GMV; §§ 43 Abs 1 S 3, 49 Abs 3 MarkenG sowie Hildebrandt § 8 Rn 31 ff. EuG T-303/03 vom 7.6.2005 – Lidl Rn 36. EuGH C-40/01 vom 11.3.2003 – Ansul/Ajax Rn 37; C-259/02 vom 27.1.2004 – La Mer Rn 19.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
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Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist von Gerichten und Ämtern anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird. Hierzu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes, der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke, die Frage, ob die Marke benutzt wird, alle identischen Produkte des Inhabers zu bezeichnen oder nur einen Teil von ihnen und die Nachweismöglichkeiten sowie die Produktions- und Vertriebskapazitäten 233 des Markeninhabers.234 Die einzelnen Faktoren stehen hierbei in einer gewissen Wechselbeziehung. So kann ein geringes Volumen von unter der Marke vertriebenen Waren durch eine große Häufigkeit oder zeitliche Konstanz der Benutzungshandlungen dieser Marke ausgeglichen werden und umgekehrt.235 Die Benutzung der Marke braucht auch nicht immer umfangreich zu sein, um als ernsthaft eingestuft zu werden, da eine solche Einstufung von den Merkmalen der betreffenden Produkte auf dem entsprechenden Markt abhängt. Sogar eine minimale Benutzung kann insoweit für eine ernsthafte Benutzung genügen, wenn sie auf dem relevanten Markt dazu dient, für diese Produkte einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern.236 So genügte dem EuG etwa ein Verkauf von ungefähr 300 Einheiten mit je zwölf Stück konzentrierter Säfte verschiedener Früchte an nur einen Kunden mit einem Umsatz von annähernd € 4 800,– in einem Zeitraum von etwa einem Jahr.237 Auf der gleichen Linie soll der Umstand allein, dass die Marke lediglich auf einer ganz geringen Anzahl von Waren – es handelte sich im Streitfall um zehn jährlich bzw monatlich erscheinende Druckschriften – angebracht wird, dann nicht auf eine Scheinbenutzung sondern auf eine ernsthafte Benutzung schließen lassen, wenn es für die Waren nur einen sehr speziellen Abnehmerkreis gibt.238 Rechtserhaltend wirkt aber immer nur eine Benutzung in einer Form, die der Verkehr 146 aufgrund der ihm objektiv entgegentretenden Umstände als einen zeichenmäßigen Hinweis auf die Herkunft der Produkte ansieht.239 Nicht ausreichend ist insoweit die Benutzung eines Zeichens als Unternehmensbezeichnung, solange der Verkehr in dem Zeichen nicht zumindest auch einen Hinweis auf die von ihm vertriebenen Produkte sieht.240 233
234
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Auch die Produktions- und Vertriebskapazitäten des Inhabers: EuG T-334/01 vom 8.7. 2004 – HIPOVITON Rn 36; T-203/02 vom 8.7.2004 – VITAFRUIT Rn 42, bestätigt durch EuGH C-416/04 P vom 11.5.2006 – The Sunrider. EuGH C-40/01 vom 11.3.2003 – Ansul/Ajax Rn 38 f, 43; C-259/02 vom 27.1.2004 – La Mer Rn 19, 22 f, 27; C-416/04 P vom 11.5. 2006 – The Sunrider Rn 70 f; EuG T-334/01 vom 8.7.2004 – HIPOVITON Rn 34 ff; überholt dagegen EuG T-156/01 vom 9.7. 2003 – GIORGI/GIORGIO AIRE Rn 40. EuG T-334/01 vom 8.7.2004 – HIPOVITON Rn 36; T-203/02 vom 8.7.2004 – VITAFRUIT Rn 42, bestätigt durch EuGH C-416/04 P vom 11.5.2006 – The Sunrider; ähnlich zur Wechselbeziehung von Umfang
748
236 237
238 239
240
und Dauer der Benutzung BGH GRUR 1999, 995, 996 – HONKA. EuGH C-259/02 vom 27.1.2004 – La Mer Rn 21 ff. EuG T-203/02 vom 8.7.2004 – VITAFRUIT Rn 48 ff, bestätigt durch EuGH C-416/04 P vom 11.5.2006 – The Sunrider; EuG T-156/01 vom 9.7.2003 – GIORGI/GIORGIO AIRE Rn 45 ff. BGH I ZB 20/03 vom 6.10.2005 – GALLUP Rn 24 f. BGH GRUR 1995, 583 – MONTANA; BGH GRUR 2000, 890 – IMMUNINE/ IMUKIN; BGH GRUR 2002, 1072, 1073 – SYLT-Kuh; auch BT-Drucks 12/6581, 83. EuG T-39/01 vom 12.12.2002 – HIWATT Rn 44 f; BGH GRUR 2005, 1047, 1049 – OTTO; BGH I ZB 10/03 vom 15.9.2005 –
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§2
Das Recht der Marken
So fordert der BGH bislang – jedenfalls bei Warenmarken – in der Regel das Versehen der Ware selbst, ihrer Verpackung oder Umhüllung mit dem Zeichen.241 In ähnlicher Weise hat das EuG die Benutzung einer Marke auf einer Messe nicht genügen lassen.242 Da es der EuGH allerdings für ausreichend erachtet, wenn sich die Benutzung der Marke auf Waren und Dienstleistungen bezieht, die bereits vertrieben werden oder deren Vertrieb von dem Unternehmen zur Gewinnung von Kunden insbesondere im Rahmen von Werbekampagnen vorbereitet wird und unmittelbar bevorsteht,243 wird sich diese Forderung nach einer körperlichen Verbindung von Ware und Marke nicht aufrechterhalten lassen. Problematisch ist es daher, wenn der BGH eine Benutzung auf Umverpackungen,244 in Katalogen, Warenbegleitpapieren, Rechnungen, im Bestellverkehr mit den Kunden oder eine nur mündliche Werbekampagne 245 nicht genügen lässt. In territorialer Hinsicht muss die Marke dort benutzt werden, wo sie geschützt ist. Bei der Gemeinschaftsmarke stellt bereits die Benutzung in einem einzigen Land der Gemeinschaft oder in einem entsprechend großen supranationalen Territorium eine ernsthafte Benutzung dar.246 Wird umgekehrt gegen eine Gemeinschaftsmarke aus einer nationalen Marke Widerspruch eingelegt, so ist zu prüfen, ob die nationale Marke in dem betreffenden Mitgliedstaat rechtserhaltend benutzt wurde.247 Als relevante Benutzungshandlung wird hierbei ausdrücklich das Anbringen der Marke für den Export qualifiziert (Art 15 Abs 2 Buchst b GMV bzw § 26 Abs 4 MarkenG). Selbst wenn also etwa der Markeninhaber mit der Marke gekennzeichnete Waren nicht im Inland vertreibt, sondern lediglich exportiert, kann dies eine rechtserhaltende Benutzung darstellen.248 Die rechtserhaltende Benutzung muss dabei nicht unbedingt durch den Inhaber der Marke selbst, sondern kann auch durch einen zur Benutzung der Marke befugten 249 Dritten erfolgen (Art 19 Abs 2 TRIPs; Art 10 Abs 3 MRR; Art 15 Abs 3 GMV; § 26 Abs 2 MarkenG).250 Zu beachten ist schließlich, dass vom Benutzungszwang dann eine Ausnahme gemacht wird, wenn der Inhaber der Marke berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorzuweisen hat (Art 43 Abs 2, 50 Abs 1 Buchst a GMV bzw § 26 Abs 1 MarkenG). Hierbei ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Nichtbenutzung gerechtfertigt ist.251 Maßgeblich kommt es dabei darauf an, ob die Nichtbenutzung auf Umständen beruht, die vom Markeninhaber unabhängig sind; aber auch
241 242 243
244 245 246 247
NORMA; vgl hierzu aber auch EuGH C-17/06 vom 11.9.2007 – Céline Rn 22 f. BGH GRUR 1995, 267, 268 – AQUA; BGH GRUR 1995, 347, 348 – TETRASIL. EuG T-39/01 vom 12.12.2002 – HIWATT Rn 44 f. EuGH C-40/01 vom 11.3.2003 – Ansul/Ajax Rn 37; C-259/02 vom 27.1.2004 – La Mer Rn 19. BGH GRUR 2005, 1047 – OTTO. BGH GRUR 1995, 347 – TETRASIL. Gemeinsame Protokollerklärung von Rat und Kommission (ABl-HABM 5/96, 607). EuG T-39/01 vom 12.12.2002 – HIWATT Rn 39.
248 249
250
251
Ähnlich schon BGHZ 112, 316 – Silenta. Die Zustimmung kann auch konkludent erteilt und im Rechtsstreit behauptet werden: EuG T-203/02 vom 8.7.2004 – VITAFRUIT Rn 24 f, bestätigt durch EuGH C-416/04 P vom 11.5.2006 – The Sunrider. EuGH C-40/01 vom 11.3.2003 – Ansul/Ajax Rn 37; C-259/02 vom 27.1.2004 – La Mer Rn 19; speziell zur Kollektivmarke Art 68 GMV; § 100 Abs 2 MarkenG. BGH I ZB 100/05 vom 28.9.2006 – COHIBA Rn 36.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
dann, wenn die Inbenutzungnahme der Marke aufgrund solcher Umstände unzumutbar wird, bejaht die Rechtsprechung berechtigte Gründe.252 Keinen berechtigten Grund stellen etwa wirtschaftliche Schwierigkeiten des Markeninhabers dar.253 Als berechtigte Gründe in Betracht kommen demgegenüber Tatbestände höherer Gewalt, etwa Naturkatastrophen, Krieg oder Kriegsfolgen,254 ein staatliches Einfuhrverbot,255 die Unmöglichkeit, mit der Marke gekennzeichnete Waren vor Abschluss eines vorgeschriebenen behördlichen Zulassungsverfahrens in den Verkehr zu bringen,256 oder ein vorübergehendes staatliches Werbeverbot.257 3. Anforderungen bei Abweichung von eingetragener Marke und benutzter Form
151
In der Praxis werden Marken häufig nicht in der Form verwendet, die mit der im Register eingetragenen Wiedergabe identisch ist. Die Praxis trägt dem dadurch Rechnung, dass auch die Benutzung einer Marke in einer Form rechtserhaltend sein kann, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht. Erforderlich ist hier aber, dass dadurch nicht die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird (Art 15 Abs 2 Buchst a GMV; § 26 Abs 3 MarkenG). Wann dies der Fall ist, konnte der EuGH bislang nicht höchstrichterlich klären. Die Entscheidungspraxis orientiert sich daher stark am Einzelfall. So ist die Rechtsprechung im Falle eines Hinzufügens weiterer Wortbestandteile zur 152 streitgegenständlichen Marke vergleichsweise streng.258 Dann aber, wenn das zusätzliche Kennzeichen vom Verkehr als Zweitmarke aufgefasst wird 259 oder wenn lediglich eine Unternehmensbezeichnung oder eine mehr oder weniger beschreibende Angabe hinzugefügt ist, wird eine rechtserhaltende Benutzung zu bejahen sein. So kann auf einer Weinflasche die Marke »CRISTAL« rechtserhaltend zusammen mit der Herstellerbezeichnung »Louis Roederer« sowie der Herkunftsangabe »Champagne« benutzt werden.260 Auch durch die geringfügig abgewandelte Schreibweise einer Wortmarke unter Hin153 zufügung eines grafischen Elements wird die Unterscheidungskraft der Marke nicht beeinflusst. Werden etwa bei der Benutzung der Wortmarke »John Lobb« die jeweiligen Anfangsbuchstaben »J« und »L« grafisch hervorgehoben, so ist dies ohne Relevanz.261 Auch wurde etwa die Marke 252 253 254
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256
EuGH C-246/05 vom 14.6.2007 – Häupl Rn 46 ff. EuG T-156/01 vom 9.7.2003 – GIORGI/ GIORGIO AIRE Rn 41. BGH GRUR 1997, 747, 749 – Cirkulin, unter Hinweis auf die AmtlBegr BT-Drucks V/714 S 45, 46; auch BGH GRUR 2000, 890, 891 – IMMUNINE/IMUKIN; BGH I ZB 100/05 vom 28.9.2006 – COHIBA Rn 30. Art 19 Abs 1 S 2 TRIPs; BGH GRUR 1994, 512 – Simmenthal; BGH I ZB 100/05 vom 28.9.2006 – COHIBA Rn 30; zur Restitution eines enteigneten Unternehmens nach dem Vermögensgesetz vgl aber BGHZ 136, 11 L. BGH GRUR 2000, 890, 891 –
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257 258 259 260
261
IMMUNINE/IMUKIN; BGH I ZB 100/05 vom 28.9.2006 – COHIBA Rn 30. BGH I ZB 100/05 vom 28.9.2006 – COHIBA Rn 32. Etwa EuG T-156/01 vom 9.7.2003 – GIORGI/GIORGIO AIRE Rn 45. BGH GRUR 2000, 510 f – Contura; BGH I ZR 71/04 vom 8.2.2007 – bodo Blue Night. EuG T-29/04 vom 8.12.2005 – CRISTAL/ CRISTAL CASTELLBLANCH Rn 33 ff; auch BGH I ZB 20/03 vom 6.10.2005 – GALLUP Rn 25. BGH GRUR 1999, 164, 165 – JOHN LOBB; auch BGH GRUR 2000, 1038, 1039 – Kornkammer.
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§2
Das Recht der Marken
durch Verwendung des Etiketts
rechtserhaltend benutzt. Der in den Worten »Karolus-Magnus« verkörperte Gesamtbegriff bleibt auch in der geänderten Schreibweise ohne weiteres erkennbar. Auch die rein beschreibende Wortfolge »der rheinische Riesling-Sekt« konnte auf die ebenfalls beschreibende Angabe »Riesling« verkürzt werden. Die hinzugefügte bildliche Darstellung wird der Verkehr nicht notwendig als Markenbestandteil ansehen.262 Der BGH ging dabei bislang davon aus, dass bei der Beurteilung der Beeinflussung 154 der Unterscheidungskraft der Umstand keine Rolle spielt, ob die benutzte Form neben der fraglichen Marke selbst auch als Marke eingetragen ist.263 Dies ist durch eine jüngere Entscheidung des EuGH in Frage gestellt worden. War dort neben einer älteren Marke „Bridge“ auch eine jüngere Benutzungsform „The Bridge“ als Marke eingetragen, so kam es für den EuGH von vornherein nicht mehr darauf an, ob die Unterscheidungskraft beeinflusst wurde. Schon die Eintragung der eventuell benutzten Form „The Bridge“ als Marke verhindere von vornherein eine rechtserhaltende Benutzung der Marke „Bridge“.264 Würde sich diese – vom EuGH eher beiläufig geäußerte – Auffassung dauerhaft 155 durchsetzen, würde jede Modernisierung einer existierenden Marke praktisch deutlich erschwert. Bevor der Markeninhaber nämlich eine in dieser Weise modernisierte Fassung der Marke selbst als neue Marke anmeldet, müsste sichergestellt werden, wie ein Verfall der älteren Marke verhindert werden kann. Letztlich dürfte die Auffassung des EuGH daher abzulehnen sein, was natürlich nicht ausschließt, dass in einzelnen Missbrauchsfällen von Mehrfacheintragungen eine rechtserhaltende Benutzung zu verneinen sein kann.
262 263
BGH GRUR 1999, 167, 168 – KarolusMagnus. BGH GRUR 1999, 54 f – Holtkamp; BGH GRUR 2000, 1040, 1041 – FRENORM/ FRENON; BGH GRUR 2002, 167, 168 –
264
Bit/Bud, in Abgrenzung zur früheren Rechtsprechung. EuGH C-234/06 P vom 13.9.2007 – Il Ponte Finanziaria/HABM Rn 86.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
§3 Beendigung des Markenrechts I. Erlöschen wegen Nichtverlängerung oder Verzichts 156
Gem Art 46 GMV bzw § 47 Abs 1 MarkenG beträgt die Schutzdauer einer Gemeinschaftsmarke ebenso wie die einer eingetragenen nationalen Marke zehn Jahre. Sie beginnt mit dem Anmeldetag und endet bei der Gemeinschaftsmarke nach genau zehn Jahren, bei der deutschen Marke mit Ablauf des Monats, in den der Anmeldetag fällt. Die Schutzdauer kann aber unbegrenzt um jeweils zehn Jahre verlängert werden (Art 47 GMV, § 47 Abs 2 MarkenG). Die Modalitäten der Verlängerung bestimmen Art 47 GMV, § 47 Abs 3 MarkenG. Mit jeder Verlängerung wird eine Verlängerungsgebühr fällig, deren Höhe sich nach der Zahl der Produktklassen bestimmt. Wird keine Verlängerung beantragt oder die Verlängerungsgebühr nicht in der vorgesehen Frist entrichtet, erlischt das Markenrecht mit Ablauf der Schutzdauer (Art 46 GMV, § 47 Abs 6 MarkenG). Daneben kann der Inhaber des Markenrechts aber auch jederzeit auf sein Recht verzichten und die Löschung der Marke beantragen (Art 49 GMV, § 48 MarkenG).
II. Löschung wegen Verfalls 157
Eine Marke kann neben den eben genannten Gründen auch dadurch erlöschen, dass sich Dritte gegen die Marke aufgrund fehlender Schutzvoraussetzungen wenden. Wichtigste Vorschriften sind hierbei Art 50 GMV bzw § 49 MarkenG, die bestimmte Verfallsgründe regeln. Den bedeutsamsten Löschungsgrund stellt hierbei die Nichtbenutzung innerhalb der 158 Schonfrist von fünf Jahren seit der Eintragung der Marke dar (Art 50 Abs 1 lit a) GMV, § 49 Abs 1 MarkenG).265 Ein weiterer Löschungsgrund besteht nach Art 50 Abs 1 lit b) GMV, § 49 Abs 2 Nr 1 MarkenG dann, wenn sich die Marke nach ihrer Eintragung zu einer Gattungsbezeichnung entwickelt hat. Für die Praxis empfiehlt es sich daher, insbesondere bei der Einführung neuer Produkte aus einer Monopolstellung heraus, mehrere unterschiedliche Marken für das neue Produkt zu verwenden. So bemühte sich Sony in der Vergangenheit, neben dem Zeichen „Walkman“ weitere Bezeichnungen für tragbare Kassettenspieler zu etablieren, um einer Herabstufung der Marke „Walkman“ zu einer Gattungsbezeichnung entgegenzuwirken. Gem Art 50 Abs 1 lit c) GMV, § 49 Abs 2 Nr 2 MarkenG schließlich kann eine 159 Marke auch deshalb wegen Verfalls gelöscht werden, wenn sie sich nach ihrer Eintragung zu einem täuschenden Kennzeichen entwickelt hat, das geeignet ist, das maßgebliche Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der gekennzeichneten Produkte zu täuschen.
265
Zum Benutzungszwang s oben Rn 142 ff.
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§4
Eintragungs- und Widerspruchsverfahren
III. Löschung wegen Eingreifens absoluter Schutzhindernisse Nach Art 51 Abs 1 GMV bzw § 50 Abs 1 MarkenG kann eine Marke zudem auf 160 Antrag oder in begrenzten Ausnahmefällen (vgl § 50 Abs 3 MarkenG) auch von Amts wegen gelöscht werden, wenn sie entgegen der Voraussetzungen einer Eintragung (Markenfähigkeit, absolute Schutzhindernisse) 266 in das Markenregister eingetragen wurde. Erforderlich ist hierbei allerdings, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Löschung der Marke das Schutzhindernis immer noch besteht. Ist dies insoweit nachträglich weggefallen, etwa weil die Marke infolge Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, so kommt eine Löschung der Marke nicht mehr in Betracht (Art 51 Abs 2 GMV, § 50 Abs 2 S 1 MarkenG).
IV. Löschung wegen des Bestehens älterer Rechte Nach Art 52 Abs 1 GMV, § 51 Abs 1 MarkenG kann eine Marke darüber hinaus 161 auch deshalb angegriffen werden, weil ihrer Eintragung relative Schutzhindernisse, also ältere Rechte Dritter entgegenstehen. Während der Löschungsantrag gegen eine Gemeinschaftsmarke grds beim HABM zu stellen ist, sind für die Löschung deutscher Marken die ordentlichen Gerichte zuständig.
§4 Eintragungs- und Widerspruchsverfahren Markenschutz kann in der Regel nur durch Eintragung erworben werden.267 Je nach- 162 dem, welcher Markenschutz erlangt werden soll (Gemeinschaftsmarke, nationale Marke oder internationale Registrierung), sind hierfür unterschiedliche Eintragungsverfahren maßgebend und unterschiedliche Ämter zuständig.268
I. Verfahren vor dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt Für Gemeinschaftsmarken 269 ist das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt 163 (HABM) mit Sitz in Alicante/Spanien zuständig. Amtssprachen sind Deutsch, English, Französisch, Italienisch und Spanisch, Art 115 Abs 2 GMV. Das Verfahren ist in den Art 25 ff und Art 73 ff GMV sowie in der GMDV geregelt. Das Anmelde- und Eintragungsverfahren für Gemeinschaftsmarken regeln die Art 25 ff GMV. Neben dem ausgefüllten Anmeldeformular, welches über die Website 270 des HABM abgerufen werden kann, ist innerhalb eines Monats nach Anmeldung eine Anmeldegebühr von derzeit € 900,– 271
266 267 268 269
S hierzu bereits oben Rn 22 ff. Zur Erlangung von Markenschutz ohne Eintragung s oben Rn 64 f. Wichtige Hinweise finden sich in Hoffmann/ Kleespies/Adler. Umfassend zur Gemeinschaftsmarke Eisenführ/Schennen.
270 271
oami.europa.eu. Im Falle der elektronischen Anmeldung (e-filing) reduziert sich diese Grundgebühr auf derzeit € 750,–.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
plus jeweils einer Klassengebühr von derzeit € 150,– für jede weitere Klasse ab der vierten Klasse zu entrichten. Stehen der Anmeldung keine absoluten Eintragungshindernisse entgegen, so wird die Anmeldung veröffentlicht. Von diesem Zeitpunkt ab können Dritte innerhalb einer Frist von drei Monaten Widerspruch einlegen, der jedoch erst mit Zahlung der Widerspruchsgebühr als erhoben gilt, Regel 17 Abs 1 GMDV. Wird Widerspruch eingelegt, so übermittelt das HABM diesen dem Anmelder und bestimmt die weiteren Fristen. Typischerweise beginnt das Verfahren mit einer cooling-off-period, einer Frist zwecks außerordentlicher Einigung gegebenenfalls mit dem Privileg der Kostenerstattung, Regel 18 GMDV. Sodann wird dem Widersprechenden eine Frist für das weitere Vorbringen und dem Anmelder hieraufhin ebenfalls eine Erwiderungsfrist von zwei Monaten gesetzt, Regel 19, 20 GMDV. Die Prüfung des HABM hinsichtlich des Bestehens älterer Rechte ist auf das Vorbringen und die Anträge der Parteien beschränkt (Art 74 Abs 1 S 2 GMV). Zu weiteren Verfahrensschritten insbesondere zu Rücknahme von Anmeldung, Widerspruch und Kosten vgl Art 43 ff, 81 GMV, Regel 94 GMDV. Zur Teilung und Umwandlung der Anmeldung vgl Art 44a GMV, Regel 13a GMDV, Art 48a GMV, Regel 21a GMDV, Art 108 ff GMV, Regeln 44 ff GMDV. Zum Verfahren bei Umwandlung siehe Art 109 GMV. Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze des Verfahrens vor dem HABM sind in den 164 Art 73 ff GMV geregelt, wobei insbesondere auf Art 79 GMV hinzuweisen ist, der subsidiär allgemein anerkannte Verfahrensgrundsätze für verbindlich erklärt. Hinsichtlich der Fristen sind Regeln 70 und 71 GMDV zu beachten, da die Fristenregelung des HABM sich in wesentlichen Punkten vom deutschen Recht unterscheidet. Nach Regel 70 Abs 2 GMDV wird die Fristberechnung mit dem Tag begonnen, der auf den Tag folgt, an dem das Ereignis eingetreten ist, aufgrund dessen die Frist festgesetzt wird. Die im Zusammenhang mit Fristen für das Amt maßgeblichen Feiertage werden durch den Präsidenten des Amts bestimmt und im Internet veröffentlicht. Maßgeblich sind meist spanische Feiertage. Bei Versäumung einer Frist besteht die Möglichkeit auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art 78 GMV oder die Möglichkeit des Antrags auf Weiterbehandlung gegen Zahlung einer Gebühr, Art 78a GMV. Letztere Möglichkeit ist auch dann eröffnet, wenn die Fristversäumung schuldhaft erfolgte. Die Entscheidungen des HABM sind nach Art 73 1 GMV zu begründen. Rechtsmittel 165 gegen Entscheidungen des HABM ist die Beschwerde zur Beschwerdekammer des HABM, Art 57 ff GMV, Regeln 48 ff GMDV und gegen deren Entscheidungen Klage zum EuG und später zum EuGH, Art 63 GMV.272
II. Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt 166
Für deutsche Marken ist das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) mit Sitz in München zuständig. Das Verfahren ist vor allem in den §§ 32 ff, 56 ff und 91 ff MarkenG sowie der MarkenV und die Organisation des Amtes in der Verordnung über das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMAV) geregelt. Das Eintragungsverfahren bestimmen die §§ 32 ff MarkenG iVm § 2 ff MarkenV. Das Anmeldeformular kann über die Website 273 des DPMA abgerufen werden. Innerhalb von drei Monaten nach Anmeldung ist eine Anmeldegebühr von derzeit € 300,–, gegebenenfalls zuzüglich einer Klassengebühr von derzeit € 100,– für jede weitere Klasse ab der vierten Klasse zu entrichten. Freiwillig 272
Hierzu Hoffmann/Kleespies/Adler-Schneider Rn 1757 ff.
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273
www.dpma.de/index.htm.
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§4
Eintragungs- und Widerspruchsverfahren
kann zudem eine Beschleunigungsgebühr von derzeit € 200,– gezahlt werden, wodurch die reguläre Dauer des Eintragungsverfahrens von etwa 10 bis 12 Monaten auf drei bis vier Monate gesenkt werden kann. Nach Eingang der Anmeldung prüft das DPMA absolute Eintragungshindernisse. Bestehen keine absoluten Eintragungshindernisse, so wird die Marke eingetragen und die Eintragung veröffentlicht, § 41 MarkenG. Gegen die Eintragung der Marke kann innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Inhaber einer Marke mit älterem Zeitrang Widerspruch erhoben werden, § 42 Abs 1 MarkenG. Wie auch beim HABM muss mit Einlegung des Widerspruchs die Widerspruchsgebühr bezahlt werden, anderenfalls gilt der Widerspruch als nicht eingelegt. Das Widerspruchsverfahren ist ein summarisches Verfahren. Widerspruchsgrund ist allein das Bestehen eines älteren Rechts. Komplexere Sachverhalte sind daher sinnvoller mit der Eintragungsbewilligungsklage des Anmelders nach § 44 MarkenG bzw der Löschungsklage nach § 55 MarkenG vor den ordentlichen Gerichten zu betreiben. Daneben besteht nach §§ 50, 54 MarkenG die Möglichkeit Dritter, aufgrund Eingreifens absoluter Eintragungshindernisse Löschung beim DPMA zu beantragen.274 Gegen Entscheidungen des DPMA ist die Erinnerung beim DPMA oder Beschwerde 167 zum BPatG gegeben, §§ 64, 66 MarkenG. Gegen Entscheidungen des BPatG ist unter engen Voraussetzungen die Rechtsbeschwerde zum BGH möglich, § 83 MarkenG.
III. Verfahren nach dem Madrider System zur internationalen Registrierung Mittels des Madrider Systems zur internationalen Registrierung ist es möglich, auf- 168 grund eines einzigen Gesuchs Markenschutz in einer ganzen Reihe von Staaten zu erhalten. Durch dieses System wird nicht wie bei der Gemeinschaftsmarke ein einziges supranationales Markenrecht erworben, sondern vielmehr eine Vielzahl einzelner quasi nationaler Marken. Vorteil des Madrider Systems sind einerseits Verfahrens-, andererseits Kostenerleichterungen. Das Verfahren zum Madrider System ist im Madrider Markenabkommen (MMA) vom 14.4.1891, im Protokoll zum Madrider Markenabkommen (PMMA) vom 27.6.1989 sowie in der zugehörigen gemeinsamen Ausführungsverordnung (AusfO) geregelt. Auf Gemeinschaftsebene finden die Art 140 ff GMV und auf deutscher Ebene die §§ 107 ff MarkenG ergänzende Anwendung. Zuständig für internationale Registrierungen ist die WIPO mit Sitz in Genf, die mit den jeweils betroffenen nationalen Ämtern zusammenarbeitet. Voraussetzung für eine internationale Registrierung ist das Bestehen einer sog Basismarke, welche entweder eine Gemeinschaftsmarke oder eine nationale Marke sein kann. Je nachdem, ob das Gesuch nach dem MMA oder PMMA erfolgt, muss die Marke bereits eingetragen sein (MMA) oder es reicht das Vorliegen einer Anmeldung (PMMA). Die internationale Registrierung ist von dieser Basismarke für einen Zeitraum von fünf Jahren abhängig, Art 6 Abs 3 MMA; Art 6 Abs 3 PMMA. Wird die Basismarke in diesem Zeitraum angegriffen, so gilt dieser Angriff gleichzeitig auch der internationalen Registrierung. Das Gesuch 275 auf internationale Registrierung ist im Fall einer Gemeinschaftsmarke als Basismarke beim HABM, im Falle einer deutschen Basismarke beim DPMA einzureichen. Zudem sind die sowohl beim HABM (derzeit € 300,–) bzw beim DPMA (derzeit € 180,–) als auch die bei der WIPO (je nach Fallgestaltung) 276 anfallenden Gebühren zu 274 275
S hierzu bereits oben Rn 31 ff. Das Formular kann jeweils über die Website des HABM und des DPMA abgerufen werden.
276
Auf der Internetseite der WIPO www.wipo. org findet sich ein fee calculator.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
entrichten. Nach Prüfung bestimmter Formalien leitet das jeweilige Amt das Gesuch an die WIPO weiter. Diese leitet sodann das Gesuch nach weiterer Prüfung an die jeweils betroffenen nationalen Ämter weiter, welche den Antrag entsprechend einem Antrag auf Registrierung einer nationalen Marke behandeln. Ein etwaiges Widerspruchsverfahren erfolgt dabei ebenfalls nach dem jeweiligen nationalen Recht. Bei Bestehen etwaiger Eintragungshindernisse wird der Anmelder über die WIPO vom jeweiligen nationalen Amt informiert. Ob die internationale Registrierung nach dem MMA oder dem PMMA erfolgt, hängt 169 vor allem davon ab, ob sowohl der Staat in dem die Basisregistrierung erfolgte, als auch der Staat, auf den der Schutz der internationalen Registrierung ausgedehnt werden soll, dem PMMA angehören. In diesem Fall genießt seit dem 1.9.2008277 das PMMA nach Art 9sexies I PMMA gegenüber dem MMA Anwendungsvorrang. Dem PMMA sind deutlich mehr Staaten beigetreten als dem MMA. Dies gilt insbesondere für die USA und die EU, welche ausschließlich Mitglieder des PMMA sind. Anders als unter dem MMA ist unter dem PMMA zudem nach Art 9quinquies PMMA, Art 154, 156 GMV, § 125 MarkenG die prioritätswahrende Umwandlung der internationalen Registrierung in nationale Marken möglich, etwa dann, wenn ein erfolgreicher Zentralangriff auf die Basismarke erfolgte. Ist eine Marke international registriert und soll der Schutz auf weitere Staaten 170 erstreckt werden, so ist keine weitere nationale Registrierung mehr erforderlich. Vielmehr existiert hierfür das Instrument der nachträglichen Schutzerstreckung (Art 3ter II MMA, Art 3ter II PMMA, Art 144 GMV, § 111 MarkenG).
§5 Geschäftliche Bezeichnungen I. Allgemeines 171
Die §§ 5 und 15 MarkenG regeln den Schutz der geschäftlichen Bezeichnungen. Unter den Begriff der geschäftlichen Bezeichnung fallen Unternehmenskennzeichen 278 und Werktitel 279 (§ 5 MarkenG). Nach der Legaldefinition in § 5 Abs 2 S 1 MarkenG erfasst der Begriff des Unternehmenskennzeichens dabei solche Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr als Name, als Firma oder als besondere Bezeichnung eines Geschäftbetriebes oder eines Unternehmens verwendet werden. Während demnach Marken unmittelbar auf das Produkt oder die Dienstleistung und nur mittelbar auf das dahinter stehende Unternehmen hinweisen, weisen Unternehmenskennzeichen unmittelbar auf das Unternehmen und allenfalls nur mittelbar auf die daraus stammenden Produkte oder Dienstleistungen hin.280 Unter Werktiteln sind demgegenüber die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken zu verstehen (§ 5 III MarkenG).
277 278 279
Zuvor war das Verhältnis umgekehrt. Umfassend zu Unternehmenskennzeichen Goldmann. Umfassend zum Titelschutz Deutsch/Ellerbrock.
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280
Vgl aber EuGH C-17/06 vom 11.9.2007 – Céline.
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§5
Geschäftliche Bezeichnungen
II. Unternehmenskennzeichen 1. Entstehung des Rechts an einem Unternehmenskennzeichen Im Regelfall entsteht das Recht an einem Unternehmenskennzeichen durch jede 172 befugte Ingebrauchnahme eines Unternehmenskennzeichens, das namensmäßige Unterscheidungskraft aufweist. Weist ein Unternehmenskennzeichen hingegen keine namensmäßige Unterscheidungskraft auf, so kann dennoch ein Recht erworben werden, soweit es sich im Verkehr durchgesetzt hat. a) Prüfung des Vorliegens namensmäßiger Unterscheidungskraft. Entscheidendes Kri- 173 terium ist hierbei zunächst, ob ein Unternehmenskennzeichen namensmäßige Unterscheidungskraft aufweist. Die Rechtsprechung greift bei der Prüfung der namensmäßigen Unterscheidungskraft im Wesentlichen auf dieselben Kriterien zurück, die bei der Prüfung der absoluten Eintragungshindernisse, insbesondere der konkreten Unterscheidungseignung von Marken eine Rolle spielen.281 Ob namensmäßige Unterscheidungskraft gegeben ist, ist folglich immer in Bezug auf die konkrete Branche zu prüfen. Insbesondere darf ein Zeichen nicht beschreibend für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens sein. Eine besondere Originalität, etwa durch eigenartige Wortbildung oder eine sonstige Heraushebung aus der Umgangssprache ist für den Schutz allerdings auch hier nicht Voraussetzung.282 So fehlt es dem Begriff „Festspielhaus“ für den Betrieb eines Veranstaltungsortes und -raumes mit dem Ziel, kulturelle Dienstleistungen zu planen, zu organisieren und durchzuführen an der erforderlichen Unterscheidungskraft. Die Bezeichnung beschreibt vielmehr nur die Örtlichkeit der Erbringung der Dienstleistungen.283 „Star Entertainment“ ist als Bezeichnung für ein Unternehmen, das als Gegenstand die Produktion, Durchführung, Vermittlung und Vermarktung von Veranstaltungen der Unterhaltungsbranche hat, nicht unterscheidungskräftig.284 b) Entstehung durch Benutzungsaufnahme. Weist ein Unternehmenskennzeichen hin- 174 reichende namensmäßige Unterscheidungskraft auf, so entsteht das Recht an ihm durch die Aufnahme der Benutzung. Voraussetzung hierfür sind Benutzungshandlungen im Inland, die auf den Beginn einer dauerhaften wirtschaftlichen Betätigung schließen lassen, ohne dass es dabei darauf ankommt, dass die Kennzeichnung bereits im Verkehr eine gewisse Anerkennung gefunden hat.285 Der Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme in der spezifischen Branche 286 bestimmt den Zeitrang des Rechts, wie er insbesondere bei Kollisionen von Bedeutung ist.287 c) Entstehung durch Verkehrsdurchsetzung. Weist das Unternehmenskennzeichen 175 von Hause aus keine hinreichende namensmäßige Unterscheidungskraft auf, so kann dennoch ein Recht an ihm erworben werden, wenn die fehlende namensmäßige Unterscheidungskraft mit Hilfe der Durchsetzung des Kennzeichens innerhalb der angesprochenen Verkehrskreise – unter Umständen räumlich begrenzt – überwunden werden
281 282 283
284
Vgl hierzu oben Rn 31 ff. BGH GRUR 1999, 492 – Altberliner. BGH GRUR 2002, 814, 816 – Festspielhaus I; BGH GRUR 2003, 792, 793 – Festspielhaus II. BGH GRUR 2005, 873 – Star Entertainment.
285
286 287
BGH GRUR 1997, 903, 905 – GARONOR; auch BGHZ 130, 276, 280 – Torres; BGHZ 150, 82, 89 – Hotel Adlon; BGH GRUR 2003, 428, 431 – BIG BERTHA; vgl auch BGH GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate. BGH GRUR 2005, 871, 873 – Seicom. BGH GRUR 2005, 871, 872 – Seicom.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
kann.288 Die Verkehrsdurchsetzung ist dabei auf der Grundlage konkreter Tatsachen festzustellen. Es gelten hierbei vergleichbare Grundsätze wie beim Erwerb von Benutzungsmarken.289 2. Inhalt des Unternehmenskennzeichenrechts
176
Unternehmenskennzeichen sind in der Regel im gesamten Geltungsbereich des MarkenG geschützt.290 Ausnahmen gelten bei Unternehmen von nur örtlicher Bedeutung sowie unter Umständen bei Kennzeichen, die kraft Verkehrsdurchsetzung erworben wurden. Einen territorial beschränkten Schutzbereich genießen Bezeichnungen von Unterneh177 men, die nach Zweck und Zuschnitt nur lokal oder regional tätig und auch nicht sichtbar 291 auf Expansion ausgelegt sind. Ein territorial beschränktes Recht erwerben regelmäßig etwa Restaurants 292, Hotels 293 oder regional tätige Händler 294 oder Dienstleister 295. 3. Schutzumfang des Unternehmenskennzeichens
178
Entsprechend den Regelungen des Art 9 GMV, § 14 MarkenG genießt durch § 15 MarkenG auch die geschäftliche Bezeichnung Identitätsschutz, Verwechslungsschutz und einen erweiterten Schutz der bekannten geschäftlichen Bezeichnung. Wie bei Marken ist insoweit auch bei Unternehmenskennzeichen die Verwechslungsgefahr insbesondere anhand der drei Faktoren der Kennzeichnungskraft der Klagekennzeichnung, des Ähnlichkeitsgrads der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen und der Ähnlichkeit der Tätigkeitsgebiete der Parteien zu beurteilen. Auch hier besteht zwischen diesen Faktoren, eine Wechselwirkung, die eine Berücksichtigung aller insoweit maßgebenden Umstände erfordert.296 Der Sache nach gelten hier daher vergleichbare Grundsätze wie bei Marken.297 Anstelle der Produktähnlichkeit ist hierbei aber auf die Branchenähnlichkeit abzustellen, bei der es in erster Linie auf die Produktbereiche und Arbeitsgebiete ankommt, die nach der Verkehrsauffassung typisch für die Beteiligten sind. Anhaltspunkte für eine Branchennähe können hierbei Berührungspunkte der Waren oder Dienstleistungen der Unternehmen auf den Märkten sowie Gemeinsamkeiten der Vertriebswege und der Verwendbarkeit der Produkte und Dienstleistungen sein. So besteht etwa zwischen der Beschaffung, Installation und Wartung von PC-Netzwerken einerseits und dem Vertrieb von PC-Hard- und Software andererseits nicht nur Branchennähe, sondern sogar Branchenidentität.298
288
289 290 291 292 293
294
BGHZ 147, 56, 62 – Tagesschau; BGH GRUR 2001, 1054, 1056 – Tagesreport mwN. Hierzu oben Rn 64 f. BGH GRUR 2005, 262, 263 – soco.de. BGH GRUR 1993, 923 – Pic Nic mwN. BGH GRUR 1993, 923, 924 – Pic Nic. BGH GRUR 1977, 165, 166 – Parkhotel; BGH GRUR 1984, 378, 379 – Hotel Krone; BGH GRUR 1995, 507, 508 – City Hotel. BGH GRUR 2005, 262, 263 – soco.de.
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297 298
BGH GRUR 1986, 475 – Wach- und Schließ; BGH GRUR 2005, 262, 263 – soco.de; BGH I ZR 288/02 vom 23.6.2005 – hufeland.de Rn 15. BGH GRUR 2004, 865, 867 – Mustang; BGH GRUR 2005, 61 – CompuNet/ComNet II. S oben Rn 77 ff. BGH GRUR 2001, 1161, 1162 – CompuNet/ComNet I; BGH GRUR 2005, 61 – CompuNet/ComNet II.
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§5
Geschäftliche Bezeichnungen
Darüber hinaus unterliegt auch der Schutz der Unternehmenskennzeichen den Schran- 179 ken der §§ 20 ff MarkenG. Auf die entsprechenden Ausführungen zum Markenrecht wird verwiesen.299 4. Erlöschen des Rechts an einem Unternehmenskennzeichen Das Recht an einem Unternehmenskennzeichen kann auf verschiedene Weise erlö- 180 schen. Beispiele sind der Wegfall des Rechtsträgers, der Wegfall der Unterscheidungskraft oder der Verkehrsdurchsetzung oder die Trennung des Kennzeichens von dem zugrunde liegenden Unternehmen, die zum Erlöschen der ursprünglichen Priorität führt.300 Der in der Praxis häufigste Fall des Rechtsuntergangs ist die Einstellung der geschäftlichen Tätigkeit. Dabei muss eine Umfirmierung nicht zwangsläufig zum Verlust einer Kennzeichnung 181 führen. Der Schutz eines langjährig benutzten Firmenschlagworts bleibt mit seiner bisherigen Priorität auch im Fall einer wesentlichen Veränderung der zugrunde liegenden Gesamtkennzeichnung bestehen, wenn das Firmenschlagwort auch in der neuen Gesamtkennzeichnung unverändert enthalten ist und weiterhin als solches benutzt wird.301 Ein Verlust der Priorität kann erst angenommen werden, wenn durch die Änderungen die Unterscheidungskraft und die Identität der Gesamtbezeichnung berührt wird.302 So bleibt im Falle der Umfirmierung einer „CompuNet Computer Vertriebs-GmbH“ in „CC CompuNet AG & Co. OHG“ die ursprüngliche Priorität am Schlagwort „CompuNet“ gewahrt.303
III. Werktitel 1. Allgemeines Neben Unternehmenskennzeichen werden vom MarkenG auch Werktitel als geschäft- 182 liche Bezeichnungen geschützt, vgl § 5 I MarkenG.304 Werktitel sind die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken (§ 5 III MarkenG).305 Die gesetzlichen Vorgaben zum Werktitelschutz entsprechen im Wesentlichen den Vorschriften zu Unternehmenskennzeichen. In der Praxis gibt es jedoch bedeutende Unterschiede. So bezeichnen Titel anders als Unternehmenskennzeichen kein Unternehmen, sondern ein Werk. Sie sind insoweit Marken vergleichbar, die ein Produkt bezeichnen.306 Zudem werden an den Grad der zum Rechtserwerb erforderlichen Unterscheidungskraft in der Regel nur extrem geringe Anforderungen gestellt. Dies hat zur Folge, dass die nur wenig unterscheidungskräftigen Titel auch nur über einen entsprechend kleinen Schutzbereich verfügen. Schließlich besteht durch die Ankündigung eines geplanten Titels vor Erscheinen des Werks (Titelschutzanzeige) die Möglichkeit, den Zeitrang des Titelschutzes vorzuverlagern. 299 300
301 302 303
S oben Rn 122 ff, 125 ff, 135 ff. Vgl Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 69; zu Kennzeichen im Rechtsverkehr auch Teil 2 Kap 13. BGH GRUR 1995, 505 – APISERUM. BGHZ 130, 134, 138 – Altenburger Spielkarten mwN. BGH GRUR 2005, 61 – CompuNet/ComNet II.
304 305
306
Umfassend zum Titelschutz Deutsch/Ellerbrock. Nur in Ausnahmefällen wird auch an urheberrechtlichen Schutz zu denken sein; vgl Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 106. Vgl aber BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
2. Entstehung des Titelschutzes
183
§ 5 III MarkenG erwähnt als Schutzobjekte des Titelschutzes ausdrücklich Druckschriften,307 Filmwerke,308 Tonwerke und Bühnenwerke.309 Die Aufzählung ist nicht abschließend, wie unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift »sonstigen vergleichbaren Werken« folgt. Geschützt sind damit etwa auch Titel von Rundfunksendungen,310 Spielen,311 Computerprogrammen 312 oder Warenkatalogen.313 Der Werkbegriff in § 5 III MarkenG entspricht nicht dem urheberrechtlichen Werkbegriff des § 2 UrhG. Voraussetzung ist lediglich, dass das betitelte Werk einen umsetzungsfähigen geistigen Gehalt aufweist, der für den Verkehr das Wesen des Werks ausmacht und der den Warencharakter der konkreten Verkörperung in den Hintergrund treten lässt. Nicht titelschutzfähig ist damit etwa ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem es nur darum geht, mittels einer vibrierenden Schöpfkelle Fischfiguren aus einer flachen Schale herauszuschöpfen.314 Schutz erlangt ein Titel nur, wenn er über hinreichende Unterscheidungskraft 315 ver184 fügt oder sich im Verkehr durchgesetzt 316 hat. So verfügt der Titel „SmartKey“ für eine Computersoftware von Hause aus über hinreichende Unterscheidungskraft.317 Andererseits mag dem Titel »Tagesthemen« für eine Nachrichtensendung zwar die Unterscheidungskraft fehlen. Mit Blick auf seinen hohen Bekanntheitsgrad ist jedoch von Verkehrsdurchsetzung auszugehen.318 Unterscheidungskraft hat die Bezeichnung eines Werks, wenn ihr die Eignung zur 185 Werkindividualisierung, also zur Unterscheidung eines Werks von anderen Werken zukommt.319 Hierbei hat die Rechtsprechung zunächst für Titel von Zeitungen,320 später auch für Zeitschriften- 321 und Buchtitel 322 sowie für Titel von Rundfunksendungen 323 den Mindestgrad erforderlicher Unterscheidungskraft extrem abgesenkt.
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313 314 315
Vgl etwa BGH GRUR 1991, 153 – Pizza & Pasta; BGH GRUR 2002, 1083 – 1, 2, 3 im Sauseschritt; BGH GRUR 2005, 264 – Das Telefon-Sparbuch. Vgl etwa BGHZ 147, 56 – Tagesschau; BGH GRUR 1958, 354 – Sherlock Holmes; BGH GRUR 1977, 543 – Der 7. Sinn; BGH GRUR 2001, 1054 – Tagesreport. Nicht aber ein Musikfestival, das aus einer Reihe von Aufführungen besteht: BGH GRUR 1989, 626 – Festival europäischer Musik. BGH GRUR 1982, 431 – Point; BGH GRUR 1993, 769 – Radio StuttgArt BGH GRUR 1993, 767 – Zappel-Fisch. BGHZ 135, 278 – PowerPoint; BGH GRUR 1997, 902, 903 – FTOS; BGH GRUR 1998, 1010 – WINCAD; BGH I ZR 109/03 vom 27.4.2006 – SmartKey Rn 16. BGH GRUR 2005, 959 – FACTS II. BGH GRUR 1993, 767 – Zappel-Fisch. Zum Begriff der Unterscheidungskraft bei Marken vgl oben Rn 48 ff.
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Zum Erwerb von Unterscheidungskraft infolge Benutzung vgl oben Rn 55 ff. BGH I ZR 109/03 vom 27.4.2006 – SmartKey Rn 16. BGHZ 147, 56, 62 – Tagesschau mwN. BGH GRUR 2002, 1083 – 1, 2, 3 im Sauseschritt; BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr. BGH GRUR 1963, 378 – Deutsche Zeitung; BGH GRUR 1992, 547, 548 – Berliner Morgenpost; BGH GRUR 1997, 661 – B. Z./Berliner Zeitung. BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine; BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I; BGH GRUR 2002, 176 – Auto Magazin. BGH GRUR 1991, 153 – Pizza & Pasta. BGHZ 147, 56, 61 f – Tagesschau; BGH GRUR 1988, 377 – Apropos Film; BGH GRUR 1993, 769 – Radio Stuttgart; BGH GRUR 2001, 1054, 1055 – Tagesreport.
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§5
Geschäftliche Bezeichnungen
Hinreichend unterscheidungskräftig sind damit die Titel »Wheels Magazine«,324 »SZENE Hamburg«,325 »FACTS«,326 »Auto Magazin«,327 »Tagesschau«328 oder »Das Telefon Sparbuch«.329 Ob dabei der Titel auch als Marke schutzfähig wäre, spielt – wegen explizit geringerer Anforderungen an die Unterscheidungskraft bei Titeln – keine Rolle. Auch wenn daher etwa der Bezeichnung »Winnetou« die Unterscheidungskraft als Marke abgesprochen wurde,330 weil sie vom Verkehr allein als Synonym für die von Karl May geschaffene fiktive Figur beschreibend verstanden wird, verfügt die Bezeichnung als Werktitel über hinreichende Unterscheidungskraft.331 Titelschutz entsteht grds mit der – titelmäßigen 332 – Ingebrauchnahme des unterscheidungskräftigen 333 Titels für das jeweilige Werk. Ausnahmsweise kann der Schutz früher entstehen, wenn das Werk fertig gestellt ist und die alsbald folgende Auslieferung werblich angekündigt wird.334 Existiert bspw erst eine – unter anderem Titel vertriebene – englischsprachige Version eines Computerprogramms so kann die Ankündigung der alsbald folgenden Auslieferung der deutschen Version unter dem beabsichtigten Titel noch keinen Titelschutz bewirken, solange die deutsche Version noch nicht fertig gestellt ist.335 Möglich ist jedoch den Zeitrang des Titelschutzes durch das Instrument der (formalisierten) Titelschutzanzeige vorzuverlagern, indem der Titel in bestimmter Weise der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird. Da die Titelschutzanzeige selbst noch keine Benutzung des Titels darstellt, begründet sie noch kein Titelrecht. Sie führt lediglich zu einer Vorverlagerung des Zeitrangs, wenn das Werk später tatsächlich erscheint.336 Erscheint etwa nach Anzeige des Titels, aber vor Veröffentlichung des Werks ein identisch gekennzeichnetes Werk eines Dritten, so wird ein Angriff erst dann Erfolg haben, wenn das angekündigte Werk tatsächlich auch erschienen ist. Die Titelschutzanzeige ist an zwei Voraussetzungen geknüpft. Erstens muss das Erscheinen des Werks unter dem jeweiligen Titel bzw den möglicherweise gewählten Titeln 337 öffentlich und in branchenüblicher Weise angekündigt werden. Zweitens muss das eigentliche Werk innerhalb angemessener Zeit unter dem Titel tatsächlich erscheinen. Die branchenübliche Ankündigung erfolgt hierbei etwa für Druckschriften oder Filme im »Börsenblatt des Deutschen Buchhandels«338 oder im »Titelschutzanzeiger«, für Computerprogramme in der Publikation »Der Softwaretitel«. Der übliche Text einer Titelschutzanzeige lautet zumeist: »Unter Hinweis auf die §§ 5, 15 MarkenG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den folgenden Titel: […].« Die Angemessenheit des zeitlichen Abstands zum Inverkehrbringen des Werks unter dem angezeigten Werktitel als zweite Voraussetzung der Vorverlagerung des Schutzes
324 325 326 327 328 329 330 331
BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine. BGH GRUR 2000, 70, 72 – SZENE. BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I. BGH GRUR 2002, 176 – Auto Magazin. BGHZ 147, 56, 62 – Tagesschau. BGH GRUR 2005, 264, 265 – Das TelefonSparbuch. BGH GRUR 2003, 342 – Winnetou. BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr.
332 333 334 335 336 337 338
BGH GRUR 2005, 959 – FACTS II mwN. Andernfalls mit Verkehrsdurchsetzung. BGH GRUR 1997, 902 – FTOS; BGH GRUR 1998, 1010 – WINCAD. BGH GRUR 1998, 1010 – WINCAD. BGH GRUR 2001, 1054, 1055 – Tagesreport mwN. Eine Sammeltitelschutzanzeige ist zulässig: BGHZ 108, 89 – Titelschutzanzeige. BGHZ 108, 89, 98 – Titelschutzanzeige; BGH GRUR 1998, 1010, 1012 – WINCAD.
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beurteilt sich nach der konkreten Art des Werks sowie der Werkkategorie und den üblichen Produktionszeiten.339 Der Zeitraum ist hierbei durch eine Abwägung der beteiligten Interessen zu ermitteln.340 In der Regel wird die Obergrenze bei sechs, in Ausnahmefällen – insbesondere bei langen Produktionszeiten – bei zwölf Monaten liegen.341 3. Reichweite des Titelschutzes
192
a) Allgemeines. Der Umfang des Titelschutzes richtet sich nach § 15 MarkenG. Titel sind damit wie Unternehmenskennzeichen gegen Verwechslungsgefahr (§ 15 II MarkenG), bekannte Titel darüber hinaus gegen bestimmte unlautere Verhaltensweisen (§ 15 III MarkenG) geschützt. Die allgemeinen markenrechtlichen Einreden und Einwendungen – insbesondere die §§ 20–24 MarkenG – gelten zudem auch hier.342
193
b) Verwechslungsschutz. Anders als bei dem Verwechselungsschutz von Marken wird aufgrund der Tatsache, dass die Anforderungen an den Titelschutz relativ gering sind, Werktiteln seitens der Rechtsprechung im Regelfall nur ein sehr enger Schutzbereich zuerkannt. Dieser geht häufig kaum über den Identitätsbereich hinaus.343 Titelschutz besteht außerdem nach § 15 MarkenG grds nur dann, wenn auf Verletzerseite eine titelmäßige Verwendung vorliegt. Eine solche liegt vor, wenn eine Kennzeichnung in einer Weise benutzt wird, dass ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs in ihr die Bezeichnung eines Werkes zur Unterscheidung von anderen Werken sieht. Eine titelmäßige Verwendung kann daher auch bei einem Rubrikentitel 344 oder dem optisch hervorgehobenen Titel einer Zeitschriftenbeilage 345 vorliegen. Demgegenüber liegt in einer Titelschutzanzeige noch keine (rechtsverletzende) Benutzung des Titels, so dass sie allenfalls eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich der Benutzung begründet.346 Nur in Ausnahmefällen genügt darüber hinaus auch eine Verwendung als Unterneh194 mens- oder Produktkennzeichen, wobei diese aber jedenfalls eine kennzeichenmäßige, also rechtsverletzende347 Verwendung sein muss.348 Nach § 15 Abs 2 MarkenG ist es Dritten untersagt, den Titel in einer Weise zu benut195 zen, die geeignet ist, Verwechselungen hervorzurufen. Der Begriff der Verwechslungsgefahr entspricht im Grundsatz der Verwechslungsgefahr bei Markenverletzungen.349 Für die Frage der Verwechslungsgefahr ist folglich auch hier auf drei Faktoren der Kennzeichnungskraft des älteren Titels, der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Werktitel sowie auf die Identität oder Ähnlichkeit der jeweiligen Werke abzustellen. Auch hier besteht zwischen einzelnen Faktoren eine Wechselwirkung.350 Da es bei Titeln um Zei339 340 341
342 343
Vgl Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 84 mwN. OLG Hamburg AfP 1997, 815. Vgl OLG Hamburg AfP 1997, 815 (zehn Monate unangemessen); OLG Köln GRUR 1989, 690, 692 – High Tech (zwölf Monate unangemessen); OLG Hamburg AfP 2002, 59, 60 – Bremer Branchen (neun Monate für Internet- und zwölf Monate für Printversion eines Branchentelefonbuchs als Obergrenze). Vgl hierzu oben Rn 122 ff, 125 ff, 135 ff. Für die Praxis empfielt es sich daher – soweit dies möglich ist – einen Titel zusätzlich als Marke anzumelden; so auch Deutsch GRUR 2004, 642 ff.
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344 345 346 347 348 349 350
BGH GRUR 2000, 70, 72 – SZENE. BGH GRUR 2005, 264, 265 – Das TelefonSparbuch. BGH GRUR 2001, 1054, 1055 – Tagesreport mwN. Hierzu oben Rn 70 ff. BGH I ZR 109/03 vom 27.4.2006 – SmartKey Rn 17. Zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr vgl oben Rn 77 ff. Etwa BGHZ 147, 56, 63 – Tagesschau; BGH I ZR 109/03 vom 27.4.2006 – SmartKey Rn 20.
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chen geht, die durch Benutzung entstehen, ist allerdings bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr stets auf die konkreten Benutzungsverhältnisse abzustellen. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zwischen Zeitschriftentiteln kommt es bspw daher auch auf die Marktverhältnisse und zwar insbesondere auf Charakter und Erscheinungsbild der Zeitschriften an. Insbesondere Gegenstand, Aufmachung, Erscheinungsweise und Vertriebsform haben hierbei Einfluss auf die Verwechslungsgefahr.351 aa) Kennzeichnungskraft. Wie bei Marken 352 richtet sich die Kennzeichnungskraft 196 eines Werktitels danach, welche Unterscheidungskraft er von Hause aus aufweist und wie intensiv seine Kennzeichnungskraft durch Benutzung gesteigert wurde. Hierbei ist auf die konkrete Eignung zur Unterscheidung unterschiedlicher Werke voneinander, also auf eine titelspezifische Kennzeichnungskraft, abzustellen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass bei Titeln im Rahmen ihrer Schutzfähigkeit nur extrem geringe Anforderungen an den Grad erforderlicher Unterscheidungskraft gestellt werden. Auch solche Titel, die – gemessen an den Kriterien für Marken – nur eine vergleichsweise schwache Unterscheidungskraft aufweisen, können daher als Titel über durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügen. So kann die Unterscheidungskraft des Titels »Wheels Magazine« nicht als gering angesehen werden. Denn der Bestandteil »Wheels« – auf deutsch »Räder« – hebt sich von einer rein beschreibenden Angabe durch die Verwendung der englischen Sprache sowie insbesondere dadurch ab, dass er nur auf einen eher unbedeutenden Teil des Gegenstandes der Berichterstattung Bezug nimmt.353 bb) Zeichenähnlichkeit. Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr von Titeln ist 197 die Zeichenähnlichkeit, wie bei Marken danach zu bestimmen, welchen Gesamteindruck die beiderseitigen Bezeichnungen im Verkehr erwecken.354 Auch hier ist zu beachten, dass der Verkehr regelmäßig nicht beide Titel gleichzeitig betrachten und vergleichen kann, sondern sich auf seine undeutliche Erinnerung verlassen muss. So begegnet es bei den Bezeichnungen »Das neue Telefon-Sparbuch« bzw »Das frische Telefon-Sparbuch« keinen rechtlichen Bedenken, dem Weglassen der Adjektive »neues« bzw »frisches« keine für den Gesamteindruck im Verkehr wesentliche Bedeutung beizumessen. Auch der Verkehr wird nämlich diese Details kaum in Erinnerung behalten.355 Die Rechtsprechung geht weiter davon aus, dass der Verkehr dazu neigt, längere Be- 198 zeichnungen in einer die Merkbarkeit und Aussprechbarkeit erleichternden Weise zu verkürzen. Hierbei genügt es, wenn die abgekürzte Bezeichnung für einen nicht unbeachtlichen Teil des Verkehrs nahe liegt.356 So wird der Titel »Wheels Magazine« in seinem Gesamteindruck durch »Wheels« geprägt.357 Demgegenüber wird der Verkehr die Titel »1, 2, 3 im Sauseschritt« und »Eins, zwei, drei im Bärenschritt« nicht auf die Ziffernfolge »1, 2, 3« reduzieren, da die Wörter 351 352 353 354
Etwa BGH GRUR 2005, 264, 266 – Das Telefon-Sparbuch. Vgl hierzu oben Rn 82 f. BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine. BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I; BGH GRUR 2002, 1083, 1084 – 1, 2, 3 im Sauseschritt; BGH GRUR 2005, 264, 265 – Das Telefon-Sparbuch.
355 356
357
BGH GRUR 2005, 264, 265 – Das TelefonSparbuch. BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine; BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I mwN. BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine.
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»Sauseschritt« einerseits und »Bärenschritt« andererseits sowie deren erkennbarer Bedeutungsgehalt die Titel maßgeblich mitprägen.358 Bei Titeln, die nur geringe Kennzeichnungskraft aufweisen, kann bereits eine verhält199 nismäßig geringfügige Abweichungen ausreichen, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Denn der Verkehr achtet hier genau auf bestehende Unterschiede.359 So begründen die Titel
jedenfalls dann keine Verwechslungsgefahr, wenn der Verkehr im betreffenden Zeitschriftenbereich an ähnliche Titel gewöhnt ist.360 Entsprechendes gilt für die Titel »Tagesschau« bzw »Tagesthemen« einerseits und »Tagesreport« andererseits.361
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cc) Werknähe. Eine wichtige Besonderheit von Werktiteln gegenüber Marken und Unternehmenskennzeichen besteht darin, dass Werktitel iSd § 5 Abs 3 MarkenG grds (nur) der Unterscheidung eines Titels von anderen dienen. Einen Hinweis auf den Hersteller oder Inhaber des Werkes und damit auf eine bestimmte betriebliche Herkunft geben Werktitel hierbei normalerweise nicht. Aus Titelrechten kann daher normalerweise nicht gegen Marken und Unternehmenskennzeichen vorgegangen werden.362 Auch sind Titel in der Regel nur gegen eine unmittelbare Verwechslung im engeren Sinne geschützt.363 Es muss demnach für eine Verletzung der Titelrechte die Gefahr bestehen, dass der Verkehr den einen Titel für den anderen hält, dass also ein nicht nur unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs als Folge der Identität oder Ähnlichkeit der beiden verwendeten Bezeichnungen über die Identität der bezeichneten Werke irrt. Betreffen
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359
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361 362
BGH GRUR 2002, 1083, 1084 f – 1, 2, 3 im Sauseschritt, unter Hinweis auf BGHZ 28, 320, 325 – Quick/Glück; BGH GRUR 1992, 130, 132 – Bally/BALL. BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine; BGH GRUR 2002, 176, 177 – Auto Magazin. BGH GRUR 2002, 176, 177 – Auto Magazin; auch BGH GRUR 1991, 331, 332 – Ärztliche Allgemeine; BGH GRUR 1992, 547, 549 – Morgenpost; BGH GRUR 1997, 661, 663 – B. Z./Berliner Zeitung. BGHZ 147, 56, 64 – Tagesschau; BGH GRUR 2001, 1054, 1056 – Tagesreport. Vgl BGHZ 68, 132, 139 ff – Der 7. Sinn (bekannte Verkehrs-Fernsehsendung und Verkehrs-Würfelspiel); BGH GRUR 1982, 431, 432 f – POINT, insoweit nicht in BGHZ 83, 52; s aber auch BGHZ 120, 228, 232 f – Guldenburg (Fernsehserie und Schmuck bzw Lebensmittel). Wichtigster Anwendungsfall bilden hierbei bekannte Titel. Denn gerade bei solchen verbindet der
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Verkehr unter Umständen gleichzeitig auch die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft, vgl BGHZ 147, 56, 61 f – Tagesschau; BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine mwN; BGH GRUR 1999, 581, 582 – Max mwN; BGH GRUR 2000, 70, 72 f – SZENE; BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I mwN; BGH GRUR 2001, 1054, 1056 – Tagesreport mwN; BGH GRUR 2002, 1083, 1085 – 1, 2, 3 im Sauseschritt; BGH GRUR 2005, 264, 266 – Das Telefon-Sparbuch. BGHZ 147, 56, 61 f – Tagesschau; BGH GRUR 1999, 235, 237 – Wheels Magazine; BGH GRUR 1999, 581, 582 – Max; BGH GRUR 2000, 70, 72 f – SZENE; BGH GRUR 2000, 504, 505 – FACTS I; BGH GRUR 2001, 1054, 1056 – Tagesreport; BGH GRUR 2002, 1083, 1085 – 1, 2, 3 im Sauseschritt; auch BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr; BGH GRUR 2005, 264, 265 f – Das Telefon-Sparbuch.
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Geschäftliche Bezeichnungen
daher die zu vergleichenden Titel unterschiedliche Werkgattungen, so scheidet die Annahme einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr mangels Werknähe regelmäßig aus, wenn der angesprochene Verkehr das eine Werk aufgrund der Unterschiede nicht für das andere hält.364 So handelt es sich bei einem Sachbuch einerseits und einem als Zeitschriftenbeilage verteilten Heftchen über Telefontarife andererseits nicht um dieselbe Werkkategorie »Buch«. Die Werknähe ist daher zu verneinen.365 Allerdings ist der Verkehr bei bestimmten Werkgattungen daran gewöhnt, dass unter- 201 schiedliche Fassungen desselben Werks erscheinen können. So ist die Werknähe zwischen einem Roman und einem Film nicht zu gering zu bewerten. In Filmen werden nämlich häufig Romanvorlagen umgesetzt.366 Demgegenüber wird der Verkehr bei einer Zeitschriftenbeilage ohne einen ausdrücklichen Hinweis nicht annehmen, dass es sich bei den Broschüren um Auszüge oder Sonderausgaben eines Buches handelt.367 c) Bekanntheitsschutz. Bekannte Titel genießen in zweierlei Hinsicht erweiterten 202 Schutz: Zum einen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Verkehr den bekannten Titel eher als Hinweis auf die betriebliche Herkunft verstehen und deswegen mit der Folge einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn auf wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Beteiligten schließen wird. Zum anderen genießen bekannte Titel wie bekannte Marken originären Schutz gegen bestimmte unlautere Verhaltensweisen, vgl § 15 III MarkenG. Die Bekanntheit eines Titels ist bei diesem originären Bekanntheitsschutz wie die Bekanntheit einer Marke 368 zu ermitteln. So kann eine hinreichende Bekanntheit im Verkehr bei einer Bekanntheitsquote von 14,1 % ohne sonstige in Richtung Bekanntheit weisende Tatsachen noch nicht angenommen werden.369 Bekannten Titeln kommt ein erweiterter Schutz hierbei nur zugute, wenn die Benut- 203 zung des Titels durch einen Dritten seine Unterscheidungskraft oder Wertschätzung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt, § 15 Abs 3 MarkenG. Für die Annahme einer Rufausnutzung oder -beeinträchtigung verlangt der BGH hierbei konkrete Umstände.370 Die Vorschrift ist dem Schutz bekannter Marken gem § 14 II Nr 3 MarkenG nachgebildet. Auf die entsprechenden Ausführungen zum Schutz bekannter Marken kann insoweit verwiesen werden.371 4. Untergang des Titelschutzes Der Werktitelschutz endet grds 372 wenn die Benutzung des Titels für das zu Grunde 204 liegende Werk endgültig aufgegeben wurde.373 Bei einer Unterbrechung der Benutzung
364
365 366 367
BGH GRUR 2005, 264, 266 – Das TelefonSparbuch; auch BGHZ 147, 56, 64 f – Tagesschau. BGH GRUR 2005, 264, 265 f – Das Telefon-Sparbuch. BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr. BGH GRUR 2005, 264, 265 f – Das Telefon-Sparbuch.
368
Vgl hierzu oben Rn 114 f. BGH GRUR 1999, 581, 582 – Max. 370 BGH GRUR 2000, 70, 73 – SZENE. 371 Zum erweiterten Schutz bekannter Marken oben Rn 113 ff. 372 Wurde der Titelschutz durch Verkehrsgeltung erlangt, erlischt das Recht mit dem Wegfall der Verkehrsgeltung. 373 Vgl BGH GRUR 1960, 346 – Naher Osten. 369
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wird man wie bei Unternehmenskennzeichen374 darauf abstellen müssen, ob die Unterbrechung nur vorübergehend ist. So erlischt bei einem Buch das Titelrecht nicht schon dann, wenn das Buch vergriffen ist. Der Verkehr weiß nämlich, dass zwischen einzelnen Auflagen ein längerer Zeitraum verstreichen kann.375 Wird das zu Grunde liegende Werk urheberrechtlich gemeinfrei, so führt dies nicht zum Erlöschen des Titelschutzes.376 Allerdings bedeutet dies nicht, dass Dritte mit Gemeinfreiwerden nicht auch den Titel für identische Nachdrucke des betroffenen Werks verwenden dürften; lediglich eine Benutzung des Titels für ein anderes Werk bleibt unzulässig.
§6 Namen 205
Anders als Marken und geschäftliche Bezeichnungen, welche von der Rechtsordnung nur im geschäftlichen Verkehr geschützt werden, ist der Schutz des Namens vom geschäftlichen Verkehr unabhängig. Der Schutz des Namens ist in § 12 BGB geregelt und damit gegenüber dem speziellen kennzeichenrechtlichen Schutz subsidiär. Der Namensschutz des BGB besteht damit nur, soweit die Vorschriften des Kennzeichenrechts, etwa mangels Benutzung im geschäftlichen Verkehr, keine Anwendung finden.377 Namensschutz kann also etwa dann eingreifen, wenn das Unternehmenskennzeichen »shell« für eine private Internetadresse benutzt wird.378 Namen iSd § 12 BGB sind nicht nur bürgerliche Vor- und Nachnamen,379 sondern 206 auch Pseudonyme,380 Bezeichnungen von BGB-Gesellschaften,381 Unternehmenskennzeichen,382 Gewerkschaften383 oder Bezeichnungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts384 sowie Wappen und Siegel.385 Der Namensschutz entsteht bei bürgerlichen Namen mit der Geburt. Bei Vornamen,386 Unternehmenskennzeichen oder Bezeichnungen von Gesellschaften, juristischen Personen sowie anderen Rechtssubjekten entsteht der Schutz mit Benutzungsaufnahme, sofern die Bezeichnung individualisierende Unterscheidungskraft aufweist, andernfalls mit Verkehrsgeltung als namensmäßiger Hinweis.387 Auch bei Pseudonymen entsteht der namensrechtliche Schutz nach der Recht-
374 375 376 377
378 379 380 381
BGHZ 136, 11, 21 – L; 150, 82, 89 – Hotel Adlon. BGH GRUR 1960, 346 – Naher Osten. BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr mwN. BGH GRUR 1998, 696, 697 – Rolex-Uhr mit Diamanten; BGHZ 149, 191 – shell.de; BGH GRUR 2002, 706, 707 – vossius.de; BGH GRUR 2005, 430 – mho.de. BGHZ 149, 191 – shell.de. Etwa BGHZ 143, 214, 230 – Marlene Dietrich. BGHZ 155, 273 – maxem.de. Etwa BGH GRUR 2002, 706, 707 – vossius.de.
766
382 383 384
385
386 387
Etwa BGHZ 149, 191 – shell.de. BGH GRUR 1965, 377, 379 – GdP. Etwa BGHZ 161, 216 – Pro Fide Catholica; BGH GRUR 1964, 38 – Dortmund grüßt; BGH I ZR 231/01 vom 9.6.2005 – segnitz.de Rn 13. BGH GRUR 1994, 844, 845 – Rotes Kreuz; BGH GRUR 2002, 917, 918 – Düsseldorfer Stadtwappen. Vgl BGHZ 143, 214, 230 f – Marlene Dietrich mwN. BGHZ 119, 237, 245 – Universitätsemblem; BGH GRUR 2002, 917, 919 – Düsseldorfer Stadtwappen; auch BGH GRUR 2005, 517 – Literaturhaus.
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§6
Namen
sprechung durch Verkehrsgeltung. grds mit Benutzungsaufnahme, sofern die Bezeichnung individualisierende Unterscheidungskraft aufweist, andernfalls mit Verkehrsgeltung als namensmäßiger Hinweis.388 Die Rechtsordnung schützt den Namensträger in dreierlei Richtung: 207 Nach § 12 1. Alt BGB wird der Namensträger zum einen vor der Namensleugnung geschützt. Hierunter ist zu verstehen, dass dem Namensträger das Recht abgesprochen wird, seinen Namen zu führen. Eine Namensleugnung liegt etwa vor, wenn ein Dritter den Namen des Namensträgers als Marke anmeldet und hieraus versucht, gegen den Namensträger Unterlassungsansprüche durchzusetzen. Ferner liegt eine Namensleugnung auch dann vor, wenn dem Berechtigten grds sein Name versagt und er mit einem ihm nicht zustehenden Namen belegt wird.389 Nach § 12 2. Alt BGB wird der Namensträger zudem vor der Namensanmaßung 208 geschützt. Hiernach ist es Dritten untersagt, unbefugt den Namen des Berechtigten zu gebrauchen und dadurch schutzwürdige Interessen des Berechtigten zu verletzen.390 Nach der Rechtsprechung wird von dieser Fallgruppe allerdings nur der Name in seiner Funktion als Identitätsbezeichnung geschützt.391 Von § 12 2. Alt BGB wird damit der Namenträger nur vor solchen Namensanmaßungen geschützt, die geeignet sind, gerade eine namensmäßige Identitäts- oder Zuordnungsverwirrung hervorzurufen und schutzwürdige Interessen des Namensträgers zu verletzen.392 Die Feststellung, ob eine solche Identitäts- oder Zuordnungsverwirrung gegeben ist, folgt dabei vergleichbaren Grundsätzen, wie die Verwechselungsgefahr im Markenrecht. Eine Identitäts- bzw Zuordnungsverwirrung ist damit nicht nur dann gegeben, wenn der Name identisch übernommen wird, sondern unter Umständen auch dann, wenn es sich nur um eine ähnliche Wiedergabe handelt. Ein solcher Fall der Identitäts- oder Zuordnungsverwirrung liegt etwa dann vor, wenn sich ein Dritter den Namen eines im selben Ort ansässigen Prominenten gibt und daraufhin womöglich Fanpost bekommt. Von einer Zuordnungsverwirrung ist ferner dann auszugehen, wenn der Name derart 209 verwandt wird, dass der Namensträger zu bestimmten Einrichtungen, Gütern oder Erzeugnissen in Beziehung gesetzt wird, mit denen er nichts zu tun hat. Hierfür genügt es auch, dass im Verkehr der falsche Eindruck entsteht, der Namensträger habe dem Benutzer ein Recht zu entsprechender Verwendung des Namens erteilt.393 Verwendet etwa ein Dritter das Emblem einer Universität auf Bekleidungsstücken, so soll – so die Rechtsprechung – der Verkehr annehmen, die Universität habe dem zugestimmt; folglich ist dies ein Fall der Zuordnungsverwirrung.394 Auch die Verwendung 388
389 390 391
392
BGHZ 155, 273, 277 f – maxem.de, bestätigt von BVerfG 1 BvR 2047/03 vom 21.6.2006; krit Hildebrandt § 21 Rn 6. OLG Frankfurt GRUR 1982, 319, 320 – Lusthansa. BGHZ 155, 273, 276 – maxem.de mwN; BGHZ 161, 216, 220 f – Pro Fide Catholica. BGHZ 119, 237, 245 – Universitätsemblem; BGHZ 161, 216, 221 – Pro Fide Catholica; BGH GRUR 1960, 550, 553 – Promonta; BGH GRUR 2002, 917, 919 – Düsseldorfer Stadtwappen. BGHZ 30, 7, 10 – Caterina Valente; BGHZ 81, 75, 78 – Carrera/Rennsportgemein-
393
394
schaft; BGHZ 91, 117, 120 – Mordoro; BGHZ 119, 237, 245 – Universitätsemblem; BGH GRUR 1996, 422, 423 – J. C. Winter; BGH GRUR 2002, 917, 919 – Düsseldorfer Stadtwappen; BGH I ZR 249/03 vom 14.6. 2006 – Stadt Geldern Rn 16. BGHZ 119, 237, 245 f – Universitätsemblem; BGHZ 143, 214, 230 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 2002, 917, 919 – Düsseldorfer Stadtwappen, jeweils mwN; BGH I ZR 249/03 vom 14. 6. 2006 – Stadt Geldern Rn 16; auch BGH GRUR 2004, 619, 621 f – kurt-biedenkopf.de. BGHZ 119, 237 – Universitätsemblem.
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eines Stadtwappens auf der Titelseite eines lokalen Anzeigenblatts soll beim Verkehr die Vorstellung erwecken, die Stadt habe der Nutzung zugestimmt.395 Nach § 823 Abs 1 BGB iVm dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird der Namens210 träger schließlich vor dem Gebrauch seines Namens durch einen Dritten zu Werbezwecken geschützt. Unter diese Fallgruppe fallen vor allem die Konstellationen, bei denen der Name eines Prominenten zur Förderung des Absatzes eines Produkts verwendet wird. So liegt ein unbefugtes Gebrauchmachen des Namens von Marlene Dietrich vor, wenn der Namenzug »Marlene Dietrich« in einer Werbeanzeige zu sehen ist. Auch die Nennung des Vornamens in Alleinstellung kann genügen, wenn der Verkehr diesen – etwa durch ein Foto des Namensträgers in der Anzeige – mit dem Namensträger verbindet.396 Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts einer juristischen Person kommt hin211 gegen auch hier nur insoweit in Betracht, als deren sozialer Geltungsanspruch in ihrem Aufgabenbereich, also ihre Funktion als Handelsunternehmen betroffen ist.397
§7 Domains 212
Das Recht zur Nutzung einer bestimmten Internetadresse beruht auf einem schuldrechtlichen Anspruch infolge eines Vertragsschlusses mit der DENIC398 bzw einer anderen Vergabestelle.399 Obgleich es sich bei einer Internetadresse insoweit nicht um ein Immaterialgüterrecht wie eine Marke oder eine geschäftliche Bezeichnung handelt, kann doch ausnahmsweise durch die Benutzung einer Domain ein Unternehmenskennzeichen oder eine Benutzungsmarke erworben werden. Dies setzt aber voraus, dass der Verkehr in der als Domain gewählten Bezeichnung nichts Beschreibendes, sondern nur einen Herkunftshinweis erkennen kann. Der Rechtserwerb stellt damit die Ausnahme dar.400 213 Welche Möglichkeiten bestehen, eine konkrete Domain zu beseitigen, hängt wesentlich davon ab, um welchen Top-Level-Domain-Typ es sich handelt – .eu, .de oder ein anderer (etwa .com, .org, .int). 214 Ansprüche gegen Top-Level-Domains des Typs ».eu« richten sich zunächst nach den Art 22 ff der Verordnung (EG) Nr 874/2004.401 Hiernach kommt der Wiederruf, also die Löschung einer einmal vergebenen Domain aufgrund älterer Rechte insbesondere in Fällen einer spekulativen oder missbräuchlichen Registrierung in Betracht. Ansprüche können hierbei sowohl gerichtlich als auch in einem alternativen Streitbeilegungsverfahren
395
396 397
398
BGH GRUR 2002, 917, 919 – Düsseldorfer Stadtwappen; auch BGH I ZR 249/03 vom 14.6.2006 – Stadt Geldern Rn 17. BGHZ 143, 214, 230 f – Marlene Dietrich. BGH GRUR 1998, 696, 697 – Rolex-Uhr mit Diamanten mwN; vgl auch OLG Rostock GRUR-RR 2005, 352 – Schöner Wohnen in W.; zur diesbezüglichen Problematik im Hinblick auf Art 5 Abs 5 MRR auch Tsoutsanis EIPR 2006, 74. BVerfG GRUR 2005, 261 – ad-acta.de, das zugleich klarstellt, dass das Nutzungsrecht
768
399 400 401
an einer Domain gleichwohl eine eigentumsfähige Position iSv Art 14 Abs 1 S 1 GG darstellt. Zur Pfändung einer Domain BGH GRUR 2005, 969 – Domain-Pfändung. Vgl BGH GRUR 2005, 262, 263 – soco.de. Verordnung (EG) Nr 874/2004 der Kommission vom 28.4.2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe ».eu« und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung.
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§7
Domains
nach Art 22 der VO Nr 874/2004 durchgesetzt werden. Im einzelnen setzt der Anspruch nach Art 21 I der VO Nr 874/2004 voraus, dass die Domain mit einer anderen Bezeichnung identisch ist oder dieser verwirrend ähnelt, für die Rechte bestehen, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, und dass die Domain entweder von einem Inhaber registriert wurde, der selbst keinerlei Rechte oder berechtigte Interessen an der Domain geltend machen kann, oder in böser Absicht registriert oder benutzt wird. Zentrale Tatbestandsmerkmale sind damit – neben der Identität oder verwirrenden Ähnlichkeit der Zeichen – die Nichtberechtigung des Domaininhabers oder (alternativ) dessen böse Absicht. Die Nichtberechtigung sowie die böse Absicht werden in Art 21 Abs 2 und 3 VO Nr 874/2004 näher definiert. Die VO Nr 874/2004 ist dabei nicht abschließend; vielmehr kann nationales Recht ergänzend eingreifen, so dass jedenfalls mit Zielrichtung auf den deutschen Markt verwendete Top-Level-Domains des Typs ».eu« auch unter den nachstehend beschriebenen Umständen angegriffen werden können, die für Top-Level-Domains des Typs ».de« gelten. Als Anspruchsgrundlagen gegen Top-Level-Domains des Typs ».de« kommen sowohl 215 kennzeichenrechtliche als auch namensrechtliche Ansprüche in Betracht. Kennzeichenrechtliche Ansprüche (§§ 14, 15 MarkenG) kommen dabei, anders als namensrechtliche Ansprüche, nur bei einer Verwendung der Domain im geschäftlichen Verkehr 402 und auch nur bei einer Produkt- bzw Branchennähe in Betracht. Will also etwa das Unternehmen defacto GmbH die Beseitigung der Domain »defacto.de« durchsetzen, so scheitert dies dann, wenn der Domaininhaber die Domain für ein Unternehmen in einer anderen Branche oder – etwa Träger des bürgerlichen Namens »Defacto« – für private Zwecke berechtigt nutzen kann. Etwas anderes gilt demgegenüber ausnahmsweise, wenn aus einem bekannten Kenn- 216 zeichen angegriffen wird. Verwendet nämlich ein Nichtberechtigter ein bekanntes Kennzeichen als Domain im geschäftlichen Verkehr, liegt darin eine Beeinträchtigung der Kennzeichnungskraft des bekannten Zeichens nach § 14 Abs 2 Nr 3 bzw § 15 Abs 3 MarkenG. Denn der Werbewert des bekannten Zeichens wird schon dadurch deutlich beeinträchtigt, dass der Inhaber an einer entsprechenden Verwendung seines Zeichens als Internetadresse gehindert und das an seinem Internetauftritt interessierte Publikum auf eine falsche Fährte gelockt wird.403 Eine Benutzung des bekannten Kennzeichens »Shell« als Domain ist daher im geschäftlichen Verkehr unabhängig von der Branche unzulässig. Nur gegen eine private Nutzung kann aus kennzeichenrechtlichen Vorschriften nicht vorgegangen werden. Wird die Domain ausschließlich privat oder außerhalb des Produktähnlichkeitsbe- 217 reichs genutzt kommen immer noch auf ein Namensrecht gestützte Ansprüche nach § 12 BGB in Betracht. Da aber Marken – anders als Unternehmenskennzeichen – nicht zugleich Namensrechte begründen, kann aus einer Marke in der Regel nicht gegen eine private Nutzung vorgegangen werden. Lediglich in Ausnahmefällen kann hier der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gem § 823 I BGB 404 eingreifen oder eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gem § 826 BGB vorliegen. Verwendet etwa ein Dritter die bekannte Marke »Persil« als private Domain, so ist mangels Handelns im geschäftlichen Verkehr weder § 14 MarkenG, noch mangels Namensrechts § 12 BGB einschlägig. Ob auf die §§ 823 I, 826 BGB zurückgegriffen werden kann, wird von den Umständen des Einzelfalls abhängen. 402 403 404
BGH GRUR 2002, 706, 709 – vossius.de. BGHZ 149, 191, 202 f – shell.de. Vgl BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegen-
abmahnung, unter Hinweis auf BGHZ 155, 273 – maxem.de; BGH NJW 2003, 1040, 1041.
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Im Rahmen namensrechtlicher Ansprüche gegen Domains geht die Rechtssprechung unter bestimmten Umständen von einer Namensanmaßung aus.405 Diese setzt hier voraus, dass der Dritte unbefugt den gleichen Namen für die Domain gebraucht, dadurch eine Zuordnungsverwirrung auslöst und schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt. Im Falle der Verwendung eines fremden Namens als Internetadresse liegen diese Voraussetzungen im Allgemeinen vor. Ein solcher Gebrauch des fremden Namens führt im Allgemeinen zu einer Zuordnungsverwirrung und zwar auch dann, wenn der InternetNutzer beim Betrachten der geöffneten Homepage alsbald bemerkt, dass er nicht auf der Internet-Seite des Namensträgers gelandet ist. Selbst wenn eine Registrierung des fremden Kennzeichens als Domain nur zu privaten Zwecken erfolgt, wird daher der Berechtigte von einer entsprechenden eigenen Nutzung seines Zeichens ausgeschlossen. Ihm wird die Möglichkeit genommen, dem interessierten Internet-Nutzer auf einfache Weise Informationen über das Unternehmen zu verschaffen.406 So kann etwa die Shell AG auf Grundlage von § 12 BGB von einem Nichtberechtigten die Beseitigung der privat genutzten Domain »shell.de« verlangen. Kann der angegriffene Domaininhaber selbst eine Berechtigung hinsichtlich der streit219 gegenständlichen Domain vorweisen, etwa weil er die Domain in einer anderen Branche nutzt 407 oder als stationärer Betrieb in einem räumlich unterschiedlichen Territorium tätig ist,408 so besteht im Regelfall kein Anspruch gegen den Domaininhaber; es bleibt beim Grundsatz der Priorität der Registrierung der Domain. Diesem Prinzip muss sich grds auch der Inhaber eines relativ stärkeren oder älteren Rechts unterwerfen, dessen Name oder sonstiges Kennzeichen bereits von einem Gleichnamigen als Domain registriert worden ist.409 Zudem gelten diese Grundsätze unter Umständen auch bei solchen Domains, die mit den zugrunde liegenden Kennzeichen nicht identisch sind, sondern diese variieren. Es ist hierbei nämlich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass für eine Domain eine kurze, knappe Bezeichnung häufig attraktiver ist, als das vollständige Kennzeichen. So kann eine »Hufeland Krankenhaus GmbH Bad Langensalza« eine Domain »hufeland.de« wählen und sich hierbei gegenüber einem Inhaber älterer Rechte auf ihr Unternehmenskennzeichen als Gegenrecht berufen.410 Ausnahmsweise kann allerdings eine Verwechslungsgefahr eine Pflicht zur Rücksicht220 nahme – insbesondere seitens des Prioritätsjüngeren – bewirken, was sich darin äußert, dass auf der Internetseite klarstellende Hinweise aufzunehmen sind.411 So kann etwa der Internetnutzer auf der ersten sich öffnenden Seite darüber aufgeklärt werden, dass es sich nicht um die Homepage des anderen Namensträgers handelt. So hat bspw ein Angriff aus der prioritätsälteren geschäftlichen Bezeichnung »Vossius & Partner« gegen die Domain »vossius.de« nur Erfolg, wenn der Unterlassungsanspruch auf Fälle beschränkt wird, in denen dem Benutzer auf der ersten sich öffnenden Internet-Seite nicht deutlich gemacht wird, dass es sich nicht um die Homepage von Vossius & Partner handelt.412 405 406
407 408
Zur Namensanmaßung oben Rn 208 f. BGHZ 149, 191, 198 f – shell.de; BGHZ 155, 273, 276 – maxem.de, jeweils mwN; auch BGH I ZR 231/01 vom 9.6.2005 – segnitz.de Rn 13. Vgl BGH GRUR 2002, 898, 900 – defacto mwN; BGH GRUR 2005, 430 – mho.de. BGH GRUR 2005, 262, 263 f – soco.de; BGH I ZR 288/02 vom 23.6.2005 – hufeland.de Rn 18.
770
409
410 411 412
Etwa BGHZ 149, 191, 200 f – shell.de; BGH I ZR 288/02 vom 23.6.2005 – hufeland.de Rn 20. BGH I ZR 288/02 vom 23.6.2005 – hufeland.de Rn 19. BGHZ 149, 191, 200 – shell.de mwN. BGH GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de; vgl auch BVerfG GRUR 2005, 261, 262 – ad-acta.de.
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§8
Geografische Herkunftsangaben
Wird demgegenüber aus einem wesentlich besseren Recht – etwa einer überragend 221 bekannten Kennzeichnung – angegriffen, besteht ausnahmsweise trotz der Berechtigung des Angegriffenen ein Löschungsanspruch.413 Hierbei ist – unabhängig davon, ob aus Namens- oder Kennzeichenrecht angegriffen wird – aufgrund einer Interessenabwägung zu entscheiden, ob dem Domaininhaber die Verwendung untersagt werden kann. So genießt etwa die Shell AG eine überragende Bekanntheit, und der Verkehr erwartet ihren Internet-Auftritt unter diesem Namen. Ein privater Nutzer namens »Shell« kann sich daher gegen diese wesentlich besseren Rechte nicht durchsetzen und muss seinem Namen in der Internetadresse einen unterscheidenden Zusatz beifügen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Nutzer einer privaten Internet-Seite als ein eher kleiner, homogener Benutzerkreis leicht über eine Änderung der Domain informiert werden können.414 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn lediglich eine variierte Domain – etwa »weltonline.de« gegenüber dem Titel »Die Welt« – verwendet wird.415 Grds kann zudem auch gegen ausländische, .com-, .org-, .int- oder .biz-Domains vor 222 einem deutschen Gericht ein Titel erwirkt werden. In der Praxis bestehen jedoch unter Umständen vollstreckungsrechtliche Probleme, wenn der Beklagte oder die betroffene Domain-Vergabestelle den Sitz im Ausland hat. So können vor allem Löschungsansprüche praktisch undurchsetzbar sein, so dass bei der Antragsfassung besondere Sorgfalt geboten ist. So kann es etwa im Hinblick auf Domains mit der Endung ».com« sinnvoll sein, zu beantragen, dass der Domaininhaber bei der Firma Network Solutions, USA, darauf hinzuwirkt, dass als so genannter Registrant, als Administrative Contact und als Billing Contact für eine bestimmte Internetdomain kein anderer als der Angreifer eingetragen wird.416 Insbesondere bei .com-Domains, aber auch bei einer zunehmenden Zahl weiterer 223 Domain-Typen, bietet es sich zur Meidung vollstreckungsrechtlicher Probleme auch an, ein eigens zur Lösung von Domain-Streitigkeiten eingerichtetes Schiedsgerichtsverfahren zu bestreiten. Die Grundsätze dieses Schiedsverfahrens ähneln den Regelungen zu TopLevel-Domains ».eu«. Voraussetzung sind nach § 4 der Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP) 417 Zeichenidentität oder jedenfalls Verwechslungsgefahr sowie kumulativ eine fehlende Berechtigung des Domaininhabers und dessen Bösgläubigkeit. In der europäischen Praxis wird zumeist auf die bei der WIPO eingerichtete Schiedsstelle zurückgegriffen. Im Internet veröffentlicht die WIPO ausführliche Informationen zum Schiedsverfahren.418
§8 Geografische Herkunftsangaben Neben Marken, geschäftlichen Bezeichnungen, Namen und Domains werden von der 224 Rechtsordnung auch geografische Herkunftsangaben geschützt. Hierunter zu verstehen sind im Allgemeinen die Namen von Orten, Gegenden, Gebieten oder Ländern sowie
413
414 415
BGH GRUR 2002, 706, 709 – vossius.de; BGH GRUR 2004, 619, 620 – kurt-biedenkopf.de. BGHZ 149, 191, 201 f – shell.de. BGH GRUR 2005, 687, 689 – weltonline.de.
416 417 418
BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung. Vgl www.icann.org/udrp/udrp-policy24oct99.htm. Vgl arbiter.wipo.int/domains.
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Kapitel 7 Marken-/Kennzeichenrecht
2. Teil
sonstige Angaben und Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr zu Kennzeichnungen der geografischen Herkunft von Produkten benutzt werden. Möglich sind sowohl unmittelbare (etwa Lübecker Marzipan) als auch mittelbare (Boxbeutelflasche) Herkunftsangaben. Rechtsgrundlagen des Schutzes geografischer Herkunftsangaben finden sich sowohl 225 auf internationaler 419, europäischer 420 als auch bilateraler 421 und nationaler Ebene. In Deutschland sind dies vor allem die §§ 126 ff MarkenG.422 Während auf europäischer Ebene der Schutz durch Eintragung erworben wird, ist dies im deutschen Recht nicht erforderlich. Der nationale Schutz der geografischen Herkunftsangaben gründet sich dabei auf wettbewerbsrechtliche Überlegungen. Zweck ist es vor allem, Irreführungen zu vermeiden und, unter weiteren Voraussetzungen, einer Rufausbeutung oder Verwässerung entgegen zu wirken.423 Ausgehend vom Schutzumfang lassen sich im deutschen Recht einfache, qualifizierte 226 und Herkunftsangaben mit besonderem Ruf unterscheiden. Während einfache geografische Herkunftsangaben nur einen Schutz dahingehend genießen, dass ihre Verwendung untersagt ist, wenn das fragliche Produkt nicht aus dem entsprechenden Ort, Gebiet oder Land kommt und damit die Gefahr der Irreführung über die geografische Herkunft besteht, wird bei qualifizierten Herkunftsangaben zusätzlich der Gefahr einer Irreführung über Eigenschaften und die Qualität der fraglichen Produkte entgegen gewirkt. Voraussetzung für diesen Schutz ist allerdings, dass nach der maßgeblichen Vorstellung der angesprochenen Verkehrskreise Produkte, die mit der fraglichen Herkunftsangabe gekennzeichnet sind, besondere Eigenschaften oder eine besondere Qualität aufweisen. Nur dann handelt es sich um eine qualifizierte geografische Herkunftsangabe. Genießt eine Herkunftsangabe zudem einen besonderen Ruf, so wird sie zusätzlich wie auch die bekannte Marke424 vor Rufausbeutung und Verwässerung in Form der Einbuße von Unterscheidungskraft geschützt. Die Anspruchsberechtigung im Falle einer Klage wegen der Verletzung einer geografi227 schen Herkunftsangabe richtet sich nach nationalem Recht. Anspruchsberechtigt sind die gem § 8 Abs 3 UWG berechtigten Personenkreise, vgl § 128 Abs 1 MarkenG. Anspruchsberechtigt sind demnach Mitbewerber, bestimmte Interessen- sowie Verbraucherschutzverbände, Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern (§ 135 Abs 1 MarkenG). Im Falle schuldhaften Handelns bestehen außerdem Schadensersatzansprüche (§§ 135 II, 128 II, III MarkenG).
419 420
Vgl Art 23 TRIPs. Vgl Verordnung (EG) Nr 510/2006 des Rates vom 20.3.2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl Nr L 93 vom 31.3.2006, 12 ff; Verordnung (EG) Nr 1493/1999 des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Wein vom 17.5.1999, ABl. Nr L 179 vom 14.7.1999, 1; Verordnung (EWG) Nr 1576/89 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeich-
772
421
422 423 424
nung und Aufmachung von Spirituosen, ABl Nr L 160 vom 12.6.1989, 1. Deutsch-Französisches Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geografischen Bezeichnungen vom 8.3.1960, BGBl 1961 II S 482. S auch die Verordnung vom 16.12.1994, BGBl I 2833 (sog Solingen-VO) Zum Wettbewerbsrecht vgl Teil 3 Kap 1. S hierzu bereits oben Rn 113 ff.
Ulrich Hildebrandt/Thomas Tobias Hennig
Kapitel 8 Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz Literatur Althammer/Ströbele (Hrsg) Markengesetz 6. Aufl Köln 2000 (zit Althammer/Ströbele/Bearbeiter); Bork Titelschutz für Rundfunksendungen UFITA 110 (1989), 35; Deutsch Die „Tagesschau“Urteile des Bundesgerichtshofs GRUR 2002, 308; ders Zusätzlicher Schutz für Werktitel durch Markeneintragung GRUR 2004, 642; Deutsch/Ellerbrock Titelschutz 2. Aufl München 2004; Hertin Schutz des Titels an urheberrechtlich gemeinfrei gewordenen Werken und fiktiven Figuren? WRP 2000, 889; Hotz Der Schutz des Werktitels gegen Verwechslungsgefahr GRUR 2005, 304; Lehmann Der Schutz der geschäftlichen Bezeichnungen im neuen Markengesetz, in: Krieger/Schricker (Hrsg) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in internationaler Sicht. Festschrift für Friedrich-Karl Beier zum 70. Geburtstag Weinheim 1996, 279 (zit Lehmann FS Beier); Mittas Der Schutz des Werktitels nach UWG, WZG und MarkenG Berlin 1995; W. Nordemann Entstehung des Titelschutzes, in: Ahrens/Bornkamm/Gloy/Starck (Hrsg) Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag Köln 2002, 437 (zit Nordemann FS Erdmann); Oelschlägel Der Titelschutz von Büchern, Bühnenwerken, Zeitungen und Zeitschriften Baden-Baden 1997; Reupert Der urheberrechtliche Schutz des Filmtitels UFITA 125 (1994), 27; Schabenberger Sind Werktitel isoliert übertragbar? in: Bopp/ Tilmann (Hrsg) Recht und Wettbewerb. Festschrift für Horst Helm zum 65. Geburtstag München 2002, 219 (zit Schabenberger FS Helm); Schmid Überlegungen zum Sinn und zu den Rechtsfolgen von Titelschutzanzeigen, in: Ahrens/Bornkamm/Gloy/Starck (Hrsg) Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag Köln 2002, 469 (zit Schmid FS Erdmann); Schmieder Der Titel als Werk zweiter Hand – Neue Gedanken zum urheberrechtlichen Titelschutz GRUR 1965, 468; Schricker Der Schutz des Werktitels im neuen Kennzeichenrecht, FS Vieregge, 1995, 775; Teplitzky Aktuelle Fragen beim Titelschutz AfP 1997, 450; Wirth Die Titelschutzanzeige und ihre Rechtswirkung AfP 2002, 303.
Übersicht Rn § 1 Grundlagen des Werktitelschutzes . § 2 Schutzobjekte des Werktitelschutzes § 3 Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Entstehung des Schutzes bei einzelnen Werkarten . . . . . III. Geographische und quantitative Erfordernisse . . . . . . . IV. Wann liegt Inverkehrbringen vor? V. Vorverlagerung der Priorität durch Titelschutzanzeige . . . VI. Behinderung durch Missbrauch der Titelschutzanzeige? . . . . VII. Rechtswirkung der Titelschutzanzeige . . . . . . . . . . . . VIII. Kennzeichenrechtliche Erfordernisse für Titelschutz . . . . . . IX. Durchsetzung des Werktitelschutzes . . . . . . . . . . . . X. Ende des Titelschutzes . . . .
1–4 5–11 12–59 12 13, 14 15, 16 17–19 20–22 23–29 30–33 34–44
Rn § 4 Persönlicher und räumlicher Schutzbereich des Werktitelschutzes . . . . I. Inhaber des Werktitelschutzes . II. Räumlicher Schutzbereich . . . § 5 Übertragbarkeit des Werktitels . . . I. Übertragung des Werktitelrechts mit Nutzungsrechten an dem zugrunde liegenden Werk II. Isolierte Übertragbarkeit von Werktiteln ohne zugrunde liegendes Werk . . . . . . . . § 6 Werktitelschutz außerhalb des Kennzeichenrechts? . . . . . . . . . . . . I. Urheberrechtlicher Werktitelschutz . . . . . . . . . . . . . II. Wettbewerbsrechtlicher Titelschutz . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtlicher Titelschutz . .
60–62 60, 61 62 63–68
65
66–68 69–72 70 71 72
45–53 54–59
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Kapitel 8 Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz
2. Teil
§1 Grundlagen des Werktitelschutzes 1
Der Schutz des Werktitels als Identifikationsmerkmal für ein mediales Werk ist für Rechtsinhaber von wesentlicher Bedeutung. Allgemeiner markenrechtlicher, urheberrechtlicher oder zivilrechtlicher Schutz trägt dem nicht in hinreichendem Maß Rechnung. Das deutsche Recht schützt daher Werktitel eigenständig. Bis zum Jahr 1995 war der Titelschutz in § 16 Abs 1 UWG geregelt. Es bestand mit2 hin ein wettbewerbsrechtlicher Schutz, der dem Wortlaut des Gesetzes zufolge damals jedoch nur für Titel von Druckschriften gewährt wurde. Dieser Schutz wurde von der Rechtsprechung im Lauf der Jahre zwar in analoger Anwendung auf andere Werkarten ausgedehnt. Dennoch war der gesetzliche Werktitelschutz im deutschen Recht insoweit unzureichend. Die Einordnung in das Recht des unlauteren Wettbewerbs erschien zudem fragwürdig. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen und in dem neuen Markengesetz vom 3 25. Oktober 1994 Werktitel nach § 5 Abs 1 MarkenG als geschäftliche Bezeichnungen unter besonderen kennzeichenrechtlichen Schutz gestellt. Nach § 5 Abs 3 MarkenG handelt es sich bei Werktiteln um Namen oder besondere Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken. Zwar hat der Werktitel anders als eine Marke nicht die primäre Funktion, auf die Herkunft einer Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen. Der Werktitel weist aber regelmäßig auf den Inhalt des betreffenden Werks hin und soll dazu dienen, ein Werk von anderen Werken (mit anderen Titeln) zu unterscheiden, was den Werktitelschutz insoweit dem Kennzeichenrecht annähert. Administrative Erfordernisse zur Erlangung von Werktitelschutz bestehen anders als 4 beim regelmäßig durch Anmeldung und Eintragung erworbenen Markenschutz nicht. Der Schutz des Werktitels entsteht vielmehr durch die schlichte Aufnahme der Benutzung des Titels. Dies schließt einen weitergehenden Schutz durch eine zusätzliche Eintragung eines Titels als Marke bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen1 jedoch nicht aus.2
§2 Schutzobjekte des Werktitelschutzes 5
Als Werktitel werden Namen oder besondere Bezeichnungen von Werken geschützt, die urheberrechtlichem Schutz im Grundsatz zugänglich sind. Erforderlich ist für den Werktitelschutz jedoch nicht, dass das mit dem Titel bezeichnete Werk urheberrechtlich ebenfalls (noch) geschützt ist.3 Der Werktitelschutz besteht vielmehr unabhängig vom urheberrechtlichen Schutz des Werks. § 5 Abs 3 MarkenG nennt als Objekte des Werktitelschutzes Druckschriften, Filmwerke, Tonwerke, Bühnenwerke und sonstige vergleichbare Werke.
1 2 3
Hierzu Teil 2 Kap 7. Hierzu ausf Deutsch GRUR 2004, 642. BGH GRUR 2003, 440, 441 – Winnetous Rückkehr; BGH GRUR 1980, 227, 230 –
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Monumenta Germaniae Historica; Schricker/ Katzenberger § 64 UrhG Rn 74; aA Hertin WRP 2000, 889, 896.
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§2
Schutzobjekte des Werktitelschutzes
Druckschriften sind zunächst alle Arten von Printmedien, und zwar unabhängig vom presserechtlichen Begriff des Druckwerks. Darunter fallen insbesondere Bücher und Buchreihen,4 Zeitungen und Zeitschriften,5 Kalender,6 Kataloge,7 Partituren und andere Musikalien.8 Auch Untertitel in einem Druckwerk können für Titelschutz in Betracht kommen.9 Dies gilt auch für Titel von Rubriken.10 Hingegen sind bloße Überschriften bspw innerhalb des Verzeichnisses auf einer Homepage nicht isoliert titelschutzfähig.11 Filmwerke wurden erst mit dem Katalog des § 5 Abs 3 MarkenG ausdrücklich in die Kategorie der titelschutzfähigen Werke mit aufgenommen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof schon früher die ausdrücklich nur für Druckschriften geltende Vorgängervorschrift in § 16 UWG für Filmwerke analog angewandt und auch Filmtiteln entsprechenden Schutz zuerkannt.12 Als Filmwerk im titelschutzrechtlichen Sinn gilt auch eine Fernsehsendung.13 Bei Filmwerken gilt wie bei Druckwerken, dass Reihentitel als solche schutzfähig sein können. Dies soll, wie der Bundesgerichtshof unter anderem im Fall der „Tagesschau“ entschieden hat, selbst dann gelten, wenn zwischen einzelnen Folgen einer Sendereihe kein inhaltlicher Zusammenhang besteht.14 Mithin sind auch Titel von Nachrichtensendungen, Dokumentarsendungen und Talkshows dem Titelschutz grds zugänglich. Tonwerke sind, sofern sie grafisch notiert sind, zugleich Druckschriften. Der separate Schutz für Tonwerke wird daher vornehmlich bei der Wiedergabe musikalischer Werke und sonstiger Hörwerke relevant, sowie bei der Aufnahme von Musikwerken und Sprachwerken auf Tonträgern. Titelschutz wird insoweit aber auch gewährt für Rundfunksendungen und Rundfunksendereihen.15 Sonstige vergleichbare Werke sind mit der BGH-Entscheidung „Zappel-Fisch“ aus dem Jahr 1993 „geistige Leistungen, soweit sie nach der Verkehrsanschauung bezeichnungsfähig erscheinen, einer Kennzeichnung im Rechtsverkehr zugänglich sein müssen, durch die sie von anderen Leistungen geistiger Art unterscheidbar werden.“16 Diese Definition erscheint sehr abstrakt. Gegenstand der genannten Entscheidung war die Frage, ob auch Spiele titelschutzfähig sind. Der Bundesgerichtshof hat anerkannt, dass dies nicht grds ausgeschlossen sei. Er hat jedoch verlangt, dass das betreffende Spiel einen umsetzungsfähigen geistigen Gehalt aufweist, der das Wesen des Spiels ausmacht. Bei Spielen, die lediglich aus im Wesentlichen manuell handhabbarem Spielzeug bestehen, sei dieses Erfordernis hingegen nicht erfüllt.17 Solche Spiele seien einem Titelschutz daher nicht zugänglich. In mehreren jüngeren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof zudem den Werktitelschutz für Computer-Software anerkannt, der zuvor in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung nicht unumstritten war.18
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BGH GRUR 2002, 1083 – 1, 2, 3 im Sauseschritt. BGH GRUR 1999, 581 – Max. OLG München GRUR 1992, 327 – Osterkalender. KG AfP 2001, 124 – toolshop. OLG Frankfurt WRP 1978, 892 – Das bisschen Haushalt. OLG Nürnberg NJWE – WettbR 1999, 256 – Die Schweinfurter. OLG München NJWE – WettbR 1999, 257 – Dr. Sommer.
11 12 13 14 15
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OLG Dresden CR 1999, 102, 104. BGH GRUR 1958, 354 – Sherlock Holmes. BGH GRUR 1993, 692 – Guldenburg; OLG München ZUM 1994, 651 – Die da. BGH GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesschau. BGH GRUR 1982, 431 – Point; Ströbele/ Hacker/Hacker § 5 MarkenG Rn 71; Ingerl/ Rohnke § 5 MarkenG Rn 75. BGH GRUR 1993, 767, 768 – Zappel-Fisch. BGH GRUR 1993, 767, 768 – Zappel-Fisch. BGH GRUR 1998, 155 – Power Point; BGH GRUR 1997, 902 – FTOS.
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2. Teil
§3 Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes I. Allgemeines 12
Bei Werktiteln handelt es sich nicht um Registerrechte. Das MarkenG sieht für Werktitel kein separates Anmelde- und Eintragungsverfahren vor. Der Schutz des Werktitels beginnt daher nicht mit Eintragung in ein öffentliches Register. Deshalb stellt sich die Frage, auf welche Weise Werktitelschutz begründet wird. Das Gesetz beantwortet in § 5 Abs 1, 3 MarkenG nicht die Frage, wann und auf welche Weise der rechtliche Schutz des Werktitels beginnt. Bei den Unternehmenskennzeichen, die nach § 5 Abs 1 MarkenG neben den Werktiteln zur Obergruppe der kennzeichenrechtlich geschützten geschäftlichen Bezeichnungen gezählt werden, ist dies anders: Für diese sagt § 5 Abs 2 MarkenG, dass es sich bei Unternehmenskennzeichen um Zeichen handelt, die im geschäftlichen Verkehr benutzt werden. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass dies auch auf den Werktitelschutz zutrifft. Grds gilt mithin, dass Werktitelschutz mit der tatsächlichen Aufnahme der Benutzung des Werktitels entsteht, vorausgesetzt der Werktitel besitzt ein Minimum an Unterscheidungskraft.19
II. Entstehung des Schutzes bei einzelnen Werkarten Bei gedruckten Werken entsteht daher der Werktitelschutz regelmäßig mit dem Erscheinen des Werks. Bei Filmwerken entsteht der Werktitelschutz, wenn der Film öffentlich wiedergegeben wird. Bei Fernsehsendungen entsteht der Werktitelschutz mit der Ausstrahlung.20 Bei musikalischen Werken oder sonstigen Tonwerken ist der Zeitpunkt der öffentlichen Wiedergabe oder der Aufführung relevant. Für Werktitelschutz von Computersoftware ist es erforderlich, dass das Werk (und 14 zwar die im Inland zu vertreibende deutschsprachige Version des Programms) unter seinem Titel existent ist. Dies setzt nach der insoweit strengen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass entweder bereits ein Vertrieb des fertigen, mit der fraglichen Bezeichnung versehenen Produkts erfolgt, oder eine der Auslieferung unmittelbar vorangehende werbende Ankündigung. Rein intern bleibende Vorbereitungs- und Herstellungsmaßnahmen reichen für Werktitelschutz nicht aus.21
13
III. Geographische und quantitative Erfordernisse Erforderlich ist eine Benutzung des Werktitels im Inland. Ein vorausgehender Vertrieb im Ausland genügt zur Begründung von Werktitelschutz in Deutschland nicht. Dies gilt naheliegender Weise erst recht, wenn das Werk im Ausland zuvor in einer fremdsprachigen Version vertrieben wird.22 An den Umfang der Benutzung werden jedoch keine allzu scharfen Maßstäbe ange16 legt: Es genügt regelmäßig eine ernst zu nehmende, nicht völlig minimale Benutzung im geschäftlichen Verkehr. Bei Druckschriften kann zur Erlangung von Werktitelschutz be-
15
19 20
BGH GRUR 1998, 1010, 1012 – WINCAD; Nordemann FS Erdmann 437, 439. BGH GRUR 1993, 692, 693 – Guldenburg.
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BGH GRUR 1998, 1010, 1013 – WINCAD; Nordemann FS Erdmann 437, 439. BGH GRUR 1998, 1010, 1012 – WINCAD.
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§3
Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes
reits eine Benutzung in einer Größenordnung von wenigen 100 Stück in Deutschland ausreichend sein, insbesondere dann, wenn im Ausland eine Benutzung in deutlich größerem Umfang stattfindet.23
IV. Wann liegt Inverkehrbringen vor? Das Erfordernis des tatsächlichen Inverkehrbringens des Werks als Voraussetzung für 17 die originäre Entstehung des Werktitelschutzes ist in der untergerichtlichen Rechtsprechung bisweilen großzügiger gehandhabt worden.24 Dort wurden zum Teil auch Vorbereitungshandlungen mit Außenwirkung als genügend erachtet.25 Der Bundesgerichtshof ist dem jedoch nicht gefolgt. Wesentliche Stimmen in der Literatur kritisieren daher, dass entgegen der Rechtspre- 18 chung des Bundesgerichtshofs externe Vorbereitungshandlungen zur Markteinführung dem Erfordernis der Existenz des Werks zur Begründung von Werktitelschutz genügen sollten.26 Diese Kritiker der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tragen nicht zu unrecht vor, dass sich Wertungswidersprüche daraus ergeben können, dass für den Werktitelschutz nach § 5 MarkenG ein veröffentlichtes Werk verlangt wird, während für den – beschränkteren – Schutz des Titels eines Werks nach § 39 UrhG bspw bereits der Abschluss des Verlagsvertrages ausreicht.27 Aus der restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Entstehung des Titel- 19 schutzes ergibt sich für Urheber und Verwerter ein nicht unerhebliches Risiko. Sie wären hinsichtlich des Titels des Werks während der gesamten Entwicklung und Vorbereitung zunächst schutzlos und hätten bis zur Markteinführung das volle Risiko, dass ein Dritter kurz zuvor einen identischen oder ähnlichen Titel am Markt verwendet. Dieses Risiko ist angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Aufwandes der Produktion eines Druckwerks, eines Films oder eines Softwareprodukts nicht hinnehmbar. Es lässt sich allerdings nur dadurch reduzieren, dass Urheber oder Lizenznehmer die von der Rechtsprechung in begrenztem Umfang akzeptierten Maßnahmen ergreifen, um die Priorität des Titelschutzes vorzuverlagern, insbesondere indem rechtzeitig eine sog Titelschutzanzeige veröffentlicht wird (hierzu nachfolgend).
V. Vorverlagerung der Priorität durch Titelschutzanzeige Angesichts der zuvor beschriebenen restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichts- 20 hofs zur Entstehung des Titelschutzes und der damit verbundenen Risiken im Fall einer später erforderlich werdenden Änderung eines Werktitels wegen Kollision mit einem anderen Kennzeichen erscheint es sachgerecht, bei hinreichender öffentlicher Ankündigung einer bevorstehenden Werkveröffentlichung Titelschutz bereits ab dem Zeitpunkt dieser Veröffentlichung zu gewähren. Der Bundesgerichtshof akzeptiert, dass für die Entstehung des Titelschutzes die öffentliche Ankündigung des Werks unter seinem Titel durch eine sog Titelschutzanzeige der tatsächlichen Benutzungsaufnahme durch Erscheinen gleichzustellen sein soll, wenn das Werk in angemessener Frist unter dem Titel er23 24 25
Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 79. OLG Hamburg GRUR 1986, 555 – St. PauliNachrichten. Fezer § 15 MarkenG Rn 167c mwN.
26 27
Fezer § 15 MarkenG Rn 167c; Nordemann FS Erdmann 437, 440. Nordemann FS Erdmann 437, 440.
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Kapitel 8 Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz
2. Teil
scheint. Dabei müsse die öffentliche Ankündigung in branchenüblicher Weise erfolgen.28 Dies ist sowohl in der Rechtsprechung und der Literatur bereits seit langem anerkannt. Ausgehend von der Verlagspraxis besteht Einverständnis darüber, dass sowohl für den einen Titel ankündigenden Verleger als auch für die Mitbewerber ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran besteht, möglichst frühzeitig über den Titel eines geplanten Verlagsobjekts informiert zu werden.29 Im Bereich der Druckschriften werden Titelschutzanzeigen regelmäßig in der Zeit21 schrift „Der Titelschutzanzeiger“ oder bspw im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel vorgenommen. Regelmäßig wird dabei etwa folgendermaßen formuliert: „Unter Hinweis auf die §§ 5, 15 MarkenG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den/die folgenden Titel … [für die folgenden Werkarten …] …“
22
Auch bei anderen Werkarten sind öffentliche Ankündigungen von Werktiteln zur Vorverlegung des Werktitelschutzes möglich, wobei im Einzelfall geprüft werden muss, wie eine branchenübliche Ankündigung für die jeweilige Werkkategorie zu erfolgen hat. Bei Kinofilmen etwa erfolgt die Ankündigung regelmäßig durch Eintragung des Titels in das Titelregister bei der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO) und einer nachfolgenden Bekanntmachung in der Fachzeitschrift „Blickpunkt: Film“. Bei Computerprogrammen und Computerspielen werden Titel bspw in der Publikation „Der Softwaretitel“ angekündigt.30
VI. Behinderung durch Missbrauch der Titelschutzanzeige? 23
Häufig erfolgen Titelschutzanzeigen in einer Weise, die es dem Leser schwer macht zu erkennen, welcher konkrete Titel tatsächlich für welche konkrete Werkart geplant ist und wer Verwender dieses Titels sein wird. In der Verlagspraxis ist es seit langem üblich, sog Sammeltitelschutzanzeigen zu schalten. Dabei wird in einer Anzeige nicht lediglich ein Titel erwähnt, sondern ein ganzes Bündel von Titeln, wobei in der Anzeige zusätzlich oft eine große Zahl möglicher Werkarten genannt wird, für die die zahlreichen angegebenen Titel Verwendung finden sollen. Ferner kommt hinzu, dass Verlage und andere Medienunternehmen häufig externe 24 Rechtsanwälte damit beauftragen, Titelschutzanzeigen für sie zu schalten, wobei der Name der Rechtsanwaltskanzlei in der Titelschutzanzeige genannt wird, nicht jedoch der Name des Medienunternehmens. Der Bundesgerichtshof akzeptiert diese Praxis, sofern durch die Verwendung einer 25 Vielzahl von Titeln in einer Sammelanzeige nicht eine unzumutbare Behinderung von Mitbewerbern in der Wahl ihrer eigenen Titel ausgelöst wird. Dem möchte der BGH dadurch begegnen, dass er zum einen verlangt, dass der Ankündigende sich innerhalb einer angemessenen Zeit durch Benutzungsaufnahme für einen Titel entscheiden muss. Insoweit seien strenge Anforderungen zu stellen. Zudem könne von dem Ankündigenden gegebenenfalls verlangt werden, dass er bekannt gebe, welche der ursprünglich in einer Sammelanzeige enthaltenen Titel nicht mehr beansprucht werden. Eine Titelblockade durch eine übergroße Anzahl von Titeln in einer Sammelanzeige, gemeinhin als „Titelhamsterei“ bezeichnet, möchte der BGH nicht tolerieren.31 28 29
BGH GRUR 1989, 760 – Titelschutzanzeige. BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige.
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Vgl hierzu jeweils Fezer § 15 MarkenG Rn 167g. Hierzu umfassend BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige.
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§3
Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes
In der Praxis werden diese Hinweise des Bundesgerichtshofs weitgehend ignoriert. Insbesondere ist es unüblich, dass der Ankündigende öffentlich bekannt gibt, welche von ursprünglich mehreren in einer Sammelanzeige veröffentlichten Titeln er nicht mehr beansprucht. Hinzu kommt, dass in der Praxis der Titelschutzanzeigen häufig die Werkarten, für die die angezeigten Titel verwendet werden sollen, nicht genannt werden. Diese Vorgehensweise erscheint zweifelhaft. Insbesondere ist es dem Leser einer solchen Titelschutzanzeige bei fehlender Angabe der Werkkategorien oft nicht möglich festzustellen, ob überhaupt eine Verwechslungsgefahr zwischen einem der in der Titelschutzanzeige enthaltenen Titel und einem bereits verwendeten Titel besteht.32 Ein wesentlicher Zweck der Titelschutzanzeige wird damit vereitelt: Wettbewerbern ist es nicht möglich zu erkennen, ob sie sich einem Risiko aussetzen, wenn sie denselben oder einen ähnlichen Titel für eine bestimmte Werkkategorie verwenden. Nicht zu Unrecht wurde daher insbesondere in der Literatur angeregt, solchen unklaren Sammeltitelschutzanzeigen eine Rechtswirkung zu versagen. Derartige Anzeigen sind eher dazu geeignet, Rechtsunsicherheit zu verursachen, als Sicherheit für das eigene Unternehmen und Mitbewerber hervorzubringen.33 Zwar ist nachvollziehbar, dass ein Unternehmen daran interessiert sein kann, bei noch nicht feststehendem Titel mehrere in die engere Wahl genommene Varianten in eine Titelschutzanzeige aufzunehmen. Ebenso erscheint es legitim, dass ein Unternehmen die Möglichkeit haben möchte, im Fall einer sich nach der Titelschutzanzeige herausstellenden Kollision mit einem prioritätsälteren Titel auf einen anderen, ebenfalls bereits angezeigten Titel ausweichen zu können. Für die Praxis ist jedoch zu empfehlen, Titelschutzanzeigen in der Weise abzufassen, dass nur wirklich beabsichtigte oder in die engere Auswahl genommene Titel in einer Titelschutzanzeige veröffentlicht werden und zudem die vorgesehene Werkkategorie mit angegeben wird. Auch dann werden die zuvor genannten Ziele erreicht, ohne dass die Gefahr besteht, sich später dem Vorwurf behindernder oder nicht hinreichend klarer Titelschutzanzeigen gegenüberzusehen. Tatsächlich hat sich die Praxis der Titelschutzanzeige mit Billigung des Bundesgerichtshofs zu einer bloßen abstrakten, anonymen Sammelanzeige entwickelt.34 Urteile, in welchen die Rechtsprechung einer Titelschutzanzeige wegen mangelnder Klarheit oder wegen unzumutbarer Behinderung von Mitbewerbern die Rechtswirkung versagt hätte, hat es, soweit ersichtlich, bislang jedoch nicht gegeben. In dem Urteil „Titelschutzanzeige“ des Bundesgerichtshofs war eine Titelschutzanzeige mit neun verschiedenen eher schwachen, auf eine Ärztezeitung hindeutenden Titeln zu beurteilen.35 Der Bundesgerichtshof konnte in diesem Fall keine unzumutbare Behinderung feststellen.36 Zum einen habe die Beklagte sich bereits zweieinhalb Monate nach der Titelschutzanzeige für einen der veröffentlichten Titel entschieden, zum anderen sei den Mitbewerbern noch ausreichender Freiraum für die Wahl eines abweichenden Titels für eine an die Ärzteschaft gerichtete Zeitschrift verblieben.37 32 33 34 35
Deutsch/Ellerbrock Rn 80 mwN. Deutsch/Ellerbrock Rn 83 mwN. So Schmid FS Erdmann 469. Nämlich die Titel „Arzt-Nachrichten“, „Ärztliche Nachrichten“, „Ärztliche Allgemeine“, „Ärzte-Umschau“, „Ärzte-Post“, „Ärzte-Welt“, „Trends der Medizin“, „Arztprofil“ und „Ärztliche Morgenpost“. Die Beklagte hat schließlich den Titel „Ärztliche Allgemeine“ verwendet.
36 37
BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige. BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige. Dies, so der BGH, ergebe sich auch daraus, dass in derselben Ausgabe der Zeitschrift, in welcher die Titelschutzanzeige veröffentlicht wurde, eine weitere Titelschutzanzeige enthalten war, die elf weitere Titel mit Arzt-Bezug enthielt, darunter „Arzt aktuell“, „Arztanzeiger“, „Ärztliche Rundschau“ und
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2. Teil
VII. Rechtswirkung der Titelschutzanzeige 30
Die Titelschutzanzeige als solche stellt noch keine Benutzung des Werks dar und ersetzt diese auch nicht.38 Die Ankündigung des Titels wird lediglich rückwirkend so behandelt, als hätte zum Zeitpunkt des Erscheinens der Titelschutzanzeige eine Benutzung bereits stattgefunden.39 Die Titelschutzanzeige wirkt also gleichsam wie eine kennzeichenrechtliche Vorverlagerung der Priorität. Der angemessene Zeitraum zwischen Titelankündigung und tatsächlicher Benutzungsaufnahme ist dabei nach Werkkategorien unterschiedlich zu beurteilen. Es muss im Einzelfall geprüft werden, wie lange die übliche Vorbereitungsdauer für die Realisierung des jeweiligen Werks ist. In der Regel gilt, dass ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten zwischen der Ankündigung des Titels und der tatsächlichen Benutzungsaufnahme liegen sollte. Insbesondere für Periodika ist eine Zeitspanne von zehn Monaten oder gar zwölf Monaten zwischen der ersten öffentlichen Ankündigung und dem tatsächlichen Erscheinen zu lang, um eine Vorverlagerung des Titelschutzes auf das Datum der Ankündigung noch beanspruchen zu können.40 Dies mag bei Filmen, die häufig eine längere Vorbereitungs- und Produktionsphase haben, ebenso anders sein wie bei mehrbändigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Soll ein längerer zeitlicher Abstand zwischen der öffentlichen Ankündigung des Titels und dem Erscheinen des Werkes gerechtfertigt werden, muss der Anspruchsteller substantiiert vortragen, wann mit den Arbeiten für das betreffende Werk begonnen wurde, welchen Umfang diese Arbeiten hatten und welcher zeitliche Aufwand sich hieraus für die Vorbereitung des Erscheinens des Werkes ergab.41 Erscheint das angekündigte Werk nicht innerhalb eines vernünftigen Zeitraums nach 31 der Ankündigung, fehlt es an einer Voraussetzung, die die Rechtsprechung an die Vorverlagerung des Titelschutzes knüpft. In der Literatur ist umstritten, ob in Fällen, in denen das angekündigte Werk nicht in hinreichender zeitlicher Nähe nach der Ankündigung erscheint, Titelschutz mit Wirkung zum Zeitpunkt der Ankündigung niemals entstanden ist oder durch die Ankündigung zunächst vollwertiger Schutz entstanden ist, der nachträglich ex tunc wegfällt.42 In der Entscheidung „Titelschutzanzeige“ des Bundesgerichtshofs blieb diese Frage unbeantwortet.43 Der Bundesgerichtshof spricht dort nur von einer „Vorverlegung des Titelschutzes auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Titelschutzanzeige“.44 In der 2001 ergangenen Entscheidung „Tagesreport“ hat der Bundesgerichtshof hin32 gegen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Titelschutzanzeige für sich genommen noch nicht genügt, um Ansprüche nach §§ 5, 15 MarkenG gegen Verletzer geltend zu machen. Hierfür ist es vielmehr erforderlich, dass das Werk erschienen ist.45 Die rechtliche Wir-
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„Ärzte-Express“. Deshalb könne nicht von einer Titelblockade gesprochen werden. Der BGH lässt die Frage unbeantwortet, ob die beiden an demselben Tag in derselben Zeitschrift veröffentlichten Titelschutzanzeigen zusammengenommen zu einer unzumutbaren Behinderung von Wettbewerbern führen können. BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige. Wirth AfP 2002, 303. OLG Köln GRUR 1989, 690, 692 – High Tech; Schabenberger FS Helm 219, 224.
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OLG Köln GRUR 1989, 690, 692 – High Tech. So Schabenberger FS Helm 219, 225; Teplitzky AfP 1997, 450, 453. BGH GRUR 1989, 760, 761 – Titelschutzanzeige. BGH GRUR 1989, 760, 762 – Titelschutzanzeige. BGH GRUR 2001, 1054, 1055 – Tagesreport; Deutsch/Ellerbrock Rn 77.
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Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes
kung der Titelschutzanzeige gleicht mithin der Inanspruchnahme einer kennzeichenrechtlichen Priorität: Schutz wird erst mit Benutzung (bei Marken regelmäßig: mit Eintragung) gewährt, die Priorität reicht aber zurück auf den Zeitpunkt der Titelschutzanzeige. Entscheidend ist, dass der Anzeigende sich sowohl im Fall des Nichterscheinens als 33 auch im Fall des verspäteten Erscheinens des geplanten Werkes auf Titelschutz mit der Priorität des Zeitpunkts der Anzeige nicht berufen kann und er Gefahr läuft, in einem Konflikt mit einem Dritten, der zu einem späteren Zeitpunkt eine Titelschutzanzeige geschaltet hat, die Benutzung des Titels aber rechtzeitig aufgenommen hat, zu unterliegen.46
VIII. Kennzeichenrechtliche Erfordernisse für Titelschutz 1. Allgemeines Titelschutz entsteht originär dann, wenn der betreffende Titel ein Mindestmaß an 34 Individualität aufweist, das dem Verkehr die Unterscheidung des mit diesem Titel versehenen Werks von anderen Werken gleicher oder ähnlicher Art erlaubt.47 Besteht in einem bestimmten Segment eine große Zahl ähnlicher Titel, kann dies sowohl die Kennzeichnungskraft als auch den Schutzumfang eines Titels beeinflussen. Der Verkehr mag dann dazu veranlasst sein, auf Unterschiede besonders zu achten.48 Dies kann dazu führen, dass eher generische Bezeichnungen für Titelschutz ausreichen. Zugleich können geringfügige Abweichungen dann genügen, um Verwechslungsgefahr und damit eine Titelverletzung ausschließen zu können. Da der Titel anders als eine Marke keine Herkunftsfunktion haben muss, bestehen weitergehende Erfordernisse als minimale Individualität nicht.49 Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Verkehr unter bestimmten Voraussetzungen mit einem Werktitel gleichzeitig auch die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft verbindet.50 Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die originäre Kennzeichnungskraft 35 eines Werktitels stellt, sind im Vergleich zu den Anforderungen an die Unterscheidungskraft einer Marke oder die Kennzeichnungskraft eines Unternehmenskennzeichens sehr gering. Ein absolutes Mindestmaß an Unterscheidungskraft ist jedoch erforderlich. 2. Erfordernisse bei unterschiedlichen Werkkategorien Bei Zeitungen ist die Rechtsprechung großzügig, weil sie davon ausgeht, dass mehr 36 als bei Titeln anderer Werke geografische Bestandteile in Zeitungstiteln üblich sind und der Verkehr hieran gewöhnt ist. Zugleich ist davon auszugehen, dass Verbraucher bei Zeitungen auch auf nur geringe Abweichungen bei Titeln sehr genau achten. Eine ausreichende titelmäßige Kennzeichnungskraft hat die Rechtsprechung daher bspw anerkannt für die „Berliner Zeitung“ 51, die „Berliner Morgenpost“ 52, die „Deutsche Zeitung“ 53 und die WAZ 54. 46 47 48 49 50
OLG Köln GRUR 1989, 690, 692 – High Tech. BGH GRUR 2002, 176 – Automagazin; Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 87. BGH GRUR 2002, 176 – Automagazin. Fezer § 15 MarkenG Rn 157. BGH GRUR 1993, 692, 693 – Guldenburg.
51 52 53 54
BGH GRUR 1997, 661 – B.Z./Berliner Zeitung. BGH NJW-RR 1992, 1128 – Berliner Morgenpost. BGH GRUR 1963, 378, 379 – Deutsche Zeitung. OLG Hamm GRUR 1988, 477 – WAZ/WAS.
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Kapitel 8 Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz
2. Teil
37
Auch bei Zeitschriftentiteln ist die Rechtsprechung bei der Bejahung der Kennzeichnungskraft großzügig. So wurde Kennzeichnungskraft bejaht für die Titel „Szene“55, „Facts“ 56, „Auto Magazin“ 57, „High Tech“ 58, „Family“ 59 und „PC-Welt“.60 Allerdings hat es gerade bei Zeitschriftentiteln immer wieder Fälle gegeben, in denen die Rechtsprechung allzu generischen Titeln die Kennzeichnungskraft abgesprochen hat. Einige dieser Entscheidungen sind jedoch schon recht betagt. Für nicht hinreichend kennzeichnungskräftig wurden unter anderem die Titel „Snow-Board“ 61, „Deutsche Illustrierte“ 62 und „Das Auto“ gehalten.63 In jüngerer Zeit wurde die Schutzfähigkeit des Titels „ApothekeOnline“ in Zweifel gezogen.64 Auch im Bereich der Sachbücher ist die Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundes38 gerichtshofs aus dem Jahr 1990 zu einem Kochbuch mit dem Titel „Pizza & Pasta“ eher großzügig. In diesem Rechtsstreit hatte das OLG Frankfurt in der Berufungsinstanz die Auffassung vertreten, die beiden im Titel verwendeten Begriffe wiesen zwar auf den Inhalt des Kochbuchs hin, hätten also in erster Linie warenbeschreibenden Charakter. Bei Sachbuchtiteln sei die Interessenlage jedoch ähnlich wie bei Zeitungen und Zeitschriften. Das Publikum sei hier an das Nebeneinander von ähnlichen, mehr oder minder nur die Gattung und den Inhalt der Druckschrift beschreibenden Angaben gewöhnt. Dennoch betrachte das Publikum eine solche Beschreibung auch als Namen oder Benennung des Sachbuchs.65 Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung im Ergebnis bestätigt, allerdings zu Recht eingewandt, dass es bedenklich erscheine, wenn von einer ähnlichen Interessenlage bei Sachbuchtiteln wie bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln ausgegangen werde. Dass sich bei Sachbuchtiteln in gleicher Weise wie bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln eine Gewöhnung des Publikums an deskriptive Bezeichnungen feststellen lasse, hält der Bundesgerichtshof zurecht zumindest für zweifelhaft. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung aber bestätigt, weil das Berufungsgericht ausgeführt hatte, dass jedenfalls bei Kochbüchern von einer solchen Gewöhnung des Publikums auszugehen sei.66 Dies ist bei Heranziehung dieses Urteils zu beachten. Die großzügige Aussage des OLG Frankfurt hätte der Bundesgerichtshof bei anderen Sachbüchern möglicherweise nicht akzeptiert. Dennoch ist die untergerichtliche Rechtsprechung nachfolgend bei der Bejahung der Schutzfähigkeit von Sachbuchtiteln zunehmend großzügig geworden. Beispiele hierfür sind die Titel „Deutsch im Alltag“67 und „Spice Girls – Girl Power“68. Bei Rundfunkprogrammen scheidet Titelschutz mangels hinreichender Kennzeich39 nungskraft regelmäßig nur dann aus, wenn der Titel der Sendung ausschließlich den Inhalt des Programms wiedergibt.69 Originell-kreative Titel für Rundfunksendungen wie „Point“70 und „Jetzt red i.“ sind ohne weiteres titelschutzfähig.71 Auch bei weniger krea-
55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
BGH GRUR 2000, 70, 72 – Szene. BGH GRUR 2000, 504 – Facts. BGH GRUR 2002, 176 – Auto Magazin. OLG Köln GRUR 1989, 690 – High Tech. OLG Köln GRUR 1997, 663 – Family. OLG Köln GRUR 1997, 63 – PC-Welt. OLG Hamburg AfP 1992, 160 – SnowBoard. BGH GRUR 1959, 45 – Deutsche Illustrierte. OLG Stuttgart GRUR 1951, 38 – Das Auto. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 230 – Apotheke-Online. BGH GRUR 1991, 153, 154 – Pizza & Pasta.
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66 67 68
69 70 71
BGH GRUR 1991, 153, 154 – Pizza & Pasta. OLG München GRUR 1993, 991 – Deutsch im Alltag. OLG Hamburg NJWE WettbR 2000, 15 – Spice Girls (außergewöhnlich, weil hierbei der Name des Autors Bestandteil des Titels war, die Kombination von „Spice Girls“ mit „Girl Power“ jedoch zur Schutzfähigkeit ausreiche). Hierzu ausf Bork UFITA 110 (1989) 35, 42. BGH GRUR 1982, 431, 432 – Point. OLG München ZUM 1985, 218, 220 – Jetz red i.
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§3
Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes
tiven Titeln ist die Rechtsprechung großzügig. Dies galt bspw für die „Tagesschau“72 und „Radio Stuttgart“73. Lediglich rein historische Bezeichnungen oder reine Sachbezeichnungen können nicht für sich in Anspruch nehmen, dazu geeignet zu sein, die so betitelte Rundfunksendung von anderen zu unterscheiden und hierfür ein Monopolrecht zu beanspruchen. Dies gilt bspw für eine Sendung mit dem Titel „Der 20. Juli“.74 Für Filmtitel gelten insoweit dieselben Maßstäbe wie für Rundfunksendungen.75 40 Für sonstige Werkgattungen ist jeweils im Einzelnen zu prüfen, ob der verwendete 41 Titel eine ausreichende titelmäßige Kennzeichnungskraft besitzt. Dies wurde für die Bezeichnungen „European Classics“ und „European Classic“ für Tonträger ebenso verneint76 wie für die Bezeichnung „Trek Service“ für ein auf einem Datenträger gespeichertes Informationsangebot zur Fernsehserie „Star Trek“.77 3. Werktitelschutz kraft Verkehrsgeltung Sofern ein Werktitel trotz der zuvor beschriebenen geringen Anforderungen der 42 Rechtsprechung ein Mindestmaß an originärer Kennzeichnungskraft vermissen lässt, kann Werktitelschutz dennoch aufgrund großer Bekanntheit und daraus resultierender nachgewiesener Verkehrsgeltung erworben werden.78 Dabei ist es anders als im Kennzeichenrecht nicht erforderlich, dass die angesproche- 43 nen Verkehrskreise den Titel einem bestimmten Inhaber zuordnen. Erforderlich ist nur das Verständnis des Verkehrs, dass der rein beschreibende Titel ein bestimmtes Werk bezeichnet.79 Ein ursprünglich nicht unterscheidungskräftiger Werktitel kann mithin schutzfähig werden, wenn der Verkehr in maßgeblichem Umfang die Überzeugung gewinnt, dass der betreffende Titel ein bestimmtes Werk und nicht lediglich eine Werkkategorie bezeichnet.80 Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei weiterhin davon 44 auszugehen, dass im Regelfall ein Mindestdurchsetzungsgrad von 50 % bei den angesprochenen Verkehrskreisen erforderlich ist, um Werktitelschutz aufgrund von Verkehrsgeltung in Anspruch nehmen zu können.81
IX. Durchsetzung des Werktitelschutzes Besteht wirksamer Titelschutz, so ist es Dritten untersagt, den Werktitel oder eine 45 ähnliche Bezeichnung im geschäftlichen Verkehr unbefugt in einer Weise zu benutzen, die dazu geeignet ist, Verwechslungen mit dem geschützten Werktitel hervorzurufen (§ 15 Abs 2 MarkenG). Handelt es sich um einen im Inland bekannten Werktitel, ist es Dritten zudem untersagt, diesen oder einen ähnlichen Titel im geschäftlichen Verkehr auch dann zu benutzen, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht, sofern nur die Benutzung die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung des geschützten Werktitels ohne rechtferti72 73 74 75 76
BGH GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesschau; hierzu Deutsch GRUR 2002, 308. BGH GRUR 1993, 769 – Radio Stuttgart. OLG München GRUR 1955, 588. Hierzu ausf Reupert UFITA 125 (1994) 27, 28. OLG Köln NJWE – WettbR 2000, 93 – European Classics.
77 78
79 80 81
OLG Köln GRUR 2000, 906 – Trek Service. BGH GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesschau; BGH NJW-RR 1988, 877 – Hauer’s Autozeitung. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 97. Deutsch/Ellerbrock Rn 132 mwN. Deutsch/Ellerbrock Rn 135 mwN.
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2. Teil
gen Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde (§ 15 Abs 3 MarkenG). Für bekannte Werktitel besteht insoweit mithin ein erweiterter Schutzbereich unabhängig von bestehender Verwechslungsgefahr. Lässt sich eine rechtsverletzende Werktitelbenutzung feststellen, hat der Inhaber des Werktitelrechts zunächst einen Anspruch auf Unterlassung (§ 15 Abs 4 MarkenG). Bei schuldhaften Handeln besteht zudem Anspruch auf Schadenersatz (§ 15 Abs 5 MarkenG). Ferner bestehen auch bei Verletzungen des Werktitelrechts die allgemeinen markenrechtlichen Ansprüche auf Vernichtung widerrechtlich gekennzeichneter Gegenstände im Besitz oder Eigentum des Verletzers (§ 18 MarkenG) und auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der widerrechtlich gekennzeichneten Gegenstände (§ 19 MarkenG).82 Zu beachten ist zudem, dass angesichts der systematischen Einordnung des Werktitelschutzes in das Kennzeichenrecht im Markengesetz Titelverletzungen nicht nur durch die Verwendung identischer oder ähnlicher Bezeichnungen als Werktitel, sondern auch durch die Verwendung einer identischen oder ähnlichen Bezeichnung als Unternehmenskennzeichen oder als Marke verursacht werden können.83 Gleiches gilt umgekehrt: Die Verwendung eines Werktitels kann eine Marke oder ein Unternehmenskennzeichen verletzen. Für Fälle der Verletzung des Werktitelrechts durch einen anderen Titel ist es erforderlich, dass der Verletzer einen identischen oder ähnlichen Titel im geschäftlichen Verkehr unbefugt titelmäßig verwendet und hierdurch Verwechslungsgefahr hervorgerufen wird. Titelmäßig wird eine Bezeichnung nur dann verwendet, wenn die angesprochenen Verkehrskreise in ihm die Bezeichnung eines Werkes zur Unterscheidung von anderen Werken sehen.84 Dabei ist erneut zu beachten, dass anders als im allgemeinen Markenrecht auch die Verwendung inhaltsbeschreibender Werkbezeichnungen titelmäßig sein kann. Auch die Verwendung eines Titels im redaktionellen Teil einer Zeitung kann titelmäßig sein.85 Für die Frage der Verwechslungsgefahr gilt im Kennzeichenrecht ein einheitlicher Maßstab. Werktitel werden hierbei nicht grds anders beurteilt als Marken oder Unternehmenskennzeichen. Insofern kann auf die Ausführungen zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr verwiesen werden.86 Auch beim Werktitelschutz ist auf drei Faktoren abzustellen, zwischen welchen eine Wechselwirkung besteht: die Kennzeichnungskraft des Titels, für den Schutz begehrt wird, die Identität oder Ähnlichkeit der betroffenen Werkkategorien und die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Werktitel.87 Dabei ist zu beachten, dass die Rechtsprechung bei fehlender Verkehrsgeltung eines wenig kreativen Titels häufig nur einen begrenzten Schutzumfang zugesteht, so dass geringe Abweichungen bereits ausreichen können, um Verwechslungsgefahr und damit eine Titelverletzung auszuschließen.88 Auch die übrigen allgemeinen Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr gelten für den Werktitelschutz gleichermaßen. Dies gilt einerseits für die Relevanz des Gesamteindrucks des Titels bei Beurteilung der
82 83 84 85 86 87
Hierzu Teil 2 Kap 7. Ingerl/Rohnke § 15 MarkenG Rn 91. BGH GRUR 2002, 71 – Szene. OLG Köln GRUR 1997, 663 – Family. Hierzu Teil 2 Kap 7. BGH GRUR 2001, 1050, 1051, 1052 – Tagesschau.
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OLG Köln NJWE – WettbR 2000, 214 – Blitzrezepte: Nur schwache Kennzeichnungskraft für den Titelbestandteil „Blitzrezepte“; keine Titelverletzung durch ein Buch mit dem Titel „Das große Buch der Blitzrezepte“.
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§3
Entstehung und Dauer des Werktitelschutzes
Verwechslungsgefahr. Es gilt ferner für den Grundsatz der Maßgeblichkeit des undeutlichen Erinnerungseindrucks bei den angesprochenen Verbrauchern und schließlich für die Prägetheorie bei teilweiser Übereinstimmung sich gegenüberstehender Titel. Auch insoweit kann auf die allgemeinen Ausführungen zum Kennzeichenrecht verwiesen werden.89 So wurde in der Rechtsprechung bspw Verwechslungsgefahr angenommen zwischen 51 den Kochbuchtiteln „Pizza & Pasta“ und „Pasta & Pizza“,90 zwischen „Radio Stuttgart“ und „Stadtradio Stuttgart“ für lokale Radiosendungen,91 zwischen „B.Z.“ und „Berliner Zeitung“ für Tageszeitungen,92 zwischen „Screen“ und „Screen Basics“ für ComputerZeitschriften,93 zwischen dem Titel der Wochenzeitschrift „Stern“ und dem Titel „Star“ für eine türkischsprachige Boulevard-Zeitung,94 und zwischen den Titeln „Tiger und Tom“ sowie „Gut gemacht, Tigertom“ jeweils für Kinderbücher.95 Hingegen wurde Verwechslungsgefahr verneint zwischen den Titeln „Ärztliche Allge- 52 meine“ und „Die neue Ärztliche Allgemeine Zeitung“,96 Zwischen „Berliner Morgenpost“ und „Hamburger Morgenpost“ für Tageszeitungen,97 zwischen dem Titel für die Fernsehsendung „Das Erbe der Guldenburgs“ und der Marke „Guldenburg“ für Schmuck und landwirtschaftliche Erzeugnisse,98 zwischen dem Titel für ein Stadtmagazin „Szene Hamburg“ und dem Rubriktitel „Szene“ in der Bildzeitung,99 und zwischen den Titeln „Tagesschau“ und „Tagesbild“ für Nachrichtensendungen.100 Die Judikatur deutscher Zivilgerichte zum Werktitelrecht ist sehr umfangreich und soll hier nicht vollständig dargestellt werden.101 Umstritten ist, ob der Schutz des Werktitels ähnlich wie bei Marken soweit reicht, 53 dass Schutz auch gegen mittelbare Verwechslungsgefahr oder gegen Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne gewährt wird.102 Hiermit sind Fälle gemeint, in welchen trotz fehlender unmittelbarer Verwechslungsgefahr aufgrund der Verwendung identischer Bezeichnungen der Eindruck entsteht, es bestünden organisatorische, wirtschaftliche oder vertragliche Beziehungen zwischen den Titelbenutzern und den Verwendern derselben Bezeichnung für andere Gegenstände.103 Die Rechtsprechung ist insoweit zurückhaltend. Da Werktitel grds keine Herkunftsfunktion haben, soll der Verkehr nur in Ausnahmefällen solche Beziehungen zwischen einem Dritten, der einen bekannten Titel branchenfern verwendet, und dem Titelbenutzer annehmen. Denkbar ist dies vor allem dann, wenn ausnahmsweise mit einem Werktitel doch die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft verbunden ist, insbesondere bei bekannten Zeitungen oder Zeitschriften.104
89 90 91 92
93 94 95
Teil 2 Kap 7. BGH GRUR 1991, 153, 155 – Pizza & Pasta. BGH GRUR 1993, 769, 770 – Radio Stuttgart. BGH WRP 1997, 751, 754 – B.Z./Berliner Zeitung: Aufgrund der Bestimmungen des Einigungsvertrages wurde hier allerdings eine Koexistenz auf Grundlage des Rechts der Gleichnamigen gewährt. OLG Hamburg GRUR-RR 2001, 31 – Screen/Screen Basics. OLG Hamburg AfP 2001, 398 – Stern/Star. OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 231 – Tigertom.
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BGH GRUR 1991, 331, 332 – Ärztliche Allgemeine. BGH GRUR 1992, 547, 548 – Morgenpost. BGH GRUR 1993, 692 – Guldenburg. BGH GRUR 2000, 70 – Szene. BGH GRUR 2001, 1050 – Tagesschau. Vgl etwa die Übersicht bei Deutsch/Ellerbrock Rn 182. Hotz GRUR 2005, 304, 305. Deutsch/Ellerbrock Rn 97. BGH GRUR 2001, 1054, 1056 – Tagesreport; Deutsch/Ellerbrock Rn 97; Hotz GRUR 2005, 304, 305.
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2. Teil
X. Ende des Titelschutzes 54
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Wie bei Unternehmenskennzeichen endet auch der durch Benutzung entstehende Werktitelschutz mit der Aufgabe der weiteren Verwendung. Grds gilt mithin, dass Titelschutz ab Beginn der Benutzung bis zu deren Ende gewährt wird. Titelschutz endet allerdings erst dann, wenn redlicherweise davon ausgegangen werden kann, dass die Verwendung durch den Inhaber des Titelschutzrechts aufgegeben worden sei.105 Zu prüfen ist dabei im Einzelfall, wann die angesprochenen Verkehrskreise bei der jeweils betroffenen Werkart von einer Aufgabe der Verwendung ausgehen können. Dies ist nicht für alle Werkarten gleich zu beurteilen. Vielmehr muss differenziert werde: Bei Büchern kommt es nicht selten vor, dass zwischen einzelnen Auflagen größere Abstände liegen. Die bloße Tatsache, dass ein Buch vergriffen ist, genügt daher nicht für ein Erlöschen des Titelschutzes.106 Bei Periodika geht der Verkehr hingegen davon aus, dass sie regelmäßig erscheinen. Erscheint eine Zeitschrift vier Jahre lang nicht, darf der angesprochene Verkehr von einer Aufgabe der Benutzung ausgehen.107 Der Titelschutz ist dann erloschen. Bei Fernsehsendungen besteht Titelschutz jedenfalls solange fort, wie Wiederholungen der Sendung gesendet werden.108 Für Spielfilme gilt dies gleichermaßen. Der Titelschutz besteht zudem solange fort, wie die Fernsehsendung oder der Film auf DVD oder ähnlichen Bildträgern im Handel erhältlich ist. Sofern Werktitelschutz aufgrund von Verkehrsgeltung erworben wurde, stellt sich die zusätzliche Frage, ob der Werktitelschutz bereits in dem Zeitpunkt entfällt, in welchem der Inhaber des Titelschutzrechts die Verwendung des Titels einstellt, oder ob dies erst dann gilt, wenn aufgrund längerer Nichtbenutzung die Verkehrsgeltung verloren geht, indem die beteiligten Verkehrskreise in der Bezeichnung keinen Werktitel mehr sehen, sondern lediglich noch einen Hinweis auf eine Gattung.109 Dies erscheint deshalb problematisch, weil das Ende des betreffenden Titelschutzes nach Aufgabe der Benutzung einer verkehrsdurchgesetzten Bezeichnung dann im Unklaren bliebe, sofern nicht in regelmäßigen Abständen Verkehrsbefragungen durchgeführt werden bis zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verkehrsbefragung ein Verkehrsverständnis ergibt, welches eine Werkkennzeichnung durch die Bezeichnung ausschließt. Auch bei aufgrund von Verkehrsdurchsetzung geschützten Werktiteln sollte daher an dem Grundsatz festgehalten werden, wonach der Werktitelschutz dann entfällt, wenn ein hinreichender Zeitraum nach der letzten Benutzung des Titels verstrichen ist, so dass davon ausgegangen werden darf, dass mit einer weiteren Verwendung nicht zu rechnen ist. Dabei ist ebenfalls, wie dargestellt, nach Werkarten zu differenzieren. Zu beachten ist, dass der Ablauf der urheberrechtlichen Schutzdauer des Werks den Titelschutz nicht unmittelbar beeinflusst. Der Titelschutz nach §§ 5, 15 MarkenG erlischt nicht etwa simultan, wenn das zugrunde liegende Werk nach § 64 UrhG gemeinfrei wird. Entscheidend ist nur, ob der Titel weiterhin Unterscheidungskraft besitzt und benutzt wird.110
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Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 98. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 98. OLG Köln GRUR 1997, 63 – PC-Welt. OLG Hamburg AfP 1999, 170, 171 – Aber Hallo!
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109 110
BGH GRUR 1959, 45 – Deutsche Illustrierte; Deutsch/Ellerbrock Rn 136. BGH GRUR 2003, 440 – Winnetous Rückkehr.
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§5
Übertragbarkeit des Titelschutzes
§4 Persönlicher und räumlicher Schutzbereich des Werktitelschutzes I. Inhaber des Werktitelschutzes Inhaber des Werktitelrechts nach § 5 MarkenG ist zunächst der Hersteller des Werks. 60 Bei Büchern ist dies der Autor.111 Bei Zeitungen oder Zeitschriften stehen die Titelrechte regelmäßig dem Verlag zu.112 Bei Musikwerken ist zunächst der Komponist Berechtigter, bei Filmen der Regisseur und bei Rundfunksendungen entweder die Produktionsfirma oder die produzierende Rundfunkanstalt.113 Berechtigter Verwender des Titels ist darüber hinaus jeder, der den Titel für das be- 61 treffende Werk rechtmäßig nutzt, so bspw der Verleger, der Herausgeber oder der Produzent.114 Gibt es mehrere Titelberechtigte, so können diese aus dem Titelrecht unabhängig voneinander gegen Verletzer vorgehen.115
II. Räumlicher Schutzbereich Wie beim Schutz von Unternehmenskennzeichen116 ist auch beim Titelschutzrecht zu 62 prüfen, ob Schutz im gesamten Bundesgebiet oder nur in einem räumlich beschränkten Teilgebiet besteht. Werden Werke überregional vertrieben, besteht Titelschutz grds im gesamten Bundesgebiet.117 Handelt es sich hingegen um ein Werk mit von vorneherein nur regionaler Verbreitung, besteht auch der Werktitelschutz nur im Verbreitungsgebiet.118
§5 Übertragbarkeit des Titelschutzes Ob und in welcher Weise das Werktitelrecht übertragbar ist, ist umstritten. Vor Ein- 63 führung des Markengesetzes wurde fast ausnahmslos die Auffassung vertreten, dass Werktitel untrennbar mit dem Werk, das sie bezeichnen, verbunden sind, und das Titelrecht mithin nicht ohne das Recht an dem zugrunde liegenden Werk übertragbar war.119 Wurde das Recht am Werk übertragen, ging automatisch auch das Recht am Werktitel auf den Erwerber über.
111 112 113 114
115 116
BGH GRUR 2005, 264, 265 – Das TelefonSparbuch. BGH GRUR 1997, 661, 662 – Berliner Zeitung. Vgl hierzu KG GRUR 2000, 906, 907 – Gute Zeiten, schlechte Zeiten, BGH GRUR 2003, 440 – Winnetous Rückkehr; Ströbele/Hacker/Hacker § 5 MarkenG Rn 97. Deutsch/Ellerbrock Rn 67. Teil 2 Kap 7 Rn 176, 177.
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119
BGH GRUR 1997, 661, 662 – B.Z./Berliner Zeitung. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 97; aA Oelschlägel 139: Räumlicher Schutz unterscheidungskräftiger Titel immer im gesamten Bundesgebiet, aber möglicherweise keine Verwechslungsgefahr außerhalb des Verbreitungsgebiets. Hierzu ausf Schabenberger FS Helm 219, 227.
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2. Teil
Vor Inkrafttreten des neuen Markengesetzes war in einem Gesetzentwurf eine Bestimmung vorgesehen, der zu Folge das Recht an einem Werktitel unabhängig von der Übertragung des Geschäftsbetriebs, zu dem der Werktitel gehört, übertragbar sein sollte.120 Diese Vorschrift wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch gestrichen. § 27 Abs 1 MarkenG bestimmt nur zwar, dass Rechte aus einer Marke auf andere übertragen werden können. Für Werktitel enthält das Gesetz jedoch keine ausdrückliche Vorschrift. Ob und in welcher Weise Werktitel übertragbar sind, ist daher weiterhin umstritten.
I. Übertragung des Werktitelrechts mit Nutzungsrechten an dem zugrunde liegenden Werk 65
Es besteht Einigkeit darüber, dass Rechte an dem Werktitel gemeinsam mit einem Vertrag über Nutzungsrechte an dem zugrunde liegenden Werk auf einen Dritten übertragen werden können, bspw also durch den Autor auf den Verlag mittels eines Verlagsvertrags.121 Enthält die vertragliche Vereinbarung über die Einräumung von Nutzungsrechten nicht zugleich eine Regelung in Bezug auf das Werktitelrecht, so wird teilweise angeregt, § 27 Abs 2 MarkenG analog anzuwenden.122 Diese Bestimmung sieht vor, dass bei Übertragung eines Geschäftsbetriebs auf einen Dritten im Zweifel auch Marken, die zu diesem Geschäftsbetrieb gehören, von der Übertragung mit erfasst sein sollen. Ob eine solche Analogie zulässig ist, erscheint fraglich. Der Gesetzgeber hat bewusst von einer Regelung der Übertragbarkeit von Werktiteln im Markengesetz abgesehen. Die Gesetzesbegründung enthält die Aussage, dass das Gesetz davon absehe, die Übertragung von geschäftlichen Bezeichnungen zu regeln. Insoweit solle das geltende Recht nicht verändert werden.123 Sachgerecht erscheint es eher, den Werktitel als Teil des urheberrechtlich geschützten Werks zu betrachten und daher die Rechte am Werktitel als Teil der Einräumung der Nutzungsrechte an dem zugrunde liegenden Werk zu behandeln.
II. Isolierte Übertragbarkeit von Werktiteln ohne zugrunde liegendes Werk 66
Sehr umstritten ist die Frage, ob Werktitel auch unabhängig von dem zugrunde liegenden Werk übertragen werden können und dabei in prioritätserhaltender Weise das Recht aus §§ 5, 15 MarkenG an dem Werktitel auf einen Dritten übergehen kann. Einige wesentliche Stimmen in der Literatur vertreten die Auffassung, es sei notwendig, die früher geltende strenge Akzessorietät von Werk und Werktitel aufzugeben und die freie Übertragbarkeit des Werktitelrechts zuzulassen.124 67 In diesem Zusammenhang wird insbesondere darauf verwiesen, dass der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 1988125 die Übertragbarkeit des Werk-
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122 123
Abgedruckt in GRUR 1993, 599, 624; hierzu Schabenberger FS Helm 219, 228. OLG Nürnberg WRP 2000, 1168, 1169 – Winnetou; vom BGH in dem nachfolgenden Revisionsverfahren offen gelassen: BGH GRUR 2003, 440 – Winnetous Rückkehr. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 102. Begründung zu § 27 des Entwurfs des Markenrechtsreformgesetzes; BT-Drucks
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12/6581; hierzu Schabenberger FS Helm 219, 228. Fezer § 5 MarkenG Rn 168c; Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 102; Althammer/Ströbele/ Klaka § 5 MarkenG Rn 76; Schricker FS Vieregge 757, 788; Lehmann FS Beier 279, 285. BGH GRUR 1990, 218 – Verschenktexte.
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§6
Werktitelschutz außerhalb des Kennzeichenrechts
titelrechts ausdrücklich festgestellt habe. In dieser Entscheidung, die das Werktitelrecht an Untertiteln einzelner Gedichtbände betraf, stellte der Bundesgerichtshof zunächst zu Recht fest, dass Inhaber des Titelrechts der Verfasser sei. Der klagende Verlag könne daher ein Recht an den Untertiteln der Einzelbände nur durch Übertragung erlangt haben. Eine solche Übertragung, so der Bundesgerichtshof, sei grds zulässig. Sie sei in den Verlagsverträgen stillschweigend mit der Übertragung der Rechte am Werk erfolgt.126 Betrachtet man diese Feststellung des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang, stellt man fest, dass sich aus dieser Entscheidung für die Frage der isolierten Übertragbarkeit von Werktiteln nichts entnehmen lässt.127 Der Bundesgerichtshof hat zutreffend die Auffassung vertreten, das Werktitelrecht sei als Teil der Übertragung der Nutzungsrechte an dem Grundwerk ebenfalls übertragen worden. Dem ist zuzustimmen. Ob, wie die Befürworter einer isolierten Übertragbarkeit des Werktitelrechts meinen, 68 ein praktisches Bedürfnis für die freie Übertragbarkeit des Werktitelrechts bspw im Zeitschriftenbereich besteht, wenn Rechte an einer Zeitschrift von einem Verlag an einen anderen Verlag veräußert werden,128 erscheint zweifelhaft. Die Befürworter dieser Auffassung führen insbesondere an, dass bei Veräußerung der Rechte an einer Zeitschrift der Erwerber inhaltliche Veränderungen an der Zeitschrift vornehmen könne, weshalb sich das Gesicht der Zeitschrift ändern könne.129 Der Werktitel ist jedoch an die schlichte Fortsetzung des Werks (der Zeitung, Zeitschrift oder des sonstigen Werks) geknüpft. Inhaltliche und gestalterische Veränderungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Dies erfordert nicht eine Aufgabe der Akzessorietät von Werktitel und Werk. Vernünftig und realistisch erscheint es, eine Vereinbarung zu verlangen, der zu Folge der bisherige Inhaber des Titelrechts an einer Zeitung oder Zeitschrift sich dazu bereit erklärt, dieses periodisch erscheinende Werk nicht mehr fortzuführen, wohingegen der Erwerber das Recht erhält, dies künftig zu tun. Damit wird der Titel dann gemeinsam mit dem zugrunde liegenden periodisch erscheinenden Werk übertragen.130
§6 Werktitelschutz außerhalb des Kennzeichenrechts? Es stellt sich die Frage, ob außerhalb des nunmehr im Markengesetz kennzeichen- 69 rechtlich geregelten Werktitelschutzes zusätzlicher Titelschutz auch urheberrechtlich, wettbewerbsrechtlich oder zivilrechtlich bestehen kann.
I. Urheberrechtlicher Werktitelschutz Urheberrechtlich ist der Titel Teil des Gesamtwerks. § 39 UrhG sieht vor, dass auch 70 Inhaber von Nutzungsrechten den Titel des Werks ohne Zustimmung des Urhebers nicht ändern dürfen, es sei denn, die Änderungen sind solche, zu welchen der Urheber seine Einwilligung nicht nach Treu und Glauben versagen kann. Ein isoliertes Monopolrecht des Urhebers gegen die Verwendung des Titels durch Dritte für andere Werke ergibt sich 126 127
BGH GRUR 1990, 218, 220 – Verschenktexte. So zu Recht Schabenberger FS Helm 219, 230.
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Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 102. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 102. So auch Schabenberger FS Helm 219, 234.
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Kapitel 8 Urheber- und wettbewerbsrechtlicher Werktitelschutz
2. Teil
hieraus jedoch nicht. Urheberrechtlich könnte der Titel gegen Dritte nur dann durchgesetzt werden, wenn er selbst isoliert urheberrechtlich schutzfähig wäre.131 Dies würde erfordern, dass der Titel für sich genommen eine persönliche geistige Schöpfung nach § 2 Abs 2 UrhG darstellt.132 Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass dies auch für Werktitel denkbar ist, dass aber insbesondere Titel, die nur aus einem Wort oder aus nur wenigen Worten bestehen, regelmäßig nicht die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen, um urheberrechtlich schutzfähig zu sein.133 Zwar wird gerne ein älteres Urteil des Oberlandesgerichts Köln zitiert, in dem der Titel „Der Mensch lebt nicht vom Lohn allein“ für eine Rundfunksendung für schöpferisch und urheberrechtlich schutzfähig gehalten wurde.134 Diese Entscheidung ist zu Recht kritisiert worden. Richtigerweise ist auch bei längeren Titeln regelmäßig davon auszugehen, dass sie nicht hinreichend schöpferisch sind, um alleinstehend urheberrechtlichen Schutz beanspruchen zu können.135
II. Wettbewerbsrechtlicher Titelschutz 71
Nachdem der Werktitelschutz früher in § 16 UWG geregelt war und erst mit Inkrafttreten des neuen Markengesetzes in das Markengesetz aufgenommen wurde, stellt sich die Frage, ob nun noch Raum für einen Rückgriff auf Bestimmung des UWG in Fällen der Verletzung von Titelrechten bleibt. Die Rechtsprechung ist insoweit in mehreren Entscheidungen zurückhaltend gewesen.136 Richtigerweise kann ein Rückgriff auf Bestimmungen des UWG nur dann in Betracht kommen, wenn über den Regelungsbereich des kennzeichenrechtlichen Titelschutzes im Markengesetz hinaus ein wettbewerbswidriges Verhalten feststellbar ist, welches zu Herkunftstäuschungen, zu gezielten Behinderungen oder anderen wettbewerbsrechtlich relevanten Handlungen führt.137
III. Zivilrechtlicher Titelschutz 72
Subsidiär ist zudem denkbar, dass Ansprüche auch in Fällen von Titelverletzungen nach § 12 BGB geltend gemacht werden. Zwar schützt § 12 BGB in erster Linie gegen den unbefugten Gebrauch des Namens einer natürlich oder juristischen Person durch einen Dritten. Überschneidungen mit titelschutzrechtlichen Fragen kommen jedoch vor allem dann in Betracht, wenn ein bestimmter Titel sich zugleich zum Kennzeichen eines Unternehmens entwickelt hat und deshalb neben einer möglichen Titelverletzung ein unbefugter Namensgebrauch vorliegt.138 Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn bspw im Titel einer Zeitschrift Namen, Wappen oder Embleme einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Gebietskörperschaft unerlaubt verwendet werden.139 In der titelschutzrechtlichen Praxis sind solche Konstellationen, in welchen neben Ansprüchen aus §§ 5, 15 MarkenG zusätzlich Ansprüche aus § 12 BGB in Betracht kommen, jedoch eher selten. 131 132 133 134 135
Dreier/Schulze/Schulze § 39 UrhG Rn 7. Zum urheberrechtlichen Titelschutz ausf Schmieder GRUR 1965, 468. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 65. OLG Köln GRUR 1962, 534, 535. Deutsch/Ellerbrock Rn 246; aA Reupert UFITA 125 (1994), 27, 45.
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BGH GRUR 1999, 992, 995 – Big pack; BGH GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesschau. Deutsch/Ellerbrock Rn 251, 252. Hierzu BGH GRUR 1979, 564, 565 – Metall-Zeitung; OLG Düsseldorf GRUR 1983, 794 – Rheinische Post. Deutsch/Ellerbrock Rn 264.
Alexander R. Klett
Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos Literatur Bornkamm Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz GRUR 2005, 97; Brückmann/Günther/Beyerlein Kommentar zum Geschmacksmustergesetz Heidelberg 2007 (zit Brückmann/Günther/Beyerlein/Bearbeiter); Bulling/Langöhrig/Hellwig Geschmacksmuster 2. Aufl Köln 2006; Eichmann Gemeinschaftsgeschmacksmuster und Gemeinschaftsmarken: Eine Abgrenzung MarkenR 2003, 10; Fouquet Gewerblicher und bürgerlicher Rechtsschutz des Behördenlogos GRUR 2002, 35; Gottschalk Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischem Recht Baden-Baden 2005; Ruijsenaars Merchandising von Sportemblemen und Universitätslogos – ein markenrechtliches Lösungsmodell für Europa? GRUR 1998, 110; Schlötelburg Musterschutz an Zeichen GRUR 2005, 123.
Übersicht Rn
Rn
§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . 1–7 § 2 Markenrechtlicher Schutz . . . . . . . 8–16 § 3 Urheberrechtlicher Schutz . . . . . . . 17–24
§ 4 Geschmacksmusterrechtlicher Schutz . 25–35 § 5 Wettbewerbsrechtlicher Schutz . . . . 36–45 § 6 Zivilrechtlicher Schutz . . . . . . . . 46–51
§1 Einführung Signets und Logos zur Kennzeichnung von Waren oder der Identifikation eines Unter- 1 nehmens sind im heutigen Wirtschaftsleben von erheblicher Bedeutung. Ein gut eingeführtes Logo kann von ähnlichem Wert sein wie der Name eines Unternehmens oder Produkts. Dies gilt für Signets und Logos mit Wortelement, es gilt aber auch für rein grafische Signets und Logos. Ein dreiarmiger Stern im Kreis, ein stilisierter Kranich, ein springender Jaguar oder ein angebissener Apfel können prägnanter als ein langer Unternehmens- oder Produktname die Herkunft eines Produkts aus einem bestimmten Unternehmen mitteilen und, bei gutem Marketing, dauerhaft positive Empfindungen bei den Personen auslösen, die das betreffende Signet oder Logo wahrnehmen. Dies bedingt zugleich, dass die Investition in die Außendarstellung des Unternehmens 2 mittels Signets und Logos durch rechtliche Maßnahmen abgesichert werden muss. Die Imitation des gut eingeführten Signets oder Logos durch Wettbewerber muss unterbunden werden. Wünschenswert ist es aus Sicht des Unternehmens in diesen Fällen daher regelmäßig, mögliche Registerrechte zum Schutz solcher Signets und Logos zu erwerben. Hilfsweise kann versucht werden, Rechtsschutz ohne eingetragene Schutzrechte zu erhalten, sofern die Voraussetzungen zur Erlangung eingetragener Schutzrechte nicht oder nicht mehr vorliegen. Alexander R. Klett
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Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos
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2. Teil
Juristisch kann Schutz gegen die Verwendung identischer oder ähnlicher Signets oder Logos durch Dritte unter Zuhilfenahme verschiedener Schutzrechte in Betracht kommen. Das Markenrecht als Recht zum Schutz von Kennzeichen, die dem Hinweis auf die Herkunft einer Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Unternehmen oder einer geschäftlichen Bezeichnung dienen, liegt unmittelbar nahe. Zu denken ist bei besonders kreativen und ausgefallen Signets und Logos jedoch auch an urheberrechtlichen Schutz, der allerdings insoweit gewisse Unsicherheiten mit sich bringt, als er kein Registerschutz ist. Der Verwender eines Logos wird daher im Regelfall bis zu einem ersten Verletzungsprozess nicht sicher wissen, ob die Gerichte das jeweilige Signet oder Logo für hinreichend schöpferisch und damit urheberrechtlich schutzfähig halten. Zudem sind die Hürden für den urheberrechtlichen Schutz bei Signets und Logos regelmäßig eher hoch. Als weiteres mögliches Registerrecht (welches aber auch in nicht eingetragener Form Schutz genießen kann) zum Schutz von Signets und Logos kommt das Geschmacksmusterrecht in Betracht, das nicht nur dreidimensionale Gestaltungen schützen kann, sondern auch zweidimensionale Muster. Besteht kein Sonderrechtschutz aus einem der drei zuvor genannten Gebiete, stellt sich sodann die Frage, ob auf der Grundlage des Rechts des unlauteren Wettbewerbs Schutz gegen die Nachahmung von Signets und Logos erreicht werden kann. Schließlich ist zu prüfen, ob allgemeiner bürgerlich-rechtlicher Schutz auch hinsichtlich der Verwendung von Signets und Logos neben oder statt der zuvor genannten Sondergesetze aus dem Bereich des Geistigen Eigentums in Betracht kommen kann.
§2 Markenrechtlicher Schutz 8
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Ein Signet oder Logo kann zunächst markenrechtlichen Schutz genießen. Dieser Schutz wird regelmäßig durch Anmeldung und nachfolgende Eintragung des Signets oder Logos als Marke begründet. § 3 MarkenG sieht vor, dass als Marken auch Abbildungen, mithin auch Signets und Logos,1 geschützt werden können. Erforderlich ist für den markenrechtlichen Schutz von Signets und Logos wie für alle Marken, dass diese die allgemeinen markenrechtlichen Schutzvoraussetzungen erfüllen.2 Das Signet oder Logo muss insbesondere grafisch darstellbar sein, § 8 Abs 1 MarkenG. Dies bereitet bei Signets und Logos regelmäßig keine Schwierigkeiten. Das Signet oder Logo muss ferner zumindest ein Minimum an Unterscheidungskraft aufweisen und darf nicht rein beschreibend sein. Einfachste geometrische Formen scheiden daher für Markenschutz ebenso aus wie beschreibende Bildzeichen (Piktogramme).3 Schließlich sind auch hier die übrigen absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs 2 MarkenG zu beachten.4 Neben der Entstehung des Markenschutzes durch Eintragung gem § 4 Nr 1 MarkenG ist es auch bei Signets und Logos möglich, Markenschutz durch Erlangung von Verkehrs1
Ingerl/Rohnke § 3 MarkenG Rn 30; zum markenrechtlichen Schutz für Sportembleme und Universitätslogos Ruijsenaars GRUR Int 1998, 110.
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Zu den markenrechtlichen Schutzvoraussetzungen allgemein Teil 2 Kap 7. Ingerl/Rohnke § 8 MarkenG Rn 168, 169. Hierzu Teil 2 Kap 7.
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§2
Markenrechtlicher Schutz
geltung (§ 4 Nr 2 MarkenG) oder durch notorische Bekanntheit eines Signets oder Logos (§ 4 Nr 3 MarkenG) zu erwerben.5 Kennzeichenrechtlicher Schutz von Signets oder Logos kann zudem neben originär markenrechtlichem Schutz auch mittels des Rechtsschutzes für geschäftliche Bezeichnungen, nämlich Unternehmenskennzeichen, nach § 5 Abs 2 MarkenG erlangt werden. Wird das Signet oder Logo als besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs oder eines Unternehmens benutzt, entsteht der Schutz als Schutz der geschäftlichen Bezeichnung ohne Eintragung, Verkehrsdurchsetzung oder notorische Bekanntheit durch die Ingebrauchnahme im geschäftlichen Verkehr als tatsächliche Handlung.6 Zu beachten ist dabei allerdings, dass im Rahmen des § 5 Abs 2 MarkenG in erster Linie Bezeichnungen Schutz genießen, die ihrerseits Namensfunktion haben.7 Bei Signets und Logos ist dies nicht immer der Fall, insbesondere dann nicht, wenn das Signet oder Logo keinen Wortbestandteil enthält. Es stellt sich daher in diesen Fällen die Frage, ob auch rein bildliche Darstellungen als besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs oder Unternehmens iSv § 5 Abs 2 MarkenG Schutz genießen können. Der Bundesgerichtshof hat schon in zwei sehr alten Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass auch bildliche Darstellungen ohne Namensfunktion als besondere Bezeichnung des Betriebs oder Unternehmens Schutz genießen können.8 In der Literatur wird zurecht die Auffassung vertreten, dass auch Bildzeichen als Unternehmenskennzeichen geschützt werden müssen, sofern sie eine allgemeine kennzeichenrechtliche Unterscheidungskraft besitzen.9 Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn dem Signet oder Logo für die Unternehmensbranche jegliche Unterscheidungskraft fehlt, es rein beschreibend oder innerhalb der Branche gebräuchlich oder verkehrsüblich ist.10 Für den Schutz von Signets oder Logos als besondere Bezeichnung eines Unternehmens sollen insofern keine strengeren Anforderungen gelten, als bspw bei der Verwendung von Wappen oder Emblemen, welchen Namensschutz zuerkannt wird.11 Selbst wenn dem Signet oder Logo die individualisierende Unterscheidungskraft fehlen sollte, kann kennzeichenrechtlicher Schutz begründet werden, wenn das Signet oder Logo Verkehrsgeltung erworben hat.12 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass kennzeichenrechtlicher Schutz für Signets und Logos die nächstliegende Option ist. Dabei kann Schutz am sichersten durch Markeneintragung erworben werden, alternativ aber auch durch die bloße Verwendung als Unternehmenskennzeichen, sofern das Signet oder Logo unterscheidungskräftig ist oder Verkehrsgeltung erworben hat. Besteht ein solcher markenrechtlicher Schutz des Signets oder Logos, stehen dem Inhaber desselben die allgemeinen markenrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Schadenersatz und Vernichtung zu.13
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Hierzu Teil 2 Kap 7. Zum kennzeichenrechtlichen Schutz der geschäftlichen Bezeichnungen Teil 2 Kap 7. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 28. BGH GRUR 1956, 172, 175 – Magirus-Logo; BGH GRUR 1964, 71, 73 – personifizierte Kaffeekanne.
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Fezer § 15 MarkenG Rn 125. Fezer § 15 MarkenG Rn 125. Ingerl/Rohnke § 5 MarkenG Rn 28. Fezer § 15 MarkenG Rn 126. Zu den markenrechtlichen Ansprüchen Teil 2 Kap 7.
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Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos
2. Teil
§3 Urheberrechtlicher Schutz 17
Neben markenrechtlichem Schutz kann auch bei Signets und Logos urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommen. Dies ist allerdings mit gewissen Risiken verbunden und – wie allgemein im Urheberrecht – nur dann der Fall, wenn das fragliche Signet oder Logo Werkqualität aufweist, also gem § 2 Abs 2 UrhG als persönliche geistige Schöpfung anzusehen ist.14 Ob dies der Fall ist, muss in jedem Einzelfall geprüft werden, was deshalb risikobehaftet ist, weil die Bestätigung der Schöpfungshöhe durch ein Gericht erst in einem Verletzungsverfahren erfolgen wird. 18 Grafische Darstellungen, als welche auch Signets und Logos zu betrachten sind, können Werke der bildenden Kunst (§ 2 Abs 1 Nr 4 UrhG) sein.15 Bei solchen Werken ist die Rechtsprechung tendenziell streng, was die Anforderungen an die Schutzfähigkeit angeht.16 Es sind nur solche Gegenstände als Werke der bildenden Kunst geschützt, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht, dass nach den im Leben herrschenden Auffassungen von Kunst gesprochen werden kann; maßgeblich dafür ist die Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise.17 Keine Werke der bildenden Kunst sind banale, alltägliche und vorbekannte Gestaltungen ohne ein Mindestmaß an Individualität und Aussagekraft für den Betrachter.18 Handelt es sich hingegen um bildende Kunst mit hinreichendem ästhetischem Gehalt, wird auch die sog „kleine Münze“ geschützt, die einfache, aber gerade noch schutzfähige Schöpfungen umfasst.19 19 Bei sog angewandter Kunst, also Gebrauchskunst, ist die Rechtsprechung deutlich strenger: Die Anforderungen an das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung sind höher als bei Werken der reinen Kunst.20 Zudem wird Werken der Gebrauchskunst der Schutz der „kleinen Münze“ nicht gewährt.21 Dies wird insbesondere damit begründet, dass die entsprechenden Gestaltungen angewandter Kunst als solche grds dem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind.22 20 Um Geschmacksmusterrechtsschutz für grafische Darstellungen anzunehmen, müssen diese sich von Mustern des vorbekannten Formenschutzes unterscheiden. Da es nunmehr für die Schutzfähigkeit nicht mehr auf Überdurchschnittlichkeit ankommt, fallen unter den geschmacksmusterrechtlichen Schutz auch durchschnittliche Gestaltungen. Die Rechtsprechung behält trotz Neufassung der geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzung der Eigenart 23 für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes die Forderung eines deutlich überdurchschnittlichen Abstands der zu schützenden von einer lediglich durchschnittlichen Gestaltung bei. Um urheberrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können, muss daher auch ein Signet oder Logo regelmäßig deutlich schöpferischer sein, als es ein nur geschmacksmusterrechtlich geschütztes Logo wäre. Der Abstand zwischen beiden darf dabei nicht zu gering sein.24 14 15 16 17 18
Zum Erfordernis der Schöpfungshöhe allgemein Teil 2 Kap 1. OLG Hamburg MMR 2004, 407, 408 – Handy-Logos. Hierzu Teil 2 Kap 1. OLG Hamburg MMR 2004, 407, 408 – Handy-Logos. OLG Hamburg MMR 2004, 407, 408 – Handy-Logos; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 105.
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Gottschalk 121; hierzu Teil 2 Kap 1. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 97 mwN. Dreier/Schulze/Schulze § 2 UrhG Rn 153; hierzu Teil 2 Kap 1. Hierzu nachfolgend § 4. Vgl dazu näher Teil 2 Kap 11 Rn 2, 21 ff, 60 ff. BGH GRUR 1995, 181, 582 – Silberdistel.
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§4
Geschmacksmusterrechtlicher Schutz
Für eher simple Signets und Logos gewähren die deutschen Gerichte daher regelmäßig keinen urheberrechtlichen Schutz. Dies galt bspw für die grafisch gestaltete „1“ der ARD,25 für das früher von der Partei der Grünen verwendete Sonnenblumenlogo,26 für das Logo für die Verpackung eines Natursalzprodukts 27 und für Handy-Logos, also grafische Darstellungen, die auf dem Display eines Handys wiedergegeben werden.28 Nur in wenigen Ausnahmefällen haben die Gerichte anders entschieden: So hat der Bundesgerichtshof für den seinerzeit von der Deutschen Bundesbahn verwendeten rosaroten Elefant urheberrechtlichen Schutz ebenso für möglich gehalten,29 wie das OLG München für ein gezeichnetes Sonnengesicht,30 allerdings mit dem Hinweis, dass die Gestaltung des Klägers an der untersten Grenze des als „kleine Münze“ noch Schutzfähigen liege und daher nur über einen sehr begrenzten Schutzbereich verfüge, der nur ein Verbot identischer oder nahezu identischer Gestaltungen ermögliche. Ferner hat das OLG Hamburg für eine schöpferische Nachbildung eines Weinblattes nach dem Vorbild der Natur zugunsten des Pharmaunternehmens Boehringer urheberrechtlichen Schutz als Werk der bildenden Kunst nach § 2 Abs 1 Nr 4 UrhG bejaht und eine fast identische Übernahme dieser Gestaltung untersagt.31 Es ist daher festzuhalten, dass ein besonders schöpferisch-künstlerisch gestaltetes Signet oder Logo urheberrechtlichen Schutz genießen kann. Allerdings sind diese Fälle eher selten. Grds sind abstrakte Signets oder Logos (anders bspw als Comicfiguren) urheberrechtlich nicht geschützt. Für den Verwender eines Signets oder Logos, der sich zur Verteidigung gegen Nachahmungen auf urheberrechtlichen Schutz verlassen möchte, besteht ein nicht unerhebliches Risiko. Zu empfehlen ist dies daher zumindest als alleinige Basis für ein Vorgehen im Verletzungsfall nicht. Vorzugswürdig erscheint es, kennzeichenrechtlichen Schutz der Signets oder Logos und – wie nachfolgend erläutert – geschmacksmusterrechtlichen Schutz zu erwerben.
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§4 Geschmacksmusterrechtlicher Schutz Als weitere Schutzmöglichkeit für Signets und Logos kommt das Geschmacksmuster- 25 recht in Betracht.32 Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob auch zweidimensionale grafische Darstellungen als solche dem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind. Ausgehend vom Schutzzweck des Geschmackmusterrechts, das eigentlich der Förderung der Innovation bei der Entwicklung neuer Erzeugnisse und der Förderung der Investitionen für die Herstellung solcher Erzeugnisse dienen soll,33 könnte man zweifeln, ob auch Signets und Logos, die diesen Zwecken nicht unmittelbar dienen, geschmacksmusterrechtlich geschützt werden können. Zudem sollen nur Erscheinungsformen von industriellen oder handwerklichen Gegenständen musterfähig sein, § 1 Nr 2 GeschMG und Art 3 GemGeschMVO. Dass auch Zeichen musterfähig sind, ist jedoch allgemein anerkannt.34 25 26 27 28 29 30 31
OLG Köln GRUR 1986, 889, 890 – ARD-1. OLG München ZUM 1989, 423, 425. KG ZUM 2005, 230 – Verpackungsgestaltung. OLG Hamburg MMR 2004, 407, 408 – Handy-Logos. BGH ZUM 1995, 482 – rosaroter Elefant. OLG München ZUM 1993, 490, 491. OLG Hamburg NJOZ 2005, 124, 125 – Weinlaubblatt.
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Allgemein und ausf zum Geschmacksmusterschutz Teil 2 Kap 11. GemGeschMVO Erwägungsgrund 7; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allg Rn 8. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 673; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 33; Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124.
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Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos
2. Teil
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Als Geschmacksmuster werden Muster geschützt, die neu und eigenartig sind, § 2 Abs 1 GeschMG und Art 4 Abs 1 GemGeschMVO. Muster sind Erscheinungsformen eines Erzeugnisses, § 1 Nr 1 GeschMG und Art 3a) GemGeschMVO. Erzeugnis wiederum kann auch ein grafisches Symbol sein, § 1 Nr 2 GeschMG und Art 3b) GemGeschMVO. Mithin können auch Signets und Logos, sofern sie die Schutzvoraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen,35 geschmacksmusterrechtlich schutzfähig sind.36 Da die Neuheit und Eigenart der Gestaltung im Anmeldeverfahren allerdings nicht geprüft werden, ist es zügig und mit geringem tatsächlichem und finanziellem Aufwand möglich, geschmacksmusterrechtlichen Schutz zu erlangen. Zu beachten ist lediglich, dass im Anmeldeverfahren das Erzeugnis, in welches das 27 Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet werden soll, mit anzugeben ist, § 11 Abs 2 Nr 4 GeschMG und Art 36 Abs 2 GemGeschMVO. Bei Anmeldung eines Signets oder Logos zum Geschmacksmuster könnte daher bspw die Erzeugnisangabe „Werbeschild“37 oder „grafisches Symbol“38 gemacht werden. Einzelne Anmelder, deren Signets oder Logos aufgrund der von dem Unternehmen hergestellten Produkte regelmäßig nur auf einem bestimmten Erzeugnis verwendet werden, geben konsequenterweise dieses Erzeugnis in der Anmeldung an.39 Für den Schutzumfang eines Geschmacksmusters hat diese Angabe freilich – anders als im Markenrecht – keine beschränkende Wirkung, § 11 Abs 5 GeschMG und Art 36 Abs 4 GemGeschMVO. Die Vorteile, die Geschmacksmusterschutz eines Signets oder Logos gegenüber mar28 kenrechtlichem Schutz bietet, sind zum einen die Tatsache, dass das Geschmacksmusterrecht anders als das Kennzeichenrecht keine Benutzungsschonfrist kennt (oder gar, wie beim kennzeichenrechtlichen Schutz geschäftlicher Bezeichnungen, die Schutzgewährung von der tatsächlichen Verwendung des Signets oder Logos im geschäftlichen Verkehr abhängt) und zum anderen der Schutzumfang: Im Geschmacksmusterrecht kommt es für eine Verletzung auf Waren-, Dienstleistungs- oder Branchenähnlichkeit nicht an. Entscheidend ist allein, ob das angebliche verletzende Muster gegenüber dem geschützten Muster beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt, § 38 Abs 2 S 1 GeschMG und Art 10 Abs 1 GemGeschMVO. Hinzu kommt ferner, dass das Geschmacksmusterrecht ein Widerspruchsverfahren 29 nicht kennt, und der Inhaber des Geschmacksmusterrechts die Vermutung der Rechtsgültigkeit für sich beanspruchen kann, § 39 GeschMG und Art 85 Abs 1 GemGeschVO. Durch diese Vermutung tritt eine Beweiserleichterung nach § 292 ZPO ein, die dem Rechtsinhaber die Durchsetzung seiner Ansprüche erleichtert. Zugunsten des Rechtsinhabers wird vermutet, dass die Voraussetzungen, die für die Entstehung des Geschmacksmusterschutzes notwendig sind, insbesondere die Neuheit und Eigenart, gegeben sind. Der Verletzer muss nach § 292 ZPO dartun und beweisen, dass die Anforderungen nicht erfüllt sind.40 Der Schutz eines eingetragenen Geschmacksmusters kann nur durch Nichtigkeitsantrag oder Nichtigkeitsklage angegriffen werden.
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Hierzu ausf Teil 2 Kap 11. Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124. So Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 33. Diese Erzeugnisangabe findet sich in der Locarno-Klassifikation in der Klasse 20-03. So Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124. Diese Erzeugnisangabe findet sich in der LocarnoKlassifikation in der Klasse 99-00.
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Wie bspw der Chip-Hersteller Intel Corporation, der für die Anmeldungen bestimmter Logos als Geschmacksmuster die Erzeugnisangabe „Laptop Computer“ angibt. Brückmann/Günther/Beyerlein/Günther § 39 GeschmMG Rn 1.
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§4
Geschmacksmusterrechtlicher Schutz
Nachteil des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes von Signets und Logos gegenüber markenrechtlichem Schutz ist allerdings, dass Letzterer bei hinreichender Verlängerung und/oder Benutzung zeitlich unbegrenzt gewährt wird, während der Geschmacksmusterschutz spätestens nach 25 Jahren endet. Um von den Vorteilen beider Schutzrechte zu profitieren, haben insbesondere unmittelbar nach Inkrafttreten der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung einige Unternehmen mit der Praxis begonnen, ihre Signets oder Logos auch als Gemeinschaftsgeschmacksmuster schützen zu lassen.41 Einige dieser nun als Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützten Signets und Logos waren Verbrauchern in Europa bereits vor der Anmeldung als Gemeinschaftsgeschmacksmuster bekannt. Es darf vermutet werden, dass sich unter den ersten Gemeinschaftsgeschmacksmusteranmeldungen daher zahlreiche Signets und Logos befinden, die die von Amts wegen nicht geprüfte Schutzvoraussetzung der Neuheit nicht erfüllen und im Nichtigkeitsverfahren daher zu löschen wären. Ein neues und eigenartiges Signet oder Logo kann mithin nach Anmeldung und Eintragung als nationales oder als Gemeinschaftsgeschmacksmuster bis zu 25 Jahren Schutz genießen, und zwar unabhängig davon, ob es zugleich Markenschutz genießt. Ein Verbot des Doppelschutzes gibt es nicht.42 Um die Neuheitsschädlichkeit der Veröffentlichung einer Markenanmeldung für den (eingetragenen) Geschmacksmusterschutz zu vermeiden, ist zu empfehlen, das Signet oder Logo möglichst gleichzeitig sowohl als Marke als auch als Geschmacksmuster anzumelden, sofern beide Schutzrechte gewünscht sind. Ein Signet oder Logo kann aber auch als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster den begrenzten dreijährigen Schutz, den ausschließlich das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht (Art 11 GemGeschMVO), nicht hingegen das deutsche Geschmacksmusterrecht, vorsieht, beanspruchen. Dies setzt ebenfalls Neuheit und Eigenart der Gestaltung voraus. Da das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster durch Veröffentlichung in der Gemeinschaft entsteht, kann es als Nebenprodukt einer Veröffentlichung der Markenanmeldung des betreffenden Signets oder Logos erwachsen, ohne dass hierfür weitere Schritte erforderlich sind.43 Da Unternehmen Signets oder Logos regelmäßig längerfristig zu benutzen beabsichtigen, wird der Schutz des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters, der eigentlich dem Schutz der Gestaltung von Saisonartikeln namentlich in der Modebranche zugedacht ist, ihnen von Ausnahmen abgesehen keinen wesentlichen Mehrwert bringen. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass insbesondere eingetragene Geschmacksmuster eine zügige und kostengünstige Möglichkeit zur Erlangung zusätzlichen Registerschutzes für Signets und Logos sein können. Als einziges Schutzrecht sollten sie jedoch nur dann erwogen werden, wenn das anmeldende Unternehmen sicher weiß, dass die Zeitdauer der Verwendung des betreffenden Signets oder Logos die maximale Schutzdauer des Geschmacksmusters von 25 Jahren nicht übersteigen wird. Dieser Zeitraum wird insbesondere bei wesentlichen Unternehmenslogos regelmäßig nicht ausreichen. Trotz der Tatsache, dass die Schutzvoraussetzungen der Neuheit und Eigenart im Anmeldeverfahren nicht geprüft werden, muss der Anmelder eines solchen Geschmacks41 42
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Hierzu auch Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allg Rn 36: Jede Bildmarke kann als Geschmacksmuster eingetragen werden. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 674; Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124: Durch die amt-
lichen Veröffentlichungen von Markenanmeldungen werden laufend Musterrechte in Form von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern geschaffen, ohne dass der Markeninhaber darauf Einfluss hätte.
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Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos
2. Teil
musters sich dessen bewusst sein, dass insbesondere bei allzu offensichtlichem Fehlen dieser Voraussetzungen die Gefahr von Nichtigkeitsanträgen oder Nichtigkeitsklagen Dritter besteht. Besteht geschmacksmusterrechtlicher Schutz für ein Signet oder Logo, bestehen auch 35 insoweit die allgemeinen geschmacksmusterrechtlichen Untersagungsansprüche.44
§5 Wettbewerbsrechtlicher Schutz 36
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Sofern zum Schutz eines Signets oder Logos weder ein Kennzeichenrecht existiert noch Geschmacksmusterrechte geltend gemacht werden können und das Signet oder Logo mangels Schöpfungshöhe auch nicht erfolgreich mit dem Instrumentarium des Urheberrechts gegen Nachahmer verteidigt werden kann, stellt sich die weitergehende Frage, ob der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz, den das UWG vorsieht, oder andere Bestimmungen des UWG in derartigen Fällen nutzbar gemacht werden kann. Nach §§ 4 Nr 9a, 3 UWG ist es unlauter, Waren oder Dienstleistungen anzubieten, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn der Anbietende dadurch eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Nach §§ 4 Nr 9b, 3 UWG ist es zudem wettbewerbswidrig, Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers nachzuahmen, wenn dabei die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausgenutzt oder beeinträchtigt wird. Fraglich ist, inwieweit diese Bestimmungen neben dem sondergesetzlich geregelten Markenrecht zum Schutz gegen die unerlaubte Verwendung von identischen oder ähnlichen Signets und Logos durch Dritte Anwendung finden können. Als Grundsatz gilt hierbei, dass wettbewerbsrechtliche Ansprüche neben (möglichen) markenrechtlichen Ansprüchen nur dann bestehen können, wenn sie sich gegen ein wettbewerbswidriges Verhalten richten, das als solches nicht Gegenstand der markenrechtlichen Regelung ist.45 Gerade bei den Bestimmungen in § 4 Nr 9a und b UWG ist dies problematisch, da die Regeln des Markenrechts auch Fragen der Herkunftstäuschung und der Rufausbeutung betreffen. Regelmäßig scheidet wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz daher auch in Fällen aus, in welchen markenrechtlicher Schutz deshalb nicht in Betracht kommt, weil das nachgeahmte Signet oder Logo keinen Markenschutz genießt oder nicht den hierfür erforderlichen Bekanntheitsgrad aufweist.46 Im Regelfall ist daher davon auszugehen, dass fehlender Markenschutz für ein Signet oder Logo nicht durch Rückgriff auf den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz des UWG behoben werden kann.47 Allerdings hat sich der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 2003 noch zum alten UWG etwas großzügiger geäußert und dort angenommen, dass in Fällen, in welchen markenrechtliche Ansprüche mangels Bestehens von Markenrechten nicht in Betracht kommen, die Übernahme eines fremden, nicht unter Sonderrechtsschutz stehenden Leistungsergebnisses, das auch in der Kennzeichnung von Produkten liegen kann, als 44 45
Hierzu Teil 2 Kap 11. BGH GRUR 2003, 332, 335 – Abschlussstück.
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Bornkamm GRUR 2005, 97, 102. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.11.
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§5
Wettbewerbsrechtlicher Schutz
unzulässige Ausbeutung nach § 1 UWG a.F. wettbewerbswidrig sein kann, sofern besondere Umstände hinzutreten, die das Verhalten unlauter erscheinen lassen.48 Nur in Ausnahmefällen kann daher mit Erfolg auf den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz zurückgegriffen werden, auch wenn markenrechtlicher Schutz eines Signets oder Logos nicht oder noch nicht besteht. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn das Signet oder Logo bei den beteiligen Verkehrskreisen in gewissem Umfang bereits Bekanntheit erlangt hat und grds dazu geeignet ist, aufgrund der Benutzung als betriebliches Herkunftszeichen zu wirken. Ferner ist erforderlich, dass die Anlehnung an ein solches Signet oder Logo ohne hinreichenden Grund in der verwerflichen Absicht geschieht, Verwechselungen herbeizuführen oder den Ruf des anderen Wettbewerbers zu beeinträchtigen oder auszunutzen.49 In der Literatur wird abweichend von der bisweilen etwas großzügigeren Auslegung der Rechtssprechung die Auffassung vertreten, dass dies nur dann gelten solle, wenn zugleich die mit dem Signet oder Logo gekennzeichnete Ware oder Dienstleistung nachgeahmt wird, nicht hingegen dann, wenn ausschließlich das Signet oder Logo imitiert wird.50 Neben den Fallvarianten in § 4 Nr 9 UWG ist ein gleichsam ergänzender Schutz gegen die unlautere Aneignung des eigenen Signets oder Logos durch Dritte in Fällen denkbar, in welchen solches Handeln als gezielte Behinderung eines Mitbewerbers angesehen werden kann, die nach §§ 4 Nr 10, 3 UWG unlauter ist. Dies ist bspw dann der Fall, wenn ein Dritter ein Signet oder Logo, für welches (noch) kein formaler Kennzeichenschutz in Deutschland besteht, in Kenntnis des Besitzstandes des Vorbenutzers ohne sachlichen Grund das Signet oder Logo oder eine hiermit verwechslungsfähige Kennzeichnung für gleiche oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen für sich anmeldet, um die weitere Verwendung des Signets oder Logos durch den Vorbenutzer zu verhindern.51 Für die Wettbewerbswidrigkeit eines solchen Verhaltens ist es bspw ausreichend, wenn der Dritte das Signet oder Logo mit der Absicht für sich anmeldet, das Eindringen des möglicherweise bereits im Ausland aktiven Verwenders des Signets oder Logos auf den deutschen Markt zu verhindern.52 In derartigen Fällen kann der berechtigte Vorbenutzer neben der Möglichkeit, nach den Bestimmungen des Markengesetzes die Löschung der Marke wegen bösgläubiger Markenanmeldung zu verlangen, aus § 8 Abs 1 S 1 UWG wegen des Verstoßes gegen § 4 Nr 10 UWG die Rücknahme der Markenanmeldung oder die Einwilligung in die Löschung der bereits eingetragenen Marke verlangen.53 Ein Rückgriff auf die Bestimmungen des UWG ist zum Schutz eigener Signets oder Logos mithin nur in Ausnahmefällen denkbar. Grds haben die Bestimmungen des Kennzeichenrechts, die das Markengesetz vorsieht, Vorrang. Nutzt ein Wettbewerber Lücken im kennzeichenrechtlichen Schutz eines Signets oder Logos hingegen in wettbewerbswidriger Absicht aus, oder treten sonst Unlauterkeitselemente zu dem Handeln des Verletzers hinzu, kann ein Rückgriff auf Bestimmungen des UWG in Betracht kommen.
48 49 50 51
BGH GRUR 2003, 973, 974 – Tupperwareparty. BGH GRUR 1997, 754, 755 – grau/magenta; OLG Köln GRUR-RR 2003, 26, 27. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.11. BGH GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI
52 53
2000; BGH GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.84. BGH GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000.
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Kapitel 9 Rechtlicher Schutz von Signets und Logos
2. Teil
§6 Zivilrechtlicher Schutz
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51
Schließlich stellt sich die Frage, ob neben dem zuvor beschriebenen Sonderrechtsschutz aus dem Marken-, Urheber-, Geschmacksmuster und Wettbewerbsrecht zudem ein allgemein zivilrechtlicher Schutz gegen die unbefugte Verwendung eines Signets oder Logos durch Dritte beansprucht werden kann. Nach § 12 BGB wird der Gebrauch des Namens eines Berechtigten gegen ein Bestreiten des Namensrechts durch Dritte oder die unbefugte Verwendung durch Dritte geschützt. Wird dieses Recht verletzt, kann der Berechtigte Beseitigung und Unterlassung verlangen. Auch hier stellt sich jedoch die Frage, ob diese Bestimmung des zivilrechtlichen Namensschutzes auf Signets oder Logos übertragen werden kann. Grds gilt, dass Geschäftsbezeichnungen und Kennzeichen, die unabhängig vom Namen einer natürlichen oder der Firma einer juristischen Person geführt werden, nur dann unter den Schutz des § 12 BGB fallen, wenn sie ihrerseits Namensfunktion haben und unterscheidungskräftig sind.54 Bei Signets und Logos ist fraglich, ob diesen eine solche Namensfunktion zukommt, wenn sie nicht zugleich namensbildende Wortbestandteile enthalten. Auf reine Bildzeichen ist § 12 BGB nur dann unmittelbar anwendbar, wenn das Bildzeichen durch ein Wort ausgedrückt werden kann (Salamander, Apple). Ist dies hingegen nicht möglich, bleibt nur eine entsprechende Anwendung des § 12 BGB.55 Einen solchen Schutz in entsprechender Anwendung des § 12 BGB hat der BGH für das Wahrzeichen des Roten Kreuzes 56 wie auch für unterscheidungskräftige Wappen und Vereinsembleme 57 angenommen. Dies gilt in gleicher Weise für Signets und Logos. Sofern diese Namensfunktion haben und unterscheidungskräftig sind, stellt eine ungenehmigte Verwendung des Signets oder Logos eine zivilrechtliche Namensanmaßung dar, die eine Zuordnungsverwirrung hervorrufen kann, weil der unrichtige Eindruck erweckt wird, der berechtigte Träger der Bezeichnung habe deren Verwendung zugestimmt.58 Insbesondere in Fällen, in denen die unerlaubte Verwendung des Signets oder Logos im nichtgeschäftlichen Bereich geschieht, können deshalb in Fällen wie den zuvor genannten Ansprüche aus § 12 BGB analog bestehen.
54 55 56
Palandt/Heinrichs/Ellenberger § 12 BGB Rn 10. Palandt/Heinrichs/Ellenberger § 12 BGB Rn 11. BGH GRUR 1994, 844 – Rotes Kreuz.
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58
BGH GRUR 1993, 151 – Universitätsemblem; BGH GRUR 1976, 644, 646 – Kyffhäuser. Fouquet GRUR 2002, 35, 37.
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Kapitel 10 Domainrecht Literatur Allmendinger Probleme bei der Umsetzung namens- und markenrechtlicher Unterlassungsverpflichtungen im Internet GRUR 2000, 966; Apel/Große-Ruse Markenrecht versus Domainrecht. Ein Plädoyer für die Paradigmen des Markenrechts im Rechtsvergleich WRP 2000, 816; Bähler ua (Hrsg), Internet-Domainnamen. Funktion. Richtlinien zur Registration. Rechtsfragen, Zürich 1996 (Orell-Füssli-Verlag); Bäumer Domain Namen und Markenrecht (Die Gerichtspraxis in den Vereinigten Staaten) CR 1998, 174; Baum Die effiziente Lösung von Domainnamenskonflikten, München 2005; Barger Cybermarks: A proposed hierarchical modeling system of registration and internet architecture for domain names, John Marshall Law Review 29 (1996), 623; Bettinger Kennzeichenrecht im Cyberspace: Der Kampf um die Domain-Namen GRUR Int 1997, 402; Bettinger Abschlussbericht der WIPO zum Internet Domain Name Process CR 1999, 445; ders Kennzeichenkollisionen im Internet, Mayer-Schönberger ua (Hrsg), Das Recht der Domain-Namen, Wien 2001, 139; ders Internationale Kennzeichenkonflikte im Internet, Lehmann (Hrsg), Electronic Business in Europa. Internationales, europäisches und deutsches Online-Recht, München 2002, 201; ders in: Bettinger/Leistner Werbung und Vertrieb im Internet, Köln, 2002; ders Domain Name Law and practice, Oxford, 2005; Biermann Kennzeichenrechtliche Probleme des Internet WRP 1999, 997; Brandl/Fallenbröck Der Schutz von Internet Domain Namen nach UWG RdW 1999, 186; Bröcher Domainnamen und das Prioritätsprinzip im Kennzeichenrecht MMR 2005, 203; Bücking Namensund Kennzeichenrechte im Internet (Domainrecht), Stuttgart 2002; ders Update Domainrecht: Aktuelle Entwicklung im deutschen Recht der Internetdomains MMR 2000, 656; Burgställer Die neue „doteu“-Domain Medien & Recht 2004, 214; Dieselhorst Marken und Domains, in: Moritz/Dreier (Hrsg), Rechtshandbuch E-Commerce, Köln 2002, 260; Eckhard Das Domain-Name-System. Eine kritische Bestandsaufnahme aus kartellrechtlicher Sicht, Frankfurt 2001; Erd Probleme des OnlineRechts, Teil 1: Probleme der Domainvergabe und -nutzung KJ 2000, 107; Erdmann Gesetzliche Teilhabe an Domain-Names. Eine zeichen- und wettbewerbsrechtliche Untersuchung GRUR 2004, 405; Ernst Verträge rund um die Domain MMR 2002, 709; Ernstschneider Zeichenähnlichkeit, Waren-/ Dienstleistungsähnlichkeit, Branchennähe im Domain-Rechtsstreit Jur PC Web-Dok 219/2002; Fallenböck/Kaufmann/Lausegger Ortsnamen und geografische Bezeichnungen als Internet-DomainNamen ÖBl 2002, Heft 04, 164; Fezer Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen WRP 2000, 669; Flint Internet Domain Names, Computer Law & Security Report 13, 1997, 163; Florstedt www.Kennzeichenidentitaet.de. Zur Kollision von Kennzeichen bei Internet-Domain-Namen, Frankfurt 2001; Forgó Das Domain Name System, Mayer-Schönberger ua (Hrsg), Das Recht der Domain Namen, Wien 2001, 1; Froomkin Wrong Turn in Cyberspace: Using ICANN to Route around the APA and the Constitution, Duke University Law Journal, October 2000, 17; Gabel Internet: Die Domain-Namen NJW-CoR 1996, 322; Graefe Marken und Internet MA 1996, 100; Haar/Krone Domainstreitigkeiten und Wege zu ihrer Beilegung, Mitt 2005, 58; Haas Die französische Rechtsprechung zum Konflikt zwischen Domain-Namen und Kennzeichenrechten GRUR Int 1998, 934; Hagemann Rechtsschutz gegen Kennzeichenmissbrauch unter Berücksichtigung der InternetDomain-Problematik, Frankfurt 2001; Höhne Namensfunktion von Internet Domain Names? ecolex 1998, 924; Huber/Dingeldey Ratgeber Domain-Namen, Starnberg 2001; Jaeger-Lenz Markenund Wettbewerbsrecht im Internet: Domains und Kennzeichen, Lehmann (Hrsg), Electronic Business in Europa. Internationales, europäisches und deutsches Online-Recht, München 2002, 161; ders Die Einführung der .eu-Domains – Rechtliche Rahmenbedingungen für Registrierung und Streitigkeiten WRP 2005, 1234; Joller Zur Verletzung von Markenrechten durch Domainnames, Mar-
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
kenrecht 2000, 10; Kapferer/Pahl Kennzeichenschutz für Internet-Adressen („Domains“) öBL 1998, 275; Kazemi Schutz von Domainnamen in den Beitrittsstaaten MMR 2005, 577; Kilcher InternetStreitigkeiten: Domain-Grabbing RdW 1999, 638; Kleinwächter ICANN als United Nations der Informationsgesellschaft? MMR 1999, 452; Körner Der Schutz der Marke als absolutes Recht – insbesondere die Domain als Gegenstand markenrechtlicher Ansprüche GRUR 2005, 33; Kort Namens- und markenrechtliche Fragen bei der Verwendung von Domain-Namen DB 2001, 249; Koos Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut – Begründung und Konsequenzen einer Absolutheit des Rechts an einer Domain MMR 2004, 359; Kur Internet Domain Names – Brauchen wir strengere Zulassungsvoraussetzungen für die Datenautobahn? CR 1996, 325–331; Kur Kennzeichnungskonflikte im Internet, in: Straus (Hrsg) Aktuelle Herausforderungen des geistigen Eigentums. Festgabe von Freunden und Mitarbeitern für Friedrich-Karl Beier zum 70. Geburtstag, Köln 1996, 265, 277; ders Namens- und Kennzeichenschutz im Cyberspace CR 1996, 590; ders Neue Perspektiven für die Lösung von Domainnamenkonflikten: Der WIPO-Interim Report GRUR Int 1999, 212; ders Territorialität versus Globalität – Kennzeichenkonflikte im Internet WRP 2000, 935; Lehmann Domains – weltweiter Schutz für Name, Firma, Marke, geschäftliche Bezeichnung im Internet? WRP 2000, 947; Marwitz Domainrecht schlägt Kennzeichenrecht? WRP 2001, 9; ders Das System der Domainnamen ZUM 2001, 398; Mayer-Schönberger/Hauer Kennzeichenrecht & Internet Domain Namen, Ecolex 1997, 947; Mayer-Schönberger/Galla/Fallenböck (Hrsg) Das Recht der Domain-Namen, Wien 2001; Meissner/Baars Zur Zuständigkeit der Registrierung von Domain-Namen JR 2002, 288; Meyer Neue Begriffe in Neuen Medien – Eine Herausforderung für das Markenrecht GRUR 2001, 204; Müller Alternative Adressierungssysteme für das Internet – Kartellrechtliche Probleme MMR 2006, 427; Nägele Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Internet-Domains WRP 2002, 138; Nordemann Internet-Domains und zeichenrechtliche Kollisionen NJW 1997, 1891; Omsels Die Kennzeichenrechte im Internet GRUR 1997, 328; Pfeiffer Cyberwar gegen Cybersquatter GRUR 2001, 92; Racz Second-Level-Domains aus kennzeichenrechtlicher Sicht, Frankfurt 2001; Rayle Die Registrierungspraktiken für Internet-DomainNamen in der EU, München 2003; Reinhart Kollisionen zwischen eingetragenen Marken und Domain-Namen WRP 2001, 13; ders Bedeutung und Zukunft der Top-Level-Domains im Markenrecht einerseits und im Namen- und Wettbewerbsrecht andererseits WRP 2002, 628; Ruff DomainLaw: Der Rechtsschutz von Domain-Namen im Internet, München 2002; Samson DomainGrabbing. Ein Vergleich der Rechtslagen in den USA und Deutschlands, München 1998; ders Domain-Grabbing in den USA: Ist die Einführung des „Trademark Cyberpirarcy Prevention Act“ notwendig? GRUR 2000, 137; Schack Internationale Urheber-, Marken- und Wettbewerbsverletzungen im Internet MMR 2000, 59 und 135; de Selby Domain name disputes – a practical guide, American Journal of Entertainment Law 22 (2001), 33; Schafft Die systematische Registrierung von Domain-Varianten. Nicht sittenwidrig, sondern sinnvoll CR 2002, 434; ders Streitigkeiten über „.eu“-Domains GRUR 2004, 986; Schließ Übertragung von Domainnamensrechten ZUM 1999, 407; Schmittmann Domain Names von Gebietskörperschaften – Streitpunkte in der Praxis K&R 1999, 513; Schmidt-Bogatzky Zeichenrechtliche Fragen im Internet GRUR 2000, 959; Schönberger Der Schutz des Namens von Gerichten gegen die Verwendung als oder in Domain-Namen GRUR 2002, 478; Schumacher/Ernstschneider/Wiehager Domain-Namen im Internet, Berlin/Heidelberg 2002; Sobola Homepage, Domainname, Meta-Tags – Rechtsanwaltswerbung im Internet NJW 2001, 1113; Stratmann Internet Domain Names oder der Schutz von Namen, Firmenbezeichnungen und Marken gegen die Benutzung durch Dritte als Internet-Adresse BB 1997, 689; Thiele Internet Provider auf Abwegen – Zur Rechtsnatur der Domainbeschaffung, ecolex 2004, 777; ders US-amerikanisches Gesetz gegen Domaingrabbing Wirtschaftsrechtliche Blätter 2000, 549; ders InternetDomain-Namen und Wettbewerbsrecht, Gruber/Mader (Hrsg), Internet und eCommerce. Neue Herausforderungen im Privatrecht, Wien 2000, 75; Ubber Rechtsschutz bei Missbrauch von Internet-Domains WRP 1997, 497; ders Markenrecht im Internet, Heidelberg 2002; Ullmann Wer suchet der findet – Kennzeichenrechtsverletzungen im Internet GRUR 2007, 663; Viefhues Reputationsschutz bei Domain Names und Kennzeichenrecht MMR 1999, 123; ders Domain-Name-Sharing MMR 2000, 334; ders Folgt die Rechtsprechung zu den Domain-Names wirklich den Grundsätzen des Kennzeichenrechtes NJW 2000, 3239; ders Domain-Names. Ein kurzer Rechtsprechungsüberblick MMR-Beilage 8/2001, 25; ders Wenn die Treuhand zum Pferdefuß wird MMR 2005, 76; Völker/Weidert Domain-Namen im Internet WRP 1997, 652; Wegner Der rechtliche Schutz von
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Internetdomains CR 1999, 157; Wiebe Zur Kennzeichnungsfunktion von Domain Names CR 1998, 157; Wilmer Offene Fragen der rechtlichen Einordnung von Internetdomains CR 1997, 562.
Übersicht § 1 Kennzeichenrechtliche Vorgaben . . I. Kollisionsrechtliche Vorfragen II. Allgemeiner Namensschutz über § 12 BGB . . . . . . . . . . . III. Schutz von Domains nach dem MarkenG . . . . . . . . . . . 1. Domain als Marke, § 3 MarkenG . . . . . . . 2. Domain als Unternehmenskennzeichen, § 5 Abs 2 MarkenG . . . . . . . . . 3. Titelschutz, § 5 Abs 3 MarkenG . . . . . . . . . 4. Benutzung im geschäftlichen Verkehr . . . . . . . . . .
Rn
Rn
. .
1–81 1–4
.
5–16
.
17–62
.
17–19
.
20–25
.
26–29
5. Verwechselungsgefahr . . . . 32–41 6. Gleichnamigkeit . . . . . . . 42–46 7. Gattungsbegriffe . . . . . . . 47–59 8. „com”-Adressen . . . . . . . 60–62 IV. Reichweite von §§ 823, 826 BGB und § 3 UWG . . . . . . . . . . 63–69 V. Rechtsfolgen einer Markenrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . 70–75 1. Unterlassungsanspruch . . . . 70 2. Schadensersatz durch Verzicht 71–75 VI. Verantwortlichkeit der DENIC für rechtswidrige Domains . . . 76–81 § 2 Streitschlichtung nach der UDRP . . . 82–91
.
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§1 Kennzeichenrechtliche Vorgaben I. Kollisionsrechtliche Vorfragen Das Markenrecht steht an der Schnittstelle von Wettbewerbs- und Immaterialgüter- 1 recht. Obwohl dies mit dem wettbewerbsrechtlichen Gedanken des finalen Markteingriffs nicht vereinbar ist, wird kollisionsrechtlich das Territorialitätsprinzip angewandt. Über das anzuwendende Recht entscheidet daher die reine Möglichkeit des technischen Abrufs; für das Markenrecht gilt folglich jedwedes Recht eines beliebigen Abrufstaates.1 Wirbt also ein Hersteller im Internet für ein markenrechtsverletzendes Produkt, wird er zu einem Mittäter gemacht, selbst wenn die Werbung unter einer im Ausland registrierten „com“-Domain erfolgt.2 Diese strenge Haltung wird jedoch zunehmend von Obergerichten durchbrochen. So schränkte das OLG Karlsruhe 3 zu Recht die Anwendung der allgemeinen kennzeichenrechtlichen Kollisionsregeln auf Kennzeichenkonflikte im Internet ein. Dabei soll die Einschränkung materiell-rechtlich, durch eine normative Einschränkung des Kennzeichenrechts, und nicht kollisionsrechtlich vorgenommen werden. Erst wenn die Internetinformation einen über die bloße Abrufbarkeit im Inland hinausreichenden Inlandsbezug aufweist, soll eine Verletzungshandlung im Inland gegeben sein. Für die nicht-markenrechtlichen Kennzeichenrechte, etwa nach §§ 12, 823 BGB, gilt 2 traditionell schon immer Ähnliches. Nach dem hier einschlägigen Grundsatz des bestimmungsgemäßen Abrufs ist nicht das Recht jeden Abrufstaats, sondern nur das Recht desjenigen Staates zu beachten, dessen Staatsangehörige zu den intendierten Nutzern des 1 2
KG Berlin NJW 1997, 3321 – Concert Concept. Österreichischer Oberster Gerichtshof GRUR Int 2002, 265.
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OLG Karlsruhe MMR 2002, 814 mit Anm Mankowski.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
Angebots zählen.4 Dann ist noch zu klären, ob die Verbreitung nicht nur zufällig, sondern gewollt in Deutschland erfolgt ist. Jedoch ist die „Bestimmung“ einer Homepage in vielen Fällen nur schwierig festzustellen. Als Ansatzpunkte werden herangezogen – die Sprache der Website 5 (Problem: englische Sprache), – die deutsche Staatsangehörigkeit von Kläger und Beklagtem,6 – Werbung für die Website in Deutschland,7 – die Verwendung deutscher Währungen,8 – der Geschäftsgegenstand betrifft typischerweise auch Deutschland.9 Disclaimer auf der Homepage, die darauf verweisen, dass sich die Homepage nur an 3 Kunden aus bestimmten Ländern richtet, kommt große Wichtigkeit zu. Jedoch ist aber gerade hinsichtlich der Domainfrage die Wirksamkeit eines solchen Disclaimers mehr als zweifelhaft.10 Bezogen auf Arzneimittelwerbung im Internet hat der I. Zivilsenat des BGH einen solchen Disclaimer im Rahmen einer Streitigkeit über die Lieferung einer Online-Apotheke für zulässig erachtet.11 Sofern nicht der allgemeine Gerichtsstand des § 12 ZPO (Wohnsitz des Beklagten) in 4 Betracht kommt, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts aus § 32 ZPO. Für den deliktischen Gerichtsstand des § 32 ZPO wird darauf abgestellt, wo die Domain über das Internet abrufbar ist12 oder ob sich die Internetseite mit dem rechtsverletzenden Inhalt im Bezirk des angerufenen Gerichts im konkreten Fall habe auswirken sollen.13 Für die internationale Zuständigkeit werden die Zuständigkeitsregeln der ZPO analog angewendet, sofern nicht bi- oder multilaterale Staatsverträge (insbesondere die VO 44/2001) zur Anwendung kommen.14 Die Verordnung Nr 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit geht ähnlich von einem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (Art 2) und vom deliktischen Gerichtsstand am Handlungs- oder Erfolgsort (Art 5 Nr 3)15 aus. Gerade die Möglichkeit, am Erfolgsort zu klagen, läuft auf einen fliegenden Gerichtsstand ähnlich wie im Presserecht hinaus.16 Das OLG Karlsruhe stellt darauf ab, wo der Domain-Name im Internet bestimmungsgemäß abrufbar ist.17 Die Reich4 5
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11 12 13 14
So etwa OLG Karlsruhe K&R 1999, 423 – Bad-Wildbad.com. OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 332, 335 – nimm2.com; OLG Hamm MMR 2004, 177 – nobia.se. LG Braunschweig CR 1998, 364 – delta.com. LG Hamburg CR 2000, 617 mit Anm Bettinger MMR 2000, 763 – last-minute.com. OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 332, 335 – nimm2.com; OLG Hamm MMR 2004, 177 – nobia.se. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 383, 385. S dazu KG Berlin GRUR Int 2002, 448, 449 – Knoblauch; LG Frankfurt aM Urteil vom 10. 8. 2001, CR 2002, 222, 223 mit Anm Dieselhorst; Kur WRP 2000, 935, 938; Mankowski MMR 2002, 817, 819. BGHZ 167, 91, 108. LG Köln Mitt 2006, 183 – postbank.com. LG Krefeld MMR 2007, 798. S dazu auch die Überlegungen am Ende des Skriptums.
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Zur Anwendbarkeit im Kennzeichenrecht KG Berlin RIW 2001, 611, 613; OLG Karlsruhe MMR 1999, 604 – bad wildbad; öOGH GRUR Int 2000, 795 – Thousand Clowns. So auch OLG Karlsruhe MMR 2002, 814, 815; OLG München CR 2002, 449, 450 mit Anm Mankowski – literaturhaus.de; OLG Hamburg MMR 2002, 822 – hotelmaritime.dk; s auch öOGH GRUR Int 2002, 265, 266 – Red Bull. OLG Karlsruhe MMR 1999, 604; ähnl auch LG München I CR 2000, 464 mit Anm Röhrborn; ähnl auch Bettinger GRUR Int 1997, 402, 416; Bettinger/Thum GRUR Int 1999, 672; Mankowki CR 2002, 450, 451; Omsels WRP 1997, 328, 336 f; Renck NJW 1999, 3587, 3592 f; eine ähnl Argumentation findet sich in britischen Entscheidungen, zB 800-Flowers Trade Mark (2001) EWCA Civom 721 (CA).
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
weite der internationalen Zuständigkeit bei Domainstreitigkeiten hat der BGH in der Entscheidung „maritime.dk“18 entgültig dahingehend klargestellt, dass es zur Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art 5 Nr 3 EuGVÜ ausreiche, dass die Verletzung des geschützten Rechtsguts im Inland behauptet wird und diese nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Davon, dass eine Rechtsverletzung tatsächlich eingetreten ist, sei die Zuständigkeit nicht abhängig. Jedoch sei materiellrechtlich zu beachten, dass nicht jedes im Inland abrufbare Angebot ausländischer Dienstleistungen im Internet bei Verwechselungsgefahr mit einem inländischen Kennzeichen iSv § 14 Abs 2 Nr 2 MarkenG kennzeichenrechtliche Ansprüche auslösen könne. Erforderlich sei ein wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug des Angebots.19
II. Allgemeiner Namensschutz über § 12 BGB Außerhalb des geschäftlichen Verkehrs ist § 12 BGB für den namensrechtlichen Kenn- 5 zeichnungsschutz einschlägig. Als lex generalis umfasst er das MarkenG und § 37 HGB. Geschützt sind neben Namen natürlicher Personen, Berufs- und Künstlernamen20 auch die Namen juristischer Personen, insbesondere Firmen. Der Schutz des § 12 BGB erstreckt sich auch auf öffentlich-rechtliche Körperschaften, die sich so gegen eine unbefugte Nutzung ihres Namens im privatrechtlichen Verkehr wehren können.21 Der Name eines rechtsfähigen Vereins genießt allenfalls den Schutz des § 12 BGB, sofern dessen Namen hinreichende Unterscheidungskraft zukommt.22 Nicht geschützt sind Gattungsbezeichnungen, wie „Marine“,23 „Datenzentrale“,24 oder „Volksbank“,25 oder eine allgemein bekannte geographische Bezeichnung wie „Canalgrande“.26 Anders als das postmortale Persönlichkeitsrecht erlischt das Namensrecht mit dem Tod des Namensträgers.27 Der BGH 28 und das BVerfG 29 haben außerdem das vertragliche Recht an einer Internetdomain dem Schutzbereich des Art 14 GG zugeordnet. Der EuGH 30 hat diese vermögensrechtliche Auffassung im Grunde bestätigt. Mittlerweile besteht in der Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber, dass Do- 6 main-Namen trotz ihrer freien Wählbarkeit dem Schutz des § 12 BGB unterstehen.31 Gerade in der freien Wählbarkeit des Domain-Namens durch zB beliebige Zahlenund/oder Buchstabenkombinationen liege laut LG Frankfurt am Main 32 die Eignung als Kennzeichnungsfunktion mit Namensfunktion, wenn dabei eine Unternehmensbezeichnung gewählt werde. Im vorliegenden Fall wollte die L.I.T. Logistik-Informations-Transport Lager & Logistik GmbH den Domain-Namen lit.de benutzen. Ebenso unterstellt das LG Bonn 33 den Domain-Namen detag.de dem Schutz des § 12 BGB, da sich die
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BGH MMR 2005, 239. So auch OLG München MMR 2005, 608. Zu Pseudonymen s BVerfG MMR 2006, 735 – maxem.de; LG Köln CI 2000, 106. BGH GRUR 1964, 38 – Dortmund grüßt. BGH GRUR 2005, 224 – Literaturhaus. LG Hamburg MMR 2001, 196. BGH GRUR 1977, 503. BGH NJW-RR 1992, 1454. LG Düsseldorf CR 2002, 839. BGH MMR 2007, 106; BGH NJW 2007, 224 – Klaus-Kinski.de.
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BGH NJW 2005, 3353. BVerfG MMR 2005, 165. EuGH MMR 2008, 29, 30. OLG Köln MMR 2001, 170; vgl aber zuvor: LG Köln CR 1997, 291 f = BB 1997, 1121 = GRUR 1997, 377 = NJW-RR 1998, 976. LG Frankfurt am Main NJW-RR 1998, 974 = MMR 1998, 151. LG Bonn NJW-RR 1998, 977.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
Buchstabenkombination aus den Anfangsbuchstaben der Unternehmensbezeichnung, nämlich Deutsche Telekom AG, zusammensetze. Fragwürdig ist, ob durch die Verwendung eines fiktiven Namens im Internet ein 7 Namensschutz begründet werden kann; das OLG Köln hatte dies bejaht,34 der BGH dann aber in der Revision abgelehnt.35 Pseudonyme sind, selbst wenn sie im Personalausweis eingetragen sind, nur dann namensrechtlich geschützt, wenn sie Verkehrsgeltung erlangt haben. Eine nur vorübergehende Gestaltung von Webseiten unter einem Pseudonym ist dazu jedenfalls nicht ausreichend.36 Zu weit geht jedenfalls das OLG Hamburg in der Entscheidung „Emergency“,37 in der der Senat jedweder Domain ein allgemeines Namensrecht – auch ohne Bezug auf ein konkretes Unternehmen oder Produkt – zubilligen will.38 Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Bezeichnungen von Kommunen auch 8 bei Verwendung als Bestandteil einer Domain namensrechtlich geschützt sind.39 So macht derjenige, der sich einen Stadtnamen für die Domain seiner Homepage auswählt, von einem fremden, durch § 12 BGB geschützten Namen Gebrauch und erweckt den Eindruck, dass unter seiner Domain die Stadt selbst als Namensträgerin im Internet tätig werde. Der Schutz erstreckt sich auf Stadtteilnamen,40 die Gesamtbezeichnung „Deutschland“41 oder die Namen staatlicher Organisationen.42 Auch auf deutsche Übersetzungen ausländischer Staatsnamen erstreckt sich der Schutz.43 Für Aufsehen sorgte diesem Zusammenhang die Entscheidung des LG Mannheim in Sachen „Heidelberg“.44 Das Gericht stellte bei einer Benutzung der Internetadresse „www.heidelberg.de“ durch die Heidelberger Druckmaschinen GbR eine Verletzung des Namensrecht der Stadt Heidelberg gem § 12 BGB fest. Jedoch sind Gemeinden, deren Namen nicht von überragender Bedeutung sind, von dieser Praxis ausgenommen,45 zumindest wenn die Domain dem Familiennamen des Geschäftsführers der GmbH entspricht, die die Domain nutzt.46 34
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OLG Köln MMR 2001, 170 – maxem.de; ähnl LG München I CR 2001, 124 – nominator.de. BGH K&R 2003, 563 mit Anm Schmittmann – maxem.de; best durch das BVerfG CR 2006, 770; ähnl OLG Hamm MMR 2005, 381 – juraxx. AG Nürnberg ZUM-RD 2004, 600 – kerner.de. OLG Hamburg CR 1999, 184. Hinzuweisen ist auch darauf, dass nach 4 (a) (ii) der UDRP legitimate interests die Verwendung einer Domain legitimieren können. Zu den „legitimate interests“ zählt die Bekanntheit einer Domain in der Szene; s Toyota vom J Alexis, D 2003-0624 und Digitronics vom Sixnet D 2000-0008. S etwa BGH WRP 2007, 77 – solingen.info; BGH CR 2006, 678; OLG Karlsruhe K&R 1999, 423 – Bad.Wildbad.com; OLG Brandenburg K&R 2000, 406 mit Anm Gnielinski; OLG Köln MMR 1999, 556 (Ls) mit Anm Biere K&R 1999, 234. S dazu LG Flensburg K&R 2002, 204 – sandwig.de (in der Entscheidung wird allerdings wegen Gleichnamigkeit einer natür-
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lichen Person ein Anspruch der Stadt abgelehnt); LG München I CR 2002, 840 mit Anm Eckhardt. LG Berlin MMR 2001, 57. LG Nürnberg MMR 2000, 629 – Pinakothek. LG Berlin MMR 2007, 60 – tschechischerepublik.at. LG Mannheim ZUM 1996, 705 mit Anm Flechsig CR 1996, 353, mit Anm Hoeren; ähnl LG Braunschweig NJW 1997, 2687 – („Braunschweig“) und OLG Hamm MMR 1998, 214 mit Anm Berlit; LG Lüneburg CR 1997, 288; OLG Frankfurt MMR 2000, 36 – ambiente.de; LG Ansbach NJW 1997, 2688 – ansbach.de; OLG Köln GRUR 2000, 799; so auch die Rechtslage in Österreich vgl etwa öOGH MMR 2002, 452 – Graz2003.at. LG Osnabrück MMR 2006, 248, das darauf abstellt, dass die Kommune einem nennenswerten Teil der Bevölkerung bekannt sein muss, damit ein Anspruch aus § 12 BGB gerechtfertigt sei. LG Augsburg MMR 2001, 243 – boos mit Anm Florstedt 825; best durch OLG Mün-
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Domain-Namen, die den Städtenamen lediglich unter Hinzufügung eines erklärenden Zusatzes verwenden, (zB duisburg-info.de),47 verstoßen ebenfalls nicht gegen § 12 BGB, allerdings gehören solche Domains, die mit dem Top-Level-Zusatz „info“ ausgestattet sind, der jeweiligen Kommune.48 Für die Geltendmachung eines Anspruchs aus § 12 BGB durch die Kommune ist auch Voraussetzung, dass die angegriffene Bezeichnung deckungsgleich mit ihrem regionalen Gebiet ist; eine Namensrechtsverletzung kann daher auch nicht geltend gemacht werden, wenn die Domain eine geographische Angabe enthält, die über die Gebietsgrenzen der Kommune hinausgeht.49 Privatpersonen, deren Name keine besonderen Bekanntheitsgrad aufweist (zB der Name Netz),50 können sich nicht dagegen zur Wehr setzen, dass ihr „Allerweltsname“ Teil einer Domain wird. Mit der Benutzung von Gebietsbezeichnungen in Domain-Namen hat sich auch das 9 OLG Rostock 51 beschäftigt. Der Kläger, ein regionaler privater Informationsanbieter, wollte seine als Marke anerkannte Bezeichnung „Müritz-Online“ gegenüber der Benutzung des Domain-Namens „mueritz-online.de“ durch das Land Mecklenburg-Vorpommern schützen. Das Gericht bejahte einen Unterlassungsanspruch des Klägers; dieser sei noch bevor sich das Land für die Domain „mueritz-online“ interessierte als Inhaber des Namens in das vom Patentamt geführte Register eingetragen gewesen. Weiter führte das OLG aus, dass die Rechte eines Landes als Gebietskörperschaft an dem Namen „Müritz“ nicht so weitreichend seien, wie die einer Stadt an ihrem Namen. Da zudem noch eine große Verwechselungsgefahr bestanden habe, sei ein Anspruch auf Unterlassung gegeben. Neben der Namensleugnung 52 schützt § 12 BGB vor allem vor der Namensanma- 10 ßung, zu der insbesondere die sog Zuordnungsverwirrung zählt.53 Eine solche liegt dann vor, wenn der unrichtige Eindruck hervorgerufen wird, der Namensträger habe dem Gebrauch seines Namens zugestimmt.54 Neben der grundsätzlichen Berechtigung, seinen Namen im Wirtschaftsleben zu benutzen, gilt eine wichtige Ausnahme außerhalb bürgerlicher Namen. So ist vor allem bei den Bezeichnungen juristischer Personen entscheidend, wann eine Bezeichnung das Merkmal eines Namens iSd § 12 BGB erfüllt. Das Recht zur namensmäßigen Benutzung bestimmt sich auch hier danach, welcher Name zuerst Verkehrsgeltung hatte. Durch diese Grundsätze wird vor allem die Rechtsprechung zu den Städtenamen geprägt; eine Namensanmaßung soll schon dann vorliegen, wenn ein Städtename als Teil einer Domain verwendet wird.55 Es komme in allen Fällen ent-
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chen MMR 2001, 692; ähnl auch LG Erfurt MMR 2002, 396 – Suhl.de; LG Düsseldorf MMR 2002, 398 – bocklet.de; anders allerdings OLG Oldenburg MMR 2004, 34, das der kleinen Gemeinde Schulenburg einen Unterlassungsanspruch gegen den gleichnamigen Domaininhaber zugestanden hat. Dazu OLG Düsseldorf CR 2002, 447. BGH NJW 2007, 682 – solingen.info; vgl auch die Vorinstanz: OLG Düsseldorf MMR 2003, 748, 749 – solingen.info; s in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des Cour d’Appel de Paris vom 29.10.2004 – 2003/04012 (unveröffentl), wonach die Agence France-Presse (AFP) als Markeninhaberin auch einen Anspruch auf die info-Domain www.afp.info hat.
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Vgl OLG Brandenburg Urteil vom 12.6.2007, Az 6 U 123/06 – schlaubetal.de. So OLG Stuttgart CR 2002, 529. OLG Rostock K&R 2000, 303. Diese kommt bei Domainstreitigkeiten nicht zum Tragen; so etwa OLG Düsseldorf WRP 2002, 1085 – Duisburg-info; anders noch derselbe Senat in NJW-RR 1999, 626 – ufa.de. BGHZ 91, 117, 120; 98, 95. BGHZ 119, 237, 245; BGH NJW 1983, 1186. OLG Köln MMR 1999, 556; ähnl auch OLG Karlsruhe MMR 1999, 604; OLG Rostock K&R 2000, 303 mit Anm Jaeger.
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scheidend darauf an, was der überwiegende Teil der Internet-Nutzer aus dem gesamten Sprachraum der Top-Level-Domain unter dem Begriff der Second-Level-Domain verstehe. So kann eine Gemeinde mit dem Namen „Winzer“ nicht gegen die Verwendung dieses Begriffs vorgehen, den die meisten als Gattungsbegriff verstehen.56 Bei Gleichnamigkeit von Namensträgern kommt Priorität dem zu, der auf eine überragende Verkehrsbedeutung verweisen kann. Ansonsten gilt der Grundsatz „first come, first served“.57 Das OLG Stuttgart schränkt das Prioritätsprinzip jedoch nicht nur bei überragender Bekanntheit ein, sondern auch dann, wenn dem Domaininhaber keinerlei objektiv schützenswertes Interesse an der Verwendung des Domainnamens zuzubilligen sei.58 Möglich ist auch die Herleitung eines Namensrechts von einem Namensträger; so kann die Domain von einem Nichtnamensträger betrieben werden,59 so lange für Gleichnamige die Möglichkeit besteht, zu überprüfen, ob die Domain für einen Namensträger registriert wurde.60 Diese Möglichkeit kann darin bestehen, dass der DENIC die Treuhänderstellung des Domaininhabers mitgeteilt wird. Außerdem kann eine Catch-AllFunktion auch dann zu einer Namensanmaßung führen, wenn die Verwendung der Second-Level-Domain keine Namensanmaßung darstellt.61 Führt eine Domain, in der ein fremder Name verwendet wird, zu einem kritischen Meinungsforum, kann dies durch die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein. Zwar hat das LG Berlin der Organisation Greenpeace die Verwendung der Domain „oil-of-elf.de“ wegen Verwechslungsfähigkeit untersagt.62 Diese Entscheidung ist jedoch durch das Kammergericht mit Hinweis auf die besonderen Interessen von Greenpeace aufgehoben worden.63 Ferner ließ das OLG Hamburg ein Meinungsforum über einen Finanzdienstleister mit der Kennung „awd-aussteiger.de“ zu.64 Eine Namensanmaßung kann schon in der bloßen Reservierung einer Domain mit fremden Namensbestandteilen gegeben sein.65 Jedoch verletzt die Verwendung einer generischen Domain nicht gleichzeitig die Namensrechte eines zufällig mit dem generischen Namen identischen Familiennamens (hier im Falle des Begriffs „Säugling“).66 Des Weiteren fehlt es an einer Namensanmaßung, wenn die Registrierung des Domainnamens einer – für sich genommen rechtlich unbedenklichen – Benutzungsaufnahme als Unternehmenskennzeichen in einer anderen Branche unmittelbar vorausgeht.67 Der BGH hat in der Entscheidung „Weltonline“ 68 bei seiner Beurteilung darauf abgestellt, ob mit der Registrierung eine erhebliche Beeinträchtigung des Namensrechts verbunden sei. Sollte der Namensinhaber die Registrierung der Domain selbst vergessen haben, liege eine solche Konstellation jedenfalls nicht vor. Das LG München I 69 bejahte eine Verletzung des Namensrechts aus § 12 BGB und in diesem Zusammenhang einen Unterlassungsanspruch der Juris-GmbH gegen ein Datenverarbeitungsunternehmen, das sich die Bezeichnung „juris.de“ hatte reservieren lassen. 56 57
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LG Deggendorf CR 2001, 266. LG Osnabrück CR 2006, 283; das Prioritätsprinzip soll nach dem LG Osnabrück nur wegen einem überragenden Interesse an Rechtssicherheit eingeschränkt werden können. OLG Stuttgart MMR 2008, 178, 179. BGH MMR 2007, 594 – grundke.de; vgl auch OLG Stuttgart CR 2006, 269. BGH MMR 2007, 594, 595. OLG Nürnberg MMR 2006, 465. LG Berlin MMR 2001, 630, 631.
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KG Berlin MMR 2002, 686; ähnl inzwischen LG Hamburg MMR 2003, 53 in Sachen „Stopesso“. OLG Hamburg MMR 2004, 415, 418. OLG Düsseldorf MMR 1999, 369 – nazar; anders LG München I MMR 2004, 771, 772 – sexquisit; LG Düsseldorf MMR 2004, 700, 701 – Ratiosoft. LG München I CR 2001, 555 – Saeugling.de. BGH MMR 2005, 313 – mho. BGH MMR 2005, 534. LG München I NJW-RR 1998, 973.
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Zwar stelle der Begriff „juris“ nur eine aus der Betreiberfirma abgeleitete Abkürzung dar; es unterfielen dem Schutz des § 12 BGB jedoch auch die Firma einer GmbH, selbst wenn sie nicht als Personenfirma gebildet sei, sowie alle anderen namensartigen Kennzeichen, insbesondere auch aus der Firma abgeleitete Abkürzungen und Schlagworte. Bei der Abkürzung „juris“ handele es sich zudem um den einzigen unterscheidungskräftigen Bestandteil der Firma, so dass sie geeignet sei, vom Verkehr her als Abkürzung des Firmennamens verstanden zu werden. Ob ein Dritter im Einverständnis eines Berechtigten für diesen eine Domain registrie- 15 ren darf ist zweifelhaft. So wird eine Namensanmaßung in einem solchen Falle durch das OLG Celle angenommen. Registriere eine Webagentur einen Firmennamen als Domain für einen Kunden, könne nach erfolgtem Dispute-Eintrag die eingetragene Werbeagentur Rechte namensgleicher Dritter verletzen und verpflichtet sein, die Domain herauszugeben.70 Der Namensträger kann gegenüber Dritten in die Registrierung seines Namens ein- 16 willigen.71 Dieser Dritte kann dann prioritätsbegründend eine Domain anmelden.72 Er verwendet so eine abgeleitete Rechtsposition zur Führung des Namens und zur Registrierung der Domain.73 Innerhalb eines Konzerns kann eine Holdinggesellschaft die Unternehmensbezeichnung einer Tochtergesellschaft mit deren Zustimmung als Domain registrieren lassen. Im Falle eines Domainrechtsstreits muss sie dann so behandelt werden, als sei sie selbst berechtigt, die Bezeichnung zu führen.74
III. Schutz von Domains nach dem MarkenG 1. Domain als Marke, § 3 MarkenG Ein Domain-Name stellt dann eine Anwendungsform der Marke dar, wenn er aus 17 einer eingetragenen Marke abgeleitet wird; auf diese Weise können also unmittelbar aus der eingetragenen Marke Rechte geltend gemacht werden. Die Domain kann auch auf andere Weise den Schutz eigener Kennzeichenrechte 18 genießen. Markenschutz kann letztlich nicht nur durch Registrierung beim DPMA entstehen, sondern auch durch Verkehrsgeltung, indem die entsprechende Domain benutzt wird.75 Jedoch ist dabei zu beachten, dass die bloße Abrufbarkeit einer Homepage noch nicht zu einer (bundesweiten) Verkehrsgeltung führt. Betreiben zum Beispiel kleine Unternehmen mit einem regionalen Wirkungskreis eine Website, führt dies nicht zu einer bundesweiten Verkehrsgeltung.76 Vielmehr ist für die Verkehrsgeltung ausschlaggebend, ob die Domain markenmäßig benutzt wird und wie hoch der Bekanntheitsgrad der auf diese Weise genutzten Domain ist. Zur Bestimmung der Verkehrsgeltung wird eine Gesamtbetrachtung der Unterscheidungskraft und der regionalen Bedeutung des Kennzeichens herangezogen. Internetspezifische Hilfsmittel können bei der Bestimmung, wie groß die Bedeutung des jeweiligen Domain-Namen ist, als Indizien zur Hilfe genommen werden, wie zB Hits, Click per view, Links (wie bei Google), Selbstdarstellung (Alta-
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OLG Celle MMR 2004, 486 – grundke.de; OLG Celle MMR 2006, 558 – raule.de.; aA OLG Stuttgart MMR 2006, 41, 46; LG München I MMR 2006, 56. LG Hannover MMR 2005, 550. OLG Stuttgart MMR 2006, 41.
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LG München I MMR 2006, 56. BGH MMR 2006, 104 – segnitz.de. OLG Köln GRUR 2008, 79; OLG München ZUM 2000, 72; LG Rostock K&R 1999, 90 – mueritz-online.de. BGH GRUR 2005, 262 – soco.de.
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vista).77 Zusätzlich spielen der Zeitraum der Benutzung, die Höhe der für die Werbung eingesetzten Mittel, die Umsätze bei gekennzeichneten Produkten sowie Umfrageergebnisse bei der Beurteilung eine Rolle.78 Jedenfalls ergibt sich die Verkehrsgeltung nicht automatisch aus Medienberichten und der eigenen Präsentation im Internet.79 In den Fällen, in denen es an der Verkehrsgeltung fehlt, muss häufig eine prioritäts19 ältere Domain einer prioritätsjüngeren Marke weichen. Nicht kennzeichnungskräftig ist das Zeichen „@“80 sowie der Zusatz „e“ für „electronic“.81 Schutzfähig sind auch nicht „interconnect“82 und „online“.83 2. Domain als Unternehmenskennzeichen, § 5 Abs 2 MarkenG
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Der umstrittenen Einordnung von Domains als Unternehmenskennzeichen kommt eine besondere Bedeutung zu. Nach der Legaldefinition des § 5 Abs 2 S 1 MarkenG handelt es sich bei Domains als Unternehmenskennzeichen um Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr als Name, als Firma oder als besondere Kennzeichnung eines Geschäftsbetriebs oder eines Unternehmens geschützt werden.84 Unternehmenskennzeichen werden gem § 5 Abs 1 MarkenG als geschäftliche Bezeichnungen geschützt und fallen auch im Internet unter den Anwendungsbereich des Markenrechts. Manche Autoren tun sich bis heute schwer, die Domain-Namen als Unternehmens21 kennzeichen anzuerkennen, obwohl anerkannt ist, dass die Domains eine Individualisierungs- und Identifizierungsfunktion erfüllen. Hintergrund dafür ist die technische Funktion der Domain-Namen: Internet-Adressen bestehen aus mehrstelligen Nummern, die durch Buchstabenkombinationen überschrieben werden. Bei Eingabe dieser Buchstabenkombination wird diese in eine IP-Adresse (Nummernkombination) umgewandelt und dient dann der Kennung für einen bestimmten Rechner. Da der Domain-Name in erster Linie nur Zuordnungsfunktion für einen bestimmten Rechner und nicht für eine bestimmte Person habe, wird teilweise eine unmittelbare Anwendbarkeit kennzeichen- und namensrechtlicher Grundsätze abgelehnt.85 Diese Auslegung verkennt jedoch die kennzeichenmäßige Nutzung von Domains, die 22 einen Namen enthalten oder namensartig anmuten.86 So bejaht auch das OLG München die Möglichkeit, dass ein Internet-Domain-Name ein Unternehmenskennzeichen sein kann, wenn das verwendete Zeichen originäre Kennzeichnungskraft oder Verkehrsgel77
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Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese internetspezifischen Nachweise bei generischen Domains nur beschränkt zum Nachweis der Bekanntheit oder der Verkehrsgeltung benutzt werden können, vgl OLG Köln MMR 2007, 326 – internationalconnection.de LG Düsseldorf MMR 2003, 131 – urlaubstip.de. LG Rostock K&R 1999, 90 – mueritz.online. BPatG CR 2000, 841. LG München I CR 2001, 48. OLG Karlsruhe 6 U 222/99 (unveröffentlicht). OLG Köln GRUR 2001, 525. Zur Rechtslage in Österreich s die Grundsatzentscheidung des OGH MMR 2000, 352 mit Anm Haller.
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Kur CR 1996, 325, 327; ähnl auch Gabel NJW-CoR 1996, 322; Graefe Marken und Internet, MA 3/96. So auch KG Berlin CR 1997, 685 – Concert Concept; OLG Karlsruhe WRP 1998, 900; OLG Düsseldorf WRP 1999, 343, 346; OLG Hamm CR 1998, 241, 242; OLG Stuttgart CR 1998, 621; OLG Köln NJW-CoR 1999, 171; LG Hamburg CR 1997, 157; OLG Hamburg MMR 2006, 608 – ahd.de. Auf die streitige Frage, ob das MarkenG überhaupt eine kennzeichenmäßige Benutzung voraussetzt, braucht hier nicht eingegangen zu werden; s hierzu befürwortend Sack GRUR 1995, 81, 93; Keller GRUR 1996, 607; krit allerdings Fezer GRUR 1996, 566; Strack GRUR 1996, 688.
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Kennzeichenrechtliche Vorgaben
tung besitze. Dies sei gegeben, wenn der Domain-Name das Dienstleistungsunternehmen bezeichne und in dieser Form im geschäftlichen Verkehr genutzt werde.87 Dieser Auffassung hat sich mittlerweile auch der BGH angeschlossen (soco.de),88 der einem Unternehmen dann ein Unternehmenskennzeichen aus der Benutzung einer Domain zuspricht, wenn der Verkehr in der (Unternehmens-)Domain nicht lediglich die Adress-, sondern auch die Herkunftsfunktion erkennt. Ebenfalls stellen alle zur Unterscheidung des Geschäftsbetriebs bestimmten Zeichen 23 iSd § 5 Abs 2 S 2 MarkenG Unternehmenskennzeichen dar, die aufgrund originärer Kennzeichnungskraft oder kraft Verkehrsgeltung geschützt sind. Sofern also die Benutzung einer Domain vom Verkehr als namensmäßige Bezeichnung einer Person oder als besondere Bezeichnung eines Unternehmens aufgefasst wird, kann sie Kennzeichenrechte generieren.89 Erworben wird das Recht an einer geschäftlichen Bezeichnung durch die Aufnahme der Benutzung. Unabhängig von deren Umfang entsteht der Schutz für unterscheidungskräftige geschäftliche Bezeichnungen durch namensmäßigen Gebrauch, wobei grundsätzlich jede Art einer nach außen gerichteten Tätigkeit ausreicht, sofern sie auf eine dauernde wirtschaftliche Betätigung schließen lässt.90 Jede nach außen in Erscheinung tretende Benutzungsform, also zB die Verwendung der Kennzeichnung auf Geschäftspapieren, im Zusammenhang mit der Anmietung oder dem Bau von Fabrik- oder Büroräumen, die Schaltung eines Telefonanschlusses, der Aufbau eines Vertriebsnetzes, oder aber der An- und Verkauf von Waren oder Dienstleistungen wie auch die Benutzung in Vorbereitung der Geschäftseröffnung, zählen hierzu. Nur interne Vorbereitungshandlungen wie zB die Ausarbeitung einer geschäftlichen Konzeption oder der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages genügen den Erfordernissen nicht. Vielmehr ist entscheidend, dass die Domain eine Unterscheidungskraft in Bezug auf ein konkretes Unternehmen aufweist.91 Nur wenn die Kennung erkennbar mit dem Namen oder mit einer Kurzform des Namens des Rechtsträgers übereinstimmt und damit über die Kennung hinaus auf den Rechtsträger selbst hinweist, greift der Schutz.92 Heutzutage gelten Domains als Marketinginstrumente. Sie haben sich von dem Status 24 einer bloßen anwenderfreundlichen Hilfestellung zu einem Werkzeug für globales Marketing entwickelt, hinter dem ein enormes Potential steckt. Heutzutage werden Domains bewusst zur Kennzeichnung eines Unternehmens oder eines Produktes im WWW ausgesucht und eingesetzt. Die Rechtsprechung tat sich zunächst bei dem vergleichbaren Fall der Verwendung 25 von unternehmensbezogenen Telegrammen und Telexkennungen mit der Einräumung eines kennzeichnungsrechtlichen Schutzes schwer.93 Schließlich wurde in der „Fernschreiberkennung“ 94-Entscheidung des BGH die Auffassung vertreten, dass jedenfalls die Benutzung einer (verwechselungsfähigen) Fernschreibkennung dann in das prioritätsältere Kennzeichen eingreife, wenn diese Benutzung kennzeichenmäßig erfolge. Letzteres nahm der erste Zivilsenat bei der Benutzung einer aus dem Firmenschlagwort bestehenden Fernschreibkennung an. Das Berufungsgericht hat als bedeutsam angesehen, dass der Fern87 88 89 90 91
OLG München ZUM 2000, 71. BGH NJW 2005, 1198 – soco.de. LG München I GRUR 2000, 800 – fnet. LG Düsseldorf 4 O 101/99 – infoshop.de (unveröffentl). OLG München ZUM 2000, 71 – tnet; KG Berlin NJW-RR 2003, 1405 – arena-berlin; LG Frankfurt aM CR 1999, 190 – warez.de; LG Braunschweig MMR 1998, 272 –
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deta.com; unzutr insofern LG München I GRUR 2000, 800 – fnet. LG Düsseldorf NJW-RR 1999, 629 – jpnw.de; BGH NJW 2005, 1198 – soco.de. Siehe RGZ 102, 89 – EKA; BGHZ 8, 387 – Telefonnummern; BGH GRUR 1955, 481, 484 – Telegrammadressen. BGH GRUR 1986, 475; vgl hierzu auch OLG Hamburg GRUR 1983, 191.
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schreibteilnehmer die Kennung selbst auswähle und damit auch eine Kennung auswählen könne, deren Buchstabenzusammenstellung geeignet sei, auf ihn hinzuweisen. Auch die Verwendung der Fernschreibkennung auf dem Geschäftspapier rechtfertige es, eine Kennung als kennzeichenmäßigen Hinweis auf das Unternehmen zu verstehen.95 Bei der Verwendung eines Namens als Third-Level-Domain handele es sich bei Anwendung dieser Gedanken im gleichen Maße um eine kennzeichenmäßige Benutzung.96 Mit der Aufgabe eines Unternehmens jedoch erlischt das Recht an einem Unternehmenskennzeichen, unabhängig von einer eventuellen Fortführung der Domain.97 3. Titelschutz, § 5 Abs 3 MarkenG
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§ 5 Abs 3 MarkenG sieht für den Titel von Zeitschriften oder Büchern einen speziellen Schutz vor,98 der im digitalen Markt eine besondere Bedeutung dadurch erlangt hat, dass der BGH in den Entscheidungen FTOS und PowerPoint 99 einen Titelschutz auch für Software zugelassen hat. Somit wird ein umfassender allgemeiner Namensschutz für alle bezeichnungsfähigen geistigen Produkte 100 eingeführt, der auch CD-ROMs und Homepages einschließen kann. Soweit durch eine Domain titelschutzfähige Produkte gekennzeichnet werden, kommt 27 für diese auch ein Titelschutz in Betracht.101 Ein solcher entsteht bei originärer Kennzeichnungskraft durch die Ingebrauchnahme in namensmäßiger Form, bei nachträglicher Kennzeichnungskraft aufgrund nachgewiesener Verkehrsgeltung.102 Hinsichtlich Internet-Zeitschriften entsteht der Titelschutz erst mit der Erstellung des fertigen Produkts und nicht schon mit der Werbung etwa mittels Inhaltsverzeichnissen.103 Möglich ist eine Vorverlagerung des Titelschutzes durch Veröffentlichung im Titelschutzanzeiger auf einen Zeitraum von 2–5 Monate, welche für Domains jedoch abgelehnt wird. Nur wenn schon ein fertiges Werk vorliege, kommt ein Schutz der Domain als Titel in Betracht. Unzureichend seien jedenfalls bloße Inhaltsverzeichnisse, der alleinige Verweis auf Eigenwerbung oder eine Internetzeitschrift mit nur wenigen Beiträgen.104 Außerdem komme bei Domains, die ein Portal bezeichnen, ein Titelschutz nicht in Betracht;105 wenn die 95
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Ähnl auch US-amerikanische Entscheidungen wie Morrim vom Midco Communication, 726 F Supp 1195 (D Minn 1989). LG Duisburg NJW-CoR 2000, 237 (Ls). Wobei diese Fortführung jedoch als Unternehmensschlagwort selbständig ein Unternehmenskennzeichenrecht begründen könnte, BGH CR 2006, 54 – seicom.de. Nur am Rande erwähnt sei der besondere Schutz geographischer Herkunftsangaben nach § 127 MarkenG, der allerdings nicht gegen die Nutzung einer Herkunftsangabe zum Aufbau einer Informationsplattform hilft; so auch OLG München MMR 2002, 115. BGH CR 1998, 5 – PowerPoint mit Bespr Lehmann; MMR 1998, 52 (Ls) mit Anm Hoeren; BGH MMR 1998, 52 (Ls) – FTOS. Makabre Erlebnisse mit dem Titelschutz hat der Verf. allerdings mit einem Berliner Anwalt gemacht, der für sich die Titel-
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schutzrechte an dem Titel „Die Verfilmung tatsächlicher Ereignisse“ in Anspruch nahm. Er habe unter diesem kennzeichnungskräftigen Titel einen Aufsatz in der ZUM veröffentlicht und sei damit in ganz Europa bekannt geworden. Deshalb dürfe ein Münsteraner Doktorand seine Dissertation nicht mit diesem Titel versehen; das Buch sei in dieser Form vom Markt zu nehmen. OLG München CR 2006, 414. OLG Hamburg ZUM 2001, 514 – sumpfhuhn.de. OLG München CR 2001, 406 – kueche online.de; ähnl auch LG Stuttgart MMR 2003, 675 – snowscoot; Fezer WRP 2000, 969, 973. OLG München MMR 2001, 381 – kueche online.de. LG Düsseldorf MMR 2003, 131 – urlaubstip.de; aA OLG München CR 2006, 414 – österreich.de.
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Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Domain jedoch der Unterscheidung von anderen Internet-Portalen diene, sei dies laut LG Stuttgart anders zu bewerten.106 Wenn der Titel nur einer von mehreren Untergliederungspunkten unterhalb einer anders lautenden Domain ist, ist auch an einen Titelschutz zu denken.107 Das LG Köln hat in seiner Entscheidung „Karriere“ Abgrenzungen zur Bestimmung 28 der Reichweite des Titelschutzes gegen Provider vorgenommen.108 Die Verlagsgruppe Handelsblatt als Antragstellerin setzte sich hier erfolgreich gegen die Verwendung des Wortes „Karriere“ als Teil einer Domain zur Wehr („www.karriere.de“). Gestützt wird dieser Antrag auf eine Entscheidung desselben Gerichtes, in der Jahre zuvor dem Handelsblatt für deren Zeitungsbeilage „Karriere“ Titelschutz zugebilligt wurde.109 Zumindest organisatorische Zusammenhänge zwischen den Parteien werden von Teilnehmern im Internet angenommen, die tatsächlich nicht bestünden. Das Landgericht hat dem Begehren in vollem Umfang stattgegeben; die Antragsgegnerin hat dem Beschluss nicht widersprochen. Ähnlich großzügig argumentierte das OLG Düsseldorf in Bezug auf „Diamantbericht“;110 im selben Sinne entschied das KG Berlin hinsichtlich des Begriffs „America“ für ein gleichnamiges Computerspiel.111 Geschützt ist laut LG Mannheim auch die Bezeichnung „Bautipp“.112 Demgegenüber argumentiert das LG Hamburg, dass ein Titelschutz nur dann gegen- 29 über Domain-Adressen geltend gemacht werden könne, wenn der Titel dermaßen bekannt sei, dass die Verwendung der Internet-Adresse für die angesprochenen Verkehrskreise ein Hinweis auf die Zeitschrift sei. In seinem Urteil 113 schränkt das Landgericht die Reichweite des Titelschutzes ein und lehnte es ab, die Verwendung der Adresse www.bike.de für ein Werbeforum zu untersagen. Es handele sich bei „bike“ erkennbar um ein Wort beschreibender Natur und für eine Bekanntheit der Zeitschrift „bike“ sei nichts vorgetragen. Auch kommt ein Schutz nur in Bezug auf ein konkretes Werk in Betracht.114 So wurde mit ähnlicher Begründung der Fachzeitschrift „Schuhmarkt“ einen Schutz gegen eine Internetagentur versagt, die sich mehrere tausend Domains, darunter „schuhmarkt.de“, hatte registrieren lassen. Das OLG Hamburg vertritt in seiner Entscheidung die Auffassung, dass es an der erforderlichen Verwechselungsgefahr mit einer Fachzeitschrift, die nur gering verbreitet und in einem beschränkten Fachkreis bekannt sei, fehle, wenn die Agentur unter der Domain eine E-Commerce-Plattform betreibe.115 An dem Zeitschriftentitel „Der Allgemeinarzt“ soll ein Titelschutzrecht bestehen, das sich aber wegen begrenzter Unterscheidungskraft nicht gegen eine Domain „allgemeinarzt.de“ durchsetzt.116 Mangels geschäftsmäßiger Benutzung konnte sich auch der bekannte Zeitungstitel „Die Welt“ nicht gegen eine Domain „weltonline.de“ durchsetzen.117
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LG Stuttgart MMR 2003, 675 – snowscoot. OLG Dresden NJWE-WettbewerbsR 1999, 130 – dresden-online. LG Köln AfP 1997, 655, 656. LG Köln AfP 1990, 330, 331. OLG Düsseldorf I-20 U 127/04 (unveröffentl). KG Berlin MarkenR 2003, 367, 369. LG Mannheim CR 1999, 528 (Ls); ähnl
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auch der OGH Wien MR 2001, 1987, 198 – „deKrone.at“. LG Hamburg MMR 1998, 46 – bike.de. OLG Hamburg MMR 1999, 159, 161, mit Anm Hackbart NJW-RR 1999, 625. OLG Hamburg MMR 2003, 668. LG Hamburg MMR 2006, 252. BGH MMR 2005, 534 – weltonline.de.
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2. Teil
4. Benutzung im geschäftlichen Verkehr
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Nur wenn die Domain im geschäftlichen Verkehr benutzt wird, unterfällt sie dem Schutz des MarkenG. Das Kriterium der Benutzung im geschäftlichen Verkehr wird dann erfüllt, wenn die Domain der Förderung eines Geschäftszweckes dient oder die Teilnahme am Erwerbsleben ausdrückt. Gleichzeitig wird also eine Verwendung von Kennzeichnungen durch private Anwender grundsätzlich nicht vom Schutzbereich des MarkenG erfasst.118 Andererseits liegt im Halten eines Domain-Namens durch eine juristische Person des Handelsrechts nicht schon deshalb eine unzulässige Zeichenbenutzung, weil diese stets im geschäftlichen Verkehr handelt.119 Wenn die Nutzung der Marke durch Private jedoch einen gewissen Umfang annimmt und über das hinausgeht, was im privaten Verkehr üblich ist, kann dies eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr sein darstellen.120 So entschied das OLG Frankfurt, dass eine private Verkaufstätigkeit dann nicht mehr vorliegt, wenn ein eBay Mitglied die privaten Verkaufsinteressen einer größeren Anzahl dritter Personen bündelt und damit ein Handelsvolumen erreicht, das ihm auf der Handelsplattform eBay eine besondere Beachtung verschafft.121 Ob die Zuweisung von Domains an Private zum Zwecke des Weiterverkaufs an Unter31 nehmen unter das MarkenG fällt, ist fraglich. Das MarkenG kann jedenfalls nur dann Anwendung finden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine geschäftliche Nutzung geplant ist, da die Zuweisung an eine Privatperson in der Regel zur rein privaten Nutzung erfolgt.122 Hierzu reicht es aus, wenn sich auf der streitgegenständlichen Internetseite Werbung befindet.123 Zumindest reicht das Angebot des Privatmannes zum entgeltlichen Rückerwerb für eine vorbeugende Unterlassungsklage aus; unter Umständen kann dann auch von einer Gewerbsabsicht ausgegangen werden. In diesen Fällen kann losgelöst vom Merkmal des geschäftlichen Verkehrs subsidiär auf § 12 BGB zurückgegriffen werden, sofern es um Unternehmenskennzeichen geht. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht zufrieden stellend, da bei der Benutzung fremder Marken als Teil einer Domain eine empfindliche Schutzlücke bestehen bleibt. Denn selbst wenn man die Reservierung einer solchen Domain als Benutzung iSv § 14 MarkenG ansieht,124 lassen sich hinsichtlich der Verwechselungsgefahr keine Aussagen zur Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit machen. 5. Verwechselungsgefahr
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Benutzt jemand unbefugt eine Domain, die das Kennzeichen eines anderen Unternehmens oder ein ähnliches Zeichen gem § 5 Abs 2 MarkenG enthält und schafft er dadurch eine Verwechselungsgefahr, so kann er auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (§§ 14, 15 Abs 2 und 4 MarkenG).125 Dritten ist es auch ohne Verwechselungsgefahr 118 119 120 121 122 123 124
So auch, MMR 2002, 167 = CR 2002, 285 = K&R 2002, 319 – lotto-privat.de. BGH GRUR 2007, 888. LG Berlin GRUR-RR 2004, 16. OLG Frankfurt GRUR 2004, 1042. S auch Kur FG Beier 1996, 265, 273. LG Hamburg MMR 2000, 436 – lucky strike. Dafür Ubber WRP 1997, 497, 507; ähnlich jetzt auch BGH WRP 2003, 1215 – maxem.de; dagegen mit guten Gründen OLG Dresden CR 2001, 408 – kurt-biedenkopf.de; OLG Köln, MMR
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2002, 167 – lotto-privat.de; OLG Karlsruhe MMR 2002, 118 – dino.de; LG München I 17 HKO 16815/03 – sexquisit.de; Bücking NJW 1997, 1886, 1888; Völker/Weidert WRP 1997, 652, 657; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 14 – metrosex.de. Eigenartig die Hinweise des BGH MMR 2005, 534 – welt; dort will der BGH einen Schutz gegen die Registrierung nur zulassen, wenn damit eine erhebliche Beeinträchtigung des Namensrechts verbunden ist. Mittelbare Verwechselungsgefahr reicht aus; s die Entscheidung des United States District
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
untersagt, fremde Zeichen zu benutzen, sofern es sich um im Inland bekannte Unternehmenskennzeichen handelt und durch die Nutzung des fremden Zeichens deren Unterscheidungskraft oder Wertschätzung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausgenutzt oder beeinträchtigt werden (§ 15 Abs 3 MarkenG). Bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln des Schädigers ist dieser dem Inhaber der Bezeichnung zum Ersatz des entstehenden Schadens verpflichtet (§ 15 Abs 5 MarkenG). Für Fehlverhalten seiner Angestellten oder Beauftragten haftet ein Betriebsinhaber gem § 15 Abs 6 iVm § 14 Abs 7 MarkenG. Dabei ist die Beurteilung der Verwechselungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Insbesondere zwischen der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke besteht eine Wechselwirkung, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt.126 Als Ergebnis ist bei Warenidentität ein wesentlich deutlicherer Abstand der Zeichen selbst erforderlich, um Verwechselungsgefahr auszuschließen, als bei einem größeren Warenabstand.127 Durch Übertragung dieser Vorgaben auf das Internet ist festzustellen, dass jedes 33 Unternehmen nach § 15 Abs 2 und 4 MarkenG die Verwendung ihres Kennzeichens in einer Internet-Adresse durch einen Konkurrenten verbieten kann. Bereits durch die Tatsache, dass der Eindruck entsteht, Markenrechtsinhaber und Domaininhaber könnten zusammenarbeiten, kann ein Konkurrenzverhältnis zustande kommen. Auch die ansonsten privilegierte Benutzung einer Marke gem § 23 Nr 3 MarkenG, um auf den Vertrieb von Ersatzteilen hinzuweisen, stellt eine Markenverletzung dar, wenn die verletzte Marke lediglich mit dem Zusatz „ersatzteile“ als Domain geführt wird, da eine solche Nutzung nicht notwendig iSd § 23 Nr 3 MarkenG ist, weil auch eine andere Domainbezeichnung gewählt werden könnte.128 Verweise auf der Homepage gelten als besonders gefährlich. Bereits durch die einfache Verbindung des Users auf der Homepage durch Links oder Frames mit dem Rechteinhaber zu branchenahen Unternehmen wird eine Zurechnung angenommen.129 Selbst ein einfacher Verweis auf eine fremde Website soll zur Zurechnung ausreichen.130 Im Übrigen reicht bei Serienzeichen schon das gedankliche Inverbindungbringen der jüngeren mit der älteren Marke, so zB der Domain „immobilien24“ mit der Deutschen Bank 24.131 Bei grenzüberschreitenden Fällen ist ein wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug erforderlich.132 Eine Verwechselungsgefahr scheidet grundsätzlich bei Branchenverschiedenheit der 34 Unternehmen bzw der durch die Marken angesprochenen Verkehrskreise aus.133 Dies gilt insbesondere für lediglich registrierte Domains, bei denen ja ein Bezug zu einer Branche fehlt.134 Gem §§ 14 Abs 2 Nr 1, 2, 15 Abs 3 MarkenG ist auch nicht-konkurrierenden
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Court, N.D. Illionois vom 17.7.1996 in Sachen Actmedia Inc. VOM Active Media International, Civil Docket Nr 96C3448, 1996 WL 466527 (N.D. Ill.); vgl Zur Verwechselungsgefahr bei Marken: § 14 MarkenG. EuGH NJW 1999, 933 – Canon; BGH GRUR 2000, 608 – ARD1; BGH GRUR 2000, 506 – Attachè/Tisserand. OGH 4 Ob 238/04k – sexnews.at (unveröffentlicht). LG Düsseldorf CR 2007, 118 – catersatzteile.de; ähnl OLG Düsseldorf MMR 2007, 188 – Peugeot-tuning.de.
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S zur Verwechselungsgefahr durch Links auf Homepages der gleichen Branche LG Mannheim MMR 2000, 47; Ferner zur Zeichenähnlichkeit bei identischen Dienstleistungen LG München, CR 2007, 536 – Go Yellow. LG Berlin 16 O 236/97 (unveröffentlicht). BGH NJW-RR 2002, 829 Bank 24; anders aber OLG Hamburg MMR 2007, 384 – test24.de. BGH NJW 2005, 1435 – maritime.dk. OLG Frankfurt MMR 2000, 486 = WRP 2000, 772. Anderer Ansicht aber LG Düsseldorf CR 1996, 325 – epson. Das LG wollte auf die
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2. Teil
Unternehmen die Benutzung fremder bekannter Kennzeichen als Bestandteil ihrer Adresse verboten, soweit dies zu Behinderung bzw zu einer Ausnutzung der Wertschätzung („Rufausbeutung“) führt. Eine Behinderung der unternehmerischen Ausdehnung wird bejaht, wenn der DomainName für den Inhaber des Kennzeichens blockiert ist.135 Als vorwerfbar gilt schon die Registrierung ohne sachlichen Grund.136 Auch die Massenregistrierung von Domains mit Bezug auf bekannte Kennzeichen (sog Domain Name Trafficking) reicht aus.137 Ähnliches gilt für die unmittelbare Umleitung einer Website auf eine andere zentrale Homepage des Domaininhabers138 und für die Inanspruchnahme deutlich über den Registrierungskosten liegender Vergütungen für die Übertragung der Domain auf den Markenrechtsinhaber (sog Cyber-Squatting).139 Ausreichen soll es ferner, wenn für die Kunden der Markenrechtsinhaberin durch die fehlende Benutzung der konnektierten Website der Eindruck entstehen könnte, die Inhaberin stecke in geschäftlichen Schwierigkeiten.140 Der Tatbestand der Rufausbeutung ist dann erfüllt, wenn ein Internet-Nutzer zum Aufrufen einer Homepage verleitet wird, für die er sich sonst, ohne die inkriminierte Kennzeichenverwendung nicht entschieden hätte. Dies gilt jedenfalls bei bekannten Kennzeichen.141 Kritisch ist allerdings zu vermerken, dass die bloße Ausnutzung einer erhöhten Aufmerksamkeit noch keine Rufausbeutung darstellt. Durch die Domainnutzung müsste noch eine Steigerung der Wertschätzung der eigenen Produkte des Domaininhabers dazu kommen. In der „Krupp“-Entscheidung 142 wurde trotz Branchenverschiedenheit – Stahlindustrie/Online-Agentur – die Verwässerungs- und Verwechselungsgefahr bejaht. Begründet hat das OLG Hamm seine Entscheidung mit der überragenden Verkehrsgeltung des Unternehmens Krupp, das, so der Senat, für eine ganze Epoche deutscher Industriegeschichte stehe und fast zum Synonym für die Stahlindustrie schlechthin geworden sei. Zu bedenken ist bei einem solchen Kennzeichenschutz das besondere Freihaltebedürfnis der Mitbewerber, da Adressen im Internet ein knappes Gut sind; dies gilt vor allem für die Angaben auf der Second-Level-Domain.143 Die Rechtsprechung ging für den früheren Ausstattungsschutz nach § 25 WZG davon aus, dass bei einfachen Beschaffenheits- und Bestimmungsangaben ein überwiegendes Freihaltebedürfnis der Allgemeinheit
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Prüfung der Produktähnlichkeit in diesen Fällen gänzlich verzichten; ähnlich auch OLG Rostock MMR 2001, 128; LG München I NJW-CoR 1998, 111; LG Bochum 14 O 152/97 – hellweg; Biermann WRP 1999, 999; Wagner ZHR 1998, 712 f; aA aber zu Recht Bettinger in: Mayer-Schönberger 138, 147 f; Fezer WRP 2000, 669. OLG Dresden K&R 1999, 133, 136; OLG München K&R 2007, 414; LG Hamburg MD 2001, 376; LG Köln 31 O 55/99. OLG München MMR 1998, 668, 669; OLG Karlsruhe MMR 1999, 171, 172. OLG München MMR 2000, 100, 101; LG Hamburg 315 O 417/98 (unveröffentl). OLG München MMR 2000, 100, 101. LG München I CR 1998, 434; LG Bonn 1 O 374/97 (unveröffentl).
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LG Bremen MMR 2000, 375. OLG München NJW-RR 1998, 394 – Freundin; OLG Karlsruhe WRP 2000, 900 – Zwilling; OLG Düsseldorf WRP 1998, 3 43 – UFA; OLG Hamburg MD 2001, 315; ähnl LG München I 4 HKO 14792/96 (unveröffentl); LG Hamburg 315 O 478/98 (unveröffentl); LG Mannheim K&R 1998, 558 – Brockhaus; LG München I MMR 2003, 677 – freundin.de. OLG Hamm MMR 1998, 214 mit Anm Berlit. Aus diesem Grund besteht auch kein schutzwürdiges Interesse eines Kennzeicheninhabers an der Erlangung sämtlicher, mit dem eigenen Kennzeichen verwechslungsfähiger Domains, vgl OLG Hamm MMR 2007, 391.
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
zu bejahen sei.144 Soweit Konkurrenten eine mit der ihrer Unternehmenskennzeichnung identische Adresse auf der Second- oder Third-Level-Domain-Ebene145 verwenden (zB „ibm.de“ oder „ibm.eunet.de“), sind Unternehmen auf jeden Fall geschützt. In einem solchen Fall wird das NIC oder der jeweilige Provider häufig auch den 40 Namen nachträglich ändern. Ob ein Rechteinhaber gegen ähnlichlautende Domains vorgehen kann, ist umstritten. Ein Teil der Rechtsprechung lehnt dies ab. Eine registrierte Online-Adresse stehe laut OLG Frankfurt 146 lediglich einer identischen Verwendung durch einen anderen entgegen, so dass schon durch geringfügige Abwandlungen oder Zusätze die tatsächliche Sperrwirkung überwunden werden könne. Hier sollte jedoch vielmehr die allgemeine Rechtsprechung zur Verwechselungsgefahr herangezogen werden.147 In Anwendung dessen hat das LG Koblenz die Nutzung des Domain-Namens 41 „allesueberwein.de“ trotz eines einstweiligen Verbotes der Domain „alles-ueber-wein.de“ nicht verboten.148 Auch das LG Düsseldorf, das zwischen „T-Online“ und der Domain „donline.de“ eine Verwechselungsgefahr aufgrund der geringen Kennzeichenkraft der Bezeichnung T-Online verneint hat, argumentiert ähnlich großzügig.149 Verwechselungsfähig ist auch die Domain „siehan.de“ im Vergleich zum Firmenschlagwort „Sieh an!“.150 Die Domain „kompit.de“ wurde als verwechslungsfähig mit dem Unternehmenskennzeichen und der Marke „combit“ angesehen.151 Verneint wurde die Verwechslung zwischen der Domain pizza-direkt.de und der als fast beschreibend angesehenen Marke pizza-direct.152 Ebenso verneint wurde eine Markenrechtsverletzung bei der Internetdomain „mbp.de“ im Verhältnis zur Marke „MB&P“.153 In der Entscheidung „mueritz-online.de“ vertritt das OLG Rostock jedoch eine andere Auffassung.154 Ein Markenrechtsverstoß soll bereits dann vorliegen, wenn Domain-Name und Marke sich nur in Umlauten und der Groß-/Kleinschreibung unterscheiden. Zwischen „Intershop“ und „Intershopping“ wurde eine Verwechselungsgefahr bejaht.155 Abgestellt wurde dabei auf die klangliche Ähnlichkeit ab, weil Domains auch in mündlichen Gesprächen genannt werden; so bejahte das OLG Hamburg mit dieser Begründung die Verwechselungsfähigkeit von „be-mobile.de“ zu T-Mobile.156 Auch bzgl der Umlautdomains besteht ein gewisser Schutz. So wurde zB dem Domaininhaber von touristikbörse24.de die Nutzung als Domain-Grabbing durch das LG Köln157 untersagt.
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BGH GRUR 1960, 541 – „Grüne Vierkantflasche“; BGH GRUR 1960, 83 – „Nährbier“; BGH GRUR 1971, 305, 308 – „Konservendosen II; BGH GRUR 1979, 470 – „RBB/RBT“. Siehe LG Duisburg NJW-CoR 2000, 237 (Ls) – kamp-lintfort.cty.de. OLG Frankfurt WRP 1997, 341 f. ÖOGH GRUR Int 2002, 450; OLG Düsseldorf MMR 2004, 491 – mobell.de; so auch Biermann WRP 1999, 999, 1000; ähnl auch Bettinger GRUR Int 1997, 402, 415; Kur CR 1996, 590, 593; Viefhues NJW 2000, 3239, 3241; Ernstschneider Jur PC WebDok 219/2002. LG Koblenz MMR 2000, 571.
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LG Düsseldorf 34 O 56/99 (unveröffentl); anders aber LG Frankfurt aM 2-06 O 409/97 (unveröffentl) zum Fall t-online versus t-offline. OLG Hamburg MMR 2002, 682 – sieh an, mit Anm Florstedt CR 2002, 833. OLG Hamburg MMR 2006, 226. OLG Hamm NJW-RR 1999, 632. OLG München MMR 2002, 170 – mbp.de. OLG Rostock MMR 2001, 128 (Ls). OLG München NJW-CoR 2000, 308 Ls. OLG Hamburg MMR 2003, 669. LG Köln 31 O 155/04 (unveröffentl); zum Problem des Domain-Grabbing s auch OLG Düsseldorf MMR 2008, 107 m Anmerkung Goldberg; LG München I MMR 2006, 823.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
6. Gleichnamigkeit
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Weiterhin gilt zu klären, ob ein in lauterer Weise aus dem eigenen Namen abgeleiteter Domain-Name benutzt werden darf, wenn er mit einer anderen Bezeichnung kollidiert. In der Literatur wird hierzu auf das Recht der Namensgleichen abgestellt (§ 23 Nr 1 MarkenG).158 Daraus ergebe sich, dass derjenige, der zuerst seine Domain hat registrieren lassen, zum Zuge kommt. Dem Inhaber eines prioritätsälteren Kennzeichens, der die Domain noch nicht hat registrieren lassen, würden nur dann Unterlassungsansprüche zustehen, wenn die Benutzung des Domain-Namens gegen die guten Sitten verstößt. Anders das OLG Hamm159; es hat dem Inhaber eines bekannten Firmenschlagwortes aufgrund der hier erfolgten Anwendung des Gleichnamigenrechts aus dem Kennzeichenrecht gegenüber dem prioritätsjüngeren Anwender bei Gleichnamigkeit einen Unterlassungsanspruch zugesprochen. Als Domain-Namen hatte der Einzelhandelskaufmann seinen Familiennamen gewählt, der mit dem schon vorhandenen Firmenschlagwort identisch war. Nach einer Abwägung der Interessen hielt es das Gericht für zumutbar, die Adresse durch Hinzufügen geringfügiger Zusätze, die die ursprüngliche Kennzeichnungskraft nicht aufheben, zu ändern. Um eine Verwechslungs- bzw Verwässerungsgefahr zu vermeiden, musste jedoch auf die im Vorfeld gewählte Domain-Adresse in jedem Fall verzichtet werden.160 Handelt es sich allerdings nicht um eine bekannte Firma wie bei der Bezeichnung „Krupp“ im Falle des OLG Hamm, gilt der Grundsatz „first come, first served“ zu Gunsten desjenigen, der einen mit einer Firma identischen Familiennamen als erster als Domain hat registrieren lassen.161 Diese Rechtsprechung ist von anderen Gerichten fortentwickelt worden, etwa im Hinblick auf den Firmennamen Wolfgang Joop.162 Anwendbar sind diese Grundsätze jedoch nicht für kleine Unternehmen und deren Namen, sondern nur auf bekannte Marken oder Unternehmenskennzeichen.163 Auch bei normalen Städtenamen soll bei Gleichnamigkeit das Prinzip „first come, first served“ gelten.164 Mit seiner Entscheidung Hufeland hat der erste Zivilsenat des BGH diese Auffassung bestätigt.165 Begehren zwei Unternehmen die mit ihrem Firmenschlagwort identische Internetadresse, liege ein Fall der Gleichnamigkeit vor. Bei der Vergabe gelte dann weiterhin das Prioritätsprinzip; dasjenige Unternehmen, das zuerst die Anmeldung vorgenommen hat, hat dann einen Anspruch auf die Domain. Daran ändere auch eine nur regionale Tätigkeit des bei der Vergabestelle eingetragenen Unternehmens nichts. Auch das System des sog Domain-Name-Sharings166, einer Abgrenzungsvereinbarung, aufgrund derer für beide Kennzeichenrechtsinhaber ein einheitliches Portal geschaffen wird (s etwa „www.winterthur.ch“), käme als alternative Lösungsmöglichkeit in Betracht. Laut BGH könne die Gefahr der Verwechselung bei Gleichnamigkeit auch auf andere Weise ausgeschlossen werden (Vossius-Entscheidung)167. Mit Hilfe eines einfachen Hinweises auf der zentralen Einstiegsseite könne der Domaininhaber deutlich machen, dass es sich nicht um das Angebot des klagenden Namensinhabers handele. Wo 158 159 160
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Kur FG Beier 1996, 265, 276. OLG Hamm MMR 1998, 214 mit Anm Berlit. So auch in der Schweiz s Schweizerisches Bundesgericht, MMR 2005, 366 mit Anm Mietzel – www.maggi.com. LG Paderborn MMR 2000, 49. LG Hamburg MMR 2000, 6220 mit Anm Bottenschein.
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Siehe LG Paderborn MMR 2000, 49. OLG Koblenz MMR 2002, 466 – vallendar.de; LG Osnabrück MMR 2006, 248. BGH WRP 2006, 238. Ausführl zum Domain-Name-Sharing vgl Haar/Krone, Mitt 2005, 58 ff. BGH MMR 2002, 456 mit Anm Hoeller = CR 2002, 674 mit Anm Koschorreck.
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
das Angebot des Namensträgers im Internet zu finden ist, könne zusätzlich angeben werden. Dies sei jedoch dann ausgeschlossen, wenn die berechtigten Interessen des Namensträgers das Interesse des Domaininhabers deutlich überwiegen. Diese Entscheidung gilt jedoch in der obergerichtlichen Entscheidungspraxis als Sonderfall. 7. Gattungsbegriffe Ob Gattungsbegriffe und beschreibende Angaben als Domain-Namen registriert werden können, ist fraglich.168 Wegen fehlender Unterscheidungskraft könnten solche Angaben markenrechtlich gem § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG oder wegen eines besonderen Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG nie einer Person zugewiesen werden. Zulässig ist daher die Benutzung von Domains wie „anwalt.de“, „notar.de“ oder „messe.de“.169 Die Kennzeichnungen dürfen aber nicht gegen andere standes- oder wettbewerbsrechtliche Vorgaben verstoßen. So ist eine Verwendung des Kennzeichen „Anwalt“ nur einem Anwalt vorbehalten; in der Benutzung dieses Kennzeichens durch einen NichtAnwalt liegt ein Verstoß gegen Standesrecht oder, wegen der damit verbundenen Kanalisierung von Kundenströmen, gegen §§ 3, 4 Nr 10 UWG bzw §§ 3, 5 UWG. In diesem Sinne wird auch die Auffassung vertreten170, dass bei rein beschreibenden und daher freihaltebedürftigen Begriffen wie „Wirtschaft“ und „Wirtschaft-Online“ ein markenrechtlicher Schutz nicht in Betracht komme. Grenzen für die Wahl solcher Beschreibungen könnten sich allenfalls aus §§ 3, 4 Nr 10 UWG bzw §§ 3, 5 UWG ergeben. Sofern dann der User der Einfachheit halber das Online-Angebot mit der umfassendsten Adressbezeichnung wähle und anderen Angeboten keine Beachtung mehr schenke, sei den Domain-Namen eine Kanalisierungsfunktion zuzusprechen. Dieser Effekt sei aber ausgeschlossen, wenn die Online-Adresse lediglich in der Werbung des jeweiligen Unternehmens benutzt werde. Im Übrigen müsse genauer auf die besonderen Nutzergewohnheiten abgestellt werden. Eine entsprechende Anwendung der Regelung des § 8 MarkenG auf die Domainregistrierung ist vom OLG Hamburg in seiner Entscheidung über die Domain „mitwohnzentrale.de“ ausgeschlossen worden.171 Das Gericht kam jedoch bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zu einem anderen Ergebnis als die vorgenannte Auffassung: es sah die Verwendung der Domain durch einen Verband von Wohnungsvermittlungsagenturen unter dem Gesichtspunkt der Kanalisierung von Kundenströmen als wettbewerbswidrig an. Kunden, die sich das Leistungsangebot im Bereich der Mitwohnzentralen erschließen wollten, würden durch die Domain „abgefangen“. Begründet hat das OLG Hamburg diese Sichtweise mit den Nutzergewohnheiten der User bei der Suche nach Internetangeboten ein. Ein nicht unerheblicher Teil der Nutzer gebe versuchsweise eine Domainadresse mit dem gesuchten Unternehmens- oder Markennamen ein, ohne nur Suchmaschinen zu nutzen. Diese Praxis dehne sich immer mehr auf Branchen-, Produkt- und Gattungs168 169 170
Vgl hierzu Kur CR 1996, 325, 328. BGH MMR 2001, 666, 670 – mitwohnzentrale.de. WRP 1997, 341 f; ähnl auch OLG Braunschweig MMR 2000, 610 – Stahlguss.de.; unzutr OLG München MMR 1999, 547 – buecher.de, das die Frage des Gattungsbegriffs mit dem Problem der kennzeichenmäßigen Benutzung verwechselt.
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OLG Hamburg MMR 2000, 40 mit Anm Hartmann CR 1999, 779 und Strömer K&R 2000, 190; s auch Hoeren EWiR 2000, 193; anders Mankowski MDR 2002, 47, 48, der für eine analoge Anwendung von § 8 MarkenG plädiert.
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2. Teil
bezeichnungen aus. Die Suche nach Alternativangeboten bleibt aus Gründen der Bequemlichkeit nach dem Auffinden einer Webseite auf diese Weise aus. Dieser Linie des OLG Hamburgs folgten weitere Gerichte, etwa hinsichtlich der Bezeichnungen „Rechtsanwalt“,172 „rechtsanwaelte.de“,173 „hauptbahnhof.de“174, „zwangsversteigerung.de“ 175 oder „deutsches-handwerk.de“176. Auch zahlreiche Literaturstimmen haben die Hamburger Leitlinien weiterverfolgt.177 Jedoch widersprachen auch Gerichte der Auffassung des OLG Hamburg, zum Bei51 spiel in Bezug auf die Termini „stahlguss.de“,178 „lastminute.com“,179 „zeitarbeit.de“,180 „autovermietung.com“,181 „fahrplan.de“,182 „sauna.de“,183 „rechtsanwalt.com“ 184 oder „kueche.de“.185 Als Begründung wurde herangezogen, dass für den Tätigkeitsbereich eine Vielzahl beschreibender Kennzeichnungen vorhanden waren.186 Noch deutlicher ist das OLG Braunschweig in der oben genannten Entscheidung, dass die Kanalisierung durch Registrierung rein beschreibender Domainnamen für sich allein nicht als wettbewerbswidrig angesehen hat.187 Das LG Hamburg stellt darauf ab, ob der Eindruck entstanden ist, es handele sich um ein Portal für eine originelle und neue Leistung. Eine Kanalisierungsgefahr sei ausgeschlossen, wenn interessierte Kreise wüssten, dass es diese Leistung von zahlreichen Anbietern gibt.188 In der bereits erwähnten Entscheidung „kueche.de“ stellte das LG Darmstadt darauf ab, ob ein „umsichtiger, kritisch prüfender und verständiger Verbraucher“ beim Aufruf der Webseite ohne weiteres erkennen kann, dass es sich um das Angebot eines Einzelunternehmens handelt. Die Begründung, dass der Internetnutzer den von ihm gewünschten Domainnamen direkt in die Browserzeile eingebe, könnte jedoch durch die zunehmende Nutzung von Suchmaschinen, insbesondere der Suchmaschine „google“, nicht mehr zeitgemäß sein. Jedenfalls wurde eine Untersuchung über die Nutzergewohnheiten der betroffenen Nutzerkreise wohl noch nicht durchgeführt; eine Abkehr von der Methode der Direkteingabe wurde noch in keinem Urteil angesprochen. Es muss deshalb weiter davon ausgegangen werden, dass zumindest ein Teil der Internetnutzer auch nach dieser Methode vorgeht. Mit seiner Entscheidung in Sachen „mitwohnzentrale de“189 hat der BGH die 52 grundsätzliche Zulässigkeit der Verwendung von Gattungsbegriffen festgestellt; die Verwendung eines beschreibenden Domain-Namens sei insbesondere nicht wettbewerbswidrig iSd § 3 UWG. Es sei lediglich ein sich dem Domaininhaber bietender Vorteil genutzt worden, was aber keine unlautere Einwirkung auf Dritte darstelle. Auch bestehe kein 172
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OLG Stuttgart MMR 2000, 164 in Bezug auf eine Vanity-Nummer, aufgehoben durch BGH CR 2002, 729. LG München I MMR 2001, 179 mit Anm Ernst CR 2001, 128 und Anm Sosnitza K&R 2001, 108; zu Domains mit Anwaltsbezug s auch OLG Celle MMR 2001, 179; OLG Hamburg MMR 2002, 824; OLG München MMR 2002, 614. LG Köln MMR 2000, 45. LG Köln MMR 2001, 55. OLG Hamburg CR 2007, 258. Ähnl auch Bettinger CR 1997, 273; Sosnitza K&R 2000, 209, 212; Ubber WRP 1997, 497. OLG Braunschweig MMR 2000, 610. LG Hamburg CR 2000, 617 mit Anm Bettinger MMR 2000, 763, 765.
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LG Köln MMR 2001, 197. LG München MMR 2001, 185. LG Köln 31 O 513/99 (unveröffentlicht). OLG Hamm MMR 2001, 237; ähnl bereits LG Münster 23 O 60/00. LG Mannheim MMR 2002, 635 (Ls); aA OLG Hamburg MMR 2002, 824. LG Darmstadt MMR 2001, 559 (Ls). LG München MMR 2001, 185. OLG Braunschweig MMR 2000, 610. LG Hamburg MMR 2000, 763, 765. BGH MMR 2001, 666 mit Anm Hoeren WRP 2001, 1286 mit Bespr Abel MDR 2002, 45, mit Anm Mankowski CR 2001, 777, mit Anm Jaeger-Lenz NJW 2001, 3262.
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Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Anlass für eine neue Fallgruppe speziell für Domains. Da kein Ausschließlichkeitsrecht drohe, sei auch keine Parallele zum Markenrecht und dem dortigen Freihaltebedürfnis von Gattungsbegriffen zu ziehen. Grenzen sieht der erste Zivilsenat dort, wo Rechtsmissbrauch drohe, etwa wenn der Gattungsbegriff sowohl unter verschiedenen TLDs als auch in ähnlichen Schreibweisen vom Verwender blockiert werde. Im Streitfall käme jedoch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt einer unzutreffenden Alleinstellungsbehauptung in Betracht.190 Die Notwendigkeit dieser beiden Einschränkungen sind in der Literatur mit Recht bezweifelt worden.191 Diese Leitlinien hat der BGH dann in der Entscheidung „weltonline.de“ bekräftigt.192 Die Registrierung von Gattungsbegriffen erfolge nach dem Prinzip „first come, first served“ und sei dem Gerechtigkeitsprinzip unterworfen und stelle somit kein unlauteres Verhalten dar. Im entschiedenen Fall sei gleichfalls festzuhalten, dass der Axel Springer Verlag sich bereits unter www.welt-online.de präsentierte und die genannte Domain nicht benötige. Es wurden dennoch Zusätze zu diesen Leitlinien entwickelt: das LG Düsseldorf 193 53 vertrat die Auffassung, dass die Verwendung des Gattungsnamens „literaturen.de“ nach § 826 BGB sittenwidrig sein könnte, wenn allein die formalrechtliche Stellung dazu benutzt werden soll, Gewinne zu erzielen, deren Höhe nicht mit irgendeiner Leistung des Rechtsinhabers in Zusammenhang steht. Anders als dann die Oberinstanz 194 nahm das LG Frankfurt in dem Angebot, unter der Domain „drogerie.de“ Subdomains zu erwerben, eine Irreführung iSv § 5 UWG an.195 Ähnlich wurde hinsichtlich der Verwendung der Domain www.steuererklaerung.de für einen Lohnsteuerhilfeverein entschieden.196 Für besondere Aufregung haben das LG Dortmund197 und das OLG Hamm198 gesorgt, als sie die Verwendung der Domain „tauchschule-dortmund.de“ wegen impliziter Spitzenstellungsbehauptung für unlauter iSv §§ 3, 5 UWG erklärten.199 Auch die Domain „Deutsches-Anwaltverzeichnis.de“ verstößt gegen § 5 UWG, da dadurch der falsche Eindruck erweckt wird, das Verzeichnis enthalte die meisten Namen der in Deutschland tätigen Anwälte.200 Bei der Domain „deutsches-handwerk.de“ besteht die Gefahr, dass ein großer Teil der Verbraucher davon ausgeht, es handele sich um die offizielle Seite einer berufsständischen Organisation des deutschen Handwerks; dieser Tatsache müsse schon auf der Eingangsseite mit einem deutlichen Hinweis begegnet werden, um wettbewerbsrechtliche Ansprüche abwehren zu können.201 Wegen Irreführung kann auch die Verwendung des TLD „.ag“ verboten sein, wenn eine entsprechende Domain von einer GmbH verwendet wird, da ein erheblicher Teil des Verkehrs sonst annehme, beim Domaininhaber handele es sich um eine Aktiengesellschaft.202 Bezogen auf Anwaltsdomains wie „anwalt-hannover.de“ oder „rechtsanwaelte-dachau.de“ ist die Haltung der Gerichte nicht einstimmig. Zum Teil wird eine solche Domain wegen Irreführungsgefahr generell 190
191 192 193 194 195 196 197
Mankowski MDR 2002, 47, 48 sieht in jeder Aneignung von Branchenbezeichnungen durch einen einzelnen Wettbewerber die irreführende Behauptung einer Spitzenstellung. S Abel WRP 2001, 1426, 1429 ff; Beater JZ 2002, 275, 278 f. BGH WRP 2005, 893. LG Düsseldorf MMR 2002, 126. OLG Frankfurt MMR 2002, 811. LG Frankfurt MMR 2001, 542 mit Anm Buecking. OLG Nürnberg GRUR 2002, 460. LG Dortmund MMR 2003, 200.
198 199
200
201 202
OLG Hamm CR 2003, 522 mit Anm Beckmann. Die Revision ist inzwischen vom BGH wegen fehlender grundsätzlicher Bedeutung nicht angenommen worden, s CR 2004, 77. LG Berlin CR 2003, 937 (Ls); ähnl für deutsche-anwalthotline.de LG Erfurt MMR 2005, 121. OLG Hamburg CR 2007, 258 – deutscheshandwerk.de. LG Hamburg MMR 2003, 796 – tipp.ag; best durch OLG Hamburg MMR 2004, 680.
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Kapitel 10 Domainrecht
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2. Teil
für verboten erachtet.203 Wieder andere sehen in der Verwendung des Singulars „anwalt“ keinen Anlass für wettbewerbsrechtliche Bedenken.204 Das OLG Stuttgart hat den Begriff „Netz“ als nicht schutzfähigen Gattungsbegriff angesehen, auch wenn jemand den Nachnamen „Netz“ führt.205 Einhellig dazu hat die die Kölner Justiz die Schutzfähigkeit der Gattungsbegriffe „bahnhoefe“ 206 und „mahngericht“ abgelehnt.207 Ähnliche Regeln gelten auch im Bereich der generischen Umlautdomains: das LG Leipzig 208 betont, dass ein Hersteller von Waren keinen Anspruch auf Unterlassung der Registrierung oder Nutzung einer IDN-Domain hat, die nur Waren beschreibt. In Anwendung von §§ 3, 4 Nr 10 UWG soll die Registrierung von Gattungsbegriffen verboten sein, wenn diese Domain-Namen zum Zweck der Behinderung eines Konkurrenten angemeldet worden sind.209 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gattungsdomains auf die eigene Domain umgeleitet werden. Als rechtlich unproblematisch hat das OLG Wien die Registrierung der Domain „kinder.at“ im Verhältnis zu einer (generischen) Wort/Bildmarke „kinder“ angesehen.210 Auch wurde ein Unterlassungsanspruch einer juristischen Zeitschrift gegen die Verwendung der Domain „versicherungsrecht.de“ durch einen Dritten vom LG und OLG Düsseldorf mangels Unlauterkeit abgelehnt.211 Auch der BGH sieht in der Verwendung der Adressen „presserecht.de“212 und „rechtsanwaelte-notar.de“213 weder eine Irreführung, noch ein Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht. In der zweiten Entscheidung in Sachen „mitwohnzentrale.de“ beurteilt das OLG Hamburg 214 die Frage, ob sich die Verwendung eines generischen Domainnamens (hier: www.mitwohnzentrale.de) nach § 5 UWG als irreführend wegen einer unzutreffenden Alleinstellungsberühmung darstellt, nicht allein nach der Bezeichnung der Domain, sondern maßgeblich (auch) nach dem dahinter stehenden Internet-Auftritt, insbesondere der konkreten Gestaltung der Homepage. Nach den Umständen des Einzelfalls kann der einfache Hinweis eines Vereins, dass auf seiner Homepage nur Vereinsmitglieder aufgeführt sind, ausreichen, um irrtumsbedingten Fehlvorstellungen entgegenzuwirken, die angesichts der generischen Domain-Bezeichnung bei Teilen des Verkehrs entstehen können. Nicht erforderlich ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf Konkurrenzunternehmen. Lateinische Bezeichnungen zählen nicht zu den Gattungsbegriffen, denn diese könnten laut LG München 215 durchaus im allgemeinen Sprachgebrauch angesiedelt sein. Da deren Übersetzung ins Deutsche jedoch nur einer geringen Anzahl an Personen mit Lateinkenntnissen möglich ist, folge daraus nicht automatisch ein Freihaltebedürfnis als Gattungsbegriff. Das Gericht gab damit dem Kläger Recht, der mit Familiennamen 203 204
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OLG Celle NJW 2001, 21000 – rechtanwalthannover.de. LG Duisburg NJW 2002, 2114 – anwaltmuelheim.de; OLG München Urteil vom 10.5.2001 – 29 U 1594/01; ähnl auch OLG München CR 2002, 757 – rechtsanwaeltedachau.de. OLG Stuttgart MMR 2002, 388. LG Köln MMR 2006, 244 – bahnhoefe.de. OLG Köln MMR 2006, 31, 32. LG Leipzig MMR 2006, 113, 114 – kettenzüge.de; ähnl LG Frankenthal GRUR-RR 2006, 13, 14 – günstig.de. OLG Hamburg MMR 2006, 328. OLG Wien WRP 2003, 109; ähnl liberal
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214 215
ÖOGH MMR 2006, 667 – rechtsanwaltsportal.at. LG Düsseldorf CR 2003, 64; OLG Düsseldorf MMR 2003, 177. BGH MMR 2003, 252 mit Anm Schulte CR 2003, 355 mit Anm Hoß. BGH MMR 2003, 256; anders wiederum die österreichische Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte in ihrer Entscheidung vom 28.4.2003, MMR 2003, 788 mit Anm Karl, in der die Kommission die Verwendung der Domain scheidungsanwalt.at als rechtswidrig ansah. OLG Hamburg MMR 2003, 537, 538. LG München MMR 2005, 620, 621.
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Fatum (lat. Schicksal) heißt und die Freigabe der bereits reservierten gleichnamigen Webadresse verlangt hatte. Seit dem 1.3.2004 besteht die Möglichkeit, Domains mit Umlauten registrieren zu las- 58 sen. Alleine die Registrierung eines bereits registrierten Gattungsbegriffs mit Umlauten stelle jedoch noch keine wettbewerbswidrige Handlung dar,216 auch wenn der Begriff mit Umlauten einfacher zu erreichen und vom Verkehr gemerkt werden kann. Somit kann ein Wettbewerber, der Inhaber der Domain ohne Umlaute ist und somit vor der Registrierungsmöglichkeit von Domains mit Umlauten einziger Inhaber des Gattungsbegriffes als Domain war, nicht gegen den neuen Inhaber von Umlautdomains vorgehen. Da der Wettbewerber nämlich weiterhin in der Lage sei, seine bisherige Domain zu nutzen, fehle es bei einem solchen Vorgehen an einer Behinderung des Wettbewerbs.217 Zu beachten gilt es, dass eine Domain auch gegen markenrechtliche Angriffe 59 geschützt sei, wenn der Verkehr in der Domain keine Marke, sondern sogleich einen Gattungsbegriff sieht. Dies gilt selbst dann, wenn eine entsprechende europäische Marke eingetragen war.218 8. „com“-Adressen Auch bei den „com“-Adressen ist die Rechtslage weiterhin ungeklärt. Grundsätzlich 60 kann sich ein Markenrechtsinhaber gegen die Verwendung seines Kennzeichens in einer „com“-Adresse in gleicher Weise zur Wehr setzen wie bei einer „de“-Adresse.219 Ähnliches gilt für die Verwendung anderer gTLDs, wie etwa im Falle von „WDR.org“ für ein Portal zum Thema Fachjournalismus.220 Da es den gTLDs an einer kennzeichnenden Wirkung fehlt; ist die Second-Level-Domain entscheidend.221 In diesen Fällen drohen oft Kollisionen zwischen den Inhabern ausländischer und 61 deutscher Kennzeichnungen, etwa bei Verwendung der Bezeichnung „persil.com“ für die im britischen Rechtskreis berechtigte Unilever. Das Hauptproblem liegt in der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen. Es haben nämlich oft beide Domain-Inhaber für ihren kennzeichenrechtlichen Schutzbereich eine Berechtigung, sofern sich nur die TopLevel-Domain ändert. So kann der amerikanische Inhaber der Domain „baynet.com“ sich auf das ihm nach US-Recht zustehende Markenrecht in gleicher Weise berufen wie die bayerische Staatsregierung auf die deutschen Rechte zur Nutzung der Domain „baynet.de“. Ein entsprechender Unterlassungsanspruch müsste auf die Nutzung der Domain im jeweiligen Heimatstaat beschränkt werden, was jedoch rein technisch gesehen nicht durchsetzbar ist. Denn schon von der technischen Ausgestaltung des world wide webs her wäre es dem Anbieter der Seite „baynet.com“ nicht möglich, den Abruf des Angebots der bayrischen Staatsregierung, „baynet.de“, in den USA zu verhindern. Dementsprechend verweigerte in der sogenannten Concept-Entscheidung 222 das KG Berlin einem Störer die Berufung auf die Einschränkungen für einen weltweiten Abruf. Darüber hinaus werden Stimmen laut, die Verwechselungsgefahr sei mit zunehmender 62 Verbreitung der neuen TLDs herabgesetzt. So ist künftig denkbar, zB Kommunen auf die Domain „XX.info“ oder „XX.museum“ zu verweisen, während die mit dem Städtenamen identische „de“-Domain dem bisherigen Domaininhaber verbleibt.223 216 217 218 219
OLG Köln MMR 2005, 763. OLG Köln MMR 2005, 763. OLG Düsseldorf MMR 2007, 187 – professional-nails.de OLG Karlsruhe MMR 1999, 604.
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LG Köln MMR 2000, 625. So auch das OLG Hamburg 3 W 8/02; www.jurpc.de/rechtspr/20020153.htm. KG Berlin NJW 1997, 3321. So etwa Reinhart WRP 2002, 628, 634 f.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
IV. Reichweite von §§ 823, 826 BGB und § 3 UWG In seiner Entscheidung „Weideglück“ 224 schlug das OLG Frankfurt neue Wege ein. Wer sich eine Domain mit fremden Namensbestandteilen registrieren lässt, die mit dem eigenen Namen und der eigenen Tätigkeit in keinem Zusammenhang steht, und zudem kein nachvollziehbares Interesse an der Registrierung ersichtlich ist, kann wegen unlauterer Behinderung in Anspruch genommen werden. Im vorliegenden Fall hatte ein Student die Kennung „weideglueck.de“ für sich registrieren lassen und gab bezogen auf den Grund der Registrierung im Prozess widersprüchliche und kaum nachvollziehbare Begründungen ab. Infolgedessen entschied das Gericht zu Gunsten des Klägers, der auf eine Reihe von eingetragenen Marken mit der Bezeichnung „Weideglueck“ verweisen konnte. Über die Anwendung des § 826 BGB schließt der Senat eine gefährliche Schutzlücke, da bei der nicht-wettbewerbsmäßigen Nutzung einer Domain, die als Bestandteil eine fremde Marke enthält, § 14 MarkenG nicht eingreift. Genauso wenig ist § 12 BGB einschlägig,225 da eine Produktbezeichnung nicht in den Anwendungsbereich der Norm fällt, sondern nur der Namen eines Unternehmens. Dessen ungeachtet betrifft die Entscheidung des OLG nur diesen besonderen Einzelfall, in dem der Beklagte zur offensichtlichen Verärgerung des Gerichts sehr widersprüchlich vorgetragen hatte; das Urteil muss also vorsichtig zu Rate gezogen werden. Des Weiteren hat das OLG Frankfurt § 826 BGB auch dann herangezogen, wenn 64 jemand sich eine Vielzahl von Domains zu Verkaufszwecken reservieren lässt und von Dritten Entgelt dafür erwartet, dass sie eigene Angebote unter ihren Kennzeichen ins Internet stellen.226 Grundlage der Entscheidung war der Rechtsstreit um die Domain „welt-online.de“. Der Kläger, die Zeitung „Die Welt“, müsse es hinnehmen, dass die Bezeichnungen „Welt“ und „Online“ als beschreibende Angaben innerhalb ihrer Domain verwendet werden könnten. Ausnahme sei aber weiterhin der Fall, dass ein Spekulant sich ohne eigenes Nutzungsinteresse eine Domain registrieren lässt und den Zeicheninhaber so behindern oder ihn dazu bringen will, die Domain anzukaufen. Eine Registrierung iSv § 826 BGB soll nach Auffassung des LG München entsprechend sittenwidrig sein, wenn sie planmäßig auf Grund einer Suche nach versehentlich frei gewordenen Domainnamen erfolgt.227 Ferner bejaht das Gericht einen Unterlassungsanspruch nach §§ 826, 1004 BGB unter dem Gesichtspunkt des „Domain-Grabbings“, wenn eine Domain, die sowohl aufgrund der konkreten Gestaltung als auch aufgrund einer bereits zuvor erfolgten jahrelangen Benutzung einer bestimmten Person eindeutig zugeordnet werden kann, ohne Zustimmung für Inhalte genutzt wird, die geeignet sind, den Ruf der Person negativ zu beeinflussen.228 Das OLG Hamburg beurteilt die Rechtslage anders. Der Senat betont in seiner Ent65 scheidung „Schuhmarkt“, die bloße Registrierung zahlreicher Domains lasse noch keinen Schluss auf die Sittenwidrigkeit zu.229 Dieser Linie folgte auch der BGH in seiner Revisionsentscheidung im Fall 66 „weltonline.de“ und hob die Entscheidung des OLG Frankfurt auf.230 Auch wenn die Annahme nahe läge, ein Unternehmen wolle einen Gattungsbegriff für seinen Internet-
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OLG Frankfurt CR 2000, 615; ähnl auch OLG Nürnberg CR 2001, 54; sowie OLG Frankfurt MMR 2001, 532 – praline-tv.de. S zu § 12 BGB unten Rn 69 ff. OLG Frankfurt MMR 2001, 696 – Weltonline.de.
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LG München MMR 2006, 824, 692 und 484, ebenso OLG München MMR 2007, 115. LG München CR 2007, 470. OLG Hamburg MMR 2003, 668, 669. BGH MMR 2005, 534.
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
auftritt benutzen, sei allein in der Registrierung dieses Begriffs noch keine sittenwidrige Schädigung zu sehen. Auch wenn die Registrierung durch einen Spekulanten erfolge, sei ein Vorgehen gegen diese Registrierung erst bei Vorliegen von Anhaltspunkten gerechtfertigt, dass diese Domain im geschäftlichen Verkehr in einer das Kennzeichen verletzenden Weise erfolge.231 Neben § 826 BGB wird manchmal auch ein Schutz über § 823 Abs 1 BGB, etwa 67 unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, thematisiert. Sollte jedoch aufgrund des Produkts und des beschränkten Personenkreises weder eine Verwechselungs- noch eine Verwässerungsgefahr bestehen, sei eine Anwendung dieses Grundgedankens auf Domains ausgeschlossen.232 Unabhängig von kennzeichenrechtlichen Vorgaben existiert ein Recht auf Nutzung 68 einer Domain, das über § 823 Abs 1 BGB als sonstiges Recht geschützt ist. Ein Eingriff in dieses sonstige Recht ist dann gegeben, wenn unberechtigterweise eine Löschung einer Domain verlangt wird; außerdem erfasst der Schutzbereich des § 823 Abs 1 BGB auch unberechtigte Dispute-Einträge.233 § 3 UWG kommt wegen dessen Subsidiarität im Bereich des ergänzenden Leistungs- 69 schutzes selten zum Tragen. Als Voraussetzung eines Behinderungswettbewerbs nach §§ 3, 4 Nr 10 UWG muss stets eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber vorliegen. Eine solche Beeinträchtigung ist jedem Wettbewerb eigen. Damit von einer wettbewerbswidrigen Beeinträchtigung und – eine allgemeine Marktbehinderung oder Marktstörung steht im Streitfall nicht zur Debatte – von einer unzulässigen individuellen Behinderung gesprochen werden kann, muss noch ein weiteres Merkmal erfüllt werden: Wettbewerbswidrig ist die Beeinträchtigung im Allgemeinen dann, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber in seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen. Lässt sich eine solche Zweckrichtung nicht feststellen, muss die Behinderung doch derart sein, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann.234 Zu beurteilen ist dies nur durch eine Gesamtwürdigung der Einzelumstände unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Wettbewerber,235 wobei sich die Bewertung an den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen orientieren muss. Besteht der Zweck einer Domainregistrierung darin, Dritte zu behindern bzw zur Zahlung zu veranlassen, und ein eigenes schützenswertes Interesse des Reservierenden nicht greifbar ist, kann eine unlautere Behinderung vorliegen.236 Blockiert der Anmelder die Verwendung eines Gattungsbegriffs durch Dritte dadurch, dass er gleichzeitig andere Schreibweisen des registrierten Begriffs unter derselben Top-Level-Domain oder dieselbe Bezeichnung unter anderen Top-Level-Domains für sich registrieren lässt, kann dies als missbräuchlich angesehen werden. Wenn die Domain als solche beleidigend ist, kommt zudem ein Eingriff in deliktsrechtlich geschützte Positionen in Betracht.237 231 232 233 234 235
236
BGH MMR 2005, 534. So etwa OLG Hamm CR 2003, 937 (Ls). OLG Köln MMR 2006, 469 mit Anm Utz. Brandner/Bergmann in: Großkomm UWG § 1 Rn A 3. Baumbach/Hefermehl/Köhler = nunmehr Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10/11, § 1 UWG Rn 208; Köhler/ Piper/Köhler = nunmehr Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 10/10, § 1 UWG Rn 285. OLG München NJW-RR 1998, 984;
237
OLG München GRUR 2000, 518, 519; OLG München GRUR 2000, 519, 520; OLG Karlsruhe MMR 1999, 171; OLG Dresden NJWE-WettbR 1999, 133, 135; OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 547; Köhler/Piper/Köhler = nunmehr Piper/ Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 10/85, § 1 Rn 327 mwN. LG Frankfurt MMR 2006, 561 – lottobetrug.de.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
V. Rechtsfolgen einer Markenrechtsverletzung 1. Unterlassungsanspruch
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Bei Verletzung eines Kennzeichens muss der Verletzer eine Unterlassungserklärung abzugeben, zu deren Abgabe er auch über § 890 ZPO gezwungen werden kann. Wer zur Unterlassung verurteilt worden ist, hat umfassend dafür Sorge zu tragen, dass die Domain bei der DENIC gelöscht und in Suchmaschinen ausgetragen wird.238 Ein einfacher Hinweis dahingehend, die Homepage sei „wegen Serverumstellung“ nicht erreichbar, ist nicht ausreichend.239 Die Pflichten des Domaininhabers, dafür Sorge zu tragen, dass die Domain in Suchmaschinen ausgetragen wird, relativiert das OLG Köln wieder; dem Verletzer sei es nicht zuzurechnen, wenn später noch über Suchmaschinen auf die verbotene Domain verwiesen werde.240 2. Schadensersatz durch Verzicht
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Ergänzend steht dem Betroffenen ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Es ist der Zustand herzustellen, der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs 1 BGB).241 Daher kann der Betroffene verlangen, dass der Verletzer eine Verzichtserklärung gegenüber der DENIC abgibt. Bei einer Löschung im DENIC-Register besteht jedoch das Risiko, dass Dritte sich die 72 freigewordene Domain sichern und der Rechtsinhaber dagegen neue gerichtliche Schritte einleiten muss. Verlangte der Rechtsinhaber eine Übertragung der Domain auf sich selbst, so ergebe sich eine Verpflichtung des Schädigers dahingehend, dass dieser gegenüber dem jeweiligen Mitglied der DENIC, von dem er die Domain zugewiesen bekommen hat, die Zustimmung zu einer solchen Namensübertragung zu erklären hat.242 Umstritten ist, ob ein solcher Anspruch besteht. Der kennzeichenrechtliche Störer sei 73 dann nicht bloß zur Beseitigung der Störung, sondern sogar zu einer Verbesserung der Rechtsstellung des Kennzeicheninhabers verpflichtet. Diesem Gedanken folgend lehnt das OLG Hamm in der „krupp.de“-Entscheidung243 einen Anspruch auf die Übertragung der Domain aus § 12 BGB ab. Dem ist insoweit zuzustimmen, dass sich der Unterlassungsanspruch regelmäßig negatorisch im „Nichtstun“ erschöpft. Allenfalls die Löschung der Domain ließe sich noch als Teil eines Beseitigungsanspruchs rechtfertigen. Wieso der Schädiger aber auch zur Übertragung der Domain verpflichtet sein soll, ist in der Tat unklar. Davon abweichend entschied das OLG München zu der Domain „shell.de“,244 in der 74 das Gericht die Situation eines Kennzeicheninhabers mit der eines Erfinders vergleicht.
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239 240 241
242
LG Berlin MMR 2000, 495; ähnl auch LG Berlin K&R 2000, 91; LG München I MMR 2003, 677 – freundin.de. LG Berlin K&R 2000, 91. OLG Köln MMR 2001, 695. Abmahnkosten kann der Betroffene bei der Durchsetzung von Rechten aus einer durchschnittlichen Markenposition gegenüber einem Privaten nicht verlangen; so das LG Freiburg MMR 2004, 41. So etwa LG Hamburg 315 O 792/97 – eltern.de, K&R 1998, 365.
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OLG Hamm MMR 1998, 214 mit Anm Berlit; ähnl auch OLG Frankfurt MMR 2001, 158; OLG Hamburg MMR 2002, 825, 826. OLG München MMR 1999, 427 (Ls) mit Anm Hackbart CR 1999, 384; ähnl auch LG Hamburg K&R 2000, 613 – audilamborghini“ (mit Hinweis auf einen Folgenbeseitigungsanspruch aus §§ 823, 1004 BGB).
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§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
Hat bezogen auf eine Erfindung eine unberechtigte Patentanmeldung bereits zum Patent geführt, so kann der Berechtigte gem § 8 Abs 1 PatG nicht lediglich Löschung, sondern Übertragung des Patents verlangen. Ähnlich gewährt § 894 BGB demjenigen, dessen Recht nicht oder nicht richtig eingetragen ist, einen Anspruch auf Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs gegen den durch die Berichtigung Betroffenen. Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelung der mit dem Internet zusammenhängenden Rechtsfragen könne man die vorgenannten Regelungen zur Lösung des Domainkonflikts heranziehen. Daraus leite sich ein Anspruch des Kennzeicheninhabers gegen den Schädiger auf Übertragung der Domain bzw auf Berichtigung der Domainregistrierung Zug um Zug gegen Erstattung der Registrierungskosten. Allerdings wendete dasselbe Gericht in einer späteren Entscheidung245 die von ihm aufgestellten Grundsätze nicht an und lehnte einen Übertragungsanspruch ab. Das LG Hamburg wiederum hat den Übertragungsanspruch als Folgenbeseitigungsanspruch bejaht, wenn hierdurch alleine die entstandene Rechtsbeeinträchtigung wieder aufgehoben wird.246 Mittlerweile hat sich auch der BGH zum Streit zwischen Hamm und München geäußert, sich der Auffassung aus Hamm angeschlossen und in Sachen Shell einen Übertragungsanspruch abgelehnt.247 Demnach steht dem Berechtigten gegenüber dem nichtberechtigten Inhaber eines Domain-Namens kein Anspruch auf Überschreibung, sondern nur ein Anspruch auf Löschung des DomainNamens zu. Mit welchen Mitteln die Beseitigung der rechtswidrigen Lage gegenüber der DENIC 75 durchzusetzen ist, ist unklar.248 Teilweise gehen die Gerichte 249 von einer Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO aus. Der Nutzer behalte sich durch das Aufrechterhalten der Registrierung das Anbieten einer Leistung vor, so dass bei einem Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld zu verhängen sei. Andere Gerichte verurteilen einen Schädiger meist zur Abgabe einer „Willenserklärung“ gegenüber der DENIC, aufgrund derer die Domain-Reservierung gelöscht werden soll.250 In einem so gelegenen Fall erfolgt die Zwangsvollstreckung über § 894 ZPO analog, so dass mit rechtskräftiger Verurteilung eine weitere Vollstreckung (etwa über Ordnungsgelder) unnötig wird. Inwieweit die Verpflichtung zur Abgabe einer Verzichtserklärung auch durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung ausgesprochen werden kann ist weiterhin umstritten.251 Fest steht allenfalls, dass eine vorläufige Übertragung aufgrund einer einstweiligen Verfügung wegen der Gefahr einer Vorwegnahme der Hauptsache nur ausnahmsweise in Betracht kommt, zB wenn dies die einzige Möglichkeit ist, über Email erreichbar zu sein.252 Ferner kann die Einwilligung in die Änderung der Eintragung grundsätzlich nicht im Eilverfahren geltend gemacht werden.253 Daher sollte der Klagantrag darauf lauten, 245 246
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OLG München MMR 2000, 104 rollsroyce.de. LG Hamburg K&R 2000, 613 – „audi lamborghini“; ähnl das LG Hamburg K&R 2000, 613 – marine; anders LG Hamburg MMR 2000, 620 – „joop“. BGH MMR 2002, 382 mit Anm Hoeren K&R 2002, 309, mit Anm Strömer K&R 2002, 306, mit Anm Foerstl CR 2002, 525; s dazu auch Ubber BB 2002, 1167; Thiele MR 2002, 198 ff. Zu den technischen Details der Vergabe von Domains s Bähler/Lubich/Schneider/Widmer Internet-Domainnamen. So etwa LG Berlin MMR 2001, 323 in
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Sachen Deutschland.de; OLG Frankfurt MMR 2002, 471. So etwa OLG München CR 2001, 406 – kuecheonline.de; LG Wiesbaden MMR 2001, 59. Dafür LG Wiesbaden MMR 2001, 59 f; dagegen OLG Nürnberg CR 2001, 54 (Ls); OLG Frankfurt MMR 2000, 752 – mediafacts.de; LG München I MMR 2001, 61. S zur Rechtslage in Österreich Burgstaller MMR 2002, 49. OLG Hamm MMR 2001, 695; OLG Frankfurt MMR 2000, 752, 753.
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Kapitel 10 Domainrecht
2. Teil
die Domain durch geeignete Erklärung gegenüber der DENIC eG freizugeben. Um eine Registrierung der Domain auf dritte Personen zu vermeiden kann bereits nach Geltendmachung des Anspruchs bei der DENIC eG ein Dispute-Eintrag beantragt werden. Dieser verhindert einerseits eine Übertragung der Domain während des laufenden Verfahrens, andererseits führt er zu einer direkten Registrierung des Antragstellers bei Freiwerden der Domain.
VI. Verantwortlichkeit der DENIC für rechtswidrige Domains 76
Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Vergabestelle selbst wegen Beihilfe bei der Verletzung von Kennzeichenrechten hat das LG Mannheim in der bekannten HeidelbergEntscheidung 254 hinterfragt – und letztendlich offen gelassen. Angesichts sich ändernder Vergaberichtlinien und Organisationsstruktur wird man die weitere Entwicklung abwarten müssen.255 Das LG Magdeburg256 hat eine Verantwortlichkeit der DENIC bejaht.257 Als neutrale Vergabestelle treffe die DENIC nur die Pflicht, die Anmeldung von Domainnamen auf grobe und unschwer zu erkennende markenrechts- oder wettbewerbswidrige Verwendung zu prüfen. Soweit sie jedoch als Mitbeklagte durch das erstinstanzliche Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Sach- und Rechtslage hingewiesen worden sei, könne sie sich nicht mehr auf dieses „Privileg“ berufen. Verweigere sie dann immer noch die Freigabe der Domain, sei sie als Mitverantwortliche anzusehen und zur Unterlassung zu verurteilen. Sie mache sich ab diesem Zeitpunkt auch schadensersatzpflichtig gem §§ 12, 823 BGB sowie §§ 5, 15 MarkenG. Dass die Verwaltung der Domains durch die DENIC eG keine namensrechtliche Be77 nutzung darstelle, vertritt das OLG Dresden in seiner Entscheidung „kurt-biedenkopf. de“.258 Daraus ergebe sich auch, dass die DENIC nicht zur Prüfung der Berechtigung eines Domain-Anmelders im Hinblick auf Namensrechte Dritter verpflichtet sei. Zur Eintragung oder Löschung sei sie nur verpflichtet, wenn ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil dem anderen die Benutzung der Domain untersage. Ähnlicher Auffassung ist auch das LG Wiesbaden 259 bzgl der Geltendmachung von Löschungsansprüchen gegen die DENIC wegen beleidigender Äußerungen auf einer Homepage. Die Nassauische Sparkasse hatte von der DENIC die Löschung der Domain r-e-y.de verlangt, da auf der Homepage angeblich Beleidigungen („Hessische Sparkassenluemmel“) geäußert würden. Eine inhaltliche Überprüfung von Webangeboten sei laut LG weder möglich noch wünschenswert, da die Aufgabe der DENIC allein die Verwaltung von Domain-Namen sei. Andernfalls könnte man auch von Dienstleistern wie der Telekom die Sperrung eines Anschlusses verlangen, wenn in einem Telefonat Beleidigungen geäußert werden. Im Falle einer Rechtsverletzung müsse man sich daher direkt an den Domain-Inhaber wenden. In seiner Entscheidung „Ambiente“ 260 lehnte auch das OLG Frankfurt eine Verant78 wortlichkeit der DENIC für Kennzeichenrechtsverstöße ab. Die Vergabestelle sei nur unter besonderen Umständen im Rahmen kennzeichenrechtlicher Ansprüche mitverant-
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LG Mannheim NJW 1996, 2736. Ähnl auch LG Köln 31 O 570/97 für „com“-Domains (unveröffentlicht). LG Magdeburg MMR 1999, 607 – foris. Die Entscheidung ist vom OLG Naumburg wieder aufgehoben worden (unveröffentlicht).
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259 260
OLG Dresden CR 2000, 408 mit Anm Röhrborn; bekräftigt durch BGH CR 2004, 531. LG Wiesbaden NJW 2001, 3715. OLG Frankfurt MMR 2000, 36 – Ambiente.
Thomas Hoeren
§1
Kennzeichenrechtliche Vorgaben
wortlich an einer Rechtsverletzung. Auch im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung der § 20 Abs 1 GWB gelte diese Beschränkung, der für die DENIC als Monopolunternehmen zur Anwendung komme. Erst wenn die DENIC vorsätzlich den ebenfalls vorsätzlich begangenen Verstoß des Dritten fördere bzw diesen in Kenntnis der Rechtswidrigkeit billigend in Kauf nehme, sei von besonderen Umständen auszugehen. Eine Mitverantwortlichkeit komme dann in Betracht, wenn die Vergabestelle nach einem Hinweis auf die angebliche Rechtswidrigkeit den Eintrag nicht sperre, obwohl er in grober Weise das Kennzeichen- oder Wettbewerbsrecht verletze. Letzteres sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die Vergabestelle unschwer erkennen könne, dass der beantragte DomainName mit dem berühmten Kennzeichen eines Dritten übereinstimme. Anders als das LG Magdeburg will das OLG Frankfurt dies im Falle von Verfahrenshinweisen erst dann annehmen, wenn ein rechtskräftiges und entsprechend vollstreckbares Unterlassungsurteil vorliege. Der erste Zivilsenat des BGH nahm sich auch des Falles „Ambiente“ 261 an und ent- 79 schied, dass die für die Registrierung zuständige DENIC vor der Registrierung grundsätzlich weder unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung noch als Normadressatin des kartellrechtlichen Behinderungsverbots zur Prüfung verpflichtet ist, ob der angemeldete Domain-Name Rechte Dritter verletzt. Weist ein Dritter die DENIC darauf hin, dass ein registrierter Domain-Name ein ihm zustehendes Kennzeichenrecht verletze, so könne sie auf eine notfalls gerichtliche Klärung dieser Frage zwischen Domain-Inhaber und Anspruchsteller verweisen. Eine Haftung als Störerin oder eine kartellrechtliche Haftung für die Zukunft komme nur in Betracht, wenn der Rechtsverstoß offenkundig und für die DENIC ohne weiteres festzustellen sei; dann müsse die beanstandete Registrierung aufgehoben werden. Ansonsten brauche sie erst tätig zu werden, wenn ein rechtskräftiges Urteil oder eine entsprechende Vereinbarung mit dem Inhaber der Registrierung die bessere Rechtsposition des Anspruchstellers bestätigt.262 Ob die DENIC weiterhin verpflichtet ist, Negativlisten zu führen, ist umstritten. So 80 verurteilte das LG Frankfurt die DENIC, bestimmte Domains nicht an Dritte zu vergeben, wenn Kennzeichenrechte eines Berechtigten einer Vergabe erkennbar entgegenstehen.263 Dies modifizierte das OLG Dresden in der Entscheidung „kurt-biedenkopf.de“ 264 jedoch dahingehend, dass eine dauerhafte Sperrung eines Domain-Namens durch die Vergabestelle nur gerechtfertigt sei, wenn jede Eintragung eines Dritten einen für den Anspruchsteller erkennbar offensichtlichen Rechtsverstoß darstelle. Das Gericht folgte weiterhin der Linie des BGH und führt aus, dass eine Handlungspflicht nur bei offensichtlichen Rechtsverstößen und bei Vorliegen eines rechtskräftigen vorläufig vollstreckbaren Urteils bestehe.
261
262
BGHZ 148 mit Anm Freytag MMR 2001, 671, mit Anm Welzel MMR 2001, 744; mit Anm Meissner/Baars JR 2002, 288. Ebenso OLG Frankfurt MMR 2003, 333 – viagratip.de; ähnl auch der österreichische OGH in seinem Urteil, K&R 2000, 328, 332, in dem es die Prüfungspflichten der österreichischen Vergabestelle bei der Zuweisung der Domain fpoe.at an einen Anbieter rechtsradikaler Inhalte geht und der OGH eine Haftung auf den Fall beschränkt hat, dass der Verletzte ein Ein-
263 264
schreiten verlangt und die Rechtsverletzung auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist. Die gleichen Überlegungen gelten der Verantwortlichkeit der Service-Provider. Das OLG Hamburg hat mit seinem Urteil, GRUR-RR 2003, 332, 335, klargestellt, dass die Regeln aus der Ambiente-Entscheidung auch für die Haftung der Service-Provider gelten. LG Frankfurt CR 2001, 51. OLG Dresden CR 2001, 408, 410.
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Kapitel 10 Domainrecht
81
2. Teil
Im Verhältnis des Domainproviders zu seinen Kunden basiert der Registrierungsauftrag für eine Domain auf einem vertraglichen Schuldverhältnis. Offen bleibt, ob es sich (in) bei einem solchen Registrierungsauftrag um einen Auftrag iSv § 662 BGB oder um ein vorvertragliches Schuldverhältnis zu dem später zustande kommenden Verwaltervertrag über die Verwaltung der Domain handelt. Die sich aus diesem Registrierungsauftrag ergebenden Pflichten lauten dahingehend, alle Anträge zeitgerecht an die DENIC weiterzuleiten und dabei keinen von mehreren Antragsstellern für dieselbe Domain zu bevorzugen. Auch hier besteht keine Prüfungspflicht des Nameservers bzgl der über ihn angemeldeten Domain-Namen; die Pflicht des Nameserverbetreibers erstreckt sich allenfalls im Bereich der offenkundigen Rechtsverletzungen dahingehend, sofort zu reagieren.265
§2 Streitschlichtung nach der UDRP 82
Mit der Möglichkeit einer Streitschlichtung hat sich das ICANN auseinandergesetzt, woraufhin im August 1999 die „Uniform Dispute Resolution Policy“ (UDRP) verabschiedet wurde.266 Dieses Regelwerk sieht eine Streitschlichtung bei missbräuchlicher Registrierung von Namen in den Top Level Domains .com, .org und .net vor. Hinzu kommen die länderspezifischen Codes 3 von 31 meist kleineren Staaten (wie zB Tuvalu).267 Die DENIC allerdings ist noch nicht bereit, eine solche Streitschlichtung zu akzeptieren. 83 In den Anwendungsbereich der UDRP fallen auch neue gTLDs.268 Die Verbindlichkeit der UDRP basiert auf rein vertragsrechtlicher Grundlage; wer eine Domain registriert, unterwirft sich rechtsgeschäftlich den UDRP. Dies geschieht regelmäßig durch einen Hinweis in den AGB des jeweiligen Access Providers. Die ABG-rechtliche Wirksamkeit einer solchen „Schiedsabrede“ ist hochgradig problematisch. Im Übrigen wenden zB US-amerikanische Gerichte ohnehin im Zweifel ihre eigenen Regeln an und lassen es dem Betroffenen offen, bei einer Niederlage innerhalb der Streitschlichtung USGerichte anzurufen.269 Auch Gerichte in anderen Staaten haben die UDRP hinterfragt.270 Die Streitschlichtung erfolgt über vier verschiedene, vom ICANN lizenzierte Organisationen, darunter – die Schiedsstelle der WIPO (arbiter.int/domains)271 – das National Arbitration Forum (www.arb-forum.com/domains) – das CPR – Institut for Dispute Resolution (www.cpradr.org). – das ADNDRC, das Asian Domain Name Dispute Resolution Centre (www.adndrc. org).272 265 266
267 268
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OLG Hamburg MMR 2005, 703. Hinzu kommen die „Rules for Uniform Domain Name Dispute Policy“, die im Oktober 1999 verabschiedet worden sind. S dazu die Liste unter www.arbiter.wipo.int/ domains/ccTLD/index.html. S arbiter.wipo.int/domains/decisions/ index-info.html; hierzu zählen: .info; .biz; .aero; .coop; .museum; .name; .travel. So Sec 1114(2)(D)(v) des US Anticybersquatting Act und US Court of Appeals for
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270 271
272
the First Circuit, Entscheidung vom 5.12. 2001 – (JAY D SALLEN vom CORINTHIANS LICENCIAMENTOS LTDA et al, GRUR Int 2003, 82. S die Liste bei der WIPO arbiter.wipo.int/ domains/challenged/index.html. S dazu auch die WIPO-Borschüre arbiter. wipo.int/center/publications/guide-en-web. pdf. Ausgeschieden ist das kanadische eResolution Consortium (www.resolution.ca).
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§2
Streitschlichtung nach der UDRP
Es besteht die freie Wahl, entweder die UDRP-Schlichtungsorganisation anzurufen 84 oder vor ordentlichen Gerichten zu klagen. Weiterhin können trotz einer bereits erfolgten Streitschlichtungsentscheidung staatliche Gerichte nachträglich tätig werden. (Art 4 (k) UDRP).273 Eine UDRP-interne Berufungsinstanz besteht nicht.274 Über die Frage der Kostenerstattung wird nicht entschieden. Allerdings hat der österreichische oberste Gerichtshof entschieden, dass bei einer Entscheidung innerhalb der UDRP zu Lasten des Beschwerdegegners ein Auslagenersatz nach nationalem Recht verlangt werden kann.275 Eine Beschwerde kann elektronisch über die Homepage des ausgewählten Schiedsge- 85 richts eingereicht werden; zusätzlich müssen die dort befindlichen Formulare schriftlich ausgefüllt und auf dem Postwege verschickt werden (Original und vier Abschriften). Zu zahlen sind die Schlichtungskosten durch den Beschwerdeführer (zwischen $ 1.500,– und $ 4.000,–). Der Beschwerdegegner hat zwanzig Tage Zeit zu reagieren. Die formellen Voraussetzungen der Beschwerde und Erwiderung werden durch einen „case administrator“ geprüft, der danach einen Schlichter bestimmt. Nach seiner Ernennung bleiben dem Schlichter vierzehn Tage Zeit, seine Entscheidung zu erstellen; insgesamt dauert das Verfahren selten länger als zwei Monate. Entscheidungen werden im Volltext und mit voller Namensangabe aller Beteiligten auf der Homepage des Gerichts veröffentlicht. Die Berücksichtigung nachgereichter Schriftsätze liegt im Ermessen des Panels; meistens werden diese nur dann zugelassen, wenn plausibel gemacht wird, dass die entsprechenden Argumente und Beweismittel nicht bereits in der Beschwerde bzw der Erwiderung vorgetragen werden konnten.276 Wichtig ist es, alle wesentlichen Argumente vollständig und sachbezogen in einem einzigen Schriftsatz vorzutragen, wobei bereits von vornherein in diesem Schriftsatz alles schriftliche Beweismaterial beigefügt werden sollte. Als sinnvoll hat es sich erwiesen, die Panelists auch auf ähnlich gelagerte Entscheidungen anderer Panelists hinzuweisen. Die Anrufung eines Dreipanels lohnt sich nur dann, wenn noch kein einheitliches Fallrecht existiert und Rechtsfragen in der Vergangenheit streitig waren. Die Streitschlichtungsgremien entscheiden nicht nach Maßgabe staatlichen Rechts. 86 Vielmehr nehmen sie – in Anlehnung an US-amerikanische Gesetzesvorgaben – nur einen eingeschränkten Bereich der Markenpiraterie wahr. Entscheidend ist hierbei Art 4 (a) der UDRP: “You are required to submit to a mandatory administrative proceeding in the event that a third party (a “complainant”) asserts to the applicable Provider, in compliance with the Rules of Procedure, that (I) your domain name is identical or confusingly similar to a trademark or service mark in which the complainant has rights; and (II) you have no rights or legitimate interests in respect of the domain name; and (III) your domain name has been registered and is being used in bad faith.” Der innerhalb des ersten Merkmals gewählte Begriff des „trademark or service mark“ 87 muss weit ausgelegt werden. So werden auch Zeichen erfasst, die nach dem US Common Law geschützt sind. Die geschützten Zeichen sind von Kennzeichen abzugrenzen, die
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274
Zu den gerichtl Verfahren nach UDRP-Entscheidung s aribter.wipo.int/domains/ challenged/index.html. S allerdings den Vorschlag von M. Scott Donahey zur Einführung eines UDRP Appelatte Panel in: Journal of International Abitration 18 (1) 2001, 131 ff.
275 276
ÖOGH MMR 2004, 747. Balidiscovery.org, D 2004-0299; noch strenger mtvbase.com, D 2000-1440, wonach eine Zulassung nur bei besonderer Anforderung der Unterlagen vom Panel möglich ist.
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Kapitel 10 Domainrecht
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lediglich auf Unternehmen verweisen oder nur auf eine Verkehrsgeltung verweisen können. Entscheidend kommt es nicht auf den territorialen Schutzbereich der Marke an. So kann die entsprechende Marke selbst dann herangezogen werden, wenn kein Markenschutz im Land des Beschwerdegegners besteht. Allerdings wird man das Fehlen des Markenschutzes im Rahmen der Bösgläubigkeit zu erörtern haben.277 Der Zeitpunkt des Schutzerwerbs ist unerheblich; die Marke setzt sich selbst dann durch, wenn sie „jünger“ ist als der Domainname. Jedoch wird man auch in diesem Fall bei der Frage der Bösgläubigkeit des Domaininhabers Zweifel anmelden dürfen.278 Auch nicht registrierte Markenrechte, wie Benutzungsmarken oder Common-Law Trademarks fallen unter die UDRP. Ähnliches gilt für berühmte Personennamen, wobei Berühmtheit als solches nicht ausreicht, um die UDRP anwenden zu können.279 Die berühmten Personennamen müssen vielmehr mit einer gewerblichen Nutzung verbunden sein. Geografische Angaben entfallen als solche nicht unter die UDRP.280 Ein Schutz kommt allerdings in Betracht, wenn die geografische Angabe auch Teil einer Wort-Bild-Marke ist.281 Streitig ist, ob die Rechte auch nicht ausschließlicher Lizenznehmer unter das Schutzsystem fallen.282 Bei einer Prüfung der Verwechselungsfähigkeit im Verhältnis der Marke zum Do88 mainnamen („likelihood of confusion“) werden generische Zusätze nicht berücksichtigt.283 Kritische Zusätze wie „Sucks“ oder „Fuck“ können unter Umständen die Verwechselungsgefahr ausschließen, was allerdings zwischen den einzelnen Panelists streitig ist.284 Wer eine Domain nachweislich für ein Fan-Forum 285 oder für kritische Meinungs89 äußerungen 286 nutzt, kann auf „legitimate interests“ verweisen. Die bloße Absicht einer solchen Nutzung reicht allerdings nicht aus, vielmehr obliegt dem Domainnutzer insofern die Darlegungs- und Beweislast. Der Hinweis auf die Namensgleichheit reicht nicht aus.287 Ein legitimes Interesse an der Benutzung der Domain wird durch ein eigenes Markenrecht begründet.288 Dies gilt allerdings nur dann, wenn dieses Markenrecht gutgläubig erworben worden ist.289 Umstritten ist die Frage des legitimen Interesses beim Vertrieb von Markenwaren durch Vertragshändler. Eine überwiegende Zahl von Panelists plädiert in diesem Zusammenhang für eine händlerfreundliche Auslegung der Regeln. Ein Verstoß gegen die UDRP soll danach nicht vorliegen, wenn der Händler sich auf den tatsächlichen Vertrieb beschränkt, keine Konkurrenzprodukte anbietet und es nicht zu einer übermäßigen Behinderung des Markeninhabers kommt.290 Diese Freiheit der Benutzung soll auch für unabhängige Händler gelten.291 277 278 279 280 281 282 283 284
Siehe Early Learning Centre.com – D 2005-0692. Aljazeera.com – D 2005-0309. Juliaroberts.com – D 2000-0210; Charlierapier.com – D 2004-0221. Sachsen-Anhalt.com – D 2002-0273; New Zealand.com – D 2002-0754. Potsdam.com, D 2002-0856; Meißen.com, D 2003-0660. Dafür Telcelbellsouth.com, D 2002-1027; dagegen Knicks.com, D 2000-1211. Faketrgheuer, D 2004-0871. Für Verwechselungsgefahr: Bayersucks.org, D 2002-1115; Berlitzsucks.com, D 20030465; keine Verwechselungsgefahr: fucknetzcape.com, D 2000-0918; Asdasucks.net. D 2002-0857.
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288 289
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patbenatar.com, D 2004-0001 gegen geert-hofstede.com, D 2003-0646. legal-and-general.com, D 2002-1019 gegen Fadesa.net, D 2001-0570. S die Entscheidung in Sachen Peter Frampton arbiter.wipo.int/domains/decisions/ html/2002/d2002-0141.html. Geizhals.com, D 2005-0121. So etwa nicht im Falle als Grundlage für die Domain Madonna.com, D 2000-0847; ähnl Cebit.com, D 2003-0679. Okidataparts.com, D 2001-0903. Anderer Ansicht allerdings Talkabout.com, D 20000079. Porschebuy.com, D 2004-0481.
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§2
Streitschlichtung nach der UDRP
Die meisten Schwierigkeiten bereitet die Konkretisierung des Merkmals „bad faith“. 90 Der Beschwerdeführer hat unter diesem Gesichtspunkt nachzuweisen, dass eine Adresse registriert und benutzt wurde „in bad faith“.292 Zur Präzisierung dieses allgemeinen Rechtsbegriffs muss Art 4 (b) der UDRP herangezogen werden: “For the purposes of Paragraph 4 (a) (iii), the following circumstances, in particular but without limitation, if found by the Panel to be present, shall be evidence of the registration and use of a domain name in bad faith: (I) circumstances indicating that you have registered or you have acquired the domain name primarily for the purpose of selling, renting, or otherwise transferring the domain name registration to the complainant who is the owner of the trademark or service mark or to a competitor of that complainant, for valuable consideration in excess of your documented out-ofpocket costs directly related to the domain name; or (II) you have registered the domain name in order to prevent the owner of the trademark or service mark from reflecting the mark in a corresponding domain name, provided that you have engaged in a pattern of such conduct; or (III) you have registered the domain name primarily for the purpose of disrupting the business of a competitor; or (IV) by using the domain name, you have intentionally attempted to attract, for commercial gain, Internet users to your web site or other on-line location, by creating a likelihood of confusion with the complainant’s mark as to the source, sponsorship, affiliation, or endorsement of your web site or location or of a product or service on your web site or location.” Diese Liste denkbarer „bad faith“-Fälle ist nicht abschließend („in particular but 91 without limitation“). So hat sich im Laufe der Zeit gerade im Bereich der WIPO eine eigene Judikatur entwickelt, die weitere Fälle von „bad faith“ herausgearbeitet hat. An der Bösgläubigkeit soll es dann fehlen, wenn andere legitime Benutzungsmöglichkeiten denkbar sind. Dies gilt etwa bei generischen Begriffsinhalten.293 Kritiker werfen der WIPO allerdings vor, zu schnell ein „bad faith“ zu Gunsten des Beschwerdeführers zu bejahen.294
292
Das Merkmal stammt aus dem US Cybersquatting Act 1999, Pub L No. 106-133, § 3002 (a), 113 Stat 1501, 1537, der eine entspr Änderung von lit. d § 43 Lanham Act vorsieht.
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Zeit.com, D 2005-0725. S www.icannot.org und www.icannwatch. org.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht – Medienrechtliches Designprodukt im Fokus des Geschmacksmusterrechts – Literatur Börsch Webseiten schützen lassen?! MMR 2003, Heft 6, IX; Büscher/Dittmer/Schiwy Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Kommentar Köln, München 2008 (zit Büscher/Dittmer/ Schiwy/Bearbeiter); Bulling/Langöhrig/Hellwig Geschmacksmuster, Designschutz in Deutschland und Europa 2. Aufl Köln Berlin München 2006; Enders Beratung im Urheber- und Medienrecht 2. Aufl Zwickau 2004; Erdmann Schutz der Kunst im Urheberrecht FS von Gamm, Köln ua 1990, 389; von Falckenstein 40 Jahre Mitgestaltung des Geschmacksmusterrechts durch das Bundespatentgericht GRUR 2001, 672; Finnie Investors and IP risks in: Jolly/Philpott (Hrsg) The Handbook of European Intellectual Property Management, London Philadelphia 2007, 318; Geiger Zusammenfassung der Standpunkte – Entwickelte Thesen – Die Alternativen zum Schutz durch das Urheberrecht in Deutschland in: Hilty/Geiger (Hrsg) Impulse für eine europäische Harmonisierung des Urheberrechts, Berlin, Heidelberg, New York 2007, 257; Gottschalk Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischem Recht, Baden-Baden 2005; Hartwig Designschutz in Europa – Entscheidungen europäischer und nationaler Gerichte, Band 1, Köln Berlin München 2007; Heutz Freiwild Internetdesign? – Urheberund geschmacksmusterrechtlicher Schutz der Gestaltung von Internetseiten MMR 2005, 567; Hoeren/ Holznagel/Ernstschneider Handbuch Kunst und Recht, Frankfurt aM 2008 (zit Hoeren/Holznagel/ Ernstschneider/Bearbeiter); Jestaedt Der Schutzbereich des eingetragenen Geschmacksmusters nach dem neuen Geschmacksmustergesetz GRUR 2008, 19; Koschtial Die Einordnung des Designschutzes in das Geschmacksmuster-, Urheber-, Marken- und Patentrecht, Berlin 2003; dies Zur Notwendigkeit der Absenkung der Gestaltungshöhe für Werke der angewandten Kunst im deutschen Urheberrecht GRUR 2004, 555; dies Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster: Die Kriterien der Eigenart, Sichtbarkeit und Funktionalität GRUR Int 2003, 973; Kur Die Auswirkungen des neuen Geschmacksmusterrechts auf die Praxis GRUR 2002, 661; dies Die Alternativen zum Schutz durch das Urheberrecht in Deutschland in: Hilty/Geiger (Hrsg) Impulse für eine europäische Harmonisierung des Urheberrechts, Berlin, Heidelberg, New York 2007, 193; dies Die Zukunft des Designschutzes in Europa – Musterrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht GRUR Int 1998, 353; Loewenheim Höhere Schutzuntergrenze des Urheberrechts bei Werken der angewandten Kunst? GRUR Int 2004, 765; Murray Designs in: Jolly/Philpott (Hrsg) The Handbook of European Intellectual Property Management, London Philadelphia 2007, 71; Mittelstaedt Kommt es für die Feststellung der Geschmacksmusterverletzung auf die Unterschiede oder auf die Gemeinsamkeiten an? WRP 2007, 1161; A Nordemann/Heise Urheberrechtlicher Schutz für Designleistungen in Deutschland und auf europäischer Ebene ZUM 2001, 128; Ohly Designschutz im Spannungsfeld von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht GRUR 2007, 731; Pierson/Ahrens/Fischer (Hrsg) Recht des geistigen Eigentums, München 2007; Rahlf/Gottschalk Neuland: Das nichteingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster GRUR Int 2004, 821; Rossnagel/Scheuer Das europäische Medienrecht MMR 2005, 271; Sauer Neue Wege im Designschutz, Edewecht 2007; Schickedanz Zur Offenbarung des Geschmacksmusters, GRUR 1999, 291; Schlötelburg Musterschutz an Zeichen GRUR 2005, 123; Schulze Urheberrecht für Architekten – Teil 1 NZBau 2007, 537; Schricker Werbekonzeptionen und Fernsehformate – Eine Herausforderung für den urheberrechtlichen Werkbegriff? GRUR Int 2004, 923; ders Der Urheberrechtsschutz von Werbeschöpfungen, Werbeideen, Werbekonzeptionen und Werbekampagnen GRUR 1996, 815; Spacek Schutz von TV-Formaten – eine rechtliche und ökonomische Betrachtung, Zürich 2005; Stolz Geschmacksmuster- und markenrechtlicher Designschutz, Baden-Baden 2002; Tyler Eastman Designing
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
On-Air, Print and Online Promotion in: Tyler Eastman/Ferguson/Klein (Hrsg) Media Promotion & Marketing for Broadcasting, Cable & the Internet, Amsterdam Boston ua 2006, 127; Wandtke/Ohst Zur Reform des deutschen Geschmacksmustergesetzes GRUR Int 2005, 91; Weber Entscheidungspraxis des HABM zur Wichtigkeit von Gemeinschaftsgeschmacksmustern GRUR 2008, 115; Zech Der Schutz von Werken der angewandten Kunst im Urheberrecht Frankreichs und Deutschlands, München 1999.
Übersicht Rn I. II. III. IV. V.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . Begriff „Design“ . . . . . . . . . . Medienrechtliches Designprodukt . . Funktion des Designs . . . . . . . . Designschutzrechte . . . . . . . . . 1. Geschmacksmusterrechtlicher Schutz von Medienprodukten . . . . . . a) Schutzbereich/Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes . . b) Materielle Voraussetzungen . . aa) Eigenart . . . . . . . . . . (1) Informierter Benutzer . . . (2) Gesamteindruck des informierten Benutzers . . . . . (3) Unterschiedlichkeit des Musters . . . . . . . . . . bb) Neuheit . . . . . . . . . . (1) Identität der Muster . . . . (2) Anmeldetag . . . . . . . . (3) Offenbarung . . . . . . . . c) Schutzausschluss . . . . . . . . d) Rechte aus dem Geschmacksmuster . . . . . . . . . . . . . e) Übertragung von Nutzungsrechten . . . . . . . . . . . . . f) Sammelanmeldungen/Setanmeldungen . . . . . . . . . . . g) Beschränkungen des Geschmacksmusters . . . . . . . . . . . . . h) Rechtswirkungen des Geschmacksmusters . . . . . . . . i) Dauer und Beendigung des Geschmacksmusters . . . . . . . . j) Formelle Voraussetzungen . . . 2. Europäischer, internationaler Geschmacksmusterschutz . . . . . . a) Europäischer Geschmacksmusterschutz . . . . . . . . . . . . . b) Internationaler Geschmacksmusterschutz . . . . . . . . . . 3. Designer – Entwerfer von Medienprodukten . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung zum Urheberrecht . . a) Schutz des deutlich Überdurchschnittlichen? . . . . . . . . .
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1–3 4 5–7 8–12 13–77 15–52 16–19 20–32 21–27 24, 25 26 27 28–32 29, 30 31 32 33–36 37–40 41 42, 43 44, 45 46 47 48–52 53–55 53–54 55 56–59 60–77
Rn aa) Rechtsprechungsansicht . . bb) Literaturansicht . . . . . . b) Schutz des Unterdurchschnittlichen? . . . . . . . . . . . . . c) Splittung der Schutzuntergrenze je nach Erzeugnisart . . . . . . d) Alternative Schutzmöglichkeiten? e) Schutz der Kleinen Münze – Europäische Urheberrechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . f) Wertung der unterschiedlichen Standpunkte und Kritik . . . . VI. Verwertungsmöglichkeiten von Design 1. Gesamte Konzepte – Formate . . . 2. Einzelne Elemente . . . . . . . . . VII. Geschützte Designprodukte/Mediengestaltungen – Schutzmöglichkeiten . 1. Stofflich verkörperte Medien . . . a) Printmedien – Printdesign . . . aa) Layout von Printmedien . . bb) Plakate und Poster . . . . . cc) Werbung und Werbetexte . dd) Verpackungen und Etiketten ee) Briefbögen, Visitenkarten, Flyer . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Designprodukte . . . . aa) Schutz für Medienprodukte vermittelnde Gegenstände . . . . . . . . . . . bb) Oberflächenstrukturen . . . 2. Stofflich nicht verkörperte Medien a) Bild- und Tondesign . . . . . . aa) Fernseh-/TV-Design bzw On-Air Design . . . . . . . bb) Film-/Videodesign . . . . . b) Rundfunk/Telemedien . . . . . c) Internet – Websitedesign . . . . 3. Schutz von Schrifttypen . . . . . . 4. Medienunternehmen . . . . . . . 5. Corporate Design eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . VIII. Designvertrag . . . . . . . . . . . .
62–64
Kirsten-Inger Wöhrn
62 63, 64 65 66 67
68, 69 70–77 78–84 79–82 83, 84 85–121 88–99 89–97 90 91 92, 93 94, 95 96, 97 98, 99
98 99 100–113 103–108 104, 105 106–108 109, 110 111–113 114–116 117, 118 119–121 122–124
III. Medienrechtliches Designprodukt
I. Einleitung Heutzutage wird mittels diverser Medien kommuniziert, im Wesentlichen über 1 (audio-)visuelle Medien, dh Artikel, Berichte, Lichtbilder, Plattformen im Internet usw. Im Bereich des Visualisierens von Informationen ist das Mediendesign als gestalterischer Teil durch das Medienrecht geschützt. Es geht dabei darum, Botschaften zu visuellen Informationen umzuarbeiten, damit der entsprechende Adressatenkreis erreicht werden kann. Dieses gestalterische Entwerfen von Modellen oder Mustern (Formgebungen) kann über das Geschmacksmusterrecht geschützt werden.1 Das Geschmacksmusterrecht schützt Gestaltungen der äußeren Formen.2 Bei der 2 Bestimmung der Schutzschwelle ist seit Umsetzung der Richtlinie 98/71/EG 3 nicht mehr von einer Abhängigkeit vom Urheberrecht auszugehen. Der Schutz ist durch Ermittlung der neu gefassten und der die Eigentümlichkeit ersetzenden geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzung der Eigenart zu ermitteln.4 Das Geschmacksmuster- bzw Designrecht ist ein eigenständiges Schutzrecht.5 Das Design als qualitätsbestimmende Eigenschaft eines Medienproduktes kann im 3 Wesentlichen zu dessen Absatzerfolg verhelfen. Medienprodukte wie zB eine Webseite eines Unternehmens, die Präsentation eines Unternehmens in der Werbung bzw auf Veranstaltungen wie Messen oder der auf dem Firmenbriefpapier verwendete Briefkopf sollen einen Wiedererkennungseffekt beim Verbraucher oder anderen Unternehmen hervorrufen. Das Design soll von Dritten identifiziert werden und einen Zusammenhang zu dem eigentlichen Unternehmen herstellen. Bei der äußeren Form geht es primär nicht um den Inhalt, sondern um die Form bzw die Art und Weise, wie das Unternehmen, der Einzelne oder die Information dargestellt wird. Diese Investitionen gilt es mittels des Geschmacksmusterrechts zu sichern.
II. Begriff „Design“ Im Sinne des Geschmacksmustersgesetzes kann man unter der Erscheinung eines 4 ganzen oder eines Teils eines Erzeugnisses den Begriff Design 6, der sich insbesondere aus den unterschiedlichen Konturen, Formen, Farben, Materialien des Produktes und/oder seiner Bestandteile ergibt, verstehen, § 1 Nr 1 GeschmMG. Erzeugnis wird nach § 1 Nr 2 GeschmMG derart definiert, dass nicht nur das eigentliche Produkt oder Teile dessen erfasst werden, sondern darüber hinaus auch dessen Verpackung, grafische Symbole etc. Computerprogramme sind davon ausgenommen. Designschutz kann es aber für Computer Icons geben.
III. Medienrechtliches Designprodukt Hinterfragt man den eigentlichen Gegenstand der Medien, so ist es zunächst die In- 5 formation, um die es geht.7 Erst in zweiter Linie handelt es sich bei der Darstellung von 1 2 3 4 5 6
Vgl Teil 1 Kap 2 Rn 115. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 123. ABl L 289/28 vom 28.10.1998 = GRUR Int 1998, 959; vgl auch Teil 1 Kap 3 Rn 275 ff. S dazu näher unter Rn 21 ff. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 125. Zum in unterschiedlichen Bereichen ausgeprägten Begriff Design Sauer 3 f, zum
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Ursprung des Begriffs s ebenfalls Sauer 5 f; Hoeren/Holznagel/Ernstschneider/Schröler 44. Ähnl auch Beater Rn 10, der die Informationserlangung, -bewertung, -bearbeitung, -veröffentlichung als primären Gegenstand von Unternehmensgeschäften im Medienbereich beschreibt.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
Informationen um Erzeugnisse des Geschmacksmusterrechts (bzw Urheberrechts).8 Sie sind jedoch nicht von minderer Relevanz, da das Geschmacksmusterrecht Erzeugnisse schützen kann, die Informationen wahrnehmbar werden lassen bzw visualisieren, in einen bestimmten Kontext setzen bzw adäquat präsentieren können. Damit steigt laut Sauer 9 die Bedeutung des Designs als Informationsträger, da die eigentliche Information dadurch unverwechselbar werden soll. So können bspw eine Webseite, ein Bucheinband, ein Zeitungs- bzw Zeitschriften6 layout geschmacksmusterrechtlich geschützt sein. Diese Reihe von Produkten erfasst nicht die Information selbst, sondern stellt sie lediglich dar. Es geht um die „ästhetische“ Verpackung bzw um die Visualisierung der Information. Medienprodukte können auch solche sein, die ursprünglich nicht als solche konzipiert 7 wurden. Ein Fußball ist funktional betrachtet in erster Linie ein Sportgerät. Erscheint der Fußball auf einer Abbildung mittels der Werbung für eine Fußballweltmeisterschaft gemacht wird, indem er aus einem Stadion hoch hinausgeschossen wird 10, so bleibt er zwar als Sportgerät erkennbar, wird aber in seiner Funktion werbendes Medienprodukt.
IV. Funktion des Designs Der Medienmarkt ist mit Informationen und Produkten überflutet,11 eine Orientierung fällt zunehmend schwerer. Die Produkte bzw Informationen müssen einen besonderen Wiedererkennungseffekt beim Kunden erzeugen, so dass sie aus der Vielfalt von Erzeugnissen herausgefiltert werden können. Orientierungshilfe kann ein bestimmtes Design bieten, das das Produkt oder die Information einem bestimmten Kundenkreis näherbringt. Die Entscheidung eines Produzenten für ein bestimmtes Design wird in der Regel auf 9 den Adressatenkreis bezogen getroffen. Die gewählte Art und Weise der Vermarktung bedeutet eine Reduzierung der Absatzchancen im Hinblick auf andere, nicht unter den Adressatenkreis fallende Marktteilnehmer. Im Gegensatz dazu erlangt das Produkt oder die Information im angestrebten Verbraucherkreis durch das Design idealerweise einen gewissen Wiedererkennungseffekt bzw hilft dem Kunden, sich zu orientieren. Der Kunde kann somit in die Lage versetzt werden, sich mit dem Produkt gefühlsmäßig zu identifizieren, seinen persönlichen Stil damit auszudrücken oder es als Statussymbol (bspw IPhone) zu nutzen.12 Ob die Vermarktungsart die Designmöglichkeiten reduziert bzw beschränkt, ist eine 10 andere Frage. Um ein Produkt konsequenterweise erfolgreich zu vermarkten, sind dem Produktdesigner Grenzen gezogen, wenn es um bestimmte Branchen geht. Eine Titelseite einer Modezeitschrift sollte nicht wie eine Titelseite eines Computerfachmagazins gestaltet sein. Damit reduziert die Vermarktungsstrategie in gewisser Weise bereits das Design. Das Design eines Medienproduktes muss sich in eine bestimmte Sparte einfügen können. Ein Comic-Heft in einem Fachbucheinband würde eher unattraktiv auf einen ComicLeser wirken. Das Design muss sich also in den Grenzen des Bereichs halten, in dem es von seiner Produkteigenschaft her angesiedelt ist. Daher reduziert nicht nur die Marketingfunktion, sondern das Produkt bereits selbst das Design. Das Design des Produkts
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Enders § 4 Rn 10. Sauer 16. Nummer des beim HABM eingetragenen Geschmacksmusters: 000248760-0002, Tag der Veröffentlichung 2.11.2004, Ablaufdatum: 2.11.2009.
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Breyer-Mayländer/Seeger Medienmarketing 141; vgl auch zum Massenaspekt im Medienrecht Beater Rn 13 ff. Gottschalk 29; vgl auch Rn 98 zum Schutz von Medienprodukten vermittelnden Gegenständen.
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V. Designschutzrechte
kann aber wiederum Umsatz fördernd wirken 13 und damit eine gewinnbringende Marketingfunktion innehaben. Damit ist das Design als gesellschaftlicher Mehrwert zu verstehen. Darüber hinaus kann es Qualität vermittelnd zusätzlich den Wert eines Produktes bzw einer Information steigern 14 und somit zum Absatz- bzw Marketingerfolg beitragen. Das Design eines Medienprodukts oder einer Information kann als Qualitätsmerkmal von einem Laien gewertet werden (sog Qualitätsfunktion des Designs),15 was wiederum zu einer Unterscheidung von Konkurrenzprodukten beiträgt. Die Informationsfunktion des Designs (auch Zeichen- oder Signalfunktion genannt) 11 liegt nicht nur darin, dass Medienprodukte Informationen selbst beinhalten können (wie zB Zeitungen),16 sondern das Produkt Informationen über sich selbst transportiert.17 Durch das Verpackungs- oder Produktdesign wird ua über Qualität und Herkunft informiert.18 Es kann sich damit wiederum von der Masse abheben.19 Für den Marktwert eines Produktes kann uU ausschlaggebend sein, von welchem Designer es gestaltet wurde oder von welcher „Marke“ es vertrieben wird (bspw IPhone von Apple).20 Bestimmte (Design-)Produkte vermögen es, einem Verbraucher gar einen gewissen Status bzw ein bestimmtes Image durch dessen Erwerb zu vermitteln.21 Viele Produkte sind mittlerweile über das Internet käuflich oder in einer Art Selbst- 12 bedienungsladen (Kaufhaus etc) zu erwerben. Die Beratung im Laden durch einen Fachverkäufer fällt weg. In den sog Selbstbedienungsläden gibt es sie, wenn überhaupt, häufig nur unzureichend. Es kommt dann für das Produkt darauf an, dass es sich selbst gut verkaufen lässt. Die Präsentation des Mediengegenstandes bzw die Vermittlung der ihm innewohnenden Information oder Qualitäten (die sog „Aufmachung“) muss daher adäquat gelingen, da der Verbraucher im Endeffekt die Entscheidung selbst trägt, ob er es erwerben möchte oder nicht. Die Qualitäts- und die Informationsfunktion kann gerade bei der Präsentation eines Produktes bzw im Hinblick auf dessen (inhaltliche) Aussage maßgeblich zu dessen Marketingerfolg beitragen.
V. Designschutzrechte Das Rechtsgebiet „Designrecht“ gibt es nicht.22 Schutz für ein Design kann sich aus 13 mehreren Rechtsgebieten einzeln, teils aber auch kumulativ ergeben. Sog Designschutzrechte sind solche, die sich ausschließlich mit dem Schutz der Gestaltung eines Produktes oder dessen Teile, Formen, Farben, Materialien, in Kombination oder für sich genommen, befassen. In Betracht kommt ua urheber-23, geschmacksmuster-24, marken-25 oder
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S auch zu IP Strategien: Finnie 321. Sauer 17; Gottschalk 27 ff; Murray 71, 76. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 125; Gottschalk 29. Beater Rn 22 f. Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 27. Gottschalk 30. Ohly GRUR 2007, 731, 731. Gottschalk 27. Vgl Rn 10 zur Qualitätsfunktion. Vgl auch Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 123. Vgl dazu näher zum urheberrechtlichen Schutz Teil 2 Kap 1.
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In Großbritannien wird das Geschmacksmusterrecht als „Designright“ bezeichnet, Ohly GRUR 2007, 731, 731; Pierson/Ahrens/ Fischer/Pierson 123. Das Markengesetz bezweckt den Schutz von Produkten (Waren oder Dienstleistungen), die mittels der Marke identifiziert werden und somit vor Verwechslung ua schützen soll; vgl näher zum markenrechtlichen Schutz Teil 2 Kap 7; vgl auch zur Überschneidung von Marken- und Geschmacksmusterrecht Ohly GRUR 2007, 731, 735 ff.
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2. Teil
wettbewerbsrechtlicher 26 Schutz.27 Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches spielen hinsichtlich des Zustandekommens von Verträgen, der Vertragsauslegung, des Rechts der Leistungsstörungen etc eine Rolle. Für den Mediendesigner enthalten das Urheber- und das Geschmacksmusterrecht die 14 wichtigsten Designschutzrechte.28 Das Design eines Medienproduktes kann stofflich verkörpert oder stofflich nicht verkörpert sein. Letztgenannte Medienprodukte können sich bspw in Form von Webseiten- oder Homepagegestaltungen und On-Air-Design widerspiegeln. Stofflich verkörperte Medienprodukte können in der Gestalt von Werbeplakaten, Broschüren, Etiketten etc auftreten. Da es sich bei Medienprodukten in der Regel um Industrie- bzw Produktdesign 29 handelt, werden diese Erzeugnisse grundsätzlich unter das Geschmacksmusterrecht zu subsumieren sein. Urheberrechtlich sind Medienprodukte vornehmlich den Werken der angewandten Kunst iSd § 2 Abs 2 Nr 4 UrhG zuzuordnen.30 1. Geschmacksmusterrechtlicher Schutz von Medienprodukten
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Das Geschmacksmusterrecht bezweckt den Schutz von zweidimensionalen Mustern bzw dreidimensionalen Modellen 31, die die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen. Das geschmacksmusterrechtlich geschützte Erzeugnis, dessen Produktschutz bezweckt wird 33, muss optisch wahrnehmbar 32 sein, wobei technisch bedingte Erscheinungsmerkmale vom Schutz nicht erfasst werden, § 3 Abs 1 Nr 1 GeschmMG 34.
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a) Schutzbereich/Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes. Nach § 2 Abs 1 GeschmMG muss es sich um ein Muster handeln, das zum einen neu und zum anderen eigenartig ist. Muster sind nach § 1 GeschmMG zweidimensionale (Muster) oder dreidimensionale (Modelle) Darstellungen bzw Erscheinungsformen eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teiles.35 Erzeugnisse sind industrielle oder handwerklich hergestellte Gegenstände.36 Von dem Begriff Erzeugnis mit erfasst sind auch Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden, bspw Verpackungen, Ausstattungen, grafische Symbole, typografische Schriftbilder, nicht aber Computerprogramme.37 Damit werden grds Gestaltungen der angewandten Kunst bzw Industrieprodukte wie zB Stühle, Kotflügel, Glühbirnen
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Wettbewerbsrechtlicher wird in aller Regel nicht kumulativ, sondern erst bei Schutzlücken Wirkung entfalten können – vgl zum wettbewerbsrechtlichen Schutz von Medien Teil 3 Kap 1; vgl auch zur „Überschneidung“ von Geschmacksmuster- und Lauterkeitsrecht Ohly GRUR 2007, 731, 735 ff. Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 41 sowie Hoeren/Holznagel/Ernstschneider/Schröler 36. Sauer spricht sich ganz allgemein, ua aufgrund der längeren Schutzdauer und den weitergehenden Rechten für den Schöpfer, für eine bedeutendere Position des Urheberrechts für Designleistungen aus, vgl Sauer 25. Die Begriffe Industrie- und Produktdesign erfassen aber weitaus mehr als lediglich Medienprodukte (sondern bspw auch Stühle, Tische, Modeerzeugnisse, Fahrzeuge jeglicher Art etc). S ausf zum urheberrechtlichen Schutz von Medienprodukten Teil 2 Kap 1.
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Eine Differenzierung ist nunmehr obsolet geworden. Unter den Begriff „Muster“ fallen zweidimensionale Muster ebenso wie dreidimensionale Modelle; vgl dazu auch Sauer 31. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 27; von Falckenstein GRUR 2001, 672, 674. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 10. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 10. Koschtial 266. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 30; Pierson/ Ahrens/Fischer/Pierson 126. Vgl auch Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 98; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 126; näher zu dem Begriff Erzeugnis Bulling/ Langöhrig/Hellwig Rn 30 ff bzw Eichmann/ von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 12 ff.
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V. Designschutzrechte
etc, erfasst. Erzeugnisse im medienrechtlichen Bereich sind davon abzugrenzen. Medienprodukte sollen Informationen visuell darstellen. Dies kann bspw anhand von Zeitungsoder Zeitschriftenlayouts, Bucheinbänden und Etiketten erfolgen. Motive, Moden, Konzeptionen, abstrakte Ideen, bestimmte Stile sind nicht schutz- 17 fähig iSd Geschmacksmusterrechts.38 Auf den reinen Ideenschutz darf somit nicht vertraut werden, wenn es bspw um den Schutz einer Idee für ein Werbeplakat geht. Im Gegensatz zum Urheberrecht kann der Schutz sich erst nach erfolgreicher Regis- 18 trierung entfalten, § 27 Abs 1 GeschmMG, sofern nicht die Löschung durch ein Nichtigkeitsverfahren erwirkt wurde, vgl § 36 Abs 1 Nr 5 GeschmMG. In Abgrenzung zum Markenrecht zielt das Geschmacksmuster auf einen abstrakten 19 Formenschutz; die Form oder das Muster wird nicht produktbezogen geschützt.39 Da der Schutz eines Musters weder von der Registerklasse noch von den Erzeugnisangaben bei der Anmeldung abhängt, § 11 Abs 5 GeschmMG, wird der sachliche Schutzbereich nicht beschränkt.40 b) Materielle Voraussetzungen. Das zweidimensionale Muster bzw das dreidimensio- 20 nale Modell muss die Voraussetzungen der Eigenart und Neuheit kumulativ erfüllen. aa) Eigenart. Bei der Eigenart kommt es darauf an, dass sich der Gesamteindruck des 21 Musters deutlich von dem Gesamteindruck eines Musters aus dem vorbekannten Formenschatz unterscheidet.41 Maßgeblich ist damit die Unterschiedlichkeit im Vergleich mit einem ähnlichen Muster, um Eigenart befürworten zu können.42 Insbesondere die das Geschmacksmuster prägenden Merkmale sind für die Bestimmung des Gesamteindrucks entscheidend.43 Das Muster muss sich deutlich abheben.44 Mit dieser Wortwahl ist bezweckt, dass 22 nicht jede auch nur geringe Abweichung zur Eigenart eines Modells führen kann. Ursprünglich wurde der Begriff des „wesentlichen“ Unterschieds vorgeschlagen, der aber aufgrund der damit zu hoch angesetzten Schutzuntergrenze abgelehnt wurde.45 Überdurchschnittlichkeit 46 wird nicht mehr gefordert, bzw es findet vielmehr eine 23 qualitative Einschätzung des Modells oder Musters nicht mehr statt.47 Es kommt nunmehr auf die Unterschiedlichkeit an, so dass auch alltägliche bzw durchschnittliche
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BGH GRUR 87, 903 – Le Corbusier-Möbel. Näher zum abstrakten bzw konkreten Formenschutz Gottschalk 60 f; vgl auch Pierson/ Ahrens/Fischer/Pierson 135; Bulling/ Langöhrig/Hellwig Rn 104. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 9; Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 104. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 59; Eichmann/ von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 7; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 127; Koschtial GRUR Int 2003, 973, 974. Näher zur Feststellung der Unterschiedlichkeit: Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 10 ff; Bulling/Langöhrig/ Hellwig Rn 59; Pierson/Ahrens/Fischer/ Pierson 128. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 62.
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S näher Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 13. Kur GRUR 2002, 661, 666; Beier GRUR Int 1994, 716, 721. Vor der Umsetzung der Geschmacksmusterrichtlinie 98/71/EG wurde Überdurchschnittlichkeit für die Voraussetzung der Eigentümlichkeit, die nunmehr durch die der Eigenart ersetzt wurde, verlangt. Beabsichtigt war damit die Abgrenzung zur urheberrechtlichen Gestaltungshöhe für Werke der angewandten Kunst, für die es (noch) einer deutlich überdurchschnittlichen Gestaltung bedarf, vgl näher dazu Rn 56 ff. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 128; Kur GRUR Int 1998, 353, 355; Kur GRUR 2002, 661, 665; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 10, 13.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
Gestaltungen geschmacksmusterrechtlichen Schutz genießen können.48 Diese wird mittels Einzelvergleich festgestellt.49
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(1) Informierter Benutzer. Nach § 2 Abs 3 GeschmMG hat ein Muster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es bei einem informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Muster bei diesem Benutzer erweckt, das vor dem Anmeldetag offenbart worden ist. Bei der Unterscheidung kommt es demnach auf die Sicht eines informierten Benutzers 25 an.50 Die Gruppe des „informierten Benutzers“ kann den auf ein bestimmtes Gebiet spezialisierten Designer, einen Designer, der sich ganz allgemein auf dem Markt auskennt oder den aufmerksamen Konsumenten am Markt erfassen; dabei ist nicht von einer realen Person, sondern von einer Rechtsfigur auszugehen.51 Der informierte Benutzer kann mithin Designunterschiede feststellen, die dem gewöhnlichen Verbraucher entgehen würden.52 Daher ist nicht auf einen Laien wie etwa im Architektenrecht abzustellen. Ebenso wenig maßgeblich ist der Gesamteindruck eines Designexperten.53
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(2) Gesamteindruck des informierten Benutzers. Für die Bestimmung der Eigenart eines Musters oder Modells ist der Gesamteindruck eines informierten Benutzers entscheidend, der durch prägende Merkmale des Musters maßgeblich bestimmt wird.54 Je eher sich diese prägenden Merkmale vom Vorbekannten abheben, desto eher kann Eigenart und damit ein Schutz nach dem Geschmacksmusterrecht angenommen werden. Hierbei ist nach dem Wortlaut vom Unterschied des hervorgerufenen Gesamteindrucks der zu vergleichenden Muster auszugehen, § 2 Abs 3 S 1 GeschmMG.55 48
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Büscher/Dittmer/Schiwy/Steinberg Teil 1 Kap 10 § 2 GeschmMG Rn 5; Pierson/ Ahrens/Fischer/Pierson 128; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 13; Kur GRUR 2002, 661, 665. Ausf zum Einzelvergleich Eichmann/ von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 12; Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 73; Sauer 39. S zur genauen Entwicklung des Begriffs „informierter Benutzer“ Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 24; Bulling/Langöhrig/Hellwig GeschmMG Rn 76 ff und Koschtial GRUR Int 2003, 973, 974 f. S auch HABM Mitt 2004, 323 – Barhocker mit Lehne; Büscher/Dittmer/Schiwy/Steinberg Teil 1 Kap 11 Art 6 GGV Rn 6; Hoern/Holznagel/Ernstschneider/Schröler 46; Gottschalk 74; es kommt also weder auf die Sicht eines Designexperten noch eines Laien an – OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3059 – Handydesign. OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3055 – Handydesign; Eichmann/von Falckenstein/ Eichmann § 38 GeschmMG Rn 24. Der Begriff des „informierten Benutzers“ hat sich erst mit der Zeit herausgebildet. Zu Beginn der Reformentwicklung stand zur Dis-
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kussion, dass die Unterscheidung durch die Sicht eines gewöhnlichen Verbrauchers bzw eines potentiellen Käufers ermittelt werden sollte, vgl Grünbuch Punkt 5.5.6.2. Vgl auch Bulling/Langöhrig/Hellwig GeschmMG Rn 76; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 142; Wandtke/Ohst GRUR Int 2005, 91, 96; Koschtial GRUR Int 2003, 976; Eichmann GRUR Int 1996, 859; Sauer 44. BGH GRUR 1980, 235, 237 – Play-family; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 26. Nach Mittelstaedt (Mittelstaedt WRP 10/2007, 1161, 1164) soll es aber auf die Gemeinsamkeiten ankommen. Da § 38 Abs 2 S 1 GeschmMG davon ausgeht, dass kein anderer Gesamteindruck entstehen darf, mithin hier auf die Gemeinsamkeiten des verletzten und des verletzenden Musters abgestellt werden soll, soll auch bei der Ermittlung des Schutzumfangs auf die Gemeinsamkeiten abgestellt werden. Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 98/71/EG stellt allerdings – ebenso wie die allgemeine Ansicht (Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 Rn 10; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 128; Bulling/ Langöhrig/Hellwig Rn 64) – auf den Unterschied gegenüber dem vorbekannten Formenschatz ab.
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V. Designschutzrechte
(3) Unterschiedlichkeit des Musters. Maßgebliches Kriterium bei der Ermittlung der 27 Eigenart ist also die Unterschiedlichkeit.56 Ist die Musterdichte in dem zu überprüfenden Bereich besonders groß, so sind geringere Anforderungen an die Unterschiedlichkeit zu stellen. Ist sie hingegen besonders klein, so sind sie dementsprechend höher anzusetzen.57 Da es nunmehr nicht mehr auf die individuelle Leistung des Entwerfers ankommt, sondern darauf, dass ein Muster sich vom vorbekannten Formenschatz unterscheidet, können auch durchschnittliche Leistungen geschützt werden.58 (bb) Neuheit. Das Kriterium der Neuheit ist erfüllt, wenn es kein identisches Muster im 28 vorbekannten Formenschatz gibt.59 Es kommt auf eine objektiv-relative 60 Neuheit an.61 Die prägenden und die die Eigenart begründenden Gestaltungselemente dürfen im Anmeldezeitpunkt den inländischen Fachkreisen nicht bekannt sein, § 2 Abs 2 GeschmMG.62 Dies wird mittels eines Einzelvergleichs durch Gegenüberstellung von einzelnen Erzeugnissen aus dem vorbekannten Formenschatz überprüft.63 Marginale Abweichungen sollen bereits für die Neuheit ausreichen.64 Bei Überprüfung der Neuheit gilt es, drei Kriterien – die Identität des Musters, den Anmeldetag und die Offenbarung – zu beachten. (1) Identität der Muster. Identität von Mustern liegt nach § 2 Abs 2 GeschmMG vor, 29 wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden, dh, wenn absolute Identität besteht. Es kommt also auf die Unterschiede der zu vergleichenden Muster oder Modelle an.65 Maßgeblich sind die zu vergleichenden Geschmacksmuster, nicht die auf den 30 Geschmacksmustern beruhenden Produkte.66 Beim Einzelvergleich müssen die Muster unmittelbar gegenübergestellt werden und nicht nacheinander, da es nicht um die Feststellung einer markenrechtlichen Verwechslung geht.67 (2) Anmeldetag. Gem § 13 Abs 1 GeschmMG ist der Anmeldetag eines Musters der 31 Tag, an dem die Unterlagen mit den Angaben nach § 11 Abs 2 GeschmMG beim DPMA oder einem dazu bestimmten Patentinformationszentrum eingegangen sind. Ab dem Anmeldetag wird der Schutzumfang festgelegt und ist danach Erweiterungen in der Regel
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Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 10; Kur GRUR 2002, 661, 665; Sauer 42. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 61, 103; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 128; Hoeren/ Holznagel/Ernstschneider/Schröler 46; Sauer 50. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 128; Büscher/Dittmer/Schiwy/Steinberg Teil 1 Kap 10 § 2 GeschmMR Rn 5. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 4. Im Gegensatz zur subjektiven Neuheit im Urheberrecht; Ohly GRUR 2007, 731, 732. Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 126; Nordemann, A/Heise ZUM 2001, 128, 134; Kur GRUR 2002, 661, 665; Koschtial ZUM 2004, 555, 556; Koschtial 269; Stolz 113. BGH GRUR 69, 90 – Rüschenhaube; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 2 f, 4; Kur (GRUR 2002,
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661, 665) stellt dabei fest, dass die Darlegungs- und Beweislast damit dem Musterinhaber obliegt, was zu einer Verschärfung der Anforderungen an den Neuheitsbegriff gegenüber der bisherigen Rechtslage führt. BGH GRUR 1960, 256, 257 – Chérie; GRUR 1996, 767, 769 – Holzstühle; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 4; Pierson/Ahrens/Fischer/ Pierson 127; Sauer 39. BGH GRUR 1966, 681, 683 – Laternenflasche; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 5. Vgl bereits Rn 21 ff; Bulling/Langöhrig/ Hellwig GeschmMG Rn 46. BGH GRUR 1980, 235, 237 – Play-family; OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3059 – Handydesign. OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3059 – Handydesign; Eichmann/von Falckenstein/ Eichmann § 38 GeschmMG Rn 33.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
nicht mehr zugänglich.68 Darüber hinaus ist dieses Datum maßgeblich für die Beurteilung der Neuheit und Eigenart.69
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(3) Offenbarung. Ein Muster ist iSd § 5 S 1 HS 1 GeschmMG offenbart, wenn es bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Konnte es den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen nicht bekannt sein, so liegt keine Offenbarung vor, § 5 S 1 HS 2 GeschmMG. Dabei kommt es auf die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme an.70 Ist ein Muster unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit bekannt gemacht worden, so gilt es als nicht offenbart, § 5 S 2 GeschmMG.
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c) Schutzausschluss. Für die Beurteilung des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes ist der erfolgte Arbeitsaufwand nicht maßgeblich. Ebenso wenig ist bspw die für die Erstellung eines Handy-Logos erforderliche und genutzte Software für einen Schutzausschluss beachtlich, sofern genügend Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben.71 In § 3 GeschmMG ist der geschmacksmusterrechtliche Schutzausschluss geregelt. Ist ein 34 Erzeugnis rein technisch bedingt gestaltet worden, so muss der gewünschte Geschmacksmusterschutz verwehrt bleiben, § 3 Abs 1 Nr 1 GeschmMG. Technische Innovationen werden durch technische Schutzrechte (Patent-/Gebrauchsmusterrecht) geschützt.72 Beachtlich dürfte im Bereich der Medien der Schutzausschlussgrund nach § 3 Abs 1 35 Nr 3 GeschmMG sein, da es dabei um den Schutzausschluss von Mustern geht, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen. Muster, die politisch oder religiös diskriminierender Art sind, sind keinem geschmacksmusterrechtlichen Schutz zugänglich, da dies gegen die öffentliche Ordnung 73 verstoßen würde.74 Es darf sich dabei aber bspw nicht lediglich um die Verbindung eines Alltagsgegenstandes mit einem Hoheitszeichen handeln, sondern muss den ideellen Wert des letzteren beeinträchtigen.75 Bei einem Verstoß gegen die guten Sitten ist das Anstandsgefühl aller billig und ge36 recht Denkenden verletzt.76 Im Bereich der Medien ist dies bspw der Fall, wenn eine Werbung sittlich anstößig ist, wobei Peinlichkeiten oder schlechter Geschmack für sich genommen noch nicht zum Schutzausschluss führen.77
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d) Rechte aus dem Geschmacksmuster. Gemäß § 38 Abs 1 S 1 GeschmMG gewährt das Geschmacksmuster seinem Rechtsinhaber das ausschließliche Recht das Geschmacks-
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Zu Ausnahmen s näher Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 13 GeschmMG Rn 2, 5. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 13 GeschmMG Rn 2; Bulling/Langöhrig/ Hellwig Rn 56. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 5 GeschmMG Rn 8. OLG Hamburg MMR 2004, 407, 407; vgl zum geschmacksmusterrechtlichen Schutz von Logos Teil 2 Kap 9 Rn 25 ff. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 92; Pierson/ Ahrens/Fischer/Pierson 129; Patent- bzw Gebrauchsmusterrechtsschutz kann allerdings kumulativ neben geschmacksmusterrechtlichem Schutz bestehen, sofern dem Entwerfer über die technische Bedingtheit hinaus
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noch gewisse Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben, vgl Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 55. Der Begriff der öffentlichen Ordnung bezeichnet die Gesamtheit der wesentlichen Grundsätze der Rechtsordnung. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 3 GeschmMG Rn 16; Pierson/Ahrens/ Fischer/Pierson 130. Vgl auch Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson 130; Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 3 GeschmMG Rn 16. BGHZ 10, 228, 232; Bulling/Langöhrig/ Hellwig Rn 90. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 3 GeschmMG Rn 17.
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V. Designschutzrechte
muster zu (be)nutzen. Die Nutzung durch Dritte ohne Zustimmung kann er verbieten.78 Von der Benutzung sind nach § 38 Abs 1 S 2 GeschmMG die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr, der Gebrauch eines Erzeugnisses, in das das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird sowie der Besitz 79 eines solchen Erzeugnisses zu den genannten Zwecken erfasst. Insbesondere ist der Gebrauch hervorzuheben, da dieser geschmacksmusterrechtlich 38 in Abgrenzung zum Urheberrecht bereits eine Rechtsverletzung darstellt.80 Nicht in § 38 Abs 1 S 2 GeschmMG aufgezählt ist die Handlung der Wiedergabe. Als 39 Wiedergabe ist die zweidimensionale Darstellung eines geschützten Erzeugnisses zu verstehen.81 Verkörperte Abbildungen in Prospekten bspw können ebenso wie unkörperliche Darstellungen auf Bildschirmen als Wiedergabe gelten.82 Sie ist in § 38 Abs 1 S 2 GeschmMG nicht mit aufgeführt; aufgrund ihrer Nennung in § 40 Nr 3 GeschmMG als Rechtebeschränkung folgt aber, dass sie zu den Benutzungshandlungen des § 38 Abs 1 S 2 GeschmMG zu zählen ist.83 Bei Geltendmachung der Rechte aus dem Geschmacksmuster nach § 38 GeschmMG 40 müssen die materiellen Voraussetzungen der Eigenart und Neuheit vorliegen und es dürfen keine Schutzausschließungsgründe bestehen. e) Übertragung von Nutzungsrechten. Das Geschmacksmusterrecht kann durch 41 Rechtsgeschäft (im Gegensatz zum Urheberrecht, § 29 UrhG) übertragen werden. Der Rechtsinhaber kann dann wirtschaftlichen Nutzen aus dem Muster ziehen. So kann bspw der Rechtsinhaber eines Bucheinbandes einem Dritten gegen Vergütung das Musterrecht daran übertragen. f) Sammelanmeldungen/Setanmeldungen. Es lassen sich auch mehrere Muster in 42 einer Sammelanmeldung zusammenfassen. Bis zu hundert Muster die derselben Warenklasse angehören müssen, § 12 Abs 1 S 2 GeschmMG, können gemeinsam angemeldet werden. Beabsichtigt ist dadurch eine einheitliche auch kostengünstigere Durchführung der Anmeldung.84 Die angemeldeten Muster bleiben eigenständige Anmeldeobjekte, so dass für jedes der maximal hundert Muster der Schutzgegenstand gesondert ermittelt wird und gesonderte Rechte bestehen.85 Von der Sammelanmeldung ist die Setanmeldung zu unterscheiden. Bei letzterer han- 43 delt es sich um eine Anmeldung eines Satzes von Mustern, die in einem gestalterischen Zusammenhang stehen, wobei ein lediglich gemeinsamer Verwendungszweck nicht ausreicht.86 Ein Set ist bspw ein optisches Gerät mit Zubehörteil.87 g) Beschränkungen des Geschmacksmusters. Aus § 40 GeschmMG ergeben sich Be- 44 schränkungen der Rechte aus dem Geschmacksmuster. Im Wesentlichen geht es darum, 78
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80 81 82
Dies gilt auch für den Rechtsinhaber des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters, vgl Art 19 Abs 1 GGV – s dazu Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 174; Mittelstaedt WRP 2007, 1161, 1161. Der Besitz muss in der tatsächlichen Verfügungsgewalt gem § 854 BGB liegen; mittelbarer Besitz iSd § 868 BGB reicht nicht aus. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 17. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 19. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38
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GeschmMG Rn 19; vgl zur fotografischen Wiedergabe von geschmacksmusterrechtlich geschützten Erzeugnissen Teil 2 Kap 4 Rn 224 ff. Mehr dazu bei Eichmann/von Falckenstein/ Eichmann § 38 GeschmMG Rn 19. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 12 GeschmMG Rn 2. Näher dazu Eichmann/von Falckenstein/ von Falckenstein § 12 GeschmMG Rn 3. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 12 GeschmMG Rn 8. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 41.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
dass der Musterinhaber bspw nach Nr 1 Handlungen, die zu privaten und nicht gewerblichen Zwecken vorgenommen werden, nicht verbieten kann. Dies gilt ebenfalls bei Handlungen zu Versuchszwecken nach Nr 2 und für Wiedergaben zum Zwecke der Veranschaulichung oder der Lehre nach Nr 3.88 Damit kann zB im privaten Bereich ein Zeitschriftenlayout nachgebildet werden, sofern dies nicht gewerblich verwertet wird. Das Vorbenutzungsrecht aus § 41 Abs 1 S 1 GeschmMG regelt eine weitere Beschrän45 kung des Geschmacksmusterrechts: Rechte nach § 38 GeschmMG können gegenüber einem Dritten dann nicht geltend gemacht werden, wenn er vor dem Anmeldetag im Inland ein identisches Muster, das unabhängig vom eingetragenen Muster entwickelt wurde, gutgläubig in Benutzung genommen oder wirklich und ernsthafte Anstalten dazu getroffen hat. Der Dritte wird damit nicht Inhaber des Geschmacksmusters, er kann es aber gem des Vorbenutzungsrechtes, § 41 Abs 1 S 2 GeschmMG, verwerten. Somit können im Falle des Vorbenutzungsrechts bspw Lizenzen nicht eingeräumt werden.89 Eine Übertragung der Rechte ist grds ausgeschlossen, § 41 Abs 2 GeschmMG, kann aber erfolgen, wenn der Dritte ein Unternehmen betreibt und die Übertragung zusammen mit dem Unternehmensteil erfolgt, in dessen Rahmen die Benutzung erfolgte.
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h) Rechtswirkungen des Geschmacksmusters. Das Geschmacksmuster enthält eine positive, eine negative und eine strafrechtliche Wirkung. Positiv gewährt es dem Musterinhaber ein Verwertungsrecht nach § 38 Abs 1 S 1 GeschmMG.90 Der Rechtsinhaber hat das ausschließliche Nutzungsrecht. Die negative Wirkung beinhaltet eine Sperrwirkung des Geschmacksmusters: Ein Dritter darf in den Schutzbereich nicht unbefugt eingreifen. Auf die Kenntnis von dem Muster kommt es dabei nicht an. Hat ein Dritter ein geschmacksmusterrechtlich geschütztes Zeitschriftenlayout ohne vorherige Nutzungsrechtseinräumung kopiert, so kann der Rechtsinhaber nach § 42 Abs 1 GeschmMG die Beseitigung, im Falle einer Wiederholungsgefahr die Unterlassung und nach § 42 Abs 2 GeschmMG bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Strafrechtlicher Schutz eines Musters ergibt sich aus § 51 GeschmMG.91 Liegen die geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzungen (formelle sowie materielle) vor und hat ein Dritter ein Muster vorsätzlich ohne Nutzungsrecht entgegen § 38 Abs 1 S 1 GeschmMG benutzt, so wird er mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
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i) Dauer und Beendigung des Geschmacksmusters. Der Schutz des Geschmacksmusters beträgt maximal 25 Jahre ab dem Anmeldetag, § 27 Abs 2 GeschmMG. Durch Zahlung einer Gebühr (alle fünf Jahre) kann der Schutz Aufrecht erhalten werden, §§ 28 Abs 1, 27 Abs 2 GeschmMG. Nach Ablauf dieser Frist kann das Muster von Dritten beliebig genutzt werden.
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j) Formelle Voraussetzungen. Das Geschmacksmuster ist ein förmliches Recht. Es bedarf einer Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA), vgl § 11 Abs 1 S 1 GeschmMG. Gemäß § 11 Abs 2 S 1 Nr 1–4 GeschmMG muss die Anmeldung enthalten: 1. einen Antrag auf Eintragung, 2. Angaben, die es erlauben, die Identität des Anmelders 88 89
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Vgl zur fotografischen Abbildung von Geschmacksmustern Teil 2 Kap 4 Rn 226 ff. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 185; Pierson/ Ahrens/Fischer/Pierson 143; vgl näher zur Vergabe von Lizenzen an Geschmacksmusterrechten Teil 2 Kap 13 Rn 79 ff. Vgl dazu bereits Rn 37 ff.
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Es handelt sich bei § 51 Abs 1 GeschmMG um ein Antragsdelikt. Qualifiziert kann es nach § 51 Abs 2 GeschmMG durch gewerbsmäßiges Handeln begangen werden. Der Versuch ist ebenfalls strafbar, § 51 Abs 3 GeschmMG; vgl näher zum Medienstrafrecht Teil 7 Kap 3.
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V. Designschutzrechte
festzustellen, 3. eine zur Bekanntmachung geeignete Wiedergabe des Musters und 4. eine Angabe der Erzeugnisse, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll. Eine Beschreibung des Dargestellten ist nicht notwendig.92 Eine materielle Prüfung der Mustervoraussetzungen erfolgt weder mit der Anmeldung 49 noch mit der Eintragung.93 Das DPMA weist den Eintragungsantrag nach § 18 GeschmMG nur ab, wenn es sich nicht um ein Muster iSd § 1 Nr 1 GeschmMG handelt, wenn die Anmeldung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt bzw wenn das Muster gem § 3 Abs 1 Nr 3, 4 GeschmMG eine missbräuchliche Benutzung eines in Art 6ter PVÜ aufgeführten Zeichens darstellt. Damit ist das Geschmacksmusterrecht ein ungeprüftes Schutzrecht. Die Wiedergabe iSd § 11 Abs 2 S 1 Nr 3 GeschmMG ist von zentraler Bedeutung, da 50 sich aus der eingereichten Darstellung der Schutzumfang des Geschmacksmusters ergibt.94 Bzgl der zur Anmeldung eingereichten Darstellung prüft das DPMA lediglich die technische und optische Qualität. Die zur Anmeldung eingereichte Wiedergabe des Musters muss aus mindestens einer fotografischen oder sonstigen grafischen Abbildung bestehen. Maximal dürfen bis zu sieben Darstellungen eingereicht werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Beiwerk, das nicht (Bestand-)Teil des Musters sein soll, nicht abgebildet bzw umgekehrt alles von der Darstellung erfasst wird, was zum Schutzrechtsgegenstand gehören soll, da nur Schutz für das Wiedergegebene gewährt wird.95 In Löschungs- und Verletzungsverfahren wird nur die zur Registrierung eingereichte Wiedergabe berücksichtigt, nicht hingegen das Original.96 Schutz für ein Geschmacksmuster kann noch innerhalb eines Jahres nach der erstmaligen Offenbarung bzw „Veröffentlichung“ beantragt werden. Diese sog Neuheitsschonfrist ermöglicht es dem Entwerfer, vor einer Anmeldung sein Muster oder Modell bekannt zu machen, um bspw den Markwert zu ermitteln, ohne die Wirkung einer neuheitsschädlichen Offenbarung zu erreichen.97 Durch die Angabe des Erzeugnisses und damit der Anmeldung und Einstufung des 51 Geschmacksmusters in eine Klasse nach dem Abkommen von Locarno über die internationale Klassifikation von gewerblichen Mustern und Modellen (Locarno-Klassifikation) 98 wird der sachliche Schutzbereich nicht beschränkt, § 11 Abs 5 GeschmMG. Eine Verletzung des Musters liegt auch dann nicht vor, wenn die das Muster verletzende Erscheinungsform einer anderen Erzeugnisklasse entstammt.99
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Laut BGH GRUR 1963, 329 ist die entscheidende, geschmackliche Wirkung für die Schutzfähigkeit nicht den Angaben einer dem Muster zugrunde liegenden Beschreibung, sondern grds dem niedergelegten Muster zu entnehmen; vgl auch Schickedanz GRUR 1999, 291, 296. Erst im Verletzungsverfahren werden die materiellen Voraussetzungen geprüft, wofür der Anspruchssteller darlegungs- und beweispflichtig ist; Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 280; Hoernen/Holznagel/Ernstschneider/ Schröler 51. Vgl auch Weber GRUR 2008, 115, 116. BGH GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel; BGH GRUR 1977, 602, 604 – Trockenrasierer; BGH GRUR 1976, 377;
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BGH GRUR 1962, 144, 146 – Buntstreifensatin I. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 11 GeschmMG Rn 28. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 6 GeschmMG Rn 2; Bulling/Langöhrig/ Hellwig Rn 124. Die Klasseneinteilung und Warenliste der Locarno-Klassifikation ist auf der Internetseite des DPMA (www.dpma.de) veröffentlicht, sowie beim BAnz-Verlag als Anlageband zum BGBl I Nr 22 vom 14.5.2004 erhältlich. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 104; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 9, vgl auch Rn 19.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
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2. Teil
Erzeugnisse, die geschmacksmusterrechtlich registriert werden sollen, können nicht unter mehreren Klassen angemeldet werden. Für jedes angemeldete Muster darf nur eine Klasse angegeben werden (zB Klasse 19).100 Den Warenbegriff (Unterklasse) muss der Anmelder ebenfalls angeben und aus der Locarno-Warenklassifikation auswählen.101 Es können hierbei allerdings mehrere Unterklassen aus der Warenliste angegeben werden (Bspw erfolgte die Anmeldung einer Musterkombination von farbigen Flächen mit Schriftzug 102 unter den Warenklassen 19-02, 19-03, 19-04, 19-08, dh unter den Warenbegriffen „Kalender, Werbematerialien, Zeitschriften, Journale, Büroartikel, Bücher, Hefte und äußerlich ähnlich aussehenden Gegenständen, Drucksachen (einschließlich Reklamematerial), Schreibsets“.).103 2. Europäischer, internationaler Geschmacksmusterschutz
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a) Europäischer Geschmacksmusterschutz. Auf europäischer Ebene existiert Schutz für das Design von Medienprodukten über das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster wie über das nicht eingetragene, jedoch kürzeren Schutz gewährende Gemeinschaftsgeschmacksmuster.104 Ersteres erfordert ähnliche Voraussetzungen wie das deutsche Geschmacksmuster, vgl ua Art 3 GGV 105 oder Art 6 Abs 1 GGV,106 und kann nach Art 35 Abs 1 GGV beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) in Alicante oder bei einer nationalen Zentralbehörde, bspw dem DPMA, eingereicht werden. Es findet bei der Anmeldung und Eintragung keine Prüfung der materiellen Voraussetzungen durch das Harmonisierungsamt statt.107 Maximal kann das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht wie auch das deutsche Geschmacksmusterrecht 25 Jahre Schutz iSd Art 12 GGV gewähren.108 Es kommt weder auf einen bestimmten, Medienprodukten
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Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 217. Vgl Fn 98. HABM Musterregisternr 000044557-001 – die Voraussetzungen einer internationalen Musteranmeldung sind mit den nationalen nahezu identisch, vgl Rn 53 ff. Eingehender dazu Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 11 GeschmMG Rn 62 ff. Schlötelburg GRUR 2005, 123, 124; vgl auch Teil 1 Kap 3 Rn 276 ff. Art 3 GGV: „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet: a) „Geschmacksmuster“ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt; b) „Erzeugnis“ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – unter anderem – der Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, grafischen Symbolen und typografischen Schriftbildern; ein Computerprogramm gilt jedoch nicht
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als Erzeugnis; c) „komplexes Erzeugnis“ ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann.“ Art 6 Abs 1 GGV: „(1) Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar: a) im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, b) im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag.“ Weber GRUR 2008, 115. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 6; Rahlf/Gottschalk GRUR Int 2004, 821, 822.
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V. Designschutzrechte
in der Regel unterliegenden Gebrauchszweck noch auf ein konkretes Erzeugnis an.109 Der Schutz eines europäischen Mitgliedstaates bleibt daneben unberührt.110 Auch Sammelanmeldungen können eingereicht werden.111 Für das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster 112 wird Schutz für 3 Jahre 54 ohne Anmeldung und Eintragung, also formlos, von dem Tag an geboten, da das Muster der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.113 Die gleichen Voraussetzungen wie beim deutschen Geschmacksmuster gelten auch hier.114 Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht unterscheidet sich vom zuletzt genannten und vom eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht: Es entfaltet zum einen keine absolute Sperrwirkung und zum anderen nur Schutz gegenüber Nachahmungen.115 Es soll vorhandene Schutzlücken ausfüllen, um bspw auch Erzeugnisse von nur kurzer Lebensdauer zu schützen.116 b) Internationaler Geschmacksmusterschutz. Bei Geschmacksmustern, die internatio- 55 nal bei der WIPO in Genf angemeldet werden, erfolgt die Prüfung der Voraussetzungen nach dem deutschen Geschmacksmusterrecht.117 Dh, dass alle Voraussetzungen nach nationalem Recht bei internationaler Anmeldung vorliegen müssen.118 Damit besteht zwar kein absolut weltweit wirksamer Schutz, aber ein beschränkt internationaler Schutz in den Mitgliedstaaten, die dem Haager Abkommen über die Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle beigetreten sind. 3. Designer – Entwerfer von Medienprodukten Der Designer 119 (auch Entwerfer genannt) eines Geschmacksmusters kann selbststän- 56 dig oder aufgrund eines Angestelltenverhältnisses tätig werden.120 Das sich aus dieser Entwurfstätigkeit ergebende Recht steht dem Entwerfer oder sei- 57 nem Rechtsnachfolger nach § 7 Abs 1 S 1 GeschmMG zu. Juristische Personen können 109 110 111 112
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Kur GRUR 2002, 661; Schlötelburg GRUR 123, 124. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 6 aE. Gottschalk 57. Die Schutzmöglichkeit über das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gibt es erst seit dem Inkrafttreten der Gemeinschaftsgeschmacksmuster-Verordnung am 6.3.2002. Rahlf/Gottschalk GRUR Int 2004, 821, 821. Rahlf/Gottschalk GRUR Int 2004, 821, 822. Gottschalk 89; Rahlf/Gottschalk GRUR Int 2004, 821, 822; da für das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster keine Neuheitsschonfrist gilt, bietet es keinen Schutz, sofern in einem Land außerhalb der EU das Muster erstmals bekannt gemacht worden ist. Die Anmeldung ist oft kostspielig und die Anmeldung bspw für Betriebe aus dem Mittelstand zu aufwendig. Sie sollen ua vom nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster profitieren – vgl dazu Gottschalk 62.
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OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3056 – Handydesign. BGH GRUR 1998, 379, 382 – Lunette; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allg GeschmMG Rn 27. Dem Designer stehen neben den Designschutzrechten, die sein entworfenes Erzeugnis betreffen, andere ihn in seiner Person betreffende Schutzgesetze wie zB das sog Designerpersönlichkeitsrecht (vgl dazu Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 57 ff) die Künstlersozialversicherung (KSK), Bestimmungen über die Umsatzsteuer etc zu. Nach Nordemann, A/Heise sind Designer als arbeitnehmerähnliche Personen grds selbstständig tätig und würden in der Regel Einzelbüros ohne Angestellte betreiben, vereinzelt würden sie auch in Gesellschaften des bürgerlichen Rechts oder Partnerschaftsgesellschaften zusammengeschlossen sein – vgl ZUM 2001, 128, 128.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
nicht selbst Entwerfer iSd Geschmacksmusterrechts sein,121 sie können aber durch Musteranmeldung Rechtsinhaber werden122. Eine Beschränkung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit besteht nicht,123 der Anmelder muss lediglich rechts- und parteifähig sein. Die Entwurfstätigkeit selbst ist Realakt.124 Liegt eine gemeinsame Entwurfstätigkeit vor, so besteht auch ein gemeinschaftliches 58 Recht daran, § 7 Abs 1 S 2 GeschmMG.125 Ist der Geschmacksmusterentwurf innerhalb eines Arbeitsverhältnisses entstanden, so steht dem Arbeitgeber das Recht daran zu, soweit vertraglich nichts anderes vereinbart wurde, § 7 Abs 2 GeschmMG. Nach § 10 S 1 GeschmMG hat der Entwerfer ein Recht gegenüber dem Anmelder oder 59 dem Rechtsinhaber, im Verfahren vor dem DPMA und im Register als Entwerfer genannt zu werden.126 Es geht dabei um die Anerkennung der eigentlichen (Design-)Leistung.127 4. Abgrenzung zum Urheberrecht
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In der Regel erfasst das Geschmacksmusterrecht angewandte Kunst und damit auch medienrechtlich relevante Erzeugnisse wie Computer Icons, Studioausstattungen uvm. Problematisch ist das Verhältnis zum Urheberrecht hinsichtlich der urheberrechtlichen Schutzschwelle. Zwar können beide Schutzrechte nebeneinander 128 bestehen,129 noch wird allerdings ein hoher Maßstab an die urheberrechtliche Gestaltungshöhe für Werke der angewandten Kunst gesetzt, so dass das Geschmacksmusterrecht damit eher zu einer Art „Auffangdesignschutzrecht“ verfällt. Produkten simplerer Art, die zwar unter den urheberrechtlichen Schutz der Kleinen Münze fallen würden, wird mangels Absenkung der Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst der effektivere Schutz des Urheberrechts verwehrt. Das Problem liegt zunächst in der Ansicht, dass das Geschmacksmusterrecht als klei61 nes Urheberrecht bzw Auffangrecht im Vergleich zum Urheberrecht bezeichnet wird. Wäre dem so, müssten sich beide Rechtsgebiete gleichen. Dies misslingt bereits bei den unterschiedlich ausgestalteten Schrankenregelungen.
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a) Schutz des deutlich Überdurchschnittlichen? aa) Rechtsprechungsansicht. Die Rechtsprechung beharrt – trotz Reform des Geschmacksmusterrechts 130 – auf der Ansicht, dass Urheber- und Geschmacksmusterrecht in eine Art Stufenverhältnis zueinander zu setzen sind, weil nur ein gradueller Unterschied zwischen beiden Gebieten bestünde 121
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Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 161; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 7 GeschmMG Rn 4. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 11 GeschmMG Rn 10. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 11 GeschmMG Rn 10. BGH GRUR 1979, 145, 148 – Aufwärmvorrichtung; Eichmann/von Falckenstein/ Eichmann § 7 GeschmMG Rn 4. Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 158. Das Benennungsrecht aus § 10 GeschmMG ist Teil des Designerpersönlichkeitsrechts, vgl Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 57. Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 10 GeschmMG Rn 2.
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Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhR Rn 98; Eichmann/von Falckenstein/Eichmann Allgemeines GeschmMG Rn 39; Zech 159. Es kann aber auch genauso gut eine eigenpersönliche Schöpfung vorliegen, der mangels Erreichens der Gestaltungshöhe kein urheber-, aber geschmacksmusterrechtlicher Schutz zukommen kann. Ebenso kann es bei Vorliegen der urheberrechtlichen Gestaltungshöhe an der geschmacksmusterrechtlichen gewerblichen Verwertbarkeit fehlen, so dass nur urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommt. Vgl Schricker/Schricker Einl UrhG Rn 34; Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 101; Kur FS Schricker, 503, 510; Zech 159. Vgl Rn 2, Fn 2.
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V. Designschutzrechte
und kein wesentlicher.131 Da das Geschmacksmusterrecht bereits Erzeugnisse der angewandten Kunst schützt, die „über das Alltägliche hinausgehen müssen“, muss aus diesem Grund die urheberrechtliche Gestaltungshöhe noch höher angesetzt werden.132 Die Rechtsprechung bezieht diese Ansicht auf sämtliche Gestaltungen und Erzeugnisse der angewandten Kunst, mithin auch auf Gebrauchsgrafiken und sogar Schriftwerke, die einem Anwendungszweck dienen.133 bb) Literaturansicht. Die herrschende Meinung in der Literatur befürchtet bei Ge- 63 währung eines Schutzes durch die Kleine Münze 134 für Werke der angewandten Kunst eine Umgehung der formellen Voraussetzungen des Geschmacksmusterrechts. Daher spricht sich auch die herrschende Literatur für eine Beibehaltung der erhöhten Gestaltungshöhe für diese Werkart aus,135 da sie davon ausgeht, dass durch das Bestehen des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes eine Durchbrechung der Gleichbehandlung der Werkarten erforderlich wird. Der Grundsatz der „unité de l’art“ also nicht anwendbar ist.136 Es gibt aber auch andere Stimmen der Literatur, die sich von dem Stufenverhältnis 64 von Urheber- und Geschmacksmusterrecht distanzieren. Diese Ansichten neigen dazu, dass Erzeugnisse der angewandten Kunst anders zu erfassen sind.137 So soll bspw lediglich das Geschmacksmusterrecht Erzeugnissen Schutz gewähren können, wenn deren Gebrauchsweck vorrangiger als deren Ästhetik ist.138 b) Schutz des Unterdurchschnittlichen? Die These der Einführung eines urheberrecht- 65 lichen Schutzes für Unterdurchschnittliches 139 bezweckt die Gleichschaltung aller Werkkategorien, verkennt aber die Gefahr der Beschränkung des Formenschatzes. Dadurch wird ein weitergehender Schutz von Designleistungen gefordert, so dass darüber hinaus auch urheberrechtliche Persönlichkeitsrechte geltend gemacht und nicht nur geschmacksmusterrechtlicher Nachahmungsschutz eingeklagt werden können.140 Die einzige Einschränkung, die sich diese Ansicht auferlegt, ist, dass ein Werk individuell sein muss.141 c) Splittung der Schutzuntergrenze je nach Erzeugnisart. Zentek spricht sich dafür 66 aus, dass bspw im Bereich des Produktdesigns und bei Gebrauchsgrafiken eine unter-
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BVerfG GRUR 2005, 410, 410; BGH GRUR 1995, 581, 582 – Silberdistel; Möhring/ Nicolini/Ahlberg UrhG § 2 Rn 68, 110; Ulmer Urheber- und Verlagsrecht 149; Schricker/Loewenheim UrhG § 2 Rn 157; Koschtial GRUR 2004, 555, 555; Wandtke/ Bullinger GRUR 1997, 573, 573 ff; Zentek 63 mit weiteren Ausführungen zu der Entstehungsgeschichte dieser Ansicht. BGH GRUR 1993, 34 – Motorsäge II; OLG Köln GRUR 1986, 889 – ARD-1; OLG Frankfurt aM GRUR 1987, 44 – WM-Slogan; Kur Die Alternativen zum Schutz durch das Urheberrecht in Deutschland, 194 f – mit weiteren Ausführungen zur Stufentheorie. Zentek 63. Die Kleine Münze bezweckt den Schutz einfachster, gerade noch die Gestaltungshöhe
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erreichenden, Gestaltungen – BGH GRUR 1995, 581 – Silberdistel; Zentek 51. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn 95; Schack Rn 202; Rehbinder Rn 136; Ulmer 149 f; Erdmann FS von Gamm, 389, 402 f; Loewenheim GRUR Int 2004, 765, 765. „unité de l’art“ bedeutet „Einheit der Kunst“. Dieser Grundsatz liegt dem französischen Recht zugrunde – Gottschalk 136, Fn 194; Kur Die Alternativen zum Schutz durch das Urheberrecht in Deutschland, 195. Zech 162; vgl auch dazu Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 8, 16. Nordemann UFITA Band 50 (1967), 906, 911 f; Zech 163. Nordemann, A/Heise ZUM 2001, 128. Zentek 65. Nordemann, A/Heise ZUM 2001, 128, 139.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
schiedliche urheberrechtliche Schutzuntergrenze angesetzt werden sollte.142 Für letztere sollte lediglich eine überdurchschnittliche – im Gegensatz zu einer (noch) geforderten deutlich überdurchschnittlichen – Leistung verlangt werden, da weder Geschmacksmusternoch Wettbewerbsrecht einen Auffangschutz bieten könnten und zu nicht zufrieden stellenden Ergebnissen führen würden.143 Das OLG Jena hat sich dieser Meinung angeschlossen, indem es ausführt, dass „ein grafisch gestaltetes, eindimensionales Plakatmotiv […] im Gegensatz etwa zu einem Stoffdesign keinen Geschmacksmusterschutz in Anspruch nehmen [kann], da es sich nicht um ein gewerbliches Muster handelt. […] Geschützt ist auch die sog „Kleine Münze“.“ 144
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d) Alternative Schutzmöglichkeiten? Geiger 145 regt an, den Schutzumfang zu differenzieren und die Schutzgrenzen je nach Schöpfung festzulegen. Neben dem Urheberrecht dürfte ergänzender Schutz (bspw über das Geschmacksmusterrecht) nicht bestehen, damit das damit modifizierte Freihaltebedürfnis anderer nicht erfasster Schöpfungen nicht umgangen wird. Zum anderen schlägt Geiger 146 vor, dass das Geschmacksmusterrecht einen selbstständigen Bereich an zu schützenden Erzeugnissen zugesprochen erhält, damit andere Schöpfungen nicht mehr unter den längeren und effektiveren Urheberrechtsschutz fallen können. Diese Alternative deckt sich mit der Ansicht der Rechtsprechung zum Stufenmodell mit der Ergänzung, dass eine Vermutung für das Geschmacksmusterrecht anhand des Gebrauchszwecks eingeführt werden soll.
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e) Schutz der Kleinen Münze – Europäische Urheberrechtsentwicklung. Ausdrücklich wird in den einschlägigen Richtlinien 147 für Datenbankwerke, Computerprogramme und Werke der Fotografie bestimmt, dass nur anhand der Kriterien der eigenpersönlichen, geistigen Schöpfung die Schutzfähigkeit ermittelt werden kann. Damit wird der Forderung einer überdurchschnittlichen Gestaltungshöhe eine Absage erteilt.148 Problematisch wird es, wenn sog einfachste Formen bereits urheberrechtlichen Schutz erlangen. Peifer 149 befürchtet im Bereich der Präsentation von Medien insofern Probleme bei Ab69 senkung der urheberrechtlichen Gestaltungshöhe, da der Schutzumfang auch banalste Gestaltungen erfassen würde. Er weist darauf hin, dass dann selbst bei Kurzberichterstattungen darauf geachtet werden müsste, wessen Bildmaterial verwendet wird. Bei Großveranstaltungen gibt er zu Bedenken, dass Film- und Fotografierverbote die Konsequenz sein werden, da selbst Abbildungen von gemeinfreien Werken leistungsschutzrechtlich als Lichtbild geschützt sein können.150 Er vermutet eine Ausuferung der Lizenzvergabe als Folge.
70
f) Wertung der unterschiedlichen Standpunkte und Kritik. Das Geschmacksmustergesetz ist spätestens seit der Umsetzung der Geschmacksmuster-Richtlinie 98/71/EG 151
142 143
144 145 146
147
Zentek 74 und Grafik auf 75. Vgl neben Zentek 74 auch Schricker GRUR 1996, 815, 819; Schricker/Loewenheim Urheberrecht § 2 Rn 35. OLG Jena GRUR-RR 2002, 379 – Rudolstädter Vogelschießen. Geiger Zusammenfassung der Standpunkte – Entwickelte Thesen, 257. S näher zu den Einzelheiten dieser Theorie: Geiger Zusammenfassung der Standpunkte – Entwickelte Thesen, 257. Schutzdauer-RL Art 6 (93/98/EWG, ABl Nr L 290/9 vom 24. 11. 1993, 13 – GRUR
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148
149 150 151
Int 1994, 141); Computerprogramm-RL Art 1 Abs 2 S 3 (91/250/EWG, Abl Nr L 122 vom 17.5.1991, 42 – GRUR Int 1991, 545); Datenbank-RL Art 3 Abs 1 (96/9/EG, Abl Nr 77 vom 27.3.1996, 20 – GRUR Int 1996, 806). Schricker/Loewenheim § 2 UrhG Rn 33; Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell Teil 1 Kap 8 § 2 UrhG Rn 47. Peifer UFITA 2007/II, 327, 336. Peifer UFITA 2007/II, 327, 335. Umsetzung der Richtlinie durch Inkrafttreten des Geschmacksmusterrechts erfolgte
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V. Designschutzrechte
vom 13.10.1998 152 als eigenständiges, vom Urheberrecht getrennt aufzufassendes Rechtsgebiet zu begreifen.153 Die geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen heben sich deutlich von denen des Urheberrechts ab, so dass die Auffassung von einer Wesensgleichheit nicht mehr haltbar ist. Für die Mustervoraussetzung der Eigenart wird nunmehr nicht mehr von einer individuellen Leistung ausgegangen. In der Begründung des BVerfGs zu der Entscheidung „Laufendes Auge“ 154 wird noch zur alten Rechtslage vom Begriff der geschmacksmusterrechtlichen Eigentümlichkeit ausgegangen, dh, dass für die Schutzfähigkeit ein überdurchschnittliches Erzeugnis vorliegen muss. Seit der Geschmacksmuster-Richtlinie 98/71/EG ist dieser Begriff durch den der Eigenart ersetzt worden, nach dem es nicht mehr um die individuelle Leistung geht, sondern um die Unterschiedlichkeit eines Musters im Vergleich mit anderen Mustern des vorbekannten Formenschatzes.155 Damit hebt sich der neue Begriff der Eigenart grundlegend ab, da nunmehr auch durchschnittliche Leistungen Schutz erfahren können. Die Aufrechterhaltung der Stufentheorie lässt sich somit nicht mehr nachvollziehen.156 Das Geschmacksmusterrecht ist als selbstständiges vom Urheberrecht unabhängiges Schutzrecht zu verstehen.157 Da die Stufentheorie konsequenterweise damit hinfällig wird, entsteht eine Schutz- 71 lücke. Ob es dafür eines neuen verwandten Schutzrechts bedarf, wie Kur 158 es vorschlägt, erscheint zweifelhaft, wenn der Schutz über die kleine Münze für Werke der angewandten Kunst adäquat abgesenkt werden kann. Ein Beibehalten der im Vergleich zu Werken der bildenden Kunst höheren Gestaltungshöhe erscheint nicht mehr haltbar. Laut BGH darf keine Inhaltskontrolle zwischen beiden Werkarten angestellt werden, damit keine Rangbildung entsteht, die bereits im Vorfeld eine Höher- bzw Minderwertigkeit der einen oder anderen Werkart indiziert.159 Auch kann das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster diese Lücke nicht schließen. Es scheint zwar zunächst als eine Art Rechteerweiterung für eigentlich unter die Kleine Münze fallende Erzeugnisse der angewandten Kunst, die nach dem momentanen Rechtsverständnis nicht mangels Absenkung der Gestaltungshöhe unter urheberrechtlichen Schutz fallen. Allerdings wird dieser Schutz nur für drei Jahre ab der ersten Zugänglichmachung gewährt. Verletzungsfälle können aber noch Jahrzehnte danach auftreten, da ein Produktzyklus von längerer Dauer als der drei gewährten Jahre sein kann.160 Gesetzessystematisch betrachtet kann es auf urheberrechtlicher Ebene keine Differen- 72 zierung zwischen Werken der angewandten und der bildenden Kunst, bspw an einem Gebrauchszweck orientiert, geben. Beide Werkkategorien sind in § 2 Abs 1 Nr 4 UrhG ohne erkennbare Abstufung genannt. Der Schutz durch die Kleine Münze für Werke der angewandten Kunst dürfte damit grds möglich sein. Einer Differenzierung nach Schöpfungsarten ist kein Raum geboten, da das Urheberrecht den Schutz ästhetischer Formen
152 153 154 155
am 12.3.2004; s auch Wandtke/Bullinger/ Bullinger § 2 UrhG Rn 98; Wandtke/Ohst GRUR Int 2005, 91, 92. Abl 289, 28; vgl auch Fn 2. Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 41, Fn 465; Teil 1 Kap 3 Rn 275. BVerfG GRUR 2005, 410 – Laufendes Auge. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 2 GeschmMG Rn 10; Jestaedt GRUR 2008, 19, 19; Sauer 42.
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158 159 160
So ua auch Sauer 89. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhR Rn 98; Koschtial ZUM 2004, 555, 556; Wandtke/Bullinger GRUR 1997, 573, 575; Sauer 26. Kur Die Alternativen zum Schutz durch das Urheberrecht in Deutschland, 194. Vgl dazu auch RGZ 76, 339, 344 – Schulfraktur; vgl auch Teil 1 Kap 1 Fn 465. Hartwig 8.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
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2. Teil
bezweckt und nicht nach der Gebrauchsbestimmung eines Werkes unterscheidet.161 Der Schutz der Kleinen Münze wird durch den 3-jährigen Schutz über das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht nicht umgangen. Die Schutzuntergrenze der urheberrechtlichen Kleinen Münze wird höher angesetzt sein, bzw nach Umsetzung der Geschmacksmuster-Richtlinie 98/71/EG anders zu definieren sein als der Schutz des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters.162 Natürlich darf eine Absenkung der Gestaltungshöhe nicht zur Abschwächung des Freihaltebedürfnisses führen. Es kann nicht Sinn einer europäischen Harmonisierung sein, dass kreative Spielräume im Bereich der Digital- und Printmedien zunichte gemacht werden. Bei Printmedien müssen zB bereits gewisse Formen wie das bisher bekannte Taschenbuch- oder gebundene Format (Buchdeckel/-rücken/-einband) eines Buches frei bleiben, da sie als funktionsgebundene Gestaltungselemente nicht schutzfähig sein können. Der Gebrauchszweck wird von der Literatur und der Rechtsprechung immer wieder kritisch im Zusammenhang mit Werken der angewandten Kunst genannt. Sie verlangen daher mehr Individualität als bei anderen Werken. Zweck des Urheberrechts ist es, den ästhetischen Formen Schutz zu gewähren. Ein Gebrauchsweck spielt bei der Beurteilung, ob einer eigenpersönlich gestalteten Form oder einem Erzeugnis ein ästhetischer Gehalt innewohnt, keine Rolle. Maßgeblich ist der sog „ästhetische Überschuss“. Die europäische Harmonisierung hat bereits einen sog Unterbau für Lichtbilder (den Lichtbildschutz nach § 72 UrhG) und Datenbanken (§§ 87 ff UrhG) eingeführt, ohne dass die Gestaltungshöhe bei derartigen Leistungen angehoben wurde. Selbst bei Beibehaltung der höheren Anforderungen an die urheberrechtliche Gestaltungshöhe für Werke der angewandten Kunst ist die Abkopplung des Geschmacksmusterrechts vom Urheberrecht durch Umsetzung der Richtlinie 98/71/EG nicht zu verkennen. Beide Rechtsgebiete können zwar kumulativ Schutz gewähren, sind aber voneinander selbstständig zu betrachtende Schutzrechte.
VI. Verwertungsmöglichkeiten von Design 78
Die eigentliche Designleistung kann in einem einzelnen Element, das für sich oder als Bestandteil eines Komplexes besteht, erfasst sein. Sie kann aber auch aus unterschiedlichen Elementen zu einem „übergreifenden Ganzen“ zusammengefasst und damit als Gesamtkonzept zu begreifen sein. Es kommt auf die im Zusammenhang oder einzeln zu betrachtende Designleistung an, inwiefern sie geschmacksmusterrechtlichem Schutz zugänglich ist. 1. Gesamte Konzepte – Formate
79
Zu der Schutzfähigkeit von TV-Formaten hat der BGH in seiner Entscheidung „Fernsehformat“ geäußert, dass das Format einer Fernsehshow dieser als Konzept zugrunde liegen würde und daher urheberrechtlich nicht schutzfähig sei.163 Der BGH unterscheidet das Fernsehformat von der Fernsehserie, die durch ihren fiktiven Inhalt gekennzeichnet ist und durch ihre sich immer weiterentwickelnde und fortlaufende Handlung durchaus 161 162
S dazu auch Zech 163 f. Vgl zu den Voraussetzungen des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Rn 54.
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BGH NJW 2003, 2828, 2829 – Sendeformat; vgl auch BGH GRUR 2003, 876; Spacek 112 f; Schricker GRUR Int 2004, 923, 925.
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VI. Verwertungsmöglichkeiten von Design
einem Schutz zugänglich sein kann. Das Format hingegen hält keine derartigen zusammenhängenden fiktiven Inhalte bereit. Nach Auffassung des BGH ist es „ein einheitliches Konzept von individueller Eigenart“.164 Es ist daher „unabhängig von der schöpferischen Leistung, auf der es beruht“, nicht urheberrechtlich schutzfähig, da es lediglich auf einer individuellen geistigen Tätigkeit beruht.165 Fraglich ist, ob diese Entscheidung auf das Geschmacksmusterrecht übertragbar ist. 80 Betont man, dass ein Format lediglich auf einem Konzept beruht, so muss auch hierfür geschmacksmusterrechtlicher Schutz versagt bleiben.166 Geht man allerdings von der Gesamtgestaltung (dem Aufbau des Studios, der Studioeinrichtung, der Platzierung der einzelnen Sitzelemente bzw Moderatorenpositionen, Podeste, Podien, Schaufenster etc) aus, so muss diese sich vom sog vorbekannten Formenschatz unterscheiden, um geschmacksmusterrechtliche Eigenart annehmen und von einer möglichen Schutzfähigkeit ausgehen zu können. Dann ist allerdings wie im Urheberrecht nicht das eigentliche Konzept geschützt, sondern die dem TV-Format zugrunde liegende „Verpackung“, dh die (ästhetische) Gestaltung des Formats. Bei anderen Formaten wie bspw XING, facebook, StudiVZ etc kommt es für die 81 Schutzfähigkeit darauf an, inwiefern eigengestalterische Möglichkeiten für den Nutzer verbleiben. Bei den gerade genannten Seiten, den sog Web-Adressbüchern ist die Gestaltung der Seite(n) in der Regel vorgegeben.167 Auch wenn der Nutzer bei facebook die einzelnen Elemente seiner „eigenen“ Seite selbstständig verschieben kann und damit jede Seite ein wenig durch Hinzufügen von Applikationen differieren wird, verschiebt oder fügt der Nutzer lediglich Vorgegebenes hinzu. Eine sich vom vorbekannten Formenschatz abhebende Seite kann sich somit grds nicht ergeben. Vom Musterschutz einer derartigen durch den Nutzer individuell auf seine Interessen abgestimmten Seite durch Anordnung bereits gestalteter Elemente kann in der Regel mangels Eigenart nicht ausgegangen werden. Handelt es sich dahingegen um Plattformen, auf denen der Nutzer frei gestalterisch 82 tätig werden kann, hängt die geschmacksmusterrechtliche Schutzfähigkeit davon ab, ob diese sich vom vorbekannten Formenschatz von registrierten Seiten abhebt und ob die Neuheit gewahrt ist.168 Bspw kann ein Nutzer auf seiner selbstständig gestalteten Homepage individuell entworfene Icons präsentieren, die sich von den bereits registrierten Mustern unterscheiden. Ein geschmacksmusterrechtlicher Schutz könnte dafür unter der Bedingung des Vorliegens der weiteren Mustervoraussetzungen bestehen. 2. Einzelne Elemente Nach § 1 Nr 1 GeschmMG können auch einzelne Teile geschützt sein, sofern diese 83 selbstständig die geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. So können bspw Verzierungen von Druckerzeugnissen, Rechnungen, Etiketten, Postern, Werbematerial als einzelne Elemente schutzfähig sein. Ein einzelnes Element kann wiederum selbst aus einzelnen Elementen bestehen, die in 84 ihrer Gesamtbetrachtung ein geschmacksmusterrechtliches Muster darstellen. Einzelne Elemente können aber auch in einem Komplex integriert (lösbar oder verbunden) zur Schutzfähigkeit beitragen, indem alle Einzelelemente kumuliert den Gesamteindruck der164 165 166 167
BGH NJW 2003, 2828, 2829 – Sendeformat. BGH NJW 2003, 2828, 2830 – Sendeformat. Vgl Fn 19. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhR
168
Rn 159 zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit dieser Systeme. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhR Rn 159 zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der eingestellten Videos als Filmwerk.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
art prägen, so dass ein Unterschied zu Vorbekanntem vorliegt und damit geschmacksmusterrechtliche Eigenart anzunehmen ist.169
VII. Geschützte Designprodukte/Mediengestaltungen – Schutzmöglichkeiten 85
Das Erscheinungsbild, also das Design von Medien – seien sie stofflich verkörpert oder nicht – kann ein maßgeblicher Faktor dafür sein, ob das Auge oder Ohr des Empfängers die Information erhält oder nicht.170 Vor Inanspruchnahme eines gesetzlich verankerten „Medienrechtsschutzes“ können 86 bereits produktpolitische Maßnahmen ein Nachahmen von Designprodukten erschweren. Als Know-How-Barrieren benennt Gottschalk Gestaltungen, deren Nachahmung mit hohen Investitionskosten verbunden ist.171 Ebenso spricht sie sich für sichtbare, bspw in Form von Hologrammen, und unsichtbare, bspw technische Sicherungen als Kontrollmerkmale aus, die einen Nachahmungsschutz bilden können. Reichen diese beispielhaft genannten Maßnahmen gegen Nachahmungen nicht aus, 87 so kann sich der Registerschutz über das Geschmacksmusterrecht zwar als aufwendiger hinsichtlich der Formalitäten, aber womöglich als effektiver erweisen. 1. Stofflich verkörperte Medien
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Designleistungen können stofflich verkörpert als Layout von Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Buchdeckel, Kochbuchseiten, Illustrationen etc) wiedergegeben sein. Stofflich verkörperte Corporate Designs 172 treten bspw auf Visitenkarten, Plakaten, Postern, in der Werbung in Zeitschriften und Zeitungen, auf Etiketten, auf Briefbögen in Erscheinung. Unter der Voraussetzung, dass Eigenart, Neuheit und keine Schutzausschlussgründe vorliegen,173 muss geschmacksmusterrechtlicher Schutz für fast alle denkbaren stofflich verkörperten, medienrechtlichen Designleistungen in Betracht gezogen werden. Da die Biegsamkeit, das Gewicht oder die Handhabung in der zur Musterregistrierung einzureichenden Darstellung nicht wahrnehmbar gemacht werden kann, ist ein Schutz dahingehend ausgeschlossen. Musterschutz nach dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann aber derartige Merkmale mit umfassen.174
89
a) Printmedien – Printdesign. Je nach Printmedium rückt die Gestaltung mehr oder weniger in den Vordergrund. Bei Büchern wird in der Regel dem Inhalt Priorität beizumessen sein. Dem Trägermedium Buch, das zur Verbreitung des Inhalts beiträgt, kommt trotz Einführung von E-Books noch große Bedeutung zu.175 Die (ästhetische) Gestaltung eines Bucheinbandes soll Interesse wecken, dekorativ wirken, Qualität vermitteln oder einen Wiedererkennungseffekt erzeugen. Wichtig ist bei Zeitungen und Zeitschriften ein einheitliches Gesamtkonzept. Dieses ist insbesondere neben einem bereits bestehenden Titel bei der Gestaltung von neu einzuführenden Titeln und Themenbereichen zu berück169 170 171 172 173
Vgl Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 19. Tyler Eastman 153. Gottschalk 34. S näher zum Corporate Design unter Rn 119 ff. S näher zu den Voraussetzungen und den Schutzausschlussgründen Rn 33 ff.
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174 175
Bulling/Langöhrig/Hellwig Rn 26. Im Jahr 2003 gab es bspw in Deutschland 80.971 Neuerscheinungen und eine Gesamtauflage von ca. 774 Mio Büchern, vgl Wirtz 210.
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VII. Geschützte Designprodukte/Mediengestaltung – Schutzmöglichkeiten
sichtigen.176 Schutzfähigkeit kann der einzelnen Überschrift 177, der einzeln gestalteten Seite oder dem dem Printmedium zugrunde liegenden gesamten Konzept zukommen. aa) Layout von Printmedien. Dem Layout von Printmedien kommt je nach Art unter- 90 schiedliche Bedeutung zu. Nicht periodisch erscheinende Printmedien können, sofern der Inhalt nicht bereits selbst überzeugt oder bislang unbeachtet blieb, über ein bestimmtes auf den Inhalt abgestimmtes Layout Interesse beim Verbraucher wecken. Bei periodisch erscheinenden Produkten wie zB einer wissenschaftlichen Buchreihe oder einer Reihe eines bestimmten Buchautors, die sich auf dem Markt etabliert hat, bedarf es einer einheitlichen Gestaltung des Layouts, damit der Verbraucher neu erscheinende Bände dieser Reihe wiedererkennen und zuordnen kann. Der Wiedererkennungseffekt bzw die Kontinuität ist hierbei von übergeordneter Bedeutung. Erscheinen Printprodukte von Dritten mit einem ähnlichen Layout, so kann dies zu einer Verwechslung auf dem Absatzmarkt führen und für die ursprünglich Veröffentlichenden qualitativ abträglich sein, da sich die Etablierung einer besonderen Reihe in der Regel als Qualitätsmerkmal darstellen wird. Die Gestaltung eines Bucheinbands, eines Buchdeckels, von Kochbuchseiten bzw von Illustrationen verhilft dem einzelnen Printprodukt, sich von anderen Gestaltungen aus dem vorbekannten Formenschatz abzusetzen und somit geschmacksmusterrechtlichen Schutz zu erlangen. bb) Plakate und Poster. Auch Plakate und Poster sind dem Geschmacksmusterschutz 91 zugänglich. Grds sind sie nach dem Abkommen von Locarno über die internationale Klassifikation von gewerblichen Mustern und Modellen unter der Klasse 19 Unterklasse 8 eingegliedert. Insbesondere sind Filmposter wichtige Werbemittel, die bspw bei einem dargestellten Film für einen hohen Wiederkennungseffekt sorgen können.178 Häufig werden anschließend CD- und DVD-Covers sowie andere Fanartikel identisch oder ähnlich gestaltet. Auch Großveranstaltungen wie Sportereignisse können durch Plakate und Poster einen einheitlichen Gesamtauftritt erreichen. Für den Zeitraum der Veranstaltung kann somit für Sportler und für Zuschauer ein Zugehörigkeitsgefühl bzw ein Wiederkennungseffekt generiert werden, der dieses Ereignis identifizierbar werden lässt. Beim HABM sind diverse unterschiedliche Poster und Plakate von der FIFA angemeldet worden, auf denen zB ein Fußball aus einem Stadion herausgeschossen kommt 179 oder ein Löwe (genannt „Goleo“) bekleidet mit einem Fußballtrikot in triumphierender Pose mit einem Fußball abgebildet ist 180. cc) Werbung und Werbetexte. Eine stofflich verkörperte Werbung bzw ein Werbetext 92 (Slogan) besteht in der Regel aus Schriftzeichen und/oder Grafiken. Typografische Schriftzeichen und grafische Symbole sind grds dem Musterschutz zugänglich, vgl § 1 Nr 2 GeschmMG, so dass eine Kombination derer als Teil einer Schrift- und Bildwerbung oder Schriftzeichen allein als Werbetext geschmacksmusterrechtsschutzfähig sein können. Der Inhalt der verkörperten Schriftzeichen kann durch das Geschmacksmusterrecht nicht geschützt werden.181 Demgemäß ist nicht maßgeblich, ob es sich dabei um eine politische Werbung oder um eine herkömmliche Produktwerbung handelt. 176 177 178 179
180
Wirtz 195. Vgl näher zu 114. Wirtz 311. Nummer des beim HABM eingetragenen Geschmacksmusters: 000248760-0002, Tag der Veröffentlichung 2.11.2004, Ablaufdatum: 2.11.2009. Nummer des beim HABM eingetragenen
181
Geschmacksmusters: 000298724-0009, Tag der Veröffentlichung 21.2.2005, Ablaufdatum: 21.2.2009, als Angabe des Erzeugnisses sind neben den Begriffen Poster und Plakat auch Logos angegeben. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 33.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
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2. Teil
Der Werbung kann somit als Gesamterzeugnis Musterschutz zukommen, es können aber auch einzelne grafische Elemente selbstständig schutzfähig sein.
94
dd) Verpackungen und Etiketten. Verpackungen sind dem geschmacksmusterrechtlichen Schutz unabhängig davon zugänglich, ob deren Inhalt ebenfalls musterschutzfähig ist.182 Ebenfalls nicht maßgeblich ist, ob die Verpackung lediglich dem Schutz der Ware dient oder darüber hinaus die Ware in einer besonderen Art und Weise vermarkten soll. Sie wird in der Regel neben Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchprodukten für Medienprodukte von Bedeutung sein, die einen Träger benötigen wie zB Computer- und Videospiele sowie Musik-CDs und DVDs.183 Hiervon abzugrenzen ist die Ausstattung. Sie bezieht sich auf die „Aufmachung“ der 95 Ware bzw Verpackung 184 und ist ebenfalls dem Musterschutz zugänglich. Etiketten sind als Hinzufügung einer Ausstattung integriert musterschutzfähig 185 bzw sind auch allein dem Geschmacksmusterschutz zugänglich, selbst wenn sie Teil eines eigenständigen Erzeugnisses sind.186
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ee) Briefbögen, Visitenkarten, Flyer. Briefbögen, Visitenkarten, Flyer und dergleichen können Mediengegenstände darstellen, mittels derer sich ein Unternehmen eine Corporate Identity gibt.187 Grds gilt für derartige Gegenstände ebenfalls, dass Musterschutz bei Vorliegen der 97 geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzungen möglich ist. Bei der Gestaltung von Briefen und Postsendungen ist es jedoch empfehlenswert, zumindest die gängigen Formate von Sendungen zu beachten, da sie in den üblichen Briefversandzentren maschinen-lesefähig sein müssen.
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b) Sonstige Designprodukte. aa) Schutz für Medienprodukte vermittelnde Gegenstände. Gegenstände, die Medienprodukte beinhalten, ausstellen oder veröffentlichen, können ebenfalls geschmacksmusterrechtlich geschützt sein. So sind bspw beim HABM Gegenstände wie eine SD-Karte 188 zur Speicherung von Fotos, eine Litfaßsäule 189 oder eine Präsentationsmappe 190 registriert.
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bb) Oberflächenstrukturen. Einige stofflich verkörperte Medien wie bspw Einbände für Kinderbücher werden mit originellen Stoffen oder Materialien eingefasst, so dass die Sinneswahrnehmung des Fühlens und Ertastens gefördert wird. Derartige Oberflächenstrukturen sind als plastisch wahrnehmbare Modelle musterschutzfähig. Sie können lediglich stofflich verkörpert geschützt sein. Original-Modelle dürfen seit Inkrafttreten des neuen Geschmacksmusterrechts nicht mehr eingereicht werden; allerdings kann gem § 11 Abs 2 S 2 GeschmMG die Wiedergabe durch einen flächenmäßigen Musterabschnitt ersetzt werden.191 Somit kommt es bei der einzureichenden Darstellung auf eine
182 183 184 185 186
187 188
Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 15. Wirtz 105. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 16. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 16. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 34; Eichmann Mitt 1989, 191, 195. S näher zur Corporate Identity Rn 119 ff. Beim HABM eingetragen unter der Num-
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189
190
191
mer: 000283544-0001, Anmeldetag: 21.1.2005, Ablaufdatum: 21.1.2010. Beim HABM eingetragen unter der Nummer: 000090170-0001 Anmeldetag: 22.10.2003, Ablaufdatum: 22.10.2008. Unter der Angabe Buchdeckel lässt sich eine Art Präsentationsmappe im Register des HABM finden, eingetragen unter der Nummer: 000037437-0001 Anmeldetag: 6.6.2003, Ablaufdatum: 6.6.2008. Vgl Eichmann/von Falckenstein/von Falckenstein § 11 GeschmMG Rn 54 ff.
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VII. Geschützte Designprodukte/Mediengestaltung – Schutzmöglichkeiten
qualitativ hochwertige Abbildung an. Oberflächenstrukturen können zweidimensional, aber auch dreidimensional gestaltet sein.192 2. Stofflich nicht verkörperte Medien Das Geschmacksmusterrecht schützt ebenfalls Erzeugnisse, die nicht stofflich verkör- 100 pert sein müssen – wie zB Bildschirmlayouts –, wenn der anzumeldende Gegenstand ein zwei- bzw dreidimensionales Muster darstellt und die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllt. Stofflich nicht verkörperte Designleistungen können stofflich verkörpert als Layout 101 von Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Buchdeckel, Kochbuchseiten, Illustrationen etc) wiedergegeben sein. Auf geschmacksmusterrechtlicher Ebene existiert allerdings mangels Wahrnehmungs- 102 möglichkeiten als Gegenstand kein den Hör- oder Geruchsmarken entsprechender Schutz.193 a) Bild- und Tondesign. Zwar sind Computerprogramme grds nicht vom Geschmacks- 103 musterschutz erfasst, dennoch können auch Bildschirmlayouts ebenfalls bei Vorliegen von Neuheit und Eigenart geschmacksmusterrechtlich geschützt sein.194 Ein „Tondesign“ kann mangels zwei- bzw dreidimensionaler Darstellung nicht über das Geschmacksmusterrecht geschützt sein.195 aa) Fernseh-/TV-Design bzw On-Air Design. Das Erscheinungsbild eines Fernsehsen- 104 ders oder einer Sendung wird in der Regel als Fernsehdesign, TV-Design bzw im englischsprachigen Raum On-Air Design bezeichnet. Es ist als Teil des Corporate Designs bzw der Corporate Identity des Senders zu verstehen und kann über das Einschalten des Fernsehsenders (oder durch Aufrufen der Webseite des Senders) durch den Zuschauer aufgerufen werden.196 Sinn und Zweck ist es, dass der Zuschauer das entsprechend ausgestrahlte Programm bzw den gewählten Sender unmittelbar (wieder)erkennen kann. Die eigentliche „Verpackung“ im TV-Bereich besteht aus optischen und akustischen Elementen.197 Letztere sind geschmacksmusterrechtlichem Schutz nicht zugänglich, da akustische Elemente keine Erzeugnisse darstellen, die zwei- oder dreidimensional als Muster oder Modell wahrnehmbar sind. Allerdings können optische Elemente wie zB Logos 198 von Sendern, Studiogestaltungen, die Moderatoren- und Geschäftsausstattung sowie die Einleitung und Beendigung von Werbeblöcken durch sendereigene Symbole als wahrnehmbares Element geschützt werden. Grafische Bildschirmdarstellungen werden mittlerweile von sämtlichen Fernseh- 105 sendern verwendet, um Programmhinweise (wie zB Programmtafeln, eingeblendete Hinweise am unteren oder oberen Bildschirmrand), Eilmeldungen, Börsendaten oÄ dem Zuschauer mitzuteilen. Derartige Bildschirmelemente können als zweidimensionale Erscheinungsformen geschmacksmusterrechtlichen Schutz erfahren.199 Deren Sichtbar-
192 193 194
Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 9. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 12. Beim HABM eingetragen unter Klasse 14-04 als Bildschirmlayout: Nummer: 0005361310001 Anmeldetag: 30.5.2006, Ablaufdatum: 30.5.2011.
195 196 197 198 199
Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 12. S auch zum Corporate Design unter Rn 119 ff. Wirtz 392. Vgl zum geschmacksmusterrechtlichen Schutz von Logos ausf Teil 2 Kap 9 Rn 25 ff. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 Rn 20, 12.
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Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
keit auf dem Bildschirm reicht aus. Geschützt wird nur die Darstellung eines einzelnen stehenden Bildes oder Elementes, nicht dahingegen eine Abfolge von Bewegtbildern bzw ein Film, vgl auch § 6 Abs 1 GeschmMV (Wiedergabe des Musters).200
106
bb) Film-/Videodesign. Grds kann Filmen und Videos bzw bewegten Bildern in ihrer Abfolge kein Geschmacksmusterschutz zukommen, da nur die Darstellung an sich schutzfähig ist, vgl auch § 6 Abs 1 GeschmMV. Für derartige Bildabläufe kann hingegen urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommen.201 Geht es darum, ein bestimmtes Genre oder ein Konzept in einem Film oder Video 107 (bspw in einem Musikvideo) schützen zu lassen, so wird ein geschmacksmusterrechtlicher Schutz häufig am Freihaltebedürfnis scheitern. Eine Indiander-Szenerie in einem Film ist in der Regel nicht geschmacksmusterrechtlich schutzfähig, da es sich lediglich um ein Konzept handeln wird, das sich nicht konkret individualisieren lässt. Schutzfähigkeit kann aber vorliegen, wenn die Ausstattung selbst wie zB Indianerzelte und entsprechende Kleidung der Schauspieler, neu und eigenartig ist. Ebenso kann bspw eine die Ausstattung umgebende Kulisse geschmacksmusterrechtlichen Schutz erlangen. Die einzelne Gestaltung eines bestimmten Bildes in einem Film 202 wie zB die konkrete Ausgestaltung einer Küchenszenerie in einer Kochserie, kann somit schutzfähig sein. Der dem Film oder dem Video (Sounddesign) zugrunde liegende Ton kann ge108 schmacksmusterrechtlich nicht geschützt werden.203 Der Ton bzw Sound ist kein Erzeugnis im geschmacksmusterrechtlichen Sinn, der zwei- oder dreidimensional als Muster oder Modell wahrnehmbar ist.
109
b) Rundfunk/Telemedien. Im Gegensatz zum Markenrecht (Hörmarken) gewährt das Geschmacksmuster keinen Schutz für Gehörtes oder Gesprochenes, da Akustisches kein Erzeugnis iSd § 1 GeschmMG darstellt.204 Für Rundfunksender kann allerdings geschmacksmusterrechtlicher Schutz über das Coporate Design 205 in Betracht kommen. Zwar sind Logos 206 oder die Aufmachung eines Rundfunksenders für den einzelnen Zuhörer nicht über das Radio wahrnehmbar, dennoch präsentiert sich der Sender im alltäglichen Geschäftsverkehr bspw bei Zusendung von Informationsmaterial bzw Gewinnpreisen oder bei Veranstaltungen mittels seiner Corporate Identity. Entsprechendes gilt für Telemedien. Sie präsentieren sich Dritten gegenüber mittels 110 Ihrer Corporate Identity.207 Gegenstände, Erzeugnisse etc, die Informations- und Kommunikationsdienste im Geschäftsverkehr verwenden, können wiederum selbst geschmacksmusterrechtlich geschützt sein.
111
c) Internet – Websitedesign. Eine Internetseite oder Webseite stellt im Grunde genommen keinen Gegenstand im herkömmlichen Sinne dar. Geschmacksmusterrechtlich wird eine Internet- oder eine Webseite als zweidimensionale Form erfasst, die sichtbar ist und damit im Gegensatz zu Computerprogrammen durchaus geschmacksmusterrechtlichen Schutz erlangen kann.208
200 201
202 203
Vgl auch zum Film-/Videodesign Rn 106 ff. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 20; vgl näher zum Filmrecht Teil 2 Kap 2. Vgl näher zum Filmrecht Teil 2 Kap 2. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 12.
860
204 205 206 207 208
Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 12. Vgl näher zum Coporate Design Rn 119 ff. Vgl auch Teil 2 Kap 9 Rn 25 ff. Vgl Rn 119 ff . Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 20; Murray 71, 72.
Kirsten-Inger Wöhrn
VII. Geschützte Designprodukte/Mediengestaltung – Schutzmöglichkeiten
Wird eine Webseite von einem ausgebildeten (Web-)Designer, einem Designbüro oder 112 einer Werbeagentur individuell gestaltet, so kann man in der Regel von einem geschmacksmusterrechtlichen Schutz dieser Seite ausgehen, da sich der Gesamteindruck der einzelnen Seiten von den bereits bestehenden Seiten unterscheiden wird.209 Der geschmacksmusterrechtliche Schutzumfang von Internetseiten wird umso größer sein, je eher sich die Gestaltung der Seite von bereits offenbarten Seiten abhebt.210 Musterschutz kann sich auch für die Gestaltung einzelner Icons ergeben. Datenträger 113 für Homepages oder Icons etc 211 sind vom Schutz ebenso wie Computerprogramme 212 aufgrund der ihnen zugrunde liegenden technischen Bedingtheit ausgenommen.213 3. Schutz von Schrifttypen Der Schutz von Schrifttypen ist für stofflich verkörperte wie für stofflich nicht ver- 114 körperte Medien gleichermaßen von Interesse. Typografische Schriftzeichen 214 können bspw als Erzeugnisse nach § 1 Nr 2 GeschmMG geschützt sein. Ist ein Zeichen bzw eine Schriftart eigenartig und neu ausgestaltet, so kann sich dafür geschmacksmusterrechtlicher Schutz im herkömmlichen Sinne ergeben. Der Schutz kann für die Gestaltung einer Schriftart, einzelner Buchstaben oder auch für Zeichen bestehen, denen als integriertem Bestandteil eines Geschmacksmusters Schutz auch über die Gesamtbetrachtung zukommen kann. Im Gegensatz dazu ist der daraus entstehende Inhalt geschmacksmusterrechtlich wiederum nicht schutzfähig.215 Die Verkehrsfähigkeit spielt für die Musterfähigkeit von Schrifttypen oder -zeichen 115 keine Rolle und beeinflusst sie nicht.216 Somit wird eine Schrift zunächst in der Regel Zwischenprodukt sein und erst später bspw auf einem Werbeplakat seine bestimmungsgemäße Verwendung finden. Geschmacksmusterrechtlichen Schutz können digitalisierte Schriften (wie Times New 116 Roman, Arial etc) nicht erlangen, wenn man den Schutz wie im Urheberrecht 217 über den Schutz des ihnen zugrunde liegende Computerprogramms bzw „die eigenschöpferische Programmierleistung der Schriftendesigner“ 218 ableitet. Geschmacksmusterrechtlich stellt ein Computerprogramm keine grafische Darstellung dar und kann daher keinen Schutz erreichen. Schutzfähigkeit können digitalisierte Schriften dennoch erlangen, wenn auf ihre Form abgestellt wird und diese ein Erzeugnis iSd § 1 Nr 2 GeschmMG darstellen. 209 210 211 212 213
214
Börsch MMR 2993, IX, X. Heutz MMR 2005, 567, 571. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 38 GeschmMG Rn 9; Murray 71, 72. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 3 GeschmMG Rn 3 ff, § 38 GeschmMG Rn 9. Allerdings müssen technisch bedingte Merkmale einer Gestaltung einen Schutz nicht gänzlich ausschließen, sofern das Erzeugnis prägende Merkmale aufweist, die die geschmacksmusterrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Das Muster kann dann in seiner Gesamtheit geschützt sein. Schutz lässt sich allerdings daraus nicht für die technisch bedingten Merkmale im Einzelnen ableiten. Unter typografischen Schriftzeichen versteht man Alphabete inklusive Akzente, Satz-
215 216 217
218
zeichen, Ziffern, Symbole. Bei der Anmeldung beim DPMA muss die Wiedergabe des Musters alle Buchstaben des Alphabets in Groß- und Kleinschreibung, alle arabischen Ziffern sowie fünf Zeilen Text, jeweils in Schriftgröße 16 Punkt umfassen, § 6 Abs 6 GGV. Der Schutz erstreckt sich auf das Schriftbild als Gesamtheit. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 33. Eichmann/von Falckenstein/Eichmann § 1 GeschmMG Rn 34. Urheberrechtlicher Schutz ergibt sich dann nach den § 69 ff UrhG; LG Köln CR 2000, 431 – Computerschriften; Zentek 56 f. LG Köln NJW-RR 2000, 1150.
Kirsten-Inger Wöhrn
861
Kapitel 11 Geschmacksmusterrecht/Designrecht
2. Teil
4. Medienunternehmen
117
Traditionelle Medienunternehmen wie zB Verlage und Rundfunksender sind für die Bündelung von Inhalten zuständig.219 Diese sind allerdings nicht allein verantwortlich für die Produktion von Medien. Auch solche Unternehmen, die vorab Medieninhalte produzieren, diese zusammenfassen bzw verteilen, müssen berücksichtigt werden. Firmen, die Medieninhalte erstellen, sind zumeist Agenturen aus der Werbebranche, Nachrichtendienste oä. Der Vertrieb von Medien erfolgt dann durch den Handel.220 Bei Medienunternehmen hängt dessen Marktposition in der Regel von dem zu produ118 zierenden Produkt ab.221 Es kann mithin bei derartigen Unternehmen zu einer Bündelung von unterschiedlichsten Rechten an diversen Geschmacksmustern kommen. Ein Medienunternehmen wird in der Regel Erzeugnisse vertreiben, die geschmacksmusterrechtlich schutzfähig sein können. Bspw kann ein Verlag eine Zeitung publizieren, deren Titelblatt geschmacksmusterrechtlich geschützt ist. Darüber hinaus kann das Unternehmen das eigene sog Corporate Design als Geschmacksmuster schützen lassen. 5. Corporate Design eines Unternehmens
119
Unternehmen investieren in ihre Marktstrategie oft hohe Summen, um sich von der Konkurrenz abheben zu können. Sie benötigen ein einheitliches Erscheinungsbild bzw eine Unternehmensidentität (Corporate Identity), das bzw die sich wie ein „roter Faden“ durch alle vom Unternehmen benutzten Medien (wie zB Visitenkarten, Firmenlogos 222, Briefköpfe, Firmenwebseiten, Präsentationsstände, Plakate, Flyer, Werbepost etc) zieht. Das Corporate Design, das die Visualisierung des Unternehmens nach innen und außen prägt, muss mit einem Blick erfassbar, zeitgemäß bzw mit dem Unternehmen identifizierbar sein und eine hohe Wiedererkennungsrate gewährleisten. Es gilt die vom Unternehmen in seine Vermarktungsstrategie getätigten Investitionen zu schützen, so dass Dritte die Corporate Identity nicht durch simple Nachahmung schwächen oder verfälschen können. Das Corporate Design ist als Teil der Corporate Identity zu verstehen. Abgesehen vom akustischen Auftritt (Corporate Sound) 223 können Produkte, die mit dem Coporate Design ausgestattet sind, geschmacksmusterrechtlich schutzfähig sein, solange es zwei- oder dreidimensionale Erscheinungen eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon sind, § 1 GeschmMG. Börsch 224 geht davon aus, dass ähnlich wie bei Webseiten eine Einschaltung eines 120 Designers für die Gestaltung des Corporate Designs zu 80 % garantieren kann, dass geschmacksmusterrechtlicher Schutz dafür bestehen wird.225
219 220 221 222 223 224 225
Breyer-Mayländer/Seeger Medienmarketing 4. Breyer-Mayländer/Seeger Medienmarketing 4. Breyer-Mayländer/Seeger Medienmarketing 3. Vgl Teil 2 Kap 9 Rn 25 ff. Vgl dazu bereits Rn 103, 108 f. Börsch MMR 2003, IX, XI. Börsch bezieht sich dabei auf die mathematischen Berechnungen nach der Gauss’schen Glockenformel über die Schutzmöglich-
862
keiten von Durchschnittlichem, Überdurchschnittlichem bzw deutlich Überdurchschnittlichem aus dem Artikel von Nordemann/Heise ZUM 2001, 128, 136, wobei nach der Reform des Geschmacksmusterrechts durch die Richtlinie 98/71/EG nunmehr Musterschutz für durchschnittliche Leistungen bestehen kann, sofern diese sich vom vorbekannten Formenschatz abheben können. Es ist damit nicht mehr von einer überdurchschnittlichen Leistung auszugehen – vgl auch Rn 23.
Kirsten-Inger Wöhrn
VIII. Designvertrag
Abzugrenzen ist das Corporate Design von der Corporate Identity (Unternehmens- 121 identität oder Firmenpersönlichkeit), die sich über das von einem Unternehmen hergestellte Produkt (erst) ergeben kann. Gottschalk 226 führt dazu aus, dass die Corporate Identity den europäischen Industrien die Möglichkeit gibt, sich von konkurrierenden Erzeugnissen aus Billiglohnländern mit einem firmeneigenen entworfenen Produkt abzusetzen.
VIII. Designvertrag Der einem Auftragswerk zugrunde liegende Designvertrag ist zumeist zweistufig 227, 122 bestehend aus einem Werkvertrag für die Erstellung und einem zusätzlichen Lizenzvertrag zur Einräumung der Nutzungsrechte, ausgestaltet.228 Es gilt hierbei auf der einen Seite, die Rechte des Designers (Entwerfers) weitestgehend zu schützen und auf der anderen Seite für den Nutzer (bspw ein Unternehmen, den Betreiber einer Webseite, den Herausgeber eines Buches) soweit Rechte einzuräumen, dass eine effektive Ausnutzung des Designs stattfinden kann. Die erste Stufe beinhaltet damit in der Regel den Auftrag für ein bestimmtes Design und die zweite die entsprechende Nutzungsrechtseinräumung. In einfacher gelagerten Verträgen findet man die Nutzungsrechtseinräumung häufig im eigentlichen (Werk-)Vertrag mitenthalten.229 Ist in Designverträgen die Vorgabe durch den Besteller nicht exakt beschrieben, kann 123 der Designer sich auf seine Gestaltungsfreiheit bei vermeintlichen Mängeln des Designs berufen.230 Daher sollte die Aufgabe in der ersten Stufe des Vertrages so genau wie möglich dargestellt werden.231 In der zweiten Stufe des Designvertrages ist der Umfang der Nutzung durch den Besteller so genau wie möglich in zeitlicher, inhaltlicher und räumlicher Hinsicht auszugestalten.232 Die Festlegung der Vergütung sollte sich dann in beiden Stufen widerspiegeln, indem 124 zum einen die ursprüngliche Entwurfstätigkeit und zum anderen die anschließende Nutzungsrechtseinräumung berücksichtigt werden.
226 227
228
Gottschalk 28. S näher zum Zweistufenvertrag Loewenheim/G Schulze § 70 Rn 120 ff; Dreier/ Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 165 ff. Vgl Ausführungen von Schulze NZBau 2007, 537, 541 zu Designverträgen in Abgrenzung zu Architektenverträgen. Designer erstellen nach Schulze grds ein Design oder einen Entwurf, der anschließend auf dieser Grundlage vervielfältigt wird; Dreier/ Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 165; Loewenheim/G Schulze § 70 Rn 120.
229
230 231
232
S zB Nutzungsrechtseinräumung in einem Webdesign-Vertrag www.haerting.de/ downloads/vertragstexte/design.pdf – dort unter § 5. Loewenheim/G Schulze § 70 Rn 122. S näher zur ersten Stufe des Designvertrages Loewenheim/G Schulze § 70 Rn 121 ff; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 166. Loewenheim/G Schulze § 70 Rn 126; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn 167.
Kirsten-Inger Wöhrn
863
Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht Literatur Bartenbach Patent- und Know-How-Lizenzvertrag, 6. Aufl Köln 2007; Beier Gebrauchsmusterreform auf halbem Wege: Die überholte Raumform GRUR 1986, 1; Benkard EPÜ, 1. Aufl München 2002; Betten Patentschutz von Computerprogrammen GRUR 2000, 501; Brändel Offene Fragen zum „ergänzenden Schutzzertifikat“ GRUR 2001, 875; Brandi-Dohrn Arbeitnehmererfindungsschutz bei Softwareerstellung CR 2001, 285; Busse PatG 6. Aufl Berlin 2003; Czekay Nochmals zur deduktiven Formulierung von Patentansprüchen GRUR 1985, 477; Eisenmann/Jautz Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 7. Aufl Heidelberg 2007; Godenhielm Ist die Erfindung etwas Immaterielles? GRUR Int 1996, 327; Holzer Gewerbliche Anwendbarkeit: Säule oder Krücke des Systems? Von Anwendbarkeit zu Betriebsmäßigkeit in: von Bomhard ua (Hrsg) Festschrift für Pagenberg, Köln 2005; Hufnagel Wann endet der Patentschutz? – Hindernisse für den Markteintritt von Generika PharmaRecht 2003, 267; Jestaedt Patentrecht, 1. Aufl Köln 2005; Kühnen/Geschke Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Aufl Köln 2008; Lindenmaier Das Patentgesetz, 6. Aufl Köln 1973; Meineke Nachahmungsschutz für Industriedesign im deutschen und amerikanischem Recht, Heidelberg 1991; Nielsen Grundfragen einer Reform des deutschen Gebrauchsmusterrechts, Berlin 1982; Papke Der „allwissende“ Durchschnittsfachmann GRUR 1980, 147; Pietzcker Gebrauchsmuster – das technische Schutzrecht der Zukunft? GRUR Int 2004, 380; Roberts Paper, Scissors, Stone ElPR 1998, 89; Schulte Patentgesetz mit EPÜ, 7. Aufl Köln 2005; Weber Ästhetische Wirkungen als Grundlage des Erfindungsschutzes GRUR 1939, 452; Teufel Patentschutz für Software in: Einsele/Franke (Hrsg) Festschrift 50 Jahre VPP, Duisburg 2005.
Übersicht Rn § 1 Nationales und europäisches Patentrecht I. Erfindung als Gegenstand des Patents . . . . . . . . . . . . . . II. Materielle Voraussetzungen eines Patents . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfinderische Tätigkeit . . . . . 2. Neuheit . . . . . . . . . . . . 3. Gewerbliche Anwendbarkeit . . III. Erteilungsverfahren . . . . . . . . IV. Rechtsnatur und Wirkungen des Patents . . . . . . . . . . . . . . V. Aufrechterhaltung und Laufzeit des Patents . . . . . . . . . . . . . .
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1
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11 12 16 19 20
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39
Rn § 2 Gebrauchsmusterrecht . . . . . . . . . . I. Gegenstand des Gebrauchsmusterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materielle Voraussetzungen eines Gebrauchsmusters . . . . . . . . . 1. Erfinderischer Schritt . . . . . . 2. Neuheit . . . . . . . . . . . . . 3. Gewerbliche Anwendbarkeit . . . III. Eintragungs-/Registrierungsverfahren IV. Rechtsnatur und Wirkungen des Gebrauchsmusters . . . . . . . . . V. Aufrechterhaltung und Laufzeit des Gebrauchsmusters . . . . . . . . .
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
43 43 46 47 48 51 52 57 58
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Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht
2. Teil
§1 Nationales und europäisches Patentrecht 1
Dem technische Erfindungen schützenden Patent bzw Gebrauchsmuster kommt in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu; im Jahr 2006 wurden beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) in München über 60 000 Patentanmeldungen registriert. Im Bestand des DPMA befanden sich im Jahr 2006 über 467 000 Patente, Tendenz steigend. Die besondere Bedeutung wird insbesondere durch die Möglichkeit unterstrichen, entsprechende Schutzrechtspositionen an Dritte aus- bzw solche von Dritten einzulizenzieren.1 2 Trotz dieser Bedeutung mag es überraschend anmuten, dass der Begriff der „Erfindung“ weder im Patentrecht noch in einem sonstigen Gesetz des Gewerblichen Rechtsschutzes legal definiert ist; sämtliche gesetzlichen Regelungen, die sich auf Erfindungen beziehen, setzen den Begriff der „Erfindung“ vielmehr voraus. Weiss hat seinerzeit ausgeführt, dass eine Erfindung „ein überragendes Problem der Philosophie sei, das unendlich viele Möglichkeiten der Auslegung und Lösung biete“.2 3 Dies rührt auch daher, dass der Begriff der „Erfindung“ im heutigen Sprachgebrauch sehr breit eingesetzt wird: So findet er Verwendung nicht nur in technischen Lebensbereichen, in denen es um „tatsächliche“ Erfindungen geht, sondern auch in anderen Lebenssachverhalten; wer hat zB nicht schon einmal im Zusammenhang mit Erzählungen davon gehört, dass eine Geschichte „erfunden“ wurde. Aufgrund dieses Sprachgebrauchs des Begriffs „Erfindung“ ließe sich auch daran denken, diese – zumindest auch – in Richtung Urheberrecht zu interpretieren bzw zu verorten. 4 Und tatsächlich begegnet einem der Begriff des „Urhebers“ auch bei Erfindungen, und zwar selbst dann, wenn man den Begriff der „Erfindung“ im engeren, also im technischen Sinne, versteht. In diesen Fällen geht es oft darum, zu kennzeichnen, wer Urheber (= Erfinder) der der (technischen) Erfindung zugrunde liegenden technischen Lehre ist (dazu noch sogleich unter Rn 5 ff).
I. Erfindung als Gegenstand des Patents 5
Unabhängig vom allgemeinen Sprachgebrauch ist allerdings festzuhalten, dass das zum Gewerblichen Rechtsschutz zählende Patent- und Gebrauchsmusterrecht den Begriff der „Erfindung“ allein in einem engen, rein technischen Sinne verstehen: 6 Nationales und europäisches Patentrecht gewähren – wie auch das deutsche Gebrauchsmusterrecht – einen Schutz für schöpferische Arbeitsergebnisse, die auf dem Gebiet der Technik erzielt worden sind. Der Schutzgegenstand eines Patent- bzw Gebrauchsmusterrechts betrifft allein technische Erfindungen.3 7 In diesem Zusammenhang wird eine Erfindung definiert als eine bisher noch nicht bekannte Lehre zur Lösung eines technischen Problems, also als eine vom Menschen stammende Regel zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolges; diese Lehre muss wiederholbar, ausführbar und fertig sein.4 1
2 3
Vgl dazu Teil 2 Kap 13 Rn 1 ff (Lizenzvertragsrecht) sowie Bartenbach Patentlizenzund Know-how-Vertrag Rn 1 ff. Lindenmaier/Weiss PatG aF § 1 Rn 4. Kraßer PatR § 1 AII; Benkard/Bacher/Melullis PatG § 1 Rn 40 ff; Schulte/Moufang PatG
866
4
Art 52 EPÜ Rn 9 ff; Benkard/Melullis EPÜ Art 52 Rn 1 ff. BGH GRUR 1986, 531, 533 – Flugkostenminimierung; BGH GRUR 1981, 39 f – Walzstababteilung; BGH GRUR 1980, 849, 850 – Antiblockiersystem; BGH GRUR 1977, 152,
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§1
Nationales und europäisches Patentrecht
Nach § 9 PatG werden zwei Kategorien von Erfindungen unterschieden: 8 – Erzeugnispatent; dabei betrifft eine Erzeugniserfindung zB den Aufbau einer Maschine bzw den eines chemischen Stoffes oder die Anordnung, zB einer elektrischen Schaltung; – Verfahrenspatent; ein solches betrifft eine Verfahrenserfindung, zB die Art und Weise eines Herstellungsverfahrens oder ein Arbeitsverfahren, zB die Arbeitsweise eines Rechners. Mit der Voraussetzung einer Lehre zum technischen Handeln 5 kann das Patentrecht 9 zugleich abgegrenzt werden; denn die erforderliche Technizität macht es für nichttechnische Leistungen, etwa auf dem Gebiet der Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Literatur, unanwendbar.6 Computerprogramme (vgl auch §§ 69a ff UrhG) als solche sind mangels technischen 10 Charakters vom Patent- bzw Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossen, § 1 Abs 2 Nr 3 PatG, Art 52 EPÜ. Dieser Ausschluss betrifft reine Computerprogramme, also den bloßen Programmtext 7 bzw reine Verfahrensansprüche. Selbst der Umstand, dass die Ergebnisse der eingesetzten Software auch oder sogar primär einen technischen Bereich betreffen, verleiht der Software noch nicht die erforderliche Technizität.8 Handelt es sich hingegen um datenverarbeitungsbezogene Erfindungen, wie zB bei Verfahren zur Verbesserung der Arbeitsweise einer Datenverarbeitungsanlage, betrifft sie also die Funktionsfähigkeit der Anlage als solche,9 ist ein Patentschutz denkbar.10 Bedeutsam ist insoweit, ob eine Lehre für ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen durch eine Erkenntnis geprägt ist, die auf technischen Überlegungen beruht.11 Auch Datenverarbeitungsanlagen kann technischer Charakter zukommen.12 Ein Patent-/Gebrauchsmusterschutz kommt insgesamt allerdings nur in Betracht, wenn der Patentanspruch über die Computernutzung hinaus weitere Anweisungen enthält, denen ein konkretes technisches Problem zugrunde liegt.13
II. Materielle Voraussetzungen eines Patents § 1 Abs 1 PatG bzw Art 52 Abs 1 EPÜ nennen als materielle Voraussetzungen des 11 Patentschutzes 14: • die Lösung eines technischen Problems aufgrund erfinderischer Tätigkeit, • deren Neuheit sowie • ihre gewerbliche Anwendbarkeit.
5
6
7
153 – Kennungsscheibe; Schulte/Moufang PatG Art 52 EPÜ Rn 17 ff; zum Begriff „fertige Erfindung“ vgl auch BGH GRUR 1971, 210, 212 – Wildverbissverhinderung; s auch Gesetzesbegründung zur Umsetzung der Biopatent-Richtlinie BT-Drucks 15/1709, 5 ff. Benkard/Melullis EPÜ Art 52 Rn 50 ff; vgl auch BGH GRUR 1965, 533, 534 – Typensatz. Vgl die zahlreichen Beispiele bei Benkard/ Bacher/Melullis PatG § 1 Rn 95 ff; s insoweit auch die nicht abschließende, negative Aufzählung in § 1 Abs 3 PatG. BGH GRUR 2001, 155 – Wetterführungspläne I.
8 9 10 11 12 13
14
BGH GRUR 2001, 155 – Wetterführungspläne I. BGH GRUR 1992, 33 – Seitenpuffer; vgl Betten GRUR 2000, 501. Dazu Teufel FS 50 Jahre VPP 608 ff; ders Mitt 2008, 196 ff. BGH CR 2000, 281 – Logikverifikation. BGH CR 2002, 88 – Zeichenketten; BrandiDohrn CR 2001, 285, 289. BGH GRUR 2004, 667, 669 – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH GRUR 2002, 143 – Suche fehlerhafter Zeichenketten. Vgl dazu insgesamt ausf Jestaedt PatR Rn 187 ff.
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Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht
2. Teil
1. Erfinderische Tätigkeit
12
Dabei normieren § 4 PatG bzw Art 56 EPÜ, dass das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nur erfüllt ist, wenn sich die gefundene Lösung nicht bereits naheliegend aus dem Stand der Technik ergibt. Dieses Kriterium wird oftmals auch als „Erfindungshöhe“ beschrieben. Als Beurteilungsmaßstab für die Frage, ob die erfinderische Tätigkeit anzunehmen 13 bzw die Erfindungshöhe zu bejahen ist, ist auf die Kenntnis des sog „Durchschnittsfachmanns“ auf dem einschlägigen Fachgebiet abzustellen.15 Das, was ein Durchschnittsfachmann zu leisten imstande ist, wird nicht als erfinderische Tätigkeit iSd § 4 PatG bzw Art 56 EPÜ angesehen.16 Gleichwohl ist klarzustellen, dass als Erfindungen nicht nur sog Pioniererfindungen 14 gelten, also solche, die einen besonders großen technologischen Sprung bedeuten, sondern auch kleine Weiterentwicklungen, die eine bisherige Technik bzw Technologie nur leicht verbessern. Dabei ist anerkannt, dass sich die für eine Patentfähigkeit erforderliche Erfindungs15 höhe auch daraus ergeben kann, dass die neue technische Lehre eine besondere ästhetische Wirkung hervorruft.17 2. Neuheit
16
Neuheit der Erfindung bedeutet nach der Legaldefinition in § 3 Abs 1 PatG bzw Art 54, 55 EPÜ, dass die Erfindung nicht zum Stand der Technik gehören darf. Der Stand der Technik bestimmt sich durch die öffentlich für jedermann zugänglichen 17 Kenntnisse; er umfasst also alle Informationen, die vor einem bestimmten Stichtag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Ob dies im Inland oder Ausland erfolgt ist, also wo zB ein neuheitsschädliches Dokument veröffentlicht wurde, spielt dabei keine Rolle. Insofern wird auch vom absoluten Neuheitsbegriff gesprochen. Der entscheidende Stichtag für die Frage, welche Informationen für die Bewertung 18 der Neuheit einer Erfindung heranzuziehen sind, ist der für den Zeitrang der Schutzrechtsanmeldung maßgebliche Tag. 3. Gewerbliche Anwendbarkeit
19
Darüber hinaus ist Voraussetzung, dass die Erfindung gewerblich anwendbar ist, wobei der Begriff der gewerblichen Anwendbarkeit in § 5 Abs 1 PatG bzw Art 52 Abs 4, Art 57 EPÜ legal definiert ist.18 Danach ist eine Erfindung gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft 15
16
Vgl BGH GRUR 1952, 120 – Erfindungshöhe sowie BGH GRUR 1953, 120, 122 – Rohrschelle zur Frage, was von einem Durchschnittsfachmann zu erwarten ist; Benkard/Melullis EPÜ Art 56 Rn 39 ff; Schulte/Moufang PatG § 4 Rn 43 ff; s dazu auch Czekay GRUR 1985, 477, 478; Papke GRUR 1980, 147 ff. BGH GRUR 1954, 107, 110 – Mehrfachschelle.
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17
18
Vgl BGH Mitt 1972, 235 f – Rauhreifkerze; BGH GRUR 1967, 590, 591 – Garagentor; BGH GRUR 1966, 249, 250 – Suppenrezept. Vgl dazu Holzer FS Pagenberg 19 ff; s auch die Kommentierungen bei Benkard/Jestaedt EPÜ Art 57 Rn 1 ff sowie Schulte/Moufang PatG § 5 Rn 1 ff.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§1
Nationales und europäisches Patentrecht
hergestellt oder benutzt werden kann. Durch die Voraussetzung der gewerblichen Anwendbarkeit lässt sich das Patentrecht – ebenso wie das Gebrauchmusterrecht – vom Urheberrecht abgrenzen, da letzteres für seine Entstehung gerade keine gewerbliche Anwendbarkeit erfordert.
III. Erteilungsverfahren Der Schutz durch ein Patent entsteht noch nicht allein durch die fertige Erfindung. Er entfaltet sich erst durch Erteilung eines Patents durch das Deutsche Marken- und Patentamt in München (DPMA) bzw eine sonstige nationale oder internationale Erteilungsbehörde (zB das Europäische Patentamt – EPA), nachdem die Erfindung dort schriftlich zum Schutzrecht, dem Patent, angemeldet worden ist (vgl §§ 35 ff PatG; Art 75 ff EPÜ). Die Anmeldung muss nach § 34 Abs 3 PatG den Namen des Anmelders, einen Antrag auf Patenterteilung, einen Patentanspruch, eine Beschreibung der Erfindung sowie erforderliche Zeichnungen enthalten. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Patentanspruch; in ihm ist anzugeben, was unter Schutz gestellt werden soll. Dementsprechend bestimmt § 14 PatG, dass der Schutzbereich eines Patents durch den Inhalt des Patentanspruchs bestimmt wird. Die Erteilungsbehörde prüft die formellen und materiellen Voraussetzungen der Anmeldung bzw der Erfindung. Das Schutzrecht wird erst erteilt, wenn die Anmeldung sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen erfüllt (vgl § 49 Abs 1 PatG; Art 97 Abs 2 EPÜ). Diese Prüfung kann sich über mehrere Jahre hinziehen. 18 Monate nach der Anmeldung – und damit regelmäßig vor Patenterteilung – wird im Patentblatt auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Patentanmeldungsakte hingewiesen. Zugleich veröffentlicht das DPMA den Inhalt der Patentanmeldung in der sog Offenlegungsschrift, § 32 Abs 1 und 2 PatG (sog Offenlegung); ab Offenlegung des Patents bis zu dessen Erteilung besteht für den Anmelder bei unbefugter Benutzung ein Entschädigungsanspruch nach § 33 PatG, s Rn 42. Für die tatsächliche Erlangung des Schutzrechts sind zum einen eine Prüfungsgebühr (vgl § 44 Abs 3 PatG; Art 94 Abs 2 EPÜ) und – bei späterer Schutzrechtserteilung – ab dem dritten Patentjahr auch Jahresgebühren für die Aufrechterhaltung der Patentanmeldung bzw des Patents zu entrichten. Mit der Patenterteilung ist das Patent allerdings noch nicht endgültig, dh rechtsbeständig, erteilt; denn innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung im Patentblatt kann jeder Dritte schriftlich Einspruch gegen das Patent erheben, § 59 Abs 1 PatG; im europäischen Patentrecht beträgt die Einspruchsfrist neun Monate. Die Einspruchsgründe sind im PatG bzw EPÜ jedoch enumerativ aufgezählt, dh auf andere, als die dort angegebenen, kann ein Einspruch nicht gestützt werden. Erfolgt im Rahmen eines Einspruchsverfahrens ein Widerruf des Patents, so gelten dessen Wirkungen als von Anfang an nicht eingetreten. Ist die Einspruchsfrist abgelaufen und kein Widerspruch erfolgt bzw hat ein solcher nicht zum Erfolg geführt, ist das Patent rechtsbeständig erteilt. Für Dritte besteht nun lediglich noch die Möglichkeit, gegen das Patent eine Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatengericht zu erheben, doch auch diese ist in ihren Gründen – wie der Einspruch – beschränkt (§ 81 PatG). Auch insoweit besteht also ein Unterschied zum Urheberrecht; denn dieses entsteht mit der Schöpfung des Werkes, es bedarf insofern insbesondere keiner Anmeldung, formalen Eintragung bzw Hinterlegung, etc.
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Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht
2. Teil
IV. Rechtsnatur und Wirkungen des Patents 28 29 30 31
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Das Patent ist als Immaterialgüterrecht ein absolutes Recht und damit ein Vermögensrecht an einem verselbstständigten, verkehrsfähigen sowie unkörperlichen geistigen Gut, das von dem Entwickler der dem Patent zugrunde liegenden Erfindung unabhängig ist.19 Es gewährt seinem Inhaber die gesetzlich normierten positiven wie negativen Befugnisse: Dem Recht des Patentinhabers zur alleinigen Nutzung als positivem Benutzungsrecht nach § 9 S 1 PatG steht korrespondierend sein Recht, Dritte von der Benutzung auszuschließen, als negatives Untersagungsrecht gegenüber (§ 9 S 2 PatG). Ist ein Erzeugnis Gegenstand eines Patents, so ist es Dritten ohne Zustimmung des Inhabers untersagt, dieses Erzeugnis herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder es zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen, § 9 S 2 Ziff 1 PatG. Ist Gegenstand eines Patents ein Verfahren, ist es Dritten untersagt, das Verfahren anzuwenden (§ 9 S 2 Ziff 2 PatG), es anderen Personen zur Anwendung anzubieten (§ 9 S 2 Ziff 2 PatG) sowie das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen bzw zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen (§ 9 S 2 Ziff 3 PatG) Das Untersagungsrecht erstreckt sich auch auf die in § 10 PatG genannten mittelbaren Benutzungsarten. Danach ist es Dritten verboten, ohne Zustimmung des Patentinhabers in der BRD anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung in der BRD anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder wenn es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.20 Nach Art 64 EPÜ gilt dies entsprechend für ein europäisches Patent, bei dem Deutschland als Vertragsstaat benannt worden ist; denn ein europäisches Patent ist insofern kein für alle Benennungsstaaten einheitliches Schutzrecht, sondern ein Bündel separater, jeweils territorial begrenzt geltender Patente; lediglich ihre Entstehung ist einheitlich.21 Das dem Schutzrechtsinhaber zustehende Verbietungsrecht kann selbst gegenüber einem Doppelerfinder geltend gemacht werden, also demjenigen, der dieselbe Erfindung durch eigene, unabhängige Leistung erbracht, für die von ihm zuvor gemachte Erfindung jedoch kein Schutzrecht, insbesondere ein Patent, erwirkt hat (sog „first-to-file“-Grundsatz 22). Diese „Sperrwirkung des Patents“ ist in § 6 S 3 PatG sowie in Art 60 Abs 2 EPÜ niedergelegt.23
19
20 21 22
Vgl Kraßer PatR § 1 A II 2; Benkard/Bacher/ Melullis § 1 PatG Rn 2c sowie Benkard/ Melullis § 6 PatG Rn 14; ähnl auch Busse/ Keukenschrijver § 6 PatG Rn 13; Godenhielm GRUR Int 1996, 327 ff. Vgl dazu im Einzelnen Kühnen/Geschke Patente Rn 113 ff. BGH GRUR 2007, 705 – Aufarbeitung von Fahrzeugkomponenten. Anders in den USA, wo bislang noch der Grundsatz „first-to-invent“ gilt, vgl Roberts
870
23
EIPR 1998, 89 ff; zu Harmonisierungsbemühungen vgl auch Bardehle GRUR 1998, 182, 183 f; im August 2006 haben mehrere US-Senatoren mit dem Patent Reform Act of 2006 ein Gesetzgebungsvorhaben in Gang gebracht, das zu wesentlichen Änderungen des US-amerikanischen Patentrechts, ua zu einer Annäherung an die ansonsten weltweit geltende „first to file“-Regel, führen soll. S dazu Busse/Keukenschrijver § 6 PatG Rn 44 ff; Schulte/Kühnen § 6 PatG Rn 23.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§1
Nationales und europäisches Patentrecht
Keine Wirkung entfaltet das Patent gegenüber demjenigen, der sich nach § 12 PatG 36 auf ein Vorbenutzungsrecht berufen kann. Voraussetzungen eines solchen Vorbenutzungsrechts sind der Erfindungsbesitz des Dritten sowie dessen Ausübung vor dem Zeitrang des Patents, keine dauerhafte Unterbrechung des Erfindungsbesitzes sowie fehlende Bösgläubigkeit bei Ausübung des Erfindungsbesitzes durch den Dritten.24 Wichtigste Anspruchsgrundlage im Patent(verletzungs)recht ist § 139 PatG; während 37 § 139 Abs 1 PatG dem Inhaber gegen den Verletzer einen Unterlassungsanspruch zuspricht, gewährt § 139 Abs 2 PatG bei Verschulden auch einen Schadensersatzanspruch. Neben diesen Ansprüchen kennt das PatG – unabhängig von den allgemeinen An- 38 sprüchen auf Auskunft aus § 242 BGB – eine Reihe weiterer, Unterlassung und Schadensersatz oftmals flankierender Ansprüche, und zwar insbesondere den Anspruch auf Vernichtung bzw Beseitigung (§ 140a PatG) sowie auf detaillierte Auskunft über den Vertriebsweg patentverletzender Gegenstände (§ 140b PatG).
V. Aufrechterhaltung und Laufzeit des Patents Die Schutzdauer bzw die Laufzeit eines Patents ist – sieht man von der Möglichkeit der Beantragung eines ergänzenden Schutzzertifikats für auf zulassungspflichtige Produkte bezogene Erfindungen nach § 16a PatG (Art 63 Abs 2 EPÜ) einmal ab 25 – gem § 16 Abs 1 S 1 PatG bzw Art 63 Abs 1 EPÜ auf maximal 20 Jahre begrenzt. Die Laufzeit beginnt ab dem Tag, der auf die Anmeldung folgt. Sie ist zudem abhängig von der rechtzeitigen Zahlung der ab dem dritten Jahr ab Patentanmeldung anfallenden Aufrechterhaltungsgebühren. Obwohl die Schutzwirkung grds einen Tag nach der Anmeldung zum Schutzrecht beginnt, entfalten die aus dem Patent selbst ableitbaren positiven und negativen Rechte der §§ 9 ff PatG erst mit der Veröffentlichung der Erteilung des Schutzrechts ihre Wirkung (§ 58 PatG). Im davor liegenden Zeitraum besteht bei Nutzung des Gegenstands einer deutschen Patentanmeldung ab Offenlegung der Patentanmeldung zwar ein Anspruch des Inhabers gegen den Nutzer. Dieser entspricht jedoch nicht den Ansprüchen aus §§ 139 ff PatG, sondern es handelt sich insofern lediglich um einen Entschädigungsanspruch des späteren Schutzrechtsinhabers nach § 33 PatG; bei europäischen Patentanmeldungen kann sich ein solcher Entschädigungsanspruch aus Art II § 1 IntPatÜG ergeben 26.
24 25
BGH GRUR 1964, 673 – Kasten für Fußabtrittsroste. Hierzu Hufnagel PharmaRecht 2003, 267 ff; Brändel GRUR 2001, 875 ff.
26
Vgl dazu Schulte/Schulte PatG, Art 1 und II IntPatÜG Rn 7 ff.
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Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht
2. Teil
§2 Gebrauchsmusterrecht I. Gegenstand des Gebrauchsmusters 43
Das Gebrauchsmusterrecht steht dem Patentrecht zur Seite. Beide Gesetze sind weitestgehend parallel ausgestaltet.27 Da es wie das Patentgesetz einen Schutz für schöpferische Leistungen auf dem Gebiet der Technik gewährt, stellt es ebenfalls einen (technischen) Erfindungsschutz dar.28 Gegenstand des Gebrauchsmusterrechts ist deshalb auch hier eine unkörperliche 44 Lehre zum technischen Handeln. Eine wichtige Einschränkung des Gebrauchsmusterschutzes ergibt sich allerdings daraus, dass mit einem Gebrauchsmuster keine technischen Verfahren geschützt werden können, § 2 Nr 3 GebrMG 29. Wie das Patent wird auch das Gebrauchsmuster von der Praxis nachgefragt, wenn45 gleich nicht in demselben Umfang: So wurden im Jahr 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt rund 20 000 Gebrauchsmusteranmeldungen eingereicht; der derzeitige Gebrauchsmuster-Bestand beläuft sich auf rund 104 000.
II. Materielle Voraussetzungen eines Gebrauchsmusters 46
Nach § 1 GebrMG können Erfindungen als Gebrauchsmuster geschützt werden, die – neu sind, – auf einem erfinderischen Schritt beruhen und – gewerblich anwendbar sind. 1. Erfinderischer Schritt
47
Der Unterschied zum Patentrecht drückt sich bei einem Gebrauchsmuster insbesondere in der für dieses geforderten „Erfindungshöhe“ aus. Insofern werden nach dem Gesetzeswortlaut an die Qualität der erfinderischen Leistung beim Gebrauchsmuster geringere Anforderungen gestellt als bei einem Patent; denn während für ein Patent eine „erfinderische Tätigkeit“ vorausgesetzt wird, genügt für das Gebrauchsmuster ein „erfinderischer Schritt“. Insofern handelt es sich um ein qualitatives, nicht ein quantitatives Kriterium;30 die Frage, ob ein erfinderischer Schritt vorliegt, richtet sich nach dem zum Patentrecht Gesagten (vgl oben Rn 12 ff). 2. Neuheit
48
Unterschiede bestehen vor allem bei dem Erfordernis der Neuheit. Wie bei dem Patent ist ein Gebrauchsmustergegenstand neu, wenn er nicht zum Stand der Technik gehört.
27
So wurden von der Rechtsprechung immer wieder patentrechtliche Entscheidungen in Gebrauchsmustersachverhalten angeführt, vgl etwa BGH GRUR 1977, 152, 153 – Kennungsscheibe; vgl auch Weber GRUR 1939, 452 ff.
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28 29
30
S auch Beier GRUR 1986, 1, 3 ff. S zuletzt BGH GRUR 2006, 135 – Arzneimittelgebrauchsmuster und BGH GRUR 2004, 495 – Signalfolge. S aber BGH GRUR 2006, 842 – Demonstrationsschrank.
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§2
Gebrauchsmusterrecht
Was zu diesem Stand der Technik gehört, ist in § 3 S 2 und 3 GebrMG zwar in An- 49 lehnung an § 3 PatG definiert, jedoch gibt § 3 Abs 1 S 2 und 3 GebrMG gegenüber dem Patent insoweit Einschränkungen vor, die es rechtfertigen, lediglich von einem eingeschränkten absoluten Neuheitsbegriff zu sprechen 31; denn gegenüber dem Patent – bleiben öffentliche mündliche Beschreibungen unberücksichtigt und – Vorbenutzungen sind nur neuheitsschädlich, wenn sie im Inland erfolgten. Schließlich kann sich der Anmelder eines Gebrauchsmusters im Rahmen der Neuheit 50 auch auf eine sog Erfinderschonfrist von 6 Monaten berufen; sie hat zur Folge, dass solche Beschreibungen bzw Benutzungshandlungen der Neuheit der Erfindung nicht entgegen stehen, die innerhalb von sechs Monaten vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag (idR der Anmeldetag) erfolgt sind, sofern diese auf einer Ausarbeitung des Anmelders bzw seines Rechtsvorgängers beruhen. 3. Gewerbliche Anwendbarkeit Wie bei einem Patent, ist auch für ein Gebrauchsmuster Voraussetzung, dass die zu- 51 grunde liegende Erfindung gewerblich anwendbar ist. Insofern ergeben sich keine Besonderheiten.
III. Eintragungs-/Registrierungsverfahren Wie das Patent, entsteht auch das Gebrauchsmuster nicht bereits mit der Fertigstellung des Gebrauchsmustergegenstandes, sondern nach § 8 Abs 1 GebrMG iVm § 11 GebrMG erst durch Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle. Hierfür ist wiederum eine ordnungsgemäße Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt in München (§§ 4, 10 GebrMG) erforderlich. Im Gegensatz zum Patentrecht findet beim Gebrauchsmuster – und das ist der weitere wesentliche Unterschied – nach § 8 Abs 1 GebrMG nur eine Prüfung der formellen, nicht aber der materiellen Voraussetzungen (Erfindungshöhe, Neuheit, gewerbliche Anwendbarkeit) des Gebrauchsmusters statt. Es handelt sich insofern um ein reines Registerrecht, weshalb die Eintragung eines Gebrauchsmusters auch wesentlich schneller als bei Patenten erfolgen kann. Ein Einspruchsverfahren – wie bei Patenten – kennt das GebrMG nicht. Das ist einer der Vorteile des Gebrauchsmusters; denn mit ihm kann ein schneller und effizienter Sonderrechtsschutz erwirkt werden.32 Das Gebrauchsmuster stellt deshalb auch nicht nur eine Ergänzung zum Patent dar, sondern es tritt selbstständig neben das Patent.33 Dabei kann das Gebrauchsmuster, wenn der Anmelder für denselben Erfindungsgegenstand auch einen parallelen Schutz als Patent anstrebt, den lediglich durch einen Entschädigungsanspruch nach § 33 PatG abgedeckten Zeitraum zwischen Anmeldung bis zur Eintragung des Patents (vgl oben Rn 42) überbrücken und so für den beim Schutz von Erfindungen sehr bedeutsamen Zeitfaktor, wann eine Erfindung erstmals angemeldet wurde, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Letztlich kann das Gebrauchsmuster
31 32 33
Vgl Busse/Keukenschrijver § 3 GebrMG Rn 6 f. So Meineke 34. Mitunter wurde es auch als Schutzrecht für
„kleine Erfindungen“ bezeichnet, s AmtlBegr BT-Drucks 10/3903, oder als „Mini-Patent“, s Eisenmann/Jautz Rn 173.
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Kapitel 12 Patent-/Gebrauchsmusterrecht
2. Teil
aufgrund seiner geringeren Anforderungen an die Erfindungshöhe damit auch eine Art Auffangfunktion für an der Erfindungshöhe gescheiterte Patentanmeldungen darstellen.34 In diesen Fällen kann es sich anbieten, aus der Patentanmeldung ein Gebrauchsmuster abzuzweigen, § 5 GebrMG.
IV. Rechtsnatur und Wirkungen des Gebrauchsmusters 57
Das Gebrauchsmuster ist – wie das Patent – als absolutes Recht ausgestaltet. Es entfaltet damit als Ausschließlichkeitsrecht für den Gebrauchsmusterinhaber dieselben positiven und negativen Rechte wie sie einem Patentinhaber zustehen, §§ 11, 24 GebrMG. Dies umfasst auch die Sperrwirkung des Gebrauchsmusters gegenüber einem Doppelerfinder. Wie das Patentrecht kennt auch das Gebrauchsmusterrecht den Unterlassungsund Schadensersatzanspruch flankierende Ansprüche in Form der Vernichtung sowie Auskunft, § 24a Abs 1, § 24b GebrMG.
V. Aufrechterhaltung und Laufzeit des Gebrauchsmusters 58
Die Schutzdauer des Gebrauchsmusters beträgt gem § 23 Abs 1 GebrMG zunächst drei Jahre, ist nach § 23 Abs 2 GebrMG aber – abhängig von der Zahlung von Verlängerungsgebühren – mehrmals auf insgesamt maximal 10 Jahre verlängerbar.
34
Vgl Meineke 34 Fn 29 mit Hinweis auf Nielsen 27 ff; s auch Benkard/Goebel Vorb
874
GebrMG Rn 3 ff sowie Pietzcker GRUR Int 2004, 380 f.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht Literatur Ahrens Brauchen wir einen Allgemeinen Teil der Rechte des Geistigen Eigentums? GRUR 2006, 617; Ann/Barona Schuldrechtsmodernisierung und gewerblicher Rechtsschutz, Köln 2002; von Ann (Hrsg) Festschrift für Reimar König zum 70. Geburtstag, Köln 2003; Bahr Die Behandlung von Vertikalvereinbarungen nach der 7. GWB-Novelle WuW 2004, 259; Bandasch/Lemhöfer/Horn Die Verwaltungspraxis des Bundeskartellamtes zu den Lizenzverträgen nach §§ 20, 21 GWB, Köln ua 1969; Barona Die Haftung des Patentlizenzgebers für Tauglichkeitsmängel der Erfindung nach neuem Schuldrecht, Baden-Baden 2004; Bartenbach, B Die Patentlizenz als negative Lizenz, Köln 2002; dies Negative Lizenz Mitt 2002, 503; dies Die Schuldrechtsreform und ihre Auswirkungen auf das Lizenzvertragsrecht Mitt 2003, 102; Bartenbach, K Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Köln 6. Aufl 2007; ders Zwischenbetriebliche Forschungs- und Entwicklungskooperation und das Recht der Arbeitnehmererfindung, Köln 1985; ders Aktuelle Probleme des Gewerblichen Rechtsschutzes, Köln 2007 – Band 2; Bartenbach, K/Fock Das neue nicht eingetragenen Geschmacksmuster – Ende des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes im Geschmacksmusterrecht oder dessen Verstärkung? WRP 2002, 119; Bartenbach, K/Söder Lizenzvertragsrecht nach neuem GWB: Lizenzgebührenpflicht über den Inhalt des Schutzrechts hinaus und nach Schutzrechtsende Mitt 2007, 353; Bausch Patentlizenz und Insolvenz des Lizenzgebers NZI 2005, 289; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner EG-Kartellrecht, Kommentar, München 2005; Berger Vertragsstrafen und Schadenspauschalierungen im Internationalen Wirtschaftsrecht RIW 1999, 401; ders Zur Wirksamkeit von Lösungsklauseln für den Konkursfall ZIP 1994, 173; Billhardt Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Frankfurt aM ua 2004; Bornkamm Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz GRUR 2005, 97; Brandt Softwarelizenzen in der Insolvenz unter besonderer Berücksichtigung der Insolvenz des Lizenzgebers NZI 2001, 337; Bruns Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters und vertragliche Lösungsrechte ZZP 110 (1997), 305; Bühling Die Markenlizenz im Rechtsverkehr GRUR 1998, 196; Busse PatG 6. Aufl Berlin 2003; Dahlheimer/Feddersen/Miersch EU-Kartellverfahrensverordnung, Kommentar zur VO 1/2003, München 2005; Drexel Die neue Gruppenfreistellungsverordnung über Technologietransfer-Vereinbarungen im Spannungsfeld von Ökonomisierung und Rechtssicherheit GRUR Int 2004, 716; von Einsele (Hrsg) Festschrift 50 Jahre VPP, Duisburg 2005; Erdmann/Bornkamm Schutz von Computerprogrammen – Rechtslage nach der EG-Richtlinie GRUR 1991, 877; Fammler Der Markenlizenzvertrag, 2. Aufl München 2007; Feil Europäische Union – Kommission erlässt neue Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen nebst Leitlinie GRUR Int 2004, 454; Fezer Markenfunktionale Wechselwirkung zwischen Markenbekanntheit und Produktähnlichkeit – Gemeinschaftsrechtliche Verwechslungsgefahr als Produktkontrolle und Produktverantwortung des Markeninhabers – Zur „Canon“-Entscheidung des EuGH WRP 1998, 1123; ders Lizenzrechte in der Insolvenz des Lizenzgebers – Zur Insolvenzfestigkeit der Markenlizenz – WRP 2004, 793; Finger Die Offenkundigkeit des mitgeteilten Fachwissens bei Know-how-Verträgen GRUR 1970, 3; Fischer Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 11.6.1970, X ZR 23/68 – Kleinfilter GRUR 1970, 549; ders Verwertungsrechte bei Patentgemeinschaften GRUR 1977, 313; Forkel Gebundene Rechtsübertragung, Köln ua 1977; ders Lizenzen an Persönlichkeitsrechten durch gebundene Rechtsübertragung GRUR 1988, 491; Gallego Die Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots auf unerlässliche Immaterialgüterrechte im Lichte der IMS Health- und Standard-Spundfass-Urteile GRUR Int 2006, 16; Groß Der Lizenzvertrag, 9. Aufl Frankfurt aM 2007; Groß/Rohrer Lizenzgebühren, 2. Aufl Frankfurt 2008; von Großfeld (Hrsg) Festschrift für Wolf-
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
gang Fikentscher zum 70. Geburtstag, Tübingen 1998; Grützmacher Insolvenzfeste Softwarelizenzund Softwarehinterlegungsverträge – Land in Sicht? CR 2006, 289; Hellebrand/Kaube/von Falckenstein Lizenzsätze für technische Erfindungen, 3. Aufl Köln ua 2007; Henn Patent- und Know-howLizenzvertrag, 5. Aufl Heidelberg 2003; Hölzlwimmer Produkthaftungsrechtliche Risiken des Technologietransfers durch Lizenzverträge, München 1995; Hoeren/Schuhmacher Verwendungsbeschränkungen im Softwarevertrag CR 2000, 137; Hoffmann Immaterialgüterrechte in der Insolvenz ZInsO 2003, 732; Horns Anmerkungen zu begrifflichen Fragen des Softwareschutzes GRUR 2001, 1; von Jaeger/Pohlmann/Rieger/Schroeder (Hrsg) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Köln 2006 (zit Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht – Bearbeiter); Kahlenberg/Haellmigk Neues Deutsches Kartellgesetz – Stichtag 1.7.2005: Änderung des GWB BB 2005, 1509; Karl/Reichelt Die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die 7. GWB-Novelle DB 2005, 1436; Keller Kartellrechtliche Schranken für Lizenzverträge, Bern 2004; von Keller (Hrsg) Festschrift für Winfried Tilmann zum 65. Geburtstag, Köln 2003; Klauer/Möhring Patentrechtskommentar Band I, 3. Aufl München 1971; Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e.V. (Hrsg.) Kölner Schriften zur InsO, 2. Aufl Köln 2000; Körner Der Bestand bzw Fortbestand von Schutzrechten und Knowhow als Voraussetzung der Lizenzgebühren – bzw Schadensersatzpflicht GRUR 1982, 341; Kraßer/ Schmid Der Lizenzvertrag über technische Schutzrechte aus der Sicht des deutschen Zivilrechts GRUR Int 1982, 324; Kuebart Verrechnungspreise im Internationalen Lizenzverkehr: Grundlagen der Ermittlung steuerlich angemessener Lizenzgebühren bei Verträgen zwischen international verbundenen Unternehmen und Ermittlung eines ganzheitlichen Preisermittlungsprogramms, Bielefeld 1995; Lange Marken- und Kennzeichenrecht, München 2006; Langen/Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 10. Aufl Neuwied ua 2006; Lichtenstein Der Lizenzvertrag im engeren Sinne NJW 1965, 1839; Lindenmaier/Weiss Patentgesetz, 6. Aufl Köln ua 1973; Lorenz Die Beurteilung von Patentlizenzvereinbarungen anhand der Innovationstheorie WRP 2006, 1008; Lorenzen Designschutz im europäischen und internationalen Recht: zur Anwendung und Auslegung internationalen und europäischen Designschutzrechts, insbesondere der materiellen Geschmacksmustervorschriften der Richtlinie 98/71/EG und der Verordnung (EG) Nr 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Hamburg 2002; Loschelder Der Schutz technischer Entwicklungen und praktischer Gestaltungen durch das Marken- und Lauterkeitsrecht – Versuch einer Bewertung der Rechtsprechung der letzten zwei Jahre GRUR Int 2004, 767; Lüdecke Erfindergemeinschaften, Berlin 1962; ders Die Ausübungspflicht des Lizenznehmers GRUR 1952, 211; ders Zur rechtlichen Natur der Lizenz NJW 1966, 815; Lüdecke/Fischer Lizenzverträge, Berlin 1957; Magen Lizenzverträge und Kartellrecht, Heidelberg 1963; Magold Personenmerchandising, Frankfurt aM 1994; Manz/Ventroni/Schneider Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf das Urheber(vertrags)recht ZUM 2002, 409; Marly Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl München 2004; Mummenthey Vertraulichkeitsvereinbarungen CR 1999, 651; Nack Neue Gedanken zur Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen – Bedenken gegen Softwarepatente – ein déjà vu? GRUR Int 2004, 771; Nägele Der aktuelle Stand der geplanten europäischen Gesetzgebung zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen Mitt 2004, 101; Nerlich/Römermann Insolvenzordnung, Kommentar, München Mai 2007; Nirk Die Einordnung der Gewährleistungsansprüche und Leistungsstörungen bei Verträgen über Patente in das Bürgerliche Gesetzbuch GRUR 1970, 329; Ohl Wegfall der Lizenz vor Ablauf des Patents GRUR 1992, 77; Pagenberg/Geissler Lizenzverträge – Licence Agreements, 5. Aufl Köln ua 2003; Paulus Software in Vollstreckung und Insolvenz ZIP 1996, 2; Pfaff/Osterrieth Lizenzverträge – Fomularkommentar, 2. Aufl München 2004; Pietzcker Kommentar zum Patentgesetz und Gebrauchsmusterschutzgesetz, 1. Halbband, Berlin/Leipzig 1929; Plath/Scherenberg Zur Insolvenzfestigkeit des Erwerbs von Nutzungsrechten an Software CR 2006, 153; Pohlmann Zum wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz bei Herkunftstäuschung EWiR 1999, 667; Polley Verwendungsbeschränkungen in Softwareüberlassungsverträgen CR 1999, 345; Preu Der Einfluß der Nichtigkeit oder Nichterteilung von Patenten auf Lizenzverträge GRUR 1974, 623; Rahlf/Gottschalk Neuland: Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster GRUR Int 2004, 821; Rasch Der Lizenzvertrag in rechtsvergleichender Darstellung, Berlin 1933; von Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg) Münchener Kommentar, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl München 2001; Reichl Beobachtungen zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen Mitt 2006, 6; Reimer Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz, 3. Aufl Köln ua 1968; Röhling Die Zukunft des Kartellverbots in Deutschland nach In-Kraft-Treten der neuen EU-Verfahrens-
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht rechtsordnung GRUR 2003, 1019; Sack Der „spezifische Gegenstand“ von Immaterialgüterrechten als immanente Schranke des Art 85 Abs 1 EG-Vertrag bei Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträge RIW 1997, 449; ders Zur Vereinbarkeit wettbewerbsbeschränkender Abreden in Lizenzund Know-how-Verträgen mit europäischem und deutschem Kartellrecht WRP 1999, 592; Schade Die Ausübungspflicht bei Lizenzen, Köln ua 1967; Scheffler Besonderheiten bei der Abwehr von Ansprüchen aus parallelen Gebrauchs- und Geschmackmustern im Falle widerrechtlicher Entnahme geistigen Eigentums Mitt 2005, 216; Schlötelburg Musterschutz an Zeichen GRUR 2005, 123; Smid/ Lieder Das Schicksal urheberrechtlicher Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers – Auswirkungen des § 103 InsO DZWiR 2005, 7; Schmoll/Hölder Patentlizenz- und Know-how-Verträge in der Insolvenz – Teil I: Insolvenz des Lizenznehmers GRUR 2004, 743; dies Patentlizenz- und Know-HowVerträge in der Insolvenz – Teil II: Insolvenz des Lizenzgebers GRUR 2004, 830; Schölch Softwarepatente ohne Grenzen GRUR 2001, 16; Schöninger Softwarepatente – BGH ebnet der Patentierung von Computerprogrammen den Weg CR 2000, 129; Schuhmacher Wirksamkeit von typischen Klauseln in Softwareüberlassungsverträgen CR 2000, 641; Schulte Patentgesetz, Kommentar, 7. Aufl Köln ua 2005; Schultze/Pautke/Wagener Die Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfervereinbarungen, Praxiskommentar, Frankfurt aM 2005; von Schulz Markenrecht, Heidelberg 2002; Sefzig Das Verwertungsrecht des einzelnen Miterfinders GRUR 1995, 302; Seifert Zur Preisabstandspflicht in Taschenbuchlizenzverträgen – Zugleich eine Anmerkung zum BGH-Urteil „Preisabstandsklausel“ ZUM 1986, 667; Stickelbrock Urheberrechtliche Nutzungsrechte in der Insolvenz – von der Vollstreckung nach §§ 112 ff UrhG bis zum Kündigungsverbot des § 112 InsO WM 2004, 549; Storch Folgen der Unwirtschaftlichkeit der Lizenzverwertung GRUR 1978, 168; Stumpf Die Eintragung von Lizenzen im Markenregister MarkenR 2005, 425; Tetzner Kommentar zum Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz, 2. Aufl Nürnberg/Düsseldorf 1951; von Troller Immaterialgüterrecht Bd II, 3. Aufl Basel 1983; Ullmann Urheberrechtlicher und patentrechtlicher Schutz von Computerprogrammen, Aufgaben der Rechtsprechung CR 1992, 641; Ullrich Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht – Einordnung und Einzelfragen Mitt 1998, 50; Wallner Softwarelizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers ZIP 2004, 2073; Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz, Köln 2006; Völp Weitergeltung der Lizenz bei Veräußerung des Schutzrechts GRUR 1983, 45; von Wimmer (Hrsg) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl Berlin 2005; Zeising Die insolvenzrechtliche Verwertung und Verteidigung von gewerblichen Schutzrechten – Teil I Mitt 2000, 206; ders Lizenzverträge im Insolvenzverfahren Mitt 2001, 240.
Übersicht Rn § 1 Zweck des Lizenzvertrages/Lizenzpolitik . § 2 Lizenzvertrag als „gewagtes Geschäft“ . . § 3 Rechtscharakter des Lizenzvertrages . . . I. Die Regelungen in Spezialgesetzen . II. Rechtstypologische Einordnung . . 1. Zivilrechtliche Grundlagen . . . 2. Die Rechtsnatur des Lizenzvertrages . . . . . . . . . . . . 3. Lizenzvertrag im weiteren und engeren Sinne . . . . . . . . . . 4. Inhalt der Lizenz . . . . . . . . 5. Ausschließliche Lizenz . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur Rechtsübertragung . . . . . . . . . . . 6. Einfache, nicht ausschließliche Lizenz . . . . . . . . . . . . . 7. Abgrenzung einfache/ausschließliche Lizenz . . . . . . . . . . . 8. Wirkung einer Lizenz . . . . . . 9. Negative Lizenz . . . . . . . . 10. Freilizenz . . . . . . . . . . . . 11. Unterlizenz . . . . . . . . . . .
1 7 9 10 14 14 17 19 21 24 24 27 29 33 35 40 44 45
Rn § 4 Gegenstand des Lizenzvertrages . . . . . I. „Patente“ und Patentanmeldungen/ Erfindungen/ergänzende Schutzzertifikate . . . . . . . . . . . . . II. Gebrauchsmuster . . . . . . . . . . III. Know-how . . . . . . . . . . . . . IV. Marken/Warenzeichen . . . . . . . V. Geschmacksmuster . . . . . . . . . VI. Urheberrechte . . . . . . . . . . . VII. Software . . . . . . . . . . . . . . VIII. Persönlichkeitsrechte/Merchandising IX. UWG-Lizenz . . . . . . . . . . . . X. Umfang der Lizenz . . . . . . . . . XI. Erscheinungsform, Vertragstypus . . § 5 Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Vertragsfreiheit . . . II. Beschränkungen der Lizenz . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . 2. Persönliche Grenzen der Lizenz (Lizenznehmerseite) . . . . . . . 3. Territoriale Beschränkung der Lizenz . . . . . . . . . . . . . .
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50 59 61 64 79 81 88 98 100 103 104 106 106 107 107 117 122
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2. Teil Rn
4. Zeitliche Beschränkung der Lizenz . . . . . . . . . . . . . . 5. Inhaltliche Beschränkung der Lizenz . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte und Pflichten im Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lizenzgeber . . . . . . . . . . . a) Benutzungsgestattung/Verschaffungspflicht . . . . . . . b) Aufrechterhaltung und Verteidigung der Schutzrechtsposition . . . . . . . . . . . aa) Betreiben des Erteilungsverfahrens und Kostentragung . . . . . . . . . bb) Verteidigung des lizenzierten Schutzrechts gegen Angriffe Dritter . . . . . cc) Vorgehen gegen Schutzrechtsverletzungen . . . . dd) Aufgabe und Einschränkung des lizenzierten Schutzrechts . . . . . . . c) Lizenzierung begleitender Schutzrechte . . . . . . . . . d) Aufklärungspflichten . . . . . e) Übertragung der Lizenz, Einbringung in eine Gesellschaft, Erteilung von Unterlizenzen . f) Meistbegünstigungsklausel (most favored license clause) . g) Betätigungs- und Wettbewerbsklauseln . . . . . . . . . . . h) Preisabstandsklauseln/Preisbindungen des Lizenzgebers . . . i) Gewährleistung/Haftung für Mängel . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze . . . . . . . bb) Bei Vertragsabschluss bestehende Rechte Dritter . cc) Änderungen im Bestand der Schutzrechtsposition . dd) Produkthaftung des Lizenzgebers . . . . . . . ee) Haftung für wirtschaftliche Verwertbarkeit . . . . . . ff) Gesteigerte Haftung bei Abgabe einer Garantieerklärung . . . . . . . . 2. Lizenznehmer . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühr . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . bb) Bestimmung des Nutzungswertes einer Lizenz . . . .
878
132 143 159 159 159
168
168
174 178
179 182 183
189 190 198 200 202 202 206 213 229 232
233 238 238 238 244
Rn cc) Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Lizenzgebühren und Verzug des Lizenznehmers . . . . . . dd) Abrechnung; Pflicht zur Auskunft und Rechnungslegung . . . . . . . . . . ee) Verjährung/Verwirkung . ff) Dauer der Lizenzgebührenpflicht – Vertragsdauer, Wegfall oder Beschränkung des lizenzierten Schutzrechts . . . . . . . . . . gg) Lizenzgebühren für Nutzungshandlungen des Unterlizenznehmers . . . b) Währungs- und Wertsicherungsklauseln . . . . . . . . c) Die Ausübungspflicht des Lizenznehmers (best efforts) . d) Warenbezugspflichten . . . . e) Nichtangriffsabreden . . . . . f) Wettbewerbsverbote für den Lizenznehmer . . . . . . . . g) Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsvereinbarungen . . . § 6 Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . I. Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines und Rechtsgrundlagen 2. Verhältnis von deutschem und europäischem Kartellrecht . . . 3. Art 81, 82 EG . . . . . . . . . . a) Art 81 EG . . . . . . . . . . b) Art 82 EG . . . . . . . . . . c) Spürbarkeit und Bekanntmachung zur Bagatellvereinbarung . . . . . . . . . . . . d) Gruppenfreistellungsverordnungen . . . . . . . . . . . . 4. GWB . . . . . . . . . . . . . . a) § 1 GWB . . . . . . . . . . . b) § 2 GWB . . . . . . . . . . . c) §§ 19 ff GWB . . . . . . . . 5. Zivilrechtliche Folgen des Verstoßes gegen europäisches oder deutsches Kartellrecht . . . . . . a) Nichtigkeit der Vereinbarung b) Schadensersatzpflicht und Unterlassungsanspruch . . . . c) Sonstige Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . II. Lizenzen in der Insolvenz . . . . . . 1. Insolvenz des Lizenzgebers . . . 2. Insolvenz des Lizenznehmers . .
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§1
Zweck des Lizenzvertrages/Lizenzpolitik
§1 Zweck des Lizenzvertrages/Lizenzpolitik Ein erteiltes bzw eingetragenes Schutzrecht gibt grundsätzlich nur dessen Inhaber das Recht, das ihm gewährte Monopol zu verwerten; Dritte sind als Folge dieses Monopols von der Nutzung des durch das Schutzrecht geschützten Gegenstands (zB Erfindung bei Patent bzw Gebrauchsmuster, Design bei Geschmacksmuster, etc) ausgeschlossen (vgl etwa § 9 S 1 und 2 PatG). Der Schutzrechtsinhaber hat dabei die Möglichkeit, den ihm durch die Schutzrechtserteilung bzw -eintragung vermittelten Vermögenswert auf verschiedene Weise wirtschaftlich zu verwerten, zB durch Eigennutzung, Übertragung oder durch Erteilung von Lizenzen. Die Lizenzierung ist dabei im modernen Wirtschaftsleben die wichtigste Form der beschränkten Rechtsübertragung geworden. Dies wird durch eine umfangreiche Rechtsprechung bestätigt, die mangels einer spezialgesetzlichen Regelung des Lizenzvertrages zusammen mit der Rechtslehre die Entwicklung des Lizenzvertragsrechts geprägt hat. Unter den Begriff des Lizenzvertrages lassen sich alle Verträge fassen, deren Ziel es ist, Nutzungsrechte an schutzfähigen schöpferischen Leistungen oder an speziellen technischen Kenntnissen vollständig oder teilweise zu übertragen. Lizenzverträge dienen allerdings heute nicht mehr allein der technischen und wirtschaftlichen Verwertung des Schutzrechts. Es lassen sich vielmehr drei Hauptgruppen von Lizenzverträgen unterscheiden:1 • Vorrangig sind sog Verwertungslizenzen. Ihre positive Verwertungsfunktion entspricht dem „herkömmlichen Grundgedanken“ der Lizenzvergabe: Im Vordergrund steht dabei die Überlegung, durch die Erteilung der Lizenz Lizenzeinnahmen zu erzielen. Über den mit der Lizenzierung ursprünglich verbundenen Erlaubnis- und Verwertungsgedanken hinaus haben sich zwei weitere Formen von Lizenzierungen entwickelt: • Zum einen der Lizenzaustauschvertrag, den Wettbewerber gleicher oder sich berührender Branchen abschließen, um ihre jeweiligen Entwicklungsleistungen zu ergänzen. Hierunter sind aber auch Verträge zur Aufhebung von Sperrpositionen zu fassen, bei denen die Vertragsparteien gegenseitig darauf verzichten, Verletzungsansprüche geltend zu machen, da beide nicht ohne gegenseitige Verletzung von Schutzrechten arbeiten können 2. • Zum anderen können Lizenzverträge auch eine (verdeckte) Gewinnabschöpfung bezwecken bzw bewirken. Als solche werden sie formal zwar als Lizenzverträge ausgestaltet, dienen aber der (verdeckten) Gewinnverlagerung insbesondere zwischen konzernverbundenen Unternehmen, oftmals von einer Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft 3. Insofern erschöpft sich die Vergabe von Lizenzen nicht in ihrer Erteilung an Fremdunternehmen (die in der Regel Wettbewerber des Schutzrechtsinhabers sind), sondern findet sich auch bei der Einräumung von Nutzungsrechten an Schutzrechten innerhalb einer Unternehmensgruppe. Die Entscheidung des Schutzrechtsinhabers zur Erteilung einer Lizenz kann aus unterschiedlichen Motiven erfolgen. Zum einen können die Kapazitäten des eigenen Unternehmens ausgelastet sein; durch die Lizenzvergabe kann dann eine weitere wirtschaftliche 1 2
Pfaff/Osterrieth A Rn 15 ff. Pfaff/Osterrieth A Rn 15.
3
Pfaff/Osterrieth A Rn 18 f; BFH GRUR 2001, 346 – Überlassung eines Konzernnamens.
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2. Teil
Verwertungsmöglichkeit des Schutzrechts ohne eine – ggf risikobehaftetere – Ausweitung des eigenen Unternehmens erfolgen. Mit einer Lizenzvergabe zB an Wettbewerber, die mit anderen Produkten am Markt auftreten, lässt sich ggf auch ein geplantes eigenes Tätigwerden in diesem Raum vorbereiten. So kann der Lizenzgeber das Produkt am Markt unter Minimierung des eigenen Risikos „testen“ lassen. Die Lizenzierung zB eines ausländischen Schutzrechtes „erspart“ dem Lizenzgeber Risiken aufgrund fehlender Kenntnisse über die örtlichen Marktverhältnisse und gibt ihm dabei die Chance, trotz fehlender Vertriebs- oder Vermarktungsfähigkeit eine weitere Einnahmequelle zu erlangen; zugleich kann sie ihn vor einem zu hohen Risiko des eigenen Kapitaleinsatzes bewahren. Ein weiterer Bereich, in dem Lizenzverträge Bedeutung erlangen, ist die Beilegung von 5 Schutzrechtsstreitigkeiten 4. So kann es insbesondere für den Lizenzgeber günstig sein, einer evt durch eine Verletzungsstreitigkeit ausgelösten Vernichtung des Schutzrechtes durch Vergabe einer (kostenlosen/kostenpflichtigen) Lizenz zu entgehen. Mangels einer spezialgesetzlichen Regelung des Lizenzvertrages sind die Vertrags6 parteien bei der Gestaltung eines Lizenzvertrages im Wesentlichen frei. Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Eine spezialgesetzliche Regelung des Lizenzvertrages fehlt. Grenzen ergeben sich jedoch insbesondere aus dem deutschen und europäischen Kartellrecht bzw aufgrund sonstiger nationaler Rechtsschranken. Entscheidend für die Ausgestaltung sind die jeweiligen Interessen der Vertragspartner. Ein auf alle denkbaren Fälle passendes Vertragsmuster existiert nicht und kann wegen der Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Fallgestaltungen auch nicht entworfen werden. Andererseits gibt es eine Vielzahl von typischen Problemkreisen im Zusammenhang mit der Gestaltung und Durchführung von Lizenzverträgen, die im vorhinein bedacht werden sollten und zu deren Regelung musterähnliche „Bausteine“ in den Lizenzvertrag aufgenommen werden können.
§2 Lizenzvertrag als „gewagtes Geschäft“ 7
Lizenzverträge über gewerbliche Schutzrechte werden allgemein als „gewagte Geschäfte“ eingeordnet 5. Häufig kann der Lizenznehmer die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Schutzrechtes nicht mit Sicherheit beurteilen, so dass der Abschluss eines Lizenzvertrages und die damit regelmäßig verbundenen Investitionen und sonstigen Vorleistungen für den Lizenznehmer ein Wagnis bedeuten. Andererseits können sich dadurch unerwartete Gewinnchancen eröffnen 6. Der Lizenznehmer muss sich „seine“ Risiken bei Vertragsabschluss vergegenwärtigen. Der Lizenzgeber hat regelmäßig keinen Einfluss auf die Auswertung des Schutzrechts durch den Lizenznehmer, und er kann dessen tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten und Potentiale ebenso wenig kennen bzw sicher vorhersagen wie dessen reale Stellung am Markt. 8 Die Risiken des Lizenzgebers liegen in der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Lizenznehmers begründet, da sich seine Gewinne in Form der vereinbarten
4
Hierzu auch Pagenberg/Geissler Muster 11; sowie zu diesem und anderen Motiven Bartenbach Patentlizenz- und Kow-how-Vertrag Rn 8 ff.
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BGH GRUR 1961, 27, 28 f – Holzbauträger; Kraßer § 41 I 4; Busse/Keukenschrijver § 15 Rn 54 PatG. RG GRUR 1932, 865, 867.
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§3
Rechtscharakter des Lizenzvertrages
Lizenzgebühren nach dessen Markterfolg bemessen. Mit der Zurverfügungstellung der Nutzungsbefugnis an einem Monopolrecht hat der Lizenzgeber eine Vorleistung erbracht, so dass er auch unter Beachtung von Einmalzahlungen und Mindestlizenzgebühren an dem wirtschaftlichen Risiko des Lizenznehmers über die ihm evt nicht zufließenden Lizenzgebühren beteiligt ist. Auch unvorhersehbare Ereignisse, die beide Parteien des Vertrages betreffen, wie zB Angriffe auf das lizenzierte Schutzrecht oder Veränderungen der Marktverhältnisse, können ein zusätzliches Wagnis bedeuten. Der Wagnischarakter wird schließlich von Rechtsprechung und Lehre bei Fragen der rechtlichen Einordnung oder angemessenen Risikoverteilung bzw Risikozuweisung, zB im Bereich des Leistungsstörungsrechts, berücksichtigt 7.
§3 Rechtscharakter des Lizenzvertrages Wie eingangs erwähnt, gibt es kein kodifiziertes, dh gesetzlich detailliert geregeltes, 9 Lizenzvertragsrecht, wie dies etwa beim Miet- oder Kaufrecht der Fall ist. Gleichwohl finden sich einige rudimentäre gesetzliche Regelungen zur Lizenz. Darauf aufbauend haben Rechtsprechung und Literatur das heutige Lizenzvertragsrecht entwickelt.
I. Die Regelungen in Spezialgesetzen Beispielhaft sei nachfolgend auf die gesetzlichen Regelungen zum Markenlizenz- 10 vertrag verwiesen. Siehe im Übrigen zum Gegenstand eines Lizenzvertrages unten § 4. Die Erste Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitglieds- 11 staaten über die Marken (EG Nr 89/104 vom 21.12.1988, im folgenden MarkenRL) 8 regelt verbindliche Vorgaben für Registermarken. Diese wurde in § 30 Abs 1, 2 MarkenG umgesetzt, der sich zugleich auch auf die Lizenzierung von Benutzungsmarken und notorisch bekannten Marken erstreckt. Die Regelung des Art 8 MarkenRL ist dabei ihrerseits stark an Art 43 Abs 1, 2 Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ) angelehnt. Die Regelungen zur Lizenz des § 30 Abs 1, 2, 5 MarkenG entsprechen weitgehend denen des § 15 Abs 2, 3 PatG. § 15 Abs 2 PatG geht – genauso wie Art 8 MarkenRL – auf Art 43 Abs 1, 2 GPÜ zurück, so dass zur Auslegung ergänzend das umfangreiche Material zur Patentlizenz herangezogen werden kann 9. Regelungen zur Lizenzierung einer Gemeinschaftsmarke enthalten die Art 22 Abs 1, 2, 3 S 1, 4 und Art 24 GMVO. Diese stimmen inhaltlich weitgehend mit §§ 30 Abs 1 bis 4, 31 MarkenG überein. Die Rechtsgrundlage für Markenlizenzverträge bildet im deutschen Recht § 30 Mar- 12 kenG. Nach dessen Absatz 1 kann „das durch die Eintragung, die Benutzung oder die notorische Bekanntheit einer Marke begründete Recht für alle oder für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke Schutz genießt, Gegenstand von ausschließlichen oder nicht ausschließlichen Lizenzen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland insgesamt oder einen Teil dieses Gebiets sein“. Der Begriff der Lizenz wird
7 8 9
Barona 42; dazu noch unten Rn 159 ff. ABl EG Nr L 40 vom 11.2.1989 S 1. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG
Rn 2; Lange Marken- und Kennzeichenrecht § 4 Rn 1402.
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2. Teil
in § 30 MarkenG vorausgesetzt und nicht näher bestimmt. Die Gesetzessprache des Gewerblichen Rechtschutzes 10 wie auch des Kartellrechts 11 geben weder eine Konkretisierung des Lizenzbegriffs, noch definieren sie ihn in eindeutiger Weise. Der Begriff der Lizenz muss also aus dem jeweiligen Sinnzusammenhang sowie aus 13 dem Zweck der einzelnen Vorschrift ermittelt werden.
II. Rechtstypologische Einordnung 1. Zivilrechtliche Grundlagen
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Inhaltlich regelt der Lizenzvertrag (damit) üblicherweise die Gestattung eines entgeltlichen oder unentgeltlichen Nutzungsrechts an Schutzrechtsanmeldungen, Schutzrechten und sonstigen schöpferischen Leistungen 12 durch den Rechtsinhaber dieser Vertragsgegenstände (Lizenzgeber) gegenüber dem Nutzungsberechtigten (Lizenznehmer). Die aus dem allgemeinen Zivilrecht bekannte Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft findet sich auch im Lizenzvertragsrecht 13. Inhalt des Verpflichtungsgeschäfts ist die Pflicht des Lizenzgebers, dem Lizenznehmer das Recht zur Nutzung und Auswertung des Lizenzgegenstandes zu verschaffen. Dazu korrespondiert die Pflicht des Lizenznehmers, hierfür die vereinbarte Lizenzgebühr zu bezahlen. Das Verfügungsgeschäft hingegen ist das Geschäft, das die Erfüllung dieser gegenseitigen Pflichten bewirkt 14. Da beide Geschäfte aber zeitlich regelmäßig zusammenfallen, können sie als eine Einheit bewertet werden 15. Der Lizenzvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, auf den die Vorschriften des allgemei15 nen zivilrechtlichen Leistungsstörungsrechts der §§ 320 ff BGB anzuwenden sind. Der Lizenzvertrag ist als Dauerschuldverhältnis angelegt 16, so dass – unabhängig von 16 seiner Einordnung unter einen bestimmten Vertragstypus des BGB – die allgemeinen Regeln über Dauerschuldverhältnisse gelten. Da bei einem Dauerschuldverhältnis fortlaufend neue Leistungs- und Schutzpflichten für die Vertragsparteien entstehen, ist dieses in seiner Durchführung von einem besonderen gegenseitigen Vertrauen der Vertragsparteien abhängig. Der Wegfall dieses Vertrauens berechtigt demzufolge zur Kündigung des Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund 17. Zudem können die Vertragsparteien voneinander die Einhaltung gesteigerter Rücksichtnahmepflichten erwarten, deren Nichteinhaltung besondere Rechtsfolgen (§ 242 BGB) auslöst. Die Rücktrittsmöglichkeit vom Lizenzvertrag ist gemäß seinem Charakter als Dauerschuldverhältnis eingeschränkt, hängt aber aufgrund der geltenden Vertragsfreiheit – wie auch alle anderen Regeln – jeweils vom Inhalt des im Einzelfall geschlossenen Vertrages ab. 2. Die Rechtsnatur des Lizenzvertrages
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Die Zuordnung des Lizenzvertrages zu einem der typischen Vertragsverhältnisse des BGB ist in der Weise bedeutsam, als sich hieran unterschiedliche rechtliche Auswirkungen, zB hinsichtlich des Umfangs der Nutzungsrechte, ihrer Übertragbarkeit, der
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Bartenbach, B 44 ff. Bartenbach, B 44 ff. Ausf zum Begriff der Lizenz ua Bartenbach, B 26 ff. Lüdecke NJW 1966, 815.
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Lüdecke/Fischer Vorbm 6, 33; Götting § 23 II, 197 mwN. RG JW 1911, 667. BGH BB 1997, 1503; GRUR 2006, 435, 437. BGH GRUR 1992, 112, 114 – Pulp-wash.
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§3
Rechtscharakter des Lizenzvertrages
Gewährleistungsansprüche und ihrer Verjährung knüpfen, wenn die Parteien nicht sämtliche Punkte selbst vertraglich regeln. Trotz verschiedener Berührungspunkte des Lizenzvertrages mit Vertragsverhältnissen des BGB, wie dem Kauf-, dem Miet-, dem Pacht-, dem Nießbrauchs- und dem Gesellschaftsrecht, geht die wohl hL 18 heute davon aus, dass es sich bei einem Lizenzvertrag um einen Vertrag eigener Art handelt, denn Lizenzverträge enthalten Elemente ganz verschiedener gesetzlich normierter Vertragstypen. Resultat der Einordnung des Lizenzvertrages als Vertrag eigener Art (§ 311 Abs 1 18 BGB) 19 ist, dass die Rechtsfolgen eines Vertragsmangels vor Vertragsschluss nicht endgültig bestimmt werden können, die Vertragsparteien also einer gewissen Rechtsunsicherheit ausgesetzt sind. Im Einzelfall kann jedoch auf die Vorschriften der vorgenannten Vertragstypen zurückgegriffen werden, soweit entsprechende Rechtspflichten durch den Lizenzvertrag begründet wurden. Besteht diese Möglichkeit nicht, müssen die anzuwendenden Rechtsregeln aus der Natur des Vertragsverhältnisses selbst entwickelt 20, dh durch ergänzende Vertragsauslegung ermittelt werden. 3. Lizenzvertrag im weiteren und engeren Sinne Mit dem Lizenzvertrag im weiteren Sinne ist – ausgehend von der bereits angespro- 19 chenen Trennung von schuldrechtlichem Verpflichtungs- und dinglichem Erfüllungsgeschäft – der schuldrechtliche Vertrag gemeint, der den Lizenzgeber zur Gewährung eines Nutzungsrechts verpflichtet und den Lizenznehmer zur Einforderung dieser Rechtsposition berechtigt. Der Lizenzvertrag im engeren Sinne ist hingegen der Vollzug dieses schuldrechtlichen Vertrages durch konkrete Einräumung der Lizenz, also des Nutzungsrechts selbst. Die praktische Bedeutung der Unterscheidung dieser beiden Ebenen des Lizenzvertra- 20 ges ergibt sich aus der dadurch möglichen Unterscheidung von Verletzungen und damit einhergehenden Rechtsfolgen auf beiden Ebenen. Die Verletzung des schuldrechtlichen Überlassungsvertrages kann zu Ansprüchen des Lizenzgebers gegen den Lizenznehmer aus positiver Vertragsverletzung (§ 280 BGB, ggf iVm § 241 Abs 2 BGB) führen, während bei Verletzung des (dinglichen) Erfüllungsvertrages daneben Ansprüche aus dem lizenzierten Schutzrecht selbst in Betracht kommen. 4. Inhalt der Lizenz Wie bereits angesprochen, versteht man unter einer Lizenz die Gestattung, den Lizenz- 21 gegenstand zu benutzen. Nach ganz hM bedeutet dies sowohl bei der ausschließlichen als auch bei der einfachen Lizenz (vgl dazu noch unten) die Gewährung eines positiven Benutzungsrechts. Inhalt der Lizenz ist dann nicht lediglich der Verzicht des Lizenzgebers gegenüber dem Lizenznehmer auf seine gesetzlichen Verbietungsrechte aus dem lizen-
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19
BGHZ 26, 7, 9 – Sympatol; BGH GRUR 1959, 125, 127 – Pansana; BGH GRUR 1961, 27, 29 – Holzbauträger; BGH GRUR 1970, 547, 548 – Kleinfilter; BGH GRUR 1979, 768, 769 – Mineralwolle; Nirk GRUR 1970, 329, 330; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 328. RGZ 142, 212, 213 – Maffei; RGZ 155, 306, 310 – Funkverband; BGH GRUR 1951, 471,
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473 – Filmverwertungsvertrag (zum Urheberrecht); BGH GRUR 1970, 547, 548 ff – Kleinfilter; BGH GRUR 1979, 767, 768 – Mineralwolle; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 53; Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 26; Kraßer/Schmidt GRUR Int 1982, 324, 328; Bartenbach, B Mitt 2003, 102, 104. RGZ 75, 400, 405.
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zierten Recht, sondern die Verschaffung eines eigenen (positiven) Benutzungsrechts zu Gunsten des Lizenznehmers, durch das wechselseitige Rechte und Pflichten begründet werden 21. Dem steht die Bewertung der Gestattung eines Nutzungsrechts als sog „negative 22 Lizenz“ gegenüber 22, also als bloßer Verzicht des Inhabers eines gewerblichen Schutzrechtes gegenüber dem Lizenznehmer auf sein Recht, die Nutzung des geschützten Gegenstandes zu verbieten. Das hindert die Vertragsparteien jedoch nicht, ausdrücklich eine „negative Lizenz“ zum Inhalt ihres Vertrages zu machen (s dazu unten Rn 40 ff). Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung verdeutlichen die unterschiedlichen 23 Verpflichtungen des Lizenzgebers. Bei einem positiven Benutzungsrecht erschöpft sich die Verpflichtung des Lizenzgebers nicht nur in einer „passiven“ Duldung der Nutzung des Lizenzgegenstandes, sie erstreckt sich vielmehr auch darauf, dem Lizenznehmer die vereinbarte Nutzung „aktiv“ zu ermöglichen. Den Lizenzgeber treffen somit eine Verschaffungspflicht 23 im Rahmen der vereinbarten Benutzung und mit Blick auf die Benutzung auch eine Sicherungspflicht derselben. Er hat nicht nur alles zu unterlassen, was zu einer Beeinträchtigung des Lizenzgegenstandes führen oder ihn gefährden könnte, sondern er muss die Voraussetzungen für die Benutzung durch den Lizenznehmer schaffen. Die Verschaffungspflicht bewirkt für den Lizenzgeber also eine Pflicht zur Mitwirkung und Unterstützung; konkret hat er zB für die Erlangung und Aufrechterhaltung lizenzierter Schutzrechtspositionen Sorge zu tragen (zB beim Patent die Zahlung der Jahres-/Aufrechterhaltungsgebühren) und die vertragsgemäße Nutzung zu gewährleisten, zB durch Überlassung begleitenden Know-hows. 5. Ausschließliche Lizenz
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a) Inhalt. Bei einer ausschließlichen Lizenz verpflichtet sich der Lizenzgeber, keine weiteren Lizenzen an Dritte zu vergeben; er muss sich vielmehr jeder weiteren Verfügung enthalten und darf auch nicht auf das lizenzierte Schutzrecht verzichten 24. An einer Veräußerung des lizenzierten Schutzrechts ist der Lizenzgeber indes nicht gehindert, denn die erteilte Lizenz – auch die einfache – muss der Erwerber zB einer lizenzierten Marke wegen ihrer dinglichen Wirkung gegen sich gelten lassen (Sukzessionsschutz nach § 30 Abs 5 MarkenG). Diese Ausschließlichkeit kann auch im Verhältnis zwischen Lizenzgeber und Lizenz25 nehmer einen unterschiedlichen Umfang entfalten. So spricht man von einer Alleinlizenz, wenn der Lizenzgeber sich lediglich verpflichtet, in dem jeweiligen Lizenzgebiet keine weiteren Lizenzen zu vergeben, er sich selbst jedoch das Recht zur eigenen Nutzung des Lizenzgegenstandes – neben dem Alleinlizenznehmer – vorbehält. Wird demgegenüber 21
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Busse/Keukenschrijver § 9 PatG Rn 12, 43; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 99, 109; Klauer/Möhring/Nirk § 9 PatG Rn 41; Henn Rn 40 ff; Groß Rn 13, 18 – jeweils mwN zum Meinungsstand; Fammler 5 f, unter Verweis auf Fezer § 30 MarkenG Rn 6 ff und Ingerl/Rohnke § 30 MarkenG Rn 8. RGZ 17, 53, 54; RGZ 33, 103 f; geändert seit RGZ 155, 306, 310, 313; s auch BGH GRUR 1965, 591, 595 – Wellplatten; offen gelassen in BGH GRUR 1982, 411 f – Verankerungsteil; s insbesondere Lichtenstein NJW 1965,
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1839, 1843; zur historischen Entwicklung s Henn Rn 41 ff; Bartenbach, B 53 ff; Troller Immaterialgüterrecht II, 821, 824; Völp GRUR 1983, 45, 49 ff; Lichtenstein NJW 1965, 1839 ff. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 55 unter Bezug auf RGZ 155, 306, 315. BGH IIC 2000, 601 – Rotorscheren; Pfaff/ Osterrieth Lizenzverträge B Rn 48, 50; Lüdecke/Fischer C 127, 317; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 330 mwN.
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§3
Rechtscharakter des Lizenzvertrages
vereinbart, dass sich der Lizenzgeber auch dieser Eigennutzung in dem jeweiligen Lizenzgebiet enthalten soll, so handelt es sich um eine Exklusivlizenz. Nach hM wird bei der ausschließlichen Lizenz für den Fall des Nichtvorliegens einer 26 Regelung über die Eigennutzung des Lizenzgebers im Zweifel angenommen, dass er ein solches Recht nicht besitzt 25. Dementsprechend sollte der Lizenzgeber, der sich eine Eigennutzung vorbehalten will, stets eine ausdrückliche vertragliche Regelung hierüber anstreben. b) Abgrenzung zur Rechtsübertragung. Der Lizenznehmer erhält mit der ausschließ- 27 lichen Lizenz eine starke („quasi-dingliche“) Rechtsposition. Dies macht eine Abgrenzung von Lizenzvergabe und Rechtsübertragung (vgl zB § 27 Abs 1 MarkenG) notwendig. Entscheidend muss hierbei auf den Umfang der eingeräumten Rechtsposition abgestellt werden. Denn je umfangreicher die Möglichkeiten der Benutzung des Lizenzgegenstandes für den Lizenznehmer ausgestaltet sind, desto mehr stellt sich die Frage nach dem Übertragungswillen der Schutzrechtsposition durch den Lizenzgeber. Eine rechtsgeschäftliche Übertragung erfolgt im Wege der Abtretung. Als schuldrechtlicher Vertrag wird dann üblicherweise ein Kaufvertrag (Rechtskauf iSv §§ 433, 453 BGB) zugrunde liegen. Beim ausschließlichen Lizenzvertrag ist aber gerade kein Rechtsinhaberwechsel beabsichtigt. Der Lizenznehmer soll lediglich ein – wenn auch umfassendes – Nutzungsrecht erhalten. Die Ausgestaltung dieses Nutzungsrechts bewirkt lediglich eine konstitutive Teilrechtsübertragung, durch die der Vollrechtsinhaber partiell sein Nutzungsrecht „verliert“ 26, also eine beschränkte Übertragung der Rechte auf den Lizenznehmer (Teilrechtsübertragung, § 413 BGB iVm §§ 398 ff BGB analog) 27. Was die Parteien tatsächlich gewollt haben, muss ggf durch Auslegung ermittelt werden. Hierfür sind auch bei Lizenzverträgen die §§ 133, 157 BGB Ausgangspunkt. Dabei 28 kann die sog Zweckübertragungslehre, die in § 31 Abs 5 UrhG ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat und auch auf verwandte Schutzrechte anwendbar ist 28, herangezogen werden. Mit dieser Lehre hat der BGH 29 – bspw im Bereich der Einräumung von Rechten an Patenten bzw Patentanmeldungen – auf den allgemeinen Grundsatz verwiesen, dass der Schöpfer einer schutzfähigen Leistung so wenig wie möglich von seinen Rechten ab- bzw aufgeben will, so dass im Zweifel nur die Einräumung von Rechten in dem Umfang angenommen werden kann, in dem deren Verschaffung nach den Umständen des Einzelfalls unabdingbar zur Erreichung des mit einem Dritten vereinbarten Geschäftszwecks ist.30 Das bedeutet für das Lizenzvertragsrecht, dass im Zweifel stets nur die Einräumung eines Nutzungsrechts, nicht aber eine Vollrechtsübertragung gewollt ist 31.
25 26 27
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Henn Rn 144 mwN; Groß Rn 36. Ahrens GRUR 2006, 617, 623; Lange Marken und Kennzeichenrecht § 4 Rn 1404. Forkel Gebundene Rechtsübertragungen 56 ff; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 328; Ahrens GRUR 2006, 617, 623. BGH GRUR 79, 637 – White Christmas; BGH GRUR 84, 119, 121 – Synchronisationssprecher; Schricker/Schricker § 31 UrhG Rn 36.
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GRUR 2000, 788, 789 – Gleichstromsteuerschaltung mwN. BGH GRUR 2000, 788, 789 f – Gleichstromsteuerschaltung. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 19; mit zahlreichen Nachweisen zur unveröffentlichten BGH-Rechtsprechung; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 24 mwN.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
6. Einfache, nicht ausschließliche Lizenz
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Durch die einfache Lizenz erwirbt der Lizenznehmer die Befugnis, das Schutzrecht in der vertraglich vereinbarten Form zu benutzen. Im Gegensatz zur ausschließlichen Lizenz kann der Lizenzgeber Dritten auch weitere Lizenzen an dem Lizenzgegenstand einräumen und/oder diesen selbst benutzen. Der Lizenznehmer erhält lediglich ein Benutzungsrecht, wie es ggf auch einer Vielzahl weiterer Vertragspartner eingeräumt wird. Unterlizenzen kann er nur mit Zustimmung des Lizenzgebers einräumen. Ist im Vertrag nicht ausdrücklich geregelt, welche Art der Lizenz vereinbart werden sollte, so ist im Zweifel von einer einfachen Lizenz auszugehen. Den Lizenzvertragsparteien ist zu raten, die Art der Lizenz eindeutig festzulegen. 30 Im Gegensatz zur ausschließlichen Lizenz wird durch die einfache Lizenz nur eine schuldrechtliche Beziehung zwischen den Vertragsparteien begründet 32. Die Rechtsposition des einfachen Lizenznehmers ist damit gegenüber der des ausschließlichen Lizenznehmers schwächer ausgestaltet 33. 31 Bei der Markenlizenz (ebenso wie bei der Geschmacksmusterlizenz, vgl § 31 Abs 3 GeschmMG) ist der einfache Lizenznehmer genauso wie der ausschließliche Lizenznehmer nur mit Zustimmung des Markeninhabers berechtigt, gegen Dritte wegen Verletzung der Marke Klage zu erheben (§ 30 Abs 3 MarkenG). 32 Die einfache Lizenz bleibt bei Veräußerung des Schutzrechts durch den Lizenzgeber wirksam (Sukzessionsschutz, vgl etwa § 15 Abs 3 PatG, § 22 Abs 3 GebrMG, § 31 Abs 5 GeschmMG, § 30 Abs 5 MarkenG). Der Erwerber des Schutzrechts tritt nicht in den Lizenzvertrag ein, dieser besteht auch nach Rechtsübergang weiter im Verhältnis zum (ursprünglichen) Lizenzgeber fort 34. 7. Abgrenzung einfache/ausschließliche Lizenz
33
Enthält der Lizenzvertrag keine ausdrückliche Bestimmung über die Art der Lizenz, ist das Gewollte durch Auslegung des Vertrags zu bestimmen (§§ 133, 157 BGB). Im Zweifel ist in Anlehnung an die zuvor erwähnte Zweckübertragungslehre von einer einfachen Lizenz auszugehen, hierauf sollte sich der Lizenzgeber aber nicht verlassen. Deshalb sollten die Vertragsparteien den Inhalt der Lizenz konkret ausgestalten, um späterem Streit und Auslegungsschwierigkeiten vorzubeugen. 34 Der Ausschließlichkeit einer Lizenz steht im Übrigen nicht entgegen, dass der Lizenzgeber zuvor eine oder mehrere einfache Lizenzen erteilt hat 35. Für die Erteilung weiterer Lizenzen nach Abschluss des ausschließlichen Lizenzvertrages fehlt dem Lizenzgeber jedoch die Verfügungsmacht, dh diese sind dem (früheren) ausschließlichen Lizenznehmer gegenüber unwirksam 36.
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BGH GRUR 1982, 411, 412 – Verankerungsteil; Fischer GRUR 1980, 374, 377; Pfaff/Osterrieth Lizenzverträge B Rn 61. BGH GRUR 1983, 237, 239 – Brückenlegepanzer. Wobei dies vertraglich anders geregelt wer-
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35 36
den muss, vgl Fezer § 30 MarkenG Rn 36; Stöbele/Hacker § 30 MarkenG Rn 71. BGH GRUR 1955, 338, 340 BGH GRUR 1974, 335 – Abstandshalterstopfen. Kraßer § 41 II 4; Reimer § 9 PatG aF Rn 84; Tetzner § 9 PatG aF Rn 49.
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§3
Rechtscharakter des Lizenzvertrages
8. Wirkung einer Lizenz Nur der ausschließlichen Lizenz kommt eine dingliche Wirkung zu 37. Aufgrund der dinglichen Wirkung wird dem ausschließlichen Lizenznehmer eine dingliche Rechtsposition eingeräumt 38. Auch der ausschließliche Lizenznehmer kann sich daher zur Abwehr von Verletzungen eines lizenzierten Schutzrechts, zB der Marke, auf die jeweiligen schutzrechtlichen Ansprüche des Lizenzgebers berufen und zB Markenverletzungsklage erheben, auch wenn er hierzu nach der (dispositiven) gesetzlichen Regelung noch der Zustimmung des Lizenzgebers gem § 30 Abs 3 MarkenG bedarf 39. Die zB in § 30 Abs 2 Nr 1–5 MarkenG genannten Vertragsverletzungen führen nicht nur zu schuldrechtlichen, sondern auch zu markenrechtlichen Ansprüchen selbst. Da der Markeninhaber die Markenrechtsverletzungen gegen den Lizenznehmer im Wege der Verletzungsklage geltend machen kann, bestehen diese Ansprüche auch gegen jeden dritten gewerblichen Abnehmer im Vertrieb des lizenzrechtswidrigen Produkts 40. Insoweit tritt eine Erschöpfung des Markenrechts nach § 24 MarkenG nicht ein 41. Trotz der dinglichen Wirkung einer ausschließlichen Lizenz ist der ausschließliche Markenlizenznehmer – im Unterschied etwa zum ausschließlichen Patentlizenznehmer – nur mit Zustimmung des Inhabers des lizenzierten Schutzrechts befugt, Unterlizenzen zu vergeben, und zwar auch dann, wenn ihm eine Exklusivlizenz eingeräumt wurde 42. Gleiches gilt für die Übertragung der Lizenz im Wege der Abtretung (§ 398 ff BGB) 43, es sei denn, es gibt jeweils vorgehende vertragliche Individualvereinbarungen, die sich auch aufgrund einer Auslegung des Lizenzvertrages ergeben können 44. Grund hierfür ist, dass die Vielfachnutzung die Herkunftsfunktion der Marke beeinträchtigen kann 45. Wie bereits erwähnt, bleibt bei Übertragung des lizenzierten Schutzrechts durch den Lizenzgeber auf einen Dritten oder einer nachfolgenden Lizenzeinräumung die erteilte Lizenz erhalten (für das Markenrecht etwa §§ 27, 30 Abs 5 MarkenG). Dieser Sukzessionsschutz gilt sowohl für die einfache als auch für die ausschließliche Lizenz 46. Allerdings sind ggf Sonderregelungen zu beachten, die sich für das jeweilige Schutzrecht nach dem hierfür geltenden Landes- oder Gemeinschaftsrecht ergeben können. So ist zB bei Gemeinschaftsmarken Art 23 Abs 1 GMV zu beachten, wonach der Sukzessionsschutz erst ab Eintragung der Lizenz ins Register besteht oder wenn der Erwerber bösgläubig war.
35 36
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9. Negative Lizenz Merkmal der negativen Lizenz ist, dass dem Lizenznehmer gerade kein positives 40 Benutzungsrecht zusteht, vielmehr hat der Lizenzgeber lediglich darauf verzichtet, von seinem gesetzlichen Verbietungsrecht 47 aus dem lizenzierten Recht Gebrauch zu machen. 37
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39 40 41 42
Von Schultz § 30 Rn 15 mHa OLG München NJW-RR 1997, 1266, 1267 – Fan-Artikel; Starck WRP 1994, 698, Lange Marken- und Kennzeichenrecht § 4 Rn 1408. Lange Marken- und Kenzeichenrecht § 4 Rn 1408 mHa BGH GRUR 1992, 310, 311 – Taschenbuchlizenz zum Urheberrecht. Fezer § 30 MarkenG Rn 8; Lange Markenund Kennzeichenrecht § 4 Rn 1408. Fezer § 30 MarkenG Rn 8. Fezer § 30 MarkenG Rn 8. Von Schultz § 30 MarkenG Rn 30; Fezer
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§ 30 MarkenG Rn 22; Ströbele/Hacker/ Hacker § 30 MarkenG Rn 57; Fammler 100. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 56. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 56, 57; Fammler 100. Von Schultz § 30 MarkenG Rn 30. Sonderregelungen gibt es etwa für Gemeinschaftsmarken vgl Art 23 Abs 1 GMV. Bartenbach, B 17; von Schultz § 30 MarkenG Rn 1, 15.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
41
Praktische Relevanz erhält die Abgrenzung der negativen Lizenz von der ausschließlichen bzw einfachen Lizenz durch den Vergleich des Umfangs der den Lizenzgeber treffenden Pflichten. Im Unterschied zu dem positiven Benutzungsrecht ist der Pflichtenkreis des Lizenzgebers bei der negativen Lizenz üblicherweise allein auf die Duldung der Schutzrechtsnutzung durch den Lizenznehmer beschränkt 48. Eine Verpflichtung des Lizenzgebers, das Vertragsschutzrecht und das darauf bezogene Benutzungsrecht aufrechtzuerhalten, besteht nicht. Er kann das Schutzrecht jederzeit fallen lassen oder darauf verzichten 49. Zur Verfolgung von Schutzrechtsverletzungen ist der Lizenznehmer ebenso wenig 42 berechtigt; auch kann er einen solchen Anspruch nicht gegen den Lizenzgeber durchsetzen. Abgesehen von der Möglichkeit, dass der Lizenzgeber eine vertragliche Garantie übernommen hat, ist seine Haftung bzw sein Haftungsrisiko also stark begrenzt. Ein wesentliches Anwendungsfeld der negativen Lizenz ist die vergleichsweise Beilegung 43 von Streitigkeiten über Schutzrechtsverletzungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein weiteres Vorgehen gegen den (vermeintlichen) Verletzer und späteren Lizenznehmer das Schutzrecht des Lizenzgebers gefährden würde (Gefahr einer Löschungsklage). Abreden im vorgenannten Sinne kommen vor allem im Rahmen von markenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarungen vor 50. Zudem stellt die negative Lizenz eine Vertragsalternative dar, wenn besondere Mitwirkungspflichten und Haftungspflichten des Lizenzgebers ausgeschlossen werden sollen 51. 10. Freilizenz
44
Die Freilizenz bzw Gratislizenz gewinnt häufig im Rahmen einer anhängigen Nichtigkeits- oder Löschungsklage Bedeutung. Sie wird dem Kläger eingeräumt, damit er gegen Gestattung der unentgeltlichen Benutzung des Schutzrechts von seiner Klage Abstand nimmt. Dies ist auch vor Klageerhebung mit der Folge des Verzichts auf die Durchführung des Verfahrens denkbar. Streitig ist, ob der Lizenzgeber durch die Freilizenz lediglich auf sein Verbietungsrecht verzichtet 52 oder ein positives Nutzungsrecht einräumt. Grundsätzlich kann der Lizenzgeber neben der Freilizenz beliebig weitere Lizenzen einräumen, wobei eine Grenze nach dem Grundsatz von Treu und Glauben anzunehmen ist (§ 242 BGB), wenn dadurch die Grundlage des ursprünglichen Lizenzvertrages in Frage gestellt würde, mithin eine Vertragsverletzung vorliegt. Dies bedarf einer Abwägung im Einzelfall 53. Zur Erteilung einer Unterlizenz ist der Lizenznehmer nicht berechtigt 54. 11. Unterlizenz
45
Die Unterlizenz ist eine von der Hauptlizenz abgeleitete Lizenz, die der Hauptlizenznehmer (als Lizenzgeber) dem Unterlizenznehmer vertraglich einräumt. Bei der Einräumung von Unterlizenzen kann ein mehrstufiges System geschaffen werden, wenn dem Unterlizenznehmer das Recht eingeräumt wird, seinerseits weitere Unterlizenzen zu vergeben. 48 49 50 51
Bartenbach, B 149 ff. RG GRUR 1939, 963, 964. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 5; von Schultz § 30 MarkenG Rn 16. Zu den Entwicklungen in der Unternehmenspraxis s Bartenbach, B 127 ff.
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So zum früheren PatG Lindenmaier/Weiss § 9 PatG aF Rn 35. Groß Rn 285, 411, 420. LG Düsseldorf InstGE 5, 168, 171 – Flaschenkasten.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§4
Gegenstand des Lizenzvertrages
Zu beachten ist, dass der Hauptlizenznehmer keine umfassenderen Rechte einräumen 46 kann, als er selbst erhalten hat. Der Hauptlizenznehmer hat für eine ordnungsgemäße Rechnungslegung und die vom Unterlizenznehmer zu entrichtenden Lizenzgebühren einzustehen 55. Dies sollte ebenso vertraglich festgehalten werden wie die Tatsache, dass die Unterlizenz in ihrem Bestand vom Hauptlizenzvertrag abhängig ist, also das Recht des Unterlizenznehmers mit dem des Hauptlizenznehmers erlischt 56. Da mit Beendigung oder Unwirksamkeit der Hauptlizenz auch die Unterlizenz automatisch erlischt 57, wird es ein vordringliches Anliegen des Unterlizenzgebers sein, seine Haftung für den Bestand der Hauptlizenz weitestgehend zu beschränken.
§4 Gegenstand des Lizenzvertrages Jedes schutzfähige Recht, durch das der Rechtsinhaber eine Position erlangt, die recht- 47 lich geschützt ist und ihm die Möglichkeit verschafft, andere von der Nutzung auszuschließen (wie zB Marke, Geschmacksmuster, Gebrauchsmuster, Patent, Urheberrecht), kann grundsätzlich Gegenstand eines Lizenzvertrages sein. Die Nutzungserlaubnis kann spiegelbildlich alles umfassen, was seinerseits von dem Verbietungsrecht umfasst wird (§§ 4, 14 MarkenG). Vereinfacht ausgedrückt: “Was verboten werden kann, lässt sich auch lizenzieren.“ Lizenzierbare Schutzrechte können insbesondere technische Schutzrechte (Gebrauchs- 48 muster und Patent) und damit einhergehend Know-how, aber auch nichttechnische Schutzrechte (wie Marken, Geschmacksmuster sowie Urheberrechte) sein. Im Multimedia-Bereich sind insbesondere Lizenzverträge über Software, Datenbanken uä bedeutsam. Diese Rechte können auch gebündelt zum Gegenstand eines Lizenzvertrages gemacht werden. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die lizenzierbaren Rechte gegeben, dem 49 sich die Behandlung des Lizenzvertrages, im Wesentlichen bezogen auf Lizenzverträge über Markenrechte, anschließt.
I. „Patente“ und Patentanmeldungen/Erfindungen/ ergänzende Schutzzertifikate Die Regelung des § 15 Abs 2 PatG bestimmt, dass der Patentinhaber berechtigt ist, 50 die ihm nach § 15 Abs 1 PatG zustehenden Rechte, also das Recht auf das Patent, den Anspruch auf Erteilung des Patents und das Recht aus dem Patent, ganz oder teilweise zum Gegenstand von Lizenzen zu machen. Art 73 EPÜ 58 regelt dies entsprechend für eine europäische Patentanmeldung.
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BGH GRUR 1953, 114, 118 – Reinigungsverfahren. Ohl GRUR 1992, 77, 81 mwN. RGZ 142, 168, 170 f; Lüdecke/Fischer D 71, 434 ff; Groß Rn 233; Ohl GRUR 1992, 77, 81 mwN.
58
Art 73 EPÜ „Vertragliche Lizenzen: Eine europäische Patentanmeldung kann ganz oder teilweise Gegenstand von Lizenzen für alle oder einen Teil der Hoheitsgebiete der benannten Vertragsstaaten sein.“
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
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2. Teil
Bei technischen Schutzrechten kommt eine Vielzahl lizenzierbarer Rechte in Betracht, so dass dementsprechend der Gegenstand eines solchen Lizenzvertrages sehr unterschiedlich sein kann. Möglich ist die Lizenzierung von Patenten, Geheimpatenten 59, angemeldeten oder zur Anmeldung vorgesehenen Erfindungen 60, offen gelegten Patentanmeldungen 61, Geheimverfahren und Erfindungen, für die ein Patentschutz (noch) nicht beabsichtigt 62 oder nicht möglich 63 ist. Auch ein zukünftiges, noch nicht entstandenes Erfindungs-(Schutz)recht kann, soweit es bei Vertragsabschluss bestimmbar ist, Gegenstand eines Lizenzvertrages sein 64, jedoch gilt § 15 Abs 2 PatG nicht für Lizenzen an nicht angemeldeten Erfindungen 65. Diese können aber wiederum zum Gegenstand eines dem Patentlizenzvertrag der Art nach vergleichbaren Verwertungsvertrages gemacht werden 66. Bei der Vertragsgestaltung sind dementsprechend dann nicht die Vorschriften des PatG, sondern die sich aus dem Kartellrecht für Lizenzverträge ergebenden Schranken zu beachten 67. Lizenzverträge über die Nutzung von Erfindungen, die zur Erteilung eines Patentes angemeldet worden sind, sind zulässig 68. Dabei sollte allerdings auf eine genaue Regelung des Vertragsgegenstandes geachtet werden; zum einen ist es möglich, die Verpflichtung des Lizenzgebers zur Lizenzerteilung nur unter der Voraussetzung der Patenterteilung zu vereinbaren, zum anderen kann die Verpflichtung des Lizenzgebers zur Lizenzerteilung unabhängig davon vereinbart werden, ob das Patent erteilt wird oder nicht. Dann aber macht der Lizenzgeber in der Regel keine Zusagen hinsichtlich der Patenterteilung, wenngleich er insoweit natürlich nicht daran gehindert ist, entsprechende Zusicherungen zu übernehmen. Möglich ist es auch, ein betriebsgeheimes Verfahren zu lizenzieren; in diesen Fällen wird eine Schutzrechtsanmeldung bewusst unterlassen, um Dritten keinen Aufschluss über die Funktionsweise des Verfahrens zu vermitteln. Schwierigkeiten können sich in diesem Zusammenhang bei der Abgrenzung zum Know-how-Lizenzvertrag ergeben. In Fällen, in denen zur Benutzung des lizenzierten Schutzrechts die Nutzung einer weiteren nicht durch den Vertrag lizenzierten Erfindung des Lizenzgebers notwendig ist, wird nach der Rechtsprechung auch ohne diesbezügliche Vereinbarung eine Erstreckung der Lizenzierung auf die weitere Erfindung angenommen 69, wobei die vertraglich festgesetzte Lizenzgebühr mangels abweichender Vereinbarungen nicht angepasst wird. Der Schutzrechtsinhaber sollte daher stets prüfen, ob der Lizenznehmer auch eine Lizenz an anderen Schutzrechten benötigt, um die eigentlich zu lizenzierende Technologie auszuüben, und dementsprechend ggf die Lizenzkonditionen anpassen. 59 60 61
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BGH GRUR 1967, 245, 246 – Lizenzbereitschaft an Geheimpatent. BGHZ 51, 263, 264 – Silobehälter. BGH GRUR 1965, 160, 162 – Abbauhammer, zur bekannt gemachten Patentanmeldung (PatG 1968). BGHZ 51, 263, 264 – Silobehälter; BGH GRUR 1961, 466, 467 – Gewinderollkopf. Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 232 f. BGH NJW 1982, 2861, 2862; Schulte/ Kühnen § 15 PatG Rn 12. Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 56; Schulte/ Kühnen § 15 Rn 2 PatG mHa AmtlBegr zum 1. GPatG Blatt 1979, 280.
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BT-Drucks 8/2087, 25. BGHZ 51, 263, 264 ff – Silobehälter (unter Bezugnahme auf die zu diesem Zeitpunkt geltenden §§ 20, 21 GWB aF), vgl auch §§ 1 ff GWB in Verbindung mit der TT-GVO Nr 774/2004. BGH GRUR 1961, 466, 467 – Gewinderollekopf; BGH GRUR 1969, GRUR 677, 678 – Rüben-Verladeeinrichtung; Kraßer § 40 IVa; Groß Rn 13; Keller 29 f. BGH GRUR 2005, 406, 407 – Leichtflüssigkeitsabscheider.
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§4
Gegenstand des Lizenzvertrages
Über § 16a Abs 1 PatG in Verbindung mit den Verordnungen der EU über die Schaf- 57 fung von ergänzenden Schutzzertifikaten ist es möglich, einen über die maximale Laufzeit eines Patents (20 Jahre ab Patentanmeldung) hinausgehenden Schutz zu erhalten. Ein solches ergänzendes Schutzzertifikat verlängert also die Laufzeit 70 des Grundpatents, jedoch nur innerhalb der Grenzen der für das Grundpatent geltenden Zulassung. Solche ergänzenden Schutzzertifikate sind häufig bei der Patentierung von Arznei- 58 mitteln (Wirkstoffen) 71 bzw Pflanzenschutzmitteln 72 anzutreffen 73.
II. Gebrauchsmuster Das Gebrauchsmuster wird auch als „kleines Patent“ bezeichnet, da es sich ebenfalls 59 auf technische Erfindungen bezieht und dem Patent weitgehend entspricht; es unterscheidet sich inhaltlich im Wesentlichen durch geringere Anforderungen an die schöpferische Höhe: während für ein Patent eine erfinderische Tätigkeit Voraussetzung ist, bedarf es für ein Gebrauchsmuster „nur“ eines erfinderischen Schrittes. Formal unterscheidet es sich von einem Patent im Wesentlichen durch eine kürzere Laufzeit (maximal 10 Jahre) sowie dadurch, dass im Registrierungsverfahren eine materielle Prüfung der Schutzvoraussetzungen, namentlich der Neuheit und des erfinderischen Schrittes, nicht stattfindet (§§ 1, 8 GebrMG). Gem Art 1 Abs 1 lit h TT-GVO 2004 steht das Gebrauchsmuster dem Patent auch in kartellrechtlicher Hinsicht gleich. Der Inhaber eines Gebrauchsmusters kann dem Lizenznehmer gem § 22 Abs 2 60 GebrMG sowohl ausschließliche als auch einfache Lizenzen einräumen. Vorstehende Erläuterungen zur Patentlizenz lassen sich grundsätzlich auch auf die Gebrauchsmusterlizenz übertragen 74. Die fehlende materielle Prüfung im Registrierungsverfahren hat insofern keinen Einfluss auf die Wirksamkeit eines Gebrauchsmusterlizenzvertrages 75.
III. Know-how Know-how steht für das nicht durch Schutzrechte gesicherte (betriebliche) Erfah- 61 rungswissen auf technischem oder kaufmännischem Gebiet, das gegenüber Dritten einen Vorteil gewährt 76. Die TT-GVO 2004 bezeichnet Know-how in ihrem Art 1 Abs 1 lit i als „Gesamtheit nicht patentierter praktischer Kenntnisse, die durch Erfahrungen und Versuche gewonnen werden.“ Kennzeichnende Pflichten des Know-how-Lizenzvertrages sind auf Seiten des Lizenz- 62 gebers die Verpflichtung, dem Lizenznehmer sein jeweiliges Erfahrungswissen, uU einschließlich technischer Hilfestellung, zu überlassen, auf Seiten des Lizenznehmers die Verpflichtung zur Zahlung einer Lizenzgebühr. 70 71
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Vgl zur Berechung BPatGE 35, 276, 278 ff. ABl EG Nr L 182 vom 2.7.1992 S 1, abgedr in GRUR Int 1993, 301 ff, geändert durch Vertrag vom 24.6.1994 (BGBl II S 2022) und vom 23.9.2003 (ABl EG L 236 vom 23.9.2003 S 33). ABl EG Nr L 198 vom 8.8.1996 S 30. Rechtsgrundlagen hierfür sind die Verordnungen (EWG) Nr 1768/92 vom 18.6.1992, in Kraft getreten am 2.1.1993 bzw
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Nr 1610/96 vom 23.7.1996, in Kraft getreten am 8.2.1997. Benkard/Grabinski PatG § 22 GebrMG Rn 4; Busse/Keukenschrijver PatG § 22 GebrMG Rn 4. Busse/Keukenschrijver PatG § 22 GebrMG Rn 4 mHa BGH GRUR 1977, 107, 109 – Werbespiegel. Finger GRUR 1970, 3, 4; Kraßer GRUR 1970, 587, 588; Groß Rn 16; Henn Rn 29.
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2. Teil
Bei dem zu überlassenden Know-how kann es sich auch um ein solches handeln, das erst nach Vertragsschluss zu erarbeiten ist 77. Die konkrete Überlassung des Know-hows kann wiederum unterschiedlich ausgestaltet sein, zB durch einen Beratungs-, Erfahrungsaustausch- oder Nachbauvertrag. In der Praxis stellt sich die Lizenzierung von Knowhow regelmäßig als Wissensüberlassung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Lizenzvertrages über die Nutzung von Schutzrechten dar (gemischter Schutzrechts- und Know-how Lizenzvertrag, Art 1 Abs 1 lit b TT-GVO 2004).
IV. Marken/Warenzeichen 64
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Der Markenbegriff des § 3 Abs 1 MarkenG umfasst alle Zeichen, insbesondere Wörter, einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen, einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.78 Die Möglichkeit des Markeninhabers zur Einräumung von ausschließlichen oder einfachen Lizenzen normiert § 30 Abs 1 MarkenG. Wird eine gem § 4 Nr 1 MarkenG eingetragene Marke lizenziert, so erstreckt sich die Lizenz nur auf die eingetragene Marke, dh der Lizenznehmer erhält nicht zugleich eine Lizenz an verwechselbaren Zeichen iSd § 14 Abs 2 Nr 2 MarkenG 79. In § 30 Abs 2–5 MarkenG finden sich Besonderheiten der Markenlizenz gegenüber der Patentlizenz, die über § 31 MarkenG entsprechend für die durch Anmeldung von Marken begründeten Rechte und deren Lizenzierung gelten. Aus § 30 Abs 2 MarkenG ergibt sich das Recht des Lizenzgebers, Rechte aus der Marke gegen den Lizenznehmer geltend zu machen, sofern dieser hinsichtlich (i) der Dauer einer Lizenz, (ii) der von der Eintragung erfassten Form, in der die Marke benutzt werden darf, (iii) der Art der Waren oder Dienstleistungen, für die die Lizenz erteilt wurde, (iv) des Gebiets, in dem die Marke angebracht werden darf, oder (v) der Qualität der von ihm hergestellten Waren oder der von ihm erbrachten Dienstleistungen gegen eine Bestimmung des Lizenzvertrages verstößt. Dem Lizenzgeber wird demgemäß zusätzlich die Möglichkeit der Erhebung einer Markenverletzungsklage im Falle der vorgenannten Vertragspflichtverletzungen gegen den Lizenznehmer eingeräumt 80. Den gewerblichen Abnehmern des Lizenzgebers sowie Dritten, die solche Waren vertreiben, steht der Erschöpfungseinwand des § 24 MarkenG nicht zur Seite, so dass der Lizenzgeber seine Ansprüche auch gegen diese geltend machen kann 81. Zudem stehen dem Lizenzgeber die aus der Verletzung der Marke folgenden Ansprüche gem §§ 14 ff MarkenG unbeschadet einer lizenzvertraglichen Vereinbarung, die seine Prozessführungsbefugnis beschränkt, zu 82. § 30 Abs 2 MarkenG zählt die Verstöße gegen Bestimmungen des Lizenzvertrages, die unter seinen Anwendungsbereich fallen, abschließend auf, so dass andere Vertragsverstöße lediglich vertragliche Ansprüche entstehen lassen 83, soweit solche vorgesehen sind. 77 78 79 80
Henn Rn 31. Vgl dazu Teil 2 Kap 7. BGH Mitt 2000, 504, 505 – SUBWAY/ Subwear. Wie in Art 8 Abs 2 der Markenrechts-Richtlinie vorgesehen.
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81 82 83
Bühling GRUR 1998, 196, 198. BGH GRUR 2003, 242, 244 – Dresdener Christstollen. Bühling GRUR 1998, 196, 198.
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§4
Gegenstand des Lizenzvertrages
Nach der Bestimmung des § 30 Abs 3 MarkenG kann der Lizenznehmer Klage wegen Verletzung einer Marke nur mit Zustimmung des Markeninhabers erheben. Dies gilt sowohl für ausschließliche als auch für einfache Lizenzen. Gleiches gilt für die markenrechtliche Löschungsklage 84. Bereits bei vorgerichtlicher Geltendmachung, wie der Abmahnung wegen Markenrechtsverletzung, ist das Zustimmungserfordernis zu beachten 85. Im Lizenzvertrag kann allerdings anderes vereinbart werden86. Den Beitritt des Lizenznehmers zu einer vom Markeninhaber erhobenen Verletzungsklage, mit dem der Ersatz des eigenen Schadens geltend gemacht werden soll, regelt § 30 Abs 4 MarkenG. In seiner Entscheidung „Windsor Estate“ führt der BGH 87 hierzu aus, dass ein Lizenznehmer, der gem § 30 Abs 4 MarkenG der Verletzungsklage beitritt, die Stellung eines einfachen Streitgenossen erlangt und dem Lizenznehmer im Falle einer Markenverletzung kein eigener Schadensersatzanspruch gegen den Verletzer zusteht 88. In § 30 Abs 5 MarkenG ist der Sukzessionsschutz geregelt, wonach der Rechtsübergang der Marke oder die Erteilung einer Lizenz nicht die Lizenzen berührt, die Dritten vorher erteilt worden sind. Insgesamt ist bei den Regelungen des § 30 MarkenG zu beachten, dass diese nicht abschließend sind und zur ergänzenden Auslegung dieser Normen – wegen der bewussten Annäherung an § 15 Abs 2 PatG – die Rechtsprechung und Literatur zum Patentlizenzvertrag herangezogen werden können 89. Da im Unterschied zu Patenten der Markenschutz gem § 47 Abs 1 MarkenG zunächst auf die Dauer von 10 Jahren ab Ende des Monats, in den die Anmeldung fällt, angelegt und in Abs 2 eine Verlängerungsmöglichkeit um jeweils weitere zehn Jahre vorgesehen ist, wird bei einer Marke bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen auch von „ewigen Leistungsschutzrechten“ gesprochen. Angesichts dieser „ewigen“ Fortdauer einer Marke ist es im Lizenzvertrag besonders wichtig, interessengerechte Reglungen für die Vertragsparteien zu treffen, vor allem, wenn eine „begleitende“ Marke im Rahmen eines gemischten Patent- und Markenlizenzvertrages lizenziert wird. Die Registrierung von Markenlizenzen im deutschen Markenregister (wie diese etwa bei Patent- und Gebrauchsmusterlizenzen im Register vorgenommen werden kann) ist bei Marken nicht vorgesehen. Im Gegensatz dazu sehen Art 22 und 23 Abs 1 Gemeinschaftsmarkenverordnung – GMVO (EG) Nr 40/94 des Rates vom 20.12.1993 90 – eine Registrierung vor. Zudem soll die Registrierungspflicht einer Gemeinschaftsmarke beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Alicante Wirksamkeitsvoraussetzung für die Lizenzerteilung gegenüber Dritten sein 91. Weiterhin ist seit dem 1.4.2002 die Eintragung einer Lizenz im internationalen Markenregister vorgesehen 92. Deutschland behält sich jedoch, obschon Mitgliedstaat des MMA und des PMMA, ausdrücklich eine Nichtregistrierung vor 93. Wegen der besonderen „Sensibilität“ der Marke und insbesondere der Gefahr der Irreführung und der Verwässerung sollte in folgenden Fällen von einer Lizenzierung der Marke abgesehen werden: 84 85 86 87 88 89
BGHZ 138, 349 ff – MAC Dog. OLG München NJW-RR 1997, 1266, 1268 – 1860 München. BGH GRUR 1990, 361, 362 – Kronenthaler; BGH GRUR 1995, 54, 57 – Nicoline. GRUR 2007, 877 ff. BGH GRUR 2007, 877 ff. Fammler 4.
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ABl EG Nr L 11 vom 14.1.1994 S 1 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT). Pfaff/Osterrieth/Büchner B XI Rn 1107. Regel 20 (bis) der gemeinsamen Ausführungsverordnung zum Madrider Abkommen und dem Madrider Protokoll. Stumpf MarkenR 2005, 425 ff.
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2. Teil
– Der Lizenzgeber nutzt die Marke selbst. Potentieller Lizenznehmer ist ein Wettbewerber des Lizenzgebers. Eine Ausnahme besteht bei besonderen Vertriebsformen. – Die Produkte des Lizenznehmers erfüllen nicht die Qualtitätsanforderungen bzw entsprechen nicht den Qualitätsvorstellungen des Lizenzgebers. Denn auch wenn die Marke nicht die Garantie der Produktqualität, sondern den Nachweis der Herkunft enthält 94, so schreibt der angesprochene Verbraucher einer bestimmten Marke auch die ihm vertraute Qualität zu, so dass die Lizenzierung dieser Marke nicht dazu führen darf, ihn über die Produktqualität zu täuschen 95. – Der Lizenzgeber wird dem Risiko der Produkthaftung für mangelhafte Waren ausgesetzt, die der Lizenznehmer mit der lizenzierten Marke des Lizenzgebers vertreibt 96. Liegt dem Lizenzvertrag eine Warenbezugspflicht zu Grunde, ist es möglich, den Lizenzgeber als (Quasi-)Unternehmer zu qualifizieren, mit der Folge, dass ihn ein Haftungsrisiko bzgl der durch den Lizenznehmer vertriebenen Waren treffen kann.
V. Geschmacksmuster 79
Nach § 1 Nr 1 GeschmMG ist ein Muster die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, welches sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst ergibt. Die Schutzdauer des Geschmacksmusters beträgt gem § 27 Abs 2 GeschmMG maximal 25 Jahre, gerechnet ab dem Anmeldetag. Der Schutz entsteht nach Abs 1 mit der Eintragung in das Register des DPMA. Der Rechtsinhaber kann gem § 31 GeschmMG Lizenzen für das gesamte Gebiet oder 80 einen Teil des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland erteilen. Diese können ausschließlich oder nicht ausschließlich sein. § 31 Abs 2 GeschmMG enthält eine ähnlich dem § 30 Abs 2 MarkenG ausgestaltete Regelung, nach der der Lizenzgeber unter den dort bestimmten Vertragsverletzungen gegenüber dem Lizenznehmer Rechte aus dem Geschmacksmuster geltend machen kann. Ebenso regelt § 31 Abs 3 GeschmMG – vergleichbar zu § 30 Abs 3 MarkenG –, dass auch der Lizenznehmer Verfahren wegen Verletzung des Geschmacksmusters führen kann, jedoch mit dem Unterschied, dass der Inhaber einer ausschließlichen Lizenz keiner Zustimmung des Lizenzgebers bedarf, wenn dieser, nachdem er dazu aufgefordert wurde, innerhalb einer angemessenen Frist nicht selbst ein Verletzungsverfahren anhängig macht (§ 31 Abs 3 Satz 2 GeschmMG). Den Sukzessionsschutz normiert § 31 Abs 5 GeschmMG.
VI. Urheberrechte 81
Das Urheberrecht im subjektiven Sinne ist die Berechtigung des Werkschöpfers, des Urhebers, an seinem Geisteswerk.97 Das Urheberrecht im objektiven Sinne regelt den Schutz bestimmter kultureller Geistesschöpfungen, die Werke genannt werden 98.
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EuGH GRUR 2003, 425 – Ansul/Ajax; s aber EuGH GRUR Int 1998, 875, 877 – CANNON/Canon mit Anm Fezer WRP 1998, 1123, 1126; BGH WRP 2005, 1527 – Otto.
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BGH GRUR 1966, 45, 46 – Markenbenzin; BGHZ 44, 372, 377. Hölzlwimmer (1995), 123 ff. Rehbinder Rn 3. Rehbinder Rn 2.
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§4
Gegenstand des Lizenzvertrages
Gem § 2 Abs 2 UrhG sind Werke nur persönliche geistige Schöpfungen. § 2 Abs 1 UrhG enthält eine Aufzählung der Werke, die insbesondere zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören. Auch Computerprogramme genießen urheberrechtlichen Schutz nach den Vorschriften der §§ 69a ff UrhG (vgl nachfolgend). Für das Urheberrecht bestimmt § 31 UrhG, dass der Urheber einem anderen das Recht einräumen kann, das Werk für einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen (Nutzungsrecht). Das Nutzungsrecht kann gem § 31 Abs 1 S 2 UrhG als einfaches (Abs 2) oder ausschließliches (Abs 3) Recht sowie räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt eingeräumt werden. Die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten sowie Verpflichtungen hierzu waren bislang gem § 31 Abs 4 UrhG unwirksam. Diese Regelung ist jedoch mit der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Urheberrechtsnovelle ersatzlos weggefallen. Nunmehr enthält § 31a UrhG Regelungen über Verträge über unbekannte Nutzungsarten. Danach kann der Urheber bei einem Vertrag, durch den er Rechte für unbekannte Nutzungsarten einräumt oder sich dazu verpflichtet, grundsätzlich diese Rechtseinräumung oder die Verpflichtung hierzu widerrufen. Lässt sich dem Lizenzvertrag die Nutzungsart nicht eindeutig entnehmen, so gilt nach der Zweckübertragungslehre 99 (§ 31 Abs 5 UrhG), dass der Urheber dem Erwerber im Zweifel nur soviel an Rechten einräumt, wie es zur Erreichung des Vertragszwecks notwendig ist. Das UrhG selbst gibt dem Lizenzgeber – abweichend zB von einer Lizenz an technischen Schutzrechten – verschiedene Möglichkeiten, auf die Nutzung der Lizenz durch den Lizenzgeber Einfluss zu nehmen. So bestimmt es zB in § 34 UrhG, dass Nutzungsrechte iSv § 31 UrhG nur mit Zustimmung des Urhebers übertragen werden können und gem §§ 31 Abs 3 S 3, 35 UrhG auch der ausschließliche Lizenznehmer der Zustimmung des Urhebers zur Einräumung einer einfachen Lizenz bedarf. Räumt der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht am Werk ein, so verbleibt ihm gem § 37 Abs 1 UrhG im Zweifel das Recht der Einwilligung zur Veröffentlichung oder Verwertung einer Bearbeitung des Werkes. Gleiches wird in § 37 Abs 2 und 3 UrhG für die Ausübung anderer als der vereinbarten Nutzungsarten bestimmt.
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VII. Software Nutzungsrechte an Computerprogrammen können ebenfalls durch einen Lizenzver- 88 trag eingeräumt werden 100. Programme für Datenverarbeitungsanlagen genießen „als solche“ keinen Patent- oder 89 Gebrauchsmusterschutz (§ 1 Abs 3 Nr 3, Abs 4 PatG, § 1 Abs 2 Nr 3, Abs 4 GebrMG, Art 52 Abs 2 Nr 3, Abs 3 EPÜ). Eine Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (Software) 101 hängt davon ab, ob ein „technischer“ Bezug der Erfindung ge-
99 100
BGHZ 9, 262, 265; BGH GRUR 1987, 37, 39 – Videolizenzvertrag. Zum Begriff Software s Marly Rn 1 ff; „Software“ bezeichnet als Sammelbegriff alle nicht physischen Funktionsbestandteile eines Computers; hiervon umfasst sind vor
101
allem Computerprogramme sowie die zur Verwendung mit Computerprogrammen bestimmten Daten. S Art 2 lit a des RL-Entwurfs vom 20.2.2002; Nack GRUR Int 2004, 771; Nägele Mitt 2004, 101.
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geben ist 102, denn Patentschutz wird für die technische Lehre bzw die technische Umsetzung der Ideen und Konzepte eines Computerprogramms gewährt. Es ist anhand einer Gesamtbetrachtung des Anmeldegegenstandes im Einzelfall zu entscheiden, ob das Computerprogramm den erforderlichen technischen Bezug aufweist 103. Der Schutzbereich des Urheberrechts ist für Computerprogramme dann eröffnet, wenn sie gem § 2 Abs 1 Nr 1 UrhG Werkcharakter haben. Der Schutz als Werk iSv §§ 1, 2 UrhG umfasst im Unterschied zum Patent nur die äußere Form des Computerprogramms 104. Eine Definition des Computerprogramms enthalten die §§ 69a ff UrhG allerdings nicht 105. Der Begriff ist jedoch weit auszulegen 106. Die Art des Computerprogramms ist für seinen Schutz nicht entscheidend, § 69a UrhG erfasst zB Systemsoftware ebenso wie Textverarbeitungs- oder Grafikprogramme, die der Datenverarbeitung dienen. Der Schutz über § 69a UrhG besteht für alle „Ausdrucksformen“ des Programms, einschließlich des „Entwurfsmaterials“. Über § 69a Abs 2 S 2 UrhG erlangen die „Ideen und Grundsätze“ als Grundlage eines Elements des Programms oder einer Schnittstelle keinen Schutz. § 69c UrhG vermittelt dem Rechtsinhaber das ausschließliche Recht, die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung (auch soweit dies für das Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern erforderlich ist), die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen des Programms einschließlich der Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse, jede Form der Verarbeitung des Originals oder von Vervielfältigungsstücken einschließlich der Vermietung sowie die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung in der Weise, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit an Orten oder zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist, selbst auszuführen oder zu gestatten. Ausnahmen hierzu normieren die §§ 69d, 69e UrhG (vgl auch § 69g Abs 2 UrhG). Bei einer auf Computer-Programme bezogenen Lizenzierung sind allerdings die unterschiedlichen Schutzrichtungen des Patent- und Urheberrechts sowie die jeweiligen Rechtsfolgen bei Eingriffen in die Ausschließlichkeitsrechte zu beachten 107. Das UrhG schützt nur die äußere Erscheinungsform des Programms. Gem § 69a Abs 2 S 2 UrhG werden „Ideen und Grundsätze“ als Grundlage des Programms nicht geschützt. Diese können aber gerade als im Hintergrund des Programms stehende technische Lehre der Erfindung dem Patentschutz unterfallen. Ein Schutz für Lizenznehmer und Urheber vor der Entwicklung und Vermarktung eines parallelen Programms durch Dritte existiert nicht.
102 103
104
Pagenberg/Geissler Muster 17 Rn 71. BGH GRUR 1992, 430, 431 – Tauchcomputer; BGH GRUR 2000, 498 ff (mit Anm Betten) – Logikverifikation; BGH GRUR 2003, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH Mitt 2005, 78 – Anbieten interaktiver Hilfe; BGH Mitt 2005, 20 – Rentabilitätsermittlung; Reichel Mitt 2006, 6 ff; Horns GRUR 2001, 1, 13; Schölch GRUR 2001, 16, 17. BGH GRUR 1984, 659, 660 – Ausschreibungsunterlagen; BGH GRUR 1985, 1041, 1047 – Inkassoprogramm; OLG Köln GRUR-RR 2005, 303 ff; OLG Karlsruhe
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GRUR 1983, 300, 305; OLG Frankfurt GRUR 1983, 753, 755 – Pengo; Pagenberg/ Geissler Muster 17 Rn 19. BT-Drucks 12/4022, 9, bewusster Verzicht aufgrund der Schnelllebigkeit der Branche. BGH GRUR 2005, 860 ff mwN; OLG Köln GRUR-RR 2005, 303 ff; Begr des Entwurfs eines 2. UrhÄndG, BT-Drucks 12/4022, 9 f; Schricker/Loewenheim § 69a UrhG Rn 2; Dreier/Schulze/Dreier § 69a UrhG Rn 26 ff; Ullmann CR 1992, 641, 643 f; Erdmann/ Bornkamm GRUR 1991, 877, 879; Schultze/ Pautke/Wagener Art 1 Abs 1 lit g Rn 123. Schöniger CI 2000, 129, 132.
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§4
Gegenstand des Lizenzvertrages
Aufgabe des Lizenzgebers ist es, festzustellen, welche Rechte er vergeben kann 108. Er 96 trägt grundsätzlich die Verantwortung für die Verfügungsbefugnis über die lizenzierten Rechte. Die besonderen Nutzungsmöglichkeiten von Software bedingen, dass in einem Soft- 97 warelizenzvertrag Vertragsklauseln aufgenommen werden, die inhaltlich weiter reichen, als dies bei den üblichen Abreden in Lizenzverträgen der Fall ist 109. Verwendungsbeschränkungen dienen zB dazu, das Nutzungsrecht des Softwarelizenznehmers einzuschränken. Hierzu zählen etwa Vervielfältigungs- sowie Weiterverbreitungsverbote, sog CPUund Upgrade-Klauseln, Netzwerkklauseln/Klauseln zur Parallelnutzung, Kontroll- und Besichtigungsvereinbarungen sowie Hinterlegungsvereinbarungen. Hinsichtlich dieser einschränkenden Vertragsklauseln sind die Grenzen des Kartellrechts zu beachten, wobei vor allem der Anwendungsbereich der TT-GVO 2004 auch für Software-Lizenzverträge eröffnet ist.
VIII. Persönlichkeitsrechte/Merchandising Unter die Persönlichkeitsrechte fallen das Recht am eigenen Bild gem §§ 22 ff KUG, 98 das Namensrecht gem § 12 BGB und das von der Rechtsprechung als sonstiges Recht gem § 823 BGB entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht 110. Der Inhaber des Persönlichkeitsrechts kann Eingriffe in dieses Recht gestatten oder 99 auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Eingreifenden verzichten 111. Für die Lizenzierung von Persönlichkeitsrechten gelten die urheberrechtlichen Vorschriften über die Einräumung von Nutzungsrechten 112. Maßgebliches Kriterium, den Umfang der dem Lizenznehmer eingeräumten Rechte zu bestimmen, ist der mit dem Lizenzvertrag verfolgte Zweck. Auch hier ist von dem Grundsatz der Zweckübertragungslehre auszugehen, wonach Rechte nur in dem Umfang eingeräumt werden, wie dies zur Erreichung des Vertragszwecks notwendig ist 113.
IX. UWG-Lizenz Die vom BGH – vor der UWG-Reform 114 – anerkannte „§ 1 UWG-Lizenz“ 115 betraf 100 die Lizenzierung von bekannten – für die lizenzierten Waren nicht oder nicht mehr durch Sonderschutzrechte abgesicherten – Formgestaltungen oder Kennzeichnungen im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Hierbei handelte es sich im Einzelnen um die Einräumung einer sog negativen Lizenz 116.
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BGH BB 1987, 1277, 1278. Marly Rn 882 ff; Hoeren/Schuhmacher CR 2000, 137 ff; Polley CR 1999, 345 ff; Schuhmacher CR 2000, 641 ff. BVerfGE 34, 269 ff; BGHZ 13, 334, 338 – Leserbrief. BGH NJW-RR 1987, 231, 232 – NENA; Magold 502 f; Schertz Rn 375. Schertz Rn 382; Forkel GRUR 1988, 491, 497.
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116
Schricker/Schricker §§ 31, 32 UrhG Rn 31 ff; Fromm/Nordemann/Hertin §§ 31, 32 UrhG Rn 29. Rechtslage vor dem 3.7.2004, § 1 UWG aF. Durch die UWG-Reform (Gesetz vom 3.7.2004, BGBl I S 1414) wurde § 1 UWG aF durch § 3 UWG ersetzt, dessen Rechtsfolge – die Unterlassung – nunmehr gesondert in § 8 UWG geregelt ist. Vgl oben Rn 40 ff.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
Zwar ist es entsprechend dem Grundsatz der Nachahmungsfreiheit 117 grundsätzlich zulässig, fremde, nicht oder nicht mehr unter Sonderschutz stehende Erzeugnisse oder Kennzeichnungen nachzuahmen 118. Jedoch ist dies dann als wettbewerbswidrig einzustufen, wenn die nachgeahmten Erzeugnisse von wettbewerblicher Eigenart sind und zusätzlich besondere wettbewerbliche Umstände vorliegen, die das Nachahmen unlauter erscheinen lassen. Gem § 4 Nr 9 UWG zählen zu den unlauteren Wettbewerbshandlungen iSv § 3 UWG insbesondere die Fälle der Herkunftstäuschung, Rufausbeutung und das unredliche Erlangen der für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse und Unterlagen. Der Berechtigte kann bei Vorliegen einer unlauteren Nachahmung den Anspruch auf Unterlassung gem § 8 UWG geltend machen, der sich gegen die Art und Weise der Verwertung einer fremden Leistung richtet 119. Dementsprechend kann der Berechtigte im Rahmen einer negativen Lizenz auch auf die Geltendmachung dieses Anspruchs verzichten; er gestattet durch Lizenzierung insofern die Nachahmung. „UWG-Lizenzen“ können unter Umständen mit dem Ziel abgeschlossen werden, 102 Lizenzverträge, zB über Geschmacksmuster und Marken, zu ergänzen 120. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Sonderrechtsschutz nicht die gesamte Gestaltung einer Ware umfasst.
101
X. Umfang der Lizenz 103
Der Umfang einer Lizenz ist stets von der lizenzierten Rechtsposition und deren Schutzumfang abhängig. Zudem ist die Art der Benutzung von Bedeutung, insbesondere ob es sich um eine ausschließliche oder einfache Lizenz handelt. Schließlich sind die Beschränkungen des Nutzungsumfangs in zeitlicher, persönlicher sowie sachlicher Hinsicht zu beachten.
XI. Erscheinungsform, Vertragstypus 104
Regelmäßig schließen Lizenzgeber und Lizenznehmer einen eigenständigen Vertrag, dessen Gegenstand ein einzelnes Schutzrecht oder eine Vielzahl von Schutzrechten (etwa Schutzrechtsfamilien, mehrere Erfindungen für bestimmte technische Anwendungsbereiche, mehrere Marken) bilden. Mit der Lizenzierung technischer Schutzrechte ist häufig gleichzeitig eine Lizenzierung von Know-how, anderen Schutzrechten oder wettbewerbsrechtlichen Gestattungen verbunden. Häufig werden Lizenzverträge auch im Rahmen eines Vergleichs iSv § 779 BGB abgeschlossen, um Meinungsunterschiede über die 117 118
119
120
BGHZ 60, 168, 169 – Modeneuheit; BGH WRP 1976, 370 – Ovalpuderdose. BGH GRUR 2002, 275, 276 – Noppenbahnen; BGH GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH GRUR 2002, 86, 89 – Laubhefter; BGH GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III. Pohlmann EWiR § 1 UWG, 1999, 667, Kommentierung zu BGH GRUR 1999, 751 ff – Güllepumpen. Zum Verhältnis des neuen nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters
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zum wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz s Bartenbach/Fock WRP 2002, 119 ff; Osterrieth FS Tilmann 2003, 221 ff; Rahlf/Gottschalk GRUR Int 2004, 821 ff; Lorenzen 21 ff; im Übrigen Schlötelburg GRUR 2005, 12 zum Musterschutz an Zeichen; Scheffler Mitt 2005, 216 ff; Loschelder GRUR Int 2004, 767 ff; Bornkamm GRUR 2005, 97 ff – zum Markenrecht und wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.
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§5
Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Schutzrechtsbenutzung bzw Streit über eine Schutzrechtsverletzung beizulegen. Dies gilt gleichermaßen für gerichtliche Vergleiche 121 oder außergerichtliche Vereinbarungen. Im Rahmen der Vertragsfreiheit können Lizenzvereinbarungen in verschiedensten 105 Fallgestaltungen in andere Verträge eingebunden werden, zB in Forschungsaufträge oder Kooperationsverträge 122, weiterhin in Verträge über Unternehmenszusammenschlüsse oder als Nebenabreden in Verträge über den Verkauf von Unternehmen bzw Betriebsteilen sowie in Lieferaufträge. Seltener lassen sich auch in Arbeitsverträgen Lizenzvereinbarungen finden, die zB dem Arbeitgeber das Recht einräumen, „eingebrachte“ freie oder frei gewordene Erfindungen des neuen Arbeitnehmers zu benutzen 123. Schließlich ist an gerichtlich zuerkannte Zwangslizenzen zu denken 124.
§5 Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung I. Grundsatz der Vertragsfreiheit Der von § 311 Abs 1 BGB 125 vorausgesetzte Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch 106 für die Gestaltung von Lizenzverträgen. Diese können also in der Regel Beschränkungen jedweder Art, insbesondere persönlicher, sachlicher, räumlicher und zeitlicher Art, enthalten 126. Dies gilt auch für das gewählte Recht, dem ein Lizenzvertrag unterliegen soll, vgl Art 27 EGBGB. Grenzen der Vertragsgestaltung normieren die Generalklauseln des BGB (§§ 138, 242, 826 BGB) sowie auf öffentlich-rechtlicher Ebene die Vorschriften des nationalen und europäischen Kartellrechts.
II. Beschränkungen der Lizenz 1. Einführung Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 311 Abs 1 BGB) ergibt sich, dass die Par- 107 teien eines Lizenzvertrages Beschränkungen persönlicher, sachlicher, räumlicher und zeitlicher Art vereinbaren können. Dies gilt für ausschließliche sowie nicht ausschließliche Lizenzen. Hinsichtlich der ausschließlichen Lizenz ist jedoch die dadurch vermittelte grundsätzlich ausschließliche Nutzungsbefugnis des Lizenznehmers zu bedenken, die als solche erhalten bleiben muss, da ansonsten dem Vertrag gerade der Charakter der Ausschließlichkeit genommen wird 127. Allgemein unterscheidet man die durch den Lizenzvertrag festgelegten Bindungen 108 nach ihrer schuldrechtlichen und schutzrechtsbezogenen Art, da sich bei Verletzungen durch den Lizenznehmer daran anknüpfend unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben.
121 122 123 124
BGH GRUR 2005, 845 – Abgasreinigungsvorrichtung. Bartenbach Zwischenbetriebliche Forschungs- und Entwicklungskooperation 128. BGH GRUR 1985, 129 – Elektrodenfabrik. BGH GRUR 2004, 996 – Standard-Spundfass.
125 126 127
Palandt/Heinrichs § 311 BGB Rn 1; MünchKommBGB/Emmerich § 311 BGB Rn 10. MünchKommBGB/Kramer vor § 145 BGB Rn 6. RGZ 83, 93, 94 f; RG GRUR 1934, 306, 307.
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Zunächst handelt es sich bei jedem Überschreiten einer Beschränkung, mit der der Lizenznehmer belastet wird, um eine Vertragsverletzung gegenüber dem Lizenzgeber, die die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsfolgen nach sich zieht. Zusätzlich kann sich das Verhalten des Lizenznehmers aber auch als eine Schutzrechtsverletzung darstellen. Dementsprechend normiert zB § 30 Abs 2 MarkenG, bei welchen Verstößen gegen die Bestimmungen bzw Beschränkungen des Lizenzvertrages der Inhaber einer Marke die Rechte aus der Marke gegen den Lizenznehmer geltend machen kann. Diese stellen somit tatsächliche Markenverletzungen dar 128. Verstößt der Lizenznehmer also gegen Bestimmungen bzw Beschränkungen über die Dauer der Lizenz (§ 30 Abs 2 Nr 1 MarkenG), über die Form der Benutzung (§ 30 Abs 2 Nr 2 MarkenG), über die Art der Waren oder Dienstleistungen (§ 30 Abs 2 Nr 3 MarkenG), über das „Lizenzgebiet“ (§ 30 Abs 2 Nr 4 MarkenG) sowie gegen Bestimmungen betreffend die Qualität der von ihm hergestellten Waren oder Dienstleistungen (§ 30 Abs 2 Nr 5 MarkenG), so stellt sein Verhalten neben einer Vertragsverletzung gleichzeitig auch eine Markenverletzung dar. Liegen die Voraussetzungen einer Markenverletzung vor, kann der Lizenzgeber auch Ansprüche nach §§ 14 ff MarkenG geltend machen 129. Dabei stehen ihm nicht nur Unterlassungs- und Schadenseratzansprüche gegen den Lizenznehmer zu, sondern auch weitergehende Ansprüche, zB auf Drittauskunft (§ 19 MarkenG) und Vernichtung der widerrechtlich gekennzeichneten Gegenstände (§ 18 MarkenG). Neben den Ansprüchen wegen Markenverletzung bestehen die allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche. Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht insoweit nicht. Auswirkungen dieser Unabhängigkeit ergeben sich im Bereich des Verschuldens, der Darlegungs- und Beweislast sowie bei der Verjährung. Vertragsverletzungen hinsichtlich rein schuldrechtlich wirkender Pflichten sind nicht von den Markenrechtsverletzungsansprüchen umfasst. Darunter fallen bspw die Nichterfüllung von Ausübungs- oder Mitwirkungspflichten, die Nichtzahlung von Lizenzgebühren, die Nichteinhaltung von Bezugsverpflichtungen, das Nichtanbringen von Lizenzvermerken, vertragswidrige Anmutung der Verpackung oder Ausstattung der Vertriebsstätte und die Verweigerung von Auskünften 130. Im Verhältnis zu Dritten, namentlich den gewerblichen Abnehmern des Lizenznehmers, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Differenzierung zwischen schuldrechtlichen und markenrechtlichen Pflichtverletzungen an: Bringt der Lizenznehmer Waren unter Verstoß gegen lizenzvertragliche Vereinbarungen iSv § 30 Abs 2 Nr 1–5 MarkenG in den Verkehr und werden diese Waren von Dritten weitervertrieben, so stehen dem Lizenzgeber auch gegen die gewerblichen Abnehmer unmittelbar die Ansprüche nach den §§ 14 ff MarkenG zu, da eine Erschöpfungswirkung dann mit Inverkehrbringen nicht eintritt 131. Eine rein schuldrechtliche Vertragsverletzung des Lizenznehmers hat hingegen grundsätzlich keine Auswirkungen auf die rechtliche Stellung des Abnehmers. Dies ist nur in den Fällen der §§ 823, 826 BGB bzw §§ 3, 4 Nr 10 UWG anders zu beurteilen, wenn den Abnehmer über ein bloßes Hinnehmen oder Ausnutzen eines Vertragsbruchs hinaus
128
129 130
Von Schultz § 30 MarkenG Rn 19; Fezer § 30 MarkenG Rn 26; Ströbele/Hacker/ Hacker § 30 MarkenG Rn 31. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 31. Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-
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Vertrag Rn 1186; von Schultz § 30 MarkenG Rn 23. Fezer § 24 MarkenG Rn 28; Ströbele/ Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 31; Lange Marken- und Kennzeichenrecht § 4 Rn 1410.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
der Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung trifft, etwa weil er mit dem Lizenznehmer bewusst zur Schädigung des Lizenzgebers zusammenwirkt, er den Lizenznehmer zum Vertragsbruch 132 verleitet oder er gezielt an der Schädigung des Lizenzgebers zu Wettbewerbszwecken mitwirkt 133. Die Abgrenzung zwischen einer markenrechtlichen oder einer schuldrechtlichen Be- 116 schränkung der Lizenz ist im Wege der Auslegung vorzunehmen. Dabei sind die Wertungen des § 30 Abs 2 Nr 1–5 MarkenG, der bestimmte Regelungen über den Schutzinhalt des Markenrechts im Einzelnen normiert, heranzuziehen 134. 2. Persönliche Grenzen der Lizenz (Lizenznehmerseite) Unterschieden werden kann im Wesentlichen zwischen der persönlichen, der Betriebssowie der Konzernlizenz. Die persönliche – einfache oder ausschließliche – Lizenz ist an den Lizenznehmer als natürliche Person gebunden 135. Daraus folgt, dass sie weder vererbt noch veräußert 136 werden kann. Im Gegensatz zur Betriebslizenz kann der Inhaber einer persönlichen Lizenz diese auch nach Verkauf des Unternehmens in einem neuen Unternehmen nutzen, falls er dessen Inhaber wird. Dadurch ist der Lizenznehmer zwar nicht auf einen bestimmten Unternehmensbereich beschränkt, er kann seine Lizenz aber nicht zusammen mit dem Unternehmen veräußern; zudem kann er im Zweifel keine Unterlizenz erteilen. Merkmal der Betriebslizenz ist, dass sie an ein bestimmtes Unternehmen gebunden ist. Die Betriebslizenz kann als einfache oder ausschließliche Lizenz ausgestaltet sein 137. Die Übertragung der Betriebslizenz ist nur zusammen mit einer Übertragung des Geschäftsbetriebs insgesamt möglich. Bei einer Konzernlizenz gilt das Nutzungsrecht für alle oder mehrere iSv § 15 AktG konzernmäßig verbundenen Gesellschaften. Bedeutsam sind vor allem die drei folgenden Varianten: (1) Alle nutzungsberechtigten Konzerngesellschaften werden Vertragspartner des Lizenzvertrages und somit jeweils Lizenznehmer. Dabei wird für die einzelnen Konzerngesellschaften oftmals auch die Möglichkeit eines späteren „Eintritts“ vertraglich vorgesehen 138. (2) Durch eine Optionsabrede wird die Verpflichtung des Lizenzgebers vereinbart, jeder Konzerngesellschaft eine Lizenz zu bestimmten Bedingungen zu erteilen, wobei der Beitritt zu dieser Vereinbarung von der Entscheidung der jeweiligen Konzerngesellschaft abhängt. Es ist einerseits möglich, dass der Lizenznehmer in Vollmacht für alle Konzerngesellschaften handelt oder jede Konzerngesellschaft dem Vertrag beitritt 139. Bei Ausübung des Optionsrechts wird jeweils ein (eigenständiger) Lizenzvertrag abgeschlossen. 132
133 134
BGHZ 37, 30, 34 – Selbstbedienungsgroßhandel; BGH GRUR 1976, 372, 374 – Möbelentwürfe; BGH GRUR 1985, 1059 – Vertriebsbindung; BGH GRUR 1969, 474, 475 – Bierbezug; BGH GRUR 1997, 920, 921 – Automatenaufsteller; BGH GRUR 2000, 724 – Außenseiteranspruch II. Fezer § 30 MarkenG Rn 29; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 65; Kraßer § 40 VI 3. Fezer § 30 MarkenG Rn 29.
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RGZ 76, 239. Einhellige Meinung; Groß Rn 40. RGZ 134, 91, 96 – Drahtgewebeziegel. Groß A Rn 42. Henn Rn 174, wonach die Konzernabrede ein Garantieversprechen des Lizenznehmers verbunden mit einem unbefristeten Optionsangebot des Lizenzgebers auf direkten Einbezug verbundener Unternehmen in den Vertrag ist.
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(3) Durch den Lizenzvertrag wird bestimmt, dass der Lizenznehmer Unterlizenzen (nur) verbundenen Unternehmen einräumen darf, so dass diese nicht Vertragspartner des eigentlichen Lizenzgebers, sondern „nur“ Partner des (Unter-)Lizenzvertrages mit dem Hauptlizenznehmer werden.
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Die Frage, welche Variante der Konzernlizenz gewählt werden sollte, lässt sich nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall beantworten 140. Für den Lizenzgeber können insofern der Umfang der Haftung, die Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der vertragsgemäßen Nutzung, die Sicherung des Know-hows, die Länge der Vertragseinbindung etc von Interesse sein. Für den Konzern hingegen können Aspekte wie der Umfang der Nutzungsberechtigung sowie die Flexibilität bei der Ausübung der Nutzungsrechte eine Rolle spielen. 3. Territoriale Beschränkung der Lizenz
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Ein Schutzrecht, wie etwa eine nationale Marke, ein nationales Patent oder ein entsprechendes Geschmacksmuster, gewährt Schutz stets nur für das Territorium des Staates, für den das Schutzrecht erteilt ist. Dementsprechend genießen für Deutschland erteilte Schutzrechte lediglich Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 141. Der Schutz zB von Benutzungsmarken iSv § 4 Nr 2 MarkenG kann zudem regional begrenzt sein 142. Demgegenüber erstreckt sich nach Art 1 Abs 2 GMVO der Schutzbereich einer Gemeinschaftsmarke auf den EUBereich insgesamt 143. Der räumliche Geltungsbereich einer Lizenz ist demnach auf den räumlichen Geltungsbereich des lizenzierten Schutzrechts beschränkt 144. Ergibt sich aus dem Lizenzvertrag keine Beschränkung der räumlichen Geltung zB einer Markenlizenz, decken sich regelmäßig der territoriale Geltungsbereich des Markenrechts und der der Markenlizenz 145. Aus § 30 Abs 1 MarkenG ergibt sich, dass der räumliche Geltungsbereich der Lizenz auch auf einen Teil des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begrenzt werden kann. Bei IR-Marken gilt, dass Gebietslizenzen für einzelne Mitgliedsstaaten der EU, in denen dem Markeninhaber ein nationales Markenrecht zusteht, erteilt werden können 146. Im Falle einer räumlichen Beschränkung des Nutzungsrechts an dem Lizenzgegenstand spricht man von einer Bezirks- bzw Gebietslizenz 147. Ziel der Beschränkung ist es, dem Lizenznehmer Nutzungshandlungen nur für ein bestimmtes Gebiet zu gewähren und ihn vom Wettbewerb in anderen Gebieten fernzuhalten. Der Lizenznehmer, der in ein Gebiet liefert, dass nicht vom Lizenzvertrag umfasst ist, begeht deshalb in der Regel nicht nur eine Vertragsverletzung, sondern auch eine Schutzrechtsverletzung mit den oben thematisierten weitergehenden Ansprüchen (vgl etwa § 30 Abs 2 Nr 4 MarkenG). Bestehen parallele Schutzrechte für den gleichen Gegenstand in verschiedenen Ländern (zB über eine IR-Marke), und erteilt der Lizenzgeber eine Lizenz beschränkt auf ein
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Henn Rn 173 ff; zur Konzernlizenz s allg Groß A Rn 42. Lange Marken- und Kennzeichenrecht § 3 Rn 883 mwN. Lange Marken und Kennzeichnungsrecht § 3 Rn 883 mwN. Lange Marken- und Kennzeichnungsrecht § 3 Rn 885 mwN.
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BGH GRUR 2004, 421, 422 – Tonträgerpiraterie durch EG-Export. Fezer § 30 MarkenG Rn 13. Fezer § 30 Rn 13. RGZ 54, 272, 274; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 66.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
oder mehrere Länder, so handelt es sich nicht um eine Gebietslizenz, sondern um eine unbeschränkte Lizenz für das jeweilige Hoheitsgebiet 148. Gleiches gilt bei einer Gemeinschaftsmarke, wenn die Lizenz nur für einen der Mitgliedsstaaten erteilt wird (Art 22 GMVO). Die territoriale Beschränkung einer Lizenz kann unter kartellrechtlichen Aspekten problematisch sein; denn eine solche Beschränkung kann mittelbar zu Markt- und damit zu Wettbewerbsbeschränkungen führen, die nach Art 81 EG bzw § 1 GWB grundsätzlich verboten sind. Etwaige Verstöße hiergegen haben in der Regel die Nichtigkeit der gesamten Vereinbarung zur Folge. So ist die räumliche Beschränkung einer Lizenz insbesondere anhand des Art 81 Abs 1 EG zu überprüfen. Unzulässige Marktaufteilungen auf horizontaler Ebene können sich zB aus dem umfassenden Verbot ergeben, unmittelbar oder mittelbar auf dem Markt zu verkaufen, auf dem andere Wettbewerber bereits agieren. Folge ist regelmäßig eine unzulässige Marktabschottung, die Auswirkungen auf die Preis- und Absatzverhältnisse mit sich bringt 149. Die Zuweisung eines ausschließlichen Absatzgebiets unter Nichtkonkurrenten stellt nach Auffassung des EuGH einen Verstoß gegen Art 81 Abs 1 EG dar, weil dadurch Paralleleinfuhren und infolgedessen die Entstehung eines gemeinsamen Marktes verhindert wird 150. Auch dies wirkt sich regelmäßig auf die Preis- und Absatzpolitik des Marktes aus. Art 81 Abs 1 EG unterfallen schließlich auch mittelbare Exportbeschränkungen, zB durch ein Verbot des Weiterverkaufs auf ausländischen Märkten 151. Ob durch territoriale Beschränkungen gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstoßen wird, ist stets eine Frage des Einzelfalls, der hier nicht näher nachgegangen werden kann.152
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4. Zeitliche Beschränkung der Lizenz Die zeitliche Geltung des Lizenzvertrages bestimmt sich zunächst nach den vertrag- 132 lichen Vereinbarungen. Diese können eine Befristung vorsehen oder eine unbefristete Lizenzerteilung regeln. Fehlt eine solche Vereinbarung, ist für die Lizenzerteilung grundsätzlich die Laufzeit der lizenzierten Schutzrechtsposition maßgeblich. Eine Befristung kann sich aber aus den Umständen ergeben: wenn etwa eine Markenlizenz mit einer Patentlizenz verbunden ist, gilt auch für die Markenlizenz im Zweifel eine Befristung auf die Dauer des Patents 153. Ein Lizenzvertrag sollte stets eine ausdrückliche Bestimmung betreffend seine Lauf- 133 zeit, ggf auch das Recht zur ordentlichen Kündigung, enthalten. Eine solche Regelung beugt Schwierigkeiten hinsichtlich der Feststellung der Laufzeit des Vertrages vor. Dies gilt insbesondere, wenn dieser mehrere Schutzrechte umfasst, potentielle Weiterentwicklungen mit einbezieht oder auch die Lizenzierung von Know-how beinhaltet. Kartellrechtlich bedenklich können Vereinbarungen sein, aus welchen sich für den Lizenzvertrag eine längere Laufzeit ergibt als für die Vertragschutzrechte.154 148 149
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Henn Rn 208. Loewenheim/Meessen/Riesenkampf/Wägenbauer Kartellrecht Band I Art 81 Abs 1 Rn 290 ff. Loewenheim/Meessen/Riesenkampf/Wägenbauer Kartellrecht Band I Art 81 Abs 1 Rn 296 ff. Loewenheim/Meessen/Riesenkampf/Wägen-
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bauer Kartellrecht Band I Art 81 Abs 1 Rn 298 ff. Vgl dazu Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 97; Schultz § 30 MarkenG Rn 24; Fammler 12. Fezer § 30 MarkenG Rn 12; Ströbele/ Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 32. Bartenbach/Söder Mitt 2007, 353, 361 ff.
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2. Teil
Bei der Zeitlizenz vereinbaren die Vertragsparteien die Dauer der Lizenz für einen bestimmten Abschnitt der Laufzeit des Schutzrechts. Das Nutzungsrecht endet dann automatisch mit Ablauf der vereinbarten Dauer; dem Lizenznehmer ist es nach Ablauf – auch markenrechtlich – verboten, eine lizenzierte Marke weiter zu benutzen (§ 30 Abs 2 Nr 1 MarkenG) 155. In der Unternehmenspraxis finden sich Zeitlizenzen allerdings nur vereinzelt. Sie bieten sich etwa zur vergleichsweisen Beilegung von Verletzungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Vereinbarung einer Auslauffrist an. Kartellrechtliche Bedenken gegen die Vereinbarung einer Laufzeit des Lizenzvertrages, die kürzer als die des Schutzrechts ist, ergeben sich nicht 156. Die zeitliche Beschränkung des Benutzungsrechts stellt insofern auch keine Wettbewerbsbeschränkung iSv Art 81 Abs 1 EG bzw § 1GWB dar; denn solche Vereinbarungen unterfallen dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts 157. Als Längstlaufklausel („Evergreen-Klausel“) wird eine Vereinbarung bezeichnet, nach der bei einem Lizenzvertrag über mehrere Schutzrechte eine unbestimmte Laufzeit festgelegt wird, die Beendigung des Vertrages aber erst bei Erlöschen des letzten Schutzrechts eintritt. In diesen Fällen ist es auch möglich, dass während der Laufzeit neue lizenzierte Schutzrechte (Verbesserungen, Weiterentwicklungen) hinzutreten, welche zu einer (weiteren) Verlängerung der Laufzeit führen können 158. Mit einer Längstlaufklausel kann der (vorzeitige) Ausfall von Schutzrechten durch neu hinzugetretene Schutzrechtspositionen oder entsprechendes Know-how aufgewogen werden. Dabei wird regelmäßig vereinbart, dass der Vertrag erst mit Erlöschen des letzten Schutzrechts endet, was insbesondere dann zu einer sehr langen Laufzeit eines Lizenzvertrages führen kann, wenn neue Vertragsschutzrechte während der Laufzeit des Vertrages hinzutreten und die vollen Lizenzgebühren auch bei Wegfall vertragswesentlicher Schutzrechte fortzuzahlen sind. Für den Lizenznehmer können diese Klauseln insofern problematisch werden, als er uU für die Gesamtdauer der Vertragslaufzeit die zu Anfang vereinbarte Lizenzgebühr zahlen muss, obwohl wesentliche Schutzrechte zwischenzeitlich wegfallen. Daraus folgt für ihn eine faktische Laufzeitverlängerung bezogen auf die Hauptschutzrechte, die er an sich eigentlich schon entgeltlos nutzen könnte 159. Unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten steht einer Längstlaufklausel nichts entgegen 160. In einem Lizenzvertrag sollten daher die vertragswesentlichen von den sonstigen Schutzrechten abgegrenzt werden. Durch die Aufnahme einer Auslaufklausel kann für den Eintritt einer vorzeitigen Vertragsbeendigung vereinbart werden, ob und inwieweit der Lizenznehmer die noch vorhandenen gekennzeichneten Waren nach Ablauf der Vertragslaufzeit, ggf durch Kündigung, veräußern bzw laufende Aufträge zum Abschluss bringen darf 161. Voraussetzung für das Eingreifen einer solchen Klausel ist allerdings das Fortbestehen des lizenzierten
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Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 60; Fezer § 30 MarkenG Rn 12, 45 mwN; Nachweise bei Ohl GRUR 1992, 77, 81. Groß Rn 554 mwN. Sack WRP 1999, 592, 605; vgl noch unten Rn 315.
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Henn Rn 370. BGH GRUR 1980, 750, 751 – Pankreaplex II. Bartenbach/Söder Mitt 2007, 353, 363 ff. Fammler 182 ff; Groß Rn 481.
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§5
Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Schutzrechtes. Das ist üblicherweise bei Zeitlizenzen und einer vorzeitigen Kündigung des Vertrages der Fall. Die konkrete Ausgestaltung ist eine Frage des Einzelfalls 162. Fehlt eine Auslaufklausel, darf der Lizenznehmer nach Auffassung des überwiegenden 142 Teils der Lehre bereits hergestellte bzw gekennzeichnete Waren nach Ablauf der Vertragszeit noch lizenzgebührenpflichtig in den Verkehr bringen 163. Dies gilt sowohl für die Umsatzlizenz als auch für die Herstellungslizenz 164 (vgl dazu nachfolgend). 5. Inhaltliche Beschränkung der Lizenz Lassen sich dem Lizenzvertrag keine Beschränkungen der Benutzungshandlungen iSv § 14 MarkenG entnehmen, so stehen diese dem Lizenznehmer allesamt zu. Will der Lizenzgeber die Lizenz inhaltlich beschränken, ist hierzu eine ausdrückliche Regelung erforderlich. Bei der Beschränkung in der Nutzungsart unterscheidet man in der Praxis insbesondere zwischen der Herstellungs- und der Vertriebslizenz 165. Überschreitet der Lizenznehmer die im Vertrag vereinbarte Benutzungsform, begeht er eine Schutzrechtsverletzung 166. Verstößt er gegen sonstige Vertragsvereinbarungen, wie etwa Bezugsverpflichtungen oder Wettbewerbsverbote, stellt sein Verhalten – wie zuvor erläutert – lediglich eine Vertragsverletzung dar. Die Beschränkung einer Lizenz nach Nutzungsarten ist keine Wettbewerbsbeschränkung iSd nationalen bzw europäischen Kartellrechts, da sie zum spezifischen Gegenstand des lizenzierten Schutzrechts gehört. In der Benutzungsbeschränkung ist vielmehr die Nichterteilung einer Lizenz bezogen auf andere dem Schutzrechtsinhaber vorbehaltene Nutzungsarten zu sehen 167. a. Eine Herstellungslizenz 168 räumt dem Lizenznehmer ausschließlich das Recht zur gewerbsmäßigen Herstellung des lizenzierten Gegenstandes ein. Ein Recht zu dessen Gebrauch oder Vertrieb erhält er nicht. In der Praxis stellt diese Lizenz jedoch die Ausnahme dar und wird in der Regel nur dann anzunehmen sein, wenn sich der Lizenzgeber oder ein Dritter verpflichtet, dem Lizenznehmer alle hergestellten Waren abzunehmen. Von der Herstellungslizenz muss die verlängerte Werkbank 169 unterschieden werden, bei der ein Dritter im Auftrag des Lizenznehmers nach dessen Anweisungen das Produkt 162 163
Fammler 183; Groß Rn 481 jeweils mit entsprechenden Mustern. Fammler 183 mHa BGH GRUR 1963, 485, 487 – Micky-Maus-Orangen; von Schultz § 30 MarkenG Rn 34; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 203; Groß Rn 482; Schulte § 15 PatG Rn 33 unter Hinweis auf BGH GRUR 1955, 87, 88 – Bäckereimaschinen; BGH 1959, 528, 531 – Auto-Bäckereimaschinen; OLG Hamburg ZIP 1988, 925, 926; früher bereits RG GRUR 1943, 247 f: Der Lizenzgeber habe auch selbst dann einen Anspruch auf die Lizenzgebühr für die während der Vertragsdauer mitverkauften, aber erst später angefertigten und ausgelieferten Gegenstände, wenn das Entstehen des Anspruchs auf Lizenzgebühren nach dem Vertrag von Anfertigung und Verkauf des Gegenstandes abhängig ist.
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AA Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 102. Groß Rn 26; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 69; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 865; BGH GRUR 1979, 768, 769 – Mineralwolle. Fezer § 30 MarkenG Rn 14 iVm 26 ff. Sack WRP 1999, 592, 607. BGH GRUR 1959, 528, 530 – Autodachzelt; BGH GRUR 1966, 578, 580 – Zimcofot; BGH GRUR 1967, 378 – Schweißbolzen, zur Abgrenzung zwischen Herstellungslizenz und Werklieferungsvertrag; Pagenberg/ Geissler Muster 7 Rn 1 ff. LG Düsseldorf Mitt 1999, 370, 371 – Steckerkupplung; abweichend Henn Rn 133.
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herstellt. Der Dritte verfügt dabei nicht selbst über eine Herstellungslizenz, sondern er setzt nur diejenige des Lizenznehmers bzw das Recht des Lizenzgebers um, indem er allein auf dessen Anweisung und nicht auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt. Ihm fehlt daher ein bestimmender wirtschaftlicher Einfluss auf Art und Umfang von Herstellung und Vertrieb 170. Bedient sich der Lizenznehmer in der vorgenannten Art und Weise fremder Werkstätten zur Herstellung, so vergibt er dadurch auch keine Unterlizenz. Gleichwohl kann der Lizenzgeber auch die Befugnis zur Einschaltung Dritter ausschließen. b. Durch eine Vertriebslizenz (auch Verkaufs- bzw Handelslizenz genannt) wird dem Lizenznehmer lediglich das Recht eingeräumt, die lizenzierte Ware zu vertreiben, sie also feilzuhalten und in den Verkehr zu bringen 171, wobei eine echte Vertriebslizenz nur dann anzunehmen ist, wenn der Lizenznehmer die Ware ab Lager des Lizenzgebers ausliefert 172. Die Herstellung bleibt dem Lizenzgeber oder einem von ihm beauftragten Dritten vorbehalten. Der Lizenznehmer darf auf Grund der Vertriebslizenz die Ware anbieten, Verkaufsverhandlungen führen, Kaufverträge in eigenem Namen schließen und Lieferungen durchführen. aa. Die sog Ausfuhrlizenz ist ein Sonderfall der Vertriebslizenz für die Fälle, in denen der Lizenzgeber in den Staaten, in die exportiert werden soll, Schutzrechte, zB Markenrechte, genießt. Wird die Ware in einem markenfreien Staat oder in einem Markenstaat mit Zustimmung des Lizenzgebers hergestellt, kann sie danach nicht ohne seine Zustimmung in markengeschützte Staaten exportiert werden. Im Zweifel ist von der stillschweigenden Vereinbarung einer solchen Ausfuhrlizenz auszugehen, wenn der Lizenzgeber weiß, dass sein Vertragspartner die im Inland hergestellte, lizenzierte Ware ins Ausland exportieren will. Unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten ist hinsichtlich der Ausfuhrlizenz auf die Kernbeschränkungen gem Art 4 Abs 1 lit c (konkurrierende Unternehmen) und Abs 2 lit b (nichtkonkurrierende Unternehmen) TT-GVO hinzuweisen, wonach Gebietszuweisungen außerhalb der dort normierten Ausnahmeregelungen nicht freigestellt sind. bb. Die Einfuhrlizenz ist ebenfalls ein Sonderfall der Vertriebslizenz, aufgrund derer der Lizenznehmer die Erlaubnis erhält, die Waren ins Inland zu importieren, in welchem ein Schutzrecht für selbige besteht. Besteht in mehreren europäischen Staaten paralleler Markenschutz, gilt dies jedoch nicht ohne Einschränkung, denn auf Grund der gemeinschaftsweiten Erschöpfung kann der Lizenzgeber nur mit geringem Erfolg verhindern, dass die lizenzierten Waren nach ihrem Inverkehrbringen in andere Mitgliedsstaaten der EU exportiert werden. cc. Daneben können durch quotenmäßige Beschränkungen Höchst- oder Mindestmengen oder beides für die Herstellung von Waren geregelt werden. Stellt der Lizenznehmer mehr als die vereinbarte Quote her, so liegt darin – bei kartellrechtlicher Zulässigkeit der Mengenbeschränkung – eine Vertrags- und Markenverletzung. Bei Nichterreichen der vereinbarten Mindestquote ist zunächst nur eine Vertragsverletzung gegeben. Wurde das Nutzungsrecht allerdings abhängig von der Bedingung, die Mindestquote zu erreichen, erteilt, liegt in dem Nichterreichen nach herrschender, allerdings bestrittener, Auffassung zusätzlich eine Schutzrechtsverletzung 173.
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LG Düsseldorf Mitt 1999, 370, 371 – Steckerkupplung. RGZ 65, 86, 90; Lüdecke/Fischer D 53, 410. Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 69.
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Fezer § 30 MarkenG Rn 14 iVm 26 ff; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 73 mHa BGH GRUR 1967, 676, 680 – Gymnastiksandale.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Mindestmengenverpflichtungen werden grundsätzlich ohne Rücksicht auf ein be- 156 stehendes Wettbewerbsverhältnis der Parteien nicht als wettbewerbsbeschränkend eingeordnet 174. Sie gehören zu dem spezifischen Gegenstand des lizenzierten Schutzrechts und unterfallen insoweit nicht dem Verbot des Art 81 EG 175. Die Vereinbarung einer Höchstmenge stellt, im Gegensatz zu der Vereinbarung einer 157 Mindestmenge, die den Lizenznehmer nur zu einem möglichst umfassenden Gebrauch der Lizenz bewegen soll, eine mengenmäßige Produktions- und Absatz-/Vertriebsbeschränkung dar. Sie ist in vielen Variationen denkbar und erscheint typischerweise als eine Beschränkung der Stückzahl der herzustellenden, lizenzierten Waren 176. Höchstmengenbeschränkungen für den Lizenznehmer können kartellrechtlich be- 158 denklich sein, wenn eine wechselseitige Output-Beschränkung erfolgt; eine nur einseitige Beschränkung muss dagegen nicht zu einer Verringerung des Absatzes am Markt führen.177
III. Rechte und Pflichten im Lizenzvertrag 1. Lizenzgeber a) Benutzungsgestattung/Verschaffungspflicht. Primäre Pflicht des Lizenzgebers ist 159 nach hM zunächst die Einräumung eines positiven Benutzungsrechts am Lizenzgegenstand. Dies gilt nur dann nicht, wenn nach dem Lizenzvertrag lediglich eine negative Lizenz vereinbart ist 178. Hierdurch erhält der Lizenznehmer nur das Recht zur andernfalls unbefugten Benutzung des Schutzrechts, und zwar gerade ohne dass damit eine positive Erlaubniserteilung verbunden wäre. Inhalt der Verschaffungspflicht ist es, dem Lizenznehmer die Nutzung des lizenzierten Rechts zu ermöglichen 179 und alles zu unterlassen, was zur Beeinträchtigung oder Gefährdung des Lizenzgegenstandes beitragen könnte 180. Inhalt der Verschaffungspflicht ist auch ohne ausdrückliche Vereinbarung die Pflicht, 160 den Lizenzgegenstand frei von Rechten Dritter zur Verfügung zu stellen; allerdings nur soweit, wie dies dem Lizenzgeber unter Beachtung des Wagnischarakters des Lizenzvertrages möglich ist. Diese Verpflichtung bezieht sich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und gehört zum Kerngehalt des Lizenzvertrages. Insofern stellt sie nunmehr einen allgemeinen Grundsatz des Lizenzvertragsrechts dar 181 und wird regelmäßig in § 435 BGB verortet. 174
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Fammler 10 mHa EU-Kommission GRUR Int 1978, 371 – Campari; Ströbele/Hacker/ Hacker § 30 MarkenG Rn 99; EU-Kommission WuW/EV 365, 366 f – Burroughs/ Geha-Werke; TT-Leitlinien zu Art 81 EG Rn 155 Sätze 1, 2 lit e. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 89 iVm 99; Sack WRP 1999, 592, 606 mwN. Allg Ansicht Langen/Bunte/Bräutigam § 20 GWB aF Rn 35 mwN; BGHZ 52, 55, 57 – Frischhaltegefäß. TT-Leitlinien zu Art 81 EG Rn 82 S 5, Rn 83 S 1. Von Schultz § 30 MarkenG Rn 1; Barten-
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bach, B Mitt 2002, 503, 511; Bartenbach, B Die Patentlizenz als negative Lizenz: Inhalt, Bedeutung und Abgrenzung zur positiven Lizenz. Von Schultz § MarkenG Rn 1; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 156 unter Bezug auf RG GRUR 1937, 1086, 1088 – Funkverband. Schulte/Kühn § 15 PatG Rn 48. Ausf zum früheren § 434 BGB aF Klauer/ Möhring/Nirk § 9 aF PatG Rn 60; Reimer § 9 PatG aF Rn 26 f; Henn Rn 318 mHa RG GRUR 1937, 1086, 1088 – Funkverband u BGH GRUR 1960, 44, 45 f – Uhrgehäuse.
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Fehlt dem Lizenzgeber die Lizenzvergabebefugnis 182, sei es, weil er weder Rechtsinhaber des lizenzierten Rechts ist oder er als berechtigter (ausschließlicher) Lizenznehmer nicht zur Unterlizenzvergabe berechtigt ist, liegt bezogen auf die Rechtsverschaffungspflicht, und zwar bei positivem Benutzungsrecht genauso wie bei negativer Lizenz, eine anfängliche subjektive Unmöglichkeit (§ 311a BGB) vor. Handelt es sich um ein gemeinsames Schutzrecht, ist eine Verfügung im Wege der Lizenzierung nur durch alle Gesellschafter bzw Teilhaber gemeinsam möglich (§ 719 Abs 1 bzw § 747 Satz 2 BGB) 183. Insoweit ist auch eine Lizenzierung des eigenen Anteils durch den Teilhaber mit der hM wegen § 744 Abs 1, § 743 Abs 2 BGB abzulehnen 184. Verfügt der Lizenzgeber nicht über die Lizenzvergabebefugnis bzw kommt er seiner 162 Verschaffungspflicht nicht nach, sind zur Bestimmung der Rechtsfolge uE die nachfolgend dargestellten allgemeinen Regeln, ohne Rückgriff auf die kauf- oder pachtrechtlichen Vorschriften 185, heranzuziehen: Ist es dem Lizenzgeber wegen fehlender Rechtsinhaberschaft nicht möglich, dem 163 Lizenznehmer das lizenzierte Recht zu verschaffen (§ 275 Abs 1 BGB) und ist ihm dies auch unter zumutbaren Anstrengungen nicht möglich (§ 275 Abs 2 BGB), wird die geschuldete Leistung mithin verweigert, so tritt die Befreiung des Lizenznehmers von der Leistungspflicht ein § 311a BGB 186. § 311a Abs 1 BGB stellt insoweit klar, dass der Vertrag trotz des schon bei Vertragsschluss vorliegenden Leistungshindernisses wirksam bleibt. § 326 Abs 1 BGB regelt weiter, dass in diesem Fall die Pflicht des Lizenznehmers zur Gegenleistung entfällt 187, was insbesondere die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren betrifft. Darüber hinaus stehen ihm die Ansprüche gem § 311a Abs 2 BGB zu, so dass er bei ausbleibendem Entlastungsbeweis des Lizenzgebers (§ 311a Abs 2 S 2, §§ 276, 278 BGB) nach seiner Wahl Schadensersatz statt der Leistung gem §§ 280 Abs 1, 281 BGB oder Aufwendungsersatz gem § 284 BGB geltend machen kann. Allerdings sind im Falle des Schadensersatzes statt der Leistung bei Berücksichtigung einer interessengerechten Risikoverteilung Haftungsbegrenzungen des Lizenzgebers hinsichtlich eines evtl entgangenen Gewinns des Lizenznehmers denkbar. In der gleichen Weise sind wohl auch die Fälle zu behandeln, in denen der Schutz164 rechtsinhaber einem Dritten eine Lizenz erteilt, obwohl er zur Rechtsverschaffung auf Grund einer vorher eingeräumten ausschließlichen Lizenz nicht mehr in der Lage ist 188.
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Groß Rn 62 ff. Zur Bruchteilsgemeinschaft BGH GRUR 2005, 663 – gummielastische Masse II; BGH GRUR 2001, 226, 227 – Rollenantriebseinheit; LG Düsseldorf GRUR 1994, 53, 56 – Photoplethysmograph; Sefzig GRUR 1995, 302; Fischer GRUR 1977, 313 ff; Lüdecke Erfindungsgemeinschaften 111 ff; zur Gesellschaft BGH GRUR 1979, 540, 541 – Biedermeiermanschetten. Benkard/Melullis § 6 PatG Rn 35e; Klauer/ Möhring § 3 PatG Rn 18; aA Chakraborty/ Tilmann FS Reimer König 63, 77. Nach früherem Recht hatte der Lizenzgeber auf Grund einer verschuldensunabhängigen Garantiepflicht für anfängliches Unvermögen einzustehen, wobei die rechtsdogmatische Herleitung auf Pachtrecht (Groß
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Rn 252, 331 f) oder auf Kaufrecht (§§ 437, 440 iVm §§ 320 ff BGB aF, so ua Busse/ Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105 mHa BGH vom 23.4.1963 – I 1 ZR 121/62 nv – zum Nichtbestehen eines lizenzierten Gebrauchsmusters; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 338; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 32 ff) gestützt wurde. Ebenso Ann/Barona Rn 84; Manz/Ventroni/ Schneider ZUM 2002, 409, 412 zum Urheberrecht. Palandt/Grüneberg § 311a BGB Rn 12. Er ist Nichtberechtigter; dies entspricht dogmatisch im Ergebnis der hM, wonach der dingliche Charakter der ausschließlichen Lizenz auch gegen den Schutzrechtsinhaber wirkt und diesen nicht bloß schuldrechtlich bindet, OLG Karlsruhe 1980 GRUR 784,
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Ist dem Lizenzgeber die Rechtsverschaffung grundsätzlich möglich, kommt er ihr aber 165 aus anderen Gründen nicht nach, so besteht für den Lizenznehmer die Möglichkeit, auf Vertragserfüllung zu klagen. Die Ansprüche folgen uE auch hier aus den allgemeinen Regeln, ohne dass es eines Rückgriffs auf Kauf- oder Pachtrecht bedarf 189. Demgemäß kommen bei (schuldhafter) Verschaffungspflichtverletzung insbesondere 166 Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung gem §§ 280, 281 BGB 190 oder alternativ der Aufwendungsersatzanspruch gem § 284 BGB in Betracht. Zudem steht dem Lizenznehmer das Recht zum Rücktritt vom Vertrag (§ 323 BGB) bzw – bei bereits vollzogenem Vertrag – das Recht zur außerordentlichen Kündigung (§ 314 BGB) zu. Eine Garantieübernahme durch den Lizenzgeber, die zu einer verschuldensunabhängi- 167 gen Haftung nach § 276 Abs 1 S 1BGB führt, kann sich zusätzlich aus der häufig in der Präambel des Vertrags niedergelegten Erklärung des Lizenzgebers, alleinverfügungsberechtigter Rechtsinhaber zu sein, ergeben. b) Aufrechterhaltung und Verteidigung der Schutzrechtsposition. aa) Betreiben des Erteilungsverfahrens und Kostentragung. Gegenstand der Verschaffungspflicht ist auch die Pflicht zur Aufrechterhaltung und Verteidigung des lizenzierten Schutzrechts während der Vertragslaufzeit 191. Davon werden auch die Pflichten zum Betreiben des Erteilungsverfahrens und zur Geheimhaltung von lizenziertem Know-how, sowohl bei ausschließlicher als auch bei einfacher Lizenz, umfasst. Ist vertraglich nichts anderes vereinbart, muss der Lizenzgeber während der Vertragslaufzeit Schutzrechtsanmeldungen weiterverfolgen bzw Vertragsschutzrechte aufrecht erhalten, auch wenn hierfür eine ausdrückliche Abrede fehlt 192. Um dieser Pflicht nachzukommen, hat der Lizenzgeber nicht nur die Schutzrechtsgebühren zu zahlen, sondern auch evt im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung oder Weiterverfolgung der Schutzrechte anhängige Verfahren (Einspruch, Nichtigkeits- oder Löschungsklage etc) ordnungsgemäß durchzuführen193. Der Lizenzgeber ist im Rahmen der Aufrechterhaltungspflicht bei Fristversäumnis auch zur Stellung eines evt erforderlichen Wiedereinsetzungsantrages und ebenso zur Einschränkung des Schutzrechts, wenn dadurch eine Nichtigerklärung des Schutzrechts verhindert werden kann, verpflichtet 194. Bei schuldhafter Nichtzahlung der Schutzrechtsgebühren durch den Lizenzgeber tritt eine Befreiung des Lizenznehmers von der Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren ein, falls die Schutzrechtsposition aus diesem Grund wegfällt (§ 275 BGB). Der Lizenzgeber ist dem Lizenznehmer darüber hinaus zum Schadensersatz nach §§ 280, 281 BGB verpflichtet 195.
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785 – Laminiermaschine; Kraßer § 40 V, 691; aA Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 51, 59. Zur alten Rechtslage BGH vom 23.4.1963 – Ia ZR 121/63; teilweise wurde auch auf die Rechtsgrundsätze zur pVV und zur Kündigung aus wichtigem Grund (so ua auch Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 335) zurückgegriffen. So auch Busse/Keukenschrijver § 5 PatG Rn 107 mit Hinweisen zum Schadensumfang. RG GRUR 1937, 1086, 1088 – Funkver-
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band; Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 45; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105. Pagenberg/Geissler Muster 1 3 22; Benkard/ Ullmann § 15 PatG Rn 152; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105; Schulte/Kühnen § 15 PatG Rn 48. Allg Ansicht ua Schulte/Kühnen § 15 PatG Rn 48. Klauer/Möhring/Nirk § 9 PatG aF Rn 59 mwN. Rasch 29, 53; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105; aA Ann/Barona Rn 126 f,
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Die Bemessung des Schadensersatzes ist dabei insbesondere unter Berücksichtigung des Verlustes der Beteiligung an der Monopolposition vorzunehmen, da der Lizenznehmer plötzlich einer Wettbewerbssituation ausgesetzt sein kann, weil seine Konkurrenten den Lizenzgegenstand, da nicht mehr geschützt, nunmehr auch herstellen und vertreiben können. Die vorgenannten Pflichten zur Aufrechterhaltung wie auch die nachfolgend dar173 gestellte Pflicht zur Verteidigung der lizenzierten Schutzrechtsposition stellen leistungsbezogene Pflichten und keine begleitenden Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten iSv § 241 Abs 2 BGB dar. Auch wenn der Lizenzgeber gegen begleitende Verschaffungspflichten verstößt, mithin eine Pflichtverletzung iSd § 280 Abs 1 BGB begeht 196, ergeben sich die Ansprüche unmittelbar aus §§ 280 ff, 320 ff BGB 197.
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bb) Verteidigung des lizenzierten Schutzrechts gegen Angriffe Dritter. Anhand der vorgenannten Ausführungen ergibt sich zugleich, dass auch die Verteidigung des lizenzierten Schutzrechts gegen Angriffe Dritter grundsätzlich zum Pflichtenkreis des Lizenzgebers gehört 198. Im Falle einer Löschungsklage besteht gegenüber dem Lizenznehmer – gleich ob es sich um eine ausschließliche oder einfache Lizenz handelt 199 – die Verpflichtung des Lizenzgebers zur Führung dieses Rechtstreits, da ansonsten die aus dem Monopolrecht abgeleitete Nutzungsbefugnis eingeschränkt oder gegenstandslos werden könnte 200. Gleichzeitig wird eine entsprechende Informationspflicht des Lizenzgebers im Verhält175 nis zum Lizenznehmer bzgl solcher Angriffe und seiner daraufhin ergriffenen Maßnahmen zu bejahen sein. Handelt es sich um eine ausschließliche Lizenz und will sich der Lizenzgeber mit dem 176 Kläger auf die Rücknahme einer Löschungsklage gegen Erteilung einer Freilizenz einigen, so muss er sich ggf vorher mit dem Lizenznehmer abstimmen, weil dessen Ausschließlichkeitsposition dadurch betroffen sein kann. Bei der einfachen Lizenz hat der Lizenznehmer hingegen keine Möglichkeit der Einflussnahme auf eine entsprechende Einigung des Lizenzgebers mit Dritten; denn für die einfache Lizenz ist gerade das Nebeneinander mehrerer Lizenzen, deren Anzahl und Inhalt nicht vom Willen des Lizenznehmers abhängen, kennzeichnend. Eine Ausnahme besteht nur, falls der Lizenznehmer den Schutz einer Meistbegünstigungsklausel genießt 201. Verletzt der Lizenzgeber eine solche Unterrichtungspflicht, ergeben sich grundsätzlich 177 die zuvor dargestellten Rechtsfolgen betreffend die Verletzung der Aufrechterhaltungspflicht. Im Rahmen der Bewertung der (schuldhaften) Verletzung sind jedoch auch die Erfolgsaussichten des Angriffs zu beachten; denn wenn sich dieser als objektiv berechtigt darstellt, weicht diese Situation nicht von der des nachträglichen Wegfalls der Schutzrechtsposition ab.
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cc) Vorgehen gegen Schutzrechtsverletzungen. Ob und inwieweit der Lizenzgeber verpflichtet ist, im Interesse des Lizenznehmers gegen die Verletzung des lizenzierten Schutzrechts durch Dritte vorzugehen, bestimmt sich nach den Vereinbarungen im Lizenzver-
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wonach hier § 280 Abs 3 iVm § 282 BGB einschlägig ist. So auch Ann/Barona Rn 121 ff. So auch Busse/Keukenschrijver § 5 PatG Rn 105. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 152;
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Klauer/Möhring/Nirk § 9 aF PatG Rn 59; Lüdecke/Fischer C 108, 292 f. Bartenbach, B 141. RGZ 54, 272, 274; RG GRUR 1935, 306, 307. Vgl dazu noch unten Rn 190 ff.
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trag, zB unter Berücksichtigung einer Meistbegünstigungsklausel für den Lizenznehmer bei einer nicht ausschließlichen Markenlizenz 202. Gem § 30 Abs 3 MarkenG kann sowohl der ausschließliche als auch der einfache Lizenznehmer Verletzungsklage nur mit Zustimmung des Markeninhabers erheben. Eine Verpflichtung des Lizenzgebers zum Vorgehen gegen Dritte wird daher regelmäßig dann angenommen, wenn der Lizenznehmer nicht nach § 30 Abs 3 MarkenG ermächtigt ist, selbst gegen diese vorzugehen 203. dd) Aufgabe und Einschränkung des lizenzierten Schutzrechts. In der Regel kann der 179 Schutzrechtsinhaber bei allen Sonderschutzrechten auch auf deren Aufrechterhaltung bzw deren Gegenstand verzichten. Die Rechtswirkungen eines solchen Verzichts bzw einer solchen Beschränkung treten in der Regel ex nunc ein. Aufgrund der quasi-dinglichen Rechtsposition des ausschließlichen Lizenznehmers, 180 nimmt die hM 204 die Unwirksamkeit des bzw der ohne Zustimmung des ausschließlichen Lizenznehmers erklärten Verzichts/Beschränkung an. Zur Begründung wird die Vorschrift des § 1071 BGB herangezogen, nach der ein dem Nießbrauch unterliegendes Recht durch Rechtsgeschäft nur mit Zustimmung des Nießbrauchers aufgehoben werden kann. Da auf dieser Grundlage der Lizenznehmer für die Wirksamkeit des Verzichts seine Zustimmung erklärt haben muss, scheiden wechselseitige Schadensersatzansprüche wegen des vorangegangenen einvernehmlichen Handelns aus. Demgegenüber ist der einfache Lizenznehmer nach allgemeiner Ansicht nicht in der 181 Lage, das Wirksamwerden eines Verzichts zu verhindern. Er ist, falls für die Beschränkung kein sachlicher Grund besteht, auf Schadensersatzansprüche (§ 280 BGB) 205 zu verweisen. Wurde nur eine negative Lizenz vereinbart, stehen ihm auch solche Ansprüche nicht zu 206. c) Lizenzierung begleitender Schutzrechte. Eine Lizenz kann auch an einem begleiten- 182 dem Schutzrecht, zB einer sog begleitenden Marke, eingeräumt werden. Insbesondere bei Marken ist damit die markenrechtliche Kennzeichnung von Rohstoffen, Grundstoffen, Halbfertigfabrikaten und Zwischenprodukten, die für das Endprodukt verwendet werden, gemeint. Der Lizenznehmer kann hierbei ein besonderes Interesse an der Nutzung der begleitenden Marke neben seiner eigenen haben. Das gilt vor allem für den Fall, dass er sich einer Bezugsbindung bzgl dieser Vorprodukte unterworfen hat. Inhaltlich vereinbaren die Vertragsparteien, dass der Lizenznehmer berechtigt sein soll, die in Lizenz hergestellten oder vertriebenen Produkte mit der Marke des Lizenzgebers zu kennzeichnen. Der Lizenznehmer kann dann neben dieser Marke seine eigene anbringen, was insbesondere bei ausschließlichen Lizenzverträgen in Betracht kommt. Ebenso ist es aber möglich, dem Lizenznehmer die Benutzung seiner eigenen Marke oder seines Handelsnamens zu verbieten, soweit ihm das Recht verbleibt, auf den Hinweis seiner Herstellereigenschaft hinzuweisen. Häufig wird vertraglich bestimmt, dass der Lizenznehmer verpflichtet ist, die Ware statt mit der eigenen Marke mit der des Lizenzgebers zu kennzeichnen. d) Aufklärungspflichten. Hat der Lizenzgeber bei Vertragsschluss Kenntnis von be- 183 stimmten Umständen, die das Schutzrecht beeinträchtigen, so muss er den Lizenznehmer
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Fezer § 30 MarkenG Rn 38. Ströbele/Hacker/Hacker § 30 MarkenG Rn 45. Kraßer § 26 A Ia) 4, 594; Busse/Schwendy § 20 PatG Rn 19; Schulte/Schulte § 20 PatG Rn 13; Reimer § 9 PatG aF Rn 96; Lüdecke/
205 206
Fischer C 93, 270; Klauer/Möhring/Nirk § 9 PatG aF Rn 36. Kraßer § 26 A Ia) 4, 594; Reimer § 9 PatG aF Rn 96; Groß Rn 268. Bartenbach, B 20 ff; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 151.
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hierüber aufklären. Das gilt zB für schwebende oder drohende streitige Auseinandersetzungen, Abhängigkeiten des Vertragsschutzrechts oder andere Mängel, die geeignet sind, den Bestand oder den Umfang des Schutzrechtes bzw des hierauf bezogenen Nutzungsrechts zu beeinträchtigen 207. Verletzt der Lizenzgeber seine Aufklärungspflicht, haftet er dem einfachen Lizenzgeber unter den Voraussetzungen des § 280 BGB. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass der Lizenznehmer damit rechnen muss, dass der Lizenzgeber weitere Lizenzen erteilt hat bzw vergleichbare Belastungen des lizenzierten Schutzrechtes bestehen. Demnach muss es eine Frage des Einzelfalls bleiben, ob der Lizenzgeber beispielweise auf etwaig bereits bestehende weitere einfache Lizenzen hinsichtlich desselben Schutzrechtes hinweisen muss. Der Lizenzgeber kann sich jedoch haftbar machen, wenn er das Nichtbestehen weiterer Lizenzen bzw von Beeinträchtigungen zugesichert hat. Für den Lizenznehmer kann dieser Umstand für den Vertragsabschluss entscheidend gewesen sein, um zB einen Wettbewerbsvorsprung vor potentiellen Wettbewerbern zu erreichen. Hat der Lizenzgeber seine Aufklärungspflicht verletzt, kommt bei diesbezüglicher Arglist eine Anfechtung des Lizenzvertrages nach § 123 BGB in Betracht. Neben einer möglichen Haftung aus unerlaubter Handlung gem §§ 823, 826 BGB ist ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs 1 BGB denkbar. Zudem kommt ein Rücktritt vom Vertrag nach Fristsetzung gem § 323 BGB auch dann in Betracht, wenn ein Vertretenmüssen der Pflichtverletzung durch den Lizenzgeber ausscheidet. Bei erfolgtem Vollzug des Lizenzvertrages ist hingegen an Stelle des Rücktritts nur die Kündigung aus wichtigem Grund gem § 314 BGB möglich. Eine Pflichtverletzung des Lizenzgebers bei oder vor Vertragsschluss kann eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss gem § 280 iVm § 311 Abs 2, § 241 BGB begründen. Eine (Informations-)Nebenpflicht aus dem Lizenzvertrag stellt auch die sofortige Unterrichtung des Lizenznehmers durch den Lizenzgeber bei Wegfall eines Schutzrechts dar. Sie trifft den Lizenzgeber auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung, der sich bei Verletzung dieser Pflicht – unabhängig von seiner ggf bestehenden Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Schutzrechts – schadensersatzpflichtig macht. Zudem muss er Lizenzgebühren, die er für den Nutzungszeitraum nach Wegfall des Schutzrechts bezogen hat, unter Anwendung der bereicherungsrechtlichen Vorschriften (§§ 812 ff BGB) zurückzahlen.
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e) Übertragung der Lizenz, Einbringung in eine Gesellschaft, Erteilung von Unterlizenzen. Der Lizenzgeber ist grds frei in der Entscheidung, ob er einer Übertragung der Lizenz, der Zulässigkeit der Einbringung in eine Gesellschaft oder der Unterlizenzvergabe durch den Lizenznehmer zustimmt. Das ist auch dann anzunehmen, wenn es sich bei dem Lizenznehmer um eine Konzerngesellschaft handelt, die ein offensichtliches Interesse an der Weitergabe hat. Bei der vertraglichen Regelung einer solchen Pflicht kann, je nach Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der Position des Lizenznehmers, eine Betriebs-, Konzern- oder eine persönliche Lizenz vereinbart sein.
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f) Meistbegünstigungsklausel (most favored license clause). Meistbegünstigungsklauseln werden regelmäßig im Rahmen der Vergabe einfacher Lizenzen vereinbart, um für den betroffenen Lizenznehmer zu erreichen, dass er hinsichtlich der Konditionen zur
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Klauer/Möhring/Nirk § 9 PatG aF Rn 58.
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Nutzung des lizenzierten Gegenstands nicht schlechter steht als andere Lizenznehmer. Der Lizenznehmer hat allerdings keinen Anspruch auf den Abschluss einer solchen Klausel, da der Lizenzgeber grundsätzlich frei darin ist, mit den verschiedenen Lizenznehmern unterschiedliche Lizenzbedingungen zu vereinbaren 208. Bei diesen Klauseln werden echte und unechte Meistbegünstigungsklauseln 209 unterschieden: Eine echte bzw rechtliche Meistbegünstigungsklausel wird bei der Verpflichtung des Lizenzgebers angenommen, bei zukünftigen Lizenzabschlüssen Dritten keine besseren Konditionen zu gewähren als dem vertragsschließenden Lizenznehmer. Eine unechte bzw wirtschaftliche Meistbegünstigungsklausel wird bei der Verpflichtung des Lizenzgebers angenommen, dem vertragsschließenden Lizenznehmer die günstigeren, gleich günstige oder keine ungünstigeren Konditionen zu gewähren als Dritten. Solange sich aus dem Wortlaut oder dem Sinn der vereinbarten Klausel nichts Gegenteiliges ergibt, kann mit Blick auf den vorgenannten Zweck einer solchen Klausel nicht angenommen werden, der vertragsschließende Lizenznehmer solle über die Gleichbehandlung mit Dritten hinaus auch im Verhältnis zu diesen bevorzugt werden. Der Rechtsverkehr interpretiert die Meistbegünstigungsklausel vorrangig dahingehend, dass allein die Gleichbehandlung des Lizenznehmers erreicht werden soll, so dass ein darüber hinausgehender Zweck ausdrücklich vereinbart werden muss. Die Meistbegünstigungsklausel bewirkt, dass bei Abschluss eines neuen Lizenzvertrages mit einem anderen Lizenznehmer automatisch die dort vereinbarten günstigeren Absprachen auch Bestandteil des eigenen Lizenzvertrages, der die Meistbegünstigungsklausel enthält, werden 210, es sei denn die Klausel enthält eine andere Regelung hinsichtlich des Wirksamwerdens, bspw, dass die günstigeren Bedingungen erst für Nutzungshandlungen ab Beginn des Folgejahres gelten. Die praktische Umsetzung der Meistbegünstigungsklausel kann dann Schwierigkeiten bereiten, wenn andere Lizenzverträge teils günstigere, teils schlechtere Bedingungen enthalten 211. In diesen Fällen ist eine Vertragsanalyse notwendig, die sich nicht nur auf den Vergleich der jeweiligen Lizenzgebührenbestimmungen beschränken darf; sie erfordert vielmehr einen Gesamtvergleich aller getroffener Absprachen, um den wirtschaftlich günstigeren Vertragsinhalt ermitteln zu können. Dabei spielen Mindestlizenz- bzw Ausübungspflichten, der Umfang der Nutzungserlaubnis, die Laufzeit des Vertrages etc auf Seiten des Lizenznehmers ebenso eine Rolle wie etwaige sonstige Gegenleistungen, zB in Form der Einräumung einer Lizenz zugunsten des Lizenzgebers. Genauso sind aber auch zusätzliche Haftungspflichten des Lizenzgebers von Bedeutung. Dem Lizenznehmer ist ein Anspruch darauf zuzubilligen, dass ihn der Lizenzgeber über den Abschluss neuer Verträge und deren Inhalt informiert, damit er selbst überprüfen kann, ob nunmehr günstigere Bedingungen vereinbart wurden. Diese Auskunftspflicht wird aus der Meistbegünstigungsklausel selbst hergeleitet, und ist zu erfüllen, sobald ein neuer Lizenzvertrag geschlossen wurde. Die Auskunftspflicht besteht auch, wenn der Lizenzgeber meint, keine günstigeren Bedingungen vereinbart zu haben, denn sie dient vorrangig dazu, dass der Lizenznehmer selbst den Inhalt der neuen Verträge überprüfen kann. Die in einem später abgeschlossenen Lizenzvertrag enthaltenen günstigeren Absprachen bleiben auch dann Inhalt des mit der Meistbegünstigungsklausel versehenen Ver-
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Vgl aber Henn Rn 441 ff. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 113. Finger BB 1970, 1154 ff; zweifelnd hinsicht-
211
lich der automatischen Geltung Henn Rn 443. Reimer § 9 PatG aF Rn 133; Henn Rn 443.
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trages, wenn der neue Lizenzvertrag, gleich aus welchen Gründen, beendet wird. Dies folgt aus ihrer automatischen Einbeziehung, die mithin nur noch eine einvernehmliche Änderung ermöglicht 212. Soll in diesem Zusammenhang anderes gelten, muss ausdrücklich vereinbart werden, dass die günstigeren Absprachen nur solange gelten sollen, als auch der Vertrag mit den neuen Lizenznehmern tatsächlich weiterbesteht. Ist der Lizenzgeber bereits durch frühere Verträge an eine Meistbegünstigungsklausel 197 gebunden, empfiehlt es sich für den Lizenzgeber, vor dem Abschluss weiterer Lizenzverträge zu ggf günstigeren Bedingungen, auch die wirtschaftlichen Auswirkungen hinsichtlich der früheren Verträge zu überprüfen 213.
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g) Betätigungs- und Wettbewerbsklauseln. Ein Betätigungs- und Wettbewerbsverbot wird idR dann zu Lasten des Lizenzgebers vereinbart werden, wenn es dem Willen des Lizenznehmers entspricht, alleiniger Anbieter des Lizenzgegenstandes auf dem für ihn vertraglich festgehaltenen oder in anderer Form bestimmbaren Markt zu sein. Einer ausschließlichen Lizenz in Gestalt einer Exklusivlizenz ist ein solches Verbot immanent, wenn sie sich – auch räumlich – auf alle Benutzungsformen des § 14 MarkenG erstreckt. Unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten kann sich ein Verstoß gegen Art 81 Abs 1 199 EG bzw § 1 GWB ergeben, wenn eine solche Vereinbarung über den Inhalt einer ausschließlichen Lizenz hinausgeht 214. Das ist zB dann der Fall, wenn über den Inhalt des Schutzrechts hinaus jeglicher Wettbewerb in dem betreffenden Markt unterlassen werden soll.
200
h) Preisabstandsklauseln/Preisbindungen des Lizenzgebers. Durch eine Preisabstandsklausel verpflichtet sich der Lizenzgeber, Waren, die er (neben dem Lizenznehmer in derselben oder einer abweichenden Form) herstellt, entweder zu einem festgelegten oder jedenfalls nicht zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen, als der Lizenznehmer. Insbesondere im Verlagswesen sind solche Preisabstandsklauseln üblich; danach dür201 fen Verlagserzeugnisse bestimmte festgelegte Preise nicht unterschreiten dürfen 215. Diese Klauseln sind auch im Markenlizenzvertragsrecht denkbar 216.
202
i) Gewährleistung/Haftung für Mängel. aa) Grundsätze. Die Gewährleistungspflichten des Lizenzgebers sind nicht spezialgesetzlich geregelt. Ihre rechtsdogmatische Herleitung sowie die Einordnung der einzelnen Fallsituationen sind auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung weiterhin umstritten. Eine Einordnung der Gewährleistungspflichten und ihrer Rechtsfolgen in das Rechtssystem des Schuldrechts gestaltet sich aufgrund der Besonderheiten des Lizenzverkehrs als äußerst schwierig. Zum einen stellt der Lizenzvertrag ein „gewagtes Geschäft“ dar, was unabhängig von Kompetenz und Leistungsfähigkeit der Vertragsparteien aus den rechtlichen Unsicherheiten (Schutzfähigkeit, Schutzumfang, Belastung mit Rechten Dritter) und seiner Abhängigkeit von Produktion, Markt, Wettbewerb und technologischer Entwicklung folgt. Zum anderen bestehen Besonderheiten beim Lizenzgegenstand, bspw die Lizenzierung im Anmelde212 213
214
Lüdecke/Fischer C 61, 229. Zur kartellrechtlichen Bewertung solcher Meistbegünstigungsklauseln s Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1492 ff. Zur kartellrechtlichen Bewertung von Betätigungs- und Wettbewerbsklauseln s Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1509 ff.
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BGH GRUR 1986, 91, 92 f – Preisabstandsklauseln; Seifert ZUM 1986, 667 ff; zu Taschenbuchrechten OLG München ZUM 1989, 585, 587 f. Zur kartellrechtlichen Bewertung solcher Preisabstandsklauseln s Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1522 ff.
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stadium oder die Lizenzierung von parallelen Marken in unterschiedlichen Vertragsstaaten. Auch der Charakter des Lizenzvertrages als Dauerschuldverhältnis und die Spannbreite der unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten von einer uneingeschränkten ausschließlichen Lizenz bis hin zu einer negativen Lizenz mit Inhaltsbeschränkungen werfen spezifische Probleme auf. Der Lizenzverkehr zeichnet sich durch die Vielschichtigkeit der Fallgestaltungen und 203 die Schnelllebigkeit der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung aus. Resultat ist häufig die grundlegende Veränderung der dem Vertragsabschluss zu Grunde liegenden Umstände. Hinzu tritt die Internationalität der Märkte, die weiteren Einfluss auf die lizenzierten Waren und deren Ausgestaltung, Herstellung, Position im jeweiligen Markt etc nehmen. Auch daraus ergibt sich, dass die gesetzlichen Gewährleistungsregeln der klassischen Vertragstypen keine angemessenen Lösungen bereit halten können, die den unterschiedlichen Interessen der Lizenzvertragspartner bei Störungen Rechnung tragen. Daraus folgt, dass die Lizenzvertragsparteien bereits zum Zeitpunkt der Gestaltung 204 des Vertrages die wesentlichen Fragen der Gewährleistung bzw Haftung für Mängel sowie Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen regeln sollten. Der Rechtsanwender wird dabei weiterhin im Rahmen eines notwendigen, angemessenen Interessenausgleichs unter Heranziehung der gesetzlichen Regelungen Korrekturen vornehmen müssen. Demzufolge lassen sich uE für Lizenzverträge folgende Grundsätze aufstellen, die den 205 weiteren Ausführungen zu Grunde gelegt werden: – Es ist das allgemeine Leistungsstörungsrecht anzuwenden, wobei es eines Rückgriffs auf die Grundsätze des Kauf-, Pacht-, oder Werkvertrages nicht bedarf. – Bei der Ausfüllung der Mängelansprüche ist auch weiterhin der Charakter des Lizenzvertrages als regelmäßig „gewagtes Geschäft“ maßgebliches Kriterium 217. Bei der Anwendung des Leistungsstörungsrechts gilt das Gebot einer interessengerechten Risikoverteilung bzw eines angemessenen Interessenausgleichs 218. – Die bisherigen Unterscheidungen und Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Sachund Rechtsmängeln sind regelmäßig nicht notwendig. – Der Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 311 BGB) gilt unverändert für die Vereinbarungen über die Haftung des Lizenzgebers. Die Haftung des Lizenzgebers kann ganz oder teilweise ausgeschlossen oder erweitert werden, solange die Grenzen des Kartell- und AGB-Rechts beachtet werden 219. – Verletzt der Lizenzgeber seine Pflichten (Verschaffungspflicht etc), gelten die Grundsätze über die Haftung bei Pflichtverletzung. bb) Bei Vertragsabschluss bestehende Rechte Dritter. Die Verschaffungspflicht be- 206 deutet für den Lizenzgeber, dass er das lizenzierte Recht frei von Rechten Dritter zur Verfügung stellen muss. Dies gilt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung und stellt eine Kernpflicht des Lizenzgebers dar. Bedeutung gewinnt diese Pflicht vor allem, wenn das lizenzierte Recht Belastungen durch Nießbrauch, Pfandrecht oder Lizenzen zugunsten Dritter ausgesetzt ist. 217
218
RGZ 33, 103, 104; BGH GRUR 1961, 466, 468 – Gewinderollkopf; BGH GRUR 1982, 481, 481 – Hartmetallkopfbohrer; Busse/ Keukenschrijver § 15 PatG Rn 54. Vgl zum früheren Gewährleistungsrecht Bartenbach Patentlizenz- und Know-how Vertrag Rn 1532 mwN.
219
BGH GRUR 1979, 768 – Mineralwolle; BGH GRUR 1974, 40, 43 – Bremsrolle; ersteres geschieht typischerweise mit dem Abschluss einer negativen Lizenz; vgl dazu Bartenbach, B 156 ff.
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Bestehen solche Rechte Dritter und sind sie dem Lizenzgeber bekannt, muss er diese dem Lizenznehmer vor Vertragsschluss offenbaren, wenn aus ihnen eine Beeinträchtigung des Lizenzrechts des Lizenznehmers folgen kann. Unterlässt er dies, sind eine Anfechtung gem § 123 BGB sowie Schadensersatzforderungen aus §§ 311, 241, 280 und ggf aus §§ 823, 826 BGB möglich. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht ist demnach anzuwenden, wenn nicht die Vertragspartner etwas anderes geregelt haben oder der Vertrag nach §§ 119, 123 BGB wirksam angefochten worden ist 220. Dabei ist einerseits § 311a BGB in Betracht zu ziehen, da der Lizenzgeber bereits bei Vertragsschluss nicht das volle, sondern nur ein eingeschränktes Nutzungsrecht einräumen konnte. Die Rechtsfolgen bestimmen sich dann nach §§ 311a, 275, 280 ff BGB. In der Regel wird der Lizenzgeber das aus seiner Sphäre stammende Leistungshindernis zu vertreten haben, wenn er nicht gem der Beweislastregel des § 311a Abs 2 Satz 2 BGB nachweisen kann, dass ihm das Leistungshindernis bei Vertragsabschluss unbekannt war und er dies auch nicht zu vertreten hat. Andererseits kann § 323 BGB herangezogen werden, wonach dem Lizenznehmer ein Rücktrittsrecht wegen nicht oder nicht vertragsgemäßer Leistung zusteht. Ist der Lizenzvertrag bereits durchgeführt, bleibt das Kündigungsrecht des § 314 BGB. Die Schadensersatzansprüche gem §§ 280, 281 BGB bestehen daneben (§ 314 Abs 4, § 325 BGB). Hat der Lizenznehmer ein berechtigtes Interesse an einer teilweisen Weiterführung des Vertrags, könnte eine Lösung über Teilunmöglichkeit (vgl § 311a Abs 1 iVm § 275 Abs 1 BGB „soweit“) bzw Teilleistung (§ 323 Abs 5 BGB) gesucht werden. Eine Vertragsanpassung gem § 313 BGB kommt bei beiderseitigen Fehlvorstellungen in Betracht, wenn der Vertrag bei Herabsetzung der Lizenzgebühr im Umfang der Beeinträchtigung der Rechte des Lizenznehmers fortgeführt werden soll. Ansonsten ist an eine Kündigung seitens des Lizenznehmers zu denken. Die Übertragung dieser Grundsätze auf die einfache Lizenz ist nur in einem beschränkten Umfang möglich, da der Lizenznehmer hier von Anfang an mit Benutzungsrechten Dritter zu rechnen hat. Ein Mangel ergibt sich insoweit nur, als die Rechte Dritter geeignet sind, sein nicht ausschließliches Nutzungsrecht zu beeinträchtigen. Ist das lizenzierte Schutzrecht von einem älteren Schutzrecht abhängig, weil das jüngere Schutzrecht nur mit Zustimmung des Inhabers des älteren Schutzrechts benutzt werden darf (vgl § 24 Abs 2 PatG), so stellt dies ebenfalls einen Rechtsmangel dar 221. In Betracht kommt eine Vertragsanpassung nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht über § 313 BGB 222 bzw bei Unzumutbarkeit der Weiterführung des Vertrages eine Kündigung gem § 314 BGB. Ein Schadensersatzanspruch gem § 280 BGB kann am fehlenden Vertretenmüssen des Lizenzgebers scheitern. Hier ist zu beachten, dass die Rechtsprechung die unerwartete Abhängigkeit von einem Patent der Risikosphäre des Lizenznehmers zugeordnet hat 223. Zudem soll in Ausnahmefällen auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung ein stillschweigender Ausschluss jedweder Haftung für unerwartete Abhängigkeit von älteren Patenten/Gebrauchsmustern anzunehmen sein 224. Hat der Lizenznehmer Kenntnis von dem Mangel, haftet der Lizenzgeber grundsätzlich nicht 225. 220 221 222
223
Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 105. BGH GRUR 1962, 370, 373 – Schallplatteneinblendung. Pagenberg/Geissler Muster I Rn 54; im Anschluss daran auch Henn Rn 320 und Benkard/Ullmann (10. Aufl) § 15 PatG Rn 171. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 106
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mHa BGH vom 3.5.1977 in Liedl 1974/77, 37, 341 – Dauerhaftmagnete; abl Henn Rn 319 f. RGZ 163, 1, 8 f; RG GRUR 1935, 306, 308; BGH vom 15. 5. 1973 – X ZR 65/70 nv; Benkard/Ullmann (9. Aufl) § 15 Rn 98; zu Recht krit Henn Rn 320. Henn Rn 320.
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Im Übrigen kann eine potentielle Haftung des Lizenzgebers vertraglich ausgeschlossen 212 werden 226. cc) Änderungen im Bestand der Schutzrechtsposition. Hiervon erfasst werden Fälle, in denen der Lizenzgeber seine Verschaffungspflicht zwar nicht verletzt, die lizenzierten Schutzrechte jedoch trotzdem nicht rechtsbeständig erteilt oder diese gelöscht werden (zB §§ 48 ff MarkenG). Da Gegenstand eines Lizenzvertrages auch eine bloße Schutzrechtsanmeldung sein kann (vgl etwa § 31 MarkenG), kann die Zurückweisung der Anmeldung (§ 37 MarkenG) wegen des Nichtvorliegens der Schutzvoraussetzungen (§§ 3, 8, 10 MarkenG) erhebliche Auswirkungen haben. Durch die Schuldrechtsreform ist die Unterscheidung zwischen (ursprünglicher) objektiver und subjektiver Unmöglichkeit obsolet geworden. Der Vertrag ist insofern stets wirksam, was § 311a Abs 1 BGB klarstellt. Die wechselseitigen Leistungsansprüche können jedoch nicht mehr geltend gemacht werden (§ 275 Abs 1 BGB; § 275 Abs 4, § 326 Abs 1 S 1 BGB). Zudem: Der Lizenznehmer hat nur dann einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung oder wahlweise auf Aufwendungsersatz gem § 284 BGB, wenn der Lizenzgeber gem § 311a Abs 2, §§ 276 ff BGB die Unmöglichkeit bei Vertragsschluss kannte oder diese Unkenntnis zu vertreten hat 227. Insofern macht sich nach § 280 BGB der Lizenzgeber zB schadensersatzpflichtig, wenn er wegen eines zurechenbaren Verhaltens die Versagung des Schutzrechts zu vertreten hat. Dies gilt auch im Falle der Zusicherung der Schutzfähigkeit. Fällt ein lizenziertes Schutzrecht wegen Nichtigkeit weg, ist die Rechtsprechung seit jeher davon ausgegangen, dass bei fehlender anderweitiger Vereinbarung keine Garantieverpflichtung bzw Haftung des Lizenzgebers für den zukünftigen Bestand der Schutzrechtsposition anzunehmen ist 228. Nach der Rechtsprechung bleibt die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren bis zur Nichtigkeitserklärung erhalten, es sei denn, dass die Weiternutzung bzw -zahlung wegen offenkundiger Vernichtbarkeit als unzumutbar zu werten ist. Der Lizenznehmer ist trotz Wegfalls des vernichteten Schutzrechts mit ex-tunc Wirkung nur zur (zukünftigen) Kündigung des Vertrages berechtigt 229. Im Falle des Wegfalls eines Schutzrechts kann uE in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung 230 eine Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB vorgenommen werden 231. Das bedeutet, dass gem § 313 Abs 3 S 2 BGB für die Zukunft ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) besteht, wenn das erloschene Schutzrecht wesentlicher Vertragsgegenstand war. Der Schadensersatzanspruch gem § 280 BGB kann daneben geltend gemacht werden (§ 314 Abs 4 BGB). Die Pflichtverletzung besteht aber nicht allein
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228
Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 106 mHa BGH vom 15.5.1979 – X ZR 65/68 nv. Groß Rn 64; Henn Rn 233; Bartenbach, B Mitt 2003, 102, 106; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 82. BGH GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch; BGH GRUR 1961, 466, 468 – Gewinderollkopf; BGH GRUR 1961, 572, 574 – Metallfenster; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 90; Henn Rn 318; Kraßer/ Schmid GRUR Int 1982, 324, 330, 338 ff.
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BGH GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch; BGH GRUR 1969, 677 – RübenVerladeeinrichtung; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 330. BGH GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch; BGH BGUR 1958, 231, 232 – Rundstuhlwirkware. Ann/Barona Rn 146; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 201; wohl auch Palandt/Grüneberg § 313 BGB Rn 63.
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in der Tatsache der Schutzrechtsvernichtung, so dass im Regelfall ein Schadensersatzanspruch mangels Pflichtverletzung des Lizenzgebers ausscheidet. Andere sehen die Lösung solcher Fälle in der Regelung über die nachträgliche Unmöglichkeit 232. Danach soll ein Rücktrittsrecht gem §§ 323, 324 BGB und im Falle des vollzogenen Lizenzvertrages ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 BGB bestehen. Auf Grund der Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht, die in der Verschaffung der Nutzungsmöglichkeit des Schutzrechts liegt, hat der Lizenznehmer gem § 275 Abs 1 BGB auch keinen Anspruch mehr auf diese Leistung. Dem Lizenznehmer hingegen stehen gem § 275 Abs 4 BGB die Rechte aus den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326 BGB zu. Wie bereits ausgeführt, scheitert der Schadensersatzanspruch gem § 280 BGB aber idR an der fehlenden Pflichtverletzung des Lizenzgebers. Die Voraussetzungen des § 280 BGB müssen aber ebenfalls in den Fällen der §§ 283 bis 285 BGB vorliegen, so dass diese Ansprüche auch nicht geltend gemacht werden können. Im Ergebnis entfällt für die Zukunft die Verpflichtung des Lizenznehmers zur Zahlung der Lizenzgebühren gem § 326 Abs 1 BGB, wenn nicht ausnahmsweise die Regelung des § 326 Abs 2 BGB eingreift 233. Über § 326 Abs 4 iVm §§ 346 bis 348 BGB kann der Lizenznehmer darüber hinaus für zukünftige Nutzungshandlungen bereits erbrachte Leistungen zurückfordern 234. Ist dem Lizenzgeber im Zusammenhang mit der Schutzrechtsverteidigung ein Fehlverhalten anzulasten (bspw die Versäumung der Rechtsmitteleinlegung), bedeutet dies idR eine schuldhafte Verletzung seiner Verschaffungspflicht. Geraten bei einem Lizenzvertrag über mehrere Schutzrechte einzelne in Wegfall, kommt nach der hier vertretenen Auffassung § 313 BGB zur Anwendung, falls keine anderweitigen Vertragsabsprachen getroffen wurden. Dabei ist zu prüfen, ob und inwiefern nach Wegfall einzelner Schutzrechte noch ein (wirtschaftliches) Interesse der Lizenzvertragsparteien zu bejahen ist bzw dem Lizenznehmer eine Weiterführung des Vertrages iSv § 313 Abs 3 S 1 BGB zugemutet werden kann. Vorrangig ist demgemäß die Möglichkeit der Vertragsanpassung unter evt Minderung der Lizenzgebühr auszuloten (§ 313 Abs 1 BGB), wobei im Rahmen einer Minderung auch evt Auswirkungen des Schutzrechtswegfalls im Markt bzw gegenüber Wettbewerbern zu berücksichtigen sind 235. Bei Wegfall der Hauptvertragsrechte kann demgegenüber regelmäßig eine Unzumutbarkeit und damit folglich ein Kündigungsrecht des Lizenznehmers nach § 313 Abs 3 S 2 iVm § 314 BGB angenommen werden. Die vorgenannten Rechtsfolgen sind grundsätzlich auch dann gegeben, wenn der Lizenzvertragsgegenstand zusätzlich Know-how umfasste und dieses vorzeitig offenkundig wird. Entscheidend dabei ist die Gewichtung des Know-hows zu den übrigen Schutzrechten sowie die Interessen der Parteien an der Fortgeltung des Vertrags.
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Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 90. Wird das Vertragsschutzrecht auf Veranlassung des einer wirksamen Nichtangriffsabrede unterliegenden Lizenznehmers durch einen Strohmann nichtig geklagt, dürften weder eine Vertragsanpassung und Kündigung nach §§ 313, 314 BGB, noch eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren nach § 326 BGB in Betracht kommen.
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Im Ergebnis so auch die bisherige Lehre vgl Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 108 unter Bezug auf BGH vom 23.4.1963 – Ia ZR 21/63 – Schukostecker, dort nach Bereicherungsrecht gem § 440 Abs 1 iVm §§ 323, 325 BGB aF. Pfaff/Osterrieth Lizenzverträge B Rn 99 unter Hinweis auf die Usancen im internationalen Lizenzverkehr.
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Ist das Schutzrecht dagegen bloß vernichtbar, ergeben sich keine Änderungen hinsichtlich der Vertragspflichten des Lizenznehmers; insbesondere ist er weiter zu einer Zahlung der Lizenzgebühren in der vereinbarten Höhe verpflichtet. Diese Pflicht entfällt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unter dem Aspekt von Treu und Glauben allenfalls dann, wenn die Wettbewerber des Lizenznehmers das Schutzrecht auf Grund seiner offenbaren oder wahrscheinlich gewordenen Vernichtbarkeit nicht mehr beachten. Denn solange, wie das Schutzrecht und damit die faktische Vorzugsstellung des Lizenznehmers aufgrund des Fortbestandes des lizenzierten Schutzrechts existiert, ist ein Festhalten an dem Lizenzvertrag für ihn nicht unzumutbar. Eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB ist daher ebenso ausgeschlossen, wie eine außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB. Ist ausnahmsweise von einer Unzumutbarkeit auszugehen, kommt entweder eine Kündigung gem § 314 BGB oder eine Minderung der Lizenzgebühren nach der Regelung des § 313 BGB in Betracht. Der Lizenznehmer kann nach der Rechtsprechung in Anlehnung an die Grundsätze der offenbaren Vernichtbarkeit – trotz rückwirkenden Wegfalls eines Teils des Schutzbereichs 236 – die Lizenzgebühr mindern bzw den Lizenzvertrag kündigen, wenn die teilweise Vernichtung des Schutzrechts oder eine nachträgliche Beschränkung zur Vermeidung von Nichtigkeitsklagen erfolgt 237. Ob der Lizenznehmer sein Recht zur Minderung der Lizenzgebühr nach § 313 BGB bzw zur Kündigung nach § 314 BGB ausüben darf, hängt davon ab, welche tatsächlichen Nutzungsmöglichkeiten ihm noch verbleiben und ob die ggf vorliegende Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Stellung durch die Vernichtung bzw Beschränkung evt nur so geringfügig ist, dass die Weiterführung des Vertrages zumutbar erscheint. Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 281 BGB kommen in diesem Zusammenhang für den Fall der nachträglichen Beschränkung dann in Betracht, wenn der Lizenzgeber zu Lasten des Lizenznehmers schuldhaft eine weitere Einschränkung veranlasst, als dies sachlich geboten war. Nicht zu folgen ist der Rechtsprechung des RG 238, wonach anfängliche oder nachträgliche Unmöglichkeit vorliegen soll, wenn ein Verletzungsstreit ergibt, dass der Schutzumfang des Vertragsrechts wesentlich geringer ist, als die Vertragspartner angenommen hatten. In Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in der Literatur, kommen hier dieselben Grundsätze zur Anwendung wie in der Situation einer nachträglichen Vernichtung oder Beschränkung des Schutzrechtes 239. Dieser Situation vergleichbar ergibt sich nämlich auch bei irrtümlicher Annahme eines größeren Schutzbereiches eine Monopolstellung des Lizenznehmers, die aus der Passivität und dem Respekt der Mitbewerber vor dem vermeintlich umfassenden Schutzbereich folgt 240.
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dd) Produkthaftung des Lizenzgebers. Der Lizenzgeber haftet nach dem Produkthaf- 229 tungsgesetz (ProdHaftG), wenn er neben dem Lizenznehmer selbst Hersteller iSv § 4 Abs 1 S 1 ProdHaftG ist, weil er das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat oder nach der Fiktion des § 4 Abs 1 S 2 ProdHaftG als solcher gilt, weil er sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unter236 237
238
Kraßer GRUR Int 1990, 611. BGH GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch; BGH GRUR 1958, 231, 232 – Rundstuhlwirkware; BGH GRUR 1961, 572, 574 – Metallfenster; Schulte/Kühnen § 15 PatG Rn 56; Busse/Keukenschrijver § 15 Rn 121 mwN. RGZ 78, 10, 11.
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Ähnlich Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 120 mHa BGH vom 5.12.1961 – I ZR 76/60 nv: Die für den Fall der Nichtigkeit entwickelten Grundsätze gelten. Lüdecke/Fischer C 43, 195; Lindenmaier/ Weiß § 9 PatG aF Rn 18 begründen dieses Ergebnis mit dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
scheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt. Das kann insbesondere den Markenlizenzgeber betreffen, wenn das Produkt (auch die Verpackung) 241 mit seiner Marke gekennzeichnet ist. Dann weist die Verpackung oft nicht einmal auf den Lizenznehmer als Hersteller hin. Auch kann es ausreichend sein, wenn der Lizenznehmer einen bekannten Produktnamen fortführt 242. Nach hM ist der Lizenzgeber einer Marke zwar nicht als Quasihersteller iSv § 4 230 Abs 1 S 2 ProdhaftG anzusehen, doch wird dies teilweise auch anders gesehen und eine grundsätzliche Haftung des Lizenzgebers bejaht 243. Der Lizenzgeber sollte sich daher vertraglich im Innenverhältnis von gegen ihn gerichteten Produkthaftungsansprüchen durch den Lizenznehmer freistellen lassen 244. Zudem können vertraglich zu vereinbarende Kontrollmöglichkeiten des Lizenzgebers 231 zur Überprüfung der Qualitätsstandards der Produkte des Lizenznehmers hilfreich sein. Schließlich kann auch eine Kündigungsmöglichkeit des Lizenzgebers nach Fristsetzung geregelt werden, falls der Lizenznehmer bestimmte Qualitätsstandards nicht erbringt bzw dauerhaft nicht einhält.
232
ee) Haftung für wirtschaftliche Verwertbarkeit. Eine Haftung des Lizenzgebers für die wirtschaftliche Verwertbarkeit des lizenzierten Rechts ist im Einklang mit dem Charakter des Lizenzvertrages als gewagtes Geschäft und mangels anderweitiger Abreden grds abzulehnen. Findet sich im Lizenzvertrag keine Garantieübernahme oder sonstige Haftungsvereinbarung zu Lasten des Lizenzgebers, so gehen Rechtsprechung und Lehre übereinstimmend davon aus, dass er im Einzelnen weder für die Wirtschaftlichkeit der Auswertung des lizenzierten Schutzrechts 245 noch für eine gewinnbringende wirtschaftliche (gewerbliche, kommerzielle) Verwertbarkeit 246, die Ertragsfähigkeit bzw Rentabilität 247 oder die Wettbewerbsfähigkeit 248 einzustehen hat.
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ff) Gesteigerte Haftung bei Abgabe einer Garantieerklärung. In Lizenzverträgen werden seitens des Lizenzgebers häufig Zusagen über den Lizenzgegenstand gemacht. Darunter sind regelmäßig Erklärungen über bestimmte Eigenschaften zu verstehen, die der Lizenzgegenstand aufweisen soll 249. Sie sind als Garantierklärungen iSv § 443 1. Alt BGB zu qualifizieren, wenn die Zusage des Lizenzgebers Inhalt des Vertrages geworden ist und er inhaltlich die Garantie für eine bestimmte Beschaffenheit des Lizenzgegenstandes übernimmt. Liegen diese Voraussetzungen vor, trifft den Lizenzgeber eine Einstandspflicht für das Vorhandensein und die Folgen eines Fehlens unabhängig von der Frage eines Verschuldens 250. Eine solche Garantieerklärung ist auch konkludent möglich, wobei diesbezüglich allerdings Zurückhaltung geboten ist 251. 241 242 243 244 245 246
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OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 458. BGH NJW 2005, 2695. Fammler 121 mwN. Fammler 121. RG MuW 1931, 441, 442; RG GRUR 1932, 865, 867. RGZ 75, 400, 403; BGH GRUR 1974, 40, 43 – Bremsrolle, für den Fall der Vereinbarung einer Mindestlizenzklausel. RGZ 78, 363, 367; BGH GRUR 1955, 338, 340, 341 – Beschlagfreie Brillengläser; BGH GRUR 1960, 44, 45 f – Uhrgehäuse; BGH GRUR 1961, 466, 467 – Gewinderollekopf; BGH GRUR 1965, 298, 301 – Reaktions-
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messgerät mwN; BGH GRUR 1974, 40, 43 – Bremsrolle; Henn Rn 308; Lüdecke/ Fischer B 20, 127; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 111; Reimer § 9 PatG aF Rn 92; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 190. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 111 mwN. Barona 36; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 112 – jeweils mwN. Barona 36 ua mH auf BGH GRUR 1979, 769 ff – Mineralwolle; Palandt/Putzo § 443 BGB Rn 1 ff. BGH BB 2000, 1647.
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§5
Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Ob der Lizenzgeber eine Garantie idS übernommen hat, ist durch Auslegung zu klären; entscheidend ist, wie der Lizenzgeber die Erklärung des Lizenzgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte 252. Maßgebliches Kriterium für die Annahme einer Garantie ist, dass der erkennbare Wille des Lizenzgebers hervortritt, eine Gewähr für das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften des Lizenzgegenstandes übernehmen und für alle Folgen eines diesbezüglichen Fehlens einstehen zu wollen 253. Die Rechtsfolgen einer Garantieübernahme ergeben sich aus § 280 Abs 1 iVm §§ 281, 276 BGB. Der Rechtsgedanke für die Haftung auf Grund einer Garantieübernahme wird nunmehr aus § 443 BGB hergeleitet, gleich ob die Garantie eine Erweiterung der gesetzlichen Haftung bewirkt oder eine selbständige Garantie vorliegt 254. Gem § 276 Abs 1 S 1 BGB ist in diesem Fall eine verschuldensunabhängige Haftung möglich, so dass dem Lizenznehmer bei Nichteinhalten der Garantie durch den Lizenzgeber im Zweifel ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 276 Abs 1 BGB zusteht 255. Der „Schadensersatzanspruch statt der Leistung“ gem § 281 BGB ist auf das Erfüllungsinteresse des Lizenznehmers gerichtet 256. Unter der Geltung des früheren Rechts hat die hM dies bei Vorliegen einer zugesicherten Eigenschaft uneingeschränkt angenommen 257; dies bedeutete für den Lizenznehmer sowohl einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen als auch auf Ersatz seines entgangenen Gewinns 258. Nichts anderes gilt im Grundsatz für die Haftung nach §§ 280, 281 BGB. Das folgt aus der freiwilligen Übernahme einer besonderen Garantie durch den Lizenzgeber, die den Lizenznehmer regelmäßig in seiner Entscheidung über das ob des Vertragsabschlusses beeinflusst haben wird. Ein Lizenzgeber, der eine solche Garantie im Rahmen der Vertragsfreiheit übernimmt, hat daher hierfür vollumfänglich einzustehen.
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2. Lizenznehmer a) Die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühr. aa) Allgemeines. Die Lizenzgebühr 238 stellt das vom Lizenznehmer zu entrichtende übliche Entgelt für die Überlassung und/ oder für die Benutzung des Lizenzgegenstandes dar 259. Die Pflicht zur Zahlung der Lizenzgebühren stellt die Hauptpflicht des Lizenznehmers dar. Gesetzliche Bestimmungen zu Art und Höhe der Lizenzgebühr existieren nicht. Art und Umfang der Lizenzgebühr sollten als Gegenleistung für die vom Rechtsinhaber eingeräumte Monopolstellung nach den wirtschaftlichen Interessen des Lizenznehmers und der Interessenlage des Lizenzgebers sowie ergänzend nach dem allgemeinen Markt bestimmt werden. Durch ihre Zahlung wird der Lizenzgeber im Allgemeinen an dem wirtschaftlichen 239 Erfolg des Lizenznehmers aus der Nutzung des Lizenzgegenstandes beteiligt 260. Dies 252 253 254 255
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Groß Rn 307; Barona 36 f – jeweils mwN. BGHZ 59, 158, 160; BGH BB 2000, 1647. Unklar Barona 38. Groß Rn 330, der allerdings alternativ auf § 536a BGB Bezug nimmt, und darauf hinweist, dass bei Verlangen des Schadensersatzes statt der Leistung eine Fristsetzung iSv § 281 Abs 1 S 1 BGB fraglich ist. BGH NJW 1998, 2901 ff; Palandt/Heinrichs § 281 BGB Rn 17. Reimer § 9 PatG aF Rn 36; Benkard/Ull-
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mann (9. Aufl) § 15 PatG Rn 25; BGH GRUR 1970, 547, 549 – Kleinfilter. AA Pietzcker § 6 aF PatG Anm 12, 22, 35, der nur den Aufwendungsersatzanspruch zubilligte; idS auch Fischer GRUR 1970, 549, 550 in Anm zu BGH GRUR 1970, 547 ff, der eine differenzierte Beurteilung, je nach Einzelfall gestützt auf § 242 BGB, vorgeschlagen hat; Nirk GRUR 1970, 329. BGH WM 2004, 596, 597 – Honiglöffel. BGH WM 2004, 596, 598 – Honiglöffel.
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kann durch einmalige Zahlung oder regelmäßig wiederkehrende Zahlungen bzw die Kombination solcher Zahlungen erfolgen. Der Lizenznehmer wird in der Regel zur Erbringung der Lizenzgebühr in Form von Geldleistungen verpflichtet sein. Üblich ist eine prozentuale Beteiligung des Lizenzgebers am Umsatzerlös, soweit sich die Nutzung des Lizenzrechts in Umsatzgeschäften niederschlägt 261. Die Höhe der Lizenzgebühr liegt grundsätzlich im Ermessen der Vertragspartner, wobei sich im Einzelfall kartellrechtliche Grenzen ergeben können 262. Neben der Umsatzlizenz ist auch die Stück- sowie die Pauschallizenz anzutreffen. Die unterschiedlichen Lizenzarten unterscheiden sich bei den für die Lizenzberechnung jeweils zu berücksichtigenden Parametern: Bei der Umsatzlizenz muss zunächst die wirtschaftliche Berechnungsgrundlage (Bruttooder Nettoumsatz) bestimmt werden; dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Kosten des Lizenznehmers zur Berechnung des umsatzpflichtigen Erlöses vom Bruttoumsatz abgezogen werden dürfen. Hierzu zählen etwa handelsübliche Rabatte, wie Mengenrabatte oder Skonti, jedoch keine handels- oder branchenunüblichen Nachlässe bzw sonstigen Aufwendungen des Lizenznehmers, wie zB Werbekostenzuschüsse. Bei der Vertragsgestaltung sind die Parteien aber im Wesentlichen frei. Bei der Stücklizenz wird je lizenziertem Gegenstand eine bestimmte, im Vertrag festgelegte Lizenzgebühr (Festbetrag) geschuldet. Kommt die Lizenzierung, zB einer Marke, aufgrund der im Lizenzvertrag enthaltenen Vereinbarungen einer Übertragung gleich, etwa weil die Ausschließlichkeit, eine lange Laufzeit und nahezu keine Kontrollmöglichkeiten des Lizenzgebers geregelt sind, wird regelmäßig eine Pauschallizenz in Betracht kommen; diese ist dann in der Regel benutzungsunabhängig ausgelegt und sieht eine oder mehrere Pauschalzahlungen vor. bb) Bestimmung des Nutzungswertes einer Lizenz. Fehlt dem Lizenzvertrag eine Regelung zur Höhe der Lizenzgebühr, ist eine angemessene Gebühr geschuldet 263. Möglich ist es dann zB, eine Bestimmung der Gebühr nach billigem Ermessen durch den Lizenzgeber gem §§ 316, 315 BGB vornehmen zu lassen oder im Streitfall durch das Gericht gem §§ 315 Abs 3 S 2, 319 BGB 264. Bei der Festlegung der Lizenzgebühr ist zu beachten, dass es nicht „ein einzig richtiges Ergebnis“, sondern stets einen Ermessenspielraum des Lizenzgebers gibt, das Gericht also erst dann eine Leistungsbestimmung durch den Lizenzgeber ersetzt, wenn der Lizenzgeber die Grenzen der Billigkeit (deutlich) überschritten hat 265. Falls der Lizenzgeber ein Bestimmungsrecht nicht erhalten soll, kommt zur Festlegung der Lizenzgebühr auch eine ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 BGB in Betracht 266. Regelmäßig ist als angemessen anzusehen, was vernünftige Lizenzvertragspartner unter Beachtung der beiderseitigen Interessen vereinbart haben würden, wenn sie den vorliegenden Benutzungssachverhalt zum Gegenstand einer vertraglichen Überein-
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BGH GRUR 2002, 801, 803 – Abgestuftes Getriebe. Zur kartellrechtlichen Bewertung s Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1677 ff; Bartenbach/Söder Mitt 2007, 353, 354 ff. Magen 180; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 28; mHa OLG München vom 18.7.1997 – 6 U 2366/97 nv. BGH GRUR 1958, 565, 566 – Baustützen;
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Fezer § 30 MarkenG Rn 39; Kraßer § 41 III 2. BGH GRUR 2005, 757, 760 – PRO-Verfahren, dort zu GEMA-Berechtigungsverträgen. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 115 mHa BGH 10.7.1959 – ZR 73/58 nv; nach Kraßer § 41 III 2 mHa BGH GRUR 1969, 677, 679 f – Rüben-Verladeeinrichtung, soll die ergänzende Vertragsauslegung dagegen vorrangig zu berücksichtigen sein.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
kunft gemacht hätten 267. Einen wichtigen Aspekt stellt in diesem Zusammenhang die (Branchen-)Üblichkeit im freien Lizenzverkehr dar 268. In der betrieblichen Praxis dürfte die Festlegung eines Nutzungswertes für eine zu 245 erteilende Lizenz häufig mit Schwierigkeiten verbunden sein 269. Dem Lizenzgeber ist im Zweifel eine Orientierung an seinen bisher abgeschlossenen Lizenzverträgen oder, soweit existent, an evt branchenüblichen Lizenzsätzen möglich. Zudem können in der wissenschaftlichen Literatur vorhandene Zusammenstellungen von üblichen Lizenzsätzen sowie deren Bewertungsfaktoren herangezogen werden 270. Darüber hinaus kann auch die Rechtsprechung zur Schadensberechnung bei Schutz- 246 rechtsverletzungen nach der Lizenzanalogie herangezogen werden 271. Hinsichtlich der Umsatzlizenz ist einzelfallabhängig zB bei einer Markenlizenz ein Bereich von 0,5 % bis zu 10 % auszumachen, bei der reinen Markenlizenz (ohne Know-how) für typische Konsumgüter wie Textilien oder Kosmetika sind Lizenzgebühren zwischen 2 % und 6 % üblich 272. cc) Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Lizenzgebühren und Verzug des 247 Lizenznehmers. Die Entstehung des Anspruchs auf Zahlung der Lizenzgebühren richtet sich nach dem hierfür vertraglich vereinbarten Zeitpunkt, das ist in der Regel die den Lizenzgebührenanspruch auslösende Nutzungshandlung (Herstellung, Verkauf etc). Fälligkeit liegt vor, sobald der Lizenzgeber von seinem Lizenznehmer die Zahlung verlangen kann (§ 271 BGB). Das kann durch den Vertrag beliebig vereinbart werden. Bei Zweifeln finden die Auslegungsregeln der §§ 187 bis 193 BGB (§ 186 BGB) hinsichtlich der festgelegten Fristen und Termine Anwendung. So kann die Fälligkeit zB auf den Vertragsabschluss mit dem Kunden des Lizenz- 248 nehmers, die Fertigstellung oder die Lieferung der Gegenstände, die Rechnungsstellung an den Kunden oder den Eingang der Zahlung des Kunden beim Lizenznehmer bezogen werden, wodurch sich die Fälligkeit jeweils verschieben kann. Dem Interesse des Lizenzgebers entspricht es regelmäßig, dass Fälligkeit und Entstehung des Anspruchs gleichzeitig bzw zeitnah, und zwar wenn möglich, zu dem frühesten Nutzungstatbestand (zB die Herstellung des Lizenzgegenstandes bzw die Rechnungslegung) erfolgen. Sind die Lizenzgebühren anhand des Lizenznehmerumsatzes zu ermitteln, so werden diese erst fällig, wenn die entsprechende wirtschaftliche Bezugsgröße für den vereinbarten Zeitraum bestimmt werden kann. Das gilt bspw, wenn ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes mit dem Lizenzprodukt innerhalb eines bestimmten Zeitraums als Lizenzgebühr abzuführen ist. In diesem Fall wird der Lizenzgebührenanspruch erst mit Eingang der Zahlung beim Lizenznehmer fällig. Überwiegend wird der Lizenznehmer aber verpflichtet sein, dem Lizenzgeber eine Abrechnung vorzulegen, deren Erstellung dann erst die Fälligkeit auslösen soll. Zwar kann der Zeitpunkt der Fälligkeit beliebig bestimmt werden, doch wird unter 249 Berücksichtigung der betrieblichen Abläufe des Lizenznehmers und des wirtschaftlichen 267
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BGH GRUR 2003, 789, 790 – Abwasserbehandlung; BGH GRUR 2002, 801, 803 – Abgestuftes Getriebe; BGH GRUR 2006, 136, 137 – Pressefotos. BGH GRUR 2006, 136, 138 – Pressefotos. Hierzu ausf Kuebart passim. Vgl etwa bei Lizenzsätzen für technische Erfindungen die ausführlichen Übersichten
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bei Hellebrand/Kaube/von Falckenstein Lizenzsätze für technische Erfindungen. Vgl Ingerl/Rohnke vor §§ 14–19 MarkenG Rn 116; BGH GRUR 1966, 375, 378 – Meßmer Tee: 1 %; OLG München OLGReport 1995, 162 – Lancome/Flacon: 3 %–10 %. S hierzu im Einzelnen Rohrer Lizenzgebühren Rn 153 ff.
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Interesses des Lizenzgebers üblicherweise eine halbjährliche oder jährliche, nach dem Geschäftsjahr des Lizenznehmers bestimmte Fälligkeit geregelt, soweit es sich um laufende Lizenzgebühren handelt 273. Die wirtschaftliche Bedeutung des Lizenzgegenstandes und die davon abhängige Höhe der Lizenzgebühr, evt auch die Bonität des Lizenznehmers, können uU auch zu kürzeren Abrechnungszeiträumen führen. Bei einem Zahlungsverzug des Lizenznehmers iSv §§ 286, 287 BGB greifen mangels abweichender Regelungen die Vorschriften über die gesetzlichen Verzugszinsen (§§ 288, 352 BGB). Verzug liegt bei schuldhafter Nichtleistung der Lizenzgebühren trotz Fälligkeit und Mahnung durch den Lizenzgeber vor. Eine Mahnung ist unter anderem gem § 286 Abs 1 Nr 1 BGB entbehrlich, wenn für die Leistung der Lizenzgebühren eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist die vertragliche Festlegung eines unmittelbar oder mittelbar bestimmten Kalendertages 274. Bei § 286 BGB handelt es sich nicht um zwingendes Recht, so dass die Parteien andere Vereinbarungen über den Eintritt des Zahlungsverzugs treffen können, zB dessen automatischen Eintritt bei der Überschreitung bestimmter Fristen. Auch die Höhe der zu entrichtenden Verzugszinsen kann vertraglich abweichend vereinbart werden. Geschieht dies nicht, gilt § 288 Abs 2 BGB, wonach eine Geldschuld zwischen Unternehmen für die Dauer des Verzugs mit 8 % über dem Basiszinssatz (§ 247 BGB) zu verzinsen ist (siehe auch § 352 HGB) 275. Nach § 288 Abs 4 BGB ist daneben die Geltendmachung eines weiteren Schadens durch den Lizenzgeber nicht ausgeschlossen. Da dessen Nachweis jedoch im Einzelfall mit Schwierigkeiten verbunden sei kann 276, sollte der Lizenzgeber versuchen, erhöhte Verzugszinsen als pauschalierten Schadensersatz oder Sicherheiten für die Erfüllung der Zahlungspflicht zu vereinbaren. Der Verzug des Lizenznehmers kann uU, grundsätzlich aber erst nach vorausgegangener Abmahnung, auch ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 BGB begründen 277. Liegt ein Fall des § 323 Abs 2 BGB vor, bedarf es einer Abmahnung gem § 314 Abs 2 S 2 BGB nicht 278. Die weitergehende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird gem § 314 Abs 4 BGB durch eine Kündigung nicht ausgeschlossen. dd) Abrechnung; Pflicht zur Auskunft und Rechnungslegung. Auch ohne vertragliche Regelung besteht für den Lizenzgeber neben dem Anspruch auf Abrechnung durch den Lizenznehmer auch ein Anspruch auf Auskunft und ggf Rechnungslegung, damit sich der Lizenzgeber über den Umfang der Nutzung durch den Lizenznehmer informieren kann. Ohne Bestimmung eines Abrechnungszeitraums ist innerhalb angemessener, das bedeutet faktisch einzelfallabhängiger, Frist abzurechnen 279. Vertraglich ausdrücklich geregelt werden sollte demnach der Zeitpunkt der Abrechnungserteilung (zB zwei bis vier Wochen nach Ablauf des Abrechnungszeitraums), Form und Inhalt der Abrechnung (zB Zahl der gelieferten Gegenstände mit fortlaufenden Nummern, Rechnungs-/Lieferdatum,
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Henn Rn 270; abweichend Pfaff/Osterrieth Lizenzverträge B Rn 100, die von einer vierteljährlichen Fälligkeit als üblich ausgehen. Vgl die Beispiele bei Palandt/Heinrichs § 286 BGB Rn 22. Basiszinssatz am 1.1.2008 = 3,32 %, der gesetzliche Zins beträgt demgemäß 11,32 %. Groß Rn 135.
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Vgl zum früheren Recht BGH GRUR 2003, 982, 983 – Hotelvideoanlagen. Zur Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung wegen ernstlicher und eindeutiger Erfüllungsverweigerung nach früherem Recht BGH NJW 1991, 1822, 1823 f; BGH NJW 1992, 235; OLG Düsseldorf WiB 1997, 934 f. Groß Rn 138.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Preise, Rabatte, Nebenkosten) sowie der Zahlungstermin (zB zum Ende des Monats, in dem die Abrechnung erteilt werden muss). Verletzt der Lizenznehmer seine Abrechnungspflicht, steht dem Lizenzgeber – nach Fristsetzung gem §§ 280, 281 BGB – ein Anspruch auf Schadensersatz und/oder ggf das Recht zur Kündigung des Lizenzvertrags aus wichtigem Grund gem § 314 BGB zu 280. Zudem ist es möglich, eine Vertragsstrafe im Falle der nicht ordnungsgemäßen Abrechnung zu vereinbaren 281. In der konkreten Ausgestaltung von Inhalt und Umfang des Auskunfts- und ggf Rech- 256 nungslegungsanspruchs sind die Vertragsparteien frei; je nach vertraglicher Regelung kann der Lizenznehmer also umfangreichen Abrechnungs-, Kontroll-, Nachweis-, Offenbarungs- und Rechenschaftspflichten unterliegen oder nicht. Haben die Lizenzvertragsparteien Inhalt und Umfang des Auskunftsanspruchs, dem ggf eine weitergehende Rechnungslegungspflicht iSv § 259 BGB folgt, nicht festgelegt, ergeben sich Inhalt und Umfang unter Berücksichtigung der Grenzen von Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (§ 242 BGB) aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Einbeziehung der Verkehrsübung 282. Im Zweifel hat der Lizenznehmer über die hergestellten bzw ausgelieferten Mengen und den Zeitpunkt der Lieferung Auskunft zu geben 283. Ein allgemeiner Anspruch des Lizenzgebers auf Überprüfung der Richtigkeit der Angaben des Lizenznehmers besteht jedoch nicht 284. Die Pflicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über die Richtigkeit der erteilten Auskünfte kann den Lizenznehmer bzw sein Organ für den Fall treffen, dass der Lizenzgeber sich auf konkrete Anhaltspunkte stützen kann, nach denen der Lizenznehmer seine Angaben nicht ordnungsgemäß iSv § 259 BGB gemacht hat 285. Ein dahingehender Anspruch besteht allerdings grds erst nach Rechnungslegung durch den Lizenznehmer 286, kann also nicht bereits im Voraus geltend gemacht werden. Bei Einräumung einer Unterlizenz umfasst die Rechnungslegungspflicht des Haupt- 257 lizenznehmers auch die Umsätze/Stückzahlen des Unterlizenznehmers, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung bedarf 287. Bei Verletzung der Auskunfts- und Rechnungslegungsfrist seitens des Lizenznehmers 258 kann der Lizenzgeber seine Rechte klageweise geltend machen. Gleiches gilt für den Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 259 Abs 2 BGB). Zudem kann sich bei fortgesetzter Falschauskunft unter Umständen ein Recht des Lizenzgebers zur Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) ergeben. ee) Verjährung/Verwirkung. Die Ansprüche auf Zahlung der Lizenzgebühr unter- 259 liegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) 288. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in 260 dem der Lizenzgebührenanspruch entstanden, das bedeutet in der Regel fällig, ist und der Lizenzgeber von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des 280 281 282 283
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Groß Rn 139. Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 224. Allgemein zum Erfinderrecht BGH GRUR 2002, 801, 803 f – Abgestuftes Getriebe. RGZ 127, 243; RG GRUR 1936, 943, 946; zu den in die Abrechnung aufzunehmenden Angaben Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 223; Groß Rn 136 ff; zum Umfang der Rechnungslegungspflicht BGH GRUR 1997, 610, 611 f – Tinnitus-Masker. Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 221 mHa
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BGH GRUR 1953, 114, 118; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 127; aA Henn Rn 271 mwN. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 127. Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 146 mHa BGH vom 9.5.1978 – X ZR 17/75 nv. BGH GRUR 1953, 114, 118 – Reinigungsverfahren; Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 225. Bartenbach, B Mitt 1003, 101, 112.
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Schuldners (Lizenznehmer) Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Im Zweifel ist für die Kenntnis der den Lizenzanspruch begründenden Umstände bei laufenden Lizenzgebühren auf die Kenntnis der für ihre Berechnung maßgeblichen Faktoren abzustellen, die sich aus einer Abrechnung oder Auskunft etc des Lizenznehmers ergeben kann. Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist setzt also in der Regel eine Abrechnung samt Auskunft/Rechnungslegung durch den Lizenznehmer voraus. Ohne Rücksicht auf diese Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis verjähren die Lizenzgebührenansprüche allerdings gem § 199 Abs 4 BGB in zehn Jahren von ihrer Entstehung an (also nicht mit Jahresschluss). Ebenfalls der regelmäßigen Verjährung (§ 195 BGB) unterliegen Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung (zB wegen unterlassener Ausübung) 289. Für Markenverletzungsansprüche gilt die besondere Verjährungsfrist des § 20 MarkenG, der wiederum auf die allgemeinen Verjährungsregelungen des BGB verweist. Sonstige im Rahmen des Lizenzvertragsverhältnisses entstehende Schadensersatzansprüche verjähren nach der speziellen Regelung des § 199 Abs 3 BGB. Die §§ 203 ff BGB regeln Hemmung und Neubeginn der Verjährung. Die Hemmung der Verjährung tritt nach § 203 BGB zum einen bei Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände ein und dauert fort, bis durch eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert wird. Weitere wichtige Hemmungstatbestände bilden die Klageerhebung nach § 204 Abs 1 Nr 1 BGB und nach § 204 Nr 11 BGB der Beginn eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1044 ZPO). Darunter fallen auch Schiedsverfahren im Ausland 290. Der Lizenznehmer kann der Geltendmachung des Lizenzgebührenanspruchs durch den Lizenzgeber den Einwand der Verwirkung entgegenhalten, wenn der Lizenzgeber den Anspruch über längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat, der Lizenznehmer sich darauf eingerichtet hat und darauf auch einrichten durfte, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werde, und deswegen die verspätete Geltendmachung durch den Lizenzgeber gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt 291. Für die einer solchen Verwirkung zugrundeliegenden Umstände (Zeit-/Umstandsmoment) ist der Lizenznehmer darlegungs- und beweispflichtig 292. Der Verwirkung können auch Gewährleistungsansprüche des Lizenznehmers unterliegen 293. Der Einwand der Verwirkung vertraglicher Ansprüche im Lizenzvertragsrecht dürfte mit Blick auf die durch die Schuldrechtsreform eingeführten verkürzten Verjährungsfristen (zB regelmäßige Verjährungsfrist früher 30 Jahre jetzt 3 Jahre) nur noch in Ausnahmefällen greifen und auf Fälle der Verjährungshöchstfristen gem § 199 Abs 3 und 4 BGB beschränkt sein. ff) Dauer der Lizenzgebührenpflicht – Vertragsdauer, Wegfall oder Beschränkung des lizenzierten Schutzrechts.294 Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Zahlung der Lizenz289 290 291 292 293
294
Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 220. Palandt/Heinrichs § 204 BGB Rn 26 mHa AmtlBegr in BT-Drucks 14/7052, 181. BGH GRUR 2006, 401 ff – Zylinderrohr. Bartenbach Patentlizenz- und Know-howVertrag Rn 1854. BGH GRUR 1961, 466, 467 – Gewinderollkopf; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 134. RGZ 86, 45, 50 ff; BGH GRUR 1957, 595,
926
596 f – Verwandlungstisch; BGH GRUR 1958, 175, 177 – Wendemaschine II; BGH GRUR 1961, 466, 468 – Gewinderollkopf; BGH GRUR 1969, 409, 410 – Metallrahmen; BGH GRUR 1969, 677, 678 – Rüben-Verladeeinrichtung, BGH GRUR 1977, 107, 109 – Werbespiegel; BGH GRUR 1983, 237, 238 f – Brückenlegepanzer I; BGH WRP 2005, 1415, 1417 – Vergleichempfehlung II; vgl hierzu auch TB BKartA
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§5
Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
gebühren solange, wie der Lizenzvertrag selbst besteht, es sei denn die Parteien haben eine andere Regelung getroffen. In Ausnahmefällen sind Lizenzgebühren über den gesetzlichen Ablauf des Schutzrechts hinaus zu zahlen, falls vor Schutzrechtsablauf hergestellte Lizenzprodukte noch danach vertrieben werden 295. Wird eine Marke wegen eines Widerspruchs oder wegen Nichtigkeit ganz oder teil- 266 weise gelöscht, gelten die Wirkungen der Eintragung gem §§ 42, 43, 50, 51, 52 MarkenG als von Anfang an nicht eingetreten. Daher können (bisherige) Schutzrechtsverletzungen markenrechtlich keine Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche mehr nach sich ziehen; auch evt Umsatzeinbußen aufgrund der Nutzung durch Dritte muss der ausschließliche Lizenznehmer in diesen Fällen hinnehmen 296. Diese allein auf das Schutzrecht bezogenen Rechtswirkungen ändern aber nichts an der Wirksamkeit des Lizenzvertrages. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bleibt die Vorzugsstellung des Lizenznehmers bis zum Widerruf oder zur Nichtigerklärung des Schutzrechts erhalten, solange die Mitbewerber dieses respektieren 297. Mithin besteht die Verpflichtung zur Zahlung der Lizenzgebühren grundsätzlich solange, wie das Vertragschutzrecht besteht. Die wechselseitigen Pflichten aus dem Lizenzvertrag, vor allem aber der Anspruch auf Zahlung der Lizenzgebühren, entfallen nicht aufgrund bloßer Vernichtbarkeit des Vertragsschutzrechts bzw Vorliegens von Nichtigkeits-, Versagungs- oder Löschungsgründen 298. Die „Beschränkung im Geschäftsverkehr“, die in der Lizenzgebührenpflicht zu sehen ist, kann, solange die durch das bereits entstandene Schutzrecht bestehende Vorzugsstellung andauert, auch nicht über den Inhalt des Schutzrechts iSv § 1 GWB nF (§ 20 Abs 1 GWB aF) hinausgehen 299, so dass einer entsprechenden Lizenzgebührenpflicht des Lizenznehmers auch keine kartellrechtlichen Bedenken entgegenstehen. Diese Grundsätze finden bis zur rechtskräftigen Versagung einer lizenzierten Schutzrechtsanmeldung entsprechende Anwendung 300. Auch wenn das Schutzrecht weiter verwertet wird, kann die Pflicht zur Zahlung der 267 Lizenzgebühren nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) allerdings dann entfallen, wenn dem Lizenznehmer wegen offenbar oder wahrscheinlich gewordener Vernichtbarkeit des Schutzrechts dessen wirtschaftliche Vorteile derart entzogen werden, dass die Weiterzahlung für die Zukunft unzumutbar ist 301. Das gilt vor allem dann wenn die Vorzug-
295 296 297
298
1983/84, 40; Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 182 ff; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 179; Kraßer/Schmid GRUR Int 1982, 324, 339; Preuß GRUR 1974, 623 ff; Körner GRUR 1982, 341 ff. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 102; Bartenbach/Söder Mitt 2007, 353, 361 ff. Vgl zum Patentrecht BGH WRP 2005, 1415, 1418 – Vergleichsempfehlung II mwN. BGH GRUR 2002, 787, 789 – Abstreiferleiste; bestätigt durch BGH WRP 2005, 1415, 1418 – Vergleichsempfehlung II. BGH GRUR 1958, 175, 177 – Wendemaschine II; BGH GRUR 1969, 409, 410 – Metallrahmen; BGH GRUR 1969, 677, 678 – Rüben-Verladeeinrichtung; BGH GRUR 1977, 107, 109 – Werbespiegel; BGH GRUR 1983, 237, 238 f – Brückenlegepanzer I;
299 300
301
Preuß GRUR 1974, 623 ff; Kraßer GRUR Int 1990, 690, 611, 612 f; der Patentinhaber kann durch Rechtsmittel im Nichtigkeitsverfahren natürlich den Eintritt der Rechtskraft hinauszögern; vgl zur Beendigung der Lizenzzahlungspflicht in diesem Fall OLG Braunschweig GRUR 1964, 344. BGH GRUR 1969, 677, 678 – Rüben-Verladeeinrichtung. BGH GRUR 1965, 160, 162 – Abbauhammer; BGH GRUR 1969, 677, 680 – Rüben-Verladeeinrichtung; Pfaff/Osterrieth B I Rn 94. BGH GRUR 1977, 784, 786 – Blitzlichtgeräte; BGH GRUR 1990, 667, 668 – Einbettungsmasse; BGH GRUR 2002, 609, 610 – Drahtinjektionseinrichtung, zu § 10 ArbEG.
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stellung des Lizenznehmers obsolet wird, weil seine Konkurrenten das Schutzrecht nicht mehr beachten 302. Nach dem BGH 303 gelten diese Grundsätze auch für die einfache Lizenz. Die fakti268 sche Vorzugsstellung des Lizenznehmers bis zum Schutzrechtswegfall ergibt sich hier aber bereits aus der „ungestörten Benutzung“ ohne Benutzungsverbote des Schutzrechtsinhabers 304. Ist mit dem Lizenzvertrag über das Schutzrecht ein (tatsächlich genutzter) Know269 how-Lizenzvertrag verbunden und fällt das lizenzierte Schutzrecht weg, ist die Lizenzgebühr für die weitere Nutzung des Know-hows nach § 313 BGB anzupassen 305. Gleiches gilt für einen Lizenzvertrag über mehrere Schutzrechte bei Wegfall eines dieser Schutzrechte 306. Besteht bei einem solchen Lizenzvertrag die Lizenzgebührenpflicht in einer Einmalzahlung 307, muss die Lizenzgebühr für das entfallene Schutzrecht ermittelt werden. Lizenzgeber und Lizenznehmer können die vorstehenden Rechtsfolgen durch andere 270 Regelungen im Lizenzvertrag abändern, etwa (i) eine vollständige oder teilweise Rückzahlung der Lizenzgebühr bei rückwirkender Nichtigkeit des Vertragsschutzrechts oder (ii) eine (vorläufige) Aussetzung der Pflicht zur Lizenzgebührenzahlung im Falle der Erhebung einer Löschungsklage mit einer vom Ausgang des Verfahrens abhängigen Nachzahlung vereinbaren 308.
271
gg) Lizenzgebühren für Nutzungshandlungen des Unterlizenznehmers. Ob der Lizenznehmer für Nutzungshandlungen des Unterlizenznehmers im Verhältnis zum Hauptlizenzgeber zur Zahlung von Lizenzgebühren verpflichtet ist, richtet sich nach dem Lizenzvertrag. Eine solche Verpflichtung kann als Beteiligung an den Unterlizenzgebühreneinnahmen des Unterlizenzgebers oder als Zahlung eines oder mehrerer Festbeträge ausgestaltet werden. Im Zweifel gilt bei der Stück- oder Umsatzlizenz, dass der Hauptlizenznehmer für die Benutzung durch den Unterlizenznehmer die gleichen Lizenzgebühren zu zahlen hat, wie dies bei eigener Benutzung der Fall wäre 309. Sind in der zwischen Hauptlizenzgeber und Hauptlizenznehmer vereinbarten Lizenzgebühr jedoch Anteile für weitergehende Leistungen des Hauptlizenzgebers enthalten, wie etwa Schulungen oder besondere Gewährleistungen etc, so sind diese ggf herauszurechnen. Für den Eintritt der Fälligkeit der Lizenzgebühren, die der Hauptlizenznehmer aus der Unterlizenz zu zahlen hat, gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei seiner Eigennutzung, wenn mit dem Hauptlizenzgeber keine andere Abrede getroffen wurde. Haben Hauptlizenzgeber und Hauptlizenznehmer eine Pauschallizenzgebühr verein272 bart, dürfte eine Gebührenpflicht des Hauptlizenznehmers betreffend die Nutzungshand302
303 304 305
BGH GRUR 1990, 667, 668 – Einbettungsmasse; BGH GRUR 2002, 609, 610 – Drahtinjektionseinrichtung zu § 10 ArbEG. BGH GRUR 1983, 237, 239 – Brückenlegepanzer I. BGH GRUR 1983, 237, 239 – Brückenlegepanzer I. Für reine Know-how-Verträge vgl die Entscheidung der EU-Kommission vom 22.12. 1987 GRUR Int 1988, 505, 508 – RichProducts/Jus-rol, in der die Kommission die Weiterzahlung von Lizenzgebühren auch nach Offenkundigwerden des Know-hows nicht beanstandet hat.
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309
Bei teilweisem Wegfall eines lizenzierten Schutzrechts nach § 64 PatG bleibt der Lizenznehmer zur Gegenleistung verpflichtet, die allerdings meist zu mindern sein wird (BGH GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch). BGH NJW 1982, 2861, 2862 f – Hartmetallkopfbohrer; GRUR 1982, 341, 343. Zur kartellrechtlichen Bewertung der Verpflichtung zur Zahlung der Lizenzgebühr nach Erlöschen des Schutzrechts s Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1870 ff. Ebenso Groß Rn 234.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
lungen des Unterlizenznehmers anders zu bewerten sein. Wird ein Recht zur Unterlizenzvergabe und im bewussten Zusammenhang damit eine Pauschalgebühr geregelt, so ist anzunehmen, dass sie auch die Nutzungshandlungen des Unterlizenznehmers erfasst. b) Währungs- und Wertsicherungsklauseln. Ein Lizenzvertrag mit Auslandsbezug ent- 273 hält regelmäßig eine Währungsklausel, durch die bestimmt wird, welche Währung für die Berechnung der Lizenzgebühr gelten soll. Zu beachten ist, dass der Parteiwille dahin geht, dass die Währungsklausel auch die sonstigen Entgeltforderungen, bspw Vertragsstrafen, Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Lizenzvertrag, Zinsen etc, einbezieht. Eine ausdrückliche Regelung empfiehlt sich demgemäß auch unabhängig von § 244 BGB. Ist eine solche unterblieben, wird angenommen 310, dass der Lizenznehmer frei zwischen der Landeswährung des Lizenzgebers und seiner eigenen wählen kann. Im Zweifel ist die Zahlung in der Landeswährung des Erfüllungsortes anzunehmen. Durch Wertsicherungsklauseln sollen inflationäre Entwicklungen im Zusammenhang 274 mit der Vereinbarung über die Lizenzgebühr berücksichtigt werden. Einer solchen bedarf es regelmäßig nicht bei der Umsatzlizenz, da der Lizenzgeber hier einen prozentualen Anteil vom Umsatz des Lizenznehmers erhält, somit bei Erhöhung der Verkaufspreise durch den Lizenznehmer die Lizenzgebühr ebenfalls steigt. c) Die Ausübungspflicht des Lizenznehmers (best efforts). Die Ausübungspflicht dient 275 dem Lizenzgeber zur Sicherung seiner durch den Lizenzvertrag angestrebten angemessenen Beteiligung an der Nutzung des Schutzrechts durch den Lizenznehmer. Dazu kann die Verpflichtung des Lizenznehmers vereinbart werden, mit der Herstellung der lizenzierten Waren in einem vereinbarten Zeitraum zu beginnen, diese in einer vereinbarten (Mindest-)Menge zu produzieren und im Zusammenhang mit deren Inverkehrbringen gewisse Werbemaßnahmen zu ergreifen. Ein weiterer Zweck der Ausübungspflicht kann darin bestehen, dass der Lizenzgeber durch sie eine Gegenleistung für zusätzliche Informationen hinsichtlich der Herstellung der lizenzierten Waren erhält, für die keine Entgeltregelung getroffen wurde. Zudem wird dadurch eine Präsenz am Markt erreicht, was für den Lizenzgeber ein wichtiger Faktor sein kann, wenn er in Zukunft selbst in diesem Bereich tätig sein will. Ist die Ausübungspflicht nicht konkret vertraglich geregelt, kommt es maßgeblich auf 276 den Willen der Vertragsparteien an, der anhand des Vertrages selbst, des damit erstrebten Zwecks und der vorvertraglichen Verhandlungen zu ermitteln ist, §§ 133, 157 BGB 311. Als aus § 242 BGB hergeleitete Pflicht ist die Ausübungspflicht insbesondere nach dem Gebot von Treu und Glauben 312 und unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit 313 zu bestimmen. Für die Zumutbarkeit ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Die Ausübungspflicht ist auf den Umfang des lizenzierten Schutzrechts beschränkt. So ist zB nach allgemeiner Meinung die Einräumung einer ausschließlichen Lizenz Indiz für die Übernahme eines (stillschweigenden) Ausübungszwangs durch den Lizenznehmer.314 Die Vereinbarung einer ausschließlichen Lizenz ist jedoch kein zwin310 311 312 313
314
Groß Rn 438 mwN; Henn Rn 276 mit Formulierungsvorschlägen für Vertragsklauseln. Henn Rn 280. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 129; BGH GRUR 1978, 166 – Banddüngersteuer. BGH GRUR 2000, 138, 139 – Knopflochnähmaschine; Henn Rn 283; Groß Rn 164. KG GRUR 1939, 66; BGHZ 52, 55, 58;
BGH GRUR 2000, 138 Knopflochnähmaschine; BGH GRUR 2003 173, 175 – Filmauswertungspflicht; Busse/Keukenschrijver § 5 PatG Rn 129; Henn Rn 278; Schade 29, 31 f; Lüdecke/Fischer E 9, 44 f; Groß Rn 151; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 134; Kraßer/Schmidt GRUR Int 1982, 325, 333 f; Lüdecke GRUR 1952, 211, 214; aA offenbar Rasch Der Lizenzvertrag, 55.
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gendes Indiz für die Ausübungspflicht, gegen die etwa die Vereinbarung einer Pauschalgebühr oder feste jährliche Zahlungen trotz Vorliegens der Ausschließlichkeitsabrede sprechen können 315. Andererseits indiziert regelmäßig das Vorliegen einer Stück- oder Umsatzlizenz die Ausübungspflicht316. Festgehalten werden kann, dass eine Ausübungspflicht um so eher anzunehmen ist, je mehr Befugnisse der Lizenznehmer erhält 317. Bei einer einfachen Lizenz ist daher grundsätzlich keine stillschweigende Ausübungspflicht anzunehmen 318. Anders kann dies nach der Rechtsprechung zu bewerten sein, wenn die Lizenzvergütung auf Stücklizenzbasis erfolgt 319 oder durch eine sog Anlaufklausel eine Erhöhung des Lizenzsatzes bei Ansteigen der Umsätze des Lizenznehmers geregelt wurde; außerdem dann, wenn der Lizenznehmer vom Lizenzgeber zusätzlich umfangreiche erhebliche Informationen zur Nutzung des Schutzrechts erhält oder der Lizenzgeber andere (kostenintensive) Verpflichtungen eingeht (zB Beteiligung an Kosten des Marketings etc) 320. Diese zusätzlichen Leistungen würde der Lizenzgeber im Falle der Verneinung einer Ausübungspflicht unentgeltlich erbringen 321. Hiervon ist im Zweifel nicht auszugehen. Vereinbaren die Parteien im Rahmen einer einfachen Lizenz eine Mindestlizenzgebühr, deutet dies darauf hin, dass dem Ausübungsanliegen des Lizenzgebers damit Genüge getan ist 322, insbesondere da der Lizenznehmer das Risiko des Erreichens des vereinbarten Mindestabsatzes trägt. Aus der Ausübungspflicht ergibt sich auch, dass der Lizenznehmer im Rahmen seiner Produktion die ihm vorgegebenen Qualitätserfordernisse beachten muss 323 (zB Vorgaben für das zu verwendende Material etc). Ob der Lizenznehmer sich daran hält, kann der Lizenzgeber nur überprüfen, wenn ihm entsprechende Kontrollrechte, zB in Form einer Stichprobenentnahme, eingeräumt wurden. Aus dem berechtigten Interesse des Lizenzgebers an der Einhaltung der Qualitätsvorgaben lässt sich jedoch nur eine auf den Lizenzbereich beschränkte Kontrolle ableiten. Fraglich ist, inwieweit im Rahmen einer vertraglich nicht näher ausgestalteten Ausübungspflicht zugunsten des Lizenzgebers eine Verpflichtung des Lizenznehmers zur Einschaltung von besonders qualifizierten Drittfirmen (verlängerte Werkbank) 324, zur Errichtung einer strukturierten Absatzorganisation und zur Durchführung von Werbemaßnahmen zu bejahen ist. Da der Lizenznehmer letzteres jedoch regelmäßig schon im eigenen wirtschaftlichen Interesse veranlassen wird, bedarf es hierzu nicht der Annahme einer besonderen Verpflichtung, wenn sich nicht aus dem Inhalt des Lizenzvertrages etwas anderes ergibt 325. 315 316
317 318
319
Schade 39 f; Reimer § 9 PatG aF Rn 55. Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 134 mwN; zur Stücklizenz RG GRUR 1937, 37, 38; RGZ 134, 91, 98; BGH GRUR 1961, 470, 471 – Mitarbeiterkunde; BGHZ 52, 55, 58 – Frischhaltegefäß; BGH GRUR 2000, 138 – Knopflochnähmaschine. Lüdecke/Fischer E 9, 44 f. Rasch Der Lizenzvertrag, 39; Schade 34; Henn Rn 278; Groß Rn 152; Groß GRUR 1951, 369, 370. RG GRUR 1937, 37, 38; KG GRUR 1935, 892, 893; BGH GRUR 1961, 470, 471 – Mitarbeiterurkunde; BGH GRUR 1980, 38, 40 – Fullplastverfahren mit Anm Schricker Mitt 1980, 31 ff.
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320
321 322 323 324
325
BGH GRUR 2003, 173, 175 – Filmauswertungspflicht, dort bei einem Filmverleihvertrag. Groß Rn 152. Schade 41 f; Henn Rn 279; anders Pagenberg/Geissler Muster 1 Rn 169. Paff/Osterrieth B Rn 115 ff; Groß Rn 156 ff. S dazu Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 137 mHa BGH vom 10.10.1967 – X ZR 16/65 nv, dort bejaht. Groß Rn 162; aA die wohl hM, die von einer Werbepflicht ausgeht, ua Henn Rn 284, Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 147; differenzierend Pfaff/Osterrieth B Rn 123 f.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Ob dem Lizenznehmer mit Blick auf eine möglichst umfangreiche Auswertung des Schutzrechts zudem die Verpflichtung obliegt, die Verwertung des Lizenzgegenstandes auch unter Einschaltung fremder Werkstätten zu erbringen, ist einzelfallabhängig. Erklärt sich der Lizenznehmer etwa „unter Einsatz aller Mittel zur Förderung und Auswertung eines Schutzrechts bereit“, folgt daraus noch nicht die Verpflichtung zum Einsatz dritter Unternehmen zur Erfüllung der Ausübungspflicht; denn diese Formulierung soll regelmäßig nur die betrieblichen Möglichkeiten des Lizenznehmers betreffen, ohne dass die Lizenzvertragsparteien dabei die Einbeziehung dritter Unternehmen im Sinn haben. Ist vertraglich nichts anderes vereinbart, muss der Lizenznehmer die Ausübungspflicht allerdings auch nicht persönlich erbringen, sondern er kann von sich aus Dritte im Rahmen der Auftragsfertigung einschalten. Ob und wann er von diesem Recht Gebrauch macht bzw machen muss, ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu entscheiden. Für den Beginn der Ausübungspflicht lassen sich keine allgemeingültigen Regeln aufstellen. Ist vertraglich dazu nichts vereinbart, ist zu beachten, dass dem Lizenznehmer in der Regel eine gewisse Anlauffrist zuzugestehen ist und es grundsätzlich seiner Entscheidung obliegt, wann er mit der Ausübung beginnt und seine Waren auf dem Markt anbietet, denn das wirtschaftliche Risiko der Rentabilität seiner Nutzung liegt im Zweifel allein bei ihm 326. Hinsichtlich der Dauer der Ausübungspflicht ist jedoch stets der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu beachten. Ist die Erfüllung der Ausübungspflicht für den Lizenznehmer unzumutbar, so entfällt sie 327 oder besteht nur noch eingeschränkt 328. Die Unzumutbarkeit kann sich für den Lizenznehmer zB daraus ergeben, dass er wegen wirtschaftlicher Gründe gehindert ist, den Lizenzgegenstand herzustellen oder zu vertreiben 329. Für das Vorliegen der Unzumutbarkeit ist der Lizenznehmer darlegungs- und beweisbelastet 330. Dazu muss er im Einzelfall die Marktsituation und die Aktivitäten, die er unternommen hat, um eine wirtschaftliche Herstellung und/oder Vertrieb zu gewährleisten, darstellen und darlegen, inwiefern eigene oder sonst verfügbare Fertigungsmöglichkeiten genutzt und Werbemaßnahmen ergriffen wurden 331. Offengelassen hat der BGH 332 in einer seiner Entscheidungen allerdings, ob der Lizenzgeber für den Fall, dass die Ausübungspflicht wegfällt, den gesamten Vertrag, zB durch Kündigung, einseitig lösen darf und bis wann dies billigerweise erfolgen kann. Statt eines Wegfalls der Ausübungspflicht können sich aus § 242 BGB jedoch auch Ansätze für eine Umgestaltung (§ 313 BGB) des Vertragsverhältnisses ergeben. Liegen die technischen bzw wirtschaftlichen Probleme nur bei dem Lizenznehmer vor, so dass allein er zur Herstellung und/oder zum Vertrieb nicht in der Lage ist, dies anderen Wettbewerber aber möglich wäre, so ist ein Recht zur Kündigung des Lizenzvertrags durch den Lizenzgeber in Betracht zu ziehen. Denn in einem solchen Fall kann das Festhalten an dem Vertrag für den Lizenzgeber unzumutbar sein bzw werden. Eine neben einer Ausübungspflicht vereinbarte Mindestlizenzgebührenpflicht bleibt unbeschadet eines Wegfalls der Ausübungspflicht bestehen. Der Lizenznehmer muss die 326 327
328
Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 137; Groß Rn 155; Schade 91 f. HM, BGH GRUR 1978, 166 – Banddüngerstreuer; BGH GRUR 2000, 138, 139 – Knopflochnähmaschine; Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 130; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 138; Pfaff/Osterrieth B Rn 112; Groß Rn 164; aA Henn Rn 287. Schade 87 f; Henn Rn 287.
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BGH GRUR 1970, 40, 42 – Musikverleger. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 130 mHa BGH vom 5.1.1962, I ZR 81/60, nv; BGH GRUR 2003, 173 – Filmauswertungspflicht mwN. Ebenso Storch GRUR 1978, 168 mit Anm zu BGB GRUR 1978, 166 ff – Banddüngerstreuer. GRUR 1978, 166 – Banddüngerstreuer.
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Mindestlizenzgebühr also auch dann zahlen, wenn er den Lizenzgegenstand überhaupt nicht nutzt. Bei Verletzung der Ausübungspflicht durch den Lizenznehmer kann der Lizenzgeber 286 nach angemessener Fristsetzung zur Erfüllung (§ 281 BGB) und fruchtlosem Ablauf dieser Frist Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen sowie vom Vertrag zurücktreten (§§ 241, 275, 280, 324, 325 BGB) 333. Im Rahmen des Schadensersatzes hat der Lizenznehmer die Lizenzgebühren zu entrichten, die bei pflichtgemäßer Ausübung des lizenzierten Schutzrechts entstanden wären 334. Neben dem Anspruch auf Schadensersatz kann der Lizenzgeber den Vertrag auch aus wichtigem Grund gem § 314 BGB kündigen (§ 314 Abs 4 BGB). Dabei muss der Lizenzgeber darlegen und beweisen, dass der Lizenznehmer (objektiv) 287 gegen die Ausübungspflicht verstoßen hat 335. Der Lizenznehmer muss demgegenüber darlegen und beweisen, dass er die Nichterfüllung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs 1 S 2 BGB) bzw die Erfüllung unter den konkreten Umständen für ihn unzumutbar geworden war (§§ 275, 280 Abs 1 S 2 BGB) 336. Der entsprechende Schadensersatzanspruch wegen Nichtausübung besteht unbescha288 det einer späteren Nichtigerklärung des lizenzierten Schutzrechts 337.
289
d) Warenbezugspflichten. Besondere Warenbezugspflichten zu Lasten des Lizenznehmers dienen insbesondere zur Einhaltung der vom Lizenzgeber vorgegebenen Qualitätsanforderungen, zur Sicherung des Absatzes an Lizenzgeberprodukten im Vertragsgebiet und zur Flankierung der Lizenzgebührenverpflichtung 338. Hierdurch kann der Lizenznehmer verpflichtet werden, die für die Herstellung der Lizenzprodukte notwendigen Waren vom Lizenzgeber oder einem von diesem bestimmten Dritten zu beziehen. Mit Blick auf die zivilrechtliche Wirksamkeit solcher Vereinbarungen ist selten eine 290 sittenwidrige Knebelung gem § 138 BGB bei derartigen Material-, Rohstoff- oder Vorrichtungsbezugspflichten vorzufinden. Die Frage der Anwendbarkeit der Verbraucherschutzvorschriften des Verbraucher291 kreditgesetzes (VerbrKrG) 339 (früher Abzahlungsgesetz (AbzG)), das im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung durch die §§ 491 ff BGB ersetzt worden ist, auf das Lizenzvertragsrecht ist in der Rechtsprechung vielfach erörtert worden. Auf entsprechende Entscheidungen soll hier aber nur verwiesen werden 340. Der BGH ist zB der Ansicht, dass 333
334 335 336 337
Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 137; zum früheren Schuldrecht BGH GRUR 1959, 616, 618 – Metallabsatz; BGH GRUR 1980, 38, 40 – Fullplastverfahren; BGH NJW 1983, 1188, 1189 – Persönlichkeiten Europas; BGH GRUR 2003, 173, 175 – Filmauswertungspflicht; LG München I InstGE 3, 97, 101 f – Überlastungskupplung. BGH GRUR 1980, 38, 40 – Fullplastverfahren; LG München I InstGE 3, 97, 101 f. BGH GRUR 2003, 173, 175 – Filmauswertungspflicht. BGH GRUR 2003, 173, 175 – Filmauswertungspflicht; Henn Rn 283. Busse/Keukenschrijver § 15 PatG Rn 129 mHa BGH vom 10.10.1967 – I a ZR 16/65, nv; BGH GRUR 1977, 107, 109 – Werbespiegel; zur kartellrechtlichen Bewertung
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von Ausübungspflichten vgl Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 1935 ff. Groß Rn 197; Henn Rn 289. Gesetz vom 17.12.1990, BGBl I S 2840, geändert durch Gesetz vom 20.12.1996, BGBl I S 2154. Vgl BGH DB 1995, 1860 ff – CeilingDoctor; anders die Vorinstanz OLG Hamm vom 7.2.1993 – 4 U 121/93, nv; OLG Frankfurt GRUR 1991, 787 (als „Lizenzvertrag“ bezeichnetes Franchising, vermieten von Videofilmen mittels Präsentationsspulen in Supermärkten); BGH DB 1995, 1860, 1861 – Ceiling-Doctor, zu § 2 VerbrKrG. Vgl zur kartellrechtlichen Bewertung von Bezugspflichten Bartenbach Patentlizenzund Know-how-Vertrag Rn 1958 ff.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
ein Franchisevertrag, der eine Verpflichtung zu einem wiederkehrenden Bezug der zu vertreibenden Materialien enthält, von § 2 Nr 3 VerbrKrG (jetzt § 505 Abs 1 Nr 3 BGB 341) erfasst werden kann. e) Nichtangriffsabreden. Aufgrund des auf den Lizenzvertrag anzuwendenden Grundsatzes von Treu und Glauben gem § 242 BGB ließe sich daran denken, dass der Lizenznehmer aus einer vertraglich begründeten besonderen Rücksichtnahmepflicht nicht selbst oder durch Dritte gegen den Bestand des Vertragsschutzrechtes vorgehen darf 342. Andererseits könnte dem ein über den Vertragsinteressen stehendes Interesse an einer möglichst weitgehenden Erhaltung des freien Wettbewerbs entgegenstehen, das formal begründete, aber vernichtbare Vertragsschutzrecht zu beseitigen 343. Fehlt eine vertraglich vereinbarte Nichtangriffsabrede, geht die hM 344 davon aus, dass selbst bei einem ausschließlichen Lizenzvertrag (der keinen gesellschaftsähnlichen Charakter hat und auch sonst eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht erfordert) eine Nichtangriffsabrede nach § 242 BGB nicht zu bejahen ist 345. Nur in Ausnahmefällen kann eine Vertragsauslegung ergeben, dass eine Pflicht des Lizenznehmers anzunehmen ist, das Vertragsschutzrecht nicht anzugreifen 346. Dies zB für den Fall, dass Lizenzgeber und Lizenznehmer bei Vertragsabschluss Kenntnis von der Anfechtbarkeit bzw begründete Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Vertragsschutzrechts hatten. Unter diesem Aspekt sind auch Freilizenzen relevant. Bei der Erteilung einer solchen liegt es nämlich nahe, dass der Lizenzgeber aus besonderen Gründen das Nutzungsrecht ohne Gegenleistung einräumt. Regelmäßig dürfte der Lizenznehmer das Vertragsschutzrecht im Vorfeld angegriffen und sodann gegen Einräumung des unentgeltlichen Benutzungsrechts an diesem seinen Angriff zurückgezogen haben 347. Dies ist jedoch nicht zwingend. So kann auch der Fall vorliegen, dass sich während der Vertragslaufzeit neue beachtliche Nichtigkeitsgründe hinsichtlich der Rechtsbeständigkeit des Vertragsschutzrechtes ergeben, von denen die Parteien bei Vertragsschluss keine Kenntnis hatten. Ist der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag von einem besonderen Treueverhältnis geprägt, so kann sich im Einzelfall auch aus dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Nichtangriffsverpflichtung des Lizenznehmers ergeben. Das kann vor allem bei Lizenzverträgen mit gesellschaftsähnlichem Charakter angenommen werden oder wenn das Vertragsverhältnis ansonsten ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien offenbart.
341 342
343
Palandt/Putzo § 505 BGB Rn 8. Stillschweigend begründete Nichtangriffsabrede, BPatG Blatt 1991, 313, 314 f – Zeigerwerk; BPatGE 36, 177; BPatG vom 22.1.2001 – 9 W (pat) 41/99 nv; aA BPatG GRUR 2005, 182; ausf Winterfeldt in FS 50 Jahre VPP 210 ff. BGH GRUR 1987, 900, 901 – Entwässerungsanlage; BGHZ 10, 22, 23 – Konservendosen; Benkard/Bruchhausen § 15 PatG Rn 141; Kraßer § 42 Ib, 715; Pagenberg/ Geissler Muster 1 Rn 281; Groß Rn 557; Reimer § 13 PatG aF Rn 13, der allerdings beim ausschließlichen Lizenznehmer im
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347
Gegensatz zum einfachen die Klagebefugnis für den Regelfall als einen Verstoß gegen Treu und Glauben bewertet und nicht für zulässig erachtet (Rn 20). BGH GRUR 1956, 264, 265; BGH GRUR Int 1969, 31, 33; BPatG vom 11.12.1973 – 2 Ni 31/72, nv. BPatG vom 14.10.1991 – 4 W (pat) 37/90, nv. BGH GRUR 1971, 243, 245 – Gewindeschneidevorrichtungen; BGH GRUR 1989, 39, 40 – Flächenentlüftung. EuGH GRUR Int 1989, 56, 57 – Nichtangriffsklausel.
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Ist die Nichtangriffsabrede im Einzelfall unwirksam, berührt dies den übrigen Vertragsinhalt nur, soweit diese Teile nicht von der unwirksamen Klausel abtrennbar sind 348. Nach § 139 BGB ist anhand des hypothetischen Parteiwillens im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu überprüfen, ob der Bestand des gesamten Vertrages von der Wirksamkeit der Nichtangriffsklausel abhängig sein sollte. In der Regel wird es im Interesse der Parteien liegen, den Lizenzvertrag in seinem Bestand möglichst zu erhalten 349. Der sachliche Anwendungsbereich der Nichtangriffsabrede erfasst bei der stillschweigend oder ausdrücklich vereinbarten Nichtangriffsabrede die bei Vertragsabschluss vorhandenen Schutzrechte für die Dauer der Vertragslaufzeit. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn schon bei Vertragsabschluss die Beendigung des Lizenzvertrages vor Schutzrechtsablauf feststeht. Daraus, dass die Nichtangriffsabrede restriktiv auszulegen ist, folgt, dass während der Vertragslaufzeit Änderungen des Schutzrechtsbestandes von dieser Klausel grundsätzlich nicht erfasst werden können, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Klauseln, die generell, dh ohne nähere Angaben und ohne Rücksicht auf ihren Gegenstand, darauf abzielen, alle gegenwärtigen und zukünftigen Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldungen des Lizenzgebers vor einem Angriff durch den Lizenznehmer zu schützen, erscheinen bedenklich. Denn sie können zu einer Sicherung des Lizenzgebers auch auf solchen Gebieten führen, die mit den vertraglichen Beziehungen der Parteien gar nicht in Zusammenhang stehen. Dementsprechend tendieren Literatur 350 und BKartA 351 hier dazu, stets einen kartellrechtswidrigen Tatbestand anzunehmen. Eine Nichtangriffsklausel muss bestimmt sein, dh es muss erkennbar sein, welches Schutzrecht sie erfassen soll. Handelt es sich um Schutzrechte, die sich für verschiedene Anwendungsgebiete eignen und bezieht sich der Lizenzvertrag nur auf eines dieser Gebiete, muss der Lizenznehmer trotzdem das Schutzrecht vollumfänglich „schützen“. Ist der Lizenznehmer ein Konzernunternehmen, ist zu beachten, dass die Nichtangriffsabrede zwar den Lizenznehmer bindet, jedoch nicht dessen evt Unterlizenznehmer oder konzernverbundene Gesellschaften. In diesem Zusammenhang ist die rechtliche Selbständigkeit dieser Unternehmen zu berücksichtigen, so dass sich diese zwar durch einen Vertrag zugunsten Dritter (Lizenzgeber) zum Nichtangriff verpflichten können, dies aber nicht automatisch durch die Nichtangriffsabrede zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer erfolgt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus, dass mit Ende der Laufzeit des Lizenzvertrages regelmäßig auch die Nichtangriffsverpflichtung als Teil des Vertrages entfällt 352. Die Nichtangriffsabrede wird meist nur für die Dauer des Lizenzvertrages vereinbart. Nichtangriffsabreden, die sich auf den Zeitraum nach Vertragsbeendigung erstrecken, können kartellrechtlich bedenklich sein (vgl auch Art 5 Abs 1 lit a TT-GVO 2004).
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EuGH GRUR Int 1966, 586, 588 – Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm. BGHZ 17, 41, 59 ff – Kokillenguss; BGH GRUR 1991, 558, 561 – Kaschierte Hartschaumplatten. Immenga/Mestmäcker/Fuchs Wettbewerbsrecht EG TT-VO Rn 325; Bandasch/Lehmhöfer/Horn 27 f; aA Klauer/Möhring/Nirk Anh zu § 9 PatG aF Rn 37.
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TB BKartA 1961, 58, 59; TB BKartA 1964, 53; TN BKartA 1967, 88; TB BKartA 1969, 98; TP BKartA 1972, 96; TB BKartA 1975, 94; TB BKartA 1981/82, 93. BGH GRUR 1965, 135, 137 – Vanal-Patent; BGH GRUR 1971, 243, 245 – Gewindeschneidevorrichtung.
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Allgemeine Grundsätze der Lizenzvertragsgestaltung
Eine Nichtangriffsabrede hindert den freien Wettbewerb allerdings nicht mehr, wenn 302 das Vertragsschutzrecht durch Ablauf der Schutzdauer erloschen ist. Auswirkungen ergeben sich aufgrund des vertragssichernden Aspekts nur noch zwischen den früheren Vertragsparteien. Dieser (rückwirkende) Vertragsschutz ist im Gegensatz zu dem (inzwischen hinfällig gewordenen) Bestandsschutz unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich 353. f) Wettbewerbsverbote für den Lizenznehmer. Durch Wettbewerbsverbote für den 303 Lizenznehmer wird vor allem vereinbart, dass dieser keine Erzeugnisse herstellen und/ oder vertreiben darf, die mit dem Lizenzgegenstand konkurrieren 354. Zu denken ist auch daran, dem Lizenznehmer zu verbieten, ein Konkurrenzverfahren oder eine Marke zu verwenden, die mit dem lizenzierten Erzeugnis, Verfahren oder einer Marke in Wettbewerb steht. Auch die Weitergabe von Betriebsgeheimnissen, die dem Lizenznehmer aufgrund des Lizenzvertragsverhältnisses bekannt geworden sind, kann verboten werden. Schließlich kann ein Wettbewerbsverbot auch den Abschluss von Lizenzverträgen über Wettbewerbsprodukte bzw -verfahren mit Dritten verhindern. Grundsätzlich sind Wettbewerbsverbote nunmehr bei Einhaltung der in Art 3 304 TT-GVO 2004 festgesetzten Marktanteilsschwellen und bei Vorliegen der weiteren Anwendbarkeitsvoraussetzungen nach der TT-GVO 2004 freigestellt, solange sie nicht ausdrücklich von einer der Kernbeschränkungen erfasst werden (Art 4, 5 TT-GVO 2004) 355. g) Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsvereinbarungen. Eine Geheimhaltungsver- 305 pflichtung sollte nicht allein im vorvertraglichen Bereich zur Verhinderung der Weitergabe von im Rahmen der Vertragsverhandlungen ausgetauschten Informationen, deren Geheimhaltung für die jeweilige Vertragspartei von Bedeutung ist, sondern auch in einem nachfolgenden Lizenzvertrag geregelt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn auch begleitendes Know-how überlassen wird. Sie kommt vor allem dann in Betracht, wenn zur Vertragserfüllung jedenfalls auf einer Seite technisches Wissen erforderlich ist oder solches zwischen den Vertragsparteien ausgetauscht wird. Sie kann auch einem eigenständigen Vertragswerk vorbehalten bleiben. Geheimhaltungsvereinbarungen enthalten üblicherweise 356: die Beschreibung der ge- 306 heim zu haltenden Informationen, den Inhalt und Umfang der Vertraulichkeitsverpflichtung, die zeitliche Dauer der Vertraulichkeitsverpflichtung, die Ausnahmen von der Geheimhaltungsverpflichtung, die Absicherung der Verpflichtung durch Vertragsstrafe oder pauschalierten Schadensersatz und schließlich eine Schiedsvereinbarung bzw Gerichtsstandsvereinbarung sowie eine Abrede über das anzuwendende Recht. Bei Regelungen, welche Informationen als vertraulich anzusehen sind, sollte nicht formuliert werden, dass sämtliche zur Verfügung gestellten Informationen der Geheimhaltung unterliegen. Das ist aus Sicht des Adressaten nicht akzeptabel und im Zweifel auch nicht rechtlich durchsetzbar, denn nicht jede Information ist ihrer Natur nach als vertraulich einzustufen 357. Um die vertraulichen Informationen zu identifizieren, kann bereits in der Präambel 307 die (gemeinsame) Zielrichtung der Vertragspartner beschrieben bzw der Gegenstand ge-
353 354 355
BPatG Blatt 1982, 209, 210; Benkard/Ullmann § 15 PatG Rn 144. EU-Kommission GRUR Int 1978, 372, 373 – Campari; Fammler 165. Vgl zur kartellrechtlichen Bewertung von
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Wettbewerbsverboten Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 2120 ff. Eingehend Mummenthey CR 1999, 651, 655 ff mwN. Mummenthey CR 1999, 651, 655.
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nannt werden, über den Informationen ausgetauscht werden sollen. Hierin ist bereits dann eine Einschränkung der Vertraulichkeitsvereinbarung zu sehen, wenn in Zusammenhang mit der Umschreibung der geheim zu haltenden Informationen auf den Zweck des Vertrages verwiesen wird. Es kann auch förmlich eine Kenntlichmachung der überlassenen Unterlagen als „geheim/vertraulich“ vereinbart werden. Denkbar ist auch eine bloß zeitliche Anknüpfung, so dass bspw alle innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Vertragsabschluss übermittelten Informationen als geheim gelten. Zu Lasten des Geheimnisträgers bringt dies allerdings mit sich, dass er stets besorgt sein muss, dass nach Ablauf der Frist übermittelte Informationen nicht mehr als geheim zu qualifizieren sind. Wenig praktikabel dürfte die Festlegung eines nach Vertragsschluss liegenden Zeitraums sein, in dessen Verlauf der Informationsgeber den sachlichen Umfang der geheim zu haltenden Informationen bestimmt. Einen Vertragsverstoß des Informationsempfängers stellt es nämlich dar, wenn er eine erst später als geheim qualifizierte Information schon vorher anderweitig übermittelt hat. Die Festlegung von Inhalt und Umfang der Vertraulichkeitsverpflichtung zielt zunächst darauf, die Weitergabe der Informationen an Dritte zu verhindern. Ein dahingehendes Verbot ist vor allem dann ausdrücklich zu regeln, wenn im Rahmen eines umfangreicheren Vertragswerkes der Informationsempfänger die Nutzungsrechte der lizenzierten Schutzrechtspositionen in einem Unternehmensverbund verteilen kann. Auch die zeitliche Dauer der Vertraulichkeitsvereinbarung sollte bestimmt und dem Innovationszyklus der entsprechenden Branche angepasst werden. Eine solche Befristung erscheint schon unter kartellrechtlichen Aspekten zweckmäßig. Vor allem kartellrechtliche Gesichtspunkte erfordern den Ausschluss bestimmter Fallgruppen aus der Geheimhaltungsverpflichtung, was sich insbesondere auf das allgemein zugängliche Wissen, den eigenen Wissensstand des Informationsempfängers sowohl hinsichtlich des bei Vertragsschluss vorhandenen Know-hows, als auch des Ergebnisses eigener Know-how-Bildung sowie auf das Know-how bezieht, das der Informationsempfänger von außenstehenden Dritten erhält. Vertraulichkeitsvereinbarungen werden wegen der Schwierigkeiten ihrer Durchsetzbarkeit, insbesondere hinsichtlich des konkreten Nachweises eines Schadens durch den schuldhaften Geheimnisverrat, in der Praxis regelmäßig mit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe verbunden 358. Die Vertragsstrafe setzt für den Eintritt ihrer Sanktion nur den Nachweis eines (schuldhaften) Geheimnisverrats voraus und keinen darüber hinausgehenden Nachweis eines Schadens (zumindest dem Grunde nach) 359.
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Zur Vertragsstrafe eingehend Berger RIW 1999, 401 ff. Vgl zur kartellrechtlichen Bewertung von
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Geheimhaltungsverpflichtungen Bartenbach Patentlizenz- und Know-how-Vertrag Rn 2245 ff.
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§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
§6 Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts I. Kartellrecht 1. Allgemeines und Rechtsgrundlagen Der sachliche und zeitliche Schutzbereich von gewerblichen Schutzrechten und Urheber- 313 rechten verleiht dem Schutzrechtsinhaber und, soweit eine ausschließliche Lizenz erteilt wird, auch häufig dem Lizenznehmer eine Monopolstellung. Zweck der kartellrechtlichen Regelungen ist es demgegenüber, ein möglichst hohes Maß an Wettbewerb zu erreichen und den freien Wettbewerb zu schützen. Bei dem hieraus grundsätzlich resultierenden Spannungsverhältnis zwischen Kartellrecht und den gewerblichen Schutzrechten sowie Urheberrechten ist einerseits zu beachten, dass insbesondere die Ausübung von Markenrechten geeignet ist, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen 360, andererseits das ausschließliche Schutzrecht Voraussetzung für einen frei funktionierenden Wettbewerb im Bereich gewerblicher Schutzrechte ist 361. Die entscheidenden Vorschriften zur kartellrechtlichen Bewertung von Lizenzverträgen 314 nach europäischem Recht stellen die Artt 81, 82 EG dar. Die Durchführung der in Art 81, 82 EG normierten Wettbewerbsregeln bestimmt sich nach der seit dem 1.5.2004 geltenden VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 362. Das zur Bewertung von Lizenzverträgen heranzuziehende deutsche Kartellrecht hat sich aufgrund der mit der EG-Kartellverfahrensverordnung Nr 1/2003 vorgegebenen Angleichung an das europäische Kartellrecht grundlegend geändert. Durch die am 1.7.2005 in Kraft getretene 7. GWB-Novelle 363 sollte eine Zweiteilung des Wettbewerbsrechts in sich voneinander unterscheidendes europäisches und deutsches Recht möglichst verhindert werden 364, obschon an einigen Besonderheiten des deutschen Rechts festgehalten wurde 365. Nach § 1 GWB, der eng an den Wortlaut des Art 81 Abs 1 EG angelehnt ist, gilt jetzt auch im deutschen Kartellrecht ein generelles Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. § 2 GWB regelt, entsprechend Art 81 Abs 3 EG, die Freistellung von nach § 1 GWB verbotenen Vereinbarungen. Lediglich eine Modifizierung haben im deutschen Kartellrecht hingegen die Vorschriften zur Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen (§§ 19–21 GWB) erhalten, wobei insoweit im Einzelfall Abweichungen von Art 82 EG möglich sind. Grds nicht unter das Kartellverbot des Art 81 EG fallen alle Beschränkungen, die zum 315 „spezifischen Gegenstand“ des Schutzrechtes 366 gehören. Darunter sind Wettbewerbsbeschränkungen zu verstehen, die sich aus dem Wesen des jeweiligen Immaterialgüterrechts herleiten. Ergeben sich somit aus dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts bestimmte Verbietungsrechte, liegt in deren „Weiterreichung“ an den Lizenznehmer keine Wettbewerbsbeschränkung iSv Art 81 EG, weil aufgrund des Vertragsinhalts lediglich Beschränkungen auferlegt werden, die ohne eine vertragliche Vereinbarung aus der Verbotswirkung des Schutzrechtes heraus vom Schutzrechtsinhaber geltend gemacht werden 360 361 362 363
EuGH GRUR Int 1971, 279, 280 – Sirena; Fammler 7. Götting § 6 V. ABl EG Nr L 1 vom 4.1.2003 S 1 ff, sog EG-Kartellverfahrensverordnung Nr 1/2003. Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7.7.2005, BGBl I S 1954 ff.
364 365 366
AmtlBegr in BT-Drucks 15/3640, 21 ff; krit ua Immenga BB 2005 Heft 33, I. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Meessen Kartellrecht Bd 1 Einf Rn 62. Sack WRP 1999, 592, 593 ff; Sack RIW 1997, 449 ff; Sack FS Fikentscher 970 ff; krit hierzu Lorenz WRP 2006, 1008, 1012 ff.
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2. Teil
könnten 367. Der Gegenstand des spezifischen Schutzrechts schränkt die Verbotswirkung des Art 81 EG zusätzlich insoweit ein, als die sich aus ihm ergebenden Grenzen enger sind als das Verbietungsrecht des Art 81 EG. Um den spezifischen Gegenstand eines Schutzrechts zu ermitteln, müssen 3 Fallgrup316 pen unterschieden werden: – Zunächst unterfallen gesetzliche Beschränkungen des Lizenznehmers, die aus dem Schutzrecht selbst folgen, dem spezifischen Schutzgegenstand. Das bedeutet, dass ein vertragliches Nutzungsverbot dann nicht an § 1 GWB bzw Art 81 EG zu messen ist, wenn es sich schon aus dem Schutzrecht selbst herleiten lässt. – Weiterhin werden sonstige vertragstypische Beschränkungen des Lizenznehmers, bspw die Lizenzgebührenpflicht oder die Regelung qualitätssichernder Maßnahmen, nicht von § 1 GWB bzw Art 81 EG erfasst. – Zudem wird vertreten 368, dass die Möglichkeit des Lizenzgebers, seine eigene wettbewerbliche Handlungsfähigkeit durch den Lizenzvertrag zu beschränken, dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zuzurechnen ist. Denn von diesem seien nicht nur Verbietungsrechte, sondern auch andere Verwertungsmöglichkeiten erfasst, worunter auch die Eigenbeschränkung des Lizenzgebers falle. Was zum spezifischen Schutzgegenstand des Schutzrechts gehört, ist einheitlich inner317 halb der EU zu bestimmen. Wäre dies unter Heranziehung der jeweiligen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten zu bestimmen, so würde dies aufgrund der unterschiedlichen Reichweite der nationalen Schutzrechte zu voneinander abweichenden Wettbewerbsbeschränkungen führen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass kein Lizenzvertragstypus existiert, der nicht 318 den kartellrechtlichen Grenzen unterliegt. Dies gilt demnach auch für Lizenzvereinbarungen im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, die uneingeschränkt an den kartellrechtlichen Vorschriften zu messen sind 369. 2. Verhältnis von deutschem und europäischem Kartellrecht
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Das europäische Wettbewerbsrecht gilt in der Bundesrepublik grundsätzlich unmittelbar. Aus Art 83 Abs 2 lit e EG ergibt sich die Regelungskompetenz 370 des Rates bzgl des Verhältnisses der Artt 81 ff EG zum nationalen Recht. Hierauf stützt sich die Kartellverfahrensordnung (EG) Nr 1/2003 371 zur Durchführung der Artt 81, 82 EG, die in Art 3 eine Regelung zum Verhältnis von deutschem und europäischem Recht enthält. Auch im GWB findet sich nunmehr mit § 22 GWB eine Regelung, die ebenso wie Art 3 VO Nr 1/2003 einen erweiterten Vorrang des Gemeinschaftsrechts normiert. Ein Konfliktfall liegt vor, wenn bei Eröffnung des Anwendungsbereichs von Art 81 320 EG und §§ 1 f GWB eine Vereinbarung jeweils nach der einen oder anderen Rechtsordnung verboten oder erlaubt ist. Zwar ergibt sich aus Art 3 VO Nr 1/2003 kein Verbot 367
368 369
Sack WRP 1999, 592, 596; vgl auch Axster/Schütze, die zwischen autonomer und nicht autonomer Geltendmachung des Schutzrechts unterscheiden, in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff Anh 3 Art 81 Rn 167, 171. Sack WRP 1999, 592, 595. BGH GRUR 2005, 845, 846 – Abgasreinigungsvorrichtung.
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Nach EuGH WuW/ E EWG/MUV 201, 204 – Farbenhersteller ist hierin eine Bestätigung für die nachstehend angesprochenen Fragen der parallelen Geltung der Rechte und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts im Konfliktfall zu sehen. ABl EG Nr L 1 vom 4.1.2003.
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§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
der Anwendung des nationalen Rechts auf Konfliktfälle, doch müssen die Artt 81, 82 EG gleichfalls beachtet werden, wenn die Verhaltensweisen den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen können. Diesbezüglich besteht ein Anwendungszwang. Nach Art 3 Abs 2 VO Nr 1/2003 ist es explizit zulässig, das nationale Wettbewerbsrecht neben den Artt 81, 82 EG parallel anzuwenden, was unter Berücksichtigung des Anwendungszwangs dazu führt, dass das nationale Recht angewendet werden kann, die Regelungen der Artt 81, 82 EG aber im Rahmen ihres Anwendungsbereichs (vorrangig) anzuwenden sind 372. Nach Art 3 Abs 2 S 1 VO Nr 1/2003 gilt der Vorrang auch dann, wenn das nationale 321 Recht strengere Regelungen als das europäische bereit hält. In Übereinstimmung hierzu regelt § 22 Abs 2 S 1 GWB, dass bei Sachverhalten mit Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt die Vereinbarungen, die dem Verbot des Art 81 Abs 1 EG nicht unterfallen oder von diesem nach Art 81 Abs 3 EG freigestellt sind, nicht aufgrund des GWB für unzulässig erklärt werden dürfen 373. Liegt ein grenzüberschreitender wettbewerbsbeschränkender Sachverhalt in Form des 322 Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vor, führt dies nach § 22 Abs 3 GWB bzw Art 3 Abs 1 S 2 VO Nr 1/2003 grundsätzlich zur Anwendbarkeit des Art 82 EG. Aus Art 3 Abs 2 S 1 VO Nr 1/2003 bzw § 22 Abs 2 S 2 GWB ergibt sich jedoch als Ausnahme zur vorgenannten Regel kein Anwendungsvorrang bzgl strengerer nationaler Vorschriften. Ist demnach ein Verhalten nach Art 82 EG im Gegensatz zum nationalen Recht zulässig, so müssen die nationalen Behörden Art 82 EG nicht vorrangig anwenden. Im umgekehrten Fall besteht jedoch der Vorrang des Art 82 EG. Daraus folgt, dass die strengeren Regelungen der §§ 19 Abs 1 und 20, 21 GWB bei zwischenstaatlichem Bezug grundsätzlich anwendbar bleiben 374. Liegt ein Sachverhalt ohne Zwischenstaatlichkeit vor, gilt grundsätzlich nur deutsches 323 Recht. Gleichwohl kommt es insoweit auch zu einer indirekten Wirkung des europäischen Rechts 375. Mithin sind die europäischen Vorschriften bei der Auslegung der §§ 1, 2 GWB stets mit zu beachten. 3. Artt 81, 82 EG a) Art 81 EG. Gem Art 81 Abs 1 EG sind alle Vereinbarungen zwischen Unterneh- 324 men, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten. Die Nichtigkeit solcher Beschlüsse oder Vereinbarungen ergibt sich aus Art 81 Abs 2 EG. Regelbeispiele für solche Vereinbarungen stellen nach Art 81 Abs 1 EG insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der Anoder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a), die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen (lit b), die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c), die Anwendung 372
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374
Dalheimer/Feddersen/Miersch Art 3 VO Nr 1/2003 Rn 3 f; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner EG-Kartellrecht Einl Rn 23. Vgl zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor und nach der Reform Röhling GRUR 2003, 1019, 1021 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/
375
Meessen Einf Rn 73 f; Karl/Reichelt DB 2005, 1436, 1437; Dalheimer/Feddersen/ Miersch Art 3 VO Nr 1/2003 Rn 6; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner EG-Kartellrecht Einl Rn 24. BT-Drucks 15/346, 22, 32; Karl/Reichelt DB 2005, 1436 f.
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unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden (lit d) sowie die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen (lit e), dar. Adressaten des Art 81 EG sind Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, wobei der Begriff des Unternehmens weit ausgelegt werden muss, da er sich funktional am Zweck der Wettbewerbsregeln orientiert 376. Ausreichend ist bereits die unabhängige Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit 377, so dass die Rechtsform des Unternehmens nicht entscheidend ist. Ebenso müssen die Mittel der Wettbewerbsbeschränkung weit ausgelegt werden, so dass eine Vereinbarung iSv Art 81 EG jede Willenserklärung zwischen mindestens zwei Personen bzw Unternehmen darstellt, durch die das Marktverhalten zumindest einer Partei geregelt wird 378. Auch eine konkludente Vereinbarung reicht aus, die sich aus dem Verhalten der beteiligten Unternehmen, nicht jedoch allein aus der einseitigen Wettbewerbspolitik einer der Parteien, ergeben kann 379. Die Anwendbarkeit des Art 81 EG setzt voraus, dass die Vertragsparteien aufgrund ihres Verhaltens den Wettbewerb innerhalb der europäischen Grenzen beeinträchtigen können, dh den innergemeinschaftlichen Handel entweder unmittelbar oder mittelbar und entweder tatsächlich oder potentiell behindern können 380. Dazu ist eine getroffene Vereinbarung dann geeignet, falls sie über den jeweiligen nationalen Markt hinaus zwischenstaatliche Auswirkungen hat. In diesem Zusammenhang sind das Abschotten nationaler Märkte und die Beeinflussung der Handelsströme zwischen den Mitgliedsstaaten, zB durch Exportverbote, mengenmäßige Beschränkungen bei Erzeugung oder Vertrieb usw, zu nennen. Der Begriff „Handel“ umfasst den gesamten Wirtschaftsverkehr 381. Die diesbezüglichen Feststellungen müssen auf dem Markt getroffen werden, auf dem die Wirkungen der Vereinbarungen eintreten. Demnach kann Art 81 EG nicht zur Anwendung kommen, wenn die jeweiligen Unternehmen überhaupt keine Handlungsfreiheiten besitzen, die eingeschränkt werden könnten, was bei konzerninternen Sachverhalten zutrifft 382. Ein potentieller und damit dem Schutz des Art 81 EG unterfallender Wettbewerb ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände mit der Aufnahme des Wettbewerbs in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann 383.
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Eingehend hierzu Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht – Roth/Ackermann Art 81 EG Abs 1 Grundfragen Rn 11 ff; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Gippini-Fournier Art 81 Abs 1 Rn 35 ff. Wiedemann/Stockmann § 7 Rn 2 mwN; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Gippini-Fournier Art 81 Abs 1 Rn 39; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner EGKartellrecht Art 81 EG Rn 9. EuGH Slg 1970, 769, 803 – Boehringer/ Kommission; EuGH Slg 1983, 3151, 3195 – Telefunken/Kommission. EuGH WuW 2004, 327 – Adalat. EuGH GRUR Int 1991, 215, 216 – Pall Corp/
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PJ Dahlhausen; EuGH GRUR 1994, 296 – Keck. EuGH GRUR Int 1991, 215, 216 – Pall Corp/PJ Dahlhausen; EuGH GRUR 1994, 296 – Keck; s auch die Konkretisierung durch die Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art 81, 82 EG, ABl EG Nr C 101 vom 27.4.2004, 81. EuG WiB 1995, 764 – Viho/Kommission. Wiedemann/Stockmann § 7 Rn 13; Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Roth/ Ackermann Art 81 Abs 1 EG Grundfragen Rn 173 ff jeweils mwN.
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§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
Ist die einzelne Lizenzvertragsklausel allein nicht geeignet, eine zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung iSv Art 81 EG zu begründen, kann trotzdem ein Verstoß gegen Art 81 EG nach der sog Bündeltheorie des EuGH vorliegen. Dies ist bspw dann der Fall, wenn der betreffende Vertrag zu einer Vielzahl gleichartiger Vereinbarungen gehört, die zusammengenommen zu einer Abschottung, zB des deutschen Marktes, gegenüber Anbietern aus anderen Mitgliedsstaaten führen 384. Art 81 Abs 3 EG normiert, dass vom Verbot des Art 81 Abs 1 EG grundsätzlich Vereinbarungen ausgenommen sind, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Dabei dürfen den beteiligten Unternehmen keine Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Hierfür streitet eine Vermutung, wenn die Vereinbarung einer Gruppenfreistellungsverordnung unterfällt. Für diesen Fall ergibt sich aus Art 2 VO Nr 1/2003 allerdings eine Beweislastumkehr für denjenigen, der die Freistellung nach Art 81 Abs 3 EG geltend macht. Er muss nachweisen, dass die vorliegende Vereinbarung von einer Gruppenfreistellungsverordnung erfasst wird. Art 1 Abs 2 VO Nr 1/2003 regelt nunmehr eine direkte Wirkung des Art 81 Abs 3 EG, dh es kann von einem Verbot mit Legalausnahme gesprochen werden 385. Der Lizenznehmer, der die Nichtigkeit eines Lizenzvertrages nach Art 81 Abs 1 und 2 EG gegenüber dem Lizenzgeber geltend macht, muss den wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang, in den der Lizenzvertrag einzuordnen ist und in welchem sich ggf mit sonstigen derartigen Vereinbarungen eine kumulative Auswirkung auf den Wettbewerb ergibt, darlegen und beweisen. Dies ist in der Regel sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich; denn die Prozesspartei verfügt in der Regel nicht über die Ermittlungs- und Aufklärungsmöglichkeiten der Kartellbehörden, so dass der Nachweis der Nichtigkeit des Lizenzvertrags wegen Kartellrechtsverstoßes durch den Lizenznehmer oft nicht geführt werden kann.
329
330
331 332
333 334
b) Art 82 EG. Aus Art 82 EG ergibt sich das Verbot des Missbrauchs einer markt- 335 beherrschenden Stellung. Diese ist nach dem EuGH anzunehmen, wenn ein Unternehmen die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt dadurch verhindern kann, dass es die Möglichkeit erhält, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu halten 386. Hierzu ist zunächst der in sachlicher und geographischer Hinsicht relevante Markt 336 unter wirtschaftlicher Betrachtung zu bestimmen 387. 384
385
EuGH GRUR Int 1968, 299, 300 – Brasserie de Haecht I; EuGH NJW 1977, 2020 – Concordia; vgl im Fall von Warenbezugspflichten OLG Karlsruhe WRP 1991, 42, 43 – Bezugsverpflichtung mit Ausschließlichkeitsbindung. Zum Systemwechsel Röhling GRUR 2003, 1019, 1020 ff; Hermanns/Brück SchiedVZ 2004, 137, 138 f; Weitbrecht EuZW 2003, 69, 70; Loewenheim/Meessen/
386
387
Riesenkampff/ Meessen Art 81 Abs 3 EG Rn 2 ff. EuGH Slg 1978, 207, 286 – United Brands/ Kommission; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Lübbig Art 82 EG Rn 92 Fn 308 f mit ausf Rechtsprechungsübersicht. EuGH GRUR Int 1998, 301, 304 ff – Ladbroke/Kommission; zur Bestimmung des Marktes Wiedemann/de Bronett § 22 Rn 12 ff.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
337
Eine missbräuchliche Ausnutzung liegt vor, wenn das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung geeignet ist, die Struktur eines Marktes zu beeinflussen, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit dieses Unternehmens sowieso schon geschwächt ist und es die Aufrechterhaltung des noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung behindert 388. Durch Art 82 EG wird daher nur das wettbewerbswidrige Verhalten sanktioniert, die Reduzierung der einmal wettbewerbskonform erreichten marktbeherrschenden Stellung ist nicht Regelungszweck des Art 82 EG. Der Tatbestand des Art 82 EG ist sowohl beim Ausbeutungsmissbrauch, dh bei Ver338 schlechterung des Preis-Leistungsverhältnisses durch das marktbeherrschende Unternehmen, als auch beim Behinderungsmissbrauch, dh der Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung dahin, dass den Wettbewerbern keinerlei Verhaltensspielraum zur Verbesserung ihrer Position bleibt, erfüllt 389. Bei Verweigerung einer Lizenzerteilung an Dritte liegt idR kein Missbrauch iSv Art 82 339 EG vor. Für möglich gehalten wird 390 ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Verweigerung der Lizenzerteilung in zwei Fällen: Zum einen, wenn sie ein allgemein missbräuchliches Marktverhalten schützen soll. Hierfür sind beispielhaft die Ersatzteilfälle des EuGH 391 zu betrachten, der einen Marktmissbrauch bejaht hat, wenn eine willkürliche diskriminierende Ablehnung einer Lizenz erfolgt, oder der Schutzrechtsinhaber sich zu einer Produktionseinstellung von Ersatzteilen entschließt, obwohl noch zahlreiche Exemplare des Modells im Verkehr sind, oder der Schutzrechtsinhaber eine exzessive Preisbildung für Ersatzteile betreibt. Zum anderen, wenn das Schutzrecht als Sperre für den Zugang zum Wettbewerb mit dem Schutzgegenstand auf Märkten eingesetzt wird, die der Schutzrechtsinhaber beherrscht 392. Er kann sich damit den gesamten Markt selbst vorbehalten und/oder dadurch einen „Mehrwettbewerb“ Dritter auf voroder nachgelagerten Märkten behindern 393. Handelt es sich bei dem als relevant bestimmten Markt geografisch lediglich um einen nationalen Markt, auf dem noch keine Lizenz erteilt wurde, stellt die Lizenzverweigerung nach Auffassung des EuGH keinen Verstoß gegen Art 82 EG dar. Auf dieser Grundlage sieht der EuGH in der Verweigerung der Lizenzerteilung auch dann keine diskriminierende Unterscheidung zwischen den Wirtschaftsteilnehmern dieses Marktes, wenn anderen Wirtschaftsteilnehmern Lizenzen angeboten wurden. Schließlich liegt ein Verstoß gegen Art 82 EG nach dem EuGH auch dann nicht vor, wenn einem einzelnen Lizenznehmer eine ausschließliche Lizenz in einem Mitgliedsstaat eingeräumt und gleichzeitig die Vergabe von Unterlizenzen für eine gewisse Zeitspanne verboten wurde. Zusätzlich zu den vorgenannten Entscheidungen hat der EuGH 394 einen Missbrauch 340 bei Lizenzverweigerung ausnahmsweise dann angenommen, wenn (kumulativ) (i) der Lizenzsucher beabsichtigt, auf dem vom Schutzrechtsinhaber bedienten Markt neue Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, die der Schutzrechtsinhaber nicht anbietet, für die aber eine potentielle Nachfrage der Verbraucher besteht, und (ii) die Lizenzverweigerung nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt und geeignet ist, dem Schutzrechtsinhaber den Markt in den betreffenden Mitgliedsstaaten vorzubehalten, indem jeglicher Wettbewerb auf diesem Markt ausgeschlossen wird. 388 389 390 391 392
Wiedemann/de Bronett § 22 Rn 33, 35. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Lübbig Art 82 EG Rn 1. Ullrich Mitt 1998, 50, 59. GRUR Int 1990, 140 – Circa/Régie Renault und GRUR Int 1990, 141 – Volvo/Veng. Ullrich Mitt 1998, 50, 59.
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EuGH GRUR Int 1998, 301, 306 ff – Ladbroke/Kommission; EuGH GRUR Int 1995, 490 ff – Magill/TV Guide; Pilny GRUR Int 1995, 954 ff. GRUR Int 2004, 644 – IMS/Health/NDC Health GmbH & Co KG; dazu Gallego GRUR Int 2006, 16 ff.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
c) Spürbarkeit und Bekanntmachung zur Bagatellvereinbarung. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für das Eingreifen der Artt 81, 82 EG ist die Spürbarkeit und die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels innerhalb der EU 395. Die Rechtsprechung hat diese Merkmale bislang nicht definiert. Als Grund für das Erfordernis einer Spürbarkeit ist anzuführen, dass aus ganz unerheblichen Beeinträchtigungen des zwischenstaatlichen Handelns keine Wettbewerbsverzerrung folgt und sie somit den Interessen des gemeinsamen Marktes nicht entgegenlaufen können 396. Zur Beurteilung der Spürbarkeit wurde zunächst auf eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls abgestellt. Die Kommission hat erstmals 1977 und zuletzt 2001 eine Bekanntmachung zu Bagatellvereinbarungen 397 herausgegeben. Die Bekanntmachung der EU-Kommission über Bagatell-Kartelle vom 22.12.2001 stellt eine Leitlinie mit Selbstbindungsfunktion dar und regelt zur Konkretisierung der Spürbarkeit, in welchem Umfang die wirtschaftliche Betätigung aller Voraussicht nach nicht gegen Art 81 EG verstößt 398. Das Bundeskartellamt hat zuletzt am 13.3.2007 eine Bagatellbekanntmachung erlassen, die sich im Wesentlichen an die Bekanntmachung der Kommission anlehnt.399 Hierzu wird die Spürbarkeit quantitativ mit Marktanteilsschwellen verbunden. Das bedeutet, dass bei Unterschreitung eines bestimmten Marktanteils der beteiligten Unternehmen in Bezug auf den Vertragsgegenstand eine geringe Bedeutung der Vereinbarung angenommen werden kann, mithin das Fehlen der Spürbarkeit vermutet wird 400. Die Bagatellbekanntmachung beinhaltet daher eine Marktanteilsschwelle für die beteiligten Unternehmen von insgesamt 10 % für horizontale Vereinbarungen (Unternehmen auf gleichen Marktstufen), während für Vertikalvereinbarungen (Unternehmen auf unterschiedlichen Marktstufen) eine Marktanteilsschwelle von 15 % gilt. Handelt es sich um eine gemischte Vereinbarung gilt wiederum eine Schwelle von 10 %. Zu beachten ist aber, dass diese Grenzen nur Anhaltspunkte sind, dh im Einzelfall bei Überschreiten der Schwelle keine, andererseits bei Unterschreiten der Schwelle dennoch eine Spürbarkeit angenommen werden kann. Ein Bagatellfall liegt zudem dann vor, wenn die Marktanteilsschwellen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren um nicht mehr als 2 Prozentpunkte überschritten werden. Die Bagatellbekanntmachung greift nicht ein, wenn die Vereinbarung eine Kernbeschränkung iSd Ziff 11 dieser Bekanntmachung enthält.
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342 343
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345
d) Gruppenfreistellungsverordnungen. Nach Art 81 Abs 3 EG können Vereinbarun- 346 gen, die unter das Verbot von Art 81 Abs 1 EG fallen, unter bestimmten Voraussetzungen freigestellt werden. Hierbei wird die Einzelfreistellung von der Gruppenfreistellung getrennt; letztere wird auf der Grundlage von Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) durchgeführt. Bevor ein Sachverhalt unter Art 81 Abs 3 EG zu subsumieren ist, sind demgemäß zunächst die Voraussetzungen der Anwendbarkeit einer GVO zu überprüfen, wobei diese aufgrund ihrer Typisierung überwiegend nicht auf Marken- bzw Urheberrechts395
396 397 398
Eingehend hierzu Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Roth/Ackermann Art 81 Abs 1 EG Grundfragen Rn 325 ff. Immenga/Mestmäcker/Rehbinder EG-Wettbewerbsrecht I Abschn Einl E Rn 20 f. Bekanntmachung vom 22.12.2001 ABl EG Nr C 368 vom 22.12.2001 S 13. Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht – Roth/Ackermann Art 81 EG Abs 1 Grundfragen Rn 327.
399
400
Bekanntmachung Nr 18/2007 über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit „geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung v 13.3.2007“. Zur Bagatellbekanntmachung insgesamt und zu den einzelnen Schwellenwerten s Bartenbach Patentlizenz- und Know-howVertrag Rn 742 ff.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
lizenzverträge anwendbar sind 401. Die Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung (TT-GVO 2004) ist bspw nicht auf reine Markenlizenzverträge direkt oder analog anzuwenden, sondern stellt nur solche Markenlizenzen frei, die Nebenabreden im Zusammenhang mit einer Technologietransfervereinbarung enthalten 402. Gleiches gilt für die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, deren Anwendung im Bereich des Lizenzvertragsrechts ebenfalls problematisch ist; dieser unterfallen Schutzrechtslizenzen nur als Nebenabreden 403. 4. GWB
347
Ausgangspunkt und Basis für die am 1.7.2005 in Kraft getretene 7. GWB Novelle war die am 1.5.2004 in Kraft getretene Verordnung EG Nr 1/2003 vom 16.12.2002 zur Durchführung von Art 81 f EG sowie die gleichzeitig in Kraft getretene neue Gruppenfreistellungsverordnung über Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO 2004) vom 7.4.2004 (VO (EG) Nr 772/2004). Durch die Neuregelung des GWB erfolgte die Angleichung des deutschen an das europäische Kartellrecht, zum einen durch den dynamischen Verweis auf die Vorschriften der TT-GVO, zum anderen durch eine vollständige Übereinstimmung des § 1 GWB mit Art 81 EG und der damit verbundenen Streichung der Unterscheidung zwischen vertikalen sowie horizontalen Vereinbarungen im deutschen Recht. § 2 Abs 1 GWB regelt nunmehr einen dem des Art 81 Abs 3 EG entsprechenden Frei348 stellungstatbestand und durch § 2 Abs 2 GWB finden europäische Gruppenfreistellungsverordnungen entsprechende Anwendung. Im Gegensatz zu diesen grundlegenden Änderungen haben die Vorschriften zur Miss349 brauchsaufsicht (§§ 19–21 GWB) lediglich eine Modifizierung erfahren. Insgesamt aber lässt sich feststellen, dass nunmehr auch im deutschen Recht das 350 Prinzip des generellen Verbots mit Legalausnahme gilt. Aufgrund der erfolgten Angleichung sowie der an den europäischen Vorgaben zu orientierenden Auslegung des GWB 404 wird eine noch weitergehende Übereinstimmung mit dem europäischen Kartellrecht erreicht werden 405.
351
a) § 1 GWB. Aus dem fast vollständig mit Art 81 Abs 1 EG übereinstimmenden Wortlaut des § 1 GWB ergibt sich das Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Regelbeispiele sieht § 1 GWB – im Gegensatz zu Art 81 Abs 1 EG – allerdings nicht vor. Wegen der inhaltlichen Anpassung an das europäische Kartellrecht durch die Novellierung des GWB sind aber die Regelbeispiele des Art 81 EG zur Auslegung ergänzend heranzuziehen 406. Entsprechend Art 81 EG ist auch im Rahmen des § 1 GWB zuerst das Merkmal der 352 Wettbewerbsbeschränkung zu überprüfen. Nachdem die frühere Unterscheidung des § 1 GWB aF (horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Wettbewerbern und vertikale Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern) ersatzlos weggefallen ist, sind nunmehr alle Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen an § 1 GWB zu 401 402 403 404 405
Fammler 12. Fammler 12. Fammler 12. Eingehend zu den Auslegungsgrundsätzen des GWB Billhardt 15 ff. Eingehend zur 7. GWB-Novelle Kahlenberg/
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406
Haellmigk BB 2005, 1509 ff; Karl/Reichelt DB 2005, 1436 ff; Bahr WuW 2004, 259 ff; zur VO EG Nr 772/2004 Drexl GRUR Int 2004, 716 ff; Feil GRUR Int 2004, 454 ff; Schultze/Pautke/Wagener 23 ff. BT-Drucks 15/3640, 23.
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§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
messen. Er gilt demgemäß sowohl für Lizenzgeber- als auch für Lizenznehmerbeschränkungen in gleicher Weise. Weiterhin beansprucht § 1 GWB Geltung für Sachverhalte mit und ohne Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel 407. Normadressaten sind Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, also nach funktioneller Auslegung alle natürlichen und juristischen Personen, die sich als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Leistungen gegen Entgelt am Wirtschaftsleben beteiligen 408. Ausreichend ist, dass die wirtschaftliche Betätigung nur vorübergehend vorgenommen wird 409 oder unmittelbar bevorsteht 410. Der Begriff ist demnach weit auszulegen. Dies gilt auch für den Begriff der „Unternehmensvereinigung“, der alle Formen des Zusammenwirkens von Wettbewerbern erfasst, zu denen es nicht unmittelbar, sondern über eine nicht notwendigerweise unternehmerisch tätige Einrichtung kommt 411. Der „Vereinbarung“ als Mittel der Wettbewerbsbeschränkung iSv § 1 GWB unterfallen alle Verträge im zivilrechtlichen Sinne sowie jede förmliche oder formlose, ausdrückliche oder stillschweigende Willenseinigung von zumindest zwei Personen 412. Ein tatsächlicher rechtlicher Bindungswille ist dazu nicht erforderlich 413. Die ebenfalls von § 1 GWB erfassten „Beschlüsse“ sind Rechtsakte, die zur Regelung des Verhaltens des Unternehmens auf der Grundlage der jeweils geltenden Gesellschaftsverträge, Satzungen oder Geschäftsordnungen getroffen werden 414. Die in § 1 GWB ebenfalls genannten „abgestimmten Verhaltensweisen“ sind von eher geringer praktischer Bedeutung 415. Diese Begriffe wurden schon vor der Neugestaltung des GWB an den europäischen Regelungen orientiert ausgelegt, so dass sich diesbezüglich keine gravierenden Unterschiede ergeben. Ebenfalls wurde bereits im Rahmen des § 1 GWB aF das ungeschriebene Merkmal der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung verlangt 416. Es war bei nur theoretischen Außenwirkungen der Vereinbarung zu verneinen; denn die Regelung bezweckt nicht die Sanktionierung einer isolierten Benachteiligung eines Einzelnen, sondern die Beeinflussung des Waren- und Wirtschaftsverkehrs 417. Zwar sieht das GWB selbst keine Wesentlichkeitsschwelle ausdrücklich vor 418, jedoch war schon früher aufgrund der vorzunehmenden „europafreundlichen“ Auslegung und um zu verhindern, dass nationale Sachverhalte anders als solche mit zwischenstaatlicher Relevanz behandelt werden, zur Bestimmung der Spürbarkeit auf die Bagatellbekanntmachung
407 408
409 410 411
412
413
BT-Drucks 15/3640, 23. BGH WuW/E BGH 442, 449 Gummistrümpfe; BGH WuW/E BGH 1246 f – Feuerwehrschutzanzüge. BGH WuW/E BGH 1725, 1726 – Deutscher Landseer Club. BGH WuW/E BGH 2953, 2959 – Gasdurchleitung. Wiedemann/Stockmann § 7 Rn 48; Immenga/Mestmäcker/Zimmer § 1 GWB aF Rn 74 ff. BGH WuW/E BGH 495, 497 – Ausschreibung für Putzarbeiten II; BGH WuW/E BGH 1147, 1153 – Teefarben. BGH WuW/E BGH 495, 497 – Ausschreibung für Putzarbeiten II; BGH WuW/E
414
415 416
417 418
BGH 602, 604 – Schiffspumpen; Immenga/ Mestmäcker/Zimmer § 1 GWB aF Rn 94. BGH WuW/E BGH 1205, 1210 – Verbandszeitschrift; Immenga/Mestmäcker/Zimmer § 1 GWB aF Rn 88 ff; Wiedemann/Stockmann § 7 Rn 50. Ausf hierzu Immenga/Mestmäcker/Zimmer § 16 GWB Rn 92 ff. BGH WuW/E BGH 2469, 2470 – Brillenfassungen; BGHZ 68, 6, 12, – Fertigbeton I; BGH WuW/E BGH 2675, 2676 – Nassauische Landszeitung; BGH WuW/E BGH 2697, 2703 – Golden Toast. OLG Naumburg GRUR-RR 2005, 98, 100. BGH WuW/E BGH 2469, 2470 – Brillenfassungen.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
der Kommission abzustellen 419. Das Bundeskartellamt hat am 13.3.2007 eine an diese Bekanntmachung der Kommission angelehnte Bagatellbekanntmachung veröffentlicht.420 Nach dem BGH kann die Spürbarkeit bereits dann bejaht werden, wenn nur ein 359 drittes Unternehmen von der Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist 421. Entscheidend für eine Spürbarkeit bleibt auch dann aber die Qualität der Wettbewerbsbeschränkung und die qualitative Bedeutung für die Marktverhältnisse.
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b) § 2 GWB. § 2 Abs 1 GWB stellt, entsprechend dem europäischen Regelungssystem (Verbot mit Legalausnahme), Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an den entstehenden Gewinnen zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, vom Verbot des § 1 GWB frei. Verboten sind gleichwohl Beschränkungen, die für das Erreichen dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder die die Möglichkeit einräumen, für einen wesentlichen Teil der jeweiligen Waren den Wettbewerb auszuschalten. Für eine Freistellung entsprechend dieser Norm bedarf es eines kumulativen Vorliegens dieser Voraussetzungen. Die Reglung ist insofern Art 81 Abs 3 EG nachgebildet. § 2 Abs 2 GWB regelt, dass bei der Anwendung von Abs 1 Verordnungen des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaft über die Anwendung von Art 81 Abs 3 EG auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Gruppenfreistellungsverordnung) entsprechend gelten. Die Gruppenfreistellungsverordnungen finden im deutschen Recht also einen direkten Anwendungsbereich, und zwar dann, wenn es sich um einen rein nationalen Sachverhalt handelt, ohne dass die Möglichkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft besteht. Beweisbelastet hinsichtlich des Vorliegens der Freistellungsvoraussetzungen des § 2 GWB ist, wer sich auf eine Freistellung nach dieser Norm beruft. Macht ein Unternehmen die Anwendbarkeit einer GVO geltend, besteht zwar eine Vermutung für das Vorliegen der durch § 2 Abs 1 GWB normierten Voraussetzungen, doch entbindet dies nicht von dem Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für die Freistellung nach der GVO 422. Dieser Grundsatz ergibt sich gleichzeitig auch aus Art 2 der VO Nr 1/2003. Wie § 1 GWB wird auch § 2 GWB unter Beachtung der europäischen Regelungen ausgelegt 423. Für den Prüfungsablauf im deutschen Recht ergeben sich demnach folgende Fragestellungen: – Liegt eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung iSv § 1 GWB vor? – Findet § 2 GWB im Einzelfall Anwendung? – Greift eine Gruppenfreistellungsverordnung iSv § 2 Abs 2 GWB? Ist der sachliche und persönliche Anwendungsbereich einer GVO eröffnet? – Liegen die Voraussetzungen für eine Freistellung nach der GVO vor? – Ist die Vereinbarung nicht nach einer GVO freigestellt, ist grds eine Freistellung über § 2 Abs 1 GWB zu prüfen. 419 420 421
BT-Drucks 15/3640, 23; Groß Rn 566. Bekanntmachung Nr 18/2007. BGH WuW/E BGH 200, 2001 ff – Beistand bei Kostenangeboten; BGH NJW 1997, 2324, 2326 – Druckgussteile.
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BT-Drucks 15/3640, 23, 44. BT-Drucks 15/3640, 24.
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Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
c) §§ 19 ff GWB. § 19 Abs 1 GWB regelt das Verbot der missbräuchlichen Aus- 366 nutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Gem § 19 Abs 2 GWB ergibt sich die marktbeherrschende Stellung, wenn ein Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Dabei kann der für das GWB zu beachtende räumlich relevante Markt nach § 19 Abs 2 S 3 GWB im Einzelfall weiter zu fassen sein als die territorialen Grenzen der BRD. 5. Zivilrechtliche Folgen des Verstoßes gegen europäisches oder deutsches Kartellrecht a) Nichtigkeit der Vereinbarung. Liegt ein Verstoß einer Vereinbarung gegen Art 81 367 Abs 1 EG bzw § 1 GWB vor und ergibt sich keine Freistellung nach Art 81 Abs 3 EG bzw § 2 GWB, so ist die Vereinbarung nach Art 81 Abs 2 EG bzw § 134 BGB iVm § 1 GWB nichtig. Die Nichtigkeit des Gesamtvertrages ist gemeinschaftsrechtlich nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn er sich nicht von den kartellrechtswidrigen Vereinbarungen trennen lässt 424; das ist der Fall, wenn es sich bei der Wettbewerbsbeschränkung um eine sog „Kernbeschränkung“ handelt, vgl die Aufzählung in Art 4 GVO-TT 2004. Ansonsten ist in der Regel das auf den jeweiligen Lizenzvertrag anwendbare (vereinbarte) nationale Recht heranzuziehen, im deutschen Recht also § 139 BGB. Danach ist das Gesamtgeschäft dann nichtig, wenn nicht angenommen werden kann, dass es auch ohne die kartellrechtswidrigen Vereinbarungen abgeschlossen worden wäre. Eine Frage des Einzelfalls ist es, ob eine geltungserhaltende Reduktion möglich ist 425. 368 b) Schadensersatzpflicht und Unterlassungsanspruch. Schadensersatzansprüche kom- 369 men gem § 33 Abs 1 und Abs 3 GWB, § 823 Abs 1 BGB oder § 823 Abs 2 iVm § 1 GWB in Betracht. Der Anspruch steht gem § 33 Abs 1 S 3 GWB demjenigen zu, der als Mitbewerber 370 oder sonstiger Marktbeteiligter durch einen Kartellverstoß betroffen ist. In Betracht kommen demnach uU auch Lieferanten, Abnehmer oder Endverbraucher 426. § 33 Abs 2 GWB normiert, dass die Ansprüche aus Abs 1 auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen geltend gemacht werden können, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung im Stande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt. Hiervon erfasst werden zB die Kammern der freien Berufe sowie Innungen des Handwerks 427. Aus § 33 Abs 4 GWB folgt, dass das angerufene Gericht an die bestandskräftige Fest- 371 stellung eines Verstoßes gegen Artt 81, 82 EG oder das GWB durch die Kartellbehörde,
424
425
Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Jäger Kartellrecht Bd 1 Art 81 Abs 2 Rn 18 ff mwN. BGH WuW/E BGH 1989, 1900 – Holzpaneele; BGH DB 1994, 34, 36 Ausscheiden der Gesellschafter; OLG Düsseldorf WuW/E OLG 3326, 3327 – Fördertechnik.
426
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Kahlenberg/Haellmigk BB 2005, 1509, 1514; nach BT-Drucks 15/3640, 25 soll „jedermann“ anspruchsberechtigt sein. Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 33 GWB Rn 59.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Wettbewerbsbehörde oder das als solche handelnde Gericht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gebunden ist. Schließlich regelt § 33 Abs 5 GWB den Eintritt der Hemmung der Verjährung für den 372 Fall, dass seitens der europäischen Behörden oder der Mitgliedsstaaten ein Kartellverfahren eingeleitet wird.
373
c) Sonstige Schadensersatzansprüche. Neben solchen aus § 33 GWB können Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche auch nach § 826 BGB sowie §§ 8, 9 UWG iVm § 3 UWG bestehen 428.
II. Lizenzen in der Insolvenz 374
375
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378
Die Behandlung von Lizenzen in der Insolvenz richtet sich nach der Insolvenzordnung (InsO) 429, die die Konkursordnung (KO), die Vergleichsordnung (VerglO) und die Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) seit dem 1.1.1999 ersetzt hat. Besondere Aufmerksamkeit ist dem Thema „Lizenzen in der Insolvenz“ in jüngster Zeit aufgrund abweichender Entscheidungen des LG Mannheim 430 und des BGH 431 geschenkt worden. Nach § 35 InsO erfasst die Insolvenzmasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt 432. Nicht dazu zählen gem § 36 Abs 1 InsO die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen. Die Lizenz gehört demnach zur Insolvenzmasse, wenn sie der Zwangsvollstreckung unterliegt 433. Eine Zwangsvollstreckung in das Lizenzrecht wird unter den Voraussetzungen des § 857 ZPO grundsätzlich bejaht 434. § 851 ZPO regelt allerdings, dass die Pfändung nur insoweit erfolgen kann, als ein übertragbares Recht vorliegt. Deshalb müssen einfache und ausschließliche Lizenz getrennt voneinander betrachtet werden. Im Ergebnis unterliegt demnach nur die ausschließliche, nicht hingegen die einfache Lizenz der Zwangsvollstreckung. Das bedeutet, dass auch nur die ausschließliche Lizenz gem § 36 InsO in die Insolvenzmasse fällt, die einfache Lizenz hingegen nicht dazu gehört und somit nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Hinsichtlich der einfachen Lizenz steht dem Insolvenzverwalter demnach nur eine begrenzte Verfügungsberechtigung zu, so dass er entweder das Schutzrecht für Rechnung der Masse benutzen oder den Lizenzvertrag unter bestimmten Voraussetzungen kündigen kann 435. § 103 InsO enthält das Wahlrecht des Insolvenzverwalters, der bei noch nicht vollzogenen gegenseitigen Verträgen frei entscheiden kann, ob er vom Vertragspartner Erfüllung verlangen oder diese ablehnen soll. Im Rahmen der Erfüllung hat er den Vertrags428 429
Immenga/Mestmäcker/Emmerich § 33 GWB Rn 61. BGBl I S 2866. Zur Behandlung von Lizenzen in der Insolvenz vgl eingehend Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz; Schmoll/Hölder GRUR 2004, 743 ff u GRUR 2004, 830 ff; Bausch NZI 2005, 289; zur insolvenzrechtlichen Verwertung von gewerblichen Schutzrechten vgl Zeising Mitt 2000, 206.
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430 431 432 433
434 435
ZIP 2004, 576. ZIP 2006, 87. FK-InsO/Schuhmacher § 35 InsO Rn 1 ff. Zur Lizenz in der Zwangsvollstreckung vgl Bartenbach Patentlizenz- und Know-howVertrag Rn 623 ff. FK-InsO/Schuhmacher § 35 Rn 1 ff. Reimer § 9 PatG aF Rn 123.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
partner vollständig aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Entscheidet er sich für die Ablehnung der Erfüllung, erhält der Vertragspartner an Stelle seines Erfüllungsanspruches einen Anspruch auf Schadensersatz, der jedoch nur eine einfache Insolvenzforderung darstellt 436. Daraus folgt, dass der Lizenzvertrag, obschon ihm der Charakter eines Dauerschuld- 379 verhältnisses zukommt, grds nicht insolvenzfest ist 437. Eine Ausnahme gilt nur für die Fälle des § 108 Abs 1 S 1 InsO 438. Ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters kommt allerdings dann nicht in Betracht, 380 wenn die Verpflichtung aus dem Lizenzvertrag schon vollständig erfüllt ist (zB bei Erteilung der ausschließlichen Lizenz gegen Einmalzahlung). Dabei ist aber darauf hinzuweisen, dass auch bei Zahlung der einmaligen Lizenzgebühr der Vertrag nicht unbedingt iSv § 103 InsO vollständig erfüllt sein muss; denn Teile der Literatur 439 und die neuere Rechtsprechung 440 nehmen auch bei Nichterfüllung einer nicht gänzlich untergeordneten vertraglichen Nebenpflicht eine nicht vollständige Vertragserfüllung an. 1. Insolvenz des Lizenzgebers Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist es möglich, dem Schuldner gem § 21 Nr 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen, so dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem § 22 InsO – auch mit Blick auf die Lizenz – auf den Insolvenzverwalter übergeht. § 108 InsO bestimmt, dass Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestehen. § 108 Abs 1 S I InsO gilt allerdings nach überwiegender Auffassung lediglich dann, wenn es sich um einen Vertrag über unbewegliche Gegenstände und Räume handelt. Das bedeutet auch unter Berücksichtigung der Einordnung des Lizenzvertrages entsprechend der Rechtspacht als Dauernutzungsvertrag iSv §§ 108, 112 InsO 441, dass insoweit § 108 Abs 1 S 2 InsO gilt 442. Dieser regelt den Fortbestand für Vertragsverhältnisse, die der Lizenzgeber eingegangen ist, und betrifft die Gegenstände, die einem Dritten, der ihre Anschaffung oder Herstellung finanziert hat, zur Sicherheit übertragen wurden. Die dementsprechend bestehende Gesetzeslage ist wegen der Problematik der Vereinbarung einer insolvenzfesten Lizenz in der Literatur auf Kritik gestoßen 443. Der BGH hat zuerst im Zusammenhang mit Softwarelizenzverträgen detaillierter zur insolvenzfesten Vereinbarung von Lizenzen Stellung genommen 444. Dabei hat er sich zwar speziell mit Softwarelizenzen und damit eingehend mit urheberrechtlichen Fragen auseinandergesetzt; es ist jedoch anzunehmen, dass die allgemeinen, insbesondere insolvenzrechtlichen Grundsätze, die der BGH in seiner Entscheidung angesprochen hat, auch hinsichtlich sonstiger Lizenzverträge Anwendung finden können: Dem BGH lag ein Lizenzvertrag vor, der ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund für beide Vertragspartner enthielt, falls die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar würde.
436 437 438 439
FK-InsO/Wegener § 103 Rn 2. Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1123. Vgl noch unten Rn 382. Vgl den Überblick bei Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1131; Wallner ZIP 2004, 2073, 2075.
440 441 442 443
444
LG Mannheim ZIP 2004, 576, 577. Cepl NZ 2000, 357, 359. FK-InsO/Wegener § 108 InsO Rn 15. Brandt NZI 2001, 337, 343; Fezer WRP 2004, 793, 800 f; Paulus ZIP 1996, 2, 6; Zeising Mitt 2001, 240, 241. BGH ZIP 2006, 87.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
949
381
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383 384
385
Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
Für den Fall einer Kündigung wurde vereinbart, dass der Source-Code an dem vorliegenden Softwareprodukt in der zum Zeitpunkt der Kündigung aktuellen Version inklusive aller Nutzungs- und Vertriebsrechte automatisch auf den Lizenznehmer übergehen sollte. Hierfür hatte der Lizenznehmer eine bestimmte einmalige Vergütung zu erbringen. Der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers lehnte im Rahmen seines Wahlrechts nach § 103 InsO die Erfüllung ab mit der Folge, dass der Lizenznehmer von dem vorgenannten Kündigungsrecht Gebrauch machte. Der BGH hielt die Übertragung der Nutzungsrechte auf den Lizenznehmer für wirksam. Maßgeblich sei, dass bedingt begründete Rechte im Falle der Insolvenz auch dann als bestehende Rechte anzusehen seien, wenn der Zeitpunkt des Bedingungseinritts erst nach Insolvenzeröffnung liege. Die Vertragsabrede habe zu einem wirksamen, wenn auch aufschiebend bedingten dinglichen Rechtsübergang bereits vor Insolvenzeröffnung geführt. Einen Konflikt mit § 119 InsO lehnte der BGH ebenso wie die Annahme einer unzulässigen Lösungsklausel ab. Von der sonst üblichen (unzulässigen) Lösungsklausel unterscheide sich die vertragliche Abrede gerade dadurch, dass eine Kündigung auch aufgrund von Tatsachen außerhalb einer Insolvenz möglich sei. Eine unzulässige Anknüpfung an die Insolvenzeröffnung bzw die Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO für die Kündigung sei deshalb zu verneinen. Inwieweit in Zukunft mögliche vertragliche Vereinbarungen eine insolvenzfeste Ein386 räumung von Nutzungsrechten begründen können, muss abgewartet werden. Dabei ist zu beachten, dass eine Kündigungsklausel der vorgenannten Art eher unüblich ist und nicht jeder Lizenzgeber eine vollständige Übertragung seiner Rechte, wenn auch nur aufschiebend bedingt, im Falle einer allgemeinen Kündigung aus wichtigem Grund, vereinbaren will 445. Die BGH-Entscheidung ist jedoch als geeignete Grundlage für die vertragliche Absicherung von Lizenzen zu werten. Werden demnach die vom BGH als maßgeblich betrachteten Kriterien, mithin die aufschiebend bedingte dingliche Verfügung über das Nutzungsrecht, die Einräumung eines für beide Parteien bestehenden allgemeinen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund – unabhängig von dem Insolvenztatbestand – sowie eine angemessene Gegenleistung für die Übertragung des Nutzungsrechts bedacht, dürften solche vertraglichen Regelungen als insolvenzfest qualifiziert werden. Der zukünftigen Entwicklung der Rechtsprechung bleibt es insoweit vorbehalten, inwieweit eine Aufweichung dieser Kriterien und eine Annäherung an „echte“ Lösungsklauseln im Falle einer Insolvenz möglich sein werden. Es ist zu hoffen, dass sich die vorgenannten Probleme im Hinblick auf die beabsich387 tigte Neuregelung des § 108a InsO, der das bestehende Defizit mangelnder Insolvenzfestigkeit von Lizenzen beseitigen soll, erledigen werden446. § 108a InsO-E lautet in der Entwurfsfassung wie folgt: „Ein vom Schuldner als Lizenzgeber abgeschlossener Lizenzvertrag über ein Recht am geistigen Eigentum besteht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Dies gilt für vertragliche Nebenpflichten nur in dem Umfang, als deren Erfüllung zwingend geboten ist, um dem Lizenznehmer eine Nutzung des geschützten Rechts zu ermöglichen. Besteht zwischen der im Lizenzvertrag vereinbarten Vergütung und einer marktgerechten Vergütung ein auffälliges Missverhältnis, so kann der Insolvenzverwalter eine Anpassung der Vergütung verlangen; in diesem Fall kann der Lizenznehmer den Vertrag fristlos kündigen.“
445 446
Plath/Scherenberg CR 2006, 153, 155. Vgl hierzu Bartenbach Aktuelle Probleme
950
des Gewerblichen Rechtschutzes 2/2007, 412 ff.
Kurt Bartenbach/Soenke Fock
§6
Ausgewählte Einzelprobleme des Lizenzvertragsrechts
Diese Neuregelung dürfte auch die Diskussion um die Wirksamkeit der zahlreich vor- 388 geschlagenen Lösungsklauseln entbehrlich machen 447. Hat sich der Insolvenzverwalter für die Erfüllung des Vertrages entschieden, kann der 389 Lizenznehmer das Vertragsschutzrecht weiterhin nutzen (bei einer bestehenden Ausübungspflicht ist er hierzu verpflichtet). Die Lizenzgebührenpflicht bleibt ebenfalls bestehen. Will der Lizenznehmer den Vertrag beenden, kommt nur eine Kündigung nach § 314 BGB in Betracht, deren Zulässigkeit jedoch nur in engen Grenzen anzunehmen ist. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH soll eine solche Kündigung allerdings bei Ablehnung der Erfüllung durch den Insolvenzverwalter möglich sein 448. Bei Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter hängen die hiermit verbunde- 390 nen Folgen für die Lizenz von deren Ausgestaltung ab. Handelt es sich um eine einfache Lizenz und begreift man diese mit der hM als rein schuldrechtlichen Anspruch, so entfällt die Nutzungsmöglichkeit des Lizenznehmers aufgrund der vorgenannten Rechtswirkung der Verfahrenseröffnung, die zur Undurchsetzbarkeit der Ansprüche aus dem Lizenzvertrag führt 449. Liegt eine ausschließliche, dinglich wirkende Lizenz vor, so ist der Lizenznehmer entgegen einer vielfach anderen Annahme 450 uE zunächst weiterhin zur Nutzung befugt, da die Suspendierung der schuldrechtlichen Ansprüche keine Auswirkungen auf die dingliche Rechtsposition des Lizenznehmers hat 451. Zu beachten ist, dass der BGH die insolvenzfeste Vereinbarung eines aufschiebend bedingten, dinglichen Nutzungsrechts anerkannt und dadurch eine Möglichkeit der insolvenzfesten Vereinbarung von Lizenzverträgen aufgezeigt hat 452, so dass dies erst recht gelten muss, wenn von Anfang an mit dinglicher Wirkung verfügt wurde 453. Die Berechtigung zur Nutzung kann jedoch mit einer wirksamen Vertragsbeendigung, vor allem durch Kündigung gem § 314 BGB, wegfallen 454. 2. Insolvenz des Lizenznehmers Im Falle der Insolvenz des Lizenznehmers gehört das durch den Lizenzvertrag ge- 391 währte Nutzungsrecht zur Insolvenzmasse. Aus § 55 Abs 1 Nr 2 InsO ergibt sich für den Insolvenzverwalter die Verpflichtung zur Zahlung der Lizenzgebühren. Jedoch bezieht sich diese Verpflichtung nur auf Lizenzgebühren, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Dies folgt aus § 105 S 1 InsO, wonach der Vertragspartner des Gemeinschuldners, also der Lizenzgeber, der bereits vor Eröffnung des Verfahrens teilweise geleistet hat, den entsprechenden Teil der Gegenleistung, hier also die Lizenzgebühren, nur als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Lizenzvertrages wählt oder nicht. 447
448 449 450
S dazu ua Berger in Kölner Schriften zur InsO 2. Aufl (2000), 499 ff; Berger ZIP 1994, 173 ff; Bruns ZZP 110 (1997), 305 ff; Nerlich/Römermann/Balthasar § 119 InsO Rn 10 ff; Kübler/Prütting/Tintelnot § 119 Rn 15 ff; ausf zum Streitstand Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1248. BGH ZIP 2006, 87, 90. Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1460 f. Hoffmann ZInsO 2003, 732, 741; Stickelbrock WM 2004, 549, 558; zur urheber-
451 452
453 454
rechtlichen Lizenz LG Mannheim ZIP 2004, 576 ff. Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1466. BGH ZIP 2006, 87 ff; vgl hierzu die Anmerkung von Plath/Scherenberg CR 2006, 151 ff. Grützmacher CR 2006, 289, 293; im Ergebnis auch Bausch NZI 2005, 289, 295. Ausf zu den Folgen einer Kündigung Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1392 ff, 1475 ff.
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Kapitel 13 Lizenzvertragsrecht
2. Teil
392
§ 109 InsO regelt, allerdings beschränkt auf Verträge über unbewegliches Vermögen, ein Kündigungsrecht nur für den Insolvenzverwalter. Nach § 112 InsO 455 ist eine Kündigung wegen Verzugs mit der Zinszahlung (§ 112 Nr 1 InsO) oder wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners (§ 112 Nr 2 InsO) grds nicht möglich. Eine Ausnahme besteht, wenn die Kündigung aus diesen Gründen vor dem Eröffnungsantrag erklärt wird 456. Gleiches gilt nach herrschender Ansicht auch für eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges, der erst nach dem Eröffnungsantrag eintritt 457. Das lässt sich dem Umkehrschluss zu § 112 Nr 1 InsO entnehmen. Die Kündigungssperre des § 112 InsO bezieht sich nicht nur auf Nutzungsverträge 393 über unbewegliche Gegenstände, sondern gilt auch für Lizenzverträge 458. Der Lizenzgeber kann also nicht verhindern, dass der Insolvenzverwalter des Lizenznehmers sich für die Erfüllung des Vertrages gem § 103 InsO entscheidet und dadurch regelmäßig der Umsatz und damit üblicherweise auch das Aufkommen an Lizenzgebühren aufgrund der ggf eingeschränkten Verwertungsmöglichkeiten des insolventen Lizenznehmers sinken können. Allerdings bleibt eine Kündigung des Lizenzvertrages als Dauerschuldverhältnis nach 394 § 314 BGB möglich. Ein wichtiger Grund kann zB ein schwerwiegender Vertrauensbruch oder eine grobe Verletzung von Vertragspflichten, die eine Fortführung des Vertrages für den Vertragspartner als unzumutbar erscheinen lassen, sein 459.
455
456 457 458
Ausf zum Zeitpunkt des Eingreifens von § 112 InsO Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1221 ff. Schmoll/Hölder GRUR 2004, 743, 744. BGHZ ZIP 2002, 1625. FK-InsO/Wegener § 112 Rn 5; zum Soft-
952
459
warelizenzvertrag vgl insbesondere Paulus ZIP 1996, 2 ff; Smid/Lieder DZWiR 2005, 7 ff. Wiedemann Lizenzen und Lizenzverträge in der Insolvenz Rn 1208 mwN; Henn Patentund Know-how-Lizenzvertrag Rn 221.
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Teil 3 Wettbewerbsrecht und Werberecht
Kapitel 1 Wettbewerbsrecht Literatur Alexander Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland? GRUR Int 2005, 809; Born Zur Zulässigkeit einer humorvollen Markenparodie GRUR 2006, 192; Bornkamm Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz – Zur Vorrangthese der Rechtsprechung GRUR 2005, 97; Bottenschein Markenrecht versus notwendige Bestimmungshinweise GRUR 2006, 462; Brömmelmeyer E-Mail-Werbung nach der UWG-Reform GRUR 2006, 285; Buchner Generische Domains GRUR 2006, 984; Bunnenberg Das Markenrecht als abschließendes Regelungssystem? MarkenR 2008, 148; Dreyer Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der europäische Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 123; Fezer (Hrsg) UWG Kommentar, 1. Aufl München 2005 (zit Fezer/ Bearbeiter); Fezer Kumulative Normenkonkurrenz im Kennzeichenrecht WRP 2000, 863; ders Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts WRP 2001, 989; Fritze Verderben die Juristen die guten Sitten im Wettbewerb? – untersucht am Beispiel der sklavischen Nachahmung GRUR 1982, 520; Heermann Die Erheblichkeitsschwelle iS des § 3 UWG-E GRUR 2004, 94; ders Ambush-Marketing anlässlich Sportgroßveranstaltungen – Erscheinungsformen, wettbewerbsrechtliche Bewertung, Gegenmaßnahmen GRUR 2006, 359; Heyers Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen das Einschieben in fremde Serien – zugleich ein Beitrag zu Rang und Bedeutung wettbewerbsrechtlicher Nachahmungsfreiheit nach der UWG-Novelle GRUR 2006, 23; Hoeren Das Telemediengesetz NJW 2007, 801; Jaeschke Ambush Marketing – Schutzstrategien für Veranstalter von Sport (-Großereignissen) und Markenartikler MarkenR 2007, 411; Klein/Insam Telefonische Abwerbung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz und im Privatbereich nach neuem UWG GRUR 2006, 379; Köhler Konkurrentenklage gegen die Verwendung unwirksamer Geschäftsbedingungen? NJW 2008, 177; ders UWG-Reform und Verbraucherschutz GRUR 2003, 265; ders „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht GRUR 2008, 1; ders Die „Bagatellklausel“ in § 3 UWG GRUR 2005, 1; ders Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums GRUR 2007, 548; ders Was ist „vergleichende Werbung“? GRUR 2005, 273; ders Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR 2005, 793; ders Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums – Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR 2007, 548; Kügele Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Koppelungsangeboten GRUR 2006, 105; Kur Der wettbewerbliche Leistungsschutz – Gedanken zum wettbewerbsrechtlichen Schutz von Formgebungen, bekannte Marken und „Charakters“ GRUR 1990, 1; ders Verwechselungsgefahr und Irreführung – zum Verhältnis von Markenrecht und § 3 UWG GRUR 1989, 240; ders Ansätze zur Harmonisierung des Lauterkeitsrechts im Bereich des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes GRUR Int 1998, 771; Leible/Sosnitza Haftung von Internetaktionshäusern – reloaded NJW 2007, 3324; Lettl Lauterkeitsrechtliche Haftung von Presseunternehmen für „Rankings“ GRUR 2007, 936; Lubberger Grundsatz der Nachahmungsfreiheit? in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann Saarbrücken 2006; Lutz Veränderungen des Wettbewerbsrechts im Zuge der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken GRUR 2006, 908; Mankowski Klingeltöne auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand GRUR 2007, 1013; Möller Werbung mit Zuzahlungsverzicht – ein wettbewerbsrechtliches Problem? WRP 2004, 530; ders Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Postident-Verfahren NJW 2005, 1605; ders Neue Erscheinungsformen von Rabattwerbung und Rabatte zu Lasten Dritter GRUR 2006, 292; ders Die vorgesehenen Änderungen des Heilmittelwerberechts durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung – Verschärfung oder Abschaffung
Mirko Möller/Boris Blank
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
eines Verbots? WRP 2006, 428; ders Laienwerbung WRP 2007, 6; Mönch Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG ZIP 2004, 2032; Münker Verbandsklagen im sogenannten ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann Saarbrücken 2006; Nerreter Wettbewerbsrechtlicher Schutz technischer und ästhetischer Arbeitsergebnisse GRUR 1957, 408; Niederleithinger Die vernachlässigte Einheit der Rechtsordnung im Wettbewerbsrecht GRUR Int 1996, 467; Ohly Schadensersatzansprüche wegen Rufschädigung und Verwässerung im Marken- und Lauterkeitsrecht GRUR 2007, 926; ders Vergleichende Werbung für Zubehör und Warensortimente, GRUR 2007, 3; ders Designschutz im Spannungsfeld von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht GRUR 2007, 731; Pauly/Jankowski Rechtliche Aspekte der Telefonwerbung im B-to-B-Bereich GRUR 2007, 118; Scherer Das Ende des Verdikts der „gefühlsbetonten“ Werbung GRUR 2008, 490; Schmits „Übertriebenes Anlocken“ und psychologischer Kaufzwang durch Gewinnspiele? NJW 2003, 3034; Schnorbus Werbung mit der Angst – Eine Anlayse ihrer Erscheinungsformen GRUR 1994, 15; Steinbeck Lauterkeitsrechtliche Grenzen für Zugaben und Rabatte nach Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz ZIP 2001, 1741; Stieper Das Verhältnis von Immaterialgüterrechtsschutz und Nachahmungsschutz nach neuem UWG WRP 2006, 291; Ullmann Wer sucht, der findet – Kennzeichenverletzungen im Internet GRUR 2007, 633; Westermann Der BGH baut den Know-how-Schutz aus GRUR 2007, 116; Wilmer Überspannte Prüfpflichten für Host-Provider? NJW 2008, 1845; Wimmer-Leonhardt UWG-Reform und Gewinnabschöpfungsanspruch oder „Die Wiederkehr des Drachen“ GRUR 2004, 12; Zagouras Werbung für Mobilfunkmehrwertdienste und die Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen nach § 4 Nr. 2 UWG GRUR 2006, 731.
Übersicht Rn § 1 Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . I. Märkte und Medien . . . . . . 1. Medien als Marktplatz . . . 2. Medien als Teil von Märkten 3. Wettbewerb um die Medien II. Wettbewerbsrecht – Das Recht des Wettbewerbs? . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . 2. Geschichtliche Entwicklung 3. Das UWG von 2004 . . . . 4. Regulierungen des Wettbewerbs außerhalb des Wettbewerbsrechts . . . . . . . 5. Wettbewerbsrecht und Kartellrecht . . . . . . . . . . 6. Weitere Abgrenzungen . . . III. Die typische Dreieckskonstellation des Wettbewerbsrechts . . § 2 Materielles Wettbewerbsrecht . . . . I. Der Aufbau des UWG . . . . . II. Die wettbewerbsrechtliche Generalklausel . . . . . . . . . . 1. Aufbau des § 3 UWG . . . 2. „Wettbewerbshandlung“ . . 3. Eignung zur nicht unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung – „Bagatellklausel“ . . . . . . . . . . III. Die Beispieltatbestände . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Die Beispieltatbestände des § 4 UWG . . . . . . . . . .
956
1–26 1–5 1 2–4 5 6–14 6 7 8, 9
10, 11 12, 13 14 15–26 27–313 27–31 32–73 32–36 37–63
64–73 74–313 74–77 78–233
Rn a) Schutz der Entscheidungsfreiheit – § 4 Nr 1 UWG . . aa) Allgemeines . . . . . . bb) Unterfallgruppen . . . . cc) Rabatte, Zugaben und Koppelungsangebote . . dd) Psychischer Kaufzwang . ee) Einsatz von Absatzhelfern und weitere Dreieckskonstellationen . . . . . . . . . ff) Einsatz aleatorischer Reize . . . . . . . . . . gg) Gefühlsbezogene Werbung, Aufmerksamkeitswerbung und Schockwerbung . . . . . . . . hh) Vorformulierte Kündigungsschreiben . . . . . ii) Druckausübung . . . . jj) Täuschung . . . . . . . b) Ausnutzen besonderer Umstände – § 4 Nr 2 UWG . . . aa) Allgemeines . . . . . . bb) Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen . cc) Andere geschäftsunerfahrene Personengruppen . dd) Ausnutzen von Rechtsunkenntnis . . . . . . . ee) Ausnutzen von Leichtgläubigkeit, Ängsten und Zwangslagen . . . . . .
Mirko Möller/Boris Blank
78–100 78–82 83, 84 85–88 89
90–92 93
94–96 97 98, 99 100 101–112 102, 103 104–107 108 109
110–112
Kapitel 1 Wettbewerbsrecht Rn c) Verbot getarnter Werbung – § 4 Nr 3 UWG . aa) Allgemeines . . . . bb) Verschleierung werblicher Kontakte . . cc) Redaktionelle Werbung . . . . . . . . dd) Productplacement . d) Transparenz bei Verkaufsförderungsmaßnahmen – § 4 Nr 4 UWG . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Verkaufsförderungsmaßnahme . . . . . cc) Abgrenzung von Transparenzgebot und Irreführungsverbot . . . . . . . dd) Bedingungen der Inanspruchnahme . ee) Zeitpunkt der Angabe . . . . . . . . ff) Weitere Voraussetzungen . . . . . e) Transparenz bei Preisausschreiben und Gewinnspielen – § 4 Nr 5 UWG . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Preisausschreiben, Gewinnspiele . . . cc) Werbecharakter . . dd) Teilnahmebedingungen . . . . . ee) Zeitpunkt der Angabe ff) Weitere Voraussetzungen . . . . . f) Koppelung von Preisausschreiben und Gewinnspielen – § 4 Nr 6 UWG aa) Allgemeines . . . . bb) Preisausschreiben, Gewinnspiel . . . . cc) Koppelung . . . . . dd) Ausnahmetatbestand: Naturgemäße Verbindung . . . . . . . . g) Herabsetzung von Mitbewerbern – § 4 Nr 7 UWG . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Herabsetzung und Verunglimpfung . . cc) Gegenstand der Herabsetzung . . . dd) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung h) Anschwärzung – § 4 Nr 8 UWG . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . .
113–127 115–117 118–120 121–126 127
128–141 130 131, 132
133–135 136–138 139, 140 141
142–151 144–146 147 148 149 150 151
152–157 154 155 156
157
158–166 160, 161 162–164 165 166 167–179 171, 172
Mirko Möller/Boris Blank
Rn bb) Behaupten oder Verbreiten . . . . . . . cc) Schädigungseignung dd) Nichterweislichkeit der Wahrheit . . . . ee) Vertrauliche Mitteilungen bei berechtigtem Interesse . . . . ff) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung i) Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz – § 4 Nr 9 UWG . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Wettbewerbliche Eigenart . . . . . . cc) Nachahmung . . . dd) Herkunftstäuschung – § 4 Nr 9 lit a UWG ee) Unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung – § 4 Nr 9 lit b UWG . . ff) Unredliche Entnahme von Kenntnissen und Unterlagen – § 4 Nr 9 lit c UWG . . gg) Weitere Fälle wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes? . hh) Grenzen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes . ii) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung j) Gezielte Behinderung – § 4 Nr 10 UWG . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Beispiele gezielter Behinderung . . . . cc) Unlauteres Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen . . . . (1) Abwerben von Kunden . . . . . . . . . (a) Verleiten zum Vertragsbruch . . . . . (b) Abwerben von Kunden zugunsten des Verletzers durch Mitarbeiter des Mitbewerbers . . . . . . (c) Übertriebenes Anlocken, Druckausübung, Herabsetzung, Täuschung . . (2) Abfangen von Kunden . . . . . . dd) Domain- oder Kennzeichenbesetzung . .
173, 174 175 176
177, 178 179
180–192 182 183 184 185–187
188
189
190
191 192 193–217 193–197 198, 199
200–211 200–206 201, 202
203–205
206 207–211 212–215
957
Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil Rn
(1) Domain-grabbing . (2) Sonstige DomainReservierung . . . . ee) Allgemeine Marktbehinderung/-störung durch Vertriebsbehinderung . k) Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch – § 4 Nr 11 UWG . . . . . aa) Allgemeines . . . . bb) Marktverhaltensregelungen . . . . . cc) Zuwiderhandlung . dd) Sonstige Voraussetzungen und Ausschluss der Anwendung . . . . . . . . 3. Irreführungsverbot – § 5 UWG . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . b) Werbung . . . . . . . . c) Maßstab für die Beurteilung der Irreführung . d) Einzelfälle . . . . . . . . aa) Produktbezogene Irreführung . . . . bb) Preisbezogene Irreführung . . . . . . cc) Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse . . . . . . dd) Irreführung durch Unterlassen . . . . ee) Irreführung bei Preisherabsetzung . . . . ff) Irreführung über die Bevorratung . . . . gg) Weitere Fälle . . . . e) Wettbewerbliche Relevanz und Bagatellklausel . . . 4. Vergleichende Werbung – § 6 UWG . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . b) „Werbung“ . . . . . . . c) „Vergleichend“ im Sinne von § 6 UWG . . . . . . d) Unlautere vergleichende Werbung . . . . . . . . aa) Vergleich von Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung – § 6 Abs 2 Nr 1 UWG . . . . . . . bb) Objektivität des Eigenschafts- und Preisvergleichs, Sachlichkeitsgebot – § 6 Abs 2 Nr 2 UWG .
958
213 214, 215
216, 217
218–233 220 221–231 232
233 234–261 234, 235 236 237–240 241–260 241, 242 243–246
247–254 255, 256 257 258, 259 260 261 262–288 262, 263 264–267 268–272 273–288
274, 275
276–281
Rn (1) Wesentliche und typische Eigenschaften mit Relevanz . . . . (2) Objektivität des Vergleichs . . . . . (3) Nachprüfbarkeit der Angaben über Eigenschaften und Preis . cc) Verwechselungen, Kennzeichenverwirrung – § 6 Abs 2 Nr 3 UWG . . . . . dd) Rufausnutzung und Rufbeeinträchtigung – § 6 Abs 2 Nr 4 UWG . . . . . . . ee) Herabsetzung oder Verunglimpfung – § 6 Abs 2 Nr 5 UWG . . . . . . . ff) Bezeichnung als Nachahmung – § 6 Abs 2 Nr 6 UWG . 5. Unzumutbare Belästigung – § 7 UWG . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . b) Erkennbar unerwünschte Werbung – § 7 Abs 2 Nr 1 UWG . . . . . . . aa) Telefonwerbung – § 7 Abs 2 Nr 2 UWG bb) Werbung unter Verwendung von automatischen Anrufmaschinen, Faxund E-Mailwerbung – § 7 Abs 2 Nr 3 UWG cc) Werbung mit elektronischen Nachrichten und unzureichender Information – § 7 Abs 2 Nr 4 UWG . . . . . dd) Sonderregelung für E-Mails in fortgesetzter Kundenbeziehung – § 7 Abs 3 UWG . ee) Anspruchsberechtigung . . . . . . . . § 3 Die Ansprüche nach dem UWG . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch – § 8 Abs 1–4 UWG . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . 2. Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs . . . . . 3. Gläubiger des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . a) Mitbewerber – § 8 Abs 3 Nr 1 UWG . . . .
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277 278–280
281
282
283–285
286
287, 288 289–313 289–293
294–313 297–307
308, 309
310, 311
312 313 314–343 314
315–334 315–319 320, 321 322–327 323
§1
Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht Rn
b) Wirtschaftsverbände – § 8 Abs 3 Nr 2 UWG . . c) Verbraucherverbände – § 8 Abs 3 Nr 3 UWG . . d) Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern – § 8 Abs 3 Nr 4 UWG . . . . . . . e) Einschränkung der Anspruchsberechtigung und Prozessstandschaft . . . 4. Schuldner des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . 5. Beseitigungsanspruch . . . 6. Ausschluss bei missbräuch licher Geltendmachung – § 8 Abs 4 UWG . . . . . . . . III. Der Schadensersatzanspruch – § 9 UWG . . . . . . . . . . . . IV. Auskunftsansprüche . . . . . . V. Gewinnabschöpfungsanspruch – § 10 UWG . . . . . . . . . . . VI. Verjährung – § 11 UWG . . . . § 4 Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Besonderheiten des gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahrens 1. Abmahnung vor gerichtlicher Inanspruchnahme – § 12 Abs 1 UWG . . . . . . 2. Durchsetzung von Unter-
324 325
326
327 328–332 333
334 335–337 338, 339 340 341–343 344–358 344 345–358
345, 346
Rn lassungsansprüchen im einstweiligen Verfügungsverfahren – § 12 Abs 2 UWG 3. Urteilsveröffentlichung – § 12 Abs 3 UWG . . . . . . 4. Streitwert – § 12 Abs 4 UWG 5. Gerichtliche Zuständigkeiten – §§ 13, 14 UWG . . . 6. Einigungsverfahren – § 15 UWG . . . . . . . . . . . . § 5 Die Straftatbestände des UWG . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Strafbare Werbung – § 16 UWG 1. Irreführende Werbung . . . . 2. Progressive Kundenwerbung III. Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen, Verwertung von Vorlagen, Verleiten und Erbieten zum Verrat – §§ 17–19 UWG . . . . . . . . 1. Geheimnisverrat, Betriebsspionage und Geheimnisverwertung – § 17 UWG . . a) Geheimnisverrat – § 17 Abs 1 UWG . . . . . . . b) Betriebsspionage . . . . c) Unbefugte Geheimnisverwertung . . . . . . . 2. Unbefugte Verwertung von Vorlagen – § 18 UWG . . . . 3. Verleiten und Erbieten zum Verrat – § 19 UWG . . . . .
347–349 350 351, 352 353–357 358 359–376 359, 360 361–364 361, 362 363, 364
365–376
368–374 369, 370 371 372–374 375 376
§1 Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht I. Märkte und Medien 1. Medien als Marktplatz Das Wettbewerbsrecht ist das Recht des Marktes. Vergegenwärtigt man sich, dass sich 1 die Medien nicht nur in zahlreichen, sich teilweise überschneidenden, Märkten positionieren, sondern deneben selbst Märkte schaffen und hierfür zum Teil sogar gleich die Marktplätze bereitstellen, so wird schnell deutlich, dass die Beziehung der Medien und des Wettbewerbsrechts ihrer Natur nach eine vielschichtige sein muss. Die Entstehung von Marktplätzen durch Medien stellt indes keine Besonderheit der sog Neuen Medien dar. Letztere verstanden es jedoch in den letzten Jahren in besonderer Weise, diese Erkenntnis von der – im wahrsten Sinne des Wortes – „Marktmacht“ und der Kreativität der Medien erneut unter Beweis zu stellen. In diesem Zusammenhang muss natürlich allen voran der völlig neu geschaffene, inzwischen von eBay angeführte und kaum mehr wegzudenkende Markt der Online-Auktion erwähnt werden. Daneben stellt aber auch das Teleshopping ein erwähnenswertes Beispiel dafür dar, wie Medien neue Marktplätze schaffen und damit auch das Wettbewerbsrecht als das Recht des Marktes vor neue Herausforderungen stellen. Es soll jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass es auch die
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
herkömmlichen Medien, vor allem die Printmedien, stets zu verstehen wussten, Marktplätze zu schaffen, etwa in Form der lange Zeit populären, inzwischen jedoch mehr und mehr durch entsprechende Online-Angebote verdrängten Kleinanzeige, die einen einzigartigen Markt für private Kauf- und Verkaufsgeschäfte geschaffen hat. 2. Medien als Teil von Märkten
2
Medien sind Vermittler. Auf dem Marktplatz kann nicht etwa derjenige Erfolg verbuchen, der sich zuschreiben kann, über die besten und günstigsten Angebote zu verfügen, sondern derjenige, der die Vorteile seiner Waren zu vermitteln weiß. Während dies auf dem taditionellen Markt durch eine ansprechende Auslage und einen ebenso lauten wie charismatischen Marktschreier geschieht, funktioniert die Kommunikation moderner Märkte nur unter Einsatz von Vermittlern, von Medien. Dies gilt ebenso für regionale wie für überregionale Märkte, erst recht für den globalen Markt. Es wäre nunmehr aber verfehlt, wenn man davon ausgehen wollte, dass sich jeder Markt kurzerhand die für ihn erforderlichen und zweckmäßigen Medien sucht. Einerseits würde man dabei die vorstehend bereits skizzierte, den Medien innewohnende Neigung zur Schaffung von Marktplätzen missachten, andererseits kann man aber auch keineswegs davon ausgehen, dass die Teilnehmer eines Marktes – seien sie auf Anbieter- oder auf Nachfragerseite – den für sie maßgeblichen Markt in seiner vollen Ausbreitung zu kennen. Die eigene Dynamik der in einen Markt einbezogenen Medien überträgt sich zwangsläufig auch auf den Markt und verändert diesen. Vorhandene Märkte können – bewusst oder unbewusst – vergrößert oder verkleinert, ja sogar vernichtet werden. Längst sucht sich nicht nur der Markt die geeigneten Medien aus, sondern die Medien dringen regelrecht in vorhandene Märkte ein. Auch wenn Händler bewusst davon absehen, ihre Waren auch im Rahmen von Online-Shops anzubieten, hält dies die Betreiber von Preissuchmaschinen nicht davon ab, die Angebote dieser Anbieter anderen Angeboten gegenüberzustellen und das Ergebnis einem großen Publikum verfügbar zu machen. Das Medium geriert sich damit als Gateway zwischen verschiedenen Märktplätzen, ohne zugleich auf das Maß der Kompatibilität derselben Rücksicht zu nehmen. Die solchermaßen entstehenden künstlichen Märkte sind ihrer Natur nach im Wesentlichen auf die einzige objektive und auf alle Teilmärkte anwendbare Größe, nämlich den Warenpreis, fixiert. Dem solchermaßen entstehenden Preisdruck können die Teilnehmer herkömmlicher Märkte oft nicht mehr standhalten. Dieselbe Dymamik moderner Medien kann sich aber auch als äußerst belebend und 3 vorteilhaft für vorhandene Märkte darstellen. Dies gilt vor allem für diejenigen Märkte, deren Teilnehmer nicht eine homogene und über ein einheitliches Medium erreichbare Gruppe bilden. Die Marketingspezialisten müssen sich heutzutage nicht etwa in erster Linie darüber Gedanken machen, wie und mit welchem Inhalt sie eine Werbebotschaft kommunizieren, sondern wo und gegenüber wem. Es geht zunächst um die Allokation des Marktes 1. Je besser diese funktioniert, um so mehr lassen sich kostenträchtige Streuverluste bei der Kommunikation der eigentlichen Werbebotschaft vermeiden. Neue Medien bieten hier einzigartige Möglichkeiten. So können die Schritte Marktallokation und Marktkommunikation verschmelzen wie an dem Beispiel der von zahlreichen Suchmaschinenbetreibern angebotenen Ad-Word-Werbung demonstriert werden kann. Hier wird eine bestimmte, vorab mit einem Schlagwort verknüpfte, Werbebotschaft automatisch demjenigen gegenüber kommuniziert, der das fragliche Schlagwort in die Suchmaschine eingibt und damit sein Interesse an einem bestimmten Thema offenbart. 1
Vgl Möller WRP 2007, 6.
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§1
Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht
Aber auch da, wo sich der Markt trotz aller Anstrengungen nicht genauer bestimmen 4 lässt, kann sich der Einsatz der Massenmedien als geeignetes Mittel darstellen, diesen Markt – freilich unter Inkaufnahme entsprechender Streuverluste – zu erreichen. In jedem Fall werden die Medien damit Bestandteil bereits vorhandener – wenn auch nicht eindeutig abgrenzbarer – Märkte. Nicht nur die Medien schaffen damit Märkte, sondern die Märkte verleiben sich einen Teil der Medien ein und unterwerfen diese damit zugleich dem Wettbewerbsrecht als dem Recht des Marktes. 3. Wettbewerb um die Medien Schließlich gibt es einen Markt um die Medien. Wenn auch verschiedene Medientech- 5 nologien zu einheitlichen Multimedia-Technologien verschmelzen, so ändert dies nichts daran, dass einen reger Wettbewerb zwischen den Medienprodukten besteht. Kaum ein Anbieter kann es sich erlauben, nicht geradezu täglich sorgfältige Umfeldanalysen vorzunehmen und auf Entwicklungen sofort zu reagieren. Auch der Leser einer Tageszeitung oder eines Wochenmagazin erwartet heute, über die Internetseite „seines“ Magazins, ergänzende und aktualisierte Informationen abrufen zu können.
II. Wettbewerbsrecht – Das Recht des Wettbewerbs? 1. Begriffsbestimmung Spricht man über Wettbewerbsrecht, so spricht man über ein Rechtsgebiet, welches 6 sich über eine Definition anhand abstrakter Merkmale kaum erschließen lässt. Lediglich unter Rückgriff auf die zwischenzeitlich über einhundertjährige Gesetzgebungsgeschichte des Wettbewerbsrechts lässt sich näherungsweise erfahren, welche Lebenssachverhalte in den Regelungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen. Eine genauere Abgrenzung würde zwingend eine trennscharfe Definition des Begriffs des Wettbewerbs voraussetzen, die jedoch – trotz zahlreicher Versuche – weder in der Rechtswissenschaft noch in der Ökonomie abschließend gelungen ist 2. 2. Geschichtliche Entwicklung Das Wettbewerbsrecht stellt jedenfalls keine vollständige Regulation oder gar Defi- 7 nition der Wirtschaftsordnung dar. Nachdem der sich im 19. Jahrhundert verbreitende Liberalismus dazu geführt hat, dass die Zunftverfassungen abgeschafft und die Gewerbefreiheit durch § 1 der Reichsgewerbeordnung von 1869 proklamiert wurde, setzte sich zunächst die Vorstellung durch, dass nur das freie Spiel der Kräfte in einer am Freiheitsideal orientierten Wirtschaftsverfassung eine unverfälschte Entwicklung des Wettbewerbs erlaube und damit zu einer optimalen Versorgung der Verbraucher führe. Regulatorische staatliche Eingriffe waren mit dieser Vorstellung nur schwer vereinbar. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts zeichneten sich jedoch zwei Problemfelder ab, deren Entwicklung sich im 20. Jahrhundert fortsetzte. Zum einen entbrannte auf bestehenden Märkten ein teilweise rücksichtsloser Konkurrenzkampf, der auch zur Anwendung unlauterer Kampfmittel führte, zum anderen wurden Märkte durch Kartellbildung ausgeschaltet und ver-
2
Dazu zusammenfassend Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler Einl UWG Rn 1.6.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
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nichtet. Die Rechtsprechung war gegenüber diesen Entwicklungen in Ermangelung gesetzlicher Grundlagen weitgehend machtlos. Während eine Kartellgesetzgebung noch lange Zeit auf sich warten ließ, gab es zumindest einzelne gesetzgeberische Ansätze, um unlauteres Verhalten in dem Wettbewerb bestehender Märkte einzudämmen. Erste gesetzliche Regelungen des unlauteren Wettbewerbs finden sich in dem Warenzeichengesetz von 1894 und in dem ersten Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (UWG) von 1896. Die gesetzgeberischen Maßnahmen standen jedoch ganz unter dem Postulat der Idee des Laisser-faire und stellten nur punktuelle Einzelmaßnahmen dar, die sich schon kurz nach Ihrem Inkrafttreten als nicht ausreichend offenbarten. Dies führte dazu, dass das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) von 1909 erstmals eine sog „Generalklausel“ vorgesehen hat, die fast ein Jahrhundert lang Grundlage und Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung des Wettbewerbsrechts in Deutschland war. Mit der Schaffung der Generalklausel wollte man lediglich den Unzulänglichkeiten der früheren Gesetzgebung begegnen, ohne jedoch grds die Freiheit des Marktverhaltens in Frage zu stellen. Die Rechtsprechung ging mit dieser Vorgabe überwiegend verantwortungsbewusst um und fasste die wettbewerbsrechtliche Generalklausel nicht etwa als Freibrief für eine Willkürrechtsprechung auf, sondern entwickelte aus dieser Generalklausel heraus zahlreiche Fallgruppen, die der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung angegriffener Verhaltensweisen dienten. Mit der Perfektionierung der Fallgruppen entwickelte sich dann freilich ein neues Problem, dass nämlich in der Rechtsprechung kaum noch das Gesetz selbst, sondern mehr und mehr nur noch die selbst geschaffenen Fallgruppen als normative Grundlage herangezogen wurden. Der Generalklausel kam damit letztlich nur noch die Bedeutung einer Verordnungsermächtigung des Gesetzgeber an die Rechtsprechung zu 3, was aus Gründen der Gewaltenteilung nicht als unproblematisch angesehen werden konnte. 3. Das UWG von 2004
8
Die konsequente Folge aus den Misständen der wettbewerbsrechtlichen Gesetzgebung um die Jahrhundertwende sowie der vorstehend beschriebenen Problematik des um sich greifenden Richterrechts zog der heutige Gesetzgeber mit dem am 8.7.2004 ohne jede Übergangsregelung in Kraft getretenen UWG 2004. Der Gesetzgeber griff die meisten der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen auf und überführte sie in positives Gesetzesrecht. Sie finden sich nunmehr in den §§ 4–7 UWG. Der Gesetzgeber verzichtete damit jedoch nicht auf die Generalklausel, sondern stellte diese den nunmehr normierten Fallgruppen in § 3 UWG voran und gestaltete die Fallgruppen als Beispieltatbestände unlauteren Verhaltens aus 4. Die originäre Bedeutung der neuen Generalklausel blieb jedoch bislang gering. Ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung, die ein bestimmtes Verhalten im Wettbewerb tatsächlich an den Vorgaben der Generalklausel gemessen hätte, ist bislang kaum zu verzeichnen 5. Die Rechtsprechung zeigt hier möglicherweise 3 4
5
Fezer WRP 2001, 989, 994 spricht insofern von einer Delegationsnorm. Von einer derartigen Regelungssystematik riet Fezer WRP 2001, 989, 994 unter Hinweis auf die für die Rechtsprechung erforderliche Flexibilität ab. Eine der wenigen Ausnahmen stellen die Entscheidungen BGH GRUR 2006, 426 Rn 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II, BGH GRUR 2008, 262 Rn 9 – Direktansprache am
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Arbeitsplatz III und OLG Hamburg BeckRS 2007, 03894 – Fundstellenangabe bei Testhinweis dar; OLG Hamburg WRP 2007, 210 – Fliegerzeitschrift (Ls); zurückhaltend BGH GRUR 2006, 1042 Rn 29 – Kontaktanzeigen; neuerdings auch BGH GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; ein weiteres denkbarer Anwendungsfall für die Generalklausel bei Möller NJW 2005, 1605, 1608.
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§1
Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht
auch deshalb eine gewisse Zurückhaltung, weil sie mit einer extensiveren Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel notgedrungen auch die Frage aufwerfen würde, ob es der Gesetzgeber – so kurze Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes – nicht anders gewollt oder ob er die zu entscheidende Fallkonstellation schlichtweg übersehen hat. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der rasanten technologischen Entwicklung bleibt zu vermuten, dass der Generalklausel als solcher im Laufe der Zeit wieder eine größere Bedeutung zukommen wird als es zur Zeit der Fall ist 6. Die Regelung des § 3 UWG ist jedoch aus anderen Gründen durchaus Gegenstand 9 der Rechtsprechung und Kommentierungen. Das UWG von 2004 enthält nämlich erstmals eine allgemeine Bagatellschwelle, deren Regelung in die wettbewerbsrechtliche Generalklausel des § 3 UWG integriert wurde. Demnach können fortan nur noch solche Wettbewerbshandlungen dem Verdikt der Wettbewerbswidrigkeit unterliegen, die dazu geeignet sind, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. 4. Regulierungen des Wettbewerbs außerhalb des Wettbewerbsrechts Da eine abstrakte Definition des Wettbewerbsrechts kaum möglich erscheint, ließe 10 sich zumindest in einer sehr formalen Betrachtungsweise festhalten, dass als Wettbewerbsrecht zumindest das anzusehen ist, was der Gesetzgeber als Wettbewerbsrecht normiert hat. Ein solches Begriffsverständnis korrespondiert auch – was nachfolgend noch gezeigt wird – mit dem Verständnis, welches § 4 Nr 11 UWG zu Grunde liegt. Der wesentliche Inhalt des Wettbewerbsrechts ergibt sich damit aus den in den §§ 4–7 UWG geregelten Beispieltatbeständen sowie den wettbewerbsrechtlichen Nebengesetzen, etwa dem HWG. Zugleich bedeutet ein solches Verständnis jedoch auch, dass anerkannt werden muss, dass es Normen gibt, die zwar Auswirkungen auf das Marktgeschehen haben, gleichwohl nicht als Wettbewerbsrecht anzusehen sind. Als Beispiel mögen die Geschwindigkeitsvorschriften der Straßenverkehrsordnung dienen, die es dem Taxiunternehmer untersagen, sich durch systematische Übertretungen einen Vorteil gegenüber seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen, ohne dass diese Vorschriften deshalb als Wettbewerbsrecht anzusehen wären. Ebenso ist der produzierende Industriebetrieb dazu gehalten, das geltende Emissionsschutzrecht einzuhalten, ohne dass hierdurch das Emissionsschutzrecht zum Bestandteil des Wettbewerbsrechts würde 7. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass es eine Reihe von Normen gibt, die 11 das Wettbewerbsgeschehen zwar beeinflussen, mangels spezifischer Regelungsintention jedoch nicht dem Wettbewerbsrecht zuzurechnen sind, so wird man gleichwohl auf eine Anzahl von Regelungen stoßen, die zwar vom Gesetzgeber nicht dem Wettbewerbs6
7
Vgl hierzu bereits die Begründung des Regierungsentwurfes BT-Drucks 15/1487, 16; ferner Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 8, der von einem möglichen Anwendungsbereich für „neuartige Wettbewerbshandlungen“ spricht, „für die sich aus den Beispielstatbeständen keine Bewertungsmaßstäbe ableiten lassen“. Das Beispiel entstammt der AbgasemissionenEntscheidung des BGH (BGHZ 144, 255), mit welchem die Kehrtwende in der früheren Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des § 4 Nr 11 UWG nF eingeleitet wurde. Dem-
nach kam es für die Beurteilung der Unlauterkeit einer gegen eine anderweitige Rechtsnorm verstoßenden Handlung nicht mehr darauf an, ob es sich bei der jeweiligen Rechtsnorm um eine wertbezogene oder eine wertneutrale Rechtsnorm handelt, sondern einzig darauf, ob der Rechtsnorm zumindest eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion zukommt; zu der Entwicklung der Rechtsprechung: Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 11.2 ff und Möller WRP 2004, 530, 533 f.
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recht im engeren Sinne zugeordnet wurden, denen jedoch unbestreitbar eine gewisse wettbewerbsbezogene Schutzfunktion zukommt. Hierzu zählen die Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes ebenso wie die in der Berufsordnung der Rechtsanwälte und den Berufsordnungen der Landesärztekammern vorgesehenen Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte und Ärzte sowie die Impressumspflicht nach dem Teledienste- bzw dem Telemediengesetz. Diese nicht zwingend dem tradierten Begriffsverständnis des Wettbewerbsrechts zuzuordnenden Rechtsnormen werden durch § 4 Nr 11 UWG zum Bestandteil der mit dem Instrumentarium des Wettbewerbsrechts zu kontrollierenden Bereichs der Rechtsordnung. Gem § 4 Nr 11 UWG handelt derjenige unlauter, der einer (anderen) gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, „die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“. Es muss daher stets hinterfragt werden, ob eine bestimmte Regelung, die Auswirkung auf das Marktverhalten hat, gerade dazu bestimmt ist, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln oder ob sich die Auswirkung auf das Marktverhalten nur als Reflex darstellt. Ist ersteres der Fall, kann die Regelung dem Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne zugeordnet werden. Die Einbeziehung dieser Normen in das Wettbewerbsrecht über § 4 Nr 11 UWG bestätigt den positivistischen Definitionsansatz, wonach diejenigen Regelungen dem Wettbewerbsrecht zuzurechnen sind, die dazu bestimmt sind, das Marktverhalten zu regeln – die vom Gesetzgeber als Wettbewerbsrecht erlassen sind. 5. Wettbewerbsrecht und Kartellrecht
12
Gegenstand dieses Kapitels ist ausschließlich dasjenige Wettbewerbsrecht, welches das Verhalten der Wettbewerber innerhalb bestehender und jedenfalls grds funktionsfähiger Märkte regelt. Man kann insofern auch von Lauterkeitsrecht oder vom Wettbewerbsrecht im engeren Sinne sprechen. Das Lauterkeitsrecht setzt grds erst dann ein, wenn überhaupt verschiedene Wettbewerber auf einem bestimmten Markt vorhanden sind und um Marktanteile kämpfen. Das Kartellrecht, welches dem Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne zugerechnet werden kann, kann hier bereits zu einem früheren Stadium einsetzen und sicherstellen, dass es überhaupt einen Wettbewerb in den entsprechenden Märkten gibt. Das Kartellrecht kann insofern jedoch grds nur verhindern, dass ein einmal bestehender Wettbewerb nicht in unzulässiger Weise durch Kartellabsprachen oder Zusammenschlüsse (Fusionskontrolle) beschränkt oder sogar aufgelöst wird. Es kann hingegen nicht erzwingen, dass überhaupt Wettbewerb auf bestimmten Märkten entsteht. Letzteres ist gegebenenfalls eine politische Aufgabe, die in den letzten Jahren mit der Privatisierung staatlicher Monopolbetriebe bereits mehrfach zu bewältigen war und nach wie vor zu bewältigen ist. Insbesondere dort, wo das Erfordernis besonderer Einrichtungen, wie etwa von Schienen- oder Leitungsnetzen, dazu führt, dass sich ein freier Wettbewerb nicht ohne weiteres entfalten kann oder aus anderen Gründen Monopolstellungen bestehen, sieht sich das Kartellrecht vor besondere Herausforderungen gestellt. Im Bereich der Medien ist hier allerdings zugleich eine gegenläufige Entwicklung zu verzeichnen. Auf der einen Seite erfordert die Verbreitung von Daten trotz der nicht aufzuhaltenden Weiterentwicklung der Übertragungstechnologien nach wie vor erhebliche Investitionen, die praktisch nur von einigen wenigen Netzbetreibern geleistet werden können. Auf der anderen Seite führt die fortschreitende Vernetzung und das Verschmelzen verschiedener Medienprodukte zu einheitlichen Multimedia-Technologien dazu, dass es nunmehr zahlreichen Anbietern, bis hin zu Privatpersonen, ermöglicht wird, eine unbestimmte Vielzahl von Personen zu erreichen, sei es über geschriebenen Text („Weblogs“, „Blogs“), selbst erstellte Audiosendungen („Podcasting“) oder gar Videoaussendungen („VideoPodcasting“ bzw „Vodcasting“).
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§1
Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht
Vereinfachend lässt sich sagen, dass das Kartellrecht vor allem das Bestehen eines 13 Wettbewerbs intendiert, während das Lauterkeitsrecht das Verhalten innerhalb eines bestehenden Wettbewerbs regelt. Vorschriften wie § 4 Nr 10 UWG oder § 21 Abs 1 GWB zeigen jedoch, dass es durchaus Überschneidungen in den Regelungsbereichen dieser Rechtsmaterien gibt. Eine trennscharfe Abgrenzung ist insofern nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. 6. Weitere Abgrenzungen Ob ein bestimmtes Normensystem dem Wettbewerbsrecht zuzurechnen ist oder nicht, 14 ist jedenfalls unter praktischen Gesichtspunkten unerheblich, soweit das jeweilige Normensystem eine vollständige Rechtsfolgenregelung beinhaltet, so dass es für die Anspruchsdurchsetzung keines Rückgriffs auf die Regelungen des UWG bedarf. Auf diese Weise hat sich zwischenzeitlich das gesamte Marken- bzw Kennzeichenrecht ebenso wie die anderen Disziplinen des gewerblichen Rechtsschutzes wie etwa das Patent- und das Gebrauchsmusterrecht und das Geschmacksmusterrecht als eigenes Rechtsgebiet etabliert. Daneben bestehen aber auch andere Regelungen, die aufgrund der umfassend geregelten Rechtsfolgen einen Rückgriff auf das allgemeine Wettbewerbsrecht entbehrlich machen. Als Beispiel sei hier das Buchpreisbindungsgesetz erwähnt 8.
III. Die typische Dreieckskonstellation des Wettbewerbsrechts Versteht man das Wettbewerbsrecht als das Recht des Marktes, so wird deutlich, dass 15 den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften die Vorstellung eines Dreiecksverhältnisses zugrunde liegt: Ein Markt setzt voraus, dass neben zumindest einem Anbieter und einem Nachfrager zumindest eine weitere Person vorhanden sein muss. Typischerweise wird man diese Dritte Person gedanklich zunächst auf Anbieterseite positionieren, es handelt sich dann um einen typischen Anbietermarkt. Dieses Dreiecksverhältnis kommt zugleich in der dem UWG von 2004 vorangestellten Schutzzweckbestimmung zum Ausdruck, wenn es dort (§ 1 UWG) heißt: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und der 16 Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb“. Der Aussagegehalt des § 1 UWG geht allerdings über die bloße Definition der am Wett- 17 bewerb beteiligten Personen hinaus. Mit der Regelung werden sowohl die unmittelbar am Wettbewerbsgeschehen beteiligten Personen zum Schutzsubjekt des Wettbewerbsrechts erklärt als auch die Verbraucher und die Allgemeinheit. Damit gibt die Regelung des § 1 UWG einen gleichermaßen verlässlichen wie bindenden Maßstab für die teleologische Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften und die Fortbildung des UWG vor 9. Weil durch § 1 UWG neben den Mitbewerbern ausdrücklich auch die Verbraucher 18 und die Allgemeinheit in den Schutz des UWG einbezogen werden, wird häufig von dem sog Schutzzwecktrias des UWG gesprochen 10. 8 9
Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 11.141. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 4.
10
Vgl bereits die Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 13.
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Zwar gilt für das Wettbewerbsrecht gemäß der Legaldefinition des § 2 Abs 2 UWG der Verbraucherbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches, jedoch ist der Verbraucher im Rahmen der Schutzzweckbestimmung nur als eine Untergruppe der Marktteilnehmer genannt, so dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass die jeweilige Marktgegenseite (Anbieter, Nachfrager) auch dann in den Schutzbereich des UWG einbezogen ist, wenn diese nicht aus Verbrauchern iSd § 13 BGB besteht (vgl hierzu die Definition der Marktteilnehmer in § 2 Abs 1 Nr 2 UWG). Ob es vor diesem Hintergrund tatsächlich einer ausdrücklichen Einbeziehung der Verbraucher als solcher in den Schutzbereich des UWG bedurfte, muss bezweifelt werden. Diese Einbeziehung führt immerhin dazu, dass auch solche Verhaltensweisen mit wettbewerbsrechtlichen Mitteln bekämpft werden können, deren Auswirkungen im Einzelfall zwar gering sind, die jedoch mittelbar – etwa wegen Nachahmungsgefahr – eine Beeinträchtigung der Verbraucherrechte darstellen können11. Noch fragwürdiger ist indes die Einbeziehung des Interesses der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb in den Schutzbereich des UWG. Hier gilt einerseits der vorstehende gegen die Einbeziehung der Verbraucher als solcher in den Schutzbereich des UWG erhobene Einwand entsprechend, andererseits muss zudem die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt ein derart abstraktes Allgemeininteresse geben kann. Ein solches Interesse könnte allenfalls vor dem Hintergrund einer wechselseitigen Beeinflussung verschiedener Märkte und der Herausbildung marktübergreifender Sitten und Gepflogenheiten angenommen werden. Indes wäre gerade eine solche Begründung als Rechtfertigung für die Aufnahme des Allgemeinintereses in den Schutzbereich des UWG in höchstem Maße problematisch, weil das UWG vom grundsätzlichen Ansatz her nicht die „guten Sitten“ im Wettbewerb definiert, sondern diese gerade als Beurteilungsmaßstab voraussetzt. Zwar ist der noch in § 1 UWG aF verwendete Begriff der guten Sitten in der neuen wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG dem Begriff der Unlauterkeit gewichen, jedoch hat der Gesetzgeber damit lediglich eine Abkehr von einem antiquiert erscheinenden Begriff, nicht hingegen einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel intendiert 12. Wenn die guten Sitten damit nach wie vor Maßstab für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung sind, so ist es damit prinzipiell nicht vereinbar, dieselben zugleich als Bestandteil eines Schutzgutes anzusehen. Vor dem Hintergrund der Regelungssystematik des neuen UWG ist die Aufnahme des Allgemeininteresses an einem unverfälschten Wettbewerbs zwar nicht erforderlich, gleichwohl damit zu rechtfertigen, dass neben der mittelbar auf die guten Sitten Bezug nehmenden Generalklausel auch materielle Wertungen in den zahlreichen Beispieltatbeständen der §§ 4–7 enthalten sind. Die typische Konstellation des durch das Wettbewerbsrecht geregelten Marktes lässt sich damit wie folgt skizzieren: (siehe Seite 963) Treten Medienunternehmen als Anbieter oder Nachfrager in einem Markt auf, so bestehen hier zunächst unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten keine Besonderheiten 13. Die Medienunternehmen sind dann in ihrem Verhalten ebenso den allgemeinen Vorgaben des Wettbewerbsrechts unterworfen, wie sie auch den Schutz desselben für sich beanspruchen können. Wie bereits vorstehend gezeigt, bewegen sich die Medien jedoch nicht nur in ihren eigenen Beschaffungs- und Absatzmärkten, sondern sie dienen auch – bewusst oder unbewusst – als Mittler in vorhandenen anderen Märkten. Die vorstehend skizzierte,
11 12
Vgl dazu unten Rn 68. Vgl Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 16.
966
13
Vgl etwa unten Rn 54.
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Einführung: Stellung der Medien im Wettbewerbsrecht
c) Schutz der Marktteilnehmer
a) Schutz der Allgemeinheit
b) Schutz der Verbraucher
Nachfrager
Anbieter 1
Anbieter 2
dem Wettbewerbsrecht zugrundeliegende, Dreieckskonstellation kann daher wie folgt ergänzt werden, um die vielschichtige Beziehung der Medien und des Wettbewerbsrechts deutlich zu machen:
Nachfrager
Medium
Medium
Medium Anbieter 1
Anbieter 2
Während sich die miteinander im Wettbewerb stehenden Anbieter zur Ansprache der 24 Marktgegenseite gezielt der Medien bedienen, findet eine Kommunikation zwischen den Wettbewerbern allerdings nicht notwendigerweise statt. Gleichwohl kann auch hier den Medien eine entscheidende Bedeutung zukommen, etwa im Rahmen der Fallgruppe der gezielten Behinderung nach § 4 Nr 10 UWG. Letzteres lässt sich an dem Sachverhalt, der einer Entscheidung des LG Hamburg 25 zugrunde lag, deutlich machen: Ein Online-Händler richtete seine Internet-Seite so ein, dass diese für einen Wettbewerber nicht mehr aufrufbar war, indem er die Seite für eine bestimmte IP-Adresse sperrte. Dies geschah ganz bewusst, nachdem der Wettbewerber den Online-Händler wegen eines Verstoßes gegen die Preisangabenverordnung abgemahnt hatte. Die Folge war, dass der Wettbewerber nicht mehr in der Lage war, das Angebot des Online-Händlers auf etwaige Wettbewerbsverstöße zu überwachen. Das LG Hamburg 14 ist davon ausgegangen, dass eine gezielte Behinderung und damit ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr 10 UWG vorliegt. 14
Abgedruckt in NJW-RR 2007, 252 f.
Mirko Möller/Boris Blank
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3. Teil
Untersucht man die vielschichtige Beziehung der Medien und des Wettbewerbsrechts genauer, so kristallisiert sich insbesondere eine Fragestellung hinaus, nämlich diejenige nach der wettbewerbsrechtlichen Verantwortlichkeit und Haftung der Medien. In diese Thematik fallen die in der Rechtsprechung in den letzten Jahren wiederholt gestellten Fragen nach der Verantwortlichkeit eines Online-Auktionshauses für den Inhalt der von den Benutzern eingestellten Angeboten, die Frage nach der Haftung eines Internet-Forenbetreibers für von Dritten eingestellte Beiträge und derjenigen eines Zeitungsverlages im Falle der Annahme und des Abdrucks wettbewerbswidriger Anzeigen.
§2 Materielles Wettbewerbsrecht I. Der Aufbau des UWG 27
Das UWG ist ein vom Umfang her überschaubares und zudem in systematischer Hinsicht sinnvoll gegliedertes Gesetzeswerk; beides ist in Zeiten heutiger Gesetzgebungsgeschwindigkeit nicht selbstverständlich. Allen anderen Normen vorangestellt ist die bereits vorgestellte Schutzbereichsbestimmung des § 1 UWG 15. Sodann folgt nach europarechtlichem Vorbild mit § 2 UWG ein noch verhältnismäßig knapper Katalog an Begriffsdefinitionen. Folgende Begriffe werden durch diesen definiert: „Wettbewerbshandlung“, „Marktteilnehmer“, „Mitbewerber“ und „Nachricht“. Hinsichtlich der Begriffe des Verbrauchers und des Unternehmers wird in § 2 Abs 2 UWG auf die Vorschriften der §§ 13 und 14 BGB verwiesen. 28 § 3 UWG enthält die wettbewerbsrechtliche Generalklausel, deren Bedeutung heute vor allem in der regelungstechnisch dort verankerten allgemeinen Bagatellschwelle 16 zu sehen ist. § 4 UWG enthält in seinen Ziff 1–11 die meisten der von der Rechtsprechung schon zum früheren UWG entwickelten Fallgruppen in Form sog Beispieltatbestände wohingegen sich die Regelungen der irreführenden und der vergleichenden Werbung in § 5 bzw § 6 UWG finden. Schließlich enthält § 7 UWG weitere Beispieltatbestände aus dem Bereich unzumutbarer Belästigung. 29 Die §§ 8–11 UWG bilden das die (zivilrechtlichen) Rechtsfolgen normierende zweite Kapitel des UWG. Hier wird bestimmt, wer welche Ansprüche im Falle von Wettbewerbsverstößen Dritter geltend machen kann. Besondere Bedeutung kommt dem in § 8 UWG geregelten Unterlassungsanspruch zu. Durch § 9 UWG wird der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch geregelt, wobei sich in § 9 S 2 UWG eine Privilegierung für die Herausgeber periodischer Druckschriften findet (sog „Presseprivileg“). Lange umstritten war der in § 10 UWG nunmehr vorgesehene Gewinnabschöpfungsanspruch, den jedoch nur Verbände, nicht hingegen die Wettbewerber geltend machen können. § 11 UWG regelt schließlich die – die ab Kenntnis verhältnismäßig kurze – Verjährungsfrist wettbewerbsrechtlicher Ansprüche. 30 Das dritte Kapitel enthält in den §§ 12–15 UWG Verfahrensvorschriften. Eine wichtige Bestimmung ist diejenige des § 12 Abs 2 UWG, welche es ermöglicht, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche ganz überwiegend im einstweiligen Verfügungsverfahren durchzusetzen. Die §§ 13, 14 UWG enthalten Bestimmungen zur gerichtlichen Zustän-
15
Vgl vorstehend Rn 8.
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Vgl vorstehend Rn 9.
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digkeit in Wettbewerbssachen und § 15 UWG regelt das Verfahren vor den sog Einigungsstellen, welche bei den Industrie- und Handelskammern zum Zwecke der außergerichtlichen Streitbeilegung eingerichtet werden. Den Abschluss bildet das vierte Kapitel, welches in den §§ 16–19 UWG Strafvor- 31 schriften enthält. Mit Ausnahme der in § 16 UWG normierten Tatbestände strafbarer Werbung handelt es sich bei den Delikten ausschließlich um solche, die nur auf Antrag verfolgt werden, wenn nicht ausnahmsweise ein besonderes öffentliches Interesse durch die Strafverfolgungsbehörden festgestellt wird.
II. Die wettbewerbsrechtliche Generalklausel 1. Aufbau des § 3 UWG Der Grundtatbestand für das Wettbewerbszivilrecht ist § 3 UWG. Die Norm lautet:
32
„Unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum 33 Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, sind unzulässig.“ Neben der besonderen Bedeutung, die dieser Regelung im Hinblick auf die darin ent- 34 haltene allgemeine Bagatellschwelle („nicht nur unerheblich“) zukommt, liegt die weitere Bedeutung in der Definition des Anwendungsbereiches des Wettbewerbszivilrechts. Dieser erstreckt sich ausschließlich auf Wettbewerbshandlungen. Auffällig ist, dass die wettbewerbsrechtliche Generalklausel – anders als § 1 UWG aF – keinerlei Rechtsfolgen enthält. Unlautere Wettbewerbshandlungen werden – sofern die Bagatellschwelle überschritten ist – lediglich für unzulässig erklärt. Die Rechtsfolgen, dh die aus dem wettbewerbswidrigen Verhalten folgenden Ansprüche ergeben sich erst aus den Vorschriften des zweiten Kapitels, namentlich den §§ 8–10 UWG. Diese Vorschriften nehmen entsprechend Bezug auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel und beginnen ausnahmslos mit: „Wer dem § 3 […] zuwiderhandelt …“ 17
35
Bei § 3 UWG handelt es sich somit um eine unvollständige Rechtsnorm, die nicht los- 36 gelöst von den in den Vorschriften des zweiten Kapitels geregelten Rechtsfolgen betrachtet werden kann. Dies gilt um so mehr, als es nunmehr durch die in § 3 UWG verortete allgemeinen Bagatellklausel Wettbewerbshandlungen gibt, die zwar gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen und damit unlauter sind, zugleich jedoch wegen ihrer verhältnismäßig geringen Auswirkungen keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche auslösen 18. Da § 3 UWG eine Konnexität zwischen den Begriffen der Unlauterkeit und der Unzulässigkeit herstellt, würde die von den Rechtsfolgenvorschriften losgelöste Betrachtung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel zudem die Gefahr des Umkehrschlusses provozieren, wonach Wettbewerbshandlungen dann als zulässig angesehen werden müssten, wenn sie entweder lauter oder zwar unlauter, aber hinsichtlich ihrer nachteiligen Auswirkungen nur unerheblich sind. Der Sinn und Zweck der allgemeinen Bagatellklausel besteht jedoch nicht darin, unlauteres Verhalten nur aufgrund seiner verhältnismäßig geringen Auswirkungen zu legitimieren 19, sondern die – gleichwohl unlauteren – Baga-
17
Zur stilistischen Kritik an der Formulierung s unten Rn 317.
18 19
Dazu unten Rn 76. BT-Drucks 15/1487, 17.
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tellfälle von der wettbewerbsrechtlichen Verfolgung auszunehmen, um damit der Gefahr missbräuchlicher Rechtsausübung bereits im Vorfeld zu begegnen 20. 2. „Wettbewerbshandlung“
37
Über den in § 3 UWG enthaltenen Begriff der Wettbewerbshandlung wird der Anwendungsbereich des UWG definiert. Neben dem Begriff der Unlauterkeit handelt es sich hierbei um den zentralen Begriff des UWG, der zudem im Rahmen der dem Gesetz vorangestellten Definitionen in § 2 Abs 1 Nr 1 UWG legaldefiniert ist. Der Begriff löst die im früheren UWG verwendete – und bis heute von den Instanzgerichten in der Tenorierung wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen aufgegriffene – Formulierung des „Handelns im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ ab, mit welcher er nach überwiegender Auffassung zumindest weit gehend deckungsgleich ist 21. Der Begriff der Wettbewerbshandlung wird in § 2 Abs 1 Nr 1 UWG wie folgt definiert: 38 Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet 39 1. „Wetttbewerbshandlung“ jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern;
40
Mit dieser gesetzlichen Definition werden zwei wichtige und früher teilweise umstrittene Fragen bereits durch den Gesetzeswortlaut eindeutig beantwortet: Zum einen bestimmt das Gesetz nunmehr ausdrücklich, dass die Annahme einer 41 Wettbewerbshandlung nicht voraussetzt, dass der Handelnde sein eigenes Unternehmen fördert, es reicht die Förderung eines fremden Unternehmens aus, zum anderen ist klargestellt, dass unter den Begriff der Wettbewerbshandlung nicht nur auf den Absatz bezogene Handlungen fallen, sondern auch solche, die der Beschaffung von Waren oder Dienstleistungen dienen. In letzterem Punkt geht die Definition der Wettbewerbshandlung des UWG über die 42 Definition des Begriffs der Werbung im Sinne der Irreführungs-Richtlinie 22 hinaus, an dessen Art 2 Nr 1 sie sich jedoch grds anlehnt. Auch innerhalb der Systematik des UWG ist das Verhältnis der Begriffe Wettbewerbs43 handlung und Werbung noch nicht abschließend geklärt 23. Das UWG verwendet neben dem Begriff der Wettbewerbshandlung vor allem in den §§ 5–7 UWG auch den Begriff der Werbung und in § 4 Nr 3, 5 denjenigen des Werbecharakters. Insbesondere die Formulierung des § 4 Nr 3 UWG deutet darauf hin, dass die Begriffe zumindest zum Teil deckungsgleich sind. Soweit der Begriff der Werbung im Rahmen der §§ 5–7 UWG als Beispiel für unlautere Wettbewerbshandlungen iSd § 3 UWG verwendet wird, kommt damit zudem zum Ausdruck, dass ersterer Begriff in letzterem vollständig enthalten sein muss 24. Fraglich ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen eine Wettbewerbshandlungen umgekehrt nicht als Werbung angesehen werden kann. Praktische Relevanz hat 20 21
22
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 48. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 UWG Rn 4; Köhler GRUR-RR 2006, 1; Fezer/Fezer § 3 UWG Rn 8. Richtlinie 84/450/EWG vom 10.9.1984 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl Nr L 250, 17.
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23
24
Vgl auch zum Begriff der Werbung OVG Münster (Landesberufsgericht für Heilberufe) NJW 2007, 3144, 3145. So auch OLG Hamburg NJW-RR 2006, 1637 – Veröffentlichung von Insiderinformationen als Wettbewerbshandlung.
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diese Frage bislang vor allem in denjenigen Fällen erlangt, in welchen – ohne Zustimmung des Empfängers – geschäftliche E-Mails versendet wurden, mit denen nicht die Leistungen des Absenders angepriesen oder angeboten, sondern sondern vom Empfänger der E-Mail zu erbringende Leistungen nachgefragt wurden. Während das OLG Düsseldorf 25 und das OLG Naumburg 26 hier davon ausgegangen sind, dass die durch die Definition in § 2 Nr 1 UWG erfolgte Gleichschaltung von Anbieter- und Nachfragemarkt nur für den Begriff der Wettbewerbshandlung, nicht jedoch für den Begriff der Werbung iSd § 7 Abs 2 UWG gilt und dementsprechend ein Verstoß gegen § 7 Abs 2 UWG verneint haben 27, hat sich das OLG Hamm 28 sowohl über die beschränkte Reichweite der Legaldefinition des § 2 Nr 1 UWG als auch der von dem Gericht als Grundlage herangezogenen Definition des Art 2 Nr 1 der Irreführungs-Richtlinie hinweggesetzt 29. Es liege – so das OLG Hamm – eine planwidrige Regelungslücke vor, die durch „eine analoge Erstreckung der Definition der Werbung jedenfalls im Rahmen des § 7 II UWG auch auf die Bezugsförderung zu schließen“ sei. Dies wurde von dem Gericht vor allem damit begründet, dass man anderenfalls zu unterschiedlichen Anwendungsbereichen des § 7 Abs 1 und des § 7 Abs 2 UWG gelangen würde. Gerade letztere Argumentation überzeugt jedoch nicht. Es spricht angesichts der durch die Generalklausel des § 3 UWG und den ebenfalls noch recht offen formulierten Tatbestand des § 7 Abs 1 UWG eröffneten Flexibilität nichts dagegen, den recht strengen Automatismus des § 7 Abs 2 UWG auf die Fälle der Absatzhandlungen zu beschränken und bzgl der Beschaffungshandlungen einen eigenen sachgerechten Maßstab auf der Grundlage des § 7 Abs 1 UWG zu entwickeln. Unter Zugrundelegung eines solchen Maßstabes ließe sich etwa eine an zahlreiche Empfänger zeitgleich versandte E-Mail auch dann als unzumutbare Belästung und damit als wettbewerbswidrig ansehen, wenn diese zumindest dem äußeren Anschein nach nur die Anfrage nach einem Angebot enhält, tatsächlich aber in erster Linie darauf abzielt, den Namen des Unternehmens weitläufig bekannt zu machen. Zugleich könnte man auf der Grundlage eines solchen eigenen Maßstabes widerspruchsfrei eine einzelne, die Bitte um Übersendung der aktuellen Preisliste oder eines konkreten Angebots enthaltenden, E-Mail-Nachfrage – etwa bei der Anzeigenabteilung einer Zeitung – als wettbewerbsrechtlich unbedenklich einstufen. Die Tatsache, dass auch die Förderung eines fremden Unternehmens Wettbewerbs- 44 handlung sein kann, hat gerade für die Medienunternehmen erhebliche Bedeutung, weil jede über die Medien kommunizierte Verlautbarung über Produkte oder Verhältnisse von Unternehmen potentiell dazu geeignet ist, den Wettbewerb zu Gunsten der einen und zu Lasten der anderen Unternehmen zu beeinflussen. Seit Inkrafttreten des neuen UWG besteht ein lebhafter Streit darüber, wie das Merk- 45 mal mit dem Ziel in der Definition des § 2 Abs 1 Nr 1 UWG auszulegen ist. Während die wohl überwiegende Auffassung unter Rückgriff auf die frühere Formulierung des § 1 UWG aF („Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs“), die durch den Begriff der Wettbewerbshandlung in § 3 UWG abgelöst wurde, davon ausgeht, eine Wettbewerbshandlung setze als subjektiven Tatbestand eine Wettbewerbsförderungsabsicht des Handelnden vor25 26 27
28 29
OLG Düsseldorf MMR 2006, 171. OLG Naumburg NJOZ 2006, 2795. Nicht deutlich hingegen BGH GRUR 2007, 607 Rn 20 – Telefonwerbung für „Individualverträge“. OLG Hamm GRUR-RR 2006, 379. Kurz vor Drucklegung wurden die Entscheidungen BGH I ZR 75/06 – Royal Cars und
BGH I ZR 197/05 – FC Troschenreuth verkündet. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, des BGH hat sich aber offensichtlich der Auffassung des OLG Hamm angeschlossen. Dazu die Pressemeldung Nr 136/2008 des BGH. Vgl zur Problematik auch unten Rn 292.
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aus 30, will die Gegenmeinung dieses Merkmal rein objektiv verstehen 31. Die praktischen Auswirkungen dieses Meinungsstreits sind indes eher gering. Dies hängt damit zusammen, dass sich die subjektiven Absichten des Handelnden ohnehin nur selten mit der erforderlichen Gewissheit feststellen lassen. Die Praxis war daher auch früher schon darauf angewiesen, aufgrund objektiver Anhaltspunkte auf die subjektiven Absichten des Handelnden zu schließen. Hierzu haben sich bestimmte Vermutungsregeln entwickelt, die auch heute noch angewandt werden können und zwar – in geringfügig modifizierter Weise – selbst dann, wenn man der objektiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals folgt 32. Nach zutreffender Auffassung ist das Tatbestandsmerkmal „mit dem Ziel“ subjektiv 46 auszulegen. Dieses Ergebnis ergibt sich jedoch nicht etwa unter Rückgriff auf die frühere Formulierung des § 1 UWG aF, sondern aus der Tatsache, dass schon das Merkmal „Handlung“ an sich nicht ausschließlich eine objektive, sondern auch eine subjektive Komponente beinhaltet. Ein und derselbe äußere Vorgang kann sich sowohl als Handlung als auch als Reflex bzw unwillkürliche Bewegung darstellen. Die Grenze verläuft dort, wo das menschliche Verhalten von einem natürlichen Handlungswillen – und damit einer subjektiven Tatsache – getragen ist. So kann sich etwa ein und dieselbe Bewegung des Fingers entweder als unwillkürliches Muskelzucken oder als bewusst geführter Mausklick zur Versendung einer E-Mail erweisen. Der Mausklick wird erst durch die subjektive Komponente des natürlichen Handlungswillens zur menschlichen Handlung. Würde man die Handlung auf deren äußeren (objektiven) Aspekt beschränken, so könnte man in ihr zudem gar kein „Ziel“, sondern allenfalls die Ursache einer möglichen Folge erkennen. Eine Handlung kann daher nur dann als eine der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle unterliegende Verhaltensweise angesehen werden, wenn diese von einem natürlichen Handlungswillen getragen und zudem in Wettbewerbsabsicht vorgenommen wird. Gleichwohl wird es nur selten auf die tatsächliche hinter der Handlung stehende 47 Absicht ankommen. Dies hängt damit zusammen, dass sich die Rechtsprechung hier – zu Recht – mit Vermutungsregeln behilft, da die tatsächlich hinter einer Handlung stehende Absicht aufgrund ihrer Subjektivität allenfalls in Ausnahmefällen zuverlässig ermittelt werden kann. Im Rahmen der Vermutungsregeln kann dann der Frage Bedeutung zukommen, ob die fragliche Handlung das Unternehmen des Handelnden oder das Unternehmen eines Dritten objektiv gefördert hat. Während sich die Absicht der Förderung des eigenen Unternehmens häufig aufdrängt 33, bedarf es für gewöhnlich weiterer 30
31
OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test; OLG München GRUR-RR 2006, 268, 271 ff – TrivialPatente; LG Berlin GRUR-RR 2005, 325, 327 – Manipulation von Musikhitlisten; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 UWG Rn 24; unklar BGH GRUR 2007, 987 Rn 22 – Änderung der Voreinstellung und BGH GRUR 2007, 805 Rn 15 – Irreführender Kontoauszug. Vgl Fezer/Fezer § 2 UWG Rn 31 ff; Piper/Ohly/Piper § 2 UWG Rn 22 f; wohl auch OLG Nürnberg BeckRS 2007, 00751, das eine Wettbewerbshandlung mit der Begründung annimmt, dass die Handlung der Bekl „weit über das individuelle Vertragsverhältnis hinausreicht“.
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32 33
Dies verneinend Piper/Ohly/Piper § 2 UWG Rn 24. Die Rechtsprechung geht insofern sogar davon aus, dass die irreführende Gestaltung von Kontoauszügen, bei denen nicht hinreichend deutlich zwischen Buchungs- und Wertstellungstag unterschieden wird, eine Wettbewerbsförderungsabsicht indiziere, weil dadurch Bankkunden veranlasst werden könnten, Kredite in Anspruch zu nehmen, die sie bei wahrer Kenntnis der Sachlage nicht in Anspruch nehmen würden, vgl BGH GRUR 2007, 805 Rn 15 – Irreführender Kontoauszug; zum UWG aF: BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; zust Köhler GRUR-RR 2007, 337 f.
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Anhaltspunkte für die Annahme, dass ein fremdes Unternehmen gefördert werden soll 34. Letzteres gilt jedenfalls dann, wenn neben der Wettbewerbsförderungsabsicht auch noch andere Beweggründe in Betracht kommen 35. Der Annahme einer subjetiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals unter Verweis auf 48 die Vermutungsregeln auf der Beweislastebene ließe sich entgegenhalten, dass man damit zumindest in Einzelfällen bewusst – aus dem eigenen Standpunkt heraus betrachtet – „falsche“ Ergebnisse in Kauf nimmt, was sich durch eine objektive Auslegung vermeiden ließe 36. Dieser Einwand würde jedoch verkennen, dass es sich hierbei nicht um ein Spezifikum des hier problematischen Merkmals handelt, sondern um ein ganz allgemeines Beweisproblem, welches insbesondere bei dem Beweis subjektiver Tatbestandsmerkmale virulent wird. Die Rechtsordnung sieht selbst an zahlreichen Stellen Vermutungsregelungen vor, die dazu führen können, dass es zu einer – an der materiellen Rechtslage gemessen – „falschen“ Bewertung von Sachverhalten kommt, wenn es nicht gelingt, die gesetzliche Vermutung zu entkräften. Das UWG kennt in § 5 Abs 4 UWG eine solche Vermutung. Letztlich könnte es demgegenüber jedoch nur als Augenwischerei angesehen werden, wenn man über das „praktisch Beweisbare“ die objektive Rechtslage definieren würde, indem man das subjektive Merkmal um die nicht dem Beweis zugänglichen Anteile verkürzt und auf ein Merkmal des objektiven Tatbestandes „aufsetzt“. Der Vorteil der Anwendung von Vermutungsregeln besteht in deren Flexibilität. Zu- 49 nächst wird zwar ein bestimmter nach abstrakten Kriterien bestimmter Sachverhalt als Anknüpfungspunkt für die Annahme weiterer Sachverhaltselemente benutzt, gleichwohl wird damit nicht der Weg verschlossen, aufgrund anderer im Einzelfall vorliegender Umstände die Vermutung zu widerlegen. Betrachtet man die bisherige Kasuistik der Vermutungsregeln, so ist festzustellen, dass hier insbesondere die Medienunternehmen eine sehr weit gehende Bevorzugung erfahren haben. Dies ist vor dem Hintergrund der Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit sowie der öffentlichen Aufgabe der Presse 37 auch gerechtfertigt. Akzeptiert man, dass die Anwendung von Vermutungsregeln grds die – bewusst in Kauf genommene – Gefahr „falscher“ Ergebnisse einschließt, so kann dies letztlich nur mit der Bedeutung des Schutzes des Wettbewerbs vor unlauteren Einflüssen gerechtfertigt werden. Dieser Schutz eines verfassungsmäßig nicht ausdrücklich in einen besonderen Rang erhobenen Gutes darf jedoch nicht so weit gehen, dass damit die ungerechtfertigte Einschränkung verfassungsmäßig besonders geschützter Institutionen und Freiheiten einhergeht 38. In der Rechtspraxis bedeutet dies, dass bei redaktionellen Beiträgen auch dann eine Wettbewerbsabsicht des Medienunternehmens bzw des betreffenden Redakteurs oder Journalisten nicht vermutet werden kann, wenn der Beitrag objektiv dazu 34
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Köhler GRUR-RR 2006, 1; LG Berlin GRUR-RR 2005, 325, 327 – Manipulation von Musikhitlisten. Sehr ausführliche Prüfung der in Betracht kommenden Beweggründe bei Äußerung eines Verbandssprechers, der zugleich Geschäftsführer einer GmbH ist in OLG München GRUR-RR 2006, 268, 271 ff – Trivial-Patente. So im Ansatz Piper/Ohly/Piper § 2 UWG Rn 24, die von einem „Umweg durch Negation der Vermutung einer subjektiven Wettbewerbsabsicht“ sprechen. S dazu unter Rn 21 ff des 2. Kapitels von Teil 4 dieses Buches.
38
In diese Richtung gehend wohl auch BVerfG NJW 2003, 277, 278 – Juve-Handbuch, wobei das Gericht aber zumindest im Ansatz eine Schutzgüterabwägung vorzunehmen scheint. Bedenklich hingegen die Formulierung bei BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II, wonach dem Wettbewerbsschutz unter bestimmten Umständen ein „Vorrang“ vor dem Grundrecht aus Art 5 Abs 1 GG zukomme (tatsächlich wollte das Gericht damit zum Ausdruck bringen, dass das fragliche Verhalten gar nicht in den Schutzbereich des Grundrechts fällt).
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geeignet ist, den eigenen Wettbewerb zu fördern 39. Es ist vielmehr zunächst davon auszugehen, dass nicht die Wettbewerbsförderungsabsicht den Beweggrund für den redaktionellen Beitrag darstellt, sondern das Bestreben, die Öffentlichkeit zu informieren und zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Beitrag kritisch mit einem Wettbewerber oder dessen Produkten auseinandersetzt 40. Auf der anderen Seite darf diese Sonderbehandlung der Medienunternehmen nicht so 50 weit führen, dass sie zur Gewährung eines „wettbewerbsrechtlichen Freifahrtscheins“ führt. So wichtig die Respektierung der in Anspruch genommenen Grundrechte der Medienunternehmen ist, so wichtig ist auch die Verhinderung bewusst getarnter Wettbewerbshandlungen 41. Mit derartigen Wettbewerbshandlungen wird nicht nur der Wettbewerb, sondern – was angesichts der Bedeutung von Rundfunk- und Presse noch gravierender ist – die öffentliche Meinungsbildung in inakzeptabler Weise verzerrt. Beispiel: Fast schon hat man sich daran gewöhnt, dass in bestimmten Presseorganen belanglos erscheinende Unternehmensmeldungen erscheinen, deren Bedeutung für die Allgemeinheit äußerst zweifelhaft sind. Nicht selten findet man dann in exakt derselben Zeitung – teilweise noch auf derselben Seite – eine (bezahlte) Anzeige desselben Unternehmens 42. Eine derartige Verknüpfung zwischen bezahlter Anzeige und – scheinbar – redaktionellem Beitrag führt nicht nur dazu, dass der Leser überhaupt nicht erkennen kann, dass die hinter dem Beitrag stehende Absicht nicht in der Information der Allgemeinheit bzw der Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung, sondern vor allem in der Förderung eines (fremden) Wettbewerbs liegt. Eine derartige auf Täuschung beruhende Instrumentalisierung der Medienfunktion muss auch mit wettbewerbsrechtlichen Mitteln unterbunden werden. Sie entspricht auch weder dem vorherrrschenden Selbstverständnis der Medienunternehmen noch der Werbewirtschaft. So bestimmen etwa die Richtlinien des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft über redaktionell gestaltete Anzeigen 43:
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Redaktionelle Beiträge in Bild und Text außerhalb des Anzeigenteils einer Druckschrift, die a) als zusätzliche Gegenleistung des Verlegers im Zusammenhang mit der Erteilung eines Anzeigenauftrages angeboten, gefordert oder veröffentlicht werden, b) dabei in Form, günstiger Beurteilung oder mit dem Anschein der Objektivität den Anzeigenauftraggeber, seine Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen erwähnen und 39
40
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 UWG Rn 33; BGH GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebahren; BGH GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher; BGH NJW 2006, 2764, 2765 – RechtanwaltsRanglisten; BGH GRUR 2000, 703, 706 f – Mattscheibe; BGH GRUR 1998, 947, 948 – AZUBI ’94; BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II; BGH GRUR 1982, 234, 235 – Großbanken-Restquoten; zusammenfassende Darstellung der diesbezüglichen Rechtsprechung auch bei Lettl GRUR 2007, 936, 940. BGH GRUR 2000, 703, 706 f – Mattscheibe; BGH GRUR 1982, 234, 235 – GroßbankenRestquoten; vgl aber auch Rn 121 zur An-
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42 43
wendung der Vermutungsregeln, wenn ohne publizistischen Anlass ein Unternehmen oder ein Produkt unter mehreren unangemessen hervorgehoben wird. Vgl BGH GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I und BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II, wo jeweils von einer „redaktionellen Tarnkappe“ die Rede ist. Lettl GRUR 2007, 936, 943 f geht in Bezug auf diese Entscheidung jedoch davon aus, dass der BGH heute eine großzügigere Sichtweise zugrundelegen würde. Vgl zu den sog „anzeigenunterstützenden redaktionellen Beiträgen“ unten Rn 124. Abrufbar unter www.zaw.de → Services → Literatur → Regelwerke.
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c) hierdurch dem Erwerbstreben dienen, ohne diese Absicht erkennen zu lassen, sind unlauter. Diese Kopplungsangebote sind daher verboten. Die vorstehenden Grundsätze schließen es auch nicht schlechthin aus, dass bereits aus Form und Inhalt des (scheinbar) redaktionellen Beitrags auf eine dahinter stehende Wettbewerbsförderungsabsicht des Medienunternehmens bzw der verantwortlichen Personen geschlossen wird. Hier ist jedoch grds Zurückhaltung geboten. Erst wenn der absatzfördernde Charakter der Veröffentlichung klar und deutlich zu Tage tritt, kann aus ihm gefolgert werden, dass der Veröffentlichung auch eine entsprechende Absicht zu Grunde liegt 44. Die solchermaßen bestehende Privilegierung der Medienunternehmen darf allerdings auch nicht so weit führen, dass sich Dritte hinter dieser verstecken können, etwa indem sie ihre wettbewerbsfördernden Äußerungen als Pressemitteilungen abfassen und einer Verbreitung über die Medien zuführen 45. Die wörtliche Übernahme eines von einem Dritten – auch in Wettbewerbsabsicht – formulierten Textes kann jedoch durchaus aus Sicht der Medienverantwortlichen als redaktionelle (Selektions-)Leistung anzusehen sein, die nicht in Wettbewerbsabsicht erfolgt46. Soweit es um das Anzeigengeschäft oder die Gewinnung von Lesern, Abonennten, Hörern oder Zuschauern geht, bewegen sich auch die Medienuntnernehmen in einem allgemeinen Wettbewerb. Es gibt keinen Grund dafür, hier eine Ausnahme von den für jedermann geltenden Vermutungsregeln für das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht zu machen. Im Anzeigengeschäft ist demnach nicht nur davon auszugehen, dass die Medien ihren eigenen Wettbewerb, sondern auch denjenigen des Auftraggebers fördern 47. Soweit sie dabei ihren eigenen Wettbewerb fördern, etwa indem sie durch eigene Werbung neue Anzeigenkunden oder Leser akquirieren, gibt es auch keinen Grund, hier einen grds anderen wettbewerbsrechtlichen Maßstab anzulegen. Auf eine derartige Förderungsabsicht des Anzeigengeschäfts als Beweggrund für eine bestimmte Veröffentlichung kann allerdings noch nicht deshalb geschlossen werden, weil in der Veröffentlichung potentielle Anzeigenkunden besonders positiv herausgestellt werden 48. Soweit die Medien durch die Veröffentlichung von Anzeigen oder anderweitiger durch Dritte gestalteter Werbung den Wettbewerb fremder Unternehmen fördern, sieht das UWG in § 9 S 2 trotz Vorliegens der Wettbewerbsförderungsabsicht eine Privilegierung für bestimmte Medienunternehmen, namentlich der Herausgeber periodischer Druckschriften, vor 49. Neben der informierenden und meinungsbildenden Tätigkeit der Medienunternehmen gibt es auch andere Handlungen, die – obwohl sie durchaus einem Unternehmen zum Vorteil gereichen – typischerweise nicht in Wettbewerbsabsicht vorgenommen werden, so dass eine generelle Vermutung einer derartigen Absicht nicht gerechtfertigt ist. Dies gilt insbesondere für wissenschaftliche Beiträge, die ihrerseits den grundrechtlichen Schutz der Wis44 45
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Zum neuen Recht: OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. So ging etwa das OLG Hamburg BeckRS 2007, 03289 – Spielzeugautorennbahn ohne nähere Begründung davon aus, dass bei Verbreitung einer Kritik an dem Produkt eines Wettbewerbers eine Wettbewerbshandlung iSd § 2 Abs 1 Nr 1 UWG vorliegt. Dazu unten Rn 126. BGH GRUR 1973, 203, 204 – Badische Rundschau; BGH GRUR 1990, 1012, 1013 – Pressehaftung; BGH GRUR 1993, 53, 54 –
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Ausländischer Inserent; BGH GRUR 1994, 841, 842 f – Suchwort; BGH GRUR 1995, 595, 597 – Kinderarbeit; BGH GRUR 1995, 600, 601 – H.I.V. POSITIVE; BGH GRUR 1997, 909, 910 – Branchenbuch-Nomenklatur; OLG Frankfurt aM NJW 2005, 157 – Berufsrechtswidrige Telefonbucheinträge von Rechtsanwälten; Lettl GRUR 2007, 936, 940. BGH GRUR 2006, 875, Rn 28 – Rechtsanwalts-Ranglisten; krit Lettl GRUR 2007, 936 ff. Dazu unten Rn 337.
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senschaftsfreiheit nach Art 5 Abs 3 GG für sich in Anspruch nehmen können. Aber auch diesbezüglich gilt, dass sich niemand der wettbewerbsrechtlichen Verantwortung dadurch entziehen kann, dass er die Wettbewerbshandlung in den Deckmantel einer wissenschaftlichen Äußerung kleidet 50. Von dieser Annahme muss jedoch zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, da diese anderenfalls zu einer mittelbaren inhaltlichen Kontrolle wissenschaftlicher Tätigkeit durch das Wettbewerbsrecht führen würde. Zu Recht ist das OLG Hamburg daher – anders als noch die Vorinstanz – davon ausgegangen, dass negative Äußerungen eines Rechtsanwalts über einen bestimmten Fonds-Prospekt nicht als Wettbewerbshandlungen angesehen werden können, wenn diese im Rahmen eines Seminars vor Anlageberatern gefallen sind und der Referent Beiratsmitglied eines Wettbewerbers ist 51. Wenn der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts in Ermangelung einer ent56 sprechenden Wettbewerbsabsicht nicht eröffnet ist, so ist das Handeln gleichwohl nicht jeglicher rechtlicher Kontrolle entzogen. In dem vorbeschriebenen Fall des OLG Hamburg hat das Gericht den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus §§ 824, 1004 BGB zugesprochen. Ebenso unterliegt auch die ohne Wettbewerbsabsicht vorgenommene informierende und meinungsbildende Tätigkeit der Medien der Kontrolle der allgemeinen Gesetze. Problematisch sind vor allem diejenigen Konstellationen, in denen einer bestimmten 57 Handlung nicht nur eine, sondern verschiedene Motivationen zu Grunde liegen. Nach der früheren Rechtsprechung zu § 1 UWG aF wurde ein „Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs“ bereits dann angenommen, wenn die auf Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs gerichtete Absicht jedenfalls nicht völlig hinter andere Beweggründe zurücktritt 52. Zu § 2 Nr 1 UWG wird die Auffassung vertreten, diese frühere Rechtsprechung könne ohne Weiteres auf das geltende Recht übertragen werden 53. Dies ist jedoch nicht uneingeschränkt zutreffend. Während § 1 UWG aF ein „Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs“ forderte und damit – schon dem Wortlaut nach – von einer theoretischen Mehrheit von Zwecken ausging, spricht § 2 Nr 1 UWG nur noch von einer Handlung mit „dem Ziel, […] den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen […] zu fördern“. Der Artikel „dem“ ist dabei nicht etwa in dem Sinne zu verstehen, dass jeder Handlung grds nur ein einziges Ziel zugeschrieben werden kann, sondern dahingehend, dass der dahinterstehende Beweggrund tatsächlich ein „Ziel“ der Handlung und nicht nur ein zu erwartender und billigend in Kauf genommener Nebeneffekt ist. Zutreffenderweise kann daher – in Abweichung von der früheren Rechtsprechung – auch ein scheinbar untergeordneter Beweggrund das Ziel einer Handlung sein, wenn die Handlung nämlich – den untergeordneten Beweggrund hinweggedacht – nicht vorgenommen worden wäre. In diesem Fall ist es trotz der untergeordneten Bedeutung des Beweggrundes durchaus gerechtfertigt, das Handeln insgesamt der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Die Flexibilität der Generalklausel sowie die vorgesehene Bagatellgrenze erlauben es, hier die Motivlage bei der Bewertung entsprechend zu berücksichtigen. 50
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BGH GRUR 1962, 34, 36 – Torsana; KG GRUR-RR 2005, 162, 163 – Arzneimitteleigenschaften kraft Präsentation. OLG Hamburg NJW-RR 2007, 702, 704 f – Emissionsprospekt. BGH GRUR 1990, 373, 374 – SchönheitsChirurgie; BGH GRUR 1992, 450, 452 – Beitragsrechnung; BGH NJW-RR 1997, 104 – Testfotos II; BGH GRUR 1997, 761,
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763 – Politikerschelte; BGH GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher; BGH GRUR 2003, 800, 801 – Schachcomputerkatalog. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 UWG Rn 26; OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 385, 386 – Ladenhüter; OLG München GRUR-RR 2006, 268, 274 – TrivialPatente.
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Beispiele: Der Chefredakteur einer Tageszeitung entschließt sich zur spontanen Veröf- 58 fentlichung einer ihm bereits seit längerem vorliegenden Reportage über die Firmengeschichte eines örtliches Einzelhandelsunternehmens, nachdem ihm von seiner Anzeigenabteilung mitgeteilt wurde, dass das Unternehmen seit einigen Wochen keine Anzeigenaufträge mehr geschaltet hat und man dies darauf zurückführe, dass das Unternehmen zu wenig Erwähnung im redaktionellen Teil der Zeitung finde. Ein Unternehmer unterstützt die neu gegründete Theater-AG der Schule seiner Kinder mit einer finanziellen Zuwendung. Dies geschieht jedoch erst, nachdem ihm ausdrücklich zugesichert wurde, dass sein Firmenlogo in einem später möglicherweise einmal erscheinenden Programmheft abgedruckt wird. Es kommt also im Hinblick auf die materielle Rechtslage nicht etwa auf die relative 59 Gewichtung der hinter einer Handlung stehenden Beweggründe, sondern lediglich darauf an, ob sich die Wettbewerbsförderung als für die Handlung ursächlich darstellt. Aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten des Beweises subjektiver Tatsachen, kann der Gewichtung verschiedener Motive jedoch gleichwohl eine nicht zu unterschätzende praktische Bedeutung zukommen: Je unbedeutender ein Beweggrund unter Berücksichtigung anderer möglicher Beweggründe erscheint, desto eher ist anzunehmen, dass die Handlung auch unabhängig von diesem vorgenommen worden wäre und daher nicht auf diesem beruht. Hierbei kann es durchaus auch auf die Begleitumstände der Handlung ankommen. Wer eine veröffentlichte Ad-hoc-Meldung, zu welcher er nach dem Wertpapierhandelsgesetz zum Zwecke der Kapitalmarktinformation verpflichtet ist, unsachlich oder gar reißerisch gestaltet, kann damit durchaus zu erkennen geben, dass die Meldung – zumindest auch – in Wettbewerbsförderungsabsicht erfolgt. Es spricht nichts dagegen, eine derartige Handlung an den Maßstäben des Wettbewerbsrechts zu messen. Unzutreffend ist insofern jedoch die Argumentation des OLG Hamburg, welches in einer im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidung zunächst den Inhalt der Ad-hoc-Meldung untersucht und dann festgestellt haben will, dass dieser Inhalt unzutreffend sei und die Meldung daher schlechthin nicht zum Zwecke der Information der Kapitalanleger erfolgt sein könne 54. Dass auch unwahre Informationen gibt, die „zum Zwecke der Kapitalmarktinformation“ veröffentlicht sein können, ergibt sich bereits aus dem Gesetz selbst 55. Die Frage, ob eine bestimmte Äußerung inhaltlich unrichtig und daher irreführend ist, kann – unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten – erst dann von Bedeutung sein, wenn zunächst der Anwendungsbereich des UWG nach § 2 Nr 1 UWG eröffnet ist. Insofern kann es allenfalls darauf ankommen, ob der Urheber wissentlich eine Falschmeldung veröffentlicht hat, weil aus der positiven Kenntnis der Unrichtigkeit durchaus ein Rückschluss darauf gezogen werden kann, dass es dem Urheber in Wahrheit nicht auf die Information des Kapitalmarktes ankam, sondern er aus anderen Beweggründe handelte. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass es nicht geboten ist, auf gesetzlicher 60 Pflicht beruhende Handlungen von der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle per se auszunehmen 56. Der Gefahr etwaiger Widersprüche unterschiedlicher Regelungsregime lässt sich durch eine angemessene Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung 57 begegnen. 54
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OLG Hamburg NJW-RR 2006, 1637 f – Veröffentlichung von Insiderinformationen als Wettbewerbshandlung; zust allerdings Köhler GRUR-RR 2007, 129. § 15 Abs 2 S 2 WpHG: „Unwahre Informationen, die nach Absatz 1 veröffentlicht wurden, sind unverzüglich in einer Veröffentlichung nach Absatz 1 zu berichtigen, auch
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wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht vorliegen.“ So schon zur früheren Rechtslage BGH GRUR 1988, 832, 834 – Benzinwerbung. Zur Anwendung dieses Grundsatzes im Wettbewerbsrecht allgemein: Niederleithinger GRUR Int 1996, 467 ff.
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In keinem Fall kann die Wettbewerbsförderung als Beweggrund für eine Handlung angenommen werden, wenn der Handelnde diese nicht einmal bewusst will, sondern nur in Verfolgung anderer Zwecke notgedrungen in Kauf nimmt. Dies ist etwa beim Boykottaufruf einer Umweltschutzorganisation der Fall, wenn hierdurch – praktisch als Nebeneffekt – der Absatz der nicht boykottierten Unternehmen gesteigert wird 58. Ist eine Handlung weder auf den Absatz noch auf den Bezug von Waren oder Dienst62 leistungen gerichtet, so liegt von vornherein keine Wettbewerbshandlung vor. Dies ist etwa bei der Mitgliederwerbung durch Gesellschaften oder ideeller Vereinigungen der Fall 59. Etwas anderes gilt für solche Vereinigungen, deren Hauptzweck in der Erbringung von Dienstleistungen an die Mitglieder besteht 60. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 61 ist nach 63 dem zur Zeit vorliegenden Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 27.7.2007 62 vorgesehen, die bisherige Definition der Wettbewerbshandlung an den Begriff der Geschäftspraktik anzupassen 63. Das subjektive Element der Wettbewerbsförderungsabsicht soll nach dem Entwurf durch das Erfordernis eines unmittelbaren Zusammenhanges zwischen der Handlung und der Absatzförderung, mithin durch ein objektives Merkmal, ersetzt werden. 3. Eignung zur nicht unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung – „Bagatellklausel“
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Die allgemeine Bagatellklausel ist ein Novum des im Jahre 2004 in Kraft getretenen UWG. Indes waren auch dem zuvor geltenden UWG Bagatellklauseln nicht fremd, diese bestanden jedoch lediglich gegenüber einem begrenzten Adressatenkreis und mit unterschiedlicher Zielrichtung 64. Das heutige UWG hat insofern teilweise eine Lockerung und teilweise eine Verschärfung 65, in jedem Fall jedoch eine Vereinheitlichung mit sich gebracht. Nunmehr muss sich jedermann vor der Verfolgung vermeintlicher Wettbewerbsverstöße fragen, ob tatsächliche eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs angenommen werden kann. Fraglich ist indes, ob überhaupt ein allgemeiner Maßstab für die Bewertung der 65 Erheblichkeit gefunden werden kann. In der Begründung zum Regierungsentwurf des UWG heißt es insofern zu der dort erstmals vorgesehenen Bagatellklausel:
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„Die Verfälschung des Wettbewerbs muss darüber hinaus ‚nicht unerheblich‘ sein. Damit soll zum Ausdruck kommen, dass die Wettbewerbsmaßnahme von einem gewissen Gewicht für das Wettbewerbsgeschehen und die Interessen der geschützten Personenkreise sein muss. Dies bedeutet indes nicht, dass dadurch unlautere Wettbewerbshandlungen zu einem beachtlichen Teil legalisiert werden. Vielmehr soll die 58 59 60 61
OLG Stuttgart GRUR-RR 2006, 20, 21 – Absperrband-Aktion. BAG NJW 2005, 3019, 3020 – Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. Köhler GRUR-RR 2006, 1. Richtlinie 2005/29/EG vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung
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(EG) Nr 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl EG Nr L 149, 22. Abrufbar unter www.grur.de/cms/upload/ pdf/aktuelles/2007-08-17_07-07-27_ Referentenentwurf_endg.pdf; vgl auch GRUR 2007, 668 f. Dazu bereits Lutz GRUR 2006, 908, 909; zur richtlinienkonformen Auslegung des geltenden Rechts vgl Köhler NJW 2008, 177, 178 f. Darstellung bei Köhler GRUR 2005, 1. Systematische Darstellung bei Heermann GRUR 2004, 94, 95.
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Verfolgung von lediglich Bagatellfällen ausgeschlossen werden. Dementsprechend ist die Schwelle auch nicht zu hoch anzusetzen.“ Zwar wurde der Begriff der „Verfälschung“ im weiteren Gesetzgebungsverfahren durch den Begriff der „Beeinträchtigung“ ersetzt und in die Wendung „nicht unerheblich“ das Wort „nur“ eingefügt, indes war damit keinerlei inhaltliche Änderung gegenüber der Formulierung des Regierungsentwurfes bezweckt 66. Die bisherige Rechtsprechung hat dementsprechend die Schwelle auch äußerst niedrig angesetzt, in den vielen Fällen die Bagatellklausel nicht einmal weiter thematisiert oder ohne weitere Begründung bejaht 67. In einigen Fällen ist die durch eine unlautere Wettbewerbshandlung verursachte Beeinträchtigung für den einzelnen Marktteilnehmer gering. Gem § 3 UWG sind insofern jedoch Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer gleichgestellt, so dass die Bagatellschwelle etwa auch dann überschritten sein kann, wenn zwar zwar die (negativen) Auswirkungen für die Mitbewerber verhältnismäßig gering sind, der Verbraucher durch die Wettbewerbshandlung jedoch unzumutbar belästigt wird. Praktische Bedeutung erhält diese Erwägung vor allem in den Fällen unerbetener Werbung, sei es duch E-Mail, SMS oder Telefonanrufe und die Fälle fehlerhafter Widerrufsbelehrungen im Fernabsatzgeschäft 68. In der Praxis sollte man die Bedeutung der Bagatellklausel nicht überbewerten. Will ein Gericht ernsthaft davon ausgehen, dass keiner der in § 3 UWG genannten Marktteilnehmer durch die Wettbewerbshandlung erheblich beeinträchtigt wird, so wird es sich zwangsläufig auch die Frage stellen, ob nicht bereits die Unlauterkeit der Handung zu verneinen ist 69. Der praktische Anwendungsbereich für die Bagatellklausel zeigt sich dementsprechend dort, wo es den Gerichten verwehrt ist, die Unlauterkeit in Frage zu stellen, etwa weil die fragliche Handlung unzweifelhaft gegen eine wettbewerbsbezogene Rechtsnorm verstößt, gleichwohl aber in dem zu entscheidenden Einzelfall keine größeren Auswirkungen auf das Marktgeschehen erkennbar sind. So hat das OLG Koblenz 70 die Erheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung in einem Fall verneint, in welchem ein Elektrofachhandelsmarkt im Neben- bzw Ergänzungssortiment zu seinen Kaffeemaschinen auch Kaffee bzw Kaffeepads angeboten und hierbei (wohl versehentlich) unterlassen hat, neben dem Endpreis auch den gem § 2 Abs 1 PAngV vorgeschriebenen Grundpreis (Preis je Kilogramm bzw je 100 Gramm) auszuweisen. Das Gericht hat den Verstoß deshalb für nicht erheblich gehalten, weil sich der Verbraucher den Grundpreis selbst leicht ausrechnen könne. Dass man sich auf eine derartige Bewertung durch die Gerichte nicht verlassen sollte, zeigt indes die etwa ein halbes Jahr zuvor ergangene Entscheidung des OLG Jena 71, welcher ein vergleichbarer Sach66 67
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Vgl hierzu die Vorschläge des Bundesrates BT-Drucks 15/1487, 29 f. Vgl die Nachweise bei Köhler GRUR-RR 2006, 1, 2 und Köhler GRUR-RR 2007, 129, 130. OLG Naumburg NJW-RR 2008, 776, 779 – Textform bei Widerrufsbelehrung; zur belästigenden Werbung unten Rn 297 ff; zur richtlinienkonformen Auslegung der Bagatellklausel vgl Köhler NJW 2008, 177, 181 re Sp. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 68 ff; Köhler GRUR 2005, 1, 6 f, Köhler GRUR-RR 2006, 113 will sogar
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davon ausgehen, dass die Erheblichkeit den meisten Unlauterkeitstatbeständen der §§ 4–7 UWG tatbestandsimmanent ist; bezogen auf den Tatbestand des § 4 Nr 1 UWG ebenso OLG Hamm GRUR 2006, 86, 88 – Sonntagsrabatt und bezogen auf § 5 UWG: BGH GRUR 2008, 186 Rn 26 – Telefonaktion. OLG Koblenz GRUR-RR 2007, 23, 24 – Grundpreisangabe. OLG Jena GRUR 2006, 246, 247 – Kaffeepreisauszeichnung.
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verhalt zugrunde lag. Das OLG Jena hat die Erheblichkeitsschwelle unter Verweis auf die anderenfalls drohende Nachahmungsgefahr als überschritten angesehen. Allerdings hat dasselbe Gericht 72 dann wiederum wenige Monate später die Auffassung vertreten, das Unterlassen des nach § 1 Abs 2 Nr 1 PAngV vorgeschriebenen Hinweises darauf, dass die Mehrwertsteuer bereits in dem ausgewiesenen Preis enthalten sei, führe nicht zu einer Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG. Bemerkenswert sind auch zwei – zumindest auf den ersten Blick – gegenläufige Entscheidungen des OLG Stuttgart 73 und des OLG Karlsruhe 74. Während das OLG Stuttgart die fehlende Gesamtpreisangabe in einer Werbung deshalb für unerheblich gehalten hat, weil der Verbraucher aufgrund der angegebenen Preisbestandteile den Gesamtpreis mittels eines einfachen Rechenschrittes ermitteln könne, hat das OLG Karlsruhe eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle trotz Angabe der Einzelpreise bejaht, dies allerdings damit begründet, der Verbraucher könne aufgrund der konkreten Gestaltung der Werbung nicht ohne weiteres die zu addierenden Einzelpreise erkennen. Entgegen Köhler 75 stellt die Entscheidung des LG Kassel 76 kein Beispiel für die Anwendung der Bagatellklausel in der Rechtsprechung dar. Das LG Kassel in der vorstehenden Entscheidung nicht nur die Erheblichkeit, sondern eine Wettbewerbsbeeinträchtigung schlechthin verneint. Das KG hat einen Bagatellverstoß gegen die PAngV angenommen, wenn in einem ersichtlich an deutsche Verbraucher gerichteten Online-Shop auch ein „Versand nach Europa“ angeboten und nicht darauf hingewiesen wird, ob und ggfs in welcher Höhe Versandkosten anfallen, die über diejenigen für den Inlandsversand hinausgehen77. Der BGH hat schließlich in einer jüngeren Entscheidung auf die Bagatellklausel des § 3 UWG verwiesen78, der Sache nach ging es dort allerdings eher um eine Frage der fehlenden wettbewerblichen Relevanz. Wenngleich sich die Fälle einer Anwendung der Bagatellklausel in der Rechtsprechung 71 insgesamt als sehr überschaubar darstellen, könnten diesen jedoch gerade für die Medienunternehmen eine gewisse Bedeutung zukommen. Da sich die Rechtsprechung immerhin vereinzelt dazu bereit gezeigt hat, Falle geringfügiger Verstöße gegen die PAngV von der wettbewerbsrechtlichen Verfolgung unter Berufung auf die Bagatellklausel auszunehmen, muss in diesen Fällen auch die Annahme entsprechender Ansprüche gegen Medienunternehmen ausscheiden, etwa bei Veröffentlichung von Anzeigen für Dritte, wenn in diesen bestimmte nach der PAngV erforderliche Angaben fehlen 79. Bei Verstößen gegen solche Vorschriften, die nicht nur dazu dienen, im Interesse der 72 Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, sondern darüber hinaus einen Schutz der Sicherheit, Gesundheit oder der medizinischen Versorgung bezwecken, hat die Rechtsprechung die Annahme eines Bagatellfalles unabhängig von der Schwere der konkreten Handlung bislang kategorisch abgelehnt 80. In einem atypischen Fall der Zusendung 72 73 74 75 76 77
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OLG Jena GRUR-RR 2006, 283, 284 – Pflichtbelehrung. OLG Stuttgart GRUR 2005, 608 – Gleitsichtgläser. OLG Karlsruhe WRP 2005, 1188 – Preisangaben bei Reisen. Köhler GRUR-RR 2007, 129, 130. LG Kassel GRUR-RR 2006, 416 – Impressum. KG NJW-RR 2008, 352 f – Widerrufsbelehrung mit Telefonnummer – Versand nach Europa. BGH GRUR 2008, 442 Rn 15 – Fehlende Preisauszeichnung.
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Soweit demgegenüber eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle anzunehmen ist, ist damit noch nichts darüber gesagt, ob das Medienunternehmen im Einzelfall für diesen Verstoß unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Prüfungspflicht einzustehen hat. Vgl dazu unten bei Rn 331. BGH GRUR 2006, 82, 86 – Betonstahl; BGH GRUR 2005, 778, 780 – Atemtest; BGH NJW 2005, 3422, 3424 – Diabetesteststreifen. Nicht hierzu gehören jedoch nach einer, einen Bagatellverstoß bejahenden, Entscheidung des KG die den Krankentransport betreffenden Vorschriften des
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Materielles Wettbewerbsrecht
unerwünschter E-Mail-Werbung hat das OLG Nürnberg 81 einen Bagatellfall angenommen, weil sich der in Anspruch Genommene gerade nicht der die besondere Gefährlichkeit einer derartigen Werbeform begründenden Vorteile, namentlich der massenhaften Versendung von im Wesentlichen gleich lautenden E-Mails, bedient hat 82. Es wird auch zukünftig nicht damit zu rechnen sein, dass der Bagatellklausel des § 3 73 UWG eine größere Bedeutung zukommen wird. Im Zweifel wird hier auch bei Fällen mit eher geringen unmittelbaren Auswirkungen das Argument der Begründung einer Nachahmungsgefahr ins Feld geführt werden. Dieses Argument ist zwar in der Literatur nicht ganz zu Unrecht kritisiert worden 83, findet seine Stütze jedoch bereits in den Gesetzgebungsmaterialien 84.
III. Die Beispieltatbestände 1. Allgemeines Die Beispieltatbestände stellen nicht etwa eine Konkretisierung des vollständigen Tat- 74 bestandes der Generalklausel dar, sondern lediglich eine solche des Merkmals der Unlauterkeit. So heißt es jeweils in §§ 4, 5 Abs 1, 6 Abs 2 und § 7 Abs 1 UWG:
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„Unlauter im Sinne von § 3 handelt …“
Damit ist klargestellt, dass die Annahme wettbewerbsrechtlicher Ansprüche nicht 76 ausschließlich auf die vorstehend zitierten Normen gestützt werden kann, sondern – zumindest inzident – eine Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des § 3 UWG erfolgen muss. Praktische Relevanz hat dies vor allem für den Ausschluss der Verfolgung von Bagatellverstößen, worauf bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf des UWG an verschiedenen Stellen hingewiesen wird 85. Köhler 86 geht allerdings davon aus, dass die Erheblichkeit bereits den meisten Unlauterkeitstatbeständen der §§ 4–7 UWG immanent und eine weitergehende Prüfung der Erheblichkeit in diesen Fällen entbehrlich ist 87. Eine gesonderte Erheblichkeitsprüfung will Köhler insofern nur hinsichtlich der Tatbestände des § 4 Nr 3, Nr 4, Nr 5, Nr 11 und § 6 Abs 2 UWG vornehmen. Dem ist allerdings nur eingeschränkt zuzustimmen. Zum einen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass sich die Beispieltatbestände nur auf das Merkmal der Unlauterkeit und nicht auf den gesamten Tatbestand des § 3 UWG beziehen, zum anderen weist auch schon die Begründung zum Regierungsentwurf des UWG darauf hin, dass ein Wettbewerbsverstoß nach diesen Beispieltatbeständen nur dann in Betracht kommt, wenn auch die „weiteren“ 88 (an anderer Stelle heißt es: „[d]ie übrigen“ 89) Tatbestandsmerkmale des
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Personenbeförderungsgesetzes bzw der Rettungsdienstegesetze der Länder, vgl KG GRUR 2007, 515, 516 f – Sammel-Tragstuhlwagentransporte. OLG Nürnberg BeckRS 2007, 00280 – Erheblichkeitsprüfung. Dazu krit Köhler GRUR-RR 2007, 129, 130. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 66; Köhler GRUR 2005, 1, 5; Pauly/Jankowski GRUR 2007, 118, 124; sehr bedenklich insofern OLG Naumburg NJWRR 2008, 442, 445 – Anwalt sofort, welches die Nachahmungsgefahr unter Hinweis auf
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die „Abschreckungswirkung“ der eigenen Entscheidung verneint hat. BT-Drucks 15/1487, 17. BT-Drucks 15/1487, 19 ff. Köhler GRUR 2005, 1, 6 f; Köhler GRURRR 2006, 113; Köhler GRUR-RR 2007, 337, 338. Für den Tatbestand des § 4 Nr 1 UWG zust OLG Hamm GRUR 2006, 86, 88 – Sonntagsrabatt. BT-Drucks 14/1487, 17, 19. Vgl BT-Drucks 14/1487, 20 f.
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§ 3 UWG vorliegen. Zutreffend ist an der Argumentation Köhlers indes, dass es in vielen Fällen entbehrlich sein dürfte, die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 3 UWG einer gesonderten Prüfung zu unterziehen, wenn ein Beispieltatbestand nach §§ 4–7 UWG einschlägig ist. Indes ist es keinesfalls geboten, sich durch einen apodiktischen Ausschluss einer solchen Prüfung der Möglichkeit einer Berücksichtigung der besonderen Umstände von Einzelfällen zu begeben. Insofern ist es – entgegen Köhler 90 – auch keineswegs zu beanstanden, wenn das OLG Nürnberg 91 aufgrund atypischer Umstände trotz Annahme der Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Nr 3 UWG im Einzelfall von einer nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausgeht. Die besonderen Unlauterkeitstatbestände der §§ 4–7 UWG stehen in keinem Aus77 schließlichkeitsverhältnis zueinander. Ein und dieselbe Handlung kann mehrere Tatbestände verwirklichen. Eine nach einem Tatbestand unzulässige Handlung wird allerdings nicht etwa automatisch dadurch noch verwerflicher, dass sie mehr als einen der gesetzlichen Beispieltatbestände erfüllt, zumal in vielen Fällen durchaus auch über die richtige Eingruppierung diskutiert werden kann 92. Da es im Rahmen der Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG nach dem Gesetzeswortlaut auf den Nachteil ankommt, den die (nicht nur unerhebliche) Wettbewerbsbeeinträchtigung für den Mitbewerber, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer bedeutet, dürfte es auch eher fernliegend sein, aus der Tatsache, dass eine einheitliche Handlung gleich mehrere Beispieltatbestände verletzt, auf ein Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle zu schließen 93. 2. Die Beispieltatbestände des § 4 UWG
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a) Schutz der Entscheidungsfreiheit – § 4 Nr 1 UWG. aa) Allgemeines. Gem § 4 Nr 1 UWG handelt unlauter, wer Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Diese Regelung dient damit dem Schutz der Entscheidungsfreiheit. Soweit die Vorschrift allerdings explizit die Verbraucher als Schutzsubjekte nennt, so handelt es sich insofern nur um ein Beispiel für den ebenfalls verwendeten Oberbegriff der Marktteilnehmer. Ähnliches gilt für die verwendeten Merkmale Druck und in menschenverachtender Weise, die letztlich nur als Beispiele für das Tatbestandsmerkmal des unangemessenen unsachlichen Einflusses genannt werden. Verkürzt man den Beispieltatbestand um die nur beispielhaft genannten Begriffe, so liest sich die Vorschrift wie folgt:
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„Unlauter im Sinne von § 3 handelt insbesondere, wer […] Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen.“
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Auffällig ist insbesondere die Verwendung des Begriffes „unangemessen“, da die Vorschrift nicht zugleich klarstellt, was noch als „angemessen“ und was bereits als „unangemessen“ gelten soll. Dies verwundet vor allem vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Regelung eigentlich um einen Beispieltatbestand zur Konkretisierung des Merkmals der allgemeinen Regelung des § 3 UWG handelt. Tatsächlich enthält jedoch auch die Regelung des § 4 Nr 1 UWG einen sehr offenen Tatbestand, wodurch dieser der Charakter einer „kleinen Generalklausel“ 94 zukommt. Der offene Tatbestand der Regelung wird 90 91 92
Köhler GRUR-RR 2007, 129, 130. S Fn 81. Vgl etwa das Beispiel bei Möller NJW 2005, 1605, 1607 f.
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In diese Richtung gehend wohl Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.43.
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jedoch verständlich, wenn man berücksichtigt, dass mit § 4 Nr 1 UWG einerseits die unter Geltung des früheren UWG entwickelte Fallgruppe des Kundenfangs in positives Gesetzesrecht überführt werden und andererseits die anhaltende Entwicklung, welche diese Fallgruppe in der letzten Zeit erfahren hat, nicht aufgehalten werden sollte. Berücksichtigt man die Gründe, welche für die gewandelte Rechtsprechung zur Fallgruppe des Kundenfangs verantwortlich sind, so lässt sich sagen, dass die Regelung des § 4 Nr 1 UWG ein Zugeständnis sowohl an das Tempo der technischen Entwicklung als auch an das sich immer noch wandelnde Verbraucherleitbild darstellt. Da die Vorschrift nicht nur die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, sondern aller 81 Marktteilnehmer schützt, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift auch nicht auf eine bestimmte Wirtschaftsstufe beschränkt, was bereits in den Gesetzgebungsmaterialien ausdrücklich klargestellt wurde 95. Ebensowenig gibt es eine Beschränkung dahingehend, dass nur die Abnehmerseite gegen einen unangemessenen unsachlichen Einfluss von Anbietern geschützt wird. Auch die mit entsprechenden Druckmitteln erfolgte Androhung eines Auftragsentzuges gegenüber einem Lieferanten kann unter den Tatbestand des § 4 Nr 1 UWG fallen 96. Der ausfüllungsbedürftige Begriff „unangemessen“ stellt allerdings kein eigenständiges 82 Tatbestandsmerkmal neben dem Merkmal des „unsachlichen Einflusses“ dar. Diese Begriffe sind vielmehr im Zusammenhang als einheitliches Tatbestandsmerkmal zu lesen 97. Letzteres ergibt sich bereits daraus, dass anderenfalls das Erfordernis bestünde, unsachlichen von sachlichem Einfluss abzugrenzen, was praktisch kaum möglich ist. Sicherlich würde man in den seltensten Fällen die Herausstellung eines besonders günstigen Preises oder einer besonders hohen Qualität als unsachlich bezeichnen. Andererseits könnte man es – wenn auch nicht unbedingt als unangemessen – so doch als unsachlich ansehen, wenn ein Bekleidungsunternehmen in seiner Werbung ohne unmittelbaren Bezug zu der angebotenen Ware auf bestimmte allgemeine Missstände hinweist 98. Ist es aber solchermaßen aber bereits unsachlich, wenn darauf hingewiesen wird, dass der beworbene Kaffee „fair“ gehandelt wurde oder das angepriesene Produkt nicht nur besonders hohen Qualitätsanforderungen für den Benutzer entspricht, sondern darüber hinaus auch in besonderem Maße umweltschonend hergestellt wurde? Letztlich bedarf es einer solchen Abgrenzung nicht, weil auch die Ausübung eines unsachlichen Einflusses nicht schlechthin wettbewerbswidrig ist. Erst wenn ein solcher Einfluss unangmessen wird, liegt ein Fall des § 4 Nr 1 UWG vor. Zutreffend weist die Begründung des Regierungsentwurfs darauf hin, dass der Versuch einer gewissen unsachlichen Beeinflussung der Werbung nicht fremd und auch nicht per se unlauter ist 99. bb) Unterfallgruppen. Dem Verständnis des § 4 Nr 1 UWG als „kleiner Generalklau- 83 sel“ folgend, werden im Zusammenhang mit dieser gesetzlichen Vorschrift regelmäßig verschiedene „Unterfallsgruppen“ diskutiert. Da die solchermaßen geführten Erörterungen nicht selten mit dem Ergebnis schließen, dass § 4 Nr 1 UWG für die jeweilige Fallgruppe nicht einschlägig ist, muss man sich eigentlich die Frage gefallen lassen, ob die jeweilge Fallgruppe tatsächlich in dem richtigen Kontext diskutiert wurde. Hier darf jedoch wiederum die Entwicklung der Vorschrift nicht außer Betracht gelassen werden. Mit der Norm 95 96 97
BT-Drucks 15/1487, 17. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.29. Ebenso wohl Köhler GRUR-RR 2006, 1, 3; Scherer GRUR 2008, 490, 494 will dem Merkmal „unsachlich“ jegliche eigenständige
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Bedeutung gegenüber den anderen Tatbestandsmerkmalen des § 4 Nr 1 UWG absprechen. Vgl die Beispiele bei Rn 96. BT-Drucks 15/1487, 17.
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wurde nicht nur eine unter Geltung des früheren Rechts entwickelte Fallgruppe in positives Gesetzesrecht gegossen, sondern auch der Weg für die Fortsetzung einer bereits eingeschlagenen Entwicklung bewusst offen gehalten. Da diese Entwicklung im Wesentlichen eine Liberalisierungsentwicklung ist, verwundert es nicht, dass bestimmte früher als wettbewerbswidrig angesehene Sachverhalte nach wie vor im Zusammenhang mit dieser Vorschrift diskutiert werden, wenngleich die Vorschrift als solche in den wenigsten Fällen als tatsächlich einschlägig angesehen wird. Bis vor kurzem hat sich der BGH in seiner Rechtsprechung immer noch den Weg zu § 4 Nr 1 UWG offen gehalten, indem er sich vorbehalten hat, eine eigentlich an anderen Vorschriften zu messende Wettbewerbshandlung dann gem § 4 Nr 1 UWG als unlauter zu erklären, wenn sie bezweckt, die „Rationalität der Nachfrageentscheidung“ auszuschalten 100. In jüngeren Entscheidungen 101 hat der BGH diesen Vorbehalt offensichtlich aufgegeben, jedenfalls erwähnt er ihn nicht mehr ausdrücklich. Dies mag der Erkenntnis entspringen 102, dass letztlich keine Nachfrageentscheidung rein rational getroffen wird. Nachstehend werden die am häufigsten im Zusammenhang mit § 4 Nr 1 UWG erör84 terten „Unterfallgruppen“ kurz angesprochen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die praktische Relevanz der gesetzlichen Regelung nach Vorstehendem nicht für alle Fälle gleichermaßen groß ist.
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cc) Rabatte, Zugaben und Koppelungsangebote. Nachdem im Jahre 2001 sowohl das Rabattgesetz als auch die Zugabeverordnung aufgehoben worden sind, besteht praktisch kein Zweifel mehr an der grundsätzlichen Zulässigkeit von Rabatten und Zugaben. Letztlich ergibt sich dies auch mittelbar aus dem Wortlaut des UWG, da das Gesetz in § 4 Nr 4 UWG ausdrücklich die Anforderungen an die Werbung mit derartigen Vergünstigungen festlegt. Trotz der letztgenannten Regelung ist immer wieder zu lesen, dass die Werbung mit Rabatten und Zugaben nunmehr auch an § 4 Nr 1 UWG zu messen und nach dieser Norm jedenfalls dann als unlauter anzusehen sei, wenn sie eine derart starke Anlockwirkung entfaltet, dass diese dazu geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund treten zu lassen 103. Tatsächlich stellen heute aber praktisch niemals der Rabatt oder die Zugabe für sich genommen ein wettbewerbsrechtliches Problem dar, weil es zwischenzeitlich wohl als geklärt angesehen werden darf, dass auch ein ausgesprochen hoher Rabatt nicht schlechthin unlauter ist 104. Eine unangemessene Drucksituation kann sich allerdings daraus ergeben, dass ein besonders attraktiver und nur kurzfristig angekündigter Rabatt lediglich für einen ausgesprochen kurzen Zeitraum – etwa einen Tag – eingeräumt wird, so dass der Verbraucher keine Möglichkeit zur Einholung von Vergleichsangeboten mehr hat 105. Hier folgt der 100
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BGH GRUR 2006, 161 Rn 15 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH GRUR 2004, 960 – 500 DM-Gutschein für Autokauf (noch zum alten UWG). BGH GRUR 2007, 247 – Regenwaldprojekt I; BGH GRUR 2007, 251 – Regenwaldprojekt II; BGH GRUR 2006, 75 – Artenschutz. So jedenfalls die Vermutung von Köhler GRUR-RR 2007, 129, 131. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.95; Köhler GRUR-RR 2006, 1, 3; Köhler GRUR-RR 2006, 113, 114; Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 250 ff; Kügele GRUR 2006, 105, 107.
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.95 mwN; Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 251; Möller GRUR 2006, 292, 294. OLG Hamm GRUR 2006, 86 – Sonntagsrabatt; LG Essen WRP 2005, 763 (Vorinstanz); OLG Dresden WRP 2006, 283; Möller GRUR 2006, 292, 294; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.95; Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 209 f, 253; Kügele GRUR 2006, 105, 109.
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unangemessene unsachliche Einfluss nicht allein aus der Rabatteinräumung, sondern erst aus der Verbindung mit der zeitlichen Begrenzung. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Liberalisierungstendenz der Rechtsprechung erscheint dieses in der Rechtsprechung vertretene Ergebnis aber auch nicht zwingend. Betrachtet man den Verbraucher als mündig und kritisch, so kann man auch unterstellen, dass er sich nicht von derart „unangemessen“ kurz befristeten Aktionen überrumpeln und zu einem unüberlegten Kauf verleiten lässt. Zugaben sind ebenfalls nicht grds nach § 4 Nr 1 UWG unlauter und zwar unab- 86 hängig von ihrem Wert. Auch wenn einer für 4,50 DM verkauften Zeitschrift eine Sonnenbrille 106 oder einer für € 2,20 verkauften Zeitschrift ein Parfümgutschein im Wert von € 9,95 107 beigefügt wird, bewirkt dies noch keinen unangemessenen unsachlichen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit des Käufers iSd § 4 Nr 1 UWG. Grds besteht auch keine Pflicht, den Wert der Zugabe anzugeben, es sei denn der Marktteilnehmer würde anderenfalls über deren Wert getäuscht 108. Die Grenze von der Zugabe zur Koppelung ist heutzutage fließend. Meist kann die 87 Unterscheidung nur anhand der konkreten Ausgestaltung der Werbung vorgenommen werden. Letztlich ist eine solche Differenzierung aber auch gar nicht mehr erforderlich, weil auch die Koppelung unterschiedlicher Waren oder Dienstleistungen zu einem einheitlichen Angebot wettbewerbsrechtlich grds unbedenklich ist und jedenfalls keinen unangemessenen unsachlichen Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG darstellt 109. Es ist entgegen früherer Rechtsprechung auch nicht etwa erforderlich, dass die gekoppelten Produkte in einem Funktionszusammenhang stehen. So hat es der BGH sowohl kartellrechtlich als auch wettbewerbsrechtlich für zulässig erachtet, dass der Verleger einer Zeitschrift zur Erhöhung der Abonnentenzahlen das Angebot eines Probeabonnements mit einer attraktiven Gratiszugabe wie einem Kaffeebereiter, einer Isolierkanne oder einer Uhr verbindet 110. Die Rechtsprechung sieht sich auch im Zusammenhang mit der Veranstaltung von 88 Gewinnspielen zu Werbezwecken regelmäßig dazu veranlasst, auf die Regelung des § 4 Nr 1 UWG einzugehen 111, wenngleich auch betont wird, dass selbst die Aussicht auf hohe Gewinne oder die „Verkaufsverlosung“ einer begrenzten Zahl von Waren 112 es nicht gebieten, von einem unangemessenen unsachlichen Einfluss auszugehen. Problematisch kann es jedoch sein, wenn sich die Teilnahmemöglichkeit an dem Gewinnspiel als Leistung gegenüber einem Dritten darstellt und der Käufer in Unkenntnis von dem Gewinnspiel von einer objektiven Beratung durch den Dritten ausgeht 113. dd) Psychischer Kaufzwang. Kein Koppelungsangebot im eigentlichen Sinne liegt vor, 89 wenn der Werbende zunächst eine (nicht gekoppelte) kostenlose Leistung in der Hoff106 107 108
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BGH GRUR 2006, 161 – Zeitschrift mit Sonnenbrille. OLG Köln GRUR-RR 2005, 168 – Glow by J. Lo. BGH GRUR 2006, 161 Rn 26 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; Köhler GRUR-RR 2006, 113, 114; Kügele GRUR 2006, 105, 107; zurückhaltender Steinbeck ZIP 2001, 1741, 1743 f. Unzutreffend daher die überkommene Differenzierung bei Kügele GRUR 2006, 105, 108. Zur Begrifflichkeit und den Abgrenzungsschwierigkeiten auch bereits Steinbeck ZIP 2001, 1741, 1743.
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BGH GRUR 2006, 773 – Probeabonnement. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.117 ff; Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 297 ff. OLG Köln GRUR-RR 2005, 194 – REWEHaushaltskarte; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 388 – Verkaufsverlosung. OLG Köln GRUR-RR 2007, 49 – SmartCabrio-Gewinnspiel; vgl, dazu auch die bei Rn 90 besprochenen Dreieckskonstellationen.
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nung gewährt, dass der Umworbene – ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein – weitere kostenpflichtige Leistungen in Anspruch nimmt. Durch die kostenlose Leistung kann ein faktischer Zwang entstehen, aus Dankbarkeit oder aus Schamgefühl, weitere Waren oder andere Leistungen des Werbers in Anspruch zu nehmen. Gegenüber den Fällen der „echten“ Koppelung entsteht hier das Problem einer weitgehenden Intransparenz, da das „Spiel mit den Gefühlen“ ein subtiles ist. Meist stellt der Werbende sogar die Unentgeltlichkeit bzw Unverbindlichkeit der zunächst gewährten Leistung in blickfangmäßiger Weise heraus. Ob hierdurch tatsächlich ein unangemessener unsachlicher Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG ausgeübt wird, hängt davon ab, inwiefern sich der Umworbene nach Inanspruchnahme der kostenlosen „unverbindlichen“ Leistung dem Werbenden noch entziehen kann. Ist Letzteres nicht mehr gegeben, so spricht man auch von einem psychischen Kaufzwang. Ein solcher Kaufzwang wird idR jedoch noch nicht durch die bloße Abgabe von Werbegeschenken hervorgerufen, erst recht nicht, wenn diese sich im handelsüblichen Rahmen halten 114. Noch weniger kann ein solcher Kaufzwang angenommen werden, wenn der Werbende mit ausgesprochen günstigen Angeboten, etwa Fotoabzügen für 1 Pfennig 115, in der Hoffnung wirbt, die Kunden würden sich bei dieser Gelegenheit auch das übrige Warensortiment ansehen und Einkäufe tätigen. Aber auch dann, wenn höherwertige kostenlose Leistungen abgegeben werden, ist ein Kaufzwang im vorstehend beschriebenen Sinne in der Regel auszuschließen, wenn es zur Inanspruchnahme nicht zu einem persönlichen Kontakt kommt und der Kunde insofern nicht aus seiner Anonymität heraustreten muss 116. Insofern ist es wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn mit einem Gewinnspiel mit hohen Gewinnen geworben wird, an denen der Kunde nur durch regelmäßiges Scannen einer „Haushaltskarte“ teilnehmen kann, wenn die dafür vorgesehenen Scanner außerhalb des Verkaufs- und Kassenbereichs von Supermärkten aufgestellt sind 117. Problematisch ist es indes, wenn bereits ein persönlicher Kontakt innerhalb einer bestehenden Geschäftsbeziehung vorhanden ist und der Umworbene nicht nur auf eigene Rechnung Leistungen bezieht, sondern – wie im Falle eines an einen Spezialisten überweisenden Arztes – mittelbar auch fremden Interessen verpflichtet ist. Der BGH hat einen unangemessenen unsachlichen Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG für den Fall angenommen, dass ein Laborarzt niedergelassenen Ärzten die Durchführung von Laboruntersuchungen, die diese selbst abrechnen können, unter Selbstkosten anbietet, wenn dies dazu führt, dass die niedergelassenen Ärzte aus Erkenntlichkeit Patientenüberweisungen für solche Untersuchungen veranlassen, die ausschließlich von einem Laborarzt vorgenommen und abgerechnet werden können 118. Der BGH hat es allerdings zunächst offen gelassen, ob es tatsächlich zu einer derartigen Beeinflussung des Überweisungsverhaltens der niedergelassenen Ärzte kommt und dem Berufungsgericht im Wege der Zurückverweisung aufgegeben, entsprechende Feststellungen zu treffen; immerhin wurde eine solche Beeinflussung durch den BGH jedoch als „naheliegend“ angesehen 119.
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ee) Einsatz von Absatzhelfern und weitere Dreieckskonstellationen. Nicht selten werden Dritte als Helfer zum Absatz der eigenen Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens eingeschaltet. Besonders beliebt ist insofern die Einschaltung von Laien oder von Personen, die besonderes Ansehen oder Autorität genießen. Handelt der Dritte dabei 114 115 116 117
Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.111. BGH GRUR 2003, 804 – Foto-Aktion. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.33. OLG Köln GRUR-RR 2005, 194 – REWEHaushaltskarte; noch zum UWG aF: BGH
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GRUR 1998, 735 – Rubbelaktion; BGH GRUR 2000, 820 – Space Fidelity PeepShow. BGH GRUR 2005, 1059 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften. BGH GRUR 2005, 1059, 1061 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften.
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nicht nur fremdnützig, sondern erhält von dem Unternehmen einen Vorteil – etwa in Form einer Vergütung oder einer Prämie –, entsteht ein Dreiecksverhältnis, welches naturgemäß Potenzial für Interessenskonflikte birgt. Ob diese Gefahr allerdings einen klassischen Fall des § 4 Nr 1 UWG darstellt, ist fraglich. In jedem Fall muss bei der Prüfung streng zwischen den unterschiedlichen Beziehungen differenziert werden. Setzt der Unternehmer etwa Laienwerber ein und verspricht diesen hochwertige Prämien – deren Kosten er seinen Verkaufspreisen notwendigerweise aufschlagen muss –, so liegt im Verhältnis zum Laienwerber keine unangemessene unsachliche Beeinflussung iSd. § 4 Nr 1 UWG vor, weil es im kaufmännischen Verkehr nicht unsachlich ist, den eigenen Profit auf Kosten nachgeordneter Handelsstufen zu steigern und der Laienwerber durch das Prämienstreben eine Stellung einnimmt, die derjenigen eines Kaufmannes vergleichbar ist. Problematisch werden derartige Dreieckskonstellationen jedoch stets dann, wenn die Interessenlage nicht für alle Beteiligten erkennbar wird 120. Fordert der Unternehmer etwa – explizit oder durch die Gestaltung der Werbeaktion – dazu auf, das Prämieninteresse gegenüber dem Umworbenen zu verheimlichen, so liegt zwar im Verhältnis zum Laienwerber keine unsachliche Beeinflussung, im Verhältnis zum Umworbenen jedoch eine Täuschung vor, wenn Letzterer davon ausgeht, dass der Laienwerber ihm gegenüber eine uneigennützige Empfehlung abgibt. Eine derartige Einschaltung von Laienwerbern ist grds unlauter, wobei es letztlich dahingestellt bleiben kann, ob die Unlauterkeit tatsächlich aus § 4 Nr 1 UWG oder vielmehr aus § 4 Nr 3 UWG oder § 5 Abs 1 UWG oder unmittelbar aus der Generalklausel des § 3 UWG abzuleiten ist 121. Ist hingegen davon auszugehen, dass der Laienwerber sein Prämieninteresse gegenüber dem Umworbenen offenbart, kann auch im Verhältnis zum Umworbenen nicht davon ausgegangen werden, dass ein unangemessener unsachlicher Einfluss auf dessen Entscheidungsfreiheit iSd § 4 Nr 1 UWG ausgeübt wird. In der früheren Rechtsprechung ist zwar regelmäßig die Befürchtung geäußert worden, der von einem Laienwerber Umworbene könne sich dessen Einflusses möglicherweise nicht entziehen und richte seine Kaufentscheidung zu sehr an dem Prämieninteresse des Laienwerbers aus 122, jedoch hat der BGH in seiner aktuellen Rechtsprechung klargestellt, dass dieser Gesichtspunkt zwar möglicherweise die Annahme eines unsachlichen, keinesfalls hingegen eines unangemessen unsachlichen Einfluss zu rechtfertigen vermag 123. Dies wurde letztlich mit dem geänderten Verbraucherleitbild begründet, wonach der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher auch dann, wenn der die Kaufentscheidung von der Erwägung abhängig macht, dem Laienwerber die Prämie zukommen zu lassen, nicht alle sonstigen Entscheidungsgesichtspunkte völlig unberücksichtigt lassen wird. Soweit das Prämieninteresse offen gelegt wird, stellt daher der Einsatz von Laienwerbern keine unangemessene unsachliche Einflussnahme iSd § 4 UWG dar 124. Wenngleich demnach der Einsatz von Laienwerbern vor dem Hintergrund der Regelung des § 4 Nr 1 UWG nicht generell zu beanstanden ist, so kann sich die Unlauterkeit jedoch im Einzelfall aus dem Verhalten des Laienwerbers ergeben. Zumindest dann, wenn sich hierdurch eine in der Werbeaktion bereits abstrakt vorhandene Gefahr verwirklicht 125, haftet neben dem 120 121 122
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Möller WRP 2007, 6, 7. Möller WRP 2007, 6, 10 f. BGH GRUR 1959, 285, 287 – Bienenhonig; OLG Stuttgart GRUR 1990, 205, 206 – Werbung über Altkunden; OLG München WRP 1996, 42, 43 – Vertriebssystem. BGH NJW 2006, 3203 Rn 19 – Kunden werben Kunden; dazu die Anmerkung von Möller EWiR 2006, 733 f.
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Eine Ausnahme kann gelten, wenn eine so unverhältnismäßige Prämie ausgelobt wird, dass schlechterdings nicht mehr damit gerechnet werden kann, dass der Laienwerber ausschließlich lautere Mittel anwendet, vgl Möller WRP 2007, 6, 15. Zu dieser Einschränkung vgl Möller WRP 2007, 6, 17.
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Laienwerber über die Zurechnungsnorm des § 8 Abs 2 UWG auch das werbende Unternehmen126. Die Unlauterkeit folgt dann jedoch nicht notwendig aus § 4 Nr 1 UWG, sondern kann sich praktisch auch aus jeder anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschrift ergeben. Problematisch sind schließlich auch diejenigen Fälle, in denen Personen besonderer 91 Autorität oder besonderer Vertrauensstellung als Absatzmittler eingeschaltet werden. Da § 4 Nr 1 UWG den Schutz der Entscheidungsfreiheit bezweckt, kommt es allerdings nicht darauf an, ob der solchermaßen eingespannte Dritte einem unangemessenen unsachlichen Einfluss ausgesetzt wird, sondern ob ein solcher Einfluss auf den Umworbenen durchschlägt. Zwischen diesen beiden Stufen besteht jedoch ein gewisser Zusammenhang, da Personen mit besonderer Autoritäts- oder Vertrauensstellung bei entsprechender Einflussnahme auch ihrerseits dazu neigen werden, unter Ausnutzung ihrer Stellung einen entsprechenden Einfluss auszuüben. Das OLG Saarbrücken hat es insofern als unangemessene unsachliche Einflussnahme angesehen, wenn der Betreiber eines Baumarktes eine Verkaufsveranstaltung für Brandschutzartikel mit einer Informationsveranstaltung der örtlichen Feuerwehr verbindet und zwar ohne dass es insofern auf das konkrete Verhalten der Feuerwehr ankommt 127. Das LG Nürnberg-Fürth sieht es als unangemessenen unsachlichen Einfluss in Form einer unakzeptablen Drucksituation iSv § 4 Nr 1 UWG an, wenn dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber die Wahl einer bestimmten Krankenkasse bereits im Arbeitsvertrag nahelegt wird, und zwar auch dann, wenn diese zu den Hauptkunden des Arbeitsgebers zählt und ein freiwilliger Zuschuss zu den Mitgliedsschaftskosten gezahlt wird 128. Das OLG Köln sieht die Veranstaltung eines Gewinnspiels als unangemessene unsachliche Einflussnahme an, wenn die Teilnahme Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern als Gegenleistung für die Vermittlung von Geschäften angeboten wird 129. Das OLG Hamburg hat demgegenüber die Einschaltung von Lehrern in den Absatz von Schüler-Kurzabonnements einer Wochenzeitschrift ebenso für zulässig erachtet 130 wie der BGH die Durchführung einer FotoAktion in den Räumen einer Schule als Gegenleistung für die kostenlose Überlassung eines Computers nicht beanstandet hat 131. Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 4 Nr 1 UWG werden teilweise auch 92 andere Dreiecksverhältnisse diskutiert, in denen ein Dritter zwar nicht als Absatzmittler einbezogen wird, gleichwohl aber bekanntermaßen ein wirtschaftliches Interesse an dem von dem Unternehmen beworbenen Geschäft hat. Dies ist bspw der Fall, wenn Werkstattkunden mit einer Teil- oder Vollkaskoversicherung versprochen wird, einen Teil des in Rechnung gestellten und bei der Versicherung einzureichenden Betrages in Form eines anderweitigen geldwerten Vorteils wieder zurückzugewähren 132, wobei es dem gleich 126
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.190; Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 403. OLG Saarbrücken GRUR-RR 2005, 283 – Brandschutzwerbung; in dieser Entscheidung hat das Gericht aber auch in einem obiter dictum die Auffassung geäußert, dass es nicht zu beanstanden wäre, wenn der Baumarktbetreiber die Freiflächen vor den Baumärkten zu Zeiten, in denen kein Warenverkauf stattfindet, als Forum für Informationsveranstaltungen zur Verfügung stellt. LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2007, 02563 –
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Krankenkassenhinweis in Anstellungsvertrag. OLG Köln GRUR-RR 2007, 49 – SmartCabrio-Gewinnspiel. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 224 – STERN. BGH NJW 2006, 225 – Schulfotoaktion; sehr krit dazu OLG Celle NJW 2008, 164, das sogar die Verwirklichung einer Straftat nach §§ 331, 333 StGB annimmt. BGH GRUR 2008, 530 Rn 12 ff – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH BeckRS 2008, 08816 Rn 11 ff, BGH BeckRS 2008, 06874 Rn 14 ff; OLG Naumburg GRUR-
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kommt, wenn der Kunde hierfür seinerseits zum Schein eine Leistung erbringen muss (zB Belassen eines Werbeaufklebers auf der Windschutzscheibe 133). An der Unlauterkeit derartiger Fälle besteht kein Zweifel, wohl aber daran, dass diese tatsächlich aus § 4 Nr 1 UWG folgt 134. Naheliegender ist es – je nach Gegebenheiten des Einzelfalles – die Unlauterkeit aus § 4 Nr 11 UWG 135 oder unmittelbar aus der Generalklausel des § 3 UWG abzuleiten 136. Ähnlich sind diejenige Fälle zu bewerten, in denen Leistungserbringer, die nach dem Sozialversicherungsrecht zur Einziehung einer Zuzahlung vom Versicherten verpflichtet sind, damit werben, auf diese Belastung zu verzichten, weil ein solcher Verzicht dem Kunden bzw Patienten letztlich einen Vorteil zu Lasten seiner Krankenkasse unter gezielter Umgehung der gesetzlichen Lastenverteilung verschafft 137. Dies gilt erst recht, wenn der Leistungserbringer sogar mit der Auszahlung eines bestimmten Betrages zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen wirbt 138. Es stellt demgegenüber ohne Hinzutreten weiterer Umstände jedoch keine unangemessene unsachliche Beeinflussung dar, wenn durch einen Dritten damit geworben wird, dem Kunden eine unliebsame Gebühr oder Belastung (zB Praxisgebühr, Rundfunkgebühr, Mehrwertsteuer) abzunehmen 139. Problematisch wird eine derartige Werbung – allerdings nicht vor dem Hintergrund des § 4 Nr 1 UWG, sondern unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Irreführung – erst dann, wenn in der Werbung der unzutreffende Eindruck erweckt wird, die unliebsame Belastung werde nicht aus der Tasche des Werbenden erstattet, sondern falle wegen der Besonderheiten des Geschäftsmodelles gar nicht erst an 140. ff) Einsatz aleatorischer Reize. Der grundsätzliche Rechtsrahmen für die Veranstal- 93 tung von Preisausschreiben und Gewinnspielen 141 mit Werbecharakter ergibt sich aus § 4 Nr 5 und Nr 6 UWG. Bereits den Gesetzgebungsmaterialien ist jedoch zu entnehmen, dass trotz dieser speziellen Regelungen ein Rückgriff auf allgemeinere Beispieltatbestände sowie die wettbewerbsrechtliche Generalklausel nicht ausgeschlossen werden sollte: Der Bundesrat hatte seinerzeit vorgeschlagen, den Tatbestand des § 4 Nr 6 UWG um weitere Fallgruppen zu ergänzen, was seitens der Bundesregierung jedoch im Hinblick auf den seinerzeit noch diskutierten Vorschlag einer Europäischen Verordnung über die Verkaufsförderung und unter Verweis auf die Flexibilität der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel abgelehnt wurde 142. Es ist daher nicht systemwidrig, wenn insbesondere die in § 4 Nr 6 UWG zum Ausdruck gebrachte und in der Begründung des Regierungsentwurfs 143 formulierte grundsätzliche Wertung, wonach die Urteilsfähigkeit des Verbrauchers nicht durch Ausnutzung der Spiellust getrübt werden soll, auch im Rahmen des Tatbestandes des 4 Nr 1 UWG berücksichtigt wird. Vor diesem Hintergrund sollte der Einsatz aleatorischer Reize um so kritischer gesehen werden, je mehr dieser im
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RR 2005, 203; OLG Frankfurt aM GRURRR 2006, 414 – Selbstbehalt; OLG Düsseldorf BeckRS 2007, 02027; LG Bonn GRURRR 2006, 207 – Tankgutschein. OLG Celle GRUR-RR 2006, 57, Anmerkung dazu Möller EWiR 2005, 871 f. So aber Köhler GRUR-RR 2006, 209, 210 (dort Fn 8), LG Bonn GRUR-RR 2006, 207 – Tankgutschein und nunmehr auch der BGH, Fn 132. Offen lassend: OLG Schleswig GRUR-RR 2007, 242, 243 – Beteiligung an Selbstbeteiligung (nicht rechtskräftig); OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2006, 414 – Selbstbehalt und OLG Düsseldorf BeckRS 2007, 02027.
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So Möller EWiR 2007, 871, 872 aE; Möller GRUR 2006, 292, 299; OLG Düsseldorf BeckRS 2007, 02027; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2006, 414 – Selbstbehalt. Möller WRP 2004, 530, 533 – noch zum UWG aF. OLG München GRUR-RR 2007, 297 f – Geld verdienen auf Rezept. Möller GRUR 2006, 292, 294. Möller GRUR 2006, 292, 297 ff. Zu den Begriffen vgl Rn 147. Vgl Stellungnahme des Bundesrates, abgedr in BT-Drucks 15/1487, 29, 30, Gegenäußerung der BReg BT-Drucks 15/1487, 41. BT-Drucks 15/1487, 18.
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Zusammenhang mit einem konkreten Geschäftsabschluss steht. Derartige Reize stellen praktisch ausnahmslos einen unsachlichen Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG dar. Bei der Beurteilung, ob sie darüberhinaus auch als unangemessen und damit unlauter anzusehen sind, können außerhalb des Anwendungsbereiches von § 4 Nr 6 UWG allerdings weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Hierzu zählen neben dem Wert der Preise und den Chancen auf einen Gewinn auch die Bedeutung des Geschäfts für den Verbraucher und das konkrete Maß der Koppelung von Gewinnspiel und Geschäft. Als zulässig kann indes eine sog Verkaufsverlosung angesehen werden, bei welcher eine begrenzte Warenmenge zu einem sehr günstigen Kaufpreis zwischen den Kaufinteressenten verlost wird, weil die nicht zum Zuge kommenden Interessenten in keinster Weise belastet werden: weder erbringen sie einen Spieleinsatz, noch müssen sie in diesem Fall etwas kaufen 144. Ein weiterer Anwendungsbereich des § 4 Nr 1 UWG hat sich überraschend dadurch eröffnet, dass der BGH entgegen der fast einhelligen Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung nunmehr die Auffassung vertritt, die Anwendbarkeit des § 4 Nr 6 UWG hänge davon ab, dass ein von dem Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel vorliege 145. Nicht von § 4 Nr 6 UWG sei daher die Konstellation erfasst, dass durch das aleatorische Element überhaupt erst die eigentliche Leistung bzw Gegenleistung bestimmt werde („Rabattwürfeln“/„Jeder 20. Kunde gewinnt“). Der BGH hält daher in diesen Fällen eine Prüfung am Maßstab des § 4 Nr 1 UWG für angezeigt. Soweit allerdings die Koppelung des von der Bank auf eine Geldanlage zu zahlenden Zinssatzes an den Ausgang eines sportlichen Ereignisses (hier: Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft) deshalb für lauterkeitsrechtlich unproblematisch angesehen wird, weil bei Geldanlagen spekulative Elemente nicht untypisch seien 146, so ist dem zu widersprechen 147.
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gg) Gefühlsbezogene Werbung, Aufmerksamkeitswerbung und Schockwerbung. In den letzten Jahren unter Geltung des alten UWG hat die Rechtsprechung zu den Fällen der sog gefühlsbezogenen Werbung einen durchgreifenden Wandel erfahren. Hiermit sind diejenigen Fälle gemeint, in denen nicht die beworbene Ware oder Dienstleistung in den Vordergrund der Werbung gestellt wird, sondern statt dessen Gefühle des Betrachters, wie etwa soziales Verantwortungsgefühl, Hilfsbereitschaft, Mitleid oder Umweltbewusstsein angesprochen werden. Die frühere Rechtsprechung hat eine an die Gefühle der Käufer appellierende Werbung dann als wettbewerbsrechtlich zulässig angesehen, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung angesprochenem sozialen Engagement und der beworbenen Ware besteht und nicht nur deshalb an die soziale Hilfsbereitschaft appelliert wird, um diese im eigenen wirtschaftlichen Interesse als entscheidende Kaufmotivation auszunutzen 148. Diese Rechtsprechung änderte sich erst nach einem Eingreifen des BVerfG, welches die Bedeutung der Grundrechte, insbesondere der Presse- und der Meinungsfreiheit auch für den Bereich der Werbung hervorhob 149. Der Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung erstreckt sich – so das BVerfG – auch auf den Bereich der werblichen Aussagen. Soweit die Wettbewerbsgerichte das Erfordernis des sachlichen Zusammenhanges aus § 1 UWG aF herausgelesen hätten,
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Vgl OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 388, 390 – Verkaufsverlosung. Dazu unten Rn 155. BGH GRUR 2007, 981 Rn 33 – 150 % Zinsbonus. In dem Streitfall ging es um eine Festgeldanlage, der für gewöhnlich keinerlei speku-
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lative Elemente innewohnen. Vgl dazu auch Möller NJW 48/2007, III (Editorial). BGH GRUR 1999, 1100 – Generika Werbung; BGH GRUR 1995, 742, 743 – Arbeitsplätze bei uns. BVerfG GRUR 2002, 455 – Tier- und Artenschutz.
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hätten sie die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts nicht richtig erkannt 150. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der fehlende sachliche Zusammenhang eine Gefährdung für den an der Leistung orientierten Wettbewerb auslösen soll obwohl die Marktteilnehmer auch einer Vielzahl weiterer suggestiver Werbeeinflüsse ausgesetzt sind, in denen gemeinhin keine entsprechende Gefährung gesehen wird 151. Der BGH hat nunmehr nach Inkrafttreten des neuen UWG unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine an das soziale Verantwortungsgefühl appelierende Werbung auch dann nicht automatisch eine unangemessene unsachliche Einflussnahme iSd § 4 Nr 1 UWG begründet, wenn es an einem sachlichen Zusammenhang zu der beworbenen Ware oder Dienstleistung fehlt 152. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine solche Werbung aus anderen Gründen 95 unlauter sein kann. Dies gilt insbesondere in den Fällen des sog Sozialsponsorings, in denen durch die Werbung nicht nur das Verantwortungsgefühl angesprochen wird, sondern zugleich ein entsprechender Sozialbeitrag für den Fall der Inanspruchnahme der beworbenen Ware bzw Dienstleistung versprochen wird. So kann es etwa irreführend sein, wenn eine Brauerei mit der Rettung eines Quadratmeter Regenwaldes für jeden verkauften Kasten Bier wirbt und hierdurch eine übermäßige Erwartungshaltung bzgl Art, Zeitpunkt und Umfang der Leistung weckt, soweit die tatsächlich erfolgte Leistung dahinter zurück bleibt 153. Allein die Tatsache, dass das Sozialsponsoring im Zusammenhang mit der Werbung für Arzneimittel erfolgt, rechtfertigt indes keine strengere Beurteilung 154. Zur gefühlsbezogenen Werbung gehören letztlich auch die Fälle der sog Aufmerksam- 96 keits- und Schockwerbung. Über kaum eine Werbung wurde so viel geschrieben, wie über eine Anzeigenserie des Bekleidungsunternehmens Benetton, die ihrerseits praktisch ohne jeden Text auskam. Gezeigt wurde in Aufsehen erregender Weise das Elend der Welt in Form einer auf einem Ölteppich schwimmenden ölverschmutzten Ente, schwer arbeitender Kinder in der Dritten Welt und eines menschliches Gesäß mit dem Stempelaufdruck „H.I.V. POSITIVE“. Eine ausdrückliche „Werbebotschaft“ fehlte, in den fraglichen Anzeigen fand sich lediglich ein Hinweis auf das werbende Unternehmen in Form des Slogans „United Colors of Benetton“. Bzgl dieser Anzeigen wurde – noch unter Geltung des alten UWG – sowohl die Firma Benetton 155 als auch der Verlag in dessen Zeitschrift die Anzeigenserie erschien 156 in Anspruch genommen. Der BGH hielt alle drei Anzeigen für wettbewerbswidrig, weil die fragliche Werbung zur Auseinandersetzung über die aufgezeigten Themen nichts beitrage, sondern nur darauf abziele, beim Verbraucher eine mit dem werbenden Unternehmen solidarisierende Gefühlslage zu schaffen, die der Steigerung des Ansehens des Unternehmens diene und damit letztlich zu kommerziellen Zwecken eingesetzt werde. Im Fall „H.I.V. POSITIVE“ liege zudem ein grober Verstoß gegen die Menschenwürde vor, weil damit AIDS-Kranke als „abgestempelt“ und ausgegrenzt dargestellt würden. Während sich die Firma Benetton mit dem 150 151 152
153
BVerfG GRUR 2002, 455 – Tier- und Artenschutz. BVerfG GRUR 2002, 456 – Tier- und Artenschutz. BGH GRUR 2006, 75 – Artenschutz; BGH GRUR 2007, 247 Rn 19 – Regenwaldprojekt I; BGH GRUR 2007, 251 Rn 16 – Regenwaldprojekt II. BGH GRUR 2007, 247 Rn 23 ff – Regenwaldprojekt I; BGH GRUR 2007, 251
154 155 156
Rn 24 ff – Regenwaldprojekt II (jeweils zur Aufklärung der Erwartungshaltung an Berufungsinstanz zurückverwiesen). LG Ulm GRUR-RR 2007, 300, 301 – WORLD IN BALANCE. BGH GRUR 1995, 598 – Ölverschmutzte Ente. BGH GRUR 1995, 595 – Kinderarbeit u BGH GRUR 1995, 600 – H.I.V. POSITIVE.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
Urteil des BGH abgefunden hatte, hat sich der Zeitschriftenverleger im Wege der Verfassungsbeschwerde an das BVerfG gewandt und dort die Verletzung des Grundrechts auf Presse- und Meinungsfreiheit gerügt. Das BVerfG hat ihm schließlich Recht gegeben 157. Da – was das Gericht ausführlich darlegt – keine Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Privatinteressen berührt werden, sei eine Einschränkung des Grundrechts aus Art 5 Abs 1 GG im Wege einer entsprechenden Auslegung des Wettbewerbsrechts nicht gerechtfertigt 158. In dem Fall „H.I.V. POSITIVE“ liege auch kein grober Verstoß gegen die Menschenwürde vor, weil die Darstellung nicht nur im Sinne einer Diskriminierung HIV-Infizierter verstanden werden könne, sondern – was sogar naheliegender sei – auch im Sinne einer Kritik an der gesellschaftlichen Ausgrenzung dieser Personengruppe 159. Während der Kläger im Anschluss an diese Entscheidung des BVerfG auf die Ansprüche hinsichtlich der beiden anderen Motive „ölverschmutzte Ente“ und „Kinderarbeit“ verzichtete 160, musste sich der BGH noch einmal mit der Anzeige „H.I.V. POSITIVE“ befassen. Der BGH hat die Anzeige mit der Begründung erneut für wettbewerbswidrig erklärt, dass diese ein Motiv mit meinungsbildendem Inhalt darstelle ohne selbst die Richtung der Meinungsbildung zu weisen; es werde lediglich der aufmerksamkeitswirksame Effekt für eigene Geschäftsinteressen genutzt, was zynisch sei und den Anspruch auf Solidarität von Menschen in Not verletze 161. Das BVerfG hat diese Entscheidung schließlich erneut unter Berufung auf das Grundrecht der Pressefreiheit aufgehoben 162. Die Abbildung zeige zwar das Elend der Betroffenen, verspotte, verhöhne oder erniedrige diese jedoch nicht, sondern überlasse die Interpretation einzig dem Betrachter. Die Ausnutzung des Aufmerksamkeitseffekts zu geschäftlichen Zwecken mag als befremdlich empfunden werden, rechtfertige vor dem Hintergrund des Schutzes der Menschenwürde jedoch keine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit 163.
97
hh) Vorformulierte Kündigungsschreiben. Ebenfalls am Maßstab des § 4 Nr 1 UWG hat der BGH einen Fall beurteilt, dessen Sachverhalt sich noch zu Zeiten der Geltung des alten UWG abgespielt hat, der jedoch aufgrund des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des neuen UWG auch an dessen Regelungen zu messen war. Der BGH hat jedoch auch hier keine unangemessene unsachliche Beeinflussung darin erkennen können, potentiellen Kunden – im entschiedenen Fall ging es um Verträge zur Wärme- und Wasserverbrauchsabrechnung – vorformulierte Kündigungsschreiben zu überlassen, um diese zur Kündigung einer anderweitigen Vertragsbeziehung zu bewegen 164. Immerhin hat das Gericht in dieser Entscheidung jedoch nebenbei die Auffassung geäußert, dass die Verwendung derartiger vorgefertigter Kündigungsschreiben ein wettbewerbswidriges Vorgehen iSd § 4 Nr 1 UWG erleichtern könne, so dass sich allgemein empfiehlt, im Zusammenhang mit zu Werbezwecken eingesetzten vorgefertigten Kündigungsschreiben besondere Sorgfalt walten zu lassen.
98
ii) Druckausübung. Dass die Ausübung von Druck eine unangemessene unsachliche Beeinflussung iSd § 4 Nr 1 UWG darstellt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Beispieltatbestandes. In den meisten Fällen erspart diese Erkenntnis gleichwohl nicht die Prüfung, ob ein unangemessener unsachlicher Einfluss vorliegt, weil auch für die Bewertung 157 158 159 160
BVerfG GRUR 2001, 170 – Schockwerbung. BVerfG GRUR 2001, 170, 174 – Schockwerbung. BVerfG GRUR 2001, 170, 175 – Schockwerbung. Der BGH hat bzgl der Ansprüche ein sog Verzichtsurteil ausgesprochen, BGH BeckRS 2001, 30225009.
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161 162 163 164
BGH GRUR 2002, 360, 362 ff – „H.I.V. POSITIVE“ II. BVerfG GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II. BVerfG GRUR 2003, 442, 443 – BenettonWerbung II. BGH GRUR 2005, 603 – Kündigungshilfe.
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Materielles Wettbewerbsrecht
eines Einflusses als „Druck“ kein objektiver Maßstab zur Verfügung steht. So hat etwa der BGH in der Begründung der Tony-Taler-Entscheidung 165 sowohl davon gesprochen, dass auf die Entscheidungsfreiheit der Schüler und ihrer Eltern in unangemessener unsachlicher Weise eingewirkt werde, als auch davon, dass Eltern und Kinder unter Druck gesetzt würden. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ging es darum, dass ein Frühstückswarenhersteller eine Sammelaktion veranstaltet hatte, bei welcher Schulklassen ua auf den Produktverpackungen aufgebrachten Taler sammeln und über den Klassenlehrer zwecks Erlangung verschiedener Sportgeräte einreichen sollten. Bei einer derartigen Werbeaktion übt der Werbende zwar keinen unmittelbaren Druck aus, macht sich aber die Tatsache zu Nutze, dass niemand als Außenseiter oder Spielverderber dastehen will und insofern die Gefahr begründet wird, dass der Einzelne dem Druck der Mehrheit stattgibt und nur aus diesem Grunde die Produkte des Werbenden erwirbt. Von einer Druckausübung kann auch bei anderen der vorstehend bereits aufgezeigten Unterfallgruppen gesprochen werden, insbesondere in den Fällen des psychischen Kaufzwanges 166. Keinerlei Zweifel an dem Vorliegen eines unlauteren Drucks iSd § 4 Nr 1 UWG kann 99 hingegen in Fällen physischen Zwanges – etwa Gewalt – bestehen 167. Naturgemäß gelangen derartige Fälle jedoch selten zu den Wettbewerbsgerichten, sondern – soweit es überhaupt zu einem gerichtlichen Nachspiel kommt – zu den Strafgerichten. jj) Täuschung. Im Gesetzgebungsverfahren des UWG wurde durch den Bundesrat 100 vorgeschlagen, in § 4 Nr 1 UWG noch das Mittel der Täuschung als weiteres Beispiel eines unangemessenen unsachlichen Einflusses aufzunehmen 168. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung den Vorschlag zwar abgelehnt, gleichwohl darauf hingewiesen, dass diejenigen Täuschungsfälle, die nicht unter den Begriff der irreführenden Werbung fallen unter den Begriff des sonstigen unsachlichen Einflusses gefasst werden können 169. Es fragt sich allerdings, ob neben den Regelungen des § 5 UWG tatsächlich ein Anwendungsbereich des § 4 Nr 1 UWG für sog Täuschungsfälle besteht. Da es § 4 Nr 1 UWG um den Schutz der Entscheidungsfreiheit geht, kann diese Norm jedenfalls dann nicht berührt sein, wenn die Täuschung so weit geht, dass es letztlich zu gar keiner Entscheidung durch den Getäuschten mehr kommen kann. Letzteres ist etwa der Fall, wenn der Getäuschte unter Vorspiegelung einer Bitte nach einem Autogramm dazu gebracht wird, eine Unterschrift auf einem Bestellschein zu leisten. Derartige Fälle getarnter Vertragsofferten 170 lassen sich weder unter § 4 Nr 1 UWG noch § 5 UWG, sondern nur unter die wettbewerbsrechtliche Generalklausel des § 3 UWG subsumieren 171. 165
166 167 168 169 170
BGH GRUR 2008, 183 – Tony-Taler; ähnl auch bereits die Konstellation der Entscheidungen BGH GRUR 1979, 157 – Kindergarten Malwettbewerb und OLG Celle GRUR 2005, 387 – Klassensparbuch. Vgl vorstehend unter Rn 89. Ebenso Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 103. BT-Drucks 15/1487, 30. BT-Drucks 15/1487, 40 f; vgl auch Möller NJW 2005, 1605, 1608. Häufig kommen auch Fälle vor, in denen als Zahlungsaufforderungen oder Rechnungen getarnte Vertragsangebote versendet werden, vgl BGH NJW 1993, 3329 – Folgeverträge I; BGH NJW 1995, 1361 – Folgeverträge II. Meist bezieht sich diese Masche heutzutage auf Eintragungen in irgend-
171
welche unbekannten und unbedeutenden Branchenverzeichnisse ohne jeden Nutzen. In vertragsrechtlicher Hinsicht ist hierzu der Umgang des AG Calw mit der Problematik bemerkenswert, wonach durch die unterzeichnete Rücksendung eines solchen Angebots dann kein Vertrag zustande kommt, wenn sich aus dem Angebot nicht ergibt, wo und in welcher Art das Verzeichnis geführt und wem es in welchem Turnus zugänglich gemacht wird, vgl AG Calw BeckRS 2007, 08810, Orientierungssatz abgedr in NJW 36/2007, X. Möller NJW 2005, 1605, 1608; dort zu den Fällen eines missbräuchlichen Einsatzes des sog PostIdent-Verfahrens.
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a) Ausnutzen besonderer Umstände – § 4 Nr 2 UWG. „Unlauter im Sinne von § 3 handelt insbesondere, wer […] Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die geschäftliche Unerfahrenheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen, die Leichtgläubigkeit, die Angst oder die Zwangslage von Verbrauchern auszunutzen“.
102
aa) Allgemeines. Der Beispieltatbestand des § 4 Nr 2 UWG bezweckt den Schutz der Verbraucher bei Vorliegen besonderer Umstände, wie etwa geschäftlicher Unerfahrenheit oder Angst. Anders als im Rahmen des Tatbestandes des § 4 Nr 1 UWG werden die Verbraucher dort allerdings nicht nur beispielhaft für alle Marktteilnehmer aufgeführt, sondern sie stellen – neben den ebenfalls ausdrücklich erwähnten Kindern und Jugendlichen – abschließend die Personengruppe dar, deren Schutz § 4 Nr 2 UWG dienen will. Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift ist gem § 13 BGB iVm § 2 Abs 2 UWG jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden können. Da bereits das Tatbestandsmerkmal „ausnutzen“ eine gewisse Unlauterkeit impliziert, erscheint die Einschränkung auf diesen Personenkreis zunächst befremdlich. Es wäre allerdings verfehlt, wenn man aus dieser Beschränkung den Umkehrschluss ziehen wollte, die Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit oder einer Zwangslage sei gegenüber Personen, die nicht Verbraucher sind, wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Hier muss jedoch gegebenenfalls auf einen anderen Beispieltatbestand oder die wettbewerbsrechtliche Generalklausel zurückgegriffen werden. Es wäre allerdings kaum mit der gesetzgeberischen Intention eines besonderen Schutzes bestimmter Personenkreise 172 vereinbar, würde man hier einfach einen einheitlichen Maßstab anlegen und insofern gänzlich über die bewusste gesetzliche Beschränkung hinweggehen. Während etwa bei Kindern und – entsprechend abgestuft 173 – auch bei Jugendlichen grds von einer geschäftlichen Unerfahrenheit auszugehen ist 174, muss eine solche bei anderen Verbrauchern zunächst positiv festgestellt werden. Besonders hohe Anforderungen sind dementsprechend an die Behauptung der Ausnutzung einer geschäftlichen Unerfahrenheit von Personen zu stellen, die nicht Verbraucher sind und dementsprechend nicht unter den besonderen Schutz des § 4 Nr 2 UWG fallen. Da der BGH jedoch bereits dann die Verbrauchereigenschaft iSd § 13 BGB verneint, wenn ein Existenzgründer erste Vorbereitungshandlungen für die bevorstehende Aufnahme einer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit trifft 175, ist es keinesfalls – wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag – unmöglich, die geschäftliche Unerfahrenheit eines Unternehmers iSd § 14 BGB in unlauterer Weise auszunutzen. Der Tatbestand des § 4 Nr 2 UWG bezieht sich auf Wettbewerbshandlungen im Allge103 meinen. Auch wenn der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift im Bereich der Werbung zu sehen ist, schließt dies nicht aus, andere Formen von Wettbewerbshandlungen, etwa das Sammeln von Daten über eine an Kinder und Jugendliche gerichtete Internet-Seite176, 172 173
174
BT-Drucks 15/1487, 17. Vgl Fezer/Scherer § 4-2 UWG Rn 111 f und Rn 146; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 2.17; Steinbeck GRUR 2006, 163, 164; Mankowski GRUR 2007, 1013, 1015; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 783 – Milchtaler. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 2.17; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306; Steinbeck GRUR 2006, 163, 164; Mankowski GRUR 2007, 1013, 1014; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 1064, 1065 –
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Lion-Sammelaktion; OLG München OLGR München 2001, 119 – Gewinnspiel für unter Zwölfjährige. BGH NJW 2005, 1273. Etwas anderes gilt nach der neuen Rechtsprechung des BGH allerdings dann, wenn es zunächst nur um die Frage geht, ob es überhaupt zu einer Existenzgründung kommen soll, BGH NJW 2008, 435 Rn 7 f. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 785 – Skoda-Autokids-Club.
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Materielles Wettbewerbsrecht
an den Wertungen dieser Vorschrift zu messen. Letzteres ist bereits in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gebracht worden 177. bb) Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen. Soweit § 4 Nr 2 UWG dem 104 Schutz von Kindern und Jugendlichen dient, ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Werbung, die sich gezielt an diese Personengruppe wendet dazu geeignet ist, die geschäftliche Unerfahrenheit „auszunutzen“ und daher auch nicht per se unlauter ist 178. Es gibt auch keine absoluten Verbote bestimmter Werbeformen, etwa von Zugaben, Rabatten oder Koppelungsangeboten. Der Gesetzgeber hat bei Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung bewusst davon abgesehen, die dortigen Verbote zumindest im Bereich der Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen aufrechtzuerhalten 179. Insofern können auch an Kinder und Jugendliche gerichtete Sammelaktionen, bei denen Prämienpunkte im Zusammenhang mit dem Erwerb von Produkten erlangt werden können 180 oder Zugaben und Koppelungsangebote 181, wettbewerbsrechtlich zulässig sein. Es kommt hier auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Von Bedeutung kann insbesondere sein, an welche Altersgruppe sich die Werbung tatsächlich wendet 182, ob Waren oder Leistungen beworben werden, die von der entsprechenden Altersgruppe typischerweise in Anspruch genommen und gegebenenfalls mit dem zur Verfügung gestellten Taschengeld bezahlt werden können 183. Kann eine unangemessene zeitliche Befristung einer Werbeaktion schon nach allgemeinen Maßstäben wettbewerbsrechtlich bedenklich sein 184, muss dies bei einer aus Kindern und Jugendlichen bestehenden Zielgruppe erst recht gelten185. Ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern liegt jedoch vor, wenn 105 der Anbieter von über kostenpflichtige Mehrwertdienstenummern beziehbaren HandyKlingeltönen in einer Jugendzeitschrift lediglich mit der Angabe der jeweiligen Minutenpreise wirbt, weil die angesprochene Zielgruppe in der Regel nicht überschauen kann, welche Kosten bei Bezug eines solchen Klingeltons tatsächlich anfallen werden186. In177 178
179
180
BT-Drucks 15/1487, 17. BGH GRUR 2006, 776 Rn 22 – Werbung für Klingeltöne; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 783 – Milchtaler; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 1064, 1065 – LionSammelaktion; Köhler GRUR-RR 2006, 1, 3; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306; noch zum UWG aF: OLG Nürnberg GRUR-RR 2003, 315 f – Werbeschreiben an Jugendliche; Zagouras GRUR 2006, 731, 732. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 784 – Milchtaler; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; in anderen Bereichen, etwa dem Bereich der Heilmittelwerbung hat der Gesetzgeber bei Aufhebung von RabattG und ZugabeVO jedoch eine bereichsbezogene Aufrechterhaltung der Beschränkungen vorgesehen, dazu Möller WRP 2006, 428 f. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782 – Milchtaler; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; anders noch (unter Geltung der ZugabeVO) OLG Düsseldorf GRUR 1975, 267 – Milky Way; Zagouras GRUR 2006, 731, 732; vgl aber auch den vorstehend (Rn 98) behan-
181 182
183
184 185 186
delten Fall, in welchem die Sammelaktion darauf ausgelegt ist, einen Gruppendruck aufzubauen. BGH GRUR 2006, 161 – Zeitschrift mit Sonnenbrille. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 783 – Milchtaler; vgl auch die Nachweise in Fn 173. BGH GRUR 2006, 161 Rn 19, 22 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 784 – Milchtaler; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 2.17a; Steinbeck GRUR 2006, 163, 164; noch zum UWG aF OLG München OLGR München 2001, 119 – Gewinnspiel für unter Zwölfjährige. Dazu bereits vorstehend Rn 85. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 782, 784 f – Milchtaler. BGH GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 317 – BRAVO Girl (Vorinstanz); OLG Hamm MMR 2005, 112; Mankowski GRUR 2007, 1013, 1014 ff; Zagouras GRUR 2006, 731, 733.
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sofern kann sich die geschäftliche Unerfahrenheit dahingehend auswirken, dass eine erhöhte Transparenzanforderungen an die Werbung zu stellen ist 187. Bei einer Werbung für Klingeltöne unter Angabe der Minutenpreise kommt hinzu, dass die Kosten für den Jugendlichen nicht beherrschbar sind, weil es wenig sinvoll ist, einen angefangenen Ladevorgang nach Überschreitung einer gewissen Dauer abzubrechen. Besondere Vorschriften für den Bereich der Werbung in Rundfunk und Telemedien 106 enthält § 6 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV). Die dortigen Regelungen entsprechen weitgehend der gesetzlichen Wertung des § 4 Nr 2 UWG, wonach die geschäftliche Unerfahrenheit nicht in unlauterer Weise ausgenutzt werden darf. Werbung für Tabakerzeugnisse unterliegt gem § 22 des sog Vorläufigen Tabakgesetztes (VorlTabakG) 188 sehr weitgehenden Einschränkungen, insbesondere ist Tabakwerbung im Fernsehen verboten (§ 22 Abs 1 VorlTabakG) und darf auch im Übrigen nicht darauf abzielen, Jugendliche zum Rauchen zu veranlassen (§ 22 Abs 1 Nr 1 lit b VorlTabakG). Ähnliche Einschränkungen enthält § 6 Abs 5 JMStV bzgl der Werbung für alkoholische Getränke in Rundfunk und Telemedien. Eine besondere Anerkennung der Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen kommt auch in § 6 Abs 6 JMStV zum Ausdruck, wonach es unzulässig ist, Kinder und Jugendliche im Rahmen des Teleshopping zum Abschluss von Kauf-, Miet- und Pachtverträgen über Waren oder Leistungen anzuhalten. Verhältnismäßig weitgehende Einschränkungen für die Werbung mit und vor Kindern in Hörfunk und Fernsehen sehen auch die Verhaltensregeln des deutschen Werberats (ZAW) vor 189. Gem Ziff 2 dieser Verhaltensregeln soll eine an Kinder gerichtete Werbemaßnahme nicht direkt zum Kauf oder Konsum anhalten. Den Verhaltensregeln des ZAW kommt indes keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit zu, sie sind auch zur Konkretisierung des § 4 Nr 2 UWG nur bedingt geeignet, da diese teilweise eigenständige Wertungen enthalten 190. Wie bereits an der in den Gesetzgebungsmaterialien ausdrücklich erwähnten Fallkons107 tellation der Datenerhebung ersichtlich ist 191, bedingt das Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen nicht, dass die Wettbewerbshandlung darauf abzielt, diese zu einer Kaufentscheidung zu bringen. Ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit iSd § 4 Nr 2 UWG kann daher auch darin zu sehen sein, dass Kinder und Jugendliche als „Kaufmotivatoren“ eingesetzt werden 192. Zur Annahme einer Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit reicht es jedoch nicht aus, wenn bei den Kindern oder Jugendlichen durch die Werbung lediglich der Wunsch geweckt werden soll, eine Sache zu besitzen, die sie selbst nicht zu kaufen in der Lage sind. Ebensowenig liegt ein Ausnutzen dann vor, wenn in der Nähe von Kassen Süßigkeiten oder andere für die Personengruppen attraktiv erscheinende Waren („Quengelware“) platziert werden193. Ist hingegen aufgrund weiterer unlauterkeitsbegründender Umstände ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit durch Einsatz als „Kaufmotivator“ anzunehmen 194, so 187
188 189 190 191 192
BGH GRUR 2006, 776 Rn 24 – Werbung für Klingeltöne; Zagouras GRUR 2006, 731, 734. So der Titel des nicht durch das LFGB aufgehobenen Teils des LMBG. Abrufbar unter www.werberat.de → Verhaltensregeln. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 2.6 aE. Dazu bereits oben Rn 103. Andere Ansicht jedoch Fezer/Scherer § 4-2 UWG Rn 119 ff.
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Ebenso Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 2.18. Dies wurde vom OLG München (OLGR München 2001, 119 – Gewinnspiel für unter Zwölfjährige) etwa angenommen, wenn Kinder im Rahmen eines mit hochwertigen Preisen lockenden Gewinnspiels ein Spielwarengeschäft auf Waren bis zu einem Preis von 100 DM durchsuchen müssen.
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wird der durch die solchermaßen instrumentalisierten Kinder oder Jugendliche vermittelte Einfluss auf die Erwachsenen – meist die Eltern – jedoch praktisch ausnahmslos auch als unangemessener unsachlicher Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG anzusehen sein, so dass sich die Unlauterkeit auch aus dem Beispieltatbestand des § 4 Nr 1 UWG ergibt 195. cc) Andere geschäftsunerfahrene Personengruppen. Zu den allgemein geschäftsuner- 108 fahrenen Personengruppen gehören nicht nur Kinder und Jugendliche. Auch noch nicht lange in Deutschland bzw Europa lebende Personen, die mit den hiesigen Marktgepflogenheiten noch nicht vertraut sind – die Begründung des Regierungsentwurfs spricht von „sprach- und geschäftsungewandten Mitbürgern“ 196 –, genießen den besonderen Schutz des hier besprochenen Beispieltatbestandes. Die Unerfahrenheit dieser Personen nutzt etwa aus, wer in Übergangswohnheimen Verkaufsveranstaltungen durchführt, um dort unter anderem Topfsets für vierstellige Beträge an dem Mann zu bringen 197. Ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit kann jedoch nicht allein deswegen angenommen werden, weil dem angesprochenen Verbraucher – ebenso wie den meisten anderen Verbrauchern auch – bestimmte Kenntnisse fehlen; § 4 Nr 2 UWG stellt nämlich – abweichend vom Leitbild des erwachsenen Durchschnittverbrauchers – auf besonders schutzbedürftige Verbraucherkreise ab 198. dd) Ausnutzen von Rechtsunkenntnis. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass 109 auch das Ausnutzen von Rechtsunkenntnis unter die Regelung des § 4 Nr 2 UWG fällt 199. Es fragt sich jedoch, ob man überhaupt von einer Fallgruppe der isolierten Ausnutzung von Rechtsunkenntnis sprechen kann oder ob Rechtsunkenntnis nicht vielmehr eine allgemeine Auswirkung von geschäftlicher Unerfahrenheit ist. Kein Verstoß gegen § 4 Nr 2 UWG liegt – entgegen teilweise vertretener Auffassung 200 – jedenfalls dann vor, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Rechtsbelehrung unterbleibt oder nur unzureichend durchgeführt wird. So wenig die Regelung des § 4 Nr 2 UWG dazu dient, die geschäftliche Unerfahrenheit der entsprechenden Personengruppen zu beseitigen, so wenig dient die Vorschrift der Vermittlung von Rechtskenntnissen. Die Regelung des § 4 Nr 2 UWG schützt lediglich vor einer Ausnutzung dieser Umstände. Soweit eine entsprechende Rechtsbelehrung, etwa der Hinweis auf ein gesetzliches Widerrufsrecht, aufgrund einer anderweitigen Rechtsnorm vorgeschrieben ist, kann eine Verletzung vor dem Hintergrund des Beispieltatbestand des § 4 Nr 11 UWG auch einen Wettbewerbsverstoß darstellen 201. ee) Ausnutzen von Leichtgläubigkeit, Ängsten und Zwangslagen. Soweit § 4 Nr 2 110 UWG von der Ausnutzung einer Angst oder einer Zwangslage der Verbraucher spricht, so ist das Eintreten eines solchermaßen potenziell ausnutzungsfähigen Umstandes nicht auf bestimmte Personengruppen beschränkt, sondern kann prinzipiell jedermann treffen. Eine Zwangslage kann durch ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten, auf welches der
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BGH GRUR 2008, 183 Rn 14 – Tony Taler; zur „Übeschneidung“ der Beispielstatbestände auch BGH GRUR 2006, 161 Rn 21 – Zeitschrift mit Sonnenbrille und Köhler GRUR-RR 2006, 113, 114. Fezer/ Steinbeck § 4-1 UWG Rn 7 geht indes offensichtlich von einem Vorrang von § 4 Nr 2 UWG aus; vgl bereits oben unter Rn 77. BT-Drucks 15/1487, 18. BGH GRUR 1998, 1041 – Verkaufsveran-
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staltung in Aussiedlerwohnheim (noch zum UWG aF). BGH GRUR 2007, 978 Rn 27 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. So etwa Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 2.21 f; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306. OLG Düsseldorf GRUR 2006, 782, 785 – Lottofonds; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306. S unter Rn 218 ff.
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Verbraucher nicht vorbereitet ist und bei dessen Bewältigung ihm die (geschäftliche) Routine fehlt, auch wenn er normalerweise über diese verfügt. Als Beispiel für ein solches Ereignis kann hier die Beteiligung an einem Unfall oder ein plötzlicher Trauerfall in der Familie genannt werden. Entsprechend restriktiv hat die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung bislang Werbemaßnahmen gegenüber solchermaßen betroffenen Personen beurteilt 202. Eine liberalere Handhabung dieser Fälle ist durch das neue UWG nicht intendiert gewesen, weshalb allein das Inkrafttreten der neuen Rechtslage kein Überdenken der diesbezüglichen Maßstände erfordert. Das gewandelte Verbraucherleitbild weg vom flüchtigen Betrachter hin zum durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher kann jedoch nicht ohne jeden Einfluss auf die Bewertung dieser Fälle bleiben. Wenngleich sich ein Verbraucher nach einem Sterbefall eines nahen Angehörigen oder unmittelbar nach einem Verkehrsunfall sicherlich in einer Ausnahmesituation befindet, bedeutet dies nicht zwingend, dass dieser, unter der Last des Eindrucks stehend, eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber geschäftlichen Dingen zeigen muss. Es dürfte hier vielmehr eine differenzierte Betrachtung geboten sein, wobei einerseits die Besonderheiten der jeweiligen Lage als auch die Aufdringlichkeit der fraglichen Wettbewerbshandlung zu berücksichtigen sind. Deutlich zu weit geht hingegen das Postulat, jegliche Form von Werbung an Unfallstellen als wettbewerbswidrig anzusehen203. Verhältnismäßig geringe praktische Bedeutung kommt den Tatbestandsvarianten des 111 § 4 Nr 2 UWG „Ausnutzen von Leichtgläubigkeit und von Angst“ zu. Während die Leichtgläubigkeit als Folge der geschäftlichen Unerfahrenheit angesehen und daher auch unter diese Variante subsumiert werden kann, kommt der Angst zwar ein eigener Stellenwert zu, jedoch reicht auch hier für die Annahme einer Unlauterkeit gem § 4 Nr 2 UWG nicht das bloße Aufgreifen von Ängsten in der Werbung, sondern es muss ein Ausnutzen derselben festgestellt werden. Kein Ausnutzen liegt jedenfalls dann vor, wenn die Angst nicht erst durch den Werbenden hervorgerufen wird, sondern unabhängig von dessen Einfluss bereits vorhanden und nicht nur offensichtlich völlig irrational ist und zudem die beworbenen Waren oder Dienstleistungen in einem sachlichen Zusammenhang hierzu stehen. Je weniger Ängste oder Befürchtungen als irrational anzusehen sind und je mehr sie statt dessen auf empirischen Befunden beruhen, desto eher muss dem Werbenden auch zugestanden werden, den angesprochenen Verbraucherkreisen die Gefahren oder Risiken deutlich zu machen, deren Prävention oder Kompensation die von ihm angebotenen Leistungen dienen 204. Er darf sich hierbei nicht gleich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, die Ängste der Verbraucher auszunutzen. Anderenfalls müsste praktisch jegliche Werbung für Feuerlöscher, Sicherheitsschlösser und Impfstoffe ebenso als unlauter angesehen werden wie für fast alle Arten von Versicherungen 205. Als grds zulässig muss dem-
202
BGH GRUR 1975, 264 – Unfallwerbung I (Angebot zum Abschluss eines Reparaturauftrages am Unfallort); BGH GRUR 1975, 266 – Unfallwerbung II und BGH GRUR 1980, 790 – Werbung am Unfallort III (jeweils Angebot zum Abschluss eines Abschleppvertrages am Unfallort); BGH GRUR 2000, 235 – Werbung am Unfallort IV (Angebot zum Abschluss eines Abschleppvertrages am Unfallort); BGH GRUR 1967, 430 – Grabsteinaufträge, BGH GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbungen II und BVerfG GRUR 1972, 358 – Grabstein-
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203 204 205
werbung (jeweils Vertreterbesuch nach Sterbefall mit dem Zweck der Erlangung eines Auftrages zur Ausführung von Grabsteinarbeiten). So aber Fezer/Scherer § 4-2 UWG Rn 49. Ebenso Schnorbus GRUR 1994, 15, 24. In dem Fall „Sichere Fotoarbeiten“ hat es das OLG Hamburg sogar für zulässig erachtet, einen Fotodienst mit persönlicher Übergabe der entwickelten Fotos damit zu bewerben, dass in der Vergangenheit Fälle bekannt worden seien, in welchen sich Einbrecher über die Einsichtnahme in frei
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Materielles Wettbewerbsrecht
nach auch die Werbung einer Zeitschrift mit einer Abnehm-Serie oder einem „FitnessSonderheft“ sein, auch wenn in diesem Zusammenhang auf die bedrohlichen Folgen ungesunder Lebensweise hingewiesen wird 206. Wird das entsprechende Produkt jedoch lediglich vorgeschoben, um über die Angstwerbung eine möglichst hohe Aufmerksamkeit zu erreichen, kann aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine abweichende Bewertung geboten sein. Beschränkt sich der Werbende nicht darauf, vorhandene Ängste der Verbraucher aus- 112 zunutzen, sondern ruft er diese durch seine Werbung erst hervor, so läuft der Beispieltatbestand des § 4 Nr 2 UWG weitgehend leer, weil in der Werbung dann bereits ein unsachlicher Einfluss iSd § 4 Nr 1 UWG zu sehen ist. Soweit dieser Einfluss unangemessen und noch dazu geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher zu beeinträchtigen, impliziert dies auch ein Ausnutzen iSd § 4 Nr 2 UWG, so dass es keiner gesonderten Prüfung dieses Merkmals mehr bedarf. Eine eigenständige Prüfung des Merkmals ist auch dann entbehrlich, wenn es um eine Werbung für Heilmittel oder Lebensmittel geht, weil nach den spezialgesetzlichen Vorschriften der §§ 12 Nr 6 LFGB, 11 Nr 7 HWG bereits solche Werbung verboten ist, die überhaupt dazu geeignet ist, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen 207. c) Verbot getarnter Werbung – § 4 Nr 3 UWG. Gem § 4 Nr 3 UWG handelt un- 113 lauter, wer
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„den Werbecharakter von Wettbewerbshandlungen verschleiert“.
aa) Allgemeines. Dieser Beispieltatbestand enthält ein umfassendes Verbot verdeckter 115 Werbung, auch Schleichwerbung genannt. Da vor allem dort eine erhöhte Gefahr solcher Werbung besteht, wo sich diese im Zusammenhang mit anderen, etwa redaktionellen Kommunikationsinhalten findet, sehen insbesondere die auf bestimmte Medien bezogenenen sondergesetzlichen Bestimmungen weitere Konkretisierungen dieses Grundsatzes vor, der wegen der erforderlichen Abgrenzung von redaktionellen und werblichen Inhalten auch als Trennungsgrundsatz bezeichnet wird. Für die Presse bestimmen die Landespressegesetze 208, dass bezahlte Veröffentlichun- 116 gen deutlich mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet werden müssen, wenn sich diese nicht bereits durch ihre Anordnung und Gestaltung deutlich als solche erkennen lässt. Für den Bereich des Rundfunks findet sich in § 7 Abs 3 RStV die Regelung, wonach Werbung und Teleshopping klar erkennbar sein müssen, indem sie durch optische (Fernsehen) oder akustische (Hörfunk) Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt
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zugängliche fremde Fotos die späteren Einbruchsobjekte ausgesucht haben, OLG Hamburg WRP 1999, 349; zulässig soll ferner sogar die Werbung für eine bekannte Kräuteressenz mit dem Slogan „Erkältung und grippale Infekte überrollen Berlin“ sein, BGH GRUR 1986, 902 – Angstwerbung; krit hierzu Schnorbus GRUR 1994, 15, 19, jeweils noch zum UWG aF. Das LG Frankfurt hat wohl sogar die Überschrift einer Anzeige „Angst vor fettem Essen?“ für zulässig angesehen. Das LG Hamburg hat demgegenüber die in einer Werbung für Sauerstoffmasken verwendeten
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Aussagen „Wir ersticken“ und „Millionen Menschen sterben“ als unzuässige Angstwerbung angesehen; beide Gerichtsentscheidungen zitiert nach Schnorbus GRUR 1994, 15, 18, Dazu auch Teil 3 Kap 4 Rn 54. § 10 BW LPressG, Art 9 BayPrG, § 9 Berl PresseG, § 11 Brandenbg PG, § 10 Brem PresseG, § 10 Hmbg PresseG, § 8 Hess PresseG, § 9 MV LPrG, § 10 NRW LPrG. § 10 Nieders LPrG, § 13 Rhpflz LMG, § 13 Saarl MedienG, § 9 Sachs-Anh LPresseG, 9 Schl-Holst LPressG, § 10 Thüring PresseG.
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werden. Außerdem ist dort das Verbot des Einsatzes unterschwelliger Techniken statuiert. Ergänzend bestimmt § 7 Abs 2 RStV, dass weder der Werbung noch den Werbetreibenden ein inhaltlicher und redaktioneller Einfluss auf das übrige Programm zukommen darf. Für Medien und Teledienste fanden sich bislang entsprechende Regelungen in §§ 10 Abs 4 Nr 1, 13 Abs 1 MDStV und § 7 TDG. Seit dem 9. RdfkÄndStV sind die inhaltsbezogenenen Aspekte der Telemedien nunmehr einheitlich im VI. Abschnitt des RStV geregelt, der nunmehr mit § 58 Abs 1 RStV eine der Regelung für den Rundfunk (§ 7 Abs 2 RStV) entsprechende Bestimmung für Telemedien beinhaltet. § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 2 Nr 5 TMG bestimmt schließlich auch unabhängig von dem Vorhandensein redaktioneller Inhalte, dass jede Form der Kommunikation, die der Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder dem allgemeinen Erscheinungsbild eines Unternehmens dienen, klar als „kommerzielle Kommunikation“ erkennbar gemacht werden muss. Auch soweit die Einhaltung der vorstehenden Vorschriften teilweise durch Ordnungs117 widrigkeitentatbestände mit entsprechender Bußgeldandrohung sichergestellt werden soll, kommt den Regelungen zusätzlich auch wettbewerbsrechtliche Bedeutung zu. Die Regelungen stellen praktisch ausnahmslos Marktverhaltensreglungen dar, weshalb ein Verstoß zugleich auch die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit gem § 4 Nr 11 UWG begründet 209. Letzteres gilt allerdings nicht für die in Rn 50 genannten Richtlinien des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft über redaktionell gestaltete Anzeigen, da diese keine Rechtsnormen, sondern Verbandsrichtlinien sind 210.
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bb) Verschleierung werblicher Kontakte. Auch soweit die vorstehend genannten medienrechtlichen Sondervorschriften nicht anwendbar sind, gilt das durch § 4 Nr 3 UWG statuierte Verbot der Verschleierung von Werbehandlungen. Unlauter ist es daher in jedem Fall, mit einen Marktteilnehmer zum Zweck des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen persönlich (Vertreterbesuch, Ansprechen in der Fußgängerzone) oder mittels Kommunikationsmitteln (zB Post, E-Mail, Telefon) Kontakt aufzunehmen, ohne hierbei den kommerziellen Charakter des Kontakts offenzulegen. Soweit sich bei persönlichen Kontakten der kommerzielle Charakter bereits aus den Umständen unzweifelhaft ergibt, etwa wegen einer der besonders auffälligen und mit Firmenlogos versehenen Kleidung eines Werbers, bedarf es hierzu nicht zwingend eines zusätzlichen expliziten Hinweises. Deutliche Hinweise sind jedoch erforderlich, wenn ein Ausflug oder eine Reise mit integrierter Verkaufsveranstaltung („Kaffeefahrt“) beworben wird, weil entsprechende Fahrten durchaus auch ohne solche Werbeverkaufsveranstaltungen gebucht werden können und der Verkehr daher nicht zwangsläufig Verkaufsveranstaltungen auf einer derartigen Fahrt erwartet 211. Bei Einsatz von Fernkommunikationsmitteln zu Werbezwecken, etwa bei einem Tele119 fonanruf, ist es vor dem Hintergrund der Regelung des § 4 Nr 3 UWG erforderlich, den geschäftlichen Zweck unmittelbar zu Beginn des Telefonats zu offenbaren, da im Falle einer späteren Offenbarung die Gefahr besteht, dass sich der Werbende zunächst die Aufmerksamkeit des Angerufenen in einer gegen § 4 Nr 3 UWG verstoßenden Weise verschafft und zum Zeit der Offenbarung ein wesentlicher Teil des Werbeeffekts bereits ein-
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Vgl Rn 221 ff; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.7. Das LG München I WRP 2006, 775 geht hingegen allerdings zumindest von einer „erheblichen indiziellen Wirkung“ dieser Richtlinien aus.
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BGH GRUR 1986, 318 – Verkaufsfahrten; BGH GRUR 1988, 130 – Verkaufsreisen; BGH GRUR 1988, 829 – Verkaufsfahrten II (alle zum UWG aF).
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getreten ist. Unzulässig ist daher auch die in letzter Zeit immer wieder zu beobachtende Vorschaltung einer angeblichen Meinungsumfrage vor die Offenbarung des eigentlichen kommerziellen Zweckes des Anrufes. Derartige Anrufe sind ohnehin überwiegend bereits nach § 7 UWG unzulässig 212. Für E-Mails enthält das seit dem 1.3.2007 geltende TMG einen bußgeldbewehrten Sondertatbestand. Gem § 6 Abs 2 TMG ist es unzulässig, in der Kopf- oder Betreffzeile den Absender oder den kommerziellen Charakter der Nachricht zu verschleiern oder zu verheimlichen. Ein Verschleiern bzw Verheimlichen liegt bereits dann vor, wenn die Kopf- oder Betreffzeile der E-Mail absichtlich so gestaltet ist, dass der Empfänger vor Einsichtnahme in den Inhalt der E-Mail keine oder eine irreführende Information über die Identität des Absenders bzw den kommerziellen Charakter der Nachricht erhält. Es reicht also nicht aus, wenn sich Absender und kommerzieller Charakter der E-Mail erst aus dem eigentlichen Text der E-Mail ergeben. Verstöße gegen diese Vorschrift können zum einen mit einer Geldbuße von bis zu € 50 000,– belegt werden (§ 16 Abs 1 TMG) und führen, da es sich insofern um eine Marktverhaltensregelung handelt, gem § 4 Nr 11 UWG auch zur wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit iSd § 3 UWG. Wegen der gegenüber Telefonwerbung ohnehin noch einmal restriktiver gefassten Bestimmung über die grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit von E-Mail-Werbung 213 ist der praktische wettbewerbsrechtliche Einfluss von § 6 Abs 2 TMG als äußerst gering einzustufen 214. Von Seiten des Bundesjustizministeriums wurde in einer Pressemeldung vom 12.9.2007 ein Gesetzesentwurf angekündigt, wonach ein ähnlicher Bußgeldtatbestand auch für den Bereich der Telefonwerbung geschaffen werden soll (bis zu € 50 000,– Bußgeld bei bewusster Rufnummernunterdrückung zum Zwecke der Identitätsverschleierung). Problematisch gestaltet sich die Bewertung derjenigen Fälle, in denen angebliche Mei- 120 nungsumfragen nicht als Vorschaltung zur Waren- oder Dienstleistungswerbung, sondern als Mittel zur Gewinnung von Adressen zur späteren kommerziellen Verwendung eingesetzt werden. Obgleich der Wortlaut des § 4 Nr 3 UWG ausdrücklich von der Verschleierung des Werbecharakters von Wettbewerbshandlungen spricht, heißt es in den Gesetzgebungsmaterialien, dass der Beispieltatbestand auch die Tarnung sonstiger Wettbewerbshandlungen erfassen solle 215. Vor dem Hintergrund dieser Begründung wird von Köhler die Forderung nach einer erweiternden Auslegung des Beispieltatbestandes des § 4 Nr 3 UWG dahingehend gestellt, dass der Begriff „Werbecharakter“ im Sinne von „wettbewerblicher Charakter“ gelesen werden müsse 216. Eine derartige erweiternde Auslegung erschiene auch grds möglich, weil der Begriff der Werbung mangels Legaldefinition zu keiner über das gesamte UWG hinweg einheitlichen Auslegung zwingt und daher bereichsbezogen durchaus mit dem Begriff der Wettbewerbshandlung gleichgesetzt werden könnte. Die Gesetzesbegründung schließt ein solches Verständnis im Regelungszusammenhang des § 4 Nr 3 UWG jedoch selbst aus, da sie die Werbung ausdrücklich neben die „sonstigen [sic!] Wettbewerbshandlungen“ stellt. Die solchermaßen verstandenen sonstigen Wettbewerbshandlungen (also solche ohne Werbecharakter) werden aber wiederum von dem Wortlaut des § 4 Nr 3 UWG nicht umfasst. Eine ergänzende Auslegung des Beispieltatbestandes, wie von Köhler gefordert, kommt daher nicht in Frage.
212 213 214
S unten Rn 297 ff. Dazu unten Rn 308 ff. Noch deutlicher: Hoeren NJW 2007, 801, 804, der sogar davon spricht, dass es sich bei § 6 Abs 2 TMG um ein „Pro-SpammingGesetz“ handele.
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BT-Drucks 15/1487, 17. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.1 aE.
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Zur wettbewerbsrechtlichen Bewältigung dieser nicht wenig brisanten Fälle böte sich daher ein Rückgriff auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel des § 3 UWG an, der jedoch wegen der sondergesetzlichen (Fehl-)Entscheidung des § 4 Nr 3 UWG ebenfalls nicht unproblematisch ist. Ein derartiger Rückgriff erscheint allerdings zumindest dann möglich, wenn neben der fehlenden Offenbarung des kommerziellen Charakters einer Umfrage weitere Unlauterkeitsmomente, etwa bzgl Aufmachung und Inhalt der Umfrage, bestehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auch datenschutzrechtlich unzulässig ist, wenn keine wirksame Einwilligung des Betroffenen vorliegt 217. Auch wenn der Betroffene die solchermaßen erhobenen Daten im Rahmen einer angeblichen Meinungsumfrage scheinbar freiwillig preisgibt, kann keine wirksame Einwilligung in diesem Sinne angenommen werden, wenn der Betroffene über den (kommerziellen) Zweck der Datenerhebung getäuscht wurde 218. Der bloße Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei der Erhebung der Daten impliziert jedoch noch nicht die Unlauterkeit gem § 4 Nr 11 UWG, weil die datenschutzrechtlichen Bestimmungen überwiegend nicht der Regelung des Marktverhaltens, sondern dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen dienen. Etwas anderes gilt indes für diejenigen Vorschriften, die sich, wie etwa § 28 Abs 3 Nr 3 BDSG speziell mit der Übermittlung und Verwendung der Daten zum Zwecke der Werbung befassen 219. Werden die unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht unzulässig erhobenen Daten später zu Werbezwecken verwendet, so liegt darin zugleich ein Wettbewerbsverstoß 220. Steht bereits bei der Datenerhebung mit hinreichender Sicherheit fest, dass diese ausschließlich zu Werbezwecken verwendet werden, so erscheint es zudem angemessen, nicht erst die spätere Verwendung, sondern bereits die Erhebung als wettbewerbsrechtlich unlauter anzusehen, weil in diesem Fall von vornherein hinreichender Bezug zu den Marktverhaltensvorschriften gegeben ist.
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cc) Redaktionelle Werbung. Häufig wird in der Rechtsprechung der Begriff der redaktionellen Werbung bemüht. Eine einheitliche Verwendung dieses Begriffes ist jedoch nicht feststellbar, er dient letztlich als Sammelbegriff für jede Werbung, die im (potenziellen) Konflikt mit redaktionellen oder zumindest redaktionell erscheinenden Inhalten steht. Wegen des subjektiven Erfordernisses der Wettbewerbsförderungsabsicht 221 verbietet sich jede wettbewerbsrechtliche Bewertung einer Maßnahme, die nicht in wettbewerblicher, sondern etwa in journalistischer oder anderer Absicht erfolgt. Der „echte“ redaktionelle Beitrag kann daher niemals nach § 4 Nr 3 UWG unlauter sein, auch wenn er – möglicherweise zu Unrecht – ein bestimmtes Produkt oder Unternehmen besonders lobend hervorhebt. Ähnliche Fragen stellen sich insbesondere häufig im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Produktvergleichen bzw Produkttests: Diese können regelmäßig allenfalls anhand der allgemeinen Gesetze, etwa auf Grundlage von § 823 BGB bewertet werden 222, wobei auch in diesem Zusammenhang die Grundrechte aus Art 5 Abs 1 GG zu beachten sind. Da in der Rechtspraxis aber regelmäßig auch aus objektiven Tatsachen auf das subjektive Merkmal der Wettbewerbsförderungsabsicht geschlossen
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Vgl etwa § 4 Abs 1 BDSG, § 12 Abs 1 TMG. Vgl OLG Stuttgart NJWE-WettbR 1999, 127, 128. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 11.42. Vgl zum UWG aF: OLG Naumburg NJW 2003, 3566, 3568 – Werberundschreiben für
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Fondsanleger; die Entscheidung wurde allerdings durch BGH GRUR 2006, 960 – Anschriftenliste aufgehoben, weil das Berufungsgericht etwas zuerkannt hatte, was gar nicht beantragt war. Dazu oben Rn 45 ff. Dazu bereits oben Rn 56.
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wird, ist stets dann besondere Vorsicht geboten, wenn gute Produkt- oder Unternehmensdarstellung auf schlechten Journalismus trifft. Gibt es bspw keinen erkennbaren publizistischen Anlass für eine Berichterstattung und wird ein bestimmtes Produkt oder Unternehmen unter mehreren Produkten ohne erkennbaren Grund ausgewählt und hervorgehoben oder ist die Berichterstattung insgesamt so aufgemacht, dass sie keinen anderen Hintergrund als denjenigen einer intendierten Wettbewerbsförderung erkennen lässt, so besteht die Gefahr, dass aus derartigen Anhaltspunkten auf das Vorliegen einer Wettbewerbsförderungsabsicht geschlossen wird. In der Rechtsprechungspraxis wird das subjektive Merkmal der Wettbewerbsförderungsabsicht im Zusammenhang mit (scheinbar) redaktionellen Beiträgen auch häufig gar nicht gesondert hervorgehoben 223, sondern es wird vielmehr gefragt, ob ein werblicher Überschuss ohne sachliche Rechtfertigung festgestellt werden kann 224. In der Sache ist hierdurch freilich wenig gewonnen, zumal durch den Begriff des Überschusses auch noch der Eindruck vermittelt wird, als gehe es letztlich um eine Abwägungsentscheidung 225. Eine Wettbewerbsförderungsabsicht dürfte allerdings stets anzunehmen sein, wenn 122 für die Inhalte eines Mediums ein Entgelt gezahlt wird 226. Zwar geht es dem für den Inhalt des Mediums Verantwortlichen dann in erster Linie darum, dass versprochene Entgelt zu erlangen, indes ist dieses Ziel unmittelbar mit der Förderung des Wettbewerbs eines Dritten verknüpft. Aber auch ohne Gewährung eines unmittelbaren Entgelts kann eine Wettbewerbsförderungsabsicht anzunehmen sein, wenn etwa ein verantwortlicher Redakteur persönlich an einem Unternehmen beteiligt ist oder zwischen dem Herausgeber einer Zeitschrift und dem Hersteller eines Produktes eine Kooperationsvereinbarung besteht, welche die redaktionelle Freiheit bedroht. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht bereits jede Form der Kooperation zwingend auf eine Wettbewerbsförderungsabsicht schließen lässt, was insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn der Herausgeber eines sog Special-Interest-Magazins mit dem bislang einzigen Anbieter eines bestimmten Produktes zusammenarbeitet 227. Erst wenn die Wettbewerbsförderungsabsicht festgestellt ist, kann man weiterhin fra- 123 gen, ob eine redaktionell getarnte Werbung vorliegt. Da weder aus dem UWG noch aus den medienspezifischen Regelungen 228 ein allgemeiner Grundsatz folgt, wonach es generell unzulässig wäre, den Inhalt von Medien von einer Bezahlung durch Dritte abhängig zu machen, stellt sich insofern nur die Frage, ob dem Verkehr der unzutreffende Eindruck vermittelt wird, Auswahl und Inhalt orientierten sich tatsächlich an anderen Maßstäben als einer hierfür erhaltenen oder zu erwartenden Vergütung. Soweit ein bestimmtes Massenmedium sowohl redaktionelle wie werbliche Inhalte umfasst, greift insofern das Gebot der Trennung von Werbung und redaktionellem Teil und zwar wegen § 4 Nr 3 UWG unabhängig davon, ob es eine bereichsspezifische Sonderregelung gibt oder ob eine solche fehlt. Teilweise wird vertreten, dass dieser Grundsatz dann nicht gelten
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Zutreffend allerdings die Vorgehensweise von BGH GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I und BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II. Vgl BGH GRUR 1994, 445, 446 – Beipackzettel; in BGH GRUR 1994, 441, 442 – Kosmetikstudio wird die Frage nach dem Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht nach Bejahung der Annahme einer getarnten Werbung erörtert.
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So etwa auch in BGH GRUR 1997, 541, 543 – Produkt-Interview. Vgl hierzu auch die in Fn 43 genannten Richtlinien des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft sowie die in Fn 208 genannten Regelungen der Landespressegesetze. Vgl OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 15 – TV Digital. Dazu oben Rn 116.
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soll, wenn das gesamte Medium als Werbemedium erkennbar ist, wie es bspw bei Zeitschriften der Fall ist, die auf dem Titelblatt deutlich als Werbeschrift gekennzeichnet ist 229. Dies kann jedoch in dieser Allgemeinheit nicht richtig sein, da durchaus auch Werbezeitschriften – etwa die klassische Kundenzeitschrift eines Unternehmens – über eine Redaktion verfügen können und teilweise sogar Anzeigen von Drittunternehmen aufgenommen werden. Der Leser wird von einer derartigen Zeitschrift zwar keine uneingeschränkte Objektivität erwarten; wird jedoch bewusst in einer solchen Kundenzeitschrift der Dualismus von redaktionellem Teil und Anzeigenteil eingesetzt (als Beispiel mag das Kundenmagazin einer Fluggesellschaft dienen), so wird man auch von dem Herausgeber einer solche Zeitschrift die prinzipielle Einhaltung des Trennungsgebotes verlangen müssen. Unzweifelhaft befreit jedenfalls die Tatsache, dass eine Zeitung oder eine Zeitschrift kostenlos verteilt wird, nicht von dem Trennungsbebot, weil auch in einer rein werbefinanzierten Zeitschrift redaktionelle Beiträge üblich sind und häufig sogar erst den Anreiz darstellen, dieser Zeitung oder Zeitschrift Beachtung zu schenken230. Besondere Vorsicht ist auch bei anzeigenunterstützenden redaktionellen Beiträgen ge124 boten. Je enger die inhaltliche und räumliche bzw zeitliche Verbindung zwischen bezahlter Werbung und redaktionellem Beitrag ist, desto eher wird zu vermuten sein, dass der vermeintlich redaktionelle Beitrag tatsächlich eine Schleichwerbung darstellt und letztlich nichts anderes als ein „Extra“ zu der bezahlten Anzeige ist 231. Dies gilt im Übrigen nicht nur für diejenigen Gattungen von Printmedien, bei welchen ein Nebeneinander von Anzeigenwerbung und Berichterstattung schon fast zum Alltag gehört 232, sondern auch für alle anderen Medien. Wird bspw ein Betrieb von regionaler Bedeutung in einem Radiobeitrag besonders lobend hervorgehoben, nachdem dieser zwei Tage zuvor einen bezahlten Radiowerbespot geschaltet hatte, so ist davon auszugehen, dass tatsächlich die Anzeige und nicht das journalistische Interesse den Antrieb für den scheinbar redaktionellen Beitrag darstellt 233. Es kann allerdings vor dem Hintergrund des § 4 Nr 3 UWG auch nicht als schlechthin unzulässig angesehen werden, redaktionelle Beiträge über diejenigen Unternehmen zu veröffentlichen, die gleichzeitig bezahlte Werbung platzieren, wenn dies nicht offensichtlich die ausschlaggebende Motivation ist 234. Ebenfalls unter den Begriff der redaktionellen Werbung lassen sich diejenigen Fälle 125 der Tarnung einer Anzeige fassen. Hier geht es weniger darum, dass die Redaktion bzw der Medienverantwortliche einen entsprechenden redaktionellen Beitrag mit sachfremder Motivation verfasst, sondern vielmehr darum, dass sich der Inserent darum bemüht, die
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.20; BGH GRUR 1989, 516, 518 – Vermögensberater. Vgl BGH GRUR 1997, 907, 909 – EmilGrünbär-Klub, wo es um ein in Apotheken kostenlos verteiltes Kinderposter ging. Die Besonderheit des Falles lag allerdings darin, dass die Kinderposter von den Apothekern zunächst entgeltlich erworben werden mussten und ein Wettbewerber des Herausgebers geklagt hatte. Der BGH hat insofern ausschließlich auf die Wettbewerbsförderungsabsicht hinsichtlich des eigenen Wettbewerbs des Herausgebers abgestellt; vgl ferner LG Frankfurt aM BeckRS 2007,
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03928 – Apothekenbroschüre, das allerdings mehr darauf abstellt, dass der dortigen Zeitschrift nicht anzusehen war, dass es sich um ein rein werbefinanziertes Anzeigenblatt handelt; tendenziell wohl anders Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.28. Vgl LG Frankfurt aM BeckRS 2007, 03928 – Apothekenbroschüre. Vgl oben Rn 50. KG GRUR-RR 2005, 320 – Schleichwerbung im Rundfunk. Vgl etwa BGH GRUR 1998, 947, 949 – AZUBI ’94.
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von ihm gelieferte Anzeige möglichst so erscheinen zu lassen, dass man ihr den Charakter als bezahlte Werbeanzeige zumindest nicht auf den ersten Blick ansieht. Nicht selten werden Anzeigen daher so aufgemacht, wie es eigentlich bei redaktionellen Beiträgen üblich ist 235. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund des § 4 Nr 3 UWG dann nicht weiter problematisch, wenn die Anzeige trotz dieser Aufmachung noch als solche zu erkennen ist, was etwa durch entsprechende Kennzeichnungen bewirkt werden kann. Welche Maßnahmen zur Umsetzung dieser Vorgabe im Einzelfall allerdings ergriffen werden müssen, kann nicht verallgemeinernd festgestellt werden. Im Bereich der Printmedien kann die Bezeichnung als „Anzeige“ ausreichen, dies entspricht auch den Vorgaben der Landespressegesetze 236. Eine derartige Angabe reicht jedoch dann nicht mehr aus, wenn die Anzeige im Hinblick auf Anordnung und Gestaltung des Textes, Farbe, Schrifttyp und Nummerierung exakt mit dem redaktionellen Teil der Zeitschrift übereinstimmt, in der sie abgedruckt wird 237 oder nicht deutlich wird, auf welche Teile der Seite sich diese bezieht 238. Erst recht reicht in derartigen Fällen nicht die in der Fußzeile vorgenommene Kennzeichnung als „Sonderveröffentlichung“ aus 239. Auf der anderen Seite ist aber nicht stets die ausdrücklich Kennzeichnung als „Anzeige“ erforderlich, wenn sich diese Eigenschaft aus anderen Umständen ergibt. In Betracht kommt etwa eine erkennbare Unterbringung im Anzeigenteil oder eine Kennzeichnung mit dem Begriff „Werbeinformation“ 240. In jedem Fall muss ein ausdrücklicher Hinweis auch nach Schriftart, Schriftgröße, Platzierung und Begleitumständen ausreichend deutlich sein, damit ihm eine Trennfunktion zugesprochen werden kann 241. Die für den Bereich der Presse entwickelten Instrumentarien lassen sich auch – gegebenenfalls entsprechend angepasst – auf den Bereich der neuen Medien übertragen. Wird bspw auf einer redaktionell gestalteten Internet-Seite ein Hyperlink gesetzt, der zu einer Werbeseite führt, so muss dies bereits im Zusammenhang mit der Linksetzung klar gekennzeichnet werden242. Teilweise wird auch die unveränderte Übernahme von Beiträgen Dritter als Fall der 126 unzulässigen redaktionellen Werbung eingestuft 243. Dies wird damit begründet, dass der Leser bei redaktionellen Beiträgen grds erwarte, dass diese auf eigenen journalistischen Recherchen beruhen und von der Redaktion jedenfalls maßgeblich gestaltet und bearbeitet würden 244. Diese Prämisse kann jedoch in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht 235
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In dieselbe Kategorie fällt der – etwas atypische – Fall, über den das OLG Hamburg NJW-RR 2004, 196 – Rexona zu entscheiden hatte: Es ging um eine Anzeige auf der Rückseite einer Jugendzeitschrift, die wie die Titelseite derselben Zeitschrift aufgemacht war. S oben Rn 116. LG Stuttgart WRP 2006, 773, 774 – Anzeigenkennzeichnung; Köhler GRUR-RR 2006, 209, 210; vgl auch OLG Hamburg NJW-RR 2004, 196, 197 – Rexona; in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt war die Anzeige auf der Rückseite einer Jugendzeitschrift zwar mit „Anzeige“ gekennzeichnet, im Übrigen aber wie die Titelseite gestaltet. OLG Frankfurt aM WRP 2007, 111 – Anzeigenkennzeichnung und Größe der Pflichtangaben.
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LG München I WRP 2006, 775, 776 – Sonderveröffentlichung; vgl hierzu auch die Ziff 8 der in Fn 43 genannten ZAW-Richtlinien. Hierzu BGH GRUR 1996, 791, 793 – Editorial II; KG GRUR 2007, 254, 255 – Getarnte Link-Werbung. Vgl BGH GRUR 1996, 791, 792 – Editorial II. KG GRUR 2007, 254, 255 – Getarnte LinkWerbung. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.22 mwN. Dies wird auch in BGH GRUR 1993, 565, 566 – Faltenglätter unterstellt, wobei der angeblichen Täuschung über die Urheberschaft jedoch die wettbewerbliche Relevanz abgesprochen wurde, da die Darstellung des Produkts sachlich zutreffend und ohne werbemäßige Herausstellungen gewesen sei.
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erhalten werden. Im heutigen Informationszeitalter kann es durchaus auch als eigenständige redaktionelle Leistung anzusehen sein, von Dritten verfasste Beiträge zu selektieren 245, wobei auch dann nichts anderes gelten kann, wenn diese nur zur Ergänzung der selbstverfassten Beiträge bzw zur Abrundung eines vielfältigen inhaltlichen Angebots eingesetzt werden.
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dd) Productplacement. Im Bereich der bewegten Bilder – Fernsehen und Kino – findet sich verstärkt eine besondere Form der Werbung, das sog Productplacement. Bestimmte Produkte oder Marken werden an gut sichtbarer Stelle platziert und häufiger gezeigt, als es möglicherweise nach der Dramaturgie des entsprechenden Stückes bzw Programmes erforderlich wäre. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung derartiger Werbepraktiken vor dem Hintergrund des § 4 Nr 3 UWG ist nicht immer einfach. Dies hängt damit zusammen, dass auf die zur Annahme einer Wettbewerbswidrigkeit erforderliche Wettbewerbsförderungsabsicht regelmäßig wiederum aufgrund objektiver Tatsachen geschlossen werden wird und als solche Anhaltspunkte letztlich nur eine besonders aufdringliche und penetrante Herausstellung eines Unternehmens oder eines Produktes in Betracht kommt. Je auffälliger die Herausstellung allerdings zutage tritt, desto deutlicher wird auch der werbende Charakter, so dass es zunehmend schwierieger wird, in derartigen Fällen des Productplacements noch von einer verschleierten Werbung iSd § 4 Nr 3 UWG zu sprechen. Im Bereich des Rundfunks und der Telemedien lässt sich die Unlauterkeit solcher Werbung allerdings gegebenenfalls unter Rückgriff auf die medienspezifischen Sonderregelungen und § 4 Nr 11 UWG begründen. Im Bereich des Kinofilms fehlt es allerdings an entsprechenden Vorgaben, so dass man davon ausgehen darf, dass diejenigen Fälle des Productplacements, welche tatsächlich dazu geeignet wären, die Lauterkeit des Wettbewerbs zu gefähren, wettbewerbsrechtlich weitgehend gar nicht erfasst werden können. Die Problematik entschärft sich jedoch, wenn man einerseits den Schutzweck des § 4 Nr 3 UWG – Verhinderung der Täuschung der Verbraucher über den Werbecharakter einer Handlung – und andererseits die konkrete Verbrauchererwartung hinzuzieht. Es ist wohl nicht ganz lebensfremd, anzunehmen, dass der Besucher eines Kinos in gewisser Hinsicht damit rechnet, dass die Filmhersteller auch Requisiten verwenden, die ihnen kostenlos oder sogar mit einer gewissen finanziellen Draufgabe zur Verfügung gestellt werden 246. Hier stellt sich indes ein ganz anderes Problem, nämlich dasjenige der der belästigenden Werbung, wenn der Kinobesucher ohne vorherige Aufklärung mit einem Übermaß an Werbung konfrontiert wird, welcher er sich praktisch nicht mehr entziehen kann 247. 245
246
So im Ansatz wohl schon BGH GRUR 1998, 947, 949 – AZUBI ’94. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Herausgeber einer kostenlosen Wochenzeitung – vom BGH unbeanstandet – Textinhalte zur Beschreibung von Ausbildungsstellen von den jeweiligen Betrieben übernommen. Bemerkenswert ist dies vor allem vor dem Hintergrund, dass den Unternehmen seinerzeit angeboten wurde, ausführlichere Darstellungen der Ausbildungsstellen im Rahmen einer bezahlten Anzeige vorzunehmen. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 3.46; BGH GRUR 1995, 744, 748 – Feuer, Eis & Dynamit I.
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Letztlich stand auch in dem der Entscheidung BGH GRUR 1995, 744 – Feuer, Eis & Dynamit I vorausgegangenen Verfahren nicht ein Verbot des Films, sondern das Erfordernis eines vorherigen Hinweises auf die in großem Umfang vorhandene bezahlte Werbung im Streit. Das Gericht hat es im Hinblick auf die Antragsfassung allerdings offen gelassen, ob es ausreicht, wenn ein solcher Hinweis erst kurz vor Beginn der Aufführung des Films erfolge oder ob dies bereits bei der Vorankündigung des Films in Zeitungsanzeigen und Plakaten geschehen müsse.
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Materielles Wettbewerbsrecht
d) Transparenz bei Verkaufsförderungsmaßnahmen – § 4 Nr 4 UWG. Gem § 4 Nr 4 128 UWG handelt unlauter, wer „bei Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässen, Zugaben oder Geschen- 129 ken die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angibt“. aa) Allgemeines. Ebenso wie die Regelung des § 4 Nr 3 UWG hat auch diese Bestim- 130 mung einen medienrechtlichen Ursprung: Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien sollte mit dieser Regelung die für Medien- und Teledienste geltenden Vorschriften der §§ 10 Abs 4 Nr 3 MDStV, 7 Nr 3 TDG auf den allgemeinen Geschäftsverkehr übertragen werden, da eine unterschiedliche Behandlung für nicht sachgerecht erachtet wurde 248. Nach Aufhebung des MDStV und des TDG findet sich die spezialgesetzliche Regelung für Telemedien nunmehr in § 6 Abs 1 Nr 3 TMG. Für das allgemeine Wettbewerbsrechts verbleibt jedoch die nicht einfache Aufgabe, § 4 Nr 4 UWG in die Systematik der übrigen Beispieltatbestände einzugliedern. Zu den weitergehenden Einschränkungen, die sich aus dem HWG ergeben können, wird auf die Ausführungen zur Werbung im Gesundheitsbereich verwiesen 249. bb) Verkaufsförderungsmaßnahme. Wenig Aufmerksamkeit ist bislang der Frage ge- 131 widmet worden, was eigentlich eine Verkaufsförderungsmaßnahme ist. Dies mag damit zusammenhängen, dass die bereits im Gesetzeswortlaut enthaltenen Beispiele (Preisnachlässe, Zugaben, Geschenke) einen Großteil der Erscheinungsformen solcher Maßnahmen erfassen. Fraglich ist hingegen, ob dem Begriff der Verkaufsförderungsmaßnahme auch eine einschränkende Wirkung zukommt, oder ob etwa das Ausloben oder Versprechens eines Geschenks stets dem Transparenzgebot des § 4 Nr 4 UWG unterfällt, wenn dies im Rahmen einer Wettbewerbshandlung iSd § 3 UWG erfolgt. Bedeutsam ist dies etwa, wenn die Wettbewerbshandlung nicht auf den Verkauf, sondern auf den Ankauf bestimmter Waren und Dienstleistungen oder den Abschluss ganz anderen Vertrages gerichtet ist 250. Einigermaßen sicher dürfte wohl sein, dass die Anwendbarkeit von § 4 Nr 4 UWG nicht davon abhängt, dass die Wettbewerbshandlung auf einen Kaufvertrag iSd §§ 433 ff BGB gerichtet ist, weil der Begriff der Verkaufsförderungsmaßnahme nicht in dem Sinne technisch zu verstehen ist, dass dieser einen bestimmten Vertragstypus erfasst. Auch im Zusammenhang mit Miet- und Beförderungsverträgen oder mit anderen Dienstleistungen kann von einer Verkaufsförderung gesprochen werden, so dass etwa auch eine Rabattaktion eines Autovermieters oder einer Fluggesellschaft am Maßstab des § 4 Nr 4 UWG zu messen ist. Gleichwohl lässt sich nicht verkennen, dass dem Begriff der Verkaufsförderung durchaus auch eine einschränkende Funktion zukommt, weil schlechterdings nicht mehr von einer Förderung des Verkaufs gesprochen werden kann, wenn der Handelnde weder Waren noch Dienstleistungen absetzen, sondern solche selbst beziehen will. Lockt der örtliche Juwelier etwa in einer Zeitungsanzeige damit, Altgold zu einem bestimmten Preis anzukaufen und während eines bestimmten Aktionszeitraumes auch noch einen prozentualen Zuschlag zu bezahlen, so entzieht sich diese Aktion dem Anwendungsbereich des § 4 Nr 4 UWG. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Bezugsinteresse nur vorgeschoben wird, um Kaufinteressenten auf sich aufmerksam zu machen oder um das Kaufinteresse zu steigern. Daher kann eine zeitlich befristete Inzahlungnahmeaktion eines Fahrzeugherstellers durchaus am Maßstab des § 4 Nr 4 UWG gemessen werden, weil es dem Fahrzeughersteller nicht in erster Linie um den Ankauf
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BT-Drucks 15/1487, 17. Teil 3 Kap 4 Rn 39 ff.
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Vgl zu dem weiten Begriff der Wettbewerbshandlung bereits oben unter Rn 41.
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gebrauchter Fahrzeuge, sondern vielmehr um den Absatz von Neufahrzeugen geht. Die Annahme einer Verkaufsförderungsmaßnahme iSd § 4 Nr 4 UWG scheidet indes aus, wenn eine reine Imagemaßnahme durchgeführt wird. Bei derartigen Kampagnen kann allenfalls sehr entfernt von einer Absatzförderung gesprochen werden, die häufig auch noch anderen Zwecken – Aufbau der gesellschaftlichen Akzeptanz, Pflege der Beziehungen zu Kooperationspartnern usw – dient. Verteilt etwa ein Markenartikler anlässlich einer Großveranstaltung auf einem Aktionsstand Werbegeschenke, so liegt keine Verkaufsförderungsmaßnahme iSd § 4 Nr 4 UWG vor, wenn in diesem Zusammenhang nicht zugleich auch entsprechende Ware des Unternehmens zum Kauf angeboten wird. Dies gilt im Prinzip auch dann, wenn es sich bei dem Unternehmen um ein bekanntes Getränkeunternehmen handelt und entsprechende Getränke dieses Herstellers im Rahmen der Veranstaltung von anderen Anbietern ausgeschenkt werden 251. Erst recht kommt die Annahme einer Verkaufsförderungsmaßnahme iSd § 4 Nr 4 UWG nicht in Frage, wenn es bei der Maßnahme weder um den Abschluss neuer Geschäfte noch um Imageaufbau geht. Dies ist etwa dann der Fall ist, wenn eine private Krankenversicherungsgesellschaft die eigenen Versicherungsnehmer bittet, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne keine Rechnungen einzureichen und als Belohnung eine bestimmte Prämie in Aussicht stellt 252. Zu den Verkaufsförderungsmaßnahmen zählen nicht nur die in § 4 Nr 4 UWG aus132 drücklich genannten Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke, sondern auch alle anderen Maßnahmen, die dazu geeignet sind, in ähnlicher Weise auf den Kaufentschluss potentieller Kunden einzuwirken. Hierzu zählen etwa Aktionen, bei welchen dem Kunden die Rückzahlung des Kaufpreises bei Nichtgefallen versprochen wird („Geld-zurück-Garantie“) 253. Anders als die Regelungen der §§ 4 Nr 2 und Nr 6 UWG unterscheidet § 4 Nr 4 UWG auch nicht nach den Adressaten, an die sich die fragliche Wettbewerbshandlung wendet. Die Vorschrift gilt daher sowohl für solche Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich an Verbraucher wie auch für solche, die sich an Unternehmer oder beide Personengruppen gleichermaßen richten.
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cc) Abgrenzung von Transparenzgebot und Irreführungsverbot. Berücksichtigt man, dass bereits nach § 5 Abs 2 UWG das Verschweigen solcher Tatsachen unlauter ist, die bei der Entscheidung zum Vertragsschluss von Bedeutung sind und die vom Verkehr erwartet werden 254, so zeigt sich, dass der Anwendungsbereich des § 4 Nr 4 UWG ein anderer als derjenige des in § 5 UWG verorteten Irreführungsverbots sein muss. Im Rahmen dieses Anwendungsbreichs ist nicht danach zu fragen, welche Angaben die angesprochenen Verkehrskreise erwarten 255, sondern – da § 4 Nr 4 UWG zumindest dem Grundsatz nach eine eigenständige Wertung vorgibt – welche Angaben der Verkehr im Zusammenhang mit Verkaufsförderungsmaßnahmen erwarten darf. Die diesbezüglichen gesetzlichen Vorgaben sind mit dem Begriff Bedingungen der Inanspruchnahme sehr offen beschrieben, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass im Rahmen der
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Je nach Intensität des Zusammenwirkens der Akteure – Hersteller und Vertreiber – können dann aber den Vorgaben des § 4 Nr 4 UWG vergleichbare Pflichten aus §§ 3, 5 UWG abgeleitet werden. So anlässlich der Einführung eines neuen EDV-Systems bei einem der größten Krankenversicherer im Sommer 2007 geschehen, vgl hierzu Schlingensiepen Ärzte Zeitung vom 27.3.2007.
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OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 156 – Geld-zurück-Garantie; keine Verkaufsförderungsmaßnahme iSd § 4 Nr 4 UWG soll indes vorliegen, wenn ein Insolvenzverwalter einen „Insolvenzverkauf“ ankündigt. OLG Frankfurt aM ZIP 2008, 1092. Dazu unten Rn 255 f. So aber OLG Köln GRUR-RR 2006, 196 – Urlaubsgewinnspiel im Hinblick auf die vergleichbare Problematik bei § 4 Nr 5 UWG.
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erforderlichen Auslegung – anders als bei § 5 Abs 2 UWG – nicht einfach auf die Verkehrserwartungen abgestellt werden kann. Um den Anwendungsbereich des § 4 Nr 4 UWG herauszuarbeiten, bedarf es noch ein- 134 mal der Verdeutlichung, dass dem UWG ein allgemeines Transparenzgebot fremd ist: Vom Grundsatz her ist kein Marktteilnehmer dazu verpflichtet, über alle Umstände unaufgefordert aufzuklären, die aus Sicht der Marktgegenseite für eine rationale Nachfrageentscheidung erforderlich sind 256. Erst recht besteht keine Verpflichtung dazu, von sich aus sämtliche nachteiligen Eigenschaften der eigenen Angebote aufzuzeigen 257. Werden dementsprechend durch einen Marktteilnehmer bestimmte Angaben zu den eigenen Angeboten gar nicht erst gemacht, wird sich die Marktgegenseite zu diesen Aspekten regelmäßig auch keine Vorstellung bilden. Wer sich jedoch gar keine Vorstellung bildet, hat auch keine falsche Vorstellung, weshalb die Annahme einer Irreführung iSd § 5 UWG in diesen Fällen eher fernliegend ist. Gleichwohl kann natürlich auch durch das Verschweigen von Tatsachen eine Irreführungsgefahr begründet werden und zwar dann, wenn sich der Verkehr ausnahmsweise gerade wegen des (Ver-)Schweigens eine ganz bestimmte Vorstellung bildet, weil er eine entsprechende Angabe erwartet hätte 258. § 4 Nr 4 UWG soll jedoch – insofern anders als § 5 UWG – nicht verhindern, dass sich der Adressat eine falsche Vorstellung von den Bedingungen einer Verkaufsförderungsmaßnahme bildet, sondern dass er sich mangels entsprechender Angaben schlechthin gar keine entsprechende Vorstellung bilden kann. Die Begründung des Regierungsentwurfs benennt beispielhaft die erforderliche Transparenz im Rahmen von Kundenbindungssystemen 259. Diese sind häufig so aufgebaut, dass den Kunden bestimmte Punkte gutgeschrieben werden, deren konkreter Wert oft unklar bleibt. Selbst wenn dem einzelnen Punktewert ein bestimmter Geldbetrag zugeordnet wird, gibt dies nicht zwingend Auskunft über den tatsächlichen Wert, weil viele Kundenbindungssysteme vorsehen, dass eine Einlösung nur bei Erreichen einer bestimmten Mindestpunktezahl möglich ist und eingelöste Punkte nach einer bestimmen Zeit verfallen oder weitere Bedingungen für die Einlösung der Punkte aufgestellt werden. Obgleich der Wert der zu erlangenden Punkte somit höchst zweifelhaft ist, scheint die Attraktivität des Einsatzes derartiger Kundenbindungssysteme ungebrochen. Der Kunde bildet sich zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung häufig gar keine Vorstellung darüber, unter welchen Umständen er die ihm gutgeschriebenen Punkte einlösen bzw gegen Sachprämien eintauschen kann, es interessiert ihn nicht weiter. Diese Gleichgültigkeit lässt sich damit erklären, dass der Kunde die Punkte häufig nur als nicht zu bezahlende Draufgabe ansehen wird und für sich davon ausgeht, dass seine Kaufentscheidung hiervon unbeeinflusst bleibt 260. Auch wenn es sich außerhalb des Bewusstseins des Kunden abspielen mag, so kann angesichts des anhaltenden Erfolges solcher Kundenbindungssysteme nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass diesen Auswirkung auf die Kaufentscheidung zukommt. Bereits aus diesem Auseinanderfallen zwischen Auswirkung und dem Bewusstsein darüber resultiert das in der Gesetzesbegründung angeführte Missbrauchspotential derartiger Systeme 261. § 4 Nr 4 UWG führt hier dazu, dass ungeachtet einer drohenden Irreführung bzw einer diesbezüglichen Verkehrserwartung Angaben zu dem Punktewert und den Einlösebedingungen zu machen sind 262. 256 257 258 259 260
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.39. Vgl auch die Begründung zu § 5 Abs 2, BT-Drucks 15/1487, 19. Dazu unten Rn 255. BT-Drucks 15/1487, 17. Anders die Argumentation bei BGH GRUR
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1999, 515, 518 – Bonusmeilen, wo die Anziehungswirkung der ausgelobten Prämien – Hotelübernachtungen und Flüge – betont wird. BT-Drucks 15/1487, 17. Vgl die Nachweise in Fn 287.
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Damit scheint die Abgrenzung zwischen dem Irreführungsverbot des § 5 UWG und Transparenzgebot des § 4 Nr 4 UWG zumindest theoretisch geklärt: Droht die Gefahr, dass sich der Adressat einer Werbung gerade wegen des Verschweigens bestimmter Angaben eine falsche Vorstellung bildet, so ist § 5 UWG als speziellere Norm einschlägig; bei der Gefahr, dass sich der Adressat überhaupt keine Vorstellung bildet, ist hingegen der Anwendungsbereich des § 4 Nr 4 UWG eröffnet 263. Praktisch lässt sich diese Differenzierung indes nicht konsequent einhalten. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass bereits die Abgrenzung zwischen falscher und fehlender Vorstellung nicht immer möglich sein wird, weil nicht einmal klar sein dürfte, wann überhaupt von der „Bildung einer Vorstellung“ ausgegangen werden kann 264. Andererseits wäre es aber auch wenig sinnvoll, den Wettbewerbsgerichten Ausführungen zur Irreführungsgefahr abzuverlangen, wenn eine solche nur aus fehlenden Angaben resultieren kann und die Werbung wegen § 4 Nr 4 UWG selbst dann als unlauter zu bewerten wäre, wenn keine Täuschung des Adressaten zu befürchten wäre. In derartigen Fällen ist prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, wenn sich die Gerichte auf die Feststellung beschränken, dass die Wettbewerbshandlung „jedenfalls“ gem § 4 Nr 4 UWG wegen Verletzung des Transparenzgebots bei Verkaufsförderungsmaßnahmen unlauter ist, so dass die Frage der Irreführungsgefahr dahingestellt bleiben kann 265. Nicht richtig ist es hingegen, wenn das Gericht seine Entscheidung trotz vorheriger Feststellung einer Irreführungsgefahr auf § 4 Nr 4 UWG stützt 266. Gänzlich falsch wäre es, bei einer Prüfung ausschließlich am Maßstab des § 4 Nr 4 UWG die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung mit der Begründung zu verneinen, der Verkehr erwarte keine entsprechende Angaben, weil es im Rahmen von § 4 Nr 4 UWG aus eine derartige Verkehrserwartung nicht ankommt.
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dd) Bedingungen der Inanspruchnahme. Vorstehend ist bereits darauf hingewiesen worden, dass das Merkmal Bedingungen der Inanspruchnahme der Auslegung bedarf. Aus der Gesetzesbegründung ist erkennbar, dass der Gesetzgeber bei Formulierung offensichtlich unübersichtliche Kundenbindungssysteme im Bewusstsein hatte, die häufig mit umfangreichen Regelwerken über die Inanspruchnahme ausgelobter Prämien oder ande-
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Nicht nachvollziehbar hingegen OLG Rostock GRUR-RR 2005, 391, 392 – Apotheken-Bonuscard, wonach das Transparenzgebot des § 4 Nr 4 UWG den „allgemeine[n] Irreführungstatbestand der Nr. 1 [!] konkretisiert, ohne ihn als Konkurrenznorm zu verdrängen“. So lässt sich durchaus die Frage aufwerfen, ob sich der Verkehr tatsächlich in Abhängigkeit von der jeweiligen Warengruppe eine Vorstellung darüber bildet, dass es sich bei dem angebotenen Produkt „nicht um ein Auslaufmodell handelt“? Vgl BGH GRUR 1999, 757, 758 – Auslaufmodelle I; BGH GRUR 1999, 760, 761 – Auslaufmodelle II; BGH GRUR 2000, 616, 618 – Auslaufmodelle III; KG GRUR-RR 2005, 204 – Schulrucksack. OLG Stuttgart GRUR-RR 2007, 361, 363 – Abholpreise. Sehr anschaulich insofern auch: OLG München GRUR-RR 2005, 356,
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266
357 – Unsere Polstermöbel-Bestseller. Das Gericht hat die Berufung gegen das auf § 5 UWG gestützte klagestattgebende Urteil der Vorinstanz zurückgewiesen, obgleich es die Auffassung vertreten hat, der Kläger habe eine (drohende) Fehlvorstellung der durch die Werbung angesprochenen Adressaten nicht schlüssig vorgetragen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung insofern auf § 4 Nr 4 UWG gestützt. So aber OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 – Kaffeezuckertütchen; immerhin führt das Gericht jedoch am Schluss der Urteilsgründe noch kurz aus, dass der Anspruch „gleichzeitig auch gem. §§ 3, 5 I, II Nr. 2 UWG begründet“ sei, weil „die maßgeblichen Verkehrskreise bei Erhalt der Gutscheine nicht erkennen können, dass sich diese nur auf nicht rezeptpflichtige Arzneimittel und Produkte beziehen“.
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Materielles Wettbewerbsrecht
rer Vorteile versehen sind. Dementsprechend wird in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass der Begriff der Bedingung zwar nicht so eng auszulegen ist, dass er sich nur auf die Berechtigung zur Inanspruchnahme, sondern darüber hinaus auch auf die Modalitäten derselben beziehe 267, nicht jedoch auf den Wert einer Zugabe oder eines Geschenks 268. Im Prinzip ist dieser Auffassung zuzustimmen. Jedoch sollten hierbei zwei wichtige Aspekte hinzugefügt werden: Zum einen gilt hinsichtlich des Wertes der Zugabe das allgemeine Irreführungsverbot des § 5 UWG, weshalb es nicht zweifelhaft sein kann, dass es unlauter ist, den Wert von Zugaben falsch darzustellen oder diesen – eine entsprechende Verkehrserwartung vorausgesetzt – zu verschweigen. Zum anderen besteht nicht nur im Zusammenhang mit komplizierten Kundenbindungsprogrammen, bei denen (scheinbar) geldwerte Punkte als eine Art künstlicher „Zwischenwährung“ 269 eingesetzt werden, das Problem, dass häufig gar nicht zwischen Bedingung der Inanspruchnahme und Wert der Vergünstigung unterschieden werden kann 270. Obgleich die Informationspflichten nach § 4 Nr 4 UWG nach Vorstehendem über die 137 jeweiligen Verbrauchererwartungen hinausgehen, muss auch im Zusammenhang mit Verkaufsförderungsmaßnahmen nicht immer alles angegeben werden, was auch nur entfernt als Bedingung für eine Inanspruchnahme angesehen werden kann. So bedarf etwa regelmäßig die Tatsache keiner Erwähnung, dass der Kunde das Verkaufslokal des Anbieters aufsuchen muss, um im Zusammenhang mit dem Kauf einer Sache eine in der Werbung versprochene Zugabe zu erhalten. Erhält der Kunde in dem Verkaufslokal jedoch lediglich einen Abholschein für die fragliche Zugabe und muss diese nach dem eigentlichen Kauf an einem weiteren Ort abholen, so muss er über diesen Umstand rechtzeitig aufgeklärt werden 271. Unterliegt eine bestimmte Zugabe- oder Rabattaktion einer zeitlichen Befristung, so bedarf es nicht nur eines Hinweises auf die Befristung an sich, sondern darüberhinaus einer genauen Angabe der Gültigkeitsdauer 272. Es reicht jedoch nicht aus, die Gültigkeitsdauer als Frist („nur 14 Tage“) anzugeben, wenn nicht zugleich klargestellt wird, ab welchem Zeitpunkt diese Frist zu berechnen ist 273. Die Tatsache, dass die fragliche Werbung als Beilage zu einer bestimmten Zeitungsausgabe eines bestimmten Datums gestreut wurde, liefert insofern noch keinen verlässlichen Hinweis auf diesen Zeitpunkt 274. Für die Praxis kann hier nur die Empfehlung ausgesprochen werden, zeitliche Befristungen
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.9; Köhler GRUR-RR 2006, 209, 210; OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 – Kaffeezuckertütchen; OLG Köln GRUR-RR 2006, 196 – Urlaubsgewinnspiel; OLG Köln GRUR-RR 2006, 57, 58 – Zugabe „solange der Vorrat reicht“. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.12; OLG Hamm BeckRS 2007, 09441. Vgl BGH GRUR 1999, 515, 518 – Bonusmeilen. Zu diesen Fällen nachstehend unter Rn 138. Etwas anderes mag gelten, wenn es sich bei der Zugabe um eine Ware handelt, die üblicherweise an einer gesonderten Warenausgabe übergeben wird, etwa im Bereich des Möbeleinzelhandels; bei Geschenken
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weniger differenzierend Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.11. OLG Brandenburg GRUR-RR 2005, 227 – 14-tägige Gültigkeit; Köhler GRUR-RR 2006, 1, 4; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306. OLG Brandenburg GRUR-RR 2005, 227 – 14-tägige Gültigkeit. OLG Brandenburg GRUR-RR 2005, 227 – 14-tägige Gültigkeit. Das OLG Stuttgart geht in BeckRS 2007, 05919 jedoch davon aus, dass der Beginn der Verkaufsförderungsmaßnahme nicht gesondert angegeben werden muss, wenn dies mit dem Erscheinen der Werbung zusammenfalle. Hierbei hatte das Gericht aber offensichtlich keine Konstellation vor Augen, bei welchem sich das Ende der Verkaufsförderungsmaßnahme
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stets datumsmäßig anzugeben 275. Aus § 4 Nr 4 UWG folgt insofern allerdings nur die Pflicht, etwaig vorgesehene Bedingungen anzugeben nicht hingegen, solche überhaupt aufzustellen 276. Liegt keine Limitierung in zeitlicher, sondern in gegenständlicher Hinsicht vor („so lange Vorrat reicht“), sind jedenfalls dann Angaben erforderlich, wenn die beworbene Vergünstigung von dem Kauf einer Hauptware abhängig und nicht in derselben Menge wie diese Hauptware vorhanden ist 277. Bezieht sich die Verkaufsförderungsmaßnahme hingegen nur auf einen Teil des Warensortiments, so sind die betroffenen Waren anzugeben 278, wobei die Angabe nach abstrakten Kriterien ausreicht, wenn diese klar und eindeutig ist 279. Nicht eindeutig ist insofern die Angabe „auf alle unsere Polstermöbel-Bestseller“ 280 sowie die Einschränkung „ausgenommen Werbeware“ 281. Nach Auffassung des OLG Köln 282 sind demgegenüber die Einschränkungen „nur auf Neukäufe“ und „ausgenommen bereits reduzierte Waren“ hinreichend klar und eindeutig. Dem kann jedenfalls im Hinblick auf letztere Einschränkung nicht zugestimmt werden, weil der Kunde nicht wissen kann, welche Waren bereits reduziert wurden und welche nicht 283. Wird eine nur einen Tag gültige Rabattaktion auf die an diesem Tag tatsächlich vorrätigen Waren beschränkt, so ist darauf in der Werbung hinzuweisen 284. Für die Abgrenzung von durch § 4 Nr 4 UWG gebotener und entbehrlicher Information ist nicht danach zu fragen, welche Angaben der Adressat üblicherweise erwartet, sondern danach, ob sich der Adressat auch ohne diesbezügliche Angabe eine zutreffende Vorstellung bilden wird. Vorstehend ist bereits angedeutet worden, dass es Fallkonstellationen gibt, bei denen 138 überhaupt nicht sinnvoll zwischen Bedingung der Inanspruchnahme und Wert der Ver-
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nicht datumsmäßig, sondern unter Bezugnahme auf den Beginn der Maßnahme bestimmt; vergleichbar auch OLG Köln GRUR 2006, 786 – Winterschlussverkauf. Ähnlich auch Köhler GRUR-RR 2006, 305, 306. OLG Stuttgart BeckRS 2007, 05919. OLG Köln GRUR-RR 2006, 57, 58 – Zugabe „so lange der Vorrat reicht“. OLG München GRUR-RR 2005, 356 – Unsere Polstermöbel-Bestseller; OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 – Kaffeezuckertütchen; OLG Köln GRUR-RR 2006, 57, 58 – Zugabe „so lange der Vorrat reicht“, dort allerdings nicht weiter von Relevanz, da sich der Antragssteller die fragliche Werbung nur unter einem anderen Gesichtspunkt beanstandet hat; Köhler GRUR-RR 2006, 1, 4; Köhler GRUR-RR 2006, 209, 210. OLG München GRUR-RR 2005, 356, 357 – Unsere Polstermöbel-Bestseller. OLG München GRUR-RR 2005, 536, 357 – Unsere Polstermöbel-Bestseller. OLG Köln GRUR-RR 2006, 196, 197 – Urlaubsgewinnspiel; LG Köln BeckRS 2006, 02907; LG Köln BeckRS 2006, 03839; OLG Hamm BeckRS 2007, 00421; noch offen gelassen in OLG Hamm GRUR 2006, 86 – Sonntagsrabatt.
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OLG Köln GRUR-RR 2006, 196 f – Urlaubsgewinnspiel. Zutreffend insofern die Vorinstanz LG Köln, Urteil vom 1.2.2005, Az 33 O 303/04 und Köhler GRUR 2006, 1, 4, anders hingegen dann Köhler GRUR-RR 2006, 209, 210 f. Die Argumentation des OLG Köln ist auch in sich widersprüchlich, weil das Gericht im Zusammenhang mit der Einschränkung „ausgenommen bereits reduzierte Waren“ dahingehend argumentiert, dem Adressaten müsse – jedenfalls im Rahmen der Werbung – noch nicht mitgeteilt werden, auf welche konkrete Waren des Sortiments der angekündigte Rabatt gewährt werde, zugleich aber ausführt, die Einschränkung „ausgenommen Werbeware“ sei deshalb unzulässig, weil der Adressat nicht erkennen könne, ob eine bestimmte Ware bereits vorher in irgendeiner Form „beworben“ wurde und damit Werbeware sei. Der BGH hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde die Revision hinsichtlich der Einschränkung „nur auf Neukäufe“ nicht zugelassen, BGH GRUR 2007, 83 – Nur auf Neukäufe. OLG Stuttgart GRUR-RR 2007, 361 ff – Abholpreise; aA OLG Karlsruhe GRUR-RR 2007, 363 – Rabatt an einem Tag.
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günstigung unterschieden werden kann. Einerseits trifft dies auf eine Vielzahl von Kundenbindungssystemen zu, bei denen häufig nicht unmittelbar bestimmte Prämien, sondern zunächst nur Punkte gewährt werden; andererseits trifft dies praktisch zudem auf jeden unmittelbar gewährten Rabatt zu, weil der Wert einer solchen Vergünstigung unmittelbar von der Höhe des Kaufpreises der zu erwerbenden Ware abhängt. Was wäre bspw als Teilnahmebedingung und was Wert der Vergünstigung anzusehen, wenn ein Händler mit einem Schaufensterbanner wirbt, auf welcher sich verschiedene Prozentzahlen ohne nähere Erläuterung befinden („10 %, 20 %, 30 %“)? Wird der Adressat hier im Unklaren gelassen, welche Artikel er erwerben muss, um den ausgelobten Preisnachlass zu erhalten oder wird dem Kunden nur die Höhe des Preisnachlasses, also deren Wert, vorenthalten? Nach zutreffender Auffassung muss die Verwischung dieser beiden Kategorien hier wegen des Schutzzweckes des § 4 Nr 4 UWG zu einer größtmöglichen Transparenzanforderung führen, so dass der nicht weiter erläuterte Einsatz reißerischer Prozentzahlen oder einer „bis zu x %-Werbung“ – entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung 285 – ebenso als unlauter anzusehen ist 286 wie bei komplexen Kundenbindungssystemen eine Angabe des Werts der Berechnungsfaktoren („Punktewert“) als lauterkeitsrechtlich geboten anzusehen ist 287. ee) Zeitpunkt der Angabe. Es gibt bislang keine allgemein gültige überzeugende Ant- 139 wort auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt die nach § 4 Nr 4 UWG erforderlichen Angaben gemacht werden müssen. Teilweise wird unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Angaben bereits bei der Werbung mit einer Verkaufsförderungsmaßnahmen erfolgen müssen 288, teilweise wird hier noch einmal danach differenziert, ob die Werbung dem Adressaten unmittelbar die Möglichkeit einräumt, das Angebot in Anspruch zu nehmen oder nicht 289. Die differenzierte Beantwortung der Frage nach dem für die Erfüllung der Transpa- 140 renzpflicht maßgeblichen Zeitpunkt kann einen guten Ansatzpunkt dafür darstellen, im Zusammenhang mit der Regelung des § 4 Nr 4 UWG bestehende Probleme sachgerecht zu lösen. So ist es etwa nicht verständlich, warum eine ohne weitere aufklärende Hinweise vorgenommene Werbung mit der Aussage „bis zu x % Preisnachlass“ generell zulässig sein sollte 290 – würde dies doch auch den Fall einschließen, dass der Kunde bis
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Vgl OLG Köln GRUR-RR 2006, 196 f – Gewinnspiel (das Revisionsgericht hat sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens mit dieser Frage nicht weiter befasst, BGH GRUR 2007, 83 – Nur auf Neukäufe); OLG Köln GRUR 2006, 786 – Winterschlussverkauf; OLG Köln BeckRS 2007, 18457 – Transparenz bei Preisnachlässen; OLG Brandenburg GRUR-RR 2005, 227, 228 – 14-tägige Gültigkeit, welches in einem obiter dictum die Aussage „bis zu x %“ für zulässig hält. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.11 und GRUR-RR 2006, 1, 4, der die Angabe der Höhe des Preisnachlasses für erforderlich hält; wohl auch OLG Hamm BeckRS 2007, 09441; möglich erscheint indes, unter bestimmten Umständen entsprechende Angaben noch nicht
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in der ersten Ankündigung der Verkaufsförderungsmaßnahme zu fordern, vgl dazu nachstehend unter Rn 140. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.11; Köhler GRUR-RR 2006, 113, 115; OLG Rostock GRUR-RR 2005, 391, 392 – Apotheken-Bonuscard. OLG Stuttgart GRUR-RR 2007, 361, 362 – Abholpreise. OLG Hamm BeckRS 2007, 00421; OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 – Kaffeezuckertütchen; OLG München GRUR-RR 356, 357 – Unsere Polstermöbel-Bestseller; Fezer/Steinbeck § 4-4 UWG Rn 13; ebenso auch noch Köhler GRUR-RR 2006, 1, 4. So nunmehr Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.14. Dazu bereits vorstehend Rn 138.
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zum endgültigen Vertragsabschluss nicht erfährt, in welcher Höhe er einen Rabatt auf die von ihm ausgewählte Ware erhält. Es erschiene hingegen eher hinnehmbar, eine allgemein gefasste Rabattankündigung zunächst auch ohne weitere Angaben für zulässig zu erachten, wenn zugleich sichergestellt ist, dass der Adressat rechtzeitig vor seiner Kaufentscheidung über die Bedingungen der Inanspruchnahme aufgeklärt wird. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich die in der Gesetzesbegründung erwähnte Missbrauchsgefahr von Verkaufsförderungsmaßnahmen bereits deutlich vor der eigentlichen Kaufentscheidung auswirken kann, etwa weil sich der Kunde ohne die Werbung mit einer solchen Maßnahme überhaupt nicht erst in die Verkaufsräume des Werbenden begeben hätte 291. Vom Grundsatz her muss man sich daher der in der Rechtsprechung und Literatur erhobenen Forderung anschließen, dass derjenige, der sich die Wirkung einer Verkaufsförderungsmaßnahme zunutze macht, auch bereits zu dem Zeitpunkt die nach § 4 Nr 4 UWG vorgeschriebenen Informationen liefern muss, zu welchem er von der eingesetzten Verkaufsförderungsmaßnahme profitiert. Dies wird regelmäßig bereits in der Werbung sein, wenn diese nicht ausnahmsweise derart allgemein gehalten ist, dass sie nicht nur entscheidende Informationen vorenthält, sondern wegen ihrer Unverbindlichkeit schlechterdings ungeeignet ist, ein ernsthaftes Interesse beim Adressaten zu wecken 292. Eine Aufklärung kommt indes in jedem Fall zu spät, wenn die Bedingungen der Inanspruchnahme einer Geld-zurück-Garantie erst auf der Innenseite eines Flaschenetiketts dargestellt werden, welches der Käufer erst nach Erwerb der entsprechenden Flasche zur Kenntnis nehmen kann 293.
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ff) Weitere Voraussetzungen. Da § 4 Nr 4 UWG nur einen Beispieltatbestand für die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung iSd § 3 UWG enthält, müssen für die Annahme einer wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit auch die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 3 UWG erfüllt sein. Insbesondere ist zu fragen, ob im Einzelfall eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorliegt und die Bagatellschwelle damit überschritten ist 294. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb können nur mittels einer Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Es kommt vor allem darauf an, wie wichtig eine bestimmte Information für den Umworbenen ist 295 und ob die Information gänzlich fehlt oder nur unklar bzw mehrdeutig angegeben ist 296. Ferner ist auch die Anzahl der durch die Maßnahme betroffenen Marktteilnehmer oder eine etwaige Nachahmungsgefahr zu berücksichtigen 297.
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e) Transparenz bei Preisausschreiben und Gewinnspielen – § 4 Nr 5 UWG. Gem § 4 Nr 5 UWG handelt unlauter, wer
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„bei Preisausschreiben oder Gewinnspielen mit Werbecharakter die Teilnahmebedingungen nicht klar und eindeutig angibt“. 291
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OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 – Kaffeezuckertütchen; OLG München GRUR-RR 2005, 356, 357 – Unsere Polstermöbel-Bestseller; OLG Hamm BeckRS 2007, 00421; OLG Köln BeckRS 2007, 18457 – Transparenz bei Preisnachlässen. Dies wäre bspw der Fall, wenn es in einem Wochenprospekt heißt: „Beachten Sie auch unseren nächsten Prospekt, in welchem sie viele Produkte mit bis zu 30 % Rabatt finden“.
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296 297
OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 156 – Geld-zurück-Garantie. Allgemein bereits unter Rn 76. Köhler GRUR 2005, 1, 6; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 4.16; OLG Köln GRUR 2006, 786 – Winterschlussverkauf. OLG Köln GRUR-RR 2006, 57, 59 – Zugabe „so lange der Vorrat reicht“. OLG Naumburg GRUR-RR 2007, 159, 160 f – Kaffeezuckertütchen; vgl auch vorstehend Rn 73.
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Materielles Wettbewerbsrecht
aa) Allgemeines. Besondere Aufmerksamkeit hat der Gesetzgeber des UWG den Preis- 144 ausschreiben und Gewinnspielen mit immerhin zwei eigenen Beispieltatbeständen zukommen lassen. Während § 4 Nr 6 UWG die Koppelung der Teilnahmemöglichkeit an diesen mit dem Erwerb von Waren oder Dienstleistungen verbietet, enthält § 4 Nr 5 UWG Vorgaben zur Ausgestaltung von Preisausschreiben oder Gewinnspielen. Die Regelung erinnert ihrem Aufbau und ihrer Formulierung nach an den die Verkaufsförderungsmaßnahmen betreffenden Beispieltatbestand des § 4 Nr 4 UWG 298. Tatsächlich haben beide Regelungen auch denselben (medienrechtlichen) Ursprung: Mit § 4 Nr 5 UWG werden die ursprünglich in den §§ 10 Abs 4 Nr 4 MDStV, 7 Nr 4 TDG enthaltenen und zwischenzeitlich in § 6 Abs 1 Nr 4 TMG zusammengefassten Regelungen für den elektronischen Geschäftsverkehr auf den allgemeinen Geschäftsverkehr übertragen. So sehr sich die Regelungen aber auch dem äußeren Anschein nach ähnlich sind, so unübersehbar sind aber auch deren Unterschiede: Dies beginnt bereits damit, dass jede Verkaufsförderungsmaßnahme bereits begrifflich als Werbung anzusehen ist, weshalb § 4 Nr 4 UWG ohne das einschränkende Merkmal des Werbecharakters auskommt, wohingegen dieser bei Preisausschreiben und Gewinnspiele im Rahmen des Anwendungsbereiches der Regelung des § 4 Nr 5 UWG zunächst festgestellt werden muss. Die Regelung des § 4 Nr 5 UWG ist anders als der weitere Preisausschreiben und 145 Gewinnspiele betreffende Beispieltatbestand des § 4 Nr 6 UWG nicht auf den Geschäftsverkehr mit Verbrauchern beschränkt. Es bedarf daher auch im Verhältnis zu anderen Unternehmern der klaren und eindeutigen Angabe der Teilnahmebedingungen. Zu den weitergehenden Einschränkungen, die sich aus dem HWG ergeben können 146 wird auf die Ausführungen zur Werbung im Gesundheitsbereich verwiesen 299. bb) Preisausschreiben, Gewinnspiele. Der Begriff des Preisausschreibens ist aus dem 147 BGB als besondere Form der Auslobung bekannt (§ 661 BGB). Für den Begriff des Gewinnspiels gibt es hingegen keine gesetzliche Definition 300. Nach verbreiteter Auffassung soll die Abgrenzung von Preisausschreiben und Gewinnspiel anhand des Kriteriums erfolgen, wie die Gewinner bzw Preisträger ermittelt werden. Erfolgt dies auf Grundlage des Zufalls, soll es sich um ein Gewinnspiel handeln 301, kommt es hingegen auf die Kenntnisse und Fertigkeiten der Teilnehmer an, soll ein Preisausschreiben vorliegen 302. Sowohl Preisausschreiben als auch Gewinnspiel zeichnen sich dadurch aus, dass die Teilnehmer – anders als etwa bei einem Glücksspiel 303 – keinen vermögenswerten Einsatz zu erbringen haben. Tatsächlich lässt sich die Abgrenzung anhand des vorstehend erwähnten Kriteriums kaum konsequent durchführen, da zahlreiche Preisausschreiben bzw Gewinnspiele sowohl von einer gewissen Geschicklichkeit als auch von einem Zufallsmoment abhängen. Während in der Literatur weitere Begriffe wie Verlosung, Gratisverlosung 304, Sweepstake 305 und Preisrätsel 306 zur weiteren Ausdifferenzierung ver298
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Bereits in den Gesetzgebungsmaterialien wird auf die Gemeinsamkeiten dieser beiden Beispieltatbestände hingewiesen, vgl BT-Drucks 15/1487, 18. Teil 3 Kap 4 Rn 57 f. In § 762 Abs 1 BGB wird der Begriff des Spiels neben demjenigen der Wette vorausgesetzt. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.120; Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 70. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4
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UWG Rn 1.118; Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 66. Ein solches wäre wegen § 284 StGB nur mit behördlicher Erlaubnis zulässig. Hierbei soll es sich nach Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 66 u 68 und BGH GRUR 1973, 474, 475 – Preisausschreiben um einen Unterfall des Preisausschreibens handeln, bei welchem von den Teilnehmern nur eine Minimalleistung gefordert wird, die von jedermann unschwer erbracht werden kann (Ausfüllen eines Lückentextes mit einer in
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wendet werden, kommt es aus praktischer Sicht nicht darauf an, ob eine bestimmte Aktion als Preisausschreiben oder Gewinnspiel einzuordnen ist, weil § 4 Nr 5 UWG für diese keine unterschiedlichen Rechtsfolgen vorsieht 307. Typisch für Preisausschreiben und Gewinnspiele iSd § 4 Nr 5 UWG ist aber, dass es dem Veranstalter um die Erzielung von Aufmerksamkeit zum Zwecke der Werbung geht, wodurch sich derartige Aktionen von den „echten“ Preisausschreiben iSd § 661 BGB unterscheiden, die häufig auf Erlangung einer konkreten Gegenleistung gerichtet sind oder der Förderung künstlerischer, sportlicher oder sozialer Zwecke dienen 308.
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cc) Werbecharakter. Bereits aus der Gesetzessystematik folgt, dass der Begriff des Werbecharakters weit zu verstehen ist und es nicht etwa auf einen unmittelbaren Bezug zum Warenabsatz ankommt. Anders als bei einer Verkaufsförderungsmaßnahme nach § 4 Nr 4 UWG ist nämlich in den praktisch bedeutsamsten Fällen eine unmittelbare Koppelung an den Warenabsatz wegen § 4 Nr 6 UWG ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nur hinsichtlich solcher Preisausschreiben und Gewinnspiele, die sich an andere Adressaten als Verbraucher richten 309. Der Werbecharakter ist vielmehr schon dann zu bejahen, wenn das veranstaltende Unternehmen im Zusammenhang mit dem Preisausschreiben bzw Gewinnspiel positiv dargestellt wird 310.
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dd) Teilnahmebedingungen. Ebenso wie der Begriff der Bedingungen der Inanspruchnahme bei § 4 Nr 4 UWG ist auch der Begriff der Teilnahmebedingungen aus § 4 Nr 5 UWG weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur die Bedingungen, die zur Teilnahme berechtigen, sondern darüberhinaus auch die Modalitäten der Teilnahme 311. Es bedarf
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der Werbung augenfällig platzierten Lösung). Unklar bleibt aber letztlich auch dort die Abgrenzung zum Gewinnspiel, bei welchem zumindest eine Teilnahmemeldung erforderlich ist; Storch GRUR 1973, 476 spricht in seiner Anmerkung zu BGH GRUR 1973, 474 – Preisausschreiben, von einer „Gratisverlosung in Form eines Preisausschreibens“. Dieser aus dem englischen Sprachgebrauch stammende Begriff wird von Berlit Wettbewerbsrecht Rn 53 ohne jede weitere inhaltliche Erläuterung in Abgrenzung zum Preisausschreiben und Preisrätsel verwendet. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.118 bezeichnet das Preisrätsel lediglich als eine Unterart des Preisausschreibens. Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 68, beschreibt das Preisrätsel als ein Preisausschreiben mit gehobenem Schwierigkeitsgrad. Andere Auffassung Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 72. Soweit Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 1.121 allerdings die Entscheidung BGH GRUR 1973, 474 – Preisausschreiben als Beleg dafür anführt, dass auch die frühere Rechtsprechung nicht zwischen Preisausschreiben und
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Gewinnspielen differenziert hat, verkennt er einerseits, dass das Gericht in dieser Entscheidung von einer Gratisverlosung als einer „Unterart“ des Preisausschreiben ausgegangen ist und dass es in dieser Entscheidung lediglich um den nunmehr in § 4 Nr 6 UWG geregelten Teilaspekt der (Un-)Zulässigkeit von Koppelungen, nicht hingegen um die von § 4 Nr 5 UWG geregelten Fragen ging. In BGH GRUR 1974, 729 731 – SWEEPSTAKE versteht das Gericht den Begriff der Gratisverlosung dann allerdings wohl in Abgrenzung zum demjenigen des Preisausschreibens. Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 64 weist daher zu Recht darauf hin, dass der bürgerlichrechtliche und der wettbewerbsrechtliche Begriff des Preisrätels nicht kongruent sind. Dazu unten Rn 154. BGH GRUR 2005, 1061, 1064 – Telefonische Gewinnauskunft; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.7. OLG Frankfurt aM BeckRS 2007, 05967 – TV-Gewinnspielwerbung (nicht rechtskräftig); OLG Köln GRUR-RR 2006, 196, 198 – Urlaubsgewinnspiel; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.9; Köhler GRUR-RR 2006, 113, 115.
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Materielles Wettbewerbsrecht
daher sowohl Angaben dazu, welche Personen überhaupt zur Teilnahme berechtigt sind, als auch dazu, was genau getan werden muss, um die Teilnahme sicherzustellen (Einsendung eines Coupons, Einsendeschluss usw). Nach Auffassung von Köhler muss darüberhinaus auch die Art und Weise angegeben werden, wie die Gewinner ermittelt werden 312. Da die Ermittlung der Gewinner normalerweise ohne weitere Mitwirkung der Teilnehmer stattfindet, kann dieser Auffassung jedoch nicht zugestimmt werden. Insofern wird sich jedoch eine entsprechende Verpflichtung je nach Umständen des Einzelfalles aus § 5 Abs 2 UWG ableiten lassen. Überhaupt besteht das Irreführungsverbot des § 5 UWG neben dem durch § 4 Nr 5 UWG statuierten Transparenzgebot, was unter anderem im Hinblick auf die Gewinnchancen von Bedeutung ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen nämlich die Gewinnchancen nicht zu den nach § 4 Nr 5 UWG anzugebenden Teilnahmebedingungen gehören, was damit begründet wird, dass eine diesbezügliche Ungewissheit oft zum Charakter eines Preisausschreibens bzw eines Gewinnspiels gehöre oder eine entsprechende Angabe nicht möglich sei, weil die Gewinnchancen von der ungewissen Anzahl der Mitspieler abhänge 313. Wenngleich es demnach nicht zwingend erforderlich ist, die Gewinnchancen im einzelnen darzustellen, so verbietet es sich doch, durch irreführende Darstellungen einen falschen Eindruck über sie zu vermitteln 314. Dasselbe gilt für den Wert der Gewinne, der nach § 4 Nr 5 UWG ebenfalls nicht offengelegt werden muss 315. Mit dem Transparenzgebot des § 4 Nr 5 UWG ist es allerdings unvereinbar, von den Teilnehmern „anteilige Organisationskosten“ zu fordern ohne offenzulegen, wofür diese verwendet werden 316. Grds müssen sämtliche Kosten – einschließlich nicht offensichtlicher Folgekosten 317 – offengelegt werden, die der Teilnehmer zur Inanspruchnahme des Gewinns aufwenden muss 318. ee) Zeitpunkt der Angabe. Hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt die nach 150 § 4 Nr 5 UWG geforderten Angaben zu machen sind, gilt im Wesentlichen das zu § 4 Nr 4 UWG Gesagte 319 entsprechend. Da es bei Preisausschreiben und Gewinnspielen regelmäßig schon wegen § 4 Nr 6 UWG an einer unmittelbaren Verknüpfung mit dem Warenabsatz fehlt, erscheint es indes hinnehmbar, wenn das OLG Köln 320 und das OLG Frankfurt aM 321 hier von einer Art abgestufter Offenlegungspflicht ausgehen. Demnach reicht es zwar nicht aus, die Teilnahmebedingungen insgesamt erst unmittelbar vor der Teilnahme bekannt zu geben, jedoch ist andererseits in der Werbeankündigung noch keine Darlegung der genauen Modalitäten der Gewinnübergabe erorderlich. ff) Weitere Voraussetzungen. Wie alle anderen Beispieltatbestände bezieht sich auch 151 § 4 Nr 5 UWG nur auf das Merkmal der Unlauterkeit. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche 312 313 314 315
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.11. BT-Drucks 15/1487, 18. So bereits zur früheren Rechtslage BGH GRUR 1974, 729, 731 – SWEEPSTAKE. BGH GRUR 2005, 1061, 1063 – Telefonische Gewinnauskunft; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.12; vgl auch insofern zur früheren Rechtslage: BGH GRUR 1974, 729, 731 – SWEEPSTAKE; Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 96, 107 u 116 stellt ebenfalls ausdrücklich auf die Täuschungsgefahr ab, insofern von Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.12 zu Unrecht als „aA“ bezeichnet.
316 317 318
319 320 321
BGH GRUR 2005, 1061, 1064 – Telefonische Gewinnauskunft. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.11 aE. BGH GRUR 2005, 1061, 1064 – Telefonische Gewinnauskunft; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 5.11; Fezer/Hecker § 4-5 UWG Rn 109. Oben Rn 139 f. Vgl OLG Köln GRUR-RR 2006, 196, 199 – Urlaubsgewinnspiel. OLG Frankfurt aM BeckRS 2007, 05967 – TV-Gewinnspielwerbung (nicht rechtskräftig).
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folgen daraus nur dann, wenn auch die weiteren Merkmale des § 3 UWG erfüllt sind, insbesondere, wenn die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist. Wegen der starken Anlockwirkung von Preisausschreiben und Gewinnspielen wird ein Verstoß gegen die Transparenzpflicht des § 4 Nr 5 UWG häufig einen nicht nur unerheblichen Nachteil für die Mitbewerber begründen. Selbst wenn diesbezüglich jedoch keine nennenswerten Auswirkungen festgestellt werden können, kann die Erheblichkeitsschwelle gleichwohl überschritten sein, wenn die fehlende Transparenz zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen führt, etwa wenn diese im Zusammenhang mit der Teilnahme erheblichen Aufwand betreiben oder gar Kosten entstehen.
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f) Koppelung von Preisausschreiben und Gewinnspielen – § 4 Nr 6 UWG. Gem § 4 Nr 6 UWG handelt unlauter, wer
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„die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, es sei denn, das Preisrätsel oder Gewinnspiel ist naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden“.
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aa) Allgemeines. Mit § 4 Nr 6 UWG hat der Gesetzgeber die bereits zum UWG aF entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze über die Unzulässigkeit der Koppelung der Teilnahme an Preisausschreiben und Gewinnspielen 322 in positives Gesetzesrecht überführt 323. Indes hat der Gesetzgeber den Beispieltatbestand des § 4 Nr 6 UWG bewusst auf solche Preisausschreiben und Gewinnspiele beschränkt, die sich an Verbraucher richten, da er die anderen Marktteilnehmer für weniger schutzbedürftig hielt 324. Angesichts dieser klaren gesetzlichen Wertung kann die frühere Rechtsprechung, die eine solche Differenzierung teilweise nicht vorgenommen hat 325, nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden, auch nicht etwa unter Rückgriff auf den Tatbestand des § 4 Nr 1 UWG 326. Im Übrigen bleibt es aber auch nach der aktuellen Rechtsprechung dabei, dass eine unlautere Koppelung nicht erst dann vorliegt, wenn eine Preisrätsel- oder Gewinnspielteilnahme rechtlich von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, sondern vielmehr schon dann, wenn eine tatsächliche Abhängigkeit vorliegt 327. Letztere kann etwa aufgrund einer einheitlichen Gestaltung eines Bestellscheins mit dem Teilnahmecoupon entstehen 328.
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bb) Preisausschreiben, Gewinnspiel. Zu den Begriffen kann zunächst auf die Ausführungen zu § 4 Nr 5 UWG 329 verwiesen werden. In Rechtsprechung und Literatur bestand bislang weit gehend Einigkeit darüber, dass es für die Anwendbarkeit des § 4
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BGH GRUR 2002, 1003, 1004 – Gewinnspiel im Radio; BGH GRUR 2001, 1178 – Gewinn-Zertifikate. So ausdr die Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 18; im Zuge der Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist darüber diskutiert worden, das Koppelungsverbot des § 4 Nr 6 UWG aufzugeben, vgl Lutz GRUR 2006, 908, 910; im vorliegenden Referentenentwurf (s oben Fn 62) ist das Koppelungsverbot jedoch ausdrücklich als richtlinienkonform verteidigt worden. BT-Drucks 15/1487, 18.
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327 328 329
Vgl etwa BGH GRUR 1973, 474 – Preisausschreiben. Zu Recht allerdings der Hinweis darauf, dass die Koppelung wegen besonderer Umstände des Einzelfalles gem § 4 Nr 1 UWG auch im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmer unlauter sein kann, vgl Köhler GRUR-RR 2007, 129, 132; vgl im Übrigen oben Rn 94. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.9 ff. BGH GRUR 2005, 599, 600 – Traumcabrio. Oben Rn 147.
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Materielles Wettbewerbsrecht
Nr 6 UWG nicht darauf ankomme, dass ein von der angebotenen Ware oder Dienstleistung getrenntes Gewinnspiel vorliege. Ein Gewinnspiel iSd § 4 Nr 6 UWG wurde daher auch angenommen, wenn der Gewinn von Zufälligkeiten beim Erwerbsvorgang („Jeder 20. Käufer gewinnt“) abhing 330 oder darin bestand, dass sich der Kaufpreis für die gekaufte Ware ermäßigte 331 oder sogar ganz erlassen wurde 332. Der BGH hat sich jedoch unlängst gegen diese verbreitete Auffassung gestellt und ausgeführt, die Anwendbarkeit des § 4 Nr 6 UWG sei nur dann gegeben, wenn ein vom Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel vorliege 333. In dem vom BGH entschiedenen Streitfall ging es darum, dass eine Bank im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft ein Anlageprodukt aufgelegt hat, bei welchem der von der Bank zu zahlende Zinssatz um so höher sein sollte, je erfolgreicher die deutsche Nationalmannschaft abschneidet. Nach dieser Rechtsprechung läge daher nicht nur dann kein Gewinnspiel iSd § 4 Nr 6 UWG vor, wenn der Gewinn in einer Ermäßigung des im Rahmen des Umsatzgeschäfts zu zahlenden Kaufpreises besteht, sondern auch dann, wenn sich die im Rahmen des Umsatzgeschäfts zu erlangende Leistung erhöht. Unklar ist indes, welche Auswirkungen diese Rechtsprechung auf diejenigen Fälle hat, in welchen ein von dem Umsatzgeschäft getrennter Gewinn von Zufälligkeiten beim Erwerbsvorgang abhängig gemacht wird 334. Kein Gewinnspiel iSd § 4 Nr 6 UWG liegt jedenfalls vor, wenn eine begrenzte Warenmenge sehr günstiger Angebote unter den einzelnen Kaufinteressenten in werbewirksamer Weise verlost wird („Verkaufsverlosung“), weil hierbei nicht die Gefahr entsteht, dass sich ein Kunde nur in Anbetracht des Preisausschreibens oder Gewinnspiels zum Kauf entschließt und infolgedessen auch dann die gekaufte Ware abnehmen muss, wenn er nicht zu den Gewinnern zählt 335. In den Fällen der Verkaufsverlosung wird auch nicht – wie in § 4 Nr 6 UWG vorausgesetzt – die Teilnahme von dem Erwerb einer Ware abhängig gemacht, sondern der Bezug der entsprechenden Ware im Gewinnfall. cc) Koppelung. Zu der Frage, wann eine unzulässige Koppelung vorliegt, hat der 156 BGH seine frühere Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten des aktuellen UWG fortgeschrieben. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass § 4 Nr 6 UWG nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Koppelung untersagt. Das Gewinnspiel darf daher auch nicht so gestaltet werden, dass sich der Eindruck aufdrängt, eine Teilnahme sei nur dann möglich, wenn zugleich Waren oder Dienstleistungen bezogen werden 336. Ebensowenig darf der Eindruck erweckt werden, durch eine gleichzeitige Bestellung würden sich die Gewinnchancen erhöhen 337. Soweit ein derartiger Eindruck durch klare Hinweise und deutliche Gestaltung verhindert wird, ist es nicht unzulässig, den Teilnahmecoupon für ein Preisausschreiben oder ein Gewinnspiel mit einer Bestellkarte zu verbinden 338. Auf diese Weise dürfen durchaus auch Teilnahmecoupons mit Waren ver330 331 332
OLG Köln GRUR-RR 2007, 48 – Jeder 20. Käufer gewinnt. OLG Köln GRUR-RR 2007, 364 – Das Große Rabatt-Würfeln. OLG Hamburg MD 2005, 24, 25 ff – Glücksbon-Tage; vgl auch BGH GRUR 2005, 886 – Glücksbon-Tage (Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde); vgl ferner aus dem Schrifttum Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.6; Fezer/Hecker § 4-6 UWG Rn 65; die abweichende Auffassung wurde bislang soweit ersichtlich nur von Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 232 vertreten.
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336 337 338
BGH GRUR 2007, 981 Rn 31 – 150 % Zinsbonus. OLG Köln GRUR-RR 2007, 48 – Jeder 20. Käufer gewinnt. OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 388, 390 – Verkaufsverlosung; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.6. BGH GRUR 2005, 599, 600 – Traumcabrio. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.11. BGH GRUR 2005, 599, 600 – Traumcabrio.
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bunden werden, wenn zugleich eine zumutbare alternative Teilnahmemöglichkeit geschaffen und in der Werbung unübersehbar darauf hingewiesen wird 339. Wann eine alternative Teilnahmemöglichkeit als zumutbar anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Pauschale Aussagen darüber, dass etwa die Möglichkeit einer Teilnahme über das Internet als nicht zumutbar angesehen werden kann 340, verbieten sich daher. Fügt etwa ein Internet-Dienstleister, der ausschließlich kostenpflichtige Download-Software anbietet, seinen Produkten Gewinncodes bei, die über eine eigens dafür eingerichtete Internet-Seite eingesetzt werden können, so wird es auch als ausreichend anzusehen sein, wenn auf dieser Internet-Seite alternativ auch entsprechende Gewinnspielcodes generiert werden können. Problematisch ist es allerdings, wenn eine alternative Teilnahmemöglichkeit in Form einer über eine Mehrwertdienstenummer erreichbaren Telefonhotline geschaffen wird. Eine solche Teilnahmemöglichkeit kann grds nur dann eine zumutbare Alternative sein, wenn hierbei entweder nur Kosten in einer Höhe entstehen, die ebenso bei einer Teilnahme im Zusammenhang mit einem Warenerwerb angefallen wären oder die Kosten jedenfalls nicht über die üblichen Übermittlungskosten hinausgehen 341. Es muss daher als zulässig angesehen werden, wenn die Kosten für die über eine Mehrwertdiensterufnummer erreichbare Gewinnspielhotline den Portokosten für eine Postkarte entsprechen und zwar selbst dann, wenn der Veranstalter denjenigen Kunden, die gleichzeitig eine Bestellung bei ihm tätigen, die Übernahme des Portos zusagt oder entsprechende Kosten aus anderen Gründen nicht entstehen 342. Zumutbar ist eine solche alternative Teilnahmemöglichkeit allerdings nur dann, wenn der Interessent erkennen kann, in welcher Höhe ihm entsprechende Kosten entstehen, weshalb in der Werbung deutlich darauf hinzuweisen ist.
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dd) Ausnahmetatbestand: Naturgemäße Verbindung. Die Koppelung ist nach dem in § 4 Nr 6 UWG enthaltenen Ausnahmetatbestand dann nicht unlauter, wenn das Preisausschreiben oder Gewinnspiel naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden ist. Die Bedeutung dieses Ausnahmetatbestands erschließt sich aus ihrem Wortlaut kaum, worauf der Bundesrat bereits im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen hat 343. Die Regelung bezieht sich vor allem auf in Zeitschriften abgedruckte Preisrätsel, bei denen ohne vorherigen Erwerb der Zeitschrift eine Teilnahme nicht in Betracht kommt 344. Sie findet jedoch auch auf Gewinnspiele im Rundfunk Anwendung 345. Eine weitergehende Privilegierung der Medien wird durch § 4 Nr 6 UWG allerdings nicht bewirkt. Insbesondere verbleibt es bei dem Transparenzgebot des § 4 Nr 5 UWG und dem Verbot der Ausübung unangemessenen unsachlichen Einflusses des § 4 Nr 1 UWG. 339
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So bereits die Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 18; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.13; Kügele GRUR 2006, 101, 110. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.13. Dies ergibt sich bereits aus der Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 18, wonach es in diesen Fällen bereits an einer unzulässigen Koppelung fehlt. Es ist nicht verständlich, warum die Anforderungen an eine alternative Teilnahmemöglichkeit hier strenger sein sollten; unzutreffend daher Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.13.
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Ähnlich bereits zum UWG aF: Schmits NJW 2003, 3034, 3035; aA unter Verweis auf LG München NJW 2003, 3066 Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.13 . BT-Drucks 15/1487, 30; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 6.15 spricht gar von einer „kryptischen Beschreibung“. BT-Drucks 15/1487, 18. BT-Drucks 15/1487, 41; vgl zum UWG aF BGH GRUR 2002, 1003 f – Gewinnspiel im Radio.
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g) Herabsetzung von Mitbewerbern – § 4 Nr 7 UWG. Gem § 4 Nr 7 UWG handelt 158 unlauter, wer „die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder 159 geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft“. aa) Allgemeines. Dieser Beispieltatbestand betrifft die Fälle der sog Geschäftsehrver- 160 letzung. Da es sich um eine Norm des Wettbewerbsrechts handelt, wird jedoch nicht die Geschäftsehre als solche und um ihrer selbst Willen geschützt, sondern nur soweit diese durch eine Wettbewerbshandlung in einer Weise verletzt wird, die geeignet ist, den Wettbewerb zu Lasten des Verletzten nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Eine derartige Ehrverletzung stellt sich als besondere Form der gezielten Behinderung des Verletzten dar, weshalb die Regelung des § 4 Nr 7 UWG in diesen Fällen gegenüber § 4 Nr 10 UWG als die speziellere Regelung anzusehen ist 346. Die Abgrenzung des Anwendungsbereiches des § 4 Nr 7 UWG zu § 4 Nr 8 UWG soll ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien danach erfolgen, ob die fragliche Aussage als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist 347. Zu folgen ist diesem Ansatz allerdings nur insofern als § 4 Nr 8 UWG bzgl bestimmter Tatsachenbehauptungen als gegenüber § 4 Nr 7 UWG speziellere Norm Vorrang genießt. Allerdings ist daneben zu berücksichtigen, dass § 4 Nr 8 UWG überhaupt nur solche Tatsachenbehauptungen erfasst, die falsch bzw nicht erweislich wahr sind. Da allerdings auch die Verbreitung von nachweislich wahren Tatsachenbehauptungen herabsetzend sein kann, sind diese Behauptungen am Maßstab des § 4 Nr 7 UWG zu prüfen 348. Eine spezielle Regelung des in § 4 Nr 7 UWG niedergelegten Grundsatzes für den Bereich der vergleichenden Werbung findet sich schließlich in § 6 Abs 2 Nr 5 UWG 349. Da § 4 Nr 7 UWG als Reglementierung der Möglichkeiten von Meinungsäußerun- 161 gen im geschäftlichen Verkehr auch unmittelbar den Bereich der verfassungsrechtlich gewährten Grundrechte betrifft, sind die verfassungsmäßigen Vorgaben in besonderer Weise in die Normauslegung und -anwendung einzubeziehen. Dies betrifft naturgemäß vorrangig das aus Art 5 Abs 1 GG folgende Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, dem teilweise schon durch eine sorgfältige Prüfung des Merkmals der Wettbewerbshandlung Rechnung getragen werden kann. Unter Berufung auf § 4 Nr 7 UWG kann nämlich keinerlei Meinungsäußerung untersagt werden, die sich nicht zugleich als Wettbewerbshandlung iSd § 2 Abs 1 Nr 1 UWG darstellt. Damit ist auch insbesondere das Handeln der Medienverantwortlichen im Rahmen ihres verfassungsrechtlich geschützten Informationsauftrages ganz überwiegend dem Anwendungsbereich des § 4 Nr 7 UWG entzogen 350. Äußerungen im Rahmen solcher Tätigkeiten sind allerdings deshalb nicht uneingeschränkt zulässig, sondern auf Grundlage der allgemeinen Vorschriften zu beurteilen 351. Neben dem Grundrecht aus Art 5 Abs 1 GG kann im Rahmen der Anwendung des § 4 Nr 7 UWG auch weiteren Grundrechten Bedeutung zukommen, ins-
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OLG München GRUR-RR 2006, 268, 278 – Trivial-Patente; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.6; einschränkend Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 7/4. BT-Drucks 15/1487, 18; zur Abgrenzung von Tatsachen und Meinungsäußerungen s auch unten Rn 171. Vgl auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 7.5; Fezer/Nordemann
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§ 4-7 UWG Rn 6; Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 7/3. Dazu unten Rn 286. Zum Begriff der Wettbewerbshandlung und den für die Medien geltenden Besonderheiten vgl oben Rn 49 ff. In Betracht kommen insbesondere die §§ 823 ff BGB, vgl hierzu Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.8
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besondere dem Grundrecht der Kunstfreiheit aus Art 5 Abs 3 GG. Ebensowenig wie das Grundrecht aus Art 5 Abs 1 GG 352 unterliegt auch das aus Art 5 Abs 3 GG folgende Grundrecht keiner generellen Einschränkung im Bereich wirtschaftlicher Betätigung 353.
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bb) Herabsetzung und Verunglimpfung. Ob eine bestimmte Äußerung als Herabsetzung oder Verunglimpfung iSd § 4 Nr 7 UWG anzusehen ist, muss aus der Sicht der beteiligten Verkehrskreise beurteilt werden, wobei hier wiederum auf die Sichtweise des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten abzustellen ist 354. Der zutreffenden Bestimmung der Adressaten einer Äußerung kann insbesondere bei der Verwendung von Fachsprache oder einer satirischen 355 Werbeaussage von Bedeutung sein, weil es dann darauf ankommt, ob bzw wie die Adressaten die Aussage verstehen. Da letztlich allerdings jede Form von Werbung darauf abzielt, sich gegenüber dem 163 Wettbewerb hervorzuheben, kann nicht schon in der Hervorhebung der eigenen Leistungsfähigkeit eine unzulässige Herabsetzung der Wettbewerber iSd § 4 Nr 7 UWG zu sehen sein. Insofern ist es auch nicht zu beanstanden, wenn ein Automobilhersteller in der Betriebsanleitung eines Fahrzeuges die Empfehlung ausspricht, nur seine Originalersatzteile zu verwenden, weil er deren Zuverlässigkeit, Sicherheit und Eignung festgestellt habe; mit einer solchen Aussage wird nämlich nicht zum Ausdruck gebracht, dass Ersatzzeile anderer Hersteller schlechthin ungeeignet oder gar von minderer Qualität, sondern nur, dass diese von dem Hersteller nicht weiter geprüft sind 356. Als stets unzulässig ist jedoch jede Form von Formalbeleidigung und Schmähkritik 357, etwa die Betitelung eines Wettbewerbers als Idioten oder Schwachkopf, anzusehen. An derart pauschalen Herabsetzungen ohne jeden sachlichen Bezug besteht – auch und gerade unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Beteiligten – keinerlei anerkennenswertes Interesse. Hinsichtlich anderweitiger Werturteile bedarf es hingegen einer Abwägung der betroffenen Güter der Beteiligten sowie der widerstreitenden Interessen 358. Unzulässig ist es demnach, einem Sachverständigen ohne nähere Begründung mangelnde Objektivität vorzuwerfen, auch wenn der Äußernde als Versicherungsunternehmen ein gewisses Interesse daran haben mag, die Beauftragung dieses Sachverständigen zu verhindern 359. In Zweifelsfällen ist hier jedoch – schon wegen des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung – eine zurückhaltende Auslegung des Merkmals der Herabsetzung bzw der Verunglimpfung geboten. So stellt es keine unlautere Herabsetzung der Wettbewerber dar, wenn sich ein Unternehmer in seinen Werbeaussagen gezielt an solche Personen wendet, die sich 352
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Vgl zuletzt BVerfG GRUR 2008, 81 – Pharmakartell und BVerfG GRUR 2007, 1083 – Dr. R’s Vitaminprogramm. Dazu auch bereits vorstehend Rn 94. BGH GRUR 2005, 583, 585 – Lila-Postkarte; Born GRUR 2006, 192, 194. BGH GRUR 2005, 609, 610 – Sparberaterin II; OLG München GRUR-RR 2006, 268, 276 – Trivial-Patente; LG Ingolstadt GRUR-RR 2006, 109 – Originalteile; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.13; Köhler GRUR-RR 2006, 33; Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 7/14. Vgl etwa die in Fn 371 genannten Beispiele der Markenparodien; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Fezer/Nordemann § 4-7 UWG Rn 25 ff.
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Vgl LG Ingolstadt GRUR-RR 2006, 109 f – Originalteile. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich sogar, dass der Gesetzgeber in erster Linie diese Fälle vor Augen hatte, BT-Drucks 15/1487, 18. OLG München GRUR-RR 2006, 268, 277 – Trivial-Patente; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.21; Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 7/18. OLG Nürnberg BeckRS 2007, 00751; wenig überzeugend allerdings die dortige Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen Versicherung und Kfz-Gutachter.
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
bislang „schlecht, einseitig oder gar nicht beraten fühlen“ und zwar selbst dann, wenn wegen der Besonderheiten des betroffenen Marktes unverkennbar ist, auf welchen Wettbewerber die Aussage abzielt 360. Die Grenzen der Zulässigkeit von Äußerungen erweislich wahrer Tatsachen – nur auf 164 diese erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 4 Nr 7 UWG 361 – können ebenfalls im Wege einer entsprechenden Abwägung ermittelt werden. Eine für einen Mitbewerber negative Tatsache darf demnach jedenfalls dann verbreitet werden, wenn ein hinreichender Anlass dazu besteht, den eigenen Wettbewerb im Wege der Herabsetzung eines Mitbewerbers zu fördern und ein sachlich berechtigtes Informationsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise anzunehmen ist 362. An Informationen aus der Intim- und Privatsphäre eines Marktteilnehmers besteht dabei regelmäßig kein berechtigtes Informationsinteresse 363. cc) Gegenstand der Herabsetzung. Gegenstand der Herabsetzung oder Verunglimp- 165 fung können Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Mitglieder der Unternehmensleitung oder das Unternehmen als solches sein. Der Aufzählung des § 4 Nr 7 UWG kommt insofern allerdings keine wirklich einschränkende Funktion zu, als sich eine Herabsetzung oder Verunglimpfung nicht ausdrücklich erfasster Gegenstände meist auch auf das Unternehmen als solches beziehen wird. So sind bspw in § 4 Nr 7 UWG neben den Kennzeichen keine weiteren Schutzrechte wie Patente uä benannt, gleichwohl kann eine tatbestandliche Herabsetzung vorliegen, wenn Patente eines Wettbewerbers mit spöttischen Kurzkommentaren wie „Elektronik für Einsteiger“ oder „Patentierung aus der skizzenhaften alltäglichen Konstrukteurswelt“ in Lächerliche gezogen werden, weil damit zugleich dem Inhaber das Niveau eines Anfängers attestiert wird 364. Hinsichtlich der Herabsetzung von Kennzeichen wird die Auffassung vertreten, dass die Vorschriften des MarkenG gegenüber § 4 Nr 7 UWG den Vorrang genössen 365. So hat der BGH in der Lila-Postkarte-Entscheidung 366 den auch im Rahmen des Schutzes der bekannten Marke nach § 14 Abs 2 Nr 3 MarkenG für erforderlich erachteten 367 markenmäßigen Gebrauch einer Marke und darüber hinaus auch eine Ausnutzung der Wertschätzung der bekannten Marke bejaht und wettbewerbsrechtliche Ansprüche mit dem kurzen Hinweis auf den Vorrang des Markengesetzes368 verneint. Im Rahmen eines obiter dictums hat das Gericht dann aber noch zu den Voraussetzungen des Vorliegens eines Anspruches nach § 4 Nr 7 UWG Stellung genommen und diese für nicht erfüllt angesehen, weil einem solchen Anspruch jedenfalls wiederum das Grundrecht der Kunstfreiheit entgegenstehe. Es fragt sich allerdings, ob tatsächlich ein derartiges Rangverhältnis von Markenrecht und § 4 Nr 7 UWG zu konstatieren ist, weil dies jedenfalls gedanklich eine grds gegebene Überschneidung der Anwendungsbereiche voraussetzt. Von einem echten Vorrangverhältnis kann im Falle einer solchen Überschneidung nur dann die Rede sein, wenn dieses auch in letzter Konsequenz dazu führt, dass an sich aus dem einen Rege-
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Vgl BGH GRUR 2005, 609, 610 – Sparberaterin II. Vgl vorstehend Rn 160. BGH GRUR 1982, 234, 236 – GroßbankenRestquoten; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 7.16. Ähnlich Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 7/19. OLG München GRUR-RR 2006, 268, 276 – Trivial-Patente. BGH GRUR 2005, 583, 585 – Lila-Post-
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karte; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.9a; Köhler GRUR-RR 2006, 33. BGH GRUR 2005, 583 – Lila-Postkarte. Zum Streitstand hinsichtlich des Erfordernisses einer markenmäßigen Benutzung s Teil 2 Kap 7 Rn 70 ff und Ohly GRUR 2007, 926, 927. Zu der Vorrangthese unten Rn 182.
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lungsregime gegebene Ansprüche aufgrund des Vorranges eines anderen Regelungsregimes kassiert oder zumindest in gewisser Hinsicht abgewertet 369 werden. Dies ist im Verhältnis von § 4 Nr 7 UWG zum MarkenG indes kaum vorstellbar, da auch die Verfechter der Vorranglehre letztlich von einem Nebeneinander der beiden Normensysteme ausgehen 370. Letzteres lässt sich insbesondere an den Fällen der sog Markenparodie deutlich machen, bei denen fremde Marken dadurch herabgesetzt oder verunglimpft werden, dass sie durch bewusst falsche Schreibweise oder sachfremde Benutzung dem Spott und der Lächerlichkeit preisgegeben werden 371. Die Beurteilung derartiger Fälle soll sich etwa nach neuerer Auffassung von Köhler, in Abhängigkeit davon, ob es sich bei der parodierten Marke um eine bekannte oder eine nicht bekannte Marke handelt, entweder nach § 14 Abs 2 Nr 3 MarkenG oder nach § 4 Nr 7 UWG richten 372.
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dd) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung. Der Beispieltatbestand des § 4 Nr 7 UWG stellt insofern eine Besonderheit dar, als dass die im Falle einer Verletzung entstehenden Ansprüche nicht von jedem Wettbewerber, sondern nur von dem bzw den betroffenen Wettbewerbern geltend gemacht werden können, da diesen die Entscheidungsbefugnis darüber verbleiben muss, ob und inwiefern sie sich gegen die Herabsetzung bzw Verunglimpfung zur Wehr setzen wollen 373. Auch sind entsprechende Ansprüche der Verbände gem § 8 Abs 3 Nr 2–4 UWG ausgeschlossen, wenn die fragliche Wettbewerbshandlung nicht zugleich unter einem anderen Gesichtspunkt zu beanstanden ist und hierdurch zugleich die Mitgliederinteressen berührt sind. Dem verletzten Wettbewerber kann bei gerichtlicher Geltendmachung des Unterlassungsanspruches auf Antrag gem § 12 Abs 3 UWG auch die Befugnis zugesprochen werden, das Urteil auf Kosten des Verletzers zu veröffentlichen, wodurch eine gewisse Kompensation für die Herabsetzung bzw Verunglimpfung erreicht werden kann 374.
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h) Anschwärzung – § 4 Nr 8 UWG. Gem § 4 Nr 8 UWG handelt unlauter, wer „über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den 369 370
Etwa in Folge einer kürzeren Verjährungsfrist oä. Ähnlich auch Ohly GRUR 2007, 731, 737 f, der davon spricht, dass die Vorrangregel nicht streng durchgehalten werde; ähnlich auch Ohly GRUR 2007, 926, 927 f; Bornkamm GRUR 2005, 97, 100 weist zutreffend darauf hin, dass in den Fällen, in denen Der BGH bekannten Kennzeichen den lauterkeitsrechtlichen Schutz unter Berufung auf den Vorrang des Markenrechts versagt hat, bis dato nicht wirklich Streit entscheidend war. Ob die an gleicher Stelle geäußerte Aussage Bornkamms, die Bestimmung des § 4 Nr 7 UWG füge sich ohne die Vorrangthese in Frage zu stellen zwanglos in den Schutz bekannter Kennzeichen ein, überhaupt konsistent ist, kann deshalb dahingestellt bleiben. Fezer WRP 2000, 863 ff spricht sich offen für eine kumulative Normenkonkurrenz aus. Vgl zu der Vorrangthese auch unten bei Rn 182.
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Beispiele: BGH GRUR 1984, 684 – Mordoro (Marlboro), OLG Hamburg GRUR 1992, 58 – adihash (Adidas), LG Hamburg GRUR 2000, 514 – Deutsche Pest (Deutsche Post), OLG Frankfurt aM GRUR 1982, 319 – Lusthansa (Lufthansa); LG Berlin GRUR-RR 2007, 40 – Stiftung Gentest (Stiftung Warentest). Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.9a; anders noch in der 23. Aufl, in welcher Köhler die mit dem Vorrang einhergehende negative Ausschlusswirkung betont hat und die Fälle der Markenparodie ausschließlich am Maßstab des Markenrechts messen wollte. Zur Problematik auch Ohly GRUR 2007, 926, 927 Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 7.27 u § 8 Rn 3.28; vgl auch die Nachweise in Fn 465. Zu der Möglichkeit, dem Unterlassungsgläubiger die Befugnis zur Veröffentlichung des Urteils zuzusprechen vgl Rn 350.
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Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind“. Im zweiten Halbsatz dieser Regelung findet sich dann einge gewisse Einschränkung:
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„handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der 170 Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist die Handlung nur dann unlauter, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet wurden“. aa) Allgemeines. § 4 Nr 8 UWG gewährt Schutz vor sog Anschwärzung. Darunter 171 versteht man das Aufstellen oder Verbreiten wahrheitswidriger geschäftsschädigender Tatsachenbehauptungen. An kaum einer Vorschrift lässt sich das Ineinandergreifen von materiellrechtlichem Regelungsgehalt und prozessualer Beweislastverteilung besser demonstrieren als an diesem Beispieltatbestand. Reduziert man die Regelung auf ihren materiellen Gehalt, so verbietet sie schlicht die Behauptung und Vebreitung unwahrer Tatsachen. Faktisch reicht die Wirkung der Vorschrift jedoch wesentlich weiter, weil sich in vielen Fällen weder die Wahrheit noch die Unwahrheit einer Tatsache beweisen lässt und hier die differenzierte Beweislastverteilung des § 4 Nr 8 UWG zur Anwendung kommt. Nicht vom Regelungsbereich umfasst ist demgegenüber die Behauptung und Verbreitung (nachweislich) wahrer Tatsachen. Die Zulässigkeit derartiger Behauptungen ist am Maßstab des § 4 Nr 7 UWG zu beurteilen 375. Dasselbe gilt für die Äußerung von reinen Werturteilen. Während Letztere durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt sind 376, stellen Tatsachen solche Vorgänge oder Zustände dar, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen zumindest vom gedanklichen Ansatz her einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist 377. Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung kann im Einzelfall ausgesprochen schwierig sein. Viele Äußerungen enthalten zudem sowohl einen Tatsachenkern als auch ein damit verbundenes Werturteil. Nach zutreffender Auffassung unterfällt in diesen Äußerungen nur der Tatsachenkern der Regelung des § 4 Nr 8 UWG, während die enthaltene Meinungsäußerung an anderen Maßstäben, etwa an denen des Beispieltatbestandes des § 4 Nr 7 UWG, zu beurteilen ist 378. Besondere Abgrenzungsprobleme ergeben sich in Fällen, in denen nach außen hin eine bestimmte Wertung auf Grundlage eigener Wertungsmaßstäbe kommuniziert wird, während die Adressaten ihrerseits von abweichenden Wertungsmaßstäben ausgehen und aufgrund der in die Form eines Werturteils gekleideten Aussage daher ihrerseits auf das Vorliegen bestimmter Tatsachen schließen. So kann sich etwa die Anschuldigung, ein Wettbewerber verletze fremde Schutzrechte 379 oder halte bestimmte Normen nicht ein 380, sowohl als (Rechts-)Meinung als auch als Tatsachenbehauptung darstellen 381. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn der Äußernde tatsächlich gar keine eigene (rechtliche) Bewertung vor375 376
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Vgl oben Rn 160. BVerfG GRUR 2008, 81 – Pharmakartell; BVerfG GRUR 2007, 1083 – Dr. R’s Vitaminpräparate; BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG NJW 1983, 1415 f – NPD Europas. BVerfG NJW 2008, 358, 359 li Sp; OLG Hamm GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter; OLG Köln NJW-RR 2008, 203, 204 – Spickmich.de; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.13.
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Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.13, der allerdings für die Fälle eine Einschränkung machen will, in denen eine Trennung von Werturteil und Tatsachenbehauptung nicht möglich ist. Vgl BGH GRUR 2006, 433434 f – Unbegründete Abnehmerverwarnung. Vgl OLG Hamburg BeckRS 2007, 03289 – Spielzeugautobahn. Grds zum Verständnis von Rechtsbegriffen BVerfG NJW 2008, 358, 359 re Sp; BVerfG NJW 1992, 1439, 1441 – Kritische BayerAktionäre, sowie die Nachweise bei Hefer-
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nehmen, sondern nur auf mittelbare Weise das Vorliegen derjenigen Umstände behauptet, die allgemein als Voraussetzung für die Annahme einer entsprechenden Rechtsverletzung angesehen werden. Ob die Kennzeichnung eines Internet-Suchmaschinenergebnisses als Spam als reine Tatsachenbehauptung anzusehen ist, wenn diese Einschätzung allein darauf beruht, dass mindestens fünf Benutzer eine entsprechende Meldung abgegeben haben, hat das OLG Hamm unter Verweis darauf offen gelassen, dass daneben auch eine inhaltliche Prüfung durch den Betreiber eines sog Suchmaschinen-Spamfilters erfolgt ist 382. Bei der Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung ist zu berücksichtigen, dass dem Grundrecht aus Art 5 Abs 1 GG auch insofern Bedeutung zukommt, als die falsche Einordnung eines Werturteils als unzulässige Tatsachenbehauptung letztlich auf einer Verkennung der Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts beruht 383. Soweit das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus aus Art 5 Abs 1 GG das Postulat abgeleitet hat, das einfache Recht dürfe nicht so ausgestaltet und ausgelegt werden, dass überzogene Anforderungen an die Wahrheitspflicht gestellt werden 384, so ist dem im Rahmen der Anwendung der einschränkenden Regelung des zweiten Halbsatzes des § 4 Nr 8 UWG Rechnung zu tragen385. Ungeachtet der Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil, fällt eine Aus172 sage dann nicht in den Anwendungsbereich des § 4 Nr 8 UWG, wenn diese nicht als Wettbewerbshandlung vorgenommen wird. Insofern gilt – auch im Hinblick auf die besondere Rolle der Medienverantwortlichen – nichts anderes als das bereits vorstehend zu § 4 Nr 7 UWG Ausgeführte 386. § 4 Nr 8 UWG stellt ebenso wie § 4 Nr 7 UWG einen Unterfall der gezielten Behinderung dar, weshalb dieser Beispieltatbestand gegenüber § 4 Nr 10 UWG als lex specialis anzusehen ist, wenn die gezielte Behinderung nicht ausnahmsweise auch auf weiteren Unlauterkeitsmomenten beruht 387.
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bb) Behaupten oder Verbreiten. Der Beispieltatbestand des § 4 Nr 8 UWG kann sowohl durch Behaupten als auch durch Verbreiten unwahrer Tatsachen erfüllt werden. Behaupten ist die Abgabe einer eigenen Erklärung über das Vorliegen einer Tatsache, Verbreiten ist die Weitergabe einer fremden Erklärung. Es ist für die Erfüllung des Beispieltatbestandes nicht erforderlich, dass sich der Äußernde die fremde Tatsachenbehauptung zu eigen macht 388. Auch die ausdrückliche Kennzeichnung als fremde Tatsachenbehauptung reicht nicht aus, um sich dem Unlauterkeitsurteil zu entziehen 389. Eine andere Bewertung ist allerdings geboten, wenn es ersichtlich nicht mehr um die ursprüngliche Tatsache, sondern nur noch um die Behauptung als solche geht, was etwa der Fall ist, wenn anhand von Beispielen die Unseriosität einer Zeitung aufgezeigt werden soll, die wiederholt unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Durch § 4 Nr 8 UWG werden zunächst einmal Behauptungen über Tatsachen erfasst, 174 die die Waren und Dienstleistungen, das Unternehmen eines Mitbewerbers oder ein Mit-
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mehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.16. OLG Hamm GRUR-RR 2007, 282, 283 f – Google Spamfilter. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 – Kritische Bayer-Aktionäre. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG NJW 2072, 2073 – Böll/Walden. Nachfolgend Rn 177 f; vgl auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.10.
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Oben Rn 161. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.7. Zum UWG aF BGH GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste, wo allerdings ohne nachvollziehbare Erklärung die Weitergabe eines Schriftstückes unterstellt wurde. Zum UWG aF BGH GRUR 1958, 448, 449 – Blanko-Verordnungen.
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glied der Unternehmensleitung betreffen. Dieser Aufzählung kommt jedoch ebensowenig wie der in § 4 Nr 7 UWG enthaltenen Aufzählung 390 eine nennenswerte einschränkende Funktion zu, da sich Tatsachen im Zweifel stets auch auf das Unternehmen als solches beziehen 391. cc) Schädigungseignung. Die Äußerung einer Tatsache kann nur dann nach dem Bei- 175 spieltatbestand des § 4 Nr 8 UWG als unlauter beurteilt werden, wenn diese dazu geeignet ist, den Betrieb oder Kredit des Unternehmens zu schädigen. Ob eine bestimmte Tatsachenbehauptung dazu geeignet ist, den Betrieb oder Kredit zu schädigen, muss wiederum unter Berücksichtigung des Verständnisses des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Aussage beurteilt werden 392. Soweit Köhler darauf hinweist, dass § 4 Nr 8 UWG nur solche Äußerungen erfasse, die eine objektive Schädigungseigenung aufweisen, nicht hingegen die bloße Ehrkränkung, so erscheinen jedoch derartige Fälle, in denen eine durch Verbreiten unwahrer Tatsachen aufgestellte Ehrkränkung ohne jede Auswirkung auf die unternehmerischen Belange des Betroffenen bleibt, kaum vorstellbar. Immerhin können aber wohl solche falschen Tatsachenbehauptungen über das Merkmal der Schädigungseignung von dem Anwendungsbereich des § 4 Nr 8 UWG ausgenommen werden, die sich unter allen denkbaren Gesichtspunkten ausschließlich in positiver Weise auf das Unternehmen auswirken können. Ob der in Anspruch genommene Kenntnis von der Schädigungseignung der Aussage hat, ist unerheblich. dd) Nichterweislichkeit der Wahrheit. Auf die Kenntnis der Unwahrheit kommt es im 176 Rahmen von § 4 Nr 8 UWG ebenfalls nicht an. Dies ergibt sich schon daraus, der Äußernde nach der Formulierung der Norm („sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind“) im Streitfall sogar umgekehrt die Wahrheitsgemäßheit vortragen und beweisen müsste, was ohne Vorstellung von dem Wahrheitsgehalt der Aussage ebensowenig möglich ist als wenn diese bewusst der Wahrheit zuwider getätigt wurde. Damit lassen sich die nach § 4 Nr 8 UWG als unlauter zu bewertenden Fälle gedanklich in drei Gruppen einteilen: Aussagen, die der Äußernde bewusst der Wahrheit zuwider tätigt, Aussagen, die – ohne dass dies dem Äußernden bekannt wäre – nicht der Wahrheit entsprechen und Aussagen, die der Wahrheit entsprechen, deren Wahrheitsgehalt jedoch durch den Äußernden nicht zu beweisen ist. ee) Vertrauliche Mitteilungen bei berechtigtem Interesse. Handelt es sich bei der 177 Äußerung um eine vertrauliche Mitteilung und hat entweder der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung ein berechtigtes Interesse an ihr, so greift die Wertung des zweiten Halbsatzes von § 4 Nr 8 UWG und die Beweislast hinsichtlich der Wahrheit bzw Unwahrheit der behaupteten Tatsache obliegt dem Verletzten. Die Vertraulichkeit und das berechtigte Interesse müssen jedoch zuvor von dem in Anspruch Genommenen dargelegt und erforderlichenfalls bewiesen werden. Vertraulich ist eine Mitteilung dann, wenn der Mitteilende in berechtigter Weise davon ausgeht, dass keine Weiterleitung der Mitteilung an Dritte erfolgt 393. Einem vom Absender aufgebrachten Vertraulichkeitsvermerk 394 oder einer ausdrücklichen Verpflichtung des Empfängers zur Vertraulichkeit 395 kann dabei Indizwirkung zukommen, reicht aber nicht in jedem Fall aus. Es kann durch-
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Dazu vorstehend Rn 165. Ebenso Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 8.17. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.19. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4
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UWG Rn 8.22; Piper/Ohly/Ohly § 4 UWG Rn 8/17. Vgl BGH GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen. Vgl BGH GRUR 1960, 135, 136 – Druckaufträge.
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aus auch ein Interesse daran bestehen, die Mitteilung gegenüber mehr als einem Empfänger abzugeben. Dann muss jedoch hinsichtlich eines jeden einzelnen Empfängers geprüft werden, ob tatsächlich ein berechtigtes Interesse im Sinne des zweiten Halbsatzes des § 4 Nr 8 UWG vorhanden und zudem die Annahme gerechtfertigt ist, der jeweilige Empfänger werde die Mitteilung nicht weiterleiten 396. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird mit zunehmender Anzahl der Empfänger unwahrscheinlicher. Die Formulierung des zweiten Halbsatzes des § 4 Nr 8 UWG ist missglückt. Aus dem 178 Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, ob sich die Regelung als reine Beweislastregelung versteht 397 oder ob sie darüber hinaus auch einen eigenständigen materiellrechtlichen Gehalt insofern aufweist, als sie das grundsätzliche Erfordernis der positiven Kenntnis des Verletzers von der Unwahrheit der Tatsachen aufstellt 398. Für Letzteres spricht, dass die Formulierung der Regelung – anders als etwa diejenige des § 5 Abs 4 S 2 UWG – in der für materiellrechtliche Rechtsnorm üblichen Weise abgefasst ist und die Wendung „der Wahrheit zuwider“ unmittelbar mit den auf den Verletzer bezogenen Tätigkeitsworten „behaupten“ bzw „verbreiten“ verknüpft ist. Dagegen spricht allerdings andererseits das den Anwendungsbereich der Regelung erst eröffnende Tatbestandsmerkmal des „berechtigten Interesses“. Würde sich die Regelung ausschließlich auf bewusst wahrheitswidrige Aussagen beziehen, bedürfte es dieses Merkmals nicht, weil hinsichtlich derartiger Aussagen schlechterdings kein berechtigtes Interesse bestehen kann 399. Darüber hinaus spricht auch die historische Auslegung gegen eine solche materielle Normenfunktion, weil der Gesetzgeber mit § 4 Nr 8 UWG letztlich den überwiegenden Teil der früheren Regelung des § 14 Abs 1 und Abs 2 UWG aF übernommen und darauf ausdrücklich hingewiesen hat 400. Der solchermaßen bestehende Widerspruch muss nach zutreffender Auffassung unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art 5 Abs 1 GG sowie des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu Gunsten des Äußernden aufgelöst werden. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Art 5 Abs 1 GG nicht nur die Meinungsfreiheit als solche schützt, sondern auch überzogene Anforderungen an die Wahrheitspflicht bei Tatsachenbehauptungen untersagt 401. Dies führt dazu, dass demjenigen, der ein berechtigtes Interesse an einer bestimmten Mitteilung geltend machen kann, auch zugestanden werden muss, in diesem Rahmen Tatsachen zu behaupten oder zu verbreiten, deren Wahrheitsgehalt für ihn nicht mit letzter Sicherheit erkennbar ist. Die Regelung des zweiten Halbsatzes muss daher richtigerweise wie folgt gelesen werden: „vertrauliche Mitteilungen sind nicht nach der vorstehenden Regelung unlauter, wenn der Mitteilende oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse an der Mitteilung hat. Letzteres ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Äußernde Kenntnis davon hat, dass die mitgeteilten Tatsachen unwahr sind.“
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ff) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung. Ebenso wie bei § 4 Nr 7 UWG 402 stehen auch die auf einer unzulässigen Anschwärzung gem § 4 Nr 8 UWG beruhenden wettbewerbsrechtlichen Ansprüche grds nur dem betroffenen Mitbewerber zu 403. Dieser 396
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Anders hingegen Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.22, der in diesen Fällen von vornherein die Voraussetzung der Vertraulichkeit als nicht erfüllt ansieht. So wohl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 8.21 u Piper/Ohly/ Ohly § 4 UWG Rn 8/17. So wohl Fezer/Nordemann §§ 4–8 UWG Rn 49 f. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 – Kritische
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Bayer-Aktionäre; BVerfG NJW 2072, 2073 – Böll/Walden. BT-Drucks 15/1487, 18. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440 – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG NJW 2072, 2073 – Böll/Walden. Vorstehend bei Rn 166. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 8.24; vgl auch die Nachweise in Fn 465.
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kann im Falle einer Unterlassungsklage auch den Antrag stellen, ihm die Befugnis zur Veröffentlichung des Urteils auf Kosten des Verletzers gem § 12 Abs 3 UWG zuzusprechen 404. i) Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz – § 4 Nr 9 UWG. Gem § 4 Nr 9 UWG 180 handelt unlauter, wer „Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder 181 Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er a) eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt, b) die Wertschätzung der nachgeahmten Waren oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder c) die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat;“ aa) Allgemeines. Die Regelung betrifft den sog wettbewerbsrechtlichen Leistungs- 182 schutz. Dem Wettbewerbsrecht kommt seit jeher auch die Aufgabe zu, der unlauteren Nachahmung fremder Leistung entgegenzuwirken 405. Die Betonung liegt hierbei freilich auf dem Attribut „unlauter“, da Nachahmung grds als gewünschter Effekt eines funktionierenden Wettbewerbs angesehen wird. Dementsprechend wird in den Gesetzesmaterialien 406 ebenso wie in der einschlägigen Rechtsprechung 407 und Literatur 408 die grds bestehende Nachahmungsfreiheit betont 409. Die Frage, welche Nachahmung ausnahmsweise als unlauter anzusehen ist, lässt sich nur aufgrund einer zahlreiche Faktoren berücksichtigenden Wertung beantworten. Bedenkt man, dass der moderne Gesetzgeber mit zahlreichen Spezialgesetzen, von denen hier mit dem Patent- und dem Gebrauchsmustergesetz, dem Urheberrechtsgesetz sowie dem Markengesetz nur die wichtigsten genannt werden 410, bereits für eine Vielzahl möglicher Schutzgegenstände bestimmte Wertungen getroffen hat, so könnte man auf die Idee verfallen, § 4 Nr 9 UWG als Auffangtatbestand für diejenigen Fälle zu begreifen, in denen ein solches spezielles Schutzrecht nicht vorhanden ist. Häufig wird der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz daher auch als ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz bezeichnet 411. Mit einem 404 405 406 407
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Vgl dazu bereits die vorstehenden Ausführungen zu § 4 Nr 7 UWG bei Rn 166. Vgl die historische Darstellung von Nerreter GRUR 1957, 408 ff. BT-Drucks 15/1487, 18. Vgl BGH GRUR 2007, 795 Rn 51 – Handtaschen; BGH GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH GRUR 2005, 166, 168 u 170 – Puppenausstattungen; OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3317 – Rooibos Caramell; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 95 – Gipürespitze; OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 107 – DAX-Optionsscheine. Ohly GRUR 2007, 731, 735; Bottenschein GRUR 2006, 462. Diesen Grundsatz seit neuestem in Frage stellend: Köhler GRUR 2007, 548 Rn 3 ff und Lubberger FS Ullmann 737 ff; vgl auch
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schon Kur GRUR 1990, 1 ff, Kur GRUR Int 1998, 771, 774 f und Fritze GRUR 1982, 520. Weiterhin können hier das Geschmacksmustergesetz, die Gemeinschaftsmarkensowie die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung, das Sortenschutzgesetz, sowie die zwischenzeitlich in das Geschmacksmustergesetz übertragenen Regelungen des Schriftzeichengesetzes genannt werden. BGH GRUR 2007, 339 Rn 23 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 97 – Gipürespitze; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 280, 282 – Damier Vernis; OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 –
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derartigen Verständnis der Regelung des § 4 Nr 9 UWG würde man jedoch Gefahr laufen, die gesetzgeberische Wertungen – etwa in Form bewusst vorgesehener Schutzrechtsschranken – unter Instrumentalisierung des Wettbewerbsrechts zu unterlaufen 412. Aus dieser Erkenntnis heraus ist bereits unter Geltung des früheren UWG die sog Vorrangthese entwickelt und nach Inkrafttreten des aktuellen UWG unverändert aufgegriffen worden, wonach dem Recht des geistigen Eigentums grds der Vorrang vor dem Wettbewerbsrecht zukommen soll 413. So sehr die dieser Vorrangthese zugrunde liegende Annahme, das Wettbewerbsrecht dürfe nicht zur Aushöhlung anderweitiger gesetzgeberischer Wertungen instrumentalisiert werden, auch zutreffend ist, so sehr wird durch die pauschale Annahme eines derartigen Vorranges allerdings verkannt, dass auch das Wettbewerbsrecht eigenständige Wertungen enthält, die ihrerseits nicht einfach zu Gunsten anderweitiger Regelungszusammenhänge 414 übergangen werden dürfen 415. Die Rechtsprechung hat es bei entsprechenden Fallkonstellationen auch trotz einer grundsätzlicher Bekenntnis zur Vorrangthese mit derselben nicht immer sehr genau genommen 416. Soweit sie dabei nicht gleich offen bezeichnete Ausnahmen statuiert hat 417, hat sie im Einzelfall doch stets zu argumentieren gewusst, warum die jeweils zu prüfende Konstellation nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – den in sich abgeschlossenen Regelungsbereich des Sonderrechtsschutzes betrifft, sondern (auch) eine Prüfung am Maßstab des Wettbewerbsrechts zulässt und erfordert 418. Es gibt wohl kaum eine These, für deren
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Sekundenkleber; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.17, vgl dort auch die Überschrift vor § 4 Nr 9 UWG; Piper/Ohly/Piper § 4 UWG Rn 9/3; Heermann GRUR 2006, 359, 362; Jaeschke MarkenR 2007, 441, 419. Dies wird bereits in der Begründung des Regierungsentwurfes zum UWG deutlich zum Ausdruck gebracht, BT-Drucks 15/1487, 18; krit zu dem Begriff des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes auch Münker FS Ullmann 781, 785. Grundlegend BGH GRUR 1999, 161, 162 – MAC Dog; ferner BGH GRUR 2007, 339 Rn 23 – Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 329 Rn 36 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem; BGH GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate; BGH GRUR 2005, 583, 585 – Lila Postkarte; Piper/Ohly/Piper § 4 UWG Rn 9/8; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 9.6 ff; Köhler GRUR-RR 2006, 34; Ingerl/Rohnke § 2 MarkenG Rn 3; Ohly GRUR 2007, 926, 928; Heermann GRUR 2006, 359, 362 f. Die Verwendung von Begriffen wie „spezialgesetzlichen Schutzrechten“ nimmt hier das Über-/Unterordnungsverhältnis bereits vorweg. Dies zeigt bereits Kur GRUR 1989, 240, 248 ff, für das Verhältnis der kennzeichenrechtlichen Begriffes der Verwechselungs-
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gefahr und des lauterkeitsrechtlichen Begriffes der Irreführungsgefahr auf. Dazu auch Kur GRUR Int 1998, 771, 778. Vgl ferner Fezer WRP 2001, 989, 1006. Bornkamm GRUR 2005, 97, 98 spricht etwas zurückhaltender davon, dass der BGH die Vorrangthese „stets so vorsichtig formuliert [habe], dass das Schließen von unerwünschten Schutzlücken möglich bleibt“. So bspw im Hinblick auf das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster, vgl BGH GRUR 2006, 79 Rn 18 – Jeans; BGH GRUR 2006, 346 Rn 7 – Jeans II; OLG Hamburg NJOZ 2007, 459, 467 – Gebäckpresse (nicht rechtskräftig); OLG Hamburg NJOZ 2007, 3055, 3061 – Handydesign (nicht rechtskräftig); im Ansatz bereits OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 98 – Gipürespitze. Vgl zur Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen: BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; zum (nationalen) eingetragenen Geschmacksmuster: BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen. In BGH GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate hat der BGH mit der Begründung eine Prüfung am Maßstab des Wettbewerbsrechts vorgenommen, dass wegen fehlender kennzeichenmäßiger Verwendung der Anwendungsbereich des Markenrechts „von vornherein“ ausgeschlossen sei; in BGH
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Verteidigung ebensoviel Leidenschaft aufgewandt wurde wie auch Kreativität zur Begründung ihrer für notwendig erkannten Ausnahmen und Grenzen. Es ist daher allenfalls erstaunlich, dass sich erst in jüngerer Zeit die Stimmen mehren, die eine Aufgabe der Vorrangthese fordern 419. Es steht allerdings nicht fest, ob damit letztlich nur eine liebgewonnene Formel verabschiedet oder auch eine inhaltliche Neuausrichtung vorgenommen wird 420. Der Gesetzgeber des geltenden UWG hat es seinerzeit zwar ausdrücklich für erforderlich angesehen, mit der Regelung des § 4 Nr 9 UWG Leistungsschutz auch über das Wettbewerbsrecht zu gewähren, jedoch wurde dieser in den Gesetzgebungsmaterialien bezeichnenderweise gerade nicht als ergänzender Leistungsschutz bezeichnet 421. Bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich insofern, dass das Wettbewerbsrecht die Nachahmung einer fremden Leistung nur bei Vorliegen bestimmter Unlauterkeitsmomente verbieten will, wobei die in den Fallgruppen lit a–c aufgeführten Fälle als die praktisch bedeutsamsten angesehen wurden 422. bb) Wettbewerbliche Eigenart. Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz kann grds 183 nur solchen Leistungen zu Gute kommen, die wettbewerbliche Eigenart aufweisen 423. Dies setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen hat das Gericht eine Prüfung am Maßstab des Wettbewerbsrechts vorgenommen, obgleich – allerdings zwischenzeitlich abgelaufener – Geschmacksmusterschutz bestand; in BGH GRUR 2007, 795 Rn 21 – Handtaschen hat sogar vorrangig wettbewerbsrechtliche Ansprüche geprüft; in BGH GRUR 2006, 329 Rn 36 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem wurde zwar einmal mehr der angebliche Vorrang des Markenrechts betont, sodann jedoch in Erwägung gezogen, dass sich die wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit aus solchen unlauterkeitsbegründenden Umständen ergeben könnte, die nicht bereits im Rahmen der markenrechtlichen Prüfung – es ging vor allem um Frage des berechtigten Interesses bei Erschöpfung des Markenrechts – berücksichtigt worden sind; in BGH GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck wurden wettbewerbsrechtliche Ansprüche mit der vermeintlich bequemeren Begründung fehlender Aktivlegitimation verneint ohne zuvor näher auf die Anwendbarkeit des § 4 Nr 9 UWG einzugehen, was angesichts der zunächst geprüften markenrechtlichen Ansprüche nicht fern gelegen hätte; in BGH GRUR 2005, 583, 585 – Lila Postkarte wurden wettbewerbsrechtliche Ansprüche nicht ausschließlich unter Verweis auf den Vorrang des Markenrechts, sondern zusätzlich mit einem Hinweis auf die aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit folgenden Vorgaben ausgeschlossen. Das OLG Ham-
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burg GRUR-RR 2006, 280, 282 – Damier Vernis und das OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 – Sekundenkleber prüfen wie selbstverständlich wettbewerbsrechtliche Ansprüche, nachdem sie das Vorliegen von Markenschutz verneint haben ohne hierbei auch nur im ansatzweise auf die Frage eines etwaigen Vorranges des Markenrechts und dessen Auswirkungen einzugehen. Köhler GRUR 2007, 548; Stieper WRP 2006, 291 ff; Münker FS Ullmann 781, 784 ff; bereits Fezer § 2 MarkenG Rn 1 ff; demgegenüber krit: Bunnenberg MarkenR 2008, 148, 155 ff. Bornkamm GRUR 2005, 97, 100 hat schon vor einiger Zeit im Hinblick auf den Schutz bekannter Kennzeichen festgestellt, dass die Vorrangthese bis dato in keinem einzigen Fall streitentscheidend war. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Vgl BT-Drucks 15/1487. BT-Drucks 15/1487, 18. BGH GRUR 2007, 984 Rn 14 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 795 Rn 22 – Handtaschen; BGH GRUR 2007, 339 Rn 24 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 95 – Gipürespitze; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 – Arbeitselement für Resektoskopie; OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 – Sekundenkleber; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 104, 105 – DAX-Optionsscheine; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 307; Köhler GRUR-RR 2007, 337, 339.
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oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen 424. Die wettbewerbliche Eigenart kann sich dabei sowohl aus ästhetisch-gestalterischen als auch aus technischen Merkmalen ergeben. Bei letzteren ist jedoch in besonderer Weise zu beachten, dass der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nicht zu einer Umgehung der sondergesetzlichen Wertungen des Rechts der technischen Schutzrechte führen darf. Eine nach jenem Rechtsregime gemeinfreie technische Lösung darf grds von jedermann verwendet werden 425. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn das nachgeahmte Produkt ein zwar durch den Gebrauchszweck bedingtes, jedoch aus der Menge der zur Verfügung stehenden Lösungsmöglichkeiten völlig willkürlich gewähltes und austauschbares technisches Merkmal aufweist 426. Für die Annahme einer wettbewerblichen Eigenart ist die Bekanntheit des betreffenden Erzeugnisses zwar nicht erforderlich, die wettbewerbliche Eigenart kann jedoch durch Bekanntheit verstärkt werden 427.
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cc) Nachahmung. Die Bewertung einer Wettbewerbshandlung als unlauter nach dem Beispieltatbestand des § 4 Nr 9 UWG setzt voraus, dass eine Nachahmung einer fremden Leistung gegeben ist. Eine solche Nachahmung setzt voraus, dass der Nachahmende eine fremde Leistung nunmehr als seine eigene präsentiert 428. Letzteres kann sowohl durch eine direkte technische Reproduktion als auch durch eine sogenannte nachschaffende Übernahme erfolgen 429. Keine Nachamung liegt hingegen vor, wenn der Wettbewerber seine Leistung lediglich mit einer anderen Leistung verknüpft, wenn die Abnehmer der Leistung dies ohne weiteres erkennen können und beide Leistungen trotz der Verknüpfung noch gesondert wahrnehmen 430. Erst recht kann demnach nicht von einer Nachahmung ausgegangen werden, wenn der Verleger eines auf CD-Rom herausgegebenen Briefmarkenkatalogs dem Benutzer durch die Gestaltung des Programms ermöglicht, zusätzlich zu den von dem Verleger zugeordneten Nummern eines Ordnungssytems weitere Daten zu speichern, auch wenn dies die Möglichkeit einschließt, dass die Benutzer mittels dieser Funktion Konkordanzlisten zu einem in Fachkreisen verbreiteten Katalogisierungssystem eines Wettbewerbers erstellen 431. Auch liegt keine Nachahmung – sondern allenfalls eine Irreführung über die Sponsoreneigenschaft – vor, wenn ein Unter-
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BGH GRUR 2007, 984 Rn 16 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 795 Rn 25 – Handtaschen; BGH GRUR 2007, 339 Rn 26 – Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 79 Rn 21 – Jeans; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 – Arbeitselement für Resektoskopie; OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 105 – DAX-Optionsscheine; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 307; Kur GRUR 1990, 1, 7 f, spricht von dem „gewissen Etwas“; Heyers GRUR 2006, 23, 24 spricht davon, dass sich das Leistungsergebnis von seinem Umfeld durch „ein eigenes Gesicht“ abheben müsse. BGH GRUR 2007, 984 Rn 20 und 35 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 339 Rn 27 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 – Arbeitselement für Resektoskopie.
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BGH GRUR 2007, 984 Rn 20 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 339 Rn 27 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen. BGH GRUR 2007, 984 Rn 28 – Gartenliege; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3316 – Rooibos Caramell; Piper/ Ohly/Piper § 4 UWG Rn 9/29; zum UWG aF noch offen lassend, weil von der Revision nicht gerügt BGH GRUR 2001, 251, 253 – Messerkennzeichnung; für den Schutz von Werbeslogans BGH GRUR 1997, 308, 310 – Wärme fürs Leben. Köhler GRUR-RR 2006, 33, 34. Heyers GRUR 2006, 23, 24. OLG Köln GRUR-RR 2005, 228, 229 – Set-Top-Box. BGH GRUR 2006, 493 Rn 28 – MichelNummern.
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nehmer im Umfeld einer sportlichen Großveranstaltung unter Bezugnahme auf diese seine Erzeugnisse bewirbt 432. dd) Herkunftstäuschung – § 4 Nr 9 lit a UWG. Ob ein nachgeahmtes Erzeugnis Eig- 185 nung zur Herkunftstäuschung hat, kann nur nach ihrem jeweiligen Gesamteindruck beurteilt werden 433. Dabei kommt es vor allem darauf an, inwiefern die die wettbewerbliche Eigenart begründeten Merkmale des Originals übernommen werden 434. Zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Nachahmung der die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen besteht eine Wechselwirkung dahingehend, dass eine stärkere Verwirklichung eines dieser Momente durch die geringere Verwirklichung eines anderen ausgeglichen werden kann und umgekehrt 435. Eine Täuschung über die betriebliche Herkunft liegt noch nicht darin, dass bei den Adressaten durch die Aufmachung und das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses lediglich Erinnerungen oder Assoziationen an ein anderweitiges Erzeugnis geweckt werden 436. Bloße Ideen, die in zahlreichen konkreten Ausgestaltungen verwirklich werden können, können auch nach § 4 Nr 9 lit a UWG keinen Schutz genießen 437. Insofern ist auch das Konzept, Puppen mit entsprechendem Zubehör für typische Spielsituationen herzustellen und als Set zu vertreiben438, ebensowenig schutzfähig wie die Idee, bestimmte Waren in einer Verkaufsstätte mit besonderer architektonischer Gestaltung anzubieten 439. Es ist jedoch möglich, dass durch die konkrete Umsetzung einer solchen Idee Nachahmungsschutz entsteht, wobei es dann wiederum auch auf Art und Umfang der Nachahmung ankommt. Eine Herkunftstäuschung kommt grds nur dann in Betracht, wenn das nachgeahmte 186 Original eine gewisse Bekanntheit bei den angesprochenen Abnehmern hat 440. Fehlt es 432 433
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Jaeschke MarkenR 2007, 411, 419; zweifelnd Heermann GRUR 2006, 262 f. BGH GRUR 2007, 795 Rn 32 – Handtaschen; BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; ebenso für die Fallgruppe des § 4 Nr 9 lit b UWG: BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine. BGH GRUR 2007, 795 Rn 32 – Handtaschen; BGH GRUR 2006, 79 Rn 28 – Jeans; BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 96 – Gipürespitze; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 280, 282 – Damier Vernis; OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 – Sekundenkleber. BGH GRUR 2007, 984 Rn 14 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 795 Rn 22 – Handtaschen; BGH GRUR 2007, 339 Rn 24 – Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 79 Rn 19 – Jeans; BGH GRUR 2005, 166, 167 – Puppenausstattungen; OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3315 – Rooibos Caramell; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94,
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95 – Gipürespitze; OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 – Sekundenkleber; Lubberger FS Ullmann, S 737, 754; Ohly GRUR 2007, 731, 734; zum UWG aF: BGH GRUR 2004, 941, 942 – Metallbett. BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 96 – Gipürespitze; zum UWG aF: BGH GRUR 2002, 809, 812 – FRÜHSTÜCKS-DRINK I. BGH GRUR 2005, 166 – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate; OLG Köln GRUR-RR 2007, 388, 390 – Ohne Dich ist alles doof. BGH GRUR 2005, 166, 168 ff – Puppenausstattungen. BGH GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate. BGH GRUR 2007, 984 Rn 34 – Gartenliege; BGH GRUR 2007, 339 Rn 39 – Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 79, Rn 19 u Rn 35 – Jeans; BGH GRUR 2005, 166, 167 – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3315 – Rooibos Caramell; aA Piper/Ohly/Piper § 4 UWG Rn 9/29.
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an einer solchen Bekanntheit, so kann die Nachahmung allerdings gleichwohl unlauter sein, wenn der Vertrieb derselben darauf angelegt ist, dass diese dem Verkehr unmittelbar neben dem Originalprodukt präsentiert wird 441. Ist dem Verkehr hingegen bekannt, dass es neben dem Original auch verschiedene Nachahmungen gibt, kann eine Herkunftstäuschung bereits durch geringere Unterschiede vermieden werden, weil dann davon auszugehen ist, dass der Verkehr dem jeweiligen Angebot entsprechend aufmerksamer begegnen wird 442. Eine Herkunftstäuschung lässt sich trotz Übernahme der die wettbewerbliche Eigen187 art ausmachenden Merkmale durch Hinzufügung weiterer Merkmale, insbesondere augenfälliger Kennzeichen 443, vermeiden. Dies ergibt sich der Sache nach bereits aus dem Gesetzeswortlaut, wenn dort von einer vermeidbaren Täuschung die Rede ist. Im Umkehrschluss folgt daraus nämlich, dass die Nachahmung dann nicht unlauter ist, wenn die Täuschung, sei es auch mittels bewusst eingesetzter ergänzender Maßnahmen zu einer im Übrigen bestehenden Nachahmung, tatsächlich vermieden wird. Bei der Bewertung ist auf den Zeitpunkt der Kaufentscheidung abzustellen, weshalb eine erst später eintretende Täuschung – etwa bei dem Einsatz des Erzeugnisses – die Unlauterkeit nach § 4 Nr 9 lit a UWG nicht zu begründen vermag 444. Besteht zwar gegenüber den angesprochenen Abnehmern keine Täuschungsgefahr, wohl aber gegenüber dem allgemeinen Publikum, welches die Nachahmungen bei den Abnehmern zu sehen bekommt, kann ein Fall des § 4 Nr 9 lit b UWG vorliegen 445. Ist eine Täuschung der Abnehmer nur unter bestimmten Verkaufsumständen zu befürchten – etwa bei einem Vertrieb über Bestellkataloge, in denen die unterscheidungskräftigen Kennzeichen nicht sichtbar sind –, so kann sich der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nicht gegen das Erzeugnis als solches, sondern allenfalls gegen die konkrete Vertriebsform richten 446.
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ee) Unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung – § 4 Nr 9 lit b UWG. Die Annahme einer unangemessenen Ausnutzung der Wertschätzung fremder Waren oder Dienstleistungen setzt die Feststellung voraus, dass die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund einer von dem Erzeugnis ausgehenden Bezugnahme 447 eine Übertragung der Güte und Wertvorstellungen des Originalprodukts auf das nachgeahmte Erzeugnis vornehmen 448. Eine Täuschung über die betriebliche Herkunft ist – anders als 441
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BGH GRUR 2007, 339 Rn 39 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; dabei bleibt allerdings offen, ob ein solches Vorgehen nach § 4 Nr 9 UWG oder nach § 4 Nr 10 UWG unlauter wäre, vgl Köhler GRUR-RR 2006, 33, 34. BGH GRUR 2007, 795 Rn 39 – Handtaschen; Ohly GRUR 2007, 731, 738 f. OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3317 – Rooibos Caramell; OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 101 f – Sekundenkleber; BGH GRUR 2006, 79 Rn 33 – Jeans, wobei das Gericht dort die Gefahr gesehen hat, dass das Kennzeichen zum Zeitpunkt des Kaufes nicht mehr vorhanden sein könnte; zweifelnd: OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 95 – Gipürespitze. Vgl auch für die Fälle des § 4 Nr 9 lit b UWG BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III u OLG Köln
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GRUR-RR 2005, 12, 13 – Absolut Luckies. Verneinend Fritze GRUR 1982, 520, 524. BGH GRUR 2007, 339 Rn 39 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; vgl auch BGH GRUR 2006, 79 Rn 33 – Jeans. Vgl dazu die Ausführungen des nachfolgenden Absatzes. BGH GRUR 2007, 339 Rn 33 – Stufenleitern. Daran fehlt es jedenfalls bei der Verwendung rein gattungsmäßiger Begriffe im Rahmen einer Internet-Domain, LG Köln GRUR-RR 2006, 292, 293 – bahnhöfe.de; allgemein zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung generischer Domains Buchner GRUR 2006, 984, 985 f. BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 – Arbeitselement für Resektoskopie;
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
bei den Fällen des § 4 Nr 9 lit a UWG nicht erforderlich, da dem Beispieltatbestand des § 4 Nr 9 lit b UWG ein eigenes, von den Voraussetzungen der anderen Fallgruppen des § 4 Nr 9 UWG eigenständiges Unlauterkeitsurteil enthält 449. Ob dessen Voraussetzungen gegeben sind, kann wiederum nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere dem Grad der Anlehnung sowie der Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts beurteilt werden 450. Hierbei kann allerdings einer Täuschungseignung – auch gegenüber dem allgemeinen Publikum, welches die nachgeahmten Erzeugnisse bei den Abnehmern sieht 451 – durchaus Gewicht zukommen, ohne dass diese zugleich als Voraussetzung für die Unlauterkeit nach diesem Beispieltatbestand anzusehen wäre. Darüberhinaus kann es darauf ankommen, ob der Verkehr den guten Ruf an dem Produkt selbst oder vor allem an bestimmten Merkmalen festmacht. Ist Letzteres der Fall und handelt es sich bei den Merkmalen nicht zugleich um diejenigen, welche die wettbewerbliche Eigenart begründen, sondern etwa um die im Verkehr zur Kennzeichnung des Erzeugnisses eingesetzten Zeichen, so kommt ein Schutz nach § 4 Nr 9 lit b UWG nicht in Betracht 452. Umgekehrt lässt sich eine Rufausbeutung bzw Verwässerung des guten Rufes auch dadurch vermeiden, dass das nachgeahmte Produkt seinerseits mit einer dem Verkehr bekannten Bezeichnung von dem in gewisser Hinsicht nachgeahmten Produkt abgegrenzt wird 453. Da es insofern jedoch nicht in erster Linie auf die Frage der Täuschung des Verkehrs über die betriebliche Herkunft ankommt, reicht es, anders als bei § 4 Nr 9 lit a UWG, nicht aus, wenn durch zusätzliche Kennzeichen nur einer diesbezüglichen Täuschung vorgebeugt wird. Ebensowenig wie eine Herkunftstäuschung kann auch die Annahme einer Rufausbeutung nicht alleine darauf gestützt werden, dass Aufmachung und Erscheinungsbild eines Erzeugnisses Erinnerungen oder Assoziationen an ein anderweitiges Produkt wecken 454. ff) Unredliche Entnahme von Kenntnissen und Unterlagen – § 4 Nr 9 lit c UWG. Bei 189 dem Beispieltatbestand des § 4 Nr 9 lit c UWG handelt es sich der Sache nach um ein „Fruchtziehungsverbot“ 455. Derjenige, der sich die für eine Nachahmung erforderlichen Kenntnisse auf unredliche Weise verschafft hat, soll – da die Kenntnisse als solche nicht wie gegenständliches Eigentum abgegeben werden können – zumindest daran gehindert werden, die wirtschaftlichen Vorteile des solchermaßen erlangten Know-hows für sich zu beanspruchen. Soweit der Betroffene bereits im Vorfeld der Nachahmung von den Anstrengungen eines Wettbewerbers erfährt, sich auf unredliche Weise entsprechende Kenntnisse zu verschaffen, kann er bereits hiergegen vorgehen. Häufig wird der Betroffene allerdings erst nach erfolgter Platzierung des nachgeahmten Erzeugnisses am Markt von
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OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 106 – DAX-Optionsscheine; Münker FS Ullmann 781, 788. BGH GRUR 2005, 349, 352 aE – Klemmbausteine III; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 – Arbeitselement für Resektoskopie; OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 106 f – DAX-Optionsscheine; Köhler GRUR 2007, 548 Rn 35; Heermann GRUR 2006, 359, 363; unklar OLG Köln GRUR-RR 2007, 100, 102 – Sekundenkleber. BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; OLG Köln GRUR-RR 2006, 278, 279 f – Arbeitselement für Resektoskopie; Köhler GRUR-RR2006, 33, 35.
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BGH GRUR 2007, 795 Rn 44 – Handtaschen. OLG Hamburg NJOZ 2005, 3313, 3317 – Rooibos Caramell; vgl. auch BGH GRUR 2007, 795 Rn 38 – Handtaschen. BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; OLG Köln GRUR-RR 2005, 12, 13 – Absolut Luckies; Köhler GRUR-RR 2006, 33, 35. BGH GRUR 2007, 795 Rn 44 – Handtaschen; BGH GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 280, 282 f – Damier Vernis. Köhler GRUR 2007, 548 Rn 40.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
den Aktivitäten des Nachahmers erfahren. Auch wenn die Regelung des § 4 Nr 9 lit c UWG damit erst einen nachgelagerten Schutz gewährt, kommen diesbezügliche Ansprüche nur dann in Betracht, wenn bereits die Erlangung der Kenntnisse unredlich war. Es liegt daher kein Fall des § 4 Nr 9 lit c UWG vor, wenn ein ehemaliger Mitarbeiter Kenntnisse, die er auf redliche Weise erlangt hat, zu eigenen Gunsten oder zu Gunsten eines anderen Betriebs verwendet 456.
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gg) Weitere Fälle wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes? Ob es neben den vorstehend besprochenen und im Gesetz ausdrücklich erwähnten Fallgruppen weitere praktisch relevante Fälle gibt, in denen wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz zu gewähren ist, ist nicht abschließend geklärt. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum UWG erklärt die in lit a–c enthaltene Aufzählung jedenfalls ausdrücklich für nicht abschließend 457. Der BGH hat unter Geltung des früheren UWG die Fallgruppe des unlauteren Einschiebens eines Erzeugnisses in eine fremde Serie entwickelt 458. In einer ersten Entscheidung unter Geltung des aktuellen UWG459 hat sich der BGH mit der gegen diese Rechtsprechung geäußerten Kritik auseinandergesetzt, eine abschließende Stellungnahme jedoch nicht für erforderlich gehalten, weil aus dieser Fallgruppe jedenfalls kein zeitlich unbegrenzter Schutz hergeleitet werden kann und die nicht näher spezifizierte Schutzfrist in jedem Fall abgelaufen sei. In der Literatur wird unter Berufung auf diese Entscheidung bereits das Ende dieser Fallgruppe ausgerufen 460. Darüber hinaus ist auch offen, inwiefern nach Inkrafttreten der GGVO unter Geltung des aktuellen UWG ein Sonderrechtsschutz für Modeneuschöpfungen zu gewähren ist, dessen Voraussetzungen geringer als die der ausdrücklich normierten Fallgruppen sind, der umgekehrt aber nur einer kurzen zeitlichen Befristung unterliegt 461.
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hh) Grenzen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes. In der Entscheidung Klemmbausteine III 462 hat der BGH die Auffassung vertreten, dass es in den Fällen, in denen der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz den Schutz einer Leistung als solcher zum Gegenstand hat, anders als in den Fällen in denen er den Schutz gegen vermeidbare Herkunftstäuschungen, gegen das Ausnutzen des Rufes fremder Leistung, gegen die Behinderung von Mitbewerbern sowie gegen Einschleichen oder gegen Vertrauensbruch bezweckt, einer zeitlichen Begrenzung bedürfe. Es gibt also auch nach Auffassung des BGH im Hinblick auf die besonderen Unlauterkeitsmomente der in lit a–c enthaltenen Fallgruppen keine Veranlassung, den durch das Wettbewerbsrecht vermittelten Schutz einer zeitlichen Befristung zu unterwerfen 463. Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz
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Ein solches Verhalten kann allerdings unter den weitergehenden Voraussetzungen des § 17 UWG unzulässig sein, dazu unten Rn 366 und Rn 372. BT-Drucks 15/1487, 18; BGH GRUR 2007, 795 Rn 50 – Handtaschen; bedenklich daher OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 107 – DAX-Optionsscheine, wonach die in § 4 Nr 9 UWG aufgeführten Voraussetzungen zwingender Natur seien und nicht durch einen Rückgriff auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel unterlaufen werden dürften. BGH GRUR 1964, 621, 624 f – Klemmbausteine; BGH GRUR 1992, 619, 620 f –
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Klemmbausteine II; BGH GRUR 2000, 521, 525 ff – Modulgerüst. BGH GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III. Vgl Köhler GRUR-RR 2006, 33, 34; Heyers GRUR 2006, 23, 27. Dies für die neue Rechtslage bewusst offen lassen: OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 94, 97 – Gipürespitze; krit Ohly GRUR 2007, 731, 739 und Heyers GRUR 2006, 23. BGH GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. Bestätigt in BGH GRUR 2006, 79 Rn 18 – Jeans u BGH GRUR 2006, 346 Rn 7 – Jeans II; vgl auch Köhler GRUR-RR 2006,
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Materielles Wettbewerbsrecht
muss auch dort seine Grenzen finden, wo der Erbringer der Leistung sein Erzeugnis wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat und es insofern nur noch um die weitere Veräußerung desselben geht, weil der Schöpfer des Erzeugnisses nicht an jedem einzelnen Veräußerungsakt ein und desselben Erzeugnisses profitieren kann, wenn er erst einmal die Früchte seiner Leistung gezogen hat. Insofern ist auch im Bereich des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz der im Bereich der Immaterialgüterrechte geltende Grundsatz der Erschöpfung zu beachten 464. ii) Eingeschränkte Anspruchsberechtigung. Die durch eine unlautere Nachahmung 192 ausgelösten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche stehen ebenso wie die durch eine unlautere Herabsetzung nach § 4 Nr 7 UWG und die durch eine Anschwärzung nach § 4 Nr 8 UWG nur dem betroffenen Wettbewerber zu, weil diesem die Entscheidung darüber verbleiben muss, ob er sich gegen die Nachahmung seiner Leistungen zur Wehr setzen oder diese hinnehmen will 465. Etwas anderes gilt dann, wenn im Einzelfall auch die Interessen der Wettbewerber oder der anderen Marktteilnehmer betroffen sind, was insbesondere bei den nach § 4 Nr 9 lit a UWG zu beurteilenden Täuschungsfällen häufig der Fall sein dürfte 466. Letzteres erschließt sich mittelbar aus § 5 Abs 2 Nr 1 UWG, wo die betriebliche Herkunft ausdrücklich als potentiell relevanter Gegenstand einer irreführenden Werbung benannt wird. Es macht für die Marktteilnehmer allerdings regelmäßig keinen Unterschied, ob die Täuschung über die betriebliche Herkunft mittels ausdrücklicher Angaben in der Werbung oder der Nachahmung der die Eigenart begründenden Merkmale eines Erzeugnisses bewirkt wird. Als betroffener Wettbewerber ist grds der Hersteller und – bei importierten Waren – der Alleinvertriebsberechtigte anzusehen 467. Der aus der Nachahmung folgende Unterlassungsanspruch besteht unabhängig davon, ob der Anspruchsberechtigte die nachgeahmten Produkte selbst im Inland vertreiben darf oder ob ihm dies – etwa wegen einer fehlenden behördlichen Zulassung – untersagt ist 468. Bedeutsam wird die Frage der eigenen Vertriebsberechtigung allerdings im Rahmen des Schadensersatzanspruches, weil ein entgangener Gewinn dann nicht ersatzfähig ist, wenn dieser nur durch Verletzung eines gesetzlichen Verbots oder mit rechtswidrigen Mitteln hätte erzielt werden können 469.
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33, 35; Kur GRUR Int 1998, 771, 780, hatte noch unter Geltung des UWG aF eine Befristung des Schutzes auf drei Jahre vorgeschlagen. BGH GRUR 2006, 329 Rn 36 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem; OLG Köln GRUR-RR 2007, 104, 106 – DAX-Optionsscheine; vgl auch schon Fritze GRUR 1982, 520, 523. BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-ZellKomplex; Ohly GRUR 2007, 731, 735. Anders hingegen Münker FS Ullmann 781 ff, der zumindest von einer umfassenden Anspruchsberechtigung der Verbände ausgehen will. Noch weiter gehend Stieper WRP 2006, 291, 302. Zwischen den Tatbestandsvarianten des § 4 Nr 9 UWG differenzierend Köhler GRUR 2007, 548 Rn 17, 46, 51, 54.
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Vgl Ohly GRUR 2007, 731, 738 f; vgl auch Köhler GRUR 2007, 548 Rn 28, der mit dieser Begründung die grundsätzliche Beschränkung der Anspruchsberechtigung bzgl der aus § 4 Nr 9 UWG folgenden wettbewerbsrechtlichen Ansprüche in Frage stellt; anders noch Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 9.85 f. BGH GRUR 2005, 166, 171 – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex. BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-ZellKomplex. BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-ZellKomplex.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
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3. Teil
j) Gezielte Behinderung – § 4 Nr 10 UWG. aa) Allgemeines. Nach § 4 Nr 10 UWG handelt unlauter, wer
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„Mitbewerber gezielt behindert“.
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Dieser Gesetzeswortlaut gibt für die Rechtsanwendung wenig her: Die „Behinderung“ des Mitbewerbers ist letztlich jedem Wettbewerb immanent. Allein das Wort „gezielt“ lässt darauf schließen, dass eine Behinderung von Mitbewerbern als bloße Folge des Wettbewerbs nicht ausreicht, um von der Unlauterkeit derselben ausgehen zu können, sondern hierzu vielmehr besondere Umstände hinzutreten müssen. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände unter Abwägung der widerstreitenden Interessen Mitbewerber die jeweilige Maßnahme nicht in erster Linie auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs, sondern zweck- und zielgerichtet auf die Störung der fremden wettbewerblichen Entfaltung gerichtet ist 470. Es geht also um den Schutz des Mitbewerbers vor einer individuell gegen ihn gerichteten, unlauteren Mitbewerbermaßnahme 471. Ob diese den Warenbezug, die Produktion, den Mitarbeitereinsatz, die Werbung, den Absatz, Forschung und Entwicklung oä betrifft, spielt keine Rolle. Der hohe Abstraktionsgrad in Gesetz und Definition ist bewusst gewählt, um die in 196 der Rechtsprechung zu § 1 UWG aF entwickelten Fallgruppen des Behinderungswettbewerbs sämtlich zu erfassen 472. Dazu zählen insbesondere die Absatz- und die Nachfragebehinderung, die Werbebehinderung, die Behinderung durch Kennzeichenverwendung, durch Abwerbung von Mitarbeitern sowie die Betriebsstörung, die Preisunterbietung und die Diskriminierung. Besonders bei den weiteren Fallgruppen des Missbrauchs der Nachfragemacht und des Boykotts kommt es naturgemäß zu Überschneidungen mit kartellrechtlichen Regelungen, die ebenfalls den Behinderungswettbewerb erfassen können473. Daneben können auch enge Berührungspunkte zu anderen Rechtsmaterien, wie dem Urheberrecht bestehen. Als nach § 4 Nr 10 UWG gezielte Behinderung und nicht als unzulässige Umgehung 197 des Kopierschutzes iSv § 95b UrhG wurde etwa der Vertrieb und die Bewerbung von Software zur Herstellung von Vervielfältigungen bei einem verschlüsselten Musikdienst („Napster“) angesehen. Die Software wurde als Mittel zur gezielten Behinderung des Absatzes einer Flatrate-Leistung eingestuft 474.
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bb) Beispiele gezielter Behinderung. Die Behinderung des Mitbewerbers kann einerseits in recht grober Form geschehen. Zu denken ist etwa an die Anwendung von Gewalt oder Drohung gegenüber den Mitbewerbern oder deren Kunden, mit dem Ziel Verkaufsgeschäfte zu verhindern. Werbebehinderungen durch Abreißen oder Überkleben von Plakaten oder das Sabotieren von Internetauftritten und -anzeigen 475, Manipulationen am Mitbewerberprodukt, Blockaden des Ladenlokals eines Mitbewerbers oder von dessen Internetauftritt sind weitere Fälle evidenten Behinderungswettbewerbs. Hierhin gehört auch das gezielte Verdrängen eines Mitbewerbers durch einen dauerhaft ruinösen 470
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BGH GRUR 2001, 1061 – Mitwohnzentrale.de; BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker. Die „allgemeine Marktbehinderung“ ist demgegenüber unter der Generalklausel zu erfassen; s dazu unten Rn 216 ff. Vgl bereits die Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 19 und die ablehnende
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Stellungnahme zum Konkretisierungsvorschlag des Bundesrates, S 41. Vgl dazu Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 10.18. LG Frankfurt aM MMR 2006, 766 – Verbreitung von Umgehungssoftware. Dies kann etwa geschehen durch Hacking oder click-spamming bei „adwords“ usw.
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Wettbewerb, etwa durch kostenlose Leistungen oder beständige Untereinstandspreise 476. Auch die rechtswidrige wettbewerbsrechtliche Abmahnung oder die unlautere Schutzrechtsverwarnung kann gezielte Behinderung sein, wenn der Abmahnende in Kenntnis oder infolge grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit gehandelt hat 477. Die gezielte Behinderung kommt weiter vor in Gestalt von Diffamierungen des Mitbewerbers gegenüber den Kunden 478, nicht gerechtfertigen – der Förderung des eigenen Absatzes dienenden – Boykottaufrufen 479, in Behinderungsabsicht vorgenommenen „Kampfabwerbungen“ von Mitarbeitern des Mitbewerbers 480, in Form von Auftragsmanipulationen, der Veranlassung von Liefersperren 481, dem Leerkaufen des Lieferantenmarktes oder dem Aufkauf des Konkurrenzproduktes 482. Eine gezielte Behinderung kann auch darin liegen, dass einem Wettbewerber die Möglichkeit genommen wird, die Wettbewerbskonformität des eigenen Verhalten zu überprüfen 483; die Sperrung des eigenen Internetauftritts für bestimmte IP-Adressen eines Wettbewerbers kann jedoch dann gerechtfertigt sein, wenn über diese IP-Adressen auffällig viele, über ein normales Nutzungsverhalten deutlich hinausgehende, Aufrufe erfolgen 484. Subtilere Formen der gezielten Behinderung bereiten in der juristischen Bearbeitung 199 größere Probleme. Zu ihnen zählen vor allem das Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen und – für das Medienrecht von Interesse – Maßnahmen der gezielten Behinderung im Internet sowie mitunter die kostenlose Abgabe von Presseerzeugnissen. cc) Unlauteres Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen. (1) Abwerben von Kun- 200 den. Das Abwerben von Kunden ist Kern eines funktionierenden Wettbewerbsmarktes und daher alltäglich und in allen Wirtschaftszweigen erwünscht. Der Kundenkreis ist kein geschütztes Rechtsgut. Der Kaufmann muss mit einer Kündigung seiner Kunden, der Entscheidung des Kunden für einen Mitbewerber und generell mit dem Wettbewerb seiner Konkurrenten rechnen. Das Abwerben von Kunden ist daher grds zulässig. Die Grenze ist allerdings erreicht, wenn die Kundenentscheidung durch unlautere Mittel oder Methoden beeinflusst wird. Das ist bei einer Kündigungshilfe 485 oder bei Gewährung einer Zugabe 486 noch nicht anzunehmen. (a) Verleiten zum Vertragsbruch. Grds erlaubt ist auch das Werben um vertraglich 201 bereits gebundene Kunden. Wird allerdings der Kunde durch eine Wettbewerbshandlung vorsätzlich dazu bestimmt, gegen einen bestehenden Vertrag zu verstoßen, handelt es sich
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Vgl dazu zuletzt: BGH GRUR 2006, 596 – 10 %-billiger (Keine unlautere Preisunterbietung durch abstrakte Preisgarantie). Zu diesen Fragen Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.166 ff. Vgl OLG München GRUR-RR 2004, 309 – Billiges Plagiat (unsachliche Herabwürdigung eines konkurrierenden Verlagsproduktes). Vgl BGH GRUR 1956,118 – Gesangbuch; BGH GRUR 1956, 440, 442 – Milchboykott; BGH GRUR 1980, 242 – Denkzettelaktion (eines Verlages); OLG Nürnberg BeckRS 2007, 00751. Vgl OLG Brandenburg BeckRS 2007, 16102. Insoweit liegt jedoch regelmäßig kein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor, weshalb
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vorrangig auf das Kartellrecht abzustellen ist, vgl etwa BGH GRUR 2005, 177 – Sparberaterin. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.49. LG Hamburg GRUR-RR 2007, 94, 95 – Elektronisches Hausverbot; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 365, 366 – „Hausverbot“ im Internet. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 365, 366 – „Hausverbot“ im Internet. BGH GRUR 2005, 603 – Kündigungshilfe; dazu oben Rn 97. OLG Köln GRUR-RR 2005, 168 – Glow by J. Lo. (Gutschein für Körperpflegemittel als kostenlose Zugabe einer Frauenzeitschrift; ausf dazu oben Rn 85 ff.)
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um eine unlautere gezielte Behinderung 487. Dieses Verleiten zum Vertragsbruch ist zu unterscheiden vom bloßen Ausnutzen eines Vertragsbruchs. Letzteres ist mangels gezielter Einwirkung (eines bewussten Hinwirkens auf den Vertragsbruch oder dessen Veranlassung 488) nicht als wettbewerbswidrig anzusehen 489. Ein Unternehmen hatte solchen Kunden, denen auf deren Grundstück mietweise ein 202 Gastank von einem Mitbewerber mit der vertraglichen Maßgabe zur Verfügung gestellt worden war, ausschließlich von diesem Unternehmen Gas zu beziehen, ein Angebot für Flüssiggas gemacht. Der BGH 490 hat in dem Verkauf lediglich ein wettbewerbsrechtliche nicht zu beanstandendes Ausnutzen eines Vertragsbruchs der Kunden gesehen.
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(b) Abwerben von Kunden zugunsten des Verletzers durch Mitarbeiter des Mitbewerbers. Gerade in Branchen mit hoher Mitarbeiterfluktuation ist der Anreiz groß, dem neuen Arbeitgeber die früheren Kunden gleichsam als „Begrüßungsgeschenk“ mitzubringen. Auch erscheint der Kundenstamm zuweilen als Startbasis der eigenen selbstständigen beruflichen Existenz geeignet. Eine solche Verwendung ist auch nicht prinzipiell als unlauter anzusehen, insbesondere dann nicht, wenn die Kundenbeziehungen des bisherigen Arbeitgebers offenkundig sind und das Vertragsverhältnis des Mitarbeiters mit seinem bisherigen Arbeitgeber beendet ist. Nach umstrittener Rechtsprechung 491 ist es aber wegen der Loyalitätspflichten unlauter und stellt eine gezielte Behinderung dar, wenn der Mitarbeiter noch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses die Kunden für den neuen Arbeitgeber oder für sich selbst anspricht. Entsprechendes gilt für den Bruch eines nachwirkenden Wettbewerbsverbots 492. Unter ähnlichen Gesichtspunkten hat das OLG Hamburg 493 in einem Vertragsverstoß 204 eines Verlages eine gezielte Behinderung zulasten der durch eine Preisbindungsvereinbarung mit dem Verlag gebundenen Zeitschriftenhändler erkannt und dem Verlag untersagt, den Zeitschriftenkunden ein besonders günstiges Angebot für ein Abonnement zu unterbreiten. Das besonders attraktive Abonnementangebot beinhalte eine treuwidrige Umleitung von Kunden unter Umgehung des Preisgebundenen unmittelbar auf den Preisbinder. Da dieser Verstoß den gesamten Vertriebsmarkt betreffe und der Verlag die Maßnahme gezielt zulasten des Handels einsetze, liege eine „wettbewerbsbezogene Dimension“ vor. Die Entscheidung ist mit Recht kritisiert und schließlich vom BGH auch aufgehoben worden 494, da sie mit der Wertung des § 4 Nr 11 UWG, nach der Vertragsverstöße keine Unlauterkeit begründen, schwerlich in Einklang zu bringen ist. Ebenso ist es unlauter, für das Werben um Kunden Daten zu verwenden, die rechts205 widrig beschafft oder dem Mitarbeiter nur vertraulich für die Zwecke seines Arbeitgebers anvertraut sind 495. Die Verwertung im Gedächtnis gebliebener Kundendaten ist dagegen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden 496, weshalb in der Praxis die Durchsetzung solcher Ansprüche schwierig ist. 487
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BGH GRUR 56, 273, 275 – Drahtverschluss; BGH NJW 2000, 2504, 2507 – Außenseiteranspruch II; Piper/Ohly/Piper § 1 UWG Rn 903. BGH GRUR 1997, 920, 921 – Automatenaufsteller. BGH GRUR 2006, 879 Rn 12 – Flüssiggastank; BGH GRUR 2007, 800, 800 – Außendienstmitarbeiter. BGH GRUR 2006, 879 Rn 12 – Flüssiggastank. Vgl BGH GRUR 2004, 704, 705 – Verab-
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schiedungsschreiben; aA Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.42. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.42. OLG Hamburg GRUR 2003, 811 – Zeitschriften Test-Abo. BGH GRUR 2006, 773 – Probeabonnement; zur Kritik der Literatur Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 10.42. BGH GRUR 2004, 704 – Verabschiedungsschreiben. BGH GRUR 1999, 912 – Weinberater.
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Materielles Wettbewerbsrecht
(c) Übertriebenes Anlocken, Druckausübung, Herabsetzung, Täuschung. Die Behin- 206 derung durch unangemessene, unsachliche Beeinflussung von Kunden des Mitbewerbers durch Setzen von Anreizen, die die Rationalität seiner Marktentscheidung ausschalten bis hin zur Ausübung von Druck, kann ebenfalls unter § 4 Nr 10 UWG fallen. Insoweit kommt es allerdings zu Überschneidungen mit § 4 Nr 1 UWG, weshalb auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen werden kann 497. Dasselbe gilt in Bezug auf § 4 Nr 7 unter dem Aspekt, dass die dort erfasste Herabsetzung des Mitbewerbers zugleich auch eine gezielte, zum Abwerben von Kunden eingesetzte Behinderung sein kann. Nicht selten ist die „Kombination“ einer Täuschung mit einem Abwerben von Kunden, was ebenfalls unter § 4 Nr 10 UWG fallen kann. Wegen der Einzelheiten ist auf die Ausführungen zu § 5 UWG 498 zu verweisen. (2) Abfangen von Kunden. Vom Abwerben von Kunden ist das unlautere Abfangen derselben zu unterscheiden. Die Rechtsprechung stellt insoweit darauf ab, dass sich der Verletzer zwischen Kaufinteressent und Mitbewerber schiebt, um dem Kunden die Änderung des Kaufentschlusses aufzudrängen 499. Dies kann etwa dadurch geschehen, indem der Kunde darüber getäuscht wird, dass er tatsächlich mit dem Verletzer und nicht mit dessen Mitbewerber abschließt 500. Ein unlauteres Abfangen von Kunden beinhaltet bspw das „Abfischen“ von Fahrgästen nach rechtswidrigem Abhören des Taxifunks des Mitbewerbers, oder auch die Platzierung eines Aufstellers mit dem Hinweis auf den eigenen Ladeneingang vor den Schaufenstern des Mitbewerbers. Ähnliche Gestaltungen sind insbesondere bei Geschäftsanbahnungen im Internet durch täuschende Gestaltung von Websites denkbar. Unter einem vergleichbaren Gesichtspunkt hat das OLG Hamburg 501 eine gezielte Behinderung durch die Fernseh-Werbung mit der Rufnummer 11881 für eine telefonische Auskunft angenommen, da die Identität des Anbieters durch ein „Versteckspiel“ verschleiert worden sei. Auch das Fehlleiten oder auch nur Festhalten und Nutzen von Anfragen oder Aufträgen, die für einen Mitbewerber bestimmt sind, beinhaltet eine unlautere gezielte Behinderung 502. Zweifelhaft ist, ob das auch für Wettbewerbshandlungen anzunehmen ist, die in räumlicher Nähe zum Mitbewerber durchgeführt werden. Ältere Entscheidungen des BGH 503 lassen auf eine grundsätzliche Unzulässigkeit schließen. Ob es sich nun um ein Ansprechen von Kunden, das Verteilen von Handzetteln oder das Anbringen von Werbeplakaten handelt, stets wird es auf den Inhalt der Werbemaßnahme ankommen. Ist diese darauf beschränkt, durch Hinweis auf das eigene Angebot dem Kunden eine weitere Option zu eröffnen, kann dies regelmäßig nicht beanstandet werden. Für Angebote im Internet gilt die Besonderheit, dass hier per se keine „räumliche Nähe“ zum Mitbewerber existiert. Versucht der Mitbewerber eine Nähe – etwa durch Verwendung ähnlich klingender Domains oder durch Suchbegriffe in HTML-Codes (Meta-Tags) oder „weiß-auf-weiß-Schrift“ – herzustellen, treten dadurch weniger wettbewerbsrechtliche Probleme unter dem Aspekt einer gezielten Behinderung 504 als kenn497 498 499
500 501
Vgl oben Rn 78 ff. Unten Rn 234 ff. BGH GRUR 2007, 987 Rn 25 – Änderung der Voreinstellung; BGH GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; BGH GRUR 2001, 1061, 1063 – Mitwohnzentrale.de. BGH GRUR 1970, 182 – Bierfahrer. OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 151 – Telefonauskunft 11881.
502 503 504
BGH GRUR 1983, 34 – Bestellschreiben. BGH GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 48 – Meta-Tags verneint eine gezielte Behinderung.
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zeichenrechtliche Fragen auf: Setzt der Verletzer Unternehmenskennzeichen und Marken des Mitbewerbers ein, indem er diese auf seinen eigenen Seiten identisch oder verwechselungsfähig ähnlich verwendet, liegt regelmäßig eine Kennzeichenverletzung vor, gegen die nach dem MarkenG vorgegangen werden kann 505. Es kann sich aber auch um eine gezielte Behinderung handeln, wenn der Verletzer eine Umleitung von Kunden, die Interesse an der Internet-Site des Mitbewerbers haben, auf seine Seiten beabsichtigt. So hat etwa das OLG Hamburg eine gezielte Behinderung darin erkannt, dass ein Mitbewerber Top-Level-Domains mit einer Umleitung zur eigenen Website geschaltet hatte, die die Geschäftsbezeichnung des Konkurrenten in unterschiedlichen Schreibvarianten enthielten 506. Eine solche unlautere Absicht ist bei der Veröffentlichung einer Werbeanzeige unter 211 Verwendung eines fremden Kennzeichens als „Adword“ nicht anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass die Anzeige von einem anderen Anbieter stammt. In diesen Fällen liegt mangels Imagetransfers auch keine Rufausbeutung vor 507. Allerdings sehen Teile der Rechtsprechung 508 auch darin eine Markenverletzung 509. Keine gezielte Behinderung ist schließlich in dem Versuch zu erkennen, die eigenen Produkte und Sites in Suchmaschinen möglichst günstig zu positionieren.
212
dd) Domain- oder Kennzeichenbesetzung. Auch das Besetzen von Zeichen oder Domain-Namen, die ein anderer im Inland benutzt, ohne dafür einen formalen Zeichenschutz erlangt zu haben, kann eine gezielte Behinderung sein.
213
(1) Domain-grabbing. Die Fälle des sog domain-grabbings, in denen die Registrierung also allein erfolgt, um sich die Domain abkaufen oder lizenzieren zu lassen, werden indes vorrangig über Rechte aus formalem Zeichenschutz, insbesondere das Namensrecht aus § 12 BGB und das Kennzeichenrecht, aber auch Ansprüche aus § 826 BGB gelöst. Die Registrierung kann aber auch eine gezielte Behinderung sein, wenn sie in dem Bewusstsein erfolgt, dass die Bezeichnung als Marke oder geschäftliche Kennzeichnung für einen Dritten geschützt ist oder womöglich geschützt werden wird 510 und mit dem Ziel vorgenommen wird, einen Kaufpreis oder eine Lizenzgebühr erlangen zu können 511.
214
(2) Sonstige Domain-Reservierung. Grds ist die Reservierung einer Domain indes auch dann nicht zu beanstanden, wenn es sich um eine beschreibende Angabe handelt („generische Domain“), an der auch der Mitbewerber Interesse haben könnte 512. Denn solche beschreibenden Angaben oder Gattungsbezeichnungen genießen eben keinen 505 506
507 508
509 510
BGH NJW 2007, 153 – impuls. OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 193 – Advanced Microwave Systems, s dazu auch nachfolgend Rn 213 ff. Vgl oben Rn 188. OLG Braunschweig GRUR-RR 2007, 71 – weitgehend passende Keywords; LG Köln GRUR-RR 2007, 204 L – FunFactory, aA OLG Düsseldorf GRUR-RR 2007, 204 – Beta Layout. Zu den Einzelheiten auch Ullmann GRUR 2007, 633 ff. Vgl OLG Frankfurt MMR 2000, 424 – weideglueck.de; LG Düsseldorf MMR 2002, 126 – literaturen; beachte aber BGH MMR 2005, 534 – Weltonline, wonach „Welton-
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511
512
line“ als Gattungsbezeichnung anzusehen sein soll. Zum Domain-grabbing auch (nach der neueren Rechtsprechung des BGH zT sehr zweifelhaft) OLG München NJW-RR 1998, 984 – freundin; OLG München GRUR 2000, 518 ff – buecherde.com; OLG Karlsruhe MMR 1999, 171 – zwilling.de; OLG Dresden NJWE-WettbR 1999, 133, 135 – cyberspace.de; OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 547 – alcon.de; LG München I MMR 2006, 823 – feuerwehr-fehrbellin.de. BGHZ 148, 1, 5 ff – Mitwohnzentrale.de; OLG Köln GRUR-RR 2006, 19 – schlüsselbänder.de.
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Materielles Wettbewerbsrecht
Sonderrechtsschutz 513. Allerdings kann die Verwendung eines Gattungsbegriffs für die Präsentation eines Unternehmens unter dem Gesichtspunkt einer irreführenden Alleinstellungsbehauptung wettbewerbswidrig sein 514. Überdies kann im Einzelfall eine gezielte Behinderung vorliegen, wenn ein Dritter in Kenntnis eines schutzwürdigen Besitzstandes des Vorbenutzers ohne zureichenden sachlichen Grund für gleiche oder gleichartige Waren die gleiche oder eine zum Verwechseln ähnliche Bezeichnung als Kennzeichen eintragen lässt, gerade um den Besitzstand des Vorbenutzers zu stören oder diesen vom Gebrauch des Kennzeichens respektive der Domain auszuschließen 515. Ein Marketingunternehmen hatte im Vorgriff auf einen Auftrag für den erhofften 215 Kunden eine Internetdomain in eigenem Namen registrieren lassen. Der Name war vom Kunden konzipiert worden. Die Zusammenarbeit kam dann allerdings nicht zustande, weil man sich auf Kundenseite entschloss, das Internet-Projekt selbst zu betreuen. Das Marketingunternehmen hatte schon mit dem Aufbau einer Web-Site unter der Domain begonnen, die dem Konzept des Kunden entsprach und sich mehrere passende TopLevel-Domains registrieren lassen. Der BGH hat den Rechtsstreit an die Vorinstanz mit dem Bemerken zurückverwiesen, dass eine gezielte Behinderung vorliegen könne 516. ee) Allgemeine Marktbehinderung/-störung durch Vertriebsbehinderung. Das eigen- 216 tümliche Nebeneinander von Leser- und Anzeigenmarkt hat Besonderheiten bei den Vertriebsmethoden von Presseerzeugnissen hervorgebracht, die recht häufig Kern wettbewerbsrechtlicher Auseinandersetzungen waren: Für den Anzeigenmarkt ist der Verkaufspreis unerheblich, dagegen eine möglichst hohe Auflage und eine Erweiterung des Kundenkreises entscheidend. Angesichts von Fällen, in denen Tageszeitungen mit ausführlichem redaktionellen Teil ständig 517 kostenlos abgegeben wurden, beklagten Verlage, deren Finanzierung nicht so deutlich auf den Anzeigenmarkt ausgerichtet war, Schieflagen, die sie sogar als existenzbedrohend bezeichneten. Ein Kampfpreiswettbewerb einzelner Verlage, die in gezielter Verdrängungsabsicht tätig werden, kann als gezielte Behinderung wettbewerbsrechtlich relevant sein 518. Aber auch ein – allgemeines – Einwirken auf die Marktstrukturen durch das Verschenken von Ware kann als Marktbehinderung oder Marktstörung unlauter iSd § 3 UWG sein. Leitend ist dabei der Gedanke, dass der Wettbewerbsbestand gefährdet wird, wenn die unternehmerische Leistung nicht mehr vergütet wird 519. Dieser Aspekt ist beim Vertrieb von Presseerzeugnissen auch im Licht der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit zu würdigen. „Gratisblättchen“, bei denen der redaktionelle Teil deutlich in den Hintergrund tritt, werden daher nicht beanstandet. Der BGH hat allerdings einen Gratisvertrieb unter der Voraussetzung für unzulässig 217 erklärt, dass der redaktionelle Teil des Anzeigenblattes geeignet ist, für einen nicht unerheblichen Teil des Publikums eine Tageszeitung zu ersetzen, und wenn daher die ernstliche Gefahr besteht, dass deshalb die Tagespresse als Institution in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Bestand bedroht wird520. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 513
514 515 516 517
BVerfG GRUR 2005, 261 – ad-acta.de; vgl auch LG Köln GRUR-RR 2006, 292, 293 – bahnhöfe.de. BGH GRUR 2001, 1061, 1064 – Mitwohnzentrale.de. BGH GRUR 2005, 517 – Literaturhaus. BGH GRUR 2005, 517 – Literaturhaus. Bei einer bloß vorübergehenden Gratisabgabe kommt eine Unlauterkeit nach § 4 Nr 2 UWG wegen „übertriebenen
518 519
520
Anlockens“ in Betracht, vgl BGH GRUR 1996, 778 – Stumme Verkäufer. BGH GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf. Vgl BGHZ 114, 82, 84 – Motorboot-Fachzeitschrift (kostenlose Kleinanzeigen); BGH GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-Meldung. BGH GRUR 1956, 223 – Wochenbericht; vgl auch BGH GRUR 1969, 287– Stuttgarter Wochenblatt; BGH GRUR 1985, 881, 882 – Bliestal-Spiegel.
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hat der BGH dann allerdings die Auffassung der dortigen Vorinstanzen bestätigt, dass die kostenlose Abgabe einer Tageszeitung, deren Inhalt zu etwa zwei Dritteln aus redaktionellen Beiträgen besteht, nicht unlauter sei. Auch wenn diese Zeitung grds dazu geeignet sei, Tageszeitungen zu verdrängen, könne deren Vertrieb nicht wegen einer allgemeinen Marktstörung verboten werden. Denn im Geschäftsleben habe niemand Anspruch auf eine unveränderte Erhaltung seines Kundenstamms. Und das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität verbiete es, die allein anzeigenfinanzierte Zeitung weniger vor Marktstörungen zu schützen als die Kauf- oder Abonnementzeitung 521. Erst wenn der Bestand eines Blattes, das sich redaktionell und vor allem mit allgemein interessierenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegenständen befasst und dabei informierend und kommentierend an der Bildung der öffentlichen Meinung mitwirkt, durch ein Produkt gefährdet wird, das diese Funktion nicht wahrnehmen kann, komme ein Rückgriff auf Art 5 GG in Betracht. Es könne auch nicht auf die Gefahr der Beeinflussung der redaktionellen Teile durch die Werbetreibenden ankommen 522. Wenngleich das Abstellen auf verfassungsrechtliche Neutralitätsgebote einerseits und die Differenzierung nach „meinungsbildenden Tageszeitungen“ und deren Ersetzung durch ebensolche Zeitungen anderseits nicht konsequent erscheint, fügt sich diese Auffassung doch friktionsloser in das Medienumfeld, in dem redaktionelle Beiträge über das Internet mannigfach kostenlos zu erhalten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs nicht angenommen, weil sich der Verfahrensgegenstand dadurch erledigt hatte, dass der kostenlose Vertrieb des Blattes eingestellt worden war 523.
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k) Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch – § 4 Nr 11 UWG. Gem § 4 Nr 11 UWG handelt unlauter, wer
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„einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“
220
aa) Allgemeines. Gesetzliche Reglementierungen und überbordende Bürokratie hemmen die freie Entfaltung im Wettbewerb. Setzt sich ein Mitbewerber über solche Hindernisse hinweg, verschafft er sich einen Zeit- bzw Kostenvorteil, der nicht selten über geringere Angebotspreise zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung führt. Diesen Vorsprung durch Rechtsbruch mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts einzuholen, liegt nicht fern. Andererseits entstammen die verletzten Vorschriften in der Regel einem Rechtskreis, der mit dem Wettbewerbsrecht und mitunter auch mit dem Wettbewerb primär nichts zu tun hat. Die damit aufgeworfene Frage, ob auch ein Verstoß gegen eine außerhalb des UWG liegende Vorschrift die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung begründen kann, beantwortet § 4 Nr 11 UWG 524. Die Norm nimmt mit der Formulierung, dass derjenige iSv § 3 UWG unlauter handelt, „der einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“, die jüngere Rechtsprechung des BGH 525 auf.
221
bb) Marktverhaltensregelungen. Danach kann nicht jeder Rechtsbruch Anknüpfungspunkt für Ansprüche aus dem UWG sein. Ein Mitbewerber versuchte den Vertrieb von Waren eines Produzenten untersagen zu 222 lassen, weil dieser unter Verletzung von Umweltvorschriften produzierte und sich da521 522
BGH GRUR 2004, 602, 603 – 20 Minuten Köln. Vgl insoweit auch die Parallele zum Rundfunkrecht, BGH GRUR 2004, 602 – 20 Minuten Köln.
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BVerfG BeckRS 2007, 25009. Vgl dazu auch oben Rn 10 f. BGHZ 144, 255 – Abgasemissionen.
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durch einen deutlichen Kostenvorsprung verschaffte, der letztlich auch auf die Preise durchschlug. Der BGH lehnte solche Ansprüche unter dem Gesichtspunkt ab, dass das UWG das Verhalten gerade im Wettbewerb regeln solle, die Abgasemissionen aber das Vorfeld des Wettbewerbshandelns beträfen 526. Voraussetzung ist, dass eine gesetzliche Vorschrift 527 verletzt wurde, die eine sog 223 Marktverhaltensregelung ist. Dies bedeutet, dass die Vorschrift zumindest auch (was ausreicht) dazu bestimmt sein muss, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Da die hinter gesetzlichen Vorschriften stehenden Zwecke unterschiedlich sind, bedarf es hier für jede Norm einer gesonderten Bewertung. Maßstab ist, ob die Vorschrift eine Tätigkeit betrifft, die – sei es auch nur mittelbar – der Förderung des Absatzes oder Bezuges von Waren oder Dienstleistungen dient. Hilfreicher ist häufig eine negative Abgrenzung nach der Frage, ob die Vorschrift lediglich dem Schutz von Gemeinschaftsgütern oder allein Interessen Dritter dient. In Zweifelsfällen ist der Argumentationsspielraum jedoch weit und die Einordnung daher schwierig. In der Rechtsprechung entwickelt sich indes eine Kasuistik durch Einzelfallentscheidungen, an der sich die Praxis orientiert 528. Auszuscheiden sind danach solche Regelungen, die für sich betrachtet keinerlei 224 Marktbezug haben, sondern das Vorfeld des Marktes betreffen und allenfalls dadurch Reflexwirkungen auslösen, dass sich ein Mitbewerber einen Vorteil verschafft. Dazu gehören Produktionsvorschriften, wie sie etwa in der skizzierten „Abgasemissionen“Entscheidung Gegenstand waren, Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer und ebenso Steuervorschriften. Auch die Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums, namentlich Normen des Urheberrechtsgesetzes, des Patentgesetzes, des Markengesetzes und des Geschmacks- und Gebrauchsmusterrechts, sind diesem Bereich zuzurechnen. Denn sie dienen nicht der Wahrung der Chancengleichheit im Wettbewerb und beinhalten im Übrigen ein weitgehend geschlossenes Sanktionensystem 529. Aus letzterem Grund hat der BGH auch die lauterkeitsrechtliche Bewertung eines unter das Kartellrecht fallenden Sachverhalt abgelehnt 530. Keinen Marktbezug haben etwa auch Bestimmungen, die bei der Benutzung von Sachen zu Wettbewerbszwecken zu Anwendung kommen könnten, wie das Straßen- und Wegerecht 531 sowie die Bestimmungen zum Schutz von Eigentumsrespektive Besitzrechten aus § 903 BGB oder §§ 857 ff BGB. Fehlt einer Vorschrift der Marktbezug zwar nicht gänzlich, regelt sie allerdings nicht 225 das Verhalten auf dem Markt, sondern ausschließlich den Zutritt zu diesem, unterfällt sie ebenfalls nicht § 4 Nr 11 UWG. Das gilt allerdings nur dann, wenn der Marktzutritt aus Gründen verschlossen wird, die mit dem Marktverhalten nichts zu tun haben. Zu solchen Marktzutrittsregelungen zählen etwa zivilrechtliche Wettbewerbsverbote, öffent-
526 527
528
BGHZ 144, 255 – Abgasemissionen. Zum Begriff der „gesetzlichen Vorschrift“ als jede Rechtnorm, die in Deutschland gilt: Art 2 EGBGB, vgl auch BGH GRUR 2005, 960, 961 – Friedhofsruhe; nicht zu den gesetzlichen Vorschriften in diesem Sinn gehören Richtlinien und Empfehlungen wie die Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft oder die Empfehlungen zur Werbung mit Untersuchungsergebnissen der Stiftung Warentest uä. Vgl dazu etwa die Übersicht bei Hefermehl/
529
530 531
Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 UWG Rn 11.59 ff. Vgl dazu BGH GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive (Verletzung des Urheberrechts eines Verlages); Köhler GRUR 2007, 548 Rn 43; dazu auch bereits Rn 14. BGH GRUR 2006, 783 Rn 13 ff – Probeabonnement. OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2004, 56 – Werbetafelanhänger (Sondernutzungserlaubnis).
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lich-rechtliche Vorschriften über die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand oder die gewerbliche Betätigung in bestimmten Branchen 532. Anders sieht es dagegen mit solchen Bestimmungen aus, die zwar auch den Marktzutritt regeln, zugleich aber auch das Verhalten auf dem Markt. Dies trifft etwa auf Bestimmungen über öffentlichrechtliche Erlaubnisse, wie sie für die Ausübung von bestimmten Berufen, Handwerke und sonstige Gewerbe erforderlich sind, zu. Für den Einzelfall sind zunächst Entscheidungen aus der Rechtsprechung heranzu226 ziehen, die mit zunehmender Dichte auch eine ergiebigere und aufschlussreichere Quelle bietet. Aus Systematisierungsgründen wird dabei in der Regel zwischen berufs-533, produkt-534, absatz-535 und geschäftsbezogenen 536 Bestimmungen unterschieden 537, ohne dass diese Bezeichnungen für die Abgrenzung greifbare Kriterien an die Hand gäben. Als Marktverhaltensregelungen, bei deren Verletzung eine Inanspruchnahme aus dem 227 UWG droht, können auch Vorschriften eingestuft werden, die für die Medien als branchenspezifisch anzusehen sind. Dabei ist zu bedenken, dass Verantwortliche der Medienunternehmen für Maßnahmen zur Förderung des eigenen Wettbewerbs, grds aber auch für Wettbewerbsmaßnahmen zur Verantwortung gezogen werden können, die sie „lediglich“ für Dritte über das Medium verbreiten. Auch Anzeigen und Werbespots müssen daher vor ihrer Publizierung auf Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen überprüft werden. Freilich kommen auch in dieser Hinsicht die nach der Rechtsprechung bestehenden Einschränkungen der Prüfungspflicht zur Anwendung 538. Werbung, die Dritte über ein Medienunternehmen transportieren, muss demnach nur auf grobe, vom Verleger oder Redakteur unschwer zu erkennende Verstöße überprüft werden. Diese von Verfassungs wegen (Art 5 Abs 1 GG) gebotene Einschränkung beruht auf der Erwägung, dass Medienunternehmen weder fachlich noch zeitlich in der Lage sind, Werbemaßnahmen auf wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit zu überprüfen. Ein Verlagsunternehmen veröffentlichte in einem von ihm herausgegebenen regiona228 len Telefonbuch entgeltliche Einträge von Rechtsanwälten, in denen die inserierenden Kanzleien auf bestimmte Rechtsgebiete, teils ohne erläuternden Zusatz, teils mit den Zusätzen „IS“, „TS“ und „Schwerpunkt“, hinwiesen. Dies war nach dem Wortlaut der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht zulässig. Die Klage der Rechtsanwaltskammer gegen den Verlag auf Unterlassung der Veröffentlichung der Einträge wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Frage der Wettbewerbswidrigkeit von der Beklagten im Rahmen der sie treffenden eingeschränkten Prüfungspflicht zumutbarerweise nicht zuverlässig beantwortet werden könne 539. 532
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Zu denken ist etwa an baurechtliche Vorschriften, die im Interesse des Mitbewerberschutzes eine gewerbliche Tätigkeit verbieten. Insbesondere einzelne berufsrechtlichen Bestimmungen für Ärzte, Zahnärzte, Anwälte und Notare (in den Berufsordnungen), Apotheker, Heilpraktiker und Handwerker, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie Notare. Insbesondere die Werbeverbote des Heilmittelwerberechts (HWG), das Lebensmittelund Futtermittelgesetz (LFGB), Vermarktungsbeschränkungen nach dem AMG usw. Insbesondere Preis- und Preisangabenvorschriften; Rabattvorschriften; Sonn- und
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Feiertags- sowie Ladenschlussregelungen, Informationspflichten. Hierhin gehören auch die Regelungen des Buchpreisbindungsgesetzes, wobei § 9 Buchpreisbindungsgesetz ohnehin entsprechende Rechtsfolgen vorsieht. Insbesondere Informationspflichten nach § 312c Abs 1 S 1 BGB; BGB-InfoV § 1 Abs 1; MDStV § 10 Abs 2; TDG § 6, Belehrung über Widerrufsrechte iSd § 355 BGB. Vgl etwa Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 UWG Rn 11.2. S dazu nachfolgend Rn 331. OLG Frankfurt aM NJW 2005, 157 – Berufsrechtswidrige Telefonbucheinträge.
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Auch bei einer gegen das Heilmittelwerberecht verstoßenden Werbung für Schlank- 229 heitskapseln, lehnte die Rechtsprechung im Ergebnis eine Haftung des Pressunternehmens allein deshalb ab, weil die Pressehaftung auf grobe und eindeutige, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße beschränkt ist 540. Entsteht nach der Art der Darstellung der Eindruck, die Werbung erfolge in eigenem Namen, kommt es allerdings auf diese Kriterien nicht an. So wird etwa die Haftung von Sendern von „teleshopping“ häufig zu bejahen sein. Im Einzellfall ist danach abzugrenzen, ob eine Vorschrift, die das Verhalten auf dem 230 Markt regelt, ausschließlich allgemeinen Interessen, beispielweise dem Schutz der Rundfunkfreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 GG) oder aber zumindest auch dem Schutz von Mitbewerbern und Verbrauchern dient. Letzteres kommt insbesondere in Betracht für die den Staatsverträgen angelegten Mechanismen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen 541 sowie vor Verstößen gegen die Menschenwürde 542. Auch Marktverhaltensregelungen sind die in den Rundfunkstaatsverträgen enthaltenen Bestimmungen über die Werbung im Programm 543. Diese dienen zwar auch dem Schutz der Rundfunkfreiheit in Bezug auf Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms unter publizistischen Kriterien, sorgen aber zugleich auch für gleiche Wettbewerbsbedingungen und schützen den Verbraucher vor bestimmten Formen von Werbung. Für den Leser- wie für den Anzeigenmarkt sind weiter von Bedeutung die Restriktio- 231 nen der Berufsordnungen, insbesondere betreffend die Darstellung und Werbung von Ärzten und Kliniken sowie Rechtsanwälten und Notaren, das Heilmittelwerberecht 544, mitunter die Regeln für Werbung im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB 545) und das Verbot der Rechtsberatung in Fernseh- oder Rundfunksendungen (Art 1 § 1 RBerG) 546. Weiter ist auf die Vorschriften über die Anbieterkennzeichnung im Internet (vgl § 5 TMG; § 312c Abs 1 BGB iVm § 1 Abs 1 BGB-InfoV) 547 hinzuweisen. Die betreffenden Informationen müssen „leicht erkennbar“ und „unmittelbar erreichbar“ sein bzw „klar und verständlich“ zur Verfügung gestellt werden. Medienrechtlich von Interesse ist weiter, dass demgegenüber die Impressumpflicht nach den Landespressegesetzen keine Marktverhaltensregelung sein soll 548. cc) Zuwiderhandlung. Für eine Zuwiderhandlung genügt nach der Rechtsprechung 232 des BGH 549 ein objektiv rechtswidriges Verhalten im Sinn der verletzten Vorschrift. Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Auch ein Rechtsirrtum etwa aufgrund einer falschen Rechtsberatung kann daher dem Unterlassungsanspruch nicht entgegenstehen. Das Verschuldenserfordernis hat allerdings für den Schadensersatzanspruch Bedeutung 550. 540 541 542 543
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Vgl BGH GRUR 2006, 429 – SchlankKapseln. Insb §§ 4 – 6 JMStV. Im Einzelnen ist zu verweisen auf Teil 7 Kap 2. § 4 JMStV und vormals § 12 MDStV, BGH GRUR 1990, 611 – Werbung im Programm; BGH NJW-RR 1992, 1131 – Ereignis-Sponsorwerbung; s dazu auch oben zu § 4 Nr 3 UWG Rn 116. S dazu Teil 3 Kap 4. Dazu auch die Verordnung EG Nr 1924/2006, „Health Claims“. BGH GRUR 2002, 987, 992 – Wir Schuldenmacher; BGH GRUR 2002, 996 – Bürgeranwalt. Danach sind Sendungen oder
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auch Chatrooms, in denen allgemeine Auskünfte rechtlicher Art erteilt und nicht individuelle Probleme gelöst werden, unbedenklich; zum Wettbewerbsbezug des RBerG vgl auch BGH GRUR 2007, 978 Rn 19 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. BGH GRUR 2007, 159 Rn 15 – Anbieterkennzeichnung im Internet; OLG Oldenburg GRUR-RR 2007, 54, 55 – Anbieterangaben. BGH GRUR 1989, 830, 832 – Impressumpflicht; OLG Düsseldorf GRUR 1987, 297, 299; Piper/Ohly/Piper § 4 UWG Rn 11/303. BGH GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest. Dazu nachfolgend Rn 335.
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3. Teil
dd) Sonstige Voraussetzungen und Ausschluss der Anwendung. Nicht jeder Verstoß gegen Marktverhaltensregelungen kann jedoch über §§ 3, 4 Nr 11 UWG sanktioniert werden. Wegen der Verweisung auf § 3 UWG müssen auch dessen tatbestandliche Voraussetzungen, also das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung und die Eignung zur nicht unerheblichen Verfälschung des Wettbewerbs zum Nachteil der Marktbeteiligten vorliegen. Ein Verstoß gegen eine verfassungswidrige oder gemeinschaftsrechtswidrige Marktverhaltensregelung ist nicht dazu geeignet, einen Wettbewerbsverstoß gem §§ 3, 4 Nr 11 UWG zu begründen551. Die Annahme einer Wettbewerbswidrigkeit aus anderen Gründen wird hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen552. 3. Irreführungsverbot – § 5 UWG
234
a) Allgemeines. Gem § 5 Abs 1 UWG handelt unlauter, wer irreführend wirbt. Dieser recht kurz gehaltene Beispieltatbestand – auch diese Norm verweist auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel des § 3 UWG – wird in § 5 Abs 2 und 3 UWG weiter konkretisiert. § 5 Abs 2 UWG stellt klar, dass bei der Beurteilung, ob eine Werbung irreführend ist, auf alle ihre Bestandteile abzustellen ist, insbesondere auf die in ihr enthaltenen Angaben über die beworbenen Waren oder Dienstleistungen (§ 5 Abs 2 S 1 Nr 1 UWG), über den Verkaufsanlass, den Preis bzw dessen Berechnung und die Bedingungen, unter denen die Waren geliefert oder die Dienstleistungen erbracht werden (§ 5 Abs 2 S 1 Nr 2 UWG) und schließlich auch auf diejenigen über die geschäftlichen Verhältnisse des Werbenden (§ 5 Abs 2 S 1 Nr 3 UWG). § 5 Abs 2 S 2 UWG stellt klar, dass bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache als irreführend anzusehen ist, die Bedeutung der Tatsache für die Entscheidung zum Vertragsschluss nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen ist. § 5 Abs 3 UWG stellt schließlich klar, dass unter den Begriff der „Angabe“ iSd § 5 Abs 2 UWG auch Angaben im Rahmen vergleichender Werbung und bildliche Darstellungen sowie weitere Ausdrucksformen fallen. § 5 Abs 4 UWG enthält schließlich eine widerlegbare Vermutungsregel, wonach Kraft gesetzlicher Anordnung vermutet wird, dass es irreführend ist, mit einer Preisherabsetzung zu werben, wenn der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist. Zugleich enthält diese Vorschrift eine Beweislastumkehr zu Lasten des mit einer Preisherabsetzung Werbenden. Dieser muss gegebenenfalls beweisen, dass und in welchem Zeitraum der (ursprüngliche) Preis gefordert wurde. § 5 Abs 5 UWG regelt schließlich einen Sonderfall der Irreführung über die Bevorratung mit der beworbenen Ware. Das Gemeinschaftsrecht enthält vor allem in der Irreführungs-Richtlinie 553 und in 235 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 554 zwingende Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber. Die Vorgaben der ersten Richtlinie sind bereits im Gesetzgebungsverfahren des geltenden UWG berücksichtigt worden 555. Letztere Richtlinie wäre vom Gesetzgeber eigentlich bis zum 12.12.2007 umzusetzen. Da sich jedoch während des Gesetzgebungsverfahrens des aktuellen UWG auch der Inhalt der letzteren Richtlinie weitgehend abgezeichnet und insofern bereits ebenfalls teilweise Berücksichtigung gefunden hat, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Umsetzungsbedarf verhältnismäßig gering ist 556. Das Bundesministerium der Justiz hat bereits einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des UWG vorgelegt 557. 551 552 553 554 555
BGH GRUR 2008, 438 Rn 22 – ODDSET. BGH GRUR 2008, 438 Rn 22 – ODDSET. S Fn 22. S Fn 61. Vgl etwa BT-Drucks 15/1487, 19.
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Zum Umsetzungsbedarf Köhler GRUR 2005, 793 ff; Köhler GRUR 2007, 548 ff; Alexander GRUR Int 2005, 809 ff. S Fn 62.
Mirko Möller
§2
Materielles Wettbewerbsrecht
b) Werbung. Problematisch ist die Funktion des Tatbestandsmerkmals „wirbt“. Das 236 UWG enthält in § 2 Abs 1 Nr 1 UWG nur eine Legaldefinition des Begriffs der Wettbewerbshandlung, nicht aber desjenigen der Werbung 558. Es ist jedoch bereits gezeigt worden, dass sich der Begriff der Wettbewerbshandlung eng an denjenigen der Werbung anlehnt, wie er in Art 2 Nr 1 der Irreführungs-Richtlinie verwendet wird, jedoch insofern über diesen hinausgeht, als er sich nicht nur den Absatz-, sondern darüberhinaus auch auf den Nachfragewettbewerb bezieht 559. Anders als etwa im Hinblick auf den Begriff der Werbung in § 7 Abs 2 UWG besteht jedoch im Zusammenhang mit § 5 Abs 1 UWG weitgehend Einigkeit darüber, dass die durch eine Übernahme des Werbebegriffs aus der Irreführungs-Richtlinie bewirkte Beschränkung auf Handlungen im Absatzwettbewerb nicht dem gesetzgeberischen Ziel des möglichst umfassenden Schutzes der Marktteilnehmer vor Täuschung entspricht. Es wird daher allgemein die Auffassung vertreten, der Begriff der Werbung iSd § 5 Abs 1 UWG erstrecke sich auch auf Handlungen im Nachfragewettbewerb 560. Nach dem zur Zeit vorliegenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 561 ist ohnehin vorgesehen, dass der Begriff der Werbung bzw das Tatbestandsmerkmal „wirbt“ in § 5 Abs 1 UWG durch den Begriff der Wettbewerbshandlung ersetzt werden soll. Unlauter handelt nach der demnach vorgesehenen Fassung des § 5 Abs 1 UWG, „wer eine irreführende Wettbewerbshandlung vornimmt“. c) Maßstab für die Beurteilung der Irreführung. Ob eine bestimmte Werbeaussage 237 irreführend ist, ist nicht immer eindeutig zu beurteilen. Abstrakt formuliert, ist eine Angabe dann irreführend, wenn sie dazu geeignet ist, bei den Adressaten eine Vorstellung zu erzeugen, die mit den wirklichen Verhältnissen nicht im Einklang steht 562. Die jeweilige Reichweite des Irreführungsverbotes hängt damit maßgeblich von der bei der Interpretation zugrundegelegten Vorstellung der Fähigkeiten und Eigenschaften der Adressaten ab. Soweit sich eine Werbung an die Allgemeinheit richtet, kommt somit dem zugrundegelegten Verbraucherleitbild entscheidende Bedeutung zu. Während die frühere Rechtsprechung von dem Leitbild eines flüchtigen bzw unkritischen Verbrauchers ausging 563, hat der Gesetzgeber mit dem aktuellen UWG das in der Rechtsprechung nach europäischen Vorbild entwickelte Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der das Werbeverhalten mit einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verfolgt, übernommen 564. Nach dem vorliegenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 565 soll der unter sprachästhetischen Gesichtspunkten sicherlich fragwürdige Begriff des „Durchschnittsverbrauchers“ sogar in den Gesetzeswortlaut der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel aufgenommen werden. Richtet sich eine Werbung nur an bestimmte Adressaten, so kommt es für die Beurteilung der Irreführung auf ein durchschnittliches Mitglied der Gruppe von 558
559 560
Seitens des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wurde vorgeschlagen, den Definitionenkatalog des § 2 UWG im Zuge der Umsetzung der Richtlinie durch eine entsprechende Definition zu ergänzen, vgl S 2 der Stellungnahme des DIHK vom 19.9.2007, abrufbar unter www. dihk.de/inhalt/themen/rechtundfairplay/ stellungnahmen/UWG.pdf. Vgl oben Rn 41 f. OLG Düsseldorf MMR 2006, 171, 172; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.17.
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Vgl oben Fn 62. Vgl BGH GRUR 2005, 442 – Direkt ab Werk; BGH GRUR 2007, 161 Rn 9 – dentalästhetika II; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Bornkamm § 5 UWG Rn 2.66. Vgl etwa BGH GRUR 1982, 564, 566 – Elsässer Nudeln; BGH GRUR 1984, 741, 742 – patented; BGH GRUR 1990, 604, 605 – Dr. S. – Arzneimittel; BGH GRUR 1992, 450, 452 f – Beitragsrechnung. BT-Drucks 15/1487, 19. S Fn 62.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
Adressaten an 566. Nach dem vorstehenden Referentenentwurf soll auch dies zukünftig unmittelbar bereits dem ausdrücklichen Wortlaut der Generalklausel entnommen werden können 567. Was die situationsbedingt zu erwartende Aufmerksamkeit betrifft, so sind zahlreiche 238 Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Vor allem geht es darum, wann und bei welcher Gelegenheit dem Adressaten die Werbung begegnet. Hier kann es nicht nur auf die Art der beworbenen Ware oder Dienstleistung 568, sondern vor allem auch auf das jeweilige Werbemedium ankommen 569. Während sich der Leser einer Zeitung durchaus auch intensiver mit einer Werbeanzeige befassen kann, ist der Hörer eines Radio-Werbespots darauf beschränkt, während des Sendens möglichst alle maßgeblichen Informationen aufzunehmen. Aber auch innerhalb eines Mediums kann eine weitere Differenzierung geboten sein. Im Zusammenhang mit Internet-Werbung kann es bspw so sein, dass deshalb von einem erhöhten Grad an Aufmerksamkeit auszugehen ist, weil der interessierte Nutzer die Information selbst nachfragen muss 570, andererseits fehlt es an den Voraussetzungen dieser Prämisse, wenn die Werbung dem Benutzer in Form einer durch Zufall ausgewählten animierten GIF-Datei oder einer Laufschrift entgegentritt. Letztere Werbeformen gleichen eher der Fernseh-Werbung, bei welcher normalerweise von einer geringen Aufmerksamkeit auszugehen ist 571. Aus dieser medienbezogenen Besonderheit darf allerdings keinesfalls der Schluss gezogen werden, der Verbraucher erwarte angesichts des herabgesetzten Aufmerksamkeitsgrades im Rahmen der Fernsehwerbung noch keine vollständige Darstellung des beworbenen Angebots 572. Bei komplexen Werbeaussagen stellt sich häufig die Frage, inwiefern die einzelnen in 239 ihr enthaltenen Aussagen für die Beurteilung der Irreführung einer isolierten Betrachtung zu unterziehen sind. Nach der in der Rechtsprechung vertretenen zutreffenden Auffas566
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BGH GRUR 2007, 605, 606 – Umsatzzuwachs; BGH GRUR 2005, 877, 879 – Werbung mit Testergebnis; BGH GRUR 2005, 877, 879 – Werbung mit Testergebnis; BGH GRUR 2005, 438, 440 – Epson-Tinte; LG Dresden GRUR-RR 2007, 25, 26 – EU-GmbH; OLG Köln BeckRS 2007, 18457 – Transparenz bei Preisnachlässen; Köhler GRUR-RR 2006, 305, 308; Köhler GRURRR 2007, 129, 134. Dem bisherigen Wortlaut des § 3 UWG soll nach dem Entwurf folgende Formulierung angefügt werden: „Unlautere Wettbewerbshandlungen zum Nachteil von Verbrauchern beeinträchtigen den Wettbewerb nicht nur unerheblich, wenn sie geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen; sind Wettbewerbshandlungen an bestimmte Gruppen von Verbrauchern gerichtet oder ist die Beeinflussung einer besonders schutzbedürftigen, eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern vorhersehbar, kommt es auf die Eignung zur Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe an.“
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Vgl OLG Hamburg NJOZ 2007, 77, 83 f – STRATO-Server; BGH GRUR 2007, 807 Rn 11 – Fachanwälte. Vgl BGH GRUR 2005, 438, 440 – EpsonTinte; OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 128, 129 – Aufmerksamkeit bei Rundfunkwerbung; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 20, 21 – Ratenkredit; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 85, 88 – Homezone im O2-Netz; Köhler GRUR-RR 2006, 73. Vgl BGH GRUR 2005, 438, 440 – EpsonTinte; BVerfG GRUR 2003, 966, 968 aE – Internetwerbung von Zahnärzten; zurückhaltender LG Dresden GRUR-RR 2007, 25 – EU-GmbH. OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2005, 128, 129 – Aufmerksamkeit bei Rundfunkwerbung; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 85, 88 – Homezone im O2-Netz; OLG Hamburg BeckRS 2005, 30350870 – Die gründlichste Rasur I; OLG Hamburg BeckRS 2003, 30336127. So aber wohl OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 214, 216 – Time & More.
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
sung hängt die Beantwortung dieser Frage davon ab, ob die einzelne Aussage aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles auch unabhängig von den übrigen Aussagen wahrgenommen wird oder ob die einzelnen Aussagen in einer geschlossenen Darstellung stehen und von den Adressaten auch als solche wahrgenommen werden 573. Hierbei kann wiederum dem eingesetzten Werbemedium maßgebliche Bedeutung zukommen. So kann man etwa im Rahmen einer Internet-Werbung je nach Gestaltung der Werbung davon ausgehen, dass der Betrachter auch naheliegenden erkennbaren Links auf spezielle Produktseiten nachgehen wird 574. Andererseits rechtfertigt dies keinesfalls die Annahme, der Betrachter werde alle zur Verfügung stehenden Seiten des entsprechenden InternetAuftritts darauf untersuchen, ob diese für ihn bedeutsame Informationen enthalten 575. Der Werbende kann sich also nicht stets darauf berufen, die eine Irreführung ausräumenden Informationen seien irgendwo innerhalb seines Internet-Auftritts abrufbar gewesen. In dieselbe Richtung geht die Frage, inwiefern durch zusätzliche Hinweise („Stern- 240 chen-Hinweise“) die Möglichkeit einer Irreführung durch blickfangmäßig herausgestellte Werbeaussagen ausgeräumt werden kann. In Ermangelung eines allgemeinen Transparenzgebotes 576 stellt sich die Frage der Relevanz derartiger Hinweise allerdings nur dann, wenn die im Blickfang stehende Aussage für sich betrachtet als irreführend iSd § 5 UWG zu bewerten wäre. Anderenfalls steht es jedermann frei, Einzelheiten des eigenen Angebots auch in Fußnoten der eigenen Werbung zu kommunizieren, wobei freilich auch solche Aussagen nicht ihrerseits irreführend sein dürfen. Begründet die im Blickfang stehende Aussage jedoch eine Irreführungsgefahr, so ist zu differenzieren: Beruht die Irreführungsgefahr darauf, dass die im Blickfang stehende Aussage objektiv falsch ist („dreiste Lüge“), so kann diese regelmäßig auch nicht durch zusätzliche Hinweise ausgeräumt werden 577. Beruht die Irreführungsgefahr hingegen darauf, dass die im Blickfang stehende Aussage unvollständig ist, so kann diese bei geeigneter Gestaltung auch durch zusätzliche, nicht am Blickfang teilhabende, Hinweise ausgeräumt werden. Hierbei ist es jedoch erforderlich, dass auch diese zusätzlichen Hinweise lesbar sind und bereits aus dem Blickfang – bspw durch ein in gleicher Größe gedrucktes „Sternchen“ – deutlich wird, dass die Aussage unter einem gewissen Vorbehalt steht und daher Anlass dazu besteht, sich näher mit der Werbung zu befassen 578. Die im Erläuterungstext enthaltene Ergänzung bzw Konkretisierung muss der blickfangmäßig herausgestellten Aussage eindeutig zugeordent sein 579. Angesichts der Vielzahl denkbarer Gestaltungsmöglichkeiten 573
574
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BGH GRUR 2005, 438, 440 f – EpsonTinte; BGH GRUR 2005, 690, 692 – Internet-Versandhandel; BGH GRUR 2007, 251 Rn 32 – Regenwaldprojekt II; OLG Köln GRUR-RR 2007, 243, 244 – dedicated Server; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 85, 87 – Homezone im O2-Netz; OLG Köln BeckRS 2007, 18457 – Transparenz bei Preisnachlässen. BGH GRUR 2005, 690, 692 – Internet-Versandhandel. Vgl auch BGH GRUR 2008, 84 Rn 30 – Versandkosten. BGH GRUR 2005, 438, 441 – Epson-Tinte; OLG Stuttgart NJOZ 2007, 4350, 4353 – Befristete Preisreduzierung. Dazu unten Rn 255. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.97; OLG Hamburg
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NJOZ 2007, 77, 81 – STRATO-Server; noch weitergehend: OLG Hamburg GRURRR 2007, 85, 88 – Homezone im O2-Netz, wonach eine Anwendung des Grundsatzes bereits bei einer „erheblich missverständlichen“ Blickfangaussage geboten ist. Vgl BGH GRUR 2004, 961, 962 f – Grundeintragung Online u OLG Karlsruhe GRUR-RR 2006, 242, 242 – Extra-Stark; für TV-Werbung OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 85, 87 f – Homezone im O2-Netz. BGH GRUR 2007, 251 Rn 32 – Regenwaldprojekt II; BGH GRUR 2004, 961, 963 – Grundeintragung Online; OLG Stuttgart GRUR-RR 2007, 361, 362 – Abholpreise (zur Parallelproblematik im Zusammenhang mit § 4 Nr 4 UWG). Die grundsätzliche Verwendbarkeit von eindeutig zugeordneten
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
verbietet sich allerdings eine schematische Betrachtung. Das OLG Hamburg hat etwa eine mit dem blickfangmäßig hervorgehobenen Schlagwort „Umschuldung“ eingeleitete Internet-Werbung für Kredite deshalb für nicht irreführend erachtet, weil sich aus dem unmittelbar folgenden – allerdings kleiner gedruckten – Text hinreichend deutlich ergab, dass sich das Angebot des Werbenden nicht auf die Unterstützung bei den Verhandlungen mit den bestehenden Kreditgebern erstreckt 580. Dasselbe Gericht hat auch die Auflösung einer Fußnote der Titelseite eines mehrseitigen Prospekts am unteren Rand der siebten Seite noch für ausreichend erachtet 581. Kaum denkbar erscheint es demgegenüber, dass die zur Ausräumung einer durch den Blickfang begründeten Irreführungsgefahr entscheidenden Informationen noch wirksam in einem „Sternchenhinweis zum Sternchenhinweis“ übermittelt werden können 582. Dasselbe dürfte für die in letzter Zeit immer wieder zu beobachtende Unsitte der für wenige Sekunden eingeblendeten Fußnoten in Fernsehwerbespots gelten 583. Schließlich kann auch der Verweis auf weitergehende Informationsquellen – etwa ein in der Printwerbung vorhandener Verweis auf die Unternehmens-Website – kaum zur Vermeidung einer Irreführungsgefahr geeignet sein, weil regelmäßig niemand erwartet, dass er sich die zum Verständnis des beworbenen Angebots erforderlichen Detailunternehmen aus einem anderen Medium heraussuchen muss 584.
241
d) Einzelfälle. aa) Produktbezogene Irreführung. Eine über die beworbenen Waren oder Dienstleistungen getroffene Aussage ist nicht nur dann irreführend, wenn sie, gemessen an ihrem ausdrücklichen Wortsinn, falsch ist, sondern bereits dann, wenn sie unter Berücksichtigung der Umstände ihrer Kenntnisnahme und der Erwartungen der Adressaten dazu geeignet ist, unrichtige Vorstellungen von dem beworbenen Gegenstand zu erzeugen. So ist es etwa irreführend, ein pflanzliches Arzneimittel mit der Aussage „EXTRA STARK, bis zu 2 700 mg Baldrian pro Dragee“ zu bewerben, wenn der Wirkstoffgehalt tatsächlich nur zwischen 1350 mg und 2700 mg Baldrian pro Dragee liegt, weil der Verkehr trotz der Einschränkung „bis zu“ erwartet, dass der angegebene Wirkstoffgehalt jedenfalls nicht wesentlich unterschritten wird 585. Ebensowenig reicht der auf einer Lakritz-Verpackung aufgebrachte Hinweis „Extra stark, Erwachsenenlakritz – kein Kinderlakritz“ aus, um die Gefährlichkeit eines besonders hoch konzentrierten und nur mit behördlicher Ausnahmegenehmigung in den Verkehr gebrachten Produkts für Kinder zum Ausdruck zu bringen, wenn die Produktverpackung im Übrigen der für Kindersüßigkeiten typischen Aufmachung entspricht 586. Umgekehrt kann allerdings auch eine, bei strenger Wortlautbetrachtung „falsche“, Aussage unter Irreführungsgesichtspunkten nicht zu beanstanden sein, wenn davon auszugehen ist, dass der Verkehr die Aussage
580 581 582
583
Fußnoten ist auch in anderem Zusammenhang anerkannt, vgl BGH GRUR 2008, 532 Rn 23 – Umsatzsteuerhinweis für die Pflichtangabe nach § 1 Abs 2 Nr 1 PAngV. Vgl auch BGH GRUR 2008, 84 Rn 15 – Versandkosten. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 20, 21 – Ratenkredit. OLG Hamburg NJOZ 2007, 77, 78 – STRATO-Server. Vgl BGH GRUR 2006, 164 Rn 20 ff – Aktivierungskosten II u BGH NJOZ 2006, 1483 Rn 17 ff – für’n Apfel und n’Ei. Andeutungsweise auch bei OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 85, 87 aE – Homezone im
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584 585 586
O2-Netz. Dort hat das Gericht allerdings die Auffassung geäußert, aufgrund der im Zivilrecht geltenden Parteimaxime daran gehindert zu sein, sich mit dieser Frage näher zu befassen, obgleich es offensichtlich sei, dass der vermeintlich aufklärende Hinweis vom Betrachter nicht angemessen wahrgenommen werden könne. OLG Hamburg NJOZ 2007, 77, 82 – STRATO-Server. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2006, 241, 242 – Extra-Stark. OLG GRUR-RR 2005, 94 f – Lakritz für Erwachsene.
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
ebenfalls nicht streng wortlautgemäß versteht. So hat bspw das OLG Düsseldorf die Werbung für Fruchtgummis mit dem Hinweis „ohne Fett“ für zulässig erachtet, obwohl in den beworbenen Produkten geringe Fettmengen nachweisbar waren, denen jedoch keinerlei ernährungsphysiologische Wirkung zukam 587. Irreführend ist es in jedem Fall, wenn in einer Anzeigenwerbung für eine Immobilie 242 die gegenüber der Wohnfläche um 20 bis 40 % größere Nutzfläche anzugeben und als Wohnfläche zu bezeichnen 588. Unzulässig ist auch die Werbung für Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Gründung von Gesellschaften nach englischem Recht unter dem Schlagwort „EU-GmbH“, weil es keine GmbH nach einheitlichem europäischen Recht gibt 589. Irreführend ist es auch, die Empfänger von Werbeschreiben zum Anruf einer kostenpflichtigen Mehrwertdiensterufnummer zu veranlassen, indem ihnen vorgespiegelt wird, sie hätten bereits einen Preis gewonnen und können nähere Informationen über die dort erreichbare „Gewinn-Auskunft“ erhalten, wenn unter der Telefonnummer tatsächlich nur eine allgemeine Beschreibung der zu gewinnenden Preise erfolgt 590. bb) Preisbezogene Irreführung. Unter die preisbezogene Irreführung fällt einerseits 243 diejenige Werbung, die dazu geeignet ist, bei den Adressaten eine falsche Vorstellung über die Höhe des für die beworbenen Produkte oder Dienstleistzungen tatsächlich zu zahlenden Preises zu erwecken, weil der Preis einer Ware oder Dienstleistung im Wettbewerb stets von zentraler Bedeutung ist 591. Wie sich jedoch bereits aus dem Gesetzeswortlaut selbst ergibt (§ 5 Abs 2 S 1 Nr 2 UWG), kann auch die Art und Weise der Berechnung des Preises Gegenstand einer unzulässigen irreführenden Werbung sein. So ist es etwa unlauter, als Einzelhändler mit der Aussage „Direkt ab Werk! Kein Zwischenhandel! Garantierter Tief-Preis“ zu werben, weil damit der unzutreffende Eindruck erzeugt wird, die beworbene Ware sei zu dem Abgabepreis des Herstellers erhältlich, obgleich tatsächlich die Gewinnspanne des Einzelhändlers eingerechnet ist 592. Ebenso ist es irreführend, wenn der Werbende den unzutreffenden Eindruck erweckt, es bestehe eine Möglichkeit, eine unliebsame Belastung – etwa die Mehrwertsteuer oder eine sozialversicherungsrechtliche Zuzahlung – zu umgehen, wenn tatsächlich nur ein Rabatt in entsprechender Höhe eingeräumt wird 593. Keine Irreführung liegt indes vor, wenn der Verkehr, trotz einer entsprechenden Aussage („heute die Mehrwertsteuer sparen“) erkennt, dass es letztlich nur um einen von dem werbenden eingeräumten Preisnachlass geht, der nur besonders originell beworben wird 594. Bei Koppelungsangeboten, wie etwa dem Angebot eines nur bei gleichzeitigem Ab- 244 schluss eines Mobilfunkvertrages erhältlichen Mobiltelefons, liegt eine Irreführung schon dann vor, wenn zwar der für einen Teil des Angebots zutreffende Preis zutreffend genannt, jedoch nicht deutlich auf die zugleich anfallenden „Aktivierungskosten“ hingewiesen wird 595. Problematisch erscheint vor diesem Hintergrund die Auffassung des 587
588 589
OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 235, 236 – ohne Fett; vgl ferner BGH GRUR 2007, 605 – Umsatzzuwachs. LG Berlin WRP 2006, 1545 – Wohnfläche. LG Dresden GRUR-RR 2007, 25, 26 – EUGmbH; Entsch. durch Berufungsrücknahme nach entsprechendem Hinweis des OLG Dresden rechtskräftig, vgl OLG Dresden GmbHR 2006, 1161, 1162; dazu auch: Mankowski EWiR 2007, 93 f und Römermann GmbHR 2006, 1162 f; krit auch Knöfel BB 2007, 2313 f.
590 591 592 593 594 595
BGH GRUR 2005, 1061, 1063 – Telefonische Gewinnauskunft. BGH GRUR 2005, 433, 436 – Telekanzlei. BGH GRUR 2005, 442, 443 – Direkt ab Werk. Möller GRUR 2006, 292, 295. Möller GRUR 2006, 292, 295. BGH GRUR 2006, 164 Rn 20 – Aktivierungskosten II u BGH NJOZ 2006, 1483 Rn 17 – für’n Apfel und n’Ei; vgl zu diesen Entscheidungen bereits oben Rn 240.
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OLG Hamburg, wonach die Herausstellung eines „Gratis“-Bestandteiles eines Angebots auch ohne einen entsprechenden Hinweis der anderen Angebotsbestandteile im Blickfang nicht irreführend sein soll 596. Irreführend ist es, im Zusammenhang mit Mehrwertdiensterufnummern die hierdurch 245 entstehenden Kosten bewusst falsch anzugeben oder – etwa durch „Tarnung“ der Rufnummer – den Eindruck zu erwecken, es würden nur die gewöhnlichen Verbindungskosten anfallen. Keine Frage der preisbezogenen Irreführung ist es hingegen, wenn die Adressaten über den Inhalt des unter der Mehrwertrufnummer abrufbaren Dienstes getäuscht werden 597. Es ist irreführend, wenn mit einem „statt“-Preis geworben wird und nicht zugleich 246 klargestellt wird, um was für einen Referenzpreis (früherer Preis, unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers) es sich dabei handelt 598. Nach einer neueren Entscheidung des BGH ist es jedoch nicht irreführend, zur Kennzeichnung einer unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers die Abkürzung „UVP“ zu verwenden 599. Die Werbung für ein nach abstrakten Kriterien abgegrenztes Sortiment mit einem „ab“-Preis ist jedenfalls dann irreführend, wenn im Blickfang der Werbung bestimmte Produktmerkmale hervorgehoben werden, die die zum ausdrücklich genannten „Einstiegspreis“ erhältlichen Produkte nicht aufweisen können, sondern erst die wesentlich teureren Produkte 600.
247
cc) Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse. Zu den häufigsten Fällen einer Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse des Werbenden gehören die ungerechtfertigten Allein- und Spitzenstellungswerbungen. Eine Alleinstellungswerbung liegt nicht nur dann vor, wenn der Werbende behauptet, es gäbe überhaupt keine Wettbewerber auf dem entsprechenden Markt, sondern auch dann, wenn der Werbende einen nennenswerten Vorsprung vor allen anderen Wettbewerbern für sich in Anspruch nimmt 601. Eine Spitzenstellungs- bzw Spitzengruppenwerbung liegt hingegen vor, wenn der Werbende die hervorragende Stellung nicht für sich allein, sondern nur als Mitglied einer auch aus anderen Anbietern bestehenden Gruppe („Spitzengruppe“) in Anspruch nimmt 602. Sowohl eine Alleinstellungs- als auch eine Spitzenstellungswerbung ist nur dann zulässig, wenn sie wahr ist, weil der Werbende tatsächlich einen deutlichen Vorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern vorzuweisen hat und der Vorsprung die Aussicht auf eine gewisse Stetigkeit bietet 603. 596
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OLG Hamburg NJOZ 2007, 77, 78 – STRATO-Server; zu der Entscheidung bereits vorstehend unter Rn 240. BGH GRUR 2005, 1061, 1063 – Telefonische Gewinnauskunft; dazu bereits oben Rn 149 und Rn 242. BGH GRUR 2005, 692, 694 – „statt“ Preis; zum UWG aF BGH GRUR 1980, 306, 307 – Preisgegenüberstellung III; BGH GRUR 1981, 654, 655 – Testpreiswerbung. BGH GRUR 2007, 603, 604 f – UVP; das OLG Köln NJOZ 2004, 2474, war zuvor davon ausgegangen, dass die Verwendung der Abkürzung UVP irreführend ist, was das Gericht vor allem mit der angeblich systemwidrigen Bildung der Abkürzung begründet hat.
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OLG Hamburg NJOZ 2007, 77, 82 – STRATO-Server. Das OLG Köln BeckRS 2007, 18457 – Transparenz bei Preisnachlässen hält hingegen die Werbung mit einem „Bis-zu-Rabatt“ für nicht irreführend, obwohl nicht klargestellt war, für welche konkreten Produkte der höchste Rabatt eingeräumt werden sollte. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.137. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.139. BGH GRUR 2002, 182, 183 – Das Beste jeden Morgen; BGH GRUR 1991, 850, 851 – Spielzeug-Autorennbahn; BGH GRUR 1996, 910, 911 – Der meistverkaufte Europas; BGH GRUR 1998, 951, 952 – Die große deutsche Tages- und Wirtschafts-
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Materielles Wettbewerbsrecht
Als unzulässig wurde bspw die Fernsehwerbung des deutschen Lotto- und Totoblocks 248 mit dem Slogan „Oddset, die Sportwette mit festen Quoten, nur bei Lotto!“ angesehen, weil damit der (unzutreffende) Eindruck erweckt werde, es gäbe keine anderen Anbieter, die Sportwetten mit festen Gewinnquoten anbieten 604. Ebenso wurde die Werbung einer Anwaltssozietät mit der Bezeichnung „Bodenseekanzlei“ für irreführend erachtet, weil durch die geografische Bezeichnung der unzutreffende Eindruck erweckt werde, die entsprechende Kanzlei nehme in der dortigen Region eine Spitzenstellung gegenüber anderen Kanzleien in Anspruch 605. In bestimmten Fällen, wird man vor einer Überprüfung des Wahrheitsgehalts einer 249 Allein- oder Spitzenstellungswerbung zunächst bewerten müssen, hinsichtlich welcher konkreter Merkmale der Werbende diese Stellung in der Werbung für sich beansprucht. Hierbei kommt es nicht ausschließlich auf den Wortlaut der Werbung an, es sind vielmehr auch weitere Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. So mag zwar die Aussage „seit Jahrzehnten das führende deutsche Fachmagazin für den Lebensmittelhandel“ objektiv deshalb nicht falsch sein, weil es nur ein einziges Fachmagazin und im Übrigen nur einige wenige Fachzeitungen gibt, jedoch wird der angesprochene Verkehr bei einer derartigen Werbeaussage angesichts des überschaubaren Marktes von Printmedien in diesem Bereich von einer Marktführerschaft innerhalb des Fachmagazine und Fachzeitungen umfassenden Marktes ausgehen 606. Häufig wird man jedoch ebensowenig positiv feststellen können, dass eine Allein- 250 bzw eine Spitzenstellungswerbung zutreffend ist, wie man andererseits auch nicht negativ feststellen kann, dass sie nicht zutreffend ist. In diesen Fällen stellt sich die Frage der Beweislastverteilung. Muss der Werbende nachweisen, dass er die für sich beanspruchte Allein- oder Spitzenstellung tatsächlich innehat oder muss derjenige, der die Werbung beanstandet, nachweisen, dass er diese Stellung tatsächlich nicht einnimmt? Obgleich Art 6 lit a der Irreführungs-Richtlinie 607 grds eine Beweislastverteilung zu Lasten des Werbenden vorsieht, setzt das nationale Recht diese Beweislastverteilung lediglich partiell um, etwa im Rahmen der Regelung des § 5 Abs 4 S 2 UWG. Es bleibt damit im Prinzip auch im Anwendungsbereich des § 5 Abs 1 UWG bei dem Grundsatz, dass derjenige, der sich auf eine für ihn positive Tatsache beruft, diese im Bestreitensfall auch beweisen muss. Bereits in der Rechtsprechung zum früheren UWG wurde jedoch erkannt, dass die Annahme einer uneingeschränkten Beweislast des Anspruchstellers die Fälle der ungerechtfertigten Allein- oder Spitzenstellungswerbung häufig faktisch dem Anwendungsbereich des Irreführungsverbotes entziehen würde, weil nur der Werbende selbst über die entsprechenden Informationen verfügt. Es wurde daher unter dem Schlagwort der prozessualen Aufklärungspflicht eine Art Umkehr der Darlegungs- und Beweislast entwickelt, die mittlerweile teilweise auch ganz offen als solche bezeichnet wird 608. Wer etwa für sich in Anspruch nimmt, „einer der führenden Internet-Provider Europas“ 609
604 605
zeitung; BGH GRUR 2004, 786, 788 – Größter Online-Dienst; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 369, 371 – Der beste Preis der Stadt; OLG Köln GRUR-RR 2005, 324 – Führendes deutsches Fachmagazin. BGH GRUR 2005, 176, 177 – Nur bei Lotto. OLG Stuttgart NJW 2006, 2273 – Bodenseekanzlei; ähnlicher Sachverhalt zum UWG aF: OLG Hamm GRUR-RR 2003, 289 – Tauchschule Dortmund.
606 607 608
609
OLG Köln GRUR-RR 2005, 324 – Führendes deutsches Fachmagazin S Fn 22. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.155 u Rn 3.25; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 369, 370 – Der beste Preis der Stadt; zurückhaltender Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 12 UWG Rn 2.94 und Fezer/Büscher § 12 UWG Rn 278. OLG Hamburg OLGR Hamburg 2005, 449.
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oder gar „Europas größter Online-Dienst“ 610 zu sein oder ein Produkt zum „Besten Preis der Stadt“ anzubieten 611, sollte sich darauf einstellen, dass er zumindest darlegen muss, aus welchen Tatsachen sich seine vollmundige Werbebehauptung rechtfertigt 612. Keine Allein- oder Spitzenstellungswerbung liegt vor, wenn die Aussage von den 251 angesprochenen Adressaten unmittelbar als nicht objektiv nachprüfbar erkannt wird, wenn sich etwa ein Lebensmittelunternehmen rühmt, „das Beste für den Morgen anzubieten 613 oder über den „besten Kinderbrei“ zu verfügen 614; ebenso, wenn ein Teppichhändler mit dem Slogan „Das Beste für Ihren Raum“ wirbt 615 oder ein Verlag behauptet, das „profilierteste People-Magazin“ herauszugeben 616. Dasselbe gilt, wenn die Werbung ohne weiteres als nicht ernst gemeinte Übertreibung ohne jeden sachlichen Hintergrund erkennbar ist 617. Auch soweit es nicht um eine Allein- oder Spitzenstellungsberühmung geht, kann die 252 Werbung irreführende Angaben über Größe und Bedeutung des werbenden Unternehmens enthalten. So ist bspw die Verwendung des Firmenzusatzes „Deutschland“ dann irreführend, wenn das werbende Unternehmen von seinem Zuschnitt her nicht auf die Erfordernisse des deutschen Marktes ausgerichtet, sondern lediglich regional tätig ist 618. Ebenso ist auch die Werbung mit der Bezeichnung als Firmengruppe irreführend, wenn der Werbende lediglich eine Kooperation mit anderen Unternehmen anstrebt und nicht tatsächlich eine Verbindung mehrerer rechtlich und wirtschaftlich selbstständiger Unternehmen durch gleichartige Zielsetzung und Steuerung gegeben ist 619. Der BGH hat in einer neueren Entscheidung die Auffassung vertreten, dass der Firmenbestandteil „Bundes …“ (in „Bundesdruckerei GmbH“) jedenfalls gegenüber dem allgemeinen Geschäftsverkehr den Eindruck vermittle, das Unternehmen stünde zumindest im Mehrheitsbesitz der Bundesrepublik Deutschland 620. Nach einer aktuellen Entscheidung des OLG Köln soll hingegen die Verwendung eines auf die Buchstaben „AG“ endenden Fantasiewortes als Unternehmensbezeichnung nicht den irreführenden Eindruck erwecken, das Unternehmen werde in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben 621. Ebenfalls den Fällen der Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse sind die 253 Werbeaussagen mit tatsächlich nicht vorhandenen Titeln oder Qualifikationen zuzuordnen. So ist es bspw irreführend, ohne über einen entsprechenden Hochschulabschluss zu verfügen, mit den Bezeichnungen Fachtherapeut für Psychotherapie 622, Diplom-Tier-
610 611
612
613 614 615 616
BGH GRUR 2004, 786 – Größter OnlineDienst. OLG Köln GRUR-RR 2006, 203, 204 – Der Beste Preis der Stadt; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 369 – Der beste Preis der Stadt. Anders hingegen, wenn der Beklagte gegenüber dem Kläger über keinen Informationsvorsprung verfügt, vgl OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 170, 172 – Europas größtes People-Magazin. BGH GRUR 2002, 182, 183 – Das Beste jeden Morgen. BGH GRUR 1965, 363, 365 – Fertigbrei. BGH GRUR 1989, 608, 609 – Raumausstattung. OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 170, 172 – Europas größtes People-Magazin.
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617 618 619 620 621
622
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.151 aE. OLG Zweibrücken GRUR-RR 2007, 89, 90 – R. Post Deutschland. OLG Köln GRUR-RR 2006, 237, 238 – Produktionsunternehmen. BGH GRUR 2007, 1079 Rn 37 – Bundesdruckerei. OLG Köln GRUR-RR 2007, 163, 164 f – WISAG. Der BGH hat in einer firmenrechtlichen Entscheidung aus dem Jahre 1956 die entgegengesetzte Auffassung vertreten, vgl BGH NJW 1956, 1873 – INDROHAG. LG Bamberg GRUR-RR 2006, 64, 65 – Fachtherapeut für Psychotherapie.
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Materielles Wettbewerbsrecht
psychologe 623 oder diplomierter Atlas-Spezialist 624 zu werben und zwar unabhängig davon, ob es einen entsprechenden Hochschulabschluss bzw Studiengang überhaupt gibt. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Verkehr unmittelbar erkennt, dass der solchermaßen beanspruchte Titel nicht durch eine Hochschule verliehen wurde. Die Werbung eines Autolackierers mit der Bezeichnung „Lackdoktor“ ist demnach nicht zu beanstanden, weil der Verkehr in diesem Bereich weder eine akademische Ausbildung noch eine Doktorwürde des Werbenden erwartet 625. Die Werbung mit dem Begriff Fachanwälte einer überörtlichen Anwaltssozietät ist nur dann nicht irreführend, wenn der Sozietät tatsächlich eine den Plural rechtfertigende Anzahl von Rechtsanwälten angehört, die über einen Fachanwaltstitel verfügen; nicht erforderlich ist hierfür allerdings, dass auch an jedem einzelnen Kanzleistandort Fachanwälte tätig sind 626. Auch bei den die geschäftlichen Verhältnisse betreffenden Aussagen gilt der vor- 254 stehend im Zusammenhang mit den produktbezogenen Aussagen dargelegte Grundsatz 627, dass sich die Beurteilung nicht ausschließlich an dem Wortlaut der Werbeaussage orientieren darf, sondern die bei den Adressaten erzeugte Erwartungshaltung einbeziehen muss. Wirbt ein Bestattungsunternehmen mit der Aussage „ausgezeichnet vom Bundesverband Deutscher Bestatter“, so ist dies irreführend, wenn die Auszeichnung nicht auf fachlichen Leistungen, sondern einzig und allein auf einem Firmenjubiläum beruht 628. dd) Irreführung durch Unterlassen. Das Wettbewerbsrecht kennt kein allgemeines, 255 sondern lediglich bereichsspezifische Transparenzgebote im Zusammenhang mit Verkaufsförderungsmaßnahmen 629 und Preisausschreiben bzw Gewinnspielen 630. Es gilt daher der Grundsatz, dass mangels spezieller Vorschriften niemand dazu verpflichtet ist, sich in der Werbung umfassend über sein Angebot zu erklären und auch die weniger vorteilhaften Eigenschaften seiner Waren bzw Dienstleistungen zu nennen 631. Gleichwohl kann auch das Verschweigen einer Tatsache irreführend sein, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs 2 S 2 UWG ergibt. Namentlich ist dies dann der Fall, wenn der Verkehr ausnahmsweise eine entsprechende Aufklärung erwartet. Dies kann etwa aufgrund einer bewusst unvollständig gehaltenen positiven Aussage über bestimmte Merkmale des eigenen Angebots der Fall sein. Soweit eine entsprechende Erwartungshaltung auf dem Vorhandensein einer anderweitigen gesetzlichen Informationspflicht beruht, ist eine diese Informationspflicht missachtende Werbung häufig nicht nur als irreführende Werbung gem § 5 UWG, sondern auch gem § 4 Nr 11 UWG als unlauter anzusehen. Schließlich kann sich eine entsprechende Erwartung auch aus der Bedeutung der entsprechenden Tatsache für den Vertragsschluss ergeben. In diesem Fall hängt die Unlauterkeit des Verschweigens gem § 5 Abs 2 S 2 UWG allerdings davon ab, ob dieses überhaupt geeignet ist, die Entscheidung des Adressaten zu beeinflussen, was etwa dann nicht der Fall ist, wenn davon auszugehen ist, dass die Adressaten aufgrund anderer Informationsquellen Kenntnis von den kaufentscheidenden Tatsachen haben 632. Bei einer Werbung 623
624 625 626 627 628
LG Bochum BeckRS 2007, 03337 – DiplomTierpsychologe; OLG Hamm WRP 2007, 1276 – Diplom-Tierpsychologe. LG Frankfurt aM BeckRS 2007, 03506 – diplomierter Atlas-Spezialist. OLG Jena GRUR-RR 2005, 354 – Lackdoktor. BGH GRUR 2007, 807 Rn 13 – Fachanwälte. S vorstehend Rn 241. OLG Köln GRUR-RR 2006, 287, 288 f – Mitglied im Bundesverband.
629 630 631
632
Dazu oben Rn 128 ff. Dazu oben Rn 142 ff. BT-Drucks 15/1487, 19; vgl auch BGH GRUR 2007, 247 Rn 23 – Regenwaldprojekt I u BGH GRUR 2007, 251 Rn 20 – Regenwaldprojekt II. BT-Drucks 15/1487, 41. Der Bundesrat hatte im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen, auf das zusätzliche Merkmal der Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu verzichten,
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für Schulrucksäcke ist nach Auffassung des KG keine kaufentscheidende Tatsache darin zu sehen, dass es sich um Ausflaufmodelle handelt 633. Das Gericht hat jedoch ausdrücklich klargestellt, dass dieselbe Frage in Bezug auf andere Produkte – etwa bei Elektrogeräten oder Kraftfahrzeugen – durchaus anders beurteilt werden kann und insofern aus § 5 Abs 2 UWG auch entsprechende Offenlegungspflichten abgeleitet werden können. Folgt nach den vorstehend skizzierten Grundsätzen aus dem Irreführungsverbot aus256 nahmsweise eine Aufklärungspflicht, so lässt sich die Irreführungsgefahr nur dadurch ausräumen, dass die entsprechende Aufklärung unter Berücksichtigung der Art und Gestaltung der Werbung hinreichend deutlich vorgenommen wird. Daran fehlt es, wenn im Rahmen eines Koppelungsangebots ein besonders günstiger Angebotsbestandteil blickfangmäßig hervorgehoben, die weiteren Kosten hingegen in einem zweistufigen Sterchnen-Hinweis „versteckt“ werden 634.
257
ee) Irreführung bei Preisherabsetzung. Werbung mit Preisherabsetzungen hat hohe Attraktivität. Es verwundert daher nicht, dass derartige Werbung häufig vorkommt. Eine solche Werbung ist jedoch irreführend, wenn tatsächlich gar keine Preisherabsetzung erfolgt ist, weil von dem Werbenden tatsächlich niemals ein höherer Preis gefordert wurde 635. Nicht selten haben Unternehmen in der Vergangenheit daher zumindest vorübergehend und zum Schein hohe Preise gefordert („Mondpreise“), um im Anschluss daran dann publikumswirksam mit einer Preisherabsetzung werben zu können 636. § 5 Abs 4 UWG stellt statuiert nunmehr eine gesetzliche Vermutung, wonach eine Irreführung bei einer solchen Werbung dann zu vermuten ist, wenn der (ursprüngliche) Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert wurde. Da es sich jedoch nur um eine gesetzliche Vermutung handelt, steht dem Werbenden allerdings der Weg offen, diese Vermutung aufgrund besonderer Umstände zu entkräften. Ist streitig, ob und in welchem Zeitraum der ursprüngliche Preis gefordert wurde, obliegt die Beweislast gem § 5 Abs 4 S 2 UWG dem Werbenden. Diese gesetzlich angeordnete Beweislastumkehr, die im Einklang mit den Vorgaben der Irreführungs-Richtlinie steht 637, dient ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien der besseren Durchsetzung der Vorschrift in der Praxis, weil der Kläger in der Regel keinen Zugang zu den maßgeblichen Informationen hat 638. Aus letzterem Grund ist § 5 Abs 4 S 2 UWG auch dahingehend auszulegen, dass nicht nur die Beweislast, sondern bereits die Darlegungslast beim Werbenden liegt 639.
258
ff) Irreführung über die Bevorratung. Nach § 5 Abs 5 S 1 UWG ist es irreführend, für eine Ware zu werben, die unter Berücksichtigung der Art der Ware sowie der Gestaltung und Verbreitung der Werbung nicht in angemessener Menge zur Befriedigung der zu erwartenden Nachfrage vorgehalten wird. Nach S 2 dieser Vorschrift wird bestimmt, dass im „Regelfall“ ein Vorrat als angemessen zu bewerten ist, wenn dieser für eine Nachfrage von zwei Tagen reicht. § 5 Abs 5 S 3 UWG ordnet die entsprechende Anwendung für die Werbung für Dienstleistungen an. Die Rechtsprechung hat zwischenzeitlich klargestellt, dass es trotz der Zwei-Tages-Regel des § 5 Abs 5 S 2 UWG für die Beurteilung
633 634
BT-Drucks 15/1487, 31, was von der Bundesregierung jedoch mit vorstehender Argumentation abgelehnt wurde. KG GRUR-RR 2005, 204, 205 – Schulrucksack; vgl ferner die Nachweise in Fn 264. BGH GRUR 2006, 164 Rn 20 ff – Aktivierungskosten II u BGH NJOZ 2006, 1483 – für’n Apfel und n’Ei; dazu bereits vorstehend Rn 240.
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635 636 637 638 639
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 7.72. Vgl Steinbeck ZIP 2001, 1741, 1746. Vgl hierzu bereits oben Rn 250. BT-Drucks 15/1487, 20. OLG Karlsruhe BeckRS 2006, 13798 – Heute zahlt Deutschland keine MwSt.
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Materielles Wettbewerbsrecht
der Irreführung auf die konkrete Verbrauchererwartung ankommt, die auch durch die Umstände und Aufmachung der Werbung bestimmt werden 640. Nach einer Entscheidung des OLG Hamburg ist der Hinweis „Bei diesem Artikel besteht die Möglichkeit, dass er trotz sorgfältiger Bevorratung kurzfristig ausverkauft ist“ allenfalls dazu geeignet, die Verbrauchererwartung an die Verfügbarkeit dahingehend herabzusetzen, dass dieser zumindest für einen Tag lang verfügbar ist 641. Eine Irreführung ist in jedem Fall anzunehmen, wenn die beworbene Ware zum Zeitpunkt des Erscheinens der Werbung überhaupt nicht mehr erhältlich ist 642. Eine andere Bewertung kann allerdings bei einer Hersteller-Werbung geboten sein, bei der ein bestimmtes Produkt nur exemplarisch und ohne Preisangabe abgebildet ist. Hier erwartet der Verkehr nicht zwingend, dass gerade dieses Produkt bei allen Fachhändlern vorrätig ist, jedenfalls aber dann nicht, wenn es sich um ein sehr hochwertiges Luxusprodukt handelt 643. Dass auch die Besonderheiten des jeweiligen Werbemediums für die Bewertung der 259 Verbrauchererwartung an die Verfügbarkeit der beworbenen Ware zu berücksichtigen ist, lässt sich an dem Beispiel des Internet-Versandhandels deutlich machen: Der BGH hat diesbezüglich die Verbrauchererwartung an die Verfügbarkeit dahingehend angenommen, dass die beworbene Ware in jedem Fall zur unverzüglichen Versendung bereit steht 644. Dies wurde vor allem damit begründet, dass – anders als bei gedruckten Versandhandelskatalogen – eine ständige Aktualisierung der Internet-Werbung möglich ist. gg) Weitere Fälle. Als grds irreführend wird es angesehen, mit dem Versprechen einer 260 über 30 Jahre hinausgehenden Garantie zu werben, weil eine solche Garantie mit § 202 Abs 2 BGB nicht vereinbar sei 645. Der BGH hat die Gestaltung von Kontoauszügen für irreführend gehalten, wenn der Bankkunde infolge einer Differenzierung zwischen Buchungs- und Wertstellungstag nicht über das ausgewiesene Kontoguthaben zinsfrei verfügen kann 646. Nicht selten stellt sich auch eine Werbung mit Testergebnissen als irreführend dar, was damit erklärt werden kann, dass in der Werbung Inhalt und Durchführung des Tests meist nicht näher erläutert werden. So ist es irreführend, in einer Zeitungsanzeige mit dem Testergebnis eines Tests von Lohnsteuerhilfevereinen zu werben, wenn tatsächlich nur ein Bruchteil der Beratungsstellen des Vereins in den Test einbezogen wurden 647. Aber selbst dann, wenn die Testbedingungen im einzelnen angegeben
640
641
642
OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 287, 288 – Weihnachts-Kerzenleuchter; OLG Oldenburg GRUR-RR 2006, 202 f – Lockvogelwerbung; bereits in den Gesetzgebungsmaterialien wird darauf hingewiesen, dass sich die Verbrauchererwartung eigentlich einer schematischen Betrachtung entzieht, vgl BT-Drucks 15/1487, 20. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 287, 288 – Weihnachts-Kerzenleuchter; krit dazu Köhler GRUR-RR 2006, 73, 74. OLG Oldenburg GRUR-RR 2006, 202 f – Lockvogelwerbung; OLG Hamburg NJOZ 2007, 1635, 1636 f – PULSE, das in der Entscheidung darauf hinweist, dass nur die Fälle der unzureichenden Bevorratung am Maßstab des § 5 Abs 5 UWG zu messen und die Fälle, in denen eine Ware überhaupt nicht erhältlich ist unter Rückgriff auf die
643 644 645
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allgemeine Regelung des § 5 Abs 2 Nr 1 UWG zu beurteilen sind. BGH GRUR 2007, 991 Rn 21 ff – Weltreiterspiele. BGH GRUR 2005, 690, 692 – Internet-Versandhandel. OLG Frankfurt aM GRUR 2006, 247, 248 f – 40 Jahre Garantie; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 7.148; einschränkend Fezer/Steinbeck § 4-1 UWG Rn 261, die den Fällen des Versprechens einer „lebenslangen“ Garantie regelmäßig von einer fehlenden wettbewerblichen Relevanz ausgehen will. BGH GRUR 2007, 805 Rn 17 ff – Irreführender Kontoauszug, vgl zur Frage der Wettbewerbsförderungsabsicht auch Fn 33. BGH GRUR 2005, 877, 879 f – Werbung mit Testergebnis.
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sind, kann nicht zwingend unterstellt werden, dass diese von den Adressaten auch umfassend zur Kenntnis genommen werden. Deshalb kann insbesondere auch die Werbung mit einem unter außergewöhnlichen Bedingungen durchgeführten Vergleichstest auch dann problematisch sein, wenn die Testbedingungen ausgewiesen werden 648. Soll mit dem guten Abschneiden bei einem Test von Kosmetikartikeln geworben werden, so muss zur Vermeidung einer Irreführung gegebenenfalls deutlich darauf hingewiesen werden, dass sich der Test nicht auf die Wirksamkeit, sondern nur auf die ökologische und gesundheitliche Unbedenklichkeit der getesteten Produkte bezieht 649.
261
e) Wettbewerbliche Relevanz und Bagatellklausel. Da der gesetzliche Irreführungstatbestand des § 5 Abs 1 UWG ebenso wie die frühere Regelung des § 3 UWG aF sehr weit gefasst ist und dem Wortlaut nach auch solche Irreführungen umfasst, die in keinster Weise dazu geeignet sind, den Wettbewerb nachteilig zu beeinflussen, bedarf es insofern einer gewissen Einschränkung. Wer etwa eine Ware versehentlich mit einem höheren Preis als tatsächlich gefordert bewirbt, erfüllt bei wortlautgemäßer Betrachtung die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 UWG. Durch eine solche Werbung werden jedoch weder die Interessen der angesprochenen Adressaten noch diejenigen der Wettbewerber beeinträchtigt. Da § 5 Abs 1 UWG, ebenso wie die Beispieltatbestände des § 4 UWG, nur das Merkmal der Unlauterkeit iSd § 3 UWG betrifft, ließen sich diese Fälle über das in letztgenannter Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal der „Eignung zur nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil der Marktteilnehmer“ lösen. Die Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot geht jedoch seit je her von einem eigenen, dem Irreführungsverbot immanenten Relevanzerfordernis aus. Teilweise wird daher – auch unter Verweis auf das Gemeinschaftsrecht, das eine Vorschrift wie § 3 UWG nicht kennt – gefordert, die Prüfung auf wettbewerbliche Relevanz bereits im Rahmen des Merkmals der Unlauterkeit vorzunehmen 650. In der Praxis macht es allerdings keinen Unterschied, ob man die Unzulässigkeit einer irreführenden Werbung ohne wettbewerbliche Relevanz wegen Verneinung der Unlauterkeit oder eines anderen Merkmals des § 3 UWG ausschließt. In der Rechtsprechung wird insofern die normative Grundlage für das Relvanzerfordernis nicht weiter problematisiert 651. Ob ein dem Irreführungsverbot immanentes Erfordernis wettbewerblicher Relevanz noch Raum für die Anwendung der Bagatellklausel des § 3 UWG lässt 652, bleibt ebenso offen. Im Ergebnis kommt es aber auch darauf nicht an, weil kein Grund dafür besteht, zwischen Irreführungen ohne wettbewerbliche Relevanz und Irreführungen mit unerheblicher wettbewerblicher Relevanz zu unterscheiden. An einer wettbewerblichen Relevanz fehlt es bspw, wenn in einem an Verbraucher gerichteten Medienprodukt zwar irreführende Angaben enthalten sind, dieses jedoch ausschließlich für die Gewinnung neuer Anzeigen648 649 650 651
BGH GRUR 2005, 172, 175 f – Stresstest. OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. So ausdrücklich Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 UWG Rn 2.11. Vgl BGH GRUR 2008, 442 Rn 10 – Fehlerhafte Preisauszeichnung, BGH GRUR 2008, 443 Rn 29 – Saugeinlagen; OLG Köln GRUR-RR 2006, 287, 288 – Mitglied im Bundesverband, OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 235, 236 – ohne Fett u OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 23 – TV-Supplement.
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652
Verneinend Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 3 UWG Rn 81, wohl auch BGHGRUR 2007, 1079 Rn 26 – Bundesdruckerei; wohl bejahend OLG Stuttgart NJW 2006, 2273, 2274 – Bodenseekanzlei, LG Dresden GRUR-RR 2007, 25, 26 – EU-GmbH, LG Bochum BeckRS 2007, 03337 – DiplomTierpsychologe u BGH GRUR 2005, 433, 436 – Telekanzlei („… bestehen weder an der Relevanz noch an der Eignung Zweifel, den Wettbewerb nicht nur unwesentlich zu beeinträchtigen …“, Hervorhebungen des Verf).
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kunden verwandt wird 653. Auch fehlt es an einer solchen Relevanz, wenn mit der Mitgliedschaft in einem Bundesverband beworben wird und tatsächlich nur eine Mitgliedschaft in einem Landesverband besteht, der seinerseits wiederum Mitglied des Bundesverbandes ist 654. Der BGH hat in zwei jüngeren Entscheidungen offen gelassen, ob es an wettbewerblicher Relevanz fehlt, wenn der Verbraucher sich eine falsche Vorstellung von der konkreten Art und Weise macht, wie ein im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Ware versprochener Schutz eines Quadratmeter Regenwaldes tatsächlich erfolgt 655. Ist eine zu einem Aktionspreis beworbene Ware in dem Verkaufslokal versehentlich mit dem regulären Preis ausgezeichnet, so fehlt es an der wettbewerblichen Relevanz, wenn dem Kunden an der (Scanner-)Kasse von vornherein nur der günstigere Preis berechnet wird 656. Liegen indes keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Irreführung ausnahmsweise nicht dazu geeignet ist, das Marktverhalten der Gegenseite zum Nachteil der anderen Marktteilnehmer zu beeinflussen, so bleibt es bei der aus der gesetzlichen Systematik folgenden Vermutung, dass aus dem Hervorrufen einer Fehlvorstellung auf die wettbewerbliche Relevanz der Irreführung geschlossen werden kann657. 4. Vergleichende Werbung – § 6 UWG a) Allgemeines. Vergleichende Werbung war nach traditionellem deutschen Wettbe- 262 werbsrecht grds unzulässig. Richtlinien der Europäischen Union 658 aus dem Jahr 1997, die der Förderung vergleichender Werbung im Interesse der Verbraucher bezweckten, führten jedoch zu einer Änderung auch der bundesdeutschen Rechtsprechung 659. Vergleichende Werbung war schon danach nur im Ausnahmefall unlauter. Die Umsetzung der Richtlinie in positives Gesetzesrecht erfolgte im Jahr 2000 durch das Gesetz zur vergleichenden Werbung und Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften 660. Als Ergebnis stellt nunmehr – nach einigen Änderungen durch die UWG-Novelle 2004 und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von 2005 661 – § 6 UWG die Voraussetzungen für vergleichende Werbung auf. Danach ist vergleichende Werbung, die in Abs 1 legaldefiniert wird, grds zulässig. Sie 263 ist, was der EuGH stets hervorhebt, ausdrücklich erwünscht 662 und in breitem Umfang zuzulassen. Unlauter iSv § 3 UWG ist ein Werbevergleich danach nur unter den in § 6 Abs 2 UWG im einzelnen geregelten Voraussetzungen. Für vergleichende Werbung sind daneben noch spezialgesetzliche Verbote 663 zu beachten. § 6 Abs 3 UWG schließlich beinhaltet spezielle Bestimmungen für Sonderangebote. b) „Werbung“. Der in § 6 UWG verwendete Begriff der Werbung 664 ist richtlinien- 264 konform auszulegen. Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, 653 654 655
656 657 658 659 660
OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 23 – TVSupplement. OLG Köln GRUR-RR 2006, 287, 288 f – Mitglied im Bundesverband. BGH GRUR 2007, 247 Rn 34 – Regenwaldprojekt I u BGH GRUR 2007, 251 Rn 33 – Regenwaldprojekt II. BGH GRUR 2008, 442 Rn 11 f – Fehlerhafte Preisauszeichnung. BGH GRUR 2008, 443 Rn 29 – Saugeinlagen. Richtlinie 97/55/EG vom 6.10.1997. BGHZ 138, 55, 59 – Testpreis-Angebot. BGBl I S 1374.
661 662 663
664
Fn 61. ZB EuGH GRUR 2007, 69, Rn 22, 32 – Lidl Belgium/Colruyt. ZB Verbot der vergleichenden wirkungsbezogenen Arzneimittelwerbung in § 11 Abs 2 UWG; zur vergleichenden Arzneimittelwerbung, die nicht Erinnerungswerbung ist, vgl auch OLG Köln GRUR-RR 2007, 116 f – Fentanyl-Matrixpflaster; berufsspezifische Verbote zB in § 21 Abs 1 S 3 M-BOÄ, vgl dazu: LG München MMR 2007, 192. Dazu umfassend Köhler GRUR 2005, 273 ff.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern 665. Neben der objektiven Eignung, den Absatz von Waren oder Dienstleistungen einer Person zu begünstigen, ist also für „Werbung“ 666 ein subjektives Element erforderlich, nämlich die Absicht, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern 667. Dieser Werbecharakter kann insbesondere bei der Werbung durch Dritte zweifelhaft sein. Bei Aussagen von Unternehmen begründet allerdings die objektive Eignung zur Wettbewerbsförderung eine Vermutung für eine dahingehende Absicht. Anders sieht das dagegen bei einer Werbung aus, die ein Medienunternehmen für 265 Dritte, also nicht zur Förderung des eigenen Geschäfts betreibt 668. Wegen des allgemeinen Presseprivilegs aus Art 5 Abs 1 GG gilt die Vermutung in diesem Bereich nicht. Es bedarf vielmehr der positiven Feststellung, dass eine Wettbewerbsförderungsabsicht besteht. Dafür werden strenge Anforderungen gestellt 669. Erforderlich sind konkrete Umstände, aus denen zu ersehen ist, dass neben der Wahrnehmung der publizistischen Aufgabe die Absicht besteht, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern 670. Solche Umstände können etwa übermäßig anpreisende Darstellungen statt sachlicher Informationen, wirtschaftliches Eigeninteresse am Erfolg der Vergleichsobjekte uä sein. Beanstandet wurde die Publikation von „Rankings“, wie sie etwa unter der Über266 schrift „Die Besten“ für verschiedene Berufsgruppen in einer Wochenzeitschrift präsentiert wurden 671. Andererseits wurde die Veröffentlichung von Rangfolgetabellen für Anwaltskanzleien nicht untersagt 672. Letzteres wurde ua damit begründet, dass eine Wettbewerbsförderungsabsicht des Verlages, der nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zu den „beurteilten“ Vergleichsobjekten steht, nicht angenommen werden könne. Diese Absicht könne insbesondere nicht daraus geschlossen werden, dass der Verlag, der die Ranglisten selbst erstellt hatte, von Anzeigenaufträgen gerade der vorgestellten Kanzleien profitiere. Soweit nicht besondere Umstände hinzutreten, ist auch die Publikation von verglei267 chenden Waren- oder Dienstleistungstests von Dritten, die nicht in Wettbewerbsförderungsabsicht handeln, (Testinstitute wie Stiftung Warentest usw) unter dem Gesichtspunkt vergleichender Werbung unproblematisch. Denn auch hier fehlt regelmäßig die Wettbewerbsförderungabsicht. Für die gezielte Werbung mit Testergebnissen der Stiftung Warentest ist auf die „Empfehlungen der Stiftung Warentest zur Werbung mit Untersuchungsergebnissen“ hinzuweisen 673.
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Art 2 Nr 1 Irreführungs-Richtlinie, Fn 22. Zum Streit über das subjektive Element bei Wettbewerbshandlungen s oben Rn 45 ff. Der BGH nimmt – ohne nachvollziehbare Begründung – darüber hinaus an, dass die Äußerung auch einem anderen zum Nachteil gereichen müsse, BGH GRUR 2006, 875 Rn 22 – Rechtsanwalts-Ranglisten; insofern ebenfalls krit Lettl GRUR 2007, 936, 939 f. S dazu unter dem Aspekt der Definition in § 2 Abs 1 Nr 1 UWG auch oben Rn 49 ff. OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 16, 17 – ÖKO-Test. BGH GRUR 1995, 270, 272 – Dubioses Geschäftsgebahren; GRUR 2000, 703, 706 – Mattscheibe.
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BGH GRUR 1997, 912 – Die Besten I; GRUR 1997, 914 – Die Besten II. Lettl GRUR 2007, 936, 943 f geht jedoch davon aus, dass der BGH diese Fälle heute anders entscheiden würde. BGH GRUR 2006, 875 – RechtsanwaltsRanglisten und BVerfG NJW 2005, 277 – Juve-Handbuch. Dazu ausf Lettl GRUR 2007, 936 ff. Abgedr bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 6 UWG Rn 104. Seit April 2008 sind diese durch die „Bedingungen der Stiftung Warentest zur Werbung mit Untersuchungsergebnissen“ abgelöst, die unter www.test.de „Über uns“ → „Werbung mit Testurteilen“ abgerufen werden können.
Boris Blank
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Materielles Wettbewerbsrecht
c) „Vergleichend“ iSv § 6 UWG. Werbung, die vergleichend ist, begegnet in Gestalt 268 von ausdrücklichen Unternehmens-, Waren- und/oder Preisvergleichen von explizit bezeichneten Wettbewerbern respektive Wettbewerbsprodukten. Bei solchen Gegenüberstellungen von Waren und/oder Preisen, die dem Verbraucher mindestens zwei Alternativen zur Auswahl stellen, ist ohne Weiteres von einer vergleichenden Werbung iSv § 6 UWG auszugehen. Bei anderen Werbeaussagen können der Vergleichscharakter oder die Voraussetzungen der Legaldefinition in § 6 Abs 1 UWG fraglich sein. Danach ist vergleichende Werbung jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht. Bei strenger Bindung an diesen Wortlaut wären auch Aussagen erfasst, die gar nicht Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Waren oder Dienstleistungen im Sinne eines Vergleichs gegenüberstellen. Vielmehr könnten dann auch Werbeformen, die allein das Mitbewerberprodukt betreffen als „vergleichende Werbung“ in diesem Sinne anzusehen sein, soweit nur der Mitbewerber erkennbar ist. Nach der wohl herrschenden Meinung 674 ist das vor allem deshalb nicht sachgerecht, weil Bestimmungen der Richtlinie und des § 6 UWG erkennbar auf Werbeaussagen zugeschnitten sind, die den Verbraucher vor wenigstens zwei Alternativen stellen, zwischen denen er die Wahl hat. Eine „vergleichende Werbung ohne Vergleich“ könne daher nicht an § 6 UWG gemessen werden. Häufig fehlt es allerdings bereits an der erforderlichen Erkennbarkeit des Mitbewerbers 675. Diese ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn eine Aussage so deutlich gegen einen oder mehrere Mitbewerber gerichtet ist, dass sich eine Bezugnahme auf sie für die angesprochenen Verkehrskreise förmlich aufdrängt 676. Dies kann allerdings auch dann der Fall sein, wenn die Werbeaussage nur auf eine Warengattung Bezug nimmt, wenn daraus ein Mitbewerber oder die von ihm angebotenen Waren oder Dienstleistungen als diejenigen erkennbar werden, auf die sich die Werbeaussage – wenn auch nur mittelbar – bezieht 677. Ein Anbieter von Mobilfunkdienstleistungen hatte mit einer Anzeige geworben, die 269 wie ein „Wahlschein“ aufgemacht war. Unter der Überschrift „Neuwahlen!“ waren Minutenpreise angegeben, neben denen stand: „Ein Kaffeeröster-Tarif“ und „Ein Volkstarif“ sowie „Der Relax 100 eco Tarif von T-Mobile“. Das OLG Hamburg 678 hat darin eine Bezugnahme auf Tarife von Tchibo und Payback und damit einen hinreichenden Mitbewerberbezug erkannt. Nicht ausreichend ist dagegen eine nur „um zehn Ecken gedachte“ Inbezugnahme 270 von Mitbewerbern 679. So liegt in dem Werbeslogan „Lieber besser aussehen als viel bezahlen“ ebenso wenig eine pauschale Bezugnahme auf Mitbewerber wie in dem Spruch „Ich bin doch nicht blöd“ 680. Obwohl die Herausstellung der Vorzüge des eigenen Produkts mittelbar die Aussage beinhaltet, dass Konkurrenzprodukte diese Eigenschaften 674
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Begründung des RegE zu § 2 aF, BT-Drucks 14/2959, 10; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 6 UWG Rn 20; Fezer/Koos § 6 UWG Rn 55 ff; Köhler GRUR 2005, 273, 278. Insoweit ist aber das Verbot einer gezielten Behinderung iSd § 4 Nr 10 UWG zu beachten. BGH GRUR 2002, 982 – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI; BGH GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; BGH GRUR 2001, 752, 753 – Eröffnungswerbung.
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EuGH GRUR 2007, 511 Rn 19, 20 – De Landtsheer Emmanuel SA/Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne, Veuve Clicquot Ponsardin SA, De Landtsheer/ CIVC. OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 244 – Neuwahlen. BGH NJW-RR 2000, 631, 633 – GenerikaWerbung. BGH GRUR 1997, 227 – Aussehen mit Brille; OLG Karlsruhe WRP 1997, 865 – Ich bin doch nicht blöd.
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3. Teil
nicht aufweisen 681, lässt die Anpreisung nur der eigenen Ware den Mitbewerberbezug in der Regel nicht hinreichend erkennen. Die Herausstellung der Vorzüge des eigenen Produktes ist – was auch allgemein bekannt ist – jeder Werbung immanent und reicht nicht zu Annahme einer Erkennbarkeit des Mitbewerbers iSd § 6 Abs 1 UWG aus. Ein Arzneimittelhersteller hatte unter der Überschrift: „B.-Generika helfen forschen“ 271 drei Arzneimittelpackungen dargestellt und mit folgendem Text versehen: „Jedes verordnete B.-Generikum unterstützt langfristig die innovative Arzneimittel-Forschung, weil zukünftig ein Teil des Gewinns in diesen Bereich zurückfließt“. Dass damit der Eindruck entstehe, andere Generika-Hersteller würden Arzneimittelforschung nicht oder nicht der in der angekündigten Art fördern, bezeichnete der BGH als reflexartigen Effekt, der mit jeder Hervorhebung der eigenen Vorzüge unausgesprochen zum Ausdruck gebracht werde. Eine vergleichende Werbung sei darin nicht zu erkennen 682. Einen allgemeinen Vergleich, der nicht § 6 UWG unterfalle, nahm der BGH auch in folgender Konstellation an: Ein Fachgeschäft für Unterhaltungselektronik hatte durch einen mit den Worten „Soooo … billig!?“ überschriebenen Aushang im eigenen Ladenlokal dazu aufgefordert, Werbeaussagen mit durchgestrichenen Preisen kritisch, insbesondere auf „Unseriosität, Lockvogel, Ladenhüter und Finten“ zu prüfen. Aus der bloßen Kritik an Waren Leistungen oder Werbemethoden von Mitbewerbern ist – so der BGH – nicht bereits ein Vergleich mit den eigenen Waren oder Leistungen im Sinne des UWG herauszulesen 683. Unter diesen Gesichtspunkten ist auch die sog Alleinstellungswerbung, mit der ein 272 herausragender Geltungsanspruch – meist durch Verwendung von Superlativen – erhoben wird, keine vergleichende Werbung 684. Etwas anderes kann gelten, wenn sich aus besonderen Umständen ein Bezug auf einzelne, konkrete Mitbewerber ergibt 685. Keine vergleichende Werbung ist weiter die bloße Aufforderung gegenüber den Verkehrskreisen, einen Vergleich selbst anzustellen 686. Dies kann im Einzelfall dann anders sein, wenn aus der Aussage die Behauptung zu entnehmen ist, die eigenen Produkte seien denjenigen des Mitbewerbers in Preis oder Güte überlegen 687. Bei der Werbung für Zubehör oder Ersatzteile kann es am (auch in § 6 Abs 1 UWG vorausgesetzten) Wettbewerbsverhältnis fehlen, wenn lediglich Ergänzungen zum Sortiment eines anderen Unternehmers angeboten werden. Es liegt jedoch – insbesondere beim Vergleich mit Originalwaren – die Aussage nahe, dass die eigenen Produkte den zu vergleichenden Waren des Originals zumindest entsprechen 688.
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d) Unlautere vergleichende Werbung. Vergleichende Werbung iSd § 6 Abs 1 UWG ist unzulässig, wenn der Vergleich auch nur eines der in § 6 Abs 2 und 3 aufgeführten Unlauterkeitsmerkmale erfüllt oder nach § 5 Abs 1 und 3 UWG irreführend ist.
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aa) Vergleich von Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung – § 6 Abs 2 Nr 1 UWG. Unlauter iSv § 3 UWG handelt, wer vergleichend wirbt, wenn sich der Vergleich nicht auf Waren oder Dienstleistungen für den 681
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BGH GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; vgl auch OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 50 – Tiefstpreisgarantie. BGH GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung. BGH GRUR 2002, 75 – Soooo…billig!? OLG Köln NJOZ 2007, 1638 – Werbung eines kostenlosen Anzeigenblattes mit Auflagenhöhe; zur Alleinstellungswerbung auch oben Rn 247 ff.
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OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 170, 172 – Europas größtes People-Magazin (dort verneint). BGH GRUR 1987, 49, 50 – Cola-Test; BGHZ GRUR 1999, 501 – Vergleichen Sie. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 6 UWG Rn 24. EuGH GRUR 2002, 354 – Toshiba/Katun.
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Materielles Wettbewerbsrecht
gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung bezieht. Umgangssprachlich ausgedrückt, handelt es sich um das Verbot, „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. Die in den Vergleich eingestellten Produkte müssen substituierbar sein, sie müssen also für den Verbraucher einen hinreichenden Grad an Austauschbarkeit aufweisen 689, was allerdings nicht unbedingt Identität der Vergleichsobjekte erfordert. Die Frage der „Vergleichbarkeit“ richtet sich vielmehr auch ganz maßgeblich nach den jeweiligen Vergleichskriterien. Unter diesem Aspekt ließen sich daher durchaus auch „Äpfel mit Birnen“ vergleichen, etwa unter den Aspekten der Nährwerte von Obst, deren Lagerungsmöglichkeiten usw. Entsprechendes gilt etwa für Öl und Strom als Energiequelle, Auto, Bahn und Flugzeug als Verkehrsmittel oÄ. Nicht für den gleichen Bedarf und die gleiche Zweckrichtung können dagegen bspw – trotz Branchenidentität – Tarife von Versicherern sein, wenn die gedeckten Risiken sich nicht überschneiden oder bei der Preisbildung bestehende Versicherungen mit berücksichtigt werden 690 usw. Der Vergleich muss sich nicht auf einzelne Produkte („Produktpaare“) beschränken, 275 sondern kann sich auf ganze Warensortimente erstrecken, soweit diese Sortimente beiderseits aus einzelnen Produkten bestehen, die paarweise betrachtet jeweils dem Erfordernis der Vergleichbarkeit genügen. Dies ist etwa beim Vergleich von Warensortimenten zur Deckung des täglichen Bedarfs anzunehmen 691. bb) Objektivität des Eigenschafts- und Preisvergleichs, Sachlichkeitsgebot – § 6 Abs 2 276 Nr 2 UWG. § 6 Abs 2 Nr 2 UWG statuiert das Sachlichkeitsgebot für Eigenschaftsvergleiche. (1) Wesentliche und typische Eigenschaften mit Relevanz. Danach dürfen in den Ver- 277 gleich nur bestimmte Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen und ihr Preis eingestellt werden. Aussagen, die von der Beschaffenheit der Waren und Dienstleistungen derart abstrahiert sind, dass sie für den Verbraucher kein Kriterium für eine sachliche Kaufentscheidung sein können, sollen auf diese Weise ausgeschlossen werden. Dies gilt etwa für pauschale Aussagen über den Mitbewerber wie „Die beste Werbung für S. sind die Angebote der Konkurrenz“ 692. Der Begriff der Eigenschaft ist allerdings sehr weit zu verstehen. Erfasst wird jede Angabe, die aus Sicht des Verbrauchers für ihn eine nützliche Information beinhalten kann, ob er dem Erwerb der Waren oder Dienstleistungen nähertreten soll 693. Daher kann auch die Duftnote eines Produktes 694 oder der Umsatzzuwachs eines Unternehmens 695 eine Eigenschaft in diesem Sinne sein. Auszuscheiden sind jedoch etwa reine Geschmacksurteile. Wesentlich iSv § 6 Abs 2 Nr 2 UWG ist eine Eigenschaft, wenn sie für den Verbraucher nicht gänzlich unerheblich ist 696. Eine Eigenschaft ist dann relevant, wenn sie Einfluss auf die Kaufentscheidung des Verbrauchers haben kann. Das Kriterium der Typizität ist daneben insoweit von Bedeutung, als nicht solche Eigenschaften verglichen werden dürfen, die aus Sicht des Verbrauchers hinsichtlich der Zweckbestimmung von völlig untergeordneter Bedeutung sind. (2) Objektivität des Vergleichs. Nach § 6 Abs 2 Nr 2 UWG muss der Vergleich 278 „objektiv“ auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische 689 690 691 692 693
EuGH GRUR 2007, 69 Rn 26 – LIDL Belgium/Colruyt. OLG Köln NJWE-WettbR 2000, 282. EuGH GRUR 2007, 69 – LIDL Belgium/ Colruyt; dazu auch Ohly GRUR 2007, 3 f. KG WRP 1999, 339, 340. BGHZ 158, 26, 33 – Genealogie der Düfte; BGH GRUR 2005, 172, 174 – Stresstest.
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BGHZ 158, 26, 33 – Genealogie der Düfte. BGH GRUR 2007, 605 – Vergleichende Werbung für Entwicklung des Lakritzmarktes. BGH GRUR 2004, 607 – Genealogie der Düfte.
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Eigenschaften oder den Preis der verglichenen Waren oder Dienstleistungen bezogen sein. Kriterien, die die Entscheidung des Verbrauchers für das eine oder andere Produkt nicht in sachlicher Weise beeinflussen können, sollen nicht Gegenstand des Vergleichs sein. Objektivität des Vergleichs erfordert aber zunächst einmal, dass die Angaben wahr sein müssen. Unrichtige Wiedergaben von Eigenschaften oder Preisen sind danach stets unzulässig. So ist etwa ein Preisvergleich, der die Preise des Mitbewerbers oder auch den Umfang der unter diesem Preis veräußerten Waren oder Dienstleistungen falsch wiedergibt, unzulässig. Das gilt zB bei Werbung im Internet auch dann, wenn die Preise sich zwischenzeitlich ändern. Beim Vergleich von Eigenschaften kann deren Auswahl im Hinblick auf das Objek279 tivitätserfordernis problematisch sein. Zwar besteht keine Verpflichtung, in einen Vergleich alle wesentlichen Eigenschaften eines Produktes mit einzustellen. Der Werbende kann sich vielmehr im Vergleich auch auf eine oder mehrere wesentliche Eigenschaften beschränken, hinsichtlich derer er sein Produkt für überlegen hält. Allerdings darf auch durch einen solchen Vergleich kein „schiefes Bild“ entstehen. Dieses Erfordernis kann dazu zwingen, weitere – auch negative – Eigenschaften, die für die Entscheidung des Verbrauchers erkennbar von Bedeutung sind, im Vergleich zu erwähnen. So ist es bspw unzulässig, ohne entsprechende Erläuterungen „Flüge nach Frankfurt 280 am Main“ miteinander zu vergleichen, wenn diese zum einen Flüge nach Frankfurt am Main Flughafen betreffen, zum anderen Flüge zu einem wesentlich schlechter angebundenen Ziel 120 km außerhalb von Frankfurt am Main (Frankfurt/Hahn) 697. Dasselbe gilt bei einem Vergleich von Preisen von Arzneimitteln, wenn dieser nur bei einer bestimmten Dosierung zutrifft oder bei einem Preisvergleich von Tarifen eines Telefonanbieters, wenn nur Verbindungs-, nicht die zwingend mit zu zahlenden Grundentgelte verglichen werden oder auch lediglich ein besonders günstiger Tarifzeitraum selektiert wird 698.
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(3) Nachprüfbarkeit der Angaben über Eigenschaften und Preis. Diese Voraussetzung dient der Überprüfung des sachlichen Gehalts des Vergleichs. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass die Überprüfung schon anhand der Angaben in der Werbung selbst möglich ist. Nachprüfbarkeit kann auch gegeben sein, wenn der Verbraucher zwar nicht selbst, aber durch Sachverständige die in dem Werbevergleich angeführten Eigenschaften überprüfen kann 699. Das Tatbestandsmerkmal hat durch diese Ausweitung in der Praxis erheblich an Bedeutung verloren.
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cc) Verwechselungen, Kennzeichenverwirrung – § 6 Abs 2 Nr 3 UWG. Führt ein Vergleich im geschäftlichen Verkehr zu Verwechselungen zwischen dem Werbenden und dem Mitbewerber oder zwischen den von diesen angebotenen Waren oder Dienstleistungen oder den von ihnen verwendeten Kennzeichnungen, ist der Vergleich nach § 6 Abs 2 Nr 3 UWG unzulässig. Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass bei vergleichender Werbung die Gefahr einer Verwechselung der verglichenen Produkte, insbesondere bei Ergänzungs- oder Ersatzteilsortimenten, naheliegt. Es handelt sich nach überwiegender Auffassung um eine in Hinsicht auf die Besonderheiten eines Vergleichs konzipierte Spezialregelung zum Irreführungsverbot des § 5 UWG. Zu beachten ist indes, dass wegen des Wortlauts „führt“, anders als bei irreführender Werbung iSv § 5 UWG 697
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OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 219 – Frankfurt-Hahn; vgl auch OLG Köln GRUR-RR 2004, 143 – Flughafen Niederrhein (Düsseldorf). OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 131 – Schlauer Telefonkunde.
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EuGH GRUR 2007, 69 Rn 73 – Lidl Belgium/Colruyt; BGH GRUR 2005, 172, 175 – Stresstest.
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die bloße Gefahr der Irreführung nicht ausreicht, sondern § 6 Abs 2 Nr 3 UWG erfordert, dass es tatsächlich zu Verwechselungen der Produkte kommt. Dies gilt insbesondere auch für die Verwendung von Kennzeichen, insbesondere also Marken, Unternehmenskennzeichnungen usw. dd) Rufausnutzung und Rufbeeinträchtigung – § 6 Abs 2 Nr 4 UWG. Nach § 6 Abs 2 283 Nr 4 UWG ist vergleichende Werbung unzulässig, wenn sie die Wertschätzung des von einem Mitbewerber verwendeten Kennzeichens in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Das Verbot des Imagetransfers von fremden Kennzeichnungen ist aus dem Markenrecht für die bekannte Marke wie für die bekannte geschäftliche Bezeichnung geläufig und kann auch als gezielte Behinderung iSv § 4 Nr 10 UWG Bedeutung erlangen. § 6 Abs 2 Nr 4 UWG beinhaltet auch insoweit die speziellere Regelung für Werbevergleiche 700. Eigenständige Bedeutung erlangt die Regelung vor allem, wenn es bei einem Vergleich an einer für die Anwendung des Markengesetzes nach teilweiser Auffassung erforderlichen markenmäßigen Verwendung fehlt 701. Die bloße Anlehnung an die fremde Kennzeichnung reicht für einen Verstoß gegen 284 § 6 UWG nicht aus. Auch die bloße Abbildung von Kennzeichnungen des Mitbewerbers in einem Vergleich ist für sich daher wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Hinzukommen muss vielmehr ein Unlauterkeitsmoment, das den Vorwurf einer unlauteren Rufausnutzung oder Rufbeeinträchtigung begründet. Das kann unter Umständen die Darstellung der Austauschbarkeit des eigenen Produktes mit dem des Mitbewerbers 702 oder die Verwendung des Formulierung „im Stil“ oder „nach Art“ der großen Marke sein 703. Letztlich handelt es sich um einen „offenen Tatbestand“, der eine Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen erfordert. Die unlautere Beeinträchtigung der Wertschätzung eines Kennzeichens hat das LG Köln 285 in einer Werbung erkannt, in der die markenrechtlich geschützten Slogans des namentlich genannten Mitbewerbers diffamiert wurden mit Sätzen wie „Beides inhaltslose Werbebilder“, „Ich hätte Angst, dass meine Kunden mir so einen Unsinn übel nehmen“ 704. ee) Herabsetzung oder Verunglimpfung – § 6 Abs 2 Nr 5 UWG. Gem § 6 Abs 2 Nr 5 286 UWG ist es unlauter, die Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabzusetzen oder zu verunglimpfen. Dasselbe bestimmt auch § 4 Nr 7 UWG 705. Die Regelung in § 6 nimmt also im Verhältnis zu § 4 Nr 7 UWG das weitere Tatbestandsmerkmal eines Vergleichs mit auf. Sie ist damit Spezialregelung zu § 4 Nr 7 UWG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass wegen der Inbezugnahme des Mitbewerbers Herabsetzungen und Verunglimpfungen nicht fern liegen. Es kann daher wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen zu § 4 Nr 7 UWG verwiesen werden 706. ff) Bezeichnung als Nachahmung – § 6 Abs 2 Nr 6 UWG. Nach § 6 Abs 2 Nr 6 287 UWG ist ein Vergleich unzulässig, wenn er eine Ware oder Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung einer unter einem geschützten Kennzeichen vertriebenen Ware oder Dienstleistung darstellt. Die Regelung dient dem Schutz des Herstellers der Originalware, der gegen die Imitation als solche keine Abwehrrechte hat. 700 701 702
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 6 UWG Rn 69. Vgl OLG Frankfurt aM GRUR 2004, 1043 – Cartier-Stil. Vgl EuGH GRUR 2002, 354 – Toshiba/Katun; BGH GRUR 2004, 607 – Genealogie der Düfte.
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OLG Frankfurt aM GRUR 2004, 1043 – Cartier-Stil. LG Köln BeckRS 2006, 06199. Dazu bereits oben Rn 158 ff. Vorstehend Rn 158 ff.
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Das LG Hamburg 707 hat eine unlautere Nachahmung in einem Fall angenommen, in dem der Preis des eigenen Duftwassers mit dem eines Parfüms der Marke „Joop!“ verglichen worden war. Der Slogan „Hier bekommen sie diesen Duft als Eau de Parfum für sagenhafte EUR 19,– mit einem Inhalt von 100 ml“ erwecke den Eindruck einer vollständigen Nachahmung. Der Verbraucher gewinne den Eindruck, er könne beide Produkte ohne weiteres gegeneinander austauschen.
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5. Unzumutbare Belästigung – § 7 UWG. a) Allgemeines. Als unzumutbare Belästigungen werden in § 7 UWG solche Handlungen erfasst, die bereits wegen der Art und Weise, also unabhängig von ihrem Inhalt als Belästigung empfunden werden. Die Belästigung besteht darin, dass die Wettbewerbshandlung den Empfängern aufgedrängt wird 708 und er in seiner Beschäftigung oder in seiner Ruhe gestört wird, bei der Faxwerbung auch seine Ressourcen 709 in Anspruch genommen werden. Während Abs 1 dies als generalklauselartigen Grundsatz formuliert, erfolgt in den Abs 2 und 3 eine Konkretisierung durch Beispiele. Diese typischen Fallgruppen haben keinen abschließenden Charakter, spielen jedoch auch in der Praxis die mit Abstand größte Rolle. Dabei geht es um die erkennbar unerwünschte Werbung, Telefonwerbung und Werbung mit Anrufmaschinen, Faxgeräten und E-Mails sowie um Werbung mit unzureichender Information über die Identität des Absenders. Abs 3 wiederum beinhaltet eine spezielle Regelung für Werbung mit elektronischer Post bei fortgesetzter Kundenbeziehung. Stets zulässig und naturgemäß keine Werbung, die „unzumutbar belästigt“, ist die Werbung, die mit ausdrücklicher Einwilligung, also dem vorherigen Einverständnis des Angesprochenen gerade in einen Anruf der konkreten Art erfolgt 710. Fehlt eine solche explizite Einwilligung, ist nach der Gesetzessystematik vor allem danach zu unterscheiden, wie, also auf welche Art die Werbung kommuniziert wird. Soll auch der Inhalt der Werbung ausweislich der Motive des Gesetzgebers unerheblich sein, ließe sich doch immerhin aus dem Tatbestandsmerkmal der „Werbung“ eine Eingrenzung des Verbots herauslesen. Dieser Begriff der Werbung wird indes in der Rechtsprechung vielfach weit ausgelegt. Dies geht bis hin zu Entscheidungen, wonach das in § 7 UWG verhängte Verbot – in Übereinstimmung mit dem Begriff der Wettbewerbshandlung – nicht nur auf den Absatz, sondern auch auf die Nachfrage, also auch auf Äußerungen zum Zwecke der Förderung des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen anwendbar sein 711 sollen. Auch per Fax übermittelte Ankaufgesuche von Gebrauchtwagenhändlern sollen daher – ebenso wie Faxanfragen, ob ein Arzt sich an einer Studie eines Pharmaunternehmens beteiligen will 712 oder die telefonisch durchgeführte Marktforschungsanalyse, die letztlich Daten für den Produktabsatz erzeugt 713, nur mit Einwilligung der Adressaten zulässig sein. Entscheidend ist darauf abzustellen, ob das Telefonat zur Absatzförderung iSv Art 2 Nr 1 der Irreführungs-Richtlinie 714 dient. Dass es dazu ausreicht, dass eine Maßnahme
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LG Hamburg MMR 2005, 326. BT-Drucks 15/1497, 20. Nämlich Papier-, Toner- und Stromkosten sowie anteilige Kosten für die Wartung des Geräts, Faxeingänge im betrieblichen Bereich behindern zudem den Betriebsablauf. Zur Unbeachtlichkeit einer „nachträglichen Einwilligung“, die eine Genehmigung iSv § 184 BGB ist, vgl OLG Köln NJW 2005, 2786 – Umstellung auf ISDN-Tarif.
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OLG Hamm GRUR-RR 2006, 379 – Fahrzeugsuche; aA hingegen OLG Düsseldorf MMR 2006, 171 und OLG Naumburg NJOZ 2006, 2795; vgl zur aktuellen BGHRechtsprechung oben Fn 29. OLG Oldenburg GRUR-RR 2006, 239 – Pharma-Marktforschung. LG Hamburg GRUR-RR 2007, 61. S Fn 22.
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irgendwie auch dazu dient, auf ein bestimmtes Produkt aufmerksam zu machen, erscheint zu weitgehend 715 und führt zu einer unnötigen Behinderung des Geschäftsverkehrs 716. b) Erkennbar unerwünschte Werbung – § 7 Abs 2 Nr 1 UWG. Abs 2 Nr 1 bestimmt, 294 dass bei Fehlen einer ausdrücklichen Einwilligung jedenfalls dann eine Werbung unlauter iSv § 3 UWG ist, wenn sie gegen den erkennbaren Willen des Empfängers erfolgt. Das Schweigen des Adressaten reicht also nicht aus, um eine Werbung unlauter zu machen. Der entgegenstehende Wille muss vielmehr erkennbar sein. Das führt dazu, dass der Besuch des Hausierers wie des Abonnementverkäufer nach wie vor grds nur dann als unzumutbare Belästigung anzusehen ist, wenn der Adressat deutlich gemacht hat, dass er nicht wünscht, auf diese Weise behelligt zu werden. Dasselbe gilt für den Einwurf von Werbesendungen in den Hausbriefkasten. Sind dort also – typischerweise durch Aufkleber – Hinweise angebracht, nach denen Werbung und Hausieren unerwünscht ist, ist eine gleichwohl durchgeführte entsprechende Werbung unlauter iSv § 3 UWG. Im Übrigen ist diese ebenso zulässig wie grds das Ansprechen im Ladenlokal oder auf Messen. Allerdings ist der Umkehrschluss, dass jede Werbung zulässig ist, wenn kein entgegen- 295 stehender Wille erkennbar ist, nicht zulässig. Bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien ist vielmehr zu ersehen, dass auch ungeachtet der in § 7 UWG weiter normierten Fälle insbesondere das Ansprechen auf öffentlichen Straßen und auch – im Hinblick auf § 241a BGB bemerkenswert – das Übersenden nicht bestellter Waren unter gewissen Umständen als unlauter angesehen werden kann 717. Ein Mitbewerber auf dem Markt für Telekommunikationsdienstleistungen ließ Pas- 296 santen im Eingangsbereich eines Warenhauses vor einem Werbestand mit dem Ziel ansprechen, einen sog Pre-Selection-Vertrag abzuschließen. Der BGH 718 hat danach unterschieden, ob der Werber als solcher erkennbar ist. In diesem Fall komme es nur dann zu einer unzumutbaren Belästigung, wenn dem Passanten ein Ausweichen (zB in einer engen Straße) nicht möglich ist oder wenn der Werber einen erkennbar entgegenstehenden Willen missachtet, etwa indem er den Passanten am Weitergehen hindert oder ihm folgt. Unzulässig nach § 7 Abs 1 UWG sei dagegen das Ansprechen durch einen Werber, der nicht als solcher zu erkennen ist 719. aa) Telefonwerbung – § 7 Abs 2 Nr 2 UWG. Sog „Cold Calls“ beschäftigen Recht- 297 sprechung und Politik über Gebühr. Die Renitenz der Werbenden bei dieser Form des Direktmarketings, millionenfach betrieben über professionelle Call-Center, ist besonders ausgeprägt 720. Das Verbot solcher Anrufe ohne vorherige Einwilligung ist indes nicht neu. Telefon- 298 werbung war schon nach der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des § 7 UWG wettbewerbswidrig, wenn der angerufene Verbraucher nicht zuvor ausdrücklich oder schlüssig sein Einverständnis erteilt hat 721. Demgegenüber herrschte bezüglicher solcher Art von Werbung gegenüber Unternehmern – wie auch jetzt in § 7 UWG verankert – eine etwas großzügigere Auffassung. 715 716 717 718
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OLG Düsseldorf MMR 2006, 171 und OLG Naumburg GRUR-RR 2006, 380. Vgl dazu auch oben 131. Vgl BT-Drucks 15/1487, 21. BGH GRUR 2005, 443 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; OLG Frankfurt aM GRUR 2008, 353, 354 ff – Ansprechen vom Passanten. Vgl dazu bereits oben Rn 118.
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So hat das LG Düsseldorf im Juli 2007 gegen einen Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen wegen unerlaubter Telefonwerbung zwei Ordnungsgelder in Höhe von je € 100 000,– verhängt, LG Düsseldorf, Az 38 O 145/06 und 38 O 188/04. BGHZ 54, 188, 190 – Telefonwerbung I; BGH GRUR 2000, 818 – Telefonwerbung VI mwN.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
299
Die Frage, ob es immer einer solchen (positiven) Einwilligung („opt in“) bedarf oder aber der Adressat im Gegenteil ausdrücklich erklären muss, dass er die Werbung nicht wünscht („opt-out“), war von der Datenschutz-Richtlinie für elektronische Kommunikation 722 (Art 13 Abs 3) ebenso wie die Fernabsatz-Richtlinie 723 offen gelassen worden. Die Mitgliedsstaaten hatten „geeignete“ Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass unerbetene Nachrichten zu Direktwerbezwecken nicht ohne Einwilligung der Teilnehmer oder an Teilnehmer, die eine solche Nachricht nicht erhalten wollen, nicht gestattet sind. Im Gesetzgebungsverfahren war die Umsetzung durchaus nicht unstreitig. Der Bundesrat hatte noch – im Hinblick auf Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu EU-Nachbarländern für eine „opt-out“-Lösung votiert. Danach liegt eine unzumutbare Belästigung nur dann vor, wenn die Werbung mit Telefonanrufen „gegen den ausdrücklichen Willen erfolgt“ 724. Hierzu hätte es allerdings eines – etwa der bekannten „Robinson-Liste“ vergleichbaren – zentralen amtlichen Verzeichnisses derjenigen Verbraucher bedurft, die sich ausdrücklich gegen entsprechende Werbung ausgesprochen haben. Die Einmütigkeit und Vehemenz, mit der nunmehr „cold calling“ verurteilt wird und immer weitergehende Sanktionen bis hin zu strafrechtlichen Folgen gefordert werden, muss daher überraschen – auch weil die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zwar als aggressive Geschäftspraktiken auch die Telefonwerbung ohne Zustimmung erfasst, allerdings die Datenschutz-Richtlinie ausdrücklich unberührt lässt und daher keine Wertung für ein „opt-in“- oder „opt-out“-Modell beinhaltet 725. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist jedes Telefonat zu Werbezwecken, das ohne Ein300 willigung des Verbrauchers erfolgt, unlauter. Telefonwerbung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern ist nach § 3 UWG unzulässig, wenn sie ohne deren zumindest mutmaßliche Einwilligung erfolgt. Die Anforderungen für eine wirksame Einwilligung eines Verbrauchers 726, die im 301 Streitfall vom Anrufer darzulegen und beweisen ist, sind hoch: Erforderlich ist, dass aus der Sicht des Anrufers bei verständiger Würdigung eine Erklärung oder Äußerung vorliegt, aus der er den Schluss ziehen darf, der Adressat sei mit einem konkreten Anruf gerade zu dem betreffenden Zweck einverstanden. Letzteres kann für solche Erklärungen nicht angenommen werden, die aus Anlass von Gewinnspielen oder auch im Rahmen einer Geschäftsanbahnung oder eines Geschäftsabschlusses dadurch gewonnen werden sollen, dass der Kunde an versteckter Stelle sein Einverständnis abgibt, Werbung zu erhalten 727. Vorformuliert unterliegen solche Erklärungen ohnehin der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff BGB. Soweit die Formulierung nicht wegen ihres überraschenden Charakters unbeachtlich ist oder gegen das Transparenzgebot verstößt, liegt nach der Rechtsprechung in einer vorformulierten Einwilligung in eine Telefonwerbung doch generell eine unangemessene Benachteiligung des Kunden 728. Die Formulierungen sind danach nicht tauglich, eine „opt-in“- Erklärung zu begründen. Ob dies in dieser Pauschalität 722
723
724 725
Richtlinie 2002/58/EG vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl EG Nr L 201, 37 ff. Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl EG Nr L 144, 19 ff. BT-Drucks 15/1487, 31. Vgl auch Pauly/Jankowski GRUR 2007, 118, 120 f.
1070
726
727 728
Der Anruf, der an einen Unternehmer gerichtet ist, aber aufgrund einer Anrufweiterschaltung an einen Verbraucher gelangt, unterfällt – wenn der Anrufer den Unterschied nicht bemerkt – den Regeln über einen Anruf gegenüber einem Unternehmer, vgl OLG Köln GRUR-RR 2005, 138. LG Hamburg MMR 2005, 630; LG Düsseldorf MMR 2007, 458. BGHZ 141, 124, 128; BGHZ 141, 137, 149.
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
aufrechterhalten werden kann, ist zweifelhaft 729. Zumindest aber ist eine Klausel wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam, die Telefonwerbung für den Abschluss von Verträgen erlauben soll, die mit dem Geschäft, aus dessen Anlass die Geschäftsbedingungen einbezogen werden sollen, nichts zu tun haben. Auch mit der Annahme einer Einwilligung, die sich aus den Umständen ergibt, ist die 302 Rechtsprechung sehr zurückhaltend 730. Ein bloß potenzielles Interesse des Empfängers reicht nicht. Auch aus einer laufenden Geschäftsbeziehung zwischen den Beteiligten des Telefonates ist nicht die Einwilligung in Telefonwerbung zu erschließen 731. Gibt der Kunde in diesem Zusammenhang seine Rufnummer an, kann dem lediglich entnommen werden, dass er mit solchen Telefonaten einverstanden ist, die der Durchführung des konkreten Vertragsverhältnisses dienen. Nicht eingewilligt ist damit in Telefonate zu Änderungs- oder Ergänzungsangeboten oder zur Verlängerung eines Vertragsverhältnisses 732. Unzulässig ist daher regelmäßig auch das sog „Nachbearbeiten von Kunden“, die eine Kündigung ausgesprochen oder von einem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht haben733. Auch der Anruf des Kunden, der ein bestimmtes Angebot betrifft, rechtfertigt nicht die Vorstellung weiterer Angebote während desselben Telefonates. Die Rechtsprechung stellt naturgemäß auf die Umstände des Einzelfalls ab, legt aber tendenziell sehr enge Auslegungskriterien an. Ein Einverständnis in einen Anruf kann im Einzelfall aber zB in Betracht kommen, 303 wenn der Kunde telefonisch bei einem Unternehmen nachgefragt hat und zunächst ohne Antwort geblieben ist, wenn – etwa bei einer Autoreparatur – während der Auftragsdurchführung entdeckte Mängel sinnvoller Weise gleich mit behoben werden sollen, wenn ein telefonisch angefragtes Produkt nicht lieferbar war und wieder vorrätig ist usw 734. Eine mutmaßliche Einwilligung, die sich also weder aus einer ausdrücklichen Er- 304 klärung noch aus den Umständen ergibt, ist im Hinblick darauf, dass nach dem Gesetzeswortlaut eine solche Einwilligung allein gegenüber Marktteilnehmern ausreichen kann, die nicht Verbraucher sind, nicht anzunehmen 735. Wird ein Unternehmer angerufen, kann dies anders aussehen. Ob hier eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände vor dem Anruf sowie der Art und des Inhalts der Werbung zu ermitteln. Die Rechtsprechung 736 ist aber auch insoweit rigide: Eine solche Einwilligung erfordert demnach ein sachliches Interesse des Angerufenen. Auch eine bloße Geschäftsbeziehung reicht nicht aus, um eine Einwilligung zu mutmaßen. Andererseits kann eine mutmaßliche Einwilligung daraus geschlossen werden, dass ein Interesse gegenüber Dritten geäußert wurde oder sich aus sonstigen konkreten Umständen ergibt, dass der Unternehmer im Einzelfall konkreten Bedarf an dem Angebot hat 737. In manchen Branchen ist es auch üblich, dass eine telefonische Kontaktaufnahme zwecks Vereinbarung von Vertreterbesuchen erfolgt, weshalb insoweit eher von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden kann. 729
730 731 732 733 734 735
Zweifelnd auch: OLG Hamm MMR 2007, 54, abl (mit fragwürdiger Begründung): OLG München MMR 2007, 47, 48 f. Vgl LG Hamburg MMR 2005, 630. BGH GRUR 1989, 753 – Telefonwerbung I. OLG Frankfurt aM GRUR 2005, 964. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 7 UWG Rn 53. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 7 UWG Rn 53. OLG Frankfurt GRUR 2005, 964; aA
736
737
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 7 UWG Rn 54 („grundsätzlich ausgeschlossen“). BGH GRUR 2008, 189 – Suchmaschineneintrag; BGH GRUR 1991, 764 – Telefonwerbung IV; BGH GRUR 1995, 220 – Telefonwerbung V; BGH GRUR 2001, 1181 – Telefonwerbung für Blindenware. Sehr weit gehend Pauly/Jankowski GRUR 2007, 118, 124.
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3. Teil
305
Geht es in dem Telefonat um das eigene Angebot des angerufenen Unternehmens, also um eine Nachfrage, handelt es sich primär natürlich nicht um einen Werbeanruf. Die Grenzen zu einem Anruf zu Werbezwecken, für den eine Einwilligung erforderlich ist, sind allerdings fließend. Solche Telefonate, in denen nicht lediglich die Dienstleistungen des angerufenen Unternehmens nachgefragt, sondern eigene Produkte mit angesprochen werden, sind in der Regel nicht durch eine mutmaßliche Einwilligung gedeckt. Ein allgemeiner Sachbezug mit den von dem angerufenen Unternehmen angebotenen Dienstleistungen reicht danach nicht aus. Ein Unternehmen, das Bauvorhaben zwischen Bauherren und deren Planungsbüros 306 einerseits und Bauunternehmen andererseits vermittelt und koordiniert und im Erfolgsfall Provisionen von den vermittelten Handwerkern erhält, hatte sich telefonisch an ein Tischlerunternehmen gewandt. Der BGH hat in dem Telefonat, in dem Leistungsangebot und Arbeitsbelastung des Tischlerbetriebes abgefragt und ein persönliches Gespräch angeboten wurde, eine Telefonwerbung erkannt, die nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt sei 738. Dass es auch um das Leistungsangebot des Tischlers ging, sei kein hinreichender Grund, anzunehmen, dass das Tischlerunternehmen mit dem telefonischen Angebot der eigenen Vermittlungsleistung einverstanden sei. Anderenfalls sei Telefonwerbung gegenüber Gewerbetreibenden mit seinen belästigenden und deshalb nicht generell hinnehmbaren Folgen nahezu unbeschränkt zulässig. Entsprechendes muss für alle Anrufe gelten, die eigene entgeltliche Angebote des Anrufenden zur Förderung des Absatzes des Adressaten in Medien zum Gegenstand haben. Kein Fall des § 7 Abs 2 Nr 2 UWG liegt allerdings vor, wenn ein Unternehmen zum 307 Zwecke der Abwerbung telefonisch mit einem Mitarbeiter eines Wettbewerbers an dessen Arbeitsplatz in Kontakt tritt 739.
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bb) Werbung unter Verwendung von automatischen Anrufmaschinen, Fax- und E-Mailwerbung – § 7 Abs 2 Nr 3 UWG. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut sind keine Unterscheidungen zwischen Verbrauchern und Unternehmen veranlasst, wenn es um Faxwerbung sowie um Werbung mit Anrufmaschinen geht. Zu Letzteren zählen auch Anrufe, in denen der Adressat nach Abheben des Telefons eine Aufzeichnung hört, die regelmäßig dazu auffordert eine kostenpflichtige Rufnummer zu wählen (sog Ping- oder Lockanruf) 740. In diesen Fällen ist also stets eine ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung im vorstehend beschriebenen Sinn erforderlich. Auch diese muss für den konkreten Fall, also den konkreten Anruf, erteilt sein. Bei der E-Mail-Werbung gilt entsprechendes, sind allerdings die Ausnahmeregelungen nach Abs 3 zu berücksichtigen 741. Angesichts dieser insgesamt strengen Voraussetzungen suchen die Direktwerber nach 309 Umgehungsmöglichkeiten. Die Rechtsprechung ist bestrebt, dem einen Riegel vorzuschieben. So ist § 7 Abs 2 Nr 3 UWG auch in einem Fall für anwendbar erachtet worden, in dem ein Versandhändler nicht unmittelbar an Verbraucher eine Werbe-E-Mail geschickt hatte, aber durch entsprechende Aufforderung auf der Internet-Seite Kunden veranlasste, Dritten das gekaufte Produkt zu empfehlen und dabei auch weitere Werbung mit versandt wurde 742. 738 739
BGH GRUR 2007, 607 – Telefonwerbung für „Individualverträge“. Klein/Insam GRUR 2006, 379, 380 ff. In BGH GRUR 2006, 426 – Direktansprache am Arbeitsplatz II hat der BGH die Rege lung des § 7 Abs 2 UWG gar nicht erst in Erwägung gezogen.
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740 741 742
VG Köln NJW 2005, 1880. Ausf zur E-Mail-Werbung Brömmelmeyer GRUR 2006, 285. OLG Nürnberg GRUR-RR 2006, 26 – Kunden-E-Mail.
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§2
Materielles Wettbewerbsrecht
cc) Werbung mit elektronischen Nachrichten und unzureichender Information – § 7 310 Abs 2 Nr 4 UWG. Um nicht wegen einer unzumutbaren Belästigung zur Verantwortung gezogen zu werden, verheimlichen oder verschleiern daher Anrufer ihre Identität. Wird bei einer Werbung mit elektronischen Nachrichten die Identität des Absenders verschleiert oder verheimlicht oder ist keine gültige Adresse vorhanden, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach dem Basistarif anfallen, ist der Beispieltatbestand des § 3 Nr 4 UWG erfüllt 743. Nach überwiegender Auffassung fallen unter den Begriff der „elektronischen Nach- 311 richt“ nicht nur E-Mails und SMS, sondern auch Faxmiteilungen und Telefonanrufe. Letzteres ist angesichts des Wortlauts von § 7 Abs 2 Nr 4 UWG, der von „Absenden“ einer Nachricht und „vorhandenen“ Adressen spricht, und auch der Formulierung in Art 13 Abs 4 der Datenschutz-Richtlinie 744 durchaus zu bezweifeln. Überdies mutet es praxisfremd an, in einem Telefonat die Angabe einer Adresse zu verlangen, auch wenn man darunter nicht nur die Postadresse, sondern auch eine Telefon- oder Faxnummer oder E-Mail-Adresse verstehen will 745. Der letztgenannte Punkt wird auch nicht durch § 312c BGB erfasst. Diese Regelung relativiert im Zusammenspiel mit § 4 Nr 11 UWG freilich die Problematik um die Einbeziehung von Telefonaten in die Regelung des Abs 2 Nr 4. Denn zumindest mit Ausnahme der Adresse, die demgemäß auch nach dem Telefonat übermittelt werden kann, ist das Verschleiern oder Verschweigen der maßgeblichen Daten durch diese Regelungen zu erfassen 746. dd) Sonderregelung für E-Mails in fortgesetzter Kundenbeziehung – § 7 Abs 3 UWG. 312 Für fortgesetzte Kundenbeziehungen beinhaltet § 7 Abs 3 UWG eine Sonderregelung für elektronische Post: Gelangt der Unternehmer im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Ware oder Dienstleistung an die elektronische Post-, also die E-Mailadresse des Kunden, kann er diese zur Direktwerbung für eigene ähnliche Waren oder Dienstleistungen nutzen, wenn nicht der Kunde diese Nutzung untersagt hat. Voraussetzung ist jedoch, dass der Kunde bei Erhebung der Adresse wie auch bei jeder folgenden Nutzung klar und deutlich darauf hingewiesen wird, dass er die Nutzung jederzeit untersagen kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach den Basistarifen anfallen. In diesem Bereich des elektronischen Handels gilt also das Opt-out-Modell. ee) Anspruchsberechtigung. Die Toleranzschwelle für Wettbewerbshandlungen, die 313 gegen § 7 UWG verstoßen, ist bei Privaten und Unternehmern gleichermaßen niedrig. Dabei wird in der Praxis nicht selten übersehen, dass Zuwiderhandlungen gegen §§ 3, 7 UWG nur von den in § 8 Abs 3 UWG genannten Gläubigern verfolgt werden können. Verbraucher und Unternehmer, die nicht als Mitbewerber, sondern nur als potenzielle Marktpartner betroffen sind, können allenfalls aufgrund der allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Rechts, insbesondere der Regelungen der §§ 823 Abs 1, 1004 BGB vorgehen 747. Für Unternehmer bedarf dies der nicht einfachen Argumentation, dass ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegt. Die Rechtsprechung ist aber auch insoweit mit den Verletzern tendenziell streng und bejaht sogar zuweilen einen außerhalb des UWG nur schwerlich zu begründenden Grund zur Anordnung einer einstweiligen Verfügung 748. 743 744 745 746
Dazu oben Rn 119. Fn 722. So Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 7 UWG Rn 95. Zur Unlauterkeit verschleierter Werbung bei
747 748
Einsatz von Fernkommunikationsmitteln auch oben Rn 119. Dazu mit entsprechenden Nachweisen Brömmelmeyer GRUR 2006, 285, 292. LG Hamburg MMR 2005, 782.
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3. Teil
§3 Die Ansprüche nach dem UWG I. Allgemeines 314
Wie bereits in den einleitenden Ausführungen dieses Beitrages dargelegt 749, handelt es sich bei der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG sowie den das dortige Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit konkretisierenden Beispieltatbeständen der §§ 4–7 UWG um unvollständige Rechtsnormen, die keine Rechtsfolgen beinhalten. § 3 UWG erklärt entsprechende Handlungen kurzerhand für unzulässig. Um die solchermaßen getroffenen gesetzlichen Wertung auch tatsächlich umzusetzen, bedarf es ergänzender Rechtsnormen. Das Wettbewerbsrecht bedient sich hierbei einer weitestgehend zivilrechtlichen Lösung, indem es über die Regelungen der §§ 8 ff UWG Privatrechtssubjekten entsprechende Ansprüche zuspricht, die erforderlichenfalls auch gerichtlich durchsetzbar sind. Lediglich hinsichtlich einiger weniger, für besonders gefährlich empfundener Praktiken, wird diese zivilrechtliche Lösung durch einige spezielle Straftatbestände ergänzt 750.
II. Der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch – § 8 Abs 1–4 UWG 1. Allgemeines
315
Der praktisch bedeutsamste Anspruch des Wettbewerbsrechts ist der Unterlassungsanspruch. Er ermöglicht es, unzulässiges Verhalten für die Zukunft zu verhindern. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich dem Grunde nach aus § 8 Abs 1 UWG:
316
„Wer dem § 3 zuwiderhandelt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht.“
317
Sowohl Aufbau als auch Wortlaut dieser Regelung sind missglückt und erschweren das Verständnis für die Funktionsweise der nicht jedermann im täglichen Geschäft vertrauten Unterlassungsansprüche. Während sich die stilistische Verfehlung „dem § 3 zuwiderhandeln“ noch als „unschön aber unschädlich“ abtun lässt 751, verstellt die Reihenfolge, in der die einzelnen Ansprüche genannt sind, den Blick auf deren jeweilige Bedeutung. Die Regelung erweckt nämlich den Eindruck, als entstehe mit einem Verstoß gegen § 3 UWG praktisch stets ein Beseitigungsanspruch und daneben nur ausnahmsweise – aufgrund zuvor gesondert festzustellender Wiederholungsgefahr – ein Unterlassungsanspruch. Tatsächlich ist aber der Beseitigungsanspruch eher die Ausnahme und der Unterlassungsanspruch die Regel. Letzteres hängt damit zusammen, dass nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die der Gesetzgeber des UWG erklärtermaßen in positives Gesetzesrecht überführen wollte, aus dem Erstverstoß grds auf die Wiederholungsgefahr geschlossen werden kann. Der Verletzer lässt sich demgemäß praktisch stets auf (zukünftiges) Unterlassen des wettbewerbswidrigen Verhaltens in An-
749 750 751
Oben Rn 36. Dazu unten Rn 359 ff. Nach dem zur Zeit vorliegenden Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Fn 62) ist
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vorgesehen, dass die Formulierung wie folgt gefasst wird: „Wer eine nach § 3 unzulässige Wettbewerbshandlung vornimmt“, was allerdings auch nicht mit sprachästhetischen Erwägungen begründet wird.
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§3
Die Ansprüche nach dem UWG
spruch nehmen, wohingegen der Beseitigungsanspruch schon begriffsnotwendig voraussetzt, dass es überhaupt etwas zu beseitigen gibt. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den zweiten Satz des § 8 Abs 1 UWG. Dieser wäre – 318 für sich genommen – zwar ohne weiteres verständlich, ist jedoch im Gefolge des ersten Satzes ebenfalls unklar. Was gemeint ist, ergibt sich indes mit der hinreichenden Deutlichkeit erst aus der Regierungsbegründung 752: „Durch Satz 2 ist klargestellt, dass der Unterlassungsanspruch auch bei einer Erstbegehungsgefahr gegeben sein kann“. Tatsächlich schließt die Regelung daher nicht, wie es zunächst den Anschein hat, an die vorhergehende Bestimmung bzgl des Unterlassungsanspruches bei Wiederholungsgefahr an, sondern greift hinter diese zurück und bestimmt, dass ein Unterlassungsanspruch auch schon im Vorfeld eines Wettbewerbsverstoßes bestehen kann. Ein letzter Kritikpunkt betrifft schließlich die Tatsache, dass es sich bei § 8 Abs 1 319 UWG um eine weitere unvollständige Norm handelt, weil sie als Anspruchsgrundlage verschiedene Ansprüche einräumt, ohne erkennen zu lassen, dass diese nicht jedermann, sondern nur dem in Abs 3 bestimmten eingegrenzten Personenkreis zustehen sollen. Da es im Wortlaut der Regelung an einer Einschränkung wie „ausschließlich“ oder „nur“ fehlt, lässt sich dies allerdings erst aus dem Kontext bzw unter Hinzuziehung der Gesetzgebungsmaterialien 753 erkennen. 2. Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs Ein Unterlassungsanspruch besteht nur dann und so lange, wie auch eine entspre- 320 chende Begehungsgefahr besteht. Ob diese in Form einer Erstbegehungsgefahr oder einer Wiederholungsgefahr vorliegt, ist grds unerheblich. Bedeutsam ist diese Differenzierung jedoch hinsichtlich der Möglichkeiten, die zur Ausräumung der Begehungsgefahr zur Verfügung stehen. Während die durch einen bereits eingetretenen Wettbewerbsverstoß begründete Wiederholungsgefahr grds nur durch Abgabe einer mit einer hinreichenden Vertragsstrafe gesicherten Unterlassungserklärung (Unterwerfung) ausgeräumt werden kann 754, kann die Erstbegehungsgefahr meist bereits durch die einfache Erklärung ausgeräumt werden, das fragliche Verhalten nicht mehr begehen zu wollen 755. Eine Erstbegehungsgefahr wird allerdings nicht schon dadurch begründet, dass ein gerichtlich in Anspruch Genommener sein Verhalten als wettbewerbskonform verteidigt 756. Die durch die erstmalige Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr geht als tatsächlicher Umstand nicht – etwa bei Tod einer natürlichen Person oder im Falle einer umwandlungsrechtlichen Verschmelzung einer Gesellschaft – auf den Rechtsnachfolger über 757. Für das Entstehen des Unterlassungsanspruchs ist – anders als für den Schadens- 321 ersatzanspruch nach § 9 UWG 758 und den Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 752 753 754
BT-Drucks 15/1487, 22. BT-Drucks 15/1487, 22 f. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 1.38; zu den äußerst seltenen Fällen, in denen die Rechtsprechung ohne Unterwerfung von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen ist: OLG Köln BeckRS 2006, 15022 – Arzneimittelpreisrabatte 2 + 1; OLG Brandenburg GRUR-RR 2006, 199 – Anonymisierung, dazu krit Köhler GRUR-RR 2006, 209, 212.
755
756 757
758
Zum Wegfall der Erstbegehungsgefahr Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 1.26 f. BGH GRUR 2006, 429 Rn 18 – SchlankKapseln. BGH GRUR 2006, 879 Rn 17 – Flüssiggastank; BGH GRUR 2007, 995 Rn 10 ff – Schuldnachfolge. Dazu nachfolgend Rn 335.
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3. Teil
UWG 759 – grds kein Verschulden erforderlich 760. Erfolgt ein Wettbewerbsverstoß jedoch unter Geltung einer zweifelhaften Rechtslage, so kann dies Auswirkungen auf die Wiederholungsgefahr und die Möglichkeit der Ausräumung derselben haben 761, was mittelbar auch für den Unterlassungsanspruch von Bedeutung ist. 3. Gläubiger des Unterlassungsanspruchs
322
Gem § 8 Abs 3 UWG stehen die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche den Mitbewerbern und bestimmten Verbänden sowie der Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern zu. Zu den anspruchsberechtigten Verbänden zählen einerseits die gem § 4 UKlaG bzw Art 4 der Unterlassungsklagen-Richtlinie 762 in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragenen Verbraucherschutzverbände, andererseits aber auch solche Wirtschaftsverbände, denen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die im Wettbewerb zu dem Unterlassungsschuldner stehen und die von ihrer Ausstattung her in der Lage sind, in satzungsmäßiger Weise die Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen.
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a) Mitbewerber – § 8 Abs 3 Nr 1 UWG. Wer Mitbewerber ist, ergibt sich aus der gesetzlichen Definition des § 2 Abs 1 Nr 3 UWG. Demnach kommen diejenigen Unternehmer als Anspruchsinhaber in Betracht, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum Unterlassungsschuldner stehen. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht immer dann, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder gewerbliche Leistungen innerhalb desselben Abnehmerkreises abzusetzen versuchen und das Wettbewerbsverhalten des einen daher den anderen beeinträchtigen, dh im Absatz behindern oder stören kann 763. Es reicht dabei aus, wenn das Wettbewerbsverhältnis erst durch die beanstandete Wettbewerbshandlung begründet wird, etwa indem die angebotenen Leistungen als austauschbar dargestellt werden. Letzteres ist bspw dann der Fall, wenn ein Kaffee-Hersteller mit dem Slogan „statt Blumen ONKO-Kaffee“ dazu animiert, als Gastgeschenk zukünftig Kaffee anstelle von Blumen zu überreichen 764. Der Begriff des Mitbewerbers wird allerdings teilweise in der Rechtsprechung sehr weit ausgelegt. So soll auch schon dann ein Wettbewerbsverhältnis anzunehmen sein, wenn der Vertrieb des einen Produkts den Vertrieb des anderen Produkts behindern kann. So soll etwa ebenso ein Wettbewerbsverhältnis zwischen einem (privaten) Fernsehunternehmen und dem Anbieter eines sog „Werbeblockers“ bestehen 765 wie zwischen dem Betreiber eines Internet-Portals und dem Anbieter eines SuchmaschinenSpamfilters 766. Kein Wettbewerbsverhältnis besteht allerdings zwischen einem Telekommunikationsunternehmen, welches Call-by-Call-Tarife anbietet und dem Inhaber einer 759 760
761
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Dazu nachfolgend Rn 340. Fezer/Büscher § 8 UWG Rn 42; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 2.4 f; Piper/Ohly/Piper § 8 UWG Rn 1. Vgl OLG Köln BeckRS 2006, 15022 – Arzneimittelpreisrabatte 2 + 1; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 8 UWG Rn 1.43. Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl L 166, 51. BGH GRUR 2007, 978 Rn 16 – Rechts-
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764 765 766
beratung durch Haftpflichtversicherer; OLG Düsseldorf GRUR 2005, 523 – Mitbewerbereigenschaft. So bereits BGH GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. BGH GRUR 2004, 877, 878 f – Werbeblocker. OLG Hamm GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter; vgl weiterhin zum Mitbewerberbegriff des § 8 Abs 3 Nr 1 UWG in Abgrenzung zu denjenigen des § 6 Abs 1 UWG: Dreyer GRUR 2008, 123, 124 ff.
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Die Ansprüche nach dem UWG
Mehrwertdiensterufnummer, der Verbraucher durch kurze Ping- oder Lockanrufe zum Rückruf einer kostenpflichtigen Rufnummer zu veranlasen sucht 767. Im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch kommt es allerdings nicht darauf an, ob die Tätigkeit des Mitbewerbers rechtlich zulässig ist 768. b) Wirtschaftsverbände – § 8 Abs 3 Nr 2 UWG. Ob ein Wirtschaftsverband an- 324 spruchsberechtigt ist, hängt davon ab, ob er die in § 8 Abs 3 Nr 2 UWG vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Hier muss im Einzelfall vor allem geprüft werden, ob dem Verband eine erhebliche Anzahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Es kommt dabei allerdings nicht auf einen allgemeinen Sortimentsvergleich an, sondern einzig um den Bereich der von der zu verfolgenden Wettbewerbshandlung betroffenen Waren oder Dienstleistungen 769. Dabei ist allerdings ein großzügiger Maßstab anzulegen, da auch ähnliche Waren und Dienstleistungen als austauschbar anzusehen sind und damit im Wettbewerb zueinander stehen 770. Die Mitgliedschaft der im Wettbewerb stehenden Unternehmer muss auch nicht eine unmittelbare sein; es reicht nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung aus, wenn zu den Mitgliedern des Wirtschaftsverbandes ein anderer Verband gehört, dem wiederum eine erhebliche Anzahl von Wettbewerbern angehören 771. Eine ausdrückliche Ermächtigung des Verbandes zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch seine Mitglieder ist nicht erforderlich 772. Der Verband muss allerdings aufgrund seiner sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sein, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger Interessen tatsächlich wahrzunehmen. Die finanzielle Ausstattung muss dabei allerdings nicht zwingend über Mitgliedsbeiträge erfolgen, sondern kann sich auch aus erzielten Abmahngebühren und Vertragsstrafen ergeben 773. Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Verband – unmittelbar oder mittelbar – eine erhebliche Anzahl von Wettbewerberb angehört, ist nicht entscheidend, ob diese Verbandsmitglieder nach ihrer Zahl und ihrem wirtschaftlichen Gewicht im Verhältnis zu allen anderen auf dem Markt tätigen Unternehmen repräsentativ sind, sondern ob sie solchermaßen repräsentativ sind, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbandes ausgeschlossen werden kann 774. c) Verbraucherverbände – § 8 Abs 3 Nr 3 UWG. Verhältnismäßig einfach lässt sich 325 die Anspruchsberechtigung der Verbraucherverbände durch einen Blick in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste qualifizierter Einrichtungen gem § 4 UKlaG 775 bzw
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OLG Düsseldorf GRUR 2005, 523 f – Mitbewerbereigenschaft. BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-ZellKomplex; im Hinblick auf eine unstreitig erteilte staatliche Erlaubnis offen gelassen BGH GRUR 2005, 176 – Nur bei Lotto; vgl hierzu auch oben Rn 192. BGH GRUR 2006, 778 Rn 19 – Sammelmitgliedschaft IV; BGH GRUR 2007, 610 Rn 17 – Sammelmitgliedschaft V. BGH GRUR 2006, 778 Rn 19 – Sammelmitgliedschaft IV; BGH GRUR 2007, 610 Rn 17 – Sammelmitgliedschaft V. BGH GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BGH GRUR 2006, 778
772
773 774 775
Rn 17 – Sammelmitgliedschaft IV; BGH GRUR 2007, 610 Rn 15 – Sammelmitgliedschaft V. BGH GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BGH GRUR 2007, 610 Rn 21 – Sammelmitgliedschaft V. BGH GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III. BGH GRUR 2007, 809 Rn 15 – Krankenhauswerbung. Liste abrufbar unter: www.bundesjustizamt. de → Handels- und Wirtschaftsrecht → Verbraucherschutz → Liste qualifizierter Einrichtungen.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
in das bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften geführte Verzeichnis gem Art 4 der Unterlassungsklagen-Richtlinie 776 überprüfen.
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d) Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern – § 8 Abs 3 Nr 4 UWG. Unter die Regelung des § 8 Abs 3 Nr 4 UWG fallen nur die nach öffentlichem Recht verfassten Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern. Andere öffentlich-rechtlich verfasste Kammern, wie etwa Rechtsanwalts-, Steuerberater und Ärztekammern, können allerdings nach Maßgabe des § 8 Abs 3 Nr 2 UWG anspruchsbefugt sein. Im Gesetzgebungsverfahren wurde Letzteres auf Anregung des Bundesrates noch einmal speziell für die Berufsorganisationen der Landwirte klargestellt 777. Soweit den jeweiligen Kammern auch hoheitliche Befugnisse zukommen, mittels derer sie in das Verhalten ihrer Mitglieder eingreifen können, schließt dies ein Vorgehen auf dem Zivilrechtswege nicht schlechthin aus 778. Die Kammern müssen allerdings stets abwägen, ob ein Vorgehen gegen Kammerangehörige auf dem Zivilrechtswege angemessen erscheint und nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsausübungsfreiheit eingreift 779.
327
e) Einschränkung der Anspruchsberechtigung und Prozessstandschaft. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist ausnahmsweise dann enger zu ziehen als nach dem Wortlaut des § 8 Abs 3 UWG eigentlich vorgesehen, wenn nämlich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles typischerweise nur die Interessen eines oder weniger Marktteilnehmer berührt sind. Dies ist namentlich bei Wettbewerbsverstößen iSd § 4 Nr 7 UWG (Herabsetzung von Mitbewerbern), § 4 Nr 8 UWG (Anschwärzung) und § 4 Nr 9 UWG (wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) der Fall. Hier ist der Unterlassungsanspruch nur den jeweils betroffenen Marktteilnehmern zuzusprechen, wenn nicht durch zusätzliche Unlauterkeitsmomente auch Allgemeininteressen betroffen sind 780. In einer überwiegend kennzeichenrechtlich geprägten Entscheidung hat der BGH durchblicken lassen, dass auch die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche im Wege der sog gewillkürten Prozessstandschaft nicht ausgeschlossen ist, wenn der zur Prozessführung Ermächtigte aufgrund seiner besonderen Beziehung zum Anspruchsinhaber ein schutzwürdiges Interesse an der Rechtsverfolgung hat, was auch aufgrund einer aufgabenteiliger Arbeitsweise von Konzernunternehmen der Fall sein kann 781. Die isolierte Abtretung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist jedoch nicht möglich, weil hierdurch die bewusste gesetzliche Beschränkung der anspruchsberechtigten Gläubiger umgangen werden würde 782. 4. Schuldner des Unterlassungsanspruchs
328
Schuldner eines Unterlassungsanspruches ist nach dem Wortlaut des § 8 Abs 1 UWG zunächst derjenige, der „dem § 3 zuwiderhandelt“ 783, also derjenige, der den Wettbewerbsverstoß selbst begeht oder – im Falle von Erstbegehungsgefahr – zu begehen droht 776
777 778 779 780
Das Verzeichnis wird gem Art 4 Abs 3 der Richtlinie alle sechs Monate im Amtsblatt veröffentlicht, vgl ABl C 039 vom 16.2.2006, Seite 2. BT-Drucks 15/1487, 33, 42. BGH GRUR 2006, 598 Rn 14 – Zahnarztbriefbogen. BGH GRUR 2006, 598 Rn 14 – Zahnarztbriefbogen; BVerfG NJW 2004, 3765, 3766. Vgl oben bei Rn 166, 179 und 192; eine entsprechende Beschränkung der Anspruchs-
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781 782 783
berechtigten bei einem Verstoß gegen § 4 Nr 2 UWG hat der BGH hingegen ausdrücklich abgelehnt: BGH GRUR 2007, 978 Rn 26 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. BGH GRUR 2006, 329 Rn 21 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem. BGH GRUR 2007, 978 Rn 33 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. Zur Kritik am Sprachstil dieser Formulierung s bereits oben Rn 317.
Mirko Möller
§3
Die Ansprüche nach dem UWG
(„Verletzer“). Obwohl die für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs grds erforderliche Wiederholungsgefahr als tatsächlicher Umstand angesehen wird 784, sieht § 8 Abs 2 UWG eine Ausweitung des Anspruchs auf den Inhaber eines Unternehmens vor, wenn der Wettbewerbsverstoß von einem Mitarbeiter oder Beauftragten desselben begangen wurde. Wenngleich die Zurechnung nach dieser Norm von der Rechtsprechung verhältnismäßig großzügig gehandhabt wird – so ist es etwa nicht erforderlich, dass der Unternehmer tatsächlich einen maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten des Beauftragten hat, wenn er sich einen solchen nur aufgrund des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses nur sichern könnte 785 –, hat auch diese Zurechnung ihre Grenzen. So muss sich etwa der Lieferant von im Rahmen einer Teleshopping-Sendung angebotener Ware nicht die irreführenden Aussagen der Moderatoren bzw Gäste der Sendung über § 8 Abs 2 UWG zurechnen lassen, wenn zwischen ihm und dem Sender nur eine gewöhnliche Käufer-Verkäufer-Beziehung besteht786; etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die fraglichen Aussagen von einem Mitarbeiter bzw Beauftragten des Verkäufers in der Rolle des Studiogastes getätigt werden 787. Während eine Konzerntochtergesellschaft als Beauftragte der Muttergesellschaft fungieren kann 788, ist dies umgekehrt nicht möglich789. Auch findet grds keine Zurechnung für Handlungen statt, die ein Mitarbeiter außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit in seinem privaten Bereich vorgenommen hat und zwar selbst dann, wenn die Handlung ihrer Art nach zum Unternehmensbereich gehört 790. Neben dem Verletzer können grds auch dessen Anstifter und Gehilfen auf Unterlas- 329 sung in Anspruch genommen werden. Da es jedoch für die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts ausreichend ist, fremden Wettbewerb zu fördern 791, kommt dieser sog Teilnehmerhaftung nur verhältnismäßig geringe Bedeutung zu, weil in diesen Fällen meist auch eine Haftung als Verletzer in Betracht kommt. Schließlich ist der Anwendungsbereich für die Teilnehmerhaftung auch deshalb noch einmal erheblich eingeschränkt, weil eine derartige Haftung – anders als diejenige des Verletzers selbst – ein Verschulden in Form von Vorsatz voraussetzt 792. Eine Anstifter- oder Gehilfenhaftung kommt etwa in Betracht, wenn ein unzureichendes Altersverifikationssystem in Kenntnis des Umstandes vertrieben wird, dass damit jugendgefährdende Internet-Inhalte ohne hinreichende Sicherung verfügbar werden793 oder wenn der Verleger einer Testzeitschrift Unternehmen entgeltlich gestattet, unter Verwendung der Labels der Zeitschrift mit dem Testergebnis zu
784 785
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Dazu bereits vorstehend Rn 320. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 2.44 aE; vgl für die Zurechnung im Ordnungsmittelverfahren auch OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 8.6. 2006, 4 W 11/06, abrufbar unter lrbw.juris.de. OLG Köln GRUR-RR 2006, 205, 206 – Bluerate Tarif-Wunder. OLG Köln GRUR-RR 2006, 205, 206 – Bluerate Tarif-Wunder. BGH GRUR 2005, 864, 865 – Meißner Dekor II (für die Parallelvorschrift des § 14 Abs 7 MarkenG). OLG Hamburg BeckRS 2007, 00909 – Sicherheitsprofil. BGH GRUR 2007, 994 Rn 19 – Gefällig-
791 792
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keit. Das LG München GRUR-RR 2007, 345, 346 f – Beweislastverteilung nimmt – im Hinblick auf die Parallelvorschrift des § 100 UrhG – jedoch eine weit gehende Beweiserleichterung zu Gunsten des Unterlassungsgläubigers an. Dazu oben Rn 41. BGH GRUR 2007, 890 Rn 21 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; OLG Brandenburg GRUR-RR 2007, 18, 19 – Indiziertes Bildmaterial; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 2.6; Fezer/ Büscher § 8 UWG Rn 95; unklar Piper/ Ohly/Piper § 8 UWG Rn 146; Leible/Sosnitza NJW 2007, 3324, 3325. BGH GRUR 2008, 534 Rn 45 ff – ueber18.de.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
werben und nicht zugleich auf die aus dem begrenzten Umfang des Tests resultierende mögliche Irreführungsgefahr hinweist 794. Ob und inwiefern nach dem Modell der sog Störerhaftung auch eine Haftung von 330 solchen Personen besteht, die nach Vorstehendem weder als Täter noch als Anstifter oder Gehilfe anzusehen sind, ist zur Zeit wieder völlig offen. Die frühere Rechtsprechung nahm zunächst eine sehr weit gehende Haftung bzgl dritter Personen an, die durch ihr Verhalten willentlich und adäquat kausal einen Beitrag zu einem fremden Wettbewerbsverstoß geleistet haben. Nicht zuletzt als Reaktion auf die anhaltende Kritik aus dem Schrifttum und zur Eindämmung einer ausufernden Haftung wurde das Modell der Störerhaftung in späterer Zeit erheblich modifiziert, indem die Verletzung einer Prüfungspflicht zur Voraussetzung für die Haftung als Störer angesehen wurde. Eine Haftung sollte danach dann nicht bestehen, wenn der Wettbewerbsverstoß für den Dritten nicht ohne weiteres bzw nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erkennbar war 795. Auf diese Weise wurde etwa die Haftung eines Verlagshauses für das Setzen eines Hyperlinks im redaktionellen Teil der elektronischen Ausgabe einer Zeitschrift auf das rechtswidrige Angebot eines Wettveranstalters im Ergebnis verneint 796. Ebenso wurde eine Haftung der Domain-Registrierungsstelle DENIC für eine mögliche Markenverletzung durch die von einem Dritten beantragte Registrierung einer Internet-Domain 797 und die Haftung eines ein Verzeichnis von Wirtschaftskanzleien herausgebenden Verlages verneint 798. Aufgrund der zunehmenden Zurückhaltung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Rechtskonstruktion der Störerhaftung 799 wurde in der Literatur bereits deren Ende prophezeit 800. Völlig überraschend hat der BGH nunmehr in der Entscheidung Jugendgefährdende Medien bei eBay 801 die Lehre von den im Zusammenhang mit der Störerhaftung entwickelten Prüfungspflichten von dem Rechtskonstrukt der Störerhaftung gelöst und diese unter dem Topos der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten unmittelbar der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG unterstellt. Während in einer nur wenige Monate älteren markenrechtlichen Entscheidung zur Haftung des Betreibers eines Internet-Versteigerungssystems noch ausdrücklich das Modell der Störerhaftung bemüht wurde 802, hält der BGH nunmehr zumindest im Bereich etwaiger Wettbewerbsverstöße – im Streitfall ging es darum, dass Benutzer des Versteigerungssystems jugendgefährdende Medien in das eBay-System eingestellt hatten – eine unmittelbare Haftung aus § 3 UWG für gegeben. Die Begrenzung dieser nahezu unbegrenzten Haftungsausweitung will der BGH nunmehr erklärtermaßen wiederum über die Defini-
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OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 16, 18 – ÖKO-Test (Haftung dort im Ergebnis verneint). BGH GRUR 1997, 909, 911 – Branchenbuch-Nomenklatur. BGH GRUR 2004, 693, 395 f – Schöner Wetten. BGH GRUR 2001, 1038, 1039 f – ambiente.de. BGH GRUR 2006, 875 Rn 32 f – Rechtsanwalts-Ranglisten. Die Entscheidung stellt allerdings insofern ein Kuriosum dar, als das Gericht Erwägungen zur Störerhaftung anstellt ohne zuvor einen Wettbewerbsverstoß eines Dritten festgestellt zu haben. Vgl etwa BGH GRUR 2006, 957 Rn 13 –
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Stadt Geldern und BGH GRUR 2007, 708 Rn 40 – Internet-Versteigerung II. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 2.14. BGH GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; dazu Köhler GRUR 2008, 1 ff; Köhler GRUR-RR 2007, 337, 343; krit Hoeren EWiR 2007, 635. BGH GRUR 2007, 708 Rn 40 – InternetVersteigerung II, krit dazu Leible/Sosnitza NJW 2007, 3324 ff; zuvor bereits BGH GRUR 2004, 860, 863 f – Internet-Versteigerung; zu verschiedenen Entscheidungen der Instanzgerichte zur Störerhaftung von Host-Providern: Wilmer NJW 2008, 1845.
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§3
Die Ansprüche nach dem UWG
tion von Prüfungspflichten erreichen 803. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich auf die zur Störerhaftung ergangenen Entscheidungen verwiesen, so dass sich die Frage stellt, ob mit der Entscheidung nur der rechtstechnische Anknüpfungspunkt ausgetauscht oder für das Wettbewerbsrecht eine inhaltliche Neuausrichtung erfolgt ist 804. Eine Haftung der Medienverantwortlichen und Dienstebetreiber hängt damit unge- 331 achtet der Frage der rechtsdogmatischen Anknüpfung jedenfalls davon ab, dass zumutbare Prüfungspflichten verletzt wurden. Soweit es um die Veröffentlichung fremder Inhalte geht, haben die Gerichte stets die Bedeutung des Presseprivilegs nach Art. 5 Abs 1 GG hervorgehoben und daraus den Schluss gezogen, dass sich die Überprüfungspflicht der Presseunternehmen und Anzeigenredakteure auf grobe und unschwer zu erkennende Verstöße beschränkt 805. Die Bewertung, ob ein Verstoß „grob und unschwer zu erkennen“ ist, muss aus der Perspektive der jeweiligen Personen beurteilt werden. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, dass Anzeigenredakteure für gewöhnlich unter großem Zeitdruck arbeiten, eine Vielzahl von Anzeigen sichten müssen und schon deshalb nicht in der Lage sein können, die Wettbewerbswidrigkeit der einzelnen Anzeige zu beurteilen, wenn sich diese nicht ausnahmsweise bereits bei erster Betrachtung aufdrängt. Hierfür reicht es jedoch gerade nicht aus, wenn lediglich bestimmte Anhaltspunkte für die Wettbewerbswidrigkeit bestehen, soweit es zur abschließenden Beurteilung spezieller Kenntnisse – etwa im Falle einer reißerischen Werbung für ein Schlankheitsmittel über den Stand der ernährungswissenschaftlichen Forschung – bedarf, die bei Anzeigenredakteueren nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können 806. Die in § 9 S 2 UWG vorgesehene Haftungsprivileg für den Herausgeber periodischer 332 Druckschriften auf vorsätzliche Zuwiderhandlungen bezieht sich nur auf den Schadensersatzanspruch nach § 9 UWG und hat für den Unterlassungsanspruch keine Bedeutung. Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung des BGH 807 auch für das in § 10 TMG (früher: § 11 TDG) vorgesehene Haftungsprivileg der Diensteanbieter. 5. Beseitigungsanspruch Vorstehend ist bereits aufgezeigt worden, dass dem in § 8 Abs 1 UWG gesetzlich nor- 333 mierten Beseitigungsanspruch nicht dieselbe praktische Bedeutung zukommt wie dem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch. Dauern die Auswirkungen einer bereits begangenen Wettbewerbsverletzung jedoch an, so lässt sich der Beseitigungsanspruch dazu einsetzen, diesen Zustand zu benden. Einen besonderen Fall des Beseitigungsanspruches stellt der sog Widerrufsanspruch dar, der dazu dient, die negativen Folgen wettbewerbswidriger Tatsachenbehauptungen zu beseitigen 808. Der Anspruch steht jedoch unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und befindet sich in einem Konkurrenzverhältnis mit dem Anspruch auf Urteilsveröffentlichung gem § 12 Abs 3 UWG 809. 803 804
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BGH GRUR 2007, 890 Rn 38 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. Köhler GRUR 2008, 1, 7 konstatiert, dass es lediglich um ein terminologisches, nicht aber um ein sachliches Problem gehe. BGH GRUR 2006, 875 Rn 32 – Rechtsanwalts-Ranglisten; BGH GRUR 2006, 429 Rn 15 – Schlank-Kapseln; BGH GRUR 2002, 360, 366 – „H.I.V. POSITIVE“ II; BGH GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung; BGH GRUR 1992 618, 619 – Pressehaftung II.
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BGH GRUR 2006, 429 Rn 16 – SchlankKapseln. BGH GRUR 2007, 890 Rn 20 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH GRUR 2007, 708 Rn 17 f – Internet-Versteigerung II; zu § 11 TDG: BGH GRUR 2004, 860, 862 f – Internet-Versteigerung. Dazu Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 1.95 f. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 8 UWG Rn 1.99 f.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
6. Ausschluss bei missbräuchlicher Geltendmachung – § 8 Abs 4 UWG
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Die Regelung des § 8 Abs 4 UWG dient der Verhinderung einer missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen. So überzeugend der Ansatz dieser Regelung – Verhinderung von Missbräuchen – auch prinzipiell ist, so fragwürdig ist indes eine solche Regelung in dogmatischer Hinsicht. Das Gesetz nimmt dem Anspruchsinhaber damit die Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung 810, nachdem es ihm – denklogisch notwendig – zuvor einen entsprechenden Anspruch zugebilligt hat ohne im einzelnen die Voraussetzungen zu benennen, unter denen von einer missbräuchlichen Geltendmachung auszugehen ist 811. Die Rechtsprechung geht wohl auch aus diesem Grund verhältnismäßig zurückhaltend mit der Annahme eines möglichen Missbrauchs um. Selbst wenn ein Unternehmer gegen eine Vielzahl von Wettbewerbern nach vorheriger systematischer Suche nach Wettbewerbsverstößen vorgeht („Massenabmahnungen“), soll dies allein noch nicht auf eine missbräuchliche Geltendmachung schließen lassen 812. Darüberhinaus wird der in § 8 Abs 4 UWG enthaltene Verweis auf die „in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche“ sehr wörtlich genommen und eine entsprechende Anwendung auf den Erstattungsanspruch bzgl der Abmahnkosten abgelehnt 813. Eine missbräuchliche Geltendmachung soll jedoch vorliegen, wenn mehrere verbundene Unternehmen – etwa Konzerngesellschaften – jeweils gesondert gegen einen Verletzer vorgehen 814. Aber auch der umgekehrte Fall, dass gegen verschiedene zusammengehörige Unternehmen wegen vergleichbarer Wettbewerbsverstöße jeweils in getrennten Verfahren vorgegangen wird, ohne die Möglichkeit einer subjektiven Klagehäufung zu nutzen, soll die Annahme einer missbräuchlichen Geltendmachung iSd § 8 Abs 4 UWG jedenfalls dann rechtfertigen, wenn hinsichtlich sämtlicher Anspruchsgegner ein einheitlicher Gerichtsstand begründet ist 815. Inwiefern ein Gläubiger vor dem Hintergrund des Missbrauchsverbots gehalten ist, verschiedene Wettbewerbsverstöße gegen ein und denselben Unterlassungsschuldner zusammen geltend zu machen, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Im Zweifel ist bei verschiedenen Wettbewerbsverstößen davon auszugehen, dass diese – ohne dem Vorwurf der Missbräuchlichkeit zu begegnen – auch gesondert geltend gemacht werden können 816. 810
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Zum Streit, ob § 8 Abs 4 UWG nur zur Unzulässigkeit von Klage und Verfügungsantrag führt oder eine rechtsvernichtende Einwendung darstellt vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 8 UWG Rn 4.3 f. In letzterem Punkt unterscheidet sich die Regelung maßgeblich von dem Schikaneverbot des § 226 BGB. Vgl etwa OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2007, 56, 57 f – sprechender Link; LG München I GRUR-RR 2006, 418 f – Preissuchmaschine; OLG München GRUR-RR 2007, 55 – Media-Markt, abweichend die Vorinstanz LG München I GRUR-RR 2006, 416, 417 f – Media-Märkte. BGH GRUR 2007, 164 Rn 11 – TelefaxWerbung II. Keine missbräuchliche Geltendmachung hat das OLG Frankfurt aM GRUR-RR 2006, 247, 248 – 40 Jahre Garantie angenommen, weil Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich die in Anspruch Genommenen mit
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anderen Argumenten gegen die Klagevorwürfe verteidigen und sich die Verfahren daher unterschiedlich entwickeln würden; ähnlich auch OLG Köln GRUR-RR 2006, 203 – Der Beste Preis der Stadt u OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 374, 375 f – 200. Neueröffnung, wo es jeweils um einen Sachverhalt ging, der nur hinsichtlich eines bestimmten Gesichtspunktes bei den in Anspruch genommenen Konzernunternehmen identisch war. BGH GRUR 2006, 243 Rn 15 ff – MEGA SALE; Köhler GRUR-RR 2006, 73, 77; aA OLG Nürnberg GRUR-RR 2005, 169 f – Unterhaltungselektronik. OLG Hamburg BeckRS 2007, 00910 – Der debitel Sommerhit; dort ging es zwar jeweils um dieselbe Werbung, die jedoch in unterschiedlichen Medien platziert wurde und daher eine differenzierte Betrachtung erforderte; vgl auch OLG Hamburg CR 2008, 400, wonach die Abmahnung einer Printwerbung nicht deshalb entbehrlich ist, weil
Mirko Möller
§3
Die Ansprüche nach dem UWG
III. Der Schadensersatzanspruch – § 9 UWG Gem § 9 UWG ist derjenige, der eine Wettbewerbsverletzung gem § 3 UWG vorsätz- 335 lich oder fahrlässig begeht 817, den Mitbewerbern zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Im Unterschied zu den aus § 8 UWG folgenden Unterlassungsund Beseitigungsansprüchen bedingt ein Schadensersatzanspruch nach § 9 UWG damit Verschulden auf Seiten des Verletzers. Während ein vorsätzliches Handeln nach allgemeinem Begriffsverständnis vorliegt, wenn der Verletzer um den Eintritt des rechtswidrigen Erfolges weiß und diesen auch will („Wissen und Wollen“), wird der Begriff der Fahrlässigkeit in § 276 Abs 2 BGB definiert. Demnach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt im Einzelfall geboten ist, lässt sich dabei nicht allgemein beantworten, sondern hängt von den jeweiligen Umständen ab. Die Rechtsprechung legt im unternehmerischen Geschäftsverkehr einen verhältnismäßig strengen Maßstab an und verlangt von Unternehmern, dass diese in Zweifelsfällen sachkundigen Rat einholen 818. Der Umfang des Schadensersatzanspruches richtet sich grds nach den Regeln des Bürger- 336 lichen Rechts (§§ 249 ff BGB), was in der Begründung des Regierungsentwurfs zum UWG noch einmal klargestellt wurde 819. Damit umfasst der zu ersetzende Schaden grds auch den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). In der Praxis gestaltet es sich in den meisten Fällen jedoch verhältnismäßig schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die auf einen bestimmten Wettbewerbsverstoß zurückgehenden Gewinneinbußen konkret zu beziffern, was mit der Komplexität des Marktgeschehens zu erklären ist. Hätte der Mitbewerber den Gewinn nur seinerseits unter Begehung eines Rechtsverstoßes erzielen können, ist dieser bereits dem Grunde nach nicht ausgleichsfähig 820. Etwas günstiger gestaltet sich die Bezifferung des Schadensersatzanspruches, wenn dem verletzten Mitbewerber die von der Rechtsprechung in bestimmten Fällen zugestandene Möglichkeit der sog dreifachen Schadensberechnung zur Verfügung steht 821. Im Rahmen des Wettbewerbsrechts wird diese Schadensberechnung bei Verstößen gegen § 4 Nr 9 UWG und gegen § 17 UWG für zulässig gehalten 822. Der Verletzte hat dann die Möglichkeit, statt den ihm entstandenen konkreten Schaden zu beziffern, von dem Verletzer den dort aufgrund der Verletzung entstandenen Gewinn herauszuverlangen oder – was in der Praxis von Bedeutung ist – einen Ausgleich in Form einer fiktiven Lizenzgebühr zu verlangen („Lizenzanalogie“). Sowohl Verletzergewinn als auch fiktive Lizenzgebühr lassen sich jedoch erst mit Kenntnis der Dauer und des Umfanges der Verletzung überhaupt berechnen, weshalb die Rechtsprechung dem Verletzten regelmäßig entsprechende Auskunftsansprüche gegen den Verletzer zubilligt. Gem § 9 S 2 UWG kommt ein Schadensersatzanspruch gegen verantwortliche Perso- 337 nen von periodisch erscheinenden Druckschriften nur im Falle vorsätzlicher Zuwiderhandlungen in Betracht. Dieses sog Presseprivileg schließt es selbst in Fällen grober Fahr-
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der Verletzer auf die vorherige Abmahnung einer entsprechenden Onlinewerbung nicht reagiert hat! Was die stilistische Kritik bzgl der Formulierung („… dem § 3 … zuwiderhandelt“), gilt das vorstehend zu § 8 Abs 1 UWG Gesagte entsprechend, vgl Rn 317. Nachweise bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 9 UWG Rn 1.19. BT-Drucks 15/1487, 23. BGH GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-
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Zell-Komplex; zur Parallelfrage beim Unterlassungsanspruch bereits oben Rn 323. Dazu grds Teil 1 Kap 4 Rn 52 ff. BGH GRUR 2007, 431 Rn 25 – Steckverbindergehäuse; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 9 UWG Rn 1.36; Ohly GRUR 2007, 926, 932 plädiert auch für die modifizierte Anwendung dieser Grundsätze bei bestimmten Verstößen gegen §§ 6 Abs 2 Nr 3 und Nr 4, 4 Nr 7 UWG.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
lässigkeit aus, Schadensersatzansprüche aus § 9 UWG abzuleiten 823. Die Regelung soll ausweislich der Regierungsbegründung nur für die Veröffentlichung fremdgestalteter Inhalte – insbesondere Werbeanzeigen – gelten, weshalb sich derjenige nicht auf das Presseprivileg berufen kann, der den Inhalt einer solchen Anzeige aktiv mitgestaltet hat 824. Mit der Regelung des § 9 S 2 UWG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei der Herausgabe periodischer Druckschriften typischerweise ein gewisser zeitlicher Druck bei der Prüfung von Anzeigen besteht 825. Dieser Erwägung entsprechend fallen unter den Begriff der periodischen Druckschrift sowohl Zeitungen als auch Zeitschriften und sonstige auf wiederkehrendes Erscheinen gerichtete Druckwerke 826. Nicht unbedingt erforderlich ist hingegen ein regelmäßiges Erscheinen 827. Einmal erscheinende Druckwerke – etwa eine anlässlich eines sportlichen Großereignisses erstellte Eventzeitung – gehören ebensowenig zu den privilegierten Medien wie Druckschriften, die – wie bspw Jahrbücher – innerhalb sehr großen Zeitabständen erscheinen, weil auch bei diesen nicht der die Regelung des § 9 S 2 UWG rechtfertigende typische Zeitdruck bei der Erstellung besteht 828. Obgleich § 9 S 2 UWG ausdrücklich nur von Druckschriften spricht, lässt sich die Regelung auf andere Medien entsprechend anwenden, wenn diese auf wiederkehrende Übermittlung von Informationen gerichtet sind und typischerweise ein vergleichbarer zeitlicher Druck bei der Prüfung von Fremdinhalten besteht. Dies ist etwa beim Rundfunk der Fall. Für die Betreiber von Telemediendiensten gilt insofern das spezialgesetzliche Haftungsprivileg des § 10 TMG.
IV. Auskunftsansprüche 338
Nach § 8 Abs 5 UWG in Verbindung mit § 13 UKlaG steht bestimmten Stellen ein Auskunftsanspruch gegenüber Post- und Telekommunikationsunternehmen sowie gegenüber Erbringern von Tele- und Mediendiensten zu, der auf Mitteilung des Namens und der zustellungsfähigen Anschrift eines Teilnehmers des jeweiligen Dienstes gerichtet ist. Der Auskunftsanspruch setzt voraus, dass die auskunftsberechtigte Stelle schriftlich versichert, dass die Auskunft zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 8 UWG benötigt wird und auf andere Weise nicht zu beschaffen ist (§ 13 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 UKlaG). Auskunftsberechtigt sind neben den Verbraucherverbänden gem § 8 Abs 3 Nr 3 UWG und den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern nur die in § 13 Abs 5 UKlaG genannten Wettbewerbsverbände. Zu Letzteren zählen neben der bereits im UKlaG ausdrücklich genannten Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs nur die durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz 829 ausdrücklich bestimmten weiteren Verbände. Diejenigen Wirtschaftsverbände iSd § 8 Abs 3 Nr 2 UWG, die nicht zugleich Wettbewerbsverbände im Sinne dieser Rechtsverordnung sind, können zwar keinen entsprechenden Auskunftsanspruch geltend machen, haben jedoch einen Herausgabeanspruch gegen die Wettbewerbsverbände hinsichtlich der von diesen erlangten Auskünfte (§ 13 Abs 3 UKlaG). Dieser Herausgabeanspruch setzt allerdings voraus, dass der entsprechende Wettbewerbsverband seinerseits den ihm zustehenden Auskunfts-
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Zur Haftung hinsichtlich der aus § 8 Abs 1 UWG folgenden Unterlassungsansprüche vorstehend Rn 330. Vgl BT-Drucks 15/1487, 23. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 9 UWG Rn 2.13; Fezer/Koos § 9 UWG Rn 39.
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BT-Drucks 15/1487, 23. BT-Drucks 15/1487, 23. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 9 UWG Rn 2.13. Unterlassungsklageverordnung (UKlaV) vom 3.7.2002, BGBl I S 2565.
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§3
Die Ansprüche nach dem UWG
anspruch geltend gemacht hat, eine diesbezügliche Verpflichtung zur Geltendmachung begründet § 13 Abs 3 UKlaG nämlich nicht 830. Ebenso wie der originäre Auskunftsanspruch nach § 13 Abs 1 UKlaG iVm § 8 Abs 5 UWG setzt auch der Herausgabeanspruch die Abgabe einer schriftlichen Versicherung voraus, dass die Auskunft zur Durchsetzung eines Anspruches nach § 8 UWG benötigt wird und anderweitig nicht zu beschaffen ist. Neben dem in § 8 Abs 5 UWG ausdrücklich normierten Auskunftsanspruch können 339 weitere Auskunftsansprüche nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen bestehen. Namentlich wird von der Rechtsprechung ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB unter der Voraussetzung abgeleitetet, dass zwischen den Parteien ein Anspruch dem Grunde nach besteht, dem Gläubiger keine anderweitige Informationsmöglichkeit zur Verfügung steht und dieser die Ungewissheit nicht zu vertreten hat 831. Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob sich der solchermaßen zuzusprechende Auskunftsanspruch auch auf ähnliche Wettbewerbsansprüche bezieht 832. Nach zwischenzeitlich übereinstimmender Rechtsprechung des I. und des X. Zivilsenates des BGH steht immerhin fest, dass ein solcher Auskunftsanspruch zeitlich nicht durch die vom Gläubiger nachgewiesene erste Verletzungshandlung begrenzt ist 833. Ein auf § 242 BGB gestützter Auskunftsanspruch ist häufig in den Fällen Voraussetzung für die Berechnung eines Schadensersatzanspruches, in denen dem Gläubiger die Bezifferung seines Schadens nach der sog dreifachen Schadensberechnung zubilligt wird 834.
V. Gewinnabschöpfungsanspruch – § 10 UWG Der in § 10 UWG geregelte sog Gewinnabschöpfungsanspruch stellt ein Novum des 340 UWG von 2004 dar. Die Regelung war bereits im Gesetzgebungsverfahren höchst umstritten 835. Dieser Anspruch soll es ermöglichen, dem Verletzer einen durch vorsätzliches wettbewerbswidriges Verhalten zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielten Gewinn wegzunehmen. Größere praktische Bedeutung hat dieser Anspruch bislang nicht erlangt, was damit zusammenhängt, dass die insofern anspruchsberechtigten Verbände das volle Prozessrisiko tragen, der Gewinn im Falle des Obsiegens jedoch an den Bundeshaushalt abgeführt wird. Hinzu kommt, dass der Anspruch auf Fälle vorsätzlicher Wettbewerbsverstöße beschränkt ist und sich der Vorsatz als subjektive Tatsache häufig nur schwer beweisen lässt 836. In einer ersten obergerichtlichen Entscheidung zu diesem Anspruch hat das OLG Stuttgart immerhin klargestellt, dass insofern bedingter Vorsatz ausreicht 837.
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834 835
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 13 UKlaG Rn 7 aE. Hierzu eingehend Teil 1 Kap 4 Rn 65 f. BGH GRUR 2006, 504 Rn 36 – Parfümtestkäufe einerseits u BGH GRUR 2006, 426 Rn 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz andererseits. So nunmehr auch der I. Zivilsenat in BGH GRUR 2007, 877 Rn 24 f – Windsor Estate; anders noch BGH GRUR 2003, 892, 893 – Alt Luxemburg. Dazu vorstehend Rn 336. Vgl etwa die Stellungnahme des Bundes-
836
837
rates BT-Drucks 15/1487, 34 f und die Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drucks 15/1487, 43; aus der Literatur: Köhler GRUR 2003, 265 ff; WimmerLeonhardt GRUR 2004, 12 ff; Mönch, ZIP 2004, 2032 ff. Das LG Bonn GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil hat eine entsprechende Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die vorsätzliche falsche Angabe eines Testergebnisses nicht bewiesen wäre. OLG Stuttgart GRUR 2007, 435, 436 – Veralteter Matratzentest.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
VI. Verjährung – § 11 UWG Die Verjährungsfrist für die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche der §§ 8, 9 UWG beträgt gem § 11 Abs 1 UWG grds (nur) sechs Monate. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass mit dem am 1.1.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von 30 Jahren auf drei Jahre herabgesetzt wurde, gehören die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche damit zu den zivilrechtlichen Ansprüchen mit verhältnismäßig kurzer Verjährungsfrist. Es ist bei der Rechtsverfolgung daher stets eine gewisse Eile geboten. Während der Bundesrat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen hatte, die Verjährungsfrist auch auf die mit den Ansprüchen aus §§ 8, 9 UWG „im Zusammenhang stehenden Ansprüche“ auszuweiten 838, ist die Bundesregierung dem entgegengetreten und hat lediglich einer Ausweitung auf den Ersatzanspruch nach § 12 Abs 1 S 2 UWG zugestimmt 839. Damit wurde letztlich klargestellt, dass sich die kurze wettbewerbsrechtliche Verjährungsfrist weder auf Ansprüche aus konkurrierenden Anspruchsgrundlagen noch auf andere im Zusammenhang mit Wettbewerbsverstößen stehende Ansprüche, etwa Vertragsstrafeansprüche, erstrecken soll. Auch wurde die Verjährungsregelung des § 11 UWG bewusst nicht auf den Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG ausgedehnt, wie es noch im Regierungsentwurf vorgesehen war. Die Verjährungsfrist des § 11 Abs 1 UWG beginnt, wenn der Anspruch entstanden ist 342 und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen können. Macht ein Verband Ansprüche nach § 8 Abs 1 UWG geltend, so kommt es für den Beginn der Verjährung nur auf die Kenntnis der Mitarbeiter des Verbandes an, nicht hingegen auf diejenige des außenstehenden Informanten, über den der Verband auf den Wettbewerbsverstoß aufmerksam gemacht wird 840. Die Verjährungsfrist von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen beginnt allerdings nicht, so lange eine pflichtwidrige Störung noch anhält 841. Die Darlegungs- und Beweislast für die positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den die Verjährungsfrist in Gang setzenden Umständen liegt jedoch bei dem sich auf die Einrede der Verjährung berufenden Schuldner 842. Neben der Verjährungsfrist des § 11 Abs 1 UWG ist auch die sog absolute Verjäh343 rungsfrist des § 11 Abs 3 und 4 UWG zu berücksichtigen, die unabhängig von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis zu laufen beginnt. Für Schadensersatzansprüche beträgt die absolute Verjährungsfrist 30 Jahre, für andere Ansprüche 3 Jahre. Die Regelung wurde bewusst an die entsprechende Regelung des § 199 BGB angelehnt 843, wobei jedoch das Jahresendprinzip des § 199 Abs 1 BGB (Beginn der Verjährungfrist erst zum jeweiligen Jahresende) nicht übernommen wurde. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche können daher sowohl nach der relativen als auch nach der absoluten Verjährungsregelung unterjährig verjähren.
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838 839 840 841
BT-Drucks 15/1487, 35. BT-Drucks 15/1487, 44. OLG Bamberg GRUR 2007, 167 – Gewerbe-E-Mail. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 11 UWG Rn 1.21.
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842 843
OLG Jena BeckRS 2007, 10381 – Controllingsystem. BT-Drucks 15/1487, 35.
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§4
Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
§4 Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche I. Allgemeines Grds können wettbewerbsrechtliche Ansprüche ebenso wie andere Ansprüche außer- 344 gerichtlich und gerichtlich durchgesetzt werden. Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Durchsetzung gesetzlicher Unterlassungsansprüche, weil diese – bei strenger Betrachtung – außergerichtlich nicht durchgesetzt werden können, sondern allenfalls durch entsprechende vertragliche und mit einer Vertragsstrafe gesicherten Ansprüche ersetzt werden können 844. Insofern unterscheiden sich die aus dem Wettbewerbsrecht folgenden Unterlassungsansprüche jedoch nicht von anderen unmittelbar auf Gesetz beruhenden Unterlassungsansprüchen. Nachfolgend ist daher nur auf die weiter gehenden wettbewerbsrechtlichen Besonderheiten hinzuweisen.
II. Besonderheiten des gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahrens 1. Abmahnung vor gerichtlicher Inanspruchnahme – § 12 Abs 1 UWG Mit § 12 Abs 1 S 1 UWG hat der Gesetzgeber bestimmt, dass der Gläubiger eines 345 wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruches dem Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens durch eine entsprechende Abmahnung die Möglichkeit einräumen soll, die Angelegenheit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Damit hat der Gesetzgeber erstmals das in der Rechtsprechung entwickelte Institut der Abmahnung einer gesetzlichen Regelung zugeführt, diese jedoch bewusst als Sollvorschrift ausgestaltet. Die Zweckmäßigkeit einer solchen Sollvorschrift mag zwar in gewisser Hinsicht bezweifelt werden, jedoch ergibt sich zumindest aus den Gesetzgebungsmaterialien, dass der Gesetzgeber an dem Grundsatz der bis dahin entwickelten Rechtsprechung festhalten wollte, dass derjenige, der ein gerichtliches Verfahren ohne vorherige Abmahnung einleitet, auch im Obsiegensfall mit einer Kostenbelastung nach § 93 ZPO rechnen muss, wenn der Schuldner im gerichtlichen Verfahren ein sofortiges Anerkenntnis abgibt 845. Von größerer praktischer Bedeutung ist die gesetzliche Bestimmung des § 12 Abs 1 346 S 2 UWG, wonach der Unterlassungsgläubiger im Falle einer berechtigten Abmahnung einen Anspruch auf Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen gegen den Unterlassungsschuldner hat. Zu diesen Aufwendungen gehören häufig die Aufwendungen für die Einschaltung eines Rechtsanwalts 846. Die frühere Rechtsprechung hat einen entsprechenden Aufwendungsersatzanspruch aus den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) abgeleitet 847. In 844 845 846
Dazu im Einzelnen Teil 1 Kap 5 Rn 23 ff. BT-Drucks 15/1487, 25; dazu im Einzelnen Teil 1 Kap 5 Rn 3, 15. In der Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks 15/1487, 25, wurde allerdings darauf hingewiesen, dass diese Kosten nicht in jedem Fall erstattungsfähig sind, was jedoch in erster Linie auf die anspruchsberechtigten Verbände sowie die Industrie-
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und Handelskammern bzw die Handwerkskammern bezogen wurde. Vgl auch insofern die Regierungsbegründung BT-Drucks 15/1487, 25, wonach durch die gesetzliche Normierung der Kostentragungspflicht des Zuwiderhandelnden die Rechtsprechung nachvollzogen werden soll, die über die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag einen Aufwendungsersatzanspruch des Abmahnenden hergeleitet hat.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
bestimmten Konstellationen kann sich ein solcher Anspruch auch als Bestandteil eines wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzanspruches nach § 9 UWG ergeben 848. 2. Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im einstweiligen Verfügungsverfahren – § 12 Abs 2 UWG
347
Mit der Regelung des § 12 Abs 2 UWG eröffnet das Gesetz die Möglichkeit der kurzfristigen gerichtlichen Sicherung von Unterlassungsansprüchen im Wege des sog einstweiligen Verfügungsverfahrens. Grds ist das einstweilige Verfügungsverfahren gem § 935 ZPO auch zur Sicherung anderweitiger Ansprüche eröffnet, setzt dann jedoch die Glaubhaftmachung eines sog Verfügungsgrundes voraus (§ 940 ZPO). Soweit § 12 Abs 2 UWG die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansrpüchen für verzichtbar erklärt, wird dies in der Rechtsprechung allerdings insofern einschränkend ausgelegt, als dass die Vorschrift lediglich als gesetzlich angeordente Dringlichkeitsvermutung betrachtet wird, die im Einzelfall widerlegbar ist. Die solchermaßen vermutete Dringlichkeit soll demzufolge insbesondere dann widerlegt sein, wenn der Unterlassungsgläubiger mit der Rechtsverfolgung trotz positiver Kenntnis der diese begründenden Tatsachen zu lange wartet und hierdurch selbst zu verstehen gibt, dass ihm die Sache nicht eilig ist 849. Soweit die Geltendmachung bzw Sicherung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im einstweiligen Verfügungsverfahren beabsichtigt ist, ist daher stets eine gewisse Eile geboten. Die Regelung des § 12 Abs 2 UWG bezieht sich ausdrücklich nur auf Unterlassungsan348 sprüche. Sollen im Einzelfall anderweitige Ansprüche – etwa Beseitigungsansprüche – im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemacht werden, ist daher neben der Darlegung eines Verfügungsanspruches auch die eines Verfügungsgrundes erforderlich. Ob Normzweck und Interessenlage eine analoge Anwendung der gesetzlichen Dringlichkeitsvermutung auch auf aus anderen Rechtsnormen – etwa dem Marken- oder dem Urheberrechtsgesetz – folgende Unterlassungsansprüche rechtfertigen, ist umstritten 850. Im Hinblick auf die kurze wettbewerbsrechtliche Verjährungsfrist des § 11 UWG 349 kommt der Bestimmung des § 204 Abs 1 Nr 9 BGB Bedeutung zu, wonach bereits die Zustellung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bzw der Verfügung selbst verjährungshemmende Wirkung zukommt. Die Verjährungshemmung kann sich jedoch naturgemäß nur auf die im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche beziehen, weshalb rechtzeitig daran zu denken ist, den Ablauf der Verjährung für weitergehende Ansprüche zu verhindern. Letzteres kann auch durch Vereinbarung zwischen den Parteien erfolgen („Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung“), was aus Sicht beider Parteien zweckmäßig sein kann, um die Einleitung eines weiteren kostenträchtigen Verfahrens zumindest so lange zurückstellen zu können, bis der Ausgang des einstweiligen Verfügungsverfahrens feststeht. Ergeht eine einstweilige Verfügung im Hinblick auf einen Unterlassungsanspruch, so hat der Unterlassungs-
848 849
Vgl zuletzt BGH GRUR 2007, 631 Rn 19 ff – Abmahnaktion. Aus der jüngeren Rechtsprechung OLG Karlsruhe NJOZ 2007, 2704, 2705 f – Referenzliste R.S.; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 302, 303 – Titelseite; OLG Hamburg NJOZ 2005, 4308, 4310 – Startguthaben; OLG Düsseldorf GRUR 2006, 782, 785 –
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Lottofonds; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 374, 376 f – 200. Neueröffnung; differenzierend: OLG Hamburg GRUR 2007, 614 – forum-shopping (dazu krit Möller EWiR 2007, 448). Nachweise bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 12 UWG Rn 3.14; vgl hierzu auch Teil 1 Kap 5 Rn 70.
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§4
Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
schuldner zudem die Möglichkeit, die einstweilige Verfügung durch sog Abschlusserklärung als eine einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung gleichwertige Entscheidung anzuerkennen und hierdurch – zumindest im Hinblick auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch – die Erforderlichkeit eines zusätzlichen Hauptsacheverfahrens zu beseitigen. 3. Urteilsveröffentlichung – § 12 Abs 3 UWG Gem § 12 Abs 3 UWG kann das in einer Wettbewerbsstreitsache angerufene Gericht 350 der obsiegenden Partei die Befugnis zusprechen, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei zu veröffentlichen. Zweck dieser Regelung ist es, eine durch eine Wettbewerbsverletzung hervorgerufene und noch fortdauernde Störung zu beseitigen. Da eine solche Veröffentlichung erhebliche Nachteile für die unterliegende Partei mit sich bringt, ist diese nur dann zuzusprechen, wenn die obsiegende Partei ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung hat. Es bedarf in jedem Fall einer Abwägung der Interessen der Parteien, wobei dem Gericht allerdings ein Beurteilungsspielraum zusteht. Der Beurteilungsspielraum bezieht sich auch auf Art und Umfang der Bekanntmachung, die im Urteil bestimmt werden (§ 12 Abs 3 S 2 UWG). Eine entsprechende Entscheidung des Gerichts setzt einen Antrag der obsiegenden Partei – dies kann auch der Beklagte sein – voraus und darf daher nicht von Amts wegen ergehen. Die Entscheidung ist gem § 12 Abs 3 S 3 UWG nicht vorläufig vollstreckbar. 4. Streitwert – § 12 Abs 4 UWG Sowohl im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit als auch im Hinblick auf die 351 Gerichts- und die Rechtsanwaltsgebühren kommt dem Streit- bzw Gegenstandswert erhebliche Bedeutung zu. Anders als bei Zahlungsansprüchen, lässt sich bei Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen iSd § 8 Abs 1 UWG kaum ein eindeutiger und überprüfbarer Streitwert nach objektiven Kriterien festlegen. Nach der zivilprozessualen Grundregel des § 3 ZPO setzt das Gericht den Streitwert daher nach freiem Ermessen fest, was naturgemäß nur dann erfolgt, wenn es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Problematisch ist daher die Ermittlung des „zutreffenden“ Streitwerts im außergerichtlichen Bereich, namentlich für die Berechnung der enstehenden Rechtsanwaltsgebühren. Nicht selten ist im Hinblick auf die Berechnung des Anspruches auf Aufwendungsersatz gem § 12 Abs 1 S 2 UWG (früher: nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag) 851 einzig streitig, auf welcher Grundlage dieser zu berechnen ist, was in der Vergangenheit häufig dazu geführt hat, dass sich die Amtsgerichte aufgrund der in § 23 Nr 1 GVG vorgesehenen streitwertabhängigen Zuständigkeitsregelung im Rahmen von Zahlungsklagen inzident mit wettbewerbsrechtlichen Rechtsfragen auseinandersetzen mussten 852. Letzterem ist der Gesetzgeber mit § 13 Abs 1 UWG begegnet, indem er nunmehr die Zuständigkeit für Wettbewerbssachen unabhängig vom Streitwert den Landgerichten zugewiesen hat. Bedeutung kommt dem Streitwert jedoch nach wie vor auch im Wettbewerbsrecht für die Berechnung der Gerichts- und der Rechtsanwaltsgebühren zu. Die Streitwerte bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen werden verhältnismäßig hoch angesetzt. Der Gesetzgeber ist selbst davon ausgegangen, dass
851 852
Dazu vorstehend Rn 346. Vgl dazu die Stellungnahme des Bundesrates
im Gesetzgebungsverfahren BT-Drucks 15/1487, 36.
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Streitwerte unterhalb von 5 000 € die Ausnahme darstellen 853. In der Praxis sind allerdings deutlich über diesem Betrag liegende Streitwerte die Regel, wobei hier durchaus auch eine unterschiedliche Spruchpraxis der Wettbewerbsgerichte festzustellen ist. Nach der Bestimmung des § 12 Abs 3 UWG kann das Gericht bei der Bemessung des 352 Streitwerts auch berücksichtigen, inwiefern die Sache nach Art und Umfang einfach gelagert ist oder ob die Belastung einer der Parteien mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert angesichts deren Vermögens- und Einkommensverhältnisse nicht tragbar erscheint. Letzteres soll es auch wirtschaftlich schlechter gestellten Parteien ermöglichen, wettbewerbsrechtliche Ansprüche durchzusetzen oder sich gegen eine entsprechende Inanspruchnahme zu verteidigen. Die Praxis macht von dieser Möglichkeit – die auch ohne entsprechenden Antrag der Parteien eröffnet ist 854 – jedoch eher zurückhaltend Gebrauch 855. 5. Gerichtliche Zuständigkeiten – §§ 13, 14 UWG
353
Die §§ 13, 14 UWG enthalten spezielle gerichtliche Zuständigkeitsbestimmungen. Diese Regelungen greifen jeweils dann ein, wenn in einem Rechtsstreit Ansprüche auf Grundlage des UWG geltend gemacht werden. Während § 13 Abs 1 UWG die sog sachliche Zuständigkeit regelt, beziehen sich § 13 Abs 2 856 und § 14 UWG auf die örtliche Zuständigkeit. Vorstehend ist bereits aufgezeigt worden, dass nunmehr eine streitwertunabhängige 354 Zuständigkeit der Landgerichte für solche Verfahren begründet ist, in denen Ansprüche aus dem UWG geltend gemacht werden. Ob zu diesen Ansprüchen auch Ansprüche auf Zahlung verwirkter Vertragsstrafen bei Verstoß gegen Unterwerfungserklärungen zählen, ist umstritten 857. Soweit auch entsprechende Vertragsstrafeansprüche als „Ansprüche aus dem UWG“ angesehen werden, wird dies vor allem mit deren Erwähnung in § 12 Abs 1 UWG begründet 858. Diese Argumentation übersieht indes, dass der Gesetzgeber in anderem Zusammenhang ausdrücklich zu verstehen gegeben hat, dass er den Anspruch auf Zahlung verwirkter Vertragsstrafen zwar als „in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ansprüchen aus §§ 8, 9 UWG stehend“ ansieht, gleichwohl nicht als einen solchen, der unmittelbar „aus dem UWG folgt“ 859. In praktischer Hinsicht relativiert sich die Bedeutung dieses Meinungsstreits jedoch, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Unterwerfungserklärungen ohnehin Vertragsstrafen von mehr als 5 000 € vorsehen 860, so 853 854
855
BT-Drucks 15/1487, 36; vgl ferner OLG Jena BeckRS 2005, 01199. OLG Jena BeckRS 2005, 01199; ebenso zur Vorgängerregelung des § 23a UWG aF BGH GRUR 1994, 385 – Streitwertherabsetzung und BGH GRUR 1990, 1052, 1053 – Streitwertbemessung. Beispiele aus der Rechtsprechung: OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.6.2005, 20 U 188/04 – Ohne Fett (insofern nicht abgedr in GRUR-RR 2006, 235), KG GRUR-RR 2007, 63, 64 – Streitwertermäßigung (jeweils bejahend) einerseits und OLG Frankfurt aM WRP 2006, 1272 – Streitwert in Wettbewerbssachen, OLG Jena BeckRS 2005, 01199 (jeweils verneinend) andererseits.
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Insofern ist die insgesamt über § 13 UWG stehende amtliche Überschrift zumindest unpräzise. Bejahend Fezer/Büscher § 13 UWG Rn 7; verneinend Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 13 UWG Rn 2 und Piper/Ohly/ Piper § 13 UWG Rn 2; OLG Rostock GRUR-RR 2005, 176 – Vertragsstrafe. Fezer/Büscher § 13 UWG Rn 7. Vgl die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks 15/1487, 44. Aus vorbezeichneten Gründen sind Vertragsstrafenvereinbarungen in Höhe von € 5 001,–, € 5100,– oder € 6 000,– häufig anzutreffen.
Mirko Möller
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Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
dass sich die Zuständigkeit der Landgericht für eine etwaige Zahlungsklage ohnehin aus § 23 Nr 1 GVG ergibt. In § 13 Abs 1 S 2 UWG ist noch einmal klargestellt, dass Wettbewerbssachen sog 355 Handelssachen iSd § 95 GVG sind, was sich allerdings auch bereits aus § 95 Abs 1 Nr 5 GVG ergibt. Soweit an dem entsprechenden Gericht eine Kammer für Handelssachen gebildet ist, verhandelt diese den Rechtsstreit an Stelle der Zivilkammer, wenn der Kläger dies in seiner Klageschrift beantragt hat (§ 96 Abs 1 GVG). Da der Beklagte seinerseits einen entsprechenden Antrag stellten kann (§ 98 Abs 1 GVG), empfiehlt es sich für den Kläger meist, bereits von sich aus die Kammer für Handelssachen anzurufen, um einer weiteren Verzögerung des Rechtsstreits wegen der sonst nach entsprechendem Antrag des Beklagten erforderlichen Abgabe der Sache an einen anderen Spruchkörper entgegenzuwirken. Mit § 13 Abs 2 UWG hat der Gesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, Wettbewerbs- 356 streitigkeiten für die Bezirke verschiedener Landgerichte bei einem Landgericht zu konzentrieren. Die Möglichkeit einer solchen Zuständigkeitskonzentration wurde von den Ländern bislang nur vereinzelt aufgegriffen 861. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit regelt § 14 Abs 1 S 1 UWG, dass grds das- 357 jenige Gericht für Klagen auf Grund des UWG zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche oder selbstständige berufliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat. Lediglich, wenn der sich im Inland aufhaltende Beklagte auch keinen (inländischen) Wohnsitz hat, ist gem § 14 Abs 1 S 2 UWG das Gericht des Aufenthaltsortes des Beklagten zuständig. Darüber hinaus eröffnet § 14 Abs 2 UWG für die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen durch Mitbewerber einen weiteren Gerichtsstand, nämlich den Gerichtsstand des Begehungsortes. Als Begehungsort wird dabei nicht nur der Ort angesehen, an welchem der Täter gehandelt hat („Handlungsort“), sondern auch der Ort, an welchem der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist („Erfolgsort“). Letzteres hat insbesondere für solche Wettbewerbsverstöße Bedeutung, die über das Internet begangen werden, weil diese in bestimmungsmäßiger Weise von praktisch jedem Ort im Inland aufgerufen werden können und damit die Zuständigkeit jedes Landgerichts begründen (sog „Fliegender Gerichtsstand“) 862. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich die Kläger bzw Antragssteller häufig das Gericht aussuchen können, dem sie die größten Erfolgsaussichten für ihr Klagebegehren zuschreiben. Den in § 8 Abs 3 Nr 2 und 3 UWG bezeichneten Verbänden sowie den in § 8 Abs 3 Nr 4 UWG bezeichneten Kammern steht der Gerichtsstand des Begehungsortes jedoch nur dann zur Verfügung, wenn der Beklagte weder eine gewerbliche oder selbstständige Niederlassung noch einen Wohnsitz im Inland hat (§ 14 Abs 2 S 2 UWG). 6. Einigungsverfahren – § 15 UWG Bereits das frühere UWG sah neben den Vorschriften über die gerichtliche Durchset- 358 zung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen in seinem § 27a die außergerichtliche Streitschlichtung in Form eines Einigungsverfahrens vor eigens hierzu bei den Industrie861
Die Zuständigkeitskonzentrationen sind auf der Internet-Seite der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht www.grur.de unter der Rubrik „Service“ abrufbar.
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Auch im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit: BGH GRUR 2006, 513 Rn 21 f – Arzneimittelwerbung im Internet.
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Kapitel 1 Wettbewerbsrecht
3. Teil
und Handelskammern eingerichteten Einigungsstellen vor. Das aktuelle UWG hat dies dem Grunde nach beibehalten und regelt die Durchführung des Verfahrens nunmehr mit den in § 15 UWG enthaltenen Bestimmungen. Zwar handelt es sich bei dem Einigungsverfahren um ein Verfahren mit dem Ziel einer gütlichen Einigung (§ 15 Abs 6 S 1 UWG), gleichwohl steht dem Vorsitzenden der Einigungsstelle die Befugnis zu, das persönliche Erscheinen der Parteien durch Androhung bzw Festsetzung von Ordnungsgeldern zu erzwingen (§ 15 Abs 5 UWG) 863. Durch Anrufung der Einigungsstelle kann die Verjährung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche in gleicher Weise gehemmt werden, wie durch eine Klageerhebung (§ 15 Abs 9 UWG). Die näheren Bestimmungen zur Durchführung des Einigungsverfahrens enthalten die auf Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs 11 UWG bzw § 27a Abs 11 UWG aF ergangenen Durchführungsverordnungen der Länder. Die einzelnen Industrie- und Handelskammern 864 halten weitergehende Informationen über das wettbewerbsrechtliche Einigungsverfahren bereit.
§5 Die Straftatbestände des UWG I. Allgemeines 359
Das UWG enthält in den §§ 16–19 UWG eine Reihe von Strafvorschriften, die ausweislich der Gesetzesmaterialien der Ergänzung des zivilrechtlichen Anspruchssystems für Fälle mit besonderem Gefährdungspotenzial dienen 865. Die Strafvorschriften in §§ 16 ff UWG kommen in der Praxis vergleichsweise selten zur Anwendung. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist diese Delikte mangels entsprechender Verbreitung gar nicht gesondert aus 866. Andererseits haben die Schutzgüter der Strafvorschriften über den Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 17 UWG), der Verwertung von Vorlagen (§ 18 UWG) und des Verleitens und Erbietens zum Verrat (§ 19 UWG) einen auch wirtschaftlich hohen Wert. Daneben erfasst § 16 UWG mit der strafbaren Irreführung und dem Verbot progressiver Kundenwerbung solche Werbehandlungen, die als besonders gefährlich und sozialschädlich angesehen werden. Diese Gefahren werden gerade auch in und durch Medien geschaffen, was sich etwa am Tatbestandsmerkmal der Breitenwirkung in § 16 Abs 1 UWG und in der Praxis an der Zunahme von Kettenbrief-, Schneeball- oder Pyramidensystemen im Internet zeigt.
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Diese Möglichkeit der Erzwingung des persönlichen Erscheinens ist auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesrats beibehalten worden, nachdem der Regierungsentwurf des UWG zunächst davon ausging, dass derartige Zwangsbefugnisse dem Wesen der Einigungsstelle als Mittel der außergerichtlichen Streitschlichtung widersprächen, vgl BT-Drucks 15/1487, 26 u 37 f. Die zuständige Kammer kann über die Seite des Deutschen Industrie- und Handelskammertages www.dihk.de recherchiert werden. BT-Drucks 15/1487, 22.
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Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2006 weist zwar mehr als 6000 Wettbewerbs-, Korruptions- und Amtsdelikte (von insgesamt, ohne Verkehrs- und Staatschutzdelikte, mehr als 6,3 Mio Straftaten) aus, betrifft allerdings Wettbewerbsdelikte nur hinsichtlich wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen (§ 289 StGB). UWGStraftaten fallen mit anderen unter „sonstige“ nicht ins Gewicht, vgl Polizeiliche Kriminalstatistik 2006, herausgegeben vom Bundeskriminalamt, Wiesbaden.
Boris Blank
§5
Die Straftatbestände des UWG
Mit Ausnahme der Taten nach § 16 UWG werden die Delikte nur auf Antrag 360 verfolgt, wenn nicht die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten erachtet. Die Verjährungsfrist beträgt bei diesen Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, fünf Jahre, § 78 Abs 3 Nr 5 StGB. Im Gesetzgebungsverfahren wurde noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach §§ 16 ff UWG die zivilrechtlichen Ansprüche nach §§ 8, 9 UWG unberührt lässt, was deshalb erforderlich erschien, weil die wettbewerbsrechtliche Generalklausel nicht als Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB angesehen wird 867.
II. Strafbare Werbung – § 16 UWG 1. Irreführende Werbung Nach § 16 UWG ist es mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe bedroht, in 361 der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt ist, durch unwahre Angaben irreführend zu werben. Im Unterschied zu § 5 UWG erfasst die Strafnorm also nur solche Angaben, die zugleich unwahr und irreführend sind. Ein Wirkungserfolg, also, dass der Verbraucher tatsächlich getäuscht, durch das besonders günstige Angebot angelockt wird, ist dagegen auch für die Realisierung des Straftatbestandes, der ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, nicht erforderlich. Die Angaben 868 müssen eine Breitenwirkung haben, nämlich in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen zugänglich gemacht werden, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind. Das sind solche Veröffentlichungen, die sich – wie etwa Print-, Rundfunk- und Fernsehwerbung – grds an jedermann oder – wie bspw Geschäftspapiere, Bestelllisten und Prospekte oder auch Serienbriefe – doch an einen individuell und zahlenmäßig nicht beschränkten Adressatenkreis richten. Schließlich setzt § 16 Abs 1 UWG in subjektiver Hinsicht Vorsatz in Bezug auf die Unwahrheit der Angaben und die Eignung zur Irreführung sowie die Absicht voraus, den Anschein eines besonders günstigen Angebotes hervorzurufen. Zumindest am Nachweis des Vorsatzes scheitert meist die Strafbarkeit nach § 16 362 UWG 869. Allerdings ist zu beachten, dass bei Verwirklichung „nur“ des objektiven Tatbestandes durch Verbreitung mittels eines Druckwerks trotzdem die Strafnormen aus den Landespressegesetzen zur Anwendung kommen können. Danach hat bei periodischen Druckschriften der verantwortliche Redakteur einzutreten, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig seine Verpflichtung verletzt, Druckwerke von strafbarem Inhalt freizuhalten. Bei sonstigen Druckwerken hat der Verleger einzustehen 870.
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BT-Drucks 15/1487, 22, 43; der Gesetzgeber ist insofern bewusst nicht dem Vorschlag Fezers WRP 2001, 989, 998 gefolgt, das Wettbewerbsrecht zu einem allgemeinen Schutzzweckgesetz – auch im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes – zu transformieren. Angaben sind wie in § 5 Abs 2 UWG nur
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Aussagen tatsächlicher Art, also nicht Werturteile. Insbesondere Tathandlungen im Internet werden auch deshalb häufig nicht erfasst, weil diese nicht „im geschäftlichen Verkehr“ begangen werden, vgl zur etwaigen Strafbarkeitslücke BGHSt 34, 171, 179. Vgl etwa § 21 Abs 2 PresseG NW.
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2. Progressive Kundenwerbung Fragen der Laienwerbung sind bereits vorstehend 871 erörtert worden. Steht nicht der Produktabsatz, sondern die Einbeziehung des Kunden in die Vertriebsorganisation zum Zweck der Progression des Systems durch fortlaufende Aufnahme von neuen Vertriebsteilnehmern im Vordergrund, kann sich Laienwerbung zu einer strafbaren progressiven Kundenwerbung auswachsen. Typischerweise werden Verbrauchern besondere Vorteile (unentgeltlicher oder stark verbilligter Warenbezug, Prämien, Provisionen, Preisnachlass usw, die über belanglose Vorteile hinausgehen) dafür versprochen, dass sie weitere Abnehmer zum Abschluss gleichartiger Geschäfte gewinnen, denen ihrerseits derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer versprochen werden. Der Kreis der Teilnehmer wächst dadurch lawinenartig an. Meist werden die Teilnehmer dazu gebracht, überteuert einzukaufen und mehr Waren oder Dienstleistungen abzunehmen als sie für den Eigenverbrauch benötigen, wodurch wiederum der Absatz- und Werbezwang verstärkt wird. Je nachdem, ob der Veranstalter mit dem Erstkunden und sodann mit von diesen geworbenen weiteren Kunden selbst einen Vertrag schließt oder auf jeder Stufe gleichartige – systemtypische – Verträge zwischen Werbendem und Geworbenem abgeschlossen werden, spricht man von einem Schneeball- oder einem Pyramidensystem. Beiden Systemen ist immanent, dass die Teilnehmer der ersten Stufen mit glücksspielartiger Chance profitieren können, wohingegen die (zahlreichen) Teilnehmer auf letzten Stufen keine Absatzmöglichkeiten mehr finden, die versprochenen Vorteile also nicht erlangen können und erhebliche Vermögenseinbußen erleiden. Die besondere Tücke besteht darin, dass für die Verbraucher die ungleiche Chancenverteilung nicht erkennbar ist 872. Wird ein Verbraucher im geschäftlichen Verkehr vorsätzlich in ein solchermaßen 364 aufgebautes Vertriebssystem eingespannt, indem ihm besondere Vorteile unter der Bedingung versprochen werden, dass er andere zum Abschluss von Geschäften veranlasst, die ihrerseits nach Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, macht sich der Veranstalter des Vertriebssystems strafbar. Der angeworbene Kunde bleibt dagegen wegen seiner eigenen Beteiligung an der progressiven Kundenwerbung straflos, wenn er sich selbst zur Abnahme der Leistung unter den Voraussetzungen des § 16 Abs 2 UWG bereit erklärt.
363
III. Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen, Verwertung von Vorlagen, Verleiten und Erbieten zum Verrat – §§ 17–19 UWG 365
Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind in der Unternehmenspraxis von großer Bedeutung. Sie können den zentralen (Wert-)Gegenstand eines Unternehmens bilden. §§ 17–19 versuchen dieser Bedeutung in einer gegenüber dem UWG aF inhaltlich nicht geänderten Regelung dadurch Rechnung zu tragen, dass bestimmte Verletzungen von Betriebsgeheimnissen unter Strafe gestellt werden. 366 Ein solcher repressiver Strafrechtsschutz kann indes nur ein Baustein eines umfassenden betrieblichen Geheimnisschutzes sein. Denn sind erst einmal entsprechende strafrechtliche Sanktionen verhängt (bis zu drei Jahren, in besonders schweren Fällen des § 17 UWG bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe), sind Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse wegen
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S oben Rn 90. Es liegt daher auch regelmäßig eine Irre-
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führung über die Gewinnchancen iSv § 5 UWG vor.
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ihrer unbefugten Offenbarung gegenüber Dritten naturgemäß nicht mehr „geheim“ 873. Auch die aufgrund der Erstbegehung in der Regel bestehenden Unterlassungsansprüche gem § 8 Abs 1 UWG iVm §§ 3, 4 Nr 11 UWG bieten dann für den Geschädigten oft nur einen schwachen Schutz. Ob der betroffene Unternehmer dann überhaupt die Staatsanwaltschaft einschaltet und Strafantrag stellt 874, ist nicht einmal gewiss: Aufklärung und Nachweis von Straftaten sind nicht nur schwierig, sondern in der Praxis auch mitunter mit unangenehmen Fragen an den Unternehmer selbst verbunden. Zudem ist der strafrechtliche Schutz lückenhaft. So kann etwa auch ein ausgeschiedener Mitarbeiter die während der Beschäftigungszeit erworbenen und in seinem Gedächtnis bewahrten Kenntnisse später uneingeschränkt verwenden, solange er dabei nicht auf schriftlich verkörperte Geschäftsgeheimnisse seines Arbeitgebers zurückgreift 875. Die Vertragspraxis sucht daher, die Verletzung und Verwertung von Betriebs- und 367 Geschäftsgeheimnissen arbeitsrechtlich mit Wettbewerbsverboten und im Übrigen mit Vertragsstrafen zu sanktionieren. Verfehlen diese ihre abschreckende Wirkung, können auch Schadensersatzansprüche wegen einer Vertragspflichtverletzung oder auch Kraft Gesetzes auf Grundlage von § 823 Abs 2 BGB iVm mit den Strafrechtsnormen des UWG 876 oder wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie gem § 826 BGB ins Spiel kommen. Die Durchsetzung dieser Ansprüche ist allerdings oft mit nicht unerheblichen Nachweisproblemen verbunden 877. 1. Geheimnisverrat, Betriebsspionage und Geheimnisverwertung – § 17 UWG § 17 UWG fasst drei Straftatbestände zusammen: den Geheimnisverrat durch einen 368 (aktuell) Beschäftigten des Unternehmens, die Betriebsspionage, die unter Einsatz bestimmter Mittel und Methoden erfolgt und die Geheimnisverwertung, bei der es um die Nutzung der rechtswidrig erlangten Informationen geht. Unter einem Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis iSd § 17 UWG versteht man jede im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende, nicht offenkundige, sondern nur einem begrenzten Personenkreis bekannte Tatsache, an deren Geheimhaltung der Unternehmensinhaber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat und die nach seinem bekundeten oder doch erkennbaren Willen auch geheim bleiben soll 878. Dazu gehören nicht nur Informationen, die ge-
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Dieses Problem tritt bei technischen Schutzrechten wie Patent-, Geschmacks- und Gebrauchsmustern nicht auf. Dafür sind diese Rechte zeitlich beschränkt. Sie setzen voraus, dass der Rechteinhaber das Geheimnis gegenüber jedermann offenbart und damit womöglich Raum für eine Kopie eröffnet hat. Es handelt sich jeweils um Antragsdelikte. Die Taten werden also nur auf Antrag (des Betroffenen) verfolgt, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörde hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten (§ 17 Abs 5 UWG). Vgl BGH GRUR 1963, 367 – Industrieböden; BGH GRUR 2002, 91, 92 – Spritzgießwerkzeuge; BGH GRUR 1999, 934,
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935; Weinberater; BGH GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. Die Qualität der §§ 17 und 19 UWG als Schutzgesetze iSv § 823 Abs 2 BGB besteht nur für den Geschäftsinhaber als Geheimnisträger. Der Schutzgesetzcharakter erstreckt sich dagegen nicht auf denjenigen, dem der Geschäftsinhaber Verschwiegenheit schuldet, vgl BGH NJW 2006, 830 – Kirch/Deutsche Bank AG und Breuer. Wegen der Einzelheiten vgl Hefermehl/ Köhler/Bornkamm/Köhler, § 17 UWG Rn 51 f. BGH GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 17 UWG Rn 4, als Betriebsgeheimnis wurde etwa auch das Programm eines Geldspielautomaten angesehen, vgl
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eignet sind, spezielles Know-how zu vermitteln, sondern auch den good-will betreffende Daten wie etwa Kundenlisten 879. Geschäftsgeheimnisse stammen aus dem unternehmerischen, Betriebsgeheimnisse aus dem technischen, den Betriebsablauf betreffenden, Bereich.
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a) Geheimnisverrat – § 17 Abs 1 UWG. Die unbefugte, also unter Verstoß gegen eine Geheimhaltungspflicht erfolgende 880 Weitergabe eines solchen Geheimnisses an einen Dritten ist nach § 17 Abs 1 UWG nur für eine Person strafbar, die beim betroffenen Unternehmen im Zeitpunkt der Tathandlung in einem Dienstverhältnis steht, typischerweise also für die Arbeitnehmer. Kein Dienstverhältnis besteht dagegen aufgrund bloßer Teilhaberschaft, einer Vereinbarung über eine Handelsvertretung, eine Steuer- oder Rechtsberatung usw. Demgegenüber dürfte es schon wegen des strafrechtlichen Analogieverbotes kaum in Betracht kommen, im Interesse eines „umfassenden Geheimnisschutzes“ auch für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, Geschäftsführer und Amtswalter ein „Dienstverhältnis“ anzunehmen, obwohl diese nach zivilrechtlichen Kategorien kein Dienstverhältnis iSd §§ 611 f BGB eingegangen sind 881. Das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis muss dem Täter im Rahmen des Dienstver370 hältnisses anvertraut worden oder zugänglich gemacht worden sein. „Anvertrauen“ setzt mehr voraus als bloßes Offenbaren. Es reicht allerdings im Hinblick auf das „Zugänglichmachen“ schon aus, wenn dem Dienstverpflichteten aufgrund des Dienstverhältnisses ein Betriebsgeheimnis irgendwie bekannt wird und er zugleich ausdrücklich oder auch konkludent zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde. „Mitgeteilt“ ist ein solches Geheimnis, wenn das Handeln des Täters zu einer Kenntniserlangung durch Dritte geführt hat. Das kann durch positives Tun, also Übergabe oder Zeigen von Dokumenten oder Produkten, mündliches oder schriftliches Beschreiben usw oder durch pflichtwidriges Unterlassen trotz Garantenpflicht (Dulden der Kenntnisnahme) geschehen. In subjektiver Hinsicht setzt § 17 Abs 1 UWG Vorsatz, also die wissentliche und willentliche Realisierung aller vorstehend genannten objektiven Tatbestandsmerkmal voraus und erfordert daneben noch zumindest eines der in § 17 Abs 1 UWG ausdrücklich bezeichneten Motive, nämlich entweder eine Absicht zur Wettbewerbsförderung 882, Eigennutz, also das Streben nach eigenem materiellen oder immateriellen Vorteil oder auch Fremdnutz (zu Gunsten eines Dritten) oder schließlich die Absicht, dem Inhaber des Geschäftsbetriebs Schaden zuzufügen. Die Vollendung der Tat, die mit Zugang der ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu fünf Jahren bedroht; der Versuch ist gem § 17 Abs 3 UWG iVm § 23 StGB ebenfalls strafbar.
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b) Betriebsspionage. Ebenso wie nach Abs 1 wird gem § 17 Abs 2 UWG bestraft, wer sich aus denselben Beweggründen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis durch Anwendung technischer Mittel, Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses oder Wegnahme einer Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist, verschafft oder sichert. Betriebsspionage ist ungeachtet des Bestandes eines Dienstverhältnisses strafbar. Den Kerngehalt der Tat machen die besonderen Modalitäten aus, unter denen das Ver-
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BayObLG NJW 1991, 438; LG Freiburg NJW 1990, 2635. Vgl dazu BGH GRUR 1999, 934 – Weinberater; BGH GRUR 2006, 1044 – Kundendatenprogramm. Nicht „unbefugt“ handelt, wer einen Anspruch auf die Offenbarung des Geheimnis-
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ses hat, vgl BayObLG GRUR 1998, 634 – Überlassungsanspruch. Zum Meinungsstreit Hefermehl/Köhler/ Bornkamm/Köhler § 17 UWG Rn 14. Vgl zum subjektiven Element der Wettbewerbshandlung oben Rn 45 ff.
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schaffen oder Sichern des Geheimnisses mit den in Abs 2 Nr 1 aufgeführten Motiven geschieht. c) Unbefugte Geheimnisverwertung. Solche Geheimnisse, die nach § 17 Abs 1 oder 372 Abs 2 Nr 1 UWG unbefugt erlangt wurden oder sich sonst unbefugt jemand verschafft oder gesichert hat, unterliegen auch dem Strafrechtsschutz gegen unbefugte Verwertung. Gem § 17 Abs 2 Nr 2 UWG macht sich derjenige, der ein solchermaßen erlangtes Geheimnis wirtschaftlich zur Gewinnerzielung oder Kostensenkung nutzt oder an Dritte weitergibt, ebenfalls strafbar („Geheimnishehlerei“) 883. Damit werden auch solche Fälle erfasst, in denen der Täter nicht selbst, sondern bspw durch die Betriebsspionage eines Dritten das Geheimnis erfahren hat. Weiter begründet § 17 Abs 2 UWG die Strafbarkeit solcher Mitarbeiter, die sich nach Beendigung des Dienstverhältnisses schriftliche Geschäftsgeheimnisse ihrer ehemaligen Arbeitgeber unbefugt verschaffen. Es muss zumindest bedingter Vorsatz hinsichtlich des objektiven Tatbestandes und 373 eines der in § 17 Abs 2 UWG genannten Absichtserfordernisse bestehen. Das OLG München hat in Bezug auf die Vorgängervorschrift des § 17 UWG aF das 374 Tatbestandsmerkmal „unbefugt“ im Hinblick auf das Grundrecht der Pressefreiheit in einem Fall verneint, in dem durch eine verdeckte Recherche unzulässige Angebote einer Unternehmensberatungsgesellschaft über Schleichwerbung im Fernsehen, die durchaus als Geschäftsgeheimnisse angesehen werden konnten, an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Verdeckte Recherche können danach im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind 884. 2. Unbefugte Verwertung von Vorlagen – § 18 UWG Eine Ergänzung zum Geheimnisschutz nach § 17 UWG enthält das Verbot der Vor- 375 lagenverwertung in § 18 UWG. Ungeachtet der Frage, ob diese Tatobjekte Geheimnischarakter iSd § 17 UWG haben, stellt § 17 UWG Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, insbesondere Zeichnungen, Modelle, Schablonen, Schnitte, Rezepte unter Schutz. Die Vorlagen etc müssen dem Täter im geschäftlichen Verkehr anvertraut, ihm also – von einem Unternehmer oder dessen Beauftragten – erkennbar mit der Verpflichtung überlassen sein, sie nur im Interesse des Anvertrauenden zu verwenden. Die Verwertung 885 oder Mitteilung 886 solcher Tatobjekte zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Nach Abs 2 ist auch der Versuch strafbar. 3. Verleiten und Erbieten zum Verrat – § 19 UWG Nach § 30 StGB ist der Versuch der Beteiligung grds nur strafbar, wenn die Haupttat 376 ein Verbrechen ist, also mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist, § 12 StGB. § 19 UWG erweitert die Strafbarkeit auf die Fälle der versuchten Anstiftung zu Taten iSd §§ 17, 18, die Kettenanstiftung und weitere diesbezügliche Vorbereitungshandlungen. Diese Vorbereitungshandlungen sind nach § 19 Abs 2 UWG das „Sich-Bereit-
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Zur Wortwahl vgl OLG München GRUR-RR 2004, 145, 147 – Themenplacement; zu den Einzelheiten s auch Westermann GRUR 2007, 116, 117.
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OLG München GRUR-RR 2004, 145 – Themenplacement. Vgl dazu oben Rn 372. Vgl dazu oben Rn 370.
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Erklären“, „das Annehmen des Erbieten eines Anderen“ sowie „das Verabreden mit einem anderen“. Unter dem „Sich-Bereit-Erklären“, ist die ernst gemeinte Erklärung anzusehen, einen Verstoß gegen § 17 UWG oder § 18 UWG begehen zu wollen. Das „Annehmen“ dieses Erbietens ist dementsprechend die ernstlich gemeinte Annahmeerklärung. Und das Verabreden mit einem Anderen schließlich liegt vor, wenn mindestes zwei Personen sich einigen, gemeinsam eine Straftat nach § 17 UWG oder § 18 UWG zu begehen oder dazu anzustiften. Der Täter muss nicht nur mit Vorsatz zur Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale handelt, sondern auch „zu Wettbewerbszwecken“ oder „aus Eigennutz“ handeln. Wegen der Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorbereitungsstadium ordnet § 19 UWG schließlich die Anwendung der besonderen Rücktrittsregeln des § 31 StGB an.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht Literatur Ahlborn/Seeliger Business to Business Exchanges EuZW 2001, 552; Apon Cases against Microsoft: similar cases, different remedies ECLR 2007, 327; Areeda Essential Facilitites: An Epithet in need of limiting principles, 58 Antitrust L.J. 841 (1989); Arlt Marktabschottend wirkender Einsatz von DRM-Technik. Eine Untersuchung aus. wettbewerbsrechtlichem Blickwinkel GRUR 2005, 1003; Asschenfeldt B2B-Marktplätze – Aktuelle wettbewerbsrechtliche Problemstellungen MMR Beilage 2001 Nr 9, 5; Bechtold, S Trusted Computing CR 2005, 393; Bechtold, R Kartellgesetz: GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – Kommentar, 4. Aufl München 2006; Bechtold, R/ Bosch/Brinker/Hirsbrunner EG-Kartellrecht – Kommentar, München 2005; Beckmerhagen Die essential facilities doctrine im US-Amerikanischen und europäischen Kartellrecht, Baden-Baden 2002; Beier Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte? in: Festschrift für Karlheinz Quack, Berlin/New York 1991; Bellamy & Child: Roth/Rose European Community Law of Competition, 5th ed, Oxford 2001; Beth Rechtsprobleme proprietärer Standards in der Softwareindustrie, Göttingen 2004; Böge Die Herausforderungen einer internationalen Wettbewerbspolitik in Zeiten globalisierter Märkte WUW 2005, 590; ders Reform der Europäischen Fusionskontrolle WUW 2004, 138; ders Reform der Pressefusionskontrolle: Forderungen, Vorschläge, Konsequenzen MMR 2004, 227; Bornemann Wie die KEK gefühlte Meinungsmacht in eine Eingriffskompetenz umrechnet MMR 2006, 275; Buchholtz Gibt es einen Fernsehzuschauermarkt im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen? ZUM 1998, 108; Buchner Generische Domains GRUR 2006, 984; Bunte Kartellrecht, München 2003; Clausen-Muradian Konzentrationstendenzen und Wettbewerb im Bereich des privaten kommerziellen Rundfunks und die Rechtsprobleme staatlicher Rundfunkaufsicht, Frankfurt aM 1998; Commichau/Schwartz Grundzüge des Kartellrechts, München 2002; Conde Gallego Die Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots auf „unerlässliche“ Immaterialgüterrechte im Lichte der IMS Health- und StandardSpundfass-Urteile GRUR Int 2006, 16; Drexl WTO und Kartellrecht – Zum Warum und Wie dieser Verbindung in Zeiten der Globalisierung ZWeR 2004, 191; Elsenbast Ökonomische Konzepte zur Regulierung „neuer Märkte“ in der Telekommunikation MMR 2006, 575; Emmerich Kartellrecht, 10. Aufl München 2006; Engel Medienordnungsrecht, Baden-Baden 1996; Fezer Preisbindung elektronischer Verlagserzeugnisse WRP 1994, 669; Fichert/Sohns Wettbewerbsschutz auf dem Markt für Server-Betriebssysteme WuW 2004, 907; Fleischer/Körber Marktmacht, Machtmissbrauch und Microsoft K&R 2001, 623; Franck Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998; Frey Von den Landesmedienanstalten zur Ländermedienanstalt ZUM 1998, 985; Freytag/Gerlinger Kombinationsangebote im Pressemarkt WRP 2004, 537; Fuchs Die 7. GWB-Novelle – Grundkonzeption und praktische Konsequenzen WRP 2005, 1386; Gamm Urheberrechtliche Verwertungsverträge und Einschränkungen durch den EWG-Vertrag GRUR Int 1983, 403; Gassner Internetplattformen im Spiegel des Kartellrechts MMR 2001, 140; Gastner Kartellrecht und geistiges Eigentum: Unüberbrückbare Gegensätze im EG-Recht? CR 2005, 247; Geiger Ende Patente? EuZW 2004, 65; Gleiss/Hirsch Kommentar zum EG-Kartellrecht, 4. Aufl Heidelberg 1993; Golz Der sachlich relevante Markt bei Verlagserzeugnissen, Heidelberg 2003; Gounalakis Medienkonzentrationskontrolle versus allgemeines Kartellrecht AfP 2004, 394; Graham/Smith Competition, Regulation and the New Economy, Oxford 2004; Grob/vom Brocke Internetökonomie, München 2006; Gröhn Netzwerkeffekte und Wettbewerbspolitik, Tübingen 1999; Hahn/Altes (Hrsg) Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl München 2003; Hain Vorherrschende Meinungsmacht i.S.d. § 26 Abs. 1, 2 RStV – Die Kontroverse um „quantitative“ oder „qualitative“ Bestimmung MMR 2000,
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Kapitel 2 Medienkartellrecht Japan GRUR Int 1990, 431; ders Mißbräuchliche Marktbeherrschung gemäß Art. 86 EWGV durch Immaterialgüterrechte – Die Magill-Entscheidung des EuGH als Schnittstelle zwischen europäischem Wettbewerbs- und nationalem Urheberrecht GRUR Int 1995, 960; Pohlmeier Netzwerkeffekte und Kartellrecht, Baden-Baden, 2004; Preuss-Neudorf Grundversorgung und Wettbewerb im dualen Rundfunksystem, Bielefeld 1993; Prinz Medienrecht im Wandel, Baden-Baden 1996; Rahm Watching over the Web: A substantive Equality Regime for Boradband Apllications, 24 Yale J on Reg. 1, 12 ff (2007); Roth Schnittstellenkooperation und europäisches Kartellrecht, CR 1988, 195; Rötzer Die Telepolis – Urbanität im digitalen Zeitalter, Mannheim 2004; Rubinfeld Wettbewerb, Innovation und die Durchsetzung des Kartellrechts in dynamischen, vernetzten Industrien, GRUR Int 1999, 479; Säcker Fusions- und Kartellerleichterungen für Zeitungsverlage aus wettbewerbsrechtlicher Sicht, AfP 2005, 24; ders Berliner Kommentar zum Telekommunikationsgesetz, Frankfurt aM 2006; Schaub Europäische Wettbewerbsaufsicht über die Telekommunikation MMR 2000, 211; Scheuffele Die Essential-Facilities-Doktrin, München 2003; Schmidt, I Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 8. Aufl München 2005; Schmidt, K-E Gibt es einen Fernsehzuschauermarkt im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen? ZUM 1997, 472; Schröter/Jakob/Mederer Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 2003; Schultze/Pautke/Wagener Die Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer – Praxiskommentar, Frankfurt aM 2005; Schultze-Petzold Die Marktabgrenzung für Dienste im rückkanalfähigen Breitbandkabelnetz WuW 2001, 134; Schulz/Held/Kops Perspektiven der Gewährleistung freier öffentlicher Kommunikation, BadenBaden 2002; Schulz/Held/Laudien Suchmaschinen als Gatekeeper in der öffentlichen Kommunikation, Berlin 2005; Schumacher/Ernstschneider/Wiehager Domain-Namen im Internet, Berlin 2002; Schumpeter Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, München 1952; Schütz Vielfalt oder Einfalt? Zur Entwicklung der Presse in Deutschland 1945–1995, abrufbar unter: www.lpb-bw.de/ publikationen/presse/schuetz.htm; Schwarz van Berk Der Zugang zu wesentlichen Einrichtungen nach europäischem und deutschem Kartellrecht – Eine rechtsvergleichende Untersuchung der Essential Facility-Doktrin im Rahmen von Art. 82 EGV und § 19 Abs 4 Nr 4 GWB, Berlin 2003; Schwarze Europäisches Wettbewerbsrecht im Zeichen der Globalisierung, Baden-Baden 2002; Slot/ McDonnell Procedure and Enforcement in E.C. and U.S. Competition Law, London 1993; Spieler Fusionskontrolle im Medienbereich, Tübingen 1988; Spies Kampf um die Netzneutralität MMR 2006, XXI; Stopper Der Microsoft-Beschluss des EuG, ZWeR 2005, 87; Sucker Normsetzung durch Kartelle und Marktbeherrscher im Bereich der Datenverarbeitungsindustrie CR 1988, 271; Trafkowski Die sachliche Abgrenzung der Märkte im Internet MMR 1999, 630; ders Medienkartellrecht – Die Sicherung des Wettbewerbs auf den Märkten der elektronischen Medien, München 2002; Thum Netzwerkeffekte, Standardisierung und staatlicher Regelungsbedarf, Tübingen 1996; Topel Das Verhältnis zwischen Regulierungsrecht und allgemeinem Wettbewerbsrecht nach dem europäischen Rechtsrahmen in der Telekommunikation und dem TKG ZWeR 2006, 45; Tränkle Die „Essential facilities“-Doktrin im Europäischen Wettbewerbsrecht, Tübingen 2001; Waldenberger Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften: Der neue § 15 GWB NJW 2002, 2914; Wallenberg Die Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk WuW 1991, 963, 966; Weyand/Haase Anforderungen an einen Patentschutz für Computerprogramme GRUR 2004, 198; Wielsch Wettbewerbsrecht als Immaterialgüterrecht EuZW 2005, 391; Wirtz/Mathieu Internet-Ökonomie und B2B-Marktplätze WISU 2001, 825; Wissmann Telekommunikationsrecht – Praxishandbuch, 2. Aufl München 2006; Wolf Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, Baden-Baden 2002; Zagouras Konvergenz und Kartellrecht, München 2002; Zerdick/Picot Die Internetökonomie, 3. Aufl Berlin 2001; Zimmerlich Der Fall Microsoft – Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie WRP 2004, 1260; Zimmerlich/ Aufderheide Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie, Arbeitsbericht Nr. 4 des Kompetenzzentrums für Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2004; Zimmerlich/David/Veddern Übersicht B2B Marktplätze im Internet – Branchenspezifische B2B-Marktplätze, Arbeitsbericht Nr. 28 des Kompetenzzentrums für Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2005; Zimmerlich/Müller, U Entgeltberechnung bei Infrastrukturzugang (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB), N&R 2006, 46.
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1101
Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
Übersicht Rn § 1 Besonderheiten des Medienkartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geistiges Eigentum und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . II. Medienkonzentration und Meinungsmacht . . . . . . . . . . § 2 Grundzüge des Kartellrechts . . . . I. Das Verhältnis von europäischen zu deutschem Kartellrecht . . . II. Die kartellrechtlichen Regulierungsinstrumente . . . . . . . 1. Marktabgrenzung . . . . . 2. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, insb. Kartellverbot . . . . . . . . . . a) Europäisches Recht . . . b) Deutsches Recht . . . . . c) Gruppenfreistellungsverordnungen . . . . . . . . 3. Fusionskontrolle . . . . . . a) Aufgreifkriterien . . . . aa) Zuständigkeit der Kommission bzw des Bundeskartellamtes . bb) Zusammenschluss . . cc) Schwellenwerte . . . b) Eingreifkriterien . . . . . 4. Verhinderung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . a) Europäisches Recht . . . b) Deutsches Recht . . . . . aa) Missbrauchsverbot, § 19 GWB . . . . . bb) Diskriminierungsverbot, § 20 GWB . III. Ausblick: Die Internationalisierung des Wettbewerbsrechts . . § 3 Kartellrecht für die klassischen Medien . . . . . . . . . . . . . . . I. Medienspezifische Kartellrechtsregelungen . . . . . . . . . . 1. Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung (TT-GVO) . . . . . . . . . 2. §§ 35, 38 GWB: Schwellenwerte bei der Fusionskontrolle im Medienbereich . . 3. § 30 GWB: Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . 4. § 1 BuchPrG: Buchpreisbindung . . . . . . . . . . 5. WahrnG: Die wettbewerbliche Stellung der Verwertungsgesellschaften . . . . . II. Medienkartellrecht im Spannungsverhältnis zu Telekommunikations- und Rundfunkrecht . . . . . . . . . . . . .
1102
1–16 3–9 10–16 17–72 17–20 21–69 22–26
27–38 27–31 32, 33 34–38 39–56 43–51
45 46–49 50, 51 52–56
57–69 60–63 64–69 65–68 69 70–72 73–218 73–81
73
74–76
77 78, 79
80, 81
82–85
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Rn 1. Verhältnis von Kartellrecht und Telekommunikationsrecht . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis von Kartellrecht und Rundfunkrecht . . . . III. Wettbewerbssituation auf klassischen Medienmärkten . . . . 1. Ökonomischer und publizistischer Wettbewerb . . . a) Ökonomischer Wettbewerb . . . . . . . . . . . b) Publizistischer Wettbewerb . . . . . . . . . . . 2. Konzentrationstendenzen im Medienbereich . . . . . . . a) Horizontale Konzentration auf den klassischen Medienmärkten . . . . . . . b) Vertikale Konzentration und multimediale Verflechtungen . . . . . . . 3. Bedrohung der klassischen Medienmärkte durch die neuen Medien? . . . . . . . 4. Die Konvergenz der Medien und ihre Bedeutung für das Kartellrecht . . . . . . . . IV. Marktabgrenzung für Medienprodukte und -dienstleistungen 1. Verlagsprodukte . . . . . . a) Bücher . . . . . . . . . . b) Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . c) Austauschbarkeit von Printmedien mit elektronischen Erzeugnissen? . . . d) Musikproduktion und -vertrieb . . . . . . . . . aa) Bespielte Tonträger . bb) Musikverlagswesen . 2. Verbreitungsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . a) Telekommunikation . . . b) Rundfunk . . . . . . . . V. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen . . . . . . . . . . 1. Europäisches Recht . . . . a) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Immaterialgüterrechte aa) Lizenzverträge . . . bb) Schutzrechtsübertragungen . . . . . . . cc) Abgrenzungsvereinbarungen . . . . . . b) Weitere Anwendungsfälle 2. Deutsches Recht . . . . . . 3. Insbesondere: Übertragungsrechte (Champions League, Bundesliga) . . . . . . . . .
83, 84 85 86–105 86–92 87, 88 89–92 93–99
94–96
97–99
100–102
103–105 106–131 108–123 109, 110 111, 112
113–117 118–123 119, 120 121–123 124–132 124–126 127–132 133–152 133–147
134–145 135–142 143, 144 145 146–147 148
149–152
Kapitel 2 Medienkartellrecht Rn VI. Fusionskontrolle . . . . . . . 1. Nebeneinander kartellrechtlicher und medienspezifischer Konzentrationskontrolle . . 2. Grundzüge der kartellrechtlichen Konzentrationskontrolle im Medienbereich . . a) Europarechtliche Vorgaben b) Medienkonzentrationskontrolle nach dem GWB 3. Praxis der Fusionskontrolle im Medienbereich . . . . . a) Beispiel Bücher: RandomHouse/Heyne . . . . . . b) Beispiel Presse: Holtzbrinck/Tagesspiegel . . . c) Beispiele Fernsehen . . . aa) Liberty Media/Deutsche Telekom . . . . bb) RTL/ntv . . . . . . . d) Beispiel Musikproduktion: Sony/BMG . . . . . . . e) Beispiel Zusammenführung von Medien: Springer/ ProSiebenSat.1 . . . . . aa) Beurteilung durch das Bundeskartellamt . . bb) Beurteilung durch die KEK . . . . . . . . VII. Verhinderung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . . . 1. Marktbeherrschung auf klassischen Medienmärkten . . 2. Ausübung von Urheberund Patentrechten . . . . . 3. Fallgruppen des Machtmissbrauchs im Medienbereich . a) Ausbeutungsmissbrauch . aa) Aufnahmebedingungen der Urheberrechts-Verwertungsgesellschaften . . . . bb) Unangemessene Gebühren für Lizenzen an Immaterialgüterrechten . . . . . . . b) Kopplung . . . . . . . . c) Gezielte Preisunterbietung d) Geschäftsverweigerung . e) Verhinderung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen (essential facilityDoktrin) . . . . . . . . . aa) Die essential facilityDoktrin im US-amerikanischen Recht . . bb) Die essential facilityDoktrin im europäischen Recht . . . . (1) Magill . . . . . . . .
153–188
154–157
158–160 158, 159 160 161–188 161–163 164, 165 166–176 166–171 172–176 177–180
181–188 182–184 185–188
189–218 189, 190 191–193 194–218 194–196
195
196 197, 198 199, 200 201, 202
203–218
204–208
209–217 211–214
Rn (2) Oscar Bronner/Mediaprint . . . . . . . . cc) Die essential facilityDoktrin im deutschen Recht . . . . . . . . § 4 Kartellrecht in der Internetökonomie I. Ökonomische und kartellrechtliche Bedingungen der Internetökonomie . . . . . . . . . . . 1. Ökonomische Besonderheiten der Internetökonomie . . . 2. Grenzüberschreitende Internetökonomie und nationale Wettbewerbsregulierung . . II. Abgrenzung von Internetmärkten . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Marktabgrenzung a) Internetzugangsmärkte . b) Märkte für B2B-Marktplätze . . . . . . . . . . c) Märkte für Internetinhalte 2. Räumliche Marktabgrenzung a) Internetzugangsmärkte . b) Märkte für B2B-Marktplätze . . . . . . . . . . c) Märkte für Internetinhalte d) Spezifika der Marktabgrenzung im Internetbereich . . . . . . . . . aa) Marktabgrenzungsfaktoren für OnlineProdukte . . . . . . bb) Marktabgrenzungsfaktoren für hybride Produkte . . . . . . 3. Insbesondere: Markt für Online-Musik . . . . . . . III. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Internetbereich . . . . . . . . . . . . IV. Fusionskontrolle . . . . . . . 1. B2B-Marktplätze . . . . . . a) Absprachen und Informationsaustausch . . . . . . b) Bündelung von Angebotsoder Nachfragemacht . . 2. Fallbeispiel: AOL/Time Warner . . . . . . . . . . . 3. Fallbeispiel: Bild.de/T-Online 4. Fallbeispiel: Adobe/Macromedia . . . . . . . . . . . V. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . 1. Beispiel Preismissbrauch: Entgelte für Telekommunikationsdienstleistungen . . 2. Beispiel Kopplung: Microsoft Media-Player . . . . . . . . 3. Zugangsverweigerung zu wesentlichen Einrichtungen: . . a) Beispiel IMS Health . . .
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215–217
218 219–331
219–228 220–227
228 229–262 231–249 235–239 240–242 243–249 250–260 251, 252 253, 254 255, 256
257–260
258, 259
260 261, 262
263–265 266–290 267–277 271–273 274–277 278–282 283–285 286–290 291–322
292–294 295, 296 297–310 298, 299
1103
Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil Rn
b) Beispiel: Windows Schnittstellen-Informationen . . c) Kritik an der essential facility-Rechtsprechung . d) Sonstige Fallgestaltungen 4. Sonstige Missbrauchssituationen . . . . . . . . . . . a) Missbrauch durch Standardisierung . . . . . . . aa) Multilaterale Standardisierung . . . .
Rn bb) Unilaterale Standardisierung . . . . . . b) Marktabschottung durch DRM-Techniken . . . . c) Diskriminierung im Internetbereich . . . . . . . . VI. Ausblick: Die Diskussion um die Netzneutralität . . . . . . 1. Die Diskussion in den USA . 2. Die Diskussion in Europa . 3. Stellungnahme . . . . . . .
300–305 306–309 310 311–322 312–319 315–318
319 230, 321 322 323–331 325, 326 327, 328 329–331
§1 Besonderheiten des Medienkartellrechts Unter Medienkartellrecht kann man im engeren Sinn die speziell auf Medienprodukte zugeschnittenen wettbewerbsrechtlichen Regelungen (vor allem §§ 30, 38 GWB sowie § 1 BuchPrG) verstehen (s hierzu Rn 73–81). Da Medienprodukte aus ökonomischer Sicht Produkte wie andere sind und daher die allgemeinen kartellrechtlichen Vorschriften auf sie anwendbar sind,1 wird hier ein entsprechend weiter Ansatz des Medienkartellrechts zugrunde gelegt. Zum Medienkartellrecht gehören damit sowohl die Anwendung allgemeiner kartellrechtlicher Regelungen auf Medienprodukte als auch speziell auf Medienprodukte zugeschnittene Wettbewerbsregelungen. Medienprodukte weisen gegenüber anderen Produkten Besonderheiten auf, die in der 2 kartellrechtlichen Regulierung von Medienmärkten zu beachten sind. Zum einen sind in Medienprodukten typischerweise Inhalte integriert, die durch geistigen und gewerblichen Eigentumsschutz, vor allem über das Urheberrecht, geprägt sind. Mit dem Verhältnis immaterialgüterrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte zur durch das Kartellrecht angestrebten weitgehenden Wettbewerbsfreiheit haben sich in den letzten Jahren Rechtsprechung und Literatur eingehend befasst (dazu I). Zum anderen dienen Medienprodukte der Information und Unterhaltung des Konsumenten und sind dadurch geeignet, Meinungen zu beeinflussen und zu steuern. Die Konzentration von meinungsbildenden Medien „in einer Hand“ kann die Freiheit des demokratischen Meinungsbildungsprozesses berühren. Diese Freiheit soll durch das Kartellrecht flankierende Regulierungsinstrumente gewährleistet werden (dazu II).
1
I. Geistiges Eigentum und Kartellrecht 3
Urheberrecht und gewerbliche Schutzrechte einerseits und Kartellrecht andererseits sollen sich nicht ausschließen, sondern das gleiche Ziel mit unterschiedlichen Mitteln verfolgen, nämlich den Schutz des durch Innovationen und Investitionen geprägten Leistungswettbewerbs.2 Daher kann „die Verweigerung einer Lizenz als solche keinen Miss1
S nur zum europarechtlichen Verzicht auf eine kartellrechtliche Sonderbehandlung Immenga/Mestmäcker/Ullrich EG, Teil 2, GRUR A Rn 1.
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2
Vgl EuGH vom 29.4.2004, RS C-418/01 – IMS Health, Slg 2004 I 5039 Rn 62 = GRUR 2004, 524 zur „Abwägung zwischen dem Interesse am Schutz des Rechts des geistigen
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§1
Besonderheiten des Medienkartellrechts
brauch einer beherrschenden Stellung darstellen (…), selbst wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgehen sollte“.3 Dabei dienen die Schutzrechte der individuellen Sicherung vor allem von Innovationen, aber auch – wie sich an den Beispielen Marken und Datenbanken zeigt – von Investitionen. Das Kartellrecht soll dagegen den Leistungswettbewerb als Institution schützen und dabei die durch Innovation und Investition erlangte Marktposition. Das deutsche und europäische Kartellrecht wollen daher nicht Marktmacht als solche bekämpfen, sondern nur die Erlangung von Marktmacht außerhalb des Leistungswettbewerbs (also zB durch Zusammenschlüsse) beschränken und die missbräuchliche Ausnutzung einer erlangten Marktmacht verhindern. In diesem Zusammenhang ist die durch das Immaterialgüterrecht geschaffene Rechts- 4 stellung des Urhebers und Schutzrechtsinhabers zu sehen. Das sich teilweise findende Verständnis dieser Stellung als (natürliches) Monopol 4 bezieht sich ausschließlich auf die rechtliche Ausschlusswirkung gegenüber Dritten (Rechtsmacht), nicht aber auf die ökonomische Position (Marktmacht).5 Monopol oder Marktmacht im kartellrechtlichen Sinn bezieht sich auf die ökonomische Stellung eines Unternehmens innerhalb eines Marktes. Ein immaterialgüterrechtliches Ausschließlichkeitsrecht wirkt daher als ökonomisches Monopol nur, wenn die das Recht bewirkende geschützte Leistung einen eigenständigen Markt bildet. Das einzelne urheberrechtlich geschützte Werk ist jedoch regelmäßig austauschbar 6 mit anderen Werken der gleichen Kategorie; 7 das einzelne Patent sperrt nicht die Nutzung gleichartiger Erfindungen für austauschbare Produkte. „(D)ie Eigenschaft als Inhaber eines Immaterialgüterrechts (kann) allein keine beherrschende Stellung begründen (…).“ 8 Dreh- und Angelpunkt für das Verständnis des Verhältnisses von Schutzrechten und Kartellrecht wird so die Marktabgrenzung.9 Nicht ausgeschlossen ist, dass immaterialgüterschutzrechtliche Leistungen zumindest ökonomische Quasi-Monopole darstellen können, wie zB das nach §§ 69a UrhG geschützte Computerprogramm Windows von Microsoft auf dem Markt für PC-Betriebssoftware.10 Das wohl austarierte Nebeneinander von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht 5 innerhalb der Gesamtrechtsordnung stößt zunehmend an seine Grenzen durch die gesetzgeberische und gerichtliche Ausweitung der individuellen schutzrechtlichen Stellung ohne
3
4 5 6 7
Eigentums und der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit seines Inhabers auf der einen und dem Interesse am Schutz des freien Wettbewerbs auf der anderen Seite“; umfassend Immenga/Mestmäcker/Ullrich/Heinemann EG, Teil 2, GRUR B. EuGH vom 29.4.2004, RS C-418/01 – IMS Health, Slg 2004 I 5039 Rn 34 = GRUR 2004, 524; EuGH vom 6.4.1995, RS C-241/91 P und C-242/91 P RTE und ITV/Kommission, Slg 1995 I 743 Rn 49 = GRUR Int 1995, 490 – Magill TV Guide. S zu der Begrifflichkeit Heinemann 1, 28. So auch Immenga/Mestmäcker/Ullrich EG, Teil 2, GRUR A Rn 3. S zum Bedarfsmarktkonzept näher unten Rn 24. Vgl beispielhaft die Marktabgrenzung für Sprachwerke BKartA vom 24.11.2003 – B6 – 7/03 – Bertelsmann/Heyne 16–30, s krit dazu Müller MMR 2004, 1.
8
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EuGH vom 6.4.1995, RS C-241/91 P und C-242/91 P RTE und ITV/Kommission Slg 1995 I 743 Rn 50 = GRUR Int 1995, 490 – Magill TV Guide. EuGH vom 29.2.1968, RS 24/67 Parke, D/Proebel Slg 1968, 85, 112 = GRUR Int 1968, 99; EuGH v 18.2.1971, RS 40/70 Sirena/Novimpex Slg 1971, 69 Tz 16 = GRUR Int 1971, 279, 281; EuGH vom 15.6.1976, RS 96/75 EMI Records/CBS Schallplatten Slg 1976, 811 Tz 33 = GRUR Int 1976, 398, 401; EuGH vom 6.4.1995, RS C-241/91 P und C-242/91 P RTE und ITV/Kommission, Slg 1995 I 743 Rn 50 = GRUR Int 1995, 490 – Magill TV Guide. S allg dazu Beier FS Quack, 15. Kommission vom 24.3.2004, COMP/ C-3/37.792 – Microsoft. S dazu Zimmerlich WRP 2004, 1260.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
gleichzeitige Berücksichtigung der Belange der institutionellen Wettbewerbsfreiheit und -gleichheit.11 Der Umfang der Immaterialgüterrechte und insbesondere des Urheberrechts bestimmt sich nach einer Abwägung ideeller und wirtschaftlicher Interessen des Berechtigten und der Allgemeinheit. Die Aufstellung von Schutzvoraussetzungen und Beschränkung des Schutzrechts durch Schrankenregelungen führen zwar zu einem starken, aber gerade nicht zu einem umfassenden Ausschließlichkeitsrecht. Die Einräumung des Wettbewerbvorteils für den Berechtigten aufgrund seiner starken Rechtsstellung soll nicht die Entwicklung der Gesamtwirtschaft beeinträchtigen oder auf einer geschützten Leistung aufbauende Innovationen und Investitionen hemmen. Das Ausschließlichkeitsrecht soll eben nicht zu einer ökonomischen Marktabschottung genutzt werden. Dafür wurde bisher häufiger auf das Konzept der Zwangslizenzierung verwiesen (zB § 24 Abs 1 PatG und eingeschränkt § 42a UrhG), das allerdings aufgrund seiner engen Voraussetzungen in der Praxis nur selten Anwendung gefunden hat.12 Die gesetzlich festgelegten Grenzen des Ausschließlichkeitsrechts dienen dem freien und – weitgehend – gleichen Wettbewerb. Direkten Konkurrenten und Wettbewerbern auf vor- oder nachgelagerten Märkten muss der Zugriff auf geschützte Leistungen im Rahmen der schutzrechtsimmanenten Schrankenregelungen oder aufgrund übergeordneter verfassungsrechtlicher Rechtfertigungen offen stehen. Wird durch Einführung neuer Schutzrechte (zB Datenbankschutz, §§ 87a ff UrhG), Einschränkung von gesetzlichen Schranken oder Beschränkung der Schrankenausübung (zB durch technische Schutzmaßnahmen, §§ 95a ff UrhG) einseitig die ökonomische Position des Rechtsinhabers zu Lasten der Nutzer gestärkt, wirkt sich dies auch auf die wettbewerbliche Position der aktuellen und potentiellen Wettbewerber aus. Nicht zu verkennen ist, dass auf europäischer Ebene bei Konflikten zwischen Immate6 rialgüterrechten und kartellrechtlichen Zugangsansprüchen bisher zugunsten der Wettbewerbsfreiheit und Marktöffnung entschieden und somit einer einseitigen Stärkung des Immaterialgüterrechts entgegen gewirkt wurde. Meilenstein war hierfür der MagillFall,13 in dem der EuGH die Verweigerung der Offenlegung von (nach irischem Recht urheberrechtlich geschützten) Fernsehprogrammen, die für die Herstellung einer wöchentlichen Fernsehzeitschrift erforderlich waren, als missbräuchlich ansah.14 Im MicrosoftFall hat die Kommission – und sie bestätigend das EGI – 15 dem Wettbewerb den Vorzug vor dem Schutz von Computerprogrammen, Schnittstellen und Geschäftsgeheimnissen gegeben.16 Sehr weitgehend war dagegen die Entscheidung des EuGH in der Sache IMS Health, weil sich hier der kartellrechtliche Zugangsanspruch auf eine leistungsschutzrechtliche geschützte Datenbankstruktur (§§ 87a ff UrhG) bezog, die weitgehend aus öffentlich zugänglichen Informationen erstellt und von dem Unternehmer ausschließlich intern genutzt wurde.17 Ausgehend von der Maxime, dass im Leistungswettbewerb kein Unternehmen verpflichtet sein kann, seinen Konkurrenten zu helfen und auf – vor allem durch eigene Leistung geschaffene – Wettbewerbsvorteile zu verzichten,18 hätte ein Ver11
12 13 14 15
Zu diesen Schutzzielen des Kartellrechts Immenga/Mestmäcker/Zimmer § 1 GWB Rn 13 ff und Wiedemann/Wiedemann § 1 Rn 1 ff. Näher dazu Heinemann 178 ff. EuGH Slg 1995 I 743 Rn 50 – RTE und ITV/Kommission (Magill). S näher zu dem Fall Magill unten Rn 211–214. EuG vom 17.9.2007, Rs T-201/04 – Microsoft.
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Kommission vom 24.3.2004, COMP/ C-3/37.792 – Microsoft; zusammenfassend Zimmerlich WRP 2004, 1260; zur Problematik der Geschäftsgeheimnisse Meyer/ Müller WuW 2007, 117. EuGH Slg 2004 I 5039 – IMS Health. Besonders deutlich im US-Kartellrecht die Trinko-Entscheidung des US Supreme Court, Verizon Communications, Inc –v- Law Offices of Curtis V Trinko LLP 540 U.S. 398 (2004).
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Besonderheiten des Medienkartellrechts
weis der nachfragenden Wettbewerber näher gelegen, auf Basis der öffentlichen Informationen ihre eigene Datenbank zu entwickeln. Ansonsten besteht die Gefahr, dass innovative Unternehmen keinen Wettbewerbsvorteil mehr aus ihrer Leistung ziehen können, weil die Konkurrenten unter Verweis auf das Kartellrecht Zugang zu den Innovationen erlangen können. Erforderlich ist daher einen Ausgleich zwischen Immaterialgüterrechten und Kartellrecht derart zu finden, dass innovative oder mit hohen Investitionen verbundene Leistungen zumindest zur Abschöpfung von Pioniergewinnen 19 genutzt werden können, solange keine Marktabschottung im Einzelfall erfolgt. Denn Immaterialgüterrecht und Kartellrecht stehen nicht im Widerstreit, sondern ergänzen sich.20 Das Kartellrecht soll eben auch die innovative Leistung im Wettbewerb, dh vor einer unberechtigten Inanspruchnahme durch Wettbewerber schützen. Das Immaterialgüterrecht soll Wettbewerbsvorteile sichern, aber nicht aktuellen oder potentiellen Wettbewerb verhindern. Um einem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen Immaterialgüterschutz und freiem 7 Wettbewerb zu begegnen, ist in der europäischen Rechtsprechung – ua in den genannten Fällen Magill und IMS Health – und Literatur in den letzten Jahren die sog essential facility-Doktrin propagiert worden 21 als Art „moderner Zwangslizenz“.22 Ungeachtet der problematischen historischen Herleitung dieser Doktrin 23 birgt die weitgehende Anwendung einer Lehre ohne klare Voraussetzungen und Begrenzungen das Risiko, das Gleichgewicht zwischen Immaterialgüterrechten und Kartellrecht zugunsten der Wettbewerbsfreiheit zu verschieben. Durch die Anwendung der essential facility-Doktrin können geistige und gewerbliche Schutzrechte ausgehebelt werden, indem – wie beim IMS Health-Fall – auf die Wesentlichkeit der geschützten fremden Leistung für die eigene gewerbliche Tätigkeit verwiesen wird. Die Übertragung der ursprünglich für physische Infrastrukturen (Eisenbahn, Hafenanlagen) entwickelten Doktrin auf Immaterialgüterrechte bedarf erheblicher Vorsicht. Immaterialgüterrechte sollen wesensmäßig aufgrund der Einmaligkeit einer Leistung bereits eine Ausschließlichkeitsstellung verschaffen.24 Diese Einmaligkeit darf nicht mit Wesentlichkeit im Sinne der Doktrin verwechselt werden. Es wird eher die Ausnahme sein, dass die Konkurrenten zu einer geistigen oder gewerblichen Leistung keine Alternative entwickeln können.25 Das Nebeneinander von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht verweist nämlich die Konkurrenten darauf, ihre Wettbewerbsposition zunächst durch eigene Innovations- oder Investitionsleistung zu gestalten. Nur wenn dies aufgrund der Eigenart der geschützten Leistung unmöglich ist, kann ein kartellrechtlicher Zugangsanspruch gerechtfertigt sein. Kartellrechtliche Zugangsansprüche dienen jedenfalls nicht dazu, von eigener innovativer Wettbewerbsleistung zu befreien. Diese Überlegung zeigt die Problematik auf, Wesentlichkeit im Sinne der Doktrin bereits bei einer finanziellen Überforderung anzunehmen.26 In jedem Fall muss bei Anwendung der essential facility-Doktrin verhindert werden, dass allein die in einer technisierten Medienwelt möglichen Netzeffekte einer geistigen oder gewerblichen Leistung ihre Wesentlichkeit begründen. Zurückhaltung bei der Anwendung – und im Rahmen der europäischen Rechtsprechung zunehmenden Ausweitung – 27 der Doktrin ist
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S dazu näher Zimmerlich/Müller N&R 2006, 46, 48. Heinemann 629. Zur essential facility-Doktrin umfassend Beckmerhagen; Tränkle; Hohmann; Schwarz van Berk; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil I, Art 82 Rn 239 ff; Immenga/Mestmäcker/Möschel § 19 GWB Rn 217 ff.
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S auch Heinemann 512. S dazu Müller/Rodenhausen ECLR 2008, 310, 311–319. EuGH Slg 1988, 6211 Rn 8 – Volvo/Veng. S dazu Rn 211 ff, 306 ff. So aber EuGH Slg 1998 I 7791 – Oscar Bronner/Mediaprint. S u Rn 203 ff und 306 ff.
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zudem geboten, da im Mutterland der Doktrin die Rechtsprechung des Supreme Court bereits ihre Existenz überhaupt in Zweifel zieht.28 Angesichts der zunehmenden Internationalisierung des Kartellrechts 29 und der Kooperation amerikanischer und europäischer Kartellbehörden ist ein allzu weites Auseinanderdriften der jeweiligen Entscheidungspraxen unangezeigt. Mit der zunehmenden Konzentration von Medienherstellung und -nutzung auf Com8 puter und andere softwarebasierte Produkte 30 eröffnet sich ein zusätzliches Spannungsverhältnis zwischen dem Urheberrechtsschutz – vor allem §§ 69a ff, 87a ff UrhG, aber auch der Digitalisierung anderer geschützter Inhalte – und dem Kartellrecht. Die Technisierung der Medienprodukte erfordert deren Kompatibilität sowohl bei der Produktion als auch dem Konsum moderner Medien. Die erst kürzlich (März 2008 durch Einstellung der Produktion von HD-DVD-Geräten und Leermedien) beendete Diskussion zwischen den großen Filmproduktionsfirmen über die Nachfolgetechnologie zur DVD – BlueRay oder HD-DVD – zeigt die Bedeutung einheitlicher Standards für Verbraucher. Das Problem inkompatibler Technologien ist nicht neu, so hat vor 20 Jahren der VHS-Standard die BetaMax- und Video2000-Technologien verdrängt. Soweit die Durchsetzung einer Technologie im Wege des Leistungswettbewerbs erfolgt, ist dies kartellrechtlich unproblematisch. Die zunehmende Konvergenz digitaler Medienträger und Multimediaprodukte,31 ihre Vernetzung vor allem über das Internet und die Abspielfähigkeit auf verschiedenen Geräten macht für den Nutzer die Kompatibilität nicht nur wünschenswert, sondern ausschlaggebend für die Kaufentscheidung. Kompatibilität wird durch die Setzung von technischen Standards erreicht. Allseitige offene Standards, die vor allem von Industrievereinigungen gesetzt werden, stellen kartellrechtlich nur ein geringes Problem dar, soweit der Zugang zu den Industrievereinigungen und zum Standard selbst für alle Interessierten offen ist.32 So haben sich die größten Hardware-, Software- und Internetunternehmen in der sog Trusted Computing Group (TCG) auf Standards zur Stärkung der Sicherheit bei Internet-Nutzung geeinigt.33 Die einseitige Standardsetzung (unilaterale Standardisierung) durch ein Unternehmen 9 kann dagegen schon aufgrund der Netzeffekte digitaler Medienprodukte und Technologien die Gefahr der Marktabschottung oder der Diskriminierung in sich bergen. Im Microsoft-Fall sah die Kommission diese Gefahr gegeben durch die mit über 90 % Marktanteil starke Stellung der Betriebssoftware Windows, mit der Komplementärprodukte wie der Windows Media Player am Markt durchgesetzt werden konnten.34 Unilateral gesetzte Standards können – anders als durch Normungsinstitute aufgestellte Standards (vgl § 5 Abs 1 UrhG) – einen eigenständigen Urheberrechtsschutz genießen (§ 5 Abs 3 UrhG). Sie können daneben dem weiten und von qualitativen Kriterien befreiten 35 Computerprogrammbegriff (§§ 69a Abs 1, 3 UrhG) unterfallen oder durch das Patentrecht 36 geschützt sein. Mittels der Ausschließlichkeitsstellung kann der Entwickler eines Standards für Konkurrenten den Zugang zum Standard schließen und sich so Märkte vorbe28
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Verizon Communications, Inc –v- Law Offices of Curtis V. Trinko LLP, 540 U.S. 398 (2004). S dazu unten Rn 70 ff. S Teil 1 Kap 1 Rn 65. Näher Teil 1 Kap 1 Rn 28. S dazu unten Rn 314. S dazu unten Rn 317. Kommission vom 24.3.2004, COMP/ C-3/37.792 – Microsoft.
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BGH GRUR 1994, 36 – Buchhaltungsprogramm; BGH GRUR 1994, 363 – Holzhandelsprogramm. Vgl LG Düsseldorf, NJOZ 2007, 2100 – MPEG2-Standard. S aber zur Problematik der Softwarepatentierung Weyand/Haase GRUR 2004, 198; Pfeiffer GRUR 2003, 581; Laub GRUR Int 2006, 629; Jonquères GRUR Int 1987, 465.
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halten oder unverhältnismäßige Lizenzgebühren fordern, soweit er Zugang gewährt. Unter Verweis auf die marktabschottende Wirkung des de facto-Standards hatten auch die Wettbewerber von IMS Health den Zugang zur nur intern genutzten Datenbank erstritten.37 Die behauptete Abhängigkeit der Nutzer von den enthaltenen Informationen begründete dabei nicht nur die Wesentlichkeit der Datenbankstruktur im Sinne der essential facility-Doktrin, sondern führte auch zu ihrer Einstufung als Standard. Dabei wird der Begriff des Standards in urheber- und kartellrechtlichem Zusammenhang häufig missverständlich genutzt. Nicht jede neue oder auch nur marktstarke Technologie stellt bereits einen alternative Lösungen ausschließenden unilateralen Standard dar. Im Leistungswettbewerb obliegt es den Konkurrenten, durch eigene technologische Alternativen eine bestehende Marktmacht zu brechen. Nach dem Schumpeterschen Konzept der schöpferischen Zerstörung ist selbst ein vorübergehendes Monopol hinzunehmen, um den Wettbewerb durch Imitation, aber auch durch konkurrierende Innovation zu fördern.38 Diese Überlegung verbietet es daher, jegliche Marktmacht durch technologische Leistung als Standard zu verstehen. Im Gegensatz zum durch Einigung aufgestellten einheitlichen und regelmäßig offenen multilateralen Standard, entstehen unilaterale Standards aus der einseitigen Marktdurchsetzung einer technologischen Lösung aufgrund des Fehlens von Alternativen. Damit setzt eine Technologie, die zum unilateralen Standard wird, eine eigene Innovationsleistung voraus und muss immaterialgüterrechtlichen Schutz genießen. Erst wenn technologische Alternativen rechtlich, technisch oder wirtschaftlich ausgeschlossen sind oder die Marktdurchsetzung nicht mittels Leistungswettbewerb erreicht wird, kann ein Eingreifen des Kartellrechts zur Öffnung des Zugangs zu einem Standard gerechtfertigt sein. Standardisierung ist kartellrechtlich daher nur bedenklich, wenn sie zur mono- oder oligopolistischen Marktabschottung genutzt wird.
II. Medienkonzentration und Meinungsmacht Die Macht, über Medien die öffentliche Meinung zu beeinflussen, weckt in weiten 10 Teilen der deutschen Bevölkerung die Befürchtung, dass die Konzentration von Medienträgern in einer Hand zu einer publizistischen Gefahr für die freie Meinungsbildung führen kann.39 Historisches Menetekel ist dabei der Hugenberg-Konzern, in dem u.a. die Filmproduktions- und -verleihfirma UFA, der größte Anzeigenvermarkter, eine Nachrichtenagentur sowie viele auflagenstarke Lokalzeitungen und Zeitschriften vereinigt waren und der durch die Parteinahme seiner Publikationen für Adolf Hitler und rechtskonservative Ideen dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat.40 Die Sorge um die pluralistische Meinungsbildungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 GG) als „schlechthin konstituierendes“ Element der freiheitlich demokratischen Staatsordnung des Grundgesetzes 41 bei publizistischer Konzentration hat auch das BVerfG dazu bewogen, eine Medienkonzentrationskontrolle als unverzichtbar anzusehen.42 Insbesondere der Rundfunk als „Medium“ und „Faktor“ des verfassungsrechtlich geschützten Prozesses freier
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EuGH Slg 2004 I 5039 – IMS Health. Schumpeter 134 ff; dazu unter dem Blickwinkel des Telekommunikationsrechts Elsenbast MMR 2006, 575. Aus jüngster Zeit etwa Gounalakis AfP 2004, 394; Janik AfP 2002, 104 mwN. S zu dieser Einschätzung für die Person
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Alfred Hugenberg allerdings vornehmlich auf seine politische Position bezogen BVerwG NVwZ 2005, 1192, 1194. St Rspr des BVerfG, ua BVerfGE 7, 198, 208; 12, 205, 259 ff; 59, 231, 265; 73, 118, 122; 114, 371, 386 f. BVerfGE 57, 295, 323.
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Meinungsbildung durch Kommunikation und Information 43 müsse angesichts seiner Privatisierung vor einer Auslieferung an eine oder einzelne gesellschaftliche Gruppe und der Meinungsmachtkonzentration geschützt werden.44 Wichtig ist dabei die Unterscheidung von publizistischer Meinungs- und ökonomi11 scher Medienmacht.45 Um den Gefahren einer publizistischen Meinungsmacht zu begegnen und eine pluralistische Meinungsbildung zu gewährleisten, existieren mit dem §§ 11, 25 ff RStV sowie den landesrechtlichen Mediengesetzen46 Sonderregelungen für die angesichts ihrer Breitenwirkung, Aktualität und Suggestionskraft47 besonders problematischen Medien Rundfunk und Fernsehen. Trotz der – teilweise kritisch begleiteten48 – Einführung eines dualen Rundfunkssystems mit dem Ziel einer stärkeren Diversifizierung der Anbieterseite wurde eine Medienkonzentrationskontrolle stets für erforderlich gehalten.49 Diese rundfunkrechtliche Medienkonzentrationskontrolle50 wird ergänzt durch die wettbewerbsrechtliche Verzwanzigfachung der Umsatzerlöse bei Zusammenschlüssen von Rundfunkunternehmen (§ 38 Abs 3 GWB).51 Durch diese Vorschrift wird erreicht, dass Fusionen zwischen Rundfunkunternehmen trotz im Gesamtindustrievergleich typischerweise geringen Umsätzen aufgrund (angeblicher) Regionalisierung52 der wettbehördlichen Kontrolle unterliegen. Durch diese zweigleisige Kontrolle der Medienkonzentration – rundfunk- und wettbewerbsrechtlich – wird die wirtschaftliche Betätigung von deutschen Rundfunkunternehmen im Vergleich zu anderen Branchen erheblich beeinträchtigt, wie sich insbesondere deutlich an der gescheiterten Übernahme von ProSiebenSat.1 durch den Springer-Verlag zeigte.53 Das duale Rundfunksystem ist in den letzten Jahren zunehmend in Schieflage geraten, 12 was vor allem an einer zunehmenden Werbefinanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei gleichzeitiger qualitativer Angleichung an privatrechtlich veranstaltete Programme 54 und gesteigerter Rigidität bei der Durchsetzung individueller Gebührenpflichten durch die GEZ liegt.55 Zuletzt hat das BVerfG selbst die nur geringfügige Reduzierung einer von ARD und ZDF verlangten und von der KEK abgesegneten Gebührenerhöhung durch die Ministerpräsidenten für nicht mit der Rundfunkfreiheit (Art 5 Abs 1 GG) vereinbar erklärt.56 Dabei kommen vor allem die großen Sender ARD und ZDF inzwischen nur noch in begrenztem Maße der politischen, sozialen und kulturellen Grundversorgung nach, sondern sie treten mit verstärkten und zusätzlichen Unterhaltungsprogrammen in inhaltliche Konkurrenz zu den privaten Anbietern. Gebühreneinnahmen werden für die Finanzierung der Senderechte für Sportveranstaltungen (Bundes-
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BVerfGE 57, 295, 319. BVerfGE 57, 295, 325. S dazu ausführl unten Rn 86–92. Zu den ökonomischen Besonderheiten von Medien allgemein und Rundfunk im besonderen Heinrich Bd 2, 24 ff; Schulz/Held/Kops 107 ff. S näher dazu Holznagel Von den Landesmedienanstalten zur Ländermedienanstalt. BVerfG MMR 2007, 770, 771. S nur BVerfGE 57, 295, 323 ff. S aus jüngster Zeit Gounalakis AfP 2004, 394 ff; Janik AfP 2002, 104 ff mwN sowie BVerfG MMR 2007, 770, 772 S dazu Janik AfP 2002, 104. Näher zu dieser Vorschrift unten Rn 75; zur
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europäischen Fusionskontrolle im Medienbereich s Frey ZUM 1998, 985 ff. S dazu Wiedemann/Richter § 19 Rn 62; Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken § 38 GWB Rn 33. BKartA vom 19.1.2006 – B6-92202-Fa103/05 sowie dazu Müller MMR 2006, 125 f; Holznagel/Krone MMR 2005, 666 ff; Bornemann MMR 2006, 275 ff. Müller MMR 2006, 126. S allein die Artikelserie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27.8.–11.9.2007, abrufbar unter: www.faz.net/feuilleton/ medien. BVerfG MMR 2007, 770.
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liga, Fußball-WM, Olympische Spiele, aber auch Boxkämpfe) gesteckt, die auch von werbefinanzierten Sendern gezeigt werden könnten. Es ist aber politisch gewollt, dass ARD und ZDF sich als Konkurrenz zu privaten Anbietern präsentieren. Dazu sind die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten inzwischen mit einem Gebührenaufkommen von € 8 Mrd ausgestattet. Durch die Einfügung neuartiger Werbemethoden wie Sponsoring (§ 8 RStV) für Sen- 13 dungen wie „Wetten dass …?“ und „Tatort“ sowie zwar unzulässiger (vgl § 7 Abs 4 RStV), aber dennoch über Jahre praktizierter Schleichwerbung ua bei Vorabendserien wie „Marienhof“ haben die öffentlich-rechtlichen Sender die Konkurrenz gegenüber privaten Veranstaltern daneben auf dem bei der wettbewerbsrechtlichen Betrachtung allein maßgeblichen 57 Werbemarkt verschärft. Dennoch fällt bisher der Anteil von ARD und ZDF an diesem Markt wegen des – ua mit Sponsoring abgemilderten – Werbeverbots nach 20 Uhr nicht ins Gewicht. Die wirtschaftliche Größe eines Senders entscheidet sich aber nicht allein an seinen Werbeeinnahmen, sondern an der gesamten Attraktivität der Programme für Zuschauer. Die Attraktivität von ARD und ZDF zeigt sich schon daran, dass sie Werbepartner für ihre beliebten abendlichen Sendungen finden. Damit ist die vollständige Außerachtlassung der Zuschaueranteile bei der Marktdefinition im Rundfunkbereich fragwürdig. Vielmehr wird für das Kartellrecht nur eine kombinierte Sicht auf Werbeeinnahmen und Zuschaueranteile den tatsächlichen Wirtschafts- und Marktverhältnissen gerecht. Nur so kann eine dem dualen Rundfunksystem, in dessen Gesamtspektrum eben nicht von einem Duopol mit der RTL-Gruppe und ProSiebenSat.1 gesprochen werden kann, angemessene Beurteilung erfolgen. Eine dem Rundfunk entsprechende Einschränkung der Konzentration findet sich für 14 Printmedien nicht. Zwar wird durch § 38 Abs 3 GWB auch für Zeitschriften und Zeitungen eine Verzwanzigfachung des Umsatzes für die Berechnung der fusionsrechtlichen Schwellenwerte angeordnet. Es fehlt jedoch ein duales System, aus der eine Verquickung von wirtschaftlicher und publizistischer Meinungsmacht erfolgen könnte. Dennoch hat sich die ökonomische Medienmacht des Springer-Verlags im Verlagsbereich beim gescheiterten Zusammenschluss mit der Fernsehsendergruppe ProSiebenSat.1 als Hindernis dargestellt. Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) hat dabei – abseits gesetzlicher Vorgaben – die Marktstärke der Bild und Bild am Sonntag dem Marktanteil von ProSiebenSat.1 zugerechnet. Es fehlt bisher an einer abgesicherten Formel, um mögliche Querverbindungen zwischen verschiedenen Medienträgern zu beurteilen. Zu bedenken ist vor allem, dass es für die Sicherung der Meinungsvielfalt und der pluralistischen Meinungsbildung allein um die Beurteilung der publizistischen, nicht aber die ökonomischen Querverbindungen gehen kann. Soweit der wirtschaftliche Übernehmer eines Medienunternehmens durch kartellrechtliche Zusagen aber verspricht, keinen redaktionellen Einfluss zu nehmen, liegen publizistische Querverbindungen nicht vor. Aus einer Zusammenrechnung der Marktanteile verschiedener Medienträger in ihren Märkten könnte ansonsten nur der Schluss auf einen Gesamtmedienmarkt mit einem entsprechend diversifizierten Wettbewerberfeld gezogen werden. Die starke und teilweise zweigleisige deutsche Medienkonzentrationskontrolle stellt 15 sich bei zunehmend zusammenwachsenden internationalen und insbesondere europäischen Medienmärkten als problematisch dar. Die deutschen Institutionen wie die KEK, Landesmedienanstalten und die Wettbewerbsbehörden können bei der Übernahme von inländischen Rundfunksendern oder Zeitungen durch ausländische Medienunternehmen nicht die transnationale Marktstärke oder eine publizistische Einflussnahme berücksich57
S dazu unten Rn 129.
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tigen. Die EU-Kommission selbst gibt innereuropäische Rundfunkzusammenschlüsse – selbst bei Dimensionen wie im Fall Springer/ProSiebenSat.1 – bisher immer ohne Auflagen frei. Eine publizistische Meinungsmachtkontrolle findet auf europäischer Ebene nicht statt. Bei dieser Entwicklung können leicht globale Medienkonzerne entstehen, deren Einfluss auf die multinationale öffentliche Meinung nicht durch deutsche Behörden kontrolliert werden kann. Eine stärkere europäische oder sogar globale Sichtweise der deutschen Behörden wäre daher sicher sinnvoll. Für die Zukunft wird sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer zweigleisigen öko16 nomischen und publizistischen Medienkonzentrationskontrolle stellen. Angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung für ein duales Rundfunksystem und die Bedeutung der pluralistischen Meinungsbildung wird man dieses Konzept derzeit hinnehmen müssen. Allerdings kann sich das zweigleisige Konzentrationskontrollsystem nur dann dauerhaft bewähren, wenn die kritische Sicht der zuständigen Behörden gleichmäßig auf die inhaltliche Entwicklung privater und öffentlich-rechtlicher Sendeunternehmen gerichtet ist. Bei Entscheidungen über Zusammenschlüsse von Medienunternehmen sollten die Fragen nach wirtschaftlicher und publizistischer Medienmacht getrennt werden. Für das Kartellrecht kann ein solcher Zusammenschluss jedenfalls nur problematisch sein, wenn die wirtschaftliche Kontrolle über Medienunternehmen die freie Entwicklung des Markts und der Wettbewerber zum Nachteil der Mediennutzer behindert.
§2 Grundzüge des Kartellrechts I. Das Verhältnis von europäischem zu deutschem Kartellrecht 17
Das Verhältnis zwischen europäischem und deutschem Kartellrecht ist auch nach der 7. GWB-Novelle 58 kompliziert. Die beiden Rechtsordnungen wirken auf drei Ebenen ineinander: Erstens beim materiellen Kartellrecht, zweitens bei den zivilrechtlichen Folgen einer Kartellrechtsverletzung, und drittens beim kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren.59 18 Im materiellen Kartellrecht gilt – mit Besonderheiten für das Verhältnis zwischen Art 81 EG und § 1 GWB – der Vorrang des europäischen vor dem deutschen Kartellrecht.60 Soweit der Anwendungsbereich der Vorschriften des EG-Kartellrechts reicht, ist ein entgegenstehendes deutsches Kartellrecht unbeachtlich.61 Dieser vom EuGH schon 1969 postulierte Grundsatz 62 ist in den heute geltenden EG-Kartellvorschriften für alle drei „Säulen“ des Kartellrechts im Grundsatz ausdrücklich niedergelegt: Im Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen besteht gem Art 3 Abs 1 S 1 und Art 3 Abs 2 S 1 VO 1/2003 ein Verbot jeglicher Abweichung der nationalen Vorschriften von Art 81 EG bei paralleler Anwendbarkeit des nationalen Rechts (Vollharmonisierung); im Bereich der Fusionskontrolle ist den Mitgliedstaaten gem Art 21 Abs 3 FKVO die Anwendung der nationalen Kontrollvorschriften auf Zusam58 59 60
Trat am 1.7.2005 in Kraft. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Meessen Bd I Rn 69. Zum Verhältnis von EG- und deutschem Recht grundlegend: EuGH Slg 1964, 1251,
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1269 ff – ENEL; BVerfGE 73, 339 – Solange II; BVerfGE 89, 155 – Maastricht. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Einleitung Rn 21. EuGH Slg 1969, 1, 14 – Walt Wilhelm.
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menschlüssen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung untersagt; beim Verbot des Missbrauchs von Marktmacht gem Art 3 Abs 1 S 2 VO 1/2003 darf das nationale Kartellrecht nicht unter den Standard des EG-Rechts abfallen. Im Bereich der zuletzt genannten „Säule“ des Kartellrechts, dem Verbot des Machtmissbrauchs, findet sich die einzige Ausnahme vom Grundsatz des Anwendungsvorrangs des EG-Kartellrechts im materiellen Recht: Gem Art 3 Abs 2 S 2 VO 1/2003 ist es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, strengere innerstaatliche Vorschriften zur Unterbindung oder Ahndung einseitiger Handlungen von Unternehmen zu erlassen oder anzuwenden. Art 82 EG bildet beim Missbrauch marktbeherrschender Stellung auch bei Fallgestaltungen mit europäischer Bedeutung nur einen Mindeststandard.63 Der deutsche Gesetzgeber hat durch die Beibehaltung spezieller Missbrauchs-Verbote in §§ 19–21 GWB von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die zivilrechtlichen Folgen von Kartellrechtsverletzungen sind im EG-Recht nur 19 punktuell geregelt. So ordnet Art 81 Abs 2 EG die Nichtigkeit der entgegen dem Kartellverbot getroffen Vereinbarungen und gefassten Beschlüsse an. Im Übrigen ist die zivilrechtliche Sanktionierung dem nationalen Recht überlassen.64 Das GWB 2005 enthält in § 33 diesbezüglich nähere Bestimmungen. Im kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren gilt seit Inkrafttreten der VO 1/2003 ein 20 dezentrales Zuständigkeitssystem,65 in dem gem Art 5 VO 1/2003 die nationalen Kartellbehörden für die Anwendung von Art 81 und 82 EG zuständig sind. Die europaweit einheitliche Anwendung dieser Vorschriften wird durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Kartellbehörden und der Kommission (Art 11 Abs 1–5 VO 1/2003) sowie ein Eintrittsrecht der Kommission in nahezu allen wichtigen Entscheidungen (vgl Art 11 Abs 6 VO 1/2003) abgesichert.
II. Die kartellrechtlichen Regulierungsinstrumente Sowohl die europäische, als auch die deutsche Kartellrechtsordnung stützen sich auf 21 drei Instrumentarien, den sog drei „Säulen“ des Kartellrechts: Dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und sonstiger Koordinierungen (Art 81 EG bzw § 1 GWB), dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und sonstiger einseitiger Beeinträchtigung (Art 82 EG bzw §§ 19–21 GWB), sowie der Fusionskontrolle (FKVO bzw §§ 35–43 GWB) 66. Vor der Anwendung der Instrumente Marktmachtmissbrauch und Fusionskontrolle muss der relevante Markt abgegrenzt werden. 1. Marktabgrenzung Die europäischen und deutschen Kartellrechtsordnungen schützen lediglich den Wett- 22 bewerb auf Märkten, so dass die Marktabgrenzung Vorbedingung sowohl der Verhinderung und Sanktionierung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, der Fusions-
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Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Einleitung Rn 24; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Meessen Bd I Rn 73 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Meessen Bd I Rn 78. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Meessen Bd I Rn 81.
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Die FKVO trat (in erster Fassung) 1990 in Kraft; vorher fand auf europäischer Ebene keine Fusionkontrolle statt. Deutschland führte die Fusionskontrolle mit der zweiten GWB-Novelle 1973 ein; vgl Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Simon Bd I, FKVO Rn 1.
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kontrolle als auch der Missbrauchskontrolle ist. Eine marktunabhängige kartellrechtliche Kontrolle findet nicht statt. Die Abgrenzung des relevanten Marktes erfolgt stets im Einzelfall. Dabei ist der Markt der ökonomische Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen.67 Dieser ideale Ort hat eine sachliche und eine räumliche (und in Ausnahmefällen auch eine zeitliche) Komponente.68 Der sachlich relevante Markt umfasst nach der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes sämtliche Produkte, die vom Nachfrager hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.69 Zur Ermittlung der Substituierbarkeit prüft die Kommission, inwieweit die Nachfrager bei einer geringen, nicht nur vorübergehenden Erhöhung der Preise der Produkte des sachlich relevanten Marktes auf andere Produkte ausweichen würden. Wäre die Preiserhöhung für die Anbieter im sachlich relevanten Markt aufgrund des zu erwartenden Absatzrückgangs nicht erträglich, so bezieht die Kommission die anderen Produkte mit ein (sog hypothetischer Monopoltest oder „SSNIP-Test“).70 Darüber hinaus wird in Ausnahmefällen auf das Kriterium der Angebotsumstellungsflexibilität auf Anbieterseite abgestellt.71 Danach wird die Möglichkeit anderer Anbieter geprüft, kurzfristig und ohne erhebliche Zusatzkosten in den sachlich relevanten Markt einzutreten. Beim räumlich relevanten Markt handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH und der Entscheidungspraxis der Kommission mit Blick auf Art 9 Abs 7 FKVO 72 um einen abgegrenzten Bereich, in dem das fragliche Erzeugnis vertrieben wird und in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind, während es sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet, die ua von den Transportkosten, Sprachbarrieren und rechtlichen Rahmenbedingungen abhängen.73 Dabei wird wie bei der sachlichen Marktabgrenzung ebenfalls auf die Kriterien der Produktaustauschbarkeit auf Nachfrageseite und der Angebotsumstellungsflexibilität auf Angebotsseite zurückgegriffen.74 Dies gilt auch für das deutsche Recht.75
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BGH WuW/E 1276, 1279 – Ölfeldrohre; Vgl Paschke in: Frankfurter Kommentar, Bd IV, § 19 GWB Rn 75; Trafkowski 31. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 5; Immenga/Mestmäcker/Möschel GWB, § 19 Rn 58; Trafkowski 31. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, ABl EG 1997 Nr C 372, 5 Rn 7. Vgl auch EuGH Slg 1973, 215, 248 – Continental Can; Kommission, ABl EG 1988 Nr L 272, 27, 33 ff – Tetra Pak I; Kommission, ABl EG 1988 Nr L 317, 47, 49 f – SABENA; Bechtold § 19 Rn 6; Commichau/Schwartz Rn 287; Emmerich § 4 Rn 64; Schmidt 50; Trafkowski 31. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes (vgl Fn 69), Rn 15–17; vgl EUGH Slg 1975, 499, 519 f – Kali und Salz; EuGH Slg 1978, 207,
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282 – United Brands; EuGH Slg 1979, 461, 517 – Hoffmann-La Roche. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes (s oben Fn 69), Rn 20 ff; vgl EUGH Slg 1983, 3461, 3505 – Michelin; EuGH Slg 1979, 1869, 1895 ff – Hugin; Emmerich § 4 Rn 67. Zur FKVO s oben Fn 66. EuGH Slg 1978, 207 Rn 10 f – United Brands; EuGH Slg 2002, II-4075, 4115 Rn 153 ff; Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes (s oben Fn 69) Rn 8. EuGH Slg 1978, 207 Rn 45, 56 – United Brands; Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes (s oben Fn 69) Rn 10 ff. BGH WuW/E 1655, 1657 – Zementmahlanlage II; BKartA WuW/E 2114, 2115 f –
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Grundzüge des Kartellrechts
2. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, insb. Kartellverbot a) Europäisches Recht. Art 81 Abs 1 EG erklärt Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse für Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt und verboten. Zentrales Tatbestandsmerkmal des Art 81 Abs 1 EG ist die Wettbewerbsbeschränkung. Hierbei kommt es auf die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Unternehmen an.76 Nach dem EuGH bedeutet dies, dass Vereinbarungen die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Handelns der Unternehmer nicht berühren dürfen (Selbstständigkeitspostulat).77 Horizontale Vereinbarungen wie Preiskartelle, Gebiets- und Kundenaufteilungsvereinbarungen, sowie Produktions- und Absatzbeschränkungsvereinbarungen stellen grds eine offensichtliche Verletzung des Wettbewerbs dar, die die Kommission als sog hardcoreoder Kernbeschränkung ansieht.78 Auch vertikale Vereinbarungen können zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit führen, indem Pflichten und Restriktionen auferlegt werden, so dass eine Beschränkung des tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerbs gegeben ist.79 Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erfasst Art 81 Abs 1 EG die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung.80 Nach der „de minimis“-Bekanntmachung der Kommission 81 ist eine Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar, wenn der Marktanteil beider Parteien einer Vereinbarung zwischen Wettbewerbern weniger als 10 % beträgt bzw die einzelnen Marktanteile bei Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern weniger als 15 % betragen. Das Verbot des Art 81 Abs 1 EG setzt des Weiteren voraus, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (sog Zwischenstaatlichkeitsklausel). Dadurch soll der Anwendungsbereich der EG-Wettbewerbsregeln von dem des nationalen Wettbewerbsrechts abgegrenzt werden.82 Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung niedrige Anforderungen an Erfüllung
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Coop Schleswig-Holstein-Deutscher Supermarkt; BKartA WuW/E 2161, 2162 – CoopWandmaker; Immenga/Mestmäcker/Möschel GWB, § 19 GWB Rn 35; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Götting Bd II § 19 Rn 22. EuGH Slg 1970, 661, 700 – Chemiefarma/ Kommission; EuGH Slg 1975, 1663, 1965 – Suiker Unie. EuGH Slg 1975, 1663, 1965 – Suiker Unie; EuGH Slg 1993, I-1575, 1599 – Ahlström. Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl 2001 Nr C 3/02 (Horizontalleitlinien) Rn 2; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Amato/ Gonzalez/Diaz Bd I Art 81 Abs 1 Rn 112;
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Immenga/Mestmäcker/Emmerich EG, Bd I Art 81 Abs 1 Rn 142. Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl 2000 Nr C 291/1. Schröter/Jakob/Mederer/Schröter Art 81 Abs 1 Rn 65. Kommission, Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem Art 81 Abs 1 EG nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl 2001 Nr C 368/13 („de minimis“-Bekanntmachung). Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 81 Rn 80, 102 ff; Emmerich § 3 Rn 18; Schröter/Jakob/Mederer/Schröter Art 81 Abs 1 Rn 192.
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der Zwischenstaatlichkeitsklausel gestellt.83 Laut den „Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels“ 84 vermutet die Kommission, dass eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels nicht spürbar ist, wenn der gemeinsame Marktanteil der Parteien unter 5 % und der gemeinsame Jahresumsatz an den betroffenen Produkten unter € 40 Mio liegt.85
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b) Deutsches Recht. Im deutschen Wettbewerbsrecht wurde bis zu der am 1.7.2005 in Kraft getretenen 7. GWB-Novelle zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen unterschieden. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen waren – vorbehaltlich der Möglichkeit einer Freistellung – verboten. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen hingegen unterlagen lediglich einer mit hohen Eingriffsschwellen verbundenen Missbrauchsaufsicht. Mittlerweile ist § 1 GWB an Art 81 Abs 1 EG angepasst worden und erfasst alle Wettbewerbsbeschränkungen. Die speziellen Freistellungstatbestände im GWB aF für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen wurden nahezu vollständig durch Einführung einer Generalklausel zur Freistellung bestimmter horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen in Anlehnung an Art 81 Abs 3 EG ersetzt. Bis auf die Zwischenstaatlichkeitsklausel ist § 1 GWB wortgleich mit Art 81 Abs 1 33 EG. Die Tatbestandsmerkmale des § 1 GWB sind im Lichte der zu Art 81 Abs 1 EG ergangenen europäischen Rechtsprechung und Rechtsanwendungspraxis auszulegen und anzuwenden.86
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c) Gruppenfreistellungsverordnungen. Nach Art 81 Abs 3 EG kann das Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EG auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, auf Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und auf aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder auf Gruppen von solchen für unanwendbar erklärt werden, wenn zugleich die dort festgelegten Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind. Seit Inkrafttreten der VO (EG) Nr 1/2003 am 1.5.2004 ist das zentralisierte Anmeldesystem abgeschafft und zu einem Legalsystem umfunktioniert worden.87 Nach Art 1 Abs 2 der Verordnung sind nunmehr alle Vereinbarungen von Anfang an wirksam, die zwar in den Anwendungsbereich des Art 81 Abs 1 EG fallen, aber ebenfalls die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllen. Vereinbarungen, für die kein Freistellungstatbestand greift, sind nach wie vor von Anfang an nichtig. Die Unternehmen beurteilen die Rechtmäßigkeit ihrer Vereinbarungen und Verhaltensweisen selbst, müssen jedoch das Risiko einer Fehleinschätzung tragen. Auch für Sachverhalte, die nicht geeignet sind, den Handel zwischen EU-Mitglied35 staaten zu beeinträchtigen (Zwischenstaatlichkeitsklausel) und deshalb allein dem nationalen Kartellrecht unterliegen, wurde das Prinzip der Legalausnahme eingeführt. Die bislang bestehende grundsätzliche Anmelde- und Genehmigungspflicht für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Verhaltensweisen ist entfallen. Nunmehr sind derartige Verhaltenskoordinierungen automatisch vom Verbot des § 1 GWB freigestellt, wenn sie die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahme des § 2 GWB erfüllen, ohne dass
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EuGH vom 16.6.1981, Slg 1981, 1563 – Salonia/Poidomani; EuGH vom 28.5.1998, Slg 1998 I-3111, 3160 Rn 73–78 – John Deere; vgl Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Gippini-Fournier Bd I Art 81 Abs 1 Rn 191. Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004 Nr C 101/81.
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Dazu Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Gippini-Fournier Bd I Art 81 Abs 1 Rn 186 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II § 1 Rn 6; Hartog WRP 2005, 1397; Kahlenberg/Haellmigk BB 2005, 1510; Fuchs WRP 2005, 1386. Kommission, VO (EG) 1/2003, EG ABl 2003 L 1/1.
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dies einer vorherigen behördlichen Entscheidung im Einzelfall bedarf. Insofern ergeben sich für das Kartellverbot im deutschen Recht kaum Unterschiede zum EG-Recht. Um nach Art 81 Abs 3 EG freigestellt zu sein, muss eine Vereinbarung vier Voraus- 36 setzungen erfüllen: • sie muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, • die Verbraucher an dem entstehenden Gewinn angemessen beteiligen, • den beteiligten Unternehmen keine Beschränkungen auferlegen, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, und • darf keine Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Ware den Wettbewerb auszuschließen.88 Die Kommission kann daneben Gruppen von Vereinbarungen freistellen, dh das Kar- 37 tellverbot für derartige Vereinbarungen außer Kraft setzen. Für den Multimedia-Bereich sind folgende Gruppenfreistellungsverordnungen besonders bedeutsam: • Verordnung (EG) Nr 2790/1999 über die Anwendung von Art 81 Abs 3 EG auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (sog GVO-Vertikal),89 • Verordnung (EG) Nr 772/2004 über die Anwendung von Art 81 Abs 3 EG auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen,90 • Verordnung (EG) Nr 2659/2000 über die Anwendung von Art 81 Abs 3 EG auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung.91 Die Verordnung (EG) Nr 2790/1999 (GVO-Vertikal) stellt gem Art 2 iVm Art 81 Abs 3 EG vertikale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen von der Anwendung des Art 81 Abs 1 EG frei.92 Bestimmte vertikale Beschränkungen werden indes in den folgenden Artikeln von diesem Grundsatz ausgenommen. In der Praxis haben die sog Kernbeschränkungen (wettbewerblich schädliche Vereinbarungen, die nicht freigestellt werden) des Art 4 GVO-Vertikal die größte Bedeutung. Im deutschen Recht ist die Möglichkeit der Freistellung wettbewerbsbeschränkender 38 Vereinbarungen parallel zum europäischen Recht größtenteils wortidentisch geregelt. Zentraler Freistellungstatbestand des novellierten GWB ist § 2 Abs 1 GWB, der eine dem Art 81 Abs 3 EG nachgebildete Generalklausel enthält. Die nach Art 81 Abs 3 EG ergangenen Freistellungsverordnungen erzeugen für das deutsche Recht unmittelbare Freistellungswirkung; dies folgt aus der dynamischen Verweisung in § 2 Abs 2 GWB. 3. Fusionskontrolle Sowohl das europäische Recht, als das deutsche Kartellrecht halten in der Fusions- 39 kontrollverordnung (FKVO) bzw in §§ 35 ff GWB eigenständige Regelungskomplexe für die kartellrechtliche Fusionskontrolle bereit. Fusionskontrolle ist Strukturkontrolle. Ihr Zweck ist es, das Anwachsen wirtschaftlicher Macht durch die Fusion von Unternehmen zu kontrollieren und, wenn notwendig, zu beschränken.93 88 89 90 91
Vgl Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 81 Rn 139. ABl 1999 Nr L 336/21. ABl 2004 Nr L 123/11; s dazu unten Rn 73, 138–139. ABl 2000 Nr L 304/7.
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Zur Anwendung des Art 81 Abs 1 EG s oben Rn 27 ff. Immenga/Mestmäcker/Immenga/Körber EG Teil I, FKVO – Einleitung Rn 8; Zagouras 95.
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Der BGH beschreibt die Ziele der Fusionskontrolle wie folgt: „Die Untersagung des Zusammenschlusses soll einer weiteren Verkrustung der Märkte entgegenwirken und den auf den beherrschten Märkten noch vorhandenen aktuellen oder potentiellen Wettbewerb vor weiteren – durch den Zusammenschluss zu erwartenden – Beschränkungen schützen. Eine Verstärkung ist schon dann anzunehmen, wenn sich die Größen, die die Marktmacht bestimmen, derart verändern, dass die die Macht auf einem bestimmten Markt neutralisierende Wirkung des Wettbewerbs im Wege der Änderung von marktund unternehmensbezogenen Strukturen in noch höherem Maße eingeschränkt wird, als dies vor dem Anteilserwerb der Fall war.“ 94 Für die Fusionskontrole kommt es folglich auf eine Prognose über die Marktstrukturentwicklung an; sie stellt mithin ein präventives Mittel der Wettbewerbskontrolle dar. Gem Art 4 FKVO bzw § 39 GWB müssen solche Zusammenschlüsse, welche die gel41 tenden Umsatzschwellen überschreiten, vor ihrem Vollzug bei der Kommission bzw beim BKartA angemeldet werden, wobei die zur Beurteilung des Zusammenschlusses notwendigen Angaben mitzuliefern sind.95 Das Entscheidungsprogramm des BKartA gliedert anschließend sich in drei Stufen: zunächst hat das Kartellamt zu prüfen, ob es im Verhältnis zur EG-Kommission zuständig ist; anschließend ermittelt es, ob der Zusammenschluss der wirtschaftlichen Tragweite nach bestimmte Schwellenwerte erreicht, welche die Anwendung der GWB-Fusionskontrolle überhaupt erst ermöglichen (sog Aufgreifkriterien); schließlich entscheidet es, ob der Zusammenschluss unter wettbewerblicher Sicht genehmigt werden kann oder untersagt werden muss (sog Eingreifkriterien). Bevor die Kommission bzw das BKartA die Freigabe für den Zusammenschluss erteilt 42 haben, unterliegt er einem Vollzugsverbot (Art 7 FKVO bzw § 41 GWB), von welchem im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden können.
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a) Aufgreifkriterien. Ein Zusammenschluss unterliegt der Fusionskontrolle nach der europäischen FKVO, wenn – ein Zusammenschlusstatbestand iSv Art 3 FKVO vorliegt, – und der Zusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung hat, also die Umsatzschwellen des Art 1 FKVO überschritten sind. Ein Zusammenschluss unterliegt der deutschen Fusionskontrolle, wenn 44 – die EG-Fusionskontrolle nach der FKVO keine Anwendung findet (§ 35 Abs 3 GWB), – ein Zusammenschlusstatbestand iSv § 37 GWB gegeben ist,96 – die Umsatzschwellen des § 35 Abs 1 GWB erfüllt sind, – und die Ausnahmevorschrift des § 35 Abs 2 GWB nicht eingreift.
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aa) Zuständigkeit der Kommission bzw des BKartA. Nach Anmeldung eines Zusammenschlusses stellt sich zunächst die Frage der Zuständigkeit des BKartA im Vergleich zur Kommission. Die Zuständigkeit der Kommission schließt die Zuständigkeit des BKartA und anderer nationaler Behörden innerhalb der EU aus (Art 21 Abs 2 FKVO; exklusive Zuständigkeit oder One-Stop-Shop);97 sie ist dann gegeben, wenn die Umsatzschwellen aus Art 1 FKVO überschritten sind, der Zusammenschluss also gemeinschaftsweite Bedeutung hat.
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BGH 6.10.1992 WuW/E 2795, 2805 – Pinneberger Tageblatt. Emmerich § 18 Rn 8 ff, § 36 Rn 5.
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Bunte 243. Für den Anwendungsbereich des GWB stellt dies § 35 Abs 3 GWB klar. Eine Ausnahme
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bb) Zusammenschluss. Nach europäischem Recht fallen die Fusion und – als häufigster Fall – der Kontrollerwerb unter den Zusammenschlussbegriff (Art 3 Abs 1 FKVO). Die Begriffe sind in der Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses 98 näher erläutert. Ob ein Vorgang zur Erlangung von Kontrolle führt, hängt von einer Reihe rechtlicher und/oder tatsächlicher Faktoren ab. Die Erlangung von Eigentumsrechten und Aktionärsabsprachen sind wichtige, aber nicht die einzigen Kriterien; auch rein wirtschaftliche Beziehungen können entscheidend sein. In Ausnahmefällen kann sogar eine wirtschaftliche Abhängigkeit faktisch zur Erlangung der Kontrolle führen.99 Auch die Erlangung gemeinsamer Kontrolle fällt unter den Tatbestand des Art 3 Abs 1 FKVO.100 Zusätzlich zu dem Erfordernis der gemeinsamen Kontrolle muss das Gemeinschaftsunternehmen ein „Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen“ sein, dh es muss gem Art 3 Abs 2 auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen Wirtschaftseinheit erfüllen.101 Mit der 6. Novelle des GWB erfolgte eine Anpassung der deutschen Fusionskontrolle an das EG-Recht. Dabei wurden zum einen die wesentlichen Vorschriften aus dem Katalog des bisherigen § 23 Abs 2 – in gestraffter Form – übernommen, zum anderen der Zusammenschlusstatbestand „Kontrollerwerb“ in Anlehnung an Art 3 Abs 1 Buchst b iVm Abs 3 FKVO neu in das GWB eingefügt.102 Obschon der Kontrollerwerb an sich als Generalklausel dazu geeignet wäre, alle anderen Fälle des Zusammenschlusses zu erfassen, hat der Gesetzgeber an den Einzeltatbeständen festgehalten.103 Jedoch decken die verschiedenen Tatbestände auch Zusammenschlüsse, die unterhalb des Kontrollerwerbs liegen, so zB bei nur Beteiligungen ab 25 % (§ 37 I Nr 3 GWB) oder Erlangung wettbewerblich erheblichen Einflusses (§ 37 I Nr 4 GWB) und gewähren damit einen weitergehenden Schutz;104 insofern greift das deutsche Fusionskontrollrecht weiter als jenes der EG.105 Der Tatbestand der Erlangung wettbewerblich erheblichen Einflusses ist gegenüber den anderen Zusammenschlusstatbeständen subisidiär und betrifft hauptsächlich Minderheitsbeteiligungen unter 25 %.106 Wie im europäischen Recht fällt unter Kontrollerwerb der Erwerb alleiniger und gemeinsamer Kontrolle. Insbesondere durch die Tatbestände des Anteilserwerbs und des Erwerbs wettbewerblich erheblichen Einflusses können nach deutschem Recht unterhalb der Schwelle des Kontrollerwerbs bloße Minderheitsbeteiligungen anmeldepflichtig sein.
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von der Regel der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission für Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung macht Art 21 Abs 4 FKVO. Danach können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz von berechtigten Interessen treffen, die nicht von der FKVO erfasst werden, also nicht allein dem Schutz des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschung (Erwägungsgrund 2 der FKVO). Als berechtigte Interessen gilt ua die Medienvielfalt (Art 21 Abs 4, Unterabs 2). Durch diesen Ausnahmetatbestand rechtfertigt sich bspw die Anwendung der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle nach §§ 35 ff RStV auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung. Mitteilung der Kommission vom 2.3.1998, ABl C 66/02.
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Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses vom 2.3.1998, ABl C 66/02 Rn 9. S für alle Einzelheiten Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses vom 2.3.1998, ABl C 66/02 Rn 18 ff. Zu den Einzelheiten s Mitteilung der Kommission über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens vom 2.3.1998, ABl C 66/01. Begr zum RegE, BT-Drucks 13/9720 (1998), 43. Krit Emmerich § 33 Rn 1 f, 8 ff mwN. Begr zum RegE, BT-Drucks 13/9720 (1998), 43. Bunte 254. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Riesenkampff/Lehr Bd II § 37 Rn 25 f.
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cc) Schwellenwerte. Die Zuständigkeit der Kommission richtet sich nach den Schwellenwerten in Art 1 der FKVO.107 Die Grundsätze der Umsatzberechnung finden sich in Art 5 FKVO. Beteiligte Unternehmen sind die direkten Teilnehmer an dem Zusammenschluss.108 Grds werden die Verkaufserlöse der beteiligten Unternehmen berücksichtigt, die diese in dem Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss erzielten, es sei denn es sind nach Erstellung des Jahresabschlusses signifikante Veränderungen eingetreten. Gehört das beteiligte Unternehmen einem Konzern an, ist der Umsatz des Konzerns heranzuziehen. Umsätze zwischen Konzernunternehmen iSd Art 5 Abs 4 FKVO sowie Rabatte, Steuern und Abgaben werden abgezogen. Schließlich bestimmt Art 5 Abs 1 FKVO, dass sich die geographische Zuordnung der Umsätze nach dem Standort des Kunden zu Zeit der Transaktion richtet. Die Verwaltungspraxis der zum Teil komplexen Umsatzberechnung hat die Kommission in ihrer Mitteilung zur Umsatzberechnung niedergelegt.109 Der Anwendungsbereich der Zusammenschlusskontrolle des GWB und die damit ver51 bundene Zuständigkeit des BKartA richtet sich nach § 35 GWB. Zunächst müssen die Schwellenwerte des § 35 Abs 1 GWB erfüllt sein.110 Des Weiteren darf die sog Bagatellklausel des § 35 Abs 2 S 1 GWB nicht einschlägig sein.111 Die Grundsätze der Umsatz-
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Nach Art 1 Abs 2 FKVO ist die Kommission zuständig, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: • weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als € 5 Mrd • ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als € 250 Mio • keines der beteiligten Unternehmen erzielt mehr als zwei Drittel des gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat (sog Zwei-DrittelRegel). Alternativ greift Art 1 Abs 3 FKVO, für den Fall das die Schwellenwerte des Art 1 Abs 2 FKVO nicht erfüllt sind: • weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als € 2,5 Mrd • Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedstaaten übersteigt jeweils € 100 Mio • Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen ist jeweils höher als € 25 Mio in mindestens drei der oben genannten Mitgliedstaaten • gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils höher als € 100 Mio keines der beteiligten Unternehmen erzielt mehr als zwei Drittel des gemeinschafts-
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weiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat (sog Zwei-DrittelRegel). S dazu ausführl Mitteilung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen in der Verordnung (EWG) Nr 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (98/C 66/03) vom 2.3.1998, Abs C 66/14. Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes im Sinne der Verordnung (EWG) Nr 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (98/C 66/04) vom 2.3.1998, Abl C 66/25. Dies ist der Fall, wenn im letzten Geschäftsjahr • der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen mehr als € 500 Mio betragen hat und • mindestens ein beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als € 25 Mio erzielt hat. Danach gilt § 35 Abs 1 GWB nicht, wenn • ein nicht iSd § 36 Abs 2 GWB abhängiges Unternehmen im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als € 10 Mio erzielt hat oder • in Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Jahr weniger als € 15 Mio umgesetzt wurden.
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berechnung finden sich in § 38 GWB (zu den Besonderheiten im Presse- und Medienbereich Rn 74 ff). b) Eingreifkriterien. Sofern die FKVO einschlägig ist, der Zusammenschluss also ge- 52 meinschaftsweite Bedeutung hat, wird er von der (hierzu ausschließlich zuständigen) Kommission geprüft. Gem Art 2 Abs 3 und 4 FKVO ist ein Zusammenschluss, durch den der wirksame Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar. Ein Zusammenschluss führt dann zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs, wenn bei einer Untersagung des Zusammenschlusses die Wettbewerbsfunktionen besser erfüllt wären als bei einer Genehmigung des Zusammenschlusses.112 Die FKVO von 2004 richtet die Beurteilung nicht mehr allein an der Frage aus, ob durch den fraglichen Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt würde, sondern beinhaltet einen sog SIEC-Test (significant impediment to effective competition).113 Hierin liegt – zumindest formal – ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Beurteilung nach § 36 GWB. Jedoch bleibt das Kriterium der marktbeherrschenden Stellung im Rahmen des SIEC-Tests von großer Bedeutung, da es gem Art 2 Abs 2, 3 FKVO zur Prüfung einer Wettbewerbsbehinderung vornehmlich zu prüfen ist. Gemäß Erwägungsgrund 32 der FKVO 2004 indiziert ein Marktanteil der beteiligten Unternehmen von unter 25 % die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Gemeinsamen Markt. Umgekehrt ist – in Anknüpfung an die Entscheidungspraxis zur alten FKVO – bei einem gemeinsamen Marktanteil der beteiligten Unternehmen von über 50 % eine marktbeherrschende Stellung und somit die Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu vermuten.114 Der europäische SIEC-Test lehnt sich an den im US-amerikanischen Recht entwickelten SLC-Test (substantial lessening of competition) an,115 ist jedoch – wie schon die Terminologie vermuten lässt – nicht deckungsgleich mit seinem Vorbild. Die Frage, ob bei Vorliegen der Aufgreifkriterien das BKartA tatsächlich eingreifen 53 muss, richtet sich nach § 36 GWB. Danach muss das BKartA den Zusammenschluss untersagen, wenn es durch den Zusammenschluss zu einer Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung der beteiligten Unternehmen kommt. Somit ist das Eingreifkriterium für die deutsche Fusionskontrolle die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Dabei reicht die Erwartung, dass zukünftig eine solche marktbeherrschende Stellung begründet wird, aus.116 Daraus ergibt sich die zentrale Schwierigkeit der Fusionskontrolle: Es muss eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Marktstruktur getroffen werden. Im Rahmen dieser Prognose kommt aufgrund der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung den zeitnah und unmittelbar mit dem Zusammenschluss eintretenden Folgen ein größeres Gewicht zu als die absehbare weitere Entwicklung wie technische Neuerungen, Marktzutritte oder politische Veränderungen.117 Dabei ist aber stets zu beachten, dass der Zusammenschluss für die Begründung oder Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung zumindest mitursächlich sein muss.118
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Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Riesenkampff/Lehr Bd I, FKVO, Art 2 Rn 53. Vgl dazu Böge WuW 2004, 138, 143. Lochen 66. Lochen 63. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Kahlenberg Bd II § 36 Rn 6.
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Emmerich § 34 Rn 2 ff. BGHZ 115, 354, 361 – Lübecker Nachrichten/Stormaner Tagesblatt; Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken § 36 GWB Rn 136.
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Für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung ist die Definition des § 19 Abs 2 S 1 GWB zugrunde zu legen.119 Maßgeblich soll dabei sein, ob dem Unternehmen ein übermäßiger, vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierter Verhaltensspielraum zur Verfügung steht.120 Von § 36 Abs 1 GWB wird zudem die in § 19 Abs 2 S 2 GWB definierte oligopolistische Marktbeherrschung sowie die Oligopolvermutungen des § 19 Abs 3 GWB erfasst. Demnach muss das BKartA auch eingreifen, wenn die Marktbeherrschung durch ein Oligopol droht. Diese Prüfung entspricht der Prüfung im Rahmen des § 19 Abs 2 S 1 Nr 2 GWB.121 Die Ermittlung, ob durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung 55 begründet oder verstärkt wird, erfolgt durch eine Gesamtschau aller für den betroffenen Markt relevanten Merkmale. Während ursprünglich das Verhalten von Unternehmen im Mittelpunkt dieser Gesamtschau stand, wird die Beurteilung heutzutage in erster Linie anhand von wettbewerbs-, markt-, und unternehmensbezogenen Strukturmerkmalen vorgenommen.122 Einen abschließenden Katalog gibt es nicht. Von regelmäßiger Bedeutung sind aber Marktanteile, Ressourcenbetrachtungen, Zugänge zu Absatz- und Beschaffungsmärkten, Marktzutrittsschranken, der potentielle Wettbewerb und die Phase, in der sich der zu untersuchende Markt befindet.123 Ist nach der Prognose des BKartA die Begründung oder Verstärkung einer markt56 beherrschenden Stellung durch die Fusion zu erwarten, darf den betroffenen Unternehmen der Zusammenschluss nach § 36 Abs 1 GWB dennoch nicht versagt werden, sofern den Unternehmen der Nachweis gelingt, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese die negativen Effekte überwiegen. 4. Verhinderung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
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Die dritte Säule der kartellrechtlichen Regulierung stellt die sog Missbrauchsaufsicht dar (Art 82 EG, §§ 19, 20 GWB) zur Verhinderung der unangemessenen Ausnutzung von Marktstärke zum Nachteil der Wettbewerber und damit auch durch befürchtete Effizienzverluste zum Nachteil von Nachfragern. Die Missbrauchsaufsicht soll allerdings nicht die durch Leistungswettbewerb und insbesondere durch Innovationen erworbene Marktmacht beschneiden, sondern erst ihre missbräuchliche Ausnutzung.124 Weitgehend einheitlich nennen sowohl Art 82 EG als auch § 19 GWB als Voraus58 setzungen die Marktbeherrschung, einen Missbrauchstatbestand sowie eine fehlende sachliche Rechtfertigung. Im Rahmen des § 20 GWB, der als besondere Missbrauchstatbestände für das deutsche Recht Diskriminierung und unbillige Behinderung nennt, kommt es anstelle der Marktbeherrschung auf die Marktstärke eines Unternehmens an. Art 82 EG und §§ 19, 20 GWB sind parallel anwendbar, wobei Art 82 EG aufgrund der Zwischenstaatlichkeitsklausel nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eingreift. Rechtsfolgen eines missbräuchlichen Verhaltens sind die Anordnung der Untersagung des
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Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Kahlenberg Bd II § 36 Rn 1; Wiedemann/ Richter 672. BGHZ 79, 62, 67 – Klöckner/Becorit. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Kahlenberg Bd II § 36 Rn 127. Emmerich § 34 Rn 15 ff; Immenga/Mest-
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mäcker/Mestmäcker/Veelken § 36 GWB Rn 150. Vgl BKartA, Auslegungsgrundsätze 2005. Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II, Anwendungsgrundsätze zu Art 82 EG-Vertrag Rn 11.
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Verhaltens, die Verhängung von teilweise erheblichen Bußgeldern 125 sowie die Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften, die auf den Missbrauch zurückgehen. EuGH,126 Kommission 127 sowie die deutschen Kartellbehörden und -gerichte 128 legen 59 für die Beurteilung der Marktbeherrschung ihren Entscheidungen das Marktmacht- und das Bedarfsmarktkonzept zugrunde.129 Nach dem Marktmachtkonzept ist ein Unternehmen nicht per se marktbeherrschend. Fälle einer reinen Größenmacht werden nicht erfasst.130 Beim Bedarfsmarktkonzept wird nach der Austauschbarkeit von Produkten aus Sicht der Nachfrager und nach der Angebotsumstellungsflexibilität aus Sicht der Anbieter gefragt.131 a) Europäisches Recht. Art 82 S 1 EG verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer 60 beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Art 82 EG stellt ein unmittelbar geltendes Verbot auf, für das keine Freistellungsmöglichkeit existiert. Ein Unternehmen ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH 132 und Entschei- 61 dungspraxis der Kommission133 marktbeherrschend, wenn es eine wirtschaftliche Machtstellung innehat, die das Unternehmen in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit zu einer unabhängigen Marktstrategie im Verhältnis zu seinen Marktpart-
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Im Fall Microsoft hat die Kommission ein Bußgeld in Höhe von € 497,2 Mio verhängt, Entscheidung vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft. Etwa EuGH Slg 1997, II-1439, 1472 ff; EuGH Slg 1997 II-1689, 1713 Rn 54. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, ABl 1997 Nr C 372/5 Rn 7, 13 ff; Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (s oben Fn 80), Rn 90. BGH WuW/E 1435, 1440 – Vitamin B 12; BGH WuW/E 2150, 2153 – Edelstahlbestecke; BGH WuW/E 2433 – GrunerJahr/Zeit II; BGH WuW/E 2771, 2772 – Kaufhof/Saturn; BGH WuW/E 3026, 3028 – Backofenmarkt; BKartA WuW/E 2591, 2593 – Fresenius/Semina mwN; BKartA vom 15.4.1993 WuW; BKartA 2521, 2526 „Zahnradfabrik Friedrichshafen/Allison“. Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil I, Art 82 Rn 43; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann Bd I Art 82 EG Rn 82; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Götting Bd II § 19 Rn 10; Wiedemann/ Wiedemann § 2 Rn 8. Emmerich § 9 Rn 5; Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Lübbig Bd I Art 82 Rn 25; vgl auch Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 17 ff; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil I, Art 82 Rn 63 ff;
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Paschke in: Frankfurter Kommentar, Bd IV § 19 Rn 75. Immenga/Mestmäcker/Möschel § 19 GWB Rn 24–31; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Götting Bd II § 19 Rn 12–20 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 7 ff; Emmerich § 4 Rn 66 ff, § 8 Rn 8 ff. EuGH vom 14.2.1978, Slg 1978, 207, 286 – United Brands; EuGH vom 13.2.1979, Slg 1979, 461, 520 – Hoffmann-La Roche; EuGH v 9.11.1983, Slg 1983, 3461 – Michelin; EuGH vom 30.10.1985, Slg 3261, 3275 – CBEM/CLT; EuGH vom 4.5.1988, Slg 1988, 2479, 2514 – Bodson/Pompes Funèbres; EuGH vom 5.10.1988, Slg 1988, 5987, 6008 – Alsatel/Novasam; EuGH vom 12.12.1991, Slg 1991 II, 1439, 1480 – Hilti; EuGH vom 17.12.2003, Slg 2003 II, 5917 – Virgin/British Airways. Kommission vom 14.12.1985, ABl 1985, Nr L 374, 1, 17 – ECS/AKZO II; Kommission vom 29.7.1987, ABl 1987, Nr L 286, 36, 39 – BBI/Boosey & Hawkes; Kommission vom 5.12.1988, ABl 1989, Nr L 10, 50, 64 – BPB; Kommission vom 19.12.1990, ABl 1991, Nr L 152, 21, 30 – Soda-Solvay; Kommission vom 19.12.1990, ABl 1991, Nr L 152, 40, 48 – Soda-ICI; Kommission, Diskussionspapier zur Anwendung des Art 82 EG, Dezember 2005, Tz 20.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
nern verschafft.134 Ob dies der Fall ist, wird anhand einer Gesamtabwägung sämtlicher markt- und unternehmensbezogener Faktoren im Einzelfall beurteilt.135 Im Vordergrund dieser Beurteilung steht regelmäßig der Marktanteil des betreffenden Unternehmens.136 Mehrere Unternehmen können mitunter gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung innehaben.137 Das Vorliegen einer Marktbeherrschung nimmt die Kommission regelmäßig bei einer Marktanteilsquote von 40 %,138 der EuGH erst bei 50 % an.139 Die Entscheidungspraxis belegt, dass sich im europäischen Kartellrecht drei Arten des 62 Missbrauchs der beherrschenden Stellung finden, nämlich der Behinderungsmissbrauch, der auf die Behinderung von Wettbewerbern auf beherrschten oder dritten Märkten zielt, der Ausbeutungsmissbrauch zum Nachteil der Verbraucher und Abnehmer und schließlich der Marktstrukturmissbrauch als gezielter Eingriff in die Struktur des Wettbewerbs.140 Als Leitlinien für die Entwicklung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stel63 lung können die in S 2 beispielshalber normierten Fälle und das Ziel des EG-Vertrages nach Art 3 lit g dienen, ein System unverfälschten Wettbewerbs zu schaffen. Der Missbrauch kann danach insbesondere in Folgendem bestehen: • unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (Preis- und Konditionenmissbrauch); • Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; • Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; • an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen (Kopplung).
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b) Deutsches Recht. Durch die 6. GWB-Novelle im Jahre 1998 wurde das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung des § 19 GWB in ein gesetzliches Verbot umgestaltet. Damit einher ging eine Angleichung des § 19 GWB an Art 82 EG.141
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Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 17, 18; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann Bd I Art 82 Rn 92; Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II Normadressaten Art 82 EGV Rn 83. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 22 ff; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann Bd I Art 82 Rn 94. Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II Normadressaten Art 82 EGV Rn 106; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 82 Rn 22; Emmerich § 9 Rn 25 ff; Immenga/ Mestmäcker/Möschel EG/Teil I, Art 82 EGV Rn 74; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Bergmann Bd I Art 82 Rn 95. Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II Normadressaten Art 82 EGV Rn 139 ff; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil I, Art 82 EGV Rn 105 ff; Loewenheim/Mees-
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sen/Riesenkampff/Bergmann Bd I Art 82 Rn 123 ff. Kommission vom 4.11.1988, ABl 1988, Nr L 317, 47, 52 – London European/ SABENA; vgl Immenga/Mestmäcker/ Möschel EG Teil I, Art 82 EGV Rn 83; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann Bd I Art 82 Rn 101. EuGH vom 13.2.1979, Slg 1979, 461, 528 – Hoffmann-La Roche; vgl Immenga/Mestmäcker/Möschel EG, Teil I, Art 82 EGV Rn 83; Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II Normadressaten Art 82 EGV Rn 110 f. Vgl Emmerich § 10 Rn 4 ff; zu den Schutzgütern des Art 82 EGV umfassend Wessely in: Frankfurter Kommentar, Bd II Anwendungsgrundsätze Art 82 EGV Rn 54 ff. Emmerich § 27 Rn 3; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Götting Bd II § 19 Rn 6.
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§2
Grundzüge des Kartellrechts
Auf eine weitergehende Anpassung an das europäische Recht im Zuge der 7. GWBNovelle – entsprechend der Anpassung des Kartellverbots (§ 1 GWB) an Art 81 EG 142 – wurde indes verzichtet. Vielmehr wurden die strengeren deutschen Vorschriften zur Missbrauchsaufsicht (§§ 19–21 GWB) beibehalten. Zur Begründung berief sich der Gesetzgeber auf Art 3 Abs 2 S 2 der VO (EG) Nr 1/2003, wonach die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet strengere Vorschriften zur Unterbindung einseitiger Handlungen anwenden dürfen.143 aa) Missbrauchsverbot, § 19 GWB. § 19 Abs 1 GWB untersagt die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Marktbeherrschung setzt die Abgrenzung des relevanten Marktes voraus 144 und richtet sich nach § 19 Abs 2 GWB. In § 19 Abs 2 S 1 GWB sind verschiedene Fälle der Marktbeherrschung eines Unternehmens normiert, wobei zwischen diesen Fällen in der Praxis kaum unterschieden wird.145 Zur Feststellung der Marktbeherrschung ist stets eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Kriterien des § 19 Abs 2 S 1 Nr 2 GWB erforderlich.146 Die kollektive Marktbeherrschung ist in § 19 Abs 2 S 2 GWB geregelt. Bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung sind darüber hinaus die widerlegbaren Vermutungen der Marktbeherrschung in § 19 Abs 3 GWB zu beachten. Neben der Generalklausel des Abs 1 enthält § 19 GWB in Abs 4 verschiedene Regelbeispiele missbräuchlichen Verhaltens einer marktbeherrschenden Stellung und ist auch insofern mit Art 82 S 2 EG vergleichbar. Zu den Regelbeispielen des § 19 Abs 4 GWB gehören • der Behinderungsmissbrauch (§ 19 Abs 4 Nr 1 GWB), • der Preismissbrauch (§ 19 Abs 4 Nr 2 GWB), • die Diskriminierung gleichartiger Abnehmer (§ 19 Abs 4 Nr 3 GWB) und • die Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen (§ 19 Abs 4 Nr 4 GWB). Im Gegensatz zu den auf Grundlage einer Generalklausel entwickelten Zugangsansprüchen nach Art 82 EG enthält das deutsche Wettbewerbsrecht mit § 19 Abs 4 Nr 4 GWB somit eine ausdrückliche gesetzliche Normierung von Zugangsansprüchen zu Infrastruktureinrichtungen. Da im Bereich Multimedia häufig internationale Sachverhalte auftreten, spielt § 19 Abs 4 Nr 4 GWB hier kaum eine Rolle. Vielmehr bildet Art 82 EG in solchen Sachverhalten, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen (sog Zwischenstaatlichkeitsklausel), die Untergrenze der Regulierung (Art 3 Abs 1 S 2 VO (EG) 1/2003). § 19 Abs 4 Nr 4 GWB wurde im Rahmen der 6. GWB-Novelle 1999 ins GWB eingefügt. Ziel des Gesetzgebers bei der Normierung eines allgemeinen kartellrechtlichen Zugangsanspruchs war, auf diese Weise der wachsenden volkswirtschaftlichen Bedeutung sog Netzindustrien und anderer für die Aufnahme des Wettbewerbs wesentlicher Einrichtungen, vor allem im Rahmen der globalen Informationsgesellschaft, Rechnung zu tragen.147 Der Begriff der wesentlichen Einrichtung wurde auf Betreiben des Bundesrates durch den Begriff der Infrastruktureinrichtung ersetzt, damit Lizenzen für geistiges Eigentum aus dem Anwendungsbereich herausfallen.148 Somit ist der Anwendungsbe142 143 144 145
Vgl dazu oben Rn 27 ff. Referentenentwurf zur 7. GWB-Novelle, BT-Drucks 15/3640, 29, 31, 46. S dazu bereits oben Rn 22 ff. Emmerich § 27 Rn 33.
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Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Götting Bd II § 19 Rn 26, 31. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks 13/9720. BT-Drucks 13/9720, 79 f.
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3. Teil
reich der deutschen Vorschrift enger als derjenige der europäischen essential facility-Doktrin, nach denen geistige Schutzrechte wesentliche Einrichtungen sein können. Im Falle einer Lizenzverweigerung kann allerdings an einen Behinderungsmissbrauch iSv § 19 Abs 4 Nr 1 GWB gedacht werden.
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bb) Diskriminierungsverbot, § 20 GWB. § 20 Abs 1 GWB enthält darüber hinaus ein Diskriminierungsverbot, welches sich weitgehend mit § 19 Abs 4 Nr 1 GWB deckt.149 Gem § 20 Abs 2 GWB wird der Adressatenkreis des Abs 1 auf sog marktstarke Unternehmen – Unternehmen, von denen kleine und mittlere Unternehmen abhängig sind – ausgedehnt. Über § 20 Abs 3 GWB werden des Weiteren mittelbare Diskriminierungen in das Verbot einbezogen. Durch § 20 Abs 4 GWB sind horizontale Behinderungen von Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen überlegener Marktmacht erfasst. Relevant wird insbesondere § 20 Abs 4 S 2 GWB, wonach der nicht nur gelegentliche Verkauf unter Einstandspreis untersagt ist.
III. Ausblick: Die Internationalisierung des Wettbewerbsrechts 70
„Die Internationalisierung der Märkte und die durch sie bedingte Durchlässigkeit politischer Grenzen führen zunehmend dazu, dass grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten aus dem Geltungsbereich ihrer Rechtsordnungen herauswachsen. Besorgnis erwecken insbesondere die mit fortschreitender Liberalisierung und Intensivierung des Welthandels zu beobachtenden grenzüberschreitenden Fusionsaktivitäten. Die Sorge ist begründet, dass bei fortschreitender Unternehmensverflechtung die wettbewerbsbeschränkende Vermachtung wichtiger Weltmärkte droht. Nicht nur die Verbraucher würden dadurch geschädigt. Auch kleine und mittlere Unternehmen können dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Deshalb stellt sich immer drängender die Frage nach einer Internationalisierung des Wettbewerbsrechts.“ 150 Diese Stellungnahme der Enquete-Kommission des deutschen Bundestags zu den Folgen der ökonomischen Globalisierung zeigt sehr plastisch die Folgen zunehmender Inkongruenz globalen Handels und Unternehmensverflechtungen einerseits und der national begrenzten Kompetenz von Wettbewerbsbehörden andererseits.151 Auf den Medienmärkten sind längst Konzerne wie • Vivendi (ua Universal Music Group, Vivendi Games, Canal Plus Group, SFR, NBC Universal), • Time Warner (ua Warner Bros., HBO, Turner Broadcasting System (TBS), Time Inc., CNN, AOL), • Viacom (ua Paramount Pictures, MTV Networks, Simon & Schuster, Blockbuster Video), • Sony (ua Columbia Studios, MGM, UA, Sony BMG Music Entertainment, Sony Computer Entertainment mit der Playstation), • News Corporation (ua 20th Century Fox, BSkyB, Fox Networks, MySpace, Jamba, HarperCollins, Zeitungsverlage wie The Sun, New York Post etc) oder
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Emmerich § 27 Rn 3. Schlussbericht der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“ (eingesetzt vom Bundestag am 15.12.1999,
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BT-Drucks 14/2350) vom 13.5.2002, Kap 3.4, abrufbar unter www.bundestag.de/ gremien/welt/glob_end/3_4.html. S dazu allgemein auch Böge WuW 2005, 590 ff.
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§2
Grundzüge des Kartellrechts
• Bertelsmann (ua RTL-Group, Random House, Gruner + Jahr, Sony BMG Music Entertainment, Bertelsmann Club) international tätig. Diese Medienkonzerne stellen nicht nur eine erhebliche Wirtschaftsmacht dar, sondern haben das Potenzial, die öffentliche Meinungsbildung erheblich zu beeinflussen. Dennoch sind die Konzerne aufgrund ihrer globalen Struktur mit dem nationalen Instrumentarium des Wettbewerbs- und Rundfunkrechts nicht kontrollierbar. In keinem oder nur in einzelnen Ländern haben diese Konzerne eine marktbeherrschende Stellung auf einem Medienteilmarkt inne, während diese Konzerne weltweit nahezu alle Medienmärkte unter sich aufteilen. Die gescheiterte Fusion Springer/ProSiebenSat.1 wurde auf deutscher Ebene verhindert, während die EU-Kommission bei einem europäischen Zusammenschluss der gleichen oder sogar größeren Dimension voraussichtlich keine Schwierigkeiten mit einer Genehmigung hätte. Bspw unterlag die in einer vergleichbaren Größenordnung wie die Springer-Fusion liegende Übernahme der SBS Broadcasting Group durch ProSiebenSat1-Media (Transaktionvolumen: € 3,3 Mrd) im Juni 2007 nicht einmal einer Genehmigungspflicht.152 Die Forderung nach einer Internationalisierung des Wettbewerbsrechts muss daher 71 insbesondere für die globale Verflechtung von Medienmärkten gelten. Angesichts des weitgehend angewendeten (reinen oder qualifizierten) Auswirkungsprinzips im internationalen Kartellrecht 153 können deutsche und europäische Wettbewerbsbehörden in die Belange exterritorialer Unternehmen eingreifen.154 Die dadurch entstehenden parallelen Zuständigkeiten von Wettbewerbsbehörden können zu konträren Entscheidungen, wie in den Missbrauchsverfahren gegen Microsoft (Vergleich in den USA, Bußgeld in der EU),155 oder sogar Verwerfungen zwischen den Behörden oder betroffenen Staaten führen.156 Dabei funktioniert – trotz teilweise offen artikulierter Verärgerung über Einzelentscheidungen – 157 die Kooperation zwischen europäischen und US-amerikanischen Kartellbehörden schon weitgehend. Grundlage hierfür ist das EG-US-Kartellrechtsabkommen von 1998.158 Bisher geht die Zusammenarbeit aber über gegenseitige Mitteilung und Information über anhängige Verfahren sowie eine Koordinierung von Durchset-
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Pressemeldung der ProSiebenSat1-Media AG, www.prosieben.com/pressezentrum/ prosiebensat1media ag/2007/06/x02744/ (30.9.2007). EuG vom 25.3.1999, Slg 1999 II 753 Tz 50 ff – Gencor/Lonrho; Kommission vom 19.12.1984, ABl 1985 Nr L 92/1, 36 ff – Aluminiumeinfuhren (st Entscheidungspraxis); Kommission vom 3.7.2001, ABl 2002 Nr L 59/18, 42 – IMS Health; Bellamy/Child/Roth Rn 2–157 f; von der Groeben/Schwarze/Meng Vor Art 81 Rn 79; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder EG Teil I, IntWbR A Rn 26; Mestmäcker/Schweitzer § 6 Rn 6, 9, 34; Schwarze/Schwarze 37. S dazu zusammenfassend Immenga/Mestmäcker/Rehbinder EG/Teil I, IntWbR A Rn 6–26. Einerseits United States -v- Microsoft Corp, 231 F Supp 2d 144 (D.D.C. 2002), 253 F 3d
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34, 95 (D.C. Cir. 2001), 84 F Supp 2d 9 (D.D.C. 1999) und 87 F Supp 2d 30 (D.D.C. 2000), und andererseits EuG vom 17.9.2007, T-201/04 – Microsoft. S zu früheren parallelen Kartellverfahren auch Immenga/Mestmäcker/Völcker EG/Teil I, IntWbR B Rn 2. S für die Auseinandersetzung zwischen dem US-Justizministerium (Assistant Attorney General Barnett) und der EU-Kommissarin Kroes nach der Entscheidung des EuG in der Sache Microsoft, T-201/04 vom 17.9.2007 vor allem www.usdoj.gov/atr/public/ press_releases/2007/226070.htm (17.9.2007) und www.heise.de/newsticker/meldung/ 96260 (20.9.2007). S dazu Immenga/Mestmäcker/Völcker EG/Teil I, IntWbR B Rn 7 ff sowie zum Vorgängerabkommen von 1991 Slot/ McDonnell/Haagsma 229.
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zungsmaßnahmen nicht hinaus.159 Eine gegenseitige Beteiligung an den Verfahren ist ebenso wenig vorgesehen wie die gegenseitige Einschränkung des Auswirkungsprinzips zur Rücksichtnahme auf den anderen („Comity“), wodurch die Jurisdiktion nur einer Kartellbehörde überlassen bliebe.160 Nur in „wichtigen Belangen“ der jeweils anderen Seite ist eine Zurückhaltung bei der Geltungmachung der eigenen kartellrechtlichen Zuständigkeit vorgesehen.161 Der Gesichtspunkt der „wichtigen Belange“ ist von Seiten der US-Regierung zB im Microsoft-Verfahren geltend gemacht worden, weil die nach europäischem Recht mögliche Zugangsverpflichtung zu geistigem Eigentum 162 der Entscheidung des US-Gesetzgebers zu Innovationsanreizen widerspräche. Möglich, aber wenig verbreitet ist das „Positive Comity“, bei der die andere Seite um die Einleitung eines Kartellverfahrens gebeten wird. Neben dieser institutionalisierten Form der internationalen, aber lediglich bilateralen Kooperation von Kartellbehörden verblassen die multinationalen Ansätze der OECD und WTO.163 Inwieweit das 2001 gegründete International Competition Network (ICN) der nationalen Wettbewerbsbehörden eine Internationalisierung des Wettbewerbsrechts durch Gründung einer „Weltkartellbehörde“ oder klare internationale Zuweisungsregelungen wird erreichen können, bleibt abzuwarten.164 Die bisherigen Ansätze zur Internationalisierung des Wettbewerbsrechts genügen 72 sicherlich nicht, um die zunehmende Globalisierung von Medienunternehmen zu beschränken. Eine solche Beschränkung wäre aber nur notwendig, soweit eine potentielle globale Meinungsmacht dieser Unternehmen verhindert werden soll. Da es bisher an einer einheitlichen Position auch nur der Industrieländer zur Konzentration von Medienunternehmen und Meinungsmacht fehlt, wird jede echte Internationalisierung des Medienkartellrechts zu spät kommen, um noch die globale Dominanz weniger Medienkonzerne brechen zu können. Es werden dann nur noch Maßnahmen wie eine internationale Missbrauchskontrolle und die Verhinderung von Zusammenschlüssen zwischen diesen Konzernen den Meinungspluralismus aufrechterhalten können. Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, dass gerade die Vielfalt und unterschiedliche inhaltliche Ausrichtung der genannten Medienkonzerne sowie ihrer Produkte die Meinungsvielfalt nicht nur auf nationaler, sondern sogar auf globaler Ebene sichert.
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Zum Instrumentarium des Abkommens: Immenga/Mestmäcker/Völcker EG/Teil I, IntWbR B Rn 14–36. Zur nur eingeschränkten Anwendung des „Comity“-Gedankens US Supreme Court, Hartford Fire Insurance Co. –v- California, 113 S Ct 2891 (1993) und EuGH vom 11.11.1981, Slg 1981, 2639 Tz 22 f – IBM; EuG vom 25.9.1999, Slg 1999 II 753 Tz 103–105 – Gencor/Lonrho. Bspw nahm die Kommission in der E vom 30.7.1997, Abl 1997 Nr L 336/16 – Boeing/ McDonnell Douglas Rücksicht auf verteidigungspolitische Interessen der USA.
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S dazu näher unten Rn 300 ff. S zum Doha-Abkommen der WTO vom 20.11.2001 (WTO-Doc WT/MIN(01)/ DEC/1) sowie zur Unsicherheit dessen Umsetzung Drexl ZWeR 2004, 191, 192 ff; Böge WuW 2005, 590, 592. S dazu optimistisch Böge WuW 2005, 590, 592 und eher skeptisch Immenga/Mestmäcker/Völcker EG Teil I, IntWbR B Rn 67; zusammenfassend Möschel WuW 2005, 479 ff.
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
§3 Kartellrecht für die klassischen Medien I. Medienspezifische Kartellrechtsregelungen 1. Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung (TT-GVO) In den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 772/2004 (TT-GVO), einer Gruppen- 73 freistellungsverordnung iSv Art 81 Abs 3 EG, fallen Technologietransfer-Vereinbarungen. Damit betrifft sie hauptsächlich Vereinbarungen über Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Softwarelizenzen oder Know-How (Vgl Art 1 Abs 1 lit b, h, i TT-GVO). Technologietransfer-Vereinbarungen sind gem Art 2 Technologie-GVO von dem Verbot des Art 81 Abs 1 EG generell freigestellt, soweit die Ausnahmen in Art 3–5 TT-GVO nicht einschlägig sind. Bei Auslegung und Anwendung der TT-GVO sind stets die Leitlinien über die Anwendung des Art 81 EG auf Technologietransfer-Vereinbarungen zu beachten.165 2. §§ 35, 38 GWB: Schwellenwerte bei der Fusionskontrolle im Medienbereich Für Presse- und Medienzusammenschlüsse gelten bei der Prüfung der Schwellenwerte 74 zwei Besonderheiten. Erstens ist gem § 35 Abs 2 S 2 GWB die Bagatellklausel des § 35 Abs 2 S 1 Nr 1 GWB, nach der Unternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von unter € 10 Mio aus der Fusionskontrolle herausfallen, unanwendbar, soweit durch den Zusammenschluss der Wettbewerb beim Verlag, bei der Herstellung oder beim Vertrieb von Zeitungen oder Zeitschriften oder deren Bestandteilen beschränkt wird. Zweck der Nichtanwendung der Bagatellklausel auf Presseunternehmen ist es, das Aufkaufen von kleinen oder mittleren Verlagen mit lokal starken Marktstellungen durch größere Verlage zu verhindern.166 Zweitens ist gem § 38 Abs 3 GWB für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb 75 von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteilen, die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und den Absatz von Rundfunkwerbezeiten das Zwanzigfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen (sog Multiplikationsregel). Somit greift bei Medienzusammenschlüssen schon dann die Fusionskontrolle ein, wenn gemeinsam ein weltweiter Erlös von € 25 Mio und ein inländischer Erlös von € 1,25 Mio erzielt wird. Sinn und Zweck der erheblichen Herabsetzung der Eingreifschwelle im Medienbereich gem § 38 Abs 3 GWB ist es, Zusammenschlüsse im regionalen und lokalen Presse- und Rundfunkbereich zu erfassen.167 Sie wurde 1976 eingeführt, nachdem allein zwischen 1954 und 1974 die Zahl der deutschen Zeitungsverlage um mehr als 50 % zurückgegangen war.168 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die pressespezifische Regelung in § 38 Abs 3 GWB folgt aus Art 76 Nr 16 GG (Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung). Der inhaltliche Bezug zum Pressewesen allein führt nicht zu einer ausschließlichen Zuständigkeit der Länder; vielmehr besteht 165
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Kommission, Leitlinien über die Anwendung des Art 81 EG auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl 2004, Nr C 101/2. Immenga/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 46. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bauer
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Bd II § 38 Rn 14; vgl Säcker AfP 2005, 24, 25. Vgl Schütz Vielfalt oder Einfalt? Zur Entwicklung der Presse in Deutschland 1945–1995, 3 (www.lpb.bwue.de/publikat/ presse/schuetz.htm); Böge MMR 2004, 227, 228.
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ein vorrangiger Bezug zum Kartellrecht.169 Trotz vehementer Forderungen der Presseunternehmen, die sich vor allem angesichts der Konkurrenz aus dem Internet in einer tiefen Krise wähnten, änderte der Gesetzgeber die verschärfte Kontrollpflicht von Pressefusionen in der GWB-Novelle von 2005 nicht ab.170 Bei Einführung des § 38 Abs 3 GWB im Jahre 1976 bezog sich die Regelung zunächst 76 nur auf Pressemärkte, nicht auf Rundfunkmärkte. Dies änderte der Gesetzgeber 1999, indem er die Vorschrift auf die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen sowie den Absatz von Rundfunkwerbezeiten erweiterte. Auch für diese Tätigkeiten ist demnach seit 1999 das Zwanzigfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen, so dass die Eingreifschwelle der Fusionskontrolle auch in diesen Sektoren erheblich herabgesetzt ist. Internetangebote dürften grds nicht unter die verschärfte Kontrolle gem § 38 Abs 3 GWB fallen. Sie lassen sich weder unter die in der Vorschrift genannten Presseerzeugnisse, noch unter den Begriff „Rundfunkprogramme“ subsumieren. Allerdings greift die Regelung dann ein, wenn über das Internet Rundfunkprogramme verbreitet werden, das Internet also nur als Medium für ein Angebot dient, welches nach den medienrechtlichen Kriterien als Rundfunk zu bezeichnen ist.171 3. § 30 GWB: Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften
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§ 30 GWB erlaubt die vertikale Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften und stellt somit eine Ausnahme zu § 1 GWB dar, der solche Bindungen verbietet.172 Demnach dürfen Verlage gegenüber ihren Weiterverkäufern diejenigen Preise bestimmen, die letztere von den Drittabnehmern fordern dürfen. Die Vorschrift wird kultur- und bildungspolitisch begründet 173 und rechtfertigt sich vor allem aus den strukturellen Besonderheiten des Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebs.174 Zeitungen und Zeitschriften werden durch Großhändler (Grossisten) vertrieben, die in der Regel über Gebietsmonopole verfügen und Einzelhändler beliefern. Die Einzelhändler haben gegenüber den Grossisten das Recht, unverkaufte Exemplare an den Grossisten zurückzugeben, der wiederum ein Rückgaberecht gegenüber dem Verlag hat, so dass letzterer das wirtschaftliche Risiko für den Absatz der Zeitungen und Zeitschriften trägt. Das Rückgaberecht (sog Remissionsrecht) stärkt die Vielfalt des Zeitungs- und Zeitschriftenangebots, da die Einzelhändler sich nicht aus wirtschaftlichen Gründen auf gewinnbringende Produkte beschränken müssen. Im Gegenzug für die Freistellung der Einzel- und Zwischenhändler vom wirtschaftlichen Risiko erscheint es sachgerecht, dem Verlag die Befugnis zur Preisbindung zu erteilen.175 Anders als beim Vertrieb von Büchern hat der Gesetzgeber für Zeitungen und Zeitschriften keine Preisbindungspflicht eingeführt, was wiederum kulturpolitische Gründe hat.176 169 170 171
BGHZ 76, 55, 64 ff. Zu den Forderungen der Presseunternehmen ausführl Böge MMR 2004, 227. Gem § 2 Abs 1 RStV ist Rundfunk „die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters.“ Rundfunk zeichnet sich gegenüber Telemedien durch eine größere Relevanz für die öffentliche Meinungsbildung aus.
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Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II § 30 Rn 2. Begr zum RegE 6. GWB-Novelle, BRDrucks 857/97, 36; grundlegend NJW 1979, 1412 ff – Sammelrevers; Waldenberger NJW 2002, 2914, 2915; Fezer WRP 1994, 669. Zur Begründung von § 30 GWB auch Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II § 30 Rn 3. Waldenberger NJW 2002, 2914, 2915; Freytag/Gerlinger WRP 2004, 537, 540. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II § 30 Rn 4.
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
4. § 1 BuchPrG: Buchpreisbindung Das deutsche Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrG) trat 2002 in Kraft und verfolgt 78 gem § 1 das Ziel, das Kulturgut Buch zu schützen. § 3 schreibt – anders als für Zeitungen und Zeitschriften, s o Rn 77 – beim Vertrieb neuer Bücher eine Preisbindungspflicht vor, so dass die Buchhändler vertikale Preisabsprachen über die jeweils nächsten Verkaufsstufen treffen müssen. Auf diese Weise will der Gesetzgeber ein breites Buchangebot sowie eine große Anzahl von Verkaufsstellen erhalten (§ 1 Sätze 2 und 3). Gem § 4 BuchPrG gilt die Verpflichtung zur Preisbindung nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums – anderenfalls wäre das BuchPrG nicht mit Art 81 EG vereinbar. Allerdings soll die Preisbindung gem § 4 Abs 2 BuchPrG ausnahmsweise dann auf grenzüberschreitende Buchverkäufe innerhalb Europas Anwendung finden, wenn die betreffenden Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, also zur Umgehung des § 3 BuchPrG. Bücher im Sinne des BuchPrG sind gem § 2 auch Musiknoten, kartographische Pro- 79 dukte und solche Produkte, die „Bücher, Musiknoten oder kartographische Produkte reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind“.177 Der BGH hat 1997 – also vor Einführung des BuchPrG – den Begriff „Verlagserzeugnisse“ aus § 16 GWB aF weit ausgelegt und festgestellt, dass auch neuartige Produkte erfasst würden, wenn und soweit durch sie herkömmliche Verlagserzeugnisse substituiert werden.178 Demnach würden sowohl Trägermedien wie CD-ROMs, als auch Onlineprodukte unter das Buchpreisbindungsgesetz fallen, sofern sie einen entsprechenden Inhalt sowie eine entsprechende Vertriebsform aufweisen.179 An der Preisbindung von digitalen Büchern wurde allerdings (insb. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels) kritisiert, dass der Zweck des BuchPrG auf „ebooks“ nicht übertragbar sei.180 Die Preisbindungsfähigkeit von Hörbüchern wird hingegen einhellig verneint.181 5. WahrnG: Die wettbewerbliche Stellung der Verwertungsgesellschaften Die Verwertungsgesellschaften nehmen die Rechte einer Vielzahl von Urhebern wahr 80 (vgl § 1 Abs 1 UrhWG) und lassen sich zu diesem Zwecke die entsprechenden Rechte von den Urhebern abtreten.182 Zwar besteht für die Mehrzahl der Urheber kein rechtlicher, wohl aber ein faktischer Zwang zur Übertragung seiner Rechte auf eine Verwertungsgesellschaft. Aufgrund dessen können weitgehende Verpflichtungen zur Abtretung gegenwärtiger und zukünftiger Urheberrechte, welche die Gesellschaften den Urhebern als Beitrittsbedingung auferlegen, aus kartellrechtlicher Perspektive einen Missbrauch von Marktmacht darstellen.183 In dem für diese Frage wegweisenden Urteil BRT/SABAM und Fonior 184 forderte der EuGH 1974, es müsse ein „ausgewogenes Verhältnis“ gefun177 178 179 180 181 182
Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wallenfels Bd II Anh zu § 30 Rn 8. BGH NJW 1997, 1911, 1913 – NJW auf CD-ROM. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wallenfels Bd II Anh zu § 30 Rn 8. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wallenfels Bd II Anh zu § 30 Rn 9. Begründung der BReg zum BuchPrG, BT-Drucks 14/9196. Zur Funktion der Verwertungsgesellschaften
183
184
und ihrer Stellung im Wettbewerbsrecht ausführl Hoeren/Sieber/Müller Teil 7.5, sowie Mestmäcker/Schweitzer § 30. Mestmäcker in FS Rittner, 391; Immenga/ Mestmäcker/Möschel EG, Teil 1, Art 82 EG Rn 152. EuGH Slg 1974, 313 – BRT/SABAM und Fonior; dazu Mestmäcker/Schweitzer § 30 Rn 19–21; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG, Teil 1 Art 82 EG Rn 152 f.
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den werden zwischen dem Höchstmaß an Freiheit für die Urheber und dem Interesse an der praktischen Verwertung.185 Eine Abtretung der Rechte sei nur insoweit zulässig, wie sie notwendig ist, um der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften „das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen“.186 Diese Grenze sei dann überschritten, wenn eine marktbeherrschende Verwertungsgesellschaft die Abtretung sämtlicher gegenwärtiger und zukünftiger Urheberrechte auch mit Wirkung für einen längeren Zeitraum nach Ende der Mitgliedschaft fordere.187 Ein Machtmissbrauch in Richtung der Lizenznehmer verhindert § 11 Abs 1 Urh81 WahrnG. Durch diese Vorschrift werden die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, jedermann zu angemessenen Bedingungen Lizenzen für die von ihnen wahrgenommenen Rechte zu erteilen. Die Vorschrift ist somit eine spezielle Ausprägung des kartellrechtlichen Verbots des Machtmissbrauchs.
II. Medienkartellrecht im Spannungsverhältnis zu Telekommunikationsund Rundfunkrecht 82
Das Medienkartellrecht ist in mehrere Instrumente zersplittert, deren Verhältnis mitunter schwer zu durchschauen ist.188 Im Kern findet die kartellrechtliche Kontrolle im Medienbereich im „Dreieck“ Kartellrecht, Telekommunikationsrecht und Rundfunkrecht statt. Während das Telekommunikationsrecht aufgrund seiner gleichen Zielsetzung, dem Schutz des Wettbewerbs, das allgemeine Kartellrecht in seinem Anwendungsbereich verdrängt, verfolgt das Rundfunkrecht mit der Sicherung der Meinungsvielfalt einen anderen Ansatz als das Kartellrecht und ist daher parallel anzuwenden. 1. Verhältnis von Kartellrecht und Telekommunikationsrecht
83
Telekommunikationsdienstleistungen unterliegen im europäischen Rechtskreis im Wesentlichen einer zweigleisigen Regulierung: vorrangig durch das Telekommunikationsrecht, das als sektorspezifischer Regulierungsrahmen eine Art Sonderkartellrecht für Telekommunikationsdienste darstellt,189 und daneben durch das allgemeine Kartellrecht (§ 2 Abs 3 TKG).190 Die sektorspezifische Telekommunikationsregulierung ist dabei zum größten Teil eine intensivere kartellrechtliche Kontrolle des Missbrauchs von Marktmacht in einem Wirtschaftszweig, der aufgrund seiner Entstehungsgeschichte 191 und seiner Spezifika als Netzwirtschaft 192 einer schärferen Überwachung und Regulierung 193 bedarf. 185 186 187
188 189 190
EuGH Slg 1974, 313, 316 f – BRT/SABAM und Fonior. EuGH Slg 1974, 313, 317 – BRT/SABAM und Fonior. EuGH Slg 1974, 313, 317 – BRT/SABAM und Fonior; s umfassend zu den kartellrechtlichen Problemen bei Verwertungsgesellschaften im digitalen Umfeld Hoeren/ Sieber/Müller Teil 7.5 Rn 12 ff. Trafkowski 1; vgl auch Müller MMR 2006, 125. Wissmann/Schütze Kap 2 Rn 1. Zum Verhältnis von TKG und GWB ausführl: BeckTKG-Komm/Schuster § 2
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191
192 193
TKG Rn 39–49 und Topel ZWeR 2006, 45 ff. Zur Entwicklung des deutschen Telekommunikationsrechts: BeckTKG-Komm/ Schuster Einl A Rn 79 ff. Holznagel/Enaux/Niehaus § 1 Rn 5–11. Das TKG eröffnet der Bundesnetzagentur, die als Sonderbehörde für die sektorspezifische Regulierung zuständig ist, Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse, die über die Befugnisse der allgemeinen Kartellbehörden weit hinausgehen, insb Möglichkeiten der Ex-ante-Kontrolle, Wissmann/Schütze Kap 2 Rn 1.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
Uneingeschränkt sind Art 81, 82 EG und GWB bei wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und Zusammenschlüssen im Telekommunikationssektor anwendbar. Aufgrund seiner Verwandtheit mit der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle basiert 84 die spezifische Telekommunikationsregulierung maßgeblich auf der Überwachung von Marktmacht, welche wiederum eine Marktabgrenzung voraussetzt. Das TKG enthält dabei keine eigenständigen Kriterien zur Bestimmung der Begriffe „Markt“ oder „Marktmacht“, sondern lehnt sich vollständig an die Begrifflichkeiten des allgemeinen Kartellrechts an.194 Der Marktabgrenzung nachgelagert ist die Identifizierung und Aussonderung jener Märkte, die für die schärfere, sektorspezifische Telekommunikationsregulierung in Frage kommen (Marktdefinition, § 10 TKG).195 In einem dritten Schritt überprüft die Bundesnetzagentur schließlich, welche von den Märkten, die aufgrund ihrer Mängel für eine sektorspezifische Regulierung prinzipiell in Betracht kommen, tatsächlich regulierungsbedürftig sind (Marktanalyse, § 11 TKG).196 Jene abgrenzbaren Märkte, die nicht für eine telekommunikationsrechtliche Regulierung in Betracht kommen, also nicht mit Defiziten gem § 10 Abs 2 S 1 TKG behaftet sind, bleiben für das allgemeine Kartellrecht offen. Jene Märkte, die für eine sektorspezifische Regulierung in Frage kommen, dürfen soweit dem allgemeinen nationalen Kartellrecht unterworfen werden, wie das TKG keine abschließenden Regelungen enthält.197 2. Verhältnis von Kartellrecht und Rundfunkrecht Anders als für Telekommunikationsdienste existiert für Rundfunkdienste kein sektor- 85 spezifisches Kartellrecht, so dass für Fragen der Marktmacht auf dem Rundfunkmarkt das allgemeine Kartellrecht gilt. Der Rundfunkstaatsvertrag (RStV) enthält mit §§ 25–34 ein rundfunkspezifisches Konzentrationsrecht, welches sich allerdings nicht mit der Konzentration von Marktmacht befasst, sondern ausschließlich die Sicherung der Meinungsvielfalt bezweckt, also auf die Meinungsmacht abstellt.198 Beide Kontrollinstrumentarien (GWB und §§ 26–34 RStV) sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Bezugspunkte nebeneinander anwendbar.199
III. Wettbewerbssituation auf klassischen Medienmärkten 1. Ökonomischer und publizistischer Wettbewerb Medienunternehmen verfolgen eine doppelte Zielsetzung. Zum einen sind sie auf 86 wirtschaftlichen Ertrag ausgerichtet (was für öffentlich-rechtliche Medienanstalten eingeschränkter gilt), zum anderen buhlen sie um die Gunst der Rezipienten, sprich: um Quote. Beide Zielsetzungen sind miteinander verquickt, da der wirtschaftliche Erfolg weitgehend von der Nutzerakzeptanz abhängt. Aus wettbewerbs- und gesellschaftspolitischen sowie verfassungsrechtlichen Gründen ist der ökonomische Wettbewerb dennoch vom publizistischen Wettbewerb streng zu unterscheiden.200 Ein funktionierender wirt194 195
Wissmann/Schütze Kap 2 Rn 25; BeckTKGKomm/Schuster § 2 TKG Rn 49. BeckTKG-Komm/Pape Vor § 9 TKG Rn 18; Topel ZWeR 2006, 29 ff; Klotz MMR 2003, 495, 496 f; Klotz ZWeR 2003, 283, 294 f; zum mehrstufigen Verfahren der Marktregulierung s auch Hoeren/Sieber/Neumann/ Moritz Teil 4 Rn 32 ff.
196 197 198 199 200
Näher zur Marktabgrenzung im Telekommunikationsbereich unten Rn 124–126. BeckTKG-Komm/Schuster § 2 TKG Rn 39 ff. Janik AfP 2002, 104, 107; s auch ausführl oben Rn 11–14. Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht/ Trute § 26 RStV Rn 2–9. Trafkowski 8 f.
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schaftlicher Wettbewerb ist zwar für den publizistischen Wettbewerb förderlich, jedoch keineswegs hinreichend.201
87
a) Ökonomischer Wettbewerb. Der ökonomische Wettbewerb findet auf Märkten statt, wobei ein Markt als ein Ort definiert ist, an dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen.202 Die Abgrenzung eines oder mehrerer konkreter Märkte ist Vorbedingung jeder kartellrechtlichen Beurteilung; eine vom Marktbegriff losgelöste Überprüfung der Wettbewerbsverhältnisse findet nicht statt.203 Im Medienbereich lassen sich eine Vielzahl von Märkten abgrenzen, welche grob in vier Kategorien unterteilt werden können: – Märkte, auf denen die Medienunternehmen um die Rezipienten konkurrieren, also um Leser, Zuschauer bzw generell um zahlendes Publikum (Rezipientenmärkte); inwieweit auch der Wettbewerb um die Rezipienten als solche, also losgelöst von wirtschaftlichen Gegenleistungen ebenjener, kartellrechtlich relevant ist, ist umstritten,204 – Märkte für den Absatz von Werbung (Werbemärkte), – Märkte für Vorleistungen, die dem Absatz des jeweiligen Mediums vorgeschaltet sind, also vor allem Märkte für Inhalte und Rechte (Vorleistungsmärkte), – Märkte für den Vertrieb bzw die Übertragung der jeweiligen Medien (Distributionsmärkte).205 Der ökonomische Wettbewerb erfüllt vorrangig wirtschaftspolitische Funktionen, in88 dem er Innovation, Allokation und Effizienz fördert. Die von einigen Autoren zuerkannte gesellschaftspolitische Bedeutung des ökonomischen Wettbewerbs, die in der Förderung einer ausgeglichenen Machtverteilung in Wirtschaft und Gesellschaft begründet sein soll, tritt jedenfalls deutlich in den Hintergrund.206 b) Publizistischer Wettbewerb. Der publizistische Wettbewerb, also der Wettbewerb um die Rezipientengunst als solche, ist von Gegenleistungen der Rezipienten oder Dritter zunächst unabhängig, wenn auch die primäre Intention der Medienbetreiber selten eine Dominanz im Meinungswettbewerb, als vielmehr der wirtschaftliche Ertrag sein wird, der durch Entgelte oder Werbeeinnahmen erzielt wird. Der Begriff des publizistischen Wettbewerbs wird – in Gegenüberstellung zum ökonomischen Wettbewerb – mit der Konkurrenz verschiedener Gedanken, Ansichten und Argumente auf einem „Marktplatz der Meinungen“ assoziiert.207 Auf dem publizistischen Markt konkurrieren die Medienbetreiber demnach um die Köpfe der Rezipienten, nicht um wirtschaftliche Gewinne. Die Funktionen des publizistischen Wettbewerbs sind nicht etwa wirtschaftspolitischer, 90 sondern gesellschaftspolitischer Art. Der Wettbewerb auf dem „Marktplatz der Meinungen“ bewirkt eine qualitative Verbesserung der Vermittlung von Meinungen, Information, Kultur und Unterhaltung.208 Die freie kommunikative Auseinandersetzung ist die Grundbedingung zum Finden von (relativen) Wahrheiten im Prozess des menschlichen und gesellschaftlichen Fortschritts.209 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die publizistische Konkurrenz als „Lebenselement der Meinungsfreiheit“.210
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201
202 203
BVerfGE 57, 295, 319 ff; BVerfGE 73, 118, 172, 174 ff; BVerfGE 74, 297, 325, 331 ff; Trafkowski 9. Trafkowski 6. Zum sog Marktmachtkonzept unter § 19 GWB: Immenga/Mestmäcker/Möschel § 19 GWB Rn 58.
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204 205 206 207 208 209 210
Dazu Schmidt ZUM 1997, 472. Vgl Trafkowski 7. Vgl Trafkowski 6. Hoffmann-Riem 22. Preuss Neudorf 118. Hoffmann-Riem 21. BVerfGE 74, 297, 332.
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Mit dem Aufstieg der entgeltlichen Medien seit Erfindung des Buchdrucks ist die kom- 91 munikative Auseinandersetzung kommerzialisiert worden.211 Wie bereits angedeutet, wird die ökonomische Zielsetzung eines jeden publizistischen Unternehmens kaum von seinem Anspruch auf Meinungsmacht zu trennen sein, da publizistische Reichweite Grundbedingung des wirtschaftlichen Erfolges und somit Existenzgrundlage jedes von Mäzenen oder dem Staat unabhängigen Mediums ist.212 Dennoch ist der publizistische Wettbewerb als idealtypische Konstruktion beizubehalten; die Meinungsmärkte gehen keinesfalls in den ökonomischen Märkten auf.213 So hat das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen die Sicherung des „Meinungsmarktes“ sowohl gegen staatliche, als auch gegen privatwirtschaftliche Vereinnahmung gefordert; es müsse sichergestellt werden, dass alle oder wenigstens ein nennenswerter Teil der gesellschaftlichen Gruppen und geistigen Richtungen auch tatsächlich zu Wort komme.214 Instrument zum Schutz des publizistischen Wettbewerbs und zur Verhinderung der 92 Konzentration von Meinungsmacht im Rundfunkbereich sind die §§ 25–34 RStV, nach denen es der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) obliegt, die Akkumulation von Meinungsmacht (vornehmlich in Gestalt von Zuschauerquoten im TV) zu verhindern. Zum Verhältnis von Kartellrecht und den Konzentrationsvorschriften des RStV s oben Rn 85 Die kartellrechtlichen Kontrollmechanismen, die auf Medienunternehmen ebenfalls anzuwenden sind, stellen aufgrund des weitgehenden Gleichlaufs von wirtschaftlicher und publizistischer Macht einen mittelbaren, jedoch gewichtigen Beitrag zur Verhinderung der Konzentration von Meinungsmacht dar. 2. Konzentrationstendenzen im Medienbereich Die Mehrzahl der klassischen Medienmärkte neigt aufgrund ihrer Eigenheiten seit 93 jeher zur horizontalen Konzentration.215 Mit der steigenden Zahl der medialen Darstellungswege lassen sich nunmehr verstärkt vertikale (intermediäre) Verflechtungen beobachten. a) Horizontale Konzentration auf den klassischen Medienmärkten. Die Gründe für 94 die Konzentrationstendenzen auf den klassischen Medienmärkten wie Fernsehen und Presse liegen in deren spezifischen ökonomischen Vorbedingungen. Wichtigste konzentrationsfördernde Eigenschaft der Medienmärkte ist die besondere Kostenstruktur. Die Kosten für die Erzeugung des (immateriellen) Inhalts sind vergleichsweise hoch, während der Absatz und die Verbreitung der erzeugten Inhalte in der Regel einen niedrigen Kostenaufwand bedingen. Da die Fixkosten für die Produktion der Inhalte sowie für die Bereitstellung der Infrastruktur des Medienbetriebs zunächst unabhängig von der Anzahl der Nutzer sind, steigt der wirtschaftliche Ertrag auf Medienmärkten mit der Nutzerzahl stärker als in Industrien, in denen physische Güter produziert werden. Somit bestehen auf Medienmärkten ausgeprägte Größenvorteile, was vornehmlicher Grund für die Konzentration ist.216 Im Zeitungsmarkt wird der Zusammenhang zwischen Größe und Wirtschaftlichkeit 95 eines Unternehmens gemeinhin mit dem Begriff „Auflagen-Anzeigen-Spirale“ gekennzeichnet.217 Zeitungsverlage erwirtschaften in der Regel höhere Beträge durch die Schal-
211 212 213 214
Vgl Hoffmann-Riem 23. Vgl Trafkowski 9; Hoffmann-Riem 23. Hoffmann-Riem 23. BVerfGE 57, 295, 323.
215 216 217
Dazu umfassend Parlasca WuW 1994, 210. Trafkowski 10 f. Spieler 37; Trafkowski 11; Zagouras 133.
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tung von Anzeigen als durch den Absatz der Zeitungen.218 Der Preis, der für das Schalten einer Anzeige verlangt werden kann, hängt mit der Auflagenstärke zusammen. Die Auflagenstärke hängt ihrerseits primär von der Qualität der Inhalte, also der Attraktivität für den Leser, sowie von der Werbung für das Erzeugnis ab. Die Werbung und die Produktion hochwertiger Inhalte sind wiederum mit großen Kosten verbunden. Steigen also Qualität der Inhalte sowie der Werbeaufwand, erhöht sich die Reichweite der Zeitung, was wiederum die Anzeigenpreise in die Höhe treibt und somit die Einnahmen steigert. Die Folge der Größenvorteile in Form der Auflagen-Anzeigen-Spirale sind traditionell hochkonzentrierte Zeitungsmärkte.219 Eine Ausnahme bildet hier der Markt für überregionale Abonnement-Tageszeitungen, auf dem die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Welt, sowie weitere Produkte in einem konstanten Wettbewerb stehen. Der Konzentration auf den Zeitungsmärkten wurde schon 1976 durch die Einführung von § 38 Abs 3 GWB entgegengewirkt.220 Ebenfalls hochkonzentriert sind die deutschen Rundfunkmärkte:221 auf dem Fern96 sehmarkt konkurrieren die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und die beiden multimedialen Konzerne ProSiebenSat.1-Media und die Bertelsmann-AG, zu der die RTL-Sendergruppe gehört. Diese Konzentration erklärt sich teilweise durch die erläuterten ökonomische Gründe, vor allem durch die Größenvorteile: so ist es profitabel, Film- und Serienrechte für eine ganze Senderfamilie zu kaufen und deren Zuschauerpotenzial auf den unterschiedlichen Programmen systematisch auszuschöpfen. Zudem bestehen bessere Möglichkeiten zur zielgerichteten Platzierung von Fernsehwerbung in den einzelnen Programmen, was die Einnahmen erheblich steigert. Der Hörfunkmärkte werden – bis auf wenige Großstädte – von den jeweiligen lokalen Ablegern der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dominiert.222
97
b) Vertikale Konzentration und multimediale Verflechtungen. Zu den beschriebenen horizontalen Konzentrationstendenzen gesellen sich mit Zunahme der multimedialen Vielfalt vertikale bzw medienübergreifende Zusammenschlüsse und Kooperationen.223 Moderne Medienunternehmen zielen darauf ab, ihren content auf möglichst vielen Ebenen, dh auf möglichst vielen Empfangsebenen zu verwerten, also bspw in Fernsehen, in Printmedien und im Internet. Allein schon die Möglichkeit der crossmedialen Werbung ist äußerst attraktiv. Die vertikalen Konzentrationstendenzen werden die Konvergenz der Medien (dazu unten) begünstigt und verstärkt. Die neben der RTL-Gruppe des Bertelsmann-Konzerns 224 größte Privatfernsehgruppe, 98 die deutsche ProSiebenSat.1-Gruppe, die sich bis heute auf Tätigkeiten auf dem Fernsehmarkt beschränkt, war in der Vergangenheit mehrmals das Ziel von Übernahmeabsichten. 2002 wäre es beinahe zur Fusion mit der KirchMedia gekommen, die aber an der Insolvenz der KirchMedia scheiterte. 2005 kündigte der Axel Springer Verlag die Übernahme der ProSiebenSat.1 Gruppe an, die zur Entstehung eines zweiten deutschen multimedialen Konglomerats geführt hätte. Das Vorhaben untersagten jedoch sowohl das Bundeskartellamt, als auch die KEK in jeweils spektakulären Verfahren.225 Eine besondere Konzentrationstendenz zeigt sich auf dem Markt für die Übertragung 99 von Fernsehsignalen über Breitband-Internetverbindungen (IPTV). Der gerade in der Entstehung befindliche neue Markt zeichnet eine Entwicklung vor, die beispielhaft für die
218 219 220 221
Spieler 37. Parlasca WuW 1994, 210. Dazu oben Rn 75. Parlasca WuW 1994, 211.
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222 223 224 225
Parlasca WuW 1994, 211. Spieler 148 ff; vgl Mestmäcker 36. S dazu oben Rn 70. S auch Rn 181 ff.
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internetbasierten Medienangebote der Zukunft stehen dürfte. Während das klassische Fernsehen auf dem Weg von der Produktion der Inhalte bis zur Signalübertragung zum Empfänger mehrere Marktstufen (Produktion der Inhalte, Vermarktung der Rechte, Programmangebot, Signalübertragung, technische Dienstleistungen) durchlief, auf der sich separate Anbieter befanden, zeichnet sich der IPTV-Markt durch eine Konzentration der genannten Funktionen auf einen „Plattformbetreiber“ aus. So bietet bspw die Deutsche Telekom mit „T-Home“ ein Gesamtpaket an, in dem sie lediglich die Lizenzen zur Sendung fremder Programme über ihr DSL-Netz einkauft, auf allen anderen Marktstufen aber selbst tätig wird. Angesichts dieser Funktionskonzentration fordern Medienwächter eine Neuausrichtung der heute auf Rundfunkbetreiber zentrierten Konzentrationskontrolle (§§ 26–34 RStV) hin zu einer „Plattformregulierung“. 3. Bedrohung der klassischen Medienmärkte durch die neuen Medien? Der Untergang des Zeitungsmarktes wird seit langem propagiert, ist aber immer noch 100 nicht eingetreten und für die nahe Zukunft unwahrscheinlich. Die Nachfrage nach Printmedien ist den Möglichkeiten der elektronischen Publikation zum Trotz nach wie vor vorhanden. Nicht nur altmodische Leser wollen zur Morgenlektüre nicht den Computer einschalten. Auch dem Buch droht auf mittlere Sicht nicht die Mottenkiste,226 auch wenn die Firma Google mit ihrem Service Google Books derzeit alte Buchbestände einscannt und elektronisch verfügbar macht. Die Vorteile der elektronischen Publikation zeigen sich allerdings im Bereich der wis- 101 senschaftlichen Veröffentlichungen. So schaffen bspw Datenbanken mit juristischen Fachbeiträgen wie der deutsche Dienst beck-online oder das amerikanische Angebot Westlaw erhebliche Arbeitserleichterungen. Der große Vorteil der Digitalisierung liegt in der Möglichkeit der elektronischen Recherche. So wird der Bereich der wissenschaftlichen Publikationen einer der ersten sein, in dem die traditionellen Printmedien tatsächlich an Bedeutung verlieren. Auch der Fernsehmarkt wird durch neue Formen des Entertainments wie YouTube 102 nicht verschwinden. Er wird vielmehr Gegenstand einer – schon heute erkennbaren – Konvergenzentwicklung werden. 4. Die Konvergenz der Medien und ihre Bedeutung für das Kartellrecht Die elektronischen Medien befinden sich seit Jahren in einem Prozess der Annäherung 103 und des Zusammenwachsens (Konvergenz), der sowohl die technischen Plattformen, wie auch die Endgeräte und die betroffenen Märkte umfasst.227 Ziel der Entwicklung ist dabei keine universelle, neue Medienform, sondern vielmehr eine Kombinierbarkeit und Interaktion der einzelnen Medienformen durch technische Annäherung und Interoperablität.228 Das Zusammenwachsen der technischen Plattformen ist vor allem dem Siegeszug des Internet-Protokolls (IP) zu verdanken: so kann über eine DSL-Leitung heute nicht nur im Internet gesurft, sondern auch telefoniert (Voice over IP) und ferngesehen (IPTV) werden. Beispiel für multimediale Endgeräte sind Handys, mit denen nicht nur telefoniert, sondern auch ferngesehen und im Internet gesurft werden kann. Die techni-
226 227
S nur den Bericht in der FAZ vom 13.10.2007, 15. Kommission, Grünbuch zur Konvergenz, KOM (97) 623, endg; Zagouras 1 ff; s krit
228
zur allgemeinen Diskussion um Medien und Konvergenz Müller MMR 2004, 1, 2. Vgl Zagouras 5.
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sche Konvergenz, also das Zusammenwachsen von Netzen und Endgeräten, zieht eine wirtschaftliche Konvergenz, also das Zusammenwachsen von Märkten, nach sich. Bspw sind die ehemaligen Telefonanbieter heute zumeist gleichzeitig Internet-Service-Provider, und seit Einführung von IPTV auch Fernsehanbieter. Diese tatsächlichen Konvergenzentwicklungen stellen die Medienregulierung vor die 104 Frage einer angemessen Reaktion: muss auf die Konvergenz der Medien die Konvergenz des Medienrechts folgen? Bislang kann von einer Vereinheitlichung des Medienrechts keine Rede sein. Im Gegenteil: Sowohl die Rechtsinstitute, als auch die Aufsichtsstrukturen im Mediensektor sind in Deutschland stark zersplittert.229 Die mediale Massenkommunikation wird durch das Rundfunkrecht geregelt, die damit zusammenhängende Signalübertragung durch das Telekommunikationsrecht; in beiden Sektoren greift subsidiär das allgemeine Kartellrecht ein. In der Grauzone zwischen Individual- und Massenkommunikation befinden sich die sog „Telemedien“, die seit März 2007 vom Telemediengesetz reguliert werden. Über die Einhaltung des Rundfunkstaatsvertrages wachen 15 Landesmedienanstalten, die in Medienfragen untereinander sowie mit der BNetzA und dem BKartA kooperieren müssen. Angesichts dieser unüberschaubaren Struktur der Medienregulierung könnte man ver105 sucht sein, das allgemeine Kartellrecht verstärkt als zentrale Regelungsmaterie in der Medienregulierung zu etablieren und Schritt für Schritt sektorspezifische Regelungsinstrumente abzubauen.230 Dem stehen jedoch verfassungsrechtliche Grenzen entgegen. Zum einen lässt die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eine „Superregulierungsbehörde“ für Rundfunk- und Telekommunikationsfragen derzeit nicht zu, da die Telekommunikationsregulierung dem Bund, die Rundfunkregulierung jedoch den Ländern übertragen ist. Zum anderen obliegt es dem Gesetzgeber, die Vielfalt in den Medien zu gewährleisten und eine übermäßige Konzentration von Meinungsmacht zu verhindern.231 Eine vollständige Ersetzung der medienspezifischen Konzentrationskontrolle dieses Instrumentariums unter Rückgriff auf die ökonomische Konzentrationskontrolle des Kartellrechts ist somit derzeit nicht angezeigt. Die Medienkonvergenz wird sich allerdings in der Abgrenzung der relevanten Medienmärkte niederschlagen und insofern zu neuen Entwicklungen in der medienkartellrechtlichen Praxis führen.
IV. Marktabgrenzung für Medienprodukte und -dienstleistungen 106
Die Marktabgrenzung für Medienprodukte und -dienstleistungen wird, der Rechtspraxis entsprechend, im Folgenden nach dem Bedarfsmarktkonzept vorgenommen. Demnach besteht ein abgrenzbarer Markt für ein Medienprodukt aus sämtlichen Medienprodukten, die vom Nachfrager hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.232 Entsprechendes gilt für medienbezogene Dienstleistungen. Für die Substituierbarkeit eines Produktes aus Nutzersicht kommt es auf die Spezifika desselben an, wobei die Nutzerpräferenzen für ein mediales Produkt maßgeblich durch zwei Eigenschaften bestimmt
229 230
Holznagel NJW 2002, 2351, 2352. Dies ist eine von zwei Handlungsalternativen, welche die Kommission in ihrem Grünbuch zur Konvergenz vorschlägt, KOM (97) 623, 30 ff; dazu Holznagel NJW 2002, 2351, 2353.
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231 232
Vgl BVerfGE 57, 295, 321; BVerfGE 87, 181, 198. S oben Rn 24.
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werden: dem konkreten Inhalt und den technischen Eigenschaften, also der Art des Mediums. Für die Kaufentscheidung steht der Inhalt des jeweiligen Produkts in aller Regel voll- 107 ständig im Vordergrund. Das Medium hat dabei untergeordnete Bedeutung, es erfüllt nur eine Trägerfunktion und ist Mittel zum Zweck.233 Nur in Ausnahmefällen kommt es dem Rezipienten gerade auf die technischen Eigenschaften der einzelnen Trägermedien wie bspw Büchern, Zeitungen, Audio-CDs und DVDs an.234 Somit könnte die Art des Mediums mit ihren spezifischen Eigenschaften – isoliert vom Inhalt – niemals einen eigenen Markt begründen, sondern lediglich einen gemeinsamen Markt ausschließen.235 Eine positive Marktabgrenzung wäre nur unter Berücksichtigung des gewünschten Inhalts möglich. Jedoch würde die Marktabgrenzung allein unter dem Gesichtspunkt der Austauschbarkeit aus Rezipientensicht zu einer Unzahl von sehr kleinen relevanten Märkten führen; eine solche Zersplitterung würde den Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Markteilnehmern nicht hinreichend Rechnung tragen.236 Trotz der Dominanz des Inhalts bei der Nutzerpräferenz werden deshalb gemeinhin Märkte für bestimmte Arten von Medien abgegrenzt. 1. Verlagsprodukte Im Bereich der Fachliteratur hat der Inhalt typischerweise ein solches Gewicht für die 108 Kaufentscheidung, dass es auf die Art des Mediums kaum ankommen wird, während ihr bei Unterhaltungsmedien mitunter eine höhere Bedeutung zukommen kann. So wird es dem recherchierenden Wissenschaftler egal sein, ob er einen Aufsatz in einer Zeitschrift findet oder ihn als elektronisches Dokument im Internet erwirbt.237 a) Bücher. Die für die Nutzerpräferenz maßgebliche Eigenschaft des Buches ist, dass 109 es sich hervorragend als dauerhaftes Speichermedium für Informationen eignet.238 In Abgrenzung zu anderen Druckerzeugnissen wie Zeitungen und Zeitschriften mangelt es Büchern in der Regel an der periodischen Erscheinungsform. Der Inhalt eines Buches ist zumeist umfangreicher, dafür aber weniger aktuell als derjenige periodischer Druckerzeugnisse. In der Regel erhebt der Inhalt eines Buches Anspruch auf thematische Abgeschlossenheit. Auch werden Bücher öfter als periodische Erzeugnisse zur dauerhaften Aufbewahrung von Informationen verwendet; der Preis eines Buches ist regelmäßig höher als der einer Zeitung oder Zeitschrift. Aufgrund der vorgenannten Eigenheiten bilden Bücher gegenüber anderen Arten von Printmedien (Zeitungen und Zeitschriften) einen eigenen Markt.239 Wie unter Rn 113 ff erläutert werden wird, ist auch eine Austauschbarkeit mit elektronischen Publikationen zu verneinen. Innerhalb des Marktes für Bücher wird ein eigener Teilmarkt für Taschenbücher 110 abgegrenzt.240 Taschenbücher zeichnen sich durch ein geringeres Gewicht aus und eignen sich dadurch besser zum häufigen Transport. Sie sind günstiger als Hardcover-Ausgaben, 233 234 235 236
237
Golz 100, 183. Vgl Golz 102 f. Golz 103. Kommission, Fall IV/M.1377, ABl C 122 vom 4.5.1999, 19 – Bertelsmann/Wissenschaftsverlag Springer Tz 10 f; vgl Golz 183 f. Vgl Kommission, Fall IV/M.1377, ABl C 122 vom 4.5.1999, 19 – Bertelsmann/Wissenschaftsverlag Springer Tz 13.
238 239 240
Vgl zum Ganzen Golz 116 ff. Immenga/Mestmäcker/Möschel § 19 GWB Rn 34. KG vom 13.10.1982, WuW/E OLG 2825, 2831 ff – Taschenbücher; BKartA vom 24.11.2003, B6-7/03, 26 – Random House, Heyne ua; vgl Golz 129 ff; s aber krit dazu Müller MMR 2004, 2.
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3. Teil
dafür aber weniger widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse und in der äußeren Erscheinung eher unästhetisch.241
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b) Zeitungen und Zeitschriften. Zeitungen und Zeitschriften bilden gegenüber dem Medium Buch aufgrund der im vorigen Abschnitt dargestellen Eigenheiten eigene ökonomische Märkte. Auf dem Markt für Zeitungen und Zeitschriften ist jeweils zwischen Lesermärkten und Anzeigenmärkten zu unterscheiden.242 Den Zeitungsverlagen als Anbietern stehen auf dem einen Markt also die Leser, auf dem anderen Markt die Mieter von Anzeigenflächen als Nachfrager gegenüber.243 Die Lesermärkte im Bereich von Zeitungen und Zeitschriften differenzieren sich weiter 112 aus, und zwar nach Erscheinungszeit (Tages- und Wochenzeitungen), Verbreitungsgebiet (regional, überregional) und Vertriebsmethode (Abonnement, Straßenverkauf) sowie nach inhaltlichen Kriterien (Fachzeitschrift, Boulevard).244
113
c) Austauschbarkeit von Printmedien mit elektronischen Erzeugnissen? Für sämtliche Druckerzeugnisse (vor allem Bücher, Zeitungen, Zeitschriften) stellt sich die Frage, inwieweit sie aus Nutzersicht mit elektronischen Erzeugnissen substituierbar sind. Dies kann nicht pauschal beurteilt werden, sondern richtet sich nach dem Inhalt des jeweiligen Mediums.245 Wissenschaftliche Literatur wird oftmals durch zusätzliche Informationen auf elektronischen Medien ergänzt. Bspw werden Büchern zur Erlernung von Fremdsprachen häufig Audio-CDs beigelegt; Fachbüchern über die Anwendung von Programmiersprachen enthalten regelmäßig CD-ROMs mit Anwendungsbeispielen. Diese elektronischen Medien stellen aus Nachfragersicht kein Substitut für das gedruckte Hauptwerk da, sondern ergänzen dieses nur.246 Anders sind aber elektronische Produkte zu beurteilen, die wissenschaftliche Texte vollständig abbilden. Im Bereich der Rechtswissenschaft haben elektronische Publikationen erhebliche Bedeutung erlangt. Die Vorteile der elektronischen wissenschaftlichen Presse liegen in der erleichterten 114 Recherchierbarkeit und Archivierbarkeit. Das Auffinden bestimmter Dokumente kann durch die Nutzung elektronischer Suchmasken und Verweisungen (Links) um ein Vielfaches beschleunigt werden. Einem Wissenschaftler kommt es in der Regel nicht darauf an, eine Papierversion eines fachlichen Textes vorliegen zu haben, da er lediglich die enthaltenen Informationen benötigt.247 Ästhetische Gesichtspunkte treten in den Hintergrund. Aufgrund der genannten Vorteile elektronischer wissenschaftlicher Publikationen können diese unter bestimmten Umständen aus Nutzersicht Substitut für die gedruckten Versionen (Bücher, Zeitschriften) desselben Inhalts darstellen, so dass für die beide Produktarten derselbe Markt bestünde.248 Gleichzeitig können die Vorteile der elektronischen Publikationen aber auch dazu führen, dass sich eigene Märkte entwickeln; ein Nutzer würde dann die gedruckte Version einer Publikation aufgrund der fehlenden elektronischen Recherchierbarkeit und Archivierbarkeit nicht mehr als Substitut für die elektronische Version betrachten.249 Im Zusammenhang mit elektronischen Plattformen und Datenbanken sind zwei Märkte 115 zu trennen: erstens dem Markt für die angebotenen Inhalte (hierzu das vorangehend Gesagte) und zweitens dem Markt für die Plattformen oder Datenbanken an sich. Die 241 242 243 244
Vgl BKartA vom 24.11.2003, B6-7/03, 19–26 – Random House, Heyne ua. Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 52. Vgl Golz 133. Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 53.
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245 246 247
248 249
Golz 104. Golz 105. Vgl Kommission, Fall IV/M.1377, ABl C 122 vom 4.5.1999, 19 – Bertelsmann/Wissenschaftsverlag Springer Tz 13. Vgl BGH NJW 1997, 1911, 1913. Golz 113 f.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
Plattformen und Datenbanken als solche bilden aufgrund des Komplettangebots und der Kommunikationsmöglichkeit für den Nachfrager eigene Märkte und sind nicht durch einzelne Quellen wie Zeitschriften oder Fachkongresse substituierbar.250 Bei schöngeistiger Literatur ist die Art des Trägermediums in der Regel von derartiger 116 Bedeutung, dass medienübergreifende Märkte für die gleichen Inhalte ausscheiden.251 Für den durchschnittlichen Konsumenten von Unterhaltungsliteratur ist die elektronische Version eines Buches (zB im PDF-Format) schon aufgrund der Abhängigkeit von entsprechenden Wiedergabesystemen und der resultierenden Einschränkung in der freien Verfügbarkeit des Inhalts ein wesentlicher Nachteil; so kann ein elektronisches Buch schwerlich überall gelesen werden.252 Selbst ein Notebook ist als Wiedergabegerät unhandlicher als ein Buch. Auch Hörbücher können die gedruckte Ausgabe eines schöngeistigen Werkes nicht 117 adäquat ersetzen.253 Neben der räumlichen Bindung der Rezeption des Inhalts an Wiedergabegeräte unterscheidet sich ein Hörbuch vor allem durch den reduzierten Freiraum für Phantasie und Vorstellungskraft vom Buch.254 Darüber hinaus sind Hörbücher in der Regel bei selbem Inhalt deutlich teurer. d) Musikproduktion und -vertrieb. Im Bereich der klassischen Produktion und dem 118 Vertrieb von Musik lassen sich in sachlicher Hinsicht zwei rudimentäre Marktstrukturen unterscheiden: erstens den Bereich der bespielten Tonträger und zweitens das Musikverlagswesen.255 Die EG-Kommission hat sich im Verfahren Sony/BMG 256 in den Jahren 2004 und 2007 ausführlich mit diesen Marktstrukturen befasst. aa) Bespielte Tonträger. Der sachlich relevante Markt im Bereich der bespielten Ton- 119 träger umfasst die Aktivitäten der Musikverlage den Verkauf von Tonträgern, sowie die Untervertragnahme von Künstlern und die Aufzeichnung und Vermarktung.257 Fraglich ist, ob sich eine sachliche Marktabgrenzung nach Musikgenres vornehmen lässt. Die Kommission lässt diese Entscheidung offen, befürwortet aber zumindest eine grobe Unterteilung nach den Musikrichtungen Pop und Klassik.258 Sie zieht darüber hinaus eine sachliche Abgrenzung zwischen internationaler und nationaler Popmusik, sowie zwischen einzelnen Musikrichtungen wie Jazz, Heavy Metal und Techno in Betracht.259 Die Frage des räumlich relevanten Marktes für Herstellung und Vertrieb von physi- 120 schen Tonträgern beantwortet die Kommission nicht endgültig, lässt jedoch eine Präferenz für die Abgrenzung von nationalen Märkten in diesem Bereich erkennen.260 Sie begründet dies mit der überwiegend national ausgerichteten Organisationsstruktur der 250 251 252 253 254 255 256
257
Kommission, Fall IV/M.972, Abl C 360 vom 26.11.1997, 8; vgl Golz 115. Golz 106 f. Golz 109. Golz 107. Golz 106 f. S zum speziellen Markt der Online-Musik unten Rn 261–262. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333; zuvor schon Kommission vom 19.7.2004, COMP/M.3333. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, Rn 13 – Sony/BMG; s schon Kommission vom 27.4.1992, Fall IV/M.202, Rn 9 – EMI/Virgin.
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Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, Rn 13 – Sony/BMG; s schon Kommission vom 27.4.1992, Fall IV/M.202, Rn 9 – EMI/Virgin. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, Rn 13 – Sony/BMG; s schon Kommission vom 21.9.1998, Fall IV/M.1219 – Seagram/Polygram. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, Rn 36 – Sony/BMG; Kommission vom 21.9.1998, Fall IV/M.1219, Rn 15 – Seagram/Polygram.
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Musikkonzerne sowie der nationalen Unterschiede in den Verbrauchervorlieben und im Preisniveau. Die Sprache eines Musiktextes soll nach Ansicht der Kommission aber kein Kriterium für die Einordnung eines Stückes als internationaler oder nationaler Titel sein.261
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bb) Musikverlagswesen. In sachlicher Hinsicht umfasst das Musikverlagswesen den Erwerb von Rechten an musikalischen Werken und ihrer anschließenden Verwertung gegen eine Vergütung, die der Urheber dem Musikverlag in der Regel in Form einer Provision zukommen lässt.262 Der Musikverlag erwirbt in der Regel ein umfassendes Paket an Rechten an einem bestimmten Werk, vor allem die Vervielfältigungs-, Aufführungs-, Sende-, Synchronisations- und Druckrechte. Die Haupttätigkeiten eines Musikverlages sind die Entdeckung von Textern und Komponisten, ihre künstlerische und finanzielle Unterstützung, der rechtliche Schutz der Werke, ihre kommerzielle Nutzung sowie die Verwaltung der Rechte.263 Zur Rechteverwertung überträgt der Musikverlag häufig einzelne Rechte zur Wahrnehmung an Verwertungsgesellschaften. Während die Musikverlage teilweise einen einzigen, großen sachlichen Musikverlags122 markt abgrenzen wollten, will die Kommission tendenziell kleinere Märkte, entsprechend den verschiedenen Verwertungsrechten, unterteilen.264 Als Begründung führt sie an, dass die einzelnen Rechte (Vervielfältigungsrechte, Synchronisationsrechte usw.) verschiedene Kundenbedürfnisse befriedigen und auf der Anbieterseite, also auf der Seite der Musikverlage, unterschiedliche wirtschaftliche Bedeutungen haben und jeweils andere Verwertungssysteme erfordern.265 Bei der räumlichen Marktabgrenzung im Musikverlagswesen will die Kommission 123 zwischen einzelnen Verwertungsrechten differenzieren. Die Mehrzahl der Verwertungsrechte würde national von Verwertungsgesellschaften verwaltet und die Nutzungsgebühren seien national festgelegt. Beim mechanischen Vervielfältigungsrecht seien allerdings Anzeichen für transnationale Märkte zu erkennen, da für diese Form der Verwertung länderübergreifende Vereinbarungen zwischen den Verwertungsgesellschaften bestünden.266 2. Verbreitungsdienstleistungen
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a) Telekommunikation. Wie oben bereits erläutert wurde, ist die Telekommunikationsregulierung im wesentlichen Teilen ein sektorspezifisches Kartellrecht, das vor allem den Missbrauch von Marktmacht beschränken will. Das TKG enthält dabei keine eigenständigen Kriterien zur Bestimmung der Begriffe „Markt“ oder „Marktmacht“, sondern lehnt sich vollständig an die Begrifflichkeiten des allgemeinen Kartellrechts an.267 Somit setzt auch die telekommunikationsrechtliche Regulierung (in Deutschland nach dem TKG) – als ersten Schritt – eine Marktabgrenzung voraus. Für die Abgrenzung von Tele-
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264
Kommission vom 21.9.1998, Fall IV/M.1219, Rn 14 – Seagram/Polygram. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 40 – Sony/BMG. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 40 – Sony/BMG; Kommission vom 21.9.1998, Fall IV/M.1219, Rn 16 – Seagram/Polygram. Kommission vom 19.7.2004, COMP/
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M.3333, Rn 41 f – Sony/BMG; Kommission vom 21.9.1998, Fall IV/M.1219, Rn 17 – Seagram/Polygram. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 42 – Sony/BMG. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 45 – Sony/BMG. Wissmann/Schütze Kap 2 Rn 25; BeckTKGKomm/Schuster § 2 TKG Rn 49.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
kommunikationsmärkten die oben dargelegten Grundsätze der Marktabgrenzung, insbesondere das Bedarfsmarktkonzept zur Bestimmung sachlicher Angebotsmärkte.268 Der Marktabgrenzung nachgelagert ist die Identifizierung und Aussonderung jener 125 Märkte, die für die schärfere, sektorspezifische Telekommunikationsregulierung in Frage kommen (Marktdefinition, § 10 TKG).269 Zur telekommunikationsrechtlichen Marktdefinition werden aus den abgrenzbaren Märkte diejenigen Märkte ausgesondert, die durch „Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken“ (§ 10 Abs 2 S 1 TKG). Die Marktdefinition wird von der BNetzA vorgenommen, die sich gem § 10 Abs 2 S 3 TKG allerdings weitgehend an der Empfehlung der Kommission 270 orientieren muss.271 Die Kommission hat insgesamt 18 Märkte 272 benannt, die für eine sektorspezifische Regulierung in Betracht kommen. Bis auf den Markt für AuslandsRoaming in Mobilfunknetzen hat die BNetzA für jeden Markt das Definitions- und Analyseverfahren durchgeführt.273 Sieben dieser Märkte sind Endkundenmärkte (zB die Märkte für den Zugang zum öffentlichen Telefonnetz für Privatkunden und andere Kunden), elf sind Vorleistungsmärkte (zB der Markt für Breitbandzugang für Großkunden). In einem dritten Schritt überprüft die BNetzA schließlich, welche von den Märkten, 126 die aufgrund ihrer Mängel für eine sektorspezifische Regulierung prinzipiell in Betracht kommen, tatsächlich regulierungsbedürftig sind (Marktanalyse, § 11 TKG). Tatsächlich regulierungsbedürftig sind solche Märkte, auf denen kein wirksamer Wettbewerb besteht; dies wiederum ist der Fall, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf diesem Markt über beträchtliche Marktmacht verfügen (§ 11 TKG). Die Feststellung von beträchtlicher Marktmacht ist nicht sektorspezifisch geregelt, sondern richtet sich nach dem allgemeinen Kartellrecht, also nach § 19 Abs 2, 3 GWB.274 b) Rundfunk. Die Abgrenzung ökonomischer Rundfunkmärkte erfolgt nach den all- 127 gemeinen kartellrechtlichen Kriterien; spezielle Vorschriften oder Verfahren zur Marktabgrenzung wie im Telekommunikationsbereich bestehen für den Rundfunkbereich nicht. Bei den Fernsehmärkten sind zunächst die Märkte aus Sicht des Rezipienten (Zu- 128 schauermärkte) und die Werbemärkte zu unterscheiden.275 Auf der Seite der Zuschauermärkte lässt sich ein Markt für Pay-TV abgrenzen, auf dem der wirtschaftliche Aus-
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BeckTKG-Komm/Pape Vor § 9 TKG Rn 21 ff; zur Anwendung des allg Kartellrechts und eventuellen Besonderheiten ausführl Topel ZWeR 2006, 39 ff; teilweise abweichend zu Breitbandkabelmärkten Schultze-Petzold WuW 2001, 134 ff. BeckTKG-Komm/Pape Vor § 9 TKG Rn 18; Topel ZWeR 2006, 29 ff; Klotz MMR 2003, 495, 496 f; Klotz ZWeR 2003, 283, 294 f; zum mehrstufigen Verfahren der Marktregulierung auch Hoeren/Sieber/Neumann/ Moritz Teil 4 Rn 32 ff. Kommission, Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte nach Art 15 Abs 1 der Richtlinie 2002/21/EG, ABl EG 2003 Nr L 114, 45 ff.
271 272 273
274
275
Topel ZWeR 2006, 30; Holznagel/Hombergs MMR 2006, 286. Eine Übersicht über diese Märkte in: BeckTKG-Komm/Schütz § 10 TKG Rn 23 ff. Eine Übersicht über alle offiziellen Dokumente (inkl Downloadlinks) des Marktregulierungsverfahrens geben Neumann/Koch auf www.tkrecht.de unter dem Punkt „Marktregulierung“. Dazu ausführl BeckTKG-Komm/Pape Vor § 9 TKG Rn 70–115; Klotz MMR 2003, 495, 497; Klotz ZWeR 2003, 283, 292 f; zu Besonderheiten in der Anwendung der allg Grundsätze ausführl Topel ZWeR 2006, 44 ff. Trafkowski 32.
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tausch aufgrund der Kostenpflichtigkeit direkt zwischen den Rezipienten und dem PayTV-Anbieter stattfindet.276 Umstritten ist, ob neben dem Zuschauermarkt für Pay-TV außerdem ein Markt für Free-TV existiert. Der überwiegende Teil des Schrifttums 277 sowie die Praxis 278 gehen in Übereinstimmung mit einem Gutachten der Monopolkommission von 1984/85 279 davon aus, dass ein Zuschauermarkt für Free-TV im Sinne des GWB nicht existiere, da es beim Free-TV gerade am konstitutiven Merkmal des Marktes, nämlich am Leistungsaustausch, zwischen Free-TV-Anbieter und Rezipient fehle. Nach einer im Vordringen befindlichen Gegenauffassung ist die Anerkennung von Zuschauermärkten im Free-TV erforderlich, um solche Wettbewerbshandlungen der Free-TV-Anbieter zu erfassen, die sich nicht auf den Werbemarkt auswirken.280 In der Tat ist schwer einzusehen, warum den Free-TVKanälen, nach denen offensichtlich eine Nachfrage besteht, die Qualität eines Wirtschaftsgutes abgesprochen werden sollte, nur weil die Finanzierung der Programme über den Umweg von Gebühren und Werbeinnahmen erfolgt.281 Auch das BKartA spricht in seinen neueren Entscheidungen von einem Nebeneinander von Pay-TV-Markt und FreeTV-Markt,282 allerdings für Free-TV im Hinblick auf Austauschverhältnisse zur Werbewirtschaft. Die Kommission hat die Frage im Verfahren Endemol Entertainment 283 angerissen, letztlich aber offen gelassen. Demgegenüber besteht ein einheitlicher Fernsehwerbemarkt, der die Bereitstellung von Werbezeiten seitens aller Veranstalter von Fernsehprogrammen umfasst.284 Anbieter auf diesem Markt sind Free-TV Anbieter und Pay-TV Anbieter, sofern sie Werbezeit bereitstellen. In räumlicher Hinsicht ist aufgrund der Verbreitungstechnik und der Sprache der Programme in der Regel von nationalen Werbe- wie Zuschauermärkten auszugehen, sofern nicht regionale Aspekte im Vordergrund stehen (wie zB bei Lokalsendern). Aufgrund neuer Übertragungstechnologien wie IPTV erscheinen zunehmend auch grenzüberschreitende Fernsehmärkte realistisch. Besonders englischsprachige Programme wie MTV werden, auch in konventioneller Übertragung, zunehmend als Ersatz für nationale Programme akzeptiert.285 Für die Hörfunkmärkte gelten die Überlegungen zur sachlichen Marktabgrenzung von Fernsehmärkten analog, so dass auch hier zu überlegen ist, ob Zuschauermärkte für kostenfreie Hörfunkprogramme überhaupt abgegrenzt werden können.286 Bei der räumlichen Marktabgrenzung fällt die überwiegend regional geprägte Hörfunkpolitik der
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BKartA, Beschluss vom 28.12.2004 – B7-150/04 – SES/DPC Rn 159; BKartA, Beschluss vom 1.10.1998 – B6-72/98 – Premiere. Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 88; Parlasca WuW 1994, 214; Frey ZUM 1998, 985, 987 f; weitere Nachweise bei Trafkowski 33. ZB BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 13 – RTL/ntv. Monopolkommission, VI. Hauptgutachten 1984/85 Rn 584. Trafkowski 34; Schmidt ZUM 1997, 472 ff; Engel 34; Monopolkommission, XIII. Hauptgutachten 1998/99 Rn 611; Bundes-
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ministerium für Wirtschaft, Offene Medienordnung, Dokumentation Nr 473 Rn 49. Trafkowski 34. BKartA, Beschluss vom 28.12.2004 – B7-150/04 – SES/DPC Rn 159 f. Kommission, Entscheidung vom 20.9.1995, ABl EG 1996 Nr L 134, 32, 37 ff, WUW/E EV 2371 – Endemol Entertainment. BKartA, Beschluss vom 28.12.2004 – B7-150/04 – SES/DPC Rn 159 f; Trafkowski 37. Beispiele für international erfolgreiche Programme sind MTV, CNN oder BBC. Trafkowski 39.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
Bundesländer ins Gewicht, so dass nur in Ausnahmefällen von bundesweiten Hörfunkmärkten auszugehen ist.287
V. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen 1. Europäisches Recht Im Gemeinschaftsrecht bestehen für die kartellrechtliche Beurteilung von wettbe- 133 werbsbeschränkenden Vereinbarungen im Mediensektor keine Sonderregeln. Vielmehr ist für alle wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ausschließlich die Vorschrift des Art 81 EG maßgeblich.288 Relevant sind darüber hinaus verschiedene Gruppenfreistellungsverordnungen. Gegenstand dieses Abschnitts ist die Fragestellung, wann wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen auf den klassischen Medienmärkten unter Art 81 EG fallen.289 a) Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Immaterialgüterrechte. Wettbe- 134 werbsbeschränkungen, die sich aus der vertraglichen Verwertung und der Ausübung von Ausschließlichkeitsrechten des geistigen Eigentums oder von sonst geschützten Kenntnissen (Know-how) durch Lizenzverträge, Schutzrechtsübertragungen oder Abgrenzungsvereinbarungen ergeben, spielen in der Praxis auf den Medienmärkten eine große Rolle. Damit stellt sich zunächst die Frage, inwieweit das Spannungsverhältnis zwischen nationalen Ausschließlichkeitsrechten des geistigen Eigentums und dem auf Wettbewerbsfreiheit ausgerichteten Kartellrecht zu behandeln ist.290 Der EuGH hat bereits früh klargestellt, dass für Schutzrechte keine Ausnahme von den Wettbewerbsrechten gilt.291 Dabei ist der spezifische Bestand des betreffenden Immaterialgüterrechts geschützt. Jedoch kann die Ausübung der Schutzrechte unter Art 81 EG fallen.292 Der EuGH hat hierzu eine Grundformel aufgestellt, nach der die Schutzrechtsverwertung immer dann unzulässig ist, wenn sie den Gegenstand, das Mittel oder die Folge einer Kartellabsprache darstellt.293 aa) Lizenzverträge. Als Lizenzverträge werden – für den deutschen Rechtskreis durch- 135 aus sprachlich bedenklich – Verträge bezeichnet, durch die der Inhaber eines Schutzrechts einem anderen die Ausübung an sich dem Rechtsinhaber aufgrund des Schutzrechts vorbehaltener Tätigkeiten gestattet.294 Erfasst werden von dieser Definition 287 288 289
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Bundesweit sendet bspw der Deutschlandfunk. Vgl dazu oben Rn 27 ff; zur Problematik des Roaming Teil 5 Kap 2 Rn 124. Eine Einordnung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen in der Internetökonomie folgt unten Rn 263–265. Vgl dazu oben Rn 3–5. EuGH, Slg 1966, 322 – Grundig/Consten; EuGH, Slg 1966, 458. EuGH, Slg 1981, 191 – Dansk Supermarked/Imerco; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II, § 1 GWB Rn 204; Schröter/Jakob/Mederer/Sucker/ Guttuso/Gaster Art 81 EG Rn 10 ff; krit Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Axster/ Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 171.
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Vgl zu dieser Formel aus EuGH Slg 1971, 69 Rn 9 – Sirena/Novimpex; EuGH Slg 1971, 487 – Deutsche Grammophon/Metro-SBGroßmärkte; EuGH Slg 1976, 811 Rn 24 – EMI Records/CBS-Schallplatten; EuGH Slg 1976, 1039 Rn 6 – Terrapin/Terranova; EuGH Slg 1982, 2015 Rn 28 – Nungesser/ Kommission; s auch Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 167; Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, IV. Abschnitt Rn 10. Emmerich § 6 Rn 97; mwN Kreutzmann 39 ff.
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folglich insbesondere Verträge über die Einräumung von Nutzungsrechten an Markenrechten, Patentrechten oder Urheberrechten. Dabei beschränkt die einfache Lizenzerteilung den Wettbewerb nicht.295 Anders ver136 hält es sich jedoch, wenn der Inhaber eines Schutzrechts die Lizenzierung zur Absicherung seiner Marktposition einsetzt, indem er die Erteilung einer Lizenz von der Übernahme wettbewerbsbeschränkender Verpflichtungen durch den Lizenznehmer abhängig macht (zB Preisbindungen, Export- und Reimportverbote, Bezugs- und Vertriebsbindungen, Rückgewähr- und Nichtangriffsklauseln). Dies kann zu Lizenzvertragssystemen führen, welche hohe Marktzutrittsschranken für Neueinsteiger mit sich bringen.296 Andererseits können Lizenzverträge als wettbewerblich positiv einzustufen sein, da sie dem Lizenznehmer überhaupt erst die Möglichkeit eröffnen, auf einem ansonsten nicht erreichbaren Gebiet tätig zu werden.297 Werden Lizenzen an mehrere Unternehmen erteilt, hat die Lizenzvergabe gerade die Entstehung von Wettbewerb zur Folge, wovon letztendlich der einzelne Verbraucher profitieren kann.298 Aus den soeben umrissenen, unterschiedlichen wettbewerblichen Auswirkungen von 137 Lizenzverträgen ergibt sich mithin, dass Lizenzverträge durchaus Wettbewerbsbeschränkungen iSv Art 81 EG Abs 1 hervorrufen können. Allerdings haben Kommission und EuGH schon frühzeitig unter Anwendung der „Nebenabreden-Doktrin“ 299 eine Reihe von Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von Unternehmen durch Lizenzverträge vom Tatbestand des Art 81 Abs 1 EG ausgenommen. Selbst die Gewährung einer ausschließlichen Lizenz kann gerechtfertigt sein, wenn anderenfalls der Wettbewerb auf nachgelagerten, neuen Märkten im Keim erstickt würde. Genauso können besondere Marktbedingungen zu dem Ergebnis führen, dass die Ausschließlichkeit der Lizenzerteilung nicht geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen.300 Deshalb ist der Erwerb durch Unternehmen zulässig, die in dem betreffenden Markt bislang nicht vertreten waren und sich durch den Erwerb auf dem Markt etablieren wollen.301 Des Weiteren sind Gruppen- und Einzelfreistellungen nach Art 81 Abs 3 EG möglich.302 Für Lizenzverträge spielt in diesem Rahmen die VO (EG) Nr 772/2004 (sog 138 TT-GVO) 303 eine große Rolle. In den Anwendungsbereich der Verordnung fallen sog Technologietransfer-Vereinbarungen. Damit betrifft die Verordnung Vereinbarungen über Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Softwarelizenzen oder Know-How (vgl Art 1 Abs 1 lit b, h, i TT-GVO). Vereinbarungen über Markenrechte und urheberrechtlich geschützte Werke sind damit grds nicht erfasst. Allerdings werden Lizenzen über urheberrechtlich geschützte Software durch die TT-GVO reguliert. Den Leitlinien der Kommission zufolge gilt die TT-GVO darüber hinaus für Urheberrechte und Markenrechte, soweit diese Rechte mit der Nutzung der lizenzierten Technologie unmittelbar verbunden sind und nicht den Hauptgegenstand der Vereinbarung dar-
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Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 181. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 181; Emmerich § 6 Rn 3, 4. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Einf VO 772/2004 Rn 1. Hieber 2002, 19. Vgl Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Amato/Gonzalez/Diaz Bd I, Art 81 Abs 1 Rn 140 ff.
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EuGH, Slg 1982, 3381 – Coditel/Ciné-Vog Films (Coditel II); s auch Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 183; mwN Heinemann 398 ff. Trafkowski 132. S auch Roth/Ackermann in Frankfurter Kommentar, Bd II, Art 81 Abs 1 EG Rn 220. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 184.
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
stellen.304 Zugleich betrachtet die Kommission die Vergabe von Lizenzen für die Vervielfältigung und Verbreitung eines geschützten Werks, dh die Herstellung von Kopien für den Weiterverkauf, als eine der Lizenzierung von Technologie ähnliche Form der Lizenzvergabe. Damit wendet die Kommission generell die in der TT-GVO aufgestellten Grundsätze an, wenn sie solche Lizenzvereinbarungen auf der Grundlage von Art 81 EG prüft.305 Ausgenommen werden indes ausdrücklich Lizenzen von Wiedergaberechten, da sich hierbei ganz spezielle Fragen stellen.306 Technologietransfer-Vereinbarungen werden gem Art 2 TT-GVO von dem Verbot des 139 Art 81 Abs 1 EG generell freigestellt, soweit die Ausnahmen in Art 3–5 TT-GVO nicht einschlägig sind. Die neue TT-GVO wählt dabei einen wirtschaftlich orientierten Ansatz, bei der die Bedingungen des jeweiligen Marktes besondere Beachtung finden.307 Demzufolge macht Art 3 TT-GVO die Freistellung von den Marktanteilen der Vertragsparteien abhängig. Art 4 TT-GVO enthält die sog Kernbeschränkungen, von denen wiederum Ausnahmen gemacht werden. Dabei wird differenziert, ob sich es sich bei den Vertragsparteien um konkurriende Unternehmen (Abs 1) handelt oder nicht (Abs 2). Erlaubt sind insbesondere Preisempfehlungen und Höchstpreisvereinbarungen (Art 4 Abs 2 lit. a) TT-GVO). Auch Mindestlizenzgebühren und Stücklizenzen sind unbedenklich.308 Gem Art 4 Abs 2 lit b) vi) TT-GVO darf der Lizenznehmer ferner auf die Großhandelsfunktion beschränkt werden. Überdies ist nach Art 4 Abs 2 lit c) TT-GVO der Aufbau eines selektiven Vertriebssystems möglich. Nicht durch die TT-GVO freigestellte Vereinbarungen können allenfalls durch Einzelfreistellung nach Art 81 Abs 3 EG vom Kartellverbot ausgenommen werden. Hierbei berücksichtigt die Kommission wiederum die Leitlinien über die Anwendung des Art 81 EG auf Technologietransfer-Vereinbarungen heran. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass Kernbeschränkungen des Art 4 TT-GVO auf die Weise noch freigestellt werden.309 Der Entscheidungspraxis von Kommission und EuGH nach sind insbesondere ge- 140 bietsmäßige Beschränkungen für den Vertrieb von körperlichen Werkexemplaren unvereinbar mit Art 81 EG, sobald die Ware einmal mit Zustimmung des Rechteinhabers in den Verkehr gebracht worden ist (Erschöpfung).310 Eine Freistellung kommt allerdings in Betracht, wenn die gebietsmäßige Beschränkung der Einführung eines neuen Produktes oder der Erschließung eines neuen Marktes dient.311 Seit Einführung der TT-GVO ist zudem die Privilegierung aus Art 4 Abs 2 lit b) ii) TT-GVO zu beachten, wonach der passive Verkauf in andere Exklusivgebiete für zwei Jahre untersagt werden darf. Für die unkörperliche Verwertung urheberrechtlich geschützter Sendeinhalte ist anerkannt, 304
305
306
307
Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art 81 EG-Vertrag auf TechnologietransferVereinbarungen, Abl EG 2004 C 101, 2 ff Rn 50. Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art 81 EG-Vertrag auf TechnologietransferVereinbarungen, Abl EG 2004 C 101, 2 ff Rn 51; krit dazu Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II, § 1 Rn 216. Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art 81 EG-Vertrag auf TechnologietransferVereinbarungen, Abl EG 2004 C 101, 2 ff Rn 52. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 184.
308
309 310
311
Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art 81 EG-Vertrag auf TechnologietransferVereinbarungen, Abl EG 2004 C 101, 2 ff Rn 79 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 185. EuGH, Slg 1971, 487, 500 – Deutsche Grammophon/Metro; EuGH, Slg 1982, 329, 346 – Polydor/Harleking; EuGH, Slg 1989, 79, 96 – EMI/Patricia; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II, § 1 Rn 219. Kommission, ABl EG 1978 70/69 – Campari.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
dass der Rechteinhaber das Gebiet für die Nutzung – auch innerhalb der EU – aufteilen kann.312 Urheberrechte dürfen auschließlich vergeben werden.313 Kartellrechtliche Verstöße 141 können jedoch begründet werden, wenn Vorführungsrechte für eine unangemessen lange Zeit vergeben werden. Maßgeblich sind dabei die Konkurrenzsituation zu anderen Medien, die Amortatisationszeit für notwendige Verwerterinvestitionen und die Finanzierungsbedingungen.314 Eine übermäßige Vertragsdauer nahm die Kommission in Vereinbarungen über Exklusivrechte zur Ausstrahlung von amerikanischen Filmen und Serien an, die sich auf eine Zeit von 15 Jahren erstreckte.315 Die negativen Auswirkungen konnten indes durch die Verpflichtung der Lizenznehmerin, anderen Unternehmen Unterlizenzen einzuräumen, abgeschwächt werden. Zugleich profitierte der deutsche Fernsehmarkt durch das größere Filmangebot und die einzelnen Verbraucher wegen der sinkenden Preise. Folgerichtig gewährte die Kommission eine Freistellung nach Art 81 Abs 3 EG.316 Wenn aus der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens eine Beschränkung des 142 Wettbewerbs um internationale Senderechte resultiert, kann eine solche Gründung gegen Art 81 EG verstoßen.317 Zudem kann die Koordinierung beim Erwerb und bei der Nutzung von Fernsehrechten im Rahmen eines Zusammenschlusses von mehreren Rundfunkanstalten unter Art 81 EG fallen.318 Eine Einzelfreistellung gem Art 81 Abs 3 EG ist allerdings denkbar, soweit Nichtmitgliedern unter bestimmten Konditionen Zugang zu den Übertragungsrechten gewährt wird.319 Kartellrechtlich bedenklich ist überdies die Vergabe von Senderechten für eine sehr große Anzahl von Sportereignissen.320 Ebenso rückte die zentrale Vermarktung von Senderechten durch Sportverbände in das Blickfeld der Kommission. Eine Freistellung derartiger Modelle kommt allerdings in Betracht, wenn durch die Zentralvermarktung die finanzielle Grundlage vieler Vereine für die Beteiligung am Wettbewerb erst geschaffen werden kann.321
143
bb) Schutzrechtsübertragungen. Obgleich Schutzrechtsübertragungen im Regelfall keinen wettbewerblichen Bedenken ausgesetzt sind, schließt die mit dem Eigentumsrecht verbundene Übertragungsbefugnis eine kartellrechtliche Unzulässigkeit nicht aus.322 Schutzrechtsübertragungen fallen unter Art 81 Abs 1 EG, soweit sich in Bezug auf Zweck oder Wirkung der Schutzrechtsübertragung wettbewerbliche Bedenken ergeben. Insofern gilt die zu Art 81 Abs 1 EG entwickelte Grundformel 323, dass Art 81 Abs 1 EG immer dann betroffen ist, wenn Schutzübertragungen Gegenstand, Mittel oder Folge einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache sind.324 312
313
314
315 316
EuGH, Slg 1980, 881 – Coditel I; EuGH Slg 1982, 3381 – Coditel II; Kommission, ABl EG 1989 L 284/36; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II, § 1 Rn 216. EuGH, Slg 1988, 2605, 2630 – Warner Bros./Christiansen; zur Vergabe von Ausschließlichkeitsrechten vgl bereits oben Rn 6 ff. EuGH, Slg 1980, 881 – Coditel I; EuGH Slg 1982, 3381 – Coditel II; Kommission, ABl EG 1989 L 284/36; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Nordemann Bd II, § 1 Rn 216; Keller 203; Trafkowski 133. Kommission, ABl EG 1989 L 284/36. Vgl dazu Keller 203; Trafkowski 132.
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317 318 319 320 321 322
323 324
Kommission, Abl EG 1991 L 63/43 – Screecsport/EBU-Mitglieder. Kommisson, Abl EG 1993 L 179/23 ff; EuG, EuZW 1999, 660 ff. Kommission, IP/00/472 vom 12.5.2000 – EBU. Trafkowski 133. Vgl iE unten Rn 149 ff. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 176; Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, 4. Aufl 2007, IV. Abschnitt Rn 27. S oben Rn 26. EuGH Slg 1994 I 2789 Rn 59 – IHT Internationale Heiztechnik/Ideal Standard; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Axster/
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Kartellrecht für die klassischen Medien
Schutzrechtsübertragungen können wettbewerbsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein, 144 soweit im Rahmen von Kooperationen zwischen Unternehmen oder bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen erfolgen.325 Weitere Beispiele sind Wettbewerbsverbote und Rückübertragungspflichten.326 Hierbei gilt wiederum, dass allein die wettbewerblichen Wirkungen der betreffenden Bestimmungen maßgeblich sind. Damit ist unbeachtlich, ob eine Vereinbarung als Schutzrechtsübertragung bezeichnet wird.327 Sofern das Risiko der Verwertung beim Veräußerer verbleibt, ist die Kommission allerdings der Auffassung, dass Schutzrechtsübertragungen von Patenten, Know-how sowie diesen gleichgestellte Schutzrechten wie Lizenzvereinbarungen zu behandeln sind, die der Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung (TT-GVO) unterfallen.328 cc) Abgrenzungsvereinbarungen. Abgrenzungsvereinbarungen sind im Sinne des Ge- 145 richtshofs nur zulässig, wenn sie allein zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Schutzrechtsinhabern dienen,329 das heißt, wenn zwei Schutzrechtsinhaber Vereinbarungen über die beiderseitige Nutzung der Schutzrechte treffen, um zB Verwechslungen auszuschließen.330 Das Gericht verfolgt die Ansicht, dass die Begrenzung des Benutzungsumfangs durch die Vereinbarung nur den geringsten Eingriff in die ansonsten bestehende Befugnis der Schutzrechte darstellen darf.331 Es muss daher im konkreten Einzelfall entschieden werden, was zur Konfliktbewältigung absolut notwendig ist. Über dieses Maß hinaus dürfen keine Beschränkungen festgelegt werden. Weiterhin unzulässig sind Bestimmungen, die den gegenseitigen Nichtangriff der Schutzrechte beinhalten, es sei denn, sie sind zeitlich begrenzt und auf das konkret zur Debatte stehende Schutzgut bezogen.332 Wird eine Konfliktlage hingegen zB durch ein rechtskräftiges Urteil aufgehoben, werden die Schutzrechtsbeschränkungen zu wettbewerbsbeschränkenden Abreden iSv Art 81 Abs 1 EG.333 b) Weitere Anwendungsfälle. Ob Art 81 Abs 3 EG einschlägig ist, ist insbesondere bei 146 der Beurteilung von Kooperationen zur Entwicklung von digitalen Plattformen fraglich. Derartige Kooperationen sind zumeist aus finanziellen Gründen unentbehrlich. Eine zu strenge Kartellkontrolle würde demnach die technische Entwicklung neuer Multimediadienste abschneiden. Andererseits ist eine frühzeitige Marktabschottung zu vermeiden.334 Dementsprechend hat die Kommission wettbewerbsbeschränkende Klauseln des französischen Pay-TV-Unternehmens TPS und des britischen Unternehmens Open nur für eine bestimmte Dauer freigestellt.335
325
326 327 328
Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 178; Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, 4. Aufl 2007, IV. Abschnitt Rn 27; s auch EuGH, Slg 1966, 321 – Consten/ Grundig. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 177; Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, IV. Abschnitt Rn 27. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 180. Immenga/Mestmäcker/Ullrich EG Teil 2, GRUR 1217 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 179.
329 330
331 332 333 334 335
EuGH Slg 1985, 383, 385 – BAT. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 173; Immenga/Mestmäcker/Fuchs EG Teil 1, III. Abschnitt Rn 77. EuGH Slg 1985, 383, 385 – BAT. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 175. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Axster/Schütze Bd I, Anh 3 Art 81 Rn 175. Vgl Trafkowski 127. Vgl Trafkowski 128 f.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
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3. Teil
Im Rahmen des Art 81 Abs 3 EG seien zudem, so deutete die Kommission in ihrer Entscheidung zur European Broadcasting Union (EBU) an, pluralismussichernde Maßnahmen im Bereich des Rundfunks möglicherweise freistellungsfähig.336 Dieser Ansicht hat indes das EuG eine Absage erteilt mit der Begründung, die Kommission habe sich nicht hinreichend auf konkrete wirtschaftliche Daten verlassen.337 Der Erwägung des EuG liegt zugrunde, dass nichtwirtschaftliche Gesichtspunkte im EG-Vertrag nur berücksichtigt werden, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist.338 2. Deutsches Recht
148
Abgesehen von einem Ausnahmebereich 339 bietet das deutsche Recht wie das Europäische Recht für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen auf den klassischen Medienmärkten keine speziellen Vorschriften an. Somit sind die allgemeinen Vorschriften der §§ 1 ff GWB anzuwenden, welche den Regelungen in Art 81 EG weitestgehend entsprechen.340 Eine Entscheidungspraxis hat sich vor allem auf den Fernseh- und Hörfunkmärkten herausgebildet.341 So untersagte das BKartA im Jahre 1985 einen Vertrag, in dem der Deutsche Sportbund ARD und ZDF das Recht zur ausschließlichen Verwertung zahlreicher Sportveranstaltungen einräumte (sog Globalvertrag). Die entsprechende Vereinbarung hätte nach Ansicht des BKartA eine unbillige Beschränkung des Marktzutritts für andere Fernsehanbieter zufolge gehabt.342 Mittlerweile haben sich jedoch die Marktverhältnisse dahingehend gewandelt haben, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der privaten Fernsehanbieter als mindestens ebenbürtig einzustufen ist. Dementsprechend sah das Bundeskartellamt bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens von ARD und ZDF zur Bündelung der eigenen Nachfrage bei der Vergabe von Sportrechten von einem Eingreifen ab.343 Als Anwendungsfall kommen weiterhin Koordinierungen zwischen einzelnen Anbieter in Betracht. Im Hinblick auf die Gewährleistung der Grundversorgung wird jedoch bei Programmabstimmungen zwischen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten das Kartellverbot durch Art 5 Abs 1 S 2 GG überlagert und ist daher nicht einschlägig.344 Anders zu beurteilen sind aber möglicherweise Fälle, in denen private Anbieter nicht nur ihre Programme, sondern auch ihre Vermarktung und die technische Organisation abstimmen.345 3. Insbesondere: Übertragungsrechte (Champions League, Bundesliga)
149
Hochklassige Sportveranstaltungen sind für private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender sowie für Pay-TV-Anbieter wirtschaftlich unverzichtbar. Dementsprechend bedeutsam sind die Verwertungsrechte346 an diesen Sportveranstaltungen, mit denen sich bereits die Kommission bzgl der kartellrechtlichen Fragestellungen befasst hat. Kartellrechtliche Probleme ergeben sich insbesondere bei zentralen Vermarktungsmodellen, die Rechte verschiedener Veranstaltungen für einen längeren Zeitraum zu einer exklusiven Verwertung bündeln.347 336 337 338 339 340 341 342
Kommission vom 25.5.1998 – ABl 1993, Nr L 179, 23 ff – EBU Rn 5, 72. EuG EuZW 1996, 660, 668 Rn 120. Frey ZUM 1999, 528, 531; Trafkowski 126. S dazu oben Rn 77. Vgl dazu oben Rn 38. Trafkowski 68. Bestätigt durch BGH NJW 1990, 2815 ff.
1150
343 344 345 346
347
BKartA, Tätigkeitsbericht, 1995/96, 153. Wallenberg WuW 1991, 963, 966. Trafkowski 70. Zum Inhalt der Verwertungsrechte bei Sportveranstaltungen s Hellmann/Bruder EuZW 2006, 359. Hellmann/Bruder EuZW 2006, 360.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
Im Jahr 2003 hat die Kommission im Fall „UEFA Champions League“ 348 erstmals 150 ein zentrales Vermarktungsmodell durch förmliche Freistellung gem Art 81 Abs 3 EG vom Kartellverbot ausgenommen und in den Jahren 2005 und 2006 die zentrale Vermarktung der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der FA Premier League (FAPL) für die deutsche Bundesliga349 und die englische Premier League 350 gebilligt, indem sie ihre Verpflichtungszusagen für rechtsverbindlich erklärt hat.351 Fraglich ist, wie der relevante Markt für Sportveranstaltungen abzugrenzen ist. Die 151 Kommission ist der Auffassung, dass aufgrund des unterschiedlichen Interesses für verschiedene Sportarten, insbesondere durch das besondere Interesse an regelmäßig stattfindenden Fußballwettbewerben (Champions League, Bundesliga) der Markt für Sportübertragungsrechte in weitere Produktmärkte aufzuteilen ist.352 Unstreitig ist der Veranstalter Inhaber der Rechte, wobei der Veranstalter derjenige ist, der die wesentlichen wirtschaftlichen Leistungen und die Vermarktung der Übertragungsrechte erbringt.353 Zu beachten ist aber, dass der Verband durch umfangreiche organisatorische Leistungen überhaupt erst den Wettbewerb ermöglicht und den Marktwert mitbestimmt, so dass der Verband als (Mit-) Eigentümer zu betrachten ist.354 Aus der Miteigentümerschaft ergibt sich wiederum die Frage, ob die Vermarktung überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann, weil Absprachen zwischen dem Veranstalter und dem Verband in ihrer Eigenschaft als Miteigentümer rechtlich erforderlich sind.355 Die Kommission erkennt die Miteigentümerstellung an, sieht aber die Wettbewerbsverletzung darin, dass es den Vereinen bei einer zentralen Vermarktung durch den Verband nicht möglich ist, durch eigene Verhandlungen mit Medienunternehmen oder Sportrechteagenturen eigene Preisentscheidungen treffen zu können.356 Die Kommission hält die zentralen Vermarktungsmodelle unter bestimmten Voraus- 152 setzungen für freistellungsfähig gem Art 81 Abs 3 EG, wodurch ein angemessener Ausgleich zwischen Vor- und Nachteilen für den Verbraucher geschaffen werden soll.357 Die zentrale Vermarktung sei zur gerechten Verteilung der Einnahmen unerlässlich, weil durch sie vielen Vereinen erst die finanzielle Grundlage zur Beteiligung im Wettbewerb gegeben wird und somit der Wettbewerb selbst eigentlich erst aufgrund der zentralen Vermarktung entstehen kann.358 In jedem Fall müssen bestimmte Einschränkungen, wie die Begrenzung des Umfangs der Rechtevergabe und der Vertragslaufzeiten (maximal 3 Jahre), Nutzung sämtlicher Rechte und Berücksichtigung aller Rechteinhaber, Durch-
348
349
350 351
Kommission vom 23.7.2003, Sache COMP/C.2-37.398, ABl EG 2003 Nr L 291/25 – UEFA; anders noch BKartA WuW/E BKartA 2682 ff und 2696 ff (Fußball-Fernsehübertragungsrecht I und II); BGH, WuW 1998, 163 ff (Europapokalheimspiele); zust Trafkowski 70 ff. Kommission vom 19.1.2005, Sache DG COMP/C-2/37.214 – Gemeinsame Vermarktung der Medienrechte an der deutschen Bundesliga, abrufbar unter ec.europa.eu/ comm/competition/antitrust/cases/ decisions/37214/de.pdf. Kommission vom 22.3.2006, Sache COMP/38.173 – FA Premier League. Hellmann/Bruder EuZW 2006, 359 f.
352
353 354
355 356
357
358
Kommission vom 23.7.2003, Sache COMP/C.2-37.398, ABl EG 2003 Nr L 291/25. BGHZ 137, 297 – Europapokal-Entscheidung. Kommission vom 23.7.2003, Sache COMP/C.2-37.398, ABl EG 2003 Nr L 291/25 – UEFA. Hellmann/Bruder EuZW 2006, 361. Entscheidungen der Kommission vom 23.7.2003 – UEFA, 19.1.2005 – Bundesliga, 22.3.2006 – FA Premier League. Kommission vom 23.7.2003, Sache COMP/C.2-37.398, ABl EG 2003 Nr L 291/25 – UEFA. Hellmann/Bruder EuZW 2006, 362.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
führung eines fairen Vergabeverfahrens, Bündelung verschiedener Einzelpakete, sowie maximale Nutzung der Rechte an den neuen Medien, bestehen.359
VI. Fusionskontrolle 153
Auch für den Bereich der Medien stellen die §§ 35 ff GWB das primäre wettbewerbsrechtliche Instrumentarium zur Kontrolle externen wirtschaftlichen Wachstums dar. Spezielle Regelungen bestehen für die Presse (Pressezusammenschlusskontrolle gem § 38 Abs 3 Var 1 GWB) und für den Rundfunk (Rundfunkfusionskontrolle gem § 38 Abs 3 Var 2 GWB). Ferner existieren sektorspezifische Modifikationen im Bereich des Telekommunikationsrechts. Diese drei besonderen Instrumentarien betreffen ebenso wie die §§ 35 ff GWB die Kontrolle von ökonomischen Machtakkumulationen durch Fusionen, also externen Machtzuwachs.360 Im Gegensatz hierzu dienen die §§ 25 ff RStV (medienspezifische Konzentrationskontrolle) der Verhinderung der Bildung von vorherrschender Meinungsmacht.361 Sie ermöglichen – neben der Fusionskontrolle – die Beschränkung internen Wachstums, können also auch außerhalb von Fusionstatbeständen eingreifen. 1. Nebeneinander kartellrechtlicher und medienspezifischer Konzentrationskontrolle
154
Während das GWB durch die Vorschriften zur Fusionskontrolle in §§ 35 ff die Akkumulation wirtschaftlicher Macht verhindern will, soll die medienspezifische Fusionskontrolle in §§ 25 ff RStV der Sicherung der Meinungsvielfalt als Ausprägung der grundrechtlich gewährleisteten Informations- und Meinungsfreiheit (Art 5 GG) dienen.362 Die konzentrationsrechtlichen Regelungen des GWB und des RStV stehen in keinem Spezialitätsverhältnis, sondern sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Schutzzwecke parallel nebeneinander anwendbar.363 Auf denselben Fusionssachverhalt angewendet, führen beide Instrumentarien häufig zum selben Ergebnis (Untersagung oder Erlaubnis), da wirtschaftliche Macht im Mediensektor zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung genutzt werden kann. Im Detail bestehen dennoch einige Differenzen. Vor allem begrenzt die Medienkon155 trolle nach dem RStV auch internes Wachstum der privaten Fernsehanbieter, indem der Zuschaueranteil für den Einzelveranstalter grds auf 30 % begrenzt wird.364 Ferner ist für die kartellrechtliche Verhinderung des Missbrauchs von Marktmacht gem Art 82 EG und §§ 19–21 GWB eine kartellrechtliche Marktabgrenzung notwendig. Die Regeln zur Verhinderung der Konzentration von Meinungsmacht in §§ 25–34 RStV beziehen sich hingegen nicht auf Marktmacht, sondern auf Meinungsmacht. Eine Abgrenzung von „Meinungsmärkten“ ist im Rahmen dieser Beurteilung nicht erforderlich; vielmehr wird nach dem sog Zuschaueranteilsmodell eine vorherrschende Meinungsmacht vermutet, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Jahresdurchschnitt einen Zuschaueranteil von 30 % erreichen (§ 26 Abs 2 S 1 RStV). Jedoch macht sich auch die rundfunkspezifische Konzentrationskontrolle den kartellrechtlichen Marktbegriff zu eigen, indem gem § 26 Abs 2 S 2 RStV auch für solche Fälle eine vorherrschende Mei-
359
360 361
Entscheidungen der Kommission vom 23.7.2003 (UEFA) und von 22.3.2006 (FA Premier League). Zagouras 96. S zur Unterscheidung von ökonomischer
1152
362 363 364
Marktmacht und publizistischer Meinungsmacht oben Rn 86 ff. Bunte 342; Buchholz ZUM 1998, 108, 110. Zagouras 284. Bunte 343.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
nungsmacht vermutet wird, in denen ein Unternehmen zwar lediglich einen Zuschaueranteil von 25 % erreicht, aber gleichzeitig „auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss dem einem Unternehmen mit einem Zuschaueranteil von 30 von Hundert im Fernsehen entspricht.“ Die Begrifflichkeiten „Markt“ und „marktbeherrschende Stellung“ gem § 26 Abs 2 S 2 RStV bestimmten sich nach den Kriterien des allgemeinen Kartellrechts, also des § 19 Abs 2, 3 GWB.365 Als medienrelevante Märkte sollen nach der Gesetzesbegründung zu § 26 Abs 2 RStV vor allem die Märkte für Werbung, Hörfunk, Presse, Rechte und Produktion berücksichtigt werden.366 Allerdings sind die medialen Verbindungen zwischen den verschiedenen Medienträgern bisher unklar, so dass die Berücksichtigung „medienrelevanter verwandter Märkte“ in der Praxis nur zu zufälligen Ergebnissen führen kann (Bsp Springer/ProSiebenSat.1). In der Anwendung gestaltet sich das Nebeneinander von Rundfunk- und Kartellrecht 156 problematisch, was sich vor allem bei Fusionsvorhaben im Medienbereich offenbart. Das System krankt an der Vielzahl der beteiligten Entscheidungsträger 367, sowie an der Unbestimmtheit der Eingreifkriterien beider Regulierungsinstrumente. Während für die kartellrechtliche Kontrolle das BKartA zuständig ist, beurteilt auf rundfunkrechtlicher Seite zunächst die KEK (§ 35 Abs 2 Nr 1 RStV) die Medienfusionen (§ 36 Abs 1 RStV), wonach sie aber von der Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (§ 35 Abs 2 Nr 2 RStV) mit Drei-Viertel-Mehrheit überstimmt werden kann (§ 37 Abs 2 und 3 RStV). Beispielhaft für die Inkonsistenz des Verfahrens steht der Streit um die gescheiterte 157 Übernahme der ProSiebenSat1-Gruppe durch den Springer-Verlag in 2005/2006. Die KEK, die für die Anwendung der rundfunkspezifischen Konzentrationskontrolle in §§ 25–23 RStV zuständig ist, entschied zwar im Einklang mit dem BKartA 368 negativ über den geplanten Zusammenschluss;369 sie verwendete für ihre Entscheidung jedoch eine äußerst umstrittene Auslegung der Eingreifkriterien in § 26 Abs 2 RStV.370 Während die KEK die Untergrenze von § 25 % Marktanteil auf dem Fernsehmarkt aus § 26 Abs 2 S RStV als reine Vermutungsregel auslegt, an die sie im Zweifel nicht gebunden ist,371 betrachtet die KDLM die 25 %-Schwelle als Untergrenze, die für eine Untersagung zwingend überschritten sein muss.372
365 366 367 368 369 370
371
Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht/ Trute § 26 RStV Rn 47. Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht/ Trute § 26 RStV Rn 49. Müller MMR 2006, 125. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202 – Fa-103/05 – Springer/ProSiebenSat1. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5 – Springer/ProSiebenSat1. Zur Auslegung von § 26 Abs 2 RStV ausführl Holznagel/Krone MMR 2005, 666 und Bornemann MMR 2006, 275; sowie schon Hain MMR 2000, 537. Grundlegend KEK 026 – Premiere, 20 ff; vgl daran anknüpfend nur KEK 007/029 –
372
ProSieben Media AG, 25; KEK 040 – RTL Television GmbH, 30 f; KEK 003/036 – DSF DeutschesSportFernsehen GmbH, 14; KEK 038 N24 Gesellschaft für Nachrichten und Zeitgeschehen mbH iGr, 7; KEK 045 – Unitel Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft mbH & Co, 6; KEK 055 – VOX Film- und Fernseh-GmbH & Co KG, 12; sämtliche Entscheidungen abrufbar unter: www.kek-online.de. KDLM, B vom 7.11.1998, ZUM 1998, 1054, 1056 ff; gleicher Ansicht: Hepach ZUM 2003, 112, 115 f; Clausen-Muradian 164; Prinz/Paschke/Plog 103 f; Paetow/Mestmäcker 88 f.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
2. Grundzüge der kartellrechtlichen Konzentrationskontrolle im Medienbereich
158
a) Europarechtliche Vorgaben. Wirtschaftliche Tätigkeiten auf Rundfunkmärkten unterliegen den Wettbewerbsvorschriften des EGV (Art 81, 82, 86). Der europäische Gesetzgeber hat für den Rundfunksektor insofern keine Bereichsausnahme geschaffen.373 Im Verhältnis zur deutschen Fusionskontrolle ist die europäische Fusionskontrolle vorrangig, sobald die Umsatzschwellen aus Art 1 Abs 2 und 3 FKVO überschritten sind, der Zusammenschluss also gemeinschaftsweite Bedeutung hat (Art 21 Abs 3 S 1 FKVO). Die Vorrangigkeit der europäischen Fusionskontrolle nach Art 21 Abs 3 S 1 FKVO 159 eröffnet die Frage, ob die medienspezifische Konzentrationskontrolle nach §§ 25–34 RStV auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung angewendet werden dürfte. Eine Antwort hierauf liefert Art 21 Abs 4 S 1 FKVO, wonach die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als derjenigen treffen dürfen, welche in der FKVO berücksichtigt werden. Art 21 Abs 4 S 2 FKVO nennt als Beispiel für ein solches berechtigtes Interesse die Meinungsvielfalt als Beispiel. Ebendiese wird durch die Konzentrationskontrolle aus §§ 25–34 RStV geschützt.374 Folglich sind die §§ 24–35 RStV auch auf Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung anzuwenden.
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b) Medienkonzentrationskontrolle nach dem GWB. Wie bereits dargestellt, schließt die medienspezifische Konzentrationskontrolle der §§ 25 ff RStV eine Anwendung der GWB-Fusionskontrolle auf Zusammenschlüsse im Mediensektor nicht aus.375 Die allgemeinen Fusionsvorschriften des GWB werden jedoch durch zwei Sonderregeln für den Medienbereich modifiziert: § 35 Abs 2 S 2 und § 38 Abs 3 GWB. 3. Praxis der Fusionskontrolle im Medienbereich
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a) Beispiel Bücher: RandomHouse/Heyne. Im Jahre 2003 kündigte die zur Bertelsmann AG gehörende Verlagsgruppe Random House an, die Kontrolle über die Verlagsgruppe Ullstein Heyne List übernehmen zu wollen. Sowohl zur Verlagsgruppe Random House, als auch zur Verlagsgruppe Ullstein Heyne List gehörten zahlreiche Buchverlage mit hohen Marktanteilen auf den deutschen Büchermärkten. Im Rahmen der Marktabgrenzung identifizierte das BKartA einen eigenen Markt 162 für Taschenbücher, der von den Märkten für Hardcover- und Paperbackausgaben abzugrenzen sei.376 Aufgrund der verschiedenartigen Ausstattung (weicher, flexibler Kartoneinband), der besonderen Erscheinungsweise (idR in Reihen), der besonderen Verwertungskette (idR als Zweitausgabe 18–24 Monate nach Erstveröffentlichung) und des Preisunterschiedes stellten Taschenbücher einen eigenen Markt dar.377 Auf diesem Markt drohte die Bertelsmann AG als Muttergesellschaft der Random 163 House durch Übernahme der Ullstein Heyne List einen Marktanteil von fast 40 % zu erlangen, sowie Strategiemöglichkeiten, um den Marktvorsprung weiter auszubauen.378 Folgerichtig beantwortete das BKartA die Anmeldung des Fusionsvorhabens nach vorläufiger Beurteilung mit einer Ablehnung.379 Daraufhin reduzierte Random House sein 373 374 375 376
Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 75 ff. Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken Vor § 35 GWB Rn 81. Vgl oben Rn 85. BKartA vom 24.11.2003, B6-7/03, 26 – Random House, Heyne ua.
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377 378 379
BKartA vom 24.11.2003, B6-7/03, 19–26 – Random House, Heyne ua. Pressemeldung des BKartA vom 22.5.2003. Pressemeldung des BKartA vom 22.5.2003.
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
Übernahmevorhaben auf den Erwerb der Wilhelm Heyne Verlag GmbH, einen Buchverlag aus dem ursprünglichen Übernahmeziel, der Ullstein Heyne List.380 Dieses Vorhaben führte nach Berechnung des BKartA lediglich zu einem Marktanteil auf dem relevanten Markt für deutschsprachige Taschenbücher der allgemeinen Informations- und Unterhaltungsliteratur von unter 30 %.381 Damit war die Schwelle von einem Drittel Marktanteil, bei der gem § 19 Abs 3 S 1 GWB eine marktbeherrschende Stellung vermutet wird, unterschritten. Der Zusammenschluss von Random House und Wilhelm Heyne wurde genehmigt. b) Beispiel Presse: Holtzbrinck/Tagesspiegel. Die Holtzbrinck KG, ein in Stuttgart ansässiges Verlagshaus (ua Tagesspiegel), meldete im Oktober 2003 den Erwerb der Kontrolle über die Berliner Verlag KG, Berlin (ua Berliner Zeitung, Berliner Kurier) an. Dieses Vorhaben stieß beim BKartA aufgrund der möglichen Vormachtstellung auf dem Berliner Zeitungsmarkt auf Bedenken. Den relevanten Markt für das Zusammenschlussvorhaben bildete nach Ansicht des Kartellamts der Berliner Lesermarkt für Abonnement-Tageszeitungen mit lokaler und regionaler Berichterstattung.382 Diese Art von Publikationen sei von den überregionalen Tageszeitungen und den Straßenverkaufszeitungen (Boulevardzeitungen) abzugrenzen, da sie das spezifische Bedürfnis des im Verbreitungsgebiet wohnenden Lesers nach lokalen und regionalen Informationen befriedigten.383 Auf diesem Markt hätte die Holtzbrinck KG, die nach der Übernahme den Tagesspiegel und die Berliner Zeitung kontrollieren würde, einen alleinigen Marktanteil von über einem Drittel erreicht. Somit war der Vermutung aus § 19 Abs 3 S 1 GWB nach eine marktbeherrschende Stellung begründet. c) Beispiele Fernsehen. aa) Liberty Media/Deutsche Telekom. Im September 2001 meldete das amerikanische Medien- und Kommunikationsunternehmen Liberty Media beim BKartA seine Absicht an, im Zuge eines Unternehmenserwerbs die Kontrolle über die bis dahin von der Deutschen Telekom AG (DTAG) kontrollierten deutschen TVKabelnetze zu erwerben.384 Das BKartA untersagte im Februar 2002 die Übernahme, da es auf mehreren mit der Verbreitung von Kabelfernsehen zusammenhängenden Märkten eine marktbeherrschende Stellung von Liberty Media befürchtete.385 Liberty Media hätte nach der Übernahme ca 60 % aller Breitbandkabelkunden in Deutschland versorgt.386 Zu diesem Zweck gründeten die Parteien eine neue Holdinggesellschaft (VIOLA Kabelgesellschaft HoldCo, im Folgenden: HoldCo), in der die von Liberty zu erwerbenden Vermögenswerte von der Telekom eingebracht werden sollten.387 Liberty Media sollte 95 % der Anteile der HoldCo, sowie eine Option auf weitere 5 % erwerben. Von dem Vorhaben der Liberty Media betroffen waren die folgenden drei Märkte: der Markt für die Belieferung von Endkunden mit Rundfunksignalen (Endkundenmarkt), der Markt für die Einspeisung von Signalen in Breitbandkabelnetze (Einspeise-
380 381
382 383
Pressemeldung des BKartA vom 25.11.2003. BKartA vom 24.11.2003, B6-7/03, 41 – Random House, Heyne ua; Pressemeldung des BKartA vom 25.11.2003. BKartA vom 2.2.2004, B6-22121-U-120/03, 22 – Holtzbrinck/Berliner Verlag ua. BKartA vom 2.2.2004, B6-22121-U-120/03, 22 – Holtzbrinck/Berliner Verlag ua; so auch schon BGH WuW/E 1854, 1857 – Zeitungsmarkt München und BGH WuW/E
384 385 386 387
2425, 2428 – Niederrheinische Anzeigenblätter. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 4 ff – Liberty ua. Pressemeldung des BKartA vom 31.1.2002. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 41 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 7 ff – Liberty ua.
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3. Teil
markt), sowie der Markt für die Belieferung von Netzbetreibern der Netzebene 4 des Breitbandkabelnetzes mit Signalen (Signallieferungsmarkt).388 Auf dem Endkundenmarkt für die Belieferung mit Rundfunksignalen treten die Kabelnetzbetreiber als Anbieter und die Endkunden als Nachfrager auf. Gegenstand der Lieferbeziehungen ist das Zur-Verfügung-Stellen eines Kabelanschlusses sowie die Belieferung mit Hörfunk- und Fernsehsignalen.389 Wichtig ist die vom BKartA vorgenommene räumliche Marktabgrenzung, nach der für jedes Kabelnetz ein gesonderter räumlicher Markt besteht, da die an das jeweilige Netz angeschlossenen Haushalte nicht zu einem räumlich anders angesiedelten Netzbetreiber wechseln könnten.390 Nach dieser Abgrenzung ergeben sich regionale Teilmärkte für Kabelnetze, auf denen jeweils die einzelnen Netzbetreiber in aller Regel marktbeherrschend sind.391 Folglich hätte die Übernahme der sechs regionalen Kabelnetzbetreiber der DTAG, die jeweils für sich marktbeherrschend sind, durch die Liberty Media, die bereits Kontrolle über andere Teilnetze besaß und damit selbst regional marktbeherrschend war, zu einer weiteren Schwächung des Wettbewerbs und der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung geführt.392 Der Einspeisemarkt ist derjenige Markt, auf dem Anbieter von Inhalten von den Kabelnetzbetreibern die Einspeisung ihrer Inhalte in die Kabelnetze nachfragen.393 Auch diese Märkte sind nach Ansicht des BKartA regional begrenzt, so dass auch für diese Märkte regionale (Quasi-)Monopole der einzelnen Kabelnetzbetreiber bestehen.394 Folgerichtig hätte der ins Auge gefasste Zusammenschluss auch auf diesen Märkten zu einer Verstärkung der Marktbeherrschung geführt.395 Der Signallieferungsmarkt, der ebenfalls regional abzugrenzen ist, hat die Überleitung von Signalen aus dem Breitbandkabelnetz (Ebene 3) in das weiter verzweigte Zuführungsnetz (Ebene 4) zum Inhalt.396 Auch auf diesen regionalen Teilmärkten verfügten die jeweiligen Kabelnetzbetreiber über marktbeherrschende Stellungen, die durch den Zusammenschluss verstärkt worden wären.397 Aufgrund der vorhergesehenen negativen Entwicklung auf den drei betroffenen Märkten untersagte das BKartA die Übernahme der Kabelgesellschaften durch Liberty Media. Letztere drang mit ihrer Argumentation, die durch den Zusammenschluss zu erwartenden Verbesserungen auf dem Markt für Sprachtelefonie würden die Wettbewerbsnachteile ausgleichen (sog Abwägungsklausel, § 36 Abs 1, 2 Halbs GWB), nicht durch.398 bb) RTL/ntv. Ende 2005 kündigte der Sender RTL Television, eine Tochter der RTL Group, an, ihre Anteile an dem Nachrichtensender ntv von knapp unter 50 % auf 100 % zu erhöhen. Das Vorhaben fiel in die Zuständigkeitsbereiche sowohl des BKartA, 388 389 390 391 392
393
BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 13 f – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 14 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 19 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 20 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 28 – Liberty ua; Pressemeldung des BKartA vom 31.1.2002. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 37 – Liberty ua.
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BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 38 f – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 39 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 41 – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 41 f – Liberty ua. BKartA vom 22.2.2002, B7-168/01, 43 ff – Liberty ua; Pressemeldung des BKartA v 31.1.2002 und vom 26.2.2002.
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
welches die Risiken für den ökonomischen Wettbewerb überprüfte, als auch der KEK, welche die negativen Auswirkungen auf die Meinungsvielfalt zu ergründen hatte. Beide Stellen genehmigten den Zusammenschluss.399 Der für die kartellrechtliche Beurteilung relevante Markt war der Markt für Fernsehwerbung, also der Markt, auf dem Veranstalter werbefinanzierter Free-TV-Programme und – soweit sie Werbezeiten anbieten – PayTV-Sender Werbezeiten anbieten.400 Einen Fernsehzuschauermarkt im FreeTV erkannte das Bundeskartellamt, in Einklang mit weiten Teilen der Literatur,401 nicht an. Räumlich unterteilte das BKartA den Fernsehwerbemarkt in einen bundesweiten Werbemarkt, in den sämtliche bundesweit empfangbare Fernsehsender einzubeziehen sind, und regionale Werbemärkte.402 Auf dem nationalen Fernsehmarkt bestand nach Ansicht des BKartA – schon vor dem Zusammenschluss – eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung der Sendergruppen RTL Group und ProSiebenSat1-Media gem § 19 Abs 2 S 2 GWB.403 Voraussetzung für eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung ist, dass zwischen den fraglichen Unternehmen kein wesentlicher Wettbewerb besteht. Dieses Kriterium erachtete das BKartA im Falle der Unternehmen RTL Group und ProSiebenSat1-Media als erfüllt. Die beiden Unternehmensgruppen, deren Marktanteile seit Jahren konstant bei jeweils etwa 40 % lag,404 seien auf unterschiedliche Arten auf dem Werbemarkt verflechtet. Unter anderem hielten beide Sendergruppen Anteile an mehreren gemeinsamen Unternehmen.405 Das Duopol sei ferner keinem Außenwettbewerb ausgesetzt; als nächstfolgender Wettbewerber auf dem Werbemarkt hielt RTL II (wobei der Sender ebenfalls teilweise zur RTL-Gruppe gehört) einen Marktanteil von 5 %.406 Dennoch erlaubte das BKartA die Übernahme. Es stützte sich dabei auf die Begründung, dass ntv ohne den Zusammenschluss nicht existenzfähig sei und betonte damit die Sanierungsfunktion der Übernahme, die ausnahmsweise einen an sich wettbewerbskritischen Zusammenschluss erlaube.407 Die Marktanteile wären im Falle des Einstellens des Sendebetriebs von ntv ohnehin den beiden Sendergruppen zugefallen.408 Die Genehmigung des Zusammenschlusses auch durch die KEK 409 verwundert nicht weiter, da die Zuschaueranteile von ntv aufgrund der 50 %igen Beteiligung gem § 28 Abs 1 S 2 RStV ohnehin schon RTL zugerechnet wurden und der Zusammenschluss insofern keine Veränderung der Meinungsmacht bewirkte.
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d) Beispiel Musikproduktion: Sony/BMG. Anfang 2004 meldeten die Bertelsmann 177 AG und der Medienkonzern Sony ein Zusammenschlussvorhaben bei der EG-Kommission an, bei dem das weltweite Tonträgergeschäft beider Parteien in mindestens drei neue Unternehmen eingebracht werden sollte, die als Joint-Venture-Unternehmen unter dem Namen Sony BMG betrieben werden sollten.410 Der weltweite Gesamtumsatz der beiden 399
400 401 402 403 404
BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05 – RTL/ntv; KEK vom 8.5.2006, Az KEK 309 – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 13 – RTL/ntv. S oben Rn 128–129. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 14 – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 17 f – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 17 f, 20 – RTL/ntv.
405 406 407 408 409 410
BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 27 – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 29 – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 39 ff – RTL/ntv. BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 41 – RTL/ntv. KEK vom 8.5.2006, Az KEK 309 – RTL/ntv. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, 2 Rn 1 – Sony/BMG.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
Unternehmen lag zum Zeitpunkt des Vorhabens bei über € 80 Mrd 411, so dass der Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle gem Art 1 FKVO eröffnet war. Vom Zusammenschluss betroffenen waren folgende Märkte: 178 – der Markt für bespielte Tonträger – der Markt für Online-Musik – der Markt für Musikverlagswesen.412 Laut der Prognose der Kommission bedrohte der geplante Zusammenschluss von 179 Sony BGM den Wettbewerb auf keinem der drei betroffenen Märkte.413 Die Märkte für bespielte Tonträger, die national abzugrenzen seien,414 würden durch die Fusion nicht negativ beeinträchtigt, was hauptsächlich der Tatsache geschuldet ist, dass neben den Konzernen Sony und BMG noch jeweils drei große Konkurrenten (Universal, EMI und Warner) tätig sind.415 Eine mögliche Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für Online-Lizenzen für Musik sei schon deshalb nicht prognostizierbar, weil der Online-Musikmarkt sich noch in einem sehr frühen Stadium befinde und tragfähige Vorhersagen über die Wettbewerbsentwicklung daher nicht möglich seien.416 Der Wettbewerb auf den Musikverlagsmärkten sei nicht gefährdet, da eine Koordination der Verlagstätigkeit zwischen den beiden Mutterunternehmen schon deshalb unwahrscheinlich sei, weil die Verwaltung der Verwertungsrechte in erster Linie von den Verwertungsgesellschaften vorgenommen wird und den Konzernen nur ein geringer Koordinationsspielraum zustehe.417 Im Ergebnis stellte die Kommission mit Beschluss vom 19.7.2004 die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Gemeinsamen Markt gem Art 8 Abs 2 FKVO fest. Die Genehmigung des Zusammenschlusses durch die Kommission wurde im Jahre 180 2006 vom EuG überprüft und für nichtig erklärt.418 Die Kommission habe nicht hinreichend dargelegt, warum keine Verschlechterung der Wettbewerbssituation auf den betroffenen Märkten zu erwarten sei. Die Kommissionsentscheidung sei unzureichend begründet und mit einem offenkundigen Beurteilungsfehler behaftet.419 Daraufhin oblag es der Kommission, den Zusammenschluss erneut zu prüfen.420 Am 3.10.2007 hat sie, unter Berücksichtigung der Kritik des EuG, die Fusion zum zweiten Mal genehmigt.421 411 412 413 414 415 416 417 418 419 420 421
Sony: € 62,519 Mrd, Bertelsmann: € 18,312 Mrd im Jahr 2003. Zur Abgrenzung dieser Märkte s oben Rn 118 ff. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, 1554–1559 – Sony/BMG. S oben Rn 120. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, 82 – Sony/BMG. Kommission vom 3.10.2007, COMP/ M.3333, 56–58 – Sony/BMG. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, 54 – Sony/BMG. EuG vom 13.7.2006, Rs T-464/04, ABl C-224, 39 – Sony/BMG. EuG vom 13.7.2006, Rs T-464/04, ABl C-224, 39 Rn 542 – Sony/BMG. Pressemeldung der Kommission vom 1.3.2007, IP/07/272. Kommission vom 3.10.2007, COMP/
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M.3333. Pressemeldung der Kommission vom 3.10.2007, IP/07/1437: Nach eigenen Angaben „führte die Kommission eine der umfassendsten und komplexesten ökonometrischen Untersuchungen durch, die je im Rahmen eines Fusionskontrollverfahrens stattfand. Sie analysierte sämtliche Nettopreise, Preisnachlässe und Großhandelspreise für alle CD-Alben in den Charts, die von allen großen Tonträgergesellschaften zwischen 2002 und 2006 an Kunden im EWR verkauft wurden (also Millionen von Daten), um ein etwaiges abgestimmtes Verhalten der Tonträgergesellschaften nachzuweisen. Außerdem wurden auch die Entwicklungen seit 2004 auf dem Lizenzmarkt für digitale Musik, der bei der ersten Kommissionsuntersuchung noch in seinen Anfängen steckte, vollständig untersucht.“
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§3
Kartellrecht für die klassischen Medien
e) Beispiel Zusammenführung von Medien: Springer/ProSiebenSat.1. Die für 2006 181 geplante Übernahme der Sendergruppe ProSiebenSat.1 Media AG durch die Axel Springer AG wurde zum umstrittensten medienkartellrechtlichen Fall der letzten Jahre. Unter großen Bedenken der Fachliteratur 422 untersagten im Januar 2006 das BKartA 423 und die KEK 424 den Zusammenschluss. aa) Beurteilung durch das BKartA. ProSiebenSat.1 hatte zum Entscheidungszeitpunkt 182 einen Anteil auf dem Fernsehwerbemarkt von etwa 40 % und bildete nach Einschätzung des BKartA mit der gleichstarken RTL-Gruppe (RTL, ntv, Vox ua) ein sog wettbewerbsloses Duopol.425 Das BKartA fürchtete, dass es durch den Zusammenschluss von Springer und ProSiebenSat.1 zu einer Angleichung und Verflechtung der Konglomerate (Bertelsmann und Springer) und einer weiteren Absicherung des Duopols kommen würde.426 Ferner prognostizierte das BKartA dass der Springer-Verlag seine beherrschenden Stellungen auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen 427 (80 % Marktanteil durch BILD) und dem Anzeigenmarkt für Zeitungen 428 (40 % durch BILD und Welt) durch die Fusion verstärken würde, indem er die medialen Möglichkeiten der ProSiebenSat.1 Gruppe zur Vermarktung („crossmediale Promotion“) einsetzen 429 würde. Springer hatte mehrere Lizenzauflagen angeboten, um die Bedenken des BKartA zu 183 zerstreuen. Unter anderem wollte Springer sich verpflichten, keine Programminhalte unter der Marke BILD zu gestalten, die Werbezeit der Senderfamilie getrennt vom Anzeigenangebot zu vermarkten sowie diverse Beteiligungen an Unternehmen zu veräußern, an denen gleichzeitig Bertelsmann beteiligt ist. Diese Maßnahmen wies das BKartA aber mit der Begründung zurück, dass eine Verstärkung des Duopols von Bertelsmann und Springer dadurch nicht verhindert würde. Gegen das Verbot des Zusammenschlusses legte Springer Beschwerde beim OLG Düs- 184 seldorf ein, die nach Urteil des BGH zu entscheiden ist.430 bb) Beurteilung durch die KEK. Die KEK, die den Sachverhalt unter dem Gesichts- 185 punkt der Meinungsmacht zu beurteilen hatte 431 und deren Entscheidung einen Tag später als die des BKartA erging, erteilte der Übernahme der ProSiebenSat.1-Gruppe durch Springer keine Freigabe.432 Diese Entscheidung ist in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben.433 422
423 424 425
426 426 428 429
Holznagel/Krone MMR 2005, 666; Müller MMR 2006, 125; Bornemann MMR 2006, 275. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202 – Fa–103/05 – Springer/ProSiebenSat1. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5 – Springer/ProSiebenSat1. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202, 29 f – Springer/ProSiebenSat1; s dazu Besprechung der Übernahme von ntv durch RTL unter Rn 172 ff. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202, 40 – Springer/ProSiebenSat1. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202, 41 – Springer/ProSiebenSat1. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202, 58 – Springer/ProSiebenSat1. BKartA vom 19.1.2006, B6-92202, 46 – Springer/ProSiebenSat1.
430
431 432 433
Das OLG Düsseldorf hatte die von Springer gegen die Kartellamtsentscheidung erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 29.9.2006 (VI-3 Kart 7/06) mit dem Argument abgewiesen, die Rechtssache habe sich durch endgültige Aufgabe des Fusionsvorhabens durch den Springer-Verlag erledigt. Daraufhin erhob Springer vor dem BGH Rechtsbeschwerde mit dem Antrag, dass von dem OLG Düsseldorf die Beurteilung des Kartellamts doch noch überprüft werde. Diesem Antrag gab der BGH am 25.9.2007 (KVR 30/06) statt. Das OLG Düsseldorf hat nunmehr zu entscheiden. Zum Unterschied von Markt- und Meinungsmacht s Rn 86. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5 – Springer/ProSiebenSat1. Holznagel/Krone MMR 2005, 666; Hain
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3. Teil
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Zur Bestimmung des Begriffes der vorherrschenden Meinungsmacht enthält § 26 Abs 2 RStV Vermutungsregeln.434 Ab einem TV-Zuschaueranteil von 30 % ist von einer vorherrschenden Meinungsmacht auszugehen (§ 26 Abs 2 S 1 RStV), sowie ab einem Zuschaueranteil von § 25 % bei Vorliegen bestimmter zusätzlicher Voraussetzungen (§ 26 Abs 2 S 1 RStV). Das Problem im Falle der Übernahme lag darin, dass die der ProSiebenSat.1 Media AG und der Springer AG zurechenbaren Programme zusammen nur einen Zuschaueranteil von 22,06 % erreicht hätten und beide Vermutungsgrenzen aus § 26 Abs 2 RStV unterschritten waren.435 Für die Beurteilung maßgeblich war also die Frage, ob die Vermutungsregeln aus § 26 Abs 2 RStV die Generalklausel aus § 26 Abs 1 RStV in zwingender und abschließender Form konkretisieren oder lediglich unverbindliche Auslegungs- und Beweislastregeln aufstellen. Im erstgenannten Fall könnte eine vorherrschende Meinungsmacht nur bei Überschreiten der Mindestgrenzen (30 % bzw 25 %) angenommen werden, im letztgenannten auch bei Unterschreitung der Grenzen, sofern insgesamt dennoch eine vorherrschende Meinungsmacht festzustellen wäre. Die KEK vertritt in der Praxis seit Längerem den sog „qualitativen“ Ansatz, der § 26 187 Abs 1 RStV als eigenständigen Tatbestand betrachtet, der unabhängig von der Einschlägigkeit der Vermutungsregeln aus § 26 Abs 2 RStV erfüllt sein könnte.436 Somit war im Falle Springer/ProSiebenSat.1 die Annahme einer vorherrschenden Meinungsmacht durch die Unterschreitung von 25 % Zuschaueranteil nicht ausgeschlossen. Nach Ansicht der KEK hätte der Zusammenschluss eine vorherrschende Meinungs188 macht iSv § 26 Abs 1 RStV begründet.437 Dies leitet sich zum einen aus dem Zuschaueranteil der TV-Programme der ProSiebenSat.1-Gruppe, zum anderen aus den Aktivitäten des Springer-Verlages auf den sog medienrelevanten verwandten Märkten (vgl § 26 Abs 2 S 2 RStV) ab. Bei der Tagespresse nahm (und nimmt) der Springer-Verlag eine überragende Stellung ein: der Anteil am Markt für überregionale Tageszeitungen betrug, vor allem dank der BILD-Zeitung, im Erhebungszeitraum ca 76 %.438 Insgesamt würde der Springer-Verlag nach der Übernahme über eine Meinungsmacht verfügen, die einem TV-Zuschaueranteil von 42 % entsprochen hätte.439 Konsequenterweise untersagte die KEK den Zusammenschluss.
VII. Verhinderung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung 1. Marktbeherrschung auf klassischen Medienmärkten
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In der kartellrechtlichen Kontrolle des Mediensektors steht die Verhinderung des Machtmissbrauchs in ihrer Bedeutung weit hinter der medienrechtlichen Fusionskontrolle zurück. Die Rarität der medienrechtlichen Entscheidungen zum Missbrauchstatbestand liegt in der grundsätzlichen Pluralität und schnellen Entwicklung der Medienlandschaft begründet, die dem Erwachsen einer marktbeherrschenden Stellung entgegensteht, ohne
434 435
436
MMR 2000, 537; Bornemann MMR 2006, 275. Dazu Rn 92. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5, 85 – Springer/ProSiebenSat1; KEK, Pressemeldung vom 10.1.2006 – Springer/ ProSiebenSat1. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5, 71 ff mwN – Springer/ProSiebenSat1.
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KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5, 2 – Springer/ProSiebenSat1. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5, 90 – Springer/ProSiebenSat1. KEK vom 10.1.2006, Zeichen 293-1 bis 5, 102 – Springer/ProSiebenSat1.
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Kartellrecht für die klassischen Medien
welche ein kartellrechtsrelevanter Missbrauch jedoch ausscheidet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden die Zeitungsmärkte, die hochkonzentriert sind.440 In der jüngeren Zeit sind auch im Fernsehbereich Marktbeherrschungstendenzen fest- 190 zustellen. Wegen eines möglichen Machtmissbrauchs sind im Juni 2007 die TV-Sendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL ins Visier des BKartA geraten. Der Vorwurf des BKartA lautete, die Sendergruppen hätten bei der Vermarktung von Werbezeiten ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht sowie wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen getroffen. Die beiden Unternehmen, die für die Sendergruppen die Werbezeiten vermarkten (IP Deutschland für RTL und SevenOne Media für ProSiebenSat.1), hätten durch sog Share-Deals ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Fernsehwerbemarkt 441 missbraucht. Bei einem Share-Deal sichern Werbekunden oder Medienagenturen den Sendern zu, einen bestimmten (pauschalen) Prozentsatz für Werbung bei dem entsprechenden Sender auszugeben. Im Gegenzug sollen IP Deutschland und SevenOne Media den Werbekunden erhebliche Rabatte (zB in Form kostenloser Werbespots) gewährt haben. Das BKartA stellte die Ermittlungen gegen die beiden Sendergruppen jedoch ein, als sie sich im Oktober 2007 zu Bußgeldzahlungen von € 120 Mio (ProSiebenSat.1) bzw € 96 Mio (RTL) bereit erklärt hatten, um ein mögliches Verfahren abzuwenden.442 2. Ausübung von Urheber- und Patentrechten Die Existenz von Urheber- und Patentrechten stellt für sich gesehen kein kartellrecht- 191 liches Problem dar.443 Immaterialgüterrechte mit Ausschließlichkeitswirkung sind Ausdruck eines auf Innovationen aufbauenden Leistungswettbewerbs. Die aus Innovation und Kreativität gewonnene dynamische Effizienz ist eine Zielfunktion von Wettbewerb.444 Besteht ausreichender Substitutionswettbewerb tangiert die Existenz des aus Immaterialgüterrechten abgeleiteten „rechtlichen Monopols“ das Kartellrecht nicht (s auch Art 30 EG).445 Dieses „rechtliche Monopol“ kann in ein wirtschaftliches Monopol umschlagen, soweit das Immaterialgüterrecht mangels tatsächlicher oder potentieller Alternative Alleinstellung genießt.446 Soweit solche Fallgestaltungen gegeben sind, wird teilweise für eine Anwendung der vom EuGH in der IMS Health-Entscheidung herausgearbeiteten Kriterien „Ausschluß jeglichen Wettbewerbs auf einem abgeleiteten Markt“ und „Verhinderung eines neuen Markts“ 447 plädiert, teilweise das Vorliegen einer sachlich ungerechtfertigten Diskriminierung für erforderlich gehalten, wie sie der BGH in der Standard-Spundfass-Entscheidung 448 für § 20 Abs 1 GWB vertreten hat.449 Die Diskussion um eine allgemeine kartellrechtliche Unzulässigkeit der Zugangsver- 192 weigerung zu „unerlässlichen“ oder „unentbehrlichen“ Immaterialgüterrechten verwischt 440 441
442 443 444 445
Dazu oben Rn 95. Zur Abgrenzung des Fernsehwerbemarktes s Rn 128–129; zur marktbeherrschenden Stellung von RTL und ProSiebenSat1 Media auf diesem s BKartA vom 11.4.2006, B6-142/05, 17 f, 20 – RTL/ntv. www.heise.de/newsticker/meldung/96986. S auch Wielsch EuZW 2005, 391 ff. Heinemann 24 ff; Conde Gallego GRUR Int 2006, 28. Immenga/Mestmäcker/Ullrich EG Teil 2 GRUR A Rn 60.
446
447 448 449
Conde Gallego GRUR Int 2006, 25; Wielsch EuZW 2005, 393 („unentbehrlich“); für § 20 Abs 1 GWB BGH GRUR 2004, 966 ff – Standard Spundfass. S dazu unten Rn 298–299. BGH GRUR 2004, 966 ff – Standard Spundfass. S umfassend dazu Conde Gallego GRUR Int 2006, 25–28.
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die ohnehin undeutlichen Grenzen der essential facility-Fallgruppe und der Standardisierung. Schutzrechte sollen auch bei eng begrenzten Märkten als Sicherung der Marktbeherrschung dienen.450 Die Aufweichung des legalen Marktabschottungsmechanismus von Schutzrechten durch Zugangsansprüche sollte im Sinne eines im Wesentlichen durch Innovationen geprägten Leistungswettbewerbs möglichst eng gehalten werden. Das Abstellen auf „Unerlässlichkeit“ eines Immaterialgüterrechts hilft dabei nicht weiter: je bedeutender eine Innovation ist, um so eher wird sie ein starkes Schutzrecht generieren, einen eigenständigen Markt abschotten können und als „unerlässlich“ zu qualifizieren sein. Bei einer derart bedeutenden Innovation wird der Rechtsinhaber aber eines stärkeren rechtlichen Schutzes bedürfen, um die ihm zustehenden Erträge aus seiner Innovation ziehen zu können. Ein allgemeiner kartellrechtlicher Zugangsanspruch bei Unerlässlichkeit eines Immaterialgüterrechts würde das Recht entwerten.451 Vielmehr müssen im Rahmen der eng anzuwendenden kartellrechtlichen Fallgruppen der essential facilityDoktrin und des Missbrauchs durch Standardisierung Kriterien herausgearbeitet werden, die den Zweck des Schutzrechts und die Erfordernisse einer Marktöffnung in ein angemessenes Gleichgewicht bringen. Festzuhalten ist: Das Innehaben eines gewerblichen Schutzrechts allein genügt nicht, 193 um eine marktbeherrschende Stellung,452 geschweige denn den Vorwurf des Missbrauchs einer solchen zu begründen.453 Jedoch kann die Ausübung des jeweiligen Schutzrechtes im Einzelfall die kartellrechtlichen Missbrauchstatbestände erfüllen.454 3. Fallgruppen des Machtmissbrauchs im Medienbereich
194
a) Ausbeutungsmissbrauch. Die Fälle des Preis- und Konditionenmissbrauchs im Bereich der klassischen Medien, mit denen sich die EG-Institutionen in der Vergangenheit zu befassen hatten, betrafen im wesentlichen zwei Themengebiete: erstens die Aufnahmebedingungen der Verwertungsgesellschaften; zweitens die Gegenleistungen für die Vergabe von Lizenzen zur Nutzung gewerblicher Schutzrechte.
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aa) Aufnahmebedingungen der Verwertungsgesellschaften. Die Verwertungsgesellschaften nehmen die Rechte einer Vielzahl von Urhebern wahr (vgl § 1 Abs 1 UrhWG) und lassen sich zu diesem Zwecke die entsprechenden Rechte von den Urhebern abtreten.455 Zwar besteht für die Mehrzahl der Urheber kein rechtlicher, wohl aber ein faktischer Zwang zur Übertragung seiner Rechte auf eine Verwertungsgesellschaft. Aufgrund dessen können weitgehende Verpflichtungen zur Abtretung gegenwärtiger und zukünftiger Urheberrechte, welche die Gesellschaften den Urhebern als Beitrittsbedingung auferlegen, aus kartellrechtlicher Perspektive einen Missbrauch von Marktmacht darstellen.456 In dem für diese Frage wegweisenden Urteil BRT/SABAM und Fonior 457 forderte 450
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Immenga/Mestmäcker/Ullrich/Heinemann EG Teil 2, GRUR B Rn 49, 50; Wielsch EuZW 2005, 395. Anders Wielsch EuZW 2005, 395 f. St Rspr, vgl EuGH vom 29.2.1968, Slg 1968, 85, 122 f – Parke Davis; EuGH vom 18.2.1971, Slg 1971, 69, 84 – Sirena/EDA; EuGH vom 8.6.1971, Slg 1971, 487, 501 – Deutsche Grammophon; EuGH vom 6.4.1995, Slg 1995 I-743, 822 – Magill. EuGH Slg 1971, 487, 501 – Deutsche Grammophon.
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454 455
456
457
Dazu Rn 298–299. Zur Funktion der Verwertungsgesellschaften und ihrer Stellung im Wettbewerbsrecht s ausführl Hoeren/Sieber/ Müller Teil 7.5; sowie Mestmäcker/ Schweitzer § 30. Mestmäcker in: FS Rittner, 391; Immenga/ Mestmäcker/Möschel EG Teil 1, Art 82 Rn 152. EuGH vom 27.3.1974, Slg 1974, 313 – BRT/ SABAM und Fonior; dazu Mestmäcker/ Schweitzer § 30 Rn 19–21; Immenga/Mest-
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der EuGH 1974, es müsse ein „ausgewogenes Verhältnis“ gefunden werden zwischen dem Höchstmaß an Freiheit für die Urheber und dem Interesse an der praktischen Verwertung.458 Eine Abtretung der Rechte sei nur insoweit zulässig, wie sie notwendig ist, um der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften „das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen“.459 Diese Grenze sei dann überschritten, wenn eine marktbeherrschende Verwertungsgesellschaft die Abtretung sämtlicher gegenwärtiger und zukünftiger Urheberrechte auch mit Wirkung für einen längeren Zeitraum nach Ende der Mitgliedschaft fordere.460 bb) Unangemessene Gebühren für Lizenzen an Immaterialgüterrechten. Unternehmen 196 im Multimediabereich missbrauchen ihre marktbeherrschende Stellung, wenn sie übermäßig hohe Lizenzgebühren zur Nutzung von Immaterialgüterrechten fordern.461 Als Maßstab für die Angemessenheit der Lizenzgebühren sind die Gebühren heranzuziehen, die der Lizenzgeber von anderen Benutzergruppen für die gleiche Leistung fordert oder die für vergleichbare Schutzrechte auf Vergleichsmärkten verlangt werden.462 Voraussetzung der Anwendung von Art 82 EG ist immer die marktbeherrschende Stellung des Lizenzgebers; der Missbrauch eines gewerblichen Schutzrechtes fällt anderenfalls nicht in den Regelungsbereich des Art 82 EG.463 Auch begründet die Inhaberschaft an einem Immaterialgüterrecht nicht automatisch eine marktbeherrschende Stellung; erforderlich ist vielmehr, dass das Recht in einer kartellrechtlich relevanten Weise eingesetzt wird, bspw zur Produktion von Waren.464 b) Kopplung. Von einer unzulässigen Kopplung von Produkten spricht man, wenn 197 der Nachfrager das Produkt A nicht unabhängig vom Produkt B erwerben kann. Dieser Ausschluss von Wahlfreiheit für den Nachfrager ist allerdings nur dann missbräuchlich, wenn a) die Produkte A und B unterschiedlichen Märkten angehören, also keine einheitliche Leistung darstellen, b) eine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für das gewünschte Produkt besteht, c) Wahlfreiheit für den Nachfrager tatsächlich nicht gegeben ist und d) eine Rechtfertigung für die Wettbewerbsbeschränkung fehlt.465 Praxisbeispiele für den Kopplungstatbestand im Bereich der Medien finden sich auf 198 den Zeitungsmärkten. So kritisierte das KG 1977 das Angebot eines „Kombinationstarifes“ vonseiten des Springer-Verlages an Werbetreibende, bei dem die Schaltung von Anzeigen in einer bestimmten Zeitung (Berliner Morgenpost) mit der Schaltung der Anzeigen in einer anderen Zeitung (Die Welt) kombiniert wurde.466 Der Verlag erhoffte sich durch diese Kombination die Steigerung der Auflage der Welt. Laut dem KG verfolgte der Verlag durch die Kopplung vorrangig das Ziel, das schwächere Produkt durch die sachfremde Kombination der Anzeigenangebote „mitzuziehen“, was aufgrund der beherr-
458 459 460
461
mäcker/Möschel EG Teil 1, Art 82 Rn 152 f. EuGH vom 27.3.1974, Slg 1974, 313, 316 f – BRT/SABAM und Fonior. EuGH vom 27.3.1974, Slg 1974, 313, 317 – BRT/SABAM und Fonior. EuGH Slg 1974, 313, 317 – BRT/SABAM und Fonior; s umfassend zu den kartellrechtlichen Problemen bei Verwertungsgesellschaften im digitalen Umfeld: Hoeren/ Sieber/Müller Teil 7.5 Rn 10 ff. EuGH Slg 1982, 3381, 3402 – Coditel; EuGH Slg 1988, 6039, 6073 – CICRA/
462 463 464 465
466
Renault; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil 1, Art 82 Rn 157 f mwN. EuGH Slg 1989, 2521, 2581 – Tournier. Heinemann GRUR 2006, 705, 706. Kaestner 16, 81. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Lübbig Bd I, Art 82 Rn 156 ff; Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil 1, Art 82 Rn 202 ff; Calliess/Ruffert/Weiß Art 82 EGV Rn 63 ff. KG vom 26.1.1977 WuW/E OLG 1767 „Kombinationstarif“ = BB 1977, 559 mit Anm Ulmer.
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schenden Stellung des Verlags auf dem relevanten Zeitungsmarkt grds unzulässig war. Zu einer ähnlichen Berwertung gelangte BGH in einem anderen Fall aus dem Jahre 1982,467 in dem über die Zulässigkeit der Zusammenlegung der Anzeigenteile von Zeitungen im Stuttgarter Raum zu entscheiden war.468
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c) Gezielte Preisunterbietung. Eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung liegt des Weiteren vor, wenn das betreffende Unternehmen durch Niedrigpreise unter Inkaufnahme erheblicher Verluste versucht, Wettbewerber aus dem bereits beherrschten oder aus einem anderen Markt zu verdrängen (sog Kampfpreisunterbietung oder predatory pricing). Andererseits ist es einem Marktbeherrscher gestattet, am Preiswettbewerb im eigenen Interesse teilzunehmen.469 Insofern bereitet die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Verhaltensformen Schwierigkeiten. Die Kommission hatte ursprünglich auf den Zweck der Preisunterbietung abgestellt.470 Dagegen rückte der EuGH das Verhältnis zwischen Preisen und Kosten in den Vordergrund.471 Da die Kosten jedoch leicht manipuliert werden können, hat der EuGH zuletzt wieder vermehrt auf das Merkmal der Verdrängungsabsicht zurückgegriffen.472 Eine besondere Erscheinungsform der Preisunterbietung stellt der Fall der sog „Preis200 Kosten-Schere“ dar. Hiervon wird ein vertikal integriertes Unternehmen erfasst, wenn es seinen Wettbewerbern auf dem nachgelagerten Markt für den Zugang zu einer Vorleistung derart hohe Entgelte berechnet, dass diese auf dem nachgelagerten Markt nicht mehr konkurrenzfähig sein können.473 „Preis-Kosten-Scheren“ treten oftmals im Bereich der Telekommunikation auf. Als Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die Preispolitik der DTAG beim Zugang ihrer Konkurrenten zu den Teilnehmeranschlussleitungen zu nennen.474
201
d) Geschäftsverweigerung. Der auf dem freien Markt in Europa und in den Binnenmärkten geltende Grundsatz, dass ein Unternehmen seine Absatzpolitik frei bestimmen und hierbei seine geschäftlichen Interessen verfolgen kann, wird durch das wettbewerbsrechtliche Ziel eingeschränkt, ein Mindestmaß an Wettbewerb aufrecht zu erhalten.475 Bei der möglichen Auferlegung eines Kontrahierungszwanges ist abzuwägen, dass einerseits durch die Geschäftsverweigerung der freie Wettbewerb beeinträchtigt werden könnte, dass aber andererseits ein Kontrahierungszwang den Anreiz zu Investitionen in die betreffenden Leistungen vermindern könnte.476 Im Medienbereich hat die Fallgruppe der Geschäftsverweigerung, auch abseits von 202 den Fällen der essential facilities, mehrere Male Bedeutung erlangt. So hat der EuGH 467
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BGH vom 9.11.1982 WuW/E 1965 – gemeinsamer Anzeigenteil; dazu: Immenga/ Mestmäcker/Möschel § 19 GWB Rn 133 ff. Im konkreten Fall war die Zusammenlegung der Anzeigenteile der verschiendenen Zeitungen aufgrund deren Sanierungsfunktion dennoch nicht missbräuchlich. Emmerich § 10 Rn 58, 61; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Lübbig Bd I, Art 82 Rn 172. Kommission vom 14.12.1985 – IV/30.698 – AKZO. EuGH Slg 1991, I-3439, 3453 ff – AKZO. S dazu Emmerich § 10 Rn 62 f; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Lübbig Bd I, Art 82 Rn 175.
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Emmerich § 10 Rn 59 f; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Lübbig Bd I, Art 82 Rn 175. Kommission vom 21.3.2003 – COMP/ 37.451, 37.578, 37.579 – Deutsche Telekom AG; s dazu die weiteren Ausführungen bei Teil 5 Kap 2 Rn 19, 63, 66. Vgl EuGH vom 9.11.1983, Slg 1983, 3461, 3511 – Michelin; EuGH vom 13.2.1979, 461, 541 – Hoffmann-La Roche; Immenga/ Mestmäcker/Möschel EG Teil 1, 4. Aufl 2007, Art 82 Rn 220. Immenga/Mestmäcker/Möschel Wettbewerbsrecht, EG Teil 1, Art 82 Rn 220.
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eine Kontrahierungspflicht für ein Monopolunternehmen erstmals im Fall Sacchi 477 festgestellt, in dem eine Rundfunk- und Fernsehanstalt, die ein nationales Monopol auf die Ausstrahlung von Werbung besitzt, den Verkauf von Werbezeiten an Unternehmen anderer Mitgliedstaaten verweigert hatte.478 Ferner stellten Kommission und EuGH übereinstimmend fest, dass Urheberrechtsverwertungsgesellschaften die Rechtewahrnehmung bestimmten Personengruppen, die hierauf angewiesen sind, nicht verweigern dürfen.479 e) Verhinderung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen (essential facility-Dok- 203 trin). Die Verhinderung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen (essential facilityDoktrin) stellt eine Unterfallgruppe des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch Geschäftsverweigerung dar. Im Mediensektor ist die essential facility-Doktrin von erheblicher Bedeutung.480 aa) Die essential facility-Doktrin im US-amerikanischen Recht. Obgleich die Ent- 204 wicklungsgeschichte und Konturierung der essential facility-Doktrin im Einzelnen umstritten ist, finden sich ihre frühesten Spuren im US-amerikanischen Antitrust Law.481 Die rechtliche Ausgestaltung von Zugangsansprüchen gründet in der US-amerikanischen Rechtsprechung auf Sect. 2 Sherman Act. Das Monopolisierungsverbot aus Sec. 2 Sherman Act wird als Einfallstor für Zugangsansprüche von Wettbewerbern herangezogen, um die Kontrolle von bottleneck-Bereichen durch Monopolisten zu regulieren. Auf Grundlage dieser Vorschrift könnten also Marktteilnehmer den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen verlangen. Die Definition der essential facility-Doktrin 482 findet sich in der instanzgerichtlichen 205 Entscheidung Hecht v. Pro-Football. Der Federal Court of Appeals für den District of Columbia stellt in seinem Urteil fest: “The essential facility doctrine, also called the ‘bottleneck principle,’ states that ‘where facilities cannot practicably be duplicated by would-be competitors, those in possession of them must allow them to be shared on fair terms. It is illegal restraint of trade to foreclose the scarce facility.’ ” 483 In der Folge wurde im US-amerikanischen Kartellrecht für bottleneck-Situationen 206 üblicherweise das nachfolgende viergliedrige Prüfungsschema angewendet, das auf die Entscheidung des Court of Appeals 7th Circuit in der Sache MCI Communications Corp v AT&T aus dem Jahre 1983 zurückgeht: 484 – ein Monopolist muss die Kontrolle über eine wesentliche Einrichtung ausüben, – die Duplizierung der wesentlichen Einrichtung durch den Wettbewerber ist faktisch unmöglich oder wirtschaftlich unvernünftig,
477 478 479
480
481
EuGH Slg 1974, 409 – Sacchi. EuGH Slg 1974, 409, 431 – Sacchi. Kommission vom 2.6.1971, ABl 1971, Nr L 134, 15, 21 – GEMA I; EuGH vom 2.3.1983, Slg 1983, 483, 507 ff – GVL. Vgl unten Rn 298 ff, wo internetspezifische Anwendungsfelder der Doktrin erläutert und eine Bewertung der europäischen Rechtspraxis in Bezug auf die Doktrin vorgenommen werden. 224 U.S. 383 (1912) – Terminal Railroad; 326 U.S. 1 (1945) – Associated Press; 410
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483 484
U.S. 366 (1973) – Otter Tail; Beckmerhagen 25; Scheuffele 19; s aber krit zur historischen Grundlage Müller/Rodenhausen ECLR 2008, 310, 311–319. Zur Entwicklung der essential facility-Doktrin im US-Recht in: Grob/vom Brocke/ Aufderheide/Lindner/Zimmerlich 132 ff. Hecht –v- Pro-Football, 570 F. 2d 982, 992 (DC Cir 1977). MCI Communications Corp –v- AT&T, 708 F. 2d 1081 (7 th Cir 1983).
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– der Monopolist gestattet den Zugang zu seiner Einrichtung entweder gar nicht oder nur zu unangemessenen Konditionen, – und die Zugangsgewährung muss technisch möglich und dem Inhaber zumutbar sein. Im Hinblick auf diesen Gedanken der Hebelwirkung (leverage) als wettbewerbstheo207 retische Begründung der essential facility-Doktrin muss die Monopolstellung auf dem Markt für die Zur-Verfügung-Stellung der Einrichtung bestehen.485 Nach Auffassung des Federal Circuit handelt es sich dann um einen bottleneck-Bereich, wenn die Einrichtung unverzichtbar für das Auftreten potentieller Wettbewerber ist, da keine Alternativen existieren und es für den Zugangspetenten wirtschaftlich unmöglich ist, die Einrichtung zu duplizieren.486 Mangels ausdrücklicher Anerkennung der essential facility-Doktrin durch den US 208 Supreme Court als oberstes Gericht in den USA war die Doktrin in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Kritik aus der Literatur ausgesetzt.487 In dem 2004 erlassenen Urteil Verizon/Trinko, das mittelbar telekommunikationsrechtliche Zugangsansprüche zum Gegenstand hatte, stellte der Supreme Court darauf ab, dass er eine solche Doktrin nie anerkannt habe und es keinen Anlass für ihre Anerkennung gäbe.488 Das Gericht sieht solche Zugangsansprüche nur bei spezialgesetzlicher Normierung wie den sektorspezifischen Vorschriften im Telekommunikationsbereich als gegeben an. In der Folge kam die Doktrin in der amerikanischen Rechtsprechung nicht mehr zur Anwendung.
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bb) Die essential facility-Doktrin im europäischen Recht. Im europäischen Recht ist die essential facility-Doktrin inzwischen stärker verankert als im US-amerikanischen Kartellrecht,489 wenn auch nicht allseits anerkannt. Sowohl ihr Ursprung als auch ihre konkreten Voraussetzungen im EG-Recht sind schwer zu umreißen. Dies ist einer unklaren und inkohärenten Entscheidungspraxis der Kommission, des EuG und des EuGH in Bezug auf Fallgestaltungen mit wesentlichen Einrichtungen geschuldet. Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Gewährung von Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung ist im EGKartellrecht Art 82 EG. Diese Vorschrift verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Marktstellung. Anders als das amerikanische Antitrust Law setzt sie also nicht schon beim bloßen Erwerb einer marktbeherrschenden Stellung ein, sondern fordert zusätzlich eine missbräuchliche Ausnutzung derselben. Auf Grundlage des Missbrauchsverbots aus Art 82 EG verpflichteten Kommission, 210 EuG und EuGH in einer Reihe von Entscheidungen 490 Inhaber von wesentlichen Einrichtungen zur Gewährung von Zugang.491 Für den Mediensektor sind von Bedeutung:
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(1) Magill. Im Fall Magill 492 weigerten sich die in Irland sendenden Rundfunkanstalten RTE, ITP und BBC, dem Verlag Magill TV Guide Ltd. wöchentliche Vorschauen über ihre Fernsehprogramme zur Verfügung zu stellen. Hierdurch war es der Firma Magill
485 486 487 488 489 490
Vgl die Rechtsprechungsnachweise bei Beckmerhagen 54 f. Hecht –v- Pro-Football, 570 F. 2d 982 (DC Cir 1977). Areeda 58 Antitrust L.J. 841 (1989) mwN. 540 US 398 (2004). Tränkle 38. EuGH Slg 1974, 223 – Commercial Solvents; Kommission vom 11.6.1992, EG-Bulletin Nr 6 1992, Tz 1.3.30 – Sealink I; Kom-
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491 492
mission vom 21.12.1993 – IV/34.689– Sea Containers/Sealink (Sealink II) Rn 62; Kommission vom 21.12.1993 – Rödby; EuGH Slg 1995, I-743 – Magill; EuGH Slg 1998, I-7791 – Bronner/Mediaprint; Kommission vom 24.3.2004 – COMP 37.792 – Microsoft; EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health. S zur Kritik an der Entscheidungspraxis Rn 306–309. EuGH Slg 1995, I-743 – Magill.
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nicht möglich, vollständige Fernsehprogrammzeitschriften herzustellen. Hingegen veröffentlichten die Sendeanstalten selbst Programmzeitschriften. Die Verweigerung der Herausgabe der Programmvorschau stützten RTE, ITP und 212 BBC auf ihr tatsächlich bestehendes Urheberrecht an den Vorschauen. Die Kommission entschied aber 1988, dass die Verweigerung durch RTE, ITP und BBC einen Verstoß gegen Art 86 Abs 2 lit b EGV aF (= Art 82 Abs 2 lit b EGV nF) bedeute, wonach ein Missbrauch zu sehen ist in der „Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“.493 Die Sendestationen missbrauchten ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für die wöchentliche Programmvorschau, um die Einführung eines neuen Produkts auf dem Markt, nämlich eines umfassenden wöchentlichen Programmführers, zu verhindern.494 Das EuG bejahte den Machtmissbrauch letztlich mit folgender Begründung: „Ein der- 213 artiges Verhalten – das darin besteht, dass die Klägerin mit dem alleinigen Ziel, ihr Monopol aufrechtzuerhalten, die Herstellung und den Vertrieb eines neuen Erzeugnisses, nach dem eine potentielle Nachfrage der Verbraucher besteht, auf dem abgeleiteten Markt der Fernsehprogrammführer verhindert und dadurch jeden Wettbewerb auf diesem Markt ausschließt – geht offensichtlich über das hinaus, was zur Verwirklichung der wesentlichen Funktion des Urheberrechts, wie sie im Gemeinschaftsrecht anerkannt ist, unerläßlich ist.“ 495 Somit führte das EuG für die Fallgestaltung, in der ein geistiges oder gewerbliches 214 Schutzrecht die wesentliche Einrichtung darstellt, eine zusätzliche Voraussetzung für die Bejahung eines Missbrauchs ein: die Verhinderung des Angebots eines neuen Produkts, nach dem potentielle Nachfrage besteht. Die Verschärfung der Voraussetzungen ist der Tatsache geschuldet, dass die Ausübung von Ausschließlichkeitsrechten an sich kein missbräuchliches Verhalten darstellt und daher erhöhte Anforderungen an die Wettbewerbsbeeinträchtigung zu stellen sind. Dieser Verschärfung schloss sich der EuGH an.496 (2) Oscar Bronner/Mediaprint. Im Urteil Oscar Bronner/Mediaprint 497 befasst sich 215 der EuGH mit dem Zugang zu einem Zustellungssystem von Tageszeitungen in Österreich. Das Unternehmen Mediaprint betrieb das einzige landesweite System der Hauszustellung von Zeitschriften und verlegte außerdem zwei Tageszeitungen, die beinahe einen Anteil von 50 % des landesweiten Zeitschriften Marktes ausmachten. Die Gesellschaft Oscar Bronner war Verlegerin der weitaus auflagenschwächeren Zeitung „Der Standard“ und verlangte, dass Mediaprint den „Standard“ gegen ein angemessenes Entgelt in ihr Hauszustellung-Vertriebssystem aufnimmt. Dies verweigerte Mediaprint. Nach Meinung des EuGH war die Verweigerung zur Aufnahme in das Zustellungs- 216 system seitens Mediaprint nicht missbräuchlich iSv Art 86 EG (heutiger Art 82 EG). Zur Begründung bezieht sich der EuGH auf die Entscheidungen Commercial Solvents 498, CBEM 499 und Magill (s oben): „Selbst wenn diese Rechtsprechung zur Ausübung eines gewerblichen Schutzrechts [gemeint ist die Magill-Entscheidung, Verf.] auf die Ausübung eines beliebigen Eigen-
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Kommission, Magill, 89/205/EWG, ABl L 78, 43 Rn 23. Kommission, Magill, 89/205/EWG, ABl L 78, 43 Rn 23. EuG Slg 1991, II-485 – RTE; EuG Slg 1991, II-575 – Magill; bestätigend EuGH Slg 1995, I-743 – Magill.
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EuGH, Magill, Slg 1995, I-743 Rn 50 f. EuGH Slg 1998, I-7791 – Oscar Bronner/ Mediaprint. EuGH Slg 1974, 223 – Commercial Solvents. EuGH Slg 1985, 3261 – CBEM.
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tumsrechts anwendbar wäre, ließe sich aus dem Urteil Magill bei einem Sachverhalt wie dem, der Gegenstand der ersten Vorlagefrage ist, nur dann auf einen Mißbrauch iSd Art 86 EG-Vertrag schließen, wenn die Verweigerung der in der Hauszustellung liegenden Dienstleistung zum einen geeignet wäre, jeglichen Wettbewerb auf dem Tageszeitungsmarkt durch denjenigen, der die Dienstleistung begehrt, auszuschalten, und nicht objektiv zu rechtfertigen wäre, und zum anderen die Dienstleistung selbst für die Ausübung der Tätigkeit des Wettbewerbers in dem Sinne unentbehrlich wäre, daß kein tatsächlicher oder potentieller Ersatz für das Hauszustellungssystem bestünde.“ Der EuGH ging davon aus, dass das Hauszustellungssystem im konkreten Fall nicht 217 unentbehrlich war.
218
cc) Die essential facility-Doktrin im deutschen Recht. Im Gegensatz zu den auf Grundlage von Generalklauseln (Sec 2 Sherman Act bzw Art 82 EG) entwickelten Zugangsansprüchen enthält das deutsche Wettbewerbsrecht mit § 19 Abs 4 Nr 4 GWB eine ausdrückliche gesetzliche Normierung von Zugangsansprüchen für Infrastruktureinrichtungen.500
§4 Kartellrecht in der Internetökonomie I. Ökonomische und kartellrechtliche Bedingungen der Internetökonomie 219
Die Internetökonomie, definiert als eine im Wesentlichen digital basierte und elektronisch vernetzte Ökonomie, welche die computerbasierte Vernetzung nutzt, um Kommunikation, Interaktion und Transaktion in einem globalen Rahmen zu ermöglichen, bringt neue Ursachen- und Wirkungszusammenhänge hervor, die auch auf kartellrechtliche Bewertungen Auswirkungen haben.501 Die Entwicklung moderner Informations- und Telekommunikationstechnologien, insbesondere des Internets, ermöglicht Unternehmen die Verfolgung einer hybriden Marktstrategie. Neben reinen Online-Produkten, die ausschließlich für den digitalen Handel und die digitale Distribution entwickelt werden und bei denen sämtliche Transaktionsprozesse online abgewickelt werden können, ist durch die Kombination von herkömmlichen Offline-Gütern mit den Merkmalen der Internetökonomie ein neuer Bereich der hybriden Märkte geschaffen worden. Die Vorteile des Internets werden dabei verstärkt im Rahmen einzelner Transaktionsphasen zur Unterstützung der Transaktionsabwicklung eingesetzt. Die Frage ist, wie sich diese Fortschritte im Rahmen der Internetökonomie auf die kartellrechtliche Bewertung derartiger Sachverhalte auswirken. 1. Ökonomische Besonderheiten der Internetökonomie
220
Das Kartellrecht soll die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen und wirtschaftliche Macht begrenzen, soweit sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt. Diese Zielrichtung gilt auch für die Internetökonomie. Durch die nahezu grenzenlosen Möglichkeiten, die das Internet eröffnet, ist es Unternehmen möglich, sich die Vorteile des Internets auch in der Offline-Welt zunutze zu machen. Einer kartellrechtlichen Beobach-
500
S bereits oben Rn 68.
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501
Zimmerlich WRP 2004, 1260.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
tung bedarf es insbesondere aufgrund der Besonderheiten der Internetökonomie. Neben der Ubiquität des Internets sind diesbezüglich auch Netz-, Lock-In- und Skaleneffekte von besonderer Bedeutung. Der Begriff Netzeffekt beschreibt auf der Nachfrageseite den Wertzuwachs, den eine Ware oder Dienstleistung allein dadurch erhält, dass andere Nutzer das Produkt beziehen oder verwenden. Je mehr andere Nutzer es gibt, umso attraktiver wird im Falle von Netzeffekten das Produkt aus Sicht eines potentiellen Käufers. Netzeffekte sind in der Internetökonomie sowie generell in Netzwirtschaften ein bestimmendes Moment. Bspw ist ein Online-Marktplatz unwirtschaftlich, wenn nur wenige Nutzer ihn ansteuern. Wenn der Wert eines Produkts mit der Zahl seiner Benutzer steigt, bezeichnet man dieses als direkten Netzeffekt.502 Steigt der Wert eines Produkts mit der Menge der darauf aufbauenden Produkte, liegen indirekte Netzeffekte vor.503 Die Größe des Nutzens für den Konsumenten und damit der Wert des Produkts hängen vom Verhalten der anderen Marktteilnehmer ab.504 Die Attraktivität des Produktes steigt auch bei den Herstellern von komplementären Gütern, weil diese sich durch die hohe Nachfrage mehr Umsatz versprechen.505 So erhöht sich die Menge der Komplementärprodukte, was wiederum das Hauptprodukt attraktiver macht. Unter Lock-In-Effekt versteht man die (Kapital-)Bindung, die dadurch zustande kommt, dass ein Nutzer sich für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung entscheidet. Investiert ein Nutzer bspw in ein bestimmtes Betriebssystem, so ist er gezwungen, von nun an nur noch mit diesem System kompatible Hardware und Software zu erwerben, sofern seine Investition in das Betriebssystem kein vergeblicher Aufwand gewesen sein soll. Auf Angebotsseite liegen Skaleneffekte vor, wenn bei Ausdehnung der Produktion die Durchschnittskosten pro Ausbringungseinheit im relevanten Bereich der Nachfrage sinken. Dies ist vor allem immer dann der Fall, wenn vergleichsweise hohe Fixkosten und nur geringe variable Stückkosten auftreten. Allgemein treten derartige Phänomene dann auf, wenn eine Subadditivität der Kostenstruktur vorliegt, also jeweils ein großer Anbieter den Markt zu geringeren Durchschnittskosten versorgen kann als mehrere kleine. Angebotsseitige Netzeffekte dagegen treten dadurch auf, dass die Bereitstellung von Komplementärprodukten attraktiver wird, je größer das jeweilige Netz bzw je größer die Nachfrage nach dem Ursprungsprodukt. So wird etwa für Produzenten von Anwendungssoftware das Bereitstellen eines Angebots attraktiver, je stärker das zugrunde liegende Betriebssystem nachgefragt wird.506 Dieser angebotsseitige Effekt ist insofern derivativ, als ihm ein nachfrageseitiger Netzeffekt, wie oben beschrieben, zugrunde liegt. Allerdings wirkt er als Verstärker (positiver Feedback-Effekt), da das Vorliegen einer breiten Angebotspalette von Komplementärprodukten die Attraktivität des originären Produkts (Betriebssystem) aus Nachfragesicht erhöht. Diese Selbstverstärkungseffekte sind ein wesentlicher ökonomischer Zweck indirekter Netzeffekte.507 Die Geschäftsmodelle in der Internetökonomie sind häufig von Skalen- sowie von Netzeffekten oder Lock-In-Effekten beeinflusst. Bspw sind Online-Handelsplattformen nur überlebensfähig, wenn viele Käufer und Verkäufer sie in Anspruch nehmen. Der Hard-
502 503 504
Pohlmeier 30. Pohlmeier 43; Zimmerlich WRP 2004, 1260, 1261. Thum 5; Gröhn 25; Zimmerlich WRP 2004, 1260, 1261.
505 506
507
Roth CR 1988, 196. Zu Netzeffekten vgl grundlegend Katz/ Shapiro 75 The American Economic Review 424–440 (1985). Pohlmeier 32; Beth 59.
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ware- und Softwaremarkt ist hingegen im Falle proprietärer Schnittstellen primär von Lock-In-Effekten geprägt, da es in solchen Fällen jeweils auf die Systemkompatibilität ankommt. Auf Softwaremärkten für standardisierte Produkte dominieren angebotsseitig Skaleneffekte, die sich wechselseitig mit vorhandenen Netzeffekten verstärken. Die soeben umrissenen Effekte begünstigen eine Konzentration von Marktmacht. 226 Sobald ein Anbieter eine innovative Lösung für einen Bedarf auf den Markt gebracht hat und eine kritische Schwelle von Kunden bzw Nutzern überschritten hat, beschleunigt sich die Machtkonzentration selbst. Dies gilt, solange die Nachfrage nicht durch neue, überlegene Konkurrenzprodukte auf einen Wettbewerber umgelenkt wird, für die dann wiederum vergleichbare Mechanismen gelten (Wettbewerb um den Markt statt Wettbewerb auf dem Markt). Hierdurch wird es Unternehmen vereinfacht, Einfluss auf den Wettbewerb und die eigene Marktposition zu nehmen. Diese internetspezifischen Effekte auf dem Wettbewerb sind, jeweils für sich genom227 men, nichts völlig Neues. Sie haben jedoch in ihrem Zusammenwirken eine besonders nachhaltige Wirkung für die Wettbewerbssituation der beteiligten Wettbewerber. Hier machen gerade die Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen den einzelnen Modalitäten die Besonderheiten der Internetökonomie aus. 2. Grenzüberschreitende Internetökonomie und nationale Wettbewerbsregulierung
228
Daneben stellt das Fehlen sichtbarer Grenzen im Internet das national – oder im Bereich der Europäischen Union supranational – gebundene internationale Kartellrechtssystem vor neue Fragen. Bisher existiert keine spezifische gesetzliche Grundlage oder Rechtsprechung, die es ermöglicht, auf diese Herausforderung zu reagieren. Die Diskrepanz zwischen einer im und über das Internet global zusammenwachsenen Ökonomie und national gebundener Regulierung der Wirtschaft muss mit den vorhandenen Mitteln des Kartellrechts gelöst werden.
II. Abgrenzung von Internetmärkten 229
Die Marktabgrenzung in der Internetökonomie erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie in der traditionellen, physisch gebundenen Wirtschaft.508 Für B2B-Marktplätze, Internetzugangsmärkte (Access) und Märkte für Internet230 inhalte 509 kann bereits auf eine umfangreiche Entscheidungspraxis zurückgegriffen werden. Im Gegensatz dazu sind andere Produktangebote der Internetökonomie bislang nur ganz vereinzelt Gegenstand von Marktabgrenzungen europäischer und deutscher Gerichte und Kartellbehörden geworden. Daher haben sich hier noch keine festen Abgrenzungsparameter in diesen dynamischen Märkten herausgebildet. 1. Sachliche Marktabgrenzung
231
Im Zuge des Substitutionslückenkonzepts wird teilweise vertreten, dass die Anbieter im Internet nicht in einem Produktwettbewerb stünden. Vielmehr würde auf dieser Stufe um die allgemeine Aufmerksamkeit der potentiellen Nachfrager gekämpft, um sie auf die
508 509
S dazu oben Rn 22 ff. Zuletzt Kommission vom 16.7.2003 –
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COMP/38.233 – Wanadoo Interactive WuW 2005, 99, 99–101.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
eigene Website zu leiten.510 Alle Anbieter im Internet stünden daher auf der gleichen Stufe; in der Folge könnte eine Separierung von Märkten anhand von Produkten nicht erfolgen. Allerdings löst sich der Kampf um Aufmerksamkeit im Internet durch die Bekanntheit von Internet-Adressen und Suchmaschinen schnell auf. Von einer besonderen Wettbewerbssituation im Gegensatz zur mit Produkt- oder Imagewerbung arbeitenden Offline-Wirtschaft um die Aufmerksamkeit der Nachfrager kann nicht gesprochen werden. Die sachliche Marktabgrenzung ist vielmehr nach den herkömmlichen Methoden vor- 232 zunehmen.511 Sofern bei Internetanwendungen offene Standards oder Industriestandards Verwendung finden, stellt sich auf Nachfrageseite keine Bindungswirkung ein, und die gehandelten Produkte können isoliert voneinander gesehen und die Märkte entsprechend trennscharf abgegrenzt werden. Anders verhält es sich, wenn bspw an Schnittstellen zwischen Geräten und/oder Softwareapplikationen proprietäre Standards gesetzt werden, deren Nutzung Wettbewerbern nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht. Ist dies der Fall, so sind gegebenenfalls benachbarte oder nachgelagerte Produktmärkte mit einzubeziehen, um die Möglichkeit einer Übertragung von Monopolmacht (leveraging) von einem Markt auf einen (vermeintlich) anderen systematisch erfassen zu können, wie dies im Microsoft-Fall nahe liegt.512 Fraglich ist, ob digitalisierte Produkte, die sowohl ausschließlich über das Internet 233 (Online-Produkte) als auch auf herkömmliche Weise – also verkörpert auf Datenträgern – vertrieben werden, in einen sachlich relevanten Markt zu fassen sind. Die Kommission nahm an, dass der Markt für die Online-Verbreitung von Musik vom Markt für die körperliche Verbreitung von Musik zu unterscheiden sei.513 Da die Kommission auf dem ersteren Markt eine marktbeherrschende Stellung von AOL/Time Warner prognostizierte, genehmigte sie den Zusammenschluss nur unter Auflagen.514 Die Entscheidung wird im Schrifttum als politisch motiviert kritisiert. Um regulatorisch in den (sich neu entwickelnden) Markt für Online-Musik eingreifen zu können, habe die Kommission das Kriterium der Nachfragesubstituierbarkeit nicht hinreichend berücksichtigt.515 Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass sich bei internetbasiertem Geschäft 234 keine juristischen Besonderheiten für die sachliche Marktabgrenzung ergeben.516 Zwar sind die wirtschaftlichen Gegebenheiten beim Produktabsatz im internetbasierten Geschäft teilweise unterschiedlich zum Offline-Geschäft. So ergibt das Nebeneinander des Angebots von Internet-Infrastrukturen und Angebot bzw Nachfrage nach über diese Infrastruktur gehandelten Produkten in der Hand des gleichen Unternehmens eine besondere Druckposition gegenüber Nachfragern nach der Infrastruktur. Diese Unterschiede rechtfertigen jedoch kein Abweichen von den bewährten juristischen Marktabgrenzungsmethoden. Die rechtliche Betrachtung der Produktmärkte verändert sich nicht. Die ver510
511 512 513
Lanham The Ecomics of Attention (1994); Franck Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998). Vgl zusammenfassend Zerdick 17, 36 ff. S dazu auch Trafkowski MMR 1999, 630, 634 ff. Vgl hierzu auch Zimmerlich/David/Veddern und Zimmerlich/Aufderheide. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 18 ff. Vgl auch Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal
514
515
516
Plus; Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 23 – Sony/BMG. Zum Markt für Online-Musik s unten Rn 261, 262. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/M.1845 – AOL/Time Warner Rn 46 ff. Graham/Smith/Monti, 25 ff; krit auch Europe Economics, Market Definition in the Media Sector: Economic Issues – Report for the European Commission, 75 f. So im Ergebnis auch Trafkowski 31/32.
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3. Teil
schiedenen Produktmärkte, auf denen sich ein Unternehmen bewegt, können mit den bestehenden Methoden einzeln, aber auch mit dem gegenseitigen Einfluss aufeinander betrachtet werden.
235
a) Internetzugangsmärkte. Der sachliche Markt für den Internetzugang wurde in der Entscheidungspraxis der Kommission nach Zugangsart und Übertragungsraten differenziert.517 In der Entscheidung WorldCom/MCI hatte die Kommission zunächst zwischen drei Märkten unterschieden: dem Markt für Verbindungen vom Zentralrechner zum Präsenzpunkt, also dem Endverbraucher, (sog Retail Internet Access Market) 518, dem Markt für Internetzugangsdienstleistungen519 und dem Markt für die Bereitstellung von TopLevel-Verbindungen520. Den Retail Internet Access Market hat die Kommission anschließend weiter ausdiffe236 renziert. Sie unterscheidet nunmehr zwischen dem Markt für den Zugang über Schmalbandkabel und dem Markt für den Zugang über Breitbandkabel 521 (wie DSL). Im Rahmen des Marktes für den Zugang über Schmalbandkabel hat sie dabei den Markt für den Dial-Up-Access für Private und kleine und mittlere Unternehmen 522 vom Markt für den Dedicated-Access für große Unternehmen (Standleitungen) 523 abgegrenzt. In der Sache Vodafone/Vivendi/Canal Plus hat die Kommission darüber hinaus die Existenz eines Marktes für den Zugang über andere Infrastrukturen (zB über den Mobilfunk oder mit Hilfe von digitalen TV-Set-Top-Boxen) 524 angedeutet. Im Rahmen der Abgrenzung des Marktes für Internetzugangsdienstleistungen stellte 237 die Kommission fest, dass Internetzugangsdienste nicht mit anderen Formen von Datenübertragungsdiensten austauschbar sind. So könnten zuletzt genannte Dienste nur die Übertragung von Daten an eine begrenzte Anzahl von Nutzern gewährleisten, wohingegen über Internetzugangsdienste sämtliche Internet-Nutzer erreicht werden könnten. Zudem seien die weiteren Dienstleistungen der Internetzugangsanbieter – wie die Bereitstellung von Hardware und Software, die Netzwerkkonfiguration und der Kundenservice – in diesem Sinne zu berücksichtigen.525 Dem Markt für die Bereitstellung von Top-Level-Verbindungen gehören nur diejeni238 gen Anbieter an, welche in der Lage sind, eigenständig eine vollständige Internet-Anschlussfähigkeit zu gewährleisten (Inhaber eines sog Spitzennetzes). Nicht erfasst sind indes zweitrangige Diensteanbieter, die Internetverbindungen gewährleisten, indem sie sich die Nutzung eines Spitzennetzes in einer sog Gegenzugvereinbarung einräumen lassen.526 517
518 519 520 521
Kommission vom 13.10.1999 – IV/M.1439 – Telia/Telenor; Kommission vom 27.3.2000 – COMP/M.1838 – BT/Esat; Kommission vom 20. 7. 2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus, Rn 34, 37; Kommission vom 16.7.2003 – COMP/38.233 – Wanadoo Interactive, WuW 2005, 99, 99–101. Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 58 f. Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 60 f. Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 62 ff. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 38 ff; Kommission vom 21.5.2003 – COMP/
1172
522
523 524 525 526
C-1/37.451, 37.578, 37.579 – Deutsche Telekom AG Rn 78 ff. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 33 f; Kommission vom 13.10.1999 – IV/M.1439 – Telia/Telenor; Kommission vom 21.5.2003 – COMP/C-1/37.451, 37.578, 37.579 – Deutsche Telekom AG Rn 76. Kommission vom 27.3.2000 – COMP/ M.1838 – BT/Esat Rn 7 ff. Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 32, 37. Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 60 f. Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 65 ff.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
Ob dieser Ansatz angesichts der fortschreitenden technologischen Entwicklung beim 239 Internetzugang noch haltbar ist, wurde bisher in der Entscheidungspraxis nicht problematisiert. Eine sachliche Abgrenzung der Märkte anhand der Übertragungsraten ist zumindest dann vertretbar, wenn und solange diese Unterschiede unterschiedliche technische Vorteile bieten und unterschiedliche Kundenkreise ansprechen. Dies ist in der derzeitigen Situation jedenfalls zu bejahen, wird aber einer fortlaufenden Kontrolle unterliegen müssen. Durch die weite Verbreitung von hoch-bitratigen DSL-Zugängen auch im Bereich privater Internetnutzung erscheint die Differenzierung inzwischen soweit überholt. b) Märkte für B2B-Marktplätze. Mehrfach beschäftigten sich die Kommission 527 und 240 das BKartA 528 mit der Marktabgrenzung für Internet-Plattformen. In Governet hatte die Kommission elektronische Marktplätze noch als Unterfall der 241 IT-Dienstleistungen angesehen und so einen „Markt für IT-Dienstleistungen für e-commerce Plattformen“ ausgemacht.529 Alle anderen Entscheidungen differenzieren zwischen dem Markt für die über die Plattform gehandelten Güter und dem Markt für InternetPlattformen, teilweise genauer für B2B-Plattformen. Bei der Abgrenzung des Marktes für die über die Plattform gehandelten Güter nahmen Kommission und BKartA jeweils eine Austauschbarkeit des Online-Angebots der gehandelten Güter mit dem entsprechenden Offline-Angebot an sowie eine Austauschbarkeit von verschiedenen Internet-Plattformen untereinander.530 Eine Abgrenzung eines engeren Produktmarktes IT-Dienstleistungen im A2B-Bereich ließ die Kommission offen.531 Das BKartA hat hingegen schon frühzeitig auf das Nebeneinander der Märkte für – 242 teilweise weiter unterteilt in allgemeine und branchenspezifische – Internetmarktplätze und für die über den Marktplatz gehandelten Produkte abgestellt.532 In der BerlinOnline.de527
528
Vgl Kommission vom 20.6.2000 – COMP/ M.1916 – RTL NewMedia/Primus-Online; Kommission vom 13.7.2000 – COMP/ M.2027 – Deutsche Bank/SAP; Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus; Kommission vom 4.8.2000 – COMP/M.1969 – UTC/ Honeywell/i2/MyAircraft.com; Kommission vom 2.10.2000 – COMP/M.2138 – SAP/ Siemens; Kommission vom 6.10.2000 – COMP/M.2096 – Bayer/Deutsche Telekom/ Infraservom; Kommission vom 7.11.2000 – COMP/M.2172 – Babcock Borsig/MG Technologies/SAP Markets/ec4ec; Kommission vom 25.4.2001 – COMP/M.2398 – Linde/Jungheinrich; Kommission vom 2.5.2001 – COMP/M.2374 – Telenor/Ergogroup/DNB/Accenture; Kommission vom 25.10.2002 – COMP/M.2830 – Lufthansa Cargo/Air France Finance/British Airways/ Global Freight Exchange; Kommission vom 16.2.2004 – COMP/M.3334 – Arcelor/ ThyssenKrupp/Steel 24–7. BKartA, B vom 25.9.2000, B5-34100-U40/00 – DaimlerChrysler/Ford/General Motors; BKartA, B vom 23.10.2000, B3-
529 530
531 532
72303-U-76/00 – BASF/Degussa-Hüls/ Henkel/SAP; BKartA, B vom 26.1.2001, B3-25130-U-110/00 – Goodyear/Michelin; BKartA, B vom 26.3.2001, B5-14/01 – DaimlerChrysler/DCX.Net/T-Online.; BKartA, B vom 29.6.2001, B5-51522-U24/01 – Arbed/Corus/ThyssenKrupp/Usinor; BKartA, B vom 27.2.2002, B6-136/01 – Gruner + Jahr/Bankgesellschaft Berlin ua. Kommission vom 2.10.2000 – COMP/ M.2138 – SAP/Siemens Rn 11. ZB Kommission vom 7.11.2000 – COMP/ M.2172 – Babcock Borsig/MG Technologies/SAP Markets/ec4ec Rn 11; Kommission vom 25.4.2001 – COMP/M.2398 – Linde/ Jungheinrich Rn 10, 14; Kommission vom 25.10.2002 – COMP/M.2830 – Lufthansa Cargo/Air France Finance/British Airways/ Global Freight Exchange Rn 10. Kommission vom 2.10.2000 – COMP/ M.2138 – SAP/Siemens Rn 13. BKartA, B. vom 26.1.2001, B3-25130U-110/00 – Goodyear/Michelin Rn 25; BKartA, B vom 23.10.2000, B3-72303U-76/00 – BASF/Degussa-Hüls/Henkel/SAP Rn 24; BKartA, B vom 25.9.2000,
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
Entscheidung hat es einschränkender über die Abgrenzung eines Marktes für Regionalportale nachgedacht.533 Regelmäßig lässt das BKartA aber klare Aussagen zur Marktabgrenzung fehlen, da „die Dynamik in dieser frühen Phase der Entwicklung der Internetmärkte (…) noch keine festen Konturen der sich künftig herauskristallisierenden sachlichen Märkte erkennen“ lässt.534
243
c) Märkte für Internetinhalte. Von den Internetzugangsmärkten und den Märkten für elektronische Marktplätze ist der Markt für Inhalte und Informationen, die über das Internet verbreitet werden, zu unterscheiden. Dieser Markt umfasst nach Auffassung der Kommission den Markt für Internetwerbung 535, den Markt für Internetportale 536, den Markt für die Herstellung von Websites 537 sowie den Markt für Breitbandinhalte 538 und den Markt für Online-Computer-Spiele 539. Nicht anerkannt wurden hingegen ein Markt für Suchmaschinen 540 und ein Markt für Gateways 541 unter Verweis auf die Unentgeltlichkeit der entsprechenden Dienste. Im Markt für Internetwerbung konkurrieren Anbieter von Informationsinhalten im 244 Internet um Werbeeinnahmen. Die Eigenständigkeit dieses Marktes wurde zum Teil in Frage gestellt. Internetwerbung sei in einen umfassenden Werbemarkt von Werbung in Zeitungen, Fernsehen und Hörfunk usw. einbeziehen. Dies sah die Kommission jedoch lediglich als Nachweis dafür, dass Produzenten ihre Produkte über mehrere Marketingkanäle bewerben. Eine Austauschbarkeit dieser Kanäle sei indes nicht gegeben.542 In der Entscheidung Vodafone/Vivendi/Canal Plus begründete die Kommission erst245 mals einen separaten Markt für Internetportale. Dabei ist zwischen vertikalen Portalen und horizontalen Portalen zu unterscheiden. Vertikale Portale sind Portale, die sich mit Inhalten aus einem speziellen Bereich an bestimmte Arten von Nutzer richten (zB Portale, die sich auf Sportangebote beschränken).543 Im Gegensatz dazu umfassen horizontale Portale ein breit gefächertes Angebot, welches sich auf Homepages, E-Mails oder Internet-Shopping 544 erstreckt. Ihre Dienste können nicht nur über den PC, sondern auch über Mobiltelefone und digitale Sep-Top-Boxen abgerufen werden. Ob der Markt für horizontale Portale weiter zu segmentieren ist, hat die Kommission offen gelassen.545 Bei Abgrenzung des Marktes für die Herstellung von Websites ging die Kommission 246 davon aus, dass diese Dienstleistung sowohl künstlerische als auch technische Fähig-
533
534
535 536 537
B5-34100-U-40/00 – DaimlerChrysler/ Ford/General Motors, 11–14; BKartA, B vom 29.6.2001, B5-51522-U-24/01 – Arbed/Corus/ThyssenKrupp/Usinor, 13–17. BKartA, B vom 27.2.2002, B6-136/01 – Gruner + Jahr/Bankgesellschaft Berlin ua Rn 13, 14. BKartA, B vom 25.9.2000, B5-34100-U40/00 – DaimlerChrysler/Ford/General Motors, 15; BKartA, B vom 29.6.2001, B5-51522-U-24/01 – Arbed/Corus/ThyssenKrupp/Usinor, 19. Kommission vom 13.10.1999 – IV/M.1439 – Telia/Telenor Rn 107. Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 47 ff. Kommission vom 27.5.1998 – IV/JV.1 – Telia/Telenor/Schibsted Rn 16.
1174
538 539 540
541 542 543 544 545
Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 35. Kommission vom 5.5.1999 – IV/JV.16 – Bertelsmann/Viag/Gamechannel Rn 7. Kommission vom 28.9.1998 – IV/JV.8 – Deutsche Telekom/Springer/Holtzbrink/ Infoseek/Webseek Rn 11; dazu umfassend Ott MMR 2006, 195, 196–199. Kommission vom 27.5.1998 – IV/JV.1– Telia/Telenor/Schibsted Rn 14. Kommission vom 13.10.1999 – IV/M.1439 – Telia/Telenor Rn 107. Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 50. Vgl dazu auch die Abgrenzung von Märkten für B2B-Marktplätze Rn 253. Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 51 ff.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
keiten voraussetzt. Dabei sei eine so weitreichende Spezialisierung des Anbieters erforderlich, dass die Einstufung als eigenständigen Markt gerechtfertigt sei.546 Den Markt für über das Internet verbreitete Breitbandinhalte (wie zB Filme oder TV- 247 Programme) grenzte die Kommission in der Entscheidung AOL/TimeWarner von dem Markt für die Verbreitung entsprechender Inhalte über die herkömmlichen Rundfunkkanäle ab. Dabei verglich sie die Anbieter von Breitbandinhalten über das Internet mit einem Supermarktbetreiber, der ein breites Angebot sich gegenseitig ergänzender Produkte aufweisen kann. Ein entsprechendes Angebot sei über den traditionellen Rundfunk nicht denkbar.547 Ein Markt für Online-Computer-Spiele kommt nach Auffassung der Kommission in 248 Betracht, soweit die Spielmöglichkeiten für den Nutzer nicht unentgeltlich sind. Zu klären ist sodann, inwieweit ein solcher Markt auch das Angebot von Offline-Spielen umfasst. Ferner ist das Verhältnis zum Markt für Internet-Breitbandinhalte zu bestimmen. Bislang hat die Kommission diese Fragen nur aufgeworfen, jedoch im konkreten Fall offen lassen können.548 Die Entscheidungspraxis der Kommission kann durchaus als konsistent eingestuft 249 werden. Ob sie jedoch den neueren Entwicklungen standhalten wird, darf angezweifelt werden. Da immer mehr Internet-Angebote über Werbung finanziert werden und insofern kein besonderes Entgelt vom einzelnen Nutzer verlangt wird, könnte zukünftig das Kriterium der Unentgeltlichkeit im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung zu hinterfragen sein. Bei der Abgrenzung von Märkten für Breitbandinhalte muss zudem der Konvergenzentwicklung im Bereich der Telekommunikation und des Rundfunks Rechnung getragen werden.549 2. Räumliche Marktabgrenzung Neben den Herausforderungen für die sachliche Marktabgrenzung stellt die A-Terri- 250 torialität des Internets die unveränderte Anwendung der Methoden räumlicher Marktabgrenzung vor neue Herausforderungen. Geklärt ist inzwischen, dass das Internet gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben nicht vollständig von einem territorialen Bezug löst.550 Das Internet kann Anbieter und Nachfrager aus geographisch bedingten Hemmnissen des Produktabsatzes wie notwendigen Transport- und Logistiksystemen, räumlich beschränkte Absatzgebiete von Werbemittlern wie Fernsehen oder Zeitungen oder von rechtlicher und steuerlicher Regulierung lösen. Anbieter und Nachfrager bleiben zwar trotz Internet den physischen Orten verbunden, von denen aus sie ins Internet gehen können. Der Raum aber, in dem sie die jeweilige Marktgegenseite finden, vergrößert sich und ist im extremen Fall global.551 Diese Auflösung regionaler und nationalstaatlicher Begrenzungen von Kommunikation und Güteraustausch macht es erforderlich, die Kriterien für eine Abgrenzung geographischer Märkte im internetbasierten Geschäft zu bestimmen. Die Kommission hat den räumlich relevanten Markt im Bereich der elektronischen Kommunikation bisher anhand von zwei wesentlichen Kriterien bestimmt: dem von einem Netz erfassten Gebiet und den dort bestehenden Rechts- und 546 547 548
Kommission vom 27.5.1998 – IV/JV.1 – Telia/Telenor/Schibsted Rn 16. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 35. Kommission vom 5.5.1999 – IV/JV.16 – Bertelsmann/Viag/Gamechannel Rn 7.
549 550 551
Zur Marktabgrenzung in disen Bereichen vgl oben Rn 124–132. Rötzer 90. Lange BB 2002, 561; Wirtz/Mathieu WISU 2001, 825, 826.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
anderen Verwaltungsinstrumenten.552 Diese Kriterien spiegeln sich in der Entscheidungspraxis zu den räumlichen Märkten von den Internetzugangsmärkten, den B2B-Plattformen und den Internetinhaltsmärkten wider.
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a) Internetzugangsmärkte. Beim Internetzugang wurde der räumliche Markt durch die Kommission entsprechend der nationalen Ausrichtung der Internetzugang anbietenden Telekommunikationsunternehmen im Wesentlichen national abgegrenzt.553 Diese räumliche Marktabgrenzung beim Internetzugang ist nicht verallgemeinerungsfähig für andere Internetdienste. Beim Internetzugang ist zunächst für die herkömmliche stationäre Variante zwingend eine physische Präsenz des Zugangspunktes erforderlich. Hierdurch fehlt dem Geschäft für Internetzugang bereits im Ansatz der virtuelle Charakter; er ist mit Telekommunikations- und sonstigen Netzzugangsmärkten vergleichbar. Selbst bei der im Vordringen befindlichen Variante des drahtlosen Internetzugangs (vor allem über WLAN) benötigt der Nutzer eine Verbindung zu terrestrisch verlegten Netzen. Damit ist er immer auf ein physisch vorhandenes Netz angewiesen und auf die Dienste des Netzbetreibers. Aus diesem Grund ist es angebracht, den Markt räumlich auf die weitgehend noch immer nur im Rahmen nationaler Grenzen und nationalem Wettbewerb tätigen Netzbetreiber abzugrenzen. Etwas anderes ergibt sich jedoch beim Markt für die Bereitstellung von Top-Level252 Verbindungen. Dieser Markt hat durch große Unternehmen, die häufig auf internationaler Ebene tätig sind, eine internationale Prägung erhalten. Eine Erhöhung der Preise für den Zugang wirkt sich daher auf die Verbraucher auf der ganzen Welt aus. Demzufolge stufte die Kommission den Markt für die Bereitstellung von Top-Level-Verbindungen als globalen Markt ein.554
253
b) Märkte für B2B-Marktplätze. Mehrfach hatten Kommission und BKartA sich mit der räumlichen Marktabgrenzung von B2B-Plattformen zu befassen. Wesentlich uneinheitlicher als die Ausführungen zur sachlichen Marktabgrenzung fallen die Überlegungen der Wettbewerbsbehörden zur geographischen Marktabgrenzung aus. Bei einigen Entscheidungen – so zB in dem Covisint-Verfahren 555 – wird die Frage des räumlichen Markts überhaupt nicht behandelt. In MyAircraft nahm die Kommission einen weltweiten Markt für die gehandelten Güter aufgrund der Charakteristika des E-Commerce an.556 Offener grenzte die Kommission in Governet einen europaweiten Markt für IT-Dienstleistungen für e-commerce und die elektronische öffentliche Verwaltung ab und spekulierte weitergehend über eine regionale Marktabgrenzung angesichts regionaler Behörden und Behördensprachen.557 Andere marktbegrenzende Faktoren waren die Sprache des Marktplatzes,558 markterweiternd wirkte die Ausrichtung des Markts für die
552
553
Kommission, Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl 2002 Nr C 165/03 Rn 59. Kommission vom 13.10.1999 – IV/M.1439 – Telia/Telenor; Kommission vom 27.3.2000 – COMP/M.1838 – BT/Esat; Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/ Vivendi/Canal Plus Rn 34, 37; Kommission vom 16.7.2003 – COMP/38.233 – Wanadoo Interactive WuW 2005, 99, 99–101.
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558
Kommission vom 8.7.1998 – IV/M.1069 – WorldCom/MCI Rn 82. BKartA, B. vom 25.9.2000, B5-34100-U40/00 – DaimlerChrysler/Ford/General Motors. Kommission vom 4.8.2000 – COMP/ M.1969 – UTC/Honeywell/i2/MyAircraft. com Rn 14. Kommission vom 6.10.2000 – COMP/ M.2096 – Bayer/Deutsche Telekom/Infraserv Rn 14. Kommission vom 2.10.2000 – COMP/ M.2138 – SAP/Siemens Rn 16.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
gehandelten Güter.559 Für die Plattform Steel 24-7 vermutete sie angesichts der Reichweite des Internets einen zumindest EWR-weiten Markt, jedenfalls aber soweit wie die geographische Ausbreitung des Angebots.560 Bemerkenswert, allerdings bisher noch ohne Nachfolger war die Entscheidung des 254 BKartA zur räumlichen Marktbestimmung in dem BerlinOnline.de-Verfahren. Da die Nutzung dieses Portals nahezu ausschließlich in Berlin stattfinde, handele es sich um einen regionalen Markt.561 Dass auch für auswärtige Benutzer die Möglichkeit der Nutzung bestünde, sollte nach Einschätzung der Behörde wegen der tatsächlich nur begrenzten Nutzung der Angebote außerhalb Berlins keine besondere Rolle spielen. Eine „signifikant über Berlin hinausgehende oder gar bundesweite Geschäftstätigkeit des Unternehmens“ sei eindeutig zu verneinen. Das gelte auch für überregionale Werbekunden. Da eine Methode zur Ermittlung des überregionalen Geschäftstätigkeit einer Internetplattform fehlt, sind die Erwägungen des BKartA schon aus faktischer Sicht fragwürdig. c) Märkte für Internetinhalte. Den geographisch relevanten Markt für Internetwer- 255 bung hat die Kommission als zumindest national eingestuft. Aufgrund sprachlicher und kultureller Ähnlichkeiten (zB zwischen Norwegen und Schweden) sei jedoch eine andere Bewertung denkbar. Dies ließ die Kommission indes im konkreten Fall offen.562 Entsprechende Überlegungen hat die Kommission für den Markt für die Herstellung von Websites 563 und den Markt für Internetportale 564 angestellt. Einen weltweiten Markt hat die Kommission des Weiteren beim Markt für über das Internet angebotene Spiele abgelehnt. Im Allgemeinen würden für jedes Land spezielle Sprachversionen produziert, so dass die Existenz eines nationalen Marktes nahe läge.565 Vergleichbar damit ist die Situation beim Markt für Breitbandinhalte. Filme und TV-Programm sprächen üblicherweise ein nationales Publikum an. Die Kommission räumt allerdings ein, dass eine andere Beurteilung bei Dienstleistern möglich ist, die vornehmlich US-amerikanische Produktionen mit internationaler Ausrichtung über das Internet verbreiten. Derartige Produktionen seien in aller Regel zumindest in Europa sehr beliebt.566 Die soeben skizzierte Entscheidungspraxis der Kommission dürfte weitestgehend dem 256 aktuellen Stand der Entwicklung entsprechen. Klärungsbedürftig bleibt jedoch, inwiefern die Entfaltung des Web 2.0 – insbesondere im Bereich von Videoportalen – neue Ansätze bei der räumlichen Marktabgrenzung erforderlich macht. d) Spezifika der Marktabgrenzung im Internetbereich. Eine Unterscheidung für die 257 räumliche Marktabgrenzung kann zwischen direkt im Internet verfügbaren Produkten („Online-Produkte“) und solchen zwar im Internet erwerbbaren, aber nur physisch lieferbaren Produkten („hybride Produkte“) gemacht werden. Hybride Produkte erfordern aufgrund ihrer physischen Existenz eine Lieferung – bei Waren – oder Erbringung – 559
560
561
Kommission vom 7.11.2000 – COMP/ M.2172 – Babcock Borsig/MG Technologies/SAP Markets/ec4ec Rn 12; Kommission vom 25.10.2002 – COMP/M.2830 – Lufthansa Cargo/Air France Finance/British Airways/Global Freight Exchange Rn 12. Kommission vom 16.2.2004 – COMP/ M.3334 – Arcelor/ThyssenKrupp/Steel 24-7 Rn 15, 16. BKartA, B. vom 27.2.2002, B6-136/01 – Gruner + Jahr/Bankgesellschaft Berlin ua Rn 16, 17.
562 563 564 565 566
Kommission vom 13.10.1999 – IV/ M.1439 – Telia/Telenor Rn 127. Kommission vom 27.5.1998 – IV/JV.1 – Telia/Telenor/Schibsted Rn 21. Kommission vom 20.7.2000 – COMP/JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 47 ff. Kommission vom 5.5.1999 – IV/JV.16 – Bertelsmann/Viag/Gamechannel Rn 10. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 36.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
bei Dienstleistungen – in der physischen Welt. Online-Produkte sind hingegen digitale oder digitalisierbare Waren (vor allem Software, Musik, Filme), deren Existenz internetgebunden ist. Für die Unterscheidung spricht, dass Online-Produkte technisch und auf niedriger Kostenbasis tatsächlich über Grenzen und globale Distanzen hinweg online geliefert werden können, während der Absatz hybrider Produkte angesichts der Notwendigkeit physischen Transports durch die oben genannten geographischen Hemmnisse gehindert werden kann. Ein weiterer Unterschied sind die besonders niedrigen variablen Kosten bei der Herstellung von Online-Produkten, die im Gegensatz zur Produktion hybrider Produkte den Markteintritt, aber auch den Marktaustritt erleichtern.567
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aa) Marktabgrenzungsfaktoren für Online-Produkte. Bei Online-Produkten besteht potentiell die Möglichkeit eines weltweiten Vertriebs, da angesichts des free flow of data keine geographischen, logistischen, rechtlichen oder steuerlichen Gesichtspunkte zu einer Beschränkung der räumlichen Absatzmärkte führen. Transportkosten spielen für den Vertrieb von Online-Produkten keine Rolle. Die Kommission hat in ihren Entscheidungen in Richtung eines weltweiten Marktes tendiert, diese Frage jedoch offen gelassen.568 Die Verfügbarkeit eines Online-Produkts kann dadurch beeinträchtigt werden, dass nationales Recht das Wahrnehmen von bestimmten Internetangeboten, vor allem das Abrufen bestimmter Sites im World Wide Web, verbietet.569 Führt ein staatliches Verbot trotz Umgehungsmöglichkeiten tatsächlich dazu, dass ein bestimmtes Online-Produkt in einem Gebiet keine Abnehmer finden kann, so ist der relevante Markt um das betroffene Gebiet zu verkleinern. Sprachbarrieren 570 bestehen für mehrere Arten von Online-Produkten überhaupt 259 nicht (zB internationale Pop-Musik zum Download) bzw sind irrelevant (zB bei Weltsprachen wie Englisch oder Spanisch). Sprachbarrieren als Ansatzpunkt für die Abgrenzung besonderer räumlicher Märkte für Online-Produkte und Websites lassen sich daher nur für räumlich zentrierte Sprachen wie Chinesisch, Russisch oder Deutsch rechtfertigen. Die Ausrichtung von Online-Angeboten auf bestimmte geographische Kundenvorlieben und -gebräuche (customizing) ändert jedoch nichts an dem Ansatz der grds globalen Märkte für Online-Produkte.
260
bb) Marktabgrenzungsfaktoren für hybride Produkte. Die potentiell weltweite Nachfrageransprache in der Internetökonomie führt nicht zu globalen Märkten für hybride Produkte. Bei Konsumgütern kommt es häufig auf eine räumliche Nähe zwischen Anbieter und Nachfrager wegen schneller Lieferzeiten und niedriger Lieferkosten auch bei Internetgeschäften an. Niedrigere Kosten der Waren im Ausland können den Nachfrager nicht dazu verleiten, dort über das Internet einzukaufen. Zusätzliche Lieferkosten können das eigentlich niedrigere Angebot wirtschaftlich unattraktiv machen. In vielen Fällen werden daher Märkte für hybride Produkte nicht über Staatengrenzen hinausgehen, teilweise sogar lokal oder regional begrenzt bleiben.
567 568
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Hoeren/Sieber/Picot/Neuburger Teil 2 Rn 53 f; Zerdick 165 f. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 27; Kommission vom 20.7.2000 – COMP/ JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus Rn 33. Ott 219; insgesamt gibt es solche Beschrän-
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570
kungen in mehr als 20 Staaten, unter anderem in China, Iran, Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nelson Sprachenkluft bedroht Zugang zu Information, abrufbar unter: www2.swissinfo. org/sde/swissifo.html?siteSect=2105&sid= 4460821&cKey=1070267869000.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
3. Insbesondere: Markt für Online-Musik Die Musikindustrie war der Meinung, die Onlinebereitstellung von Musik und der 261 Vertrieb mittels physischer Tonträger stellten lediglich zwei Vertriebsmethoden für ein und dasselbe Produkt dar, weshalb kein eigener Markt für Online-Musik bestehen könne.571 Dem ist jedoch mit der Kommission entgegenzuhalten, dass sowohl aus Nachfrager-, als auch aus Anbietersicht sachliche Unterschiede zwischen den Vertriebsformen für getrennte sachliche Märkte für Online- und Offline-Musik sprechen.572 Der Kauf von Online-Musik, bspw beim derzeitigen Marktführer iTunes 573, ist für den Nutzer bequemer als der physische Einkauf. Ferner können beim Onlinekauf einzelne Songs auswählt werden, während in Tonträgerform meist nur ganze Alben angeboten werden. Aus Anbietersicht erfordert der Onlinevertrieb völlig andere strukturelle Voraussetzungen als der physische Vertrieb.574 Der demnach eigenständige Online-Musikmarkt umfasst nach Ansicht der Kommission zwei Submärkte: den Markt für die Vergabe von GroßhandelsLizenzen zum Vertrieb von Online-Musik sowie den Markt für den Online-Vertrieb an den Endnutzer.575 Die räumliche Marktabgrenzung im Bereich der Online-Musik ist schwieriger zu be- 262 werkstelligen. Auf den ersten Blick spricht die weltweite Verfügbarkeit über das Internet für internationale Märkte.576 Die Märkte für Lizenzen zum Vertrieb von Online-Musik (Großhandel) sind indes streng national abgegrenzt. Die Preise für die Lizenzen differieren je nach Zielnation. Den Online-Musikanbietern als Lizenznehmern werden territoriale Beschränkungen auferlegt,577 zB dürfen sie die Musikstücke nur an Inländer verteilen.578 Als Folge der Territorialisierung im Lizenzgeschäft sind auch die nachgeordneten Märkte für den Online-Vertrieb der Musik an Endnutzer national unterteilt.579
III. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Internetbereich Wettbewerbschränkende Vereinbarungen im Internetbereich unterliegen denselben 263 Regeln wie wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im klassischen Medienkartellrecht.580 Aufgrund der wirtschaftlichen Besonderheiten der Internetökonomie haben 571
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573 574 575 576 577 578
Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 21 – Sony/BMG; dazu auch oben Rn 119, 120. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 23 – Sony/BMG; so bereits Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 18 ff; Kommission vom 20.07.2000 – COMP/ JV.48 – Vodafone/Vivendi/Canal Plus. Vgl www.heise.de/newsticker/meldung/ 93620. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 23 – Sony/BMG. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 24 – Sony/BMG. So noch Kommission COMP/M.1845 – AOL/Time Warner. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 30 – Sony/BMG. Diese Praxis geriet im Falle des Online-
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Musikangebotes iTunes von Apple in das Fadenkreuz der EU-Kommission. Über iTunes können die Internetnutzer Musikdateien nur von der jeweiligen nationalen Homepage erwerben, wobei das Musikangebot und die Preise von Land zu Land differieren. Seit April 2007 untersucht die Kommission, ob die Territorialisierung des Online-Musikangebotes von iTunes gegen Art 81 EG verstößt. S COMP 39.154 – iTunes, Pressemitteilung der Kommission vom 3.4.2007, vgl auch MEMO/07/126. Das Verfahren wurde mittlerweile nach Preiszugeständnissen seitens Apple eingestellt, Pressemitteilung der Kommission vom 9.1.2008, 18/08/22. Kommission vom 19.7.2004, COMP/ M.3333, Rn 33 – Sony/BMG. S dazu oben Rn 134 ff.
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3. Teil
jedoch bestimmte Vorschriften – wie auch die Vertikal- und TT-GVO – 581 eine besondere Relevanz. Im Bereich des Internetvertriebs ist vor allem Art 4 lit b GVO-Vertikal 582 zu beach264 ten. Danach sind Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises, in das oder an den der Käufer die Produkte des Lieferanten verkaufen darf, grds unzulässig. Eine Ausnahme sieht Art 4 lit b 1. Spiegelstrich GVO-Vertikal vor. So ist die Beschränkung des aktiven Verkaufs in Gebieten oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Käufer zugewiesen hat, zulässig, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Käufers nicht begrenzt werden. Beschränkungen des passiven Verkaufs hingegen sind in jedem Falle unzulässig.583 Unter aktivem Verkauf sind Verkäufe zu verstehen, die auf entsprechende Bemühungen des Verkäufers zurückzuführen sind, sei es durch allgemeine Werbemaßnahmen oder durch direkte Kundenansprache. Bei einem passiven Verkauf ist im Gegensatz dazu der Verkauf auf die Aktivität des Kunden zurückzuführen, der von sich aus den Verkäufer aufsucht oder anspricht (sog Komm-Kunde).584 In den Leitlinien für vertikale Beschränkungen stuft die Kommission Internetwerbung und -verkauf grds als passiven Verkauf ein, im Hinblick darauf, dass sich die potentiellen Kunden eigeninitiativ in das Netz einwählen und die Website auffinden müssen.585 Lediglich das gezielte Ansprechen des Kunden per E-Mail ist ihrer Auffassung nach als aktiver Verkauf zu sehen.586 Ähnliches kann bei der Einrichtung von Werbebannern und Metatags gelten. Ungeachtet dessen darf der Lieferant beim Internetvertrieb seiner Produkte durch den 265 Käufer generell Qualitätsanforderungen an dessen Internetauftritt stellen. Dies kann insbesondere für den selektiven Vertrieb (Art 1 lit d Vertikal-GVO) bedeutsam sein.587 Ferner kann der Lieferant nach Ansicht des BGH im Rahmen des selektiven Vertriebs den Käufer vertraglich verpflichten, neben dem Internetverkauf auch einen stationären Vertrieb zu betreiben, ohne dass eine solche Vereinbarung unter Art 4 lit. c Vertikal-GVO fiele.588 Auch hinsichtlich der Beurteilung der Marktanteilsschwelle iSv Art 3 VertikalGVO kann der Bereich der Internetökonomie Probleme aufwerfen. Hierzu ist eine Abgrenzung der Märkte erforderlich, für welche internetspezifisch keine speziellen Regeln vorhanden sind.589
581 582 583 584
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S zu den GVOs oben Rn 37. S näher dazu oben 37. Schultze/Pautke/Wagener Rn 566. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 4 Vertikal-GVO Rn 12; Pautke/Schultze BB 2001, 320; Martinek/Semler/Habermeier/Rinne § 29 Rn 54. Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl 2000 Nr C 291/1 Rn 50 f; vgl auch Bechtold/Bosch/Brinker/ Hirsbrunner Art 4 Vertikal-GVO Rn 12. Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (S oben Fn 79) Rn 51; zust Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Baron
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589
Bd I, GVO-Vertikal, Art 4 Rn 191. Der Kommission gegenüber krit Schultze/ Pautke/Wagener Rn 536 ff; der BGH WRP 2004, 374, 376 – Depotkosmetik im Internet, hat die Streitfrage offen gelassen. Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (s oben Fn 79) Rn 51. BGH WRP 2004, 374, 376 – Depotkosmetik im Internet; zur Kritik im Schrifttum vgl Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Baron Bd I, GVO-Vertikal, Art 4 Rn 195, 214. Speziell zur Marktabgrenzung in der Internetökonomie s oben Rn 229 ff.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
IV. Fusionskontrolle Bisher von nur geringer Bedeutung ist die Fusionskontrolle im Internetbereich mit 266 Ausnahme der Bildung von B2B-Marktplätzen. Existenzgründer haben die Märkte bestimmt. Aber die Entwicklung der letzten beiden Jahre, in denen große Unternehmen der Internetunternehmen durch externes Wachstum ihre Position im Markt für die Zukunft verbessern wollten – zB Googles Übernahme von YouTube oder Doubleclick, Microsofts Beteiligung an Facebook und Interesse an Yahoo – scheinen für eine Trendwende zu sprechen. 1. B2B-Marktplätze Der Betrieb von oder die Teilnahme an elektronischen B2B-Handelsplattformen kann im europäischen und deutschen Kartellrecht unter verschiedenen Aspekten Probleme aufwerfen. Die Gründung eines elektronischen Marktplatzes und der Zusammenschluss bestehender elektronischer Marktplätze unterliegen unter bestimmten Voraussetzungen der Fusionskontrolle auf EU-Ebene durch die FKVO. Tatsächlich beruhten die meisten kartellrechtlichen Entscheidungen der Kommission zu B2B-Plattformen auf einer Analyse nach der FKVO.590 Das für die Anwendbarkeit der FKVO maßgebliche Erfordernis eines Zusammenschlusses mit gemeinschaftsweiter Bedeutung (Art 1 Abs 1 FKVO) ist bei der Fusion bestehender elektronischer Marktplätze unproblematisch zu bejahen. Die Neugründung eines B2B-Marktplatzes fällt in der Regel ebenfalls unter den Begriff des Zusammenschlusses, und zwar als „Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt“, Art 3 Abs 4 FKVO.591 Ob eine gemeinschaftsweite Bedeutung vorliegt, hängt gem Art 1 Abs 2, 3 FKVO von der Überschreitung bestimmter Umsatzschwellen ab. Sofern die Gründung eines oder der Zusammenschluss mehrerer B2B-Marktplätze einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung darstellen, wird die Handlung gem Art 2 FKVO auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt geprüft. Soweit die gemeinschaftsweite Bedeutung des Zusammenschlusses fehlt, ist nationales Kartellrecht der Mitgliedsstaaten zur Bewertung der Zulässigkeit heranzuziehen. So sind B2B-Plattformen mit rein deutschlandweiter Auswirkung unter den Zusammenschlussregeln des GWB (§§ 35 ff GWB) und dem Kartellverbot (§ 1 GWB) zu prüfen. Da sich inhaltlich keine wesentliche Abweichung zur europarechtlichen Bewertung der B2B-Plattformen ergibt, wird in der folgenden Darstellung lediglich das europäische Recht berücksichtigt. Zu beachten ist ferner, dass gem Art 2 Abs 4 FKVO parallel zur Fusionskontrolle die Gründung einer B2B-Plattform am Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EG gemessen werden kann. Die nachfolgenden Absätze, die mit Art 81 Abs 1 EG kollidierende Verhaltensweisen betreffen, könnten also bei der Gründung einer B2B-Plattform oder der Vereinigung bestehender Plattformen inzident zu prüfen sein.
267
268 269
270
a) Absprachen und Informationsaustausch. Sofern ein B2B-Marktplatz als Kommu- 271 nikationskanal dazu benutzt wird, klassische Kartellvereinbarungen wie Preisabsprachen oder Marktaufteilungen zu treffen, liegt in diesem Verhalten ohne Weiteres ein Verstoß 590 591 592
Lochen 61. Koenig/Kulenkampff/Kühling/Loetz/Smit 203 ff; Lochen 63 f. Ahlborn/Seeliger EuZW 2001, 552, 556; vgl
Emmerich § 5 Rn 5, 10 ff; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Wägenbaur Bd I, Art 81 EG Rn 204 ff, 288 ff.
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gegen Art 81 Abs 1 EG.592 Abseits dieser offensichtlichen Kartellrechtsverstöße könnte schon das Einstellen von sensiblen Informationen wie Preislisten, Vorratsmengen oder Produktionskapazitäten ins Internet mit dem Gebot des Geheimwettbewerbs 593 und dem Selbstständigkeitspostulat 594 in Konflikt geraten. Die Bedenken im Bereich der B2B-Plattformen beziehen sich auf die Möglichkeit für 272 Nutzer der Plattform, vertrauliche Informationen über Preise und Mengen auszutauschen oder in Erfahrung zu bringen. Diese Gefahr ist bei horizontalen Plattformen wegen der Branchenidentität der Nutzer offensichtlich. Bei vertikalen Plattformen begegnen sich Anbieter und Abnehmer. Aufgrund des Aufbaus des Systems und insbesondere der Offenheit, mit der die individuellen Daten anderer Teilnehmer behandelt werden, ist problematisch, dass durch die neue Qualität der Datenverarbeitung ein Ungleichgewicht zwischen den Marktteilnehmern entstehen kann. Dadurch können Teilnehmer von B2B-Marktplätzen den Markt besser einschätzen und zu ihren Gunsten steuern. Die Informationstransparenz von B2B-Plattformen unterfällt dem Kartellverbot, wenn eine Beeinträchtigung des von Art 81 EG geschützten Geheimwettbewerb gegeben ist.595 Prinzipiell sind diese Probleme dem Kartellrecht insbesondere durch die Marktinformationssysteme schon lange vertraut. Die Effekte dieser Marktinformationssysteme werden durch den Einsatz neuer Kommunikationstechnologien – wie das Internet – jedoch verstärkt. So kann der standardisierte Informationsaustausch über das Internet einerseits zu einer Erweiterung der räumlichen Märkte und damit zu einer Erhöhung der Wettbewerbsintensität führen, andererseits Kollusionspraktiken der Marktteilnehmer erleichtern. Grds besteht bei B2B-Plattformen die kartellrechtliche Gefahr, dass die technischen 273 Tools Informationsasymmetrien erlauben, die den Gründern der Plattform (evtl auch Stammkunden) Einblick in vertrauliche Informationen (zB Gebote) gewähren. Bereits der Verdacht, dass die Gründerunternehmen Einblick in die Kostenstruktur der Zulieferer bekommen, übt auf diese einen starken Preisdruck aus, so dass es im Ergebnis doch zu einer Bündelung von Marktmacht kommt.596 Der Geheimwettbewerb ist allerdings durch den Daten- und Informationsaustausch über Internet-Marktplätze nicht per se als gefährdet anzusehen. Eine solche Annahme würde verkennen, dass B2B-Marktplätze zu einer Stärkung des Wettbewerbs und des grenzüberschreitenden Handels beitragen können, wenn zB Marktzutrittsschranken sehr niedrig oder gar nicht vorhanden sind und die Markttransparenz für einen verbesserten Zugang zur Marktgegenseite sorgt. Ob eine derartige Beeinträchtigung des Geheimwettbewerbs bei B2B-Plattformen im Internet eintritt, hängt von der Beschaffenheit des konkreten Marktes und somit vom Einzelfall ab.597 Bei der Beurteilung der möglichen Folgen des Informationsaustausches für den Wettbewerb sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: Qualität und Ausmaß der preisgegebenen Informationen, Aktualität der ausgetauschten Informationen, Häufigkeit des Informationsaustausches, Zugänglichkeit der Informationen für weitere Unternehmen und Verwertbarkeit der Informationen für andere Marktteilnehmer. Bei B2B-Plattformen lässt sich die Gefahr eines Kartellverstoßes durch einen beschränkten Zugang derselben eindämmen.
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S zu diesem Problem in der Internetökonomie umfassend Meyer/Müller WuW 2007, 117. EuGH Slg 1975, 1663, 1965 – Suiker Unie. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 81 Rn 187; Gassner MMR 2001, 140, 142; Asschenfeldt MMR Beilage 9/2001, 5, 6;
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596 597
Koenig/Kulenkampff/Kühling/Loetz/Smit 243. BKartA, B vom 25.9.2000, B5-34100U40/00 – Covisint, Abschnitt C II 1. EuGH Slg 1998, II 1048 ff; Bechtold/ Bosch/Brinker/Hirsbrunner Art 81 Rn 188; Emmerich § 20 Rn 64 ff.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
b) Bündelung von Angebots- oder Nachfragemacht. Über B2B-Plattformen im Internet können räumlich weit verstreute Unternehmen sehr viel leichter potentielle Partner für Einkaufs- oder Verkaufsgemeinschaften finden. Mit dieser Möglichkeit geht die Gefahr einher, dass sich Einkaufs- oder Verkaufskooperationen bilden, die einen unangemessenen wirtschaftlichen Druck ausüben oder zu wettbewerbswidrigen Zwecken gegründet werden. Die über B2B-Marktplätze entstehenden Nachfrage- oder Angebotsbündelungen könnten einerseits gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen gem Art 81 Abs 1 EG, andererseits gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gem Art 82 Abs 1 EG verstoßen. Eine Einkaufsgemeinschaft verstößt jedenfalls dann gegen das Kartellverbot aus Art 81 Abs 1 EG, wenn zwischen den Teilnehmern einer Einkaufsgemeinschaft ein Bezugszwang vereinbart wird.598 Die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit der an der Vereinbarung Beteiligten wird insofern in wettbewerbsbeschränkender Weise beeinträchtigt. Sofern kein Bezugszwang vereinbart wird, misst die Kommission die Einkaufsgemeinschaften an einem ausdifferenzierten Beurteilungskonzept, dass sie in Rn 115 ff der Leitlinien der EG zur Anwendbarkeit von Art 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit 599 niedergelegt hat.600 Sofern ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegt, hängt die Vereinbarkeit der Nachfragebündelung vor allem von der Marktmacht der Beteiligten auf dem relevanten Nachfragemarkt ab. In der Praxis haben die Gründungsunternehmen von B2B-Marktplätzen die möglichen Bedenken der Kommission gegen zu erwartende Einkaufskooperationen dadurch zerstreut, dass sie Gruppeneinkäufe von vornherein ausgeschlossen haben, so bspw die Gründer der Marktplätze Covisint, Eutilia und Endorsia.601 Sofern ein Kartellrechtsverstoß nach Art 81 Abs 1 EG bejaht werden muss, kommt eine Freistellung durch eine Gruppenfreistellungsverordnung oder durch eine Legalausnahme im Einzelfall gem Art 81 Abs 3 EG in Betracht. Das BKartA wendet bei B2B-Plattformen dieselben Regeln wie für herkömmliche Einkaufsgemeinschaften an.602
274
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2. Fallbeispiel: AOL/Time Warner Nach umfassender Prüfung gab die Kommission den Zusammenschluss des weltweit 278 größten Anbieters von Online-Diensten AOL mit einem der weltweit größten Medien- und Unterhaltungskonzerne, Time Warner, unter Auflagen frei. Zu berücksichtigen hatte die Kommission dabei insbesondere die strukturelle Verbindung von AOL mit dem Konkurrenten von Time Warner, Bertelsmann. Die Kommission betrachtete zunächst den Markt für den Download von Online- 279 Musik.603 Hier erwartete sie eine marktbeherrschende Stellung von AOL/TimeWarner. So habe AOL/Time Warner zusammen mit Bertelsmann nicht nur bis 40 % der Musikverlagsrechte inne. In Verbindung mit dem Know-How und der Kundschaft von AOL im Internetbereich sei das zusammengeschlossene Unternehmen in der Lage, einen proprietären technischen Standard 604 für die Verbreitung von Musik über das Internet 598 599 600 601 602
Lochen 121. S oben Fn 79. Dazu ausführl Lochen 122. Lochen 123. BKartA, Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Entwicklung auf
603 604
seinem Aufgabengebiet; BT-Drucks 14/6300, 48. Zu den Marktabgrenzungsfragen der Entscheidung vgl schon oben Rn 261. Zur Standardisierung im Allgemeinen vgl Rn 312 ff.
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durchzusetzen. Mit Hilfe dieses Standards sei AOL/Time Warner in der Lage, den gesamten Markt für die Online-Verbreitung von Musik zu kontrollieren. Kein anderes Unternehmen sei derart vertikal integriert, so dass kein wirksamer Wettbewerb entgegensetzt werden könnte.605 Eine marktbeherrschende Stellung prognostizierte die Kommission darüber hinaus 280 auf dem Markt für Musikabspiel-Software. AOL/Time Warner habe das Potential, einen proprietären technischen Standard für das Abspielen der eigenen Musikinhalte und der Musikinhalte von Bertelsmann zu entwickeln, welcher nur von Winamp entschlüsselt werden könnte. Könne Winamp als einziges Programm sämtliche Abspielformate lesen, könne es ungeachtet seiner derzeit geringen Marktanteile von bis zu 20 % in kurzer Zeit zum weltweit populärsten Musik-Player aufsteigen.606 Bedenken hatte die Kommission des Weiteren auf dem Markt für Internetzugangs281 dienste. AOL/Time Warner könne durch die Verbreitung des eigenen Musikbestands und des Musikbestands von Bertelsmann ausschließlich über den eigenen Internetzugangsdienst eine Vielzahl neuer Kunden gewinnen und sich auf diese Weise zum marktbeherrschenden Unternehmen entwickeln. Zur Verdeutlichung entwickelte die Kommission das Bild des walled garden. Dementsprechend gewänne die Mehrheit der Internetnutzer den Eindruck, dass über die Internetdienste von AOL/Time Warner praktisch alles zu finden sei, ohne dass ein Rückgriff auf andere Internetdienste erforderlich sei.607 Infolgedessen genehmigte die Kommission den Zusammenschluss von AOL und Time 282 Warner nur unter der Auflage, dass Bertelsmann nach und nach die strukturelle Verbindung mit AOL beende.608 3. Fallbeispiel: Bild.de/T-Online
283
2002 prüfte das BKartA den Zusammenschluss von Bild.de und T-Online als Gemeinschaftsunternehmen. Das Gemeinschaftsunternehmen sollte ein Entertainment- und News-Portal betreiben. Das BKartA rückte die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Märkte für Internetzugangsdienste, für kostenpflichtige Inhalte im Internet und für Micro-Payment in sein Blickfeld. Auf dem nationalen Markt für Internetzugangsdienste bestand aus Sicht des BKartA zwar bereits eine marktbeherrschende Stellung von T-Online. Unter drei Auflagen werde diese Stellung allerdings nicht durch den Zusammenschluss verstärkt. So habe sich Bild.de/T-Online im Gesellschaftsvertrag verpflichtet, den Internetzugang von T-Online nur zu bewerben, nicht jedoch zu vermarkten. Des Weiteren sei geregelt, dass der Zugang zu kostenpflichtigen Inhalten auch über andere Internetzugangsanbieter gewährleistet sei. Schließlich dürfe keine ausschließliche Abrechnung kostenpflichtiger Inhalte über T-Online erfolgen.609 Nach Ansicht des BKartA befand sich des Weiteren der Markt für kostenpflichtige 284 Inhalte im Internet noch in der Entwicklungsphase. Es sei gäbe jedoch eine Vielzahl zum Teil ressourcenstarker Wettbewerber. T-Online garantiere seinen Nutzern die Möglichkeit, Inhalte dieser Wettbewerber abzurufen und schaffe somit kein geschlossenes System (walled garden 610). Mitunter stelle die Verpflichtung von Bild.de/T-Online, nicht aus605 606 607
Kommission vom 11.10. 000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 46 ff. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 60 ff. Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 66 ff.
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Kommission vom 11.10.2000 – COMP/ M.1845 – AOL/Time Warner Rn 95. BKartA, B vom 7.3.2002 – B6-144/01 – Bild.de/T-Online Rn 23 ff. S dazu schon das Fallbeispiel AOL/TimeWarner.
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schließlich über T-Online abzurechnen, sicher, dass eine potentielle marktbeherrschende Stellung von T-Online auf dem Markt für Micro-Payment zumindest nicht verstärkt werde. Unter den soeben aufgeführten Auflagen genehmigte das BKartA mithin den Zusam- 285 menschluss von Bild.de und T-Online. 4. Fallbeispiel: Adobe/Macromedia Im Jahre 2005 entschied das BKartA über den Zusammenschluss der US-amerikanischen Softwareunternehmen Adobe und Macromedia. Die deutsche Wettbewerbsbehörde prüfte dabei die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung von Adobe/Macromedia auf den sachlich relevanten Märkten für Webdesign-, Bildbearbeitungs- und Vektorgrafiksoftware. In geographischer Hinsicht ging das BKartA von weltweiten Märkten aus, wobei es die Reichweite des Marktes für Vektorgrafiksoftware aufgrund der sich zwischen europäischer und globaler Betrachtung ergebenen signifikanten Marktanteilsunterschiede offen ließ.611 Auf dem Markt für Webdesign-Software erfüllten die Marktanteile von Adobe/ Macromedia und dem Marktführer Microsoft die Vermutung einer kollektiven Marktbeherrschung nach § 19 Abs 3 S 2 Nr 1 GWB. Jedoch war nach Ansicht des BKartA auch der in den Marktanteilen nicht abgebildete Wettbewerb durch Open Source Software zu berücksichtigen. Ferner sprächen marktstrukturelle Gründe, nämlich die hohe Entwicklungsdynamik im Bereich der Web-Techniken und der damit verbundene Innovations- und Wettbewerbsdruck für die etablierten Anbieter von Webdesign-Software, gegen eine kollektive Marktbeherrschung.612 Auch auf dem Markt für Bildbearbeitungssoftware läge zwar formell eine marktbeherrschende Stellung von Adobe wegen eines Marktanteils von bis zu 70 % nahe. Dieser Marktanteil werde durch den Zusammenschluss mit Macromedia geringfügig ergänzt. In marktstruktureller Hinsicht relativiere jedoch zum einen der hohe Innovationsdruck den hohen Marktanteil. Zum anderen sei Wettbewerb zukünftig nicht nur durch Open Source Software, sondern auch aufgrund des möglichen Markteintritts von Microsoft zu erwarten. Zudem sei der potentielle Wettbewerb von Seiten der Hersteller von Videobearbeitungsprogrammen und sonstiger verwandter Software zu berücksichtigen.613 Auf dem Markt für Vektorgrafiksoftware sei ebenfalls keine beherrschende Stellung zu erwarten. Dabei verwies das Kartellamt vor allem auf die unterschiedliche weltweite Marktanteilsverteilung. Stelle man auf einen weltweiten Markt ab, sei Adobe/Macromedia führend. Ein umgekehrtes Bild ergebe sich indessen bei Betrachtung des europäischen und nationalen Marktes. Berücksichtige man nunmehr den Innovationsdruck und Wettbewerbsdruck – insbesondere den potentiellen Wettbewerb durch den geplanten Markteintritt von Microsoft – auf dem Markt für Vektorgrafiksoftware, so könne kein unbeschränkter Verhaltensspielraum und damit keine marktbeherrschende Stellung von Adobe/Macromedia angenommen werden.614 Angesichts dieser Erwägungen erteilte das BKartA den Zusammenschluss von Adobe und Macromedia die Freigabe.
611 612
BKartA, B vom 23.12.2005 – B7-162/05 – Adobe/Macromedia, Rn 18 ff. BKartA, B vom 23.12.2005 – B7-162/05 – Adobe/Macromedia, Rn 39 ff.
613 614
BKartA, B vom 23.12.2005 – B7-162/05 – Adobe/Macromedia, Rn 47 ff. BKartA, B vom 23.12.2005 – B7-162/05 – Adobe/Macromedia, Rn 64 ff.
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V. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 291
Erhebliche Bedeutung für die Internetökonomie hat die Missbrauchsaufsicht (Art 82 EG, §§ 19, 20 GWB). Aufgrund der oben geschilderten ökonomischen Besonderheiten 615 tendieren die Internetmärkte zu monopolistischen Strukturen. Die durch Netz- und Lock-In-Effekte gestärkte Marktmacht der Internetunternehmen kann im Vergleich zu traditionellen Produktmärkten zur Abschottung von Märkten genutzt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die eine Marktbeherrschung absichernde Wirkung von IP-Rechten für Technologien und Standards zu berücksichtigen. 1. Beispiel Preismissbrauch: Entgelte für Telekommunikationsdienstleistungen
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Die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages sind neben der sektorspezifischen Telekommunikationsregulierung anwendbar. Auch das nationale Wettbewerbsrecht bleibt anwendbar, soweit die speziellen Vorschriften (wie bspw das deutsche TKG) keine abschließenden Regelungen enthalten und die nationalen Behörden keine entgegenstehenden Entscheidungen treffen (vgl § 2 Abs 3 TKG). Die Kommission hat auf dieser Grundlage mehrere Verfahren gegen Telekommunikationsunternehmen wegen Preismissbrauchs gem Art 82 lit a EG geführt.616 293 Ständiges Streitthema und Gegenstand mehrerer Kommissionsentscheidungen sind die Entgelte für Mobilfunkroaming.617 Nachdem die Kommission 2004 und 2005 Preismissbrauchs-Verfahren gegen die größten Mobilfunkbetreiber im Vereinigten Königreich (MMO und Vodafone) 618 und in Deutschland (T-Mobile und O2) 619 geführt hatte, stimmte das Europäische Parlament am 7. Juni 2007 dem Kommissionsentwurf 620 für eine Verordnung zur Regulierung der Roaming-Entgelte im Mobilfunk zu. Mit Wirkung dieser Verordnung werden Streitigkeiten über die Höhe der Roaming-Entgelte der Vergangenheit angehören. Bis zum 30. Juli 2007 müssen die Telekommunikationsunternehmen ihre Entgelte entsprechend gesenkt haben. 294 Als Preismissbrauch sieht die Kommission auch einen „zweifachen Preisdruck“ (margin squeeze) an. Auf Grundlage von Art 82 EGV hat die Kommission ein förmliches Verfahren gegen das spanische Telekommunikationsunternehmen Telefónica eingeleitet, weil bei deren Preisgestaltung für den Breitbandzugang die Spanne zwischen den von Wettbewerbern verlangten Großkundentarifen und den von Verbrauchern zu zahlenden Endkundenpreisen nicht die Kosten für die Erbringung der Internet-Endkundendienste deckt („Preis-Kosten-Schere“).621 Telefónica selbst wären bei Zahlung der verlangten Großkundentarife erhebliche Verluste entstanden. Potentielle Wettbewerber auf dem Markt 615 616
617
S dazu oben Rn 220–227. Säcker/Schröter/Klotz Anh II Rn 43; zu den einzelnen Verfahren Säcker/Schröter/Klotz Anh II Rn 44 ff; Schaub MMR 2000, 211, 213. S zum Verhältnis zwischen Kartell- und Telekommunikationsrecht allgemein Rn 83, 84. „Roaming“ ist die Weiterleitung eines Telekommunikationssignals von Netzbereichen eines Anbieters in Netzbereiche eines anderen Anbieters, so dass das Kommunikationsendgerät oder auch die Teilnehmeridentität in einem anderen Netzwerk (visited net-
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work) als dem Heimatnetzwerk (home network) verwendet werden kann. Presseerklärung der Kommission vom 26.7.2004, IP/04/994. Presseerklärung der Kommission vom 10.2.2005, IP/05/161; dazu Säcker/Schröter/ Klotz Anh II Rn 49. Kommissionsentwurf vom 12.7.2006, COM 2006/382. Kommission vom 22.2.2006 – MEMO/ 06/91; früher schon Entscheidung der Kommission vom 21.5.2003 gegen DTAG, COMP/37.451, Abl EG 2003 Nr L 263, 9.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
für Internet-Endkundendienste, die auf den Zugang zur Netzinfrastruktur von Telefónica angewiesen sind, hätten nur eine unzureichende Gewinnspanne erlösen können. Dieser zweifache Preisdruck wirkt sich daher als Marktzutrittsschranke aus. 2. Beispiel Kopplung: Microsoft Media-Player Die Kommission verhängte in einem Missbrauchsverfahren nach Art 82 EG ein Buß- 295 geld in Höhe von fast € 500 Mio gegen den Softwarehersteller Microsoft.622 Die Kommission prüfte die Kopplung der Medien-Abspielsoftware Windows Media Player an das PC-Betriebsystem Windows als Verstoß gegen Art 82 S 2 lit d EG.623 Befürchtet wurde eine Verlagerung der unstreitigen Marktmacht auf dem Markt für Client-PC-Betriebssysteme auf den Markt für Medien-Abspielsoftware, indem sich der Windows Media Player durch seine Verbindung mit dem Windows-Betriebssystem als Standard durchsetzt. Da der Windows Media Player auf Quellcodeebene im Betriebssystem integriert war, argumentierte Microsoft jedoch, dass technisch nur ein Produkt vorlag. Zudem sei der Media Player keine zusätzliche Leistung, da kein zusätzliches Entgelt gezahlt werden müsste, kein Zwang zur Nutzung und keine Sperre alternativer Abspiel-Software bestünde. Trotzdem ging die Kommission mit Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH 624 und auf das Angebot separater Medien-Abspiel-Software vom Vorliegen zweier getrennter Produkte aus.625 Für die Trennung der Produkte sprach die Sicht der Nachfrager; auf die technischen Umstände stellte die Kommission hingegen nicht ab. Eigenständige Produkte seien schon anzunehmen, soweit unabhängige Hersteller existieren. Durch die Kopplung erfolgte nach Auffassung der Kommission ein Ausschluss des Wettbewerbs. Der Windows Media Player würde durch das Ausnutzen des Vertriebssystems von 296 Windows unabhängig von seiner Qualität verbreitet. Die Wahlfreiheit des Nachfragers sei eingeschränkt, weil Windows nicht ohne Media Player erhältlich sei. Auch wenn kein klassischer Fall der Marktabschottung vorläge, könnten Wettbewerber nicht die gleiche Präsenz erreichen wie der Windows Media Player. Microsoft verwies darauf, dass die Nachfrager auf alternative Abspielsoftware ausweichen könnten. Von einer Abschottung könne nicht gesprochen werden, soweit die Kommission nicht eine neue Entscheidungspraxis begründen wolle. Nach Einschätzung der Kommission orientieren sich aber die Inhalteanbieter durch die hohe Verbreitung am Windows Media Player.626 Microsofts Argument, dass fast 80 % der im Frühjahr 2004 meistgefragtesten Websites auch Inhalte in konkurrierenden Real-Networks-Formaten an böten, überzeugte die Kommission nicht. Aus ihrer Sicht konnten die Vorteile eines Windows Media Player-Standards die Nachteile für den Wettbewerb nicht überwiegen.627 Daher stellte die Kommission einen Verstoß gegen Art 82 S 2 lit d fest und hat Microsoft aufgegeben, eine Windows-Version ohne integrierten Media-Player am Markt anzubieten.628 Diese Version ist inzwischen erhältlich; allerdings sollen die Absatzzahlen gering sein.629 622 623
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Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft. Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft; dazu Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, IV. Abschnitt Rn 62 f; Zimmerlich WRP 2004, 1260. EuGH Slg 1996, I-5951 – Tetra Pak II; Kommission vom 24.3.2004 – COMP/37.792 – Microsoft Rn 801 f. Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 825.
626 627 628 629
Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 944. Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 556–570. Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 970. Immenga/Mestmäcker/Heinemann EG Teil 1, 4. Aufl 2007, IV. Abschnitt Rn 63.
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3. Teil
3. Zugangsverweigerung zu wesentlichen Einrichtungen:
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Die Internetökonomie bietet in der europäischen Rechtsprechung ein weites Feld für die Anwendung der essential facility-Doktrin. Die Fälle IMS Health und Microsoft sind Gegenstände intensiver kartellrechtlicher, auch internationaler Diskussion. Diese Fälle zeigen zudem deutlich die Grenzen und Fehlentwicklungen innerhalb der essential facility-Doktrin auf.
a) Beispiel IMS Health. In IMS Health 630 knüpfte der EuGH an die Entscheidungen Magill und Bronner/Mediaprint 631 an. Das Unternehmen IMS Health erstellte in Datenbanken (§ 87a UrhG) Marktberichte über den Absatz von Arzneimitteln und Gesundheitserzeugnissen und benutzte zur Einteilung der geographischen Absatzgebiete eine spezielle Bausteinstruktur, die es vor allem aus öffentlich zugänglichen Daten und in Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie erarbeitet hatte. Die Bausteinstruktur der Datenbank von IMS Health wurde auf dem Markt für Berichte über den Absatz von Arzneimitteln ein gebräuchlicher Standard. Der EuGH stellte in dem Vorabentscheidungsverfahren fest, dass die Zurückhaltung der Lizenz ein Machtmissbrauch iSv Art 82 EG sei, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: • das Unternehmen, das die Lizenz begehrt hat, beabsichtigt, auf dem Markt für die Lieferung der betreffenden Daten neue Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, die der Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums nicht anbietet und für die eine potentielle Nachfrage der Verbraucher besteht; • die Weigerung nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist; • die Weigerung geeignet ist, dem Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums den Markt für die Lieferung der Daten über den Absatz von Arzneimitteln in dem betreffenden Mitgliedsstaat vorzubehalten, indem jeglicher Wettbewerb auf diesem Markt ausgeschlossen wird.632 Insbesondere wird die Verhinderung eines neuen Produkts bzw einer neuen Dienst299 leistung gefordert, um die missbräuchliche Ausnutzung eines geistigen Ausschließlichkeitsrechts bejahen zu können. Auffällig ist allerdings, dass der EuGH nicht mehr – wie in Magill – ausdrücklich verlangt, dass auf einem abgeleiteten Markt jeglicher Wettbewerb ausgeschlossen werden muss. Der EuGH will die Voraussetzung der Eignung zur Ausschaltung des Wettbewerbs auf einem nachgelagerten Markt aber nicht beseitigen, sondern präzisiert nur den Begriff des abgeleiteten Marktes: es genüge, dass ein potentieller oder auch nur hypothetischer nachgelagerter Markt bestimmt werden kann. Dies sei der Fall, sobald die Erzeugnisse oder Dienstleistungen für eine bestimmte Tätigkeit unerlässlich sind und nach ihnen eine tatsächliche Nachfrage seitens der Unternehmen besteht, für deren Tätigkeit sie unerlässlich sind.633 Entscheidend sei folglich, dass zwei Produktionsstufen unterschieden werden können, die dadurch miteinander verbunden sind, dass das vorgelagerte Erzeugnis ein für die Lieferung des nachgelagerten Erzeugnisses unerlässliches Element ist.634
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b) Beispiel: Windows Schnittstelleninformationen. Einen Missbrauch gem Art 82 EG sah die Kommission in dem Missbrauchsverfahren gegen Microsoft neben der Kopp-
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EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health. EuGH Slg 1998, I-7791 – Bronner/Mediaprint. EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health Rn 52.
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EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health Rn 44. EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health Rn 45; s dazu auch Wielsch EuZW 2005, 393.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
lung 635 in der Weigerung, Wettbewerbern Informationen zur Herstellung von Interoperabilität zwischen Netzwerkservern und dem Betriebssystem Windows bereitzustellen.636 Nach Ansicht der Kommission hatte Microsoft eine marktbeherrschende Stellung auf den Märkten für PC-Betriebssysteme und für Arbeitsgruppen-Betriebssysteme.637 Gestützt auf die Vorgaben dieser Entscheidungen bzgl der Weigerung zur Bereitstellung von Schnittstelleninformationen, kommt die Kommission zu folgendem Schluss: • Die über Jahre entwickelte und ausgebaute marktbeherrschende Stellung auf dem Markt der PC-Betriebssysteme („Quasi-Monopol“) versetzte Microsoft in die Lage, in weitem Maße und unabhängig von seine Wettbewerbern einen de facto-Standard für die Interoperabilität mit Arbeitsgruppen-Betriebssystemen zu etablieren. Die Interoperabilität mit dem Windows-System sei aber für alle Arbeitsgruppen-Betriebssystem essentiell, um auf dem Markt bestehen zu können. • Aufgrund der erhobenen Marktdaten bestehe ein erhebliches Risiko der Beseitigung von Wettbewerb auf dem Markt für Arbeitsgruppen-Betriebssysteme. Es fehle auch eine Alternative zur Offenlegung der Interoperabilitäts-Informationen durch Microsoft. • Die Weigerung von Microsoft zur Offenlegung bremst die Innovation auf dem relevanten Markt und verringert die Auswahl für die Verbraucher, die in eine homogene Microsoft-Lösung eingeschlossen seien.638 Auch ohne Erwähnung der essential facility-Doktrin sah die Kommission also die 301 Schnittstelleninformationen zur Herstellung der Interoperabilität zwischen Netzwerkservern und dem Betriebssystem Windows als wesentlich zur Herstellung von Wettbwerb an. Anstatt die in dem Urteil Magill entwickelten Voraussetzungen ausdrücklich als Maßstab heranzuziehen, bewegte sich die Kommission aber strikt in den Begrifflichkeiten des Art 82 S 2 lit b EG. Diese 2004 ergangene Entscheidung der Kommission hat einige der Besonderheiten 302 der Internetökonomie in das wettbewerbsrechtliche Blickfeld gerückt. Neben der Problematik der Standardisierung qualifizierte die Entscheidung die Weigerung Microsofts, Wettbewerbern Informationen zur Herstellung von Interoperabilität zwischen Netzwerkservern und dem PC-Betriebssystem Windows bereitzustellen, als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die von Microsofts Wettbewerbern geforderten Informationen über Schnittstellenspezifikationen sind als Teil des Arbeitsgruppen-Betriebssystems Gegenstand geistiger Eigentumsrechte, insbesondere des Urheberrechts an Computerprogrammen.639 Die Ausübung dieser Rechte und damit die Verweigerung der Lizenzierung stellen jedoch nach Einschätzung der Kommission – jedenfalls in dieser Konstellation – keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art 82 EG dar. Bei Bewertung des Verhaltens als missbräuchlich im Sinn des Art 82 EG ist nach Auf- 303 fassung der Kommission bereits die Gefahr einer Wettbewerbsbeschränkung ausreichend, die besonders in Softwaremärkten durch die starken Netzeffekte gegeben sei, da in diesen Märkten eine eingetretene Wettbewerbsbeschränkung nur schwer umkehrbar sei. Als
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S dazu oben Rn 295–296. Zimmerlich WRP 2004, 1260, 1264; Fichert/Sohns WuW 2004, 907–917; vgl zum parallelen US-amerikanischen Verfahren Meier-Wahl/Wrobel WuW 1999, 28–33. Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 429–472, 473–541.
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Kommission vom 24.3.2004 – COMP/ 37.792 – Microsoft Rn 779–782. Aus diesem Grund hat sich Microsoft auch auf das Recht zur Geheimhaltung dieser Informationen berufen, vgl dazu Meyer/ Müller WuW 2007, 117, 120.
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Folge der von Microsoft zurückgehaltenen Informationen und der hierdurch bedingten fehlenden Interoperabilität zwischen Arbeitsgruppenservern der Wettbewerber und Windows befürchtet die Kommission eine Beeinträchtigung der Konsumentenwohlfahrt, da der Verbraucher auf die von Microsoft angebotenen Komplettsysteme umsteigen werde und so nicht mehr von den Innovationen der Wettbewerber profitieren könne. Gleichzeitig sei für Wettbewerber mangels ausreichender Nachfrage seitens der Verbraucher kein Anreiz mehr für die Entwicklung neuer Produkte gegeben, so dass auch der Innovationswettbewerb zum Erliegen kommen könnte. Das Unternehmen ist den Forderungen der Kommission teilweise nachgekommen, hat 304 jedoch Rechtsmittel eingelegt.640 Inzwischen bestätigte der EuG die Kommissionsentscheidung am 17.9.2007 in den entscheidenden Punkten,641 was Microsoft schließlich zum Einlenken bewog. Im Oktober 2007 erklärte das Unternehmen schließlich, den geforderten Zugang zu den Schnittstellen zu gewähren. Ein weitgehend paralleles Verfahren des US-amerikanischen Department of Justice 305 gegen Microsoft – Vorwürfe waren ebenfalls die fehlende Interoperabilität sowie die Kopplung des Windows-Systems mit einem anderen Produkt, in dem Fall des Internet Explorers – wurde hingegen 2001 durch einen inzwischen gerichtlich bestätigten Vergleich beendet.642
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c) Kritik an der essential facility-Rechtsprechung. Die bisherige europäische Rechtsprechung zu sog essential-facility-Fallgestaltungen erweist sich als inkonsistent.643 Während in einigen der zugrunde liegenden Fälle ein Missbrauch uneingeschränkt bejaht werden kann – zB Magill –, ist in anderen Fällen die Entscheidung zugunsten von Zugangsansprüchen zu immaterialgüterrechtlich geschützten Leistungen als bedenklich – im IMS Health-Fall – oder zumindest zweifelhaft – bei Microsoft.644 Die Voraussetzungen der Fallgruppe werden fast mit jeder Entscheidung zu ähnlich gelagerten Sachverhalten erweitert oder wieder begrenzt. Die meisten Fälle könnten auch mittels anderer Fallgruppen gelöst werden, vor allem als missbräuchliche Lieferverweigerung (refusal to deal).645 Die generelle Anwendbarkeit der Fallgruppe ist zumindest nach der MicrosoftEntscheidung unsicher, da trotz Vorliegen der Voraussetzungen die Kommission ihre frühere Entscheidungspraxis nicht heranzieht. Die zunächst engen und an Ausnahmesituationen ausgerichteten Voraussetzungen der 307 essential-facility-Rechtsprechung sind nach und nach aufgeweicht worden. Wesentlichkeit heißt spätestens seit dem Bronner-Urteil des EuGH nicht mehr Alternativlosigkeit, sondern liegt schon vor bei technischer oder wirtschaftlicher Unverhältnismäßigkeit der Duplizierung einer Einrichtung vor.646 Besonders bedenklich ist die unbegrenzte Ausweitung des sachlichen Anwendungsgebiets der Doktrin. Standen zunächst physische
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Zum gescheiterten Antrag von Microsoft auf einstweiligen Rechtsschutz beim EuG Stopper ZWeR 2005, 87–109; Körber K&R 2005, 193–198. EuG vom 17.9.2007, Rs T-201/04 – Microsoft. S zu diesem Verfahren zusammenfassend Apon ECLR 2007, 327–328; Stopper ZWeR 2005, 87, 90; Fleischer/Körber K&R 2001, 623 ff. Näher dazu umfassend Müller/Rodenhausen ECLR 2008, 310–324; vgl zur Rechtspre-
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chung von EuG und EuGH zusammenfassend Gaster CR 2005, 247, 250–253. Gaster CR 2005, 247, 253 weist daraufhin, dass es sich immer um „borderline cases“ handelte. Zu dieser Fallgruppe: Immenga/Mestmäcker/Möschel EG Teil 1, Art 82 Rn 219 ff; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Lübbig Bd I, Art 82 Rn 167 ff. EuGH Slg 1998, I-7791 Rn 42–44 – Bronner/Mediaprint.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
Infrastruktureinrichtungen wie Eisenbahn-, Hafen- und Telekommunikationsanlagen im Mittelpunkt, hat sich die Diskussion auf die Zugangsöffnung von durch geistige und gewerbliche Schutzrechte geschützte Leistungen verlagert. In dieser Ausrichtung bietet die Doktrin einen einfachen Ansatzpunkt, das durch Immaterialgüterrechte gewährte Monopol- und Abschottungsrecht an urheber- oder patentrechtlich geschützten Produkten zu umgehen.647 Daher verwundert es nicht, dass diese offene Variante der Doktrin sich inzwischen wachsender Beliebtheit erfreut. So wird unter diesem Aspekt der Zwang zur Lizenzierung „unerlässlicher“ Immaterialgüterrechte 648 und der Zugang zu elektronischen Plattformen wie eBay 649 oder Suchmaschinen wie Google ebenso untersucht wie die Nutzung der Root-Server der ICANN 650 sowie ihrer DNS-Datenbanken für Anbieter alternativer Internet-Adressierungssysteme.651 Die Öffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der Fallgruppe auf immaterielle 308 Güter erschwert die Ausgrenzung von nicht-infrastrukturellen Wirkungen einer Einrichtung. Insbesondere für die Internetnetökonomie ist dabei der besondere Stellenwert der Netzeffekte physischer Einrichtungen, Immaterialgüterrechte und Internet-Plattformen zu bedenken. Die weitgehend unklare Einbindung der essential-facility-Fallgruppe in die Struktur 309 des Missbrauchstatbestands, die Ausweitung der Voraussetzungen und die mangelnde Abwägung zwischen Marktöffnung einerseits und angemessenem Innovations- und Investitionsschutz innerhalb des Leistungswettbewerbs andererseits machen die Doktrin jedenfalls in ihrer derzeitigen Gestalt fragwürdig, insbesondere für die Internetökonomie. Für das US-amerikanische anti trust law hat der Supreme Court bereits erhebliche Zweifel an der Existenz der Doktrin geäußert.652 Für das europäische Recht wäre zumindest eine Begrenzung der Voraussetzungen durch die Rechtsprechung in naher Zukunft wünschenswert. d) Sonstige Fallgestaltungen. Daneben wird teilweise ein Teilhabeanspruch – auch als 310 Domain-Sharing-Anspruch bezeichnet – an generischen Domains 653 auf § 19 Abs 4 Nr 4 GWB gestützt.654 Inwiefern allerdings eine generische Domain als „Infrastruktureinrichtung“ einzustufen ist, ist zweifelhaft. Schließlich ist eine Domain als solche kein körperlicher Gegenstand. Genauso stellt sich die Frage, ob das bloße Innehaben einer generischen Domain überhaupt zu einer marktbeherrschenden Stellung führt.655 Wenn auch in Einzelfällen ein Teilhabeanspruch an generischen Domains als wünschenswert erscheinen kann, ist ein Domain-Sharing aus Praktikabilitätsgesichtspunkten abzulehnen. So bleibt es beim bewährten Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“.656 647 648 649
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Geiger EuZW 2004, 65; von Merveldt WuW 2004, 19 ff. Conde Gallego GRUR Int 2006, 16, 21–28; Kanter ECLR 2006, 351–364. Grob/von Brocke/Aufderheide/Lindner/Zimmerlich 150 ff; zu Suchmaschinen auch Ott MMR 2006, 195, 201–202. S zur ICANN näher Schumacher/Ernstschneider/Wiehager 6 f; Hoeren/Sieber/ Viefhues Teil 6.1 Rn 16. Müller MMR 2006, 427, 429–432. “We have never recognized such a doctrine, […] and we find no need either to recognize it or to repudiate it here.”, US Supreme Court vom 13.1.2004, 540 US 398, 411.
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Domains, deren Name nur aus einem Gattungsbegriff besteht (zB www.fahrrad.de). So etwa Buchner GRUR 2006, 984, 988; ähnlich Hoeren MMR 2001, 669, 671. Vgl oben die entsprechenden Überlegungen bei Immaterialgüterrechten Rn 191 ff; s auch von Gamm GRUR Int 1983, 403, 406. In diesem Sinne die ständige Rechtsprechung des BGH. Vgl BGH GRUR 2005, 687, 688 – weltonline.de; GRUR 2002, 622, 625 – shell.de; GRUR 2002, 706, 709 – vossius.de; GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de.
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4. Sonstige Missbrauchssituationen
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Sonstige Internet-spezifische Missbräuche marktbeherrschender Stellungen wurden in der Literatur bei der Standardisierung, der Marktabschottung durch sog DRM-Techniken 657 und bei der Ausübung von Urheber- und Patentrechten gesehen.
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a) Missbrauch durch Standardisierung. Standardisierung lässt sich als „Festlegung technischer oder qualitätsmäßiger Anforderungen an bestehende oder zukünftige Erzeugnisse, Herstellungsverfahren oder Methoden“ definieren.658 Hierbei wird zwischen offenen und proprietären Standards unterschieden. Bei proprietären Standards bestehen Eigentumsrechte an einer Technologie, die sich zum Standard entwickelt hat. An offenen Standards bestehen in der Regel keine Eigentumsrechte oder es wird auf ihre Wahrnehmung verzichtet. Die Nutzung der Technologie ist ohne Einflussnahme ihres Entwicklers möglich. Jedermann kann seine Produkte dem Standard anpassen oder diesen verändern (zB Linux-Software).659 Bei proprietären Standards sind neue Wettbewerber auf dem Primärmarkt in der un313 günstigen Situation, dass sie über keine Nutzerbasis verfügen, weshalb zu ihren Gunsten keine Netzeffekte wirken. Wenn sie nicht auf die Nutzerbasis des Standardsetzers zugreifen können, erschwert der vorhandene Standard ihnen den Zutritt zum Markt. Daher sind sie auf Kompatibilität zum Standard angewiesen. Wird diese verweigert, werden künstlich Marktzutrittschranken auf dem Primärmarkt aufgebaut.660 Der Inhaber des Standards kann seine Position auf dem Primärmarkt als Hebel benutzen, um auf nachgelagerte Märkte vorzudringen.661 Marktzutrittsschranken, Marktmachtverlagerung und Lock-In-Effekte behindern den Innovationswettbewerb, wenn potentielle Wettbewerber den Markteintritt als aussichtslos betrachten.662 Die Festlegung auf eine technische Norm kann auf zwei Wegen erfolgen:663 Standards 314 können de jure durch Gesetzgeber bzw öffentliche Normierungsorganisationen festgesetzt werden, sog multilaterale Standardisierung (Bsp. Standards des Deutschen Instituts für Normung: DIN; Standards des Europäischen Instituts für Standardisierung im Telekommunikationsbereich: ETSI).664 Standardisierung kann auch de facto durch die Privatwirtschaft erfolgen, indem andere Unternehmen die neue Technologie eines Rechtsinhabers übernehmen (unilaterale Standardisierung).665 Auf dem Markt für Informationstechnologie können vor allem Netzeffekte zur Etablierung eines Standards beitragen.
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aa) Multilaterale Standardisierung. Der Eigentümer eines proprietären Standards erlangt eine Monopolstellung. Diese kann er nur verlieren, indem seine Technologie durch eine neue ersetzt wird, deren Nutzen die Wechselkosten (switching costs) aufwiegt.666 Durch proprietäre Standards erlischt zwar der Wettbewerb auf dem Primärmarkt, aber dessen Wachstum vergrößert auch die vor- oder nachgelagerten Märkte.
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S dazu umfassend Hoeren/Sieber/Bechtold Teil 7.11 Rn 17–19. Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl 2001 Nr C 3/02 (Horizontalleitlinien) Rn 159. Beth 39; Thum 23, Gröhn 30. Pilny GRUR Int 1990, 431, 435; Sucker CR 1988, 271, 272. Rubinfeld GRUR Int 1999, 479, 485. Zimmerlich WRP 2004, 1260, 1267.
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S zusammenfassend Conde Gallego GRUR Int 2006, 22–23. www.normung.din.de; www.etsi.org (Stand: 1.3.2007). S zu diesen Fallgestaltungen auch BGH GRUR 2004, 966 ff – StandardSpundfass, aber zu § 20 Abs 1 GWB. Beth 36. Diese Konstellation betrifft auch EuGH Slg 2004, I-5039 – IMS Health; vgl dazu zusammenfassend oben Rn 298–299. Pohlmeier 81.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
Dies führt dort zu einer Intensivierung des Leistungswettbewerbs.667 Bei einem offenen Standard findet der Wettbewerb nicht um, sondern auf dem Markt statt.668 Der Marktzugang wird für alle potentiellen Wettbewerber kostengünstig. Dies erhöht die Anzahl der Wettbewerber und intensiviert den Wettbewerb auf dem Primärmarkt.669 An kartellrechtliche Grenzen stoßen Gruppen oder Institutionen von Standardsetzern 316 dann, wenn durch sie das Risiko von Wettbewerbsbehinderungen oder -verzerrungen entsteht. Diese Risiken können sowohl bei der Beeinflussung des Standardisierungsprozesses als auch bei der Ausnutzung der entstehenden Marktposition vorliegen. Dann kann je nach Einzelfall ein Verstoß gegen Art 81 bzw Art 82 EG gegeben sein. Unter dem Gesichtspunkt der Standardisierung ist insbesondere das Vorhaben der sog 317 Trusted Computing Group (TCG) zu bewerten, einem Zusammenschluss von Hardwareund Software-Herstellern sowie Internetdienstleistern. Beim Trusted Computing handelt es sich um ein Konzept, das entwickelt wurde, um die Sicherheit von Rechnern und Rechnersystemen zu erhöhen.670 Bei Trusted Computing-Systemen handelt es sich um eine vertrauenswürdige Rechnerplattform, um eine neue Prozessorarchitektur und um ein sicheres Betriebssystem.671 Angesichts der Marktstärke der TCG-Mitglieder und bei Kenntnis um die Verwendungsmöglichkeiten der Trusted Computing-Technologie besteht die Gefahr, dass die technisch eng verwobenen IT-Märkte abgeschottet werden. Daraus folgen die Vernichtung des Wettbewerbs und eine extreme Machtkonzentration in den Händen eines privatwirtschaftlichen Industriekonsortiums.672 Die Gefahr der Marktabschottung durch die TCG ist dabei gem Art 81 EG zu beurteilen. Die Bewertung der Nutzung der Technologie durch Betriebssystem und Software erfolgt gem Art 82 EG. Hinsichtlich der Auswirkungen der Standardisierung auf Dritte kann eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegen, wenn Mitglieder der Initiative einen Wissensvorsprung erlangen und Nichtmitglieder den Standard erst nach seiner Veröffentlichung mit zeitlicher Verzögerung übernehmen können.673 Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber Dritten können aber auch entstehen, wenn bei der Implementierung der Technologie auf gewerbliche Schutzrechte zurückgegriffen werden muss.674 Durch den vertrauenswürdigen Speicher können unumgehbare Kompatibilitätsschran- 318 ken aufgebaut werden. Dies trägt das Risiko, dass marktstarke Unternehmen proprietäre Dateiformate erstellen, die von Produkten der Wettbewerber unmöglich gelesen werden können.675 Hierdurch werden Wettbewerber mit kleinerer Nutzerbasis aus dem Markt gedrängt, potentielle Wettbewerber vom Markteintritt abgehalten und ein proprietärer Standard aufgebaut.676 Ein Verstoß gegen Art 82 EG kann bei Vorliegen besonderer Umstände sogar durch ein Verhalten möglich sein, dass sich nur auf einen benachbarten Markt auswirkt.677 bb) Unilaterale Standardisierung. In Bezug auf unilaterale Standardisierung sind be- 319 sonders hervorzuheben die Verfahren der Kommission gegen IBM und die Kopplung des
667 668 669 670 671
672
Gleiss/Hirsch Rn 330. Wolf 94. Thum 23. Bechtold CR 2005, 393, 394. Zur uneinheitlichen Benennung der Komponenten: Koenig/Neumann MMR 2003, 695, 695. Statt vieler Anderson TCPA – FAQ, abruf-
673 674 675 676 677
bar unter www.cl.cam.ac.uk/~rja14/ tcpa-faq.html#additions (Stand: 3.7.2007). Roth CR 1988, 195, 196. Koenig/Neumann/Katzschmann, 122. Bechtold CR 2005, 394, 401. Arlt GRUR 2005, 1003 ff. Koenig/Neumann WuW 2003, 1138, 1150.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
Windows-Betriebssystems mit dem Windows Media Player durch Microsoft.678 Der IBM-Rechner System/370 war kein Gesamtsystem, sondern beruhte als erster Rechner auf austauschbaren, steckerkompatiblen Modulen. Bis Anfang der siebziger Jahre hatte IBM interessierten Herstellern die Schnittstelleninformationen dieses Rechners zugänglich gemacht. Mit der Zeit drangen immer mehr Hersteller von Peripheriegeräten auf den Markt, die auf die Kompatibilität mit den IBM-Komponenten angewiesen waren. Die Intensivierung des Wettbewerbs veranlasste IBM dazu, die Schnittstelleninformationen nun erst nach Auslieferung der eigenen Produkte preiszugeben, so dass kompatible Konkurrenzprodukte nur verspätet auf den Markt kamen.679 Daraufhin leitete die Kommission ein Verfahren nach Art 82 EG wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gegen IBM ein. Ohne ausdrückliche Anerkennung einer eventuellen Verfehlung akzeptierte IBM 1984 einen Vergleich und verpflichtete sich dazu, die Schnittstelleninformationen für jedes innerhalb der EU erscheinende Produkt an jeden Wettbewerber ohne ungerechtfertige Verzögerung zu liefern.680 Damit setzte sich, im Gegensatz zu Entscheidungen in den USA, in Europa die Auffassung durch, dass IBM den eigenen Industriestandard nicht dazu einsetzen durfte, um sich die benachbarten Märkte für Hard- und Software vorzubehalten.681
320
b) Marktabschottung durch DRM-Techniken. Die Nutzung digitaler Produkte kann durch sog DRM-Techniken beschränkt werden. DRM-Techniken sind vor allem zum Schutz urheberrechtlich geschützter Leistungen zulässig (§§ 95a ff UrhG). Der Einsatz dieser Techniken ermöglicht die Verhinderung von Kompatibilität der eigenen Produkte mit gleichartigen Produkten oder dafür technisch vorgesehenen Abspielgeräten, sowie die Setzung von De-facto-Standards.682 Aus kartellrechtlicher Sicht ist die Möglichkeit der Marktabschottung durch den Einsatz dieser Techniken bedenklich.683 Auch die Kommission scheint diese Gefahr bei der iTunes-Technologie von Apple zu sehen, die eine Nutzbarkeit der über die iTunes-Seite herunter geladenen Musiktitel ausschließlich durch das von Apple produzierte Abspielgerät iPod zulässt.684 Der Missbrauchsvorwurf kann sich allerdings nur in Extremfällen realisieren. Zunächst ist darauf zu achten, dass nicht jedes mit DRM-Techniken ausgestattete Produkt einen separaten Markt darstellt.685 Allein die mangelnde allseitige Kompatibilität eines Produkts bedeutet noch nicht, dass die Nachfragersicht auf die verbliebenen kompatiblen Produkte reduziert würde. Damit würde jedem Hersteller von digitalen Produkten verwehrt werden, gewisse Systemlösungen für seine Produkte zu entwickeln. Die Nachfrager haben im Regelfall eine Auswahlmöglichkeit zwischen mehreren gleichartigen Produkten. Soweit sie sich für eine Systemlösung entscheiden, sind sie wegen der eingeschränkten Kompatibilität an dieses System gebunden (Lock-In-Effekt). Aber die Herstellung eines Lock-In-Effekts bei einem Produkt, der wegen der unnötigen System- und zusätzlichen Wechselkosten (sunk costs und switching costs) beim Nachfrager führt, ist nicht per se missbräuchlich. Die Nachteile können durch Vorteile von Systemlösungen, zB bei Qualität und Preisen, aufgewogen werden. Die Entscheidung des Herstellers für eine integrierte Systemlösung ist dem Nachfrager in den meisten Fällen bei seiner Auswahlentscheidung auch offensichtlich. Problematisch kann die technische Produktabschottung dann werden, wenn eine zu321 nächst bestehende Kompatibilität eines Produkts nach Erreichen einer marktbeherr678 679 680 681
S zum Microsoft-Verfahren oben Rn 295 f, 300 ff. Kilian/Heussen/Schroeder Kap 63 Rn 14; Wolf 22; Sucker CR 1988, 271, 274. Vgl EG-Bulletin Nr 10 1984, 105 ff. Heinemann CR 2005, 715, 716.
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Pilny GRUR Int 1995, 960. Vor allem Arlt GRUR 2005, 1003 ff mwN. S Pressemitteilung vom 3.4.2007 – MEMO/ 07/126 – COMP 39.154. So aber wohl Arlt GRUR 2005, 1006.
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Kartellrecht in der Internetökonomie
schenden Stellung durch Einsatz von DRM-Techniken beseitigt wird. Die Nachfrager werden nachträglich in einem System „gefangen“, Anbieter auf bisherigen Komplementär- oder Sekundärmärkten werden vom Zugang zu dem marktbeherrschenden Produkt abgeschottet. Hier kann die zulässige Produkt- zur missbräuchlichen Marktabschottung werden (Bsp. Microsoft). Aber selbst in diesem Fall muss eine Betrachtung erfolgen, ob der Einsatz der DRM-Technologie dem urheberrechtlichen Schutzzweck der §§ 95a ff UrhG oder allein zur Marktabschottung dient.686 Nur im letzteren Fall ist ein Missbrauch nach Art 82 EG zu bejahen. c) Diskriminierung im Internetbereich. Im Schrifttum wird diskutiert, inwieweit § 20 322 GWB Zugangsansprüche zu den Leistungen einer Suchmaschine begründet. Dabei wird zumeist auf den Markt für die Aufnahme in den Suchmaschinenindex 687 und den Markt für die kontextbezogene Werbung bei Suchmaschinen abgestellt.688 Berücksichtigt werden darüber hinaus diejenigen Drittmärkte 689, auf denen die verlinkten Unternehmen tätig sind.690 Für ein marktstarkes Unternehmen ergibt sich auf den genannten Märkten ein Diskriminierungsverbot aus § 20 Abs 1 GWB. Nur in Ausnahmefällen kommt die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung in Betracht, so zB, wenn das nachfragende Unternehmen gegen ein Gesetz oder gegen die Richtlinien des Suchmaschinenanbieters verstößt.691 Eines Rückgriffs auf § 19 GWB bedarf es damit nicht.692
VI. Ausblick: Die Diskussion um die Netzneutralität Bislang war die sog Netzneutralität (network neutrality/net neutrality) eine selbstver- 323 ständliche Eigenheit der weltweiten Netze, deren Zusammenschluss das Internet begründet. Der Begriff der Netzneutralität meint dabei im Wesentlichen, dass für jeden der offene Zugang zu einem Netz gesichert ist und sämtliche Daten im Netz unterschiedslos übertragen werden.693 Aufgrund des technischen Fortschritts sind allerdings „intelligente“ Netze nunmehr in der Lage, die Quelle – den Computer, von dem die Datei versendet wird – sowie den Inhalt einer Datei herauszufinden. Dies ermöglicht einerseits eine qualitative oder quantitative Vorzugsbehandlung bei der Datenübertragung, andererseits eine Filterung oder Blockierung unliebsamer Datenpakete.694 Somit haben die Netzbetreiber die technischen Mittel, die Neutralität des Internets 324 einzuschränken. Kritiker sehen deswegen die Entwicklung des Internets und darüber hinaus das Wachstum der Internetökonomie bedroht. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich mithin die Frage, inwieweit neue Regeln zur Sicherung der Netzneutralität erforderlich sind. Wie sich insofern die Diskussion in den USA und Europa entwickelt hat, sei zunächst aufgezeigt. Auf dieser Grundlage soll sodann in der gebotenen Kürze Stellung bezogen werden. 686
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Ähnlich Arlt GRUR 2005, 1004 f; Wandtke/ Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 5, 53. Die Existenz dieses Marktes ist sehr umstritten. Befürwortend: Hoeren MMR 1999, 649 ff; Ott MMR 2006, 195, 197; abl Schulz/Held/Laudien 58 ff; auf europäischer Ebene hat die Kommission einen Markt für Suchmaschinen nicht anerkannt. Ott MMR 2006, 195, 196 ff mwN. Der BGH bejaht den Schutz von Drittmärkten über § 19 GWB. Ob dies auch für § 20
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GWB zutrifft, hat er indessen offen gelassen; vgl BGH WuW/E DE-R 1206, 1207 – Strom und Telefon I. Knothe/Lebens AfP 2000, 125, 128; Ott MMR 2006, 195, 198; aA Buchholtz ZUM 1998, 108, 111 f; Schulz/Held/Laudien 64. Ott MMR 2006, 195, 200 f mwN. Hoeren MMR 1999, 649; Ott MMR 2006, 195, 200 f. Laxton 2006 Duke L & Tech Rev 15, 3 (2006); Spies MMR 2006, Heft 8, XXI. Krempl c’t 2006, Heft 14, 78, 79.
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Kapitel 2 Medienkartellrecht
3. Teil
1. Die Diskussion in den USA
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Mitte 2005 markierte das Urteil des US Supreme Court in der Sache National Cable & Telecommunications Association -v- Brand X Internet Services einen Wendepunkt für die Gewährung von Netzneutralität.695 Die großen Breitbandnetzbetreiber (wie die Telekommunikationsunternehmen AT&T und Verizon oder der Kabelnetzbetreiber Comcast) sind entschiedene Gegner einer unbegrenzten Netzneutralität. Sie möchten die Möglichkeit haben, für besondere Leistungsmerkmale – wie eine garantierte oder besonders zügige Übertragung von Inhalten – zusätzliche Gebühren zu verlangen und auf diese Weise „Mautstellen“ für das Internet einzurichten.696 Dies sei als Anreiz für zukünftige Investitionen in den Netzausbau unentbehrlich.697 Zur Unterbindung von wettbewerbswidrigem Verhalten sei das allgemeine Wettbewerbsrecht ausreichend.698 Die Verfechter einer uneingeschränkten Netzneutralität sind vor allem Internetdiensteanbieter (wie Amazon, eBay oder Google), die nicht gesondert für den Breitbandnetzzugang zahlen möchten, aber auch eine breite, bunt gemischte Koalition 699 aus kleinen Unternehmen, Internetaktivisten und Wissenschaftlern. Sie argumentieren, neutrale Netze seien unabdingbare Voraussetzung für die Innovationskraft des Internets, und warnen vor den Gefahren für den Wettbewerb, die von Seiten der Netzbetreiber ausgehen können.700 Nachdem mehrere Gesetzesentwürfe, die eine strenge Netzneutralität vorsahen, im 326 Laufe des Jahres 2006 nicht die erforderliche Mehrheit im Kongress fanden, ist nunmehr eine Regelung im Sinne der Befürworter der Netzneutralität in weite Ferne gerückt.701 Die US-amerikanische Kartellbehörde – Federal Trade Commission (FTC) – vertritt den Standpunkt, dass in den dynamischen Internetmärkten der Wettbewerb unter den Anbietern selbst für die Aufrechterhaltung eines offenen Internets sorge.702 Dieser Ansicht hat sich das Justizministerium angeschlossen.703 2. Die Diskussion in Europa
327
Unterdessen hat die Diskussion über die Netzneutralität Europa erreicht, allerdings in abgeschwächter Form. Nur wenige Stimmen verlangen neue Regelungen.704 Sie verweisen insbesondere auf das Beispiel des Telekommunikationsunternehmens Vodafone, welches seit Anfang des Jahres die Nutzung von VoIP-Diensten über sein UMTS-Netz blockiert. Dagegen wird vertreten, dass sich die Frage einer Regelung der Netzneutralität unter 328 dem aktuellen europäischen Rechtsrahmen nicht stelle. Verwiesen wird insbesondere auf 695
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545 US 967 (2005), abrufbar unter www.supremecourtus.gov/opinions/04pdf/ 04-277.pdf. Krempl c’t 2006, Heft 14, 78. Spies MMR 2006, Heft 8, XXI. Vgl Krempl c’t 2006, Heft 14, 78, 80; so auch Laxton 2006 Duke L & Tech Rev 15, 37 (2006). S www.savetheinternet.com. Vgl im Einzelnen zu den möglichen Diskriminierungsformen Spies MMR 2006, Heft 8, XXI, XXII f. Vgl cnet-News vom 6.9.2007, abrufbar unter www.news.com/8301-13578_3-977353838.html.
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Vgl FTC Staff Report, Juni 2007, Broadband Connectivity Competition Policy, abrufbar unter www.ftc.gov/reports/ broadband/v070000report.pdf. Vgl heise-online vom 7.9.2007, abrufbar unter www.heise.de/newsticker/meldung/ 95641. Vgl heise-online vom 28.2.2007, abrufbar unter www.heise.de/newsticker/meldung/ 85968; s auch das c’t-Interview mit van Schewick vom 16.7.2006, abrufbar unter www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/ 75525.
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§4
Kartellrecht in der Internetökonomie
den Grundsatz der Technologieneutralität 705, wonach sowohl herkömmliche Telekommunikationsnetze als auch Kabelnetze unter die sektorspezifische Regulierung des EGRechtsrahmen fallen können. Des Weiteren werden die Instrumente der Zugangsregulierung 706 als ausreichend eingeschätzt, um den freien Netzzugang zu gewährleisten.707 Darüber hinaus sei der Wettbewerb der Breitbandnetzbetreiber in Europa wesentlich stärker als in den USA ausgeprägt.708 Diese Ansicht hat die Kommission im Rahmen des sog Review 2006 geteilt.709 Damit ist es recht unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit strengere Vorschriften zur Netzneutralität in das europäische Recht eingeführt werden. 3. Stellungnahme Der derzeitige Rechtsrahmen in Europa bietet den Wettbewerbsbehörden nicht nur 329 effektive, sondern auch flexible Maßnahmen zur Regulierung der Telekommunikationsmärkte.710 Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die für einen wirksamen Wettbewerb in Europa sorgen. Daher sollte vor einer Einführung neuer, strengerer Vorschriften zur Regelung der Netzneutralität die Entwicklung des Marktes abgewartet werden. Anders sieht es in den USA aus. Hier hat die FCC die sektorspezifische Regulierung 330 der Breitbandnetzbetreiber aufgehoben. Abgesehen davon gibt es einen wesentlichen strukturellen Unterschied zu Europa. So sind auf den lokalen Telekommunikationsmärkten vielfach nur ein Kabel- und ein Telekommunikationsnetzbetreiber tätig. Damit ist das Wettbewerbspotential wesentlich geringer.711 Dennoch kann mit der FTC angesichts noch immer herrschender Dynamik in den internetbasierten Märkten ein Abwarten der weiteren Entwicklung unterstützt werden. Zu berücksichtigen ist in jedem Fall, dass mit der Einführung einer Vielzahl neuer 331 Internetdienste der Bedarf an Übertragungskapazitäten gewachsen ist. Daher ist ein weiterer Netzausbau unabdingbar. Die dafür erforderlichen finanziellen Aufwendungen tragen die Breitbandnetzbetreiber. Insofern darf man ihnen nicht untersagen, für bevorzugte Übertragungsleistungen ein zusätzliches Entgelt als Investitionsausgleich zu fordern. Dieses Entgelt darf hingegen nicht die Innovationskraft von Internetdiensteanbietern beeinträchtigen. Dazu muss den Wettbewerbsgefahren, die vor allem von vertikal integrierten Netzbetreibern ausgehen, entgegengewirkt werden. Zu diesem Zweck sollte jedem Nutzer das Recht gegenüber den Netzbetreibern eingeräumt werden, sämtliche Dienste und Inhalte mit einem Mindestmaß an Qualität und Geschwindigkeit anzubieten und abzurufen.
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Vgl Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2002/21/EG. Vgl Art 8–13 der Richtlinie 2002/19/EG. Spies MMR 2006, Heft 8, XXI, XXIII; vgl heise-online vom 28.2.2007, abrufbar unter www.heise.de/newsticker/meldung/85968. S Krempl c’t 2006, Heft 14, 78, 80. Vgl das Arbeitspapier der Kommission zur Überprüfung des EU-Rechtsrahmens für
710 711
elektronische Kommunikationsdienste vom 28.6.2006, 26 f, 32, abrufbar unter ec.europa.eu/information_society/policy/ ecomm/doc/info_centre/public_consult/ review/staffworkingdocument_final.pdf. MwN zum europäischen Rechtsrahmen Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 775 ff. Rahm 24 Yale J on Reg 1, 12 ff (2007).
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Kapitel 3 Rundfunkwerberecht Literatur Ahrens Redaktionelle Werbung – Korruption im Journalismus GRUR 1995, 307; Baerns Schleichwerbung lohnt sich nicht! Neuwied, Kriftel, Berlin 1996; Beucher/Leyendecker/v Rosenberg Mediengesetze, München 1999; Bork Eigenwerbung im Fernsehprogramm ZUM 1990, 11; ders Product Placement und Wettbewerbsrecht – zu den Grenzen „medialer“ Fernsehwerbung GRUR 1988, 264; ders Werbung im Programm, München 1989; Castendyk Ausstrahlung von Teleshoppingsendungen außerhalb von Teleshoppingfenstern, MMR 2000, 82; ders Das Recht im Fernsehen als „Popular Legal Culture“ – ein vielversprechender Ansatz aus den USA? ZRP 1992, 63; ders Werbeintegration im TV-Programm – wann sind Themen Placements Schleichwerbung oder Sponsoring ZUM 2005, 857; Castendyk/Dommering/Scheuer European Media Law, Kluwer Law International 2008 (zit Castendyk/Dommering/Scheuer/Bearbeiter); Castendyk/Woesler Werbeverbote für überregionale Hörfunksender und Verfassungsrecht JURA 2007, 791; von Danwitz Zur Regulierung von „product placement“ bei der Novellierung der EU-Fernsehrichtlinie AfP 2005, 417; Engel Privater Rundfunk vor der Europäischen Menschenrechtskonvention, Baden-Baden 1993; Engels Das Recht der Fernsehwerbung für Kinder, Baden-Baden 1997; Engels/Giebel Das neue Fernsehwerberecht ZUM 2000, 265; Fechner Medienrecht, 7. Aufl Tübingen 2006; Gersdorf Grundzüge des Rundfunkrechts, München 2003; Gleich/Groebel Agenda-Setting – Die Thematisierungsfunktion der Medien neu betrachtet (ARD-Forschungsdienst) Media Perspektiven 1994, 517; Gounalakis Werbung im Rundfunkprogramm – Zwischen Trennungsgrundsatz und Schleichwerbungsverbot WRP 2005, 1476; Greffenius/Fikentscher Werbeformen bei Sportübertragungen im Fernsehen und ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit ZUM 1992, 526; Großkopf Fernsehen als genuin europäischer Dienstleistung AfP 1995, 464; Hahn/Vesting (Hrsg) Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht München 2003 (zit Hahn/Vesting/Bearbeiter); Hartel Anmerkung zum Urteil des VG Berlin „Feuer, Eis und Dynamit“ vom 15.4.1999 (VG Berlin ZUM 1999, 742) ZUM 1999, 750; Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner Rundfunkstaatsvertrag – Loseblattsammlung, 31. Aktualisierung Stand September 2007; Hefermehl/Köhler/Bornkamm Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb, 26. Auflage, München 2008; Henning-Bodewig Product Placement und andere Arten der „absatzfördernden Kommunikation“ – Die neuen Formen der Schleichwerbung BB Beilage 1986 Nr 18, 2; ders Werbung im Kinospielfilm GRUR 1996, 32; Hesse Rundfunkrecht, 3. Aufl München 2003; Hochstein Neue Werbeformen im Rundfunk AfP 1991, 696; Hoffmann-Riem Rundfunkrecht neben Wirtschaftsrecht, Baden-Baden 1991; Höfling/Möwes/Pechstein Europäisches Medienrecht – Textausgabe mit Erläuterungen, München 1991; Jahn Cross-Promotion im Fernsehen – Zur geltenden Rechtslage in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten, Frankfurt aM 2007; Jarass/Pieroth Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl München 2006 (zit Jarass/Pieroth/Bearbeiter); Köhler Redaktionelle Werbung WRP 1998, 349; Ladeur Verantwortung für Verstöße gegen das Rundfunkwerberecht ZUM 2001, 643; Laukemann Fernsehwerbung im Programm, Frankfurt aM 2002; Lesch Besprechung des Beschlusses des OLG Celle 222 Ss 34/02 (OWi) vom 23. Mai 2002 – Schleichwerbung Big Brother ZUM 2003, 44; Lilienthal Die Bavaria-Connection epd medien 42/2005, 3; Luhmann Soziale Systeme, 2. Aufl Frankfurt aM 1988; Paschke Medienrecht, 2. Aufl Berlin, Heidelberg, New York 2001; Petersen Medienrecht, 2. Aufl München 2005; Piper/Ohly Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 4. Aufl München 2006 (zit Piper/Ohly/Bearbeiter); Platho Cross-Promotion in TV-Senderfamilien MMR 2002, 21; Ricker/Schiwy Rundfunkverfassungsrecht, München 1997; Rüthers Rechtstheorie, München 1999; Sachs Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl München 2007; Sack Neue Werbeformen im Fernsehen – rundfunk- und wettbewerbsrechtliche
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Kapitel 3 Rundfunkwerberecht
3. Teil
Grenzen AfP 1991, 704; Sack Zur wettbewerbsrechtlichen Problematik des Product Placements im Fernsehen ZUM 1987, 103; Schaar Das Recht der programmintegrierten Werbung, Baden-Baden 2001; Scherer „Product Placement“ im Fernsehprogramm, Baden-Baden 1990; Schultze Product Placement im Spielfilm, München 2001; Schwarz/Eichler Der Werbebegriff im Rundfunkstaatsvertrag AfP 1996, 228; Thommen Das Publikum mag integrierte Werbung epd medien 82/2005, 29; Ullmann Einige Bemerkungen zur Meinungsfreiheit in der Wirtschaftswerbung GRUR 1996, 948; Umbach/Clemens (Hrsg) Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch Band I, Heidelberg 2002 (zit Umbach/ Clemens/Bearbeiter); Völkel Product Placement aus der Sicht der Werbebranche und seine rechtliche Einordnung ZUM 1992, 55; Volpers/Herkströter/Schnier Die Trennung von Werbung und Programm im Fernsehen, Opladen 1998; Wieben Die Trennung von Programm und redaktioneller Werbung, Münster 2001; ZAW – Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (Hrsg) Werbung in Deutschland, Berlin 2007.
Übersicht Rn § 1 Rundfunkwerberecht – Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftliche Bedeutung der Rundfunkwerbung . . . . . . II. Werbeformen . . . . . . . . . III. Die inhaltliche Struktur des Rundfunkwerberechts . . . . . 1. Allgemeine Regeln . . . . . 2. Inhaltliche Werbegrenzen . 3. Werbehöchstmengen . . . . 4. Unterbrecherwerbung . . . 5. Sponsoring und Teleshopping 6. Gesetzliche Definitionen . . IV. Rechtsgrundlagen . . . . . . . V. Konkurrenz zwischen Werberecht im RStV und im UWG . VI. Die Ziele des Gesetzgebers bei der Regulierung der Rundfunkwerbung . . . . . . . . . . . 1. Regelungsspezifische Ziele . 2. Allgemeine Ziele . . . . . . VII. Verfassungsrechtliche Basis . . VIII. Europarechtlicher Schutz . . . IX. Verantwortlichkeit Dritter . . § 2 Rundfunkwerberecht – Besonderer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definitionen . . . . . . . . . . II. Der Begriff der Fernsehwerbung 1. Jede Äußerung . . . . . . . 2. Bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs . . 3. Die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter . . . . 4. Gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird
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Rn 5. Das Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt zu fördern . . . . . III. Schleichwerbung . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . 2. Die Erwähnung oder Darstellung . . . . . . . . . . 3. Von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder Dienstleistungen in Programmen . . . . . . . 4. Vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen a) Werbeabsicht . . . . . . b) Sonderfall: Produktionshilfen . . . . . . . . . . c) Werbeabsicht des Veranstalters . . . . . . . . . 5. Irreführung . . . . . . . . 6. Konkurrenzen/Verhältnis Werbung zu Schleichwerbung IV. Sponsoring . . . . . . . . . . § 3 Die sechs Säulen des Fernsehwerberechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verbot der Programmbeeinflussung . . . . . . . . . . II. Das Trennungsgebot . . . . . III. Kennzeichnungs- bzw Erkennbarkeitsgebot . . . . . . . . . IV. Inhaltliche Werbebeschränkungen . . . . . . . . . . . . V. Werbemengenbeschränkungen VI. Werbeunterbrechungen . . . . § 4 Sponsoring . . . . . . . . . . . . .
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86, 87 88–99 89–91 92–96 97–99 100 101 102–112 113–144 114–121 122, 123 124–130 131–133 134–136 137–144 145–149
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Rundfunkwerberecht – Allgemeiner Teil
§1 Rundfunkwerberecht – Allgemeiner Teil I. Wirtschaftliche Bedeutung der Rundfunkwerbung Die Werbung ist ein bedeutender Wirtschaftszweig. In den Staaten der Europäischen Union machten die Ausgaben für Werbung im Jahr 2006 1,52 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Allein in Deutschland wurden für Werbung im Jahr 2006 € 30,23 Mrd ausgegeben.1 Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei 1,31 % und damit unter den Werten aus den 80er Jahren. Werbung für Produkte und Dienstleistungen findet häufig in Medien statt; im Fernsehen, im Hörfunk, in der Zeitung, im Internet, sogar im Videospiel. Die Ausgaben im Jahr 2006 betrugen € 20,35 Mio. Die Aufteilung der Werbeausgaben zwischen den verschiedenen Medien hat sich mit der Zulassung des privaten Fernsehens stark geändert. So verdoppelte sich der Anteil der Fernsehwerbung zwischen 1985 und 1995 von rund 10 % auf rund 20 %. Seitdem ist die Aufteilung in etwa stabil geblieben. Der wichtigste Werbeträger sind nach wie vor Printmedien; in Deutschland beträgt ihr Anteil zurzeit 47 %.2 Der Anteil der Hörfunkwerbung ist dagegen mit 3 % vergleichsweise gering. Der Anteil der Kinowerbung beträgt schließlich nur knapp 1%.3 Obwohl die Online-Werbung stark wächst, hat ihr Marktanteil an den gesamten Werbeausgaben im Jahr 2007 gerade einmal 3 % erreicht.4 Werbung bietet zusammen mit Sonderformen wie dem Sponsoring die entscheidende finanzielle Basis des Rundfunks. Beim privaten Free-TV wäre ohne die Werbeeinnahmen das Geschäftsmodell beendet.5 Aber auch das öffentlich-rechtliche Free-TV und sogar das Pay-TV generieren einen kleinen Teil ihrer Einnahmen mit der Ausstrahlung von Werbebotschaften Dritter. Werbebuchungen im Fernsehen werden noch heute im Prinzip ähnlich gehandhabt wie zu Zeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehmonopols, als nur wenig Werbezeit zur Verfügung stand: Im dritten Quartal eines jeden Jahres nehmen die großen Werbeagenturen bei den Fernsehsendern bzw ihren Vermarktungsgesellschaften ihre Ersteinbuchung für das folgende Jahr vor. Es werden das Buchungsvolumen insgesamt festgelegt und die besonderen Wünsche der Werbetreibenden angemeldet. Mit Bestätigung des Senders kommt ein Vertrag über die erfüllbaren Buchungswünsche zustande. Diese Buchungen werden im Laufe des Jahres optimiert, um für das beworbene Produkt möglichst reichweitenstarke und inhaltlich optimale Programmumfelder zu suchen. Im Durchschnitt wird jeder Spot bis zu seiner Ausstrahlung acht- bis neunmal umgebucht. Diese Umbuchungen – und darin liegt die entscheidende Änderung in der Praxis – sind teilweise noch wenige Stunden vor Ausstrahlung möglich. Laut den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten Sender sind Stornierungen bis zu vier Wochen vor dem geplanten Ausstrahlungstermin möglich. In der Praxis werden Stornierungen jedoch sogar bis zu zwei Wochen vor dem Termin noch zugelassen: Die frei gewordenen Werbeplätze können dann von kleineren Agenturen und schnell entschlossenen Werbekunden noch gebucht werden. Die Sender vereinbaren für möglicherweise im letzten Moment noch frei wer1 2 3 4 5
ZAW Werbung in Deutschland 2007, 9 f. ZAW Werbung in Deutschland 2007, 17. ZAW Werbung in Deutschland 2007, 16. ZAW Werbung in Deutschland 2007, 9, 17. Schon der Rückgang der Werbeeinnahmen
von rund € 4,7 auf € 3,8 Mrd in den Jahren 2002–2004 stellte die privaten Veranstalter vor erhebliche Probleme; zur Bedeutung der Fernsehwerbung instruktiv: BGH NJW 2004, 3032 ff – Werbeblocker „Fernsehfee“.
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dende Plätze in Werbeblocks eine Art „Stand-By-Rabatt“, der oft von „Direct-ResponseAnbietern“ (Teleshopping, Hotlines, etc) genutzt wird. Bei diesen Buchungen hat der Buchende keinen Anspruch auf Schaltung des Spots; sie erfolgt nur, wenn ein Sendeplatz aufgrund einer kurzfristigen Stornierung frei wird. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft eV (ZAW) hat von der in § 22 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 3 Nr 2 GWB eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht und „Einheitliche Grundsätze zur Gestaltung und Ausführung von Aufträgen im Bereich der Rundfunkwerbung“ empfohlen.
II. Werbeformen 5
Die Formen der Rundfunkwerbung haben sich in den letzten zehn Jahren stark ausdifferenziert. Der klassische Werbespot hat Konkurrenz bekommen. Ein Indiz dafür sind die vielen – häufig aus dem angloamerikanischen Raum stammenden – Bezeichnungen 6 wie „split screen“, „virtual advertising“, „infomercials“, „cut in“, „crawl“, „frame split“, „Telepromotion“, aber auch deutsche Bezeichnungen wie etwa „Dauerwerbesendung“. Ordnet man die verschiedenen Werbeformen nach ihrer Länge, liegen am einen Ende des Spektrums die sehr kurzen Botschaften, wie zB eine Produktplatzierung, eine Trikot- oder Bandenwerbung, der sog „reminder“ oder ein kurzer Sponsorhinweis. In der Mitte des Spektrums läge der klassische Werbespot mit einer Länge von 20–30 Sekunden. Dazu gehören aber auch DR-TV (direct response TV)-Spots und kurze Teleshopping-Spots. Sie erlauben, das Produkt nicht nur in einem positiven Umfeld darzustellen, sondern auch Produktinformationen und Produktemotionen zu kommunizieren. Die ausführlichste Werbekommunikation sind Dauerwerbesendungen in Form von Infomercials, Promostory, Storymercials, Showmercials oder Teleshoppingfenstern. Rechtlich ebenfalls bedeutsam ist der Grad der Integration der Werbung in das Pro6 gramm. Man unterscheidet in die sog „instrumentale“ und die sog „mediale“ Werbung. Erstere ist vom Programm getrennte, klar erkennbare Werbung, wie zB ein Werbespot. Bei der „medialen“ Werbung handelt es sich um Werbung, bei der werbliche und nichtwerbliche Inhalte vermischt werden. Im fiktionalen Kontext spricht man auch von „programmintegrierter Werbung“, im non-fiktionalen von sog „redaktioneller Werbung“. Es gibt zulässige Formen, wie zB „infomercials“ oder „showmercials“, wie die Show „Der Preis ist heiß“, die jedoch als Dauerwerbesendungen gekennzeichnet werden muss. Ordnet man die verschiedenen Formen medialer Werbung nach dem Grad der Einbin7 dung in den Programmen üblichen Inhalt, so lassen sich – am Beispiel eines Coca-ColaPlacements drei Stufen unterscheiden: (1.) Im Film erscheint ein Werbeplakat für CocaCola. Hier ist zumindest deutlich, dass es sich um eine werbliche Aussage handelt. (2.) Auf dem Frühstückstisch des Protagonisten sieht man eine Coca-Cola Dose. (3.) Die Coca-Cola wird – selbstverständlich positiv – in die Handlung eingebaut, zB trinkt der Protagonist eine Dose. Noch tiefer ginge die Integration des Produkts in das Programm, wenn der Protagonist nach dem Absetzen der Dose laut „Ahhh“ sagen würde oder sich einen Dialog über die Vorteile dieses Softdrinks gegenüber anderen Markenprodukten entspinnen würde. Eine Rechtsordnung kann auf das vielstimmige Crescendo an Werbeformen unter8 schiedlich reagieren: Sie kann regulieren, verbieten und einschränken, oder sie kann die
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Eine umfangreiche Liste von neuer Sonderwerbeformen im Fernsehen findet sich in
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ZAW Werbung in Deutschland 2007, 310 f.
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Entwicklung den Marktkräften überlassen. Die europäische Tendenz einer eher detaillierten Regulierung mag dabei nicht der einzig gangbare Weg sein. Gibt man bei YouTube zB das Stichwort „Product Placement“ ein, finden sich ausführliche Sammlungen von Product Placements in bekannten Spielfilmen und Serien. Einzelne Zuschauer machen sich den Spaß, hunderte von Programmstunden nach versteckten werblichen Botschaften abzusuchen und sie anschließend ins Netz zustellen. Geht man von dieser Art der Konsumenten aus, ist Regulierung nicht mehr erforderlich.7 Bis die Mehrheit der Fernsehzuschauer in Europa derartig „media savvy“ ist, wird allerdings noch Zeit vergehen.
III. Die inhaltliche Struktur des Rundfunkwerberechts Das im Wesentlichen im Rundfunkstaatsvertrag geregelte Rundfunkwerberecht weist 9 eine Vielzahl von Regelungen auf. Zum Teil gehen die Regelungen sehr ins Detail; man denke bspw an die Regelung zur Dauer und zur Aufmachung des Werbetrenners, der vor Beginn eines Werbeblocks ausgestrahlt werden muss. Diese Vielfalt ist neben der rechtlichen Ausdifferenzierung auch der Tatsache geschuldet, dass der Gegenstandsbereich, wie oben beschrieben, selbst immer vielfältiger wird. Dennoch ließe sich das Rundfunkwerberecht auf wenige Grundprinzipien und Regelungsbereiche herunterbrechen: 1. Allgemeine Regeln Die zentralen allgemeinen Regeln sind: das Trennungsgebot, das Erkennbarkeits- 10 oder Kennzeichnungsgebot bzw Schleichwerbeverbot sowie das Beeinflussungsverbot. Das Trennungsgebot fordert vom Rundfunksender, redaktionelles Programm und werbliche Botschaften voneinander zu trennen. Dies geschieht zB über Werbetrenner oder einen gut sichtbaren Balken beim sog „split screen“. Dieses sog Trennungsprinzip wird als „Eckpfeiler“ 8 oder „Magna Charta“ 9 des Rundfunkrechts und als „tragendes Prinzip des Medienrechts“ 10 bezeichnet. Für Printprodukte findet es sich in § 10 des jeweiligen Landespressegesetzes.11 Das Erkennbarkeitsgebot geht weniger weit; es verlangt nur, dass Werbung erkennbar und nicht schleichend daherkommt. Dies erreicht man durch entsprechende Kennzeichnung. Fehlt sie bei werblichen Inhalten, die ins Programm integriert sind, so spricht man in der Regel von „Schleichwerbung“. Das Beeinflussungsverbot möchte verhindern, dass die ökonomische Macht der Werbewirtschaft die redaktionelle Unabhängigkeit gefährdet. 2. Inhaltliche Werbegrenzen Des Weiteren gibt es eine Reihe von inhaltlichen Werbebeschränkungen; das berühm- 11 teste und älteste im Rundfunk ist das Tabakwerbeverbot. Zu diesen inhaltlichen Beschränkungen gehören aber auch komplexere gesetzliche Maßgaben, wie etwa § 7 Abs 1 RStV; danach darf Werbung „nicht irreführen, den Interessen der Verbraucher nicht 7
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In diese Richtung gehen auch Studien, die nahe legen, dass das TV-Publikum (erkennbare) integrierte Werbung der getrennten Werbung (in Werbeblöcken) vorzieht, vgl Thommen epd medien 82/2005, 29. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 26.
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Engels/Giebel ZUM 2000, 265, 269. Hesse Kap 4 Rn 56. Vgl dazu Henning-Bodewig GRUR 1996, 321 ff.
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schaden und nicht Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit der Verbraucher sowie den Schutz der Umwelt gefährden.“ 3. Werbehöchstmengen
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Anders als beim Kinofilm oder bei den Printmedien überlässt der Gesetzgeber die Werbemenge im Rundfunk nicht den Marktkräften. Es werden Höchstmengen festgelegt, die zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern differieren. 4. Unterbrecherwerbung
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Die künstlerische Integrität der Programme und die Geduld der Rezipienten werden zumindest teilweise durch Beschränkungen der Unterbrecherwerbung geschützt. So darf zB nach geltendem TV-Werberecht ein Kinofilm von 95 Minuten (Brutto-)Länge nicht öfter als zweimal unterbrochen werden. Auch die Mindestlänge zwischen Werbeblöcken ist (noch) gesetzlich festgeschrieben. 5. Sponsoring und Teleshopping
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Im Rundfunk gibt es Sonderformen kommerzieller Botschaften, die weder unter die Definition von Werbung noch der von Schleichwerbung fallen. Die wichtigste Sonderform ist das Sponsoring. Aber auch das Teleshopping enthält viele werbliche Elemente und muss deswegen zumindest von der Rundfunkwerbung abgegrenzt und in den Grundzügen dargestellt werden. 6. Gesetzliche Definitionen
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Bevor die oben genannten Regeln und Vorschriften auf bestimmte Sachverhalte angewendet werden, muss die Tür zum Rundfunkwerberecht überhaupt geöffnet sein. Ob eine kommerzielle Botschaft Werbung im Sinne des Rundfunkrechts ist, richtet sich nach der gesetzlichen Definition von Werbung und Schleichwerbung im Rundfunkstaatsvertrag. So schließt der Begriff der Rundfunkwerbung bspw die politische Werbung nicht mit ein. Das Verbot der politischen Werbung im § 7 Abs 8 RStV stellt daher eine Sonderregelung dar, für die etwa Werbemengenbegrenzungen nicht gelten.
IV. Rechtsgrundlagen 16
In Deutschland ist das Rundfunkwerberecht in den §§ 1(c)–(e), 7 und 8 RStV geregelt. Die §§ 15–18 RStV gelten für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender, die §§ 43–45a RStV enthalten spezielle Regelungen für die privaten Sender. Daneben gibt es ein Verbot12 der Tabakwerbung und Beschränkungen bei der Arzneimittelwerbung im Heilmittelwerbegesetz. Diese Normen basierenden zu großen Teilen auf Vorgaben der Fernseh-Richtlinie 17 „Fernsehen ohne Grenzen“ aus dem Jahr 1997.13 Gem Art 27 Abs 1 FsÜ 14 ist die Fern12 13
ZAW Werbung in Deutschland 2007, 126. Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit.
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Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989, abgedr ua in Höfling/Möwes/ Pechstein 42 ff.
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seh-Richtlinie die vorrangige Norm, die im Verhältnis von EU-Mitgliedsstaaten allein Anwendung findet. Die Fernseh-Richtlinie wurde durch die am 19.12.2007 in Kraft getretene audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie 15 (AVMDR) ersetzt, die bis zum 18.12. 2009 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Die vielgestaltigen, sich daraus ergebenden Änderungen werden in Teil 1 Kap 3 Rn 167 ff detailliert dargestellt. Nicht auf europäischen Vorgaben beruhen vereinzelte Regelungen mit einem Rundfunkbezug, zB der Glücksspielstaatsvertrag, der Werbeverbote für Glücksspiel im Fernsehen und im Internet enthält (§ 5 Abs 3 des Glücksspielstaatsvertrages). Für den Hörfunk gilt zwar ebenfalls der Rundfunkstaatsvertrag, teilweise jedoch mit einigen Sonderregelungen. § 16 Abs 5 RStV iVm dem jeweiligen Landesrundfunkgesetz (zB WDR-Gesetz) begrenzt die tägliche Werbung für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk auf 90 Minuten pro Tag, während zB die Höchstgrenze für das Erste Fernsehprogramm 20 Minuten im Jahresdurchschnitt beträgt. Häufig finden sich in den Landesmediengesetzen und Landesrundfunkgesetzen der einzelnen Bundesländer gleichlautende oder weitergehende Werberegelungen. Sie sind jedoch nur heranzuziehen, wenn sie im Verhältnis zum RStV abweichende Regelungen enthalten (§ 1 Abs 2 RStV). Die Landesmedienanstalten haben gem § 46 RStV gemeinsame Richtlinien zur Interpretation und Durchführung dieser Normen, die sog DLMWerberichtlinien 16 erlassen, die in der Neufassung gleichzeitig mit dem 4. RÄndStV am 1.4.2000 in Kraft getreten sind. Inhaltlich ähnliche Werberichtlinien haben sich auch ARD und ZDF gegeben. Daneben gelten – ergänzend 17 – das Werberecht des UWG sowie in Verbindung mit dem Wettbewerbsrecht auch die branchenübergreifenden Selbstverpflichtungskataloge, wie zB die Verhaltensregeln des deutschen Werberates über alkoholische Getränke.18 Ob letztere – zusammen mit der Generalklausel in § 7 Abs 1 S 1 RStV – die fehlende Umsetzung von Art 15 Fernseh-Richtlinie ersetzen, ist zweifelhaft. Die Verhaltensregeln des Werberats sind weniger streng und lassen sich wettbewerbsrechtlich nur eingeschränkt durchsetzen.19 Für den privaten Hörfunk gibt es eine eigene Richtlinie zu Werbung und Sponsoring. Streitig ist, ob es sich bei den Werberichtlinien um norminterpretierende oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften handelt, zumindest soweit es sich um die Rechtsfolgenseite geht. Die hM geht davon aus, dass die Richtlinie lediglich norminterpretierenden Charakter haben und dass auf ihrer Basis getroffene Entscheidungen im Werbebereich gerichtlich voll überprüfbar sind.20 Über die gesetzlichen Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags hinaus können sie keine Einschränkungen vorsehen. Sie dienen der Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis. Anders ist es nur, soweit der Gesetzgeber den Landesmedienanstalten Satzungsautonomie zubilligt, wie etwa bei den Kabelbelegungssatzungen. Die Rundfunkanstalten der ARD und des ZDF müssen gem § 16 RStV zur seiner Durchführung Werberichtlinien erlassen. Auch hier handelt es sich häufig um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften – allerdings ohne Außenwirkung, weil sie sich damit 15 16
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Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007. Gemeinsamen Richtlinie der Landesmedienanstalten für die Werbung, zur Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring im Fernsehen/im Hörfunk (Werberichtlinien) vom 21.2.2000. S unten Rn 23 ff.
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Abgedr bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner § 7 Rn 107. Beucher/Leyendecker/von Rosenberg § 7 Rn 72. Statt vieler Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 46 Rn 2; aA Hahn/Vesting/Ladeur § 46 Rn 10.
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nur selbst binden. Das Selbstverwaltungsrecht der Rundfunkanstalten und das Intendantenprinzip lassen es allerdings auch zu, über das Gesetz hinauszugehen. Die Rechtsaufsicht (das zuständige Bundesland) kann die Richtlinien auf Gesetzeskonformität hin überprüfen.
V. Konkurrenz zwischen Werberecht im RStV und im UWG 23
Das Gebot der Trennung von Werbung und Programm, der Erkennbarkeit von Werbung bzw das Verbot der Schleichwerbung finden sich sowohl im Rundfunkstaatsvertrag als auch im UWG. Einschlägig ist das Regelbeispiel in § 4 Nr 3 UWG. Danach handelt unlauter, wer den Werbecharakter von Wettbewerbshandlungen verschleiert21. Ist die UWG-Norm im Fernsehbereich neben § 7 Abs 6 S 1 RStV und der Definition in § 2 Abs 2 Nr 6 RStV anwendbar oder stellen die rundfunkrechtlichen Regelungen für den Rundfunk eine abschließende Spezialregelung dar? Dieses Problem wurde bisher von Rechtsprechung und Literatur nur gestreift.22 Zweifel an einer parallelen Anwendbarkeit von Regelbeispiel und rundfunkrecht24 licher Regelung ergeben sich aus dem Umstand, dass im Rundfunkstaatsvertrag Regelungen der Fernseh-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist in einem Fall der Konkurrenz zwischen Rundfunk- und Wettbewerbsrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Richtlinie in dem von ihr koordinierten Bereich eine abschließende Regelung darstellt 23. In diesem Fall ging es um eine nach schwedischem Wettbewerbsrecht verbotene Kinderwerbung. Die Wettbewerbsbehörde untersagte schwedischen Unternehmen, an Kinder gerichtete Fernsehwerbung in TV 10 zu schalten. Bei TV 10 handelte es sich um einen in Großbritannien niedergelassen Fernsehveranstalter, der im Besitz einer rundfunkrechtlichen Sendeerlaubnis der britischen Rundfunkbehörde war. Zwar hatte der schwedische „Konsumentenombudsmann“ keine Zuständigkeit für TV 10. Obwohl das Programm sich an das schwedische Publikum richtete, konnte er nicht verlangen, Kinderwerbung zu unterlassen. Dies ergibt sich aus dem Sendelandsprinzip in Art 2a der Fernseh-Richtlinie. Aber auch die mittelbare Erzwingung des schwedischen Kinderwerbeverbots über die schwedischen Werbetreibenden wurde dem „Konsumentenombudsmann“ vom EuGH verwehrt. In dem von der Richtlinie koordinierten Bereich gehe die Richtlinie vor, auch wenn das Wettbewerbsrecht des Mitgliedsstaates davon abweicht.
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Ein Unterlassungsanspruch von Wettbewerbern ergibt sich dann aus § 8 iVm § 3 und dem Regelbeispiel. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 Rn 3.7 geht zu Recht davon aus, dass § 7 Abs 6 S 1 RStV gegenüber dem Regelbeispiel in Nr 3 lex specialis ist; stattdessen kommt nur eine Wettbewerbswidrigkeit nach dem Regelbeispiel Nr 11 (Vorsprung durch Rechtsbruch) in Verbindung mit der rundfunkrechtlichen Regelung in Betracht; aA auf der Basis des alten Rechts Hartstein/Ring/ Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 59, wonach eine
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Schleichwerbung nach § 7 Abs 6 stets auch ein Verstoß gegen § 1 UWG darstelle. Die Fragestellung wurde auch deshalb eher stiefmütterlich behandelt, weil es in der Sache keinen Unterschied gab. Wenn beide Normen parallel ausgelegt werden, kommt es auf eine Normkollision nicht an. Schleichwerbung ist seit 1999 im RStV gesetzlich definiert und seit der UWG-Reform auch im UWG (§ 4 Nr 3) ausdrücklich geregelt. Seitdem stellt sich die Frage der Konkurrenz beider Normkomplexe neu. EuGH Slg 1997, I-3875 – de Agostini.
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Ginge es also um Schleichwerbung in einem im EU-Ausland zugelassenen Sender, wäre es europarechtlich ausgeschlossen, von den Regelungen und Definitionen der Fernseh-Richtlinie abzuweichen. Mitgliedsstaaten können gem Art 3 der Fernseh-Richtlinie Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, allerdings strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen unterwerfen, als die Fernseh-Richtlinie selbst vorsieht. Diese Möglichkeit entbindet jedoch nicht von der Pflicht, Regelungen im koordinierten Bereich richtlinienkonform auszulegen. Das heißt, es wäre zulässig, im Rundfunkstaatsvertrag oder auch im UWG ein weitergehendes Verbot aufzustellen – etwa in dem man anstelle der jetzt geforderten Schleichwerbeabsicht des Senders auch bewusste Fahrlässigkeit des Senders mit Bezug auf den Werbezweck der Schleichwerbung ausreichen lassen würde. Dabei müsste es sich aber um eine gesetzliche Regelung handeln. Bei der Interpretation einer bestehenden Norm muss hingegen die Richtlinie und der von ihr koordinierte Bereich beachtet werden. Diese europarechtliche Argumentation wird durch systematische Überlegungen unterstützt. Die Feststellung, ob und in welchem Umfang eine Vorschrift als „lex specialis“ anzusehen ist, richtet sich nach den üblichen Auslegungsgrundsätzen; dabei kommt es entscheidend auf den Vergleich der Normzwecke der konkurrierenden Vorschriften an.24 Das Regelbeispiel in § 4 Nr 3 UWG spricht von der Verschleierung des Wettbewerbscharakters von Wettbewerbshandlungen. Damit ist Schleichwerbung gemeint, obwohl der Wortlaut sich von der engeren Definition der Schleichwerbung im Fernsehen in § 2 Abs 2 Nr 6 RStV unterscheidet.25 UWG und Rundfunkstaatsvertrag regeln also im Bereich der Fernsehwerbung denselben Sachverhalt. In der Gesetzgebungsgeschichte findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Wettbewerbsrechts eine für den Fernsehbereich oder auch für alle Medien strengere Regelung treffen wollte. Im Gegenteil scheint er davon auszugehen, dass es sich beim Trennungsund Erkennbarkeitsgebot um allgemeine Prinzipien handelt, welche „auch in Spezialvorschriften der Landespresse- und Landesmediengesetze vorkommen.“26 Das rundfunkrechtliche Gebot hat nur zusätzlich den aus Art 5 Abs 1 S 2 GG fließenden Schutz der Unabhängigkeit des Programmveranstalters vor der Beeinflussung durch die werbetreibende Wirtschaft im Auge und nicht nur das Interesse der Wettbewerber an der Neutralität der Medien im Wettbewerb und das der Verbraucher, nicht über den Werbecharakter des Inhalts irregeführt zu werden. Da das wettbewerbsrechtliche Schleichwerbeverbot keine über das rundfunkrechtliche Schleichwerbeverbot hinausgehenden Normzwecke verfolgt, ist auch aus diesem Grunde eine Konkurrenz beider Normen im Bereich der Schleichwerbung im Fernsehen nicht erforderlich. Die einzige Besonderheit des Schleichwerbetatbestandes im Rundfunkstaatsvertrag ist der Umstand, dass die Werbeabsicht beim Veranstalter vorliegen muss. Wendet man den Tatbestand auf den Fernsehproduzenten an, kann dieser den Tatbestand nicht erfüllen.27 Und umgekehrt begeht der Sender keine Schleichwerbung, wenn er die Schleichwerbung des von ihm beauftragten Produzenten nicht erkennt (näher zu dieser Problematik vgl Rn 88 ff). Aus den genannten Gründen halte ich folgende differenzierende Betrachtung für sinnvoll: Soweit das Schleichwerbeverbot unmittelbar Anwendung findet, also insbesondere gegenüber Fernsehsendern, gehen die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages vor.
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Rüthers Rn 771. Vgl etwa Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 Rn 3.7, 3.43 ff.
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Gesetzesbegründung, BT-Drucks 15/1487, 17. AA Hahn/Vesting/Ladeur § 7 Rn 57 mwN.
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Klagt also bspw ein Fernsehsender gegen den anderen auf Unterlassung von Schleichwerbung, dürfte er dies nicht auf § 4 Nr 3 UWG stützen, sondern auf das Regelbeispiel in § 4 Nr 11 UWG (Vorsprung durch Rechtsbruch) iVm § 7 Abs 6 RStV und § 2 Abs 2 Nr 6 RStV. Geht es um Fernsehwerbung bzw Schleichwerbung im Fernsehen und ist kein Fernsehveranstalter betroffen, sind RStV und UWG nebeneinander anwendbar 28. Allerdings kann der Begriff der Schleichwerbung im Regelbeispiel aus § 4 Nr 3 UWG bei der Schleichwerbung im Rundfunk nicht anders ausgelegt werden als für die unmittelbar betroffenen Fernsehveranstalter gem § 2 Abs 2 Nr 6 RStV. Diese fernsehspezifische Definition der Schleichwerbung ist vorrangig. Mit anderen Worten: § 4 Nr 3 UWG muss mit Bezug auf Rundfunk rundfunkrechtlich und damit auch richtlinienkonform ausgelegt werden. Es kommt daher auf die Frage, ob das Regelbeispiel in § 4 Nr 3 UWG möglicherweise einen weiteren oder engeren Schleichwerbebegriff enthält als § 2 Abs 2 Nr 6 RStV, für den Bereich der Fernsehwerbung nicht mehr an.
VI. Die Ziele des Gesetzgebers bei der Regulierung der Rundfunkwerbung 1. Regelungsspezifische Ziele
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Es gibt regelungsübergreifende und regelungsspezifische Ziele des Gesetzgebers bei der Regulierung der Rundfunkwerbung. Letztere sind so vielfältig wie die Regelungen selbst. So hat das Verbot der Tabakwerbung die Reduktion des Tabakkonsums in Deutschland zum Ziel. Das Verbot der Unterbrechung von Gottesdienstübertragungen will den sakralen Kern solcher Veranstaltungen vor Verwässerung durch kommerzielle Botschaften schützen. In all diesen Regelungen liegen die gesetzlichen Zwecke klar zu Tage. Soweit erforderlich, soll auf sie deshalb auch erst im Kontext der Darstellung bzw Interpretation der entsprechenden Spezialregelung eingegangen werden. 2. Allgemeine Ziele
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Sehr viel schwieriger hingegen ist die Herausarbeitung der allgemeineren Ziele, insbesondere der ratio legis des Trennungs-, Kennzeichnungs- bzw Erkennbarkeitsgebots und des Beeinflussungsverbots. Alle drei Prinzipien sind in § 7 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) verankert. Gem § 7 Abs 3 S 1 RStV müssen Werbung und Teleshopping als solche klar erkennbar sein. Nach S 2 müssen Werbung und Teleshopping im Fernsehen durch optische Mittel, im Hörfunk durch akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein. Das Beeinflussungsverbot findet sich zunächst in § 7 Abs 2 RStV, der wie folgt lautet: „Werbung oder Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen. S 1 gilt für Teleshoppingsspots, Teleshoppingfenster und deren Anbieter entsprechend.“ Etwas weniger weitgehend ist die Formulierung in § 8 Abs 2 RStV: „Inhalt und Programmplatz einer gesponserten Sendung dürfen vom Sponsor nicht in der Weise beeinflusst werden, dass die Verantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden.“ Das Trennungsprinzip gilt als gefestigter Grundsatz des Medienwerberechts.29 Der 32 Verband Deutscher Zeitungsverleger erreichte bereits 1901 ein einheitliches Verbot der 28
Die Lösung über „Vorsprung durch Rechtsbruch“ ist nicht möglich, wenn und insoweit der Dritte (zB der Werbetreibende oder der Fernsehproduzent) nicht Adressat der ver-
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waltungsrechtlichen Vorschriften des RStV sein kann. S oben Fn 8, 9, 10; Wieben 48 ff.
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Vermengung von redaktionellen und Anzeigenteil in einer, wie man es heute nennen würde, freiwilligen Selbstbeschränkung.30 Das 1933 verabschiedete Schriftleitergesetz enthielt eine Vorschrift die alles untersagte, „was eigennützige Zwecke mit gemeinnützigen in einer die Öffentlichkeit irreführenden Weise vermengt.“ 31 Das Trennungsgebot hat eine lange Tradition im deutschen Presserecht; es wurde bereits 1957 in einem Urteil des OLG Celle als „gefestigte Standesauffassung“ bezeichnet.32 Trennungs- oder Kennzeichnungs- oder Erkennbarkeitsgebot werden häufig synonym 33 verwendet. Das ist jedoch irreführend. Das Gesetz unterscheidet nicht ohne Grund zwischen dem Erkennbarkeits- und dem Trennungsgebot. Der Unterschied zwischen den beiden lässt sich an folgendem kleinen Beispiel illustrieren: nehmen wir an, ein Showmaster, nimmt während der Show sein Handy aus der Jackentasche, lobt das Design und gewisse technische Eigenschaften des Geräts und verrät am Ende mit einem Augenzwinkern, dass der Handy Hersteller für diese Aussage „eine Menge Geld“ bezahlt habe. Das Trennungsprinzip wäre verletzt, weil Programm und werbliche Aussage fast untrennbar vermischt werden. Das Erkennbarkeitsgebot hingegen wäre nicht verletzt, weil es für jeden erkennbar gewesen wäre, dass es sich um eine werbliche Botschaft handelte. Ein zweites Beispiel: nehmen wir an, werbliche Artikel zu den Themen „Auto und Motorsport“ wären einer Tageszeitung mit einer Beilage beigelegt worden. Es ist klar, dass die Tageszeitung und die Beilage getrennt voneinander wären. Dennoch mag vielen Lesern nicht deutlich geworden sein, dass es sich bei der Beilage um Werbung handeln würde. Deswegen fordern die Landespressegesetze auch eine Kennzeichnung, zB durch das Wort „Anzeige“. Wie zentral der Unterschied zwischen Trennung und Erkennbarkeit ist, zeigt sich an 34 der Diskussion um die Zulassung des „Product Placement“. Vereinfacht ausgedrückt (für Details s unten Teil 1 Kap 3 Rn 167 ff), lässt die AVMDR in Art 3 (f) „Product Placement“ zu, wenn es bestimmte Voraussetzungen erfüllt und wenn es als solches gekennzeichnet ist. Eine Trennung von werblichen und redaktionellen Teil kann es bei diesem Konzept einer programmintegrierten Werbung nicht geben. Es ist gerade der Witz, dass die Werbung Teil der Geschichte ist. Daran würde man auch nichts ändern, wenn man – wie diskutiert wurde – den Warnhinweis nicht nur vor und nach der Sendung platzieren würde, sondern unmittelbar jedes einzelne Placement mit einem Signet als werbliches Elemente kennzeichnen würde. Mit anderen Worten: Lässt man programmintegrierte Werbung zu, ist das Trennungsprinzip verletzt, selbst wenn die Werbung gekennzeichnet und erkennbar ist. Es stellt sich die Frage, ob Trennungs- und Erkennbarkeitsgebot, wie oft behauptet,33 35 dieselben gesetzlichen Zwecke verfolgen. Die Antwort auf die Frage hat Auswirkungen auch auf Interpretationen und systematische Problemstellungen, etwa das Problem, ob der Begriff der Schleichwerbung ein besonderer Unterfall der Rundfunkwerbung ist. Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn man zB die These beleuchtet, Zweck der Trennung der Werbung sei (auch) die Erkennbarkeit der Werbung. Dann wäre die Trennung (nur) eine von vielen Methoden, um Erkennbarkeit zu gewährleisten und stünde
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Baerns 10. Baerns 12. OLG Celle DB 1958, 652. Die meisten Autoren behandeln Trennungsund Kennzeichnungsgebot undifferenziert nebeneinander: Paschke Rn 367 ff, 537 ff; Gersdorf Rn 256 ff; Fechner Rn 971 ff;
Petersen § 15 Rn 2 ff; Hesse 3. IV 1 Rn 56 ff; Beucher/Leyendecker/von Rosenberg § 7 Rn 27; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 27; Bork GRUR 1988, 264 ff; zu Recht differenzierend hingegen Hahn/ Vesting/Ladeur § 7 Rn 28 ff und Gounalakis WRP 2005, 1476, 1477.
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damit diesbezüglich neben den Kennzeichnungsverpflichtungen. So einfach liegt die Sache jedoch nicht. Das Erkennbarkeitsgebot hat zwei Ziele: Zunächst schützt es die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Der Medienrezipient (sei es als Zuschauer, Zuhörer, oder Leser) soll nicht darüber getäuscht werden, ob er oder sie eine werbliche oder redaktionelle Botschaft wahrnimmt. Konsumenten tendieren dazu, Werbebotschaften (bzw generell „pro domo“ gesprochene Botschaften) kritischer zu würdigen und ihnen weniger Glauben zu schenken als redaktionellen. Schutzobjekt ist also zunächst der Konsument.34 Das zweite Ziel ist der faire Leistungswettbewerb.35 Wettbewerber fordern von den Medien, auf der Basis fairer möglichst objektiver Kriterien verglichen und bewertet zu werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Unternehmen, zB ein besonders finanzkräftiger Arzneimittelherstellers, dafür bezahlt, dass sein Produkt in einer Ratgebersendung als besonders wirksam und preisgünstig herausgestellt wird. Bei einem Verstoß gegen die Neutralität des Rundfunks gegenüber sachfremden Einflüssen der Werbewirtschaft ist die Gleichheit der wettbewerblichen Ausgangsbedingungen verletzt. Etwas komplexer müsste die Argumentation sein, wenn man nicht die Verhinderung einzelner Verstöße, sondern die Gesamtregelung, also zB das Verbot der Schleichwerbung generell in den Blick nimmt: Wäre Schleichwerbung auch dann wettbewerbspolitisch problematisch, wenn jeder Wettbewerber es dürfte? Hätten nicht wieder alle Wettbewerber die gleichen Chancen für diese heimlichen Werbeaussagen im redaktionellen Programm zu sorgen? Meines Erachtens böte der damit ausgelöste sekundäre Wettbewerb um versteckte Werberplätze nicht die Gewähr, dass es zu einem fairen Leistungswettbewerb in den Medien kommt. Letztlich aber bedürfte es einer tiefergehenden ökonomischen Analyse, um diese Frage zu beantworten. Die Ziele des Trennungsprinzips sind mit den erwähnten des Erkennbarkeitsgebots nur vordergründig identisch. Nur wenn man die Trennung von Werbung und Programm als (eine) Methode, Werbung erkennbar zu machen ansieht, dient das Trennungsgebot dem gleichen Zweck wie das Erkennbarkeitsgebot. Es verfolgt jedoch ein über den Verbraucher- und Wettbewerbsschutz hinausgehendes Ziel: die Unabhängigkeit des Rundfunks von werblichen Aussagen oder, etwas abstrakter formuliert, die Autonomie der Medien gegenüber der ökonomischen Sphäre.36 Es bezweckt die Autonomie der Programmgestaltung, schützt das Vertrauen des Zuschauers in eben diese Autonomie und fördert somit die Aufgabe des Rundfunks, zu einer umfassenden öffentlichen und individuellen Meinungsbildung beizutragen. Dasselbe Ziel wird auch vom Beeinflussungsverbot verfolgt. Wie oben bereits erwähnt, findet es sich das Verbot der Beeinflussung der Programmautonomie sowohl bei der Werbung (§ 7 Abs 2 RStV) als auch beim Sponsoring und, auf der Basis der neuen Richtlinie, auch bei der Regelung zum Product Placement. Umgekehrt schützt die Erkennbarkeit der Werbung (zB aufgrund einer Kennzeichnung) diese Freiheit nur allenfalls mittelbar. Das Trennungsgebot ist für den Erhalt der Medienautonomie wichtiger als das Beeinflussungsverbot. Während das Beeinflussungsverbot interne Kenntnisse zur Kommunikation zwischen dem werbetreibenden Unternehmen und dem Medienunternehmen voraussetzen würde, um Verstöße dagegen festzustellen, sind Verstöße gegen das Tren-
34 35
BGH GRUR 1990, 611, 615 – Wer erschoss Boro?; Ahrens GRUR 1995, 307, 308. So BGH GRUR 1990, 611, 615 – Wer erschoss Boro?; krit dagegen Schultze 93 f.
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36
So auch Gounalakis WRP 2005, 1476 ff; in ähnliche Richtung von Danwitz AfP 2005, 417, 419.
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nungsgebot sehr viel leichter zu ermitteln. Definiert man, wie wir später sehen werden, werbliche Aussagen, objektiv und gewissermaßen mit dem Blick von „außen“ (zB allein durch die Tatsache, dass das Produkt übermäßig und in werblich anmutender Weise herausgestellt ist), so lassen sich derartig offensichtlich werbliche Aussagen gut erkennen. Ein Richter kann die Prüfung durch einfache Lektüre des jeweiligen Artikels oder durch Anschauen der Aufzeichnungen der jeweiligen Sendung an seinem Schreibtisch vornehmen. Weil die Durchsetzung vergleichsweise einfach ist, besitzt das Trennungsgebot eine praktisch weitaus größere Bedeutung als das Beeinflussungsverbot. Betrachtete man Rechtsprechung und Lehre in Deutschland und Europa, ist das Beeinflussungsverbot eher ein Programmsatz geblieben.37 Das Trennungsprinzip ist hingegen kein Papiertiger, die Zahl der Verwaltungsverfahren und vor allem der Wettbewerbsprozesse, bei denen es um Verstöße gegen das Trennungsgebot geht, ist groß.38 Warum sollte die Autonomie der Medien geschützt werden? Die Autonomie dient der 41 Meinungsvielfalt. Würden fiktional Inhalte grds auf die Bedürfnisse der Werbetreibendenindustrie eingestellt, gäbe es wohl noch mehr Serien wie „Sex in the City“, die sich vor allem hervorragend als Werberplattform eigneten. Im redaktionellen Bereich wären die Folgen noch gravierender. Niemand wüsste mehr genau, ob der entsprechende journalistische Beitrag mehr auf Einschätzungen des Journalisten oder seines Werbepartners beruhte. Selbst wenn auf integrierte Werbung hingewiesen würde, müsste der Rezipient Ausmaß und Detail der Beeinflussung selbst herausfinden. Man kann das Ziel der Medienautonomie im Übrigen noch grundsätzlicher fassen: Grundlegende Systeme der Gesellschaft müssen zumindest im Kern ihrer Autonomie bewahren. Nehmen wir das Beispiel der Wissenschaft. Ihr autonom verwalteter „Code“ ist die Wahrheit bzw die objektive Erkenntnis. Was dies bedeutet (dh, wann eine Aussage „wahr“ ist), wird wissenschaftsintern im Bereich der Methodologie und Erkenntnistheorie debattiert und intersubjektiv festgelegt. Eine Gesellschaft wäre schlecht beraten, wenn sie akzeptierte, dass wissenschaftliche Wahrheit käuflich würde. Damit ist nicht gesagt, dass es keine Auftragsforschung geben dürfe. Problematisch ist nur, wenn – innerhalb des Systems der Wissenschaft – autonom definierte Standards, Methoden und Wahrheiten im Interesse des zahlenden Auftraggebers verbogen oder gar außer Kraft gesetzt werden. Sehr pointiert formuliert: wenn man mit Geld oder mit politischer Macht dafür sorgen könnte und dürfte, dass zwei plus zwei gleich 4,1 ist, würden sich die Menschen irgendwann mehr für die Frage interessieren, wer dieses Ergebnis bezahlt hat, als für die mathematischen Lehrsätze. Zum Schluss sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Erkennbarkeit der Autonomieverletzung an dieser grundlegenden Problematik nichts ändern würde. Als Zyniker müsste man vielmehr sagen: im Gegenteil! Für das Überleben des Systems „Wahrheit“ wäre es fast besser, wenn die Diskursteilnehmer nicht wüssten, dass man sie kaufen kann.
VII. Verfassungsrechtliche Basis Rundfunkwerbung ist von zwei Seiten verfassungsrechtlich geschützt.39 Zunächst 42 dient sie insbesondere dem privaten Rundfunk als Finanzierungsquelle. Wenn der Gesetzgeber privaten Rundfunk zulasse – so das Bundesverfassungsgericht, dürfe er nicht
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Ein konkreter gerichtsbekannter Fall eines Verstoßes ist mir nicht bekannt. Köhler WRP 1998, 349 ff.
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So auch Hahn/Vesting/Ladeur § 7 Rn 4 ff; Sachs/Bethge Art 5 Rn 108 ff; Umbach/ Clemens/Zöbeley Art 5 Rn 90 ff.
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gleichzeitig Bedingungen aufstellen, die die Veranstaltung des privaten Rundfunks erschweren oder sogar unmöglich machen würden.40 Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung bzw der verfassungskonformen Auslegung rundfunkwerberechtlicher Normen ist deshalb auf diese grundlegende Funktion zu achten, unter anderem mit Bezug auf das Übermaßverbot.41 Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Rundfunkwerbung keine erhebliche Finanzierungsform mehr, da sie nur noch ca 5 % der Gesamteinnahmen ausmacht. Dennoch wird sie – gerade auch von Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – für verfassungsrechtlich sinnvoll, teilweise sogar geboten, gehalten. Ihr zentrales Argument ist die größere Unabhängigkeit von der durch die Länderparlamente bestimmten Rundfunkgebühr. Die Rundfunkwerbung garantiere ein Stück Staatsfreiheit. Angesichts des inzwischen – nach zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfinanzierung 42 – sehr staatsfreien Entscheidungsprozesses trägt dieses Argument nicht mehr weit. Das zweite, eher wettbewerbspolitische Argument lautet, dass andernfalls das Duopol der RTL und der ProSieben Sat. 1 Gruppe noch verstärkt würde.43 Obwohl die Rundfunkwerbung als zentrale Finanzierungsquelle zumindest für die 43 privaten Sender verfassungsrechtlich abgesichert ist, versäumt das Bundesverfassungsgericht nicht, gleichzeitig auf die Programm und Vielfalt verengenden Tendenzen der Werbung durch den Zwang zur Massenattraktivität hinzuweisen, die von der Werbefinanzierung ausgehen.44 Damit ist die Rundfunkwerbung auf dieser funktionalen Betrachtungsebene der Rundfunkfreiheit ein Grund für die besonders intensive Regulierung, die sog „positive Ordnung“ im Rundfunk 45. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind in Bereich der Werbung noch stärkere 44 Beschränkungen gefordert. In der Guldenburg-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof es dem ZDF verwehrt, die Marke Guldenburg für rundfunkferne Warenklassen anzumelden. Damit hat es den kommerziellen Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewisse Grenzen gesetzt.46 Die Begründung war verfassungsrechtlicher Natur und wurde vom – vom ZDF angerufenen – Bundesverfassungsgericht bestätigt; das Kernargument war einfach und prägnant: „(…) Anders als ursprünglichere Formen der Nebenverwertung von Sendungen (Vergabe von Sende- oder Buchverlagsrechten gegen Lizenzen uä), die in engem Zusammenhang mit der eigentlichen Aufgabe der Rundfunkanstalten stehen und mit dieser Aufgabe regelmäßig nicht kollidieren, besteht beim Merchandising in einem weiteren Umfang eine nicht zu vernachlässigende Gefahr der Kollision mit tragenden Grundsätzen des Medienrechts, nämlich mit den Geboten der Neutralität im Wettbewerb und der Bewahrung der Unabhängigkeit der Programmgestaltung sowie der Abwehr sachfremder Einflüsse Dritter auf diese. (…) Jedenfalls besteht aber die zusätzliche und nicht unbedeutende Gefahr, dass bei unbegrenzter Zulassung des Merchandising für eine breite Palette unterschiedlicher, keinen engen Sachzusammenhang mit der Sendung selbst und den Aufgaben
40 41 42 43 44 45
BVerfGE 73, 118 – Niedersachsen, Rn 154. Ricker/Schiwy 122. BVerfGE 87, 181 ff – Hessen 3; BVerfGE 90, 60 ff – Gebührenurteil. BVerfGE 87, 181 – Hessen 3, Rn 81. BVerfG 1 BvR 341/93 – Guldenburg; BVerfGE 90, 60 ff – Gebührenurteil. Ständige Rechtsprechung des Bundesver-
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fassungsgerichts: BVerfGE 74, 297 ff – Baden-Württemberg; BVerfGE 83, 238 ff – WDR; BVerfGE 90, 60 ff – Gebührenurteil; BVerfGE 97, 298 ff – Extra Radio Hof. BVerfG ZUM 1999, 71 ff; BGH NJW 1993, 892 ff; von Hartlieb/Schwarz/Castendyk Kap 240 Rn 23.
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der Sendeanstalten aufweisenden Waren ein erhebliches Interesse – und ein durch dieses Interesse geschürter Druck – zahlreicher Lizenznehmer erzeugt werden kann, die Sendung, von der allein die Werbewirkung ausgeht, entweder (als Serie) fortzusetzen oder möglichst oft und zu günstigen Sendezeiten zu wiederholen. (…) Darüber hinaus kann ein stärker werdendes Interesse der Sendeanstalten, sich über die Gebühren und die beschränkten Werbeeinnahmen hinaus zusätzliche Einnahmequellen zu verschaffen, auch zur Folge haben, daß schon Planung und Gestaltung von Sendungen – mindestens auch – im Blick auf deren künftige Verwertbarkeit unter Merchandising-Gesichtspunkten vorgenommen werden, wobei wiederum die Gefahr einer Kontaktaufnahme mit bzw einer Einflussnahme von potentiellen Interessenten aus der an Fernsehwerbung im weitesten Sinne interessierten Wirtschaft entstehen kann (…).“ 47 Damit sind dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestimmte Formen des Medienverbunds, des Merchandising und der Cross-Promotion verfassungsrechtlich erschwert.48 Die Rundfunkwerbung ist nicht nur als Finanzierungsbestandteil der Rundfunkgebühr über die Rundfunkfreiheit gem Art 5 Abs 2 GG abgesichert. Die einzelne Werbebotschaft im Rundfunk ist daneben auch als Meinungsäußerung gem Art 5 Abs 1 S 1 GG geschützt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach bekräftigt, dass auch kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt haben, vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind. Besonders großen Schutz genießen Werbeaussagen, die von allgemeinem gesellschaftlichen oder politischen Interesse sind. Werbeaussagen genießen, wie das Gericht treffend formuliert, auch den Schutz der Presse- oder Rundfunkfreiheit als darin eingebettete Meinungsäußerungen Dritter. Sie sind also nicht nur durch Art 5 Abs 1 S 1 GG geschützt, sondern auch von der Presse- und Rundfunkfreiheit in Art 5 Abs 1 S 2 GG. Daneben ist die Entscheidung, eine möglicherweise werbewirksame Meinung zu äußern, etwa in Form der positiven Bewertung eines Produkts in einer Ratgebersendung oder in der Entscheidung, einen Tatort-Kommissar zB einen BMW fahren zu lassen, ein Ausdruck der Programmfreiheit eines Senders. Werbebeschränkungen grenzen deshalb den Handlungsspielraum der Rundfunkveranstalter ein, dem Zuschauer in Erfüllung des verfassungsrechtlichen Funktionsauftrags ein umfassendes Bild einer auch durch Werbung geprägten Lebenswirklichkeit zu vermitteln. Verfassungsrechtlich befindet sich das Trennungs- und Erkennbarkeitsgebot folglich in einem Spannungsverhältnis einander begrenzender Elemente des Programmauftrags, den der Rundfunk zur Erfüllung seiner Aufgabe für die öffentliche und individuelle Meinungsbildung wahrzunehmen hat.49 So kann es zu einer Grundrechtskollision kommen. Meinungsfreiheit bzw die die „eingebettete“ Meinungsäußerung schützende – Medienfreiheit kann in Widerspruch geraten mit den Anforderungen an die Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit als einem funktionalen Grundrecht. Mit anderen Worten: Es kann verfassungsrechtlich geboten sein, zur Sicherung der Meinungsvielfalt im Rundfunk, die vielfaltsverengenden Tendenzen der Rundfunkwerbung regulierend einzuhegen, etwa durch besondere Beschränkungen der Werbung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie bei allen Grundrechtskollisionen ist ein Ausgleich der gegenläufigen Interessen im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zu suchen. So steigt der 47 48
BVerfG ZUM 1999, 71 ff; BGH ZUM 1993, 363 Rn 34–37. Volpers/Herkströter/Schnier 53 ff.
49
Greffenius/Fikentscher ZUM 1992, 526, 528; Volpers/Herkströter/Schnier 112.
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Wert der Programmautonomie mit der Bedeutung einer Programmgattung für den demokratischen Meinungsbildungsprozess. Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen Zeitgeschehen, Informations- und Magazinsendungen oder Dokumentarfilme sind deshalb als schutzbedürftiger einzustufen als reine Unterhaltungssendungen, Spielfilme oder Serien. Letztere sind wiederum als urheberrechtlich geschützte Werke stärker zu schützen als – idR nur als sog „Laufbilder“ geschützte – Unterhaltungsshows. Zu berücksichtigen ist auch, ob es sich bei der Sendung um eine Fremdproduktion oder eine Eigen-, Auftrags- oder Koproduktion handelt. Nur bei letzteren kann der Programmverantwortliche auf die konkrete Produktionsgestaltung Einfluss nehmen. Ein striktes Verbot der Schleichwerbung bei Fremdproduktionen wie etwa „James Bond“ – Filmen, würde die autonome Programmentscheidung, einen solchen Film auszustrahlen, völlig unmöglich machen, während es bei Eigenproduktionen dem Sender frei stünde, programmintegrierte Werbung zu vermeiden. Die dritte verfassungsrechtliche Fragestellung im Kontext der Rundfunkwerbung 50 betrifft die Unterscheidung in Ausgestaltungs- und Eingriffsgesetze. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet seit langem und in ständiger Rechtsprechung zwischen die Rundfunkfreiheit lediglich ausgestaltenden Regelungen und Eingriffen, die durch die Schrankenregelung in Art 5 Abs 2 GG gerechtfertigt sein müssen. Die sog dienende Funktion der Rundfunkfreiheit hat zur Folge, dass der Gesetzgeber Regelungen treffen muss, die das Ziel der Rundfunkfreiheit, die Meinungsvielfalt im Rundfunk sichern. Mit Bezug auf ausgestaltende, aber nicht beschränkende Regelungen hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum50. Bei einer ausgestalten Norm reicht es für die Verfassungsmäßigkeit nach bisher hM aus, wenn mit der Norm die Meinungsvielfalt gefördert wird (Eignung), wobei dem Gesetzgeber ein großer Entscheidungsspielraum gegeben wird.51 Nach einer im Vordringen befindlichen Meinung ist auch bei einer Ausgestaltung die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu prüfen; im Unterschied zum Eingriff gem Art 5 Abs 2 GG soll jedoch der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers größer sein.52 Die Frage, ob eine Ausgestaltung oder ein Eingriff in das Grundrecht der Meinungs51 freiheit gegeben ist, wird anhand des Gesetzeszwecks entschieden: Dient der Zweck des Gesetzes überwiegend der Meinungsvielfalt, handelt es sich um eine Ausgestaltung.53 Bezweckt der Gesetzgeber den Schutz anderer Rechtsgüter, zB des Verbraucherschutzes oder urheberrechtlicher Werkintegrität, handelt es sich um einen Eingriff. Eine Begrenzung der Werbemenge oder der Werbeunterbrechung dient bspw überwiegend dem Verbraucher- und Urheberschutz und wäre daher an Art 5 Abs 2 GG zu messen. Es ist deshalb verfehlt, jegliche Werbebeschränkung pauschal als Ausgestaltung der oder als Eingriff in die Rundfunkfreiheit einzustufen bzw nicht zwischen Trennungs- und Kennzeichnungsgebot zu differenzieren.54 Wie gezeigt, dient das Trennungsprinzip überwiegend der Autonomie der Medien, so 52 dass es vertretbar erscheint, eine Ausgestaltung anzunehmen.55 Einige Autoren 56 neh-
50
51 52 53
Vgl Jarass/Pieroth/Jarass Art 5 Rn 46; Hahn/Vesting/Ladeur § 7 Rn 7; ausf – auch zu den Gegenpositionen – Engels 108 ff; BVerfGE 90, 60, 94 jeweils mwN. Jarass/Pieroth/Jarass Art 5 Rn 46a. Ricker/Schiwy 392. Ähnliche Einordnung als Ausgestaltung nehmen vor: Volpers/Herkströter/Schnier 112; Gounalakis WRP 2005, 1476, 1478.
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55 56
So aber ua VG Berlin ZUM 1998, 1049 ff – Feuer Eis und Dynamit; Gounalakis WRP 2005, 1476, 1478. In diese Richtung auch Gounalakis WRP 2005, 1476, 1478. Schultze 44; Sack AfP 1991, 704, 706; inzident auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/ Stettner § 7 Rn 46; differenzierend Hahn/ Vesting/Ladeur § 7 Rn 35.
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men jedoch an, das Trennungsprinzip und das Schleichwerbeverbot sei eine gesetzliche Schranke der Rundfunkfreiheit. Das VG Berlin argumentiert in ähnliche Richtung, dass selbst bloße Kennzeichnungsverpflichtungen einen Verstoß gegen die Programmfreiheit des Rundfunkveranstalters enthalten können. „Eine (…) Einordnung als Dauerwerbesendung stellt einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit dar; redaktionelle Unabhängigkeit eines Produzenten sowie Programmgestaltungsfreiheit eines Senders stehen unter dem Schutz der Rundfunkfreiheit im Sinne von Art 5 Abs 1 S 2 GG. Findet die Rundfunkfreiheit zwar ihrerseits ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen (Art 5 Abs 2 GG) … so muss doch das allgemeine Gesetz seinerseits im Lichte der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rundfunkfreiheit gesehen und so interpretiert werden, dass der Wertgehalt des Grundrechts gewahrt bleibt.“ 57 Das Gericht übersieht, dass die Programmfreiheit nicht das einzige Element ist, wel- 53 ches in die verfassungsrechtliche Abwägung einzustellen ist. Der weitere Gesichtspunkt der Autonomie sowie die verfassungsrechtliche Forderung, die vielfaltsverengenden Tendenzen der Rundfunkwerbung einzugrenzen und damit letztlich die Kollisionslage werden vom VG Berlin nicht ausreichend gewürdigt. Das hinter dem Beeinflussungsverbot stehende verfassungsrechtliche Prinzip ist eben- 54 falls das der Programmautonomie bzw Programmfreiheit. Diese gehört zum Kern der Rundfunkfreiheit:58 „Die Rundfunkfreiheit ist vor allem Programmfreiheit (BVerfGE 59, 231, 258; 87, 181, 201; 90, 60, 87). Sie gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Es ist daher der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt. Eine Indienstnahme des Rundfunks für außerpublizistische Zwecke ist damit unvereinbar. Das gilt nicht nur für unmittelbare Einflussnahmen Dritter auf das Programm, sondern auch für Einflüsse, welche die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen können.“ Das Beeinflussungsverbot als ein im Rundfunkrecht zentrales Prinzip steht nicht zur 55 Disposition des Gesetzgebers. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei Werbebeschränkungen im Hörfunk, die 56 zu Gunsten der Presse bestehen. Betrachtet man den Rundfunk isoliert, würden sie nicht der Meinungsvielfalt im Rundfunk dienen und führten zu einem Eingriff. Sieht man die Medienvielfalt als Ganzes, wäre ein zugunsten lokaler Pressevielfalt bestehendes Werbeverbot im regionalen Hörfunk hingegen eher als Ausgestaltung zu betrachten.59
VIII. Europarechtlicher Schutz Rundfunkwerbung ist schließlich auch auf europarechtlicher Ebene durch Regelungen 57 geschützt, die Art 5 GG entsprechen.60 Dazu gehört vornehmlich Art 10 EMRK, die – als Teil des sog „acquis communitaire“ ihre Wirkung auch als Maßstab und Auslegungshilfe 57 58 59
VG Berlin AfP 1999, 398, 402. BVerfG ZUM 1999, 71, 74. Vgl Castendyk/Woesler JURA 2007, 791 ff.
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Ausführlicher Überblick bei von Danwitz AfP 2005, 417 ff; Laukemann 58 ff; vgl auch Engel 67 ff.
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des Primär- und Sekundärrechts der EU entfaltet.61 Art 10 EMRK erlaubt allerdings mindestens so starke Beschränkungen der Meinungsfreiheit wie Art 5 Abs 2 GG.62 Art 10 Abs 2 EMRK ist damit dem Ausgestaltungsvorbehalt der Rundfunkfreiheit durchaus vergleichbar. Zu guter Letzt fällt die Rundfunkwerbung, wenn sie eine grenzüberschreitende Komponente enthält, unter die Dienstleistungsfreiheit. Beschränkungen müssen ebenfalls den Anforderungen entsprechen, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach deutschem Verfassungsrecht nahe kommen. Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit müssen dabei wiederum im Lichte von Art 10 EMRK bewertet werden.63
IX. Verantwortlichkeit Dritter 58
Es wird diskutiert, inwieweit Dritte als Beteiligte oder Störer haften können, wenn der Rundfunkveranstalter gegen rundfunkwerberechtliche Vorschriften verstößt. In Betracht kommt vor allem der „Zulieferer“ des Senders, der Fernsehproduzent. Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass man den Fernsehproduzenten als „Veranstalter“ im Sinne des RStV ansieht. Zwar findet sich in den Legaldefinitionen in § 2 Abs 2 RStV keine Definition. Der Begriff wird jedoch einheitlich für Rundfunkveranstalter verwendet. So spricht § 1 Abs 2 RStV zB von der „jeweiligen Rundfunkanstalt oder dem jeweiligen privaten Veranstalter“ oder § 2 Abs 2 Nr 5 „von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter“, § 2a RStV von einem „Veranstalter bundesweit verbreiteter Fernsehprogramme“. Die einzige Ausnahme ist § 5 RStV zum Recht auf Kurzberichterstattung, in der als Veranstalter auch der Veranstalter des übertragenen Ereignisses gilt. Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch (Konzertveranstalter, Zirkusveranstalter, usw). Einen Fernsehproduzent wird hingegen weder im allgemeinen Sprachgebrauch, noch im RStV, noch in einem einzigen Landesrundfunk- oder -mediengesetz als Veranstalter bezeichnet. Es spricht deshalb schon vom Wortlaut der Regelung sehr viel dafür, dass Veranstalter nur derjenige sein kann, der ein Rundfunkprogramm und nicht lediglich eine Sendung herstelle und ausstrahle sowie Inhaber der rundfunkrechtlichen Zulassung sei64. Drittbeauftragte sind deshalb rundfunkrechtlich nicht verantwortlich. Sie sind keine Veranstalter, andernfalls bräuchten sie eine Rundfunksendelizenz. Eine Haftungserstreckung auf Auftragsproduzenten wäre auch systemwidrig, da es beim RStV um Rundfunkregulierung geht und die Verantwortung nicht auf Dritte abgewälzt werden darf.65 Noch wenig untersucht ist hingegen die Frage, ob sie als (Mit-)Störer haften.66 Demgegenüber wird unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs59 gerichts als Veranstalter unabhängig von seiner Bezeichnung oder Zulassung derjenige verstanden, der die Entscheidungsbefugnis bzgl des Inhalts und der Ausstrahlung einer Sendung hat.67 Nach einer ähnlichen Auffassung in der Literatur kann der Fernsehveranstalter die Sendeentscheidung einem Dritten, etwa einer Produktionsfirma überlassen.68
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64 65
Castendyk/Dommering/Scheuer/Dommering Art 10 EHCR Rn 74. So auch von Danwitz AfP 2005, 418. EuGH Slg 1991 I, – 4007, Rn 23 – Collectieve Antennevoorzinienig Gouda; EuGH Slg 1997 I, – 3689, Rn 18 – Familiapress. Lesch ZUM 2003, 44, 47. So zu Recht Ladeur ZUM 2001, 643, 648.
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Ladeur ZUM 2001, 643 ff, Lesch ZUM 2003, 44 ff. OLG Celle ZUM 2003, 54, 55 und wohl auch OLG München ZUM 2004, 312. Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 80; dagegen Sack AfP 1991, 704, 706 und Sack ZUM 1987, 103, 111.
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Folglich kommt es nach dieser Auffassung darauf an, in welchem Ausmaß einem Auftragsproduzenten entsprechende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt waren. In aller Regel kann ein Auftragsproduzent nicht über den Inhalt und schon gar nicht über die Ausstrahlung seiner Produktion entscheiden. Im Gegenteil gehört es zum Standard eines typischen Auftragsproduktionsvertrages, dass der auftraggebende Sender den Inhalt bestimmt und ausdrücklich eine Ausstrahlungsverpflichtung ausschließt. Etwas anderes kann gelten, wenn es um eine Live-Sendung geht (bei der die inhaltliche Kontrolle des Senders naturgemäß eingeschränkt ist), und wenn der Sender die Sendung nicht vollständig finanziert hat, so dass der Produzent zur Refinanzierung auf eine Ausstrahlung angewiesen ist.69 Nach allgemeiner Meinung haftet das Sendeunternehmen auch für Organe, wie 60 Geschäftsführer oder andere Programmverantwortliche.70 Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen (ua § 31 BGB analog). Ein Auftragsproduzent fällt unter diese Kategorien jedoch nicht. § 831 BGB passt nicht, weil es nach hM ein eigener Anspruch ist und keine Zurechnungsnorm darstellt, mit der man Verstöße gegen das Rundfunkrecht Dritten zurechnen könnte. Außerdem ist der Produzent dem Sender gegenüber nicht weisungsgebunden, etwa in dem Sinne, dass der Sender vorschreibt, wann welche Szene zu drehen ist. Eine Zurechnung der Absicht des Produzenten über § 166 BGB scheitert daran, dass er nicht als Vertreter des Senders handelt. Eine weitere, hier nicht relevante Frage ist schließlich, ob der Auftragsproduzent über 61 § 49 RStV in Verbindung mit § 9 Abs 2 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) verantwortlich gemacht werden könnte. Zwar ist überwiegend anerkannt, dass auch juristische Personen „Beauftragte“ im Sinne dieser Norm sein können. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob der Auftragsproduzent in der Regel als eine Art Erfüllungsgehilfe des Senders gelten kann, was nach richtiger Auffassung Voraussetzung für eine Anwendung des § 9 Abs 2 OWiG ist.71
§2 Rundfunkwerberecht – Besonderer Teil I. Definitionen Die Definitionen zu „Werbung“, „Schleichwerbung“, „Sponsoring“ und „Tele- 62 shopping“ sind von hoher dogmatischer aber auch praktischer Relevanz. Sie sind das Eingangstor zum Rundfunkwerberecht. Nur wenn die jeweilige kommerzielle Botschaft unter eine der vier genannten Definitionen fällt, sind rundfunkstaatsvertragliche Regelungen anwendbar. Wie bereits dargestellt, sind sie allesamt der Fernseh-Richtlinie entnommen und müssen deshalb richtlinienkonform ausgelegt werden.
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Dies erscheint im Fall Big Brother zumindest denkbar. Insoweit ist die Entscheidung des OLG Celle ZUM 2003, 54, 55, zumindest teilweise nachvollziehbar, und ist auch der Hinweis des OLG München ZUM 2004, 312, nicht verallgemeinerungsfähig.
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Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 8. Ladeur ZUM 2001, 643, 648; Lesch ZUM 2003, 44, 48; aA OLG Celle, ZUM 2003, 54 ff.
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II. Der Begriff der Fernsehwerbung 63
Der Begriff der Fernsehwerbung ist in § 2 Abs 2 Nr 5 RStV definiert als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern.“ Diese Definition wird wortgetreu72 aus Art 1 (c) der Fernseh-Richtlinie übernommen. Die Definition hat fünf Elemente: – „jede Äußerung – bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, – die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter – entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird – mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern.“ 1. Jede Äußerung
Der Begriff der „Äußerung“ beinhaltet ein intentionales Element. So wenig, wie man bei einer automatischen Reaktion eines Menschen (zB bei einer Reflexbewegung) von einer „Äußerung“ sprechen würde, so wenig kann man dies bei – aus Sicht des Rundfunkveranstalters – nicht kontrollierbaren, zufälligen Botschaften Dritter. Wenn also bei einer Live-Sendung über den Kölner Straßenkarneval plötzlich jemand ein Werbeplakat hochhalten würde, wäre dies keine Äußerung des Senders. In diesem Sinne hat der EuGH in der Bacardi-Entscheidung 73 eine Bandenwerbung, die bei einer Sportübertragung sichtbar wurde, nicht dem Sender als Äußerung zugerechnet. Dieser Auslegung ist grds zuzustimmen. Die Schlussfolgerung des EuGH in diesem Fall, wonach diese Form der Werbung überhaupt nicht von der Richtlinie koordiniert gewesen sei und deshalb von den Mitgliedsstaaten ohne Bezug zur Fernseh-Richtlinie geregelt werden kann, geht jedoch zu weit. Die Regelungen über „Schleichwerbung“ (vgl Art 1(d) und Art 10 der Fernseh-Richtlinie) sind für diese Formen der programmintegrierten Werbung einschlägig. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Sender sich bei jeder von Dritten veranlassten Schleichwerbung darauf berufen könnte, es handele sich um eine Äußerung Dritter, die ihm nicht zurechenbar sei. Interpretiert man den Begriff der „Äußerung“ intentional wie der EuGH, so kann 65 man daran auch das Verhältnis von „Werbung“ iSv § 2 Abs 2 Nr 5 und „Schleichwerbung“ iSv Nr 6 RStV festmachen (s näher unten Rn 84).
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Der Unterschied in der Formulierung liegt lediglich darin, dass die Fernseh-Richtlinie nur für Fernsehen, der Rundfunkstaatsvertrag aber für Rundfunk einschließlich des Hörfunks Geltung beansprucht.
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Vgl Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano, Rs C-429/02, Slg 2004 I-06613 – Bacardi France, Rn 27, 28, 46–53.
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2. Bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs Während Fernseh-Richtlinie und RStV Werbung auf Wirtschaftswerbung beschränken, ist in Art 2f des Europäischen Übereinkommens zum grenzüberschreitenden Fernsehens (FsÜ) auch „jede öffentliche Äußerung zur Unterstützung einer Sache oder Idee oder zur Erzielung einer anderen vom Werbetreibenden gewünschten Wirkung (…)“ umfasst. Die darauf gestützten abweichenden Auffassungen sind nach dem 4. RStV, der die gesetzliche Definition der Fernsehwerbung aus der Fernseh-Richtlinie und nicht dem FsÜ übernahm, nicht mehr vertretbar.74 Noch relativ wenig untersucht wurde der Bereich der „ideellen Werbung“. Werbung kann nicht bejaht werden, wenn eine gewerbliche Tätigkeit nicht vorliegt. Ein Beispiel dafür wäre die Platzierung des Themas „Entwicklungshilfe“.75 Selbst wenn bspw für die Erhöhung der Entwicklungshilfe in einem 30-Sekunden-Werbespot geworben würde, müsste der Spot nicht abgetrennt vom Programm im Werbeblock ausgestrahlt werden.76 Der Spot wäre allerdings unzulässig, weil er verbotene politische Werbung beinhalten würde. Die Abgrenzung von Wirtschaftswerbung und ideellen Botschaften ist nicht immer einfach; es ist nach dem Schwerpunkt der Aussage zu entscheiden.77 Die Aussage „Milch ist gesund“ ist im Schwerpunkt eine ideelle Aussage. „Kaufen Sie H-Milch!“ im Schwerpunkt eine Wirtschaftswerbung für die Produktgruppe H-Milch, ein sog Generic Placement (s unten Rn 84). Ideelle Werbung ist zulässig, wenn das Thema keinen klaren Produktbezug aufweist, zB wenn allgemein für Fitness geworben würde („Trimm mal wieder“). Die – gem § 7 Abs 8 S 1 RStV verbotene – politische, weltanschauliche oder religiöse Werbung gehorcht auch ansonsten nicht denselben Gesetzen wie die Wirtschaftswerbung. Wird bspw in einer TV-Serie sehr deutlich für die Erhöhung der bundesdeutschen Entwicklungshilfe geworben, kann dies zulässig sein. Eine „redaktionell nicht begründbare werbliche Herausstellung“ würde im Gegensatz zur Wirtschaftswerbung nicht ausreichen, um die Werbeeigenschaft des Dialogs zu begründen. Ein Rundfunksender und seine Mitarbeiter dürfen eigene Meinungen vertreten, auch wenn sie nicht ausgewogen
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Hesse Kap 3 Rn 50; Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner § 7 Rn 3; Hahn/Vesting/ Ladeur § 7 Rn 14; die aA von HoffmannRiem 159 und Engels/Giebel ZUM 2000, 265, 268 mwN ist inzwischen überholt: Im 4. Rundfunkstaatsvertrag wurde die Definition der Fernseh-Richtlinie übernommen, die wiederum bestimmte Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit iSd EG-Vertrags harmonisiert, nicht aber die weitere Definition der Werbung im Fernsehübereinkommen. Vgl der Fall „Klinik unter Palmen“, zit nach Lilienthal epd medien 42/05, 3, 5. Man könnte allerdings auch argumentieren, dass zumindest das Trennungsgebot eingehalten werden müsste, in dem man eine Analogie zum „Social Sponsoring“ (= unentgeltliche Beiträge im Dienste der Öffentlichkeit gem § 7 Abs 8 S 2 RStV) zieht, die im
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Umkehrschluss zu § 15 Abs 4 RStV als Werbung eingestuft werden und für die lediglich die Mengenhöchstgrenzen in § 15 Abs 1 und 2 (bzw § 45 Abs 1 und 2 RStV für private Sender) nicht gelten. Unabhängig von der Frage, ob ideelle Werbung abgetrennt werden müsste: Schleichwerbung kann nur vorliegen, wenn es um Wirtschaftswerbung geht; vgl Schwarz/Eichler AfP 1996, 228 ff, die sich mit einer seit dem 4. RÄndStV veralteten Begründung dafür aussprechen, dass ideelle Werbung unter den Werbebegriff fällt: krit dazu in von Hartlieb/Schwarz/Castendyk Kap 240 Rn 9 und Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner § 7 Rn 67. Parallele: Die Differenzierung des BVerfG und des BGH zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenaussage.
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sind.78 Das bedeutet, eine politische, weltanschauliche oder religiöse Werbung gem § 7 Abs 8 RStV ist nur gegeben, wenn Geld oder ähnliche Gegenleistungen fließen, obwohl es dem Wortlaut nach auf die Frage einer Geldzahlung nicht ankommt. Wenn man die Werbeeigenschaft (bei Nachweis eines Entgelts oder ähnlichen Leis70 tung) bejaht, lässt sich vertreten, ideelle Werbung sei insgesamt untersagt und das Verbot politischer, religiöser oder weltanschaulicher Werbung in § 7 Abs 8 RStV müsse analog auf alle Fälle der ideellen Werbung ausgedehnt werden. Oder man argumentiert mit der hM 79 e contrario, ideelle Werbung sei zulässig, wenn es nicht um die Sonderfälle politischer, religiöser oder weltanschaulicher Werbung iSv § 7 Abs 8 RStV geht. In diesem Fall gilt weder das Trennungsgebot, noch das Schleichwerbeverbot. In Ausnahme dazu werden jedoch Soziale Appelle (sog Social Advertising) im Rund71 funkstaatsvertrag geregelt (vgl § 7 Abs 8 S 2 RStV, Ziff 11 der DLM-Werberichtlinie). Hierbei handelt es sich um Sendungen oder Beiträge, die Aufforderungen zu sozial erwünschtem Verhalten enthalten oder über Folgen eines bestimmten Verhaltens aufklären. Zulässig sind deshalb zB Aufrufe, die die Gesundheit, die Sicherheit der Verbraucher oder den Schutz der Umwelt fördern sowie unentgeltliche Aufrufe zu wohltätigen Zwecken. Diese galten bisher als Teil des Programms und fielen nicht unter die Werberegelungen. In § 7 Abs 8 S 3 und § 45 Abs 3 des RStV wird klargestellt, dass nur unentgeltliche Beiträge im Dienst der Öffentlichkeit (Social Advertising) sowie unentgeltliche Spendenaufrufe zu Wohlfahrtszwecken keine Werbung sind. Diese Regelung ist damit strenger als die in Art 18 Abs 3 Fernseh-Richtlinie, da die Fernseh-Richtlinie auch entgeltliches Social Advertising von den Werbehöchstmengen ausnimmt. Die Grenze zwischen Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit ist bei einem Entgelt oberhalb der mit der Ausstrahlung verbundenen Selbstkosten des Senders anzusetzen. 3. Die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter
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Dieses Merkmal stellt klar, dass sich die Regelungen an Rundfunkveranstalter wenden. 4. Gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird
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Der Rundfunkstaatsvertrag unterscheidet in zwei Kategorien von Werbung: Werbung und Eigenwerbung. Für beide Kategorien gelten grds dieselben Regeln, zB Kennzeichnungs- und Trennungsgebot. Die Eigenwerbung ist lediglich von den Werbemengenbegrenzungen ausgenommen (§§ 16 Abs 4, 45 Abs 3 RStV). Der Werbebegriff verlangt „Entgeltlichkeit“ auf zwei Stufen. Zum einen muss die 74 werbliche Leistung des Senders mit einem Entgelt oder einer sonstigen Gegenleistung vergütet werden. Zum anderen muss (s unten Rn 82) für Produkte und Dienstleistungen geworben werden, die ihrerseits entgeltlich sind. Klassische Werbeleistungen im Rundfunk, wie etwa Werbespots, werden in aller Regel gegen Entgelt erbracht. Bei der sog „instrumentellen“ Werbung (s oben Rn 6), ist das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit auf der ersten Stufe in aller Regel gegeben, denn insbesondere klassische Spotwerbung wird vom Sender nicht unentgeltlich ausgestrahlt. Die Problembereiche finden 78
Zum Niedergang der „Ausgewogenheitslehre“, vgl Hesse Kap 4 Rn 102 f, Kap 5 Rn 83 ff.
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S oben Rn 68.
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sich sehr viel mehr bei der „medialen“ oder „programmintegrierten“ Werbung. Diese unzulässigen Formen des Product Placements werden hier erst im Rahmen der Definition der Schleichwerbung (§ 2 Abs 2 Nr 6 RStV) diskutiert (s unten Rn 84). Deswegen werden Fragen, wie etwa die, ob Sachspenden für Fernsehproduktionen „sonstige Gegenleistungen“ (s unten Rn 95) sind, hier nicht beim Begriff der „Werbung“, sondern erst bei der Definition der Schleichwerbung erörtert. Die Eigenwerbung wird in der revidierten Fernseh-Richtlinie von 1997 definiert als eine Form der Werbung, bei der der „Veranstalter seine eigenen Produkte, Dienstleistungen, Programme oder Sender vertreibt“.80 Die Formenvielfalt der Eigenwerbung reicht von Merchandising-Produkten (Plüschtier zu „Käpt’n Blaubär), über Begleitmaterialien (das Geschichtsbuch zu einer Dokumentation), entgeltlichen Hotlines, bis hin zu Programmankündigungen („Morgen um 20.15 Uhr: die Free-TV-Premiere von Herr der Ringe III“) und Station-Promotion („NDR – Das Beste im Norden“). Die Kategorie der Eigenwerbung wurde hinzugefügt, weil sie in der Regel nicht „gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung“ erfolgt; der Sender bezahlt nicht sich selbst, damit er Werbung macht. Die Eigenwerbung wurde im 4. RÄndStV in § 2 Abs 2 Nr 5 RStV eingefügt. Damit hat sich der Meinungsstreit darüber erledigt, ob die Eigenwerbung überhaupt von den Werbebestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags erfasst wird 81. Der Richtliniengeber hat allerdings übersehen, dass es die Entgeltlichkeit noch auf einer zweiten Stufe im Tatbestand der Rundfunkwerbung gibt: Die Werbung muss das Ziel haben, „den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt zu fördern“. Obwohl dieses Tatbestandsmerkmal erst im nächsten Unterabschnitt näher erläutert wird, spielt es bereits für die Eigenwerbung eine Rolle, denn es zwingt zur Differenzierung: Eigenpromotion kann überhaupt nur zur Fernsehwerbung zählen, wenn sie dem Absatz von Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt dient (zB Hinweise auf sendereigene Merchandisingprodukte).82 Diese Eigenwerbung für eigene Produkte und Dienstleistungen wird gem § 45 Abs 3 RStV von der Regelung über die stündliche und tägliche Werbehöchstdauer in § 45 RStV ausgenommen. Auf unentgeltliche Begleitmaterialien ist § 45 Abs 3 RStV nicht anwendbar, da diese keine Fernsehwerbung darstellen können. Diese Eigenwerbung, die weder aus Programmauszügen besteht (und damit als Teil des Programms gilt, s unten Rn 80), noch für entgeltliche Produkte, Dienstleistungen oder Programme des Senders wirbt, ist damit weder Werbung, noch Programm. Werbevorschriften können auf diese Mischkategorie 83 nur ausnahmsweise analog angewendet werden. Die Handhabung dieser Kategorie im Rahmen der Richtlinien ist jedoch vergleichsweise undifferenziert. Für Hinweise des Rundfunkveranstalters auf Begleitmaterial gelten damit folgende Maßgaben: Wenn die Begleitmaterialien unentgeltlich vertrieben werden, liegt ohnehin keine Werbung oder Eigenwerbung vor. Wenn sie entgeltlich vermarktet werden, kommt es darauf an, ob sie direkt vom jeweiligen Programm abgeleitet sind. Dies ist der Fall, wenn durch sie der Inhalt des Programms erläutert, vertieft oder nachbearbeitet wird (vgl die zutreffende Formulierung in Ziff 15 der DLM-Werberichtlinie). Nicht darunter fallen Hinweise, die nur dem Zweck dienen, die Kaufentscheidung des Zuschauers 80
Erwägungsgrund 39 der Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.6.1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungs-
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vorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 81 mwN. Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 83. Krit Platho MMR 2002, 21, 22.
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herbeizuführen, ohne redaktionell veranlasst zu sein.84 Wenn redaktionell veranlasste Hinweise auf entgeltlich angebotene Begleitmaterialien vorliegen, dann handelt es sich zwar um Eigenwerbung, jedoch wird sie gem § 45 Abs 3 RStV nicht auf die Werbemengen (Stunden- und Tageshöchstmengen) angerechnet. Die Hinweise müssen jedoch im oder am Ende des Werbeblocks platziert werden oder sie können, wenn sie direkt im Anschluss an die Sendung erfolgen sollen, zB als split-screen abgetrennt werden. Die Richtlinien überschneiden sich nicht vollständig mit der gesetzlichen Regelung, 79 sondern setzen eigene Akzente: Ziff 14 ARD- bzw ZDF-Werberichtlinie verlangen, dass die Informationen sachlich bleiben und werbliche Effekte vermeiden. Die Entgegennahme von Entgelten für die Platzierung eines solchen Hinweises auf Begleitmaterial ist nach Abs 3 von Ziff 14 ebenfalls unzulässig.85 Hinweise für entgeltliche Produkte dürften jedoch nur im Werbeblock und auch nur zu Zeiten ausgestrahlt werden, in denen Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zulässig ist. Einen solchen Hinweis sucht man jedoch in den Werberichtlinien von ARD und ZDF vergebens. Auch Ziff 15 Abs 5 der DLM-Werberichtlinie ist zu undifferenziert. Denn Hinweise auf entgeltliche Produkte oder Dienstleistungen des Senders (zB Merchandisingprodukte) werden nach der DLMWerberichtlinie generell nicht als Werbung behandelt. Programmhinweise müssten theoretisch der Eigenwerbung zugeordnet werden.86 Da80 für spricht vor allem das systematische Argument aus § 45 Abs 3 RStV. Danach gelten Programmhinweise (neben ua „unentgeltlichen Beiträgen im Dienste der Öffentlichkeit“) nicht als Werbung iSd § 45 Abs 1 und Abs 2 RStV. Sie wären damit nur von den Werbemengenbegrenzungen ausgenommen, nicht von anderen Regeln, wie dem Trennungsgebot. Streng genommen dürften daher Programmhinweise oder die Werbung für eine UNICEF-Gala nur im oder am Ende eines Werbeblocks ausgestrahlt werden. Obwohl das Ergebnis folgerichtig ist, ergibt sich aus Erwägungsgrund Nr 39 S 2 der FernsehRichtlinie etwas anderes: Danach gelten „Programmhinweise (…), insbesondere Trailer, die aus Programmauszügen [Hervorhebung durch den Verf.] bestehen“, als Programm. In der Tat überwiegt der informatorische und programmliche Aspekt. Deswegen wird – entgegen § 45 Abs 3 RStV – der Programmhinweis, der aus Programmauszügen besteht, mit Recht als Teil des Programms und nicht als Werbung angesehen.87 84
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ZB passende Angebote eines Reisebüros im Anschluss an eine Reiseberichterstattung, vgl Hochstein AfP 1991, 696, 702. Krit Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 83, der eine Aushöhlung der gesetzlichen Werbebestimmungen befürchtet. Er hält mit Beucher/ Leyendecker/von Rosenberg § 7 Rn 13, den Hinweis auf Programmbegleitmaterial nur dann für redaktionell, wenn er mit dem Programm eine Einheit in der Weise bildet, dass das Programm ohne das Begleitmaterial gar nicht sinnvoll genutzt werden kann, zB bei Sprachkursen. Ansonsten handele es sich um Eigenwerbung. Dem ist zuzustimmen, allerdings nur für den Fall, dass es sich um Produkte oder Dienstleistungen handelt, die der Sender selbst vertreibt. Bei Fremdprodukten reicht es aus, wenn keine Gegenleistung für den Hinweis gezahlt wird und der Hinweis ohne werbliche Effekte bleibt.
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Ausf zu dieser Frage Jahn 104 ff. Im Ergebnis auch Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 81. Jahn 104 ff, missversteht mE den Erwägungsgrund 39 S 2, mit „insbesondere Trailer, die aus Programmauszügen [Hervorhebung durch den Verf] bestehen, gelten jedoch als Programm“ sind nur Trailer (dh Programmankündigungen) gemeint und nicht Trailer als Beispiel für Programmhinweise oder gar Eigenwerbung generell. Das Wort „insbesondere“ bezieht sich nur auf die Tatsache, dass manche Trailer keine Programmauszüge enthalten. Erwägungsgrund 39 S 2 kann jedenfalls nicht als Argument dafür herhalten, dass Eigenwerbung – entgegen § 16 Abs 4 bzw § 45 Abs 3 RStV – überhaupt nicht unter die Werbebestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags fällt.
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5. Das Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt zu fördern Ähnlich wie bei der Entgeltlichkeit ist die Werbeabsicht bei der programmintegrierten 81 Werbung wesentlich häufiger problematisch; deshalb wird der Leser auch hier auf die Ausführungen zur Schleichwerbung (s unten Rn 84) verwiesen. Die Produkte bzw Dienstleistungen müssen dem Verbraucher gegenüber entgeltlich 82 angeboten werden, um von Fernsehwerbung im Sinne des RStV sprechen zu können (s bereits oben beim Begriff der Eigenwerbung, Rn 75 ff). Der Begriff der Entgeltlichkeit kann allerdings unterschiedlich ausgelegt werden. Sieht man zB das Free-TV (im Gegensatz zum Pay-TV) als für den Zuschauer unentgeltliche Leistung an 88, so wäre Werbung für ein solches Programm keine Fernsehwerbung im Sinne der Definition des RStV. Die Gegenmeinung argumentiert mit einer richtlinienkonformen Auslegung. Ihr Hauptargument lautet, dass mit der Formulierung „gegen Entgelt“ nur die Dienstleistungsfreiheit des Art 50 EGV gemeint ist, die keinen synallagmatischen Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung verlangt. Es sei daher unerheblich, ob der Leistungsempfänger direkt vom Leistungserbringer, mittelbar über einen Dritten oder ob ein Dritter die Gegenleistung erbringe.89 Free-TV sei daher zumindest mittelbar eine „entgeltliche Dienstleistung“. Werbung für Free-TV-Programme, die nicht unter die Ausnahme der aus Programmauszügen bestehenden Trailer fällt, ist nach dieser Auffassung Eigen- oder sogar Fremdwerbung. Beim sog „Bartering“ werden Produktionen, die von dritter Seite produziert wurden, 83 den Rundfunkveranstalten nicht gegen Bezahlung, sondern gegen Überlassung von Werbeplätzen überlassen. Bartering-Produktionen werden deshalb auch von Werbetreibenden in Auftrag gegeben. Bartering ist weder eine Form der Werbung noch der Programmbeeinflussung, sondern ein Tausch „Programm gegen Werbezeit“. Soweit der Fernsehsender in seiner Entscheidung, das Programm zu kaufen bzw zu tauschen und in Einsatz und Platzierung des Programms frei ist, liegt kein unzulässiger Einfluss des Produzenten bzw des auftraggebenden Werbetreibenden auf das Programm vor.
III. Schleichwerbung 1. Einführung Schleichwerbung ist im Fernsehen wie auch in verschiedenen anderen Medien (zB der 84 Presse) untersagt. Sie ist in § 2 Abs 2 Nr 6 RStV definiert als die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder sonstige Gegenleistung erfolgt. Product Placement wird häufig fälschlich als Synonym für Schleichwerbung verwendet. Es erfüllt als solches jedoch zunächst nur die erste Voraussetzung der Schleichwerbung, die Erwähnung bzw Darstellung von Marken und Produkten (Product Placement) oder von Produktgruppen bzw -gattungen (Generic 88
So Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 82; Engels/ Giebel ZUM 2000, 265, 279; von Hartlieb/ Schwarz/Castendyk 654; VG Berlin
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ZUM-RD 2001, 48 ff; VG Berlin ZUM 2002, 933 ff. Jahn 105; Großkopf AfP 1995, 464, 467.
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Placement) oder Unternehmensnamen (Corporate Placement). Seit dem 1.4.2000 ist Schleichwerbung nach § 49 Abs 1 Nr 18 RStV als Ordnungswidrigkeit verfolgbar. 2. Die Erwähnung oder Darstellung
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Der Begriff der Erwähnung oder Darstellung entspricht nicht völlig der „Äußerung“ in der Definition der „Werbung“ in § 2 Abs 2 Nr 5 RStV, denn die Zurechenbarkeit oder „Intentionalität“ der Werbung wird bei der Schleichwerbung erst im Zusammenhang mit dem vierten Tatbestandsmerkmal „vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen“ und der Vermutungsregel in S 2 geprüft. 3. Von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder Dienstleistungen in Programmen
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Dieses Tatbestandsmerkmal ist identisch mit dem in § 2 Abs 2 Nr 5 RStV, es kann deswegen zunächst darauf verwiesen werden. Dort offen gelassen wurde die Frage, ob Generic Placements,90 dh Werbung für Produkt- oder Dienstleistungsgattungen den Tatbestand der Rundfunkwerbung erfüllen können. Wie wäre ein Spot zu beurteilen, in dem Werbung für eine gesamte Branche gemacht wird, zB, „Fragen Sie den Apotheker Ihres Vertrauens!“ oder sogar branchenübergreifend „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch!“? Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, dass Generic Placement erfasst ist.91 87 So ist es ebenso im Interesse der Programmautonomie, wenn Einflüsse ganzer Branchen auf das Programm untersagt sind, als Einflüsse einzelner Hersteller; die Irreführung der Verbraucher ist auch in diesen Fällen des Generic-Placements gegeben, denn die Zuschauer werden über den wahren Grund des Placements getäuscht. Selbst der Zweck der Neutralität im Wettbewerb kann betroffen sein. So wären etwa bei einer Werbung für Apotheken „um die Ecke“ die Wettbewerber aus dem Kreis der Online-Apotheken betroffen. Auch im Wettbewerbsrecht schließt der BGH bei unterschiedlichen Branchen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht aus.92 Generic Placement ist deshalb auch nicht vom Schleichwerbeverbot ausgenommen.93 4. Vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen
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Unzulässig ist das Placement jedoch nur, wenn folgende weitere Voraussetzungen erfüllt sind: Die Erwähnung bzw Darstellung muss zunächst einmal vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen sein. Daran können aus zwei Gründen Zweifel bestehen. Zum einen geht es um die Frage, ob Absicht vorliegt (dolus directus), zum anderen darum, ob sie beim Veranstalter oder bei Dritten vorliegt und in letzterem Falle, ob die Absicht des Dritten dem Veranstalter dennoch zuzurechnen ist.
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a) Werbeabsicht. Die Darstellung muss zu Werbezwecken erfolgen (Werbeabsicht). Dies ist gem § 2 Abs 2 Nr 5 RStV insbesondere dann der Fall, wenn die Erwähnung gegen Entgelt oder ähnliche Gegenleistung erfolgt. Da dies in der Regel nur schwer nach90
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Zu den verschiedenen Formen des Product Placements aus der Sicht der werbetreibenden Wirtschaft, vgl Völkel ZUM 1992, 55 ff. Ausf dazu Castendyk ZUM 2005, 857 ff. BGH GRUR 1972, 553 ff – Statt Blumen
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ONKO-Kaffee; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 2 Rn 64. So auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 47 mwN.
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weisbar ist, nehmen die Gerichte dies an, wenn das Product Placement eine Intensität erreicht, die dramaturgisch oder redaktionell nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dies ist regelmäßig gegeben, wenn Produkte oder Marken auffällig oder unnötig lange gezeigt werden. Die EU-Kommission definiert diese unzulässige Hervorhebung als „undue prominence“.94 Etwas strenger ist die Auffassung, die nur bei Unvermeidbarkeit der Produktpräsentation die Werbeabsicht verneint.95 Im Wettbewerbsrecht gilt eine solche „Werbung im Übermaß“ als ein starkes, allerdings nicht zwingendes Indiz für das Vorliegen der Wettbewerbsförderungsabsicht.96 Es müssen alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Inhalt, Anlass und Aufmachung des redaktionellen Beitrags berücksichtigt werden.97 Mit dem Gebot, redaktionelle Beiträge und Werbung zu trennen, darf keine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungs- bzw Medienfreiheiten einhergehen.98 Nicht jede positive Berichterstattung darf als einseitig werbend qualifiziert werden.99 Nach S 2 der Definition der Schleichwerbung gilt „eine Erwähnung oder Darstellung 90 (…) insbesondere dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder sonstige Gegenleistung erfolgt“.100 Streitig ist die Frage, ob eine Erwähnung oder Darstellung gegen Entgelt oder ähnliche Gegenleistung zwingend die Werbeabsicht des Veranstalters nach sich zieht 101 oder ob sie ein – allerdings selten widerlegbares – Indiz darstellt. Der Wortlaut „gilt als“ oder in der englischen Fassung „is considered to be intentional“ spricht für eine gesetzliche Fiktion.102 Die wohl hM hält die Entgeltlichkeit dennoch für ein widerlegbares Indiz für die Werbeabsicht.103 Dies mag daran liegen, dass – wie es Schulz formuliert – bei Vorliegen dieses Indiz an der Werbeabsicht „selten Zweifel bestehen dürften.“ 104 Die liberale Auffassung, die in ihrer extremsten Form vom VG Berlin vertreten wird, besagt, dass redaktionell oder dramaturgisch begründbare positive Darstellungen ohne übertrieben kritiklosen, „lobhudelnden“ Charakter den Werbecharakter ausschließen, selbst wenn ein Entgelt geflossen ist105. Für die Unwiderleglichkeit des Indizes spricht neben dem klaren Wortlaut auch die Tatsache, dass die Funktionen des Schleichwerbeverbotes besser erfüllt werden könnten. Dies ließe sich ua damit begründen, dass das Vertrauen in die Programmautonomie und in die Wettbewerbsneutralität eines Senders schon durch den „bösen Schein“ einer Einflussnahme, der durch den Geldfluss entstünde, zerstört oder zumindest erschüttert werden könnte. Bei Lichte besehen liegen beide Auffassungen nicht weit von einander entfernt. Denn 91 auch die Auffassung, die von der Unwiderleglichkeit der Vermutung ausgeht, muss
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Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung, ABl 2004/C 102/02, Nr 33: „Die Unzulässigkeit kann sich insbesondere aus dem wiederholten Auftreten der betreffenden Marken, Waren oder Dienstleistungen oder aus der Art und Weise der Hervorhebung ergeben.“ Ziff 8 Abs 3 der ARD- bzw ZDF-Werberichtlinien. Statt vieler: Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 Rn 3.27. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 4 Rn 3.27. BVerfG NJW 2005, 3201 ff.
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OLG München ZUM 2006, 425, 426. Auch im Wettbewerbsrecht begründet die Gegenleistung für den „redaktionellen“ Beitrag in aller Regel die Wettbewerbswidrigkeit, Hefermehl/Köhler/Bornkamm/ Köhler § 4 Rn 3.27. Für ein zwingendes unwiderlegliches Indiz ist Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 48. So wird die Formulierung auch in anderen europäischen Staaten verstanden, vgl Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 1 TWFD Rn 145. Hesse Kap 4 Rn 58; Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 81. Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 81. S Einf Rn 84.
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prüfen, ob ein Entgelt gerade für die werbliche Darstellung im Programm gezahlt wurde oder ohne Zusammenhang dazu geflossen ist. Dies macht auch Ziff 8.5 S 1 der ARDWerberichtlinie deutlich: „Die Entgegennahme von Entgelten oder geldwerten Vorteilen für den Einsatz, die besondere Hervorhebung oder die Nennung von Produkten ist unzulässig.“ Die Formulierung deutet darauf hin, dass eine kausale Beziehung, ein „do ut des“, ein „ich gebe, damit du gibst“ zwischen Entgelt und Erwähnung bestehen muss. Erwähnt wird, weil eine Gegenleistung erfolgt. Fehlt es an der Konnexität oder jeglichem kausalen Zusammenhang zwischen Zahlung und werblicher Präsentation, liegt kein Entgelt iSd Schleichwerbedefinition vor. Das Erfordernis einer Konnexität zwischen Erwähnung und Entgelt ergibt sich also bereits aus dem Begriff der „Gegenleistung“ und ist unabhängig davon, ob man die Vermutung der Werbeabsicht bei einer Entgeltzahlung für widerlegbar hält oder nicht.106 Für eine Konnexität mag der „erste Anschein“ sprechen, dieser ist jedoch widerlegbar.
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b) Sonderfall: Produktionshilfen. Die Vergünstigung, die ein Produzent durch die Beistellung eines hochwertigen Gegenstandes, zB eines Fahrzeugs, erhält, ist im Rechtssinne eine „andere Gegenleistung“. Warum wird die Produktionsbeihilfe dann nicht als unzulässiges Product Placement gewertet? Hat sie keinen Entgeltcharakter? Gibt es keinen Konnex zwischen Vergünstigung und Präsentation der Marke und des Produkts? Wird die Vergünstigung vom beistellenden Autohersteller gewährt, egal ob dieses Fahrzeug im Fernsehen auch erscheint? Die hL hält Produktionshilfen für dies mit teilweise unterschiedlichen Begründungen 93 für zulässig.107 Die Ansicht, nach der derartige Spenden keine Gegenleistung darstellen, überzeugt mich nicht. Jede Art von Vergünstigung ist eine „Leistung“, die der Produktion zugute kommt. Sie hat auch Gegenleistungscharakter, denn die Vergünstigung wird vom beistellenden Unternehmen nur gewährt, damit das Produkt im Fernsehen auch erscheint. Würde das geliehene oder geschenkte Kfz nur vom Produktionsfahrer verwendet, um Schauspieler hin- und herzufahren und nicht – vor der Kamera – als Fahrzeug des Protagonisten, wäre der Spender sicherlich nicht erfreut. In der Definition der Schleichwerbung findet sich auch kein Anhaltspunkt, zwischen geringwertigen und höherwertigen Produktionsbeihilfen zu unterscheiden. Die aktuellen ARD-Richtlinien für die Werbung, zur Durchführung der Trennung 94 von Werbung und Programm und für das Sponsoring in der Fassung vom 6.6.2000 in Ziff 8.4 differenzieren orientiert am Beeinflussungsverbot: Für die Beschaffung von Rechten an Produktionen sowie Dienst- und Sachleistungen für die Herstellung von Produktionen sind angemessene Entgelte zu vereinbaren. Eine unentgeltliche oder verbilligte Entgegennahme von Produktionsmitteln oder sonstige Leistungen (Produktionshilfen) ist nur zulässig, wenn damit keine Einschränkung 106
Diese Überlegung klingt auch in der „ars-vivendi“-Entscheidung des VG Berlin an. Das von den Gaststätten gezahlte Entgelt wurde vom Gericht nur als Gegenleistung für die Herstellung der Promotionvideos angesehen; die Tatsache, dass sich der Produzent auch verpflichtete, ein solches Promotionvideo für die Sendung „ars-vivendi“ zu verwenden, wurde nur als Nebenzweck angesehen, VG Berlin ZUM 1999, 751, 755.
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Sack AfP 1991, 704, 708; Hartstein/Ring/ Kreile/Dörr/Stettner § 7 Rn 49 hält es für eine zulässige Darstellung der sozialen Wirklichkeit. Gounalakis WRP 2005, 1476 ff will zwischen leihweise Überlassung (zB des Kfz) und der endgültigen Überlassung bei einer Sachschenkung unterscheiden. Nur letztere sei eine dem Entgelt „ähnliche Gegenleistung“. Dagegen Schaar S 86, Castendyk/Dommering/Scheuer/Castendyk Art 1 TWFD Rn 177.
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der journalistischen oder künstlerischen Darstellungsfreiheit verbunden ist. Ein etwaiger Hinweis auf eine solche Produktionshilfe in Bild und Ton hat sich unter Vermeidung aller werblichen Effekte auf die Sachinformation zu beschränken. Eine solche „andere Gegenleistung“ kann nur zulässig sein, wenn man die Gegen- 95 leistung für ein widerlegbares Indiz für die Werbeabsicht hält. Widerlegt könnte das Indiz dadurch sein, dass die journalistische oder künstlerische Darstellungsfreiheit nicht eingeschränkt wird und die Förderung werblicher Interessen nach Möglichkeit vermieden wird, zB durch regelmäßigen Wechsel der Produkte. De lege lata halte ich diesen Wege jedoch für nicht gangbar, weil (vgl oben Rn 90) ich die Vermutung des § 2 Abs 2 Nr 6 S 2 RStV für unwiderlegbar halte und an der Konnexität von Leistung und Gegenleistung bei den Produktionshilfen idR kein Zweifel bestehen kann. Die bessere Lösung für die Fälle der Produktionsbeihilfen liegt in den Vorschriften über das Sponsoring. Zwar geht der Wortlaut der gesetzlichen Definition in § 2 Abs 2 Nr 7 RStV von der Finanzierung einer Sendung (und damit eines Geldflusses zwischen Drittem und Sender) aus. Da die Definition aber ausdrücklich auch die „indirekte Finanzierung“ einschließt und die Produktionsbeihilfen dem Sender idR indirekt zugute kommen, weil die Produktion preisgünstiger ist, lässt sich das Vorliegen eines Sponsorings rechtlich gut begründen 108. Dann hätte auch die von der ARD-Richtlinie gemachte Einschränkung auf Fälle, in denen die journalistische oder künstlerische Darstellungsfreiheit nicht eingeschränkt ist, eine gesetzliche Grundlage. Denn § 8 Abs 2 RStV verlangt vom Sponsor, dass er Inhalt und Programmplatz der gesponserten Sendung nicht beeinflusst. Folgt man diesem Konzept, muss der Sponsor allerdings zwingend im Vor- oder Abspann genannt werden (§ 8 Abs 1 S 1 RStV). Eine fakultative Nennung, wie es die ARD-Richtlinie vorsieht, ist nicht ausreichend. Der Ansatz, Produktbeistellungen über das Merkmal der „ähnliche Gegenleistung“ zu 96 erlauben, ist allerdings de lege ferenda der zukunftsweisende. Denn in der neuen Richtlinie, in Art 3 (g) AVMDR, wird klargestellt, dass Gegenstände von geringem Wert außer Betracht bleiben dürfen.109 Der Wert der Beistellung ist dabei nicht absolut, sondern im Verhältnis zum Produktionsbudget zu beurteilen.110 Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass eine Produktbeistellung, wenn sie nicht mehr geringwertig ist, durchaus den Tatbestand von Werbung, Schleichwerbung, bzw in Zukunft von Product Placement, erfüllt. Diese neue Rechtsentwicklung spricht weiterhin für meinen Ansatz, Produktionshilfen de lege lata als Sponsorbeiträge zu begreifen, denn die Regelung des Product Placement in der neuen Richtlinie ist stark an die des Sponsoring angenähert. c) Werbeabsicht des Veranstalters. Vom Fernsehveranstalter nicht vorgesehen ist ein 97 Placement, wenn es in Lizenzproduktionen (zB einem Kinofilm wie etwa „James Bond“) enthalten ist. Dies entspricht zunächst einmal der vom BGH im Fall „Wer erschoß Boro?“ geforderten Abwägung des Irreführungsgebotes mit den Interessen des Publikums, das bestimmte (zB im Kino gezeigte) Programme auch im Fernsehen sehen möchte.111 Diese Abwägung ist bei Fremdproduktion jedoch nicht mehr notwendig, weil es bereits
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Dies gilt allerdings auch nur dann, wenn der Produzent die Finanzierungsbeihilfe durch für den Sender günstigere Lizenzgebühren oder Auftragsproduktionshonorare zumindest teilweise an den Sender weitergibt.
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Vgl Castendyk/Dommering/Scheuer/ Castendyk Art 3 (g) AVMSD Rn 17, 18. Anders der Österreichische VGH ZUM 2006, 507 – Starmania. BGHZ 110, 278, 286 – Wer erschoss Boro?
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an einer Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters fehlt. Dieser hat mit den bezahlten Placements in einem völlig unabhängig von ihm produzierten Film nichts zu tun.112 Bei vom Veranstalter beeinflussbaren Ko- und Auftragsproduktionen kann sich der 98 Veranstalter exkulpieren, wenn er nachweist, dass er dem Auftragsproduzenten Schleichwerbung vertraglich untersagt hat und ihm nicht nachgewiesen wird, dass er ein Entgelt für das Placement erhalten hat. Selbst wenn der Veranstalter bei der Abnahme der Sendung die Schleichwerbung grob fahrlässig übersehen hätte, wäre die erforderliche Absicht, das Placement zu Werbezwecken vorzusehen, noch nicht gegeben. Lediglich bei Eigenproduktionen wird dem Sender eine objektiv vorhandene Schleichwerbung als „absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen“, meist nach allgemein zivilrechtlichen Grundsätzen des Organisations- und Überwachungsverschuldens zuzurechnen sein bzw wie die Wettbewerbsabsicht im Wettbewerbsrecht aus objektiven Indizien abgeleitet. Zur Verantwortlichkeit des Auftragsproduzenten kommt es ua auf die Frage an, in welchem Verhältnis UWG und Rundfunkstaatsvertrag zueinander stehen (s oben Rn 23 ff). Die neue Regelung zum Product Placement in Art 3(g) AVMDR geht von einer etwas 99 härteren Zurechnungsregel aus. Auf den erforderlichen Warnhinweis kann nur verzichtet werden, wenn die Produktion weder eine Eigen- noch eine Auftragsproduktion des Senders ist. Damit werden dem Sender auch Auftragsproduktionen wie eigene zugerechnet. 5. Irreführung
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Die Allgemeinheit muss weiterhin über den eigentlichen – nicht redaktionellen bzw nicht dramaturgischen – Grund der Erwähnung bzw Darstellung irregeführt werden. Es reicht ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise.113 Die Gerichte gehen grds von einer möglichen Irreführung der Zuschauer aus, wenn werbliche Aussagen in fiktionale Handlungen oder in redaktionelle Zusammenhänge eingebaut werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen nur dann in Betracht, wenn wie zB in dem Film „Feuer, Eis und Dynamit“ Namen und Marken so offen karikierend gezeigt werden, dass das Moment des „Schleichenden“ und damit der Irreführung fehlt.114 Ob in diesem Falle gegen das Trennungsverbot verstoßen wird, hängt davon ab, in welchem Verhältnis die Begriffe „Werbung“ und „Schleichwerbung“ sowie das Trennungsgebot und das Schleichwerbeverbot zueinander stehen (s unten Rn 101). 6. Konkurrenzen/Verhältnis Werbung zu Schleichwerbung
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Der Begriff der Rundfunkwerbung gem § 2 Abs 2 Nr 5 RStV regelt die instrumentelle Werbung (zum Begriff der instrumentellen und mediale Werbung, s oben Rn 6), Schleichwerbung nach Nr 6 betrifft die mediale bzw programmintegrierte Werbung. Obwohl Schleichwerbung auf den ersten Blick ein Unterfall des Oberbegriffs „Werbung“ sein könnte, ist dies bei näherem Hinschauen nicht der Fall. Es würde nämlich implizieren, dass man zunächst sämtliche Voraussetzungen des Begriffs der Werbung bejahen müsste, um danach die zusätzlichen Voraussetzungen der Schleichwerbung zu prüfen. Schleichwerbung erfordert jedoch – und dies ist für den Fall der programmintegrierten Werbung auch richtig – keine Entgeltzahlung des Dritten an den Sender dafür, dass das Placement erfolgt. Es reicht eine übermäßig werbliche Darstellung aus. Würde man Schleich112
Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 103; von Hartlieb/Schwarz/Castendyk Kap 251 Rn 20, jeweils mwN.
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Hahn/Vesting/Schulz § 2 Rn 116 geht von 10–15 % aus. VG Berlin ZUM 1999, 742, 751.
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werbung als (Unter-)Fall der Rundfunkwerbung begreifen, müsste ein Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung immer nachgewiesen werden; dies würde der Vermutungsregelung in Nr 6 S 2 klar zuwider laufen. Es wäre überdies wenig sinnvoll, wenn ein schleichwerbender Sender – etwa in einem Bußgeldverfahren – doppelt sanktioniert würde, einmal wegen der Schleichwerbung und zum anderen wegen Verstoßes gegen das Trennungs- und Kennzeichnungsgebot. Im Übrigen wäre es auch schwierig, die EuGH-Entscheidung im Bacardi-Fall zu begreifen. Hier hatte das Gericht deutlich zu verstehen gegeben, dass eine gewisse „Intentionalität“ seitens des Rundfunksenders gegeben sein müsse, um von „Werbung“ sprechen zu können.115 Schleichwerbung ist daher nach hier vertretener Auffassung lex specialis für integrierte Werbung. Offene, nicht „schleichend daherkommende“ integrierte Werbung ist deshalb weder verbotene Schleichwerbung noch verstößt sie gegen das Kennzeichnungsgebot. Unzulässig ist sie in der Regel nur, wenn das Beeinflussungsverbot verletzt wird.
IV. Sponsoring Sponsoring im Rundfunk ist eine eigene Finanzierungsform mit Werbecharakter. Der Sponsor erhält als Gegenleistung für seine Förderung eine Sponsornennung, mit der er die Bekanntheit seiner Firma, seiner Marke oder seiner Produkte steigert und vom positiven Image der gesponserten Sendung profitiert. Dem Produzenten, Sender oder Veranstalter dient sie als Finanzierungsquelle. Der Zuschauer erhält Aufklärung über die Mitfinanzierung und damit mögliche Gefahren der Einflussnahme des Sponsors auf die Sendung bzw Veranstaltung. Sponsoring existiert als Förderung von Rundfunksendungen (Programmsponsoring), von Veranstaltungen zB Sportveranstaltungen, Musikkonzerten, Kunstausstellungen, Fun-Events, etc (Veranstaltungssponsoring) und als längerfristige Förderung zB ökologischer, sozialer oder wissenschaftlicher Zwecke über eine einzelne Veranstaltung hinaus (Sozialsponsoring). Das Sponsoring ist häufig Teil eines integrierten Werbe- und Marketingkonzepts eines Sponsors. Die Umsätze im Sponsoring sind in den letzten Jahren gestiegen. Das Gesamtvolumen des Sponsorings einschließlich des Programmsponsorings wird in Deutschland 2006 über € 4 Mrd geschätzt; es lag 1997 noch bei 3,5 Mrd DM. Auf die Medien (Print, Rundfunk, Internet) entfallen etwa 23 % (rund € 1 Mrd); internetbasiertes Sponsoring nimmt auf Kosten der Printmedien zu.116 Programmsponsoring ist im RStV definiert als Beitrag einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Personenvereinigung, die an Rundfunktätigkeiten oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, zur direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung, um den Namen, die Marke, das Erscheinungsbild der Person, ihre Tätigkeit oder ihre Leistung zu fördern (vgl § 2 Abs 2 Nr 7 RStV, Art 1e FsRi). Abzugrenzen ist das Programmsponsoring zunächst vom Mäzenatentum, bei dem das Hauptziel nicht der Kommunikationseffekt ist, sondern die altruistische Unterstützung der Sache selbst. Indiz ist das Verhältnis von Förderbetrag zum Marktwert des mit der Sponsornennung verbundenen Werbeeffekts für das fördernde Unternehmen. Je zurück115
Anders als Scherer 110, und Volpers/Herkströter/Schnier 123, halte ich deshalb die hergebrachte Differenzierung zwischen instrumenteller und medialer/integrierter
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Werbung (vgl Bork ZUM 1990, 11 ff; Sack AfP 1991, 704 ff) für nach wie vor sinnvoll. ZAW Werbung in Deutschland 2006, 337 ff; ZAW Werbung in Deutschland 2007, 394.
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haltender die Sponsornennung im Verhältnis zur Sponsorsumme ist, desto eher spricht dies für eine mäzenatische Förderung. Die Abgrenzung zwischen echtem und mäzenatischem Sponsoring führt auch zu einer 106 steuerlich unterschiedlichen Behandlung: Laut BMF-Schreiben vom 9.7.1997 117, abgeändert durch BMF-Schreiben vom 5.3.1998 118, können Aufwendungen für die Förderung von Personen, Gruppen oder Organisationen im sportlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich entweder als Betriebsausgaben oder als Spenden abzugsfähig sein oder zu den nicht abzugsfähigen Aufwendungen der Lebensführung bzw verdeckten Gewinnausschüttung gehören. Der Abzug als Betriebsausgabe erfordert, dass der Sponsor durch die Aufwendung wirtschaftliche Vorteile anstrebt. Dabei ist es ausreichend, wenn durch Hinweise auf den Sponsor sein unternehmerisches Ansehen erhöht und seine Bekanntheit gesteigert wird. Liegen die Voraussetzungen für den Betriebsausgabenabzug vor, stellen die Ausgaben des Sponsors keine Geschenke iSd § 4 Abs 5 S 1 Nr 1 EStG dar. Es sind weder Höchstgrenzen noch besondere Aufzeichnungspflichten zu beachten. Spenden liegen hingegen vor, wenn mit dem Sponsoring keine Gegenleistung verbunden ist und keine direkten wirtschaftlichen Vorteile erwartet werden können. Ein steuerlicher Abzug erfordert dann ua, dass der Empfänger die Voraussetzungen zum Empfang steuerbegünstigter Spenden erfüllt (vgl § 10b EStG) und dass die entsprechenden Spendenbescheinigungen vorliegen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt es sich bei den Aufwendungen des Sponsors um – nicht abzugsfähige – Aufwendungen der allgemeinen Lebensführung, bei Kapitalgesellschaften werden in diesen Fällen verdeckte Gewinnausschüttungen angenommen, wenn ein Gesellschafter durch die Aufwendungen begünstigt wird, zB weil er sich eigene Aufwendungen erspart. Das BMF-Schreiben vom 5.3.1998 ergänzt das BMF-Schreiben vom 9.7.1997 hinsicht107 lich der steuerlichen Behandlung des steuerbegünstigten Empfängers. Danach können die im Zusammenhang mit dem Sponsoring erhaltenen Leistungen entweder steuerfreie Einnahmen im ideellen Bereich, aus der Vermögensverwaltung sein oder steuerpflichtige Einnahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes sein. Nach dem neuen BMF-Schreiben liegt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb auch dann nicht vor, „wenn der Empfänger der Leistungen zB auf Plakaten, Veranstaltungshinweisen, in Ausstellungskatalogen oder in anderer Weise auf die Unterstützung durch einen Sponsor lediglich hinweist (…). Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb liegt dagegen vor, wenn die Körperschaft an den Werbemaßnahmen mitwirkt (…).“ Beim Veranstaltungs- oder Eventsponsoring unterstützt der Sponsor eine bestimmte 108 Veranstaltung, zB Sportveranstaltung. Es fällt nicht unter die Regelungen der §§ 2 Abs 2 Nr 7 RStV. Der Veranstaltungssponsor darf daher nicht vor oder nach der Sendung als solcher genannt werden 119. Für das Veranstaltungssponsoring gelten daher nur die allgemeinen Regeln des Fernsehwerberechts und des Rechts des unlauteren Wettbewerbs, insbesondere das Gebot der Trennung von Werbung und Programm. Bei Schleichwerbung des Veranstalters ist das Verbot der Schleichwerbung aus § 7 Abs 5 RStV nicht anwendbar, da sich dieses nach der Legaldefinition nur auf die Darstellung von Namen, Marken, etc bezieht, wenn sie vom Fernsehveranstalter für Werbezwecke vorgesehen ist. Aber auch wenn der TV-Sender (Mit-)Veranstalter ist, kann der Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm für eine Sendung über eine gesponserte Veranstaltung nicht vollständig durchgehalten werden. Würde man die üblichen werblichen Hinweise auf Spon117
BMF-Schreiben vom 9.7.1997 IV B 2-S 2144-118/97, BStBl I 1997 S 726, BB 1998, 679 ff.
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BMF-Schreiben vom 5.3.1998 IV B 2-S 2144-40/98. BGH ZUM 1993, 93 ff – Agfa.
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soren der Veranstaltung als einen Verstoß gegen das Trennungsgebot ansehen, könnten derartige Ereignisse nicht mehr im Fernsehen übertragen werden. Deshalb darf nach allgemeiner Auffassung aus Rücksicht auf das Informationsinteresse der Zuschauer das Ereignis selbst dann übertragen werden, wenn die Veranstaltung oder der Ort der Veranstaltung den Namen des Sponsors trägt (zB „Allianz Arena“). Allerdings dürfen die Sponsorhinweise nicht im Vordergrund stehen. Ziel muss die Berichterstattung über das Ereignis und nicht über den Sponsor sein. Diese Grenze wäre überschritten, wenn zB werbliche Hinweise bei der Veranstaltung von der Kamera ohne programmliche bzw dramaturgische Gründe häufig und auffällig ins Bild gesetzt würden. Zulässig ist das sog Doppelsponsoring, bei dem sowohl die Veranstaltung als auch die 109 Sendung gesponsert wird, und zwar entweder von demselben Sponsor oder von jeweils verschiedenen Sponsoren. Relativ unproblematisch ist der Fall, bei dem Sendungs- und Veranstaltungssponsor nicht identisch sind. Hier muss, um die Irreführung des Zuschauers zu vermeiden, lediglich klargestellt werden, dass der Programmsponsor nicht der Eventsponsor ist. Wenn die Sponsoren von Programm und Veranstaltung identisch sind, sind die Regeln zum Sendungssponsoring in § 8 RStV zu beachten. Danach dürfen die Hinweise auf Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten des Sponsors nicht im Vordergrund stehen (vgl Ziff 12 Abs 6 der DLM-Werberichtlinie). Sponsoring ist nach seinem Wortlaut nur bezogen auf die Unterstützung einer Sen- 110 dung. Man könnte Zweifel daran hegen, ob die Unterstützung der Produktion einer Sendung auch unter diese Regelung fällt. Mit dem Begriff der Sendung könnte, wenn man ihn eng versteht, nur die Ausstrahlung der Produktion im Fernsehen gemeint sein. Von der Regelung umfasst wäre dann nur der Geldfluss zum Fernsehsender, nicht aber zu einem Auftragsproduzenten. Gegen eine solche enge Auslegung spricht jedoch Sinn und Zweck der Regelung: Die Beeinflussung der Medien durch die werbetreibende Wirtschaft ist verfassungsrechtlich problematisch unabhängig davon, ob sie unmittelbar oder mittelbar erfolgt. Würde man das Sponsoring nur auf Geldflüsse unmittelbar zwischen Wirtschaft und Fernsehsender reduzieren, könnte ua die Warnfunktion des Sponsorhinweises durch Verlagerung von Eigenproduktionen hin zu Auftragsproduktionen leicht umgangen werden. Schließlich kommt ein „Produktionssponsoring“ in der Regel auch dem Sender zugute, da er weniger Mittel aufwenden muss, um die Produktion zu finanzieren. Das war in der Vergangenheit auch der Grund, warum gerade öffentlich-rechtliche Sender ihren Auftragsproduzenten gelegentlich empfohlen haben, Drittmittel einzuwerben. Ein Sponsor kann Programme nicht nur finanziell, sondern auch durch Sachleistun- 111 gen (zB Sachpreise für eine Gameshow oder ein Fahrzeug für eine Krimiserie) unterstützen und damit einen indirekten Beitrag zur Finanzierung einer Sendung leisten. Um zu verhindern, dass Vor- und Abspann mit Sponsorhinweisen (hier sog Ausstatterhinweise) überladen werden, wenn zB sämtliche Requisiten eines Film von einer Vielzahl von Sponsoren kostenlos zur Verfügung gestellt worden sind, wird die Kennzeichnungspflicht in § 8 Abs 2 RStV nur eingeschränkt angewandt: Bei geringwertigen Ausstattungshilfen wird der Ausstatterhinweis weggelassen, bei höherwertigen reicht ein Hinweis im Abspann aus. Für diese einschränkte Anwendung des § 8 RStV auf kostenlose Beistellungen spricht, dass die Regelung über das Sponsoring auf diese branchenübliche Praxis besser passen, als die „Alles oder Nichts“ – Regelung der Schleichwerbung in § 7 Abs 5 RStV. Der Ausstatterhinweis ermöglicht, die schwierig zu ziehende Grenze zwischen einer zulässigen Darstellung der Realität (die existierende Produkte und Marken enthält) und einem zu Werbezwecken in den Vordergrund gestellten Produkt, abgestuft zu ziehen. Die Interessen der Zuschauer an einer realistischen Darstellung ohne Irreführung, des Fernsehsenders bzw der Produktionsfirma nach kostengünstiger Produktion
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und des beistellenden Unternehmens nach Anerkennung einer substantiellen Förderung, werden mittels eines solchen Ausstatterhinweises angemessen zum Ausgleich gebracht. Titelsponsoring: Die Verwendung eines Produkts oder Firmennamens als Sendetitel 112 (zB das Pirelli Automagazin, Stern-TV) ist für sich genommen kein Sponsoring. Auch eine analoge Anwendung der Sponsoringvorschriften ist nicht sinnvoll, da die Gestattung des Titelgebrauchs nicht als indirekte Finanzierung einer Sendung gesehen werden kann. Gerade die in Deutschland bekannten Beispiele wie Stern TV oder Focus TV zeigen, dass mit derartigen Sendetiteln beide Seiten, Sender und Verlag, ihre Interessen gleichermaßen fördern. Eine einseitige (versteckte) Leistung an den Sender kann darin nicht gesehen werden.
§3 Die sechs Säulen des Fernsehwerberechts 113
Wie bei den Grundlagen im Allgemeinen Teil (III) herausgearbeitet120, hat das Rundfunkwerberecht sechs Säulen: (1) das Beeinflussungsverbot, (2) das Trennungsgebot, (3) das Kennzeichnungs- bzw Erkennbarkeitsgebot. (4) Inhaltliche Werbebeschränkungen dienen dazu, bestimmte entweder von den beworbenen Produkten oder der Werbung selbst ausgehende Gefahren zu verringern. (5) Werbehöchstmengen dienen dem Schutz der Verbraucher vor einem Übermaß an Werbung. Die Tendenz in der AVMDR (der Nachfolgerrichtlinie zur Fernseh-Richtlinie, s oben Teil 1 Kap 3 Rn 167 ff) geht in eine andere Richtung: Regeln zu Werbehöchstmengen wurden reduziert; man vertraut darauf, dass die Verbraucher (Zuschauer, Zuhörer, Nutzer) durch ihr Nutzungsverhalten verhindern, dass übermäßig geworben wird. (6) Ähnliches gilt für die Beschränkungen der Unterbrecherwerbung, die in Zukunft ebenfalls weniger eng geregelt sein wird.
I. Das Verbot der Programmbeeinflussung 114
Das Beeinflussungsverbot findet sich in § 7 Abs 2 RStV, „Werbung oder Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen (…).“ und in § 8 Abs 2 RStV: „Inhalt und Programmplatz einer gesponserten Sendung dürfen vom Sponsor nicht in der Weise beeinflusst werden, dass die Verantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden.“ 115 Es verfolgt ein über den Verbraucher- und Wettbewerbsschutz hinausgehendes Ziel: die Unabhängigkeit des Rundfunks von werblichen Aussagen oder, etwas abstrakter formuliert, die Autonomie der Medien gegenüber der ökonomischen Sphäre 121. Es bezweckt die Autonomie der Programmgestaltung, schützt das Vertrauen des Zuschauers in eben diese Autonomie und fördert somit die Aufgabe des Rundfunks, zu einer umfassenden öffentlichen und individuellen Meinungsbildung beizutragen122. Weil das Beeinflussungsverbot der Meinungsvielfalt dient, handelt es sich verfassungsrechtlich um eine Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit123. Die Autonomie eines Medi120 121
S oben Rn 9 ff. So auch Gounalakis WRP 2005, 1476 ff; in ähnliche Richtung von Danwitz AfP 2005, 417, 419.
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122 123
S oben Rn 42 ff. S oben Rn 50 ff.
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§3
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ums ist verletzt, wenn es nicht mehr nach eigenen Regeln und Maßstäben über redaktionelle oder programmliche Inhalte entscheidet. Wann wird die Grenze zur unerlaubten Beeinflussung überschritten? Bisher gibt es dazu keine einschlägige Rechtsprechung und auch die Kommentarliteratur begnügt sich mit wenigen Beispielen.124 Wie schwierig die Frage zu beurteilen ist, zeigt folgendes Beispiel: Sender und Drehbuchautor entscheiden sich dafür, dass in einer Serie über ein Krankenhaus eine Reihe von lustigen Vorfällen um einen nur teilweise funktionierenden Getränkeautomat kreisen zu lassen. Getränke und damit bestimmte Marken gehören zur Realität eines Getränkeautomaten. Ob dieser nun mit Coca Cola oder Pepsi gefüllt ist, spielt redaktionell keine Rolle. Ist die Entscheidung für eine der beiden Marken nicht mehr redaktionell, wenn sie von einem Entgelt des Markeninhabers und Getränkeherstellers motiviert ist? Liegt eine Beeinflussung vor, wenn man sich aufgrund eines Entgelts für einen Getränkehersteller entscheidet? Sollte der Werbetreibende iSd § 7 Abs 2 RStV überhaupt nicht beeinflussen oder geht es nur um die Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters iSv § 8 Abs 2 RStV? Mit anderen Worten: Es geht um die Frage, wann die Programmfreiheit des Rundfunks beeinträchtigt wird. Um den Inhalt des Autonomieprinzips deutlich zu machen, könnte man eine Parallele zur Autonomie von Systemen 125 ziehen. Danach sind Systeme unabhängig voneinander, wenn das zentrale Prinzip des Systems, die sog „Leitdifferenz“, bestehen bleibt 126. So ist bspw die Leitdifferenz des Systems der Wissenschaft die Wahrheit. Die wissenschaftliche Wahrheit, die im System der Wissenschaft in vielen Details aber nicht als Prinzip umstritten ist, entscheidet darüber, ob eine Theorie, eine empirische Tatsache oder ein Theorem von der Scientific Community anerkannt wird oder nicht. Würde ein Wirtschaftsunternehmen, zB im Rahmen eines Gutachtenauftrags, das Ergebnis bestimmen, wäre die Wahrheit „käuflich“. Die wissenschaftlichen Kriterien, nach denen sich bestimmt, ob die Aussage wissenschaftlich vertretbar ist oder nicht, wären weniger bedeutsam. Man würde sich als Leser nicht mehr fragen „Ist die Aussage richtig?“, sondern nur noch „Wer hat sie bezahlt?“. Würde dies in einer Vielzahl von Fällen geschehen, wäre die Autonomie des Systems „Wissenschaft“ und damit letztlich seine Funktion für die gesamte Gesellschaft in Gefahr. Wendet man diesen Gedanken zB auf die Trikotwerbung im Sport an, wird deutlich, dass die Trikotwerbung die Leitdifferenz des Sports nicht betrifft. Die für ein Fußballspiel entscheidende Frage, wann ein Spiel gewonnen oder verloren ist, ob ein Spieler sich im Abseits befindet oä, wird nicht dadurch beeinflusst, dass Trikots von Werbebotschaften geziert sind. Das „System“ des Sports, konkretisiert in den Regeln einer Sportart, ist durch Placements nicht gefährdet. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass eine Beeinflussung nicht schon dann vorliegt, wenn – im Sinne einer einfachen Kausalität – der Inhalt der Sendung in irgendeiner Form beeinflusst wird. Eine Beeinflussung, die die Autonomie eines Massenmediums gefährden kann, muss die Darstellung und die Auswahlkriterien betreffen, nach denen mediale Inhalte ausgesucht und dargestellt werden.127 Bei non-fiktionalen Inhalten handelt es sich zB um Auswahl- und Darstellungskriterien, die in den Landespressegesetzen und Selbstverpflichtungskatalogen der Journalisten genannt sind. In diesem Zusammenhang ist es zwar bedauerlich, wenn Journalisten Pressemitteilungen von Unternehmen als Vor-
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Beucher/Leyendecker/von Rosenberg § 7 Rn 25. Luhmann 19, 57, 105.
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Luhmann 250, 254 Vgl BVerfGE 90, 60, 87.
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lagen verwenden und – kaum verändert – als redaktionelle Beiträge veröffentlichen. Es ist jedoch rechtlich zulässig, weil sie selbst nach redaktionellen Kriterien entscheiden, ob und in welcher Form sie den Beitrag bringen. Ohne an dieser Stelle detailliert auf Agenda-Setting und ähnliche Medientheorien 128 einzugehen, müssen Medien selbst entscheiden können, welche Themen sie für wichtig halten. Dabei sind sie aufgrund ihrer Abhängigkeit von Marktanteilen, Auflagen und Anklickhäufigkeiten an das Publikumsinteresse rückgebunden. Das Kriterium der Leitdifferenz könnte deswegen als eine weitere „de minimis“-Schwelle dienen, die manche Produkt- oder Markenplatzierungen – in Bezug auf das Beeinflussungsverbot – zulässt, da sie die systeminternen Kriterien der Stoffauswahl und -behandlung nicht beeinflussen. Fazit: Die Formulierung in § 7 Abs 2 RStV, wonach jeglicher Einfluss des Werbetreibenden unzulässig ist, muss iSd § 8 Abs 2 RStV ausgelegt werden. Um das Beeinflussverbot einzuhalten, reicht es aus, wenn die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters nicht beeinträchtigt wird. Um diese Grenze am Beispiel des klassischen Product Placements zu illustrieren, stel120 len wir uns das private Fahrzeug eines Kommissars vor, der eine Schwäche für teure schnelle Autos hat. Die Entscheidung, den Protagonisten einen teuren Sportwagen fahren zu lassen, ist eine dramaturgische Entscheidung. Geschieht sie unabhängig vom Einfluss der werbetreibenden Industrie, ist das medieninterne Auswahlkriterium autonom geblieben. Die Frage, ob der Protagonist einen Porsche oder einen BMW fährt, ist dramaturgisch ohne Bedeutung. Sie wird nicht dadurch beeinflusst, dass die Firma Porsche der Produktion ein Fahrzeug unentgeltlich zur Verfügung stellt. Die redaktionelle Unabhängigkeit wäre in diesem Beispiel gewahrt. Wie weit das Beeinflussungsverbot geht, zeigt sich am Beispiel des sog Themen Place121 ments:129 Entscheidend für die Medien ist die Freiheit, über Themen bzw die Agenda selbst und unabhängig von Dritten zu entscheiden. Hätte sich zB ein Filmhersteller verpflichtet, das Thema „Entwicklungshilfe“ zu platzieren, käme eine Beeinflussung in Betracht. Die Drehbuchautoren, Producer und Redakteure könnten, gebunden durch die vom Produzenten oder Sender geschlossenen Placement-Vereinbarung, nicht mehr selbst entscheiden, ob sie in ihrer Krankenhausserie dieses politische Thema aufgreifen wollen. Ein Verstoß liegt selbst dann vor, wenn „nur“ das Thema platziert würde, die Kreativen jedoch frei darin wären, bestimmte Meinungen dazu zu entwickeln. Denn im Kampf um Aufmerksamkeit in der Mediengesellschaft ist schon die Platzierung eines Themas ein Erfolg, der nicht durch Geld erkauft werden darf. Ein Werbetreibender oder Sponsor ist allerdings nicht daran gehindert, den Sender zu beraten, Ideen einzubringen oder Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. So hat die mächtige American Medical Association über viele Jahre die Produktion „Dr. Markus Med. Welby“ mit Ideen und Anregungen zu Krankheitsbildern und dramatischen Geschichten rund um das Krankenbett versorgt.130 Der Sponsor (von derartigen Sachleistungen) darf seine Leistungen lediglich nicht davon abhängig machen, dass bestimmte Inhalte in die Sendung eingebaut werden. Die Redaktion bzw der Drehbuchautor müssen frei entscheiden können, ob sie die Anregungen aufgreifen oder nicht.
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Gleich/Groebel Media Perspektiven 1994, 517 ff mwN. Auch nach Zulassung des Product Placements in der AVMDR soll das Themen-
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Placement ausdrücklich unzulässig bleiben, vgl Erwägungsgrund 63. Castendyk ZRP 1992, 63 ff.
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II. Das Trennungsgebot Trennungs- und Kennzeichnungs- bzw Erkennbarkeitsgebot sind unterschiedliche Prin- 122 zipien. Den Unterschied haben wir131 am Beispiel eines Showmasters illustriert, der während der Show ein Produkt bewirbt und am Ende mit einem Augenzwinkern verrät, dies gegen Entgelt getan zu haben. Das Trennungsprinzip ist in diesem Beispiel verletzt, weil Programm und werbliche Aussage verbunden sind. Das Erkennbarkeitsgebot hingegen ist nicht verletzt, weil erkennbar ist, dass es sich um eine werbliche Botschaft handelt. Die Differenzierung zwischen beiden Prinzipien ist auch deswegen wichtig, weil nach der neuen AVMDR Product Placement zugelassen wird, wenn es gekennzeichnet wird. Damit wird das Trennungsprinzip aufgegeben, nicht das Erkennbarkeitsprinzip. Wie im Allgemeinen Teil ausführlich begründet,132 sind auch die Ziele des Trennungsprinzips mit denen des Erkennbarkeitsgebots nur teilweise identisch. Soweit man die Trennung von Werbung und Programm als (eine) Methode, Werbung erkennbar zu machen ansieht, dient das Trennungsgebot dem gleichen Zweck wie das Erkennbarkeitsgebot. Es verfolgt jedoch neben dem Verbraucher- und Wettbewerbsschutz das Ziel des fairen Wettbewerbs und der Programmautonomie. Für letzteres Ziel gilt das zum Beeinflussungsverbot Gesagte.133 Das Trennungsgebot wird im Rundfunk in § 7 Abs 3 S 2 RStV statuiert: „Sie [scil. 123 Werbung und Teleshopping] müssen im Fernsehen durch optische Mittel und im Hörfunk durch akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein.“ Genaugenommen vermischt dieser Satz Trennungs- und Erkennbarkeitsprinzip, denn Programm und Werbung könnte man wohl auch dann als getrennt ansehen, wenn Programm und Werbeblock nicht durch einen Werbejingle getrennt wären. Der sog Werbetrenner ist nur deshalb auch ein Teil des Trennungsprinzips als er die Grenze zwischen Werbung und Programm deutlich macht. Dies wird deutlich an Ziff 8 Abs 3 der DLM-Werberichtlinie, die einen Werbetrenner verbietet, wenn in einer Dauerwerbesendung Spotwerbung ausgestrahlt wird.
III. Kennzeichnungs- bzw Erkennbarkeitsgebot Das Erkennbarkeitsgebot wird in der Regel durch Kennzeichnung der werblichen 124 Inhalte eingehalten. Es hat, wie bereits oben134 herausgearbeitet, ein zentrales Ziel: Es schützt die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Der Medienrezipient (sei es als Zuschauer, Zuhörer, oder Leser) soll nicht darüber getäuscht werden, ob er oder sie eine werbliche oder redaktionelle Botschaft wahrnimmt. Konsumenten tendieren dazu, werbliche Aussagen kritischer zu würdigen und ihnen weniger Glauben zu schenken als redaktionellen. Schutzobjekt ist der Konsument.135 Ausfluss des Kennzeichnungsgebots ist vor allem das Verbot der Schleichwerbung. 125 Sollte Product Placement in Deutschland in Umsetzung von Art 3g AVMDR zugelassen werden, muss das Placement gekennzeichnet werden, um dem Kennzeichnungsgebot zu genügen (vgl Art 3g Abs 3 AVMDR). Da die Schleichwerbung derzeit in § 7 Abs 4 S 1
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S oben Rn 33. S oben Rn 31 ff. So auch Gounalakis WRP 2005, 1476 ff; in ähnliche Richtung von Danwitz AfP 2005, 417, 419.
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S Rn 36 f. BGH GRUR 1990, 611, 615 – Wer erschoss Boro?; Ahrens GRUR 1995, 306, 308.
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RStV verboten ist, liegen die damit verbundenen Rechtsprobleme nur in der – komplexen – Definition der Schleichwerbung.136 Auch die gesetzliche Behandlung von Dauerwerbesendungen folgt dem Erkennbarkeitsgebot. § 7 Abs 5 S 1 RStV verlangt, dass der Werbecharakter erkennbar im Vordergrund steht und die Werbung einen wesentlichen Bestandteil der Sendung ausmacht. Als weitere Absicherung der Erkennbarkeit verlangt S 2 der Vorschrift, dass die Dauerwerbesendung als solche gekennzeichnet wird. Während der Sendung muss diese durchgehend mit der Einblendung „Dauerwerbesendung“ oder „Werbesendung“ oder „Werbung“ gekennzeichnet werden. Auch Sendungen mit vielen werblichen Elementen, wie zB der Film „Feuer, Eis und Dynamit“, können nicht als Dauerwerbesendungen qualifiziert werden, wenn die Werbung nicht im Vordergrund steht.137 Dauerwerbesendungen sind bei der Bestimmung der innerhalb eines Einstundenzeitraums zulässigen Menge von Spotwerbung nicht zu berücksichtigen. Infomercials fallen in der Regel in die Kategorie der Dauerwerbesendungen.138 Steht der werbliche Charakter im Vordergrund, gilt § 7 Abs 5 RStV, unabhängig von der Tatsache, ob der Beitrag – wie es häufig der Fall ist – vom Werbetreibenden selbst zur Verfügung gestellt wurde oder vom Sender selbst bzw in dessen Auftrag produziert wurde. Infomercials sind zulässig, wenn sie während der ganzen Sendung durch ein entsprechendes Logo gekennzeichnet werden.139 Eine Teilbelegung des ausgestrahlten Bildes (sog „Split Screen“) ist gem § 7 Abs 4 RStV zulässig, wenn die Werbung eindeutig optisch vom redaktionellen Teil getrennt wird und die Werbung als solche gekennzeichnet wird (zB durch den Schriftzug Werbung). Sie ist auch in Form der Laufbandwerbung (sog „Crawl“) zulässig (vgl Ziff 7 Abs 1 DLM-Werberichtlinie). Die Werbeform wird durch § 7 Abs 4 S 2 RStV für den Sender dadurch unattraktiver gemacht, dass der Split Screen in seiner gesamten Dauer auf die Werbezeiten (Werbehöchstgrenzen) anzurechnen ist. Bei der virtuellen Werbung werden in der Realität bestehende Werbeflächen (zB Bandenwerbung) nachträglich digital bearbeitet und ausgetauscht. Auf diese Weise können zB bei Übertragung von Fußballspielen bestehende Werbeflächen durch Werbung für andere Produkte ausgetauscht werden. Technisch möglich ist auch die Einfügung von Werbung in Bildflächen, in denen vorher keine reale Werbung zu sehen war (zB den Mittelkreis beim Fußballfeld). Nach § 7 Abs 6 S 2 RStV wird virtuelle Werbung jedoch nur zugelassen, wenn sie die am Ort der Übertragung bestehende Werbung lediglich ersetzt und am Anfang und Ende der Sendung darauf hingewiesen wird. Das Gebot der Erkennbarkeit ist nicht verletzt, weil auf die virtuelle Werbung hingewiesen wird. Obwohl Programm und Werbung in einem Bild (dh ohne Trennbalken wie etwa beim Split Screen) vermischt werden, liegt kein Verstoß gegen das Trennungsprinzip vor, weil die untrennbare Vermischung von Werbung und Programm bereits in der Realität existierte. Virtuelle Werbung wird bei der stündlichen oder täglichen Werbeauslastung von max. 20 % pro Tag gem § 45 RStV bzw der 20 Minuten gem § 15 RStV nicht berücksichtigt. Daneben enthält der Rundfunkstaatsvertrag eine Reihe von Vorschriften, die es Kindern erleichtern soll, zwischen Werbung und Programm zu trennen. Dazu gehört zum einen das Verbot der Unterbrecherwerbung in Kindersendungen gem § 44 Abs 1 RStV. Kindersendungen in diesem Sinne, sind Sendungen, die sich an Zielgruppen unter 14 Jah136 137
S oben Rn 84 ff. VG Berlin ZUM 1999, 742 ff – Feuer, Eis und Dynamit, mit Anm Hartel ZUM 1999, 750 f.
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Hahn/Vesting/Ladeur § 7 Rn 39. Vgl Ziff 8 DLM-Werberichtlinie.
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ren wenden. Familiensendungen, die sich an alle Altersgruppen einschließlich der unter 14-jährigen wenden, sog „Auch-Kindersendungen“, sind keine Kindersendungen in diesem Sinne. Aufgrund verbindender Programmelemente zwischen einzelnen Kindersendungen (zB Zwischenmoderation desselben Moderators in einem wiederkehrendem Setting) können die verschiedenen Sendungen rechtlich zu einer einzigen (sog einheitlichen) Kindersendung werden (vgl Ziff 13 Abs 1 DLM-Werberichtlinie). Eine solche einheitliche Kindersendung darf dann insgesamt nicht durch Werbung unterbrochen werden. Das ist bei der Gestaltung von Kinderschienen etwa am Morgen oder am Nachmittag, die durch eine wiederkehrende Studiomoderation verbunden werden, zu beachten. Ziff 4 Abs 3 Nr 3 der DLM-Werberichtlinie verbietet, in den flankierenden Werbeblöcken zu einer Kindersendung keine prägenden Elemente zu verwenden, die auch Bestandteil der Kindersendung sind. Deswegen dürfen zB keine Schlumpf-Figuren oder sonstige SchlumpfMotive (zB Eis in Schlumpfform) in Werbeblöcken vor oder nach der Sendung „Die Schlümpfe“ auftauchen. Diese Beschränkung bezieht sich jedoch nicht auf die programmbegleitenden Maßnahmen.
IV. Inhaltliche Werbebeschränkungen § 7 Abs 1 S 1 RStV verbietet eine Irreführung durch Werbung. Das darin auch enthal- 131 tene Verbot der Irreführung über den Werbecharakter wird durch die spezielleren Vorschriften des Trennungsgebotes in § 7 Abs 3 RStV und des Schleichwerbungsverbotes in § 7 Abs 4 S 1 RStV verdrängt. Durch das Irreführungsverbot soll verhindert werden, dass Rundfunkteilnehmer über Eigenschaften des beworbenen Produkts getäuscht werden. Dies entspricht dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot in § 5 UWG. Irreführend ist danach eine Angabe, wenn die Vorstellungen der angesprochenen Verkehrskreise bzw Adressaten nicht mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmen.140 Damit können sogar für sich genommen objektiv richtige Angaben irreführend sein, wenn die Fernsehzuschauer bzw Radiohörer damit unrichtige Vorstellungen verbinden.141 Zusätzlich verbietet § 7 Abs 1 S 1 RStV ganz allgemein, Interessen der Verbraucher 132 zu schaden und Verhaltensweisen zu fördern, die die Gesundheit oder die Sicherheit der Verbraucher sowie den Schutz der Umwelt gefährden. Dies verweist auf spezialgesetzliche Regelungen zur Werbung und zum Verbraucherschutz und zum Schutz der Umwelt sowie zum allgemeinen Wettbewerbsrecht. Ergänzend für den Bereich der Alkoholwerbung finden die einschlägigen Verhaltensregelungen des deutschen Werberates über die Werbung für alkoholische Getränke Anwendung 142. Außerdem verweist die Regelung auf das Verbot der Tabakwerbung in § 22 Abs 1 LMG 1974 143 und die Beschränkung der Werbung für Medikamente und Heilmittel in § 4 HWG.144 Die Alternative der „Gefährdung des 140
141
Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 Rn 2.64, Piper/Ohly/Piper § 5 Rn 114 f, 195 ff. BGH GRUR 1961, 193, 196 – Cupresa, BGH GRUR 2000, 73, 75 – Tierheilpraktiker, BGH GRUR 1996, 910, 912 – Der meistverkaufte Europas, BGHZ 28, 1, 6 – Buchgemeinschaft II; BGH GRUR 57, 600 – Westfalen Blatt I, Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 5 Rn 2.67, Piper/Ohly/ Piper § 5 Rn 195 ff.
142 143
144
Abgedr in Hartstein/Ring/Kreile/Stettner § 7 Rn 107. Vorläufiges Tabakgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9.9.1997 (BGBl I S 2296), zuletzt geändert durch Art 1 des Gesetzes vom 21.12.2006 (BGBl I S 3365) (zuvor Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz – LMBG). Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.1994 (BGBl I S 3068),
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Schutzes der Umwelt“, also Fälle, in denen die Werbung Personen zeigt, die sich umweltschädigend verhalten, und die dieses Verhalten als positiv und nachahmenswert schildert, ist bislang nicht relevant geworden. Kinder und Jugendliche werden im Fernsehwerberecht besonders geschützt. Der 133 Gesetzgeber ging dabei davon aus, dass Kinder und Jugendliche weniger als Erwachsene in der Lage sind, das Waren- und Leistungsangebot kritisch zu beurteilen. Sie seien durch ihre Unerfahrenheit und Beeinflussbarkeit leicht zu unwirtschaftlichen Ausgaben und Anschaffungen über den Bedarf hinaus zu motivieren. Insbesondere jüngere Kinder sollten vor der Manipulation durch Werbung geschützt werden. Daraus ergibt sich das werbeinhaltliche Verbot aus § 6 Abs 2–6 JMStV, wonach Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche richtet oder bei der Kinder und Jugendliche als Sympathieträger eingesetzt werden, nicht ihren Interessen schaden oder ihre Unerfahrenheit ausnutzen darf. Das Gesetz nennt Beispiele: direkte Kaufappelle an Kinder oder Jugendliche, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen, Werbung, die Kinder und Jugendliche unmittelbar auffordert, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen, Werbung, die das besondere Vertrauen ausnutzt, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, und Werbung, die, Kinder oder Minderjährige ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigt.145 Werbung, die sich auch an Kinder richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn sie direkte Kaufaufforderungen enthält oder besondere Vorteile oder Eigenarten des Produktes beschreibt, die nicht den natürlichen Lebensäußerungen der Kinder entsprechen.
V. Werbemengenbeschränkungen 134
Werbemengenbegrenzungen sind für die öffentlich-rechtlichen Sender in § 15 und für die privaten Sender in § 45 RStV geregelt. Zweck der Regelung ist der Schutz des Zuschauers vor einem Übermaß an Werbung im Programm. Sie basieren auf Art 18 Fernseh-Richtlinie. Im privaten Fernsehen darf der Anteil von Werbung 20 % und der der Spotwerbung 15 % der täglichen Sendezeit nicht überschreiten (§ 45 Abs 1 RStV). Innerhalb einer Stunde darf max. 12 Minuten Spotwerbung gezeigt werden. Der Beginn der täglichen Sendezeit und damit auch des Ein-Stunden-Zeitraumes konnte von den Sendern bisher selbstständig festgelegt und den Landesmedienanstalten monatlich mitgeteilt werden. An dieser Praxis soll sich, trotz der Formulierung „gerechnet ab einer vollen Stunde“ nichts ändern (vgl AmtlBegr zum 4. RÄndStV, zu § 45 Abs 3 S 4). Die Begrenzung der Werbezeit pro Stunde auf 20 % gilt nur für Spotwerbung (Werbe- und Teleshoppingspots) unter 90 Sekunden, nicht aber für Dauerwerbesendungen. Will man die tägliche, für Spotwerbung zur Verfügung stehende Zeit von 15 % ausschöpfen, könnte man somit weitere 5 % pro Tag (1 h 12 Min) für Dauerwerbesendungen nutzen. Zur Berechnung der Dauer der Werbung ist nur die Werbung selbst heranzuziehen. 135 Werbetrenner, zwischen den Werbespots geschaltete Schwarzbilder von ca. 1/3 Sekunden Länge oder trennende Programmelemente wie die „Mainzelmännchen“ werden nicht berücksichtigt. Teleshoppingspots, die nicht im Rahmen von Teleshoppingfenstern ausge-
145
zuletzt geändert durch Art 2 des Gesetzes vom 26.4.2006 (BGBl I S 984). Die DLM-Werberichtlinie ergänzt diese Fallbeispiele um weitere in Ziff 4; § 6 Abs 5
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JMStV wird durch die Verhaltensregeln des deutschen Werberates für die Werbung mit und für Kinder in Werbefunk und Werbefernsehen ergänzt.
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strahlt werden, fallen hingegen unter die stündliche Maximalmenge für Spotwerbung von 12 Minuten pro Stunde. Unter der gleichen Voraussetzung fallen Teleshoppingangebote außerdem unter die Maximalgrenze von 20 % Werbung pro Tag; dh, für Teleshoppingspots unter 90 Sekunden und -sendungen über 90 Sekunden steht damit seit dem 1.4.2000 weniger Zeit als bisher zur Verfügung.146 Zum Ausgleich dürfen Teleshoppingspots und -sendungen, wenn sie in sog Teleshoppingfenstern gem § 45a RStV enthalten sind, bis zu drei Stunden pro Tag ausgestrahlt werden. Die Teleshoppingfenster müssen jedoch eine Mindestnettolänge von 15 Minuten aufweisen, als solche gekennzeichnet werden und von ihnen dürfen max. acht pro Tag ausgestrahlt werden (§ 45a RStV).147 Für die öffentlich-rechtlichen Sender setzt § 15 RStV engere Grenzen. ARD und ZDF 136 dürfen an Werktagen vor 20:00 Uhr max. 20 Minuten Werbung ausstrahlen.148 Diese 20 Minuten sind allerdings im Jahresdurchschnitt zu berechnen. In den dritten Programmen, arte, 3SAT, Phoenix, BR-Alpha und Kinderkanal ist Werbung nicht zulässig (§ 16 Abs 2 RStV), Teleshopping ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu keiner Zeit erlaubt (§ 18 RStV).
VI. Werbeunterbrechungen Der Rundfunkstaatsvertrag enthält in § 15 (für Rundfunkanstalten) und § 44 (für 137 private Veranstalter) Regelungen zur möglichen Unterbrechung von Sendungen. Sie sind kompliziert und im Detail oft umstritten. Der Grundsatz lautet: „Werbung ist in Blöcken und zwischen einzelnen Sendungen einzufügen (vgl §§ 15 Abs 2 und 44 Abs 2 S 1 RStV)“. Bei Sendungen, die aus eigenständigen Teilen bestehen (zB einem Theaterstück in drei 138 Akten) oder die natürliche Pausen enthalten (zB einem Fußballspiel) dürfen die Werbeblöcke bzw Teleshopping-Spots nur in diesen Pausen ausgestrahlt werden. (§ 15 Abs 3 und § 44 Abs 3 RStV). Eigenständig sind Sendungsteile, wenn der Zuschauer den einen Teil nachvollziehen kann, ohne inhaltlich auf die Kenntnis des anderen Teils angewiesen zu sein.149 Bei der Übertragung von Sportereignissen ergeben sich die jeweiligen Pausen aus den spezifischen Regeln dieser Sportart wie zB Halbzeit, Drittelpausen, Seitenwechsel usw. Allerdings ist im Einzelnen umstritten, ob als natürliche Pause nur vorgegebene Pausen oder wie etwa in Italien jede andere Spielunterbrechung, zB Einwürfe oder Freistöße gelten kann.150 Gibt es keine natürlichen Pausen, eigenständige Teile oder natürliche Gliederungen, 139 schreibt § 15 Abs 3 S 2 bzw § 44 Abs 3 S 2 RStV einen Sollabstand von 20 Minuten zwischen zwei aufeinanderfolgenden Unterbrechungen vor. Damit wird iSv Art 11 Abs 2 Fernseh-Richtlinie klargestellt, dass der 20-Minuten-Abstand der Grundsatz ist, von dem Ausnahmen möglich sind. Gründe für derartige Ausnahmen können dramaturgische,
146 147 148
Zum Begriff der Sendung vgl OVG Lüneburg AfP 1999, 397 f. Zu den Besonderheiten bei Teleshoppingfenstern vgl Castendyk MMR 2000, 82 ff. Zur Frage, ob das Verbot der Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen um 24.00 Uhr endet, vgl OLG Hamburg NJWRR 1993, 1012 ff – Vampir-Werbeblöcke.
149
150
Zur Qualifizierung als eigene Sendung bei einem Rückblick von 11/2 Minuten im Zusammenhang mit der Frage, ob es sich um Unterbrecher- oder Flankierwerbung handelt, vgl ua OVG Lüneburg AfP 1999, 397 f. Hahn/Vestin/Ladeur § 14 Rn 13 f.
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wirtschaftliche oder zuschauerfreundliche (zB Vermeidung überlanger Werbeblöcke) sein. Die DLM-Werberichtlinien schränken in Ziff 13 Abs 5 diese Gründe wie folgt ein: „wenn (1) im Handlungsverlauf von Sendungen gem § 44 Abs 3 RStV Einschnitte bestehen, die zur Platzierung von Werbung genutzt werden können, um zusammenhängende Programmelemente nicht zu unterbrechen und die vorgenommene Verkürzung des Abstandes der Erhaltung der Werkintegrität dient und (2) sich die Summe der bei Einhaltung des 20-Minuten-Abstandes zulässigen Werbeunterbrechungen innerhalb der Sendung nicht durch die Verkürzung des 20-Minuten-Abstandes erhöht.“
140
Unterschiedliche Genres sind unterschiedlich unterbrechbar: Bestimmte Programmgenres dürfen nicht durch Werbung unterbrochen werden: Gottesdienstübertragungen unabhängig von ihrer Länge sowie Kindersendungen, Nachrichten, Dokumentarfilme, Magazine über aktuelles Zeitgeschehen oder religiöse Inhalte, wenn sie kürzer als 30 Minuten sind.151 Alle anderen Programmgenres dürfen unterbrochen werden, allerdings unterschied141 lich häufig: Spielfilme und TV-Movies dürfen grds nur pro vollständigem 45-MinutenZeitraum unterbrochen werden. Eine weitere Unterbrechung ist zulässig, wenn diese Sendung mind. 20 Minuten länger als zwei oder mehrere vollständige 45-MinutenZeiträume ist. Dh, eine Sendung ab einer Länge von 45 Minuten darf einmal, ab einer Länge von 90 Minuten zweimal, ab einer Länge von 110 Minuten dreimal, ab einer Länge von 155 Minuten viermal und ab einer Länge von 200 Minuten fünfmal usw. unterbrochen werden. Alle anderen Sendeformate also zB Serien, Reihen, Unterhaltungssendungen etc können beliebig häufig unterbrochen werden; es muss lediglich der 20-Minuten-Abstand eingehalten werden. Kino- bzw Fernsehspielfilme, die werbetechnisch eine „Reihe“ bilden, dürfen abwei142 chend von der og Regel für Kino- und Fernsehspielfilme wie Serien alle 20 Minuten unterbrochen werden. Eine Reihe ist gem Ziff 13 Abs 2 der DLM-Werberichtlinie definiert als eine Mehrheit von Sendungen, die durch gemeinsame thematische, inhaltliche und formale Schwerpunkte ein gemeinsames Konzept aufweisen und in einem zeitlichen Zusammenhang ausgestrahlt werden. In der Regel enthalten die einzelnen Sendungen eine in sich abgeschlossene Handlung, die durch die genannten Gemeinsamkeiten, wie zB die Identität handelnder Figuren, ein ähnliches Setting und gleiches Genre an die vorherigen Folgen anknüpfen. Rein formale Anknüpfungspunkte wie die eines gleichen Sendeplatzes, eines einheitlichen Filmgenres oder der Identität des Regisseurs reichen nicht aus. Auch die Zusammenfassung eigenständiger Spielfilme unter bestimmten Obertiteln wie „Familienschicksale“, „Der große TV-Roman“ oder ähnliches fallen gleichfalls nicht unter den werbetechnischen Begriff der Reihe.152 Filme, die bei ihrer Ausstrahlung Bestandteil einer Reihe sind, sind auch im Rahmen ihrer Wiederholungsausstrahlung im 20-Minuten-Abstand unterbrechbar. Dies gilt nach bisheriger Praxis auch dann, wenn die übrigen Filme der Reihe nicht wiederholt werden. Pilotfilme zu einer Serie bzw Serienspecials dürfen wie die eigentlichen Serienfolgen entsprechend der 20-MinutenRegel unterbrochen werden, auch wenn sie eine andere Länge als die Serienfolgen auf-
151 152
Zum Begriff der Kindersendung s oben Rn 130. Vgl zu „Der große TV-Roman“ von RTL: OVG Niedersachsen ZUM 1994, 661 ff, OLG Celle AfP 1998, 226 f und AG
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Hannover ZUM 1997, 838 ff; VG Hannover ZUM-RD 1998, 186 ff, sowie EuGH Slg 2003 I-12489, Rn 58 ff – RTL Television GmbH gegen die Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk.
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§4
Sponsoring
weisen. Voraussetzung ist nur, dass sie im zeitlichen Zusammenhang mit den Serien- bzw Reihenfolgen ausgestrahlt werden. Die berühmteste Streitfrage im Bereich der Werbeunterbrechung war lange Zeit die 143 Frage, wie sich die Länge einer Sendung berechnet. Nach dem Bruttoprinzip bemisst sich die Sendungslänge unter Einrechnung der An- und Abmoderationszeit, etwaiger Sponsorhinweise (Billboards und Reminder), der eigentlichen Programmzeit (inkl Vor- und Abspann) sowie darin enthaltener Werbespots, programmbegleitender Maßnahmen, Programmtrailer und Senderpromotion. Die Bruttolänge ist damit die Zeit zwischen dem Anfang der Sendung und dem Ende des Abspanns. Nur wenn die Sendung durch andere Sendungen (zB Nachrichten oä) unterbrochen wird, zählt deren Länge nicht zur Bruttolänge der Sendung. Nach dem Nettoprinzip wird die für die Zahl der zulässigen Unterbrecherwerbeblöcke entscheidende Länge ohne zwischengeschaltete Werbung und anderen Programmelemente und somit nach der reinen Filmlänge berechnet. Die Berechnung der Länge nach dem Nettoprinzip würde dazu führen, dass bei etwa 75 % der entsprechenden Kinospielfilme, Fernsehfilme und Dokumentationen ein Werbeblock weniger geschaltet werden könnte. Die Frage, ob die Sendelänge nach der früheren Rechtslage nach dem Brutto- oder dem Nettoprinzip zu berechnen ist, war Gegenstand eines Rechtsstreites, den die ARD gegen ProSieben und andere Privatsender führte. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens entschied der EuGH, dass die Fernseh-Richtlinie das Bruttoprinzip vorsieht, die einzelnen Mitgliedstaaten jedoch strengere Regelungen und damit auch das Nettoprinzip (im Rahmen einer sog Inländerdiskriminierung) einführen dürfen. Der deutsche Gesetzgebeber hat im 4. RÄndStV in § 44 Abs 4 eine Klarstellung im Sinne des Bruttoprinzips vorgenommen. Zur Bruttolänge einer Sendung können auch unmittelbar vor oder im Anschluss an 144 die Sendung ausgestrahlte kurze Erläuterungen zu dieser Sendung hinzuzuzählen sein, wenn dieser Programmteil keinen eigenständigen Sendungscharakter aufweist, nicht gesondert ausgewiesen und angekündigt wird, keinen eigenständigen Opener oder Closer hat und er eine inhaltliche Vor- oder Nachbereitung der erläuterten Sendung darstellt. Dieser unselbstständige erläuternde Programmteil sollte vorwiegend aus eigenproduziertem Material zusammengestellt sein und fünf Minuten grds nicht überschreiten. Nicht zur Bruttolänge einer Sendung hinzuzuzählen sind in die Sendung eingefügte eigenständige Sendungen wie etwa Nachrichten, Wetter- oder Straßenberichte, Teleshopping- bzw Dauerwerbesendungen, die nicht Bestandteil eines Unterbrecherwerbeblocks sind.
§4 Sponsoring Gem § 8 Abs 1 RStV können nur Sendungen gesponsert werden.153 Dies gilt auch für 145 Kurzsendungen (vgl Ziff 12 Abs 2 DLM-Werberichtlinie). Geduldet wird derzeit auch ein Rubrikensponsoring, wenn die Rubrik sich optisch und akustisch vom Rest der Sendung ausreichend abhebt. Auch das Sponsern einer Mehrheit von Sendungen, zB einer Serie oder einer Programmschiene ist möglich, wenn der Sendungsbezug gewahrt bleibt. Das Sponsoring einer Dauerwerbesendung ist – entgegen Ziff 12 Abs 2 DLM-Richtlinie – vom RStV nicht untersagt, allerdings besteht daran seitens der Sponsoren bislang kein 153
Zum Begriff des Sponsorings s oben Rn 102.
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3. Teil
Interesse. Programmankündigungen dürfen nicht gesponsert werden, da sie auf Grund ihrer geringen Dauer und fehlenden Abgegrenztheit nicht die Voraussetzung einer Sendung erfüllen. Im Programmhinweis darf jedoch erwähnt werden, dass die Sendung von einem Sponsor unterstützt wird. Die Länge dieser Sponsorerwähnung darf nach einer Faustregel 5 Sekunden bzw 30 % der Länge des Spots nicht überschreiten. Der Sponsorhinweis muss am Anfang und am Ende der Sendung erfolgen (vgl § 8 146 Abs 2 RStV), er kann auch vor und nach der Werbeunterbrechung geschaltet werden (sog Sponsor-Reminder).154 Der Sponsor-Reminder ist idR kürzer (ca vier bis sechs Sekunden) als der Sponsor-Opener und Sponsor-Closer. Der Sponsor-Closer kann auch vor dem Abspann gezeigt werden, um auch die Zuschauer zu erreichen, die während der Endtitel auf ein anderes Programm umschalten. Der Sponsorhinweis ist in den letzten 15 Jahren selbst eine eigene Form der Werbung geworden, mit denen ua die Auswirkungen des für die öffentlich-rechtlichen Sender geltenden Werbeverbots nach 20.00 Uhr abgemildert werden können. Diese werbliche Nebenfunktion hat die Hauptfunktion des Sponsorhinweises etwas in den Hintergrund treten lassen: Seine Hauptfunktion ist es, den Zuschauer zu warnen und ihm oder ihr mit der Warnung die Möglichkeit zu geben, selbst zu beurteilen, ob der Sponsor über Gebühr Einfluss auf den Inhalt oder den Programmplatz der Sendung genommen hat. Die Funktion der Regelung liegt also nicht, wie häufig geschrieben 155 darin, die Irreführung des Zuschauers zu verhindern, sondern darin, das Beeinflussungsverbot abzusichern. Gem § 8 Abs 3 RStV dürfen gesponserte Sendungen nicht zum Kauf von Waren oder 147 der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Sponsors in der gesponserten Sendung anregen. Nach Ziff 12 Abs 4 der DLM-Werberichtlinie wird zum Kauf angeregt, wenn Erzeugnisse oder Dienstleistungen vorgestellt, allgemein empfohlen oder in anderer Weise als vorzugswürdig dargestellt werden. Dies entspricht der Rechtsprechung des BGH zur „werblichen Hervorhebung“.156 Um es am Beispiel des „normalen“ Product Placements deutlich zu machen: Wenn BMW einen 3er BMW für die Krimiserie unentgeltlich zur Verfügung stellt und damit mittelbar sponsert, darf der BMW gezeigt werden. Nicht zulässig wäre aber die werbliche Herausstellung, etwa durch vermeidbare close-ups, oder gar einen Dialog über die Vorzüge des BMW gegenüber Konkurrenzprodukten.157 Konkurrenz zwischen Schleichwerbung und Sponsoring: Die Konsequenz daraus ist 148 ein bisher nicht problematisierter Widerspruch zwischen Schleichwerbe- und SponsoringRegelungen: Bei der Schleichwerbung reicht eine bloße Erwähnung oder Darstellung eines Produktes aus, um – zusammen mit einer für die Darstellung geleisteten Zahlung des Werbetreibenden – eine Werbeabsicht und damit eine verbotene Schleichwerbung zu begründen. Betrachtet man denselben Vorgang unter dem Aspekt „Sponsoring“, ist die bloße Darstellung zulässig, wenn auf den Sponsor zumindest im Abspann hingewiesen wird. Sieht man § 8 RStV als lex specialis zum allgemeinen Trennungsgebot und
154
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So der EuGH ZUM 1997, 198 ff – RTI, zur Frage, ob nach der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ Sponsorhinweise nur am Anfang und Ende der Sendung oder auch vor und nach Unterbrecherwerbeblöcken zulässig sind (in Deutschland erstmals vom ZDF im Mehrteiler „Der Schattenmann“ ausprobiert). Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner § 8
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Rn 30; richtig hingegen Hahn/Vesting/ Ladeur § 8 Rn 22 mwN. BGH GRUR 1995, 744, 746 f – Feuer Eis und Dynamit. Teilweise engere Grenzen (iS der Vermeidbarkeitsformel in den ARD-Werberichtlinien) ziehen Bork 16 f; Henning-Bodewig BB Beilage 1986, 2, 8; Ullmann GRUR 1996, 948, 955.
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§4
Sponsoring
Schleichwerbeverbot in § 7 RStV, wäre die Beistellung des BMW zulässig. Rechtspolitisch gerechtfertigt könnte dieses Ergebnis durch den Umstand sein, dass der Sponsorhinweis nicht nur das Beeinflussungsverbot absichert, sondern auch die Irreführung des Zuschauers über den „wahren“ Grund, warum der Kommissar einen BMW und nicht an Fahrzeug eines anderen Herstellers fährt, ebenfalls verhindert werden könnte. Ob dafür ein in der Praxis sog Ausstatterhinweis im Abspann ausreicht, oder – wie heutzutage bei klassischen Sponsorhinweisen üblich – auch im Vorspann und vor und nach den Werbeblöcken, ist eine andere Frage. Gem § 8 Abs 4 und Abs 5 RStV gelten die Werbeverbote auch für das Sponsoring: 149 § 7 Abs 6 und § 7 Abs 7 RStV, § 22 LMG 1974 (Verbot der Zigarettenwerbung), §§ 4, 10, 11 HWG (Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente). Ein Medikamentenhersteller, der überwiegend nicht-verschreibungspflichtige Medikamente herstellt bzw vertreibt, darf Sponsor sein. Auch ein Hersteller oder Vertreiber von verschreibungspflichtigen Medikamenten und Behandlungen darf sponsern, allerdings nicht für Arzneimittel und medizinische Behandlungen, die nur auf ärztliche Verordnung erhältlich sind. Nachrichten und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen dürfen überhaupt nicht gesponsert werden.
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht Literatur Bruggmann/Hohmann Leben mit der Health Claims Verordnung – Chancen und Risiken anhand von Anwendungsbeispielen aus der Praxis ZLR 2007, 50; Buchner/Rehberg Wann ist ein Verbraucher ein mündiger Verbraucher? Zur Diskussion um die Nutrition & Health Claims Verordnung der EU GRUR Int 2007, 394; Bülow/Ring (Hrsg) Heilmittelwerbegesetz 3. Aufl Köln 2005 (zit Bülow/Ring/Bearbeiter); von Czettritz Pharma Online-Rechtliche Probleme der Pharmawerbung im Internet PharmaRecht 1997, 88; ders Pflichtangaben in modernen Medien PharmaRecht 2003, 301; von Danwitz Nähr- und gesundheitsbezogene Angaben im Visier des Gesetzgebers GRUR 2005, 896; Doepner Heilmittelwerbegesetz 2. Aufl München 2000; Doepner/Hüttebräuker Der neue europäische Lebensmittelbegriff ZLR 2001, 515; Engler/Geserich/Räpple/Rieger (Hrsg) Werben und Zuwenden im Gesundheitswesen Heidelberg 2000 (zit Engler/Geserich/Räpple/Rieger/Bearbeiter); Epping/Greifeneder Die Health Claims Verordnung auf der Zielgeraden – eine erste kritische Auseinandersetzung mit den praktischen Problemen eines Kompromissvorschlags WRP 2006, 830; Gorny Nähr- und gesundheitsbezogene Angaben – der internationale Hintergrund GRUR 2005, 892; ders Die neue Welt der Werbung und des Wettbewerbs zwischen Basisverordnung, „Health Claims“Vorstellungen der Kommission, LFGB und „Benetton“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ZLR 2004, 143; Gröning/Weihe-Gröning Heilmittelwerbegesetz, Loseblattsammlung Stand 2005 (zit Gröning); Hasselblatt (Hrsg) Münchener Anwaltshandbuch Gewerblicher Rechtsschutz 2. Aufl München 2005; Hildebrandt Heilmittelwerberecht: Informationspflichten vs Werbeverbot Hamburg 2004; Hüttebräuker Vorschlag für eine EU-Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf Lebensmittel – eine kritische Bestandsaufnahme WRP 2004, 188; Kieser Rabatte beim Kauf apothekenpflichtiger nicht preisgebundener Arzneimittel und Heilmittelwerbegesetz PharmaRecht 2004, 129; Köhler Zur Objektivierung der Abgrenzung von Arzneimittel und Lebensmittel nach der L-Carnitin Entscheidung des Bundesgerichtshofs WRP 2001, 363; Loosen „Großer Bruder“ statt „schöne neue Welt“ – nährwert- und gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel nach Verabschiedung der Health Claims Verordnung ZLR 2006, 521; Mand Arzneimittelrabatte Deutsche Apothekerzeitung 2006, 72; Meyer, A Das neue Lebensmittel- und Futtergesetzbuch – eine Mogelpackung WRP 2005, 1437; Meyer, A H krankheitsbezogene Werbung, verboten – aber wie? WRP 2008, 596; Meyer, F Das strenge deutsche Heilmittelwerberecht – ein Fall für den europäischen Gerichtshof PharmaRecht 2007, 230; ders Health-Claims-Verordnung Hamburg 2007; ders Das Kosmetikum als Ausweg aus der Heath Claims Verordnung? LMuR 2008, 25; Meisterernst Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln – die „L-Carnitin“ Entscheidung des BGH und ihre Folgen GRUR 2001, 111; ders Anm zu BVerwG „Tibetische Kräutertabletten II“ und „Red Rice III“ ZLR 2007, 387; Meisterernst/Haber Die VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben WRP 2007, 363; Möller Die vorgesehenen Änderungen des Heilmittelwerberechts durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung – Verschärfung oder Abschaffung eines Verbots WRP 2006, 428; Mühl Die Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Arzneimittel im Lichte der europäischen Neuregelungen der Jahre 2001/ 2002 WRP 2003, 1088; Plassmeier/Höld Die Rabattgewährung der Pharmaunternehmen im Arzneimittelhandel PharmaRecht 2007, 309; Preuß Alte Zöpfe, gordisch verknotet: Zweckbestimmung und pharmakologische Wirkung bei der Abgrenzung von Lebensmitteln zu den Arzneimitteln ZLR 2007, 435; Sosnitza Das Verhältnis von § 12 LFGB zu den Regelungen der VO (EG) Nr 1924/ 2006 – Gesetzgeberischer Handlungsbedarf? ZLR 2007, 423; Stoll Das Publikumswerbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel – erste Anzeichen einer Auflockerung PharmaRecht 2004, 100.
Maja Murza
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
Übersicht Rn § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . § 2 Heilmittelwerberecht . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit des HWG . . . . 1. Werbung . . . . . . . . . . . a) Imagewerbung . . . . . . b) Redaktionelle Beiträge . . c) Allgemeine Informationen . d) Packungsbeilage . . . . . . e) Pflichtangaben . . . . . . 2. Arzneimittel . . . . . . . . . 3. Sonstiger Anwendungsbereich III. Werbung für Arzneimittel . . . . 1. Irreführungsverbot gem § 3 HWG . . . . . . . . . . . . . a) Nicht vorhandene therapeutische Wirkungen gem § 3 S 2 Nr 1 HWG . . b) „Getarnte Werbung“ gem § 3 S 2 Nr 2c HWG . c) fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung gem § 3a HWG . . . . . . . . . . . 2. Gutachtenwerbung . . . . . . 3. Informationspflichten . . . . . a) Werbung in audiovisuellen Medien . . . . . . . . . . b) Werbung im Internet . . . c) Erinnerungswerbung . . . d) Kollision mit anderen Vorschriften des HWG . . . . 4. Homöopathische Arzneimittel IV. Werbegaben gem § 7 HWG . . . 1. Regelungsgehalt des § 7 HWG 2. Anwendbarkeit der Vorschriften zur Rabattgewährung auf den Pharmahersteller . . . . . . . 3. Bonussysteme in der Apotheke
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Rn V. Werbung gegenüber dem Publikum und den Fachkreisen . . . . 1. Fachkreise . . . . . . . . . . 2. Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, Schlafmittel, Psychopharmaka . . . 3. Einzelne Werbeverbote des § 11 HWG . . . . . . . . . . . . . a) fachliche Empfehlungen und Empfehlungen Dritter . . . b) Fremdsprachliche Bezeichnungen . . . . . . . . . . c) Angstwerbung . . . . . . . d) Bildliche Darstellungen . . e) Vergleichende Werbung und Werbung mit Preisausschreiben . . . . . . . . . 4. Hinweise auf Krankheiten iSv § 12 HWG . . . . . . . § 3 Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen durch die Health Claims Verordnung . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Health Claims Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen . . . . 2. Werbebeschränkungen . . . . 3. Nährwertbezogene Angaben . 4. Gesundheitsbezogene Angaben 5. Sonderproblem: Marken-, Handels- und Phantasiebezeichnungen . . . . . . . . . . . . 6. Übergangsfristen . . . . . . . III. Verhältnis zwischen Health Claims Verordnung und LFGB .
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§1 Einführung 1
Wirtschaftswerbung wird grds durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb reguliert 1. Auf dem Gebiet der Heilmittelwerbung existieren jedoch etwa seit der Jahrhundertwende Sonderbestimmungen 2. Gesetz- und Verordnungsgeber haben es immer für nötig erachtet, Gefahren der Werbung im Gesundheitsbereich gesondert zu regeln und mit Straf- und Bußgeldandrohungen zu untermauern. Hintergrund ist die nicht unbegründete Annahme, dass Krankheiten bzw seelische Leiden den Verbraucher besonders
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Teil 3 Kap 1. Die Polizeiverordnung über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (HWVO) von
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1941 regelte erstmals einheitlich in Deutschland die Vorgaben zur Heilmittelwerbung.
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§2
Heilmittelwerberecht
empfänglich für gesundheitsbezogene Werbeversprechen machen und dementsprechende geschäftliche Anreize bieten. Neben dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher haben die jeweiligen Normen aber auch eine wirtschaftlich-marktbezogene Schutzrichtung. Die Gebote und Verbote sind iSd § 4 Nr 11 UWG auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Das Wettbewerbsrecht hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung, da die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) oder Arzneimittelgesetzes (AMG) keine zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten eröffnen, sondern lediglich verwaltungs- bzw strafrechtliche Sanktionen enthalten. Das Heilmittelwerberecht sowie die Vorschriften zur Bewerbung von Lebensmitteln 2 haben in den zurückliegenden Jahren im Zuge der Europäisierung eine rasante Entwicklung erfahren, deren Schlusspunkt sicherlich noch nicht mit der seit dem 1.7.2007 geltenden VO (EG) 1924/2006 (Health Claims VO) erreicht ist 3. Einige wesentliche Impulse der Weiterentwicklung dieser Rechtsgebiete sind auch dem wettbewerbsrechtlichen Vorgehen von Konkurrenten und Verbänden zu verdanken. Die komplexe Materie der werblichen Darstellung im Gesundheitsbereich beschränkt sich nicht auf die heilmittewerberechtlichen Vorschriften, letztere müssen im Zusammenhang mit den lebensmittelrechtlichen, arzneimittelrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Normen gesehen werden.
§2 Heilmittelwerberecht I. Allgemeines Durch den Gesetzgeber ist vorgesehen, dass die Werbung mit krankheitsbezogenen 3 Angaben für spezielle Produktgruppen, wie zB Arzneimittel oder Medizinprodukte, den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Heilmittelwerberechts unterliegt. Beim Heilmittelwerberecht handelt es sich um eine vollständig gemeinschaftsrechtlich harmonisierte Rechtsmaterie, so dass die entsprechenden Normen des HWG im Lichte des Gemeinschaftsrechts, dh insb der verschiedenen Richtlinien wie zB 2001/83/EG, 2004/ 27/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel), 84/450/EG oder 92/28/EG, ausgelegt werden müssen 4. Neben dem HWG existieren noch andere Kodifikationen im Bereich der Heilmittelwerbung, die jedoch meist keine Gesetzesqualität besitzen. Beispielhaft wäre der sog „Verhaltenskodex der Mitglieder des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie eV“5 zu nennen.
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Schon im Jahr 2006 wurde ein EU-Aktionsprogramm für den Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003–2008) verabschiedet. Es beschäftigt sich mit Gesundheitsinformationen, Reaktionen auf Gesundheitsgefahren und der Gesundheitsförderung. Seit 2005 existiert ein Grünbuch zur „Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung:
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Eine europäische Dimension zur Verhinderung von Übergewicht, Adipositas und chronischen Krankheiten“. EuGH Urteil vom 8.11.2007 Az C-374/05. Durch diesen Kodex werden ua Richtlinien zur Werbung aufgestellt. Er ist unter www. fs-arzneimittelindustrie.de/ abrufbar (Internetseite zuletzt am 25.5.2008 besucht).
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II. Anwendbarkeit des HWG 1. Werbung
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Der Begriff der Werbung iSd HWG meint jede Produktinformation, die sich an das Publikum oder die Fachkreise mit dem Ziel wendet, den Absatz von Produkten und/oder Dienstleistungen zu fördern 6. Bestimmendes Merkmal der Wirtschaftswerbung ist das subjektive Ziel der Absatzförderung, das auch von der Rspr zur Abgrenzung angewendet wird 7. Es ist jedoch möglich, dass mehrere Motivationsgründe für eine Handlung vorliegen, die zumindest objektiv auch werbewirksam ist (zB ist die Arzneimittelkennzeichnung in § 10 AMG gesetzlich vorgeschrieben und von den Unternehmen zu befolgen). In derartigen Fällen darf die Absicht zur Absatzförderung jedoch nicht völlig hinter andere Beweggründe zurücktreten um das Kriterium der Werbung iSd HWG zu erfüllen 8.
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a) Imagewerbung. Die Vorschriften des HWG beziehen sich ausschließlich auf die Absatzwerbung, dh im Mittelpunkt der Werbung muss die Produkt- oder Dienstleistungsinformation stehen 9. Davon zu unterscheiden ist die Werbung für ein Unternehmen, zB eine Apotheke. In letzterem Fall stehen das Unternehmen bzw. Informationen über das Unternehmen im Mittelpunkt und eine derartige Imagewerbung fällt nicht in den Anwendungsbereich des HWG 10. Im Rahmen einer Firmenwerbung dürfen die vom Unternehmen angebotenen Produkte bzw Dienstleistungen dann allerdings nicht im Einzelnen beworben werden. Dh soll die Aufmerksamkeit der Adressaten einer Werbemaßnahme nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel, sondern auf Qualität und Bekanntheitsgrad der Produktpalette gerichtet werden, ist das HWG nicht einschlägig11. So sah der BGH eine Hörfunkwerbung, in der nach Benennung einzelner Anwendungsgebiete allgemein auf Arzneimittel eines bestimmten Unternehmens verwiesen wurde, nicht als produktbezogene Wirtschaftswerbung an12. Eine allgemeine Werbung mit Rabatten ohne konkrete Benennung einzelner Arzneimittel stellt richtigerweise ebenfalls eine Image- und keine Absatzwerbung dar13. Die Abgrenzung kann im Einzelfall allerdings schwierig sein, da eine Vertrauens- oder Imagewerbung auch für die Produkte des Unternehmens wirbt14. 6
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Die Richtlinie 92/28/EG zur Werbung für Humanarzneimittel definiert Werbung in Art 1 Abs 3 als sämtliche Maßnahmen zur Information, Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Davon umfasst sind zB die Öffentlichkeitsbzw Fachwerbung, Besuch von Arzneimittelvertretern/Pharmareferenten oder auch das Sponsoring von Kongressen bzw Tagungen, an denen Fachkreise beteiligt sind. ZB BGH WRP 1995, 701. Gröning § 1 HWG Rn 16. Parallel kann das allgemeine Unlauterkeitsrecht zur Einordnung der einzelnen Maßnahme herangezogen werden (vgl BGH WRP 1993, 106). BGH NJW 1995, 1617; BGH WRP 1993, 473; BGH GRUR 1992, 71. BGH GRUR 1995, 223; Mand Deutsche Apothekerzeitung 2006, 72.
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BGH WRP 1993, 473. Bei diesem Fall ging es um einen Werbespot, in dem ein Arzt und Apotheker die Produkte eines bestimmten Unternehmens allgemein als qualitativ hochwertig und gleichzeitig preisgünstig anpriesen. BGH NJW 1995, 617. Ebenso Kieser PharmaRecht 2004, 129, 132. Zur Illustration dieser Aussage sollen zwei Urteile zu Arzneimittelrabatten aus der neueren Rspr herangezogen werden. Das OLG Düsseldorf (WRP 2005, 135) entschied, dass eine Werbeaktion eines Apothekers, mit der auf einen Jokercoupon ein 10%iger Rabatt auf ein rezeptfreies Medikament nach Wahl des Kunden gewährt wurde, nicht gegen § 7 HWG verstieß, da der Apotheker nicht für ein bestimmtes Medikament warb. Die Verknüpfung zwischen Rabatt und Medikament wird in diesem Fall durch den Kunden und nicht den Apotheker vorgenommen. Anders
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b) Redaktionelle Beiträge. Redaktionelle Beiträge in Zeitungen bzw Zeitschriften zu 6 Arzneimitteln, Behandlungsmethoden oä Verfahren von unabhängigen Dritten, die dafür nicht von einem Unternehmen beauftragt wurden, fallen als reine Berichterstattung in den Bereich der allgemeinen Pressefreiheit des Art 5 GG. Grds zulässig ist auch, dass von einem Unternehmen zum Zwecke der freien Berichterstattung Produktinformationen, die ihrerseits keine Werbung darstellen dürfen, zur Verfügung gestellt werden, damit sich die Redaktion eine freie Meinung bilden kann15. Sobald durch die Redaktion über den Abdruck eines Berichtes aber nicht mehr unabhängig entschieden werden kann (zB aufgrund finanzieller Anreize durch das Unternehmen), handelt es sich nicht mehr um eine freie Berichterstattung, sondern um redaktionelle Werbung. In diesem Fall sind die Normen des HWG anwendbar und es liegt ggf auch ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr 3 UWG wegen getarnter Werbung vor 16. Der BGH hat festgestellt, dass ein entsprechender finanzieller Anreiz schon dann vorliegt, wenn ein pharmazeutisches Unternehmen einen bereits vorbereiteten Bericht zum Abdruck im redaktionellen Teil einer Zeitschrift versendet, mit dem auch ein Inseratsauftrag erteilt wird 17. Jede noch so neutral gehaltene Erwähnung eines Produktes ist jedoch objektiv geeig- 7 net, den Absatz zu fördern. Eine redaktionelle Berichterstattung wird daher nicht allein dadurch zur unlauteren getarnten Werbung, weil sie ein Heilmittel bespricht bzw beurteilt 18. Objektive Werbewirksamkeit allein genügt also noch nicht zur Annahme eines Verstoßes, sondern es muss das Merkmal der Absatzförderungsabsicht hinzutreten19. Das Gebot der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung wird von der Rspr 8 ernst genommen, so dass es grds nur für zulässig erachtet wird, über Arzneimittel bzw Verfahren in neutraler Form zu berichten und Produktnamen nur im notwendigem Umfang zu verwenden. Dh, wird die sachliche Information des Lesers zugunsten der Werbung vernachlässigt indem zB Unternehmen oder ihre Produkte übermäßig herausgestellt werden, liegt ebenfalls ein Wettbewerbsverstoß vor 20. c) Allgemeine Informationen. Einen weiteren Grenzbereich der Werbung bilden allge- 9 meine Informationen, die je nach ihrer Ausgestaltung unter den Begriff der Wirtschaftswerbung fallen können. Ärztliche Empfehlungen gehören zur ärztlichen Behandlung und stellen daher noch keine Heilmittelwerbung dar, es sei denn der Arzt empfiehlt ein bestimmtes Heilmittel um dafür Zuwendungen zu erhalten 21. Patientenmerkblätter, die für entschied das OLG Naumburg (Beschluss vom 11.7.2006, Az 10 U 12/06). In diesem Fall wurde der Joker Coupon über 10 % Sonderrabatt auf einen Artikel nach Wahl innerhalb eines mehrseitigen Werbeflyers abgebildet, in dem sowohl Arznei- als auch Kosmetikprodukte beworben wurden. Das Gericht entschied, dass aufgrund der räumlichen Verknüpfung zwischen Rabattcoupon und den darunter beworbenen Waren, der Kunde den Joker Coupon mit den Artikeln verbindet und somit eine produktbezogene Werbung vorliegt. Das OLG Frankfurt (GRUR-RR 2005, 393) geht sogar noch weiter und hält jede Rabattaktion immer für produktbezogene Werbung. Eine aktuelle Entscheidung des OLG Hamburg (GRUR-RR 2007, 403) beweist, dass diese Diskussion um Bonussysteme
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in der Apotheke immer noch offen ist. Das Gericht befand, dass es sich bei Bonuspunkten, die als eine Art Entschädigung für bestimmte Unannehmlichkeiten (zB Nachlieferung eines Artikels) gewährt werden, nicht um produktbezogene Werbung sondern allgemeine Unternehmenswerbung handelt. Vgl Gröning § 1 HWG Rn 39. S auch Teil 3 Kap 1 Rn 113 ff. BGH GRUR 1981, 835. Vgl auch zu dieser Problematik LG Frankenthal, WRP 2008, 688 ff. BGH WRP 1993, 478 ff; Gröning § 1 HWG Rn 34. Dazu ausf Gröning § 1 HWG Rn 35 ff. So entschieden durch den BGH in „Produktinformation II“ GRUR 1994, 819. Gröning § 1 HWG Rn 26.
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den Laien verständliche Informationen zu bestimmten Krankheiten und ggf auch Verhaltensempfehlungen enthalten, sind zumindest dann als Werbung einzuordnen, wenn der Name eines bestimmten Arzneimittels genannt wird oder aus dem Gesamtzusammenhang hervorgeht 22.
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d) Packungsbeilage. Arzneimitteln ist gem § 11 AMG eine Packungsbeilage beizufügen. Darin sind unter der gesetzlich vorgegebenen Überschrift „Gebrauchsinformation“ die nach § 11 AMG notwendigen Informationen aufzuführen. Diese gesetzlich vorgeschriebenen Informationen dienen der Arzneimittelsicherheit. Daher ist sowohl im deutschen als auch europäischen Zulassungsverfahren von neuen Arzneimitteln der Text der Gebrauchsinformation ebenfalls Gegenstand der Zulassung 23. Neben diesen Gebrauchsinformationen, die auch der jeweiligen Zulassungsbehörde bekannt sind, werden teilweise noch weitere Aussagen in der Packungsbeilage getroffen. Diese Angaben dienen der näheren Information über das Arzneimittel. Umstr ist daher die Frage, ob der Text der Packungsbeilage auch als Werbung aufzufassen ist und dementsprechend in den Anwendungsbereich des HWG fällt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die Packungsbeilage bzw Umver11 packung eines Arzneimittels nicht unter den Begriff der Werbung fallen kann 24. Zur Begründung wird angeführt, dass sowohl Packungsbeilage als auch Umverpackung den Anforderungen der §§ 10, 11, 11a AMG genügen müssen. Es würde daher zu einem Wertungswiderspruch führen, wenn in der Packungsbeilage bestimmte Indikationen enthalten sein müssen, gleichzeitig unter Verweis auf die Vorschriften des HWG nicht mit diesen Indikationen geworben werden darf. Nach richtiger Auffassung sind daher zumindest die Angaben, die nach den Normen des AMG zwingend vorgeschrieben sind, nicht an den Vorschriften des HWG zu messen 25. Der BGH hat in der Entscheidung „Katovit“ geurteilt, dass der Text einer Packungs12 beilage durchaus auch an den Vorgaben des Heilmittelwerberechts gemessen werden kann26. Dieses missverständliche obiter dictum hat eine Instanz-Rspr ausgelöst, die auch die Packungsbeilage als Werbung und damit in den Anwendungsbereich der Werbeverbote des HWG einordnete 27. Mit der Entscheidung „Neurotrat forte“ stellte der BGH klar, dass die nach § 11 AMG vorgeschriebenen Angaben der Packungsbeilage keine Werbung darstellen 28. Allerdings wurden die scharfen Konturen der „Neurotrat forte“ Entscheidung durch das Urteil des BGH im Fall „Myalgien“ wieder etwas aufgeweicht 29. Nach den Vorgaben der Richtlinie 92/27EG darf die Packungsbeilage keine Angaben 13 mit werbendem Charakter enthalten. Daher hat der Gesetzgeber im fünften AMGÄndG ausführlich geregelt, welche Angaben noch in der Packungsbeilage zulässig sind 30. Zu22 23
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OLG München Urteil vom 11.5.1990, Az 6 U 3617/90. Bei den iSd § 105 AMG als zugelassen geltenden Arzneimitteln benachrichtigt das Unternehmen die zuständige Behörde über den Text der verwendeten Gebrauchsinformation. Vgl hierzu Engler/Geserich/Räpple/Rieger/ Engler Rn 11; Münchener Anwaltshdb Gewerblicher Rechtsschutz/Grundmann 1137. Gröning führt allerdings zu Recht aus, dass mit der Neuregelung des AMG in der Packungsbeilage nur noch solche Angaben zugelassen sind, die den therapeutischen
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Erfolg fördern, oder die Eigenschaften des Arzneimittel bzw der Indikationsgruppe oder die Wirkungsweise erläutern. Er ist der Auffassung, dass diese Angaben, so wie die Gebrauchsinformationen, konsequenterweise vom Begriff der Werbung auszunehmen sind (Gröning § 1 HWG Rn 54). BGH WRP 1993, 469. S hierzu Gröning § 1 HWG Rn 50. BGH WRP 1998, 983. BGH WRP 2000, 1410; vgl hierzu auch Hildebrandt 280. Dazu ausf Gröning § 1 HWG Rn 51 ff.
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sätzlich wurde der § 4a HWG eingeführt, nach dem in der Packungsbeilage nicht mehr für andere Arzneimittel oder Mittel geworben werden darf 31. Eine Packungsbeilage mit Zusatzinformationen, so wie sie noch der BGH Entscheidung „Myalgien“ 32 zugrunde lag, ist für Arzneimittel, bei denen § 11 AMG einschlägig ist, nach heutiger Rechtslage nicht mehr zulässig 33. e) Pflichtangaben. Die Pflichtangaben des § 4 HWG fallen unter den Begriff der 14 Wirtschaftswerbung. Dieses Ergebnis wird vom Wortlaut des HWG in § 4 Abs 4 nahe gelegt, denn die Norm schreibt vor, dass die Pflichtangaben von den anderen Werbeaussagen deutlich abgegrenzt sein müssen 34. Der BGH sieht die Pflichtangaben in stRspr als Bestandteil der Werbung an 35. 2. Arzneimittel Gem § 1 Abs 1 Nr 1 HWG findet das Gesetz Anwendung auf alle Arzneimittel iSd 15 § 2 AMG. Die Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln ist ein juristischer Dauerbrenner und dementsprechend Gegenstand vielfältiger Gerichtsverfahren sowie Anlass lebendiger Diskussionen in der Fachliteratur, wobei sogar eigens Theorien entworfen und widerlegt werden36. Mit aller Schärfe stellt sich die Abgrenzungsproblematik nur bei den sog dual-use Produkten, die sowohl lebensmittel- als auch arzneimitteltypischen Zwecken dienen können37. In seinen Grundzügen stellt sich der aktuelle Sachstand wie folgt dar: Der Begriff des Lebensmittels ist in Art 2 BasisVO 178/2002 vorgegeben und umfasst 16 alle Stoffe und Erzeugnisse, „die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeiteten, teilweise verarbeiteten oder unverarbeiteten Zustand von Menschen aufgenommen werden.“ Im Negativkatalog des Art 2 BasisVO ist außerdem enthalten, dass Arzneimittel gem der Richtlinie 65/65/EG (jetzt Richtlinie 2001/83/EG geändert durch Richtlinie 2004/27/EG) nicht zu den Lebensmitteln gehören. Damit sind aber noch keine Abgrenzungskriterien zwischen beiden Kategorien definiert. Auch die Zweifelsregelung aus Richtlinie 2001/83/EG, nach der ein Produkt, dass sowohl die Definition eines Lebensmittels als auch eines Arzneimittels erfüllen kann, zu letzterem zu rechnen ist, hilft nicht bei der Abgrenzung 38. Nach Art 2 Nr 1 lit a der Richtlinie 2001/83/EG sind Arzneimittel „alle Stoffe oder 17 Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind.“ Für so ein Bestimmungsarzneimittel ist also die Zweckbestimmung ausschlaggebendes Kriterium bei der Qualifizierung eines Produkts. Mit Aufnahme der Definition des Bestimmungsarzneimittels reagierte der Gesetzgeber auf die Rspr des EuGH zu Präsentationsarzneimitteln.39 Durch den EuGH 31
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Allerdings ist umstr, ob es zulässig ist, dass neben der Gebrauchsinformation weitere Unterlagen mit Werbung für andere Arzneimittel beigefügt werden können (Darstellung des Meinungsstreits in der Kommentierung von Gröning zu § 4a HWG). BGH WRP 2000, 1410. Gröning § 1 HWG Rn 54. Vgl auch BT-Drucks 7/3060, 67. BGH NJW 1983, 2087; BGH WRP 1993, 469 mwN; BGH GRUR 1996, 806 – HerzASS. In der Literatur war die Einordnung der
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Pflichtangaben jedoch lange umstr (s Doepner § 4 HWG Rn 21). Vgl Meisterernst ZLR 2007, 387, 389 f; Preuß ZLR 2007, 435; Doepner/Hüttebräuker ZLR 2001, 515. Doepner/Hüttebräuker ZLR 2001, 515, 518 f. Meyer WRP 2005, 1437, 1441. Zum Begriff des Präsentationsarzneimittels vgl die aktuelle Entscheidung des EuGH zu Knoblauchpräparaten vom 15.11.2007 RS C-319/05.
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wurde die Arzneimitteldefinition einschränkend ausgelegt, dh es handelte sich bei einem Produkt nur noch um ein Präsentationsarzneimittel, wenn „bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis als Mittel zur Heilung oder Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten dienen kann 40.“ Informationen über die Anwendung eines Produkts können Indizien für die Einordnung als Arzneimittel sein, soweit sie vom Hersteller selbst mit dem Produkt zusammen erteilt werden 41. Die äußere Form kann ebenfalls ein Hinweis sein, ebenso wie der Vertriebsweg. Dabei darf es sich aber nicht um die einzigen Umstände handeln, die für eine Einordnung als Arzneimittel sprechen 42. Neben einem Präsentationsarzneimittel kann es sich bei einem Produkt auch um ein 18 Funktionsarzneimittel handeln. Gem Art 1 Nr 2 lit b Richtlinie 2001/83/EG sind Funktionsarzneimittel „alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verabreicht werden oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“ Auch wenn das Prüfkriterium pharmakologische Wirkung in der Lit umstr ist 43, wird es vom Gesetzgeber als Abgrenzungskriterium normativ vorgegeben. Es ist daher wenig hilfreich, wenn in der Rspr oder Lit dieser Begriff durch einen anderen ebenso ausfüllungsbedürftigen ersetzt wird (so geschehen zB in einer Entscheidung des OVG Münster, wo die pharmakologische Wirkung durch den therapeutischen Zweck ersetzt wurde 44). In der für die Abgrenzung zwischen Lebens- und Arzneimitteln maßgeblichen „L-Carnitin“ Entscheidung des BGH, stellte das Gericht zutreffend fest, dass ein Produkt ohne pharmakologische Wirkung ein Lebensmittel ist 45. Dieses Urteil hat insgesamt zu einer stärkeren Objektivierung der Abgrenzung von Lebensmitteln/ Arzneimitteln beigetragen, allerdings herrscht über die Auslegung des Begriffs „pharmakologische Wirkung“ keine Klarheit 46. Pharmakologisch leitet sich vom Wort Pharmakologie ab, das die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Stoffen und dem Organismus beschreibt, so dass mit dem Begriff pharmakologisch noch nichts über die Wirkungen als Arzneimittel ausgesagt wird 47. Neben den pharmakologischen Eigenschaften sind auch die Zusammensetzung eines Produktes und seine Anwendungsvorschriften für die Einordnung als Funktionsarzneimittel zu berücksichtigen 48. Relevante Risiken und Nebenwirkungen sprechen ebenfalls für eine pharmakologische Wirkung des Produkts 49. Mit der Übernahme der Arzneimitteldefinition in die Negativliste der BasisVO für 19 Lebensmittel verdeutlichte der Gesetzgeber, dass der Gemeinschaftskodex für Arzneimittel
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EuGH NJW 1985, 541 ff; Meyer WRP 2005 1435, 1442. Der BGH formuliert in stRspr, dass für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel seine an objektive Merkmale anknüpfende Zweckbestimmung entscheidend ist, wie sie sich für den verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt (BGH WRP 2000, 510; BGH WRP 2001, 542; BGH WRP 2002, 1141). Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung sind also sowohl objektive wie subjektive Kriterien. Zur Ermittlung der Verkehrsauffassung s Gröning § 1 HWG Rn 152 ff. Meyer WRP 2005, 1435, 1442.
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EuGH NJW 1985, 541 ff; BGH GRUR 2000, 528. S Meisterernst ZLR 2007, 387, 389. OVG Münster ZLR 2006, 96 – Tibetische Kräutertabletten. BGH GRUR 2000, 528, 529; s zur „L-Carnitin“ Entsch auch Meisterernst GRUR 2001, 111, 115 f. S Gröning § 1 HWG Rn 181 ff; Köhler WRP 2001, 510, 512. Meyer WRP 2005, 1435, 1443. StRspr des EuGH, vgl nur EuGH WRP 2005, 863. Mühl WRP 2003, 1088, 1091 mwN.
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Heilmittelwerberecht
lex specialis zur BasisVO ist, dh die Richtlinie 2001/83/EG idF der Richtlinie 2004/ 27/ EG findet erst Anwendung, wenn der Tatbestand der Arzneimitteldefinition erfüllt ist 50. Die deutsche Rspr vor der „L-Carnitin“ Entscheidung des BGH war oft dadurch 20 gekennzeichnet, dass subjektive Merkmale, wie Werbung oder Präsentation eines Produktes, überbetont wurden, ohne genügend auf die pharmakologische Wirkung zu achten 51. ZT wurde die pharmakologische Wirkung vereinfacht damit erklärt, dass alles, was nicht der Ernährung diene, letztlich Arzneimittel sein müsse. Auf den Ernährungszweck kommt es jedoch nicht an, und bei gleichwertigem Zweck ist daher von einem Lebensmittel auszugehen, solange sich nicht aus den Umständen (zB der Dosierungsanleitung) etwas anderes ergibt, oder belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass die Produkte die Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers erheblich beeinflussen52. Der EuGH hat diese Auffassung in einer aktuellen Entscheidung zur Einordnung von KnoblauchExtrakt-Pulver-Kapseln als Arzneimittel bestätigt 53. Wie das Gericht zutreffend ausführt, existieren zahlreiche als Lebensmittel anerkannte Erzeugnisse, die objektiv für therapeutische Zwecke verwendet werden können. Aus diesem Umstand kann jedoch nicht ihre Einordnung als Arzneimittel gefolgert werden. Mit diesem Urteil ist in Deutschland endlich die Debatte zur Einordnung von Knoblauchpräparaten beendet worden. Bei all dem darf außerdem nicht vergessen werden, dass die Arzneimitteldefinition der 21 Richtlinie 2001/83/EG idF der Richtlinie 2004/27/EG europaweit einheitlich gilt und als vollharmonisiert anzusehen ist 54. Daran ändert auch nichts die Entscheidung des EuGH, wonach es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts (Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses war der 7.5.2003, also noch vor Verabschiedung der Richtlinie 2004/27/EG) möglich sei, dass bei der Einstufung von Erzeugnissen als Arznei- oder Lebensmittel Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen 55. 3. Sonstiger Anwendungsbereich Neben Arzneimitteln findet das HWG auch auf Medizinprodukte iSd § 3 Medizin- 22 produktegesetzes Anwendung. Allerdings gelten nicht alle Restriktionen des HWG auch in gleichem Maß für Medizinprodukte. Darüber hinaus ist das HWG gem § 1 Abs 1 Nr 2 auch für „andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch und Tier bezieht ...“ anwendbar. Darunter können zB Kosmetika fallen, sofern krankheitsbezogene Werbeaussagen für sie getroffen werden. Gleiches gilt auch für Gegenstände 56. In der Definition des § 1 Abs 1 Nr 2 HWG wird ebenfalls die gesetzgeberische Intention deutlich, dass das Heilmittelwerberecht auch für Therapien gelten soll, da ausdrücklich nicht nur die Werbung für körperliche Gegenstände umfasst ist. Dadurch vergrößert sich der Kreis der Normadressaten des HWG. Neben den Herstellern und Vertreibern von Arzneimitteln, Medizinprodukten etc sind zB auch Ärzte, Krankenhäuser, Heilpraktiker oder Krankengymnasten zur Beachtung der entsprechenden Vorgaben des HWG verpflichtet. 50 51
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Meyer WRP 2005, 1437, 1444; Mühl WRP 2003, 1088, 1091. S BGH GRUR 1995, 419; OLG München ZLR 1999, 639; Köhler WRP 2001, 363, 364. BVerwG vom 27.7.2007, Az 3 C 21.06, 3 C 22.06, 3 C 23.06 zur Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimit-
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teln; BayVGH NJW 1998, 845; KG Berlin ZLR 2001, 576. EuGH Rs C-319/05 vom 15.11.2007. BGH ZLR 2006, 411. EuGH Rs C-211/03 vom 9.6.2005. Dazu zählen auch Bedarfsgegenstände iSd § 5 Abs 1 Nr 4 LFGB, die zur Körperpflege bestimmt sind.
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3. Teil
III. Werbung für Arzneimittel 1. Irreführungsverbot gem § 3 HWG
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Das allgemeine Verbot mit irreführenden Angaben zu werben ist bereits in §§ 3, 5 UWG geregelt 57. Dieser Verbotstatbestand wird durch § 3 HWG für die Heilmittelwerbung konkretisiert, wobei § 5 UWG in kumulativer Normenkonkurrenz erhalten bleibt 58. Bei der Auslegung des § 3 HWG, insb zum Begriff der Irreführung, gelten die gleichen Grundsätze wie für den § 5 UWG 59. Ergänzend kann, zB auch der „Verhaltenskodex zur freiwilligen Selbstkontrolle 60“ herangezogen werden, um eine Branchenüblichkeit bzgl einzelner Aussagen festzustellen 61. Der Adressat einer Werbung ist irregeführt, wenn eine Divergenz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit besteht 62. Die Irreführung meint also den Irrtum, der durch die Handlung eines anderen hervorgerufen wird. Dazu muss der Adressat einer Werbung überhaupt Vorstellungen haben, oder sich aufgrund der Aussage machen63. 24 Im Heilmittelwerberecht muss diese Formel dahingehend präzisiert werden, dass auch formal wahre Werbeaussagen sich als irreführend darstellen können, wenn sie von den angesprochenen Verkehrskreisen missverstanden werden64. Daher ist zu unterscheiden, ob Adressat der jeweiligen Werbung das Publikum oder die Fachkreise sind, denn Aussagen gegenüber Fachkreisen sind teilweise anders zu beurteilen als gegenüber Laien 65. Zur Bestimmung der Irreführung einer Heilmittelwerbung außerhalb der Fachkreise ist das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ anzuwenden 66. Anders kann es sich bei der an Fachkreise gerichteten Werbung verhalten, wenn diese ein wirklich spezifisches Fachwissen erfordert. 25 § 3 S 1 HWG legt fest, dass jede irreführende Werbung verboten ist. Dieser allgemeine Tatbestand wird in § 3 S 2 HWG durch eine nicht abschließende 67 Aufzählung von Fallbeispielen, die sich als abstrakte Gefährdungstatbestände darstellen, ergänzt 68. Danach ist es zB unzulässig Arzneimitteln, Verfahren etc therapeutische Wirkungen zuzusprechen, die sie nicht haben. Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann, oder bei bestimmungsmäßigem bzw längerem Gebrauch eines Produkts keine schädlichen Wirkungen eintreten können.
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Teil 3 Kap 1 Rn 233 ff. Bülow/Ring/Bülow § 3 HWG Rn 2. Die Sondertatbestände des § 3 HWG sind bereits durch die Vorschriften der §§ 3, 5 UWG erfasst, da der Begriff der Irreführung gleich zu verstehen ist. S. zur Abgrenzung beider Tatbestände auch Doepner § 3 HWG Rn 14. Vgl Bülow/Ring/Bülow § 3 HWG Rn 2; Teil 3 Kap 1 Rn 233 ff. S auch § 2 Rn 3. ZB die Beantwortung der praxisrelevanten Frage, wie lange ein Produkt als „neu“ beworben werden darf, fällt je nach der beworbenen Branche unterschiedlich aus. Im Kodex ist sie in § 7 Abs 7 geregelt. Arzneimittel dürfen nur ein Jahr nach dem ersten Inverkehrbringen auf dem Markt als „neu“ beworben werden.
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Bülow/Ring/Bülow § 3 HWG Rn 5; Teil 1 Kap 3 Rn 236. Bülow/Ring/Bülow § 3 HWG Rn 6; Teil 3 Kap 1 Rn 135. S Bülow/Ring/Bülow § 3 HWG Rn 8. Bei einer Werbung gegenüber Ärzten oder Apothekern kann der Werbende zB auf einen besonderen Kenntnisstand als Hintergrundinformation vertrauen. S EuGH Slg 1998, I 4657. S Doepner § 3 HWG Rn 8, 10. Dieser Beispielkatalog ist in der Literatur verschiedentlich kritisiert worden. Ua wurde er als zu eng gefasst angesehen. Vgl Doepner § 3 HWG Rn 9.
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§2
Heilmittelwerberecht
a) Nicht vorhandene therapeutische Wirkungen gem § 3 S 2 Nr 1 HWG. Die Beweis- 26 last für das Nichtvorhandensein bestimmter Wirkungen trägt im Wettbewerbsprozess grds der Kläger, der die Unterlassung begehrt. Da die Beurteilung der Irreführung jedoch der freien Beweiswürdigung des Richters unterliegt, muss der Werbetreibende faktisch die Richtigkeit seiner Werbeaussage belegen können 69. Unterlässt er die Glaubhaftmachung der Richtigkeit einer Werbung, steht es dem Gericht offen zu befinden, dass ein solcher Beleg nicht erbracht werden kann und die Werbung deswegen irreführend ist 70. In der Praxis stellt sich oft das Problem, dass unterschiedliche wissenschaftliche Aussagen zur Wirksamkeit bzw Wirkungen von Arzneimittel oder Therapien bestehen. Können sich sowohl Kläger als auch Beklagter auf Lehrmeinungen stützen, gehen die Gerichte von fachlich umstrittenen Aussagen aus. Irreführung wird in diesem Fall angenommen, wenn aus der Werbung nicht deutlich hervorgeht, dass die Aussagen nicht der einhelligen Lehrmeinung entsprechen. Der Irreführungsaspekt wird damit vom Inhalt der Aussage auf das Unterlassen der Feststellung, dass die Angabe in Fachkreisen umstr ist, vor verlagert71. b) „getarnte Werbung“ gem § 3 S 2 Nr 2c HWG. Es ist im Heilmittelwerberecht aus- 27 drücklich untersagt, dass der Eindruck erweckt wird, eine publikumswirksame Maßnahme mit werbendem Charakter diene nicht Zwecken des Wettbewerbs. Die Regelung des § 3 S 2 Nr 2c HWG ist dafür gedacht, getarnte Werbemaßnahmen, wie zB neutral verfasste Vorträge oder Mitteilungen zu Therapien oder Mitteln, die trotzdem Werbezwecken dienen, zu unterbinden. Die Aufklärung über einzelne Verfahren oder Arzneimittel soll klar von deren Anpreisung getrennt werden. c) fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung gem § 3a HWG. § 3a HWG verbietet, 28 dass für Arzneimittel, die der Zulassungspflicht unterliegen, aber nicht zugelassen sind oder als zugelassen gelten, geworben wird. Damit handelt es sich bei dieser Norm um eine besondere Konkretisierung des Irreführungsverbotes aus § 3 HWG. Ein nicht zugelassenes aber zulassungspflichtiges Arzneimittel darf nicht beworben werden, egal ob die Werbeaussage zutreffend ist oder nicht. Im Internet kann das Verbreitungsgebiet einer Werbung für ein Arzneimittel, dass in Deutschland nicht zugelassen ist, durch einen Disclaimer beschränkt werden, aber nur wenn dieser eindeutig gestaltet und aufgrund seiner Aufmachung als ernst gemeint aufzufassen ist 72. Nicht eindeutig geklärt ist, ob eine Werbung für ein in Deutschland zugelassenes 29 Arzneimittel mit einer Indikation, auf die sich die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht erstreckt, gem § 3a HWG verboten ist 73. Nach einer Ansicht 74 soll der § 3a HWG nur dann zur Anwendung kommen, wenn das Arzneimittel insgesamt in Deutschland nicht zugelassen ist. Eine weitergehende Auslegung des § 3a HWG wäre eine unzulässige Analogie. Die herrschende Meinung 75 vertritt die Auffassung, dass § 3a HWG bereits zur Anwendung kommt, wenn für eine Indikation geworben wird, für die die Zulassung nicht erteilt wurde, da es in dieser Konstellation an der medizinisch-pharmakologische Überprüfung der nicht zugelassenen Indikation durch die Zulassungsbehörde mangelt. Damit besteht das Risiko eines Arzneimittelfehlgebrauchs ebenso wie bei einem insge69 70 71 72 73
Vgl auch Teil 1 Kap 3 Rn 249. So zB OLG Hamburg Urteil vom 21.12.2006 Az 3 U 77/06. Münchener Anwaltshdb Gewerblicher Rechtsschutz/Grundmann 1151. BGH ZLR 2006, 411. Offen geblieben OLG Frankfurt LRE 46, 262, 268.
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LG Bielefeld Urteil vom 13.7.2001, Az 11.0121/99; Gröning § 3a HWG Rn 5. Vgl OLG Köln PharmaRecht 1998, 420, 426; Bülow/Ring/Bülow § 3a HWG Rn 9; Doepner § 3a HWG Rn 11.
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
samt nicht zugelassenen Arzneimittel. Bei einer Werbeaussage ist daher genau zu prüfen, ob es sich um eine nicht zugelassene Indikation handelt, oder ob die Aussage inhaltlich auf einer zugelassenen Indikation beruht, allerdings eine medizinisch-pharmakologische Folge beschreibt. In letzterem Fall kann § 3a HWG keine Anwendung finden. 2. Gutachtenwerbung
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§ 6 HWG stellt klar, dass eine Werbung mit Gutachten oder Zeugnissen unzulässig ist, die nicht von wissenschaftlich oder fachlich dazu berufenen Personen erstattet worden sind und keine persönliche Angaben zum Gutachter sowie zur Erstellung des Gutachtens enthalten. Weiterhin darf nicht auf wissenschaftliche oä Veröffentlichungen Bezug genommen werden, ohne dass die Quelle und der Verfassers eindeutig erkennbar sind. Darüber hinaus ist auch die Erklärung erforderlich, ob die Veröffentlichung das jeweils beworbene Mittel bzw Therapie betrifft 76. Dem Wortlaut nach bezieht sich § 6 HWG auf jegliche Werbung. Allerdings ist in § 11 Abs 1 und 2 HWG geregelt, dass gegenüber der Allgemeinheit grds nicht mit Gutachten, Zeugnissen etc bzw fachlichen Empfehlungen geworben werden darf. 3. Informationspflichten
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Eine Werbemaßnahme für Arzneimittel iSd § 2 AMG muss gem § 4 HWG gewisse Pflichtangaben enthalten. Zu den Pflichtangaben gehören zB Name und Zusammensetzung des Arzneimittels, Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen oder Gegenanzeigen. Die notwendigen Pflichtangaben unterscheiden sich sowohl nach dem durch die Werbung angesprochenen Personenkreis, als auch nach dem für die Werbung verwendeten Medium. Gegenüber dem Verbraucher ist eine Versachlichung der Arzneimittelwerbung Zweck der Vorschrift 77. Der Pflichttext für Werbemaßnahmen außerhalb audiovisueller Medien ist in § 4 Abs 1 HWG geregelt. Eine Werbung, die sich nicht an die Fachkreise richtet, muss außerdem die Angaben des § 4 Abs 3 HWG enthalten 78 und kann auf einige Angaben des § 4 Abs 1 HWG verzichten. Bei apothekenfreien Arzneimitteln ist der Pflichthinweis des § 4 Abs 3 HWG allerdings entbehrlich 79. Die gesamten Pflichtangaben nach § 4 Abs 1 und Abs 3 HWG müssen gut lesbar und von den anderen Werbeaussagen deutlich abgegrenzt und abgesetzt dargestellt werden. Die Einhaltung der Tatbestandsmerkmale „abgegrenzt und abgesetzt“ erfordert sowohl eine räumliche Trennung, als auch eine optisch wahrnehmbare Grenzlinie zwischen den Pflichtangaben und den weiteren Werbeaussagen 80. Das bedeutet, die Pflichtangaben müssen zwar nicht im Blickfang stehen, dürfen aber auch nicht erst nach intensivem Studium einer Anzeige auffindbar sein 81. Zu beachten ist, dass für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur innerhalb eines eng begrenzten Adressatenkreises geworben werden darf 82. Der Pflichttext „verschreibungspflichtig“ des § 4 Abs 1 S 1 Nr 7a HWG hat daher notwendigerweise nur für bestimmte Fachkreise Bedeutung.
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S dazu LG Baden-Baden MD 2007, 601 ff. Doepner § 4 HWG Rn 9. Dabei handelt es sich um die Aussage „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Vgl Gröning § 4 HWG Rn 95.
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Bülow/Ring/Bülow § 4 HWG Rn 119 f. Eine optische Grenzziehung kann zB durch eine bestimmte Überschrift (OLG Düsseldorf WRP 1987, 36), ein anderes Schriftbild oder einen farblichen Hintergrund erfolgen. Gröning § 4 HWG Rn 96. S auch § 2 Rn 44.
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§2
Heilmittelwerberecht
a) Werbung in audiovisuellen Medien. Für die Werbung in audiovisuellen Medien hat 32 der Gesetzgeber in § 4 Abs 5 HWG eine Erleichterung bzgl der Pflichtangaben geschaffen. Es ist lediglich erforderlich, den nach § 4 Abs 3 HWG erforderlichen Pflichttext deutlich erkennbar beizufügen. Im Fernsehen ist der Text zB gut lesbar vor neutralem Hintergrund 83 wiederzugeben und gleichzeitig zu sprechen 84. b) Werbung im Internet. Vor allem in der Literatur wurde die Frage diskutiert, wie 33 sich Multimedia- oder Internetwerbung in das Gefüge des § 4 HWG einordnen lässt. Die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs 5 HWG verdeutlicht, dass der Begriff „audiovisuelle Medien“ nicht nur die Art der Transmission umfassen soll, sondern auch die für diese Übertragung typische Form der Rezeption durch den Werbeadressaten (fehlende Steuerungsmöglichkeit und Schwierigkeiten bei der Übermittlung einer großen Vielfalt von Informationen in einem engen zeitlichen Rahmen) umfasst 85. Geht man also von Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschrift aus, ist der Wortlaut „audiovisuelle Medien“ daher eher als Synonym für die flüchtigen, vom Verbraucher nicht steuerbaren Werbebotschaften gedacht 86. Im Vergleich zur Hörfunk- oder Fernsehwerbung ergibt sich für die Internetwerbung eine entscheidende Abweichung: sie kann sowohl auf einer Internetseite als auch in einer e-Mail beliebig lange betrachtet werden. Diese werbliche Kommunikation im Onlinebereich hat große Ähnlichkeit zur Werbung in den Printmedien, so dass die vollumfängliche Angabe der Pflichtangaben naheliegt 87. Einzelne Stimmen in der Lit sind trotzdem der Auffassung, dass Werbung im Internet oder per Mail generell unter das Privileg des § 4 Abs 5 HWG fällt 88. Die Einordnung als audiovisuelles Medium erscheint allerdings dann geboten, wenn es sich um kurzzeitig eingeblendete bewegliche Werbespots im Internet handelt, die einem Fernsehspot ähnlich sind 89. Bei der Wiedergabe der Pflichtangaben im Internet ist darauf zu achten, dass sie in 34 engem Zusammenhang mit der jeweiligen Werbung stehen und dem Betrachter kein besonderer Aufwand zur Kenntnisnahme abverlangt wird 90. Der notwendige Zusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn drei Zwischenschritte erforderlich sind um zu den Pflichtangaben zu gelangen 91. Die Erreichbarkeit in Form eines Links mit einem entsprechenden Hinweis dürfte den Anforderungen des § 4 HWG genügen 92. 83
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Das Kriterium der Neutralität schließt eine farbliche Unterlegung nicht aus, allerdings dürfen keine bildlichen oder sonstigen dekorativen Elemente enthalten sein, die die Lesbarkeit beeinträchtigen. In einer Entscheidung des OLG Frankfurt (WRP 1993, 490) wurde die Einblendung von Unternehmensfarben oder eines Logos als unzulässig angesehen. Die Zulässigkeit allgemeiner bildlicher Darstellungen mit gesundheitlichem Bezug, wie zB einem Äskulapstab, die die Lesbarkeit nicht beeinträchtigen, ist umstr (dafür Bülow/Ring/Bülow § 4 HWG Rn 129; dagegen Doepner § 4 HWG Rn 65). HM s nur Doepner § 4 HWG Rn 65. Vgl Doepner § 4 HWG Rn 19. So Doepner § 4 HWG Rn 19. Ebenso die einschlägige Kommentarliteratur: Doepner § 4 HWG Rn 19, 69; Gröning § 4 HWG Rn 103; Bülow/Ring/Bülow § 4 HWG Rn 127a. Von der Rechtsprechung in glei-
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chem Sinne entschieden zB durch OLG Naumburg, GRUR-RR 2007, 113, 115. So zB von Czettritz PharmaRecht 1997, 88, 89. Ebenso Doepner § 4 HWG Rn 19; Gröning § 4 HWG Rn 103; vgl auch Teil 3 Kap 1 Rn 237. Zu den Pflichtangaben im Internet s auch von Czettritz PharmaRecht 2003, 301. OLG Hamburg Beschluss vom 3.5.2002, Az 3 U 355/01; OLG München Urteil vom 7.3.2002, Az 29 U 5688/01). Es genügt auch nicht, der Seite zum jeweiligen Artikel den Button „Warenkorb“ beizufügen um die Pflichtangaben zu vermeiden, denn allein dieser Link macht eine Internetseite noch nicht zu einem Bestellformular (OLG Naumburg Urteil vom 24.3.2006, Az 10 U 58/05). In einer weiteren Entscheidung hat das OLG Naumburg außerdem klargestellt, dass nicht der gesamte Internetauftritt eines Unternehmens, das Online-Verkäufe tätigen will, vom
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3. Teil
c) Erinnerungswerbung. Im Falle der Erinnerungswerbung kann sowohl auf die Pflichtangaben gem § 4 Abs 1 HWG als auch auf den Informationstext gem Abs 3 verzichtet werden. Typisch für die Erinnerungswerbung iSv § 4 Abs 6 S 2 HWG ist, dass ausschließlich mit der Bezeichnung eines Arzneimittels oder zusätzlich mit dem Namen des Unternehmens bzw dem Hinweis „Wirkstoff:“ geworben wird. Die Ausnahmeregelung für diese nur schlaglichtartige Werbung 93 beruht auf der Erwägung, dass eine Werbemaßnahme, die allein aus der Bezeichnung eines Arzneimittels ohne zusätzliche medizinisch-relevante Angaben besteht, zum überwiegenden Teil nur die Erinnerung der Adressatenkreise anspricht, dh nur diejenigen Verbraucher, für die das beworbene Mittel ohnehin etwas bedeutet. Aus diesem Grund erscheint die Information über die Pflichtangaben entbehrlich 94. Es ist für die Einordnung einer Werbemaßnahme als Erinnerungswerbung gleichgültig, ob die Werbung tatsächlich geeignet ist, allein die Erinnerung an ein Arzneimittel hervorzurufen 95. Voraussetzung für das Vorliegen einer Erinnerungswerbung ist lediglich, dass sich die Werbung auf die Bezeichnung von Arzneimittel, Unternehmen oder Wirkstoff beschränkt. Wird aber statt der Bezeichnung des Arzneimittels gem § 4 Abs 1 Nr 2 HWG ein Gattungsbegriff wie zB „Kneipp Pflanzensaft“ verwendet, handelt es sich nicht mehr um eine von der Kennzeichnungspflicht befreite Erinnerungswerbung 96. Auch in dem Fall, das ein neues Generikum einem bekannten Originalmedikament bildlich gegenüber gestellt wird und der Begleittext sugeriert, dass das Generikum eine gleich gute Wirksamkeit aufweise wie das bekannte Arzneimittel, liegt keine Erinnerungswerbung vor, da diese Werbung aufgrund ihrer vergleichenden Elemente eine weitere pharmakologische Sachangabe enthält 97.
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d) Kollision mit anderen Vorschriften des HWG. Im HWG sind eine Vielzahl von Gebots- und Verbotsnormen unterschiedlichen Rangs enthalten. Werden die heilmittelwerberechtlichen Pflichtangaben als Teil der Absatzwerbung angesehen 98, sind potentielle Konflikte zwischen dem Informations- und dem Verbotsprinzip des HWG zu befürchten. Zur Vermeidung tatsächlicher Normenkollisionen werden von Rspr und Lit verschiedene Lösungsansätze vertreten. Nach einer Auffassung in der Lit ist dem Informationsinteresse der Verbraucher bezogen auf die Pflichtangaben Vorrang zu geben99. Die Rspr versucht die Problematik kollidierender Normen nicht allzu sehr in den Vordergrund zu stellen. Der BGH hat entschieden, dass Pflichtangaben den Verbraucher vollständig unterrichten müssten, soweit die Werbung überhaupt Angaben in dieser Richtung enthält 100. Da das Gericht in dieser Entscheidung die Auffassung vertrat, dass das Werbeverbot aus § 12 HWG Vorrang vor den Informationspflichten genießt, müsste die Formulierung wohl dahingehend konkretisiert werden: Pflichtangaben sind vollständig zu erbringen, soweit eine Werbung überhaupt Angaben in dieser Richtung enthalten darf 101. Besonders bei zwei Verbotsnormen des HWG besteht Konfliktpotential mit den Infor37 mationspflichten des § 4 HWG. Zum einen entzündet sich die Debatte in der Praxis am Verbot des § 11 Abs 1 Nr 6 HWG 102 fremd- oder fachsprachliche Begriffe zu verwen-
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Begriff „Bestellformular“ umfasst ist, sondern nur die Seite, auf der der Käufer die Bestellung auslöst (GRUR-RR 2007, 113, 115). So entschieden zumindest für Werbung, die sich an Fachkreise richtet: KG Berlin PharmaRecht 2004, 23. Bülow/Ring/Bülow § 4 HWG Rn 133. BGH WRP 1983, 608 – Kneipp Pflanzensaft; BGH WRP 1996, 1018 – HerzASS. Deshalb ist auch die Erinnerungswerbung für
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neue, noch nicht beworbene Arzneimittel möglich (Bülow/Ring/Bülow § 4 HWG Rn 136; Doepner § 4 HWG Rn 70). So BGH WRP 1983, 608. OLG Köln, GRUR-RR 2007, 116 f. Vgl hierzu § 2 Rn 14. Gröning § 4 HWG Rn 32 ff. BGH WRP 1983, 337. Gröning § 4 HWG Rn 26. S hierzu auch § 2 Rn 53.
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den, wenn Begrifflichkeiten aus der Packungsbeilage entsprechend der Vorgabe aus § 4 Abs 2 HWG für die Pflichtangaben übernommen werden 103. Hier ist in Wirklichkeit kein Widerspruch zwischen gesetzlichen Regelungen zu sehen, da auch die Gebrauchsinformationen der Packungsbeilage in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sein müssen (vgl auch die Vorgaben des § 11 Abs 1 AMG) 104. Zum anderen stellt sich das Publikumswerbeverbot der §§ 10 Abs 2 und 12 HWG in Bezug auf Anwendungsgebiete als kollisionsträchtig im Verhältnis zu den Informationspflichten des § 4 HWG dar. Die Rspr hat bei der Angabe von Anwendungsgebieten in der Publikumswerbung gem § 4 Abs 1 Nr 4 HWG dem Werbeverbot des § 12 HWG ausdrücklich Vorrang vor der Gebotsbestimmung des § 4 HWG beigemessen, da der Gesetzgeber die im Katalog zu § 12 HWG aufgeführten Krankheiten als so schwerwiegend und damit potentiell gesundheitsgefährend eingestuft hat, dass die Selbstmedikation dem Verbraucher grds entzogen sein soll 105. Insb für Anbieter von Mehrzweckpräperaten stellt sich damit Frage nach dem Umfang der Informationspflichten bzw möglichen Vermarktungsnachteilen durch den Vorrang der Werbeverbote. Nach der hM sollen die Kollisionsprobleme durch eine normative Korrektur des § 4 Abs 1 Nr 4 HWG gelöst werden. Der Werbende muss demnach nur dann Anwendungsgebiete im Pflichtangabenkatalog aufführen, soweit diese Indikationen auch beworben werden können 106. Allerdings wurde in einer neueren OLG-Entscheidung ausgeführt, dass dem verständigen Verbraucher die rein sachliche Information über bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht vorenthalten werden darf, soweit sie den Vorschriften der §§ 11, 12 AMG entspricht 107. 4. Homöopathische Arzneimittel Für homöopathische Arzneimittel darf gem § 5 HWG nicht mit der Angabe von 38 Anwendungsgebieten geworben werden. Bei der Anwendbarkeit des § 5 HWG kommt es allerdings nicht allein auf die Therapieform Homöopathie an, sondern das Mittel muss außerdem nach § 38 AMG registriert bzw gem § 39 Abs 3 AMG freigestellt sein. Die Werbebeschränkung des § 5 HWG resultiert aus den Kennzeichnungsvorschriften der §§ 10 Abs 4, 11 Abs 3 AMG, nach denen aufgrund des Verzichts der Wirksamkeitsprüfung im AMG bei der präperatbezogenen Kennzeichnung Abstriche bzgl der Anwendungsgebiete zu machen sind. Falls ein homöopathisches Arzneimittel das Zulassungsverfahren für „echte“ Arzneimittel durchlaufen hat, gelten die Beschränkungen des § 5 HWG nicht. Das gleiche gilt für die homöopathischen Mittel, die iSd § 105 AMG als zugelassen gelten.
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Vgl Doepner § 4 HWG Rn 22; Gröning § 4 HWG Rn 31. Doepner § 4 HWG Rn 22; Gröning § 4 HWG Rn 31. BGH GRUR 1983, 333, 334; BGH GRUR 1996, 606, 607; OLG Karlsruhe GRUR 1995, 510, 512. BGH GRUR 1983, 333; s auch Doepner § 4 HWG Rn 23. Doepner will allerdings im Gegensatz zur hM bei dieser Problematik weitergehend differenzieren.
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OLG München PharmaRecht 2004, 308. In dieser Entscheidung ging es um einen Internetauftritt für ein verschreibungspflichtiges Medikament, der auch allgemein zugängliche Gebrauchsinformationen, die sich eigentlich nur an Fachkreise richten durften, enthielt. Allerdings musste der Interessierte gezielt mit dem Namen des Arzneimittels recherchieren, um zu diesen Informationen zu gelangen.
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IV. Werbegaben gem § 7 HWG 1. Regelungsgehalt des § 7 HWG
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Es ist gem § 7 Abs 1 HWG grds unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben anzukündigen oder zu gewähren bzw als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen. Die Begriffe „Zuwendungen und Werbegabe“ sind weit zu verstehen und umfassen alle tatsächlich oder vorgeblich unentgeltlich gewährten geldwerten Vergünstigungen108. Im Einzelfall ist genau abzugrenzen, ob Unentgeltlichkeit vorliegt 109. Rabatte für Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien fallen nunmehr wohl unstr in den Anwendungsbereich des § 7 HWG 110. Vom Grundsatz des Zuwendungsverbotes des § 7 Abs 1 HWG existieren mehrere Ausnahmen. Exemplarisch seien nur die Möglichkeiten zur Zugabe von geringwertigen Kleinigkeiten 111 und Kundenzeitschriften oder Geld- und Naturalrabatten genannt. 40 Die wichtigste Ausnahme bilden sicherlich § 7 Abs 1 S 1 Nr 2a und 2b HWG, wonach Rabatte erlaubt sind, soweit sie in einem bestimmten oder in einer auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag bestehen oder aus einer auf eine bestimmte Art zu berechnenden Menge gleicher Ware 112. 41 Zu diesem Grundsatz gibt es allerdings wichtige Rückausnahmen. Im Zuge der Änderung durch das AVWG 113 kam es zu einer Neuregelung des Rabattverbotes in § 7 HWG. Barrabatte sind gem § 7 Abs 1 S 2 2. HS HWG unzulässig „soweit sie entgegen den Vorschriften gewährt werden, die aufgrund des AMG gelten.“ Damit soll für Arzneimittel die Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisVO) den Rahmen erlaubter Barrabatte abstecken, dh für nicht preisregulierte Arzneimittel 114 können grds Barrabatte gewährt werden 115.
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Doepner § 7 HWG Rn 22. Mit Aufhebung der ZugabeVO wurde es notwendig, den § 7 HWG anzupassen. Der Inhalt der alten ZugabeVO fand daher Eingang in den neuen § 7 Abs 1 HWG (vgl BT-Drucks 14/5594, 10; BGH Urteil vom 4.7.2002, Az I ZR 38/00; Bülow/Ring/Bülow § 7 HWG Rn 10d). Die tatsächliche Unentgeltlichkeit ist nicht Voraussetzung, da der Preis einer Zuwendung oftmals als Werbekosten in den Preis der entgeltlichen Leistung des Empfängers einkalkuliert wird (Doepner § 7 HWG Rn 25). Nur scheinbare Unentgeltlichkeit ist also auch ausreichend. Zur Abgrenzung des Merkmals Unentgeltlichkeit sollen folgende Bsp dienen: Ein Gesamtangebot kann zB nicht in Haupt- und Nebenleistung aufgeteilt werden und fällt nicht unter § 7 HWG, auch wenn ein Teil der Leistung besonders preiswert angeboten wird (BGH WRP 2003, 886). Eine Zuwendung liegt aber vor, wenn ein Kunde ein Blutzuckertestsystem bestellt ohne das die gleichzeitig bestellten Teststreifen berechnet werden (LG Konstanz Urteil vom 24.2.2004, Az 9 O 119/03 KfH).
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OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 219, OLG Düsseldorf WRP 2005, 135. Bei der Bestimmung der Geringwertigkeit ist der objektive Verkehrswert maßgeblich (s zB BGH Urteil vom 4.7.2002, Az I ZR 38/00). In der Lit wird auch argumentiert, dass im Ergebnis keine Unterscheidung zwischen Bar- und Naturalrabatten möglich ist, so dass sich die Frage der Wirksamkeit der Rückausnahme in § 7 Abs 1 S 2 3. Halbs HWG für die Gewährung von Naturalrabatten in der Praxis stellt (Möller WRP 2006, 428, 430 f). Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz. Dazu zählen insb nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und die von Krankenhäusern abgegebenen Arzneimittel. Die exakten Grenzen von Barrabatten sind anhand des Wortlauts des Gesetzes nicht leicht auszumachen. Ausführliche Erläuterungen zur Zulässigkeit von Barrabatten Mand Deutsche Apotherzeitung 2006, 72 ff; Möller WRP 2006, 428, 432 ff; Plassmeier/ Höld PharmaRecht 2007, 309, 312 ff.
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OTC 116 Produkte, die von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden, sind trotz der Neufassung des § 78 Abs 3 AMG barrabattfähig 117. Die Vorschrift des § 7 HWG unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Handelsstufen und der Abgabe an Endverbraucher, so dass auch Apotheken die Möglichkeit von Barrabatten offen steht 118. Für Arzneimittel, die von der AmPreisVO erfasst werden, ist grds ein einheitlicher 42 Abgabepreis sicherzustellen. Der Großhandelszuschlag gem § 2 AmPreisVO ist als Höchstzuschlag bei der Berechnung des Apothekenabgabepreises vollständig zu erheben. Die AmPreisVO gibt also für über den Großhandel zu beziehende Arzneimittel den Rahmen zulässiger Rabatte vor. Der Verzicht auf den Großhandelszuschlag kann auch beim Direktbezug durch den Hersteller genutzt werden. Allerdings ist fraglich, ob der Verzicht auf den Großhandelszuschlag für den Pharmahersteller die zulässige Höchstgrenze für Barrabatte darstellt 119. Die Möglichkeit der Gewährung von Barrabatten für nicht preisgebundene Arnzeimittel eröffnet außerdem kaum kontrollierbare Möglichkeiten zur Umgehung von Rabattbeschränkungen preisgebundender Arzneimittel 120. In § 7 Abs 1 S 2 3. HS HWG ist noch eine weitere Rückausnahme enthalten. Natural- 43 rabatte sind im Bereich der apothekenpflichtigen Arzneimittel nicht zulässig. Für den Rechtsanwender stellt sich die Vorschrift des § 7 HWG also insgesamt kompliziert dar, denn er muss ggf nicht nur zwischen Natural- und Geldrabatten, sondern auch zwischen verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Arzneimitteln unterscheiden. 2. Anwendbarkeit der Vorschriften zur Rabattgewährung auf den Pharmahersteller Umstr und höchstrichterlich noch nicht geklärt ist die Frage, ob die Rückausnahme in 44 § 7 Abs 1 S 2 2. HS HWG sich auch auf den Pharmahersteller bezieht. In der Lit wird dies zT verneint. Argumentiert wird, dass der pharmazeutische Unternehmer nicht vom Sinn und Zweck des Preisbestimmungssystems in § 78 AMG erfasst ist 121. Durch den Verweis in § 7 Abs 1 S 2 HWG auf das AMG kann der Regelungsgehalt der AMPreisVO nicht weiter gehen als es Inhalt, Zweck und Ausmaß des § 78 AMG vorgeben. Dieser liegt darin, einen einheitlichen Apothekenabgabepreis zu gewährleisten um auf dieser Stufe einen Preiswettbewerb zu unterbinden 122. Es wurde auch vertreten, dass die AMPreisVO keine Preisvorschriften, sondern nur Preisspannenvorschriften enthält und daher im Hinblick auf überhöhte Barrabatte des Pharmaherstellers leerläuft 123. Dementsprechend müsste ein eigenständiges Rabattverbot geschaffen werden um auch die Marktstufe der Hersteller an ihre eigenen Preisvorgaben zu binden 124. Das OLG Köln urteilte allerdings gegenteilig und bezieht auch den Hersteller in den Anwendungsbereich des § 7 HWG ein, so dass das Gericht im Ergebnis zu einer Beschränkung von Barrabatten auf den Großhandelshöchstzuschlag kommt 125. 116 117 118
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Over the Counter. Vgl Plassmeier/Höld PharmaRecht 2007, 309, 312. Damit hat sich der Streit um die Zulässigkeit von Rabatten in Apotheken zT erledigt (vgl OLG Naumburg WRP 2006, 613, OLG Düsseldorf WRP 2005, 135 f, Kieser PharmaRecht 2004, 129, 132). S dazu auch § 2 Rn 44. Mand nennt zB die Möglichkeit, dass Barrabatte auf OTC Produkte bei der Abnahme verschreibungspflichtiger Arzneimittel
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gewährt werden (Mand Deutsche Apothekerzeitung 2006, 72, 75). So auch Plassmeier/Höld PharmaRecht 2007, 311; Möller WRP 2006 428, 434; aA OLG Köln Urteil vom 8. 12. 2006, Az 6 U 115/06. Plassmeier/Höld PharmaRecht 2007, 311. Möller WRP 2006, 428. Möller WRP 2006, 428. OLG Köln Urteil vom 8.12.2006, Az 6 U 115/06.
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
3. Bonussysteme in der Apotheke
45
Bonussysteme werden auch in Apotheken seit mehreren Jahren als Kundenbindungssystem genutzt. Mit der Neuregelung des Rabattverbotes in § 7 HWG sind einige Probleme zur Gewährung von Einkaufsvorteilen in der Apotheke geklärt, allerdings bleiben auch Fragen offen, insb da sich die Rspr teilweise uneinheitlich darstellt. Auch bei Gutscheinen oder Bonusprogrammen gilt das Transparenzgebot des § 4 Nr 4 UWG 126, dh die Bedingungen zu denen Bonuspunkte gewährt werden, sind im Detail aufzuführen, wobei auch der Hinweis an den Kunden für erforderlich erachtet wird, dass beim Kauf von Arzneimitteln, die der AMPreisVO unterliegen, aus gesetzlichen Gründen kein Bonus gewährt werden darf 127. Fraglich ist, inwieweit die Gewährung eines Gutscheins oder von Bonuspunkten überhaupt in den Anwendungsbereich von § 7 HWG fällt. Zwar ist § 7 HWG auch für Rabatte einschlägig, diese Zuwendungen müssen sich aber auf ein bestimmtes Arzneimittel bzw. Arzneimittelkategorie beziehen. Der klassische Einkaufsgutschein wird jedoch regelmäßig nicht für ein spezielles Produkt erteilt. Eine Anwendbarkeit des § 7 HWG wird daher nur in Sonderfällen zu bejahen sein 128. Wirbt eine Apotheke mit der Unterstützung sozialer Projekte beim Erwerb von Arzneimitteln, ist von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Verkaufsförderung durch Social Sponsoring auch im Hinblick auf die Besonderheiten des Heilmittelwerberechts keine generelle Ausnahme zu machen 129. 46 Von den Gerichten wird ebenfalls unterschiedlich beurteilt, ob Gutschein- oder Bonusaktionen für rezeptfreie Waren die AMPreisVO tangieren können. Zum Teil wird dies mit dem Argument verneint, dass der wirtschaftliche Vorteil sich erst beim Zweitgeschäft, dh dem günstigeren Erwerb der rezeptfreien Ware verwirklicht 130. Andere Gerichte sind der Auffassung, dass die Einteilung in ein Erstgeschäft mit der Gewährung eines Bonusses und ein Zweitgeschäft mit der Einlösung des Bonusses lebensfremd ist 131. Für den Verbraucher stellt sich der gesamte Lebenssachverhalt als Eröffnung eines generellen Preiswettbewerbs für das Apothekensortiment dar, und gerade dies wollte der Gesetzgeber nicht.
V. Werbung gegenüber dem Publikum und den Fachkreisen 1. Fachkreise
47
Da im HWG an verschiedenen Stellen Werbebeschränkungen (zB §§ 11 Abs 1, 12 HWG) gegenüber anderen Adressaten als den Fachkreisen enthalten sind, hat der Gesetzgeber in § 2 HWG eine Legaldefinition dieses Begriffs geschaffen um die Abgrenzung zu ermöglichen, ob eine Werbung außerhalb der Fachkreise vorliegt. § 2 HWG verwendet
126 127
128
S auch Teil 3 Kap 1 Rn 128 ff. So entschieden durch OLG Frankfurt WRP 2006 913; OLG Naumburg WRP 2006, 1393. OLG Oldenburg WRP 2006, 913. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt gewährte ein Apotheker einen Einkaufgutschein für mehrere speziell bezeichnete Produktkategorien wie zB Medikamente zur Gewichtsreduktion oder gegen Haarausfall. Vgl auch die aktuelle Entschei-
1262
129 130 131
dung des OLG München vom 22.3.2007, wo in einem Bonusversprechen für zuzahlungsfreie Generika zwar kein Verstoß gegen § 7 HWG, aber gegen § 4 Abs 1 UWG gesehen wurde (OLG München, GRUR-RR 2007, 297). LG Ulm, GRUR-RR 2007, 300. OLG Rostock Urteil vom 4.5.2005, Az 2 U 54/04; OLG Naumburg WRP 2006, 132. OLG Köln WRP 2006 130; OLG Frankfurt WRP 2006, 613.
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§2
Heilmittelwerberecht
einen weiten Heilberufsbegriff 132, so dass nicht nur die Heilberufe im engeren Sinne (zur Berufausübung ist eine Approbation erforderlich) erfasst sind, sondern auch Heilpraktiker sowie „alle selbstständigen und abhängigen Berufe, deren Tätigkeitsmerkmal darin besteht, dass sie unmittelbar oder assistierend, wenn auch nur in handwerklicher-instrumentaler Form, einen Dienst für die Gesundheit der Menschen erbringen 133.“ 2. Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, Schlafmittel, Psychopharmaka § 10 Abs 1 HWG enthält eine Restriktion für die Werbung mit verschreibungspflich- 48 tigen Arzneimitteln. Mit ihnen darf ua nur bei Ärzten, Apothekern oder Personen, die damit erlaubterweise Handel treiben, geworben werden. Im Vergleich zu den Fachkreisen des § 2 HWG ist der Adressatenkreis dieser Vorschrift wesentlich begrenzter. Hintergrund der Regelung ist die Annahme, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel einen höheren Patientengefährdungsgrad aufweisen und daher nur bei Personen beworben werden dürfen, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Ausbildung einen sachgerechten Umgang mit diesen Arzneimitteln erwarten lassen 134. In einer interessanten Entscheidung zur werblichen Darstellung im Internet kam das OLG München zum Ergebnis, dass ein Internetauftritt mit einem allgemeinen Zugriff auf die Gebrauchsinformationen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel unter der Domainadresse mit dem Produktnamen, nicht gegen § 10 Abs 1 HWG verstößt, wenn er exakt den Vorgaben der §§ 11, 12 AMG entspricht 135. Die Darstellung im Internet sei nicht mit der Darstellung in Printmedien vergleichbar, denn auf letztere treffe der Verbraucher zufällig, für erstere müsse er gezielt unter dem Namen des Arzneimittels im Internet recherchieren. Schlafmittel und Psychopharmaka können gem § 10 Abs 2 HWG gegenüber den 49 Fachkreisen iSd § 2 HWG beworben werden. Im Einzelfall kann sich allerdings die Einordnung, ob ein derartiges Arzneimittel vorliegt, als problematisch erweisen 136. 3. Einzelne Werbeverbote des § 11 HWG Neben den verschiedenen generellen Werbebeschränkungen des HWG hat der Gesetz- 50 geber in § 11 HWG verschiedene Einzelformen von Werbemaßnahmen untersagt. Die abschließende Liste des § 11 HWG enthält verbotene Formen von Werbung außerhalb der Fachkreise, von denen einige exemplarisch an dieser Stelle vorgestellt werden sollen. a) fachliche Empfehlungen und Empfehlungen Dritter. Zusätzlich zu der bereits in 51 § 2 Rn 29 angesprochenen Beschränkung von Gutachtenwerbung bestimmt § 11 Abs 1 Nr 3 HWG, dass es außerhalb der Fachkreise ebenfalls untersagt ist mit Krankengeschichten zu werben. In eine ähnliche Richtung geht das Verbot des § 11 Abs 1 Nr 11 132 133 134 135 136
Bülow/Ring/Ring § 2 HWG Rn 5, Doepner § 2 HWG Rn 3. Bülow/Ring/Ring § 2 HWG Rn 5. Doepner § 10 HWG Rn 9. OLG München PharmaRecht 2004, 308; vgl auch Stoll PharmaRecht 2004, 100. Das Publikumswerbeverbot besteht nur für Schlafmittel im pharmakologischen Sinn, dh Mittel, die ein Einschlafen erzwingen, aber nicht für solche Sedativa, die nur die Schlafbereitschaft fördern, wie zB Baldrian- oder Johanniskrautpräparate (Bülow/Ring/Ring
§ 10 HWG Rn 12). Letztere Kategorie von Schlafmitteln fällt nur in den Anwendungsbereich des § 10 HWG, wenn sie gezielt so beworben werden, dass sie auch zur Beseitigung von Schlaflosigkeit dienen (BGH GRUR 1979, 1937 – Klosterfrau Melissengeist). Insgesamt kann sich die Abgrenzung im Einzelfall als schwierig herausstellen. Auch bei den Psychopharmaka sollen nur die Mittel mit pharmakologischer Wirkung erfasst werden (vgl auch BGH GRUR 2000, 546 – Johanniskraut Präparat).
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1263
Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
HWG auf Dank-, Empfehlungs- oder Anerkennungsschreiben Bezug zu nehmen. Festzuhalten ist, dass die Vorschrift des § 11 Abs 1 Nr 11 HWG strenger ist als die entsprechende Regelung in Art 38, 90 Richtlinie 2001/83/EG, weshalb der EuGH entschied, dass diese Norm anhand des Wortlauts und Zwecks der Richtlinie auszulegen sei 137. Krankengeschichten oder Hinweise darauf können den Verbraucher jedenfalls animie52 ren, bestimmte Mittel oder Therapien in Anspruch zu nehmen, ohne die jeweilige persönliche Aussage zum Krankheitsverlauf aufgrund mangelnder Fachkenntnisse in den richtigen wissenschaftlichen Kontext stellen zu können138. Zum Sinn und Zweck der Regelungen gehört es deshalb zu verhindern, dass der Verbraucher aufgrund der persönlichen Krankengeschichten oder Empfehlungen dem Produkt eine höhere Wirksamkeit beimisst, als ihm tatsächlich innewohnt.
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b) Fremdsprachliche Bezeichnungen. Mit fremd- oder fachsprachlichen Bezeichnungen darf gem § 11 Abs 1 Nr 6 HWG nicht geworben werden, soweit diese nicht in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind. Es soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass dem wissenschaftlich nicht vorgebildeten Verbraucher die Informationen der Werbung in verständlicher Sprache zur Verfügung gestellt werden.
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c) Angstwerbung. Das Risiko einer Werbemaßnahme, die geeignet ist, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen, darf gerade im Gesundheitsbereich nicht unterschätzt werden. Als Konkretisierung des allgemeinen Verbots in § 4 Nr 2 UWG 139 existiert daher die Regelung in § 11 Abs 1 Nr 7 HWG 140. Nach der Rspr ist ein Hervorrufen von Angstgefühlen insb dann anzunehmen, wenn auf lebensgefährliche oder sonst besorgniserregende Zustände hingewiesen wird, die geeignet sind, einen gegen Werbemethoden weder besonders abgestumpften noch besonders empfindlichen Adressaten zu beunruhigen 141. Gegen sachliche Hinweise auf den Anwendungsbereich oder die Wirkungsweise eines Arzneimittels bestehen allerdings solange keine Bedenken, auch wenn die Aussagen grds geeignet sind Ängste zu verstärken oder zu wecken, wie die Werbung in ihrer Gesamtheit darauf angelegt ist, solchen Angstgefühlen entgegenzuwirken 142. Ein Verstoß gegen das Verbot der Angstwerbung liegt daher insb dann vor, wenn unterschwellig bestehende Ängste beim Verbraucher durch reißerische oder dramatisierende Beschreibungen verstärkt werden.
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d) Bildliche Darstellungen. Die Aussagekraft bildlicher Darstellungen ist für die Werbewirkung einer Maßnahme nicht zu unterschätzen. Bilder sind meistens besonders einprägsam. Aus diesem Grund ist es gem § 11 Abs 1 Nr 4 HWG untersagt, außerhalb der Fachkreise mit bildlichen Darstellungen von Personen in Berufskleidung oder bei der Ausübung einer Tätigkeit von Angehörigen der Heilberufe, des Heilgewerbes oder des Arzneimittelhandels zu werben. Diese Vorschrift wurde vom historischen Gesetzgeber und der Rspr bisher als abstrakter Gefährdungstatbestand aufgefasst 143. An dieser Auslegung wird vom BGH mit Rücksicht auf die in Art 12 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit, die durch die Regelung des § 11 Abs 1 Nr 4 HWG beschränkt wird, nicht mehr festgehalten 144. Der Tatbestand des § 11 Abs 1 Nr 4 HWG ist dahingehend einschränkend auszulegen, dass die
137
138 139 140 141
EuGH Urteil vom 8.11.2007, Az C-374/05; zum Verfahrensgang s auch Meyer PharmaRecht 2007, 230. BGH GRUR 1981, 435, 436. S Teil 3 Kap 1 Rn 110 ff. BGH NJW-RR 1987, 163. BGH NJW-RR 1999, 1565; OLG Stuttgart NJW 1982, 2064.
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Bülow/Ring/Bülow § 11 Abs 1 Nr 7 HWG Rn 8; Doepner § 11 Nr 7 HWG Rn 9. Vgl zB BGH GRUR 1985, 936 f; GRUR 2001, 453, 455. BGH GRUR 2007, 809, 810.
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§2
Heilmittelwerberecht
Werbung geeignet sein muss, das Laienpublikum unsachlich zu beeinflussen und dadurch zumindest eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu bewirken 145. Ebenfalls untersagt ist, gegenüber Laien bildliche Darstellungen von Veränderungen des menschlichen Körpers oder seiner Teile durch Krankheiten, Leiden oder Körperschäden werblich zu nutzen. § 11 Abs 1 Nr 5 HWG enthält zusätzlich noch das Verbot, durch vergleichende Darstellung eines Körperzustandes bzw. des Aussehens die Wirkung eines Heilmittels hervorzuheben. Sinn und Zweck der Vorschriften ist die Vermeidung der Selbstmedikation durch den 56 Verbraucher. e) Vergleichende Werbung und Werbung mit Preisausschreiben. § 11 Abs 2 HWG 57 beschäftigt sich mit dem Verbot der vergleichenden Werbung außerhalb der Fachkreise. Die Vorschrift umfasst aufgrund ihres Wortlauts allerdings nur Arzneimittel und nicht Medizinprodukte, Therapien, Kosmetika oder sonstige Gegenstände. Ebenfalls verboten ist die Werbung mit Preisausschreiben gem § 11 Abs 1 Nr 13 58 HWG. In diesem Zusammenhang hat der EuGH kürzlich entschieden, dass eine Auslosung im Internet, bei deren Teilnahme als Preis ein Medikament ausgelobt wurde, auch ohne ausdrückliche Regelung im gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelwerberecht verboten ist, da sie „die unzweckmäßige Verwendung dieses Arzneimittels fördert und zu seiner direkten Abgabe an die Öffentlichkeit sowie zur Abgabe von Gratismustern führt“ 146. 4. Hinweise auf Krankheiten iSv § 12 HWG Die Vorschrift des § 12 HWG enthält eine weitere Beschränkung für die Heilmittel- 59 werbung außerhalb der Fachkreise. Es darf nicht mit Hinweisen auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten geworben werden, die enumerativ in der Anlage zum HWG genannt sind. Darüber hinaus darf auch nicht auf die Verhütung der in der Anlage genannten Krankheiten hingewiesen werden. Ausdrücklich vom Werbeverbot der Vorschrift ausgenommen sind die Werbung für Therapien in Heilbädern, Kurorten und Kuranstalten zu den in der Anlage genannten Krankheiten. Hintergrund des § 12 HWG ist der gesetzgeberische Wille, einer Selbstmedikation bzw. eines Arzneimittelmissbrauchs durch den Verbraucher entgegenzuwirken 147. Das BVerfG hat jüngst zum § 12 HWG entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht 60 zu beanstanden ist, Werbung iSd dieser Norm bereits dann anzunehmen, wenn ein Präparat so eindeutig beschrieben und angepriesen wird, dass der Verkehr dadurch zu einer Entscheidung der Behandlung mit diesem Mittel verleitet würde 148. Dabei ist der Hinweis, die Therapie nicht ohne ärztlichen Rat zu beginnen, als nicht ausreichend angesehen werden, Patienten von einer Selbstbehandlung abzuhalten. Im Rahmen der Prüfung des § 12 HWG ist außerdem die Abgrenzung wichtig, ob 61 sich die jeweilige Werbemaßnahme auf eine Krankheit oder die Erhaltung der Gesundheit bezieht, denn § 12 HWG ist für die Werbung einschlägig, die sich mit der Erkennung, Linderung, Verhütung und Beseitigung von Krankheiten beschäftigt 149. Es ist also entscheidend, dass die Werbeaussage von den angesprochenen Adressatenkreisen 150 nicht als Verhütung einer in der Anlage zum HWG genannten Krankheiten aufgefasst wird. 145 146
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BGH GRUR 2007, 809, 810. EuGH Urteil vom 8.11.2007, Az C-374/05; vgl dazu auch Meyer PharmaRecht 2007, 230. BGH WRP 1971, 469, 471; Doepner § 12 HWG Rn 4.
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BVerfG GRUR 2007, 1083, 1084. Bülow/Ring/Ring § 12 HWG Rn 3. Zur Anwendung des Verbraucherleitbildes s auch § 2 Rn 24.
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
§3 Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen durch die Health Claims Verordnung I. Allgemeines 62
Sowohl die rechtswissenschaftliche Diskussion, als auch das Gesetzgebungsverfahren der Health Claims VO waren mehr als turbulent 151, da das Vorhaben von Anbeginn an von schwerwiegenden Debatten begleitet wurde. Die Kritik bezog sich sowohl auf inhaltliche Fragen, als auch auf die Rechtsetzungskompetenz des Gemeinschaftsgesetzgebers. Zu ersterem Komplex wurde angemerkt, dass die durch die VO einzuführenden Nährwertprofile eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Lebensmittel zur Folge haben 152, und in den Werbeverboten für zutreffende Angaben eine unzulässige Beschränkung der passiven Meinungsfreiheit des Verbrauchers zu sehen ist, die gegen Art 6 Abs 2 EU Vertrag iVm Art 10 EMRK verstößt 153. Im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz wurden Bedenken dahingehend geäußert, dass die VO sich in erster Linie mit dem Gesundheitsschutz auseinandersetze, für dessen Regelung aber keine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft besteht 154. Es bleibt daher abzuwarten, wie der EuGH auf die vorhersehbaren Angriffe gegen die Health Claims VO reagieren wird. Mit der Health Claims VO fand ein Paradigmenwechsel im Recht der Lebensmittel63 werbung statt. Nach bisheriger deutscher Rechtslage war im LFGB lediglich die Werbung mit krankheitsbezogenen Aussagen untersagt. Für gesundheitsbezogene Angaben galt, dass sie grds zulässig waren, jedoch den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben unterlagen. Dieses Regel-/Ausnahmeprinzip wird nunmehr umgekehrt. Für alle nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben gilt jetzt stattdessen ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Nicht außer Acht gelassen werden darf der internationale Hintergrund der Health 64 Claims VO 155. Viele Vorschriften der VO zu nährwert- und gesundheitsbezogenen An-
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Zum einen sprechen bereits die Überschriften von Artikeln aus der Fachliteratur bzgl der Vehemenz der Diskussionen Bände (zB „Großer Bruder statt schöne neue Welt“, Loosen ZLR 2006, 521; „Wann ist der Verbraucher ein mündiger Verbraucher? Zur Diskussion der Nutrition and Health Claims Verordnung der EU“, Buchner/Rehberg GRUR Int 2007, 394; „Leben mit der Health Claims Verordnung – Chancen und Risiken anhand von Anwendungsbeispielen aus der Praxis“, Bruggmann/Hohmann ZLR 2007, 51). Zum anderen sah sich der Gesetzgeber nach der Bekanntmachung der VO im Amtsblatt am 30.12.2006 zu einer Korrektur gezwungen, da die veröffentlichte Version der VO der Fassung vor der zweiten Lesung im Europäischen Parlament entsprach, die so nicht beschlossen wurde. Am 19.1.2007 erfolgte die entsprechende Berichtung durch eine erneute Veröffentlichung im Amtsblatt.
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153 154
155
Das war angeblich von der Kommission so nicht erwünscht, vgl Begründung der Kommission zum VO Vorschlag vom 16.7.2003, KOM (2003) 424 endg, Nr 14. Die Kritik der Lit an den Nährwertprofilen bezog sich darauf, dass es keine sinnvolle Einteilung der Lebensmittel in gut und schlecht gäbe, sondern nur in gute und schlechte Ernährungsweisen (vgl von Danwitz ZLR GRUR 2005, 896; wohl aA Buchner/Rehberg GRUR Int 2007, 394, 397). So Hüttebräuker WRP 2004, 188, 196; Meisterernst/Haber WRP 2007, 364, 365. Hüttebräuker WRP 2004, 188, 193 ff; Loosen ZLR 2006, 531, 532; GRUR Fachausschuss für Arznei- und Lebensmittelrecht GRUR 2004, 306, 310. Ausf zu dieser Thematik Gorny GRUR 2005, 892.
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§3
Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen
gaben beruhen auf Vorschlägen der Codex Alimentarius Kommission, an der auch die EU-Kommission beteiligt war 156. Der Codex Alimentarius ist eine Sammlung von international angenommenen Standards, der ua auch Bestimmungen zu praktischen Verfahrensregeln enthält 157. Das Verfahrenshandbuch der Codex Alimentarius Kommission meint mit dem Begriff „Standard“ Kommissionsempfehlungen, die den Regierungen der Mitgliedstaaten zur Annahme vorgelegt werden 158. Im Jahr 2004 wurden die vom Codex Komitee Lebensmittelkennzeichnung erarbeiteten „Leitlinien für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln“ von der Codex Alimentarius Kommission angenommen. Der Anwendungsbereich dieser Leitlinien umfasst im Wesentlichen die Etikettierung von Lebensmitteln, aber auch deren Werbung 159. Im Gegensatz zur Health Claims VO enthalten die Leitlinien nicht die die VO kennzeichnenden Verbotstatbestände und haben auch von der Einführung von Nährwertprofilen Abstand genommen 160.
II. Inhalt der Health Claims Verordnung 1. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Die Verordnung ist grds für alle Lebensmittel – verpackt oder unverpackt – anwend- 65 bar 161. Für unverpackte Lebensmittel gelten allerdings viele Befreiungen bei den Kennzeichnungsverpflichtungen. Vom Anwendungsbereich der Verordnung ebenfalls umfasst sind Marken, Handels- oder Phantasiebezeichnungen. In diesem Zusammenhang zeigen sich schon mögliche Abgrenzungsprobleme, da fraglich ist, ob zB Produktbezeichnungen mit „vita“, „akti“ oä Bestandteilen als allgemeine gesundheitsbezogene Angaben qualifiziert werden müssen, die nur mit einer beigefügten speziellen gesundheitsbezogenen Angabe zulässig wären 162. In Art 1 Abs 2 VO (EG) 1924/2006 wird klargestellt, dass die Verordnung auf kommerzielle Mitteilungen bei der Kennzeichnung oder Aufmachung sowie bei der Bewerbung von Lebensmitteln Anwendung findet 163. Alle werblichen Aussagen, die unmittelbar oder mittelbar besondere Eigenschaften eines Lebensmittels enthalten, müssen also den Vorgaben der VO genügen 164. Empfehlungen oder Richtlinien von Gesundheitsbehörden sowie neutrale Presseberichterstattung gehören nicht zum Geltungsbereich der VO 165. Das gleiche gilt für Angaben zu „negativen Nährwerteigenschaften“ 166.
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Vgl auch Gorny GRUR 2005, 892, 893. Gorny GRUR 2005, 892, 893. Codex Alimentarius Commission Procedural Manual, 1. Gorny GRUR 2005, 892, 894. Vgl Gorny GRUR 2005, 892, 894 ff. Die Sonderregelungen für nähr- und gesundheitsbezogene Angaben bei diätetischen Lebensmitteln, Mineralwässern und Wässern für den menschlichen Gebrauch sowie Nahrungsergänzungsmitteln finden vorrangig zur Health-Claims-Verordnung Anwendung. Zum Verhältnis zu diesem Vorschriften ausf Bruggmann/Hohmann ZLR 2007, 51, 56 ff. S auch § 3 Rn 70.
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Durch die VO werden also nur freiwillige Angaben reguliert. Pflichtangaben nach nationalem oder europäischen Recht gehören nicht dazu. Dazu gehören Prospekte, Produktbeschreibungen, Bilder (Werbespots), Symbole oder grafische Elemente. Der weite Angabenbegriff sichert der VO einen größtmöglichen Anwendungsbereich zu (s Gorny ZLR 2004, 143, 154). Loosen ZLR 2006, 521, 526. Erwägungsgrund 6 VO (EG) 1924/2006; Loosen ZLR 2006, 521, 529 f. Bruggmann/ Hohmann diskutieren ausf die Anwendbarkeit der VO auf diese Angaben (ZLR 2007, 51, 53 ff).
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
66
Für die Begriffe Lebensmittel, Lebensmittelunternehmer, Inverkehrbringen oder Endverbraucher wird auf die VO (EG) 178/2002 Bezug genommen, hinsichtlich des Begriffes Kennzeichnung wird auf die Richtlinie 2000/13/EG sowie für die Begriffe Nährwertkennzeichnung, Eiweiß, Zucker, Fett, Kohlehydrat, gesättigte Fettsäuren, einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe auf die Richtlinie 90/496/EG verwiesen. Eine nährwertbezogene Angabe umfasst jede Aussage, mit der erklärt oder auch nur 67 mittelbar suggeriert wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften aufgrund des Brennwerts oder der Nährstoffe bzw anderer Stoffe und Substanzen 167 besitzt, die in erhöhten bzw verringertem Maße vorhanden bzw nicht vorhanden sind. Gesundheitsbezogene Angaben bringen zum Ausdruck, dass ein Zusammenhang zwi68 schen einem Lebensmittel, einem seiner Bestandteile oder einer Lebensmittelkategorie einerseits und der Gesundheit andererseits besteht, zB durch die Behauptung, dass der Risikofaktor für eine bestimmte Krankheit durch Konsum eines bestimmten Lebensmittels gesenkt wird 168. Der Begriff Gesundheit wird nach der WHO als ein Zustand des allgemeinen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens verstanden 169. In Art 13 und Art 14 der VO (EG) 1924/2006 sind weitere Unterarten gesundheitsbezogener Angaben aufgeführt. Im Rahmen dieser Kategorien werden sich ua die Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern als problematisch herausstellen, da nicht nur eine Begriffsbestimmung fehlt, sondern auch die Abgrenzung zu den übrigen gesundheitsbezogenen Angaben schwierig erscheint 170. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Begriffsbestimmungen zu gesundheitsbezogenen Angaben sehr weit gefasst sind. 2. Werbebeschränkungen
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In Art 3 der VO werden allgemeine Grundsätze zur Verwendung aller nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben aufgestellt. Die Angaben dürfen – nicht falsch, mehrdeutig, oder irreführend sein, – keine Anregung zum übermäßigen Verzehr bilden, – nicht suggerieren, dass mit einer ausgewogenen Ernährung nicht die notwendige Nährstoffmenge aufgenommen werden kann, – kein Auslösen oder Ausnutzen von Ängsten beim Verbraucher durch Hinweise auf mögliche Änderungen bei Körperfunktionen hervorrufen, – und keinen Zweifel über die Sicherheit oder ernährungsphysiologische Geeignetheit anderer Lebensmittel erwecken. Bzgl der Eignung zur Irreführung ist auf das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ abzustellen171.
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Die Begriffe „Stoff und Substanz“ sind so zu verstehen, dass es sich dabei um natürliche oder hinzugefügte Bestandteile von Lebensmitteln handelt (vgl Meisterernst/Haber WRP 2007, 363, 373). Bruggmann/Hohmann (ZLR 2007, 51, 58) und Hüttebräuker (WRP 2004, 188, 189) machen darauf aufmerksam, dass die Abgrenzung bislang erlaubter gesundheitsbezogener Werbung von krankheitsbezogener
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problematisch ist und in Teilen der deutschen Rspr strenge Maßstäbe angelegt wurden. Als unzulässig wurden zB „für stabile Knochen“(OLG Hamm MD 1996, 754) oder „zur Stärkung des Immunsystems“ (OLG Hamburg ZLR 1995, 60) angesehen. Meyer 24. Vgl Loosen ZLR 2006, 521, 531. EuGH Slg 1998, I 4657; Meyer 41.
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§3
Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen
Um nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben führen zu können, müssen die be- 70 worbenen Lebensmittel außerdem den spezifischen Lebensmittelprofilen entsprechen 172. Ausnahmsweise sind gem Art 4 Abs 2a VO 1924/2006 trotz schlechtem Nährwertprofil oder ohne Bezugnahme darauf bestimmte Angaben zulässig. Diese Möglichkeit besteht zum einen für Reduktionsangaben. Dabei darf auf die Reduktion von Fett, gesättigten und Transfettsäuren, Zucker und Salz/Natrium hingewiesen werden. Zum anderen sind nährwertbezogene Angaben auch bei ungünstigem Lebensmittelprofil erlaubt, wenn nur ein Stoff das Nährwertprofil übersteigt und für diesen Bestandteil zusätzlich der Hinweis „Hoher Gehalt an ...“ erfolgt. Für alkoholische Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent enthält Art 4 Abs 3 VO (EG) 1924/2006 ein Werbeverbot 173. Nahrungsergänzungsmittel, die in flüssiger Form dargereicht werden und unter Richtlinie 2002/46/EG fallen, gelten nicht als Getränke iSd Health Claims Verordnung. Aus den Begründungserwägungen 10–12 zu Art 4 VO (EG) 1924/2006 ergeben sich 71 die Motive des Gesetzgebers für die Notwendigkeit der Einführung von Nährwertprofilen nur bedingt. Offenbar ist der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung, dass das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild des informierten und aufgeklärten Verbrauchers im Bereich der gesundheitsbezogenen Lebensmittelwerbung korrigiert werden müsste, da es dem Verbraucher scheinbar nicht zugetraut wird, sich anhand der Nährwertkennzeichnung über die Zusammensetzung und den Nährwert eines beworbenen Lebensmittels zu informieren. Die geplanten Nährwertprofile werden durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erstellt und endgültig durch Kommission und Mitgliedstaaten im Ausschussverfahren bis zum 19.1.2009 bestimmt 174. Sie haben auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Ernährung und ihrer Bedeutung zu beruhen. Neben der Erfüllung der Nährwertprofile sind nährwert- und gesundheitsbezogene 72 Angaben noch an weitere Bedingungen gem Art 5, 6 VO (EG) 1924/2006 geknüpft. Es wird ua verlangt, dass die behauptete ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wirklich gegeben ist und der entsprechende Stoff in ausreichender Menge in dem beworbenen Lebensmittel in einer für den Körper verwertbaren Weise vorhanden ist. Außerdem muss sich die Angabe für den durchschnittlichen Verbraucher verständlich darstellen und auf das verzehrfertige Produkt beziehen. Bei der wissenschaftlichen Absicherung gem Art 6 VO (EG) 1924/2006 sind alle verfügbaren wissenschaftlichen Daten zu berücksichtigen. Zudem existiert die Verpflichtung, die Verwendung der gewünschten Angabe zu begründen. Hinsichtlich dieses Begründungserfordernisses ist nicht klar, ob es sich dabei um ein zusätzliches Rechtfertigungserfordernis handelt. Unbestritten ist, dass eine allgemeine anerkannte wissenschaftliche Absicherung nicht damit gleichbedeutend sein kann, dass die jeweiligen wissenschaft172
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Vom Erfordernis bestimmter Nährwertprofile können grds Ausnahmen für bestimmte Lebensmittel und Lebensmittelkategorien festgelegt werden. Allerdings scheint diese Möglichkeit weder verpflichtend zu sein, noch wird konkretisiert, um welche Ausnahmen es sich dabei handeln könnte. Allerdings darf bei Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent eine nährwertbezogene Angabe verwendet werden, die sich auf einen geringen oder reduzierten Alkoholgehalt bezieht.
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Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, wissenschaftliche Konzepte zur Erstellung der Nährwertprofile vorzuschlagen. Das in Deutschland zuständige Institut für Risikobewertung hat sein Konzept bereits vorgelegt. Darin ist vorgesehen, dass in den Nährwertprofilen besonders der Gehalt derjenigen Substanzen berücksichtigt wird, bei denen ein Zusammenhang mit ernährungsbedingten Krankheiten belegt ist (Berliner Zeitung vom 12.7.2007, 15).
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
lichen Erkenntnisse völlig unumstritten sind. Welche Bedeutung Gegenmeinungen zukommen darf, ist jedoch noch nicht erschöpfend beantwortet 175. Es bleibt zu hoffen, dass für eine hinreichende wissenschaftliche Absicherung keine überhöhten, für Lebensmittel unverhältnismäßigen Kriterien gefordert werden 176. Aus Art 7 VO (EG) 1924/2006 ergibt sich, dass bei Verwendung nährwertbezogener 73 Angaben die Verpflichtung zur Nährwertkennzeichnung unverändert bestehen bleibt. Für gesundheitsbezogene Angaben finden die Vorschriften entsprechende Anwendung, allerdings müssen die sog „Big Eight“ (Brennwert, Proteine, Kohlenhydrate, Zucker, Fette, gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, Natrium) gekennzeichnet werden 177. Stoffe, die nicht zu den „Big Eight“ gehören und beworben werden, sind außerdem in unmittelbarer Nähe der Nährwertkennzeichnung anzugeben (zB Vitamine). 3. Nährwertbezogene Angaben
74
Kapitel III der Health Claims VO widmet sich den nährwertbezogenen Angaben. Dabei sind nur solche Angaben zulässig, die im Anhang der Verordnung gelistet sind (zB energiereduziert, fettarm, Ballaststoffquelle, leicht, natürlich) 178. Bzgl der einzelnen erlaubten Angaben werden Vorgaben für die Benutzung vorgeschrieben, zB ist die Angabe „leicht“ nur erlaubt, wenn eine Reduzierung entsprechenden Nährstoffs um mindestens 30 %, eines Mikronährstoffs um mindestens 10 % oder für Natrium/Salz um mindestens 25 % gegenüber einem vergleichbaren Produkt erfolgt. Neben den im Anhang aufgeführten Angaben können auch gleichwertige Bezeichnungen verwendet werden, da die Formulierungen des Anhangs auch für Angaben gelten, die für den Verbraucher wahrscheinlich dieselbe Bedeutung haben 179. Ansonsten wird auf die allgemeinen Angaben verwiesen, die ermöglichen, dass nährwertbezogene Angaben auch in Bezug auf Substanzen und Nährstoffe gemacht werden können, für die keine speziellen Vorgaben existieren 180. Dazu gehören zB die Angaben „Name des Vitamins/Mineralstoffs“ oder „hoher (Name des Vitamins/Mineralstoffs) Gehalt“, dh für Vitamine und Mineralstoffe können Gehaltsangaben oder hohe Gehaltsangaben getätigt werden. In Erwägungsgrund 22 der VO wird klargestellt, dass die Bedingungen für die Verwendung der Bezeichnungen „laktosefrei“ und „glutenfrei“ nicht Gegenstand der Health Claims VO sondern der Richtlinie 89/398/EG sind, soweit sie sich an eine Verbrauchergruppe mit bestimmten Gesundheitsstörungen richten. Vergleichende Werbung muss neben den Anforderungen zur Vermeidung einer Irreführung des Adressaten auch die Voraussetzungen des Art 9 VO (EG) 1924/2006 erfüllen. Danach dürfen Vergleiche nur innerhalb einer Lebensmittelkategorie und bezogen auf die gleiche Menge des Lebensmittels erfolgen, wobei eine Reihe von Lebensmitteln einer Kategorie berücksichtigt werden muss. Der Begriff „Kategorie“ ist nicht definiert, so dass wahrscheinlich auf die Lebensmittelkategorien der Nährwertprofile zurückgegriffen werden wird. 175
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Erwägungsgrund 14 der VO spricht nur allgemein von „ausreichender Einigkeit in der Wissenschaft.“ Meisterernst/Haber (WRP 2007, 363, 370) formulieren, dass „keine gewichtigen Gegenmeinungen“ bestehen dürfen. Allerdings gehen Meisterernst/Haber davon aus, dass mit der VO ein höheres Nachweisniveau als bisher in der Praxis üblich angestrebt wird (WRP 2007, 363, 370).
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Von dieser Verpflichtung ausgenommen sind produktübergreifende Aussagen. Diese Angaben basieren auf den Leitlinien der Codex Alimentarius Kommission. Vgl Meyer 54; Loosen ZLR 2006, 521, 539. Eine ganze Reihe bisher genutzter Angaben findet sich jedoch noch nicht im Anhang der VO wieder, wie zB „Omega-3 reich“ oder „cholesterinfrei.“
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§3
Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen
4. Gesundheitsbezogene Angaben Kapitel IV beschäftigt sich mit den gesundheitsbezogenen Angaben. Sie sind grds ver- 75 boten und nur noch erlaubt, wenn sie nach der Verordnung zugelassen werden bzw in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen wurden (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) 181. Bis zur Verabschiedung der Gemeinschaftsliste sind in Deutschland gem Art 28 Abs 6 VO (EG) 1924/2006 gesundheitsbezogene Angaben im Rahmen der Möglichkeiten der §§ 11, 12 LFGB weiter generell zulässig 182. Danach ist für Angaben, die nicht in der Gemeinschaftsliste enthalten sind, das jeweils einschlägige Zulassungsverfahren gem Art 15–19 VO (EG) 1924/2006 zu durchlaufen 183. Bestimmte gesundheitsbezogene Angaben, die in der Gemeinschaftsliste zulässiger Angaben enthalten sein werden, dürfen ohne Einzelzulassungsverfahren genutzt werden. Sie unterliegen der allgemeinen Zulassung gem Art 13 VO (EG) 1924/2006 184. Für gesundheitsbezogene Angaben bestehen gem Art 10 Abs 2 VO (EG) 1924/2006 76 Sonderkennzeichnungspflichten. Dazu ist der Hinweis auf die Bedeutung einer gesunden Ernährung und Lebensweise ebenso erforderlich, wie die Schilderung der Voraussetzungen für das Erreichen der positiven Wirkung durch das jeweilige Lebensmittel (notwendige Verzehrmenge und Verzehrmuster). Ggf ist ein geeigneter Warnhinweis für Gesundheitsgefahren bei übermäßigem Verzehr oder für vom Verzehr beeinträchtigte Personengruppen notwendig. Die Bewerbung allgemeiner gesundheitsbezogener Angaben (wie zB „fördert das Wohlbefinden“) ist nur zulässig, wenn eine spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt wird 185. Nicht vom Anwendungsbereich der VO umfasst sind Angaben ohne Ernährungs- oder Gesundheitsbezug (zB „Red Bull verleiht Flügel“, „Haribo macht Kinder froh“), wobei die Abgrenzung im Einzelfall sicherlich schwer werden wird. Die Health Claims VO enthält in Art 12 VO (EG) 1924/2006 verschiedene weitere ge- 77 sundheitsbezogene Werbeverbote 186. Sie bestehen für Angaben, die den Eindruck erwe-
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Dieses präventive Verbot führt zur Befürchtung vieler Unternehmen ihre Marketing Strategien komplett umstellen zu müssen. Für einzelne Produkte wird daher diskutiert, wie man den Vorgaben der Health Claims VO ausweichen kann. ZB bestehen gewisse Chancen zahnpflegende Kaugummis oä Produkte als Kosmetikum zu vermarkten – vgl hierzu Meyer, LMUR 2008, 25 ff. Die Rechtsprechung ist sich an dieser Stelle allerdings nicht einig. Für eine Qualifikation zahnpflegender Produkte als Kosmetikum LG Köln Urteil vom 10.7.2007, Az 33 O 466/06, dagegen LG München Urteil vom 22.6.2006, Az 17 HK O 5963/06. Vgl § 3 Rn 63. Loosen ZLR 2006, 521, 544 f; Meisterernst/ Haber WRP 2007 363, 384 ff. Von Danwitz kritisiert die Verfahrensweise der Einzelzulassung als besonders hinderlich für kleine und mittlere Unternehmen, die, wie er zu Recht anmerkt, Mühe haben werden, die notwendigen Unterlagen zur wissenschaft-
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lichen Absicherung beizubringen (GRUR 2005, 896, 901). Zur Listenaufstellung s Meisterernst/Haber WRP 2007, 363, 382. Bruggmann/Hohmann machen zu Recht darauf aufmerksam, dass in einzelnen Fällen die Abgrenzung zwischen verbotenen krankheitsbezogenen Angaben und in Verbindung mit einer speziellen Angabe zulässigen allgemeinen gesundheitsbezogenen Angaben schwer werden kann (ZLR 2007, 51, 644 ff). Bei diesen Werbeverboten handelt es sich um abstrakte Irreführungsverbote. Ihre europarechtliche Zulässigkeit ist durchaus zweifelhaft. Der EuGH entschied 2004, dass ein abstraktes belgisches Irreführungsverbot, dass ärztliche Empfehlungen, Bescheinigungen etc untersagte, europarechtswidrig ist (ZLR 2004, 600, 608 ff). Das Gericht sah in der Untersagung von wahrer Werbung einen erheblichen Eingriff die Freiheit der Werbenden, die auch Verbrauchern wichtige Informationen vorenthalten kann. Allerdings
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
cken, der Verzicht auf das Lebensmittel führt zu Gesundheitsbeeinträchtigungen. Außerdem sind Aussagen über Dauer und Ausmaß der Gewichtsabnahme verboten 187 sowie Angaben, die auf Einzelempfehlungen von Vertretern der Heilberufe beruhen und nicht zu den in den spezifisch gemeinschaftsrechtlichen bzw. nationalen Regelungen aufgeführten gehören. Die Werbung mit einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung ist auch im deutschen Recht untersagt, da § 12 Abs 1 Nr 6 LFGB Werbung mit Angst verbietet. Allerdings galt im deutschen Recht das Empfehlungsverbot gem § 12 Abs 1 Nr 2 LFGB bisher nur für krankheitsbezogene Aussagen und wird mit der Health Claims VO nunmehr auch auf gesundheitsbezogene Angaben erweitert. Angaben zur Verringerung eines Krankheitsrisikos sind gem Art 14 VO (EG) 1924/ 78 2006 erlaubt, wenn sie den allgemeinen Anforderungen des Kapitels II der VO entsprechen, in der Gemeinschaftsliste enthalten sind und die Erklärung aufgeführt wird, dass eine Krankheit durch verschiedene Risikofaktoren beeinflusst wird und daher Veränderungen eines dieser Faktoren nicht notwendigerweise zu positiven Effekten führen 188. In § 12 LFGB existiert ein umfassenderes Werbeverbot für krankheitsbezogene Angaben 189. Insofern enthält die Health Claims VO an dieser Stelle eine Lockerung des bisherigen Verbots im deutschen Recht 190. Aussagen zur Linderung und Beseitigung einer Krankheit sind nicht von der Verordnung umfasst und daher auch weiterhin im deutschen Recht untersagt. Angaben, die sich auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern beziehen fallen zwar in den Anwendungsbereich der Health Claims VO, allerdings enthält Art 14 VO 1924/2006 keine speziellen näheren Erläuterungen zu den Voraussetzungen (wie zB eine Definition des Begriffs „Kinder“) 191. 5. Sonderproblem: Marken, Handels- und Phantasiebezeichnungen
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Der Kopplungsansatz aus Art 1 Abs 3 und Art 10 Abs 3 VO 1924/2006, der für allgemeine gesundheitsbezogene Angaben gilt 192, findet auch für Markennamen bzw Geschäftsbezeichnungen, die eine unspezifische nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe (zB „Vitalis“, „Viva Vital“) enthalten, Anwendung. Die Verwendung dieser Bezeichnungen ist erlaubt, wenn ihr eine spezielle nach der Health Claims VO zulässige nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe beigefügt wird. Der Kopplungsansatz gilt ebenfalls für vage Werbeslogans oä Aussagen mit Gesundheitsbezug, die sich auf das allgemeine Wohlbefinden oder sonstige Verhaltensfunktionen beziehen (zB „hält jung“, „gesunde Vitamine naschen“) 193. Nach der Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers sollen derartige Angaben untersagt werden, weil sie für den Verbraucher nicht nachvollzieh-
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wurde vom EuGH auch das abstrakte Irreführungsverbot des Art 2 RL 2000/13/EG nicht angegriffen, so dass für abstrakte Irreführungsverbote des europäischen Sekundärrechts eine andere Bewertung gelten kann (so Sosnitza ZLR 2007, 423, 432). Damit sind zB Angaben gemeint wie „12 Kilo in 3 Wochen!“ Zu den möglichen Risiken bei der Verwendung derartiger Angaben vgl Bruggmann/ Hohmann ZLR 2007, 51, 58 ff. In § 11 LFGB ist außerdem geregelt, dass die Werbung für ein Lebensmittel nicht den
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Anschein eines Arzneimittels vermitteln darf. Wenig differenzierend ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des LG Berlin (Az 52 O 122/07 vom 3.1.2008). Vgl zu dieser Problematik auch Meyer WRP 2008, 596, 597 f. Zur näheren Erläuterung vgl Bruggmann/ Hohmann ZLR 2007, 51, 69 ff; Meisterernst/Haber WRP 2007, 363, 380. § 3 Rn 76. Vgl zu allgemeinen gesundheitsbezogenen Angaben auch § 3 Rn 76.
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§3
Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Neuregelungen
bar und nachprüfbar sind. Noch ungeklärt ist, ob die beizufügende spezifische Angabe einen inhaltlichen Bezug zur Marke bzw. Geschäftsbezeichnung oder der allgemeinen gesundheitsbezogenen Angabe aufweisen muss. In der deutschen Fassung der Health Claims VO findet man auf diese Frage keine Antwort. Die englische Fassung der VO spricht zwar von „related health claim“, aber ein Vorrang einzelner Sprachfassungen bei europäischen Rechtsakten existiert nicht 194. Zudem ist zu bedenken, dass die Schilderung allgemeiner Vorteile eines Lebensmittels eben inhaltlich nicht eindeutig ist und daher auch nicht genau auf eine zugelassene spezifische Aussage Bezug genommen werden kann 195. 6. Übergangsfristen Art 28 VO 1924/2006 enthält ausführliche Regelungen zu Übergangsfristen, verge- 80 bens sucht man jedoch nach einer Übergangsvorschrift, die die Werbung mit Aussagen zur Entwicklung und Gesundheit von Kindern regelt 196. In Art 28 Abs 1 VO (EG) 1924/ 2006 steht die Grundregel für die Lebensmittel, die bereits vor Geltung der VO in Verkehr gebracht wurden. Sie können bis zu ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum abverkauft werden, jedoch maximal bis zum 31.7.2009. Nährwertbezogene Angaben, die vor dem 1.1.2006 in zulässiger Weise verwendet wurden, können bis zum 19.1.2010 in eigener Verantwortung weiter benutzt werden. Auf eigene Verantwortung ist vor Geltung der Gemeinschaftsliste auch die Nutzung gesundheitsbezogener Angaben iSd Art 13 Abs 1 lit a VO (EG) 1924/2006 erlaubt. Eine großzügige Übergangsregelung wurde für Marken und Geschäftsbezeichnungen geschaffen. Soweit die Bezeichnung vor dem 1.1.2005 genutzt wurde, darf sie bis zum 19.1.2022 weiter verwendet werden.
III. Verhältnis zwischen Health Claims Verordnung und LFGB Auf der einen Seite sind in Deutschland die Vorgaben der Health Claims VO seit dem 81 1.7.2007 direkt anwendbar, auf der anderen Seite existiert parallel dazu das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung des § 12 LFGB, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass diese Norm auf Art 2 Abs 1 lit b Etikettierungs-Richtlinie 2000/13/EG beruht und daher auch als harmonisiert angesehen werden muss. Beide Regelungen sind grds gleichberechtigt anwendbar, so dass das Nichteingreifen der einen Vorschrift ein Verbot nach der anderen Regelung nicht ausschließt. Eine Ausnahme gilt allerdings für die nach der VO zulässigen Risikoreduzierungsangaben, die nach § 12 LFGB nicht zulässig sind. Sie können nach nationalem Recht nicht mehr unterbunden werden, da der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt und die VO im Verhältnis zur Etikettierungs-Richtlinie die speziellere Norm darstellt 197. Sosnitza spricht insofern für das Verhältnis von § 12 LFGB und Health Claims VO in Anlehnung an das Kartellrecht von einer „modifizierten
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Meisterernst/Haber WRP 2007, 363, 378. Ebenso Meisterernst/Haber WRP 2007, 363, 378; aA Epping/Greifeneder WRP 2006, 831, 834; Loosen ZLR 2006, 521, 527, die immer einen inhaltlichen Bezug fordern. Meisterernst/Haber (aaO) differenzieren zu Recht zwischen allgemeinen gesundheitsbezogenen Angaben für Lebensmittel und
196 197
derartigen Aussagen für einen speziellen Nährstoff. In letzterem Fall ist zu fordern, dass der allgemeinen Aussage eine spezifische, die sich auf den beworbenen Nährstoff bezieht, beigefügt wird. Weitere Ausführung hierzu bei Meyer 88. Sosnitza ZLR 2007, 423, 429.
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Kapitel 4 Heilmittelwerberecht
3. Teil
Schrankentheorie“ 198. Umfassende Klarstellung wird jedoch nur eine wirkliche Neufassung des § 12 LFGB ermöglichen. Meyer kritisiert deshalb nicht zu Unrecht, dass der bisher vorgesehene unklare Verweis auf die Health Claims VO in § 12 Abs 3 LFGB nF unzureichend ist, weil dadurch der konkrete Inhalt des § 12 LFGB für den Rechtsanwender nicht ersichtlich wird 199.
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Sosnitza ZLR 2007, 423, 433.
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Meyer WRP 2008, 596, 600.
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Teil 4 Rundfunkrecht und Presserecht
Kapitel 1 Rundfunkrecht Literatur Bauer/Ory Recht in Hörfunk und Fernsehen, Loseblatt Neuwied Dezember 2005; Bethge Grundrechtsschutz für die Medienpolizei? – Zur Grundrechtsträgerschaft der Landesmedienanstalten NJW 1995, 557; Bullinger Bedeutungsverlust der Pressefreiheit? AfP-Sonderheft 2007, 21; ders Private Rundfunkfreiheit auf dem Weg zur Pressefreiheit – Über den Einfluss von Digitalisierung und Internet ZUM 2007, 337; Degenhart Duale Rundfunkordnung im Wandel AfP-Sonderheft 2007, 24; ders Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der „Digitalen Welt“ Heidelberg 2001; Di Fabio Medienfreiheit: Kontinuität und Wandel AfP-Sonderheft 2007, 3; Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten Drittes Strukturpapier zur Unterscheidung von Rundfunk und Mediendiensten, Stand 6.11.2003, www.alm.de/fileadmin/user_upload/3strukturpapier.pdf (abgerufen am 16.9.2007); DLM (Hrsg) Medienrelevante verwandte Märkte in der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle Berlin 2006; Dörr Vielfaltssicherung im bundesweiten Fernsehen AfP-Sonderheft 2007, 33; Engel Zuschaueranteile in der publizistischen Konzentrationskontrolle. Grenzwert oder bloß ein Indiz unter vielen? ZUM 2005, 776; Fiedler Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt Baden-Baden 2002; Flatau Neue Verbreitungsformen für Fernsehen und ihre rechtliche Einordnung: IPTV aus technischer Sicht ZUM 2007, 1; Gersdorf Grundzüge des Rundfunkrechts München 2003; ders Internet über Rundfunkfrequenzen – Vergabe digitaler terrestrischer Rundfunkübertragungskapazitäten an Anbieter von Nicht-Rundfunkdiensten, Berlin 2006; ders Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation Berlin 1995; Goldhammer Vielfalt lässt sich nicht verordnen, aber man kann sie zulassen München 2005; Hahn/Vesting (Hrsg) Rundfunkrecht Kommentar München 2003 (zit Hahn/Vesting/Bearbeiter); Herrmann/Lausen Rundfunkrecht 2. Aufl München 2004; Hesse Rundfunkrecht 2. Aufl München 1998; Heselhaus/Nowak (Hrsg) Handbuch EU-Grundrechte München/Wien/Bern 2006 (zit Heselhaus/Nowak/Bearbeiter); Hochstein Teledienste, Mediendienste und Rundfunkbegriff – Anmerkungen zur praktischen Abgrenzung multimedialer Erscheinungsformen NJW 1997, 2977; HoffmannRiem Regulierung der dualen Rundfunkordnung – Grundfragen Baden-Baden 2000; ders Rundfunkordnung im Aufbruch vom Binnen- zum Außenpluralismus – Anmerkungen zum Entwurf eines schleswig-holsteinischen Landesrundfunkgesetzes MP 1984, 613; Kleist/Scheuer Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen MMR 2006, 127; dies Neue Regelungen für audiovisuelle Mediendienste MMR 2006, 206; Koch Medienkonzentrationsrecht in Deutschland – sind wir auf dem richtigen Weg? AfP 2007, 305; Ladeur Zur Kooperation von staatlicher Regulierung und Selbstregulierung im Internet ZUM 1997, 372; ders Terrestrische Übertragungsformen für digitalen Fernseh- und Hörfunk (DVB-T und DAB-T) – Rechtsprobleme des Bitratenmanagements MMR 1999, 266; Lenski Personenbezogene Massenkommunikation als verfassungsrechtliches Problem Berlin 2007; Lerche Aspekte des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit AfP-Sonderheft 2007, 52; Mailänder Crossmediale Zusammenschlüsse – eine Herausforderung für die medienrechtliche Konzentrationskontrolle AfP 2007, 297; Neun Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Grenzen des Wachstums Berlin 2002; Nowosadtko Frequenzplanungsrecht – Nutzung terrestrischer Rundfunkfrequenzen durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Baden-Baden 1999; O2, T-Mobile und Vodafone, Gemeinsame Stellungnahme zum 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (Juli 2007); Ory Programmveranstalter sind Träger der subjektiven Rundfunkfreiheit ZUM 1998, 484; ders Freiheit der Massenkommunikation – Am Beispiel der Programmveranstalter im Kabelpilotprojekt Ludwigshafen Frankfurt/Bern/ New York 1987; ders Marktchancen und Meinungsfreiheit ZUM 1987, 427; ders Rundfunkgebühr zwischen Staatsfreiheit und Parlamentsvorbehalt AfP 1989, 616; ders Das Dilemma mit den Rund-
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
funkgebühren – oder: Prozeduraler Grundrechtsschutz ZUM 1994, 610; ders Differenzierte Regelungen für Rundfunk, Mediendienste und Teledienste, in: Roßnagel (Hrsg) Neuordnung des Medienrechts Baden-Baden 2005 (zit Ory in: Roßnagel); ders Impressum und Gegendarstellung bei Mediendiensten AfP 1998, 465; ders Rechtsfragen des Abonnementfernsehens ZUM 1988, 225; ders Internet-Radio: Lizenz für Private, Gebühr für Anstalten? AfP 1997, 845; ders Digitaler Hörfunk (DAB) – Eine Herausforderung für das Rundfunkrecht AfP 1994, 18; ders Kein Wettbewerb trotz Deregulierung – oder: was macht der Bitratenmanager? in: Bauer/Ory (Hrsg) Inhalt gestalten – Technik Nutzen, Beiträge zur Medienentwicklung im vereinten Deutschland, Festschrift für Claus Detjen, Berlin 1996 (zit Ory FS Detjen); ders Über die Ausübung der Rundfunktätigkeit ZUM 1986, 578; Ory/Schmittmann Freie Mitarbeiter in den Medien München 2002; Potthast Medienrechtliche Einordnung neuer Angebote über neue Übertragungswege ZUM 2007, 443; Ricker/Schiwy Rundfunkverfassungsrecht München 1997; Ring Medienrechtliche Einordnung neuer Angebote über neue Übertragungswege ZUM 2007, 433; Roßnagel (Hrsg) Recht der Multimediadienste, Kommentar, Loseblatt Stand 4/2005(zit Roßnagel/Bearbeiter); Roßnagel/Scheuer Das europäische Medienrecht MMR 2005, 271; Rupp „Dienende“ Grundrechte, „Bürgergesellschaft“, „Drittwirkung“ und „Soziale Interdependenz“ der Grundrechte JZ 2001, 271; Schütz/Attendorn/König Elektronische Kommunikation – Europarechtliche Vorgaben und ihre Umsetzung in Deutschland München 2003; Schulz/Held/Kops Perspektiven der Gewährleistung freier öffentlicher Kommunikation Baden-Baden 2002; Schwarz-Schilling „Pay-TV“ – und doch kein Rundfunk! ZUM 1989, 487; Schwarze Rundfunk und Fernsehen in der europäischen Gemeinschaft, in: Schwarze (Hrsg) Fernsehen ohne Grenzen Baden-Baden 1985; Schwendinger Gemeinschaftsrechtliche Grenzen öffentlicher Rundfunkfinanzierung Baden-Baden 2007; Sjurts Einfalt trotz Vielfalt in den Medienmärkten: Eine ökonomische Erklärung, in: Friedrichsen/Seufert (Hrsg) Effiziente Medienregulierung Baden-Baden 2004, 71; Verdenhalven Grenzenlose Expansion – Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter im Internet, in: BDZV, Zeitungen 2002, Berlin 2002, 258; Vesting Prozedurales Rundfunkrecht BadenBaden 1997; Weißenborn Der Zugang des Rundfunks zu seinen Frequenzen, IRIS plus, Ausgabe 2007-2; Wolff Folgt auf den dualen Rundfunk eine duale Presse? in: BDZV, Zeitungen 2007, Berlin 2007, 96.
Übersicht Rn § 1 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . I. Angrenzung zum Telekommunikationsrecht . . . . . . . . . . II. Angrenzung zur Pressefreiheit . III. Die Besonderheit des Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . 1. Die technische und finanzielle Sondersituation . . . . . . . 2. Die „Medium-und-Faktor“Rechtsprechung . . . . . . . 3. Die herausgehobene Bedeutung des Rundfunks . . . . . a) Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft . . . . b) Das Marktversagen . . . c) Entwicklung der Medienmärkte . . . . . . . . . . IV. Die positive Ordnung des Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . 1. Differenzierte Regelungen im Schutzbereich der Rundfunkordnung . . . . . . . . . . . 2. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers . . . . . . . .
1278
.
3–35
. .
7 8, 9
. 10–24 .
10
. 11, 12 . 13–24 . 15–18 . 19–22 . 23, 24 . 25–35
.
26
. 27–35
Rn a) Vorgaben für die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . b) Vorgaben für die Ausgestaltung des privaten Rundfunks c) Vorgaben für die Ausgestaltung neuer Marktbeteiligter § 2 Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . I. Der Rundfunkbegriff . . . . . . . 1. Rundfunkbegriff der Verfassung 2. Rundfunk im einfachen Mediengesetz . . . . . . . . . 3. Rundfunkdienst in der Telekommunikation . . . . . . . . II. Beispiele differenzierter Regelung im einfachen Gesetz . . . . . . . 1. Regelungen für Rundfunkangebote . . . . . . . . . . . a) Zulassung als Rundfunkveranstalter . . . . . . . . b) Besondere Regelungen für Programmkategorien . . . c) Sonstige vielfaltssichernde Regelungen . . . . . . . .
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28–31 32, 33 34, 35 36–75 40–44 41 42 43, 44 45–54 46–50 47, 48 49 50
Kapitel 1 Rundfunkrecht Rn 2. Regelungen für Telemedien . . a) Telemedien für persönliche oder familiäre Zwecke . . . b) Telemedien mit journalistischredaktionell gestalteten Angeboten . . . . . . . . . . c) Telemedien allgemein . . . III. Abgrenzung von Rundfunk und Telemedien . . . . . . . . 1. Auslegungsbedürftige gesetzliche Bestimmung . . . . . 2. Intensität der Beeinflussung als Abgrenzungskriterium . 3. Beispiele der Abgrenzung . . a) Passwortgeschütztes Intranet . . . . . . . . . b) Private Website . . . . . c) Website mit aktueller Berichterstattung (Wort, Bild, Video) . . . . . . . d) Webradios . . . . . . . § 3 Die Fortentwicklung des Rundfunkrechts – Einzelfragen . . . . . . . . I. Vielfaltssicherung durch Strukturvorgaben statt durch Auswahlentscheidungen . . . . . . 1. Bedarfsanmeldung und „Frequenzverwaltung“ der Länder . . . . . . . . . . .
Rn
51–54
2. Fehlendes Fachplanungsrecht für technische Infrastrukturen des Rundfunks . . . . . 3. Ungeklärte Bindungswirkung einer Bedarfsanmeldung . . 4. Schlussfolgerung für die Zukunft . . . . . . . . . . II. Regulierung des Plattformbetriebs . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Plattformbetreibers . . . . . . . . . . . 2. Belegungsvorgaben zur Vielfaltssicherung . . . . . . . III. Reform der Medienaufsicht . . § 4 Europäisches Rundfunkrecht . . . . I. Europäische Grundrechte . . . II. Primärrecht . . . . . . . . . . 1. Kulturelle Angelegenheiten . 2. Dienstleistungsfreiheit . . . 3. Niederlassungsfreiheit . . . 4. Wettbewerbsrecht . . . . . a) Rundfunkgebühr als gerechtfertigte Beihilfe . . b) Technikförderung und Beihilferecht . . . . . . III. Sekundärrecht . . . . . . . . . 1. TK-Richtlinienpaket . . . . 2. Richtlinie zu audiovisuellen Mediendiensten . . . . . .
52
53 54 55–75 56–59 60–63 64–75 66, 67 68
69–72 73–75 76–94
78–85
79, 80
81, 82 83 84, 85 86–90 87, 88 89, 90 91–94 95–118 96–99 100–109 101, 102 103 104 105–109 106–108 109 110–118 111–115 116–118
Das Rundfunkrecht ist vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 1 geprägt. Die Gesetzgebung hat einen durchaus erheblichen Spielraum, scheut sich jedoch oft, diesen zu nutzen. Denn auf die Betonung des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums erfolgt in Karlsruhe oft das Verdikt des Verfassungsverstoßes, im konkreten Fall gehe der Spielraum dann doch nicht so weit. Die Gebührenfestsetzung für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Jahr 2004 und das auf deren Verfassungsbeschwerden hin ergangene zweite Gebührenurteil vom 11.9.2007 ist ein Beispiel hierfür 1. Das Rundfunkrecht wird in der Wahrnehmung der Akteure am Medienmarkt als hochgradig reguliert, wenig flexibel, den neuen technischen Möglichkeiten nicht gerecht werdend, komplex und föderal zersplittert wahrgenommen. Die Folge ist der Versuch, diesem Regelungsbereich zu entrinnen, was regelmäßig zu fruchtlosen Diskussionen um die Rundfunkdefinition führt. Die jüngste Entscheidung zur Rundfunkgebühr wird wohl eine neue Runde dieses Bemühens auslösen. Dieser Beitrag will einen Überblick über die Regelungsabsicht des Rundfunkrechts 2 geben, wie sie vom BVerfG vorgegeben ist. Die Notwendigkeit differenzierter Regelungen wird angesprochen. Die Digitalisierung des Rundfunks hat Fragen aufgeworfen, zu denen das bisherige Rundfunkrecht noch keine schlüssigen Konzepte vorweisen kann. Die nationale Rechtsordnung gerät unter den Druck europäischer Entwicklungen mit völlig andersartigem Verständnis von der Regelungsmaterie. Als Beitrag zu einem Handbuch will der Text nicht eine Zusammenfassung der Lehrbücher 2 des behandelten Rechtsgebietes sein. 1
BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457.
2
Gersdorf Grundzüge des Rundfunkrechts; Herrmann/Lausen; Hesse.
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1279
Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
§1 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 3
Die Rechtsprechung des BVerfG erfolgt vor dem Hintergrund eines Kommunikationsmodells 3, das die Meinungsbildung und Meinungsäußerung des Individuums, die Meinungsäußerung in der Gesellschaft, die Willensbildung im politischen Raum unter Einschluss der Parteien und so die Legitimation staatlicher Macht in der Demokratie umfasst. Die Möglichkeit des Einzelnen, sich eine Meinung zu bilden, die Aufteilung zwischen gesellschaftlicher Sphäre und staatlichem Bereich und die Mittlerrolle der politischen Parteien bei der Willensbildung des Volkes gehören zum Grundgerüst dieses Modells. Die Rundfunkfreiheit des Art 5 Abs 1 S 2 GG wird daher in ständiger Rechtsprechung als dienende Freiheit 4 verstanden. Im jüngsten Gebührenurteil heißt es unter Rückgriff auf eine feststehende Formel: „Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung“ 5. 4 Der Rundfunk hat in diesem Kommunikationsmodell eine herausragende Stellung, das Verfassungsgericht sieht ihn als das Leitmedium an, eine Formulierung die das BVerfG in der Entscheidung zur Kurzberichterstattung auf das Fernsehen anwendet.6 Die Besonderheit des Rundfunks wurde in der Rechtsprechung unterschiedlich begründet, was unten unter Rn 10 ff darzulegen sein wird. Wegen der besonderen Rolle des Rundfunks ist sicherzustellen, „dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet“ 7. Dabei handelt es sich um die Meinungen in der Gesellschaft, deren Bereich der Rundfunk zuzuordnen ist, weshalb schon entsprechend der Grundkonstellation des ersten Rundfunkurteils das BVerfG stets vorausgesetzt hat, dass der Staat weder unmittelbar noch mittelbar Einfluss auf den Rundfunk ausübt 8, was gemeinhin unter dem Stichpunkt der „Staatsfreiheit“ diskutiert wird. 5 Die Rundfunkfreiheit wird vom BVerfG als „dienende Freiheit“ stark institutionell gewichtet. Die daran geäußerte Kritik und die Vorschläge, eine einheitliche Medienfreiheit im Rahmen des Art 5 Abs 1 GG anzunehmen 9, sind vom Gericht nicht aufgegriffen worden. Gleichwohl versagt es sich einer auch subjektiven Interpretation der Rundfunkfreiheit nicht. So können sich private Anbieter ab der Antragstellung auf den Schutz der Rundfunkfreiheit berufen 10. In diesem Sinn strahlt die Rundfunkfreiheit als Schutz der öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstalter in andere Rechtsbereiche ein, bspw ist im Arbeitsrecht die Beschäftigung freier Mitarbeiter bei der Gestaltung des Programms wegen der inhaltlichen, auf die Vielfalt bezogenen Abwechslungsbedürfnisse der Programmveranstalter in besonderer Weise zulässig 11.
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6 7
Vgl Di Fabio AfP-Sonderheft 2007, 3. Zur Kritik Rupp JZ 2001, 271. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1, verweisend auf BVerfGE 57, 205, 319; BVerfGE 73, 118, 152; BVerfGE 107, 299, 332; BVerfGE 114, 371, 386 f. BVerfGE 97, 228, 257. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1, BVerfGE 57, 295, 319; BVerfGE 73, 118,
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152 f; BVerfGE 90, 60, 88; BVerfGE 114, 371, 387 ff. 8 BVerfGE 12, 205, 263. 9 Vgl zuletzt Lenski 29 ff. 10 BVerfGE 97, 298, 310 f; Ory ZUM 1998, 484. 11 BVerfGE 59, 231; zur darauf basierenden Rechtsprechung der Arbeitsgerichte für programmgestaltende Mitarbeiter vgl Ory/Schmittmann 13 ff.
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§1
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Die Bestimmung des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit 12 setzt eine Abgrenzung 6 zum Bereich der Telekommunikation (früher: des Fernmeldewesens) auf der einen und der Presse auf der andren Seite voraus. Beides ist nicht konfliktfrei.
I. Angrenzung zum Telekommunikationsrecht Der Bereich der Telekommunikation und des Rundfunks können mit den Argumen- 7 ten bereits der ersten Rundfunkentscheidung 13 in der Weise abgegrenzt werden, dass zum Telekommunikationsrecht die rein technischen Sachverhalte etwa der Frequenznutzung gehören, zum Rundfunkrecht die inhaltsbezogenen Aspekte des programmtragenden Signals gehören. Spätestens die Erkenntnis, dass ein Frequenzmanagement im Bereich des Telekommunikationsrechts Vorgaben für den Rundfunk in tatsächlicher Weise hervorbringt, so dass bestimmte Angebote mangels Frequenz nicht oder nur eingeschränkt möglich sind, zeigt den Konflikt zwischen beiden Rechtsgebieten auf. Da für die Telekommunikation der Bund nach Art 73 Abs 1 Nr 7 GG ausschließlich zuständig ist, für das Rundfunkrecht die Länder (Art 70 Abs 1 GG), führt diese Abgrenzungsfrage zu ganz praktischen Konsequenzen. Aus Sicht des Rundfunks hat das Rundfunkrecht Vorrang und die Telekommunikation eine dienende Funktion. Ein Beispiel aus diesem Problembereich ist unten unter Rn 64 ff abgehandelt.
II. Angrenzung zur Pressefreiheit Die Abgrenzung des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit auf der einen und der Presse- 8 freiheit auf der anderen Seite ist ebenso umstritten. So reklamieren zB Zeitungsverlage für ihre Online-Angebote den Schutz der Pressefreiheit, nicht der Rundfunkfreiheit 14, weil jene einen nur verkürzten Schutz biete. Im Hinblick auf die Eingangs geschilderte Betrachtungsweise, dass das Rundfunkrecht von besonders intensiver Regelungsdichte sei (oben Rn 1), ist dies nachvollziehbar. Jedoch sieht das BVerfG Kommunikationsformen, die Text und Ton miteinander kombinieren und auf neuartigen Verbreitungsformen und -wegen distribuiert werden, im Schutzbereich der Rundfunkfreiheit 15. Hinzuweisen ist an dieser Stelle im Vorgriff auf die Überlegungen unter Rn 26 ff darauf, dass die Frage des Anwendungsbereichs der Rundfunk- oder der Pressefreiheit noch nichts über die Zulässigkeit differenzierter Regelungen aussagt und damit eine Einordnung hier oder dort noch nichts über die praktischen Folgen des einfachen Gesetzes. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt die Rundfunkfreiheit für alle elektronisch 9 an die Allgemeinheit verbreiteten Informationen, die Pressefreiheit für alle in körperlicher Form an die Allgemeinheit verbreiteten Inhalt 16. Bei der Abgrenzung der Rundfunk- und Pressefreiheit auf verfassungsrechtlicher Ebene gibt es also keine „elektronische Presse“ als verfassungsrechtliche Exklave der Pressefreiheit im technischen Lebenssachverhalt des Rundfunks.
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Vgl hierzu zuletzt Lerche AfP-Sonderheft 2007, 52. BVerfGE 12, 205, 225 ff. Vgl Fiedler 28 ff. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR
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2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1 lit a. Zur Begründung Ory Freiheit der Massenkommunikation 168 f.
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III. Die Besonderheit des Rundfunks 1. Die technische und finanzielle Sondersituation
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Die derart abgegrenzte Rundfunkfreiheit hat für das BVerfG im Rahmen des von ihm zugrunde gelegten Kommunikationsmodells eine herausragende Bedeutung. 1961 war sie durch die „Sondersituation“ begründet: Eine große Zahl nach ihrer Tendenz, politischen Färbung oder weltanschaulichen Grundhaltung miteinander konkurrierender Programme werde sich nicht realisieren lassen und zwar sowohl aus technischen Gründen als auch mit Rücksicht auf den außergewöhnlich großen finanziellen Aufwand für die Veranstaltung von „Rundfunkdarbietungen“ 17. Der Hinweis auf die technischen Besonderheiten meinte die knappen Frequenzressourcen für die seinerzeit notwendigerweise terrestrische Ausstrahlung des Rundfunks. 2. Die „Medium-und-Faktor“-Rechtsprechung
Dieser Ansatz war – und ist es im Kern auch heute noch – durch die im Jahr 1961 noch sehr frischen Erfahrungen des Dritten Reichs geprägt. Das erste Rundfunkurteil beinhaltet recht ausführliche historische Bezugnahmen 18 und referiert auch für die Zeit vor 1933 „Versuche, politischen Einfluss auf die Programmgestaltung zu gewinnen“ 19. Dies und die seinerzeitigen Erfahrungen mit dem neuen „Massenmedium Rundfunk“ führten zur Aussage, der Rundfunk sei mehr als nur „Medium“ der öffentlichen Meinungsbildung, er sei ein „eminenter Faktor“ der öffentlichen Meinungsbildung 20. Diese Formulierung zog sich eine lange Zeit durch die Rechtsprechung und Literatur. Bereits 1961 im ersten Fernsehurteil war also die Besonderheit des Rundfunks doppelt 12 begründet, einmal mit der technischen und finanziellen Sondersituation, ein weiteres Mal mit der Rolle als modernes Massenkommunikationsmittel, durch das Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mit gebildet wird 21. In der folgenden rechtlichen Diskussion wurde ganz überwiegend auf die „Sondersituation“ Bezug genommen, denn diese war 1961 vom Gericht als die Besonderheit herausgestellt worden, durch die sich der Rundfunk von der Presse unterscheidet, während er im Hinblick auf die Rolle als Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung als „mindestens gleich bedeutsam“ mit der Presse angesehen wurde 22.
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3. Die herausgehobene Bedeutung des Rundfunks
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Bereits zwanzig Jahre später, in der dritten Rundfunkentscheidung, hat sich das Gericht von der „Sondersituation“ verabschiedet: Die Notwendigkeit besonderer Regelungen bestehe auch dann, wenn die durch die Knappheit der Sendefrequenzen und den hohen finanziellen Aufwand für die Veranstaltung von Rundfunkdarbietungen bedingte Sondersituation des Rundfunks im Zuge der modernen Entwicklung entfalle 23. Dies wird damit begründet, dass „gerade bei einem Medium von der Bedeutung des Rundfunks“ die Möglichkeit einer Konzentration von Meinungsmacht und die Gefahr des Missbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflussnahme auf die öffentliche Meinung ausgeschlossen werden müsse 24. Bereits hier ist eine Unterscheidung zur Presse argumentativ 17 18 19 20
BVerfGE 12, 205, 261. BVerfGE 12, 205, 230 ff. BVerfGE 12, 205, 235. BVerfGE 12, 205, 260.
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BVerfGE 12, 205, 260. BVerfGE 12, 205, 60 f. BVerfGE 57, 295, 322. BVerfGE 57, 295, 323.
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angelegt. Bei jener habe „die geschichtliche Entwicklung“ zu einem Gleichgewicht geführt, weshalb eine umfassende Information und Meinungsbildung durch die Presse grds sichergestellt sei, beim Rundfunk sei dies nicht sicher und wegen der Gefahr, dass einmal eingetretene Fehlentwicklungen – wenn überhaupt – nur bedingt und nur unter erheblichen Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden könnten, müsse es bei besonderen Vorkehrungen für den Rundfunk bleiben 25. Die jüngste Entscheidung des Jahres 2007 hat genau hierauf Bezug genommen und 14 nochmals betont, dass gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung der Rundfunkordnung nicht durch den Wegfall der durch die Knappheit von Sendefrequenzen bedingten Situation entbehrlich geworden sind, was sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert hat 26. a) Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft. Die besondere Bedeutung des Rundfunks hat für das BVerfG drei Elemente, die im Sinne einer Typologie, nicht einer Definition verwendet werden 27. Erstes Element ist die „Breitenwirkung“, die sich durch die Reichweite und die Möglichkeit der Beeinflussung großer Bevölkerungsteile ergibt. Hingewiesen wird auf den großen Anteil des Zeitbudgets, den Rezipienten täglich den audiovisuellen Massenmedien widmen. Ein knapper Hinweis auf eine Veröffentlichung zur Dauer des TV-Konsums genügt dem Gericht an dieser Stelle. Diese unter dem Begriff Reichweite zusammenzufassenden Argumente waren stets Anknüpfungspunkt des Rundfunkrechts und letztlich in der medienpolitischen Debatte um die Einführung des Privatfunks das maßgebliche Motiv.28 Ein weiteres Element für die Bedeutung des „Hör- und Fernsehfunks“ ist seine Aktualität, die Möglichkeit, Inhalte schnell, „sogar zeitgleich“ zu übertragen. Das ist wohl das schwächste Argument im vorliegenden Begründungszusammenhang, denn Schnelligkeit ist weder ein Alleinstellungsmerkmal der elektronischen Medien, noch verlieren nichtaktuelle Angebotsformen den Charakter der Rundfunkdarbietung. Drittes Element der Besonderheit des Rundfunks ist seine „Suggestivkraft“. Das ist „insbesondere“ der Anschein hoher Authentizität, die erreicht wird durch die Kombination der Kommunikationsformen Text und Ton. Beim „Fernsehfunk“ werden zusätzlich auch bewegte Bilder genannt. Das ist eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Akzentverschiebung 29. In der Diskussion um den Rundfunkbegriff tauchte bislang meist die „Suggestivkraft des Bildes“ 30 auf, bis hin zur Frage, wie suggestiv welche bildliche Darstellung sein mag.31 Das Gericht selbst hat früher 32 die Suggestivkraft ohne Erläuterung verwendet, den Begriff im Jahr 2005 auf „Hörfunk und Fernsehen“ bezogen.33 So
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28 29
BVerfGE 57, 295, 323 f. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1 lit a. Ory Freiheit der Massenkommunikation 191. Zutreffend bemerkt Degenhart, dass sich die Rundfunk-Rechtsprechung bislang am Fernsehen orientierte; Duale Rundfunkordnung
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im Wandel, AfP-Sonderheft 2007, 24, 25. Die jüngste Rechtsprechung überträgt dies bewusst auf andere mediale Erscheinungsformen jenseits des TV. Vgl Begründung zu § 2 MDStV, abgedr bei Bauer/Ory Nr 5.2, 3 f. Hochstein NJW 1997, 2977. BVerfGE 90, 60, 87. BVerfGE Entscheidung vom 26.10.2005 – 1 BvR 396/98, AfP 2006, 45 = ZUM 2006, 130.
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hat auch die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) 34 bei der Suggestivkraft auf die „Kombination von Bewegtbild und Ton“ verwiesen, vor allem bei der LiveBerichterstattung. Die DLM beruft sich darauf, dass Bilder und Bildfolgen manipulierbar seien und Bewegtbilder große dramaturgische Möglichkeiten hätten. Das Gericht weitet in der jüngsten Gebührenentscheidung den „Anwendungsbereich“ der Suggestivkraft deutlich aus, ein Bild ist nicht mehr notwendig. Damit rückt der gesamte Online-Bereich in das Blickfeld der Ausgestaltungsaufgabe des Rundfunkgesetzgebers.
19
b) Das Marktversagen. Die Mitglieder des Ersten Senates des BVerfG misstrauen dem Markt gründlich.35 Eine Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt gefährde das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt, schreiben sie in ihrer Entscheidung des Jahres 2007. Insbesondere wegen der Werbefinanzierung setzten sich „wirklichkeitsverzerrende Darstellungen“ durch.36 Begründet wird dies mit einer Analyse „in der medienökonomischen Literatur“, wobei „statt vieler“ zwei Zitate gebracht werden. Das Gericht bezieht sich zB auf eine Arbeit des Hans-Bredow-Instituts im Auftrag der ARD 37 zu der Frage, inwieweit bei neuen Kommunikationsdiensten, etwa im Internet, das kommerzielle Angebot ausreiche, um die freie öffentliche und individuelle Meinungsbildung zu sichern, oder ob es hierzu alternativer, nicht-kommerzieller Angebote bedürfe. Die Antwort an die ARD, im Internet reiche das privatwirtschaftliche Angebot nicht aus, wird auf den gesamte Rundfunk übertragen – dabei handelt es sich schon für das Internet um einen nicht unumstrittenen Befund angesichts der aktuellen Sorge von Verlagen und sonstigen Inhalteanbietern vor einem Übergewicht der vom Markt freigestellten Rundfunkanstalten.38 Die Aussage, dass die Werbefinanzierung zur Standardisierung des Angebots führe, 20 wird „statt vieler“ mit einer Fundstelle von Sjurts belegt.39 Unerwähnt bleibt an dieser Stelle ihr Fazit, in dem sie „derzeit“ eher von publizistischer Einfalt im deutschen Medienmarkt spricht, aber auch ausführt, dass bei genauerer Analyse nicht die Medienunternehmen als primärer Ansatzpunkt für eine Änderung geeignet sind, sondern die Anreize zur Vielfaltssicherung letztlich nur vom Rezipienten ausgehen können, weshalb die Erhöhung der Medienkompetenz notwendig sei.40 Während der Erste Senat 1981 den Blick noch auf die Presse und die dort ohne posi21 tive Ordnung geschaffene Vielfalt lenkte,41 fehlt ein solcher Hinweis in der aktuellen Urteilsbegründung. Und es fehlt die Erörterung, ob die bisherige Regulierung möglicherweise – zumindest zu einem großen Teil – selbst die Ursachen dafür gesetzt hat, dass Anbieter vor allem des Hörfunks mit begrenzter Programmzahl ökonomisch ihr Glück in Mainstream-Formaten suchen und nicht bei kleinen Zielgruppen.42 Die Argumentation des Gerichts gibt schließlich keine Antwort darauf, durch welche 22 gesetzgeberische Ausgestaltung des Rundfunks jene Zielgruppe, die die „wirklichkeitsverzerrenden“ Darstellungen, die das Gericht zum Anlass der Regulierung nimmt, ausschließlich konsumiert, mit vielfältigen Inhalten erreicht und in den gesellschaftlichen 34
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Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten www.alm.de/fileadmin/ user_upload/3strukturpapier.pdf 7. Zur früheren Rechtsprechung und der Lage zum Zeitpunkt des Entstehens des Privatfunks Ory ZUM 1987, 427. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1 lit b.
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Schulz/Held/Kops 107 ff. Verdenhalven BDZV, Zeitungen 2002, 258; Wolff BDZV, Zeitungen 2007, 96. Sjurts 71, 77 ff. Sjurts 84. BVerfGE 57, 295, 323. Goldhammer 111.
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Diskurs eingebunden wird – was ja der Ansatz ist für die zutreffende Schlussfolgerung von Sjurts, auf die Stärkung der Medienkompetenz komme es an. c) Entwicklung der Medienmärkte. Die Übertragung dieses „analogen“ Befundes in 23 die digitale Welt durch das BVerfG erfolgt im Wesentlichen durch den Satz der Begründung des jüngsten Gebührenurteils, dass nämlich diese „Wirkungsmöglichkeiten“ zusätzliches Gewicht dadurch gewönnen, dass die neuen Technologien eine Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Verbreitungsformen und -wege gebracht hätten und neuartige programmbezogene Dienstleistungen möglich wurden.43 Eigentlich hätte man ja erwartet, dass im Gegenteil die herausgehobene Bedeutung eines einzelnen Angebots des Rundfunks abnimmt, wenn eine Ausdifferenzierung des Angebots stattfindet – und damit der Anlass der Regulierung zurückgeht, früher hieß das „Außenpluralismus“.44 Insoweit bleibt die Feststellung des BVerfG, ein ausdifferenziertes Angebot mache Regulierung notwendig, ohne nähere Begründung. Warum eine „Ausdifferenzierung des Angebots“ eine Gefahr für die publizistische Vielfalt ist, erschließt sich nicht. Es werden die Digitalisierung und die „Entwicklung der Medienmärkte“ in einem 24 Abschnitt der Begründung der zweiten Gebührenentscheidung behandelt.45 Wenn es da um den „Konzentrationsdruck im Bereich privatwirtschaftlichen Rundfunks“ und um „internationale Finanzinvestoren“ geht, ist das bei Lichte gesehen eine Wiederholung des Vorwurfs des Marktversagens und nur sehr bedingt ein eigenständiges Argument. Zutreffend sind die Hinweise des Gerichts auf die Gefahr der Einflussnahmen von Telekommunikationsunternehmen als Betreiber von Plattformen für Rundfunkprogramme und auf die Bedeutung von Navigatoren und elektronischen Programmführern.
IV. Die positive Ordnung des Rundfunks Das BVerfG sieht also die Notwendigkeit, die Rundfunkfreiheit durch den Gesetzgeber 25 auszugestalten. Das Ergebnis ist die „positive Ordnung des Rundfunks“. Diese Ausgestaltung unterscheidet sich systematisch von der Grundrechtseinschränkung und ist insbesondere nicht an die Voraussetzung des Art 5 Abs 2 GG gebunden, darf im Ergebnis aber auch nicht zu einer Einschränkung der Rundfunkfreiheit führen 46. Die Ausgestaltung ist Aufgabe des Landesgesetzgebers, der einen beachtlichen Ausgestaltungsspielraum vorfindet. 1. Differenzierte Regelungen im Schutzbereich der Rundfunkordnung Schon im Hinblick auf den seinerzeit in Vorbereitung befindlichen Privatfunk hat das 26 BVerfG 1981 bei der Ausgestaltung der Rundfunkordnung Flexibilität angedeutet. Unter den die „Sondersituation“ prägenden Beschränkungen seien „andere Mittel erforderlich“ als in der Lage, in der eine solche Beschränkung nicht mehr besteht 47. Im Jahr 2007 greift die zweite Gebührenentscheidung des BVerfG darauf zurück und betont zugleich den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 48, der „Differenzierungen insbesondere 43
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BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1 lit a. Hoffmann-Riem MP 1984, 613. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1 lit c. Vgl Kloepfer § 3 Rn 85.
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BVerfGE 57, 295, 322. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 1, Bezug nehmend auf BVerfGE 12, 205, 262 f; BVerfGE 57, 205, 321 f, 325 f; BVerfGE 83, 238, 296, 315 f; BVerfGE 90, 60, 94; BVerfGE 114, 371, 387.
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nach der Regelungsart und Regelungsdichte“ vornehmen kann 49. Mit Blick auf die Wesentlichkeitslehre 50, wonach der Gesetzgeber die für die Freiheitsentfaltung wichtigen Regelungen selbst zu treffen hat, kann argumentiert werden, dass der Gesetzgeber die Ausgestaltung selbst vorzunehmen habe51, dies also nicht dem internen Recht der einzelnen Beteiligten überlassen könne. Die Gegenkonzeption verweist auf die Komplexität der Regelungsmaterie und propagiert Modelle der Selbststeuerung unter dem Stichwort „regulierte Selbstregulierung“ 52. Als drittes Element kommen Überlegungen des „prozeduralen Grundrechtsschutzes“ 53 hinzu, wenn Detailregelungen normativ nicht möglich sind, so dass gesetzlich ein Verfahren ausgeformt und bereitgestellt werden muss, das möglichst die Gewähr dafür bietet, dass die unterschiedlichen Rechtspositionen zum Ausgleich gebracht werden können – dieses Modell kommt bei der Gebührenfestsetzung in den prozeduralen Stufen der Bestimmung des Funktionsauftrags 54 der öffentlichenrechtlichen Rundfunkanstalten, der auf dieser Basis erstellten Bedarfsanmeldungen der Anstalten, der Nachprüfung durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) und der am Ende politischen Verantwortung des Landesgesetzgebers mit der nur eingeschränkten Abweichungsmöglichkeit zum Ausdruck 55. 2. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
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Die duale Ordnung eines Nebeneinanders von öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Rundfunk ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern das Ergebnis der politischen Ausschöpfung des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums. Dieses duale System ist Rechtswirklichkeit und als solche vom BVerfG akzeptiert. Das Nebeneinander nutze die durch die verschiedenartigen Strukturen der Veranstalter ermöglichten unterschiedlichen Programmorientierungen als Beitrag zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programmangebots 56. Dies gilt für das Gericht jedoch nur solange, als der Status quo zwischen den beiden Teilen der dualen Rundfunkordnung unverändert bleibt. Das ist im Ergebnis eine besondere Betonung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seines Schutzes durch das BVerfG.
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a) Vorgaben für die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im jüngsten Gebührenurteil des Jahres 2007 ist die „Grundversorgung“ als Hervorhebung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abhanden gekommen, jedenfalls als Begriff. Wer in der Einleitung zu den Ausführungen über das Nebeneinander öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter die von früher bekannten Argumente 57 liest, vermisst den Begriff, zumal es dann mit der alt bekannten „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ weiter geht.58 Das
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Kritik an der Tendenz zur „allgemeinen Medienordnung“, die die besondere Pressefreiheit erodiert, bei M. Bullinger AfP-Sonderheft 2007, 21, 22 f. Vgl BVerfGE 98, 218, 251. So Ricker/Schiwy B Rn 166. ZB Ladeur ZUM 1997, 372. Vgl Vesting. Vgl Degenhart. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C IV.
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BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2, Bezug nehmend auf BVerfGE 74, 297, 331 f; BVerfGE 114, 371, 387 f. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a.
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Gericht spricht durchgehend nur noch vom Funktionsauftrag, gelegentlich mit dem Adjektiv „klassisch“ versehen. Damit entledigt sich das Gericht der Diskussion, was zum Grundversorgungsauftrag gehört, was Zusatzfunktion ist, ob das eine den Anstalten, das andere den Privaten als Schwerpunkt zugeordnet sei, ob es für das eine einen Finanzgewährleistungsanspruch, für das andere die Möglichkeit der Zusatzfinanzierung gebe. Damit ist zwar das frühere literarische Bemühen um eine Differenzierung zwischen Angeboten innerhalb und jenseits der Grundversorgung überholt, aber immerhin die Auffassung bestätigt, dass sie als Rechtsbegriff wenig taugte.59 Das BVerfG stellt zuletzt in seiner jüngsten Entscheidung zur Rundfunkgebühr an das 29 Programmangebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten „normative Erwartungen“ 60, was gesetzliche Vorgaben an die Programminhalte meint. Neu in dieser Form ist der ausdrückliche Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber zur „fortwährenden Überprüfung“ 61, ob diese normativen Erwartungen erfüllt werden. Das hat das Gericht zwar nur im Kontext des Einflusses von Werbung und Sponsoring auf die Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten erwähnt. Zugleich hat es aber dem Gesetzgeber ausdrücklich aufgegeben, „Vorsorge dafür zu treffen“, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Funktion erfüllen kann. Letzteres versteht sich nicht als bloße Zulässigkeit, sondern als Verpflichtung zum Handeln. Programmbegrenzungen der Anstalten sind nach wie vor zulässig.62 Zulässig ist es 30 insbesondere, die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in abstrakter Weise festzulegen.63 Die Grenze dieser Ausgestaltung des Funktionsauftrags liefert das Gericht in seiner Entscheidung des Jahres 2007 mit: Die Bestimmung dessen, was die verfassungsrechtlich vorgegebene und gesetzlich näher umschriebene Funktion aus publizistischer Sicht erfordert, steht den Anstalten wegen der Programmfreiheit selbst zu. Das bedeutet nun nicht, dass der Gesetzgeber faktisch dann doch nichts unternehmen dürfe. Er muss sich vielmehr hüten, solche Vorgaben zu machen, nach denen die Anstalten nicht mehr von einer Freiheit Gebrauch machten, sondern ein vorgegebenes Programm zu vollziehen hätten. Auch wenn das Gericht hier auf seine frühere Rechtsprechung 64 verweist, wird es in der aktuellen Entscheidung ein Stück weit konkreter und vermeidet insbesondere den Begriff vom „strukturellen Dilemma“ 65 aus der ersten Gebührenentscheidung. Abstrakte Vorgaben, die den Rundfunkanstalten den Gebrauch der Programmfreiheit ermöglichen und nicht zum Vollzug eines vorgegebenen Programms führen, sind nämlich vielfältig denkbar. So ist es dem Rundfunkgesetzgeber bspw bei Online-Aktivitäten möglich, Grenzen des Funktionsauftrags entlang der herausgehobenen Bedeutung des Rundfunks zu ziehen. So erscheint es zulässig, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von zu umschreibenden Angebotstypen mit geringer Breitenwirkung auszuschließen. Man würde die zweite Gebührenentscheidung aus dem Jahr 2007 wohl falsch ver- 31 stehen, wenn man daraus ableiten wollte, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Auswirkungen innerhalb des dualen Systems nicht in den Blick nehmen dürfte. Der entgegenstehende Hinweis 66 findet sich in der Urteils-
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Ory AfP 1989, 616. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 121 (C I 2). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 127 (C I 3). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR
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2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 125 (C I 2 lit b). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 132 (C II 1 lit c). BVerfGE 90, 60, 95. Dazu Ory ZUM 1994, 610. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR
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begründung im Zusammenhang mit dem Verfahren der Gebührenfestsetzung, das aber gerade von der allgemeinen Ausgestaltung der Rundfunkordnung zu trennen ist. Maßgeblich ist im Rahmen der Ausgestaltungsaufgabe vielmehr die Sicht des Gerichts, dass das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk in der dualen Ordnung als solches einen Beitrag zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programmangebots bewirkt.67 Deshalb darf bei der Ausgestaltung des einen Teils auf die Auswirkungen auf den anderen Teils dieser dualen Ordnung Rücksicht genommen werden.
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b) Vorgaben für die Ausgestaltung des privaten Rundfunks. Die Vorgaben für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung wurden vom BVerfG wesentlich aus Anlass der Zulassung privater Anbieter entwickelt. Grundlegend ist aus Sicht der Anbieter privaten Rundfunks die Aussage aus der NRW-Entscheidung, dass die Zulassung der Privaten nicht zu solchen Konditionen erfolgen darf, die ihnen ihre Tätigkeit im Grunde unmöglich machen.68 Das Gericht lässt es auch in seinem jüngsten Gebührenurteil nach wie vor durchgehen, dass der Gesetzgeber seinen Spielraum dahingehend ausübt, bei den privaten Anbietern im Wesentlichen auf Marktprozesse zu vertrauen.69 Sie dürfen weiterhin weniger strengen Anforderungen unterliegen 70, solange es dem Anstaltsfunk gut geht. Die Differenzierungsmöglichkeiten des Gesetzgebers sind vom BVerfG im Bereich des 33 privaten Rundfunks vor allem bei neuartigen Angeboten in der Digitalisierung nicht vorgegeben. Diese sind entlang den Kriterien der Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zu suchen, die die herausgehobene Bedeutung des Rundfunks ausmachen.71 Das greifbarste Abgrenzungskriterium für eine differenzierte Regelung in diesem Katalog ist die Breitenwirkung, also die tatsächliche Reichweite und die Nutzungsdauer. Der Weg des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages, den Online-Bereich nach tatsächlicher Nutzung zu differenzieren,72 ist damit unbedenklich – nur sollte man vielleicht im Gesetzestext den Begriff der „marktbeherrschenden Stellung“ 73 vermeiden, da das wirtschaftsrechtliche Bezüge anspricht, die mit der Argumentationsfigur der herausgehobenen Bedeutung des Rundfunks nichts zu tun haben.
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c) Vorgaben für die Ausgestaltung neuer Marktbeteiligter. Die Aufgabe des Gesetzgebers, die Rundfunkordnung auszugestalten, gilt für alle publizistischen Belange des Rundfunks im verfassungsrechtlichen Sinn. Ausdrücklich erwähnt das BVerfG in seiner zweiten Gebührenentscheidung im Jahr 2007 Navigatoren und elektronische Programmführer, die die Auswahlentscheidung der Rezipienten berühren 74. Damit unterstützt das Gericht die Position der Rundfunkanbieter gegenüber den Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen: Die Vielfalt berührenden Aspekte der Navigatoren und EPGs unterliegen der Ausgestaltung des Rundfunks, nicht der Regulierung durch das Telekommunikationsrecht.
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2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 193 (C V 2 lit d). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 120 (C I 2). BVerfGE 83, 238, 318. BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 121 (C I 2). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 122 (C I 2 lit a).
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BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 116 (C I 1 lit a). S die Regelung zum Anwendungsbereich der Plattformregulierung entsprechend angeschlossenen Wohneinheiten oder „Teilnehmern“ in § 52 Abs 1 RStV-E (Stand 30.8.2007). § 52 Abs 1 Nr 1 RStV-E (Stand 30.8.2007). BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 118 (C I 1 lit c).
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§2
Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber
Auch der an gleicher Stelle 75 folgende Hinweis auf Telekommunikationsunternehmen 35 als Betreiber von Plattformen für Rundfunkprogramme im Rahmen des Ausgestaltungsauftrags an den Gesetzgeber ist von erheblicher praktischer Bedeutung. In der Diskussion um den 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag unterstützt damit das Gericht die Position „der Rundfunker“, dass die auf den publizistischen Wettbewerb bezogene Plattformregulierung Sache des Rundfunkrechts ist 76 und telekommunikationsrechtliche Anforderungen 77 nicht genügen. Auch an dieser Stelle sind die Hinweise des BVerfG in seiner jüngsten Entscheidung knapp, sie können aber als Hinweis darauf verstanden werden, dass der Rundfunkgesetzgeber die Verzahnung zwischen dem Rundfunkrecht und dem Telekommunikationsrecht klarer regeln muss – die Bedarfsanmeldung von Rundfunkfrequenzen gegenüber der Bundesnetzagentur als Gegenstand des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages 78 ist ein Beispiel dafür. Der Rundfunkgesetzgeber muss erkennen, dass er einen Auftrag hat, das Gericht also nicht bloß zu seiner Regelungskompetenz Stellung genommen hat. Der Rundfunkgesetzgeber muss seine Kompetenz ausüben.
§2 Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber Die vorangestellten verfassungsrechtlichen Überlegungen, die durch die Rechtspre- 36 chung des BVerfG vorgezeichnet sind, gehen also von einem weiten Schutzbereich der Rundfunkfreiheit aus. Der Gesetzgeber hat einen Auftrag zur Ausgestaltung der Freiheit, indem er eine positive Ordnung schafft. Er hat die Möglichkeit, zwischen öffentlichrechtlichem und privatem Rundfunk, innerhalb des privaten Rundfunks und auch im Hinblick auf neue Marktbeteiligte wie Plattformbetreiber differenzierte Regelungen zu schaffen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Gesetzgeber auch per Verfassungsrecht verpflichtet, Differenzierungen vorzunehmen. Würde ein Anbieter eines elektronischen Angebots von nur geringer Einflussnahmemöglichkeit auf die öffentliche Meinungsbildung mit den Regulierungen, wie sie für beeinflussungsstarke Programme gelten, überzogen werden, würde das für den betroffenen Veranstalter die Grenze der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit überschreiten und zu einer Beschränkung führen, deren Zulässigkeit sich nach Art 5 Abs 2 GG zu richten hat. Das Differenzierungsgebot bezieht sich auf die unterschiedlichen Lebenssachverhalte, 37 die unter den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit fallen. Das sind im Sprachgebrauch des einfachen Gesetzes – des Rundfunkstaatsvertrages und der Mediengesetze der Länder – Rundfunk und Telemedien als Angebotsformen sowie Plattformen als für die Verwirklichung der Angebotsvielfalt relevante Erscheinungsformen. Die differenzierte Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit durch eine positive Ordnung 38 erfolgt durch die Länder. Sie haben hierzu den Rundfunkstaatsvertrag, die Landesmediengesetze und die gesetzlichen Grundlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – letztere auf Basis von Staatsverträgen und Landesgesetzen – geschaffen. Eine Sonderstellung nimmt die Deutsche Welle als Auslandsrundfunk ein, die an dieser Stelle der Voll75
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BVerfG Urteil vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 809/06, 830/06, AfP 2007, 457, C I 2 lit a (Fn 1), Rn 118 (C I 1 lit c). Vgl Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation eV (VPRT), Anmerkungen
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zum Entwurf des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages, Juli 2007. Vgl O2, T-Mobile und Vodafone. S die ansatzweise Regelung in § 51 Abs 1 RStV-E (Stand 30.8.2007).
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4. Teil
ständigkeit halber erwähnt ist, ohne dass die damit verbundenen Fragen des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit für diese Anstalt aufgegriffen werden sollen. Eine Darstellung der einzelnen Regelungen würde dem Charakter eines Beitrages für ein Handbuch nicht gerecht. Im Rahmen der Schwerpunktbildung dieser Darstellung sollen exemplarisch zwei Themenbereiche herausgehoben werden. Es geht darum, wie der Rundfunkgesetzgeber die ihm mögliche Differenzierung zwischen einzelnen Angebotsformen vorgenommen hat. Es geht schließlich um die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien auf der Ebene des einfachen Gesetzes, da dies für die Anwendung der unterschiedlich strukturierten Regelungen von zentraler Bedeutung ist. Klärungsbedürftig ist vorab der in diesem Zusammenhang benutzte Begriff „Rund39 funk“.
I. Der Rundfunkbegriff 40
Der Begriff „Rundfunk“ kommt in der rechtlichen Diskussion dreifach vor, was das Bemühen um begriffliche Klarheit auf der jeweiligen Ebene der Diskussion nicht fördert.79 Vor allem der Kampf um die „Rundfunkdefinition“ vermischt meistens die Ebene des Verfassungsrechts und des einfachen Gesetzes. Es ist zu differenzieren. 1. Rundfunkbegriff der Verfassung
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Der Begriff „Rundfunk“ in Art 5 Abs 1 GG bezieht sich auf die Rundfunkfreiheit – nur jener Begriff wird im Rahmen dieser Ausführung benutzt, wenn die verfassungsrechtliche Ebene gemeint ist.80 Wie dargelegt ist der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit sehr weit gefasst. 2. Rundfunk im einfachen Mediengesetz
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Unter den Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Begriffs fallen entsprechend der Begrifflichkeit des einfachen Mediengesetzes der „Rundfunk“ und die „Telemedien“. Der einfachgesetzliche Begriff „Rundfunk“ ist also deutlich enger als der verfassungsrechtliche Begriff in Art 5 Abs 1 GG. Die Argumente aus dem Schutzbereich der Rundfunkfreiheit können also nicht auf den Anwendungsbereich des Begriffs „Rundfunk“ der einfachen Gesetze übertragen werden. Auf die Aussagen im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Rundfunk und Telemedien bei Rn 55 ff wird verwiesen. 3. Rundfunkdienst in der Telekommunikation
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Der dritte Rundfunkbegriff taucht im Telekommunikationsrecht auf. §§ 57 Abs 1, 61 Abs 2 und 62 Abs 3 TKG sprechen vom „Rundfunkdienst“. Es geht um Frequenzzuteilungen für jene Bereiche, die im Frequenzbereichszuweisungsplan (§ 53 TKG) dem Rundfunk zugewiesen sind. Eine Definition enthält das TKG nicht. § 4 Nr 33 der Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung (FreqBZPV) definiert den Rundfunkdienst als „Funkdienst“, dessen Aussendungen zum unmittelbaren Empfang durch die Allge-
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Aktueller Stand bei Potthast ZUM 2007, 443. Vgl Gersdorf Der verfassungsrechtliche
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Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation.
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§2
Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber
meinheit bestimmt sind und der Tonsendungen, Fernsehsendungen oder andere Arten von Sendungen umfasst. Diese Begrifflichkeit orientiert sich am Sprachgebrauch der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) und ist sehr weitgehend, ähnelt dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff der Information durch elektronische Mittel – hier: Funk – an die Allgemeinheit. Bei der Anwendung der Frequenzvorschriften des TKG ist also der weite Begriff, wie er dem Anwendungsbereich der Rundfunkfreiheit zugrunde liegt, anzuwenden, die Frequenzvorschriften dürfen nicht verkürzt werden auf den Lebenssachverhalt „Rundfunk“ im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages oder der Landesmediengesetze der Länder. Dementsprechend finden sich an vielen anderen Stellen des TKG Hinweise auf 44 „Rundfunk und vergleichbare Telemedien“, ohne dass die Begriffe immer ganz einheitlich wären, wenn wiederum auf „Rundfunkveranstalter“ oder auf „Rundfunknetze“ abgestellt wird. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich in all diesen Fällen, in denen das TKG auf Rundfunk Bezug nimmt, um Lebenssachverhalte, die vom Schutz der Rundfunkfreiheit umfasst sind – nur so lässt sich die Abgrenzung zwischen Rundfunkfreiheit und Telekommunikationsrecht einschließlich der unterschiedlichen Zuweisung von Kompetenzen an Bund und Länder sachgerecht behandeln.
II. Beispiele differenzierter Regelung im einfachen Gesetz Die Differenzierung 81 der Anforderungen an die unterschiedlichen Angebotsformen, 45 die sich auf den Schutz der Rundfunkfreiheit berufen können, erfolgt durch eine Trennung zwischen Rundfunk und Telemedien auf der einen Seite sowie innerhalb der beiden Bereiche noch einmal durch Abschichtungen. 1. Regelungen für Rundfunkangebote Die Regulierung des Rundfunks erfolgt in zwei Schritten, nämlich einmal durch die 46 Zulassung als Veranstalter und auf der anderen Seite durch die Zuweisung von Übertragungskapazität zur Verbreitung eines Angebots. Diese Differenzierung hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet, ursprünglich war dies in einer „Lizenz“ zusammengefasst – ein Antragsteller wurde als Rundfunkveranstalter zugelassen und ihm im Radio zB eine ganz bestimmte UKW-Frequenz zugewiesen. Die Zulassung als Veranstalter und die Zuweisung von Kapazitäten, die aus der Nutzung einer Frequenz resultieren, folgen indes unterschiedlichen Regelungszielen. a) Zulassung als Rundfunkveranstalter. Die Zulassung als Rundfunkveranstalter hat 47 zur Folge, dass bestimmte als Rundfunk klassifizierte Angebote dargeboten werden können. Für das Fernsehen, zumal bundesweite TV-Angebote 82, gelten besondere Vorschriften. Zur Vielfaltssicherung gilt das „Zuschaueranteilsmodell“, wonach vorherrschende Meinungsmacht bei einem Rundfunkunternehmen vermutet wird, wenn ein Zuschaueranteil 83 von 30 % erreicht wird; 25 % reichen, wenn das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten eine Gleichstellung nahe legt (§ 26 Abs 2 RStV) 84. Eingebunden ist die 81 82 83
Vgl Ory in: Roßnagel 67. Vgl Dörr AfP-Sonderheft 2007, 33. Zum Problem s Engel ZUM 2005, 776.
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Zum Streit bei der Auslegung dieser Norm vgl Mailänder AfP 2007, 297; Koch AfP 2007, 305; DLM.
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Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), ein Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt (§ 35 Abs 2 RStV), was jedenfalls dem Grundsatz nach durch den 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag nicht tangiert werden wird. Soweit aufgrund der normierten Schwellen vielfaltssichernde Maßnahmen notwendig 48 werden, ist unabhängigen Dritten Sendezeit einzuräumen oder ein Programmbeirat zu errichten (§§ 30–32 RStV). Auf diese Weise sollen durch die Zulassung und die Struktur von Programmveranstaltern Vielfalt hergestellt werden.
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b) Besondere Regelungen für Programmkategorien. Unterschieden wird bei der Anwendung des Rundfunkrechts zwischen Vollprogrammen und Spartenprogrammen. Ein Vollprogramm hat vielfältige Inhalte mit Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung als wesentlichen Teil des Gesamtprogramms zu beinhalten. Ein Spartenprogramm darf im Wesentlichen gleiche Rundfunkinhalte transportieren (§ 2 Abs 2 RStV). Vollprogramme des Fernsehens haben nach § 6 Abs 3 weitere Verpflichtungen, etwa jene zur Berücksichtigung europäischer Eigenproduktionen. Auch die Pflicht zur Einplanung regionaler Fenster trifft die beiden bundesweit reichweitenstärksten TV-Vollprogramme (§ 25 RStV). Derartige, der Meinungsvielfalt in besonderer Weise verpflichteten Vollprogramme haben bei der Zuweisung von Übertragungskapazitäten allerdings einen Vorteil, etwa bei der Kabelbelegung (§ 52 Abs 4 Nr 1 RStV). Auf diese Weise will die abgestufte Regulierung auf der einen Seite Vielfalt bei bestimmten Angeboten erzeugen, ihnen dafür aber einen ökonomischen Vorteil bei der Frequenznutzung einräumen, was zugleich auch sicherstellt, dass beim Rezipienten diese der Vielfalt dienenden Programme verfügbar sind.
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c) Sonstige vielfaltssichernde Regelungen. Weitere, für Rundfunkanbieter geltende Normen sollen ebenfalls Vielfalt herstellen. Das Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung über Veranstaltungen und Ereignisse, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind, dient dazu, die Vielfalt bei der Berichterstattung nicht durch Exklusiv-Rechte von Ereignisveranstaltern einzuschränken, denn eine Monopolisierung der Berichterstattung über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung oder allgemeinem Interesse bei einem einzelnen Rundfunkveranstalter würde das Vielfaltsziel gefährden 85. Die Werbevorschriften über die Art der Platzierung und den Umfang der Werbung sollen die Einflussnahme auf die Programminhalte reduzieren. Gleiches gilt für Sponsor-Regelungen, die im nationalen Rechtsrahmen ohnehin nur deshalb gesondert neben der Werbung normiert sind, damit die Fiktion des „werbefreien“ Abendprogramms von ARD und ZDF aufrecht erhalten werden kann. 2. Regelungen für Telemedien
51
Telemedien sind anders als Angebote von Rundfunk im Sinne des einfachen Gesetzes zulassungs- und anmeldefrei. Die im Zusammenhang mit Rundfunkangeboten genannten Auflagen zur Vielfaltssicherung gelten für sie nicht. Gleichwohl differenziert das Medienrecht in § 54 ff RStV zwischen verschiedenen Arten von Telemedien, für die im Übrigen das Telemediengesetz (TMG) des Bundes weitere, vorwiegend zivilrechtliche Bestimmungen enthält. Im Rahmen des RStV sind die Telemedien, soweit sie nicht dem Rundfunk zugeordnet werden, dreigeteilt, was nachfolgend nur sehr kurz skizziert wird, da die Darstellung von Rechtsfragen der Online-Medien nicht zum Gegenstand dieses Beitrages gehört.
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BVerfGE 97, 228.
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Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber
a) Telemedien für persönliche oder familiäre Zwecke. Telemedien, die ausschließlich 52 persönlichen oder familiären Zwecken dienen, werden in § 55 Abs 1 S 1 RStV genannt. Für sie gelten nur minimale ordnungsrechtliche Anforderungen. b) Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten. Auf der anderen 53 Seite werden Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse im Text oder Bild wiedergegeben werden (§ 54 Abs 2 RStV), hervorgehoben. Für sie gilt bspw die Verpflichtung, eine Gegendarstellung zu transportieren (§ 56 RStV) 86, und besondere Impressumsverpflichtungen (§ 55 Abs 2 RStV). c) Telemedien allgemein. Für alle Telemedien gelten Mindestanforderungen für Wer- 54 bung und Sponsoring (§ 58 RStV).
III. Abgrenzung von Rundfunk und Telemedien Die differenzierte Ausgestaltung der Lebenssachverhalte, die sich auf die Rundfunk- 55 freiheit berufen können, erfolgt durch die medienrechtlichen Bestimmungen der Länder zwischen den hohen Anforderungen an die bundesweit marktführenden TV-Vollprogramme auf der einen Seite bis hin zu Mindestanforderungen an Telemedien für ausschließlich persönliche oder familiäre Zwecke. Die Hauptunterscheidung ist die Zulassungspflicht, die nur für Rundfunkangebote im einfachgesetzlichen Sinn gilt, während Telemedien einer Zulassung nicht bedürfen. 1. Auslegungsbedürftige gesetzliche Bestimmung Maßgeblich ist § 20 RStV, wonach entsprechend Abs 1 private Veranstalter einer 56 Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk bedürfen. Gem Abs 2 der Norm bedarf ein Anbieter eines elektronischen Informations- und Kommunikationsdienstes ebenfalls einer Zulassung, wenn dieser „dem Rundfunk zuzuordnen ist“. Der bekannt gewordene Entwurf eines 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages wird an § 20 RStV Änderungen vornehmen, nicht jedoch an der Grundaussage, wie sie zuvor zitiert ist. Damit stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen Rundfunk und ihm zuzuordnenden Diensten einerseits und Telemedien andererseits. Wie zuvor dargestellt, sind die materiellen medienrechtlichen Anforderungen an die eine oder die andere Kategorie recht unterschiedlich. Nach § 2 Abs 1 RStV ist Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstal- 57 tung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Dieser ein wenig antiquierte Rundfunkbegriff auf der Ebene des einfachen Gesetzes schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind. Die „Rundfunkdefinition“ ist gar keine, sondern Typus. Es werden Indizien genannt, keine subsumierbaren Begriffe. Nach § 2 Abs 1 RStV sind Telemedien alle elektronischen Informations- und 58 Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr 24 TKG sind, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, oder telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr 25 TKG oder Rund86
Zur weitgehend deckungsgleichen Vorläuferbestimmung s Ory AfP 1998, 465.
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funk nach § 2 Abs 1 S 1, 2 RStV sind. Kürzer: Telemedium ist alles, was nicht auf der einen Seite als Rundfunk zu § 20 RStV zu klassifizieren ist bzw auf der anderen Seite nicht bloß reine technische Kommunikation ist, sondern bei dem Inhalte vom Anbieter bereitgestellt werden. Damit ist aber nur die Abgrenzung zwischen Telemedien und Telekommunikationsdienstleistung halbwegs unproblematisch. Die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien innerhalb des RStV ist ungelöst. 59 Der Konflikt 87, wie er zwischen Rundfunk und „Mediendienst“ im Sinne des MDStV die Literatur bewegte, ist auch nach Inkrafttreten des 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrages weitgehend geblieben. Die Definition von Mediendienst und Rundfunk war früher beinahe deckungsgleich, beim Rundfunk kam lediglich die „Darbietung“ 88 hinzu. Zwar hat § 2 Abs 1 S 3 RStV die Definition und den Katalog, wie er für Mediendienste galt, nicht – bis auf den Hinweis, dass Fernseh- und Radiotext sowie Teleshopping-Kanäle Telemedien sind – übernommen, da dies entsprechend der Begründung als nicht mehr „zeitgemäß“ empfunden wurde. Da jedoch Telemedien nur negativ vom Rundfunk abgegrenzt werden, und da eine Konkretisierung des einfachgesetzlichen Begriffs von Rundfunk unterblieb, kann auf die bisher geführte Diskussion sehr weitgehend zurückgegriffen werden. Die zum Teil kasuistische Argumentation zu bestimmten technischen Details wie etwa zum „Abrufdienst“ ist indes überholt.89 2. Intensität der Beeinflussung als Abgrenzungskriterium
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Grundlage ist, dass sich ein Telemedium an die Allgemeinheit richtet, denn sonst wäre es Individualkommunikation außerhalb des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit. Damit hört das sichere Terrain aber auch schon auf. Es um die Differenzierung von Regelungen innerhalb des Schutzbereichs der Rund61 funkfreiheit, denn sowohl Rundfunk im Sinne des einfachen Gesetzes als auch Telemedien gehören verfassungsrechtlich zum Rundfunk, die Differenzierung im RStV dient der Differenzierung der materiellen Regelung.90 Da für die Regulierung bei der Ausgestaltung der verfassungsrechtlich verstandenen Rundfunkordnung die Suggestivkraft die grundlegende Begründung ist,91 liegt es nahe, an diesem Kriterium auch bei der Abgrenzung auf der Ebene des einfachen Gesetzes anzuknüpfen und Abschichtungen zu suchen. Weil es hier aber um eine Differenzierung innerhalb der Tatbestände, die dem Schutzbereich der Rundfunkfreiheit unterfallen, geht, ist nicht danach zu suchen, ob überhaupt eine Beeinflussungsmöglichkeit auf die öffentliche Meinungsbildung besteht – das ist bei an die Allgemeinheit gerichteten Informationen grds der Fall und daher Grund für das Ob der Regulierung; das gleiche Argument kann auf der nachgelagerten Ebene des Wie der Regulierung nicht noch einmal unverändert verwendet werden. Es geht an dieser Stelle vielmehr darum, die Grenze zu erfassen, ab welcher Intensität 62 von Beeinflussungsmöglichkeit eine Zulassung notwendig ist und in der Folge das striktere rundfunkrechtliche Regime zur Anwendung kommt, bis wohin also noch zulassungsfrei und im Wesentlichen mit geringen Ordnungsvorgaben elektronische Informationen öffentlich gemacht werden dürfen.
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Vgl Roßnagel/Meier § 2 MDStV Rn 21 ff; Hoeren/Sieber/Holznagel/Kiebele 5 zusammenfassend Rn 73. Zur Auslegung Hahn/Vesting/Schulz § 20 Rn 66 ff.
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Ring ZUM 2007, 433, 437. So für die Vorläuferregelung im RStV und MDStV Hoffmann-Riem 242. Rn 12 ff.
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§2
Umsetzung der Vorgaben des BVerfG durch den Gesetzgeber
Gerade die Regelung, dass journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien besonde- 63 ren Anforderungen unterliegen, macht deutlich, dass nicht jegliche redaktionelle Gestaltung im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Meinungsbildung zur Einordnung unter Rundfunk führen kann. Mit journalistisch-redaktionell gestalteten Telemedien ist auch die elektronische Presse gemeint, also durchaus breit gestaltete, professionelle und in der Ausrichtung im Einzelfall mit deutlicher Tendenz ausgestattete Angebote. Diese sollen nach dem klaren Willen des Gesetzgebers weiterhin Telemedien bleiben, das heißt außerhalb der zulassungspflichtigen besonders regulierten Veranstaltung von Rundfunk im Sinne des einfachen Gesetzes angeboten werden. Andererseits sind die Regeln des 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrages, der den MDStV abschaffte und die Mediendienste als Telemedien in RStV einfügte, vor dem Hintergrund von Erscheinungen wie bspw IPTV 92 zu sehen. Dies versteht sich als IP-basierter Vertriebsweg neben der terrestrischen Übertragung von Rundfunk und neben dem „Kabel- und Satellitenfernsehen“ als alternative Vertriebswege von Programmen, die im Sinne der üblichen Typologie „klassischer Rundfunk“ sind, unter Nutzung anderer Übertragungsstandards. 3. Beispiele der Abgrenzung Mit dieser Betrachtung ist man der Lösung des Abgrenzungsproblems indes keinen 64 Schritt näher. Das bisher bekannte Strukturpapier der Landesmedienanstalten zur Abgrenzung zwischen Rundfunk und Mediendiensten wird derzeit fortgeschrieben. Die Verwaltungspraxis der Landesmedienanstalten und die wohl zu erwartende Rechtsprechung hierzu wird letztendlich erst Klarheit schaffen. Eine generell-abstrakte Formulierung, die mit Rechtssicherheit handhabbar wäre, lässt sich angesichts der geltenden Gesetzeslage nicht finden – so sehr die Praxis darauf wartet. Nachfolgend soll das Problem an einzelnen Beispielen skizziert werden, um daran die 65 maßgeblichen Kriterien beschreibend zu erläutern. a) Passwortgeschütztes Intranet. Eine Webseite, die auf der Einstiegsseite bereits ein 66 Passwort verlangt, damit bspw Mitarbeiter einer Firma dort für sie hinterlegte Informationen abrufen können, ist noch nicht einmal ein Telemedium, es fehlt am Begriff der Allgemeinheit. Würde man das Beispiel variieren und es würde sich um ein entgeltpflichtiges Ange- 67 bot handeln, für das am Markt geworben wird, das also jeder abonnieren und dann konsumieren kann, wäre der Begriff der Allgemeinheit gegeben. Auf die Frage, ob die Inhalte verschlüsselt vorliegen, kommt es also in diesem Zusammenhang nicht an. Dies ähnelt der früher erörterten Frage, ob Pay-TV wegen der Verschlüsselung nicht an die Allgemeinheit gerichtet und daher kein Rundfunk 93 sei – eine Ansicht, die Mindermeinung blieb. b) Private Website. Jene Webseiten, in denen Private sich, ihr Haus, ihr Auto, ihr 68 Boot und den Hund vorstellen, sind zwar Telemedien, dienen aber regelmäßig einem höchst persönlichen Zweck, weshalb nach § 55 Abs 1 S 1 RStV nur Mindestanforderungen gelten. c) Website mit aktueller Berichterstattung (Wort, Bild, Video). Die Webseite einer 69 Tageszeitung, die ihre Texte und Fotos – durchaus medienspezifisch aufgemacht – ins 92 93
Flatau ZUM 2007, 1. So Schwarz-Schilling ZUM 1989, 487; aA Ory ZUM 1988, 225.
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
Netz stellt, ist ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten (§ 55 Abs 2 RStV), für das keine Rundfunkzulassung notwendig ist. Es gelten die besonderen Vorschriften bspw im Hinblick auf das Impressum und Gegendarstellungen. Die Tageszeitungen gehen mehr und mehr dazu über, zu den Nachrichten in Wort 70 und Foto auch abrufbare Filme, etwa von Nachrichtenagenturen, zu stellen. Würde man unter dem Stichwort „Suggestivkraft des Bildes“ einzig darauf abstellen, dass die mögliche Beeinflussung der Meinungsbildung nicht mehr nur durch lesbaren Text und stillstehende Fotos erfolgt, sondern durch bewegte Bilder, würde sich die Frage stellen, ob nur diese Bewegtbilder oder gleich das ganze Angebot als Rundfunk nach § 20 Abs 2 RStV einzustufen wäre. Der Lebenssachverhalt, wie er sich mit diesen anklickbaren Bewegtbildern üblicherweise darstellt, ist aber von der Wirkungsintensität und der Authentizität, wie das klassischerweise dem Rundfunk entspricht, soweit entfernt, dass nach der hier vertretenen Auffassung kein Unterschied zu dem oben abgehandelten Beispiel der elektronischen Presse ohne bewegte Bilder besteht. Eine Parallelwertung, die mehrere Prämissen setzen muss, würde zu einer Einordnung 71 als Rundfunk führen: Vorausgesetzt, die Tagesschau wird nicht mehr im klassischen Fernsehen gezeigt, sondern nur noch ins Netz gestellt; vorausgesetzt, das findet nicht im Sinne eines linearen Streams statt, sondern jeder Nutzer kann die Sendung ab 20 Uhr abrufen, wie das in sein persönliches Zeitbudget passt; vorausgesetzt, es würden dann immer noch genauso viele Menschen diese Form der Tagesschau sehen, wie derzeit im ARD-Hauptprogramm – dann wäre das von der Wirkungsmacht auf die öffentliche Meinungsbildung dem Rundfunk gleichzustellen. Auf die reine Möglichkeit des individuellen Abrufs der einzelnen Beiträge kommt es also nicht an, sondern maßgeblich ist die typisierende Gesamtbetrachtung. An derartigen Web-Angeboten, die neben Text, Grafik und Fotos auch einzelne Be72 richte in Form von Bewegtbildern abrufbar machen, werden die Landesanstalten die Abgrenzung von Rundfunk und Telemedien suchen. Zum Zeitpunkt der Formulierung dieses Berichts sind Fälle bekannt, in denen die Landesmedienanstalten der Auffassung sind, sobald 500 Zugriffe zeitgleich auf einen Beitrag mit Abrufvideos erfolgen können, sei Rundfunkrecht einschlägig. d) Webradios. Unklar ist in der Verwaltungspraxis die Situation bei Webradios.94 Damit sind Streams gemeint, die linear angeboten werden, bei denen sich also ein Nutzer „einschalten“ kann. Die GEMA hat in ihrem Lizenzshop 95 online eine ganz Liste von Anbietern, die in Deutschland für derartige Angebote von ihr lizenziert sind. Ein Vergleich mit den Informationen der Landesmedienanstalten, welche Angebote sie als Rundfunk lizenziert haben, zeigt, dass ein großer Teil dieser „Internetradios“ nicht als Rundfunkveranstalter zugelassen ist. Von den derzeit mit WLAN-Radios oder PCs aus dem Inund Ausland empfangbaren rund zehntausenden Webradios ist nur ein geringer Bruchteil als Rundfunkangebot zugelassen. Die entsprechenden Anbieter, die eine Zulassung als Rundfunkangebot begehren, verstehen dies zum Teil als „Qualitätssiegel“, zum anderen versprechen sie sich als zugelassene Rundfunkanbieter einen Vorsprung, wenn derartige Angebote aus dem Internet heraus auch auf andere digitale Plattformen etwa des terrestrischen Radios transportiert werden können. Eine einheitliche Rechtspraxis der Landesmedienanstalten, Webradio als Rundfunk 74 zuzulassen oder nicht zugelassene Angebote in Deutschland zu sanktionieren, gibt es
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Zur Entwicklung Ory AfP 1997, 845. www.gema.de/musiknutzer/senden/
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lizenzierte-webradios, abgerufen am 28.10.2007.
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§3
Die Fortentwicklung des Rundfunkrechts – Einzelfragen
nicht. Gleiches gilt für eine Vielzahl von originär im Kabel veranstalteten Audioangeboten, so die Sparten-Radios, die Kabelnetzbetreiber digital in großer Anzahl anbieten. So wirbt Kabel Deutschland 96 mit „45 digitalen Audiokanälen – garantiert ohne Moderation und Werbung“. Auch hierfür fehlt es an einer rundfunkrechtlichen Zulassung, ohne dass die Landesmedienanstalten dies vor dem Hintergrund des § 20 RStV angegriffen hätten. Widerspruchsfrei ist diese Vorgehensweise der Landesmedienanstalten indes nicht, 75 denn auf einen bestimmten Vertriebsweg kommt es als Voraussetzung für die Zulassungspflicht nicht an und viele für digitales Radio gesondert zugelassene Radioangebote haben nur einen Bruchteil der Verbreitung, die die bundesweit in digitalen Kabelpaketen verbreiteten speziellen Radioangebote haben.
§3 Die Fortentwicklung des Rundfunkrechts – Einzelfragen Das Rundfunkrecht erscheint gelegentlich als Melange zwischen tradierten, nicht mehr 76 weiter hinterfragten Positionen; die Rundfunkdefinition des § 2 Abs 1 RStV mag als Beleg gelten. Auf der anderen Seite wird am RStV und den Landesmediengesetzen ständig novelliert; zum Zeitpunkt der Formulierung dieses Beitrages ging der 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in die textliche Schlussphase, der 11. Rundfunkänderungsstaatsvertrag war bereits punktiert. An dieser Stelle sollen einige Problemfelder, die vor allem durch die Digitalisierung des Rundfunks und die damit beschleunigt einhergehenden Veränderungen hervorgerufen werden, skizziert werden. Bewusst ausgeklammert ist an dieser Stelle die dringend gebotene Klarstellung des 77 Funktionsauftrages 97 des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bei sich rasch entwickelnden elektronischen Medien ist die Frage zu klären, ob der Anstaltsbereich sich ebenso rasch in jede elektronische Nische bewegen soll oder nicht besser auf jene Bereiche konzentriert bleibt, die besonders publizistisch relevant sind und daher einer Vielfaltssicherung in besonderer Weise bedürfen.
I. Vielfaltssicherung durch Strukturvorgaben statt durch Auswahlentscheidungen Die Digitalisierung stellt das Rundfunkrecht vor Herausforderungen, denen das der- 78 zeitige einfachgesetzliche Instrumentarium noch nicht gewachsen ist. Waren bspw an einzelnen Orten einige wenige Radioangebote als Rundfunk zuzulassen, wird das durch die Digitalisierung deutlich anders – die Länder bereiten gegenwärtig Bedarfsanmeldungen bei der Bundesnetzagentur vor, wonach in einem ersten Schritt ab 2009 an jedem Ort Deutschlands 40 bis 50 Radioprogramme terrestrisch empfangbar sein sollen. Das stellt die Frage, ob der bisherige rundfunkrechtliche Ansatz, durch die Auswahl geeigneter Angebote und inhaltliche Vorgaben die Vielfalt zu sichern, zukünftig noch geeignet ist, um das regulatorische Ziel zu erreichen. Das Rundfunkrecht könnte in anderer Weise
96
www.kabeldeutschland.de/wunsch-fernsehen/ abo_home.html, abgerufen am 28.10.2007.
97
Vgl Neun.
Stephan Ory
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
Vorgaben machen, um das Vielfaltsziel zu erreichen, das durch eine Auswahl unter einzelnen Angeboten nicht (mehr) zu organisieren ist. 1. Bedarfsanmeldung und „Frequenzverwaltung“ der Länder
79
Diese Überlegung führt in der Welt der digitalen terrestrischen Versorgung, die jedenfalls beim Hörfunk nach wie vor die wichtigste Verbreitungsart ist und beim digitalen Fernsehen als DVB-T sowie bei neuen Angeboten über DVB-H eine wichtige Rolle spielte, und damit zum Verhältnis zwischen der Frequenzzuteilung durch die Bundesnetzagentur an einen Sendernetzbetreiber und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten innerhalb der Bundesländer, die so geschaffene Frequenzressource zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk aufzuteilen und im Bereich des privaten Rundfunks Auswahlentscheidungen vorzunehmen. Das bisherige Modell der Auswahlentscheidungen für die Nutzung vorhandener Frequenzressourcen ist nämlich „analog“. So war in der Vergangenheit bei UKW-Frequenzen deren Anzahl und das Verbreitungsgebiet weithin vorgegeben. Frequenz, Leistung und Standort waren aufgrund der 1984 auf der Genfer Wellenkonferenz vorgenommenen Planung kaum zu modifizieren. Eine „entdeckte“ UKW-Füllfrequenz wurde von der Bundesnetzagentur dem jeweiligen Bundesland zur Verfügung gestellt, das im Rahmen der gelegentlich so bezeichneten „Frequenzoberverwaltung“ 98 die Entscheidung zu treffen hatte, ob diese Frequenz im dualen Rundfunk dem öffentlich-rechtlichen oder dem privaten Teil zur Verfügung stehen sollte. Die Ausgestaltung ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, sie muss entsprechend der Klarstellung des BVerfG 99 staatsfrei erfolgen. Digitale terrestrische Übertragungsmöglichkeiten folgen jedoch anderen Gesetzmäßig80 keiten. Sie sind nicht in erster Linie abhängig von einzelnen Standorten und Frequenzen, sondern es handelt sich um Gleichkanalnetze, die für bestimmte Flächen geplant werden, so dass danach innerhalb der Flächen Standorte gesucht werden können. Damit ist es notwendig, derartige Flächen für die terrestrische Versorgung zu definieren. Dies erfolgt über eine sog Bedarfsanmeldung der einzelnen Bundesländer gegenüber der Bundesnetzagentur. Die Bundesländer legen dabei fest, innerhalb welcher Fläche sie Bedarf für welche Art von Rundfunkdienst (im Sinne der Begrifflichkeit des TKG – oben Rn 35) haben. Die Bundesnetzagentur sucht die passende Frequenzressource und teilt sie einem Sendernetzbetreiber zu, der den vom Land mitgeteilten Bedarf zu erfüllen hat. Erst dann hat das jeweilige Land eine Frequenzressource, die zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Teil des dualen Rundfunks aufgeteilt werden kann. Im Gegensatz zur „analogen Welt“ wird die entscheidende Weichenstellung also vorverlegt auf die Bedarfsanmeldung eines Landes gegenüber dem Bund. Die Sicherstellung der Meinungsvielfalt setzt also Strukturentscheidungen des jeweiligen Bundeslandes voraus, die dann bei der Bundesnetzagentur angemeldet und von ihr im Rahmen des Vorrangs des Rundfunks in den für ihn vorgesehenen Frequenzbändern umgesetzt werden. Die Bedarfsanmeldung setzt eine medienpolitische Entscheidung voraus – beim Hörfunk bspw die Grundentscheidung, ob lokale und regionale Hörfunkmodelle verfolgt, also entsprechende Flächen als Bedarf für eine eigenständige Programmversorgung angemeldet werden. Auch die Frage, wie viele Programme im Bundesland gesendet werden sollen, ist in der digitalen Welt, die die Sondersituation der Frequenzknappheit hinter sich gelassen hat, vorab zu planen, bevor ein entsprechender Bedarf des Landes angemeldet wird. Dazu gibt es im 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag für bundesweite Bedarfe eine rudimentäre Regelung in § 51 98
Vgl Nowosadtko.
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99
BVerfGE 83, 238, 322 ff.
Stephan Ory
§3
Die Fortentwicklung des Rundfunkrechts – Einzelfragen
Abs 1 RStV-E, wonach die Länder darüber einstimmig entscheiden – wer und nach welchen Kriterien das sein mag, bleibt offen und damit dem politischen Tagesgeschäft zugänglich. In den einzelnen Landesmediengesetzen gibt es keine Regelung. 2. Fehlendes Fachplanungsrecht für technische Infrastrukturen des Rundfunks Notwendig wären Normen, nach welchem materiellen Recht die Planung vor einer 81 Bedarfsanmeldung eines Landes bei der Bundesnetzagentur vorzusehen ist, ob also bspw lokale Versorgungsgebiete zu berücksichtigen sind, ob die Ballungsräume eines Bundeslandes anders zu planen sind als die Fläche und wie viele Programme mindestens gewünscht sind. Erst aus dieser Planung kann eine Bedarfsanmeldung formuliert werden. Notwendig wäre eine Bestimmung, welche Landesstelle dies fachlich und zugleich staatsfrei im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung des BVerfG (oben Rn 62) vornimmt. Die Bedarfsanmeldungen für DVB-H erfolgten letztendlich durch eine Abstimmung 82 der Staatskanzleien der Länder, die festlegten, wie in der Fläche und mit welchen Schwerpunkten zukünftig Handy-TV zu empfangen sein soll. Die Bedarfsanmeldung für den Hörfunk in Umsetzung der Genfer Wellenkonferenz der ITU 100 des Jahres 2006 wird ebenfalls durch die Staatskanzleien nach der Vorbereitung in technischen Kommissionen der Landesmedienanstalten und der ARD und auf Basis von Interessensbekundungen der bestehenden Radioanbieter 101 erfolgen. Eine bewusste, rundfunkrechtlich an Kriterien der Vielfalt orientierte strukturelle Weichenstellung ist darin noch nicht zu erblicken. 3. Ungeklärte Bindungswirkung einer Bedarfsanmeldung Im Verhältnis des Bundes und der Länder ist zudem unklar, welchen Charakter eine 83 Bedarfsanmeldung eines Landes für Ressourcen hat. Nach Eckpunkten der Bundesnetzagentur 102 aus dem Jahr 2006 betreffend die Berücksichtigung von Nicht-Rundfunkdiensten in Frequenzbändern, die für Rundfunkdienste vorgesehen sind,103 stellt sich die Frage, in welchem Umfang sich die Bundesnetzagentur an Bedarfsanmeldungen gebunden sieht. Klar ist, dass die Bundesbehörde den Bedarf eines Landes vorrangig erfüllt. Würde aber ein Bundesland aus medienpolitischen, medienökonomisch fundierten Überlegungen zB ein Hörfunksystem vorsehen, das nicht alle theoretisch denkbaren Frequenzen (im ersten Schritt) als Bedarf anmeldet, könnte die Bundesnetzagentur die Auffassung vertreten, der angemeldete Bedarf des Landes sei befriedigt und, wenn weitere Sendernetzbetreiber um Frequenzen nachsuchen, könne unabhängig von einem Versorgungsbedarf des Landes der Zuschlag gewährt werden. Ob die Bundesnetzagentur hierzu befugt ist, ob also eine Bedarfsanmeldung eines Landes nur als Minimum der für Rundfunk zur Verfügung zu stellenden Frequenzen zu verstehen ist, über darüber hinaus die Bundesnetzagentur frei ist, Rundfunkfrequenzen auch an Dritte abzugeben, oder ob jede Frequenzzuteilung in einem Rundfunkband stets eine Bedarfsanmeldung eines Bundeslandes voraussetzt, ist nicht geklärt. 100
101
Zur rechtlichen Verknüpfung internationaler und nationaler Frequenzplanung für den Rundfunk s Weißenborn IRIS plus, Ausgabe 2007-2. Mainzer Erklärung zur Zukunft des digitalen Hörfunks in Deutschland vom 8.10.2007, www.privatfunk.de/thm/
102
103
TextThemen071008.html, abgerufen am 1.11.2007. Eckpunkte für die bedarfsgerechte Bereitstellung von Übertragungskapazitäten vom 11.1.2006, ABl 2006, 34. Zum Problemkreis Gersdorf Internet über Rundfunkfrequenzen.
Stephan Ory
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
Wenn man – in zutreffender Weise – das Medienrecht als vorgreiflich und das Telekommunikationsrecht als dienend betrachtet, müsste eine Frequenzzuteilung ohne den medienrechtlich definierten Bedarf unzulässig sein. 4. Schlussfolgerung für die Zukunft
84
Derzeit fehlt es sowohl an den medienrechtlichen Grundlagen für eine an Vielfaltsgesichtspunkten orientierte Bedarfsanmeldung als auch an einer genauen Bestimmung, inwieweit Bedarfsanmeldungen der Länder in Rundfunkbändern die Bundesnetzagentur binden. Diese Fragen stellten sich bislang in der analogen Welt des Frequenzmangels, in der das Medienrecht Vielfalt durch Auswahlentscheidungen sicherstellte, nicht. In einer Welt, in der aufgrund vielfach vorhandener digitaler Übertragungsmöglichkeiten die kommunikative Vielfalt durch strukturelle Weichenstellungen geschaffen wird, stellen sich andere, bislang nicht beantwortete Fragen. Das materielle Rundfunkrecht wird die Herausforderungen der Digitalisierung nicht 85 meistern, wenn es an der Auswahl verschiedener Anbieter für die Nutzung von Übertragungsressourcen ansetzt. Etwa beim terrestrischen digitalen Radio mit 40 bis 60 Sendeplätzen an jedem Ort, davon ein Drittel für lokale terrestrische Programme, geht es nicht mehr um die Frage, wer einen Platz nutzen darf – es geht darum, ob Frequenz-„Blöcke“ gefüllt werden können oder ob man sie erst gar nicht aufbaut. Vielfalt wird nicht durch Auswahl von Angeboten für knappe Ressourcen hergestellt, sondern durch die planvolle Bereitstellung dieser Ressourcen in der Weise, dass sich Vielfalt tatsächlich entwickeln kann. Immer noch am Beispiel des Hörfunks heißt das, dass Ressourcen für terrestrisches Radio auch im lokalen und regionalen Bereich vorhanden sein müssen, damit wirtschaftlich und publizistisch die elektronische Kommunikation auch die Nahräume und nicht nur nationale oder größere Märkte bedient. Das Ziel der Vielfaltssicherung durch eine positive Ordnung des Rundfunks ist unbestritten. Nur muss das Instrumentarium zukünftig sehr viel anders aussehen.
II. Regulierung des Plattformbetriebs 86
Bereits früher im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Hörfunks durch das System DAB war erkannt worden, dass Sendernetzbetreiber anders als im analogen Bereich, wo ein Programm auf einer Frequenz übertragen wurde, besondere Aufgaben erfüllen,104 indem sie verschiedene Programme und Dienste in einen Multiplex für eine größere Bandbreite bündeln. Es entstehen vielfältige medienrechtliche Fragen dadurch, dass ein Frequenzblock von mehreren Programmveranstaltern für mehrere Programme genutzt werden können. Zwischen dem Anbieter eines Programms und den reinen Sendernetzbetreiber schiebt sich ein Dritter, der in der früheren Diskussion „Bitratenmanager“105 genannt wurde, gelegentlich seiner Funktion nach als „Aggregator“ für Programme bezeichnet wird und in der aktuellen rundfunkrechtlichen Diskussion der „Plattformbetreiber“ 106 ist.
104 105
Vgl Ory AfP 1994, 18. Ory FS Detjen 221; Ladeur MMR 1999, 266.
1300
106
Zur aktuellen Anknüpfung durch das BVerfG s oben Rn 19.
Stephan Ory
§3
Die Fortentwicklung des Rundfunkrechts – Einzelfragen
1. Begriff des Plattformbetreibers Der Begriff ist schillernd, zumal er nicht nur für Frequenzblöcke terrestrischer Über- 87 tragungssysteme verwendet wird, sondern auch in Bezug auf Kabel- und Satellitenanbieter und auch für einzelne Internet-Angebote und dort gelegentlich als Synonym für „Portal“ steht. Die Definition in § 2 Nr 10 RStV-E definiert als Anbieter einer Plattform, wer auf digitalen Übertragungskapazitäten oder digitalen Datenströmen Rundfunk und vergleichbare Telemedien auch von Dritten mit dem Ziel zusammenfasst oder über die Auswahl für die Zusammenfassung entscheidet, diese Angebote als Gesamtangebot zugänglich zu machen. Plattformanbieter ist nach dieser Definition nicht, wer Rundfunk oder vergleichbare Telemedien ausschließlich vermarktet. Im Gegensatz zum Anbieter von Plattformen wird nun nach § 2 Abs 2 Nr 11 RStV-E als Rundfunkveranstalter definiert, wer ein Rundfunkprogramm unter eigener inhaltlicher Verantwortung anbietet. §§ 52 ff RStV-E gelten für Plattformen auf allen technischen Übertragungswegen, 88 jedoch mit Ausnahmen: Nicht erfasst sind Plattformen in offenen Netzen wie dem Internet, soweit sie über keine marktbeherrschende Stellung verfügen. Nicht erfasst sind drahtgebundene Plattformen mit in der Regel weniger als 10 000 angeschlossenen Wohneinheiten. Nicht erfasst sind drahtlose Plattformen mit in der Regel weniger als 25 000 „Teilnehmern“. Für diese Plattformen von geringer Bedeutung gelten Mindestanforderungen, nicht aber die Belegungsvorschriften des § 52b RStV-E. 2. Belegungsvorgaben zur Vielfaltssicherung Die Belegungsnorm des § 52b RStV-E ist von zentraler Bedeutung und offenbart zu- 89 gleich, dass die rundfunkrechtliche Diskussion die mit der Digitalisierung verbundenen Fragestellungen noch nicht systematisch befriedigend zu lösen vermag. Nach § 52b Abs 1 RStV-E gilt für Plattformen privater Anbieter mit Fernsehprogrammen eine bestimmte Belegungsregel, wonach zunächst Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dann private Fernsehprogramme mit Regionalfenstern und dann weitere Programme zu transportieren sind. Hierfür ist ein Drittel der Gesamtkapazität zur Verfügung zu stellen. Innerhalb eines weiteren Drittels der technischen Kapazität hat der Plattformbetreiber ein Auswahlermessen, muss aber zB ein vielfältiges Angebot an Vollprogrammen berücksichtigen. Erst im letzten Drittel der Kapazität trifft er die Entscheidung über die Belegung allein nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze. Für den Bereich des Hörfunks sieht § 52b Abs 2 RStV-E eine Must-Carry-Verpflichtung in einem Drittel der Kapazität nur für öffentlich-rechtliche Anbieter vor, während im zweiten Drittel der Kapazität ein vielfältiges Angebot unter Berücksichtigung der Interessen „der angeschlossenen Teilnehmer“ erstellt werden soll, während im letzten Drittel der Plattformbetreiber alleine entscheidet. Auffällig an diesem zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags als Entwurf (Stand 90 17.10.2007) vorliegenden Regelung sind mehrere Punkte. Zum einen sind die materiellen Unterschiede der Belegungsvorgabe für Hörfunk und Fernsehen nicht gerechtfertigt. Erklärbar sind die Unterschiede nur damit, dass der gesamte RStV im Grunde genommen immer ein TV-Staatsvertrag war und andere Mediengattungen, die unter Rundfunk fallen, nur punktuell berücksichtigt sind. Die starre Bezugnahme auf jeweils ein Drittel der Gesamtkapazität ist nicht nachvollziehbar, wenn etwa bei DMB oder DVB-T nur vier TV-Programme mit einer Plattform transportiert werden können. § 52b RStV-E ist hier in der Praxis letztlich nicht anwendbar. Und schließlich wird etwa bei DVB-H oder zukünftig auch bei lokalen/regionalen Plattformen für DAB+/DMB gelten, dass gemischt sowohl Hörfunk als auch Bewegtbildangebote (und damit wohl begrifflich „Fernsehen“)
Stephan Ory
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4. Teil
transportiert werden. Letzten Endes läuft es dann immer auf die Belegung entsprechend der für das Fernsehen geltenden Spezialnorm des § 52b Abs 1 RStV-E hinaus. Die Neuregelung übersieht, dass es sich um transparente Netze handelt, die für verschiedene Mediengattungen belegt und genutzt werden können. Bei DVB-T, DMB und den Planungen für DVB-H entsprach das bereits der Praxis, ohne dass die Diskussion um die Plattformregulierung des RStV dies aufgenommen hätte. Notwendig sind rundfunkrechtliche Regelungen, die Vielfalt mehrdimensional verstehen: Zum einen als eine Vielfalt unterschiedlicher Mediengattungen, die auf einzelnen Plattformen zu berücksichtigen sind. Dann geht es um die inhaltliche Vielfalt der einzelnen Angebote. Auch bei der Plattformregulierung gibt das Rundfunkrecht noch keine ausreichenden Antworten auf jene Fragen, die die Digitalisierung aufwirft.
III. Reform der Medienaufsicht 91
Das Stichwort der Bedarfsanmeldung der Bundesländer gegenüber der Bundesnetzagentur für terrestrische digitale Frequenzen und die Frage der Plattformregulierung zeigen, dass sich das Instrumentarium der Vielfaltssicherung durch das Rundfunkrecht ändert (oben Rn 68). Zwangsläufig führt das zu einem Blick auf die Aufsicht durch die Landesmedienanstalten. Mit ihren pluralistisch zusammengesetzten Gremien sind sie noch völlig auf die alte, „analoge“ Aufgabenstellung der Auswahlentscheidungen zwischen konkurrierenden Anbietern ausgerichtet, um Prognoseentscheidungen im Hinblick auf die sich demnach zukünftig einstellende Angebotsvielfalt zu treffen. Der 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag geht – in der Umsetzung einigermaßen halb92 herzig – ein Problem an, dass nämlich bundesweite Zulassungen und Zuweisungen notwendig sind. Soweit noch Auswahlentscheidungen zu treffen sind, sollen sie nach § 36 Abs 3 RStV-E von der Konferenz der Vorsitzenden der Gremien der einzelnen Landesmedienanstalten (GVK) getroffen werden. Ähnlich wie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) ist auch diese GVK dann ein Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt. Für Zulassungen und Zuweisungen auch innerhalb eines einzelnen Multiplexes lässt diese Regelung konkurrierende Zuständigkeiten einzelner Landesmedienanstalten für unterschiedliche Anbieter eines Multiplexes zu. In der Folge finden unterschiedliche Verfahrensrechte der einzelnen Landesmedienanstalten bis hin zu unterschiedlichen Landesverwaltungsverfahrensgesetzen bei ein und demselben Lebenssachverhalt Anwendung. Die staatsvertragliche Neuregelung gibt keine Antwort auf die Frage, wie länderüber93 greifende Kapazitätszuweisungen gehandhabt werden, die nicht gleich bundesweite Angebote betreffen. Würde bspw ein gemeinsamer Multiplex für Radioangebote im Rhein-Main-Gebiet zwischen Aschaffenburg, Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Mannheim eröffnet werden, wären die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz betroffen. Ein Rückgriff auf die für bundesweite Multiplexe geschaffenen neuen Normen des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages wäre nicht möglich; eine Klärung der Zuständigkeit für die Formulierung eines entsprechenden Bedarfs und die folgenden medienrechtlichen Entscheidungen erscheint aber umso notwendiger, als in der digitalen Welt die vom analogen terrestrischen Rundfunk bekannten Überreichweiten so nicht gegeben sind. Dass im zuvor beispielhaft erwähnten Gebiet die hessischen Radioprogramme auf analogen UKW-Frequenzen zum Teil weit in die Nachbarländer hineinstrahlen, bedurfte bislang keiner rundfunkrechtlichen Regelung. Da die Bedarfsanmeldung des Landes Hessen zukünftig nur das eigene Gebiet umfasst, wird die Bundesnetzagentur beim Zuschnitt des Versorgungsgebietes eben nur dieses Gebiet berücksichtigten und
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Stephan Ory
§4
Europäisches Rundfunkrecht
keine Überreichweiten in Nachbarländern vorsehen. Auch wenn zwischen Mainz und Wiesbaden auch digitale Signale nicht mitten im Rhein enden, ist der Overspill nicht so großräumig wie bei vielen leistungsstarken UKW-Sendern. Ein koordiniertes Vorgehen von Bundesländern für Angebote in Kommunikations- und Wirtschaftsräumen über Landesgrenzen hinaus wird daher bei der terrestrischen Rundfunkübertragung notwendig sein. Auch bei anderen Übertragungssystemen kann die Planung des länderübergreifenden Angebots sinnvoll sein. Dies gilt auch für die zwischenstaatlichen Angebote wie etwa die Diskussion um ein Versorgungsgebiet für DVB-T in Lothringen, Luxemburg und dem Saarland belegt. Ein Instrumentatrium dafür besteht nicht. Ebenso wie das materielle Rundfunkrecht ist die Organisation der „Medienaufsicht“ 94 noch einigermaßen „analog“ und für die kommenden Aufgaben nicht gerüstet. Der für die Landesmedienanstalten in der Publizistik geläufige Begriff der Medienaufsicht zielt auf die Auswahl und Beaufsichtigung von Anbietern in einer Welt mit wenig Übertragungsmöglichkeiten. Wo aber Auswahl und Aufsicht – im Sinne einer Kontrolle der inneren Vielfalt einzelner Programme 107 – an Bedeutung verlieren, bedarf es anderer Strukturen der Verwaltung. Die oben (Rn 68) angesprochene geplante Bereitstellung von Infrastruktur für der Vielfalt verpflichtete Angebote verlangt nicht nur eine geänderte gesetzliche Grundlage, sondern auch andere Kenntnisse und Abläufe in den Landesmedienanstalten. Diese sind zukünftig weniger Medienpolizei 108 und mehr Medienstrukturplaner. Das verlangt ein neues Selbstverständnis der Verwaltung und der Gremien.
§4 Europäisches Rundfunkrecht Der Begriff „Europäisches Rundfunkrecht“ erscheint auf den ersten Blick als Wider- 95 spruch in sich, denn eine Kompetenznorm findet sich im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) nicht, der Vertrag über die Europäische Union (EUV) hat ohnehin eine andere Zielrichtung. Dennoch hat sich auf europäischer Ebene ein Medienrecht herausgebildet, da eine Vielzahl von Maßnahmen insbesondere der Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten erhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der Medien und damit auch des Rundfunks haben.109 Nicht erst seit der Diskussion um den Beihilfecharakter der Rundfunkgebühr (unten Rn 84) wird Klage geführt, die Rundfunkpolitik werde „in Brüssel“ gemacht – was stimmt, aber nicht zuletzt deshalb, da die in der rechtspolitischen Diskussion im Inland unterlegene Partei regelmäßig dazu neigt, über die „Brüsseler Bande zu spielen“. Und der Kommission kommen solche Hilferufe nicht ungelegen. Insgesamt wird der Auswirkung des europäischen Rechts auf den Rundfunk zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch bei diesem Aspekt will dieser Beitrag einen Überblick bieten und kann nicht in die Details der Themen vordringen.
107
108
Gegen eine individuell erzwingbare Pflicht zur Vielfalt eines Veranstalters Bullinger ZUM 2007, 337. Der Begriff ist literarisch erlaubt seit Bethge NJW 1995, 557.
109
Übersicht bei Roßnagel/Scheuer MMR 2005, 271.
Stephan Ory
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
I. Europäische Grundrechte Das europäische Recht beinhaltete in den Römischen Verträgen zunächst keine Grundrechte, wenn man einmal davon absieht, dass wesentliche Inhalte wie Diskriminierungsverbote durchaus auf Wertungen beruhen, wie sie in den nationalen Rechtsordnungen dem Grundrecht entsprechen. Die Entwicklung des Europarechts hin zur Grundrechtsbindung lässt sich an den „Solange“-Entscheidungen des BVerfG ablesen. „Solange I“ beinhaltete einen Vorbehalt der Kontrolle europäischer Rechtsakte durch das BVerfG, solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten war, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen Grundrechtskatalog enthalte, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist.110 „Solange II“ stellte fest, dass insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der 97 Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft generell gewährleistet und – solange das der Fall ist – das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleiteten Gemeinschaftsrechten nicht mehr ausüben wird.111 Die weitere Entwicklung der Grundrechte der EU wurde wesentlich geprägt durch 98 den Europäischen Rat von Köln am 4.6.1999, der das Mandat erteilte, eine Charta der Grundrechte zu erstellen. Beraten wurde im Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog. Die Proklamation der Grundrechtecharta (GRC) am 7.12.2000 schafft allerdings keine Rechtsverbindlichkeit. Es handelt sich vielmehr um ein Dokument, das die allgemein in der Europäischen Union akzeptierten Werte und Rechtsüberzeugungen zum Ausdruck bringt.112 Die Charta ging mit marginalen Änderungen ein in den Entwurf des in jener Fassung letztendlich politisch gescheiterten Vertrags über eine Verfassung (EVV) für Europa. Im Kapitel II unter der Überschrift „Freiheiten“ findet sich das Recht jeder Person auf freie Meinungsäußerung, welches die Meinungsfreiheit und die Freiheit einschließt, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Zugleich wird die Freiheit der Medien und ihre Pluralität geachtet (Art 11 GRC, Art II-71 EVV). Hinzuweisen ist auf die Regelung aus Kapitel 7 (Allgemeine Bestimmungen). Nach Art 52 Abs 3 GRC/Art II-111 Abs 3 EVV haben Rechte der Charta, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite wie im Konventionsrecht, können im Recht der Union indes einen weitergehenden Schutz gewähren. In den Blick gerät in Bezug auf die Rundfunkfreiheit also Art 11 Abs 2 GRC/Art II-71 Abs 2 EVV. Die genannte Bestimmung beinhaltet im Unterschied zu Art 10 Abs 1 EMRK eine 99 explizite selbstständige Garantie der Medienfreiheit, die erst im Laufe der Konventionsberatungen aus Sorge um die Absicherung der Meinungs- und Integrationsvielfalt und Pluralität angesichts einer verstärkten Medienkonzentration formuliert wurde. Gerade der Begriff „Pluralität“ sollte die Einigkeit des Konvents in der Auffassung deutlich machen, dass die Sicherung der Meinungsvielfalt überragende Bedeutung für die Demokratie hat.113 Insoweit basiert der europäische Grundrechtsgedanke auf einem Modell, das dem des BVerfG (oben Rn 2) stark ähnelt. Die Kommentierung weist zur Pluralismussicherung darauf hin, dass sie sich – neben der subjektiv-rechtlichen Ebene der Kommunikationsrechte – um einen objektiv-rechtlichen Schutz insbesondere der Rundfunk-
96
110 111
BVerfGE 37, 271. BVerfGE 73, 339.
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112 113
Heselhaus/Nowak/Nicolaysen § 1 Rn 70. Heselhaus/Nowak/Kühling § 24 Rn 6.
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§4
Europäisches Rundfunkrecht
und Pressefreiheit handelt und zusätzlich eine Grundlage in der Rezipientenfreiheit findet. Andererseits beeinträchtigt die Pluralismussicherung die Freiheit des Programmveranstalters, was zu einer Abwägung der grundrechtsinternen Kollision zwingt.114 Die sich anschließende Frage nach konkreten gesetzgeberischen Handlungspflichten zur Pluralismussicherung, zum gesetzgeberischen Ermessensspielraum und zu denkbaren Differenzierungen sind bei diesem konzeptionellen Ansatz den oben für die deutsche Rechtsordnung geschilderten Problemen recht ähnlich, auch wenn die Diskussion auf europäischer Ebene in einem komplexeren, weil gerade im Bereich der Medien durchaus unterschiedliche Rechtstraditionen berücksichtigenden Recht stattfindet.
II. Primärrecht Die europäischen Institutionen werden innerhalb der Grenzen der durch den Vertrag 100 zugewiesenen Befugnisse tätig, was allgemein (Art 5 EGV) und ausdrücklich noch einmal für die Organe der Gemeinschaft (Art 7 Abs 1 EGV) normiert ist. In den Verträgen als europäisches Primärrecht ist das Subsidiaritätsprinzip normiert, wonach die Gemeinschaft nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Basis ist das Prinzip der Einzelermächtigung, weshalb eine Auseinandersetzung mit einzelnen Kompetenznormen im Einzelfall notwendig erscheint. Wie erfindungsreich vorgegangen werden kann, zeigt die für die Medien wesentliche Diskussion um Werbeverbote wie etwa jenes für die Tabakwerbung.115 1. Kulturelle Angelegenheiten Für den Rundfunk beachtlich ist Art 151 EGV, der einen Auftrag zur Kulturförderung 101 auf europäischer Ebene beinhaltet. Begrifflich geht es um die „Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“. Hervorgehoben ist in Art 151 Abs 2 EGV der „audiovisuelle Bereich“, in dem die Gemeinschaft durch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und unterstützt sowie deren Tätigkeit im Bereich künstlerisches und literarisches Schaffen ergänzt. Eine Regelungskompetenz für den Rundfunk als ein Teil des audiovisuellen Bereichs 102 ist das nicht. Die Kommentierung formuliert, es handele sich um ein „Forum zur Förderung der Einzelkünste“, wobei der audiovisuelle Bereich neben Video und Film auch den Rundfunk einschließlich des Hörfunks umfasse. „Komplementäre Aktionen“ – ausdrücklich also keine harmonisierende Regulierung – der Gemeinschaft zu Gunsten der umfassend zu verstehenden Kunst im Bereich der audiovisuellen Medien seien denkbar etwa in Form eines „Sponsorship“ von Drehbüchern, Hörspielen, Autorenlesungen, musikalischen Wettbewerben, Filmfestivals und kulturell ausgerichteten Hörfunk- und Fernsehkanälen.116 Die wiedergegebene Kommentierung erscheint weitgehend, weil aus der Förderung der Künste in den Medien eine Finanzierung spezieller Kanäle der Medien oder einzelner Medienanbieter werden könnte. Die Norm wäre überdehnt angewendet, wenn sie als Grundlage bspw für einen europäischen TV-Kanal verwendet würde. 114 115
Heselhaus/Nowak/Kühling § 24 Rn 45. Vgl EuGH C-380/03, Deutschland gegen Parlament und Rat (Tabakwerbe-Richtlinie II), Slg. 2006, I-11573.
116
Calliess/Ruffert/Blanke Art 151 EGV Rn 11.
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Kapitel 1 Rundfunkrecht
4. Teil
2. Dienstleistungsfreiheit
103
Dienstleistungen iSd Art 49, 50 EGV sind grenzüberschreitende Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft sind unzulässig (Art 49 EGV). Der Rundfunk wird vom EuGH in ständiger Rechtssprechung der Dienstleistungsfreiheit zugeordnet.117 Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit etwa aus Gründen des ordre public sind nach Art 45, 46 Abs 1 EGV zulässig. Beschränkungen sind ferner aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig, sofern sie zur Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels geeignet sind und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Für den Bereich des Rundfunks sind die wesentlichen Fragen durch die bisherige Fernseh-Richtlinie, zukünftig durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (dazu Rn 92) ausgeformt. 3. Niederlassungsfreiheit
104
Für den Rundfunk ist ferner die Niederlassungsfreiheit des Art 43 EGV von Belang. Danach ist die Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zulässig. Das Verbot von Beschränkungen gilt auch für die Gründung von Niederlassungen und für Beteiligungen. Damit sind Gründungen von Beteiligungen an Rundfunkunternehmen innerhalb des Gemeinschaftsgebietes diskriminierungsfrei zulässig. Eine Ungleichbehandlung eines nationalen Rechts, die an einer Gesellschafterstruktur eines Rundfunkanbieters anknüpft, ist damit ausgeschlossen. 4. Wettbewerbsrecht
105
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist Art 87 EGV, in dem die Unzulässigkeit von Beihilfen dem Grundsatz nach normiert und die Möglichkeit von Ausnahmen geregelt ist.
106
a) Rundfunkgebühr als gerechtfertigte Beihilfe. Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland wurde vor dem Hintergrund dieser Vorschrift diskutiert. Dabei geht es um zwei Fragen: Handelt es sich überhaupt um eine Beihilfe im Sinne einer Zuwendung ohne marktgerechte Gegenleistung? 118 Dies wurde zum Teil verneint, schon wegen angeblich fehlender staatlicher Zurechenbarkeit der Finanzmittel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.119 Demgegenüber wird die konkrete Gebührenfinanzierung auch im Licht des „Protokolls über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedsstaaten“ zum EGV vom 1.5.1999 bejaht und eine Rechtfertigung dieser besonderen Beihilfe begründet.120 In ihrer einschlägigen Entscheidung vom 24.5.2007 hat die Europäische Kommission entschieden, dass es sich um eine Beihilfe handelt, die zumindest zum Teil nicht durch die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags durch die Anstalten gerechtfertigt ist, da es etwa bei Onlinediensten und digitalen Zusatzkanälen an einer ausreichend konkreten Auftragsdefinition für die Anstalten fehle und zudem auch rein kommerzielle Tätigkeiten verfolgt werden, bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese möglicherweise in den Genuss staatlicher Mittel kommen. Schließlich gewährleisteten die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht, dass der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewährte Ausgleich auf das für die Erfüllung des öffentlichen Auftrags erforderliche Maß beschränkt ist, dass die
117 118
Gersdorf Grundzüge des Rundfunkrechts Rn 538. Zum Beihilfebegriff Cremer § 87 Rn 9 ff.
1306
119 120
Cremer § 87 Rn 28. Schwendinger.
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§4
Europäisches Rundfunkrecht
kommerziellen Tätigkeiten der Anstalten nach marktkonformen Grundsätzen ausgeübt werden und dass insbesondere bei der Finanzierung der Sportübertragungsrechte die nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht unverhältnismäßig seien.121 Die Kommission hält nach Gesprächen mit den deutschen Behörden, insbesondere 107 also den Bundesländern, eine Reihe von Maßnahmen für geeignet, um die Vereinbarkeit der Rundfunkgebühr mit den Wettbewerbsvorschriften herzustellen. Dazu gehört die klare Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags hinsichtlich neuer Mediendienste. Gefordert ist, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein „hinreichend präzise definierter öffentlicher Auftrag förmlich übertragen wird“. Es müsse sichergestellt werden, „dass die Länder in letzter Instanz darüber befinden“, ob Vorschläge der Anstalten für neue Medienangebote vom öffentlichen Auftrag erfasst sind. Die Entscheidung beinhaltet eine Reihe anderer Vorgaben wie die getrennte Buchführung und das Verbot von Überkompensierung und Quersubventionierung kommerzieller Tätigkeiten sowie das Gebot marktkonformen Verhaltens im kommerziellen Bereich. Diese Auffassung der Kommission steht im Konflikt mit den Vorgaben des BVerfG im jüngsten Gebührenurteil 2007. Während das BVerfG die Anstalten insgesamt vom ökonomischen Markt abkoppeln will (Rn 16), will die Kommission die Anstalten in Teilbereichen zu marktkonformem Verhalten zwingen. Das BVerfG hingegen kennt in seiner Argumentation keinen eigenständigen kommerziellen Bereich der Anstalten, sondern fasst alle Aktivitäten unter den verfassungsrechtlich vorgegebenen, gesetzlich allenfalls umschreibbaren Funktionsauftrag. Demgegenüber verlangt die Kommission eine präzise Aufgabenzuweisung. Diesen Konflikt zu lösen ist Aufgabe des 11. Rundfunkänderungsstaatsvertrages, des- 108 sen Diskussion bereits begonnen hat. Das aktuelle Stichwort heißt „public value test“, dem neue Angebote der Anstalten unterzogen werden sollen. Die Versuche, die Deutungshoheit über diesen Begriff zu erlangen, sind in vollem Gange. Die Anstalten ihrerseits wollen sich auf ihre Rundfunkräte stützen, die als besonders kritische Instanz gegenüber neuen Aktivitäten der Leitungsebene bislang nicht eben aufgefallen sind. Die Länder ihrerseits fürchten angesichts des deutschen Verfassungsrechts eine präzise Umschreibung und setzen eher auf vermittelnde Verfahren, bei denen zB externe – wie etwa die privatrechtlichen Anbieter – zu neuen Angeboten gehört werden sollen. Auf jeden Fall sollten Zeiten, in denen neue Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Anstalten auch „ohne publizistische Relevanz“ möglich sind,122 der Vergangenheit angehören. b) Technikförderung und Beihilferecht. Das europäische Wettbewerbsrecht mit dem 109 grundsätzlichen Verbot von Beihilfen spielt auch in anderen Bereichen des Rundfunks eine Rolle. So hat die Kommission am 24.10.2007 entschieden, dass die Förderung von DVB-T in Nordrhein-Westfalen mit dem europäischen Beihilferecht unvereinbar sei. Es geht darum, dass ein Teil der Entgelte finanziert wird, die private Rundfunkanbieter für die Übertragung ihrer Programme über das terrestrische, digitale TV-Netz zu zahlen haben.123 Bereits am 9.11.2005 war die Kommission zum Ergebnis gekommen, dass Zuschüsse in Höhe von rund € 4 Mio, die privaten Rundfunkanbietern für die Nutzung des digitalen terrestrischen DVB-Sendernetzes in Berlin und Brandenburg gewährt wurden, gegen die Beihilfevorschrift des EG-Vertrages verstößt, da dies den Wettbewerb verfälschen könne.124 Begründet wird das damit, dass die Förderung des digitalen terres121 122 123
Europäische Kommission Entscheidung vom 24.4.2007, K(2007) 1761 endg, Rn 307. epd medien Nr 67 v 25.8.2007 S 13. Zit nach der Pressemitteilung IP/07/1587 der EU-Kommission vom 24.10.2007.
124
Zit nach der Pressemitteilung IP/05/1394 der EU-Kommission vom 9.11.2005.
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4. Teil
trischen Fernsehens kein angemessenes Mittel sei, um die besonderen Probleme im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu beheben. Die Förderung sei auch nicht erforderlich, um die Digitalisierung zu vollziehen. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Förderung eine Änderung im Verhalten der privaten Rundfunkanbieter bewirken würde („Anreizeffekt“). Schließlich sei der „Grundsatz der Technologieneutralität“ nicht befolgt und lediglich die Übertragung über die digitale terrestrische Plattform gefördert worden. Dies verfälsche den Wettbewerb zwischen verschiedenen Übertragungswegen (Terrestrik, Kabel und Satellit).
III. Sekundärrecht 110
Eine ganze Reihe von Vorschriften des europäischen Sekundärrechts hat Auswirkungen auf die Tätigkeit von Rundfunkanbietern in Deutschland. An dieser Stelle soll exemplarisch zwei Rechtsgebiete herausgegriffen werden. 1. TK-Richtlinienpaket
111
Das Recht der elektronischen Kommunikation ist durch ein Paket von fünf Harmonisierungsrichtlinien des Jahres 2002 geprägt, dem europarechtliche Schritte für die Marktöffnung vorangegangen waren. Es ging um die Änderung der recht dichten sektorspezifischen Regulierung nach der Marktöffnungsphase und ihre Überführung in eine bedarfsabhängige, sektorspezifische Regulierung in der Übergangsphase, um am Ende die allgemeine wettbewerbsrechtliche Regulierung greifen zu lassen. Das Richtlinienpaket beinhaltet den allgemeinen Rahmen unter anderem mit dem Procedere und den Kriterien für die Marktdefinition und -analyse, ferner die Genehmigungs-Richtlinie, die ZugangsRichtlinie, die Universaldienst-Richtlinie und die Datenschutz-Richtlinie.125 Die Vorschläge der Europäischen Kommission für die Fortentwicklung dieses Rechts112 rahmens („TK-Review“) werden zu einer weiteren Deregulierung und zugleich zu einer Verstärkung der auf der supranationaler Ebene angesiedelten Kompetenzen führen. Eine für den Bereich des Rundfunks ganz praktische Konsequenz wäre die Herausnahme des Marktes der Sendernetzbetreiber aus den von den nationalen Regulierungsbehörden (NRB) zu untersuchenden und für eine Vorabregulierung in Betracht zu ziehenden Märkten mit der Folge, dass die jetzige ex ante-Entgeltregulierung entfallen und allenfalls noch eine nachträgliche Missbrauchsaufsicht stattfinden würde.126 Angesichts des Umstandes, dass ein zugelassener Rundfunkveranstalter, dem Über113 tragungskapazität auf einer Frequenzressource medienrechtlich zugeteilt ist, keine Auswahl beim Sendernetzbetrieb hat, sondern den für dieselbe Frequenz ausgesuchten Sendernetzbetreiber als Vertragspartner akzeptieren muss, sind derartige europarechtliche Vorgaben von handfesten ökonomischen und in der Folge strukturellen Auswirkungen für die Rundfunkveranstalter und ihre tatsächliche Möglichkeit der Betätigung.127
125 126
Vgl die Darstellung bei Schütz/Attendorn/ König Rn 3. S die Veröffentlichung eines Entwurfs der BNetzA zur Marktdefinition und Marktanalyse im Bereich des Marktes Nr 18 (Rundfunk-Übertragungsdienste), ABl 2006, 294; Veröffentlichung der Anhörungsergeb-
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127
nisse ABl 2006, 1564; Veröffentlichung weiterer Entwürfe, ABl 2006, 3229; Veröffentlichung der Anhörungsergebnisse, ABl 2006,4030; Veröffentlichung der Regulierungsverfügungen im ABl 2007, 1356. Gutachten Ory AfP 98, 155.
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Europäisches Rundfunkrecht
Hinzuweisen ist ferner auf europäische Maßnahmen zur Frequenzharmonisierung mit 114 dem Ziel der nicht diskriminierungsfreien Frequenzzuteilung.128 Dieser bislang nicht harmonisierte Bereich steht zur Überprüfung an und es zeichnet sich ein Konflikt zwischen der europäischen Betrachtungsweise, die eher marktwirtschaftlich orientiert ist, auf der einen und der eher rundfunkrechtlich orientierten Betrachtungsweise aus Deutschland auf der anderen Seite ab. Ein Streitpunkt ist, ob die „digitale Dividende“ dem Rundfunkbereich oder anderen Nutzern zu Gute kommt. Der Kern des Konflikts lässt sich an der Frage festmachen, ob für Frequenzzuteilungen etwa im Wege der Versteigerung etwas zu zahlen ist oder nicht. Im Gegensatz zu den Mobilfunkfrequenzen bei UMTS werden Rundfunkfrequenzen in Deutschland nicht versteigert. Dahinter stehen unterschiedliche Begriffe von Effizienz bei der Frequenznutzung. Bei kommerziellen Angeboten außerhalb des Rundfunks spielte die Überlegung eine Rolle, dass die Ressource „Frequenz“ einen Marktwert hat, der über Versteigerungen ermittelt wird, und die Geschäftsidee verwirklicht werden soll, wie man die Frequenz in einem ökonomisch verstandenen Sinn am Effektivsten nutzt. Die Sichtweise des Rundfunkrechts ist eine andere und misst die Effektivität an der Herstellung der Meinungsvielfalt, die gerade nicht finanziell zu erfassen ist, im Gegenteil sind die Auflagen zur Vielfaltssicherung als Korrektiv zu den Marktkräften vorgesehen (zum Konzept des BVerfG oben Rn 16). Sowohl bei den Kriterien, nach denen Frequenzressourcen zugeteilt werden sollen, als 115 auch bei der Frage der Zuständigkeit – Bündelung auf europäischer Ebene oder unterschiedliche Behandlung im jeweiligen Mitgliedstaat – ergeben sich Konflikte mit der Rundfunkordnung, wie sie sich in Deutschland herausgebildet hat. 2. Richtlinie zu audiovisuellen Mediendiensten Die sog Revision der „Fernseh-Richtlinie“ war in der zurückliegenden Zeit ein 116 medienpolitisches Diskussionsthema.129 Die Fernseh-Richtlinie war 1989 nach langen Auseinandersetzungen 130 mit dem Ziel verabschiedet worden, Mindestanforderungen für nationale und grenzüberschreitende TV-Angebote zu normieren.131 Die Änderung der Richtlinie war nötig, um über den Oberbegriff des „audiovisuellen 117 Mediendienstes“ neue mediale Erscheinungsformen wie etwa Abrufdienste erfassen zu können. Dem Modell der abgestuften Regelungsdichte folgend sollen alle Angebote audiovisueller Inhalte gewissen Mindestanforderungen etwa im Hinblick auf den Jugendschutz und die Anbieterkennzeichnung unterworfen werden. Für lineare Dienste, insbesondere also das Fernsehen, gelten weiterhin detaillierte Bestimmungen etwa zur Werbung oder zur Kurzberichterstattung. Hierdurch soll insbesondere der jeweiligen Bedeutung von Angeboten für die öffentliche Meinungsbildung Rechnung getragen werden. Die Neuregelung beinhaltet Vorschriften für nicht-lineare „On-Demand-Dienste“. Es werden Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip und dem Grundsatz der freien Weiterverbreitung festgelegt. Künftig sind Maßnahmen gegen Anbieter solcher Dienste unter den erweiterten Voraussetzungen, wie sie bislang schon die Ecommerce-Richtlinie regelt, zulässig. So können die Mitgliedstaaten nun auch strengere nationale Rechte durchsetzen; engere Jugendschutzregelungen im deutschen Recht sind ein Beispiel dafür. Umstritten waren Werberegelungen und Product Placement. Durch die Ausweitung 118 der Anwendung der Richtlinie auf die audiovisuelle kommerzielle Kommunikation wer128 129
BeckTKG-Komm/Grusmann Einl B Rn 144 ff. Kleist/Scheuer 2006, 127 ff; Kleist/Scheuer MMR 2006, 206 ff.
130 131
Vgl etwa Schwarze in: Schwarze 11. Zum frühen Stadium des Entwurfs Ory ZUM 1986, 578.
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4. Teil
den künftig alle Anbieter entsprechender Inhalte grds den Anforderungen an die Werbung im weiteren Sinn unterworfen. Die Vorschriften für Werbeformen im Fernsehen werden abgeändert, so dass unter anderem das Blockwerbegebot für Sportprogramme aufgehoben wird. Product Placement ist – eingeschränkt – zulässig, in besonderen Programmen, wie etwa dem für Kinder, allerdings ausgeschlossen.
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Kapitel 2 Presserecht Literatur Bullinger Bedeutungsverlust der Pressefreiheit? AfP 2007, 21 (Sonderheft); Brüning Der Schutz der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht – Anmerkungen zum Urteil des BVerfG wistra 2007, 177; von Coelln Unterlassungsanspruch eines Straftäters gegen identifizierende Artikel jurisPR-ITR 8/2007 Anm 3 (online); Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg) Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 131. Aktualisierung, Heidelberg 2007 (zit Dolzer/Vogel/Graßhof/Bearbeiter); Fechner Entscheidungen zum Medienrecht, Stuttgart 2007; Gaede Neuere Ansätze zum Schutz der Pressefreiheit beim „Geheimnisverrat durch Journalisten“ AfP 2007, 410; Feldmann Berichterstattung über das Privatund Alltagsleben prominenter Personen jurisPR-ITR 8/2008 Anm 2 lit D (online); Gas Die Variantenlehre des BVerfG bei mehrdeutigen Äußerungen: Vereinheitlichung ja, Aufgabe nein! AfP 2006, 428; Gas/Körner Mit wahren Worten das Falsche sagen – zugleich Besprechung der Entscheidung des BVerfG – 1 BvR 1060/02 vom 24.5.2006 AfP 2007, 17; Helle „Variantenlehre“ und Mehrdeutigkeit der verletzenden Äußerung AfP 2006, 110; Hochhuth Kein Grundrecht auf üble Nachrede – Der Stolpe-Beschluss des BVerfG schützt das Personal der Demokratie NJW 2006, 189; ders Schatten über der Meinungsfreiheit – Der „Babycaust“-Beschluss des BVerfG bricht mit der „Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede“ NJW 2007, 192; Jutzi Durchsuchung und Beschlagnahme bei Presseunternehmen NJ 2007, 218; Mann Werbung auf CD-ROM-Produkten mit redaktionellem Inhalt NJW 1996, 1241; Musiol BVerfG Urteil vom 27.2.2007 – 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06 (Anmerkung) Beck-Online Fachdienst gewerblicher Rechtsschutz (FD-GewRS) 2007, 218348; Schmidt-De Caluwe Pressefreiheit und Beihilfe zum Geheimnisverrat i.S. des § 353b StGB – Der Fall „Cicero“ und die Entscheidung des BVerfG NVwZ 2007, 640; Seelmann-Eggebrecht Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit? AfP 2007, 86; Seitz/Schmidt/Schoener Der Gegendarstellungsanpruch, 3. Aufl München 1998; Seyfarth Der Einfluß des Verfassungsrechts auf zivilrechtliche Ehrschutzklagen NJW 1999, 1287; Starke Informantenschutz zwischen Pressefreiheit und staatlichem Strafverfolgungsinteresse AfP 2007, 91; Teubel Unterlassungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen und zweifelhaftem Wahrheitsgehalt – Kritische Anmerkung zu BVerfG, 1 BvR 1696/98 v. 25.10.2005 – „IM-Sekretär“ Stolpe AfP 2006, 20.
Übersicht Rn § 1 Presse und Presserecht im Wandel . I. Das Presserecht . . . . . . . II. Die Presse . . . . . . . . . . 1. Einfachgesetzlicher Pressebegriff . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtlicher Pressebegriff . . . . . . . III. Die Pressefreiheit . . . . . . 1. Träger der Pressefreiheit . 2. Inhalt der Pressefreiheit . 3. Öffentliche Aufgabe der Presse . . . . . . . . . . 4. Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung . . .
. . .
1–44 1–7 8–15
.
9–13
. . . .
14, 15 16–44 17 18–20
.
21–23
.
24–44
Rn a) Stärkung der Pressefreiheit durch „Cicero“ b) Schwächung der Pressefreiheit durch „Caroline“ . . . . . . . . . § 2 Grundlegende presserechtliche Ansprüche im Überblick . . . . . . . I. Unterlassung . . . . . . . . II. Gegendarstellung . . . . . . III. Widerruf . . . . . . . . . . IV. Zahlungsansprüche . . . . . § 3 Tatsachen und Meinungen . . . . I. Tatsachen . . . . . . . . . . 1. Wahre Tatsachen . . . . .
Sabine Boksanyi
.
25–34
.
35–44
. . . . . . . .
45–76 46–54 55–60 61–68 69–76 77–128 80–99 81, 82
1311
Kapitel 2 Presserecht
4. Teil Rn
2. Verschwiegene Tatsachen . . 3. Gerüchte . . . . . . . . . . 4. Fragen . . . . . . . . . . . 5. Zitate . . . . . . . . . . . 6. Innere Tatsachen . . . . . . 7. Beweislast . . . . . . . . . II. Meinungen . . . . . . . . . . 1. Schutz der Meinungsfreiheit 2. Schmähkritik . . . . . . . . 3. Politischer Meinungskampf III. Abgrenzungsproblematik . . . 1. Die „Terroristentochter“ . . 2. Die „Busenmacher-Witwe“ . 3. Das „Tätervolk“ . . . . . . § 4 Mehrdeutige Aussagen . . . . . . . I. Rechtliche Situation vor „Stolpe“ und „Babycaust“ . . II. Die Stolpe-Entscheidung . . . 1. Die Entscheidung . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . a) Keine Einschüchterungswirkung von Unterlassungsansprüchen . . . b) Bloße Verpflichtung zur Offenlegung von Recherche-Unsicherheiten . . . III. Die Babycaust-Entscheidung . 1. Die Entscheidung . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . IV. Übertragbarkeit auf Widerruf und Gegendarstellung . . . . .
83, 84 85–87 88–91 92–94 95, 96 97–99 100–110 100–102 103–107 108–110 111–128 113–120 121–123 124–128 129–159 129–131 132–143 132–137 138–143
139, 140
141–143 144–155 144–151 152–155 156–159
Rn § 5 Identifizierende Berichterstattung/ Namensnennung . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . II. Identifizierbarkeit . . . . . . . III. Namensnennung von Beteiligten am Wirtschaftsleben . . . . . IV. Vorfälle mit politischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . V. Namentliche Nennung von Straftätern . . . . . . . . . . VI. Zeitliche Grenze . . . . . . . VII. Löschungspflicht für OnlineArchive? . . . . . . . . . . . VIII. Sonderfall: RAF . . . . . . . . § 6 Verdachtsberichterstattung . . . . . I. Grundkonflikt . . . . . . . . II. Berichterstattungen über behördliche Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren . . . . . . . 1. Erstattung einer Strafanzeige 2. Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren . . . . . 3. Klageerhebung . . . . . . . 4. Erfolgte Verurteilung . . . . III. Berichte über selbstrecherchierte Sachverhalte . . . . . . . . . § 7 Aussagen Dritter . . . . . . . . . . I. Zueigenmachung und Distanzierung . . . . . . . . . . . . II. Interviews . . . . . . . . . . . III. Markt der Meinungen . . . .
160–186 160–163 164–167 168, 169 170–173 174–177 178, 179 180–182 183–186 187–208 187–189
190–202 191 192–200 201 202 203–208 209–222 209–217 218–220 221, 222
§1 Presse und Presserecht im Wandel I. Das Presserecht 1
Während bei den modernen Medien die rechtlichen Regelungen der technischen Entwicklung oft hinterherhinken, verfügt das Presserecht über eine lange Tradition.1 2 Ausgangspunkt des Presserechts ist die Garantie der Pressefreiheit gem Art 5 Abs 1 GG. Dort steht die Pressefreiheit gleichberechtigt neben den beiden weiteren Verfassungsgarantien der Rundfunk- und Filmfreiheit. Diese Freiheiten werden ergänzt durch die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie durch das Zensurverbot.2 Sie finden ihre Grenzen gem Art 5 Abs 2 GG in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz sowie dem Recht der persönlichen Ehre.3 3 Das hierauf aufbauende einfachgesetzliche Presserecht ist keine klar umrissene Materie. In der Regel wird zwischen einem weiten und einem engen Begriff des Presserechts unter1 2 3
Zur Geschichte des Presserechts Löffler/Ricker 4. Kap. Sachs/Bethge Art 5 GG Rn 16. Zur Schrankenregelung des Art 5 Abs 2
1312
Jarass/Pieroth Art 5 GG Rn 55 ff; zu den Schranken aus kollidierendem Verfassungsrecht, Art 5 Rn 65 ff.
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§1
Presse und Presserecht im Wandel
schieden. Zum Presserecht im weiten Sinne gehören alle Vorschriften, die im Bereich der Presse – aber eben nicht nur dort – eine Rolle spielen. Dies sind neben den Regeln des allgemeinen Zivil- und Strafrechts bspw auch Vorschriften aus dem Urheberrecht, dem Wettbewerbsrecht, dem Kartellrecht und dem Arbeitsrecht.4 So weitgehend soll der Begriff des Presserechts nachfolgend allerdings nicht verstanden werden. Das Presserecht im engen Sinne beschränkt sich auf diejenigen Regelungen, die sich unmittelbar auf die Presse beziehen und die Rechte und Pflichten der Presse unter Berücksichtigung ihrer öffentlichen Aufgabe regeln.5 In erster Linie sind dies die Landespressegesetze der einzelnen Bundesländer. Diese im Wesentlichen inhaltsgleichen Gesetze definieren die einzelnen Rechte und Pflichten der Presse. So gewähren sie der Presse zB ein gesetzliches Auskunftsrecht gegenüber Behörden, verpflichten sie aber auch zu journalistischer Sorgfalt und wahrheitsgemäßer Berichterstattung. Daneben enthalten die Landespressegesetze ordnungspolitische Grundpfeiler der Presse wie die Impressumspflicht und das redaktionelle Trennungsgebot bzw die Pflicht kommerzielle Anzeigen entsprechend zu kennzeichnen.6 Neben den Landespressegesetzen soll nachfolgend zum Presserecht im engen Sinne auch derjenige Rechtsbereich gerechnet werden, der sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Wege des case law in der deutschen und europäischen Rechtsprechung herausgebildet hat. Dieser Bereich umfasst einen bunten Strauß pressespezifischer Einzelfragen, die von der Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen von Personen aus dem Bereich der Zeitgeschichte über Fragen zulässiger Verdachtsberichterstattung bis hin zu den Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen im politischen Umfeld reichen. Eine umfassende Aufzählung der Fragenkomplexe ist an dieser Stelle nicht möglich. Wesentlich ist aber, dass es in der Rechtsprechung zum Presserecht immer wieder um die einzelfallbezogene Abwägung der Pressefreiheit und der öffentlichen Aufgabe der Presse einerseits mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Berichterstattung Betroffenen andererseits geht. Auch und vor allem dieses case law soll nachfolgend als Presserecht im engen Sinne untersucht werden. Das Presserecht ist somit nicht mehr und nicht weniger als das gesetzte und gesprochene Recht, das den Bereich der Presse regelt. Damit wird eine Definition der Presse erforderlich. Was umfasst der Begriff der „Presse“? War zu Zeiten der Zweigleisigkeit von Presse und Rundfunk eindeutig geklärt, dass es sich bei der Presse um die verkörperlichte, bei Rundfunk um die nicht-verkörperlichte Form der Kommunikation zum Zwecke der Information und Meinungsbildung der Allgemeinheit gehandelt hat, stellt sich die Frage zu Zeiten der elektronischen Medien neu.
4 5
6
7
II. Die Presse Ebenso wie für den Begriff den „Presserechts“ sucht man auch nach einer Legaldefini- 8 tion der „Presse“ vergeblich. Der Begriff der Presse wird in den einschlägigen Rechtsnormen als bekannt vorausgesetzt. Bei der Erforschung des Sinngehalts dieses Begriffs muss zwischen dem einfachgesetzlichen und dem verfassungsrechtlichen Pressebegriff unterschieden werden.
4 5
Löffler/Ricker Kap 1 Rn 1. Löffler/Ricker Kap 1 Rn 3.
6
Löffler/Bullinger Einl Rn 7.
Sabine Boksanyi
1313
Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
1. Einfachgesetzlicher Pressebegriff
9
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11
12
13
Der Pressebegriff in den Landespressegesetzen beschränkt sich auf Druckwerke. Die wichtigste Untergruppe sind dabei Zeitungen und Zeitschriften. Diese werden ihrerseits als periodische Druckwerke definiert, die in Abständen von maximal sechs Monaten erscheinen. Ein Teil der Regelungen in den Landespressegesetzen gilt ausschließlich für diese Gruppe. Druckwerke im übrigen sind nach der Definition der Landespressegesetze alle mittels eines Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung in der Öffentlichkeit bestimmten Schriften, bildlichen Darstellungen und Musikalien mit Text oder Erläuterungen. Hierzu zählen neben Büchern, Prospekten, Flugblättern und anderen klassischen Printprodukten nach weiter teleologischer Auslegung auch Veröffentlichungen auf CD-ROM und DVD.7 Der einfachgesetzliche Pressebegriff stellt damit nach wie vor auf die technische Seite der Herstellung und Verbreitung ab. Entscheidendes Kriterium ist die verkörperte Massenvervielfältigung.8 Nicht von diesem Pressebegriff umfasst sind damit alle köperlosen Verbreitungsformen wie Rundfunk und Fernsehen, aber auch die öffentliche Kommunikation im Internet.9 Hierfür gelten nicht die Landespressegesetze, sondern das Telemediengesetz und die Vorschriften für Telemedien im Rundfunkstaatsvertrag. Es erscheint fraglich, ob es heute noch zeitgemäß ist, jegliche Kommunikation im Internet vom einfachgesetzlichen Pressebegriff und damit vom Anwendungsbereich der Landespressegesetze auszunehmen. Für reine Anbieter von Produkten und Dienstleistungen im Internet ist dies sicherlich richtig, da insoweit keine klassischen, dh redaktionellen Presseleistungen erbracht werden. Demgegenüber ist es in Zeiten, in denen alle großen Verlagshäuser neben ihren Printpublikationen auch über umfassende Onlineauftritte und Onlinepublikationen verfügen, kaum verständlich, warum der identische redaktionelle Artikel unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen unterfällt, je nachdem, ob er in einer Zeitung abgedruckt oder im Internet veröffentlicht wird. Noch weniger nachvollziehbar ist es, den Artikel, der im Internet erscheint, erst gar nicht unter den Begriff der Presse fallen zu lassen, obwohl zweifellos auch er die öffentliche Aufgabe der Presse – die Information der Bevölkerung zum Zwecke der Meinungsbildung – wahrnimmt. Den Pressebegriff rein anhand des Trägermediums zu bestimmen und Internetpublikationen hiervon per se auszunehmen erscheint heute nicht mehr zeitgemäß. Den ersten Schritt in Richtung einer einheitlichen Regelung von Print- und Onlinepublikationen haben inzwischen zwei Bundesländer – das Saarland und Rheinland-Pfalz – vollzogen, indem sie ihre Landespressegesetze abgeschafft und durch übergreifende Mediengesetze ersetzt haben.10 Begrifflich gehen zwar auch diese Mediengesetze weiterhin von einem auf Printprodukte beschränkten Pressebegriff aus. Beide Gesetze stellen Regelungen, die sowohl für Printmedien als auch für Rundfunk und Onlinepublikationen gelten sollen, in einem allgemeinen Teil voran. Sodann unterscheiden sie zwischen Regelungen für die Presse einerseits und Regelungen für Rundfunk und Mediendienste andererseits. Immerhin führt dies aber dazu, dass sich zB die Gegendarstellung zu ein und demselben Artikel, der sowohl in einer Zeitung, als auch im Internet erschienen ist, nach denselben Vorschriften 7 8 9 10
Löffler/Ricker 1. Kap Rn 7 mwN; Mann NJW 1996, 1241, 1243. Löffler/Bullinger Einl Rn 13. Löffler/Ricker 1. Kap Rn 9. Saarländisches Mediengesetz (SMG) vom 27.2.2002 sowie Landesmediengesetz Rhein-
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land-Pfalz (LMG) vom 4.2.2005, in Kraft seit 1.4.2005; krit zu der Einbindung des Presserechts in allgemeine Mediengesetze: Bullinger Bedeutungsverlust der Pressefreiheit? AfP-Sonderheft 2007, 21.
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§1
Presse und Presserecht im Wandel
in demselben Gesetz richtet. Eine Erweiterung des Pressebegriffs auf Onlinemedien geht damit jedoch noch nicht einher. 2. Verfassungsrechtlicher Pressebegriff Von dem einfachgesetzlichen Pressebegriff, ist der verfassungsrechtliche Pressebegriff 14 zu unterscheiden. Auch hier ist die Einordnung der Onlinemedien umstritten und insbesondere die Abgrenzung zur Rundfunkfreiheit nicht letztgültig geklärt. Zwar wird der verfassungsrechtliche Pressebegriff bereits heute als „entwicklungsoffen“ und auch im Blick auf die neuen Medien „weit“ verstanden 11. Dies wird zutreffend damit begründet, dass die verfassungsrechtliche Garantie der Pressefreiheit darauf basiert, dass die Verbreitung von Tatsachenberichten und Meinungen gegenüber der Öffentlichkeit schutzwürdig ist, und zwar völlig unabhängig davon, ob die Verbreitung in gedruckten Schriften oder im Internet erfolgt.12 Die entsprechende Konsequenz, dass dann aber auch redaktionelle Online-Publikationen, die Tatsachenberichte und Meinungen verbreiten, ebenso wie Printprodukte, vom verfassungsrechtlichen Pressebegriff umfasst sein müssten, wird in der Literatur jedoch nur vereinzelt gezogen.13 Vielmehr wird in der Literatur auch für den verfassungsrechtlichen Pressebegriff überwiegend an einer Verkörperung festgehalten. Fehlt es an einer Materialisierung, wie bei Inhalten des Internets bzw „Online-Medien“, soll die Rundfunkfreiheit einschlägig sein,14 und zwar unabhängig davon, ob der Inhalt eventuell vom Nutzer ausgedruckt wird.15 Demgegenüber wird zum Teil auch bei Onlinemedien dann von Presse und nicht von Rundfunk ausgegangen, wenn es sich bei der Online-Veröffentlichung um ein reines Pressesurrogat handelt. Damit sind Fälle gemeint, in denen tatsächlich vorhandene, gedruckte Printprodukte auf elektronischem Wege lediglich verbreitet werden, die fernmeldetechnische Übertragung also allein die Zustellung an den Empfänger ersetzt. Dies ist jedoch dann nicht mehr der Fall, wenn es – wie im Falle von Newslettern – an einer körperlichen Vervielfältigung fehlt.16 „Presse“ im verfassungsrechtlichen Sinne ist letztlich all das, was von der Pressefrei- 15 heit gem Art 5 Abs 1 GG geschützt wird. Was aber genau schützt die Pressefreiheit gem Art 5 Abs 1 GG?
III. Die Pressefreiheit Wie bereits für die Begriffe des Presserechts und der Presse fehlt es auch für Inhalt 16 und Umfang der grundgesetzlich gewährleisteten Pressefreiheit an einer Legaldefinition. Insoweit hat allerdings das BVerfG durch mehrere grundlegende Entscheidungen klare Richtlinien gesetzt. 1. Träger der Pressefreiheit Träger des Grundrechts der Pressefreiheit sind alle Personen, Institutionen und Orga- 17 nisationen, die die – nachfolgend noch näher beschriebene – Aufgabe der Presse wahr11 12
Dreier/Schulze-Fielitz Art 5 I, II GG Rn 90; Sachs/Bethge Art 5 Rn 68. OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 385 (386) mit weiterem Verweis auf Jarass/Pieroth Art 5 GG Rn 25 und Maunz/Dürig/Herzog/ Herzog Art 5 GG Rn 130.
13 14 15 16
Fechner Medienrecht Rn 1065. Dreier/Schulze-Fielitz Art 5 I, II GG Rn 93. Degenhardt in Bonner Kommentar Art 5 I, II GG Rn 376. Degenhardt in Bonner Kommentar Art 5 I, II GG Rn 377.
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Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
nehmen. Hierunter fallen der Verleger und der Herausgeber eines Presseerzeugnisses ebenso wie der Redakteur, der Autor, der Informant, der Drucker und der Verbreiter des Presseprodukts.17 2. Inhalt der Pressefreiheit
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Die Pressefreiheit wird oft als Freiheit der jeweiligen Presseangehörigen missverstanden, ihre Meinung öffentlich und frei von staatlicher Beeinflussung zu äußern. Diese Äußerungsfreiheit ist jedoch bereits vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasst. Einer eigenen Garantie der Pressefreiheit bedürfte es hierfür nicht. Die Pressefreiheit ist insoweit auch kein Spezialgrundrecht für drucktechnisch verbreitete Meinungen und ebenso wenig eine auf die Presse gemünzte verstärkende Wiederholung der Meinungsfreiheit 18. Vielmehr bezieht sich die Pressefreiheit nach der Rechtsprechung des BVerfG auf die 19 die einzelne Meinungsäußerung übersteigende Bedeutung der Presse für die freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Es sollen vor allem die Voraussetzungen gewährleistet werden, die gegebenen sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozess erfüllen kann. Gemeint ist damit die Garantie der institutionellen Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung von Informationen bis zur Verbreitung von Nachrichten und Meinungen.19 Auf den Pressebetrieb übertragen bedeutet dies den Schutz des gesamten Pressewesens von der Recherche über die Redaktionsarbeit und das Anzeigengeschäft bis hin zum Pressevertrieb.20 Die Pressefreiheit schützt also all das, was nötig ist, damit die Presse ihre öffentliche 20 Aufgabe erfüllen kann. Worin genau aber liegt diese Aufgabe? 3. Öffentliche Aufgabe der Presse
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Das BVerfG sieht nach ständiger Rechtsprechung in der freien Presse ein unabdingbares Wesenselement der Demokratie. Der mündige Bürger soll politische Entscheidungen treffen können, wozu er einer umfassenden Information bedarf. Diese Information zu liefern ist die Aufgabe der Presse. Sie fungiert als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung21. Um der Presse die Erfüllung dieser Aufgabe zu ermöglichen, interpretiert das BVerfG die Pressefreiheit sowohl als subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen, als auch zugleich als eine objektiv-rechtliche Garantie des Instituts der „freien Presse“.22 An der so definierten Aufgabe der Presse hat sich bis zum heutigen Tage nichts ge22 ändert. Sie entspricht nicht nur dem deutschen, sondern auch dem europäischen Verständnis der Aufgabe der freien Presse. Nicht umsonst spricht der EGMR von der Presse als „Watchdog“ der Gesellschaft und folgert hieraus trotz seiner sonst sehr strengen Rechtsprechung in diesem Bereich,23 dass im Falle von Politikern ausnahmsweise auch die Veröffentlichung von Fotos aus ihrem Privatleben zulässig sein kann.24 Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich die Aufgabe der Presse nicht in 23 der beschriebenen politischen Kontrollfunktion erschöpft. Vielmehr ist unbestritten, dass 17 18 19 20
Sachs/Bethge Art 5 GG Rn 75; Jarass/Pieroth Art 5 GG Rn 28 und 27a. BVerfG NJW 1992, 1439. BVerfG NJW 1992, 1439. St Rspr seit BVerfG NJW 1966, 1603.
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BVerfG NJW 1966, 1603. BVerfG NJW 1966, 1603. Teil 6 Kap 3 Rn 45 ff. EGMR NJW 2004, 2647.
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grds auch die Unterhaltungs- und weniger seriöse Presse dem Schutzbereich der Pressefreiheit gem Art 5 GG unterfällt.25 4. Aktuelle Entwicklungen in der Rechsprechung Abschließend soll ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der Pressefreiheit in der 24 Rechtsprechung geworfen werden. Zu diesem Zweck seien zwei Urteile herausgegriffen, von denen das eine die Pressefreiheit stärkt, wogegen das andere die Pressefreiheit deutlich einschränkt. a) Stärkung der Pressefreiheit durch „Cicero“. In der Rechtsprechung des BVerfG ist seit langem anerkannt, dass die Pressefreiheit auch das Redaktionsgeheimnis schützt. Die Presse kann ihre öffentliche Aufgabe nur dann wirksam erfüllen, wenn die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit vor Eingriffen durch den Staat und insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und ihren Informanten entsprechend geschützt ist.26 Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Presseunternehmen stellen daher stets einen Eingriff in die Pressefreiheit dar, dem grds mit Zurückhaltung zu begegnen ist. Ein solcher Eingriff muss durch ein zumindest gleichwertiges rechtsstaatliches öffentliches Interesse im Einzelfall gerechtfertigt sein. Im Rahmen der vieldiskutierten „Cicero“-Entscheidung 27 ging es darum, dass der Artikel eines Journalisten in zum Teil sehr detaillierter Weise aus einem Bericht des Bundeskriminalamtes zitierte, der nur für den internen Gebrauch bestimmt war. Die Staatsanwaltschaft vermutete aufgrund des Artikels, dass sich ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes des Geheimnisverrats gem § 353b StGB schuldig gemacht hatte und leitete sowohl gegen den Chefredakteur des Magazins als auch gegen den Journalisten, der den Artikel verfasst hatte, Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat ein. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurde eine Durchsuchung der Redaktionsräume durchgeführt und es wurden Beweismittel beschlagnahmt. Sowohl der Journalist, als auch der Chefredakteur legten Verfassungsbeschwerde gegen diese Maßnahmen ein und erhielten vor dem BVerfG Recht. Die Beschlagnahmevorschriften der §§ 94 ff StPO sind im Hinblick auf das Redaktionsmaterial eines Presseunternehmens gem § 97 Abs 5 StPO eingeschränkt. Danach ist ua die Beschlagnahme von Schriftstücken, die sich im Gewahrsam eines Presseangehörigen oder der Redaktion befinden, in demselben Umfange unzulässig, wie das Zeugnisverweigerungsrecht gem § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 dieser Personen reichen würde. Nach dieser Vorschrift dürfen Presseangehörige ua das Zeugnis über die Person ihres Informanten verweigern. Der in § 97 Abs 5 S 1 StPO dem Zeugnisverweigerungsrecht angepasste Beschlagnahmeschutz für Presseangehörige gilt nach § 97 Abs 5 S 2 Halbs 1 iVm Abs 2 S 3 StPO dann nicht, wenn die betroffenen Pressemitarbeiter selbst der Teilnahme an einer Straftat verdächtig sind. In diesen Fällen sind Beschlagnahmen zulässig, wenn auch gem § 97 Abs 5 S 2 Halbs 2 StPO nur dann, wenn sie auch unter Berücksichtigung von Art 5 Abs 1 S 2 GG der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Diese Grenze der Verhältnismäßigkeit war vorliegend nicht einschlägig. Denn wenn Medienmitarbeiter – wie hier – durch die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Er25
BVerfG NJW 2000, 1021; BVerfG NJW 1984, 1741; BVerfG NJW 1973, 1221; BVerfG WRP 2008, 645.
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BVerfG NJW 1966, 1603; BVerfG NJW 1984, 1741; BVerfG NJW 2007, 1118. BVerfG NJW 2007, 1117.
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mittlungsverfahrens nicht nur selbst einer Straftat verdächtig, sondern bereits beschuldigt sind, entfällt die Anwendbarkeit des § 97 StPO vollständig. Es entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur und wurde auch vom BVerfG als verfassungskonform anerkannt, dass der Beschlagnahmeschutz nach § 97 StPO insgesamt nicht einschlägig ist, wenn ein Presseangehöriger Beschuldigter oder Mitbeschuldigter einer Straftat ist.28 Allerdings – und dies ist der entscheidende Punkt in der aktuellen Entscheidung – bleibt auch ohne Anwendbarkeit der in § 97 Abs 5 S 2 Halbs 2 StPO ausdrücklich normierten Verhältnismäßigkeitsgrenze das Grundrecht der Pressefreiheit gem Art 5 Abs 1 GG von Bedeutung. Dies stellte das BVerfG in der Cicero-Entscheidung ausdrücklich klar und entschied, dass jedenfalls im konkreten Fall der zugrundeliegende Tatverdacht unter Berücksichtigung der Pressefreiheit für eine Durchsuchung und Beschlagnahme der Redaktionsräume nicht ausreichte. Mit Ausnahme der streitgegenständlichen Veröffentlichung selbst gab es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Haupttat, somit dafür, dass ein Geheimnisverrat gem § 353 b StGB begangen worden war. Hierfür fehlte es an Kenntnissen darüber, ob das Handeln des Geheimnisträgers auf Veröffentlichung des Geheimnisses abgezielt hatte. Aus der bloßen Veröffentlichung in der Presse konnte dies nicht gefolgert werden. Damit verstieß nach Auffassung des BVerfG die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme mangels hinreichender Anhaltspunkte für einen auf die Veröffentlichung gerichteten Tatplan des Geheimnisträgers gegen Art 5 Abs 1 S 2 GG. Die Entscheidung des BVerfG ist zu begrüßen. Das Hauptargument hierfür wird vom BVerfG selbst deutlich dargelegt. Würde jedweder Tatverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme auch bei Presseangehörigen ausreichen, so hätte es die Staatsanwaltschaft selbst in der Hand, durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Presseangehörigen deren besonderen grundrechtlichen Schutz zum Wegfall zu bringen, und zwar selbst dann, wenn die Anhaltspunkte für eine Beihilfe schwach sind. Es bestünde damit die Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ausschließlich oder überwiegend mit dem Ziel einleitet, mittels Durchsuchungen und Beschlagnahmen einen bislang unzureichenden Verdacht weiter erhärten zu können. Dies aber widerspräche dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Informantenschutz als Teil der Pressefreiheit. Dem BVerfG ist deshalb darin zuzustimmen, dass die strafprozessualen Normen über Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden müssen, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen ausreichenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Sind solche Anhaltspunkte nicht gegeben, dürfen Durchsuchung und Beschlagnahme nicht eingesetzt werden. Diese Maßnahmen setzen einen entsprechenden Verdacht gerade voraus und können nicht dazu dienen, diesen Verdacht erst zu begründen. Die Cicero-Entscheidung wurde in der presserechtlichen Literatur zu Recht als Stärkung der Pressefreiheit gesehen.29 Zustimmung verdienen allerdings auch diejenigen Stimmen, die darauf hinweisen, dass das Urteil sehr deutlich auf den konkreten Einzelfall
28 29
BVerfG NJW 2007, 1117, 1119 mwN. ZB Musiol Urteilsanmerkung FD-GewRS 2007, 218, 348; Starke AfP 2007, 91; keine
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Stärkung der Pressefreiheit hingegen sieht Jutzi NJ 2007, 218.
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abstellt und die Übertragbarkeit auf zukünftige Fälle fraglich bleibt.30 Insbesondere lässt das Urteil die grundsätzliche Frage offen, ob Journalisten auf die Veröffentlichung interner Papiere grds verzichten müssen oder ob Geheimnisse nur von Amts wegen zu wahren sind. Einer nachhaltigen Stärkung der Pressefreiheit würde erst eine Entscheidung dienen, die auch insoweit feststellt, dass die Wahrung von Amtsgeheimnissen nicht Aufgabe der Presse ist. Zwar darf sich die Presse keiner illegalen Mittel bedienen, um an geheime Informationen zu gelangen. Werden solche Informationen der Presse von Amtsträgern aber geradezu in die Hände gespielt, kann die Presse nicht in demselben Umfang wie die Amtsträger selbst zur Wahrung der entsprechenden Geheimnisse verpflichtet sein. Eine diesbezügliche Klarstellung durch das BVerfG oder durch den Gesetzgeber 31 wäre wünschenswert, steht allerdings weiterhin aus.32 b) Schwächung der Pressefreiheit durch „Caroline“. Eine deutliche Einschränkung erfuhr die Pressefreiheit durch die sog Caroline-Entscheidung des EGMR 33. Diese Entscheidung hat inzwischen auch zu einer strengeren Rechtsprechung des BGH 34 in Fragen der Bildveröffentlichung Prominenter im privaten Umfeld geführt. Diese strenge Linie wurde vom BVerfG inzwischen zwar wieder etwas relativiert, in wesentlichen Teilen aber bestätigt.35 Ausgangspunkt war eine detaillierte Rechtsprechung des BGH und des BVerfG zu der Frage, wann Prominente, die sich in der Öffentlichkeit aufhalten, auch bei privaten Tätigkeiten fotografiert bzw die entsprechenden Fotos veröffentlicht werden dürfen. Handelte es sich um sog absolute Personen der Zeitgeschichte, die der Öffentlichkeit unabhängig von einem bestimmten Ereignis bekannt waren, so hatten BGH und BVerfG das bloße Auftreten dieser Personen in der Öffentlichkeit als zeitgeschichtliches Ereignis anerkannt, über das auch durch die Veröffentlichung von Fotos berichtet werden durfte. Ausnahmen galten für Fotos von Minderjährigen, für Situationen elterlicher Zuwendung oder wenn sich die Betroffenen an einen Ort der Abgeschiedenheit zurückgezogen hatten. Dieser Rechtsprechung hat der EGMR mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 ein jähes Ende gesetzt. Streitgegenstand waren Fotos von Caroline von Monaco, die diese bei privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit zeigten und die von den deutschen Gerichten für zulässig erklärt worden waren. Nach der Auffassung des EGMR hätten diese Fotos nicht veröffentlicht werden dürfen. Zur Begründung verwies der EGMR darauf, dass die Fotos nicht als Beitrag zu irgendeiner Diskussion von allgemeinem Interesse für die Gesellschaft angesehen werden konnten, sondern nur die Neugier eines bestimmten Publikums über das Privatleben von Caroline von Monaco befriedigen wollten. In einem solchen Fall verdiene der Schutz des Privatlebens der Betroffenen den Vorrang vor der Meinungs- und Pressefreiheit. Diese Entscheidung des EGMR hat dazu geführt, dass inzwischen auch der BGH seine Rechtsprechung geändert hat. Fotos von absoluten Personen der Zeitgeschichte im Sinne der bisherigen Rechtsprechung dürfen künftig nur noch dann ohne Einwilligung abgebildet werden, wenn die Berichterstattung ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung betrifft. Dieses Ereignis liegt nicht mehr per se darin, dass sich die Person in der 30 31
32
Fechner Entscheidungen zum Medienrecht, 44. Vgl zu Gesetzesinitiativen im Bundestag zur Änderung des § 353b StGB SchmidtDe Caluwe NVwZ 2007, 640, 644. So im Ergebnis auch Gaede AfP 2007, 410 und Brüning wistra 2007, 333.
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EGMR NJW 2004, 2647. BGH NJW 2007, 1977; vgl auch Teil 6 Kap 3 Rn 47 ff. BVerfG WRP 2008, 645.
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Öffentlichkeit gezeigt hat. In dem vom BGH neuerlich entschiedenen Fall ging es um Urlaubsfotos von Caroline von Monaco und ihrem Ehemann. Die Veröffentlichung der meisten dieser Fotos hielt der BGH für unzulässig, da der Urlaub der Betroffenen kein Vorgang von allgemeinem Interesse und kein zeitgeschichtliches Ereignis sei. Für zulässig erklärte der BGH nur ein einzelnes Foto, das zwar ebenfalls Caroline von Monaco während ihres privaten Urlaubs zeigte, das aber in Zusammenhang mit einer Wortberichterstattung stand, die über die Erkrankung ihres Vaters, des damals regierenden Fürsten von Monaco und dem Verhalten der Familienmitgliedern während dieser Krankheit stand. Hierin sah der BGH eine Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis, die mit dem fraglichen Foto illustriert werden durfte. Quintessenz der neuen Entscheidungspraxis des BGH ist, dass das zeitgeschichtliche Ereignis, das eine Fotoveröffentlichung von Personen ohne deren Einwilligung ermöglicht, nicht mehr personen-, sondern nur noch ereignisbezogen begründet werden kann. Damit allerdings hat die Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte ihre Bedeutung weitgehend verloren. Sowohl der EGMR, als auch der BGH betonen, dass bei der Abwägung zwischen Pressefreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person andererseits wesentlich darauf abzustellen ist, ob der jeweilige Beitrag ein Thema von allgemeinem, gesellschaftlichem Interesse behandelt oder ob er der reinen Befriedigung der Neugier des Publikums dient. Im letzteren Fall, müsse die Informationsfreiheit regelmäßig gegenüber dem Schutz der Privatsphäre zurücktreten. Diesen Aspekt hat zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht 36 nochmals betont. Zur Überprüfung durch das BVerfG stand die oben zitierte Entscheidung des BGH, bei der es um Urlaubsbilder von Caroline von Monaco und ihrem Ehegatten ging. Das BVerfG bestätigte zwar in großen Teilen die aktuelle Rechtsprechung des BGH, hob dessen Verbotsentscheidung aber hinsichtlich eines Urlaubsfotos von Caroline und ihrem Ehegatten auf, das zur Illustration eines Berichts über die Vermietung des Ferienhauses der Betroffenen diente. Das BVerfG betonte, dass der bloße Hinweis auf einen erhöhten Schutzbedarf bei Urlaubsfotos nicht ausreicht, um ein Überwiegen des Persönlichkeitsschutzes vor der Pressefreiheit zu begründen. Vielmehr schloss das BVerfG aus dem Begleittext, der sich mit Sparsamkeit und ökonomischem Denken der Reichen befasste, dass hierin durchaus der Anlass zu einer sozial-kritischen Debatte und damit einem erhöhten Informationsgehalt gesehen werden könne. Auch bloßer Unterhaltung könne ein Bezug zur Meinungsbildung nicht von vorneherein abgesprochen werden, denn auch Unterhaltung könne Realitätsbilder vermitteln und Gesprächsgegenstände für Diskussionsprozesse zur Verfügung stellen. Dies gelte auch für Beiträge über das Privat- oder Alltagsleben von Prominenten und ihres sozialen Umfelds. Diesen Ausführungen des BVerfG ist zuzustimmen. Dennoch bleibt die Frage, wo Unterhaltung mit ausreichendem, meinungsbildendem Sachbezug endet und wo die Befriedigung bloßer Neugier beginnt. Die von BGH und BVerfG gewählte Lösung über die verstärkte Abwägung im Einzelfall bedeutet in der Praxis ein deutliches Weniger an Rechtssicherheit.37 Es bleibt dabei, dass die Pressefreiheit durch die beschriebene Entwicklung in der Rechtsprechung eine deutliche Minderung erfahren hat. Die langfristigen Folgen auf die Entwicklung der Unterhaltungspresse sind derzeit noch nicht absehbar. 36
BVerfG WRP 2008, 645.
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Feldmann juris PR-ITR 8/2008, Anm 2 lit D.
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§2 Grundlegende presserechtliche Ansprüche im Überblick Für eine ausführliche Darstellung der zivilrechtlichen Ansprüche wird auf Teil 1 Kap 4 45 Rn 33 ff in diesem Werk verwiesen. Nachfolgend seien jedoch die wichtigsten Ansprüche im Presserecht als kurzer Überblick zusammengefasst.
I. Unterlassung Der grundlegende und in presserechtlichen Auseinandersetzungen in der Regel als erstes geltend gemachte Anspruch ist der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch. Es handelt sich dabei um einen im Wesentlichen aus § 1004 BGB abgeleiteten, verschuldensunabhängigen Anspruch, der darauf gerichtet ist, den für eine rechtswidrige Veröffentlichung Verantwortlichen zur zukünftigen Unterlassung der identischen Veröffentlichung zu verpflichten. Gegenstand des Unterlassungsanspruchs können sowohl Tatsachenbehauptungen, als auch Meinungsäußerungen sein. Zudem kommen Unterlassungsansprüche auch gegen rechtswidrige Bildveröffentlichungen in Betracht. Unterlassungsansprüche werden meist zunächst im Eilverfahren geltend gemacht.38 Ergeht in einem solchen Verfahren eine Unterlassungsverfügung, hat der Verletzer durch die Abgabe einer Abschlusserklärung die Möglichkeit die Verfügung als endgültige Regelung anzuerkennen und so die Durchführung eines in der Regel inhaltsgleichen Hauptsacheverfahrens zu vermeiden. In der Praxis werden die meisten Unterlassungsansprüche im Presserecht im Rahmen dieser Vorgehensweise abschließend geklärt. Die Durchführung von Hauptsacheverfahren statt oder im Anschluss an die Inanspruchnahme im einstweiligen Rechtsschutz ist die Ausnahme. Voraussetzung für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs ist eine rechtswidrige, bereits erfolgte oder zu befürchtende Beeinträchtigung, deren Erstbegehung oder Wiederholung bevorzustehen droht. Die Wiederholung wird bei bereits erfolgter Beeinträchtigung dabei nach ständiger Rechtsprechung vermutet39, wogegen es für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr konkreter Anhaltspunkte bedarf. An den Nachweis des Wegfalls der Wiederholungsgefahr werden grds strenge Anforderungen gegenüber gestellt 40. In der Regel wird für den Wegfall der Wiederholungsgefahr die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung gefordert. Im Falle einer Drittunterwerfung, dh des Berufens darauf, dass bereits gegenüber einer dritten Person eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben wurde, werden an den Nachweis der Ernsthaftigkeit dieser Erklärung ebenfalls hohe Anforderungen gestellt. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass nach der sog Kerntheorie von einem Unterlassungstenor nicht nur die identische Veröffentlichung, sondern auch kerngleiche Publikationen umfasst sind.41 Die Beurteilung der Frage, ob eine neue Publikation mit der
38 39
Zu den prozessualen Einzelheiten Soehring Rn 30.15. BGH NJW 1986, 2503; BGH NJW 1987, 2225 2227; BGH NJW 1994, 1281; BGH NJW 1998, 1391, 1392.
40 41
BGH GRUR 1975, 89; BGH NJW 1994, 1281. Zöller/Stöber § 890 ZPO Rn 3a; OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 187; OLG München ZUM-RD 2001, 232–233.
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untersagten Veröffentlichung kerngleich ist oder nur ähnlich und ob damit ein Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung vorliegt oder nicht, obliegt dem Vollstreckungsgericht. Dies bedeutet für den Fall eines Verstoßes durch eine ähnliche, jedoch nicht identische Veröffentlichung für den Unterlassungsgläubiger eine Rechtsunsicherheit im Bestrafungsverfahren. Es wird oft versucht, diese Rechtsunsicherheit im Rahmen der Vollstreckung dadurch 52 zu vermeiden, dass nach einer erfolgten Verletzung bereits der Untersagungstenor für zukünftige Verletzungen möglichst weit gefasst wird. Die Grenze liegt allerdings darin, dass eine erfolgte Verletzung nur für identische – oder eben kerngleiche – Verstöße eine Wiederholungsgefahr indiziert, während gegen lediglich ähnliche, jedoch bislang nicht begangene Verstöße kein Unterlassungsanspruch besteht. Der BGH 42 hat zudem kürzlich entschieden, dass im Bereich der Bildberichterstat53 tung die Kerntheorie nicht gilt. Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung erfordert in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Interessen des Abgebildeten. Eine in einem konkreten Fall unzulässige Bildveröffentlichung kann daher in einem anderen Kontext zulässig sein. Anlass der Entscheidung des BGH war die Klage einer Sportlerin, die sich gegen die ungenehmigte Verbreitung von Urlaubsbildern wehrte. Sie begehrte in diesem Zusammenhang das generelle Verbot, Bildnisse aus ihrem privaten Alltag zu veröffentlichen, wie im diesem Fall geschehen. Wie schon zuvor in einem ähnlich gelagerten Fall das KG Berlin,43 verneinte der BGH zu Recht einen derart weiten Unterlassungsanspruch. Der vorzunehmende Abwägungsprozess bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Bildveröffentlichung im Einzelfall könne nicht vorweggenommen werden. Die Kerntheorie sei auf Bildveröffentlichungen daher nicht anwendbar. Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Es würde eine unangemessene Einschrän54 kung der Pressefreiheit bedeuten, wenn ein einzelner Verstoß allzu generalisierend ausgelegt werden und damit ein breites Spektrum zukünftiger Veröffentlichungen ohne Abwägung im Einzelfall pauschal gesperrt werden könnte.
II. Gegendarstellung 55
Der Anspruch auf Gegendarstellung ist für Druckwerke in den Landespresse- bzw Landesmediengesetzen geregelt. Für Telemedien findet sich ein entsprechender Anspruch in § 56 Rundfunkstaatsvertrag. Gegenstand des Anspruchs ist es, dem von einer – aus seiner Sicht unrichtigen – Tatsachenbehauptung Betroffenen die Möglichkeit zu geben, eine eigene Sachverhaltsdarstellung entgegenzusetzen. Dabei wird dem Betroffenen nicht gestattet, selbst umfassend zu der jeweiligen Thematik Stellung zu nehmen. Vielmehr muss sich die Gegendarstellung kurz und knapp auf denjenigen Text der Erstveröffentlichung beziehen, der als unwahr gerügt wird und hierauf eine knappe Erwiderung liefern. Der Begriff der „Gegendarstellung“ ist in diesem Sinne wörtlich zu verstehen und nicht im Sinne einer „Eigendarstellung“ weit auszulegen. Im Interesse der Beschleunigung werden von dem entscheidenden Gericht weder 56 Wahrheitsgehalt der gerügten Erstveröffentlichung, noch Wahrheitsgehalt der entgegensetzten Erwiderung überprüft. Die Grenze bildet insoweit erst die Offensichtlichkeit, da es dem zur Veröffentlichung der Gegendarstellung verpflichteten Verlag nicht zugemutet
42
BGH WRP 2008, 673.
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KG Berlin vom 27.3.2007, AZ 9 U 103/06.
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werden soll, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, die für jedermann offenkundig oder gerichtsbekannt den „Stempel der Lüge“ trägt.44 Praktische Bedeutung entfaltet diese Grenze nur in Fällen, in denen sich die Unwahrheit der verlangten Gegendarstellung entweder aus eigenen öffentlichen Äußerungen des Betroffenen ergibt, die dem Gericht aufgrund eigener Wahrnehmung, zB aufgrund eines anderen Prozesses bekannt sind oder in Fällen, in denen sich die Unwahrheit eindeutig aus Urkunden ergibt, die der Anspruchsgegner dem Gericht vorlegt.45 Neben verbalen Tatsachenbehauptungen kann sich ein Gegendarstellungsanspruch auch gegen Bildveröffentlichungen richten. Dies ist zB dann der Fall, wenn es sich bei der Erstveröffentlichung um eine unzulässige Fotomontage handelt 46. Denn letztlich beinhaltet jede Fotoveröffentlichung die konkludente Tatsachenaussage, dass die entsprechende Situation wie abgebildet stattgefunden hat. Ist diese Aussage unrichtig, weil die abgebildete Situation Ergebnis einer für den Betrachter nicht erkennbaren Fotomontage ist, ist die Gewährung des Gegendarstellungsanspruchs konsequent. Der Gegendarstellungsanspruch ist ein Eilanspruch. Wird die Gegendarstellung nicht freiwillig abgedruckt, kommt zu ihrer Durchsetzung praktisch ausschließlich das einstweilige Verfügungsverfahren in Betracht wenngleich für Bayern und Sachsen eine Zulässigkeit auch für eine Durchsetzung im Wege der Hauptsacheklage anerkannt wird.47 Örtlich zuständig ist nach hM ausschließlich das Gericht am Sitz des Verlages.48 Der Gegendarstellungsanspruch ist an eine Reihe unabdingbarer Formalien geknüpft. Er muss zunächst gegenüber dem Verpflichteten in Gestalt eines Abdrucksverlangens geltend gemacht werden. Dem Abdrucksverlangen muss die verlangte Gegendarstellung schriftlich, in druckreifer Fassung und vom Anspruchsteller persönlich 49 unterzeichnet beigefügt sein. In einer Reihe von Landespressegesetzen wird die Gegendarstellung einer dreimonatigen Ausschlussfrist unterstellt.50 Demgegenüber hat zB in Bayern, wo eine entsprechende Ausschlussfrist im Gesetz nicht vorgesehen ist, die Rechtsprechung diese durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Aktualitätsgrenze ersetzt. Danach kann die Gegendarstellung nur solange gefordert werden, so lange davon auszugehen ist, dass sich die Erstmitteilung noch „in den Köpfen der ursprünglichen Leser“ befindet. Hiervon geht die Rechtsprechung bei Tageszeitungen in der Regel für die Dauer von vier,51 für wöchentlich erscheinende Zeitschriften in der Regel für die Dauer von vier bis sechs 52 Wochen aus. Über den Vorstoß des LG München I, die Rechtsprechung zur flexiblen Aktualitätsgrenze abzuschaffen und in Analogie zu Landesrundfunk- und Landesmediengesetz durch eine kenntnis- und verschuldensunabhängige zweimonatige Ausschlussfrist zu ersetzen,53 hat das OLG München soweit ersichtlich bislang nicht entschieden. Im kon44 45 46 47 48 49
Seitz/Schmidt/Schoener Der Gegendarstellungsanpruch, Rn 245. Seitz/Schmidt/Schoener Der Gegendarstellungsanpruch, Rn 254 ff. LG München I NJW 2004, 606. Wenzel/Burkhardt Kap 11 Rn 222; Seitz/ Schmidt/Schoener Rn 571 f. Zu Einzelheiten der örtlichen Zuständigkeit vgl Seitz/Schmidt/Schoener Rn 510 ff. Zur umstrittenen Zulässigkeit der Unterzeichnung durch einen gewillkürten Stellvertreter in Berlin, Bremen, Niedersachsen,
50
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Sachsen-Anhalt und Thüringen vgl Seitz/ Schmidt/Schoener Rn 190 ff. ZB § 11 Abs 2 S 3 Bad-WürtPrG, § 10 Abs 2 S 4 BerlPresseG, § 12 Abs 2 S 4 BbgPresseG, § 11 Abs 2 S 4 HambPrG, § 11 Abs 2 S 4 LandespresseG NRW, § 11 Abs 2 S 4 Rhl-PfPresseG, § 10 Abs 3 S 2 SächsPresseG. OLG München NJW-RR 2002, 1271; OLG München NJW-RR 2001, 832. OLG München NJW-RR 2001, 832. LG München I NJW-RR 2005, 56.
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kreten, vom LG München I entschiedenen Fall musste das OLG München 54 die Frage nicht abschließend klären, da die regelmäßig anerkannten Fristen zur Bestimmung der Aktualitätsgrenze nur knapp überschritten waren. Da die Rechtsprechung diese Standardfristen jeweils nur auf Veröffentlichungen von durchschnittlicher Bedeutung anwendet, im konkreten Fall hinsichtlich Thematik und Aufmachung aber von einem überdurchschnittlich bedeutungsvollen Fall ausgegangen wurde, sah das OLG München die Aktualitätsgrenze noch für eingehalten an und ließ die Frage nach der zukünftigen Bemessung der Aktualitätsgrenze offen.
III. Widerruf 61
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Während der Gegendarstellungsanspruch dem Betroffenen die Möglichkeit gibt, selbst mit eigenem Namenszug einen Sachverhalt im Eilverfahren anders als verbreitet darzustellen, zeichnet sich der Widerrufsanspruch dadurch aus, dass der Verbreiter einer Veröffentlichung – zumeist also der Verlag – zum Widerruf seiner ursprünglichen Behauptung gezwungen wird. Voraussetzung für diesen Anspruch ist ebenso wie im Falle der Gegendarstellung eine Tatsachenbehauptung. Eine Meinungsäußerung mag zwar als überzogene Schmähkritik unzulässig sein und bei besonders schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen sogar einen Geldentschädigungsanspruch begründen. Die Verpflichtung zum Widerruf bzw zur Berichtigung der eigenen Meinung verbietet allerdings schon das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Der Widerrufsanspruch ist ein aus der analogen Anwendung von § 1004 BGB folgender Folgenbeseitigungsanspruch, der aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts abgeleitet wird.55 Er steht demjenigen zu, über den unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet wurden, die sein Persönlichkeitsrecht auch zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin beeinträchtigen. Der Widerrufsanspruch beinhaltet eine Reihe von Fallgruppen, die je nach Fallgestaltung auf Richtigstellung, auf Nichtaufrechterhaltung, auf Ergänzung oder auf Distanzierung gerichtet sein können. Die Vielfalt der Ansprüche ist in der Rechtsprechung weitgehend geklärt, wenngleich die dogmatische Einordnung schwierig bleibt.56 Der Widerrufsanspruch ist als schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit anerkannt. Er unterliegt deshalb, im Gegensatz zur Gegendarstellung, einem strengen Wahrheitsbeweis und ist deshalb nur im Hauptsacheverfahren durchsetzbar. Ebenso wie die Gegendarstellung sind auch ein Widerruf bzw eine Berichtigung grds an demselben Ort und in derselben Aufmachung abzudrucken, wie die Ursprungsveröffentlichung. Dabei ist allerdings stets das Maß der Verhältnismäßigkeit im Auge zu behalten. Für die Veröffentlichung einer Gegendarstellung auf der Titelseite hat das BVerfG klargestellt, dass damit die Titelseite nicht ihre Funktion verlieren darf. Es muss weiterhin möglich sein, auf der Titelseite das Blatt zu identifizieren, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen.57 Im Falle des Widerrufs gebietet es schon der bis zum Abdruck in der Regel viel weiter fortgeschrittene Zeitablauf, die Grenze der Verhältnismäßigkeit noch enger zu bemessen und einen Abdruck auf der Titelseite nur in Ausnahmefällen zuzulassen. 54 55
OLG München vom 11.1.2005, AZ 18 U 5011/04. BVerfG NJW 1998, 1381, 1383; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324; BGH AfP 2000, 167, 169.
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BVerfG NJW 1998, 1381, 1383; Seyfarth NJW 1999, 1287, 1293. BVerfG NJW 1998, 1381, 1384.
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§2
Grundlegende presserechtliche Ansprüche im Überblick
Rechtsprechung und Literatur bestätigen stets aufs Neue, dass ein Anspruch auf 66 Widerruf neben einer unwahren Tatsachenbehauptung voraussetzt, dass die damit verbundene Beeinträchtigung für den Betroffenen noch andauert. Bedauerlicherweise wird dieses an sich unstreitige Tatbestandsmerkmal von den Gerichten in der Praxis kaum einer ernsthaften, eigenständigen Überprüfung unterzogen. Vielmehr wird die fortdauernde Rechts- bzw Rufbeeinträchtigung meist automatisch aus der Schwere der Rechtsverletzung gefolgert. Dies überzeugt nicht. Angesichts der Fülle der Medien wird eine unrichtige Behauptung oft sehr schnell 67 durch neue Schlagzeilen überlagert und von den Lesern nicht in Erinnerung behalten. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass eine – auch schwerwiegende – Rechtsverletzung den Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Widerruf nicht mehr beeinträchtigt. Insoweit wäre es konsequent entweder auf das Tatbestandsmerkmal der fortdauernden Rufbeeinträchtigung zu verzichten und es – ähnlich dem Geldentschädigungsanspruch – von vorne herein nur auf eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung ankommen zu lassen oder das beschriebene Tatbestandsmerkmal der „Fortdauer“ ernsthaft als solches zu behandeln und im konkreten Fall jeweils zu prüfen. Die fortdauernde Beeinträchtigung stattdessen automatisiert aus der Schwere der Verletzung abzuleiten, wie es in der Rechtsprechung meist geschieht, überzeugt demgegenüber nicht. Eine wichtige Rolle kommt der Geltendmachung eines Widerrufsanspruchs als Vorbe- 68 reitung für etwaige Geldentschädigungsansprüche zu. Ein Anspruch auf immaterielle Geldentschädigung besteht unabhängig von seinen weiteren Voraussetzungen nur dann, wenn die Zubilligung einer Entschädigung in Geld unbedingt erforderlich ist, da eine Wiedergutmachung anders nicht in ausreichendem Maße erzielt werden kann. Hieraus folgert die Rechtsprechung zu Recht, dass ein Geldentschädigungsanspruch in der Regel dann scheitert, wenn der Abdruck eines Widerrufs im Vorfeld nicht ernsthaft gefordert bzw auf eine gerichtliche Durchsetzung verzichtet wurde, obwohl er geeignet gewesen wäre, die Rechtsverletzung zu beheben.58
IV. Zahlungsansprüche Eine zunehmend wichtige Rolle spielen die Zahlungsansprüche infolge rechtswidriger 69 Presseveröffentlichungen. Der Grund hierfür liegt zum einen in der zunehmenden Kommerzialisierung von Per- 70 sönlichkeitsrechten. Werden Prominente ohne ihre Einwilligung für Werbemaßnahmen eingesetzt, folgen hieraus oft hohe Schadensersatz- bzw Lizenzansprüche, die meist sowohl aus Delikts-, als auch aus Bereicherungsrecht hergeleitet werden. Bei der Berechnung der fiktiven Lizenzgebühr, die ein Prominenter für eine entsprechende Werbung hätte verlangen können, geht die Rechtsprechung zum Teil von Beträgen in Millionenhöhe aus.59 Ein pauschalierter Zuschlag, wie er in Form der doppelten Lizenzgebühr in den „GEMA“-Fällen anerkannt ist und teilweise für das gesamte Immaterialgüterrecht gefordert wird, wird für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten bislang nicht diskutiert.60 58
59
BVerfG NJW-RR 2007, 1194; OLG Stuttgart NJW 1981, 2817; OLG München NJW-RR 2000, 427; KG Berlin AfP 1974, 720. Das LG München I hat den Werbewert von Boris Becker in einer der Höhe nach aller-
60
dings inzwischen aufgehobenen Entscheidung mit 1,2 Mio beziffert, vgl LG München I ZUM 2003, 416. Wandtke/Bullinger/v Wolff § 97 Rn 75, s auch Teil 6 Kap 2 Rn 14.
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71
Zum anderen haben seit den viel besprochenen Caroline-Urteilen hohe Geldentschädigungsbeträge für immaterielle Schäden Einzug in das Presserecht gehalten. Es steht heute 61 außer Frage, dass im Falle besonders schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die nicht anders als durch eine Entschädigung in Geld ausgeglichen werden können, aus § 823 Abs 1 BGB iVm Art 1 und 2 Abs 1 GG ein Geldentschädigungsanspruch für erlittene immaterielle Schäden folgt. Dieser immaterielle Entschädigungsanspruch soll sowohl dem Betroffenen Genugtuung verschaffen, als auch präventive Zwecke erfüllen. Eine Funktion des Geldentschädigungsanspruchs als strafrechtliche Sanktion lehnt die Rechtsprechung ab.62 Während die Prüfung eines schuldhaften Handelns im Rahmen dieses Anspruchs in 72 der Regel entfällt, weil ein solches Verschulden indiziert wird, spielt die Abgrenzung zwischen einer „nur“ rechtswidrigen und einer „besonders schwerwiegenden“ Persönlichkeitsrechtsverletzung eine wichtige Rolle. Die Grenzziehung wird stets nur im Einzelfall möglich sein. Sie hängt sowohl von der Tragweite des Eingriffs selbst ab, als auch von Anlass, Beweggrund und Verschuldensgrad des Verletzers.63 Die höchsten immateriellen Geldentschädigungen wegen Presseveröffentlichungen 73 haben nach wie vor Caroline von Monaco und deren jüngste Tochter Alexandra von Hannover zugesprochen erhalten. Für die Veröffentlichung von Fotos, die Alexandra von Hannover als Säugling und Caroline von Monaco in Situationen elterlicher Zuwendung zu ihr zeigen, wurde zunächst der Mutter vom LG Hamburg 64 eine Geldentschädigung in Höhe von DM 125 000,– zugesprochen und sodann für im wesentlichen dieselben Veröffentlichungen der Tochter vom LG Berlin 65 – bestätigt durch das KG 66 und den BGH 67 – ein Betrag in Höhe von DM 150 000,–. Eine Verfassungsbeschwerde mit dem Argument, die zweifache Verurteilung wegen 74 derselben Veröffentlichungen widerspreche dem verfassungsrechtlich verankerten Verbot der Doppelbestrafung gem Art 103 GG (ne bis in idem), blieb ohne Erfolg.68 Dies wurde vom BVerfG damit begründet, dass die Geldentschädigung keine Kriminalstrafe sei und auch keine ihr vergleichbare Sanktion darstelle. Mit dem Hauptargument der Beschwerdeführerin, dass ein Strafcharakter zumindest dann nicht von der Hand zu weisen sei, wenn – wie hier – die Betroffene als Säugling sich der Rechtsverletzung nicht bewusst war und der Genugtuungsgedanke somit keine große Rolle spielen kann, setzte sich das BVerfG nicht weiter auseinander. Die Richtigkeit der Absolutheit, mit der das BVerfG einen Strafcharakter der Geldentschädigung für immaterielle Schäden verneint, ist aus dem genannten, aber noch aus einem weiteren Grund fraglich. Es besteht Einigkeit darüber, dass bei der Frage, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung als besonders schwerwiegend anzusehen ist oder nicht, auch der Grad des Verschuldens des Verletzers eine Rolle spielt. Dies zeigt aber, dass mit dem Zuspruch einer Geldentschädigung zumindest auch ein besonders hohes Verschulden sanktioniert werden soll. Der Geldentschädigung vor diesem Hintergrund grds jegliche Straffunktion abzusprechen erscheint nicht konsequent und steht zudem in Widerspruch dazu, dass das BVerfG bereits sehr früh anerkannte, dass der Geldentschädigung „pönale Elemente“ nicht fremd seien.69
61 62 63 64
Zur Entstehungsgeschichte des Anspruchs vgl Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 83 ff. BGH NJW 2005, 215, 216. Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 102 mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung. LG Hamburg vom 21.9.2001, AZ 324 O 89/01.
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65 66 67 68 69
LG Berlin vom 11.12.2001, AZ 27 O 361/01. KG Berlin ZUM-RD 2003, 527. BGH NJW 2005, 215. BVerfG ZUM-RD 2007, 1. BVerfG GRUR 1974, 44, 50.
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§3
Tatsachen und Meinungen
Als Besonderheit des geschilderten Falls um Caroline von Monaco und Alexandra 75 von Hannover bleibt zu erwähnen, dass die besondere Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung in diesem Fall nicht aus den einzelnen Bildern, sondern vielmehr aus der hartnäckigen Wiederholung der Veröffentlichung gefolgert wurde. Der oft fälschlich verbreitete Grundsatz, die rechtswidrige Veröffentlichung von Fotos Minderjähriger habe stets einen Geldentschädigungsanspruch zur Folge, ist nicht richtig. Keineswegs wird von der Rechtsprechung die einmalige Veröffentlichung des Fotos eines Minderjährigen automatisch als schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung im Sinne eines immateriellen Geldentschädigungsanspruch gesehen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände oder – wie im erwähnten Fall – einer hartnäckigen und wiederholten Widersetzung gegen den erklärten Willen der Betroffenen. Neben den vorgenannten Ansprüchen auf fiktive Lizenzgebühr und immaterielle Gel- 76 dentschädigung kommt dem materiellen Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger, schuldhafter Presseveröffentlichungen in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle zu. Zwar hat das BVerfG anerkannt, dass ein solcher Schadensersatzanspruch keine Verletzung der Pressefreiheit begründet, und zwar selbst dann nicht, wenn er die wirtschaftliche Grundlage des Pressunternehmens berührt.70 Allerdings scheitert ein solcher Anspruch zumeist an den strengen Anforderungen, die an den Nachweis der Kausalität zwischen rechtswidriger Veröffentlichung und Schadenseintritt gestellt werden. Vor allem dann, wenn über skandalträchtige Sachverhalte in einer Vielzahl von Medien gleichzeitig berichtet wird, wird der Verletzte oft außer Stande sein nachzuweisen, auf welches Medium ein bestimmter Schadenseintritt zurückgeht.71
§3 Tatsachen und Meinungen Am Anfang jeder Prüfung eines presserechtlichen Anspruchs steht die Frage, ob es 77 sich bei der zu beurteilenden Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung kommt daher eine grundlegende Rolle zu. Dies ist zum einen schon deshalb der Fall, weil sich einige presserechtlichen Ansprüche 78 von vorne herein nur auf (unwahre) Tatsachenbehauptungen beziehen. Der Abdruck einer Gegendarstellung oder eines Widerrufs kommt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen in Betracht. Mögen Meinungsäußerungen jenseits bestimmter Grenzen auch unzulässig und sogar geldentschädigungspflichtig sein, so widerspräche es doch der grundlegenden Vorstellung der Meinungsfreiheit, jemanden zum Widerruf seiner eigenen Meinung zu zwingen. Noch weniger ist es denkbar, jemandem das Recht zur Gegendarstellung in Bezug auf die Meinung eines anderen einzuräumen. Denn eine Meinung ist und bleibt eine persönliche Meinung, die nicht „wahr“ oder „unwahr“ sein kann. Zum anderen spielt die Einordnung einer Äußerung als Tatsache oder Meinung aber 79 auch im Rahmen der Prüfung von Unterlassungs- und Schadensersatzforderungen eine wichtige Rolle. Zwar ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung anerkannt, dass sich das Grundrecht der Meinungsfreiheit grds auch auf Tatsachenbehauptungen bezieht, jedenfalls dann, wenn diese Tatsachen geeignet sind, Grundlage für die Bildung von Mei-
70
BVerfG NJW 2001, 1639.
71
Soehring Rn 32.5.
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4. Teil
nungen zu sein.72 Jedoch schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit Tatsachen und Meinungen nicht in identischem Umfang. Während bei Tatsachenbehauptungen die Frage nach dem Wahrheitsbeweis eine große Rolle spielt, ist dies bei Meinungsäußerungen nicht der Fall. Meinungen sind in sehr weitem Umfang, grds bis zur Grenze von Beleidigung und Schmähkritik, zulässig und können bis zu dieser Grenze auch weder Unterlassungs- noch Zahlungsansprüche auslösen. Insoweit ist der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art 5 GG bei Meinungsäußerungen weit stärker ausgeprägt als bei Tatsachenbehauptungen.73
I. Tatsachen 80
Eine Tatsachenbehauptung ist nach herrschender Meinung gegeben, wenn das Gesagte nach dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist, dh wenn Beweis darüber erhoben werden kann, ob die Tatsache zutrifft oder nicht.74 1. Wahre Tatsachen
81
Wahre Tatsachen nehmen am Grundrechtsschutz des Art 5 GG teil, da sie als Grundlage für die Meinungsbildung ebenso wichtig sind, wie die Verbreitung der Meinungen selbst. Nach der Rechtsprechung des BVerfG endet dieser Schutz allerdings dort, wo Tatsachen zur Meinungsbildung nichts mehr beitragen können. Dies wird für unwahre Tatsachenbehauptungen angenommen, die insoweit kein schützenswertes Gut sind.75 Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen wer82 den, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden.76 Es kann durchaus der Aufgabe der Presse entsprechen, über Vorgänge zu berichten, bevor der endgültige Wahrheitsbeweis erbracht ist oder erbracht werden kann. In solchen Fällen gilt, dass mitunter auch unwahre Tatsachen am Grundrecht der Meinungsfreiheit teilhaben können. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Journalist eine sorgfältige Recherche nachweisen kann und darüber hinaus ein bedeutendes öffentliches Interesse an der Mitteilung der ungesicherten Tatsache besteht. Die trotz sorgfältiger Recherche verbleibende Unsicherheit muss zudem offengelegt und dem Leser mitgeteilt werden.77 2. Verschwiegene Tatsachen
83
Auch das Verschweigen von Umständen kann eine Tatsachenbehauptung darstellen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine bestimmte Schlussforderung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger wahrscheinlich gewesen wäre und damit beim Leser infolge des Verschweigens ein falscher Eindruck entsteht. Eine besonders wichtige Rolle spielt dies bei der Mitteilung entlastender Umstände im Rahmen von Verdachtsberichterstattungen.
72 73 74 75
BVerfG NJW 1992, 1439, 1440; BVerfG NJW 1980, 2072; BVerfG NJW 1983, 1415. BGH NJW 2007, 686. BVerfG NJW 2002, 1192. BVerfG NJW 1992, 1439, 1440; BVerfG NJW 1983, 1415.
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76
77
BVerfG NJW 1994, 1779 unter weiterem Verweis auf BVerfG NJW 1980, 2072; BVerfG NJW 1983, 1415. Vgl ausführlich zur Verdachtsberichterstattung unter § 6.
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§3
Tatsachen und Meinungen
Der BGH 78 nahm einen Fall rechtswidrig verschwiegener Tatsachen zB in Zusam- 84 menhang mit einem Bericht an, bei dem es um die Vergabe eines öffentlich-rechtlichen Bauauftrags und einen damit in Zusammenhang stehenden Korruptionsverdacht ging. Der Bericht hatte über die langjährige persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten berichtet sowie darüber, dass diese Beteiligten den Auftrag persönlich verhandelt und das fragliche Bauunternehmen den Auftrag letztlich erhalten hatte. Über die Wahrheit all dieser Aussagen bestand kein Streit. Gleichwohl bejahte der BGH Unterlassungsansprüche, da in dem Bericht verschwiegen worden war, dass das betroffene Unternehmen auch das betragsmäßig niedrigste Angebot abgegeben hatte. Dieser Umstand hätte nach Auffassung des BGH in den Augen der Leser eine Entlastung bewirken können, weshalb er nicht hätte verschwiegen werden dürfen. 3. Gerüchte In der Wiedergabe eines Gerüchts liegt sowohl eine Tatsachenbehauptung in Bezug 85 auf die Existenz des Gerüchts als auch in Bezug auf seinen Inhalt. Nur wenn an der Verbreitung des Gerüchts ein öffentliches Interesse besteht und sich der Äußernde hinreichend deutlich von dem Inhalt des Gerüchts distanziert hat, beschränkt sich der Gehalt der Äußerung auf die reine Existenz des Gerüchts.79 Andernfalls umfasst die Äußerung aus Sicht des Empfängers zugleich die – verdeckte – Behauptung, dass das Gerücht „wahr“ oder zumindest „etwas Wahres daran“ sei.80 Ist eine ausreichende Distanzierung nicht gegeben, stehen dem von dem Gerücht Betroffenen gegen den Verbreiter dieselben Ansprüche zu wie gegen denjenigen, der den Inhalt als Tatsachenbehauptung aufstellt. Der Inhalt des Gerüchts wird somit demjenigen zugerechnet, der das Gerücht wieder- 86 gibt, solange er sich nicht ernsthaft und eindeutig davon distanziert hat. An eine solche Distanzierung werden in der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt. Die Kennzeichnung als „Gerücht“ oder die Formulierung, etwas sei „angeblich“ geschehen, reicht hierfür nicht aus.81 Das OLG Brandenburg ließ auch die vom Verbreiter geäußerte Hoffnung, dass das Gerücht nicht zutreffe, nicht für eine Distanzierung ausreichen. Dabei hatte der Äußernde in diesem Fall allerdings gleichzeitig mitgeteilt, das Gerücht sei ihm „glaubhaft zu Ohren gekommen“ und hatte Umstände angeführt, die aus seiner Sicht für die Richtigkeit des Gerüchts sprachen.82 Entsprechendes gilt auch, wenn ein von einem Presseorgan bereits verbreitetes 87 Gerücht von einem anderen Verlag aufgegriffen wird. Der BGH hatte dies anhand eines Falls zu entscheiden, in dem zunächst die französische Zeitschrift „Ici Paris“ über Hochzeitsgerüchte um Caroline von Monaco berichtet hatte. Sodann titelte eine deutsche Zeitschrift: „Ici Paris will wissen: Hochzeit im September …“. Der BGH rechnete das Gerücht der deutschen Zeitschrift als eigene Aussage zu.83 Er begründete die Zurechenbarkeit damit, dass es an einer Distanzierung fehle. Insbesondere habe der deutsche Verlag den Eindruck erweckt, dass er das verbreitete Gerücht für zutreffend hält, indem er die Aussage in einem Herz aus Blumen neben der Schlagzeile „Caroline im Glück“ veröffentlicht hatte.
78 79 80
BGH NJW 2000, 656. BGH NJW 1996, 1131, 1132; OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1269. OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1269.
81 82 83
LG München I NJW-RR 1999, 104. OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1269. BGH NJW 1995, 861.
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Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
4. Fragen Bei Fragen wird in der Rechtsprechung zwischen echten und unechten Fragen unterschieden. Echte Fragen sind solche, die tatsächlich im Ergebnis offen gestellt werden und es dem Leser überlassen, aus den mitgeteilten Umständen die für ihn wahrscheinlichste Antwort auf die Frage zu finden. Derartige Fragen unterliegen in vollem Umfange dem Schutz der Meinungsäußerung nach Art 5 Abs 1 GG und stehen Meinungsäußerungen gleich. Demgegenüber sind unechte Fragen solche, die ausschließlich rhetorischen Charakter 89 haben und als feststehende Aussagen aufzufassen sind. Hierbei handelt es sich um Fragen, die dem Leser eine bestimmte Antwort bereits suggerieren. Derartige Fragen sind wie Tatsachenbehauptungen zu behandeln. Bei der Bestimmung, ob ein Fragesatz eine echte oder eine unechte Frage darstellt, 90 sind der Kontext und die Umstände der Äußerung insgesamt zu berücksichtigen. Die als Schlagzeile von einer Zeitung gestellte Frage „U im Bett mit Caroline?“ wertete der BGH 84 als unechte Frage und hielt einen Richtigstellungsanspruch für begründet. Dabei berücksichtigte er insbesondere auch den Untertitel der Schlagzeile: „In einem PlayboyInterview antwortet er eindeutig zweideutig.“ Insbesondere dieser zweite Teil der Äußerung suggeriere dem Leser, dass die bejahende Alternative vorrangig in Betracht komme. Ob diese Entscheidung des BGH mit dem Grundsatz des BVerfG 85 vereinbar ist, 91 wonach im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes im Zweifel von einem weiten Fragebegriff auszugehen ist, darf mit Recht bezweifelt werden. Insbesondere erscheint fraglich, ob die vom BGH angenommene Suggestion, dass eine bestimmte Antwort auf die Frage vorrangig in Betracht komme, ausreicht, um in einer Fragestellung eine unechte Frage zu sehen, die einer Tatsachenbehauptung gleich kommt. Richtigerweise sollte hierfür die nahezu zwingende Beantwortung der Frage in die eine oder andere Richtung verlangt werden.
88
5. Zitate Im Falle von wörtlich wiedergegebenen Zitaten eines Dritten stellen sich in der Regel zwei getrennt voneinander zu betrachtende Problemkreise. Zum einen beinhaltet jedes wörtliche Zitat automatisch die Tatsachenbehauptung, 93 dass sich der Zitierte entsprechend geäußert hat. Wie jede andere Tatsachenbehauptung auch, muss dieser Umstand wahr sein. Wird ein Zitat in wörtlicher Rede wiedergegeben, so stellt die Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an die sog Zitattreue. Unrichtige Zitate sind durch Art 5 Abs 1 GG nicht geschützt.86 Abweichungen vom tatsächlich Gesagten können auch dann Unterlassungsansprüche des Zitierten auslösen, wenn die Änderungen den Sinn des Zitats unberührt lassen.87 Sind aus redaktionellen Gründen Kürzungen oder sonstige Änderungen des Zitats erforderlich, sollten diese deshalb entweder mit dem Zitierten abgeklärt oder das Zitat nicht in wörtlicher Rede wiedergegeben werden, wobei auch in letzterem Fall dem Zitierten selbstverständlich keine unrichtigen oder sinnentstellenden Äußerungen untergeschoben werden dürfen. Unabhängig von der richtigen Wiedergabe eines Zitats spielt für den Verbreiter auch 94 der Inhalt des Zitats eine wichtige Rolle. Auch ein zutreffend wiedergegebenes Zitat
92
84 85 86
BGH NJW 2004, 1034. BVerfG NJW 1992, 1442; BVerfG NJW 2003, 660. BVerfG NJW 1980, 2072, 2073.
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87
Zu einem gleichwohl zulässigen Abweichen mangels verbleibender Interpretationsunsicherheiten vgl OLG Brandenburg NJW-RR 2007, 1641.
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§3
Tatsachen und Meinungen
kann inhaltlich falsch oder beleidigend sein. Hier geht es um die Frage, inwieweit sich der Zitierende die Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung des Zitierten zurechnen lassen muss. Neben dem Zitierten selbst haftet in der Regel auch der Zitierende für den rechtswidrigen Inhalt eines von ihm verbreiteten Zitats. Gegenteiliges gilt nur, wenn sich der Zitierende von dem Zitat ausdrücklich distanziert hat oder das Zitat im Rahmen eines „Marktes der Meinungen“ wiedergegeben wurde.88 6. Innere Tatsachen Ein Sonderfall unter den Tatsachenbehauptungen sind die sog inneren Tatsachen. 95 Hierbei handelt es sich um innere Vorgänge wie Absichten, Motive oder Gefühle, zu denen letztlich nur der Betroffene selbst zuverlässig Auskunft geben kann. Grds ist die Mitteilung innerer Tatsachen nicht anders zu behandeln als andere Tatsachenbehauptungen. Der Wahrheitsbeweis ist in diesen Fällen allerdings besonders schwer zu führen. Wenn der Betroffene eine innere Tatsache bestreitet, hat der Äußernden in der Regel keine Handhabe das Gegenteil zu beweisen. Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, die noch als Meinungsäußerung des Journalisten 96 einzuordnen sind. So ist bspw die Aussage, jemand sei traurig, wütend oder verärgert gewesen, eine innere Tatsache, die vom Betroffenen durch bloßes Bestreiten widerlegt werden kann. Ist die innere Tatsache dagegen als Eindruck des Journalisten formuliert, so wird es dem Betroffenen weit schwerer fallen, hiergegen zu argumentieren, da der persönliche Eindruck und damit die Meinung des Journalisten in vollem Umfange der Meinungsfreiheit nach Art 5 GG unterfällt. 7. Beweislast Die Zulässigkeit von Tatsachenbehauptungen steht und fällt in der Regel mit der 97 Frage, ob die betreffende Behauptung wahr oder unwahr ist. Die Frage der Beweislastverteilung spielt deshalb eine wichtige Rolle. Grds muss derjenige, der die Unterlassung einer unrichtigen Tatsachenbehauptung 98 begehrt, die Unrichtigkeit beweisen. Diese Beweislast kehrt sich jedoch um, wenn es um ehrenrührige Tatsachen geht. In diesem Fall muss in analoger Anwendung von § 186 StGB derjenige die Richtigkeit der Behauptung beweisen, der sich entsprechend geäußert hat. Das BVerfG hat anerkannt, dass der Äußernde der ihm obliegenden Darlegungslast 99 für ehrenrührige Behauptungen durch Verweis auf unwidersprochen gebliebene Pressemitteilungen nachkommen kann.89 Dies gilt jedoch nur, wenn diese Presseberichte zur Stützung der aufgestellten Behauptung geeignet sind.90 Ist dem Äußernden dagegen bekannt, dass die Richtigkeit der verbreiteten Behauptung in Frage steht, so kann er sich auf diese Berichterstattung nicht stützen.91 Es reicht nicht aus, wenn der Äußernde die ihm offen stehenden Nachforschungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Eine nach seinem Kenntnisstand umstrittene oder zweifelhafte Tatsache muss er vielmehr als solche kennzeichnen und darf sie auch nach sorgfältiger Recherche nicht als feststehend weitergeben.92
88 89 90
Vgl unter § 7 III. BVerfG AfP 1992, 53. BVerfG AfP 1999, 57.
91 92
BVerfG NJW-RR 2000, 1209, 1211. BVerfG NJW-RR 2000, 1209.
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Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
II. Meinungen 1. Schutz der Meinungsfreiheit Im Gegensatz zu einer Tatsachenbehauptung ist eine Meinung eine subjektive Wertung oder Beurteilung, die weder einem Beweis, noch einer Einordnung als „richtig“ oder „falsch“ zugänglich ist. Die ständige Rechtsprechung spricht insoweit von den Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens.93 Dabei gilt eine Äußerung nur dann als Meinung, wenn sie für den Durchschnittsempfänger als solche erkennbar ist. Die Mitteilung eines Umstandes als feststehendes Faktum kann vom Äußernden nicht nachträglich als seine persönliche Meinung relativiert werden. Meinungsäußerungen unterfallen der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit. 101 Der Schutz besteht hinsichtlich Inhalt, Form, Ort und Zeit einer Meinungskundgabe und zwar unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos, für andere nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos ist. Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Aussage grds nicht dem Schutzbereich des Grundrechts.94 Die Meinungsfreiheit unterliegt den in Art 5 Abs 2 GG festgelegten Schranken der all102 gemeinen Gesetze, der Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört insbesondere auch der Straftatbestand der Beleidigung gem § 185 StGB, der die Meinungsäußerungsfreiheit einschränken kann. Allerdings muss auch § 185 StGB im Hinblick auf die konstituierende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freiheitlich demokratische Ordnung interpretiert werden. Lediglich bei Angriffen auf die Menschenwürde, die absolut gilt und mit keinem anderen Grundrecht abwägungsfähig ist, und bei Schmähkritik hat die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurückzustehen.95
100
2. Schmähkritik Der Begriff der Schmähkritik ist wegen seines die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs 1 GG verdrängenden Effekts eng auszulegen.96 Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung nicht automatisch zur unzulässigen Schmähung. Von einer solchen geht die ständige Rechtsprechung vielmehr nur dann aus, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache selbst, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht und dieser jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und an den Pranger gestellt werden soll.97 Hieraus folgt im Gegenschluss, dass auch polemische und überspitzte Kritik zulässig sein kann. Lässt sich eine negative Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als 104 Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an. Dabei fällt es auch ins Gewicht, ob von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in privatem Rahmen zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wurde. Handelt es sich bei der umstrittenen
103
93 94 95
BVerfG NJW 1983, 1415; BVerfG NJW 1992, 1439; BVerfG NJW 2002, 1193. BVerfG NJW 1995, 3303. BVerfG NJW 1995, 3303.
1332
96 97
BGH NJW 2005, 283. BGH NJW 2005, 283 und BGH NJW 2002, 1192, jeweils mit Verweis auf BGH NJW 2000, 1036 und BGH, NJW 2000, 3421.
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§3
Tatsachen und Meinungen
Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede.98 Dieser ständigen Rechtsprechung entspricht zB eine Entscheidung des OLG Karls- 105 ruhe.99 Streitgegenstand war eine Fernsehsendung, in der es um Missstände in der Vitaminindustrie ging. In diesem Zusammenhang wurde ein Arzt und Wissenschaftler als personifizierter Vertreter dieser Industrie vorgestellt und im Verlauf der Sendung als „Scharlatan“ und „Pfuscher“ bezeichnet. Das OLG hielt die Aussagen für zulässig. Im Rahmen einer Auseinandersetzung über ein gesundheitspolitisches Thema von erheblichem öffentlichen Interesse müsse sich der Betroffene diese Äußerungen gefallen lassen. Entscheidend war für das Gericht dabei, dass sich der Beitrag insgesamt mit bestimmten Geschäftspraktiken auf dem Vitaminmarkt – also mit der Sache – auseinandersetzte und nicht vorrangig die Verunglimpfung des Klägers zum Ziel hatte.100 Die Entscheidung zeigt, dass scharfe Kritik vor allem dann für zulässig erachtet und 106 nicht als Schmähkritik eingestuft wird, wenn sie im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung zu einem Thema von öffentlichem Interesse erfolgt. Entsprechend hatte es auch der BGH 101 für zulässig erachtet, den Vorstandsvorsitzenden eines großen Chemieunternehmens im Rahmen der öffentlichen Diskussion über den Klimaschutz auf einem Greenpeace-Plakat, das sich gegen die FCKW-Produktion aussprach mit dem Text „Alle reden vom Klima – Wir ruinieren es“, identifizierbar abzubilden und zu benennen. Um angreifbar zu sein, muss sich eine unzulässige Schmähkritik nach außen wenden. 107 So können zB nach ständiger und zutreffender Rechtsprechung des BGH ehrkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, in aller Regel nicht unter Berufung auf Ehrschutz abgewehrt werden. Denn das Ausgangsverfahren soll nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien und auch ihre Prozessbevollmächtigten in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung der Rechte ihrer Parteien für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird.102 Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn die entsprechenden Äußerungen außerhalb des Verfahrens in einer Art Rundschreiben, mit dem der sich Äußernde an die Öffentlichkeit tritt, aufgestellt werden. 3. Politischer Meinungskampf Äußerungen im politischen Meinungskampf müssen gesondert beurteilt werden. 108 Zwar darf auch insoweit weder Unwahres verbreitet noch Schmähkritik geübt werden. Es kann jedoch im Interesse, die Öffentlichkeit in wirksamer Weise auf politisch bedenkliche Entwicklungen aufmerksam zu machen, durchaus auch eine entschiedene und scharfe Stellungnahme geboten sein.103 Das BVerfG erkennt die Meinungsfreiheit in ihrer Kernbedeutung als Voraussetzung für freie und offene politische Prozesse an. Geht es bei einer zu beurteilenden Äußerung um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, so dürfen keine überhöhten Anforderungen an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik im politischen Meinungskampf gestellt werden. Gegenteiliges ist mit Art 5 GG nicht vereinbar. Dabei spielt es auch eine 98 99 100 101
BVerfG NJW 1958, 257. OLG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1695. OLG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1696. BGH NJW 1994, 124.
102 103
BGH NJW 2005, 279; BGH NJW 1992, 1314. BGH GRUR 1960, 449, 454.
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Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
wichtige Rolle, ob der sich Äußernde private oder eigennützige Ziele verfolgt, ob es ihm vorsätzlich um die Kränkung des Gegners geht, oder ob er sich vorrangig in der Sache äußert. Ist letzteres der Fall, ist die Äußerung in der Regel zulässig. Auch der EGMR erkennt an, dass die Freiheit der politischen Diskussion zum Kern109 bereich des Begriffs einer demokratischen Gesellschaft gehört und zieht die Grenzen zulässiger Kritik bei Politikern weiter als bei Privatpersonen. Anders als Privatpersonen setzten sich Politiker unvermeidlich und wissentlich der eingehenden Kontrolle aller ihrer Worte und Taten durch die Presse und die Öffentlichkeit aus und müssen daher ein größeres Maß von Toleranz zeigen. Der im Rahmen einer politischen Kontroverse von einem Journalisten getätigte Vorwurf, Äußerungen des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Kreisky seien „unmoralisch“, „würdelos“ und „übelster Opportunismus“ durften nach Ansicht des EGMR daher nicht – wie von den österreichischen Gerichten geschehen – untersagt werden.104 Für zulässig hielt auch das BVerfG 105 Äußerungen in einem Interview, in dem der ver110 storbene bayerische Ministerpräsident Strauß als „Zwangsdemokrat“ bezeichnet worden war. Das Gericht lehnte eine Einstufung des Begriffs „Zwangsdemokrat“ als Schmähkritik ab. Dabei spielte es allerdings auch eine entscheidende Rolle, dass der Interviewte den Begriff des „Zwangsdemokraten“ zunächst allgemein erläutert hatte und es ihm nach Auffassung des Gerichts primär darum ging, auf die Gefährdung der demokratischen Ordnung durch Personen hinzuweisen, die diese Staatsform nur äußerlich anerkennen, innerlich aber ablehnen. Strauß wurde nur als Beispiel für den Typus des „Zwangsdemokraten“ genannt, im Vordergrund bliebe die Sachaussage. Als Konsequenz hieraus vertrat das BVerfG die Auffassung, dass sich „… im Rahmen einer Auseinandersetzung um die Sache … auch ein demokratischer Politiker den in der Bezeichnung „Zwangsdemokrat“ enthaltenen Vorwurf gefallen lassen muß.“ 106
III. Abgrenzungsproblematik 111
Tatsachenbehauptungen sind objektive, dem Beweis zugängliche Umstände. Meinungen sind subjektive Einschätzungen des sich jeweils Äußernden. Soweit die Theorie. In der Praxis erweist sich die Einordnung als Meinungsäußerung oder Tatsachen112 behauptung jedoch in der weit überwiegenden Mehrzahl aller Fälle als problematisch. Oft vermengen sich Tatsachen- und Meinungselemente in einer einzigen Aussage. Die vermeintliche Lösung, auf das jeweils überwiegende Element abzustellen, löst das Problem nicht, sondern verschiebt es lediglich. Denn statt entscheiden zu müssen, ob eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung vorliegt, muss nach diesem Ansatz entschieden werden, wo der Schwerpunkt der jeweiligen Äußerung liegt. Die Problematik sei an einigen aktuellen Beispielen aus der Rechtsprechung verdeutlicht. 1. Die „Terroristentochter“ 107
113
Diesem erst kürzlich vom BGH entschiedenen Fall lag ein Artikel über die Tochter einer RAF-Terroristin zu Grunde. Die Tochter arbeitete selbst als freie Journalistin verschiedener Zeitschriften und hatte mehrfach Artikel veröffentlicht, in denen sie sich mit dem RAF-Terrorismus auseinandergesetzt und auch ihre eigene Abstammung offen gelegt 104 105
EGMR NJW 1987, 2143. BVerfG NJW 1991, 95.
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BVerfG NJW 1991, 95, 96. BGH NJW 2007, 686.
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hatte. Auch auf ihrer eigenen Homepage setzte sie sich mit dieser Thematik auseinander. In dem streitigen Artikel wurde die Tochter als „Terroristentochter“ bezeichnet, wogegen sie sich zur Wehr setzte. Der BGH sah in dieser Bezeichnung überwiegend eine Meinungsäußerung und erklärte diese im konkreten Zusammenhang für zulässig. Die Vorinstanz 108 hatte in der Bezeichnung „Terroristentochter“ eine Tatsachenbehauptung im Sinne von „Tochter einer Terroristin“ gesehen. Die Wahrheit dieser Tatsachenaussage, stand außer Frage. Allerdings hatte die Vorinstanz die Aussage gleichwohl für unzulässig erachtet, da sie ohne Einwilligung der Betroffenen ihre familiären Beziehungen, die Teil ihrer Privatsphäre waren, offenlegte und zwar noch dazu durch das eindringliche Schlagwort der „Terroristentochter“. Ob die reine Veröffentlichung der familiären Abstammung auch ohne dieses eindringliche Schlagwort hätte geduldet werden müssen, ließ die Vorinstanz offen. Jedenfalls in dieser Form habe die Betroffene einen Unterlassungsanspruch. Im Gegensatz hierzu sah der BGH in dem Begriff der „Terroristentochter“ trotz des vorhandenen Tatsachengehalts überwiegend eine Meinungsäußerung. Er begründete dies damit, dass die Formulierung als solche und nicht ihr unstreitig wahrer Tatsachenkern in Streit standen. Nach dieser Einordnung der Aussage als Meinungsäußerung stellte der BGH fest, dass eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten des Art 5 Abs 1 GG einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen andererseits stattzufinden habe. Der BGH verneinte zunächst das Vorliegen einer Schmähung oder Formalbeleidigung vor allem mit der Begründung, dass sich die Äußerung im Bereich des öffentlichkeitsrelevanten Meinungskampfes bewege und darüber hinaus Fragen betreffe, die die Betroffene selbst mit eigenen Veröffentlichungen aufgeworfen hatte. Eine von vorne herein unzulässige Schmähkritik sei daher nicht gegeben. Sodann wog der BGH die widerstreitenden Interessen gegeneinander ab. Er bejahte zwar eine gravierende persönliche Belastung der Betroffenen durch die Bezeichnung als „Terroristentochter“. Auf der anderen Seite sah es der BGH aber als entscheidend an, dass die Betroffene die zugrunde liegende Thematik und ihren persönlichen Lebenshintergrund durch entsprechende Veröffentlichungen selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. Er verwies insoweit auf seine inzwischen gefestigte und vom BVerfG anerkannte Rechtsprechung, wonach sich niemand auf den Schutz seiner Privatsphäre für solche Tatsachen berufen kann, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat.109 Vor diesem Hintergrund hielt der BGH die Bezeichnung als „Terroristentochter“ für zulässig. Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Es würde den Sinn der Formulierung verkennen, wollte man die Aussage auf eine reine Tatsachenbehauptung und damit auf ihren sachlichen Inhalt reduzieren. Denn es macht zweifellos einen entscheidenden Unterschied, ob über eine Person sachlich berichtet wird, dass sie die Tochter einer Terroristin sei, oder ob dieselbe Person schlagwortartig mit dem Begriff der „Terroristentochter“ bezeichnet wird. Der in dieser Bezeichnung liegende abwertende Charakter bliebe völlig außer Acht, wollte man nicht erkennen, dass es sich bei dem Begriff in erster Linie um eine Meinungsäußerung handelt. Im konkreten Fall hatte sich die Einordnung als Meinungsäußerung zu Gunsten des Verlags ausgewirkt, da Meinungsäußerungen in stärkerem Maße den Schutz des Art 5 GG genießen als reine Tatsachenbehauptungen. Andererseits kann sich die Einordnung
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OLG München Urteil vom 25.1.2005, Az 18 U 4588/04. Insoweit verweist der BGH auf BVerfG
NJW 2000, 1021; BGH NJW 2005, 594; BGH NJW 2004, 762; BGH NJW 2004, 766.
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von vergleichbaren Schlagworten als Meinungsäußerung in anderen Konstellationen aber durchaus auch zu Gunsten der Betroffenen auswirken. Im Falle der „Terroristentochter“ war wegen der konkreten Umstände das Vorliegen einer Schmähkritik verneint worden. In einem anderen Fall könnte eine solche Schmähkritik aber gerade vorliegen. Dies würde die Meinungsäußerung unzulässig machen. Würde man sich in einem solchen Fall auf den rein sachlichen Inhalt der Äußerung beschränken und wäre dieser inhaltlich zutreffend, so könnte ggf. auch eine Schmähkritik wegen ihres wahren Tatsachenkerns zulässig sein. Schon aus diesem Grunde ist es wichtig, in gleichartigen Fällen dem Meinungselement durchaus Beachtung zu schenken. Zu wessen Gunsten sich dies dann im konkreten Fall auswirkt, ist eine Frage des Einzelfalls. Unabhängig davon, dass dem BGH im Ergebnis zuzustimmen ist, überrascht ein dog119 matischer Aspekt der Entscheidung. Der BGH berücksichtigt den Umstand, dass sich niemand auf seine selbst öffentlich gemachte Privatsphäre berufen kann, im Rahmen der Prüfung der Äußerung als Meinungsäußerung. Dies ist weder zwingend noch überzeugend. Ob Fakten trotz ihres privaten Charakters öffentlich gemacht werden dürfen oder nicht, betrifft den Tatsachenkern der Äußerung und nicht ihren Meinungsaspekt. Es wäre insoweit konsequenter, den Tatsachenkern und den Meinungsteil einer Aussage, getrennt voneinander zu prüfen. Darf bereits der Tatsachenkern nicht veröffentlicht werden, zB weil er den Betroffenen in seiner Intim- oder Privatsphäre verletzt, so ist die Veröffentlichung unzulässig und zwar unabhängig von ihrem überschießenden Meinungscharakter. Kommt man bei diesem Teil der Prüfung demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der Tatsachenkern veröffentlicht werden durfte, zB weil – wie hier – die Betroffene die Tatsache bereits selbst öffentlich gemacht hat, so muss die Aussage zusätzlich noch als Meinungsäußerung geprüft werden. Als solche ist sie zulässig, soweit sie nicht die Grenze zur Schmähkritik übersteigt. Inhaltlich hat der BGH beide Aspekte mit dem auch hier vertretenen Ergebnis berück120 sichtigt. Dogmatisch richtiger erscheint aber die getrennte Prüfung. 2. Die „Busenmacher-Witwe“
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Einen mit der „Terroristentochter“ vergleichbaren Fall hatte zuvor das OLG München 110 zu entscheiden. Streitgegenstand war die Bezeichnung der Witwe eines Schönheitschirurgen als „Busenmacher-Witwe“. Es gab zahlreiche öffentliche Aussagen der Betroffenen, wonach sie sich auch selbst mehrfach von ihrem Gatten hatte operieren lassen. Auch im Übrigen war die Betroffene für ein sehr intensives und freizügiges Auftreten in der Presse bekannt. Die Parallelität zum zuvor erläuterten Fall der „Terroristentochter“ ist offensichtlich. Sie beruht zum einen auf dem unstreitig wahren Tatsachenkern der Aussage, zum anderen darauf, dass die Betroffene die Thematik selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hatte. Auch das OLG München erkannte den überwiegend wertenden Charakter der Äuße122 rung an und stufte sie als Meinungsäußerung ein. Ähnlich wie der BGH nahm auch das OLG München eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor und kam zu dem Ergebnis, dass die Betroffene, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, die Äußerung zu dulden habe. Die Bezeichnung des verstorbenen Ehemannes als „Busenmacher“ sei zwar plakativ und überspitzt, überschreite jedoch nicht die Grenze zur Diffamierung.
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OLG München ZUM 2005, 564.
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Auch diese Entscheidung verdient im Ergebnis Zustimmung. Allerdings erscheint 123 auch hier dogmatisch fragwürdig, weshalb eine etwaige Verletzung der Intim- oder Privatsphäre bzw die gegen eine solche Verletzung sprechende Selbstdarstellung der Betroffenen in der Öffentlichkeit nicht in Zusammenhang mit dem zu Grunde liegenden Tatsachenkern diskutiert wurde, sondern ebenfalls ausschließlich im Rahmen der Interessenabwägung in Bezug auf die Meinungsäußerung. 3. Das „Tätervolk“ Interessant im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung ist auch ein Urteil des OLG Frankfurt aM.111 Streitgegenstand war ein Bericht in einer Jahreschronik, über die Rede eines Politikers. In dem Bericht wurde die Rede dahingehend zusammengefasst, der betreffende Politiker habe die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet. Der betroffene Politiker verlangte die Unterlassung dieser Aussage. Er habe in seiner Rede zwar an einem Punkt gesagt, man könne Juden mit einiger Berechtigung als „Tätervolk“ bezeichnen. Sodann habe er in seiner Rede aber herausgearbeitet, dass dies gerade falsch sei und weder Deutsche noch Juden als „Tätervolk“ bezeichnet werden könnten. Das OLG Frankfurt gab dem Unterlassungsbegehren statt. Unstreitig war, dass die Rede so aufgebaut war, wie vom Betroffenen dargelegt. Das OLG Frankfurt urteilte, dass es sich bei der streitgegenständlichen Zusammenfassung der Rede um eine Tatsachenbehauptung handele, die nicht erweislich wahr sei. Insbesondere in einer Jahreschronik würden Tatsachen über das vergangene Jahr mitgeteilt. Als Meinungsäußerung könne die Aussage daher nicht gewertet werden. Allerdings könne – so das OLG Frankfurt weiter – der Inhalt der fraglichen Rede unterschiedlich ausgelegt werden. Die Tatsachenbehauptung, der Politiker habe sich in der zitierten Art und Weise geäußert, sei daher weder erweislich wahr, noch erweislich unwahr. Die Tatsachenbehauptung hätte aus diesem Grund als eine Interpretation der Rede gekennzeichnet werden müssen und war ohne eine solche Klarstellung unzulässig. Das Besondere an dieser Entscheidung ist, dass das OLG Frankfurt damit eine Art Kennzeichnungspflicht für Meinungsäußerungen verlangt. Zwar ordnet das OLG Frankfurt die fragliche Aussage als Tatsachenbehauptung ein. Dies schließt das Gericht aber nicht aus der Aussage selbst, sondern aus dem Umstand, dass in einer Jahreschronik Tatsachen erwartet würden. Unabhängig davon sieht das OLG Frankfurt in der Aussage eine persönliche Interpretation der in Frage stehenden Rede. Diese Interpretation hätte als solche gekennzeichnet werden müssen. Ohne es auszusprechen, geht das OLG Frankfurt damit mehr von einer Meinung, als von einer Tatsachenbehauptung aus. Denn wo liegt der Unterschied zwischen einer Meinung und der „persönlichen Interpretation“ einer Tatsachenbehauptung? Die „persönliche Interpretation“ misst das OLG Frankfurt aber nicht an den großzügigen Voraussetzungen, die für Meinungsäußerungen nach Art 5 GG zu gelten haben. Vielmehr hält es an seiner ursprünglichen Einstufung der Aussage als Tatsachenbehauptung fest und verweist darauf, dass nicht erweisliche Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutz des Art 5 Abs 1 GG erfasst seien. Es verdient Zustimmung, dass das OLG Frankfurt die Aussage, der betroffene Politiker habe sich in seiner Rede in einer bestimmten Art und Weise geäußert, als Tatsachenbehauptung gewertet hat. Diese Einstufung ist vor allem deshalb richtig, weil es nicht um eine Wiedergabe in eigenen Worten, sondern um ein wörtliches Zitat aus der Rede ging. Allerdings wäre es überzeugender gewesen, wenn dass OLG Frankfurt die Problematik 111
OLG Frankfurt aM NJW-RR 2005, 54.
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dann über die Konstellation „verschwiegene Tatsachen“ 112 gelöst hätte. Das Zitat aus der Rede war zwar zutreffend, jedoch aus dem Zusammenhang gerissen. Isoliert wiedergegeben legte es dem Leser einen anderen Inhalt nahe, als ihn die Rede in ihrer Gesamtheit hatte. Dieses Problem hätte vom OLG Frankfurt aber dahingehend gelöst werden können, dass es dem Äußernden hätte auferlegen müssen, die fragliche Aussage nicht zu verbreiten, ohne den relativierenden Teil der Rede ebenfalls zu erwähnen. Diese Lösung wäre dogmatisch eindeutiger und konsequenter gewesen, als eine Tatsachenbehauptung als „persönliche Interpretation“ einzustufen und ihr als solche dann eine Kennzeichnungspflicht aufzuerlegen.
§4 Mehrdeutige Aussagen I. Rechtliche Situation vor „Stolpe“ und „Babycaust“ 129
Äußerungen sind nicht immer eindeutig, sondern können oft unterschiedlich ausgelegt werden. Es stellt sich deshalb in presserechtlichen Auseinandersetzungen häufig die Frage, welche Deutung einer Aussage der Entscheidung über ihre Zulässigkeit zugrunde zu legen ist. In vielen Fällen hängt das Ergebnis des Rechtsstreits von dieser Frage ab, denn nicht selten führt eine Auslegung zu einem zulässigen, eine andere Auslegung zu einem unzulässigen Ergebnis. Lange Zeit galt der Grundsatz, dass die Gerichte bei mehrdeutigen Aussagen im 130 Zweifel immer diejenige Deutungsvariante zugrunde legen müssen, die für den sich Äußernden günstiger ist.113 Nur wenn alle anderen Alternativen mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden konnten, durfte eine Deutung angenommen werden, die zu einer Verurteilung des sich Äußernden führt.114 Dieser Grundsatz galt sowohl für die Auslegung mehrdeutiger Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, als auch für die Einordnung einer Aussage in eine dieser beiden Kategorien. Diese Rechtsprechung hat in jüngster Zeit durch zwei Entscheidungen des BVerfG 131 eine grundlegende Änderung erfahren. Es handelt sich hierbei um die Entscheidungen, die unter den Stichworten „Stolpe“ 115 und „Babycaust“ 116 in der Literatur sehr kontrovers diskutiert werden 117 und auch nachfolgend so benannt werden sollen.
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Vgl unter § 3 I 2. Wenzel/Burkhardt Kap 4 Rn 2 aE unter Verweis auf BGH NJW 1998, 3047; BGH NJW 2002, 1192, 1193; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 766, 767. BVerfG NJW 1977, 799; BVerfG NJW 1991, 1529; BVerfG NJW 1991, 3023; BVerfG NJW 1992, 2012 BVerfG AfP 2006, 41.
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BVerfG AfP 2006, 349. Zur Stolpe-Entscheidung im Wesentlichen wohlwollend: Helle AfP 2006, 110; Hochhuth NJW 2006, 189; krit Teubel AfP 2006, 20; Gas AfP 2006 428; krit zur BabycaustEntscheidung: Gas/Körner AfP 2007, 17; Hochhuth NJW 2007, 192; zu beiden Entscheidungen krit Seelmann-Eggebrecht AfP 2007, 86.
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Mehrdeutige Aussagen
II. Die Stolpe-Entscheidung 1. Die Entscheidung Die sog „Stolpe“-Entscheidung betraf eine Aussage über den ehemaligen Ministerpräsident von Brandenburg Dr. Manfred Stolpe. Im Rahmen der Diskussion über die Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg hatte ein ranghoher Politiker einer konkurrierenden politischen Partei über Stolpe gesagt, dieser sei „IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig …“ gewesen. Stolpe verlangte die Unterlassung dieser Aussage, da er niemals als Inoffizieller Mitarbeiter im Dienste des Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen sei. In dem Rechtsstreit ging es um zwei mögliche Auslegungsvarianten. Nach Auffassung der Gerichte konnte die Aussage, Stolpe sei „IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig …“ gewesen entweder – für Stolpe stärker belastend und daher für den Äußernden ungünstiger – dahingehend ausgelegt werden, – Stolpe habe aufgrund einer ausdrücklichen oder konkludenten Verpflichtungserklärung im Auftrage des Staatssicherheitsdienstes gearbeitet und Informationen über Dritte an diesen als Dienstherrn zu dessen Nutzen weitergegeben. Alternativ erkannten die Gerichte die – für Stolpe weniger belastende und daher für den Äußernden günstigere – zweite Auslegungsalternative – Stolpe habe dem Staatssicherheit nur Dienste geleistet, indem er ihm in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche und im Rahmen seiner insoweit zu dem Ministerium bestehenden Kontakte entsprechend dessen Erwartungen Informationen über Dritte oder bestimmte Vorhänge geliefert habe. Keine der beiden Auslegungsvarianten war nachweisbar. Hiervon ging auch der BGH aus. Allerdings führte dies nicht automatisch zur Unzulässigkeit der Aussage. Vielmehr hatte der BGH zu prüfen, ob die Aussage als Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gleichwohl gerechtfertigt war.118 Eine solche Rechtfertigung ist gegeben, wenn es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht und vor Mitteilung der unbewiesenen Tatsachen hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt worden waren.119 Bei der Entscheidung ob diese Voraussetzungen erfüllt waren, hatte der BGH eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht Stolpes einerseits und der Meinungs- und Pressefreiheit andererseits vorzunehmen. Er legte seiner Abwägung unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des BVerfG die für den Äußernden günstigere Deutungsvariante zu Grunde und kam zu dem Ergebnis, dass die so verstandene Aussage zulässig war. Die Entscheidung des BGH wurde vom BVerfG aufgehoben und an den BGH zurückverwiesen. Dabei kritisierte das BVerfG zum einen die vom BGH vorgenommene Abwägung als solche, die nicht einmal im Hinblick auf die gewählte, mildere Auslegungsvariante der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalte. Der Äußernde hätte die Unsicherheit hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Aussage offenlegen müssen. Zum anderen – und hierin liegt die Bedeutung der Entscheidung – habe der BGH für seine Abwägung aber schon den falschen Ausgangspunkt gewählt. Für den im Raum stehenden Unterlassungsanspruch hätte er nicht von der für den Äußernden günstigeren, sondern von der das Persönlichkeitsrecht stärker verletzenden und damit für den sich Äußernden ungünstigeren Auslegungsvariante ausgehen müssen.
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BGH NJW 1987, 2225, 2226.
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BGH NJW 1996, 1131.
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Das BVerfG bestätigte in diesem Zusammenhang zwar, dass bei der Überprüfung von straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen die für den sich Äußernden günstiger Variante zugrunde gelegt werden müsse. Ein Strafurteil oder eine Verurteilung zum Schadensersatz, Widerruf oder zur Berichtigung verstoße gegen Art 5 Abs 1 GG, wenn Formulierung oder Umstände der Äußerung auch eine das Persönlichkeitsrecht nicht verletzende Deutung zulassen. Dies gelte aber gerade nicht bei einer Entscheidung über Unterlassungsansprüche. Denn während eine staatliche Sanktion wegen ihrer einschüchternden Wirkung die freie Rede, freie Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen könne, sei dies bei einer Verurteilung zur zukünftigen Unterlassung gerade nicht der Fall. Der Äußernde habe die Möglichkeit sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen sei. Sei der dazu nicht bereit, bestehe kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulasse, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringen Persönlichkeitsverletzung führten. Das BVerfG verwies den Rechtsstreit an den BGH zurück, da nicht ausgeschlossen 137 werden könne, dass der BGH zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn er seiner Abwägung den zutreffenden Ausgangspunkt zugrunde gelegt hätte, nämlich die das Persönlichkeitsrecht Stolpes stärker verletzende Auslegungsvariante. 2. Stellungnahme
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Die Entscheidung des BVerfG erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick ist sie es nicht.
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a) Keine Einschüchterungswirkung von Unterlassungsansprüchen. Es klingt überzeugend, wenn das BVerfG darauf abstellt, dass es im Rahmen von Unterlassungsansprüchen ausschließlich um ein zukünftiges Verhalten des Äußernden geht. Weshalb sollte es dem Äußernden nicht zumutbar sein, künftig eine Klarstellung vorzunehmen, wenn er durch das vorangegangene Unterlassungsverfahren Kenntnis von der Mehrdeutigkeit seiner Aussage hat? Dem Argument des BVerfG von dem rein zukunftsorientierten Unterlassungsanspruch 140 gehe aus den genannten Gründen keine Einschüchterungswirkung und damit keine Gefahr für die Meinungsfreiheit aus, muss jedoch entgegengehalten werden, dass dies zumindest im Hinblick auf die Medien nicht zutrifft. Zu Recht werden der Entscheidung des BVerfG deshalb auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegengehalten.120 Denn zum Schutzbereich des Art 5 GG zählt das gesamte Pressewesen einschließlich des Vertriebs von Presseerzeugnissen. Wenn Presseerzeugnisse aber infolge eines Unterlassungsurteils früher als geplant vom Markt genommen werden müssen, so hat dies für den betroffenen Verlag in der Regel einen hohen Ruf- und Vermögensschaden zur Folge. Auch ein Unterlassungsanspruch hat insoweit zumindest für die Medien durchaus einen stark sanktionierenden Charakter und Einschüchterungseffekt, womit eine Gefahr für die Pressefreiheit einhergeht. Denn wenn ein Verlag befürchten muss, einem Unterlassungsanspruch und damit der Gefahr des Rückrufs seiner Publikation vom Markt ausgesetzt zu sein,
120
Seelmann-Eggebrecht AfP 2007, 86, 89.
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sobald einer Aussage auch eine unzulässige Deutungsvariante nicht abgesprochen werden kann, wird der Verlag auf diese Aussage zur Vermeidung dieses Risikos im Zweifel eher verzichten.121 b) Bloße Verpflichtung zur Offenlegung von Recherche-Unsicherheiten. Weiter wird 141 teilweise vertreten, die Entscheidung des BVerfG verbiete lediglich, umstrittene Tatsachen als unstreitig hinzustellen. Alles Bewiesene dürfe nach wie vor behauptet werden, nur bei unsicherer Recherchelage müsse der Äußernden genau dies auch offenlegen.122 Auch diese Konsequenz scheint in der Tat tragbar. Bei näherer Betrachtung kann jedoch nicht der Auffassung nicht gefolgt werden, dass 142 die Entscheidung des BVerfG nur diese Konsequenz habe. Es ist zwar richtig, dass das BVerfG im Rahmen der Stolpe-Entscheidung kritisiert hat, dass die unsichere Recherchelage nicht offengelegt worden war. Insoweit kann dem Urteil auch zugestimmt werden. Dieser Teil der Entscheidung basiert aber auf der Besonderheit, dass in dem Fall Stolpe beide im Raum stehenden Deutungsvarianten nicht nachweisbar waren. Das BVerfG hatte insoweit Recht anzunehmen, dass egal welche Deutungsvariante man zu Grunde legt, in beiden Fällen eine Klarstellung zur unsicheren Recherchelage erforderlich gewesen wäre. Dies räumt aber nicht die Bedenken dagegen aus, dass das BVerfG nicht nur für den 143 konkreten Fall, sondern ganz allgemein vertreten hat, bei Unterlassungsansprüchen müsse stets von der für den Äußernden negativeren Deutungsvariante ausgegangen werden. Es ist durchaus denkbar, dass es in einem anderen Fall eine positive Auslegungsvariante gibt, die zu einer nachgewiesenen Tatsachenbehauptung führt, während eine andere Auslegung zu einer unbewiesenen Tatsachenbehauptung führt. Die Konsequenz wäre, dass in diesem Fall der sich Äußernde, der seine Aussage im Sinne der nachgewiesenen Tatsachenbehauptung gemeint hat, im Falle der Mehrdeutigkeit immer alle weiteren Deutungsvarianten mitberücksichtigen und sämtlichen etwaigen Unsicherheiten in der Recherchelage auch hinsichtlich dieser – von ihm gar nicht gemeinten – Deutungsvarianten offenlegen muss. Im Zweifel wird er in einem solchen Fall von seiner Aussage insgesamt eher absehen. Dass auch diese Konsequenz zu einer sehr deutlichen Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit führt, kann kaum bestritten werden.
III. Die Babycaust-Entscheidung 1. Die Entscheidung In der sog Babycaust-Entscheidung setzt das BVerfG die in Sachen Stolpe eingeführte 144 Rechtsprechung fort und überträgt sie auf mehrdeutige Werturteile und Meinungsäußerungen. Dem Fall zugrunde lagen Flugblätter, die von Abtreibungsgegnern auf dem Gelände 145 eines Klinikums verteilt wurden, auf dem auch ein auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierter Arzt seine Praxis betrieb. Auf dem Flugblatt hieß es ua wörtlich:
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Vgl Seelmann-Eggebrecht AfP 2007, 86, 89, der zutreffend auch darauf verweist, dass die Berichterstattung oft auch auf eine vereinfachte (und damit möglicherweise an-
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greifbare) Darstellung komplexer Sachverhalte geradezu angewiesen ist. Hochhuth NJW 2006, 189, 191.
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„Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums … Damals: Holocaust Heute: Babycaust Wer hierzu schweigt wird mitschuldig!“
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Der Arzt verlangte die Unterlassung mehrerer Aussagen aus dem Flugblatt. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Urteil des OLG Nürnberg, das dem Unterlassungsanspruch nicht stattgegeben hatte. Das OLG Nürnberg sah in dem Text „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N“ eine wertende Meinungsäußerung. Diese sei aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit allerdings im Sinne der für den sich Äußernden günstigeren Variante auszulegen, nämlich dahingehend, dass „Mord“ nicht im rechtstechnischen, sondern im alltäglichen Sprachsinne zu verstehen sei. Die Äußerung sei so aufzufassen, dass die Abtreibung als besonders verwerfliche, vorsätzliche, nichtstrafbare Tötung ungeborener Kinder eingestuft würde. Eine Güterabwägung ergebe, dass die Ehre des Arztes dadurch zwar eine schwere Kränkung erfahre, die Grenze zur Schmähung jedoch nicht überschritten und die Aussage damit zulässig sei. Ebenso sah das OLG Nürnberg in der Äußerung „damals: Holocaust – heute: Babycaust“ eine zulässige Meinungsäußerung. Auch hier sei von der für den sich Äußernden günstigsten Auslegungsvariante auszugehen. Diese erschöpfe sich in dem Vorwurf, die Abtreibungspraxis stelle eine verwerfliche Massentötung menschlichen Lebens dar. In Gestalt dieser Auslegung handele es sich um eine Meinungsäußerung zu fundamentalen, die Öffentlichkeit bewegenden Fragen, die als Beitrag zur politischen Willensbildung hingenommen werden müsse. Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt. Es sei verfassungsrechtlich nicht tragfähig, wenn das OLG Nürnberg in der Formulierung „Kinder-Mord im Mutterschoß“ ein zulässiges Werturteil gesehen habe. Im Rahmen des zukunftsorientierten Unterlassungsanspruchs hätte das OLG nicht die für den Äußernden günstigste Interpretation zugrunde legen dürfen. Wie bereits zuvor bei Stolpe meinte das BVerfG auch hier, die Meinungsfreiheit sei nicht verletzt, wenn dem Betroffenen im Interesse des Persönlichkeitsschutzes anderer auferlegt werde, den Inhalt seiner Aussage künftig klarzustellen. Die Grundsätze aus der Stolpe-Entscheidung seien nicht auf Tatsachenaussagen begrenzt, sondern ebenso maßgeblich, wenn – wie hier – ein Werturteil in Frage stehe. Im Rahmen des Unterlassungsbegehrens hätte deshalb auch die andere und nach Auffassung des BVerfGs ebenfalls naheliegende Deutung berücksichtigt werden müssen, dass „Mord“ im rechtstechnischen Sinne zu verstehen sei. Ebenso wenig akzeptierte das BVerfG die Verneinung des Anspruchs auf Unterlassung im Hinblick auf den Vergleich zwischen „Holocaust“ und „Babycaust“. Auch hier sei im Rahmen des Unterlassungsanspruchs nicht auf die für den Äußernden günstigste Variante abzustellen. Vielmehr könne die Äußerung auch dahingehend verstanden werden, dass der nationalsozialistische Holocaust mit dem als „Babycaust“ umschriebenen Sachverhalt unmittelbar gleichgesetzt werden sollte. Das Gericht verwies die Angelegenheit unter dieser Prämisse zur Entscheidung an das OLG Nürnberg zurück. 2. Stellungnahme
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Die Entscheidung ist im Hinblick auf Art 5 GG und den Schutz der Meinungsfreiheit noch bedenklicher, als die Entscheidung zu Stolpe.
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§4
Mehrdeutige Aussagen
Bei Stolpe ging es um eine mehrdeutige Tatsachenbehauptung, die der Auslegung 153 bedurfte. Es wird aus den oben genannten Gründen hier zwar nicht der Auffassung des BVerfG zugestimmt, wonach im Rahmen von Unterlassungsansprüchen bei mehrdeutigen Tatsachenbehauptungen die für den Äußernden ungünstigste Deutungsvariante zugrunde zu legen ist. Der Auslegungsprozess als solcher ist im Rahmen von Tatsachenbehauptungen aber richtig und schon deshalb erforderlich, um zu erforschen, was der sich Äußernde tatsächlich sagen wollte. Dies ist im Falle von Meinungsäußerungen anders. Hier macht sich der sich Äußernde in der Regel nicht über die eine oder andere Auslegungsmöglichkeit Gedanken, sondern meint genau das, was er sagt, jedoch nicht mit Tatsachengehalt, sondern als Meinung. Zustimmung verdient insoweit die Auffassung in der Literatur, die davon ausgeht, dass Meinungsäußerungen in der Regel gar nicht auslegungsfähig sind und ihre Interpretation eher dazu führt, dass sie künstlich in absurde Tatsachenaussagen umgedeutet werden.123 Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Abtreibungsgegner den Begriff 154 „Mord“ rechtstechnisch verstanden wissen wollten. Ebenso sind die unterschiedlichen Auslegungsversuche zu dem „Holocaust-Babycaust“-Vergleich schon per se nicht nachvollziehbar. Sie schließen sich vor allem gegenseitig gar nicht aus. Die Abtreibungsgegner wollten die Abtreibungspraxis als Massentötung menschlichen Lebens kritisieren und sie als solche dem Holocaust gleichsetzen. Weder „Mord“ noch „Holocaust“ waren dabei in ihrem engen, ursprünglichen Sinn zu verstehen. Vielmehr wollten die Abtreibungsgegner eine Parallele zwischen der Abtreibungspraxis einerseits und den unter „Mord“ und „Holocaust“ fallenden Sachverhalten andererseits ziehen und die Sachverhalte einander moralisch gleichsetzen. Vor diesem Hintergrund wäre es richtiger gewesen, von einer Erforschung möglicher 155 Deutungsvarianten im Fall Babycaust abzusehen und die Zulässigkeit der Aussagen danach zu entscheiden ob mit den gezogenen Vergleichen – die ohne Zweifel nicht wörtlich, wohl aber wertend gemeint waren – die Grenze der Schmähkritik überstiegen wird oder nicht. Diese Entscheidung soll hier dahinstehen.124 Die Ausführungen an dieser Stelle sollen sich darauf beschränken aufzuzeigen, dass es bei Meinungsäußerungen nicht um die Aufdeckung unterschiedlicher Deutungsvarianten geht. Vielmehr geht es bei Meinungsäußerungen um einen offen zu Tage tretenden, wertenden Sinngehalt, der danach bewertet werden muss, ob er die Grenze der Schmähkritik übersteigt oder nicht. Wenn eine Meinungsäußerung vorliegt, dann geht eine allzu wörtliche Auslegung – zB des Begriffes „Mord“ als juristischer Straftatbestand – fehl. Denn damit wird einer Meinung der stärkere Schutz, den sie unter Art 5 GG gegenüber einer Tatsachenbehauptung genießt, zu Unrecht wieder genommen.
IV. Übertragbarkeit auf Widerruf und Gegendarstellung Das BVerfG betont, dass die Rechtsprechung zu Stolpe und Babycaust auf Widerruf, 156 Berichtigung und Schadensersatz nicht anzuwenden ist. Abzulehnen ist insoweit eine andere in der Literatur vertretene Auffassung,125 die die 157 neue Rechtsprechung des BVerfG zumindest auch auf den Widerrufsanspruch anwenden will. Sie begründet dies dogmatisch damit, dass auch der Widerruf – wie der Unter123 124
Hochhuth NJW 2007, 192, 193. Für die Zulässigkeit mit guten Argumenten Hochhuth NJW 2007, 192.
125
Helle AfP 2006, 110, 114.
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lassungsanspruch – Zukunftsbezug habe, da er darauf gerichtet sei, eine andauernde Störung für die Zukunft zu beseitigen. Der Ansatz ist dogmatisch sicherlich richtig. Praktisch ist jedoch mit dem BVerfG davon auszugehen, dass der Abdruck eines Widerrufs eine nachträgliche Sanktion darstellt. Gemeint ist damit nicht die Zielrichtung des Widerrufs, sondern die Tatsache, dass der Widerruf eine nachträgliche Sanktion für eine Äußerung darstellt, an der der sich Äußernde nichts mehr ändern kann. Während er es im Hinblick auf einen Unterlassungsanspruch zukünftig in der Hand hat, sich nicht mehr in derselben Art und Weise zu äußern und ihm durch ein gegen ihn ergangenes Unterlassungsurteil deshalb keine Nachteile entstehen müssen, muss der zum Widerruf verurteilte den Widerruf durch entsprechenden Abdruck bzw Verbreitung erst noch erfüllen. Im Ergebnis kommt dies einer nachträglichen Sanktion gleich. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, die neue Rechtsprechung allenfalls auf Unter158 lassungsansprüche anzuwenden. Wollte man sie auch auf sonstige presserechtliche Ansprüche erstrecken, ergäbe sich hieraus eine noch größere Gefahr für die Meinungsfreiheit als sie – wie oben dargestellt – in der neuen Rechtsprechung ohnehin bereits gesehen werden muss. Für den Gegendarstellungsanspruch hat das BVerfG in diesem Sinne entschieden. Mit 159 der Pressefreiheit ist es unvereinbar, einen Gegendarstellungsanspruch zu gewähren, wenn nur eine „nicht fernliegende Deutung“ oder gar ein „nicht fernliegender Eindruck“ einen gegendarstellungsfähigen Inhalt ergibt.126 In ähnlicher Weise hat das OLG Karlsruhe einen Gegendarstellungsanspruch im Falle von verdeckten Tatsachen abgelehnt, wenn nur bei einem unbedeutenden Teil der Adressaten von 5 bis 10 % der Eindruck entsteht, die Erstmitteilung enthalte die bekämpfte Tatsachenbehauptung.127
§5 Identifizierende Berichterstattung/Namensnennung I. Grundsätzliches 160
Es ist ein immer wiederkehrendes Problem des Presserechts, ob und unter welchen Umständen namentlich oder in sonst identifizierbarer Art und Weise – zB durch eine Fotoveröffentlichung – über Personen berichtet werden darf. 161 Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG ist es Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, selbst darüber zu bestimmen, ob und in welchem Umfang eine Person in das Licht der Öffentlichkeit tritt. Hierzu gehört auch das Recht, anonym zu bleiben und die eigene Person überhaupt nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen.128 162 Dieses Recht auf Anonymität gilt allerdings nicht grenzenlos. Vielmehr findet es sein Ende dort, wo ein begründetes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer entsprechenden Berichterstattung besteht. 163 Dabei muss zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an einem Vorgang als solchen und an der Identifizierbarkeit der Beteiligten unterschieden werden. Besteht ein öffentliches Interesse an dem Vorgang als solchen, kann die Presse darüber berichten. Dies bedeutet allerdings nicht automatisch, dass auch die an dem Vorgang 126
BVerfG ZUM 2008, 325, 328; anders, wenn sich eine verdeckte Aussage dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung aufdrängt.
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127 128
OLG Karlsruhe ZUM-RD 2008, 70. BVerfG NJW 1973, 1226; BVerfG NJW 1980, 2070.
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§5
Identifizierende Berichterstattung/Namensnennung
Beteiligten identifizierbar gemacht werden dürfen. Nur wenn auch an der Beteiligung der konkreten Personen ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit besteht, zB weil sie der Öffentlichkeit als Politiker oder in anderer herausragender Position bekannt sind, wird man auch eine identifizierende Berichterstattung für zulässig erachten können. Büßt der Vorgang demgegenüber nichts an seiner Bedeutung ein, wenn die daran beteiligten Personen anonym bleiben, so ist eine Identifizierung dieser Personen in der Berichterstattung in der Regel unzulässig.
II. Identifizierbarkeit Es ist ein nicht abschließend geklärtes Problem, ab wann von Identifizierbarkeit einer Person auszugehen ist. Insbesondere stellt sich oft die Frage in wie weit außer dem Namen und dem Foto einer Person auch sonstige Umstände nicht genannt werden dürfen, aus denen sich für den einen oder anderen die Identifizierbarkeit der Person ergeben könnte. Oft bejaht die Rechtsprechung eine Identifizierbarkeit auch in Fällen, in denen die Presse eine Person zB durch Änderung oder Abkürzung ihres Namens bewusst anonymisiert hat. Sie begründet dies damit, dass der Betroffene auch aus der Mitteilung anderer Umstände zumindest für einen kleinen Personenkreis erkennbar werden kann. Das LG Berlin hat zB in Zusammenhang mit einer Gerichtsberichterstattung über einen Mordprozess Aussagen für unzulässig erklärt, die zwei Zeugen als den Hausarzt und das Firmpatenkind der Ermordeten identifizierten und sich mit den zivil- und erbrechtliche Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit dem Mordopfer befassten.129 Die Namen der Betroffenen waren von der Presse bewusst geändert worden. Das LG Berlin berief sich aber auf die Rechtsprechung von BGH und BVerfG, wonach es für die Identifizierbarkeit einer Person ausreichen kann, wenn durch die Übermittlung von Teilinformationen jedenfalls ein Teil der Leserschaft, und sei es auch nur der Bekanntenkreis des Betroffenen, auf dessen Identität schließen kann.130 Dies sei durch die Beschreibung der Betroffenen als Hausarzt bzw Patenkind hier der Fall. Die allzu großzügige Bejahung der Identifizierbarkeit einer Person in einer Presseberichterstattung ist im Hinblick auf Art 5 GG bedenklich. Zwar ist es einerseits sicherlich richtig, die Identifizierbarkeit nicht ausschließlich an Namensnennung oder Bildveröffentlichung zu knüpfen, sondern insgesamt zu prüfen, ob eine Person möglicherweise durch andere mitgeteilten Umstände identifizierbar wird. Andernfalls wäre eine unzulässige identifizierende Berichterstattung zu leicht zu umgehen. Andererseits erscheint es im Interesse der Pressefreiheit erforderlich dort eine Grenze zu ziehen, wo der Betroffene nur für einen sehr kleinen Personenkreis, zB seinen eigenen Bekanntenkreis, identifizierbar wird. Gerade in der Gerichtsberichterstattungen ist die Presse darauf angewiesen, die Beziehungen unter den Beteiligten zu erläutern, um der Leserschaft die erforderlichen Zusammenhänge verständlich zu machen. Die Rolle, die ein Zeuge im Leben eines Mordopfers gespielt hat – sei es zB als Hausarzt oder als Patenkind – muss dabei erwähnt werden können. Andernfalls ist Gerichtsberichterstattung insgesamt sinnvoll kaum möglich. Auch wenn damit der Betroffene für einen kleinen Kreis 129
130
LG Berlin vom 21.6.2007, AZ 27 O 578/07 und LG Berlin vom 17.7.2007, AZ 27 O 586/07. LG Berlin vom 21.6.2007, AZ 27 O 578/07
unter Verweis auf BGH NJW 1963, 1155; BGH NJW 1992, 1312, 1313; BVerfG NJW 2004, 3619.
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identifizierbar wird, dürfte diese Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts in Abwägung zu Pressefreiheit und Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit hinzunehmen sein.
III. Namensnennung von Beteiligten am Wirtschaftsleben 168
Die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung kann sich auch aus der Position ergeben, die der Betroffene im Wirtschaftsleben einnimmt. Eine Grundsatzentscheidung hierzu ist der vom BGH 131 entschiedene Fall über die Abberufung des Geschäftsführers einer Klinik GmbH. Der Streitigkeit zugrunde lag die Meldung einer Presseagentur, in der unter namentlicher Nennung über den Betroffenen berichtet worden war, dass er als Klinik-Geschäftsführer abberufen und mit sofortiger Wirkung beurlaubt worden war. Weiter wurde mitgeteilt, das Vertrauensverhältnis zu einem Großteil der Mitarbeiter sei nachhaltig gestört gewesen, die Mitarbeiter hätten dem Betroffenen Beleidigungen, Bedrohungen, Lügen und Verleumdungen vorgeworfen. Der BGH hat die namentliche Nennung des Geschäftsführers für zulässig erachtet. Er 169 stellte dabei ausdrücklich auf die herausragende Position ab, die der Betroffene als Geschäftsführer eines großen Klinikums inne hatte und führte aus, dass derjenige, der sich am Wirtschaftsleben betätigt, sich auch in erheblichen Umfang der Kritik an seinen Leistungen aussetze.132 Er müsse es daher dulden, dass über ihn auch namentlich in der Presse berichtet werde. Dabei spiele es auch eine wichtige Rolle, dass der Betroffene durch den Bericht lediglich in seiner Sozialsphäre, nämlich in derjenigen Rolle betroffen, war, mit der er nach Außen auftrat. Ein Eingriff in das Privatleben des Betroffenen war mit der Berichterstattung nicht verbunden gewesen.
IV. Vorfälle mit politischem Hintergrund 170
Weiter kann sich die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung auch aus der politischen Bedeutung eines Vorfalls ergeben. Das OLG Braunschweig 133 hat zB die namentliche Berichterstattung über einen Anhänger der Jugendorganisation der NPD für zulässig erachtet. Der Betroffene hatte an einer von Gegendemonstranten begleiteten Demonstration der NPD teilgenommen und in diesem Zusammenhang eine Körperverletzung begangen. Zwar stand in diesem Fall der Betroffene nicht bereits aufgrund seiner Position in der 171 Öffentlichkeit. Auch gestattet die Rechtsprechung im Falle von Berichten über Straftaten in der Regel eine namentliche Berichterstattung nur im Falle schwerer Kriminalität, was hier ebenfalls nicht gegeben war. Allerdings wurde in diesem Fall die Berichterstattung mit der Begründung für zulässig erachtet, dass die Vorkommnisse und auch die daran beteiligten Personen bereits aus ihrem aktuellen politischen Kontext heraus ein zeitgeschichtliches Geschehen bilden würden, über das auch unter Namensnennung der Betroffenen berichtet werden dürfe. Das OLG Braunschweig betonte in diesem Zusammenhang, dass der Fall anders zu beurteilen wäre, wenn es sich nicht um einen Täter, sondern um ein Opfer oder sonst unfreiwillig in das Tatgeschehen hineingezogene Person handeln würde. Dies entspricht der zutreffenden Auffassung, dass über Verbrechensopfer 131 132
BGH GRUR 2007, 350. BGH GRUR 2007, 350 mit Verweis auf BGH GRUR 1995, 270 und BGH NJW 1998, 2141.
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133
OLG Braunschweig NJW-RR 2005, 195.
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§5
Identifizierende Berichterstattung/Namensnennung
und Zeugen nicht oder nur in sehr begrenztem Rahmen namentlich berichtet werden darf.134 Im vorliegenden Fall handelte es sich aber zum Einen um ein bewusstes Handeln des 172 Betroffenen, zum Anderen um zeitgeschichtlich relevante Geschehnisse. Das OLG Braunschweig erklärte es unter diesen Umständen ausdrücklich – und zu Recht – für zulässig, „den von ihr für die politische Kultur bei Demonstrationsveranstaltungen unter politischen Extremisten exemplarisch herausgegriffenen Vorfall in der geschehenen Weise, nämlich unter Namensnennung zu personalisieren“. Ebenso kann eine presserechtliche Auseinandersetzung durch die politische Bedeut- 173 samkeit des beanstandeten Artikels ein öffentliches Informationsbedürfnis begründen mit der Folge, dass die an dem Rechtstreit Beteiligten identifizierbar gemacht werden dürfen. Entsprechendes entschied das KG Berlin135 im Hinblick auf den presserechtlichen Prozess eines Polizeibeamten, der sich gegen einen Artikel wehrte, der sich mit der möglichen Beteiligung deutscher Behörden an der illegalen Verschleppung deutscher Staatsbürger beschäftigt hatte.
V. Namentliche Nennung von Straftätern Eine wichtige Rolle spielt im Presserecht auch die namentliche Berichterstattung über 174 Straftäter. Grds hält die Rechtsprechung eine namentliche Nennung eines bereits verurteilten Straftäters für zulässig, da in diesen Fällen regelmäßig ein Informationsbedürfnis der Presse bzw der Öffentlichkeit angenommen werden kann, das die Persönlichkeitsrechte des Straftäters zumindest in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der Tat bzw der Verurteilung überwiegt.136 Diese Grundregel gilt allerdings nicht gegenüber jugendlichen Straftätern sowie auch 175 im Übrigen vorrangig nur in Fällen schwerer Kriminalität. Sowohl bei Jugendlichen als auch im Bereich der Kleinkriminalität überwiegt in der Regel das Recht des Betroffenen an der Geheimhaltung seiner Identität. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. Die Zulässigkeit einer Berichterstattung auch unterhalb der Grenze der Schwerkriminalität kann sich auch aus der besonderen Stellung des Betroffenen ergeben. Das OLG München 137 erklärte eine identifizierende Berichtserstattung für zulässig, 176 die ein Strafverfahren gegen einen wegen Strafvereitelung angeklagten Rechtsanwalt zum Gegenstand hatte. Das Gericht bejahte ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit, weil der angeklagte Rechtsanwalt ein Organ der Rechtspflege sei. Es bestehe daher ein legitimes Interesse Rechtssuchender, nicht nur über den Vorgang als solchen, sondern auch über die Person des Angeklagten informiert zu werden, um ggf. Konsequenzen daraus ziehen zu können. Eine Besonderheit dieses Falls bestand allerdings darin, dass der betroffene Rechtsanwalt nicht mit vollem Namen genannt war, sondern nur aus den Umständen und mit einiger Recherche identifiziert werden konnte. Sein Nachname war in der Berichterstattung abgekürzt, was die Identifizierbarkeit zumindest erschwerte. Das Gericht folgerte daraus, dass nur Personen, die ein besonderes Interesse daran haben, die Identität des im Bericht genannten Rechtsanwalts zu erfahren, sich die Mühe einer entsprechenden Recherche machen würden. Ein solches Interesse würde zum Einen nur bei
134 135 136
Wenzel/Burkhardt Kap 10 Rn 194. KG ZUM-RD 2008, 119. BVerfG NJW 1973, 1226; OLG Celle NJW
137
1990, 2571; OLG Köln AfP 1986, 347 OLG Nürnberg NJW 1996, 530. OLG München NJW-RR 2003, 111.
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Personen bestehen, die auf der Suche nach einem Anwalt ihres Vertrauens sind, zum Anderen aber auch bei Mandanten, die Gewissheit haben wollen, dass es sich bei dem im Bericht genannten Rechtsanwalt nicht um ihren eigenen Rechtsanwalt handelt. Für diese Personen aber war ein Informationsbedürfnis gegeben, so dass unter Berücksichtigung der erschwerten Identifizierbarkeit die namentliche Nennung zulässig war. Neben der Position des Betroffenen in Beruf oder Gesellschaft kann sich die Zulässig177 keit identifizierender Berichtserstattung auch aus dem vorherigen eigenen Verhalten des Betroffenen ergeben. Das KG Berlin 138 erklärte die identifizierende Berichterstattung über die Festnahme einer Person für zulässig, die des Drogenhandels verdächtig war und die zuvor in einem Interview öffentlich bejaht hatte, „Unterweltkönig“ zu sein. Ausdrücklich entschied das KG Berlin, dass dieses Verhalten des Betroffenen in der Öffentlichkeit dazu geführt hatte, dass eine namentliche Berichtserstattung über ihn auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität zulässig war.
VI. Zeitliche Grenze 178
Die zulässige namentliche Berichterstattung über Straftäter ist einer engen zeitlichen Grenze unterworfen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG, dass das Interesse des Betroffenen an Resozialisierung mit fortschreitender Zeit vermehrt an Bedeutung gewinnt.139 Dementsprechend darf nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Straftat bzw der Verurteilung eine entsprechende Berichterstattung erfolgen. Liegt kein erneuter Anlass vor, so ist eine spätere erneute Erwähnung zurückliegender Verurteilungen nicht zulässig. In der Praxis besteht oft Streit darüber, was als „erneuter Anlass“ die Erwähnung zurückliegender Verurteilungen rechtfertigt. Hierfür reicht in der Regel nicht aus, dass der Betroffene erneut straffällig wird. Etwas anderes kann gelten, wenn die neue Tat mit der früheren Tat in derart engem Zusammenhang steht, dass ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit es rechtfertigt, über alte und neue Verurteilung im Zusammenhang berichten zu können. Demgegenüber bildet eine bevorstehende Haftentlassung keinen erneuten Anlass, um über eine frühere Verurteilung namentlich berichten zu können. Im Gegenteil ist gerade zu diesem Zeitpunkt das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen besonders hoch zu bewerten. Er soll nach seiner Haftentlassung die Möglichkeit haben, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und nicht ab dem ersten Tag seiner Entlassung durch eine kurz zuvor erfolgte, erneute Berichterstattung über seine Tat öffentlich gebrandmarkt sein. Eine feste zeitliche Grenze, ab wann über eine Straftat nicht mehr berichtet werden 179 darf, gibt es nicht. Grds gilt, dass das öffentliche Interesse an der Tat umso länger anhält, je größer das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an der Tat war. Je nach Schwere des Delikts werden Fristen zwischen einer Woche und sechs Monaten vertreten.140 In Einzelfällen wurden in der Rechtsprechung allerdings auch weit längere Zeiträume für zulässig erachtet. Bspw erkannte das KG Berlin 141 eine namentliche Berichterstattung über die „zentrale Figur eines blutigen Machtkampfes im Gangstermilieu“ auch noch zwei Jahrzehnte nach den zugrundeliegenden Ereignissen als zulässig an. Ebenso bejahte das OLG Frankfurt aM142 die Zulässigkeit der namentlichen Nennung eines Straftäters fünf Jahre nach der Tat, „wenn es sich bei (der) Straftat … aufgrund der Persönlichkeit 138 139 140
KG Berlin NJW-RR 2007, 345. BVerfGE NJW 1973, 1226. Wenzel/Burkhardt Kap 10 Rn 201.
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141 142
KG Berlin AfP 1992, 302. OLG Frankfurt AfP 2006, 601.
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Identifizierende Berichterstattung/Namensnennung
des Täters und des Opfers, der vorangegangenen kriminellen Karriere des Täters, der besonderen Brutalität der Tat und nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens des Täters vor Gericht um einen der spektakulären Kriminalfälle der jüngeren Geschichte handelt.“
VII. Löschungspflicht für Online-Archive? Wurde ein Bericht über eine Straftat innerhalb der dargestellten zeitlichen Grenzen 180 rechtmäßig veröffentlicht, so hat der Straftäter nach umstrittener, jedoch zutreffender Auffassung auch nach Ablauf dieser zeitlichen Grenze kein Recht darauf, dass der betreffende Beitrag aus einem Online-Archiv gelöscht wird.143 Dies wird zunächst mit der geringeren Breitenwirkung begründet.144 Auch wenn sich die Zugriffsmöglichkeiten auf Archive durch die Bereitstellung in Form der neuen Medien erheblich erleichtert haben, ist im Unterschied zur redaktionellen Präsentation von Inhalten bei Archiven nach wie vor eine aktive Recherchehandlung des Nutzers nötig. Auch die Informationsfreiheit nach Art 5 Abs 1 S 1 GG gebietet es, wie das OLG Frankfurt aM richtigerweise ausführt,145 dass sich jeder aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten können muss. Diese Quellen dürfen nicht dadurch verändert werden, dass eine ursprüngliche Berichterstattung nachträglich gelöscht wird. Dies würde zu einer Verfälschung der historischen Abbildung führen und der besonderen Bedeutung von Archiven nicht gerecht werden.146 Im Übrigen verweist das OLG Frankfurt aM zu Recht darauf, dass es der Presse wirt- 181 schaftlich nicht zumutbar ist, ihre Archive laufend daraufhin durchforsten zu müssen, ob ursprünglich zulässige Berichterstattungen durch Zeitablauf wegen des Anonymisierungsinteresses eines Straftäters möglicherweise unzulässig geworden sein könnten.147 Dies gilt umso mehr, als es keine klare zeitliche Grenze gibt, ab wann über eine Straftat nicht mehr berichtet werden darf, sondern insoweit jeweils eine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist. Diese Abwägung sowie die auch dann noch verbleibende Rechtsunsicherheit darüber, ob ein ursprünglich zulässiger Beitrag bereits gelöscht werden muss oder noch nicht, würde die Sorgfaltspflichten der Presse überspannen und ihre Rechte aus Art 5 GG unverhältnismäßig beschneiden. Diese Argumente greifen wohlgemerkt nur für das schlichte Verbleiben eines Artikels 182 im Archiv. Anders sind aktuelle redaktionelle Verweise auf Archivmaterial, beispielsweise die Verlinkung aufgrund aktuellen Anlass einzuordnen. Es kann dann eine strenger zu beurteilende erneute Berichterstattung vorliegen.148
143
144 145
OLG Köln AfP 2007, 126; OLG Frankfurt am Main AfP 2006, 571; OLG Frankfurt am Main ZUM-RD 2007, 471; aA OLG Hamburg MMR 2007, 377. OLG Frankfurt ZUM-RD 2007, 471, 472. OLG Frankfurt aM AfP 2006, 571, 572 und OLG Frankfurt am Main ZUM-RD 2007, 471, 473.
146
147 148
Auf den Schutz der Quelle durch die Informationsfreiheit nur in ihrem jeweiligen Bestand (im Gegensatz zu einem Schutz vor Quellenänderung) weist präzisierend von Coelln hin, jurisPR-ITR 8/2007 Anm 3 Lit E. Frankfurt aM AfP 2006, 571, 573. LG Düsseldorf ZUM 2008, 156.
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VIII. Sonderfall: RAF Die Frage, inwieweit auch nach Jahren noch identifizierbar über ehemalige Straftäter berichtete werden darf, stellte sich aktuell anlässlich der bevorstehenden Haftentlassung einiger RAF-Terroristen. Zwar ist es grds gefestigte Rechtsprechung, dass infolge des überwiegenden Resozialisierungsinteresses der Betroffenen eine Haftentlassung gerade kein begründeter Anlass ist, der eine erneute Berichterstattung über lange zurück liegende Straftaten rechtfertigt. Im Rahmen der Freilassung früherer RAF-Terroristen stellte sich die Frage angesichts der politischen und historischen Bedeutung der RAF gleichwohl in einem anderen Licht. Gegenstand einiger Urteile der Berliner Gerichte 149 sowie des BVerfG 150 war die 184 Veröffentlichung von Archivbildern einer ehemaligen RAF-Terroristin, deren vorzeitige Haftentlassung bevorstand. In sämtlichen Entscheidungen wurde die Veröffentlichung von Archivfotos der RAF-Terroristin aus den Jahren 1985 und 1986 für zulässig erklärt. Dabei spielte es zum Einen eine Rolle, dass die Betroffene selbst während ihrer Haftzeit eine Ausbildung zur Fotografin vollzogen und mit der Veröffentlichung eines Bildbandes, das auch ein Selbstportrait enthielt, zuvor selbst an die Öffentlichkeit getreten war. Ebenso hatte die Betroffene sich öffentlich in einem Interview geäußert. Zum anderen betonten die Gerichte aber vor allem, dass die Straftaten der RAF nicht 185 nur um der Taten selbst Willen ein besonders Gewicht hatten, sondern vor allem auch die Geschichte der BRD in einer Art und Weise geprägt hatten, die den Betroffenen auch heute noch eine historische Rolle zukommen ließ. Bereits in dem Urteil „Lebach I“, in dem das BVerfG die Bedeutung des Resozialisierungsgedankens erstmals entwickelt hat, hatte das Gericht im Ergebnis noch offen gelassen, aber angedeutet, dass es Ausnahmefälle von überragendem historischen Interesse geben kann, bei denen der Resozialisierungsgedanke zurücktreten muss.151 Einen solchen Fall sahen die Gerichte hier als gegeben an. Angesichts der sowohl geschichtlichen, als auch politischen Bedeutung, die die Geschichte der RAF für die Bundesrepublik Deutschland hatte und immer noch hat, kann dem nur zugestimmt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fotos, deren Veröffentlichung Streit186 gegenstand waren, um Archivaufnahmen gehandelt hat. Offen bleibt, ob auch die Veröffentlichung eines aktuellen Fotos aus der Zeit der Haftentlassung zulässig gewesen wäre. Dies dürfte zu verneinen sein. Denn hier würde sich der Faden der historisch bedeutsamen Rolle der RAF verlieren und in eine persönliche Berichterstattung über die Straftäter selbst übergehen. Eine solche wird sich an der nach wie vor geltenden Rechtsprechung zum Resozialisierungsinteresse messen lassen müssen. Die Veröffentlichung von aktuellen Bildern ehemaliger RAF-Terroristen nach ihrer Haftentlassung wird daher im Zweifel unzulässig sein. Hierfür spricht auch eine Bemerkung des KG Berlin, das in seinem Urteil abschließend ausführt: „Die Befürchtung der Antragstellerin, künftig gerade aufgrund der Veröffentlichung der hier angegriffenen Archivaufnahmen „Freiwild“ für die Medien zu werden, trifft nicht zu. Jede künftige Veröffentlichung von Fotos der Antragstellerin, wie auch jede Wortberichterstattung wird sich der Abwägung der widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter zu stellen haben.“ 152
183
149 150
LG Berlin AfP 2007, 282; KG Berlin AfP 2007, 376. BVerfG Urteil vom 20.8.2007, Az 1 BvR 1913/2024/07.
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151 152
BVerfG NJW 1973, 1226, 1232. KG Berlin AfP 2007, 376, 378.
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§6
Verdachtsberichterstattung
§6 Verdachtsberichterstattung I. Grundkonflikt Von dem Problem namentlicher Berichterstattung über bereits verurteilte Straftäter 187 grundlegend zu unterscheiden ist der Fall einer zulässigen Berichterstattung in Fällen, in denen die Schuld bzw Tat des Betroffenen noch nicht feststeht. In diesem Bereich gerät die Pflicht der Presse, ausschließlich über wahre Tatsachen zu 188 berichten, in Konflikt zu ihrer Aufgabe, Sachverhalte und Missstände aufzudecken und die Öffentlichkeit zeitnah zu informieren, möglicherweise auch bereits bevor ein endgültiger Wahrheitsbeweis erbracht werden kann. Bei der Beleuchtung des Problems ist zwischen Berichterstattungen über behördliche 189 Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren einerseits und Berichterstattungen über von der Presse selbst recherchierte Sachverhalte andererseits zu unterscheiden.
II. Berichterstattungen über behördliche Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren Die Zulässigkeit einer Berichterstattung über ein behördliches Ermittlungs- oder 190 Gerichtsverfahren ist je nach Stadium, in dem sich das Verfahren befindet, unterschiedlich zu beurteilen. Grds kann zwischen den vier Stadien der Erstattung einer Strafanzeige, der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, der öffentlichen Klageerhebung und der erfolgten Verurteilung unterschieden werden. 1. Erstattung einer Strafanzeige Eine Strafanzeige kann jederzeit und von jedermann gegen jeden erstattet werden. 191 Über die Begründetheit eines Verdachts, geschweige denn über eine etwaige Schuld des Betroffenen sagt die Erstattung einer Strafanzeige nichts aus. In diesem Stadium gehen deshalb die Geheimhaltungsinteressen des Betroffen in der Regel vor. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kein besonderes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an der Anzeigenerstattung besteht. Ein solches Informationsbedürfnis kann sich zB aus der öffentlichen Bekanntheit des Betroffenen, gegen den Anzeige erstattet wurde, ergeben, wenn dieser zB in Politik oder Wirtschaft eine wichtige Stellung einnimmt. Ist dies nicht der Fall und liegt ein öffentliches Informationsbedürfnis nicht vor, darf über eine erstattete Strafanzeige in der Regel nicht unter Offenlegung der Identität des Betroffenen berichtet werden. 2. Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren Auch die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft sagt 192 noch nichts über die etwaige Schuld des Betroffenen aus. In diesem Stadium hat zwar die Staatsanwaltschaft bereits den erforderlichen Anfangsverdacht bejaht, um das Ermittlungsverfahren überhaupt zu eröffnen. Ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit wird in diesem Stadium eher zu bejahen sein, als noch im Stadium der Anzeigenerstattung. Auch in diesem Stadium ist allerdings noch besondere Vorsicht geboten. Der Grund für die zu Recht strenge Rechtsprechung im Bereich der Berichterstattung 193 über laufende Ermittlungsverfahren liegt darin, dass der juristische Laie die Einleitung
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1351
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eines solchen Verfahrens oft bereits mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt. Selbst wenn das Ermittlungsverfahren später eingestellt wird und die Presse auch hierüber erneut berichtet, besteht die Gefahr, dass der Betroffene im Bewusstsein der Leser nie mehr vollständig rehabilitiert wird. An die Zulässigkeit einer Berichterstattung über ein laufendes Ermittlungsverfahren werden daher zu Recht hohe Anforderungen gestellt. Dabei sind an die Sorgfaltspflicht der Presse umso höhere Anforderungen zu stellen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung und die im Raum stehenden Vorwürfe beeinträchtigt wird. Die Rechtsprechung bezeichnet dies als gleitenden Sorgfaltsmaßstab.153 Andererseits dürfen nach der zutreffenden Rechtsprechung des BGH die Anforderun194 gen an die journalistische Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung zu den originären Aufgaben der Medien gehört. Dürfte die Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, könnte sie ihre Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht erfüllen. Die ohnehin begrenzten Mittel der Presse zur Ermittlung der Wahrheit sind durch den Zwang der aktuellen Berichterstattung verkürzt. Deshalb verdienen im Rahmen der Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und damit das Informationsinteresse jedenfalls dann den Vorrang, wenn die nachfolgend dargestellten Sorgfaltsanforderungen eingehalten sind. Stellt sich in einem solchen Fall später die Unwahrheit der Äußerung heraus, so ist diese als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen. Widerruf und Schadensersatz kommen dann nicht in Betracht.154 Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung ist zunächst, dass ein 195 Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. In diesem Zusammenhang muss die Presse selbst recherchieren und vor allem alle Möglichkeiten ausschöpfen, eine Stellungnahme des Betroffenen selbst einzuholen.155 Ist der Betroffene nicht erreichbar oder verweigert er eine Stellungnahme, wird die Presse zumindest ernsthafte Versuche zur Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen nachzuweisen haben. Eine Berufung darauf, den Betroffenen auf ersten Versuch hin nicht angetroffen oder nicht erreicht zu haben, wird für eine erfolgreiche Verteidigung der Presse in der Regel nicht ausreichen. Weitere Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung ist, dass die Be196 richterstattung keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten darf. Insbesondere darf nicht der unzutreffende Eindruck erweckt werden, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt.156 Unzulässig ist auch eine von einer Sensation ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung. Vielmehr müssen auch die zur Verteidigung und Entlastung des Beschuldigten vorhandenen Tatsachen und Argumente berücksichtigt 157 und der jeweilige Ermittlungs- und Verfahrensstand zutreffend und objektiv wiedergegeben werden. 153
154 155 156
BGH NJW 1972, 1658, 1659; BGH NJW 1977, 1288; OLG Brandenburg NJW 1995, 886, 888; BGH NJW 2000, 1036. BGH NJW 2000, 1036, 1037. BGH NJW 1996, 1131; BGH NJW 2000, 1036, 1037. OLG Brandenburg NJW 1995, 886; OLG
1352
157
München NJW-RR 1996, 1487, 1488; OLG München NJW-RR 1996, 1493 (1494); OLG Frankfurt aM NJW-RR 1990, 989, 990; BGH NJW 2000, 1036, 1037. BVerfG NJW 1973, 1226; BGH NJW 1965, 2395, 2396; BGH NJW 2000, 1036, 1037.
Sabine Boksanyi
§6
Verdachtsberichterstattung
Schließlich muss es sich insgesamt um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.158 Dies ist zumindest bei schwerer, die Öffentlichkeit besonders betreffender Kriminalität in der Regel der Fall. Eine grundlegende Entscheidung zum Thema der Verdachtsberichterstattung, in der auch die Voraussetzungen einer zulässigen Berichterstattung über ein laufendes Ermittlungsverfahren nochmals klar aufgezeigt wurden, stellt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1999 dar.159 Dem Fall zugrunde lag ein Bericht über ein Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, das gegen eine ehemals auch kommunalpolitisch aktive Mitarbeiterin eines Straßenbauamtes eingeleitet worden war. Der fragliche Artikel war auf der Titelseite ohne Namensnennung unter der Überschrift „Behörde unter Verdacht“ angekündigt worden. Im Leitartikel des Lokalteils wurde die Betroffene unter der Überschrift „Ex-Mitarbeiterin unter schwerem Verdacht“ auch namentlich genannt. Einen Monat nach Erscheinen des Artikels wurde das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Der BGH entschied, dass der Artikel die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung eingehalten hatte und im konkreten Fall auch die namentliche Nennung der Klägerin gerechtfertigt war. Zu Recht ging das Gericht davon aus, dass sich ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit schon aus der Verbindung zwischen staatlichem Handeln und dem etwaig strafbaren Verhalten einer Amtsträgerin ergab. Für das Gericht spielte es auch eine Rolle, dass die Betroffene nur im Lokalteil namentlich genannt wurde, während die Titelseite anonym blieb. Weiter berücksichtigte das Gericht, dass vorhandene Überweisungsbelege, die auf den Namen der Klägerin lauteten, sowie unstreitig an den Verein erfolgte Zahlungen hinreichende Belegtatsachen boten. Eine Anonymisierung wäre nur bei einer unsichereren Tatsachen- und Recherchegrundlage erforderlich gewesen, wovon das Gericht hier nicht ausging.
197
198
199
200
3. Klageerhebung Auch die Erhebung einer öffentlichen Klage bzw der Beginn der Hauptverhandlung 201 sagen noch nichts über Schuld oder Unschuld des Angeklagten aus. Diese Frage soll im Laufe des Verfahrens gerade erst geklärt werden. Allerdings kann die Presse ab diesem Stadium grds von einem ausreichenden Anfangsverdacht ausgehen mit der Folge, dass die Befragung des Betroffenen entbehrlich wird. Der Grund hierfür liegt darin, dass bei Zulassung der Anklage der hinreichende Tatverdacht durch das Gericht überprüft wurde, nachdem dem Angeschuldigten rechtliches Gehör gewährt worden war.160 Im Übrigen gelten auch in diesem Stadium weiterhin die dargelegten Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Insbesondere darf auch in diesem Stadium keine Vorverurteilung durch die Presse stattfinden. 4. Erfolgte Verurteilung Ab erfolgter Verurteilung kann die Presse von der Richtigkeit der Verurteilung und 202 damit von der Schuld des Betroffenen ausgehen. Bei Vorliegen eines entsprechenden öffentlichen Interesses an der Tat darf die Presse ab diesem Stadium über die Straftat und 158 159
BGH NJW 2000, 1036, 1037. BGH NJW 2000, 1036.
160
OLG München NJW 2003, 111.
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Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
die erfolgte Verurteilung berichten. Dabei sind allerdings die Anforderungen zu beachten, die an das öffentliche Informationsbedürfnis und den zeitlichen Rahmen gestellt werden, innerhalb dessen über eine strafrechtliche Verurteilung berichtet werden darf.161
III. Berichte über selbstrecherchierte Sachverhalte 203
204
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Voraussetzung jeder zulässigen Verdachtsberichterstattung ist ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der für den Wahrheitsgehalt der Information spricht. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Bericht auf bereits laufende polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen stützen kann, oder ob die Presse über selbst recherchierte Missstände berichtet. Im Falle öffentlicher Ermittlungen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft ist die Presse von der Pflicht zu Sorgfalt und eigenen Recherchen zwar nicht entbunden. Sie kann sich jedoch zumindest darauf berufen, dass auch behördliche Ermittlungen durchgeführt werden, der Verdacht somit jedenfalls nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“ ist. Weitaus schwieriger ist die Lage, wenn die Presse von einem Dritten von einem möglichen Verdacht erfährt. Für die Frage, ob die Presse über einen solchen Verdacht berichten darf, kommt es auf die individuell zu beurteilende Zuverlässigkeit des jeweiligen Informanten an. In einem vom OLG Dresden 162 entschiedenen Fall hatte ein Informant aus den Reihen der Mordkommission gegenüber der Presse bestätigt, dass eine (weitere) Person, gegen die kein Ermittlungsverfahren eröffnet war, in den Kreis der Verdächtigen an einem Mordfall aufgenommen war. Wie sich später herausstellte, hatte der Betroffene mit dem Mordfall nichts zu tun. Das OLG Dresden erklärte eine identifizierende Berichterstattung über den neuen Verdächtigen für unzulässig. Es stellte dabei entscheidend darauf ab, dass Angaben eines Informanten aus den Reihen der Polizei nicht denselben Stellenwert haben wie eine offizielle Behördenerklärung. Die Presse hätte daher vor der Verbreitung der Mitteilung des Informanten zunächst auch eigene Recherchen anstellen müssen, um die Wahrscheinlichkeit bzw den Wahrheitsgehalt der erhaltenen Information zu überprüfen. Auch das BVerfG 163 hatte sich kürzlich mit der erhöhten Sorgfaltspflicht der Presse bei der Verbreitung ehrenrühriger Verdachtsbehauptungen eines Informanten zu beschäftigen. Dabei ging es um einen Artikel, der sich auf die Pressemitteilung des Aktionärs einer Tochtergesellschaft stützte, in der dieser Aktionär Vorwürfe gegen den Vorstandsvorsitzenden der Muttergesellschaft erhob. In dem Artikel war die Pressemitteilung in Auszügen wiedergegeben und mit dem Kommentar bewertet worden, die Sache „stinke zum Himmel“. Der Autor der Pressemitteilung wurde als Informant mit der besonderen Qualität eines ehemaligen Insiders bezeichnet. Das BVerfG bestätigte die Urteile der Instanzgerichte, die die Berichterstattung mangels ausreichender Eigenrecherchen der Presse für unzulässig erklärt hatten. Schließlich ließ auch das OLG München,164 zwei in ihrer Formulierung wörtlich übereinstimmende, damit offensichtlich abgesprochene eidesstattliche Versicherungen von zwei Zeugen vom Hörensagen nicht ausreichen, um den für eine zulässige Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Tatsachen zu gewährleisten.
161 162
Vgl unter § 5 V und VI. OLG Dresden NJW 2004, 1181.
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163 164
BVerfG NJW 2007, 2686. OLG München NJW-RR 2002, 186.
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§7
Aussagen Dritter
In sämtlichen Entscheidungen spielte es eine entscheidende Rolle, dass die Presse ihre 208 Berichterstattung ausschließlich auf die Mitteilungen der jeweiligen Informanten gestützt hatte, ohne darüber hinaus eigene Recherchen anzustellen. Solche eigenen Recherchen wird man von der Presse in Fällen wie den geschilderten im Rahmen der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht aber verlangen können und müssen. Parallel zum Sorgfaltsmaßstab sind auch an die Recherchepflichten der Presse umso höhere Anforderungen zu stellen, je schwerer der im Raum stehende Vorwurf wiegt und je zweifelhafter die Zuverlässigkeit des vorhandenen Informanten erscheint.
§7 Aussagen Dritter I. Zueigenmachung und Distanzierung Werden in einem Pressebeitrag Aussagen Dritter veröffentlicht, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob sich die Presse die fremde Aussage als eigene Äußerung zurechnen lassen muss. Dies ist grds dann der Fall, wenn sich die Presse ein Fremdzitat zueigen gemacht hat. Bei der Beurteilung, ob ein solches Zueigenmachen vorliegt, legt die Rechtsprechung sehr großzügige Maßstäbe an und geht immer dann von einem Zueigenmachen aus, wenn sich der Zitierende von der fraglichen Äußerung weder ernsthaft distanziert hat, noch die Äußerung lediglich als Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes („Markt der Meinungen“) wiedergegeben wird. Letzteres setzt voraus, dass auch andere, gegenteilige Meinungen zitiert werden. Die wesentlichen Grundsätze hat der BGH in drei Entscheidungen festgelegt. In der sog „Panorama-Entscheidung“ 165 bejahte der BGH in Zusammenhang mit einem kritischen Filmbericht eine Zueigenmachung von Äußerungen Dritter, weil die Äußerungen derart in die eigene kritische Stellungnahme der Autoren der Sendung eingebettet waren, dass die Sendung insgesamt als eine „lediglich mit verteilten Rollen gesprochene eigene Kritik des Fernsehsenders“ erschien. Der Sender konnte sich dementsprechend nicht darauf berufen, dass die Äußerungen der Dritten keine eigenen Äußerungen waren. Ähnlich entschied der BGH in der sog „SternTV“-Entscheidung.166 Auch hier musste sich ein Fernsehsender die in einer kritischen Fernsehsendung wiedergegebenen Vorwürfe einer Reihe von Assistenz- und Oberärzten gegen einen Chefarzt zurechnen lassen. Der Fernsehsender hatte sich von den Vorwürfen der Ärzte nicht nur nicht distanziert, sondern hatte diese – für den Zuschauer erkennbar – als alleinige Grundlage seines Beitrages verwertet. Hierin sah der BGH ein Zueigenmachen, so dass sich der Sender die erhobenen Vorwürfe als eigene Äußerungen zurechnen lassen musste. Schließlich mussten sich auch Herausgeber und Autor des Buchs „Der Lohnkiller“ die Fremdaussage einer angeblich im Rotlichtmilieu tätigen Person über einen inzwischen pensionierten Polizeirat zurechnen lassen. Der BGH167 entschied in diesem Fall, dass die Frage eines aktiven Zueigenmachens offen gelassen werden könne. Denn jedenfalls fehle 165 166
BGH NJW 1976, 1198. BGH NJW 1997, 1148.
167
BGH NJW 1996, 1131, 1132.
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211 212
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214
Kapitel 2 Presserecht
4. Teil
es an einer eigenen ernsthaften Distanzierung. Das Zitat werde auch nicht im Rahmen eines „Markts der Meinungen“ wiedergegeben. Die Entscheidungen verdienen Zustimmung, soweit sie einem Medienunternehmen 215 Fremdzitate zurechnen, auf die sich der gesamte Inhalt eines Berichts offenkundig stützt. Wird das Zitat eines Dritten als Beleg für die eigene Meinung verwendet und aus dem redaktionellen Begleittext deutlich, dass das Medienunternehmen die Äußerung des Dritten für zutreffend hält, so ist es richtig, das Medienunternehmen in gleichem Maße wie den Äußernden selbst für die Verbreitung des Zitats in Anspruch zu nehmen. Bedenklich wird die geschilderte Rechtsprechung allerdings dort, wo auf ein aktives 216 Zueigenmachen – bspw durch zustimmenden redaktionellen Begleittext – verzichtet und eine ausdrückliche und ernsthafte Distanzierung von jedem Fremdzitat gefordert wird, das ein Medienunternehmen weitergibt. Recherchiert die Presse einen bestimmten Sachverhalt und bindet sie Aussagen Dritter, auf die sie im Rahmen ihrer Recherchen gestoßen ist, in einen ansonsten ausgewogenen und ergebnisoffenen Bericht ein, so kann es nicht sein, dass die Presse bei jedem wiedergegebenen Fremdzitat aktiv betonen muss, dass dies die Aussage eines Dritten und ihr nicht zurechenbar ist. Dies würde die Anforderungen an die Presse zur Distanzierung insbesondere dort deutlich überspannen, wo die Tatsache, dass es sich bei den Äußerungen um Aussagen Dritter handelt, für den Leser bzw Zuschauer offenkundig ist. Besonders deutlich wird das Problem im Rahmen von Interviews, die insoweit jedoch 217 als Sonderfall anerkannt sind.
II. Interviews 218
Interviews sind bei der Frage nach der Distanzierung als Sonderfall zu behandeln. Dies hat auch der BGH 168 in seinem Urteil zu dem Buch „Der Lohnkiller“ konkludent bestätigt. In diesem Urteil bejahte der BGH die Zurechenbarkeit eines in dem Buch „Lohnkiller“ wiedergegebenen Zitats ausdrücklich mit dem Hinweis, dass das Zitat nicht so zu behandeln sei, als sei es lediglich in einem Interview veröffentlicht worden. Bereits hieraus folgt, dass bei einem Interview etwas anderes gilt. Eine Sonderbehandlung für Interviews ist nicht nur richtig, sondern erforderlich. 219 Interviews wären praktisch nicht mehr durchführbar, wenn sich die Presse während eines Interviews laufend ausdrücklichen von den Aussagen des Interviewten distanzieren müsste. Eine solche Distanzierung ist im Rahmen eines Interviews auch nicht erforderlich, denn es kann kaum offensichtlicher als im Rahmen eines Interviews sein, dass es sich bei den wiedergegebenen Fremdzitaten um die Aussagen einer dritten Person und nicht um die Behauptungen oder Meinungen des Presseorgans handelt. Auf eine ausdrückliche Distanzierung der Presse von den Aussagen des Interviewten kann daher in der Regel verzichtet werden. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten. Machen sich der Interviewer und damit das 220 Presseorgan die Aussagen des Interviewten durch entsprechende Folgefragen oder ausdrückliche Zustimmung zueigen oder verwendet die Zeitung Aussagen aus dem Interview als Überschriften oder Zwischenüberschriften und erweckt damit den Eindruck, dass sie die Aussagen für wahr hält, so ist auch insoweit von einem Zueigenmachen aus-
168
BGH NJW 1996, 1131, 1132.
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§7
Aussagen Dritter
zugehen sein. In solchen Fällen muss die Presse für die fraglichen Aussagen wie für eigene Äußerungen einstehen. Ob auf Stellungnahmen von Interviewpartnern die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung169 anzuwenden sind, ist nicht geklärt.
III. Markt der Meinungen Unabhängig von einer ausreichenden Distanzierung haftet ein Presse- bzw Medienun- 221 ternehmen dann nicht für den Inhalt einer von ihm verbreiteten Aussage eines Dritten, wenn die Wiedergabe der Aussage als Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes erfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen eines „Marktes der Meinungen“ Äußerungen und Stellungnahmen verschiedener Seiten zusammengetragen und einander gegenübergestellt werden.170 Der BGH hat einen solchen „Markt der Meinungen“ zB für den Fall einer Live-Diskussion im Fernsehen anerkannt.171 Diese Grundsätze können nach einer aktuellen Entscheidung des BGH auf ein Mei- 222 nungsforum im Internet nicht übertragen werden.172 Wie der BGH zu Recht ausführt, ist der Betreiber eines Internetforums – im Gegensatz zu dem Verantwortlichen einer LiveDiskussion im Fernsehen – „Herr des Angebots“ und verfügt über die Möglichkeit auf einzelne Beiträge zuzugreifen und sie erforderlichenfalls auch zu löschen. Die Verbreitung einer Aussage im Internet ist somit weniger mit einer Live-Diskussion im Fernsehen, als mit deren Wiederholung vergleichbar. Auf solche Wiederholungen erstreckt sich die Privilegierung von Live-Sendungen aber gerade nicht. Ebenso wie eine Live-Diskussion im Fernsehen nicht mehr verbreitet werden darf, sobald der Verantwortliche Kenntnis von darin enthaltenen rechtswidrigen Aussagen hat, ist auch der Betreiber eines InternetForums zur Löschung rechtswidriger Beiträge ab Kenntnis verpflichtet.
169 170
BVerfG NJW 2007, 2685. BGH NJW 1996, 1131; BGH NJW 1970, 187.
171 172
BGH NJW 1976, 1181. BGH GRUR 2007, 724.
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Teil 5 Telekommunikation und Telemedien
Kapitel 1 Telemedienrecht Literatur Bender/Kahlen Neues Telemediengesetz verbessert den Rechtsrahmen für Neue Dienste und Schutz vor Spam-Mails MMR 2006, 590; Berger Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 EuGVO GRUR Int 2005, 465; Bettinger Kennzeichenrecht im Cyberspace Der Kampf um die Domain-Namen GRUR 1997, 402; Bonke/Gellman Die Widerrufsfrist bei eBay-Auktionen – Ein Beitrag zur Problematik der rechtzeitigen Belehrung des Verbrauchers in Textform NJW 2006, 3169; Brunst Umsetzungsprobleme der Impressumspflicht bei Webangeboten MMR 2004, 8; Buchmann Die Widerrufsbelehrung im Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung – Vorschlag für ein Muster für Fernabsatzgeschäfte mit Waren im Internet MMR 2007, 347; Buchner Rom II und das Internationale Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht GRUR 2005, 1004; Büchner/Dreier (Hrsg) Von der Lochkarte zum globalen Netzwerk – 30 Jahre DGRI Informationstechnik und Recht Schriftenreihe der DGRI eV Bd 16 Köln 2007 (zit Büchner/Dreier/Bearbeiter); Bullinger Strukturwandel von Rundfunk und Presse – Rechtliche Folgewirkung der neuen elektronischen Medien NJW 1984, 385; Danckwerts Örtliche Zuständigkeit bei Urheber-, Marken- und Wettbewerbsverletzungen im Internet – Wider einen ausufernden „fliegenden Gerichtsstand“ der bestimmungsgemäßen Verbreitung GRUR 2007, 104; Degenhart Programmauftrag Internet – Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Online-Dienste MMR 1998, 137; Dierking/Möller Online-TV und das „Long Tail“-Phänomen verändern die Grundlagen der Rundfunkordnung MMR 2007, 426; Eberle Digitale Rundfunkfreiheit – Rundfunk zwischen Couch-Viewing und Online-Nutzung CR 1996, 193; Eck/Ruess Haftungsprivilegierung der Provider nach der E-CommerceRichtlinie – Umsetzungsprobleme dargestellt am Beispiel der Kenntnis nach § 11 Satz 1 Ziff 1 TDG MMR 2003, 362; Ehret Internet-Auktionshäuser auf dem haftungsrechtlichen Prüfstand. Ein Beitrag zur zivilrechtlichen Haftung von Internet-Auktionshäusern für rechtswidrige Auktionsangebote CR 2003, 754; Engel Die Internet-Service-Provider als Geiseln deutscher Ordnungsbehörden Eine Kritik an den Verfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf MMR Beilage 4 2003, 1; Engels Zivilrechtliche Haftung für Inhalte im World Wide Web AfP 2000, 524; Fallenböck From Anticircumvention Provisions to Intermediary Liability, Digital Rights Management Legislation in Europe and the U.S. MR-Int 2004, 11; Föhlisch Ist die Musterwiderrufsbelehrung für den Internethandel noch zu retten? MMR 2007, 139; Freytag Providerhaftung im Binnenmarkt CR 2000, 600; Fülbier Web 2.0 – Haftungsprivilegierungen bei MySpace und YouTube CR 2007, 515; Geiger/Engelhardt/ Hansen/Markowski Urheberrecht im deutsch-französischen Dialog – Impulse für eine europäische Rechtsharmonisierung – Bericht von der Abschlussveranstaltung der deutsch-französischen Vortragsreihe zum Urheberrecht am 13. Januar 2006 im Europäischen Patentamt GRUR Int 2006, 475; Gietl Störerhaftung für ungesicherte Funknetze – Voraussetzungen und Grenzen MMR 2007, 630; Gitter/Schnabel Die Richtlinie zur Vorratsspeicherung und ihre Umsetzung in das nationale Recht MMR 2007, 411; Gola Die Entwicklung des Datenschutzrechts in den Jahren 2000/2001 NJW 2001, 3747; Gounalakis Der Mediendienste-Staatsvertrag der Länder NJW 1997, 2993; Gounalakis/ Wege Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat seinen Preis NJW 2008, 800; Handig Urheberrechtliche Aspekte bei der Lizenzierung von Radioprogrammen im Internet GRUR 2007, 206; Hartmann Strafrechtliche Verantwortung des Zugangsproviders Computerrecht Intern 1998, 99; Hasselblatt Internetbezogene Rechtsprobleme 2. Aufl München 2005; Heckmann E-Commerce Flucht in den virtuellen Raum? – Zur Reichweite gewerberechtlicher Bindungen des Internethandels NJW 2000, 1370; Helmke/Müller/Neumann Internet-Telefonie zwischen TKG, IuKDG und Mediendienste-
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
Staatsvertrag – Ein Modell zur Einordnung individualkommunikativer Dienste in das deutsche Multimediarecht JurPC Web-Dok 93/1998; Hochstein Teledienste, Mediendienste und Rundfunkbegriff – Anmerkungen zur praktischen Abgrenzung multimedialer Erscheinungsformen NJW 1997, 2977; Hoenike/Hülsdunk Rechtliche Vorgaben für Fernabsatzangebote im elektronischen Geschäftsverkehr bei und nach Vertragsschluss MMR 2002, 516; Hoeren Internetrecht (März 2007) abrufbar unter www.uni-muenster.de/Jura.itm/Hoeren (zit Hoeren Internetrecht); ders Das Telemediengesetz NJW 2007, 801; ders Zoning und Geolocation – Technische Ansätze zu einer Reterritorialisierung des Internet MMR 2007, 3; Hoeren Der Tod und das Internet – Rechtliche Fragen zur Verwendung von E-Mail- und WWW-Accounts nach dem Tode des Inhabers NJW 2005, 2113; Hoffmann Zivilrechtliche Haftung im Internet MMR 2002, 284; Hohmann-Dennhardt Freiräume – Zum Schutz der Privatheit NJW 2006, 545; Holznagel Konvergenz der Medien – Herausforderungen an das Recht NJW 2002, 2351; Horn Verbraucherschutz bei Internetgeschäften MMR 2002, 210; Jandt Datenschutz bei Location Based Services – Voraussetzungen und Grenzen der rechtmäßigen Verwendung von Positionsdaten MMR 2007, 74; Kaufmann/Köcher Anmerkung zu AG Charlottenburg vom 19.12.2005 – 209 C 1015/05 MMR 2006, 255 f; Kitz Die Auskunftspflicht des Zugangsvermittlers bei Urheberrechtsverletzungen durch seine Nutzer GRUR 2003, 1014; ders Kommerzielle Kommunikation per e-Mail im neuen Telemediengesetz DB 2007, 385; ders Das neue Recht der elektronischen Medien in Deutschland – sein Charme, seine Fallstricke ZUM 2007, 368; Klass Das Urheberkollisionsrecht der ersten Inhaberschaft – Plädoyer für einen universalen Ansatz GRUR 2007, 373; Kleist/Scheuer Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen MMR 2006, 128; Kloos Anmerkung zu LG Frankfurt – Verantwortlichkeit für Links CR 1999, 46; Kochinke/Tröndle Links, Frames und Meta-Tags CR 1999, 190; Köhler „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht – Zur BGH-Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ GRUR 2008, 1; Köster Anmerkung zu BGH vom 12.7.2007 – I ZR 18/04 MMR 2007, 640; Kubicek Duale Informationsordnung als Sicherung des öffentlichen Zugangs zu Informationen CR 1995, 370; Ladeur Der prozedurale Schutz der Medienfreiheit ZUM 2004, 1; Lehmann Unvereinbarkeit des § 5 Teledienstegesetzes mit Völkerrecht und Europarecht CR 1998, 232; Leible/Sosnitza Neues zur Störerhaftung von Internet-Auktionshäusern NJW 2004, 3225; Leistner Von „Grundig-Reporter(n) zu Paperboy(s)“ – Entwicklungsperspektiven der Verantwortlichkeit im Urheberrecht GRUR 2006, 801; Leuering/Rubel Pflichtangaben in E-Mails: Der Link ins Internet als Alternative NJW-Spezial 2008, 47; Liesching Das neue Jugendschutzgesetz NJW 2002, 3281; Liesching/Knupfer Verantwortlichkeit von Internetcafé-Betreibern für die Zugangsgewährung zu jugendgefährdenden Inhalten MMR 2003, 562; Luhmann Selbstreflexion des Rechtssystems – Rechtstheorie in gesellschaftstheoretischer Perspektive, in Ausdifferenzierung des Recht Frankfurt aM 1979; ders Das Recht der Gesellschaft Frankfurt aM 1993; Mankowski Internet und Internationales Wettbewerbsrecht GRUR Int 1999, 909; Manna/Vasapollo Italy Linking as Copyright Crime CRi 2007, 59; Maume Bestehen und Grenzen des virtuellen Hausrechts, MMR 2007, 621; Micklitz Rundfunkrechtliche Fragen des Teleshoppings NJW 1990, 1570; Möller Joost: ein Programm für die Zukunft des Fernsehens? MMR 2007 Heft 5, VI; Müglich Auswirkungen des EGG auf die haftungsrechtliche Behandlung von Hyperlinks CR 2002, 583; Nennen Vertragspflichten und Störerhaftung der Werbeagenturen GRUR 2005, 214; Neun Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Grenzen des Wachstums, Programm- und Angebotsdiversifizierung der Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Berlin 2002 (zit: Neun Grenzen); Noske Ist das duale Rundfunksystem reformbedürftig? ZRP 2007, 64; Ohly Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht GRUR Int 2001, 899; Ott Impressumspflicht contra SpamVermeidung – Ein unauflöslicher Konflikt? JurPC Web-Dok 78/2005; ders Haftung für verlinkte urheberrechtswidrige Inhalte in Deutschland, Österreich und den USA GRUR Int 2007, 14; ders Impressumspflicht für Webseiten – Die Neuregelungen nach § 5 TMG, § 55 RStV MMR 2007, 354; Papier Aktuelle Fragen der bundesstaatlichen Ordnung NJW 2007, 2145; Plaß Hyperlinks im Spannungsfeld von Urheber-, Wettbewerbs- und Haftungsrecht WRP 2000, 599; Ranke M-Commerce – Einbeziehung von AGB und Erfüllung von Informationspflichten MMR 2002, 509; Roellecke Den Rechtsstaat für einen Störer! – Erziehung vs Internet? NJW 1996, 1801; Rössel/Kruse Schadensersatzhaftung bei Verletzung von Filterpflichten CR 2008, 35; Rüßmann Verbraucherschutz im Internet K&R 1998, 129; Schack Internationale Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrechtsverletzungen im Internet – Internationales Zivilprozessrecht MMR 2000, 135; ders Rechtsprobleme der Onlineübermittlung GRUR 2007, 640; Schmitz/Dierking Inhalte- und Störerverantwortlichkeit bei
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Kapitel 1 Telemedienrecht Telekommunikations- und Telemediendiensten – Anregungen für das geplante neue Telemediengesetz CR 2005, 420; Spindler/Schmitz/Geis TDG – Teledienstgesetz, Teledienstedatenschutzgesetz, Signaturgesetz – Kommentar, München 2004 (zit Spindler/Schmitz/Geis/Bearbeiter); Schneider Vom Zuschauer zum Nutzer – Verschiebungen im Gefüge der medialen Kommunikation, in Gemeinsame Stelle digitaler Zugang (GSDZ)/Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) (Hrsg) Digitalisierungsbericht 2007; Schoch Konvergenz der Medien – sollte das Recht der Medien harmonisiert werden? JZ 2002, 798; Schulz Zum Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts Nr 17 2006, abrufbar unter www.hans-bredow-institut. de/publikationen/apapiere/17EU-Mediendiensterichtlinie.pdf (zit Schulz audiovisuelle Mediendienste); Schulz/Jürgens Die Regulierung von Inhaltsdiensten in Zeiten der Konvergenz, in Die Landesmedienanstalten (Hrsg) Schriftenreihe der Landesmedienanstalten Berlin 2002 (zit Schulz/ Jürgens Regulierung); Sieber Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen JZ 1996, 429, 494; ders Verantwortlichkeit im Internet – Technische Kontrollmöglichkeiten und multimediarechtliche Regelungen München 1999 (zit Sieber Verantwortlichkeit); ders Die rechtliche Verantwortlichkeit im Internet – Grundlagen, Ziele und Auslegung von § 5 TDG und § 5 MDStV MMR (Beil 2) 1999, 1; Sieber/Liesching Die Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber nach dem Telemediengesetz MMR-Beil Heft 8 2007, 1; Sieber/Nolde Sperrverfügungen im Internet, territoriale Rechtsgeltung im globalen Cyberspace? Bd MPIS 113 der Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht – Strafrechtliche Forschungsberichte (Hrsg Ulrich Sieber) Vorabdruck abrufbar unter http://www.mpicc.de/de/data/pdf/ mpi_sperrverfuegungen_pm_gutachten.pdf (zit Sieber/Nolde Sperrverfügungen); Sierck/Schöning/ Pöhl Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung nach europäischem und deutschem Recht, abrufbar unter www.bundestag.de/bic/analysen/2006/zulaessigkeit_der_vorratsdatenspeicherung_nach_ europaeischem_und_deutschem_recht.pdf; Sobola/Kohl Haftung von Providern für fremde Inhalte CR 2005, 443; Spieker, Oliver Haftungsrechtliche Aspekte für Unternehmen und ihre InternetWerbepartner (Affiliates) GRUR 2006, 903; Spindler Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale Rechtsprobleme – ZUM 1996, 533; ders Dogmatische Strukturen der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach TDG und MDStV MMR 1998, 639; ders Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip NJW 2002, 921; ders Anmerkung zu OVG Münster Beschluss vom 19.3.2003 – 8 B 2567/02 MMR 2003, 353; ders Die Verantwortlichkeit der Provider für „Sich-zu-Eigen-gemachte“ Inhalte und für beaufsichtigte Nutzer MMR 2004, 440; ders Anmerkung zu BGH vom 19.4.2007 I ZR 35/04 – Internetversteigerung II und vom 27.3.2007 VI ZR 101/06 – Internetforen MMR 2007, 511; ders Das neue Telemediengesetz – Konvergenz in sachten Schritten CR 2007, 239; Spindler Störerhaftung im Internet K & R 1998, 177; ders Hyperlinks und ausländische Glücksspiele – Karlsruhe locuta causa finita?, GRUR 2004, 724; Stadler Sperrungsverfügung gegen Access-Provider MMR 2002, 343; ders Haftung für Informationen im Internet 2. Aufl Berlin 2005 (zit Stadler Haftung); Stenzel Ergänzung der Reform der Telemedien um eine Haftungsprivilegierung für Hyperlinks notwendig MMR 2006, V; Stickelbrock „Impressumspflicht“ im Internet – eine kritische Analyse der neueren Rechtsprechung zur Anbieterkennzeichnung nach § 6 TDG GRUR 2004, 111; Tettenborn Die Evaluierung des IuKDG – Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlußfolgerungen MMR 1999, 516; Thaenert Der Einfluss der EU-Medienpolitik auf die nationale Rundfunkordnung MMR 2005, 297; Vassilaki Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach dem TDG – Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Einordnung des § 5 TDG im Strafrechtssystem MMR 1998, 630; Wegner Rechtlicher Schutz von Internetdomains CR 1998, 676; Weides Der Jugendmedienschutz im Filmbereich NJW 1987, 224; Wenning Das Internet – ein rechtsfreier Raum? JurPC Web-Dok 16/1997; Wimmers/Schulz Die Abgrenzung zwischen Werknutzer und technischem Vermittler im Urheberrecht CR 2008, 170; Woitke Das „Wie“ der Anbieterkennzeichnung gemäß § 6 TDG NJW 2003, 871.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
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Übersicht Rn § 1 Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts . . . . . . . . 1–33 I. Konvergenz . . . . . . . . . . 1–9 II. Der „Rechtsfreie Raum“ . . . 10, 11 III. Gesetzgebungskompetenz für Telemedien . . . . . . . . . . 12–16 IV. Vorbekannte Abruf- und Verteildienste . . . . . . . . . . . 17, 18 V. MDStV und IUKDG (1997) . . 19–23 VI. E-Commerce-Richtlinie der EU (2000) . . . . . . . . . . . . . 24, 25 VII. Entwicklung in der 14. Wahlperiode (1998–2002) . . . . . 26–29 1. IuKDG-Novelle durch das EGG . . . . . . . . . . 26, 27 2. Weitere Gesetzgebung, BGB, JuSchG und JMStV . . . . . 28, 29 VIII. TMG (2007) . . . . . . . . . 30–32 IX. Ausblick . . . . . . . . . . . 33 § 2 Begriffsbestimmungen . . . . . . . 34–73 I. Elektronische Informationsund Kommunikationsdienste . 34, 35 II. Telemedien . . . . . . . . . . 36–66 1. Gesetzliche Definition . . . 36, 37 2. Beispiele für Telemedien aus der Gesetzesbegründung . . 38–41 3. Teledienste und Mediendienste . . . . . . . . . . . 42, 43 4. Abruf- und Verteildienste . 44–46 5. Abgrenzung zu „Diensten der Informationsgesellschaft“ . 47–51 6. Verhältnis zum Rundfunk . 52–61 7. Verhältnis zur Telekommunikation . . . . . . . . . 62–66 III. Diensteanbieter . . . . . . . . 67–73 § 3 Überblick über besondere Regelungen für Telemedien . . . . . 74–77 § 4 Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht . . . . . . . . . 78–144 I. Gerichtliche Zuständigkeit . . 81–116 1. Einführung . . . . . . . . . 81–83 2. Zu einzelnen Gerichtsständen . . . . . . . . . . . 84–116 a) Sitz des Beklagten . . . . 84 b) Besondere Gerichtsstände mit Bezug zu Telemedien 85–86 c) Sonderproblem: Gerichtsstand der unerlaubten Handlung . . . . . . . . 87–116 aa) Allgemeines . . . . 87–92 bb) Handlungsort/Ort des ursächlichen Geschehens . . . . 93–97 cc) Erfolgsort/Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges . . 98–116 (i) Problemstellung . . 98–100 (ii) Herschende Meinung und Kriterien . . . 100–103 (iii) Exkurs: Disclaimer . 104
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Rn (iv) Exkurs: Presseerzeugnis . . . . . . (v) Exkurs: Zugänglichmachung . . . . . . II. Anwendbares Recht . . . . . . 1. Grundlagen des IPR . . . . 2. Vertragliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . 3. Außervertragliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . 4. Rom II-VO 1 . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . b) Sonderregelungen . . . . III. Herkunftslandprinzip . . . . . § 5 Besondere Pflichten für Telemedien . I. Zulassungserfordernisse/Meldepflichten . . . . . . . . . . . II. Gewährung von Zugangsfreiheit . . . . . . . . . . . . III. Informationspflichten bei Telemedien . . . . . . . . . . . . 1. Zweck von Informationspflichten . . . . . . . . . . 2. Anbieterkennzeichnung und Impressum . . . . . . . . . a) Frühere Regelung . . . . b) Grundlagen der Anbieterinformationen nach TMG und RStV . . . . . . . . c) Anbieter . . . . . . . . d) Persönliche oder familäre Zwecke (§ 55 Abs 1 RStV) . . . . . . . . . . e) Geschäftsmäßigkeit . . . f) Juristische Personen . . . g) Journalistisch-redaktionelle Telemedien . . . . h) Anforderungen an die Wiedergabe der Informationen . . . . . . . . . . i) Anbieterinformationen nach anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . j) Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . . . . . 3. Kommerzielle Kommunikation . . . . . . . . . . . . 4. Informationspflichten beim Absatz von Waren und Dienstleistungen über Telemedien . . . . . . . . . . . a) Normenunklarheit und Bagatellverstöße . . . . b) Überblick über Informationspflichten . . . . . . IV. Datensicherheit, Datenspeicherung und Datenschutz . . . . . V. Besondere Pflichten journalistisch-redaktioneller Telemedien . . . . . . . . . . . .
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§1
Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts Rn
§ 6 Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter . . . . . I. Auswirkungen der Verantwortlichkeit der Anbieter . . . . . II. Europarechtliche Vorgaben . . III. Haftungsprivilegierung im TMG . . . . . . . . . . . . . 1. Das System der Regelung des TMG . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . a) Strafrecht . . . . . . . . b) Öffentliches Recht . . . c) Zivilrecht . . . . . . . . 3. Die Privilegierungstatbestände des TMG . . . . . a) Durchleitung von Informationen (§ 8 Abs 1 TMG) . . . . . . . . . . b) Zwischenspeicherungen . . . . . . . . . c) Speicherung von Informationen . . . . . . . . . .
Rn IV. Sonderprobleme der Verantwortlichkeit von Telemedienanbietern . . . . . . . . . . 1. Eigene Inhalte – Fremde Inhalte . . . . . . . . . . 2. Verantwortlichkeit für Gefahrenquelle . . . . . . . . 3. Gehilfenhaftung . . . . . . . 4. Unterlassungsansprüche . . . 5. Störerhaftung . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . b) Adäquate Kausalität . . . c) Verletzung zumutbarer Prüfpflichten . . . . . . . aa) Bestimmung des verlangten Verhaltens . . . bb) Möglichkeiten eines Alternativverhaltens . . cc) Aspekte der Zumutbarkeit d) Störerauswahl . . . . . . . e) Inhalt der Störerhaftung . . 6. Hyperlinks und Suchmaschinen . . . . . . . . . .
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§1 Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts I. Konvergenz Telemedienrecht ist ein junges Rechtsgebiet. Die technische Revolution durch Digitali- 1 sierung hat die Kategorien der individuellen und allgemeinen Kommunikationsformen in nur zwanzig Jahren von Grund auf geändert. Medien und Kommunikation sind nicht neu, einschließlich darauf anzuwendender, über Jahrzehnte ausbalancierter Rechtsvorschriften. Doch die Begriffe und rechtlichen Tatbestandsmerkmale als Ansatzpunkte dieser Regelungen scheinen zu verschwimmen oder nicht mehr recht zu passen.1 Das Schlagwort der Medienkonvergenz beschreibt den Prozess, in dem sich Medieninhalte und -Technik durch Verschmelzungen dem begrifflichen Zugriff entziehen. Konvergenz 2 wird im Allgemeinen als das Zusammengehen vormals getrennter Berei- 2 che verstanden. In Bezug auf Medien wird dabei seit dem Grünbuch Konvergenz 3 zwischen technischer Konvergenz und den Folgen der Konvergenz unterschieden. Technische Konvergenz in diesem Sinne ist die Möglichkeit, digitale Medieninhalte traditioneller und neuer Kommunikationsdienste über zahlreiche verschiedene Netze anbieten zu können. Alle Arten von digitalen Medieninhalten können über Kommunikationsnetze übermittelt
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Bullinger NJW 1984, 385, 390. S hierzu auch Teil 1 Kap 1 Rn 26 ff, 120 ff und 129; letztlich handelt es sich um einen Sammelbegriff für eine Reihe technischer Innovationen; vgl Holznagel NJW 2002, 2351; Neun Grenzen, 141 ff zum Umsetzungs-
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bedarf aus regulatorischer Sicht Schulz/ Jürgens Regulierung 38 ff eine differenzierte Typologie der Konvergenz bietet, Schoch JZ 2002, 798, 799 f; s a Teil 2 Kap 1 Rn 15. KOM-(97) 623 endg.
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und ausgetauscht werden. Das Internet ist die einzig universelle nicht-proprietäre Plattform für den Austausch von medialen Inhalten und Produkten.4 Technische Konvergenz besteht aber auch in der Nutzbarkeit unterschiedlicher Medieninhalte auf einem Endgerät 5. Wenig beachtet dagegen wird die Konvergenz der technischen Formate, also die Nutzbarkeit digitaler Medien auf unterschiedlichen Endgeräten (Geräteunabhängigkeit). Diese Vernachlässigung beruht darauf, dass die Medienbeteiligten die Kontrolle über den Nutzer, die proprietäre Zugangsplattformen versprechen, noch für erreichbar halten. Provider, Netzbetreiber, Inhalteanbieter und Konsolenhersteller hoffen, die zukünftigen Nutzer von Medieninhalten an eine Plattform zu binden, ohne dass klar wäre, was darunter zu verstehen sein soll.6 Beobachtet werden kann dieses Bestreben beim digitalen Rundfunk, der auf Grund seiner Übertragungstechniken und der Regulierung 7 die Beherrschung des Zugangsgerätes aufdrängt.8 Technische Barrieren liegen im Interesse der Hersteller und Verwerter, um Märkte abzugrenzen 9, Nutzungen einzeln lizenzieren zu können 10 oder Marktanteile zu sichern 11. Erwartet worden war eine Marktentwicklung zu Unternehmen und Produkten bzw 3 Diensten der Konvergenz.12 Diese Folgen der technischen Konvergenz werden zuweilen als inhaltliche Konvergenz oder Konvergenz der Dienste bezeichnet, obwohl sich die Angebote gerade nicht im Verschmelzen vorbekannter Dienste erschöpfen, sondern ganz neue Formen der Kommunikation entstehen.13 Gerne wird in innovativen Diensten vor allem das Bekannte gesehen; aber Chat ist nicht Telefonieren über Tatstatur, Einestages.de ist nicht Zeitung, Youtube braucht keinen Programmdirektor und Homebanking erschöpft sich nicht im Versenden von Anweisungen an die Bank. Schon die schnelle, virale Verbreitung neuer Angebote trotz Weiterbestehens der traditionellen zeigt, dass hier
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Der Austausch von Daten über proprietäre, geschlossene Netze sollte aber nicht außer Acht gelassen werden. Vor allem unter Sicherheitsaspekten werden eigene Netze gerade auch für die Übermittlung digitaler Wirtschaftsgüter erwogen. Entschieden ist die Schlacht um das Zugangsgerät des Nutzers zu den digitalen Diensten noch nicht. Aus der Erfahrung mit den Versuchen proprietärer Zugangsdienste aus den 90er Jahren (Beispiel CompuServe) kann aber die Prognose gewagt werden, dass offene Zugangssysteme wie die Kombination Internet/Browser mit Verbreitung performanter Internetanschlüsse mehr Inhalte anbieten werden, als dies proprietäre Systeme vermögen. Vgl Teil 1 Kap 1 Rn 26, 129; Holznagel NJW 2002, 2351, 2352 Neun Grenzen, 141. Schneider Digitalisierungsbericht 24. S hierzu Teil 4 Kap 1. Weshalb sich der Gesetzgeber veranlasst sieht, den Anbietern von Medieninhalten nicht diskriminierende Zugangsfreiheit gesetzlich zu gewähren, § 53 RStV. So verhindern Region Codes für DVDs etwaige Vorteile der Globalisierung für den Nutzer (s zur Technik und juristischen
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Bewertung Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a UrhG Rn 35; zum „Zoning“ Hoeren MMR 2007, 3. Zu Digital Rights Management s Teil 2 Kap 1 Rn 22 ff. Dies hat mitunter überraschende Hintergründe, etwa wenn iTunes von der Musikindustrie zum Einsatz von DRM verpflichtet wird, während dieselben Unternehmen 90 % aller Musiktitel ungeschützt in Umlauf bringen (s dazu www. apple.com/hotnews/thoughtsonmusic/ (Stand 1.9.2007). S auch Büchner/Dreier/Bechtholdt 54 f. So wird das unter Verschluss halten von Rechten zur Sicherung bestehender Verwertungsstrukturen als Barriere für konvergente Nutzungen erkannt (siehe etwa Final Report, Interactive content and convergence: Implications for the information society, A Study for the European Commission (2006) S 15 Nr 23, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ information_society/eeurope/i2010/docs/ studies/interactive_content_ec2006-pdf (Stand 30.1.2008). KOM-(97) 623 endg, ii. Bullinger NJW 1984, 385, 385 zum Begriff „neue elektronische Medien“.
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§1
Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts
Bedürfnisse anders und besser erfüllt werden. Wirtschaftlich spürbar wurde dies erstmals mit dem Aufkommen der Peer-to-Peer-Netze. Früher tauschten Jugendliche Musik auf dem Schulhof. Das Internet jedoch sprengt diese Dimension. Die jahrelange Ratlosigkeit der Musikbranche zu dem Phänomen beruhte sicher auch auf dem Unvermögen, das Neuartige und die Dynamik zu akzeptieren.14 Trends wie Web 2.015, Blogs 16, Vlogs 17, VoIP 18, IP-TV 19, Webcasting 20 oder Social 4 Networking-Plattformen 21 werden zunächst im Rechtssystem dem Bekannten zugeordnet 22, dabei enthalten diese Dienste jeweils Merkmale, die Anknüpfungspunkte für eine gänzlich neue Bewertung zuließen.23 Internetfernsehen sollte Anlass geben, das Konzept des Rundfunks auf den Prüfstand zu stellen. Stattdessen wird das Überkommene zur Norm für das Neue erhoben und in vielen regulatorischen Einzelschritten übersieht das Rechtssystem die großen Möglichkeiten auf dem Weg in die Informationsgesellschaft.24 Erforderlich wäre allerdings eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie der 5 Umgang mit Informationen, Medieninhalten und den diese verkörpernden Daten geregelt werden kann und welche Chancen und Risiken sich nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die Gesellschaft insgesamt daraus ergeben, dass solche Daten unbegrenzt bei geringen Kosten beliebig gespeichert, verändert oder übermittelt werden können. Jahrhunderte alte Ideale wie freier Zugang aller zum Wissen der Welt, können in wenigen Jahren verwirklicht werden (Wikipedia), fügen sich aber kaum in die bestehenden Regelungen über den Zugang zu Informationen oder die Zuweisung von Ausschließlichkeitsrechten und Nutzungsbefugnissen an Informationen ein.25 14
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Vgl die Darstellung bei Tim Renner „Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm“ (2004) 128 ff oder den offenen Brief von Steve Jobs an die Musikindustrie zum Thema DRM www.apple.com/hotnews/thoughtsonmusic/ (Stand 1.9.2007). S dazu O’Reilly What Is Web 2.0, Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software (www.oreillynet. com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/ what-is-web-20.html?page=1); Büchner/ Dreier/Christiansen 39 ff. Digitales Journal (de.wikipedia.org/wiki/ Blog). Blogs, die aus Videodarbietungen bestehen, meist mit Zusätzen wie Linklisten, Foren, Kommentaren. Internettelefonie, s Teil 5 Kap 2 Rn 43. Verbreitung digitaler Rundfunktangebote mittels Internet Protocol. Verbreitung von Rundfunksendungen über Streaming. Internetgemeinschaften wie Facebook, StudiVZ, Orkut, Xing, LinkedIn. Hier lässt sich Luhmanns Theorie am Subsystem beobachten. Die Einwirkungen aus der Umwelt auf das Rechtssystem führen nicht zu einer verbesserten Erkenntnis eines „Gegenstandes an sich“. Vielmehr wird zunächst mit systeminterner Ausdifferen-
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zierung reagiert und allenfalls die Theorie des Subsystems angepasst: „Theoriefortschritt ist daher nicht einfach die Verbesserung der Erkenntnislage in Bezug auf einen unabhängig von ihr vorhandenen Gegenstand; sondern sie bewirkt ein Neuarrangieren der Reflexionsverhältnisse im System, das möglicherweise einer gegebenen historischen Lage besser entsprechen kann“. Schoch fordert folgerichtig eine Modernisierung der Medienordnung unter Aufgabe von Tabus wie der Trennung von Inhalten und Technik oder der Kompetenzlage (JZ 2002, 798, 804 ff). Zurecht lautet der Untertitel des Grünbuchs Konvergenz „Ein Schritt in Richtung Informationsgesellschaft“; s zum Begriff der Informationsgesellschaft Teil 1 Kap 1 Rn 77 ff. Auch das Einfügen einer „Linux-Klausel“ in § 32 Abs 3 S 3 UrhG kann über den Systembruch nicht hinwegtäuschen, s zu der Regelung Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 32 UrhG Rn 45 und Teil 2 Kap 1 Rn 21 wohl aA. Weshalb soll der Urheber sich der Allgemeinheit gegenüber seiner wirtschaftlichen Interessen am Werk umsonst vollständig begeben dürfen, aber nicht gegen geringe Vergütung? Offenbar ermöglichen andere Konzepte als ausschließlich marktwirtschaftliche Anreizstrukturen die Schaffung „kon-
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Das Phänomen der Konvergenz enthält den Aspekt der Auflösung und Neuorganisation von Strukturen nach dem Abhandenkommen technischer Unterscheidungsmerkmale, die auf Grund der Digitalisierung von Medieninhalten, insbesondere von Medienprodukten, ihre Definitionskraft verloren haben.26 So entsteht das Bedürfnis zu kategorisieren, um die entstehenden Dienste fassen zu können.27 Die tiefgreifenden Rückwirkungen der mit der Digitalisierung verbundenen Möglich7 keiten zur universellen Nutzung, Verbreitung und Veränderung von Medieninhalten sind noch nicht absehbar.28 Das herkömmliche Verständnis von Medienproduktion, -distribution und -rezeption jedenfalls wird das Rechtssystems nicht zur bestmöglichen Reaktion befähigen. Bisher wenig beachtet sind die Auswirkungen des Rechtssystems auf die Telemedien. 8 Das WWW steht vor tiefgreifenden Veränderungen, einerseits durch technische Entwicklungen und andererseits durch die Einwirkungen des Rechtssystems. Regulatorische Einflussnahmen nehmen zu.29 Das Internet ändert bereits seinen Charakter. Waren früher Anonymität und Pseudonyme prägend für die Nutzung 30, ist inzwischen eine sichere, datengeschützte Kommunikation im Internet nur noch mit erheblichem Aufwand möglich. Diskutiert wird nicht mehr, ob alle Nutzungsgrunddaten gespeichert werden, sondern nur wie lange und wer alles darauf Zugriff bekommt.31 Nach dem Ende der Anonymität wird der nächste grundlegende Wandel durch die Territorialisierung des Zugangs erfolgen. „Zoning“ und „Geolocation“ sind Meilensteine auf dem Weg der Durchsetzung nationalen Rechts.32 Der durchschnittliche Internetnutzer wird nicht nur identifizierbar oder zumindest nachträglich ermittelbar sein, ihm wird mit dem Einloggen auch eine Region zugeordnet und er erhält Zugang zu einem personalisierten, nach kulturellen, kommerziellen und rechtlichen Vorgaben eingegrenzten Internet. Passende Sprache und Werbung erhöhen dabei die Annehmlichkeit für den Nutzer. Anbietern kann dann aber auch aufgegeben werden, Nutzern eines bestimmten Sitzlandes Informationen nicht anzubieten.33 Die Eroberung des Internets durch das Rechtssystem zeigt sich in allen aktuellen 9 Kernfragen, sei es die globale Zuständigkeit deutscher Gerichte 34 oder die Anwendung inländischen Rechts 35, seien es die komplexen Informationspflichten 36 oder die Verant-
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kurrenzfähiger“ Werke zum Nutzen aller. Das spricht natürlich nicht gegen eine angemessene Beteiligung des Urhebers am wirtschaftlichen Erfolg seines Werkes. Zur Aufgabe des Versuchs, Rundfunk zu definieren Hochstein NJW 1997, 2977, 2978. Zu Frage der Erforderlichkeit neuer Kategorien mit Darstellung der Ansichten Holznagel NJW 2002, 2351. Schneider Digitalisierungsbericht 23 f. Das Paul C Paules zugeschriebene Bonmot dazu: „Die Amerikaner erfanden das Internet, die Deutschen regulieren es. Jeder macht das, was er am besten kann.“ (zit nach Eck/ Ruess MMR 2003, 362, 366). Auch wenn das meist nur praktische Folge mangelnder Kompetenz der Beteiligten war. S Teil 7 Kap 1 Rn 10. S Sieber/Nolde Sperrverfügungen 3 ff, 41 f, 230 ff; Hoeren MMR 2007, 3. Nutzer erhalten von ihrem Provider eine IP-Nummer für
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die Dauer ihres Internetzugangs zugewiesen. Schon heute kann anhand des Nummernblockes aus dem die individuelle IP-Nummer stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit das Herkunftsland bestimmt werden. Alle Kommunikationen während der Nutzung zu dieser IP-Nummer können gespeichert werden. Hinzu kommen die von den Anbietern zur Identifizierung eines Nutzers gespeicherten Cookies. Daran wiederum können Filter und Verarbeitungsprozesse aller Art ansetzen; zu den datenschutzrechtlichen Aspekten s Teil 7 Kap 1 Rn 21 und Jandt MMR 2007, 74. So geschieht dies bereits auf Basis freiwilliger Selbstkontrolle bei Suchmaschinen, die indizierte Seiten für deutsche Nutzer vorsorglich ausfiltern. S Rn 81 ff. S Rn 117 ff. S Rn 159 ff.
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Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts
wortlichkeit für Inhalte Dritte.37 Auch wenn nur bestehende Konzepte jetzt auch auf Telemedien angewandt werden: 38 Die unbeschwerte Jugend des Internet ist vorbei.
II. Der „Rechtsfreie Raum“ Telemedien im Sinne über das Internet nutzbarer, multimedialer Informations-, Kom- 10 munikations- und Unterhaltungsangebote sind seit etwa zehn Jahren Gegenstand besonderer Gesetzgebung. Zunächst war das Ziel, durch Sonderregelungen den aufkeimenden wirtschaftlichen Kräften Entfaltungsmöglichkeit zu schaffen.39 Bald aber beherrschte das Mantra die Diskussion, das Internet sei „kein rechtsfreier Raum“, ohne dass das je behauptet worden war.40 Aber „vom Rechtssystem und seiner Funktion aus gesehen, darf es keine rechtsfreien Räume geben, keine Verhaltensweisen, die durch das Recht nicht erreichbar sind (…)“.41 Dabei mangelte es lediglich an internationalem Konsens, nationale Rechtsordnungen auf ein raumübergreifendes Netz zu erstrecken oder einheitliche Rechtsgrundsätze zu entwickeln.42 Recht und Rechtsanspruch erweisen sich als nicht globalisiert. Was hier strafbare Verbreitung ist, mag anderswo als Meinungsfreiheit unter besonderem Schutz stehen.43 Durch das Internet verschwinden nicht die Rechtssysteme, sondern der Nutzer „surft“ durch eine virtuelle Welt ohne Grenzen.44 Die Teilnehmer des Web werden so konfrontiert mit Rechts- oder Unrechtssystemen, die sie vielleicht ablehnen aber sich dennoch eklektizistisch daraus bedienen. So hat es auch in Deutschland nie an dem Instrumentarium gefehlt, gegen Inhalte vorzugehen. Im Gegenteil: Seitens der EU wurde die Notwendigkeit gesehen, den Kreis der Verantwortlichen im Internet einzugrenzen, um die Entfaltungsmöglichkeiten für den Binnenmarkt sicherzustellen.45 Traditionellen Interessenvertretern ist es gelungen, insbesondere auf internationaler 11 Ebene die Bedingungen für die digitale Welt zu einem Zeitpunkt festzuschreiben, als in den Einzelstaaten eine Debatte über die sich gerade erst abzeichnende digitale Revolution noch gar nicht geführt wurde.46 Der dabei entstehende Eindruck, Einzelinteressen 37 38 39
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S Rn 215. Besonders auffällig etwa bei der rundfunkähnlichen Regulation (s Teil 4 Kap 1 Rn 51). Vgl Begründung zum IuKDG, BT-Drucks 13/7385, 16; vgl zum Regulierungsbedarf Gounalakis NJW 1997, 2993, 2993 f mwN; KOM-(97) 623 endg. Sieber der gelegentlich als Quelle für diese Auffassung benannt wird, hat stattdessen ausf Ansätze zur Verantwortlichkeit aufgezeigt (Sieber JZ 1996, 429, 441 f und 495 ff) und bereits festgestellt (S 506), dass der reklamierte „rechtsfreie Raum“ wohl nur faktisch bestünde auf Grund Beweisschwierigkeiten und mangels technischer Kontrollmöglichkeiten oder internationaler Zusammenarbeit; s auch Wenning JurPC Web-Dok 16/1997; Bettinger GRUR 1997, 402, 413; Heckmann NJW 2000, 1370, 1379. Luhmann Das Recht der Gesellschaft (1993) 422. Vgl bereits Roellecke NJW 1996, 1801 f; Sieber JZ 1996, 429, 506.
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So schon Roellecke NJW 1996, 1801 f. Ein Effekt, den das „Zoning“ wieder beseitigen soll (Rn 8). ErwG 5 und vor allem 40 ECRL. Einen Überblick gibt Fallenböck MR Int. 2004, 11, 13 f. bspw verpflichtet das TRIPS-Übereinkommen (Trade-Related Aspects of International Property Rights) auf Ebene der WTO die Unterzeichner zum Schutz geistigen Eigentums, weshalb nach Ansicht von Lehmann CR 1998, 232 die späteren Haftungsprivilegien des TDG gar nicht zulässig gewesen sein sollen; leider ungehört blieb auch die Forderung von Kubicek CR 1995, 370, 371 nach einer breiten Debatte über die Herausforderungen der Medien- und Telekommunikationspolitik. Entsprechendes gilt für die Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung oder Rechtsdurchsetzung, Gitter/Schnabel MMR 2007, 411.
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würden so außerhalb des politischen Meinungsbildungsprozesses durchgesetzt, dürfte die allgemeine Legitimationskrise der EU fördern.47 Ab Mitte der 90er Jahre wurden dann eine Reihe internetspezifischer nationaler wie internationaler Regelungen entwickelt.
III. Gesetzgebungskompetenz für Telemedien 12
Die nationale Gesetzgebung wurde gehemmt durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern über die Regelungskompetenz für das Internet. Nach dem im Grundgesetz verankerten Föderalismusprinzip haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit nicht das Grundgesetz dem Bund die konkrete Regelungskompetenz zuweist (Art 70 Abs 1 GG). Dem Bund kann dabei die ausschließliche oder die konkurrierende Zuständigkeit übertragen sein. Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes erlangen die Länder Gesetzgebungskompetenz nur mittels ausdrücklicher Ermächtigung durch den Bund (Art 71 GG). Im Bereich konkurrierender Gesetzgebung können die Länder aktiv werden so lange und soweit der Bund von seiner vorrangigen Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat (Art 72 Abs 1 GG). Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung darf der Bund nur – mit einzelnen Ausnahmen – regeln, soweit dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist (Art 72 Abs 2 GG).48 Eine ausdrückliche Zuweisung der Kompetenz für Telemedien enthält das GG auch in 13 seiner reformierten Fassung nicht. Die Kompetenzverteilung für internetrelevante Gesetzgebung veranschaulicht die folgende Tabelle:
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Bund
Länder
Ausschließlich
Konkurrierend Einfach
Erforderlichkeitsklausel
Rundfunk, Presse,
Telekommunikation, Art 73 Abs 1 Nr 7 49
Bürgerliches Recht, Art 74 Abs 1 Nr 1
öffentliche Fürsorge, allgemeiner Jugendschutz 50, Art 74 Abs 1 Nr 7
Teletext, Jugendschutz im Rundfunk 51
Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht und Verlagsrecht, Art 73 Abs 1 Nr 9
Kartellrecht, Art 74 Abs 1 Nr 16
Recht der Wirtschaft, Art 74 Abs 1 Nr 11
Datenschutz als Annex zu Telekommunikation und Recht der Wirtschaft
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48 49
S zum Urheberrecht den Bericht Geiger/ Engelhardt/Hansen/Markowski GRUR Int 2006, 475, 482. S zu ersten Erfahrungen mit der Förderalismusreform I Papier NJW 2007, 2145. Dies betrifft nach BVerfG vom 26.10.2005, 1 BvR 396/98, Rn 56 abrufbar unter bverfg.de nur die technische Seite der Telekommunikation, nicht aber Rundfunk-Inhalte.
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HM: BVerfG NJW 1971, 1559 f, 1559, BVerwG NJW 1990, 3286, 3288, s auch Liesching NJW 2002, 3281, Fn 22 mwN. Eingehend Weides NJW 1987, 224, 231 f, der bereits dringenden Handlungsbedarf für Jugendschutzregelungen bei „neuen Medien“ anmahnte (S 233).
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§1
Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts
Eine Regelungsbefugnis für „das Internet“ gibt es danach nicht. Verschiedene durch 15 das Internet betroffene Aspekte unterliegen unterschiedlicher Regelungskompetenz. So kann eine Ebene der technischen Kommunikation bestimmt werden, welche die Übermittlung von Informationen über Distanz zwischen Teilnehmern zur Aufgabe hat. Dieser Bereich ist Telekommunikation und darf vom Bund geregelt werden.52 Ebenso herrscht Einigkeit, dass die Länder die inhaltliche Seite der Rundfunkordnung bestimmen dürfen.53 Aus der Kompetenz für die Wirtschaftsordnung und das BGB ergibt sich die Befugnis des Bundes, den gesetzlichen Rahmen für Vertragsschlüsse über Internet und hierbei zu beachtende Regeln wirtschaftlicher Fairness vorzugeben. Telemedien berühren alle diese Bereiche. Angesichts der immensen Bedeutung, die den Telemedien mit der Konvergenz für die 16 zukünftige Medienordnung zukommen wird, ist verständlich, dass in der Auseinandersetzung von Bund und Ländern um die Einflusssphären keine Seite Steinchen in diesem Kompetenz-Mosaik leichtfertig abgibt.
V. Vorbekannte Abruf- und Verteildienste 1996 bestand große Unsicherheit darüber, in welche Richtung sich das neue Medium 17 „Internet“ entwickeln würde.54 Als Regelungsmodell existierte der Staatsvertrag der Länder über Bildschirmtext (Btx). Btx war jedoch anders aufgebaut als das Internet: Es gab einen zentralen Server, auf dem die verschiedenen Angebote über Nummern abrufbar waren.55 Dieses Bild formte die Vorstellung von „Abrufdiensten“.56 Ein weiterer vorbekannter Informations- und Kommunikations-Dienst war seit 18 Anfang der 70er Jahre Teletext.57 In der Austastlücke des Fernsehsignals werden dabei geringe Datenmengen ausgesendet, die dann von einem beim Zuschauer installierten Endgerät ausgelesen und nach Auswahl durch den Nutzer auf dem Bildschirm angezeigt werden. Die Anwahl durch den Nutzer erfolgt dabei nicht in Interaktion mit dem Sender, sondern mit dem Teletextempfangsgerät. Teletextseiten werden fortlaufend gesendet. Wird eine Information vom Seher angewählt, muss das Gerät auf einen eigenen Speicher zurückgreifen oder warten, bis die angeforderten Daten im Zyklus wieder ausgestrahlt werden. Dies ist das Urbild eines „Verteildienstes“. Das Internet wurde vorgestellt als eine Mischung aus Fernsehen, Teletext und Btx. Das Bild der Abruf- und Verteildienste
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BVerfG vom 26.10.2005, 1 BvR 396/98, unter I 2. a) aa) (abrufbar unter bverfg.de). BVerfG vom 26.10.2005, 1 BvR 396/98, unter I 2. a) aa) (abrufbar unter bverfg.de). Und dies galt auch für die Experten, vgl etwa Eberle CR 1996, 193, 193, der Onlinedienste vor allem als weiteren Kanal für die Verbreitung von Inhalten ansah. Zu diesem Zeitpunkt versuchten wichtige Anbieter noch, statt eines allgemeinen Internetzugangs proprietäre Informationsportale (bspw CompuServe, Telekom Online) zu betreiben. „Das Internet“ war dann einer von mehreren möglichen Informations- und
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Kommunikationsdiensten (s etwa Eberle CR 1996, 193, 196) und Fragen des öffentlichen Zugangs erschienen wesentlich (s dazu Kubicek CR 1995, 370). Eine entsprechende Erweiterung zu einem umfassenderen Dienst war für Btx zwar beabsichtigt (Datex-j) wurde aber durch das Internet überholt. So bewirbt das ZDF die im Internet angebotenen Beiträge als „Abruf-Fernsehen“. In Deutschland 1980 als Videotext im Probebetrieb eingeführt (de.wikipedia.org/wiki/ Teletext, Stand 12.8.2007), vgl Bullinger NJW 84, 385, 387.
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prägt bis heute die Gesetzgebung für Telemedien.58 Verteildienste sollen dabei eher dem Rundfunk ähneln, wohingegen Abrufdienste eher der Individualkommunikation und insbesondere dem elektronischen Handel zuzurechnen seien.
V. MDStV und IUKDG (1997) 19
Bund und Ländern gelang es nicht, ihre Gesetzgebungsbefugnis vollständig abzugrenzen, so dass man sich entschied 59, die Auswirkungen fehlender Bestimmbarkeit des Anwendungsbereichs der zu schaffenden Vorschriften dadurch zu nivellieren, dass Bund und Länder möglichst identische Regelungen verabschieden.60 So kam es zum Abschluss des Mediendienstestaatsvertrages (MDStV) auf Landesebene 61 und anschließend zur Verabschiedung des IuKDG auf Bundesebene.62 Dem Bundesgesetzgeber ging es dabei vor allem darum, die Rahmenbedingungen für 20 informationswirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen festzulegen, und damit auf die Auswirkungen des Wandels zur Informationsgesellschaft auf das Wirtschaftsleben zu reagieren. Der Bundesgesetzgeber hatte den Wechsel von der Produktion materieller Güter hin zu Angeboten digitaler Information und Dienstleistungen als eigenständigen Wirtschaftsgütern erkannt.63 Folglich wurde die Befugnis zum Erlass der damals oft „Multimediagesetz“ genannten Regelung auch zuforderst auf die Kompetenz zur Regelung des Rechts der Wirtschaft, Art 74 Abs 1 Nr 11 GG, gestützt.64 Die „massenmediale“ Seite, also an die Allgemeinheit gerichtete Dienste, sollten der Länderhoheit unterstellt und im MDStV geregelt werden,65 hingegen sollten Dienste die zur „interaktiven individuellen Nutzung bestimmt“ sind, unter das TDG fallen.66 Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hatten Teile der Opposition die Bun21 desregierung aufgefordert, die Unterscheidung von Tele- und Mediendiensten zu klären und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass digitale Dienste in elektronischen Netzen gerade durch eine Vermischung von individual- und massenkommunikativen Elementen gekennzeichnet seien, so dass dieses Kriterium zur Unterscheidung untauglich sei.67 Das Problem war also bekannt, wurde aber auf die Praxis verschoben.
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S nur BT-Drucks 16/3078, 13 wonach telekommunikationsgestützte Dienste nicht unter das TMG fallen sollen, „weil es sich weder um Abruf- noch um Verteildienste“ handele, als seien diese Dienste nach wie vor die einzigen. Nach Hoeren NJW 2007, 801, 801 fiel die Entscheidung „bei einem legendären Treffen bei dem damaligen Bundeskanzler Kohl“. Das Ergebnis spricht für sich. Durch zwei Regelungen mit unklarem Anwendungsbereich entsteht allerdings nicht eine Gesamtregelung mit umfassenden Anwendungsbereich. Fällt ein Dienst unter den Anwendungsbereich einer Norm, während der Gesetzgeber die Kompetenz für die enthaltene Regelung auf dem Gebiet nicht hat, so ist die Regelung unwirksam, ohne dass
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dadurch der Anwendungsbereich einer parallelen Norm eröffnet wäre. MDStV vom 20.1./12.2.1997. IuKDG vom 22.7.1997. S etwa BT-Drucks 13/7385, 16. BT-Drucks 13/7385, 17. BT-Drucks 13/7385, 69. Dies wurde durch die Klarstellungen in § 2 Abs 4 Nr 3 TDG 1997, die durch die Beschlüsse des 19. Ausschusses hinzukamen, verdeutlicht, nachdem bereits im Gesetzgebungsverfahren die Abgrenzungsproblematik zwischen Tele- und Mediendiensten, offenkundig geworden war (s BT-Drucks 13/7934, 32 ff). Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 11.6.1997, BT-Drucks 13/7937, 1 f.
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§1
Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts
Mit dem Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) vom 22.7.1997 22 führte der Gesetzgeber Regelungen zu Informationspflichten, zum Datenschutz und insbesondere zur Haftung ein, die – modifiziert – bis heute Bestand haben und zur Grundlage des europäischen Ansatzes entsprechender Regelungen wurden. Das IuKDG enthielt als sog Artikelgesetz selbstständige Bestandteile, unter anderem 68 das Teledienstegesetz (TDG 69), das Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) und das Signaturgesetz. Auf Landesebene hingegen waren die Regelungen des TDG und des TDDSG zusammen in einer Norm gefasst worden, dem Mediendienstestaatsvertrag (MDStV). TDG und TDDSG einerseits sowie MDStV andererseits waren – wie zwischen Bund und Ländern besprochen – beinahe identisch. Das entstehende Sonderrecht für Internetangebote stieß auf Ablehnung und Verweige- 23 rung.70 Die Veurteilung des Geschäftsführers eines Internetproviders (CompuServe) für Inhalte auf den Servern des in den USA niedergelassenen Mutterunternehmens zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung durch das AG München 71 ohne Anwendung des TDG führte jedoch zu einer Welle der Empörung.
VI. E-Commerce-Richtlinie der EU (2000) 1997 begann die EU ihre Harmonisierungsbemühungen für die kommerzielle Nut- 24 zung des Internet. Der elektronische Geschäftsverkehr wurde als Chance für Europa gesehen.72 Innerhalb von weniger als vier Jahren wurde 2000 die E-Commerce-Richtlinie (ECRL) verabschiedet. Ziel der ECRL ist die Sicherstellung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten (Art 1 Abs 1 ECRL). Wesentliche Punkte dieser Richtlinie sind die Informationspflichten (Art 5, Art 6, Art 10 ECRL), die Schaffung eines Rechtsrahmens für elektronische Verträge (Abschnitt 3 ECRL) und eine Regelung zur Verantwortlichkeit der Vermittler (Abschnitt 4 ECRL). Durch die ECRL waren die Mitgliedstaaten nun verpflichtet, alle Festlegungen der 25 Richtlinie für die „Dienste der Informationsgesellschaft“ umzusetzen, ein Begriff ohne Entsprechung in der diffizilen bundesdeutschen Kompetenzverteilung.
VII. Entwicklung in der 14. Wahlperiode (1998–2002) 1. IuKDG-Novelle durch das EGG Die ECRL löste gesetzgeberischen Umsetzungsbedarf aus. Bereits zuvor war die Wir- 26 kung des IuKDG evaluiert worden.73 Auch das Signaturgesetz war auf Grund der Signa68
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Änderungen erfolgten auch im UrhG (Datenbankschutz), Preisangabe- und Jugendschutzrecht. Datenspeicher wurden im Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht den Schriften gleichgestellt. Im Folgenden wird – sofern es darauf ankommt – diese Version des TDG durch die Jahreszahl 1997 kenntlich gemacht. Vgl Hoffmann MMR 2002, 284, 284; s Kloos CR 1999, 46, 46 mit weiteren Beispielen; Sieber Verantwortlichkeit Rn 535 führt dasauf mangelnde technische Durchdringung zurück.
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8340 Ds 465 Js 173158/95, abrufbar unter www.artikel5.de/Artikel/urteil1.html (Stand 7.11.2007), in der Berufung aufgehoben, s Teil 7 Kap 3 Rn 64. Die ersten Gedanken der Kommission zur Schaffung eines einheitlichen ordnungspolitischen Rechtsrahmens liefen unter dem Titel „Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“ (KOM (1997) 157). Allerdings mit einem von der Praxis überrascht zur Kenntnis genommenen positiven Ergebnis: Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den
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5. Teil
turrichtlinie 1997/93/EG 74 novellierungsbedürftig. Bzgl des TDDSG war insbesondere durch den Düsseldorfer Kreis Reformbedarf festgestellt worden.75 Die Vorschriften wurden als zu kompliziert und praxisfern kritisiert. Hinzu kam die ohnehin anstehende Bearbeitung des BDSG in Umsetzung der Datenschutzrichtlinie 76. Nach nur vier Jahren erschien damit eine Generalüberholung der Vorschriften des 27 IuKDG geboten. Dies war indes nicht überraschend, da vom Gesetzgeber regelmäßige Anpassungen der Regelungen für das schnelllebige Internet erwartet worden waren. Außerdem hatte sich das IuKDG als wertvolle Grundlage für die Entwicklung des Europäischen Rechtsrahmens erwiesen. Die Änderungen des TDG sowie des TDDSG erfolgten durch das Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG) 77. Wesentliche Aspekte waren: – Übernahme des Herkunftslandsprinzips aus der ECRL – Anpassung der Verantwortlichkeitsregeln an die ECRL – Änderungen des TDDSG: Vereinfachung, Neufassungen und Klarstellungen78. 2. Weitere Gesetzgebung, BGB, JuSchG und JMStV Im Zuge der Schuldrechtsnovelle 79 erfolgte etwa zeitgleich die Umsetzung des Regulierungsrahmens für Distanzgeschäfte und für den elektronischen Handel in §§ 312a ff und 312e BGB. Hierdurch wurden die Bestimmungen zum Fernabsatz ausdifferenziert, vor allem aber die Informationspflichten und Verbraucherschutznormen aus dem Europäischen Recht umgesetzt. Schließlich fiel in die 14. Wahlperiode noch die Verabschiedung 80 des neuen Jugend29 schutzgesetzes vom 23.7.2002 81 und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages 82 (JMStV). Die Aufteilung in Tele- und Mediendienste, die das IuKDG und das MDSDV prägte, hatte sich nicht sonderlich bewährt und erwies sich für die Kompetenzverteilung 83 im
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neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG) (BT-Drucks 14/1191); s dazu Tettenborn MMR 1999, 516. ABl EG Nr L vom 19.1.2000, 12. S den Jahresbericht 1998 des Berliner Datenschutzbeauftragten Kap 5 (abrufbar unter www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/98/ teil5.htm, Stand 12.8.2007) oder die im Evaluierungsbericht BT-Drucks 14/1191 aufgenommenen Anregungen. ABl EG Nr 11281 vom 23.11.1995, 31. Wesentliche Schritte: Entwurf der Bundesregierung vom 17.5.2001, BT-Drucks 14/6098, Beschlussempfehlung und Bericht Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vom 7.11.2001 BT-Drucks 14/7345 (in BR-Drucks 912/01, 1 falsch zitiert als 14/7331); EGG: BGBl 2001 I S 3721 vom 20.12.2001, in Kraft getreten am 21.12.2001, bzw 1.1.2002; s zum EGG auch Spindler
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NJW 2002, 921; s eingehend zum Datenschutz Teil 7 Kap 1 Rn 78 ff. Vgl die Zusammenfassung bei Gola NJW 2001, 3747, 3749. Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts BGBl 2001 I S 3138. Zur Entstehung s Nikles/Roll/Spürck/Umbach Jugendschutzrecht I Rn 51 ff, 18. Die damalige Bundesregierung war allerdings zu dem Zeitpunkt als die Zustimmung aller Bundesländer Ende März 2003 vorlag und der JMStV zum 1.4.2003 in Kraft trat nicht mehr im Amt. Wesentliche Schritte: BT-Drucks 14/9013 Fassung BT-Drucks 14/9410, BGBl 2002 I S 2730. Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), Baden-Württemberg LT-Drucks 13/1320, 2 ff. Die Bundeskompetenz für den Jugendschutz wird nach allgemeiner Ansicht aus Art 74
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§1
Entstehung und aktuelle Entwicklung des Telemedienrechts
Rahmen des Jugendschutzes als nicht fruchtbar. So kam es unter bewusster Aufgabe der alten Kategorien 84 zur Trennung in Träger- und Telemedien. In Abgrenzung zu den Trägermedien definierte hier der Gesetzgeber erstmals „Telemedien“ als „Medien, die durch elektronische Informations- und Kommunikationsdienste nach dem TDG oder dem MDStV übermittelt oder zugänglich gemacht werden, wobei als Übermitteln oder Zugänglichmachen das Bereithalten eigener oder fremder Inhalte gilt“, § 1 Abs 3 JuSchG (2002).85 Jugendschutz in Telemedien wird inzwischen gem § 16 JuSchG durch die Länder im JMStV ausgestaltet.86
VIII. TMG (2007) Nachdem sich im Jahr 2004 Bund und Länder auf die Zusammenführung der wirt- 30 schaftsbezogenen Regelungen für Tele- und Mediendienste in einem Bundesgesetz unter gleichzeitiger Klarstellung der Kompetenz der Länder für massenmediale Dienste geeinigt hatten, wurde ein erster Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (ElGVG) am 11.8.2006 an den Bundesrat geleitet 87 und im Verlauf der Beratungen nur geringfügig geändert.88 Das dadurch geschaffene Telemediengesetz 89 (TMG) gilt 90 seit 1.3.2007. Auch das ElGVG hatte – wie das IuKDG – die Form eines Artikelgesetzes, neben dem 31 TMG wurden jedoch lediglich sprachliche Anpassungen an JuSchG, ZugangskontrolldiensteschutzG sowie dem SignaturG vorgenommen. Die Datenschutzbestimmungen des TDDSG wurden – ähnlich wie zuvor im MDStV – mit den Vorschriften des TDG in einem Gesetz zusammengefasst. Durch das TMG ergaben sich Änderungen hinsichtlich des Geltungsbereichs, der Informationspflichten und des Datenschutzes.91 Die Verantwortlichkeitsregelungen dagegen wurden nicht geändert.
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Nr 7 GG abgleitet, s BVerfG NJW 1971, 1559 f, 1559; BVerwG NJW 1990, 3286, 3288; s auch Liesching NJW 2002, 3281, Fn 22 mwN, bereichspezifische Regelungen zum Jugendschutz im Rundfunk dagegen sollen unter die Regelungsbefugnis der Länder fallen, s Weides NJW 1987, 224, 231 f mwN. In der Ministerpräsidentenkonferenz am 8.3.2002 hatten sich die Länder auf mit dem Bund zu vereinbarende Eckwerte einer Neuregelung des Jugendschutzes geeinigt, denen die Bundesregierung später zugestimmt hat und die das Konzept der Aufteilung in Teleund Mediendienste aufgab. Dieser Bestimmungsversuch war wenig gelungen, wie die Wiederholung des zu definierenden Begriffes zeigt; vor allem blieb rätselhaft, ob daraus, dass nicht – wie es nahegelegen hätte – unverändert auf die bereits definierten Tele- und Mediendienste verwiesen wird, ein anderer Bedeutungsumfang gemeint war. In der Literatur wurde dennoch angenommen, dass damit schlicht alle
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Medieninhalte aus den in TDG und MDStV geregelten Diensten gemeint seien, s etwa Nikles/Roll/Spürck/Umbach Jugendschutzrecht Teil II § 1 Rn 21, zum Begriff der Telemedien im JuSchG s auch Liesching NJW 2002, 3281, 3283 f. S zum Jugendmedienschutz eingehend Teil 7 Kap 2 Rn 18 ff. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (Elektronischer-GeschäftsverkehrsVereinheitlichungsgesetz-ElGVG BR-Drucks 556/06). S hierzu insbesondere BT-Drucks 16/3135 vom 25.10.2006 und BT-Drucks 16/4078 vom 17.1.2007. Beschlossen wurde BT-Drucks 16/3078 idF von BT-Drucks 16/4078, BGBl 2007 I S 179. S Bekanntmachung vom 1.3.2007, BGBl 2007 I S 251. Zum TMG Hoeren NJW 2007, 801; Spindler CR 2007, 239.
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Für den Anwendungsbereich der Norm etablierte das TMG den Begriff der Telemedien (§ 1 Abs 1 S 1 TMG) und gab so die Unterscheidung zwischen Tele- und Mediendiensten auf. Nahezu wortgleich wurde in § 6 Abs 2 TMG die Regelung aus dem früheren Entwurf eines Anti-Spam-Gesetzes 92 übernommen, trotz der einhelligen Kritik der Sachverständigen an diesem Vorschlag.
IX. Ausblick 33
Trotz der frischen Neuregelung ist weiteres gesetzgeberisches Tätigwerden Bereich der Telemedien unvermeidlich.93 Die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie RL 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG vom 15.3.2006 verlangt die Speicherung zahlreiche Verkehrs- und Standortdaten jeder Person, die einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst wie Telefon, Mobiltelefon, VoIP-Telefonie, Internetzugang oder E-Mail nutzt. Die Richtlinie betrifft in erster Linie die Ebene der Telekommunikation und soll insbesondere keine Inhaltsdaten erfassen (Art 5 Abs 2 Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie). Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie geht darüber teilweise hinaus und sieht erstmals die möglichst lückenlose Erfassung und Speicherung des Kommunikationserhaltens der Bürger vor.94 Hiergegen richtet sich die hinsichtlich der Anzahl der Beschwerdeführer größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit guten Erfolgsaussichten, nachdem bereits erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Richtlinie bestehen.95 Aktuell ist die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG zur Verbesserung der prozessualen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte sowie Auskunftsansprüche einschließlich Herausgabe von Drittdaten.96 Schließlich steht an die Evaluierung der Haftung der Anbieter von Hyperlinks und von Instrumenten zur Lokalisierung von Informationen, der Verfahren zur Meldung und Entfernung rechtswidriger Inhalte („notice and take down“Verfahren) und einer Haftbarmachung im Anschluss an die Entfernung von Inhalten im Rahmen des Art 21 Abs 2 ECRL.97 Inzwischen wird verstärkt der Bedarf für eine Novelle des Haftungsrechts der Intermediäre erkannt.98
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Der Fraktionen SPD/Bündnis90/Die Grünen BT-Drucks 15/4835 vom 15.2.2005 – Anti Spam Gesetz. Vgl auch Kitz ZUM 2007, 368, 374. Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl I 2007, S 3198. Das Gesetz ist einstweilig vom BVerfG in Teilen außer Vollzug gesetzt worden, Beschl v 11.3.2008, 1 BvR 256/08; siehe das Gutachten Sierck/Schöning/Pöhl sowie Gitter/ Schnabel MMR 2007, 411 jeweils mwN; Der
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Antrag mehrerer Bundestagsabgeordneter, die Richtlinie wegen mangelnder Regelungsbefugnis anzugreifen (BT-Drucks 16/1622) wurde nicht angenommen, Nichtigkeitsklagen von Irland und der Slowakei sind anhängig (NJW-Spezial 2006, 428). Vom 29.4.2004, ABl L 157 vom 30.4.2004, S 45; siehe den Entwurf eines Umsetzungsgesetzes vom 20.4.2007, BT-Drucks 16/5048. [siehe auch Teil 7 Kap 1 Rn 80]. S dazu Rn 295. Siehe dazu heise.de/newsticker/meldung/ 107695 (Stand 21.5.2008).
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Begriffsbestimmungen
§2 Begriffsbestimmungen I. Elektronische Informations- und Kommunikationsdienste Ausgangspunkt einer Begriffsbestimmung der Telemedien sind die elektronischen 34 Informations- und Kommunikationsdienste (IuK-Dienste). Nach den Begründungen zum TMG 99 und zum 9. RÄStV 100 werden unter IuK-Diensten die Telekommunikationsdienste, der Rundfunk und die Telemedien gefasst. „IuK-Dienste“ ist somit der Oberbegriff für alle Formen von Interaktionsangeboten zwischen Einzelnen, Vielen oder der Allgemeinheit unabhängig insbesondere von der Übertragungstechnik, der Übermittlungsrichtung oder der Rückkanaltauglichkeit. Nicht gleichzusetzen sind IuK-Dienste mit den im EU-Recht definierten „Diensten der 35 Informationsgesellschaft“.101 IuK-Dienste sind bspw auch Dienste, die regelmäßig unentgeltlich angeboten werden, oder Rundfunk102 und Telekommunikation 103. Seit der Schaffung der onlinespezifischen Regelungen durch das IuKDG bereitet die Abgrenzung zu europarechtlichen Vorgaben, dem Rundfunk und der Telekommunikation große Schwierigkeiten. Die gesetzlich vorgesehenen Organisationskonzepte für diese unterschiedlichen Bereiche weichen jeweils erheblich voneinander ab, sodass eine korrekte Zuordnung große Relevanz hat.
II. Telemedien 1. Gesetzliche Definition Telemedien werden in § 1 Abs 1 S 1 TMG negativ definiert als alle elektronischen 36 Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht – Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr 24 TKG, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, – telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr 25 TKG oder – Rundfunk nach § 2 RStV sind. Unter dem Begriff Telemedien werden damit alle IuK-Dienste aufgefangen, die weder 37 ausschließlich dem Rundfunk noch ausschließlich den genannten Diensten der Telekommunikation zugewiesen sind. Diese negative Begrenzung ermöglicht es, auch solche Dienste zu erfassen, die erst zukünftig entstehen oder an Bedeutung gewinnen werden. Es fällt somit kein Informations- und Kommunikationsdienst aus dem Regelungsraster. Laut Definition sind mit „Telemedien“ entsprechende Dienste gemeint und nicht Medieninhalte oder -unternehmen. Klarer ist es, von Telemediendiensten zu sprechen.104 2. Beispiele für Telemedien aus der Gesetzesbegründung Während früher durch Regelbeispiele in § 2 Abs 2 TDG bzw § 2 Abs 2 MDStV näher 38 beschrieben war, welche Angebote unter Tele- bzw Mediendiensten zu verstehen seien, verzichtet das TMG darauf. Als Grund wird auf die geänderte Einschätzung der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung und den Wegfall der Abgrenzung zu den 99 100 101 102
BT-Drucks 16/3078, 13. Begr 9 RÄStV, 4. Rn 47. Rn 52.
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Rn 62. So Kitz ZUM 2007, 368, 369; s auch BT-Drucks 16/3078, 13.
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5. Teil
Mediendiensten verwiesen.105 Daraus darf geschlossen werden, dass der Gesetzgeber an den Katalog des TDG nicht mehr gebunden sein wollte und sich verstärkt den Auffangcharakter des Telemedienbegriffs zunutze machen möchte, ohne inhaltlich die früher benannten Beispiele auszugrenzen.106 Erfasst soll ein weiter Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten sein, „die – sei es über 39 Abruf- oder Verteildienste – elektronisch in Form von Bild-, Text- oder Toninhalten zur Verfügung gestellt werden.“ 107 – Online-Angebote von Waren und Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit (darunter sollen fallen: 108 Informationsangebote, Newsgroups, Chatrooms, elektronische Presse, Fernseh-/Radiotext, Teleshopping 109), – Video auf Abruf außerhalb von Fernsehdiensten im Sinne der Richtlinie 98/552/ EWG, – Onlinedienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten oder zur Datenabfrage bereitstellen sowie – kommerzielle Verbreitung von Informationen über Waren- oder Dienstleistungsangebote mit elektronischer Post (zB Werbemails). 40 Eine weitere Kategorie sind Dienste, die „auch“ Telemedien sind: 110 – Internet-Zugang – E-Mail-Übertragung 41 Die Begründung nennt Beispiele, die keine Telemediendienste sein sollen: 111 – der herkömmliche Rundfunk – Live-Streaming (zusätzliche parallele/zeitgleiche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet) und – Webcasting (ausschließliche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet). – bloße Internet-Telefonie (VoIP) 3. Teledienste und Mediendienste
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Nachdem der Gesetzgeber unter Telemedien sowohl die früheren Tele- als auch Mediendienste versteht,112 können diese Begriffe ebenfalls zur Bestimmung der Telemedien herangezogen werden. Im TDG waren als Teledienste definiert alle IuK-Dienste, die für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten wie Zeichen, Bilder, oder Töne bestimmt sind und denen eine Übermittlung mittels Telekommunikation zugrunde liegt (§ 2 Abs 1 S 1 TDG 2001). Unter Mediendienste sollten alle an die Allgemeinheit gerichteten IuK-Dienste in Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektrischmagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters verbreitet werden, fallen (§ 2 Abs 1 S 1 MDStV). 105 106 107 108
BT-Drucks 16/3078, 13. Spindler CR 2007, 239, 240 sieht keine inhaltliche Änderung. BT-Drucks 16/3078, 13. Diese Auflistung von „Beispielen“ zeigt mangelhafte Sorgfalt zumindest bei der Begründung des TMG. Informationsangebote, Newsgroups, Chatrooms, elektronische Presse und Fernseh-/Radiotext sind regelmäßig nicht geeignet, E-CommerceAngebote zu illustrieren.
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Fernseh-/Radiotext und Teleshopping nennt auch § 2 Abs 1 S 4 RStV als Beispiele für Telemedien. Allerdings gelten die Begriffsbestimmungen des § 2 genau genommen nicht für Telemedien, § 1 Abs 1, 2. Halbs RStV. BT-Drucks 16/3078, 13. BT-Drucks 16/3078, 13. BR-Drucks 556/06, 14.
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§2
Begriffsbestimmungen
Die als unpraktikabel kritisierte Aufspaltung zwischen Individualkommunikation und 43 Massenkommunikation wurde mit dem TMG ersetzt durch die Anwendung allgemeiner Regelungen für alle Telemedien im TMG – allerdings nur, um dann dieselben Fragen wieder aufzuwerfen bei der Bestimmung der rundfunkvergleichbaren Telemedien (§ 50 RStV), der Rundfunkbestandteile in Telemedien (§ 20 Abs 2 RStV) oder der journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote (§ 54 ff RStV).113 Die wohl hM hatte versucht, Teledienste als Individualkommunikation von Mediendiensten als Massenkommunikationsmittel mit Meinungsbildungsrelevanz abzugrenzen.114 4. Abruf- und Verteildienste Nach der Begründung sollen nur Abruf- oder Verteildienste unter das TMG fallen 44 und dadurch etwa von bestimmten Telekommunikationsdiensten zu unterscheiden sein.115 Es liegt daher nahe, die Eigenschaft eines Abruf- oder Verteildienstes als konstitutiv für Telemedien anzusehen. Im TMG sind jedoch nur Verteildienste definiert („Verteildienste [sind] Telemedien, die im Wege einer Übertragung von Daten ohne individuelle Anforderung gleichzeitig für eine unbegrenzte Anzahl von Nutzern erbracht werden“ § 2 Nr 4 TMG) und einer einzelnen Sonderregelung zugeführt (§ 3 Abs 4 Nr 5 TMG). Dabei handelt es sich um Bestandteile der früheren Regelungen. Verteildienste sollten typischerweise Mediendienste darstellen (§ 2 Abs 2 Nr 1 bis Nr 3 MDStV). Abrufdienste waren solche Teledienste, die im Wege einer Übertragung von Daten auf Anforderung eines einzelnen Nutzers erbracht werden (§ 3 Nr 4 TDG 2001). Bei einer Beschränkung auf Abruf- und Verteildienste wären also nur solche IuK-Dienste Telemedien, die im Wege der Übertragung von Daten auf Anforderung eines einzelnen Nutzers, oder ohne diese Anforderung gleichzeitig für eine unbegrenzte Anzahl von Nutzern erbracht werden. Da der Dienst „im Wege der Übertragung“ erbracht wird, ist dann die Erbringung der Übertragungsleistung selbst vorausgesetzt und ausgenommen. Der Unterschied zwischen Abruf- und Verteildiensten besteht nur in dem Kriterium 45 individueller Anforderung durch den Nutzer. Kommunikationsvorgänge auf der Basis der Internetprotokolle (bspw TCP/IP, FTP oder SMTP) erfordern jedoch grds individuelle Vereinbarungen über den Austausch von Daten. Auch kommt die Nutzung eines WWW-Angebotes nicht ohne Aufruf durch den Nutzer zustande. Abruf- und Verteildienste lassen sich also im Internet weder technisch noch anhand der Abrufinitiative unterscheiden. Die vom Gesetzgeber in § 2 Abs 2 Nr 1 bis 5 TDG 2001 angeführten Beispiele für Abrufdienste 116 lassen sich sowohl im Wege des Bereithaltens zum Abruf als auch durch Zurverfügungstellung für eine Vielzahl gleichzeitiger Nutzer erbringen. Vor allem das Web 2.0 117 bietet interaktive Kommunikationsformen zum Austausch von
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Vgl Kitz ZUM 2007, 368, 370; Teil 4 Kap 1 Rn 51. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 2 TDG Rn 5, 11 ff, nachdem jedoch § 2 Abs 1 TDG und § 2 Abs 1 MDStV unterschiedliche Ansätze für die jeweilige Definition von Tele- bzw Mediendiensten gewählt hatten, war eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den jeweiligen Diensten kaum möglich (vgl Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 2 TDG Rn 18). So heißt es in BT-Drucks 16/3078, 13 „Die
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telekommunikationsgestützten Dienste nach § 3 Nr 25 TKG fallen vor allem deshalb nicht unter das zukünftige TMG, weil es sich weder um Abruf- noch um Verteildienste handelt.“ BT-Drucks 14/6098, 16. S dazu O’Reilly What Is Web 2.0, Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software (www.oreillynet. com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/ what-is-web-20.html?page=1).
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
Daten oder sonstigen Informationen zwischen einzelnen oder beliebig vielen, die den Unterschied zwischen Individual- und Massenkommunikation oder zwischen Abruf und gleichzeitiger Absendung vom Server verwischen.118 Anonyme Peer to Peer-Netze 119 ermöglichen den Austausch von Dateien mit einer Vielzahl unbekannter und nicht recherchierbarer Kommunikationspartner. Das Einteilen in Abruf- oder Verteilbestandteile verschafft hier ebenso wenig Erkenntnis wie die Unterscheidung nach Gleichzeitigkeit der Übermittlung bestimmter Inhalte. Gleichzeitig kann die Technik für „Fernsehübertragung“ genutzt werden.120 Nur das Studium der jeweiligen Kommunikation im Einzelfall unter Berücksichtigung der Teilnehmer gestattet eine verlässliche Aussage über eine etwaige Meinungsbildungsrelevanz. Diese Kriterien sollten daher nicht mehr verwendet werden. Das Internet ist eine Kommunikationsstruktur und kein Übertragungsformat. Untertei46 lungen in „Senden – Empfangen“ oder „Abrufen – Verteilen“ machen wenig Sinn. Rechtskategorien, die bereits in der Anwendung auf Wikipedia scheitern 121, sind nicht hilfreich. Die Bestimmung von Telemedien über „Abruf- und Verteildienste“ ist somit nicht ergiebig. 5. Abgrenzung zu „Diensten der Informationsgesellschaft“
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Die EU verwendet in internetspezifischen Regeln wie der ECRL den Begriff „Dienste der Informationsgesellschaft“.122 Nach Art 1 Nr 2 der Informationsrichtlinie 98/34/EG idFv Richtlinie 98/48/EG sind dies Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf des Empfängers erbracht werden, also Abrufdienste.123 Elektronisch erbracht werden Dienstleistungen nach dieser Vorschrift, wenn sie mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen werden, unabhängig vom Übertragungsweg. Der Begriff der Dienstleistung ist weit iSd Art 60 EGV entsprechend der Auslegung durch die Rechtsprechung des EuGH zu verstehen, sodass darunter alle Leistungen fallen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden.124 48 Die Dienste der Informationsgesellschaft umfassen einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die online vonstatten gehen, bspw: 125
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Instant Messaging Dienste wie twitter.com ermöglichen es Nachrichten an ausgewählte Einzelpersonen, Gruppen oder alle zu versenden; pownce.com gestattet dies kombiniert mit dem Versenden ganzer Dateien; RSS-feeds (Really Simple Syndication) sind von Nutzern „abonnierte“ Informationsaussendungen, wobei der konkrete Abruf dennoch immer vom Abonnenten ausgeht, mithin kein „Senden“ im klassischen Sinne vorliegt. Bspw auf Mute oder I2P aufsetzende Systeme oder bei Nutzung des TOR-Netzes, s Sieber/Nolte Sperrverfügungen 16. Möller MMR 2007 Heft 5 VI f. Wikipedia erscheint als Abrufdienst, da die Informationen zentral gespeichert und einzeln zugänglich sind. Zugleich kann sich jeder angemeldete Teilnehmer aber benachrichtigen lassen, wenn ausgewählte Seiten
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geändert werden, also werden entsprechende Informationen „verteilt“. Die Meinungsbildungsrelevanz des Arts zum IrakKrieg (de.wikipedia.org/wiki/Irakkrieg) liegt auf der Hand, wogegen der ausführliche Art zum TCP (de.wikipedia.org/wiki/Transmission_Control_Protocol) Wissen vermittelt und unter keinem Gesichtspunkt geeignet ist, zur Meinungsbildung beizutragen. Einträge auf den Benutzerseiten dienen wohl der individuellen Kommunikation, sind aber für jeden anderen Nutzer abrufbar. S zur Einordnung als Mediendienst Kaufmann/ Köcher MMR 2006, 255, 256. Art 2a ECRL. Zu diesem unglücklichen Begriff s Rn 44. RL 98/48/EG ErwG 19. RL 2000/31/EG ErwG 18, s auch Anh V der Informations-Richtlinie 98/34/EG idFd RL 98/48/EG.
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§2
Begriffsbestimmungen
– Online-Verkauf von Waren (nicht aber die Auslieferung von Waren als solche oder die Erbringung von Offline-Diensten), also bspw Internetshops; – Online-Informationsdienste (bspw Wetterdienste, Informationsangebote der Unternehmen); – kommerzielle Kommunikation (bspw E-Mail-Werbung); – Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten und zur Datenabfrage bereitstellen (bspw Suchmaschinen, kommerzielle Datenbanken); – Dienste, die Informationen über ein Kommunikationsnetz übermitteln, Zugang zu einem Kommunikationsnetz anbieten oder Informationen, die von einem Nutzer des Dienstes stammen, speichern (bspw Providing); – Dienste, die von Punkt zu Punkt erbracht werden, wie Video auf Abruf. Keine Dienste der Informationsgesellschaft sind: 49 – Die Verwendung der elektronischen Post oder gleichwertiger individueller Kommunikationen zB durch natürliche Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit, einschließlich ihrer Verwendung für den Abschluss von Verträgen zwischen derartigen Personen; – Die vertragliche Beziehung zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber; – Tätigkeiten, die ihrer Art nach nicht aus der Ferne und auf elektronischem Wege ausgeübt werden können, wie die gesetzliche Abschlussprüfung von Unternehmen oder ärztlicher Rat mit einer erforderlichen körperlichen Untersuchung eines Patienten; – Punkt-zu-Mehrpunkt-Übertragung, die im Wege einer Übertragung von Daten ohne individuellen Abruf gleichzeitig für eine unbegrenzte Zahl von einzelnen Empfängern erbracht werden, einschließlich zeitversetzter Video-Abruf 126; – Fernsehsendungen im Sinne der Richtlinie 89/552/EWG und Radiosendungen, soweit sie nicht auf individuellen Abruf erbracht werden 127; – Teletext (über Fernsehsignal).128 Keine Dienste der Informationsgesellschaft sind auch Verteildienste, private Informa- 50 tionsangebote, nicht geschäftliche E-Mail-Korrespondenz, IuK-Dienste im Arbeitsverhältnis oder unentgeltliche Angebote.129 Obwohl der Katalog der Dienste (Rn 39 ff und 48 ff) nahezu identisch ist, hat sich 51 der Bundesgesetzgeber dagegen entschieden, den Begriff der Dienste der Informationsgesellschaft zu übernehmen. Stattdessen werden „Elektronische Informations- und Kommunikationsdienste“ als Oberbegriff und „Telemedien“ für den Regelungsgegenstand der vereinigten Tele- und Mediendienste verwendet. Alle Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne der Informationsrichtlinie sind zugleich Telemedien und damit IuK-
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Art 1 Nr 2 und Anh V Nr 3 a der Informations-Richtlinie 98/34/EG idFd RL 98/48/ EG. Gemeint sind nur Verteildienste, wie sich aus dem Zusammenhang und dem englischen Text ergibt (Schulz/Jürgens Regulierung 22). RL 98/48/EG ErwG 19, ähnlich auch Art 1 Nr 2 und Anh V der Informations-Richtlinie RL 98/34/EG idFd RL 98/48/EG; nach Art 1a der Fernseh-Richtlinie 89/552/EWG sind „Kommunikationsdienste, die auf indi-
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viduellen Abruf Informationen oder andere Inhalte übermitteln, wie Fernkopierdienste, elektronische Datenbanken und andere ähnliche Dienste“ ohnehin nicht im zentralen Begriff der Fernsehendung eingeschlossen. Anh V Nr 3c der Informations-Richtlinie RL 98/34/EG idFd RL 98/48/EG. Art 2a ECRL in Verbindung mit RL 98/38/ EG in der Fassung von RL 98/48/EG, vgl die in ErwG 18 angegebenen Beispiele.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
Dienste, nicht alle Regelungen für Telemedien finden wiederum Anwendung auf Dienste der Informationsgesellschaft.130 Nachdem Umsetzungspflichten gem der ECRL für alle Dienste der Informationsgesellschaft bestehen, gilt im Zweifel für alle Dienste der Informationsgesellschaft, dass sie Telemedien zunächst insoweit sind, als die dadurch anwendbaren Regelungen des TMG dem Umsetzungsauftrag entsprechen. 6. Verhältnis zum Rundfunk
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Nach § 1 Abs 1 findet das TMG keine Anwendung auf IuK-Dienste, soweit sie Rundfunk iSd § 2 RStV sind. Ein rundfunkähnlicher Teilbereich der Telemedien, die sog massenkommunikativen Dienste werden sowohl durch das TMG als auch durch die besonderen Regelungen im RStV geregelt. Das TMG gilt dabei für die wirtschaftsbezogenen und allgemeinen Anforderungen, wohingegen sich aus Rundfunkrecht weitere, besondere inhaltliche Bestimmungen ergeben können.131 Damit gibt es Überschneidungen von Rundfunk und Telemedien. Der Gesetzgeber strebt dabei eine Zuordnung anhand der Ziele der Regelung an und 53 nicht auf Grund der Technik oder Art der Verbreitung.132 Damit sollen die inhaltlich sich entsprechenden Bestimmungen des TMG und RStV parallel für Telemedien gelten. Zugleich verweisen beide Normen jeweils aufeinander, um keine Regelungslücke zu lassen, § 1 Abs 4 TMG, § 60 Abs 1 RStV. Die angestrebte Klarheit in der Abgrenzung ist entgegen der Ansicht des Gesetzgebers 133 wiederum nicht erreicht. Der Rundfunk sieht sich einer existenziellen Herausforderung gegenüber.134 Alle Inhalte 54 herkömmlicher Rundfunkprogramme können technisch über Internet zugänglich gemacht werden.135 Die übermittelten Inhalte sind dabei – bis auf das Format und die Qualität bei manchen Übertragungstechniken – die gleichen, die auch leitungsgebunden oder leitungsungebunden gesendet werden. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nutzung von Medieninhalten im Internet nur sehr wenig mit dem Empfang einer Rundfunksendung gemein hat. Zwar kann das Internet einen weiteren Übertragungskanal für bestehende Rundfunkangebote darstellen, hierfür ist die Technik aber weder besonders geeignet, noch werden damit die Vorteile des neuen Mediums ausgeschöpft. Überträgt man den herkömmlichen Rundfunk auf das Internet, fällt darunter ledig55 lich die lineare Verbreitung von meinungsbildungsrelevanten Daten und Informationen an eine Vielzahl von Nutzern außerhalb konkreter Anforderung. Rundfunk ist geprägt durch das zeitgleiche Übermitteln eines Programms von Darbietungen, wobei dem Empfänger als Gestaltungsmöglichkeit das Weg- oder Ausschalten bleibt. Moderne Technik hat zwar bereits Interaktivität (bspw über den Rückkanal Telefon) oder die Aufhebung der gleichzeitigen Wahrnehmung (durch analoge oder digitale Videorekorder) eingeführt. Onlinedienste sind dennoch nicht Rundfunk mit anderen Mitteln, sondern etwas grds anderes. Es gibt weder die Notwendigkeit, noch einen vernünftigen Grund, die techni130
Dies bringt einige Komplikationen mit sich, etwa wenn bei der Formulierung des § 312e BGB versucht wird, die Tele- und Mediendienste in Gleichlauf mit den Diensten der Informationsgesellschaft zu bringen, um eine vollständige Umsetzung der ECRL-Vorgaben zu gewährleisten (s dazu BT-Drucks 14/6040, 170). S auch die Beschränkung des Herkunftslandprinzip auf Abrufdienste (BT-Drucks 14/6098, 19).
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BT-Drucks 16/3078, 11; Begründung RStV, 1, 21. BT-Drucks 16/3078, 11. Begründung RStV, 1: „Damit sind die Regelungsbereiche von Bund und Ländern klar getrennt“. Vgl Eberle CR 1996, 193. Sei es über IP-TV, Webcasting, Streaming Media oder Download von Videodateien.
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§2
Begriffsbestimmungen
schen Einschränkungen des Rundfunks auch im Internet zu realisieren oder die deswegen entwickelten Regelungen anzuwenden. Die Aufhebung des Flaschenhalses der Frequenzzuteilung beseitigt das Erfordernis eines Verteilungsverfahrens und einer entsprechenden Einflussnahmemöglichkeit. Noch mehr Veränderung aber wird die Abschaffung des Programms mit sich bringen. Wenn dem Nutzer die Möglichkeit eingeräumt wird, den Beginn einer Darbietung selbst zu bestimmen, geht es nur vordergründig um zeitversetztes oder zeitgleiches Empfangen. Vielmehr diffundiert damit die Macht des Programmschemas. Die Nutzer werden selbst bestimmen, was sie sehen wollen, und dabei kaum noch „durch das Programm geführt“ werden.136 Der Internetnutzer wählt Zeitpunkt, Inhalt und Reihenfolge einer Übertragung aus. 56 Zwar werden nicht alle Fernsehzuschauer innerhalb weniger Jahre auf interaktive Medien umsteigen.137 Die werbewirtschaftlich besonders umworbene junge Generation ist indes gewohnt, Informationen oder Unterhaltungsmedien nach eigenem Bedarf abzurufen und nicht darauf zu warten, ob und wann ein Rundfunkanbieter eine entsprechende Sendung ausstrahlen wird.138 Der herkömmliche Rundfunk ist also ein Auslaufmodell.139 Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass ein System wie der Rundfunk einfach verschwindet. Nach hM soll der Rundfunk dem technischen Wandel unterworfen sein, ohne dass dadurch die Rundfunkeigenschaft als solche in Frage gestellt wäre.140 So hat das BVerfG erst jüngst bekräftigt, dass der „Rundfunk“ auch in neuen Inhalten, Formaten und Genres sowie neuen Verbreitungsformen geschützt sein soll 141 und im RStV wurden programmbegleitende Telemedien als Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestimmt (§ 11 Abs 1).142 Von den Bestimmgungsmerkmalen des Rundfunks bleibt nicht viel übrig.143 Breiten- 57 wirkung, Aktualität und Suggestivkraft von Ton- und Bewegbildern sollen dem Rundfunk besondere Bedeutung verleihen.144 Mit vertonten Bewegbildern wird der Nutzer ebenso im Kino, in Computerspielen, in Animationen für Mobilgeräte oder gar auf Werbetafeln konfrontiert, ganz zu schweigen von schon jetzt Millionen im Internet abrufbarer Clips, die nicht aus der Rundfunkwelt stammen. Spätestens mit der Ausweitung des Programms um Teleshopping wurde die Meinungsbildungsrelevanz aufgegeben.145 Die Aktualität des Internet steht der des Rundfunks in nichts nach, eine herkömmlichen
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S auch Teil 1 Kap 1 Rn 129. Insbesondere nach jahrelangen Gewöhnung an täglich mehrstündigen Rundfunkkonsum. So nutzen aktuelle Online-Informationen 45,4 % (14–29 Jahre) bzw 42,1 % (30–49 Jahre) gegenüber 15,1 % (50 +) der Bevölkerung laut www.vuma.de/pdf/ 2007_basisauswertung.pdf (Stand 10.9.2007). So die Leitfrage der Bitburger Gespräche 2007, s Noske ZRP 2007, 64. ZB BverfG NJW 87, 2987, 2993. BVerfG vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 123, abrufbar unter bverfg.de. Siehe dazu Gounalakis/ Wege NJW 2008, 800 ff. Kitz ZUM 2007, 368, 369. Hochstein NJW 1997, 2977, 2977 hatte
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bereits darauf hingewiesen, Rundfunk lasse sich bzgl Multimedia nicht mehr durch ausdefinieren der Begrifflichkeit klar abgrenzen und für eine funktionsbezogene Einordnung plädiert. So die noch immer verwendete Formel des BVerfG v 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 116 mwN. Vgl Eberle CR 1996, 193, 195. Gounalatis/ Wege NJW 2008, 800, 803, sehen damit umschrieben „die starke Machtakkumulation des Mediums, die zu einer Art Monopol im Angebot gesellschaftlichen Orientierungswissens führe“. Einordnung von Teleshopping Micklitz NJW 1990, 1569 Teleshoppingkanäle sind nach § 2 Abs 1 S 4 RStV Telemedien; zu Meinungsbildungsmacht der Telemedien Degenhart MMR 1998, 137, 138.
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5. Teil
Rundfunk vergleichbare Breitenwirkung dürften Telemedien in naher Zukunft erzielen. Nach Auffassung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) und der Direktoren der Landesmedienanstalten soll sich aus einer gleichzeitigen Abrufbarkeit eines an die Allgemeinheit gerichteten, meinungsbildungsrelevanten audiovisuellen Medieninhaltes durch mindestens 500 Nutzer die Zulassungspflicht als Rundfunk iSd § 20 Abs 1 Satz 1 RStV ergeben.146 Anbieter sind wohl bis auf weiteres gezwungen, sich an dieses Kriterium zu halten. Dabei kann sich eine Breitenwirkung nicht aus dem möglichen Abruf ergeben. Bei 500 Nutzern von einer Breitenwirkung zu sprechen erscheint fernliegend. Nach Auffassung der KEK müsste ein Student, der ein bei Youtube gehostetes Video auf seiner Hompage einstellt, das ihn dabei zeigt, wie er gegen Studiengebühren argumentiert, zur Sicherung der Meinungsvielfalt zuvor seine Rundfunkzulassung beantragen. Technische Kriterien wie „individueller Abruf“ oder „Punkt zu Mehrpunkt-Übertra58 gung“ sind wenig sinnvoll; auch Streaming-Technologien 147 setzen die Initiierung einer Übertragung durch den Nutzer voraus, die Nutzung von Multicast-Protokollen im Internet ist derzeit nicht weit verbreitet 148 und stellt lediglich eine von mehreren technischen Alternativen für die Übermittlung von IP-Paketen über die Internet-Infrastruktur dar 149. Neue Dienste verwenden wiederum Peer to Peer Technik für die Übertragung der Inhalte.150 Solche Kontingenzen sind nicht ausreichend belastbar, um daran juristische Folgen zu knüpfen. Weitere Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet der europäische Rechtsrahmen. Dort ist 59 die Unterscheidung zwischen audiovisuellen Mediendiensten und Diensten der Informationsgesellschaft unklar. Die Fernsehrichtlinie 89/552/EWG wurde zwar gerade novelliert und regelt nun die „audiovisuellen Mediendienste“.151 Unterschieden werden in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 89/552/EWG idF der RL 2007/65/EG lineare audiovisuelle Mediendienste (Fernsehprogramme gem Art 1e)), nicht-lineare audiovisuelle Mediendienste (audiovisuelle Mediendienste auf Abruf gem Art 1g)) und audiovisuelle kommerzielle Kommunikation (Art 1h)). Grundsätzlich dürften Begriffe der ECRL und der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 89/552/EWG idF der RL 2007/65/EG nach wie vor autonom zu bestimmen sein.152 Für die Dienste der Informationsgesellschaft ist vor allem mit der ECRL ein Rechtsrahmen geschaffen, der verbindlich umzusetzen ist. Unberührt von der ECRL bleiben nach Art 1 Abs 6 jedoch Maßnahmen auf gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Ebene, die unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt und dem Schutz des Pluralismus dienen. Dies soll zu abweichenden rundfunkrechtliche Regelungen berechtigen, sodass der Rundfunkbereich gerade nicht harmonisiert wäre. Dies überzeugt jedoch nicht. Nicht alles was gesendet wird und erst recht nicht jede Rundfunk-Regulierung
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Abrufbar unter: http://www.kek-online.de/ kek/information/publikation/kek_ mitteilung_4.pdf. http://en.wikipedia.org/wiki/Streaming_ media (Stand 9.9.2007). Multicast-Pakete werden im Internet nicht zuverlässig von den Routern weitervermittelt (so de.wikipedia.org/wiki/Streaming_ Media und de.wikipedia.org/wiki/Multicast (Stand 27.8.2007)), hier scheint aber Umdenken einzusetzen, s etwa das Multicast-TV Angebot der BBC unter
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http://www.bbc.co.uk/ multicast/ (Stand 27.8.2007). S en.wikipedia.org/wiki/Multicast (Stand 27.8.2007). Möller MMR 2007 Heft 5 VI zu Joost. S hierzu Schulz audiovisuelle Mediendienste; Kleist/Scheuer MMR 2006, 128; Thaenert MMR 2005, 297; Teil 1 Kap 3 Rn 311 ff. Zur alten Fassung der Fernsehrichtlinie: EuGH vom 2.6.2005, C-89/04 – Mediakabel BV/Commissariaat voor de Media EuZW 2005, 470, Abs 18 ff.
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dient kulturellen oder pluralistischen Zwecken. Vielmehr lassen sich auch im Rundfunk rein wirtschaftliche Bereiche ausmachen.153 Typische Angebote des elektronischen Geschäftsverkehrs wiederum gehören zum Bereich der Kultur. Mit dem Argument, die ECRL habe hierzu keine verbindlichen Vorgaben, ließen sich auch Online-Buchhändler und Musikplattformen entharmonisieren.154 Es erscheint daher zweckmäßig, die Bereiche nach Schutzgut und Regelungsfunktion zu trennen. Es ist davon auszugehen, dass die ECRL lediglich den Bereich der Kommunikationsdienste ausnehmen wollte, der in seiner Funktion herkömmlichem Fernsehen und Hörfunk entspricht. Dies sind also Angebote, die Fernsehprogramme über das Internet verfügbar machen, unabhängig davon, ob der Abruf zeitgleich oder zeitversetzt erfolgt. Zumindest für die Haftungsregelungen der ECRL ist klargestellt, dass diese durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 89/552/EWG idF der RL 2007/65/RG unberührt bleiben (ErWG 23).155 Zusätzliche Unklarheit bringen Regelungen des RStV, die Angebote zwischen Rund- 60 funk und Telemedien ansiedeln, bspw die programmbegleitenden Telemedien (§ 11 Abs 1 RStV), die zulassungspflichtigen sonstigen IuK-Dienste (§ 20 Abs 2 RStV), und die rundfunkvergleichbaren Telemedien (§ 53 Abs 1 RStV). Zumindest wird daraus deutlich, dass der Gesetzgeber kein einheitliches, starres Konzept vorgibt. Lässt sich Rundfunk somit weder inhaltlich noch technisch von Telemedien abgrenzen, 61 bleibt lediglich seine Funktion als Bestimmungsmerkmal. Dies scheint auch dem BVerfG vorzuschweben, wenn es fordert, der Gesetzgeber habe die Institutionen des öffentlichrechtlichen Rundfunks rechtlich und finanziell sicherzustellen, unabhängig von zukünftigen Entwicklungen bei Inhalten, Formaten, Genres sowie neuen Vertriebsformen des Programmangebotes und ohne Beschränkung auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht.156 Der Funktionsauftrag leite sich zwar ab aus der Sicherstellung der Abbildung der Vielfalt der bestehenden Meinungen in der Gesellschaft 157, umfasse daneben aber doch auch Willensbildung, Unterhaltung, Information und kulturelle Verantwortung.158 Durch diesen weiten Rundfunkbegriff, der dem System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks freie Hand bei der Gestaltung seiner Inhalte und Übertragungswege geben und vor allem wohl dem Schutz der bestehenden Institutionen dienen soll, ist Rundfunk letztlich positivistisch definiert als das, was die Rundfunkanbieter im Rahmen ihrer selbstgesteckten Aufgaben unternehmen werden. Verwiesen wird auf die eingehende Darstellung in Teil 4 Kap 1 Rn 51 ff. 7. Verhältnis zur Telekommunikation Vom Anwendungsbereich des TMG ausgeschlossen sind Telekommunikationsdienste 62 nach § 3 Nr 24 TKG, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, und telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr 25 TKG, soweit diese im TKG geregelt sind.159 Diese Formulierung weicht vom TDG 2001 ab. Dort 153
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Vgl auch die ErwG der Fernseh-Richtlinie 89/552/EWG wonach „die Fernsehtätigkeit (…) unter normalen Umständen eine Dienstleistung im Sinne des Vertrages“ (gemeint: EWG-Vertrag) darstelle. Zugleich ist klar, dass die Kompetenzmacht über die Massenmedien nicht beiläufig durch die ECRL verteilt werden wird. S Art 1b und 18 Fernseh-Richtlinie 89/552/ EWG.
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BVerfG vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 123. BVerfG vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 115. BVerfG vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 122. S Teil 5 Kap 2.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
waren Telekommunikationsdienstleistungen und das geschäftsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdiensten gem § 3 TKG (1996) ausgenommen. Die wohl hM hat versucht, Teledienste von Telekommunikation danach abzugrenzen, ob die inhaltliche Ebene der Kommunikation betroffen ist (Teledienst) oder die Transportschicht (TKG).160 Der Bundesgerichtshof unterscheidet nach dem konkreten Leistungsgegenstand. Für den Fall von Sprachmehrwertdiensten seien mindestens zwei Vertrags- und Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: Zum einen die den technischen Vorgang betreffende Dienstleistung des Telekommunikationsunternehmens und zum anderen die den inhaltlichen Vorgang betreffende weitere Dienstleistung. Diese inhaltliche Dienstleistung sei Teledienst im Sinne des Teledienstegesetzes.161 An dieser Einordnung hat der BGH trotz vielfältiger Kritik festgehalten und dies für andere Mehrwertdienste bestätigt.162 Diese Unterscheidung ist auch in den zugrundeliegenden technischen Vorgängen abgebildet. Auf Protokollebene lassen sich die Daten, die dem Transport der Information dienen, von den reinen Inhaltsdaten der Dienste trennen.163 Allerdings sollen nun die telekommunikationsgestützten Dienste nach § 3 Nr 25 TKG 63 ausdrücklich vom Anwendungsbereich des TMG ausgenommen sein, dabei sind dies zweifelsfrei Inhaltsdienste, da es sich laut Gesetz um Dienste handelt bei denen „die Inhaltsleistung noch während der Telekommunikationsverbindung erfüllt wird“ (§ 3 Nr 25 TKG). Die Begründung führt dazu aus, dass diese schon deswegen keine Telemedien seien, weil es sich „weder um Abruf – noch um Verteildienste“ handele. Stattdessen handele es sich „um eine Individualkommunikation zwischen dem TK-Diensteanbieter (oder Dritten) und TK-Kunden, in deren Rahmen der TK-Diensteanbieter (oder Dritte) gegenüber TK-Kunden eine Inhaltsleistung erbringen.“ 164 Nachdem das Kriterium der Individualkommunikation für Telemedien typisch ist, bleibt dunkel, was nun diese Inhaltsleistungen von denen eines Abruf- oder Verteildienstes unterscheiden soll. Eine Beschränkung auf dieses Begriffspaar findet im Sprachgebrauch des TMG ohnehin wenig Stütze.165 Die Klarstellungsbemühungen des Gesetzgebers, nehmen der Praxis die letzten Kriterien für die Abgrenzung zur Telekommunikation.166 Nach der Begründung ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber keine Unterscheidung 64 nach Funktionen oder Schichten der Kommunikation vornehmen möchte, sondern typologisch vorgeht. Dabei sind solche Dienste, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, typische TK-Dienste. Internetzugang oder E-Mail-Übertragung enthalten nach Ansicht der Begründung zusätzlich inhaltliche Dienstleistungen.167 Solche Dienste seien dann zugleich Telemediendienste. Diese Einordnung erscheint dem Gesetzgeber deswegen erforderlich, weil es sich um Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne der ECRL handele, für die entsprechende Regelungen im TMG
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Die Aufgabe dieser „überkommenen“ Unterscheidung fordert Schoch JZ 2002, 798, 805; Funktionale Abgrenzung: Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 2 TDG Rn 22 ff mwN. BGH vom 22.11.2001, III ZR 5/01, 10, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 4.3.2004, III ZR 96/03 – Dialer, 8, abrufbar unter bundesgerichtshof.de mwN zur Diskussion. Eingehend zum ISO/OSI Referenzmodell Helmke/Müller/Neumann JurPC Web-Dok 93/1998 Abs 28 ff und vor allem Abs 42.
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BT-Drucks 16/3078, 13. S dazu bereits oben Rn 44. So bereits während des Anhörungsverfahrens zum ElGVG Bizer Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „ElektronischesGeschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz (ElGVG), BT-Drucks 16/3078, Stellungnahme zum ElGVG, (abrufbar unter www. datenschutzzentrum.de/allgemein/061211tmg.htm). BT-Drucks 16/3078, 13.
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§2
Begriffsbestimmungen
umgesetzt seien. Bloße Internettelefonie wiederum stelle keine besondere Dienstleistung über das bloße Telefonieren hinaus dar und sei daher als reine TK-Dienstleistung anzusehen, die ganz in der Übertragung von Signalen über Kommunikationsnetze besteht und daher ausschließlich dem TKG zuzuordnen sei. Technische, funktionale oder auf Kommunikationsschichten bezogene Abgrenzungen der Telemedien von Telekommunikation bilden diese nicht ganz widerspruchsfreien Absichten des Gesetzgebers nicht ab. Auch hier macht sich der Wandel des Regelungskonzeptes bemerkbar hin zu einem 65 Auffangtatbestand der Telemedien. Nur Informations- und Kommunikationsdienste, die „ausschließlich Telekommunikationsdienste“ sind, kommen als Telemedien nicht in Frage.168 Statt Kriterien zu bestimmen scheint der Gesetzgeber typische TK-Leistungen vor Augen zu haben (Telefonie, Übertragungsdienste, Zugang etc), die im TKG geregelt werden und für die dann insoweit das TMG keine Anwendung findet. Immerhin lässt diese Konzeption zu, das TMG auf telekommunikative Dienste anzuwenden soweit das TKG den konkreten Bestandteil des Dienstes nicht reguliert. Die Anwendung des TKG auf Telemedien sieht § 1 Abs 3 TMG ausdrücklich vor. Damit lässt sich die Streitfrage der Einordnung von Zugangsprovidern, also solchen 66 Anbietern, die Nutzern den Zugang zum Internet über Telekommunikationsnetze ermöglichen, zufriedenstellend lösen. Unstreitig handelt es sich nämlich dabei um Telekommunikationsdienste iSd §§ 1 Abs 1 TMG, § 3 Nr 24 TKG.169 Deswegen wurde vertreten, dass Accessprovider sich nicht auf die Haftungsprivilegien des TDG berufen könnten 170, mit der wenig überzeugenden Folge, dass die Privilegien für die Zugangsvermittlung nicht für deren wichtigste Fallgruppe gelten sollten. Nach der typologischen Abgrenzung ist es zulässig, Sondervorschriften des TMG auf Telekommunikationsdienste anzuwenden, soweit das TMG darin Tatbestände regelt, die als solche nicht vom TKG erfasst sind. Dies gilt also insbesondere für die Leistungen des Durchleitens oder Zwischenspeicherns durch Telekommunikationsanbieter. Nachteil dieser Lösung ist das Fehlen transparenter Kriterien dafür, welche Dienste typologisch ausschließlich Telekommunikation sind und die systematisch unbefriedigende Situation, dass sich erst aus den Tatbeständen des TMG ergibt, welche IuK-Dienste durch abschließende Regelung im TKG aus dem Anwendungsbereich des TMG fallen. Die Beibehaltung der historischen Typologisierung nach Kompetenzen erweist sich als wenig tauglich, die über solche Feinheiten hinwegregulierende ECRL zu modulieren.
III. Diensteanbieter Diensteanbieter und Nutzer sind die unmittelbaren Teilnehmer an Telemedien. Defi- 67 niert wird der Diensteanbieter als jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt (§ 2 Nr 1 TMG). Diese Definition übernimmt wörtlich die Regelung aus § 3 Nr 1 TDG 2001 und perpetuiert einen Fehler der bisherigen Regelung. Der Begriff des Diensteanbieters wird nicht einheitlich verwendet. Zwar knüpfen die Rechte und Pflichten der einzelnen bereichsspezifischen Regeln des TMG zunächst an die Eigenschaft des Diensteanbieters. So gilt das Herkunftslandsprinzip für Diensteanbieter (§ 3 Abs 1 und Abs 2 TMG). Sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Informationspflichten betreffen ebenfalls
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Vgl BT-Drucks 16/3078, 13. Dies ergibt sich auch aus § 3 Nr 16 TKG, wonach der Internetzugang ausdrücklich zu
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den weiteren Diensten in Telekommunikationsnetzen gezählt wird. S bei Stadler MMR 2002, 343, 344.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
den Diensteanbieter (§ 5 Abs 1 und § 6 Abs 1 TMG).171 Schließlich werden durch die § 7 bis § 10 TMG ausschließlich Diensteanbieter privilegiert.172 Die Rechte und Pflichten des vierten Abschnitts des TMG (Datenschutz) treffen ebenfalls Diensteanbieter. Bei näherer Betrachtung kann jedoch nicht dieselbe Rolle gemeint sein.173 So definiert § 2 Nr 1 TMG als Diensteanbieter nur diejenigen Personen, die eigene 68 oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang vermitteln. § 8 Abs 1 TMG privilegiert jedoch auch Diensteanbieter, die fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz lediglich übermitteln ohne den Zugang zu vermitteln. Auch das Privileg für Zwischenspeicherungen nach § 9 TMG gilt für fremde Informationen übermittelnde Anbieter. Das Privileg des § 10 TMG wiederum gilt für Diensteanbieter, die fremde Informationen für Nutzer speichern. § 2 TMG erfasst nur das Bereithalten und es escheint fraglich, ob Übermittlung oder Speicherung unter das Bereithalten zur Nutzung subsumiert werden können. Während das Speichern fremder Informationen für einen Nutzer noch als ein Teilakt des Bereithaltens verstanden werden kann, ist dies für das Übermitteln fremder Informationen im Wege der Durchleitung oder beim automatischen Zwischenspeichern nicht überzeugend. Auch § 1 Abs 3 JuSchG 2002 unterschied Übermitteln oder Zugänglichmachen vom Bereithalten.174 Widersprüche gibt es auch bzgl der Informationspflichten, die die Diensteanbieter 69 treffen sollen. Wäre das Übermitteln, Speichern für den Nutzer oder technisches Zwischenspeichern begrifflich unter das Bereithalten zur Nutzung iSd § 2 Nr 1 TMG einzuordnen, so gälten andererseits die Informationspflichten der §§ 5 und 6 TMG. Alle an der Bereithaltung, Übermittlung, Speicherung und Zugänglichmachung dritter Informationen beteiligten Anbieter hätten dann in geeigneter Weise – also insbesondere unmittelbar erreichbar – ihre allgemeinen Informationen vorrätig zu halten und bei kommerziellen Kommunikationen für die Einhaltung der Anforderung des § 6 TMG zu sorgen. Provider, die also lediglich technische Zwischenspeicherungen fremder Informationen bei der Durchleitung vornehmen, müssten diese Leistungen nicht nur erkennbar machen, sondern auch noch mit den geeigneten Zusatzinformationen versehen. (zum Anbieterbegriff der Informationspflichten s Rn 167) Ein einheitlicher, weiter Diensteanbieterbegriff bringt auch Probleme bei der Anwen70 dung von Abschnitt 4 des TMG zum Datenschutz mit sich. So ist es nicht überzeugend, wenn ein Diensteanbieter gem § 8 TMG, der also lediglich fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermittelt, durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen hätte, dass der Nutzer die Nutzung des Dienstes jederzeit beenden kann, § 13 Abs 4 Nr 1 TMG. Das gleiche gilt für die Anzeigepflicht der Weitervermittlung nach § 13 Abs 5 oder der Verpflichtung, die Nutzung und Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen (Abs 6). Dies sind alles Aufgaben, die den bloßen Übermittler der Informationen kaum sinnvoll treffen können. Die datenschutzrechtlichen 171
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§ 5 Abs 2 TMG wiederum soll nach Ansicht von Kitz DB 2007, 385, 387 auch für E-Mailversender gelten, die nicht Anbieter von Telemedien sind, da nur so eine Umsetzung der ECRL gewährleistet sei. Dagegen spricht jedoch der Wortlaut und die Systematik des TMG. Schmitz/Derhing CR 2005, 420 dagegen gehen davon aus, dass die Privilegien auch für TV-Anbieter gelten, die keine Tele-/Mediendienste leisten.
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Zur Problematik der Informationspflichten bei Versterben des Anbieters siehe Hoeren NJW 2005, 2113, 2116 f. Der Zweck des Jugendschutzes erfordert nach Ansicht des BGH zumindest bei § 3 Abs 2 Nr 3 JMStV eine zweite Auslegung des Anbieterbegriffes, BGH v 18.10.2007, IZR 102/05 – ueberl8.de Rn 16 f mwN.
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§3
Überblick über besondere Regelungen für Telemedien
Befugnisnormen des §§ 14 und 15 TMG stehen allerdings unter dem strengen Vorbehalt der Erforderlichkeit, so dass sich insoweit bei Befugnissen der weite Diensteanbieterbegriff nicht auswirken dürfte. Bislang werden die Widersprüche im Diensteanbieterbegriff dadurch gelöst, dass der 71 weite Anbieterbegriff angenommen wird, um in den Anwendungsbereich des TMG zu gelangen und dann der Geltungsbereich der jeweiligen Norm am Normzweck orientiert reduziert wird.175 Zu weit geht es allerdings, den Anbieterbegriff von der willentlichen Bereitstellung des Dienstes zu entkoppeln und denjenigen als Anbieter zu qualifizieren, in dessen unverschlüsseltes Funknetz von Dritten eingedrungen wird.176 Ein weiteres Problem besteht in der Anbietereigenschaft der Handelnden im Hinblick 72 auf die Haftungsprivilegien der §§ 8 ff TMG. Wenn bei juristischen Personen als Anbieter nicht auch die handelnden natürlichen Personen von der Verantwortlichkeit freigestellt wären, liefe insbesondere eine strafrechtliche Privilegierung leer. Nach hM soll hier eine ergänzende Auslegung der Privilegien die tatsächlich Handelnden schützen.177 Sinnvoll erscheint es zwischen Telemedienanbietern und Diensteanbietern zu unter- 73 scheiden. Telemedienanbieter wären dann die Inhalteanbieter, Diensteanbieter alle an der Bereitstellung solcher Inhalte Beteiligten.
§3 Überblick über besondere Regelungen für Telemedien Telemedien treten in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Dies reicht von 74 Firmenpräsenzen über vollständige E-Commerce-Angebote, die Wiedergabe von Medieninhalten bis hin zu Kommunikationsplattformen. Eine besondere Kategorie sind die Anbieter von Zugang zum Internet oder von technischer Infrastruktur für Telemedien. Diesen unterschiedlichen Erscheinungsformen entsprechen unterschiedliche gesetzliche Anforderungen, die sich aus dem TMG und bereichsspezifischen Sonderreglungen ergeben. Das „Recht der Telemedien“ besteht somit nicht nur aus dem TMG, sondern aus 75 mehreren Normen, deren Anwendbarkeit auf Telemedien sich aus inhaltlichen Bestandteilen der IuK-Dienste (bspw Jugendschutz, E-Commerce) ergibt oder der Funktion, die der Onlinedienst erfüllt (zB Haftungsprivilegien aus TMG). In der Folge kann dann ein E-Commerce-Anbieter nach vier verschiedenen Vorschriften zu Angaben seines Namens und seiner Adresse verpflichtet sein.178 Dem Anbieter bleibt dennoch nichts anderes übrig, als alle Bestandteile seines Ange- 76 bots zu analysieren, ob bereichsspezifische Regelungen Anwendung finden können. Im Folgenden werden solche Regelungen behandelt, die sich aus TMG, RStV oder den in das BGB integrierten Regelungen für den elektronischen Handel ergeben, etwa dem Fernabsatz. Auf die Vorschriften zu Signaturen, das TKG, den RStV und das ZKDSG wird verwiesen. Telemedienspezifische Besonderheiten finden sich auch in den Darstellungen
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Vgl OLG Hamburg NJW-RR 2003, 760, 762 – Die Hunde sind los: Durch Schaltung eines Werbebanners wird man noch nicht Anbieter des beworbenen Glückspielangebots. So aber Gietl MMR 2007, 630,631. So auch Freytag CR 2000, 600, 601 vgl Teil 7 Kap 3 Rn 66.
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§ 5 Abs 1 TMG, § 55 Abs 1 RStV, § 312c Abs 1 BGB iVm § 1 Abs 1 Nr 1 BGB-InfoV sowie als Adresse zur Ausübung des Widerrufsrechts gemäß Muster für die Widerrufsbelehrung Anl 2 BGB-InfoV (Rn 205).
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
zum Jugendschutz (Teil 7 Kap 2 Rn 224 ff), Datenschutz (Teil 7 Kap 1 Rn 78) und Urheberrecht (Teil 2 Kap 1 Rn 125). Zu denken ist vor allem an die Besonderheiten für Telemedien aus dem RStV: Für 77 Telemedien etwa bestimmt § 55 Abs 1 RStV die allgemeinen Anbieter-Informationspflichten oder die Pflicht, bei Meinungsumfragen anzugeben, ob diese repräsentativ sind (§ 54 Abs 3 RStV). Allgemein gelten auch die Zulassungsfreiheit (§ 54 Abs 1 RStV), die Regelungen zu Werbeklarheit (§ 58 Abs 1 RStV), zu Teleshopping (§ 58 Abs 2 RStV) sowie Sponsoring bei Fernsehtext (§ 58 Abs 3 RStV). Der Verweis auf die Anwendbarkeit des TMG gilt ebenfalls für alle unter den RStV fallenden Telemedien (§ 60 RStV). Besonderheiten für massenkommunikative Telemedien gelten hinsichtlich Zulassung (§ 20 Abs 2 RStV).179 Für journalistisch-redaktionelle Angebote gelten die Pflichten zur Beachtung journalistischer Grundsätze (§ 54 Abs 2 RStV), die weitergehenden AnbieterInformationen (§ 55 Abs 2 und 3 RStV), die Gegendarstellung (§ 56 RStV) sowie der spezifische Datenschutz (§ 57 RStV).
§4 Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht Internetseiten als typische Telemedien sind von jedem an das Internet angeschlossenen Rechner aus abrufbar. Angezeigt wird ein Internetangebot theoretisch an jedem Ort der Welt. Damit wirkt eine Homepage zumindest potenziell in hunderte Rechtsordnungen ein. Daraus ergeben sich dann mögliche rechtliche Anforderungen an die Gestaltung eines Internetangebotes. Wer Medienprodukte rechtskonform über Telemedien anbieten möchte, sieht sich schnell vor die komplexe Aufgabe gestellt, Anforderungen und Konsequenzen aus zahlreichen Rechtsordnungen prüfen zu müssen. Es stellt sich zunächst die Frage, die Gerichte welchen Landes zuständig sind und nach welchem Recht ein Angebot zu beurteilen ist. Nicht selten entscheidet allein der Gerichtsstand über die Wirtschaftlichkeit der Durchsetzung einer Forderung. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte berührt außerdem den Grundsatz der Justizgewährung und zugleich die Souveränität der Staaten, die ihre Bürger Streitigkeiten in anderen Staaten aussetzen. Dabei sind gerichtliche Zuständigkeit und anwendbares Recht zu trennen. So ist es 79 zwar wenig zweckmäßig aber nicht ungewöhnlich, dass vor Gericht das materielle Rechte eines anderen Landes zur Anwendung gelangt.180 Allerdings sind die ausschlaggebenden Kriterien internationaler Zuständigkeit und anwendbaren Rechts oft ähnlich, sodass sie in der Praxis schnell vermischt werden. Schwierigkeiten bei der Bestimmung des einzuhaltenden Rechts oder die Einhaltung 80 zahlloser Rechtsordnungen für einzelne Websites hindern vor allem solche Anbieter wirtschaftlich, die versuchen legal zu handeln. Erleichterung bringt hier die Einführung des auf der ECRL gründenden Herkunftslandprinzips. Mit Ausnahme bestimmter Rechtsthemen soll ein Angebot eines Dienstes in der Informationsgesellschaft nur noch den rechtlichen Anforderungen seines Sitzlandes entsprechen müssen. Diese überzeugend einfach klingende Idee setzt allerdings voraus, dass die rechtlichen Standards für Telemedien entweder harmonisiert sind oder sie begründet die Gefahr des Ausweichens der Anbieter in Sitzländer mit geringeren Anforderungen. Nachdem manche Standards über Jahrzehnte
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S o Rn 57. S bspw die eingehende Auseinandersetzung
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mit dem österreichischem Medienrecht in KG NJOZ 2006, 1943.
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§4
Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
im Zusammenspiel der gesellschaftlichen Gruppen errungen wurden, etwa der Verbraucher- oder der Jugendschutz, überrascht es nicht, dass die hier notwendigen Abstimmungen der beteiligten Staaten und Interessengruppen langsamer erfolgen als dies erforderlich wäre, um mit den rasanten technischen Entwicklungen Schritt zu halten.
I. Gerichtliche Zuständigkeit 1. Einführung Die gerichtliche Zuständigkeit für die rechtliche Überprüfung von länderübergreifen- 81 den Telemedien ergibt sich vorrangig aus den internationalen Regeln über die Zuständigkeit und ergänzend aus den im jeweiligen Land geltenden Zuständigkeitsnormen.181 Beurteilt wird die zivilrechtliche Zuständigkeit dabei nach dem Recht des angerufenen Gerichts.182 Für das Strafrecht wird auf die Teil 7 Kap 3 Rn 43 ff verwiesen. Prüfungsgrundlage für die Zuständigkeit ist der Sachverhalt wie er vom Kläger be- 82 hauptet wird, soweit dieser nicht offensichtlich unzutreffend ist und daher ausgeschlossen werden kann.183 Die tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt werden dagegen erst bei der materiellen Prüfung der Anspruchsgrundlage getroffen und sind für die Zuständigkeit nicht mehr ausschlaggebend. Zunächst gelten für zivilrechtliche Klagen gegen Personen im europäischen Wirt- 83 schaftsraum die Brüssel I-VO 184 und das Luganer Übereinkommen 185 als international verbindliche Regelungen. Soweit Sachverhalte dort nicht geregelt sind, wird die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte regelmäßig mittelbar durch die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts festgestellt (sog Doppelfunktionalität).186 Zwar sind die Zuständigkeitsregeln nach Brüssel I-VO, Luganer Übereinkommen und ZPO in vielen Bereichen sehr ähnlich, dennoch handelt es sich um selbstständige Vorschriften, die autonom innerhalb des jeweiligen Normensystems auszulegen sind. Zur Vereinfachung werden hier parallel lediglich die Vorschriften der Brüssel I-VO und der ZPO behandelt. 2. Zu einzelnen Gerichtsständen a) Sitz des Beklagten. Wichtigster Gerichtsstand ist der Sitz des Beklagten 187 (Art 2 84 Abs 1 mit 59, 60 Brüssel I-VO, §§ 12 mit 13, 17 ZPO). Dieser Grundsatz gilt allgemein zum Schutz des Beklagten vor Gerichtsverfahren in fremden Rechtsordnungen oder Sprachräumen und vor hohen Aufwendungen zur Verteidigung gegen Klagen. Diese Risiken werden damit allerdings dem Kläger auferlegt. Vorteil einer Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Gegners ist die Vollstreckungsnähe: allgemein ist es einfacher, ein Urteil dort zu vollstrecken, wo es erlassen wurde. Der allgemeine Gerichtsstand gilt damit 181 182 183
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Ausf für den Onlinebereich Hoeren/Sieber/ Pichler Multimediarecht Teil 25. BGH NJW 1976, 1581, 1581; s auch Rüßmann K&R 1998, 129, 129. BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 7, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. = EuGVVO, bzgl. EU-Mitgliedsstaaten, außer Dänemark. Bzgl EFTA-Staaten.
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HM bereits BGH NJW 1965, 1665, 1665; BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute Rn 23, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 21 mwN; Einzelheiten streitig, s Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann/Hartmann Übers § 12 ZPO Rn 6 ff mwN. ErwG 11 Brüssel I-VO.
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als Regelfall, die besonderen Gerichtsstände haben Ausnahmecharakter und sind daher nur in engen Grenzen anzuwenden und bedürfen besonderer Rechtfertigung.188
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b) Besondere Gerichtsstände mit Bezug zu Telemedien. Wirtschaftlich bedeutsame Sonderregelungen im Bereich der Telemedien gelten für – Verbrauchersachen (Art 15–17 Brüssel I-VO, vgl § 29c ZPO) 189 – vertragliche Gerichtsstandsvereinbarungen (Art 23 und 24 Brüssel I-VO, § 38 ZPO, s aber Art 17 Brüssel I-VO) 190 – vertragliche Ansprüche mit Erfüllungsort (Art 5 Nr 1 Brüssel I-VO, § 29 ZPO) 191 – Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO, § 32 ZPO) 86 Bei Verbrauchersachen, Art 15 Brüssel I-VO, darf der Verbraucher wählen, ob er an seinem Wohnsitz 192 klagt oder im Land des Gegners (Art 16 Abs 1 Brüssel I-VO). Zugleich sind Klagen gegen den Verbraucher im Mitgliedsstaat seines Wohnsitzes zu erheben (Art 16 Abs 2 Brüssel I-VO).193 Der Schutz des Verbrauchers vor Gerichtsorten, die ihm eine effektive Verteidigung kaum möglich machen, ist das Gegenstück zur Vollstreckbarkeit von Urteilen innerhalb der EU. Gegenstand von Verbrauchersachen können allerdings nur Verträge oder vertragliche Ansprüche sein (Art 15 Abs 1 Brüssel I-VO).
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c) Sonderproblem: Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. aa) Allgemeines. Der Gerichtsstand für unerlaubte Handlungen ist für Anbieter von Telemedien von besonderer Bedeutung.194 Während der Anbieter durch entsprechende Vorbehalte bei seiner Willenserklärung noch Einfluss darauf nehmen kann, in welche Rechtsordnungen er vertragliche Beziehungen aufnehmen möchte, knüpft Deliktsrecht an Handlungen an, die bei Internetsachverhalten in alle beliebigen Rechtsordnungen ausstrahlen können.195 88 Nach Art 5 Nr 1 Brüssel I-VO ist die Klage, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes zulässig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
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Vgl BGH vom 7.12.2004, XI ZR 366/03, 13 ff abrufbar unter bundesgerichtshof.de mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH. Einen allgemeinen Verbrauchergerichtsstand enthält die ZPO nicht, es bestehen aber Schutzvorschriften, die vom Wohnsitz des Verbrauchers abweichende besondere Gerichtsstände verhindern sollen, bspw § 29 Abs 2 ZPO). S Zöller/Vollkommer Anh nach § 29c ZPO. Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 140. Zum Erfüllungsort bei Online-Übermittlung Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 38 ff; s zur Bestimmung des Erfüllungsortes iSd EuGVÜ BGH vom 7.12. 2004, XI ZR 366/03, 11, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Insofern enthält Art 16 Brüssel I-VO auch die örtliche Zuständigkeit.
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Eingehend Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 64; s auch Rüßmann K&R 1998, 129, 132 f (noch EuGVÜ). Nicht ausreichend für die nach Art 15 Abs 1 lit c geforderte Ausrichtung auf die Rechtsordnung am Verbrauchersitz soll das Unterhalten einer dort abrufbaren, aber bloß „passiven“ Internetseite sein, sofern diese nicht in innerem Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages stand, OLG Karlsruhe NJW 2008, 85, 86. Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 170. Zurecht weist Berger GRUR Int 2005, 465, 466 darauf hin, dass sich Onlineangebote durch diese fehlende Steuerbarkeit im Falle einer daran anknüpfenden Gerichtspflichtigkeit grds von anderen grenzüberschreitenden Diensten unterscheiden.
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§4
Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
§ 32 ZPO bestimmt einen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für den Ort, an dem die Handlung begangen wurde. Die Begriffe sind zwar jeweils selbstständig für Brüssel I-VO und ZPO auszulegen; verallgemeinernd lässt sich jedoch sagen, dass alle Ansprüche wegen Schädigung außerhalb vertraglicher Sonderbeziehungen vor dem Gericht des Tatortes eingeklagt werden können. Dies gilt also für Unterlassungs-196 oder Schadensersatzklagen wegen der Verletzung allgemeiner Rechtspflichten, etwa der Verletzung besonders geschützter Rechtsgüter wie dem Persönlichkeitsrecht, ebenso wie für Wettbewerbsrechts-197 oder Immaterialgüterrechtsverletzungen.198 Eine Annexkompetenz für andere als deliktische Ansprüche ist auf Grund des Ausnahmecharakters des Gerichtsstands für unerlaubte Handlungen zumindest im Rahmen der Brüssel I-VO ausgeschlossen.199 Ort des schädigenden Ereignisses (Brüssel I-VO) und Begehungsort (ZPO) sind zwar 89 ebenfalls autonom zu bestimmen, beide meinen jedoch Handlungs- oder Erfolgsort.200 Die genaue Bestimmung von Handlungs- oder Erfolgsort ist allerdings umstritten und 90 die Diskussion unübersichtlich.201 Differenziert wird zwischen Brüssel I-VO und ZPO und in Abhängigkeit vom verletzten Rechtsgut oder der Verletzungshandlung.202 Im Bereich der ZPO stellt sich inzwischen die Frage, ob die Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeit für Internetsachverhalte sachgerecht ist.203 Schließlich wird die Diskussion zum Begehungsort parallel bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts nach § 40 EGBGB geführt.204 Folge ist eine kaum noch überschaubare Meinungsvielfalt zu
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Dies ist durch die Anfügung des „oder einzutreten droht“ in Art 5 Nr 1 für die Brüssel I-VO nunmehr klargestellt. S auch BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 6, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte Rn 17, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. § 14 Abs 2 S 1 UWG. Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 174 und 178; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 32 ZPO Rn 6 ff m. zahlreichen Beispielen. BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 6, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Kennzeichenverletzungen, unerlaubte Wettbewerbshandlungen nach EuGVÜ; BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte, Rn 17, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Urheberrechtsverletzungen nach EuGVÜ; BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute, Rn 23, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Kennzeichenverletzung nach § 32 ZPO. Ausf mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH: BGH vom 7.12.2004, XI ZR 366/03, 13 ff, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 180; zum Kollisionsrecht
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Spindler ZUM 1996, 533, 556 mwN; zum EuGVÜ BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet Rn 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; EuGH vom 30.11.1976, Rs 21/76 – Mines de Potasse, abrufbar unter eur-lex.europa.eu. Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 180. Engels AfP 2000, 524, 524. So könnte es zweckmäßig erscheinen, auf Deutschland ausgerichtete Angebote aus dem Ausland inländischer Gerichtsbarkeit zu unterstellen ohne gleichzeitig bei jedem nur inländischen Sachverhalt jedes Gericht für örtlich zuständig erklären. Die Frage globaler Zuständigkeit geht über die Zuordnung zu einem bestimmten inländischen Gericht hinaus. Internationale und örtliche Zuständigkeit sind funktional verschieden, insbesondere betrifft nur die internationale Zuständigkeit Belange der staatlichen Rechtspflege (BGH NJW 1965, 1665 f mwN), sodass eine Differenzierung zulässig wäre. Wobei Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 180 mwN zurecht darauf hinweist, dass die Tatbestände für die Zuständigkeit nach Prozessrecht nicht nach Kollisionsrecht zu bestimmen seien.
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Einzelaspekten. Verwiesen wird auf die ausführliche und sorgfältige Darstellung speziell für die Onlinedienste bei Pichler.205 Neuere Entscheidungen des BGH scheinen in Richtung einer ergebnisgleichen Auslegung sowohl der europäischen wie der nationalen Zuständigkeitsvorschriften über verschiedene Rechtsgebiete hinweg zu gehen.206 Zur Orientierung erscheint daher folgende Vereinfachung zulässig: Handlungsort ist dort, wo auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale 91 durch Tun oder Unterlassen verwirklicht wurde; Erfolgsort ist der Ort an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde.207 Die Terminologie des EuGH weicht davon etwas ab. Das Gericht bestimmt den Ort des schädigenden Ereignisses als den Ort des ursächlichen Geschehens einerseits und den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges andererseits.208 Eine scharfe Abgrenzung ist dabei nicht erforderlich. Handlung und Erfolg sind Teil92 bereiche einer unerlaubten Tat. Es liegt nahe, bei Zuordnungsschwierigkeiten zum Handlungs- oder Erfolgsort die Feststellung als Begehungsort genügen zu lassen.209
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bb) Handlungsort/Ort des ursächlichen Geschehens. Zunächst ist die Handlung, die verboten ist, bzw das gebotene Unterlassen, zu bestimmen.210 Dabei ist es wohl zulässig, einen typischen Geschehensablauf zusammenzufassen; allerdings sollen Vorbereitungshandlungen nicht ausschlaggebend sein.211 Besteht die unerlaubte Handlung in der Verfügbarmachung von Internetinhalten, 94 kommen folgende Anknüpfungspunkte in Betracht: 212 – der Ort von dem aus der Handelnde den Upload der Informationen oder die Administrierung des Servers vornimmt,213 – der Standort des Servers auf dem sich die Handlung des Administrators unmittelbar manifestiert (im Sinne der Servereinstellungen),214 – der Standort des Servers als Quelle einer Zugänglichmachung,
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Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25. S die jüngeren Entscheidungen mit Internetbezug BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim; BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte; BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute, alle abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH NJW 1994, 1413, 1414. EuGH vom 30.11.1976, Rs 21/76 – Mines de Potasse, Abs 15, 17; EuGH vom 7.3.1995, C-68/93 – Shevill vs Presse Alliance, Rn 21 beide abrufbar unter eurlex.europa.eu siehe auch BGH v 6.11.2007, VI ZR 34/07 Rn 17. Überhaupt scheint die Unterteilung in Handlungs- und Erfolgsort wenig zur Klarheit beizutragen. Schack MMR 2000, 135, 137 weist darauf hin, dass Immaterialgüterrechte eben Benutzungshandlungen dem Inhaber ausschließlich zuweisen und daher
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der unmittelbare Erfolg notwendig am Handlungsort eintrete. Für das Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs wurde die Trennung aufgegeben und durch das Marktortprinzip modifiziert (s Rn 125). Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 180. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/ Hartmann § 32 ZPO Rn 17; Schack MMR 2000, 135, 137; zum Kollisionsrecht MüKo/ Junker EGBGB Art 40 Rn 79. Vgl Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 189; zum Kollisionsrecht: Schricker/Katzenberger Vor §§ 120 ff Rn 145; Dreier/Schulze/Dreier Vor §§ 120 ff Rn 41 f. Berger GRUR Int 2005, 465, 467. Vervielfältigungen der inkriminierten Informationen begründen dagegen möglicherweise einen Erfolgsort. Jedenfalls wird meist am Serverstandort ein Begehungsort angenommen werden.
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Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
– alle möglichen/tatsächlichen Abruforte als Finalisierungen der intendierten Zugänglichmachung, – der Ort, an dem der Handelnde über den Upload entscheidet und diesen in Gang setzt.215 Anknüpfungspunkt des Handlungsorts in Abgrenzung zum Erfolgsort kann nur das 95 handelnde Subjekt als Ausgangspunkt der Handlung sein, sodass es auf die Wirkungsorte der willentlichen Tätigkeit nicht ankommen kann. Nach richtiger Auffassung ist daher allein auf den Ort der die Handlung tragenden Willensbildung abzustellen. Bei gemeinschaftlicher Willensbildung durch ein Organ einer juristischen Person können mehrere Handlungsorte anzunehmen sein. Ort des ursächlichen Geschehens bei Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Zeit- 96 schrift ist für den EuGH der Ort „an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm und von dem aus die ehrverletzende Äußerung gemacht und in Umlauf gebracht wurde“, dies sei „nur der Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung“.216 Der eng verstandene Handlungsort fällt also meist mit dem allgemeinen Gerichts- 97 stand des Gegners zusammen oder ist für den Verletzten schwer zu ermitteln. cc) Erfolgsort/Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges. (i) Problemstellung. Er- 98 folgsort ist dort, wo die behauptete Verletzung des geschützten Rechtsguts eingetreten ist.217 Auch hier ist zunächst Voraussetzung, Rechtsgut und dessen Beeinträchtigung genau zu bestimmen. Bei Schadensersatzansprüchen ist typischerweise der Ort des Ereignisses ausschlaggebend, welches unmittelbar die Vermögensbeeinträchtigung bewirkt.218 Mittelbare oder Folgeschäden sollen keinen eigenen Erfolgsort begründen können, entscheidend ist allein die primäre Rechtsgutsverletzung.219 Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges liegt nach EuGH dort, wo „die 99 schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.“ 220 Der Erfolgsort kann in Abhängigkeit vom verletzten Rechtsgut und dem Zweck der 100 Schutznorm unterschiedlich bestimmt werden. Die Berücksichtigung der Besonderheiten des Wettbewerbs-, Urheber-, Kennzeichen- oder Persönlichkeitsrechts ermöglicht einen Gerichtsstand nur dort zu eröffnen, wo tatsächlich auch eine Rechtsbeeinträchtigung stattfindet. Je abstrakter das Rechtsgut bestimmt wird, desto geringer ist der Ortsbezug einer Verletzung. Bei Immaterialgüter- oder Persönlichkeitsrechten wird vertreten, sie hätten keinen Ort, würden also überall verletzt.221 Dasselbe ließe sich allerdings auch vom 215 216
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S bei Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 186 f. EuGH vom 7.3.1995, C-68/93 – Shevill vs Presse Alliance, Rn 24 abrufbar unter eurlex.europa.eu. BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute, Rn 23 abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Zur Unterscheidung zwischen dem Verlust einer Forderung und der Beeinträchtigung des Gesamtvermögens siehe BGH v 6.11.2007, VI ZR 34/07 Rn 22. HM s etwa Schack MMR 2000, 135, 137; bereits BGH GRUR 1978, 194, 195 – profil.
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EuGH vom 7.3.1995, C-68/93 – Shevill vs Presse Alliance, Rn 28 abrufbar unter eurlex.europa.eu. Schack MMR 2000, 135, 139; dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass es nicht um die Rechte geht, sondern um Ansprüche wegen deren Verletzung und diese bestehen nur innerhalb mancher Rechtsordnungen. BGH vom 24.5.2007, I ZR 42/04 – Staatsgeschenk, 6 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de, hat unlängst bestätigt, dass dem Urheber an seinem Werk kein einheitliches Schutzrecht zusteht, sondern nur ein Bündel nationaler Schutzrechte.
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„lauteren Wettbewerb“, „dem Eigentum an sich“ oder „dem Vermögen“ sagen.222 Bei Ausschließlichkeitsrechten erfolgt die unmittelbare Beeinträchtigung indes regelmäßig am Handlungsort, weil es sich eben um Abwehrbefugnisse gegen Handlungen handelt, die verletzen.223 Wird der Handlungsort allerdings eingegrenzt verstanden, wie hier vertreten, dann kann der Erfolg etwa einer Vervielfältigung durchaus in einem anderen Land eintreten als sich das Subjekt der Handlung bei seiner Willensausübung befindet. Zu denken ist an Serverstandorte oder technische Übertragungsstellen, an deren Ort Vervielfältigungen entstehen.224 Vor allem die extensive Rechtsprechung des BGH zur Verletzung des inländischen Verbreitungsrechts durch Bewerbung von Verkäufen im Ausland 225 ermöglicht Erfolgsorte bei Internetsachverhalten fern der Handlung anzuknüpfen.
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(ii) Herrschende Meinung und Kriterien. Die wohl hM hält grds bei Internetsachverhalten einen Erfolgsort im Inland für gegeben, sucht dann aber sogleich nach Kriterien, um die Gerichtspflichtigkeit wieder sinnvoll einzugrenzen.226 Sinnvoll erscheint die Einführung einer Spürbarkeitsschwelle 227, eines Erfordernisses von objektiver und dem Beklagten erkennbarer Inlandsrelevanz oder einer Ausnahme des sachnäheren Gerichtsstandes (vergleichbar zu § 41 EGBGB, Art 4 Abs 3 Rom II-VO). Die Tendenz geht hingegen zu einem Kriterium der bestimmungsgemäßen Auswirkung 228. Am ausführlichsten behandelt der BGH die Bestimmung des Ortes des schädigenden Ereignisses im Sinne der europäischen Vorschriften bei Internetsachverhalten in „Arzneimittelwerbung im Internet“.229 Zum Gerichtsstand bei unerlaubten Wettbewerbshandlungen heißt es dort, Ort des schädigenden Ereignisses sei neben dem Handlungsort auch der Erfolgsort, dh der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei. Der Erfolgsort sei bei Wettbewerbsverletzungen dann im Inland gelegen, wenn sich der Internetauftritt bestimmungsgemäß dort auswirken soll.230 In „Hotel Maritime“ hatte der BGH zuvor ausdrücklich offen gelassen, ob der Erfolgsort nach Brüssel I-VO bei Kennzeichenkonflikten eine entsprechende inländische Auswirkung voraussetzt.231 Manche lehnen jede Eingrenzung des Ubiquitätsprinzips bei Immaterialgüterrechten kategorisch ab.232 Zuzugeben ist der Kritik, dass das Kriterium einer bestimmungsgemäßen Ausrichtung bislang wenig Kontu-
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S zum Universalitätsprinzip auch Dreier/ Schulze/Dreier Vor §§ 120 ff Rn 29; Klass GRUR 2007, 373. Zum Wohnsitz als Ort eines Vermögensschadens in Abgrenzung zum Verlust einer Forderung siehe BGH v 6.11.2007, VI ZR 34/07 Rn 22. Schack MMR 2000, 135, 137. Vgl Berger GRUR Int 2005, 465, 467 f. BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte, Rn 23; andererseits BGH vom 24.5.2007, I ZR 42/04 – Staatsgeschenk beide abrufbar unter bundesgerichtshof.de; s dazu auch EuGH vom 17.4.2008, Rs C-456/06 und Teil 2 Kap 1 Rn 107 ff. BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 7, abrufbar unter bundesgerichts hof.de: wonach „viel für eine Begrenzung einer ansonsten bestehenden Vielzahl von Gerichtsständen auf diejenigen spricht, in deren Zuständigkeitsbereich eine Interessenkollision tatsächlich eingetreten sein kann“.
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Zum Kollisionsrecht Mankowski GRUR Int 1999, 909, 915 ff. Bei Zugänglichmachung: OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007, urheberrechtliche „Verwertung“. OLG Jena v 27.2.2008, 2 V 319/07, BeckRS 2008 04589 unter II 1 und 3c). BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 6 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de mit umfangreichen Nachweisen zum Streitstand; OLG Karlsruhe MMR 2002, 814 (mit Anm Mankowski) bspw möchte den Inlandsbezug erst auf der Ebene des Verletzungsrechts prüfen. Schack MMR 2000, 135, 138.
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Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
ren gewonnen hat und den Gerichten somit viel Spiel einräumt.233 Andererseits bedarf die Gerichtspflichtigkeit objektiver Anknüpfungspunkte, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, den Beklagten in eine fremde, handlungsferne und ihm vielleicht unerreichbare Rechtsordnung zu ziehen. Die bestimmungsgemäße Ausrichtung ist bislang der einzig geeignete Maßstab. Jedenfalls dann, wenn sich ein Internetangebot an inländische Nutzer richtet, werden also deutsche Gerichte international zuständig sein.234 Verallgemeinernd lassen sich folgende Aspekte bzgl der Ausrichtung auf eine be- 102 stimmte Rechtsordnung nutzbar machen: 235 – technische Zugangsbeschränkungen auf Grund von Zoning 236 – Internationale Ausrichtung 237 – Sprache 238 – Aktiv werbende oder passiv informierende Seiten 239 – Lokaler Bezug des Angebotes (Kinokarten) oder der Werbung 240 – Anknüpfung der AGB oder Nutzungsbedingungen 241 an eine Rechtsordnung – Währung 242, Konten – Landesbezogene Top Level Domain 243 – Versandbedingungen – Durchführbarkeit einer etwaigen Leistung (bspw Einfuhrbeschränkungen) – Abwicklung/Hilfeleistungen über inländische Telefonnummern 244 233
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S KG MMR 2007, 652, einerseits und OLG Bremen vom 17.2.2000, 2 U 139/99, abrufbar unter JurPC Web-Dok 205/2000 andererseits. Vgl BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute, Rn 23, abrufbar unter bundesgerichtshof.de für Kennzeichenverletzung nach § 32 ZPO, Art 5 Nr 3 LuganoÜbereinkommen, EuGVÜ und Brüssel I-VO. BGH 5.2.2008 IZR 205/04 Rn 18. Ausf zur bestimmungsgemäßen Ausrichtung: Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 202 ff. Vgl BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; ausf zum Kollisionsrecht Mankowski GRUR Int 1999, 909, 916 ff; Wegner, CR 1998, 676, 681. Für objektiv bestimmungsgemäße Ausrichtung Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 210 ff, s auch Hoeren Teil 2 Kap 10 Rn 2. S hierzu Hoeren MMR 2007, 3. Eine durch Mehrsprachigkeit dokumentierte internationale Ausrichtung spricht nach Ansicht von KG MMR 2007, 652, 653 auch für eine Ausrichtung auf Deutschland. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; BGH vom 15.2. 2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte, Rn 18, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007 Abs 4. Unter Hinweis auf Tendenzen in den USA, sogleich verwerfend Schack MMR 2000, 135. LG Köln MMR 2002, 60 – budweiser.com (mit Anm. Mankowski): Endorsement eines nur im Zielland bekannten Prominenten. KG MMR 2007, 652, 653: Distanzierung von Links unter Verweis auf LG Hamburg ist Indiz für Ausrichtung auf Deutschland. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; nicht aber Euro, wenn andere Zeitländer aus der Währungsunion erkennbar sind, OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007 Abs 4. OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007 Abs 4; zum Domain Name System; Kilian/ Heussen/Koch CHB Nr 24 Rn 15. BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte, Rn 18, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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– Disclaimer 245 – Verknüpfungen in oder aus inländischen Seiten 246 Die Zuständigkeit im Inland lässt sich so im Zweifel schon begründen, zumal auf der 103 Basis der Behauptungen des Klägers geprüft wird.247 Noch offen ist, für welche Rechtsgebiete die bestimmungsgemäße Ausrichtung Voraussetzung sein wird und welche anderen Rechtsordnungen sich ebenfalls für global zuständig halten werden.248
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(iii) Exkurs: Disclaimer. Der Diensteanbieter hat es in der Hand durch Gestaltung und Hinweise auf seiner Eingangsseite die Länder zu bestimmen, auf die er mit seinem Internetauftritt einwirken möchte. Zumindest für das Wettbewerbsrecht ist das relevant (Rn 101). Voraussetzung ist jedoch, dass eine entsprechende Einschränkung des Angebots klar und eindeutig gestaltet und als ernst gemeint verstanden wird. Darüber hinaus muss der Anbieter sich auch tatsächlich an angekündigte Einschränkungen seiner werbenden Tätigkeit halten und darf den Vertrieb in ausgenommene Absatzgebiete auch nicht ausnahmsweise zulassen. Beachtet der Anbieter den eigenen Disclaimer in der tatsächlichen Durchführung nicht, kann er sich auch nicht darauf berufen, dieser sei für die Beurteilung der bestimmungsgemäßen örtlichen Ausrichtung der Seite zu beachten.249
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(iv) Exkurs: Presseerzeugnis. Nach der Shevill-Entscheidung des EuGH soll bei einer grenzüberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht werden, an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist.250 Der Wohnsitz des Verletzten allein reicht nicht. Erfolgsort ist nur, wo eine Verbreitung der Veröffentlichung stattfindet. Weiter soll der Ersatzanspruch für den Gerichtsstand des Schadenverwirklichungsortes auf die in diesem Staat eingetretenen Schäden begrenzt sein, sodass der gesamte Schaden nur am allgemeinen Gerichtsstand des Verletzers eingeklagt werden kann (eingeschränkte Kognitionsbefugnis).251 Diese Grundsätze hält Berger für verallgemeinerungsfähig.252 Ähnlich entschied auch der BGH zur internationalen Gerichtszuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseerzeugnisse: „bloß zufällige“ Kenntnisnahmen außerhalb des bestimmungsgemäßen Verbreitungsgebietes und insbesondere die Eigenbeschaffung durch den Verletzten reichten nicht aus.253
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(v) Exkurs: Zugänglichmachung. Besonders umstritten ist der Erfolgsort bei weltweiten Onlineangeboten urheberrechtlich geschützter Werke. Für das Urheberrecht fordert die hM in der Literatur weiterhin die globale Zuständigkeit für Onlineangebote von
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BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Zu weit KG MMR 2007, 652, 653: Nachweis unter Google.de als Indiz. BGH vom 15.2.2007, I ZR 114/04 – Wagenfeld-Leuchte, Rn 18, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Ähnlich Cour d’Appel de Paris vom 6.6.2007 – Google ea. v Axa e.a. nach CRi 2007, 155. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 22 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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EuGH vom 7.3.1995, C-68/93 – Shevill vs Presse Alliance, Rn 29 abrufbar unter eurlex.europa.eu. EuGH vom 7.3.1995, C-68/93 – Shevill vs Presse Alliance, Rn 30 abrufbar unter eurlex.europa.eu; dazu sehr krit Schack MMR 2000, 135, 139. Berger GRUR Int 2005, 465, 468 f. BGH GRUR 1978, 194, 195 – profil; auf diese Entscheidung weist auch BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 7, abrufbar unter bundesgerichtshof.de, hin.
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Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
Medienprodukten.254 Diese Forderung erscheint wegen der Auswirkungen massiver Rechtsbeeinträchtigungen im Musik- und Filmbereich verständlich, bleibt aber ein Notwehrexzess. Entweder soll als Verletzungsort einer Zugänglichmachung jeder mögliche Abrufort 107 gelten 255 oder die Abrufhandlungen durch den Nutzer wird dem Anbieter zugerechnet.256 Eine Homepage greife überall dort in das Zugänglichmachungsrecht ein, wo ein Abruf stattfindet oder stattfinden kann und löse somit automatisch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus, sofern der Anspruchsteller sich auf ein inländisches Rechtsgut beruft (Ubiquitätsprinzip).257 Diese globale Zuständigkeit stößt auf berechtigte Kritik.258 Das Argument, der Anbieter mache sich die weltweite Wirkung des Internet zunutze, 108 sodass er auch die Folgen zu tragen habe,259 ist ein Zirkelschluss wenn es zu der Frage beitragen soll, welchen Konsequenzen der Anbieter auszusetzen ist. Das Ubiquitätsprinzip wird vor allem vom Ergebnis her vertreten. Nur so sollen sich „sichere Häfen“ für illegale Angebote verhindern lassen können. Die Auswahl eines Gerichtsortes und einer Rechtsordnung, die einseitig den Verletzten bevorzugt, ist dann anwaltliche Pflicht.260 Somit soll sich der Kläger alle Vorteile der Rechtsordnung seines eigenen Sitzes sichern und zugleich für seine Klage aus allen Rechtsordnungen auswählen können. Eine Gerichtspflichtigkeit des gesamten Internet in Deutschland enthält einen unzeitgemäßen Geltungsanspruch des nationalen Rechts. Die Regeln zur internationalen Zuständigkeit dienen nicht dem Export von Rechtsordnungen gegenüber Einwohnern von Staaten, mit denen entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen nicht zustandegekommen sind. Zweck der Zuständigkeitsregeln ist allein die Bestimmung eines sachnahen Gerichts unter Berücksichtigung des Schutzes des Beklagten, dem ein Prozess aufgezwungen werden soll.261 Verhindern lassen sich sichere Häfen für illegale Angebote ohnehin nur durch interna- 109 tionale Standards. Das unbegrenzte Ubiquitätsprinzip im Internet trifft nicht diejenigen Anbieter, die den eigenen Sitz verlegen, um einer Rechtsordnung zu entgehen, weil solche Anbieter auch in der Lage sind, geeignete Vorsichtsmaßnahmen gegen gerichtliche Maßnahmen zu unternehmen. Weltweit wären, bis auf einen statistisch verschwindenden Anteil, Anbieter einer Rechtsordnung unterworfen mit der sie nichts zu tun haben und
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S die Nachweise zum Kollisionsrecht bei Schricker/Katzenberger Vor §§ 120 ff Rn 145; Dreier/Schulze/Dreier Vor §§ 120 ff Rn 40 ff aA wohl OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007. Vgl OLG Köln vom 21.9.2007, 6 U 86/07, 5: Zugänglichmachung durch allgemeine Bekanntgabe eines „geheimen“ Downloadlinks. Vgl zu Zuständigkeit und Kollisionsrecht Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 19 und 34 mwN; s auch zur Lokalisierung der Zugänglichmachung Handig GRUR 2007, 206, 217 f; Schack GRUR 2007, 640, dort Fn 11 u 12. Zum Urheberrecht Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 34; zu Domainnamen Wegner CR 1998, 676, 679
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jeweils mwN; so auch OLG Jena vom 27.2.2008, 2 U 319/07, BeckRS 2008 04589 unter II 1 und 3c). OLG Karlsruhe JurPC Web-Dok 202/2007 Abs 3; Danckwerts GRUR 2007, 104; Hoeren/Sieber/Pichler Multimediarecht Teil 25 Rn 198; Berger GRUR Int 2005, 465, 466; dagegen Wandtke/Bullinger/ von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 34. Schack MMR 2000, 135, 138; zust Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 34. Schack MMR 2000, 135, 139. Warum darf gegen einen Beklagten aus Land A wegen einer Handlung in Land C durch einen Kläger aus Land D in Land E geklagt werden?
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mit der sie auch nicht rechnen.262 Es ist unverhältnismäßig, für über 10 Mrd. ausländische Websites die internationale Zuständigkeit zu begründen, um Klägern in Einzelfällen die Nachteile des allgemein geltenden Gerichtsstands zu ersparen. Anderen Ländern wäre zuzugestehen, nach den gleichen Grundsätzen zu handeln. Damit wird diesen Rechtsordnungen die Geltung für hiesige Angebote zugesprochen, der Anbieter also beliebigen Normsystemen ausgesetzt.263 Eine Prüfung und Befolgung aller Welt-Rechtsordnungen ist wirtschaftlich unmöglich und widerspräche außerdem wesentlichen Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Aus der Nutzung einer weltweiten technischen Struktur wie dem Internet ist daher nicht zu folgern, der Anbieter habe auch die Geltung aller (Un-)Rechtsordnungen zu akzeptieren. Die theoretische Abrufbarkeit stellt außerdem keinen Bezug zur inländischen Rechtsordnung in Abgrenzung zu anderen Rechtsordnungen her. Ein besonderer Gerichtsstand kann nicht dadurch örtlich bestimmt werden, dass er immer überall gegeben ist.264 Zu beachten ist, dass die besonderen Gerichtsstände Ausnahmen vom Grundsatz des allgemeinen Gerichtsstands darstellen.265 Ein globaler Gerichtsstand für Internetsachverhalte drehte das Verhältnis von Regel zu Ausnahme um. Schließlich fehlt es auch an der Vergleichbarkeit des Einstellens in das Internet mit dem Vertrieb eines Presseproduktes oder einer Werbemaßnahme, für die der „fliegende Gerichtsstand“ entwickelt wurde.266 Der Anbieter kann die Abrufbarkeit nicht steuern, wie der Verleger die Verbreitung.267 Der Nutzer bestimmt darüber, ob ein Angebot in einer Rechtsordnung genutzt wird, die Nutzbarkeit selbst ist dagegen eine technisch bedingte Gegebenheit auf die zuweilen von Seiten des Staates eingegriffen wird, die aber bislang außerhalb des Einflussbereiches des Anbieters liegt.268 Die technische Abrufbarkeit vermittelt noch keinen Werkgenuss.269 Auch nach der Leitentscheidung des BGH zur internationalen Gerichtszuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseerzeugnisse reichen „bloß zufällige“ Kenntnisnahmen außerhalb des bestimmungsgemäßen Verbreitungsgebietes und insbesondere die Eigenbeschaffung durch den Verletzten gerade nicht aus.270 Der eigene Abruf durch den Kläger kann den Gerichtsstand schon deswegen nicht begründen, weil sich der Kläger nicht einzig auf eine Rechtsgutsverletzung berufen kann, die er selbst veranlasst und gewollt hat.271 Die bloße Abrufbarkeit vermittelt sowenig eine Nutzung eines Werkes wie die Kopierbarkeit und kann nur für vorbeugende 262
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Aus diesem Grund lehnt BGH GRUR 1978, 194 – profil sogar einen Gerichtsstand am Wohnsitz des in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzten ab. Auch wenn eine Vollstreckung nicht erfolgen sollte. OLG Bremen vom 17.2.2000, 2 U 139/99, Abs 7, abrufbar unter JurPC Web-Dok 205/2000. Vgl Art 3 Abs 1 Brüssel I-VO; zur EuGVÜ BGH vom 7.12.2004, XI ZR 366/03, 8, 13; zum LogÜ: BGH vom 6.11.2007, VI ZR 34/07 Rn 17, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Dazu BGH GRUR 1978, 194, 195 – profil. Überzeugend Berger GRUR Int 2005, 465, 466.
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S auch OLG Bremen vom 17. 2. 2000, 2 U 139/99, Abs 7, abrufbar unter JurPC WebDok 205/2000. Vgl dazu die Untersuchung von Wimmer/ Schulz CR 2008, 170, 174 f zur Frage, wer Werknutzer in diesen Fällen ist. BGH GRUR 1978,194, 195 – profil; auf diese Entscheidung weist auch BGH vom 13.10.2004, I ZR 163/02 – Hotel Maritim, 7, abrufbar unter bundesgerichtshof.de, hin. Vgl bereits BGH GRUR 1978, 194,195 – profil, wonach die Testbeschaffung keinen Vertrieb an diesen Ort begründe. AA OLG Hamburg NJW-RR 2003, 760 – Die Hunde sind los.
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Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
Unterlassungsklagen einen Bestandteil einer möglichen Rechtsverletzung im Inland darstellen. Dann muss aber dargelegt sein, welche konkrete Abrufhandlung unmittelbar bevorsteht. Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Abrufbarkeit oder der Abruf für die 115 urheberrechtliche Zugänglichmachung keinen globalen Gerichtsstand begründen. Der Erfolg der Zugänglichmachung tritt am Ort des Einstellens in das Internet ein, nicht dort, wohin erst ein Nutzer die Information „zieht“. Die Fiktion der globalen Nutzung verhindert im Internet die territoriale Aufteilung 116 von Rechten, die im Urheberrecht sonst verbreitet ist.272 Dies war zumindest auch ein Grund dafür, dass zehn Jahre lang nur zweifelhafte Musikprodukte im Internet angeboten wurden. Selbst Anbieter, die versuchen Medieninhalte nur an Nutzer eines bestimmten Staates zu liefern, können dies – derzeit – nicht sicherstellen, sodass der theoretische Abruf aus anderen Ländern möglich bleibt.273 Wenn der mögliche Abruf für die Anknüpfung ausreicht, dann kann jede Lizenz vom Rechtsinhaber jeder Rechtsordnung, die sich dieser Ansicht anschließt, gerichtlich überprüft werden.
II. Anwendbares Recht 1. Grundlagen des IPR Die Feststellung des internationalen Gerichtsstandes in Deutschland ist von der Frage 117 zu unterscheiden, welches Recht inhaltlich auf den Fall anzuwendenden ist. Jedoch ergibt sich aus der inländischen Zuständigkeit der Maßstab für die Prüfung des anzuwendenden Rechts: Inländische Gerichte wenden hierfür die in Deutschland geltenden Bestimmungen an (lex fori). Die Regeln, nach denen das anzuwendende Recht bestimmt wird, heißen zusammengefasst internationales Privatrecht (IPR) oder Kollisionsrecht. Das anwendbare Recht wird auch Statut genannt, meist in Kombination mit dem Rechtsbereich (Bsp Deliktsstatut = die für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften nach IPR). Wenngleich sich aus der internationalen Zuständigkeit eines inländischen Gerichts das für den Fall geltende Statut noch nicht ergibt, wird dies im Ergebnis meist das inländische Recht sein. Gerichte tendieren dazu, die ihnen bekannte Rechtsordnung anzuwenden und das Kollisionsrecht ähnelt ohnehin in Teilen den Bestimmungen zur internationalen Zuständigkeit, wenngleich das Kollisionsrecht umfangreicher und eingehender kodifiziert ist.274 Ein wichtiger Unterschied zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit besteht darin, dass die kollisionsrechtliche Beurteilung nicht allein anhand der Behauptungen des Klägers vorzunehmen, sondern der den Tatbestand der Kollisionsnorm tragende Sachverhalt tatsächlich festzustellen ist.275 Das IPR ist hauptsächlich im zweiten Kap des EGBGB geregelt und wird zunehmend 118 durch internationale Verträge und Abkommen sowie Normen der EU bestimmt oder vorgegeben. So steht das Kollisionsrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse unmittel-
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Die Instrumentalisierung beklagt Büchner/ Dreier/Bechtholdt 55; gegen territoriale Ansätze s Klass GRUR 2007, 373, 381 f. Neben der Möglichkeit zur Nutzung von IP-Nummern aus beliebigen Zonen ist auch an registrierte Nutzer zu denken, die ihren Account aus anderen Ländern abrufen.
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S Palandt/Heldrich EinlV EGBGB Art 3 Rn 1 ff. S etwa die entsprechende Prüfung bei BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 25, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
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bar vor einer weitreichenden Harmonisierung in der EU durch die Rom II-VO, über die Jahre verhandelt wurde.276 2. Vertragliche Schuldverhältnisse
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Für vertragliche Schuldverhältnisse lässt das IPR in bestimmten Grenzen die Vereinbarung des anzuwendenden Statuts zu (Art 27 EGBGB). Mangels einer solchen Rechtswahl unterliegt ein Vertrag grds dem Recht desjenigen Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist (Art 28 Abs 1 S 1 EGBGB). Hinzu kommen eingehende Sonderregelungen, bspw für Verbraucherverträge (Art 29 und 29a EGBGB). Verbraucherschutzvorschriften sind – vereinfacht – relativ kollisionsfest und können ein nicht leicht zu handhabendes Patchwork-Recht in- und ausländischer Normen zur Folge haben.277 Schließlich bestimmt Art 34 EGBGB, dass „zwingende Vorschriften“ des deutschen Rechts anwendbar bleiben, unabhängig vom Kollisionsrecht für Verträge. Zu den Einzelheiten sei hier auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen. 3. Außervertragliche Schuldverhältnisse
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Außerhalb vertraglicher Beziehungen schafft die Rom II-VO ein einheitliches Kollisionsrecht in der EU. Ab dem 11.1.2009 gilt die Rom II-VO unmittelbar für alle nach ihrem Inkrafttreten eintretenden, schadensbegründenden Ereignisse (§§ 31 und 32 Rom II-VO). Die zunächst folgenden Ausführungen werden dann für den Anwendungsbereich der Rom II-VO überholt sein und sind daher knapp gehalten. Außerhalb Rom II-VO. Für den Anbieter von Telemedien ist die Kollisionsnorm zum anwendbaren Recht bei unerlaubten Handlungen von besonderer Bedeutung (Art 40 EGBGB). Auch für das anwendbare Recht wird an den Tatort, also Handlungs- und Erfolgsort, angeknüpft. Zu diesen Begriffen wird auf die Ausführungen unter Rn 90 ff verwiesen. Beim IPR gibt es jedoch wichtige Besonderheiten: Nach Art 40 Abs 1 S 2 EGBGB gilt der Handlungsort vorrangig, es sei denn, der Verletzte wählt das Recht des Erfolgsorts. Während unter mehreren Gerichtsständen automatisch durch die Klageerhebung ausgesucht wird, bedarf es beim materiellen Recht einer klaren Regelung. Eine Ausnahme vom Tatortprinzip besteht außerdem, wenn beide Parteien zur Zeit des die Haftung auslösenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben. Dann gilt dessen Recht (Art 40 Abs 2 EGBGB). Nach Art 41 EGBGB wird das Kollisionsrecht für Ansprüche aus Delikt, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherungsrecht verdrängt, wenn eine wesentlich engere Verbindung zu dem Recht eines anderen Staates besteht. Ermöglicht ist somit eine Gesamtschau des Falles, um auf dieser Grundlage eine sachgerechte Anknüpfung vorzunehmen. Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass Gerichte nach Abwägung aller Umstände zu dem Ergebnis neigen werden, eine ihnen unbekannte Rechtsordnung anwenden zu müssen. Dies zeigt die Erforderlichkeit, die internationale Zuständigkeit inländischer Gerichte nicht über Ausnahmevorschriften in Fällen zu begründen, die eine wesentlich engere Bindung zu einer anderen Rechtsordnung aufweisen. Vor allem aber gilt § 40 EGBGB nach ganz hM nicht für Ansprüche wegen der Verletzung von Immaterialgüterrechten. Auch für Pressedelikte, die Verletzung des allgemei276
Zum Vorschlag KOM/2006/0083 endg s BeckOK/Spickhoff EGBGB Art 42 Rn 9 ff.
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Vgl Horn MMR 2002, 210, 212 ff.
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§4
Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
nen Persönlichkeitsrechts und das Wettbewerbsrecht werden zumindest Modifikationen an der Tatortregel vorgeschlagen. So gilt für Verstöße gegen Lauterkeit im Wettbewerb das sog Marktortprinzip.278 125 Danach setzt die Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts voraus, dass die wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber im Inland aufeinandertreffen. Nach deutschem Unlauterkeitsrecht ist daher ein Online-Angebot zu beurteilen, wenn sich dieses bestimmungsgemäß auch im Inland ausgewirkt hat.279 Ein Internetauftritt, der zielgerichtet für den deutschen Markt bestimmt ist und in Deutschland abgerufen werden kann, weist hinreichenden Inlandsbezug auf.280 Begründet wird dies mit einer teleologischen Auslegung von Art 40 Abs 1 EGBGB, die dadurch notwendig werde, dass sich Handlungs- und Erfolgsort im Wettbewerbsrecht nicht unterscheiden ließen.281 Diese Ableitung aus dem Handlungs- bzw Erfolgsort erklärt, weshalb das Kriterium der bestimmungsgemäßen Auswirkung ausschlaggebend ist, welches zugleich den für die internationale Zuständigkeit hinreichenden Ort des schädigenden Ereignisses bestimmt (s oben Rn 101). Weitere Besonderheiten gelten für Immaterialgüterrechte. Wie bereits bei der inter- 126 nationalen Zuständigkeit liegt die Schwierigkeit darin, den Ort einer Verletzung zu lokalisieren, wenn das Recht noch nicht bekannt ist, wonach Verletzungshandlung oder -objekt bestimmt werden sollen. Maßgeblich ist das Territorialitätsprinzip. Der in Anspruch genommene Schutz richtet sich deshalb nach dem Recht des Landes, für dessen Gebiet Schutz gesucht wird (Schutzland).282 Die sich ergebende Rechtsordnung ist dann der Disposition der Parteien entzogen.283 Die Dogmatik ist vor allem bei Urheberrechten umstritten.284 Regelmäßig ist damit 127 deutsches Recht dann anwendbar, wenn Schutz gegen eine im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stattfindende Beeinträchtigung eines immateriellen Rechtsgutes gesucht wird. Bspw ist deutsches Urheberrecht anwendbar, wenn Gegenstand der Klage die Verletzung urheberrechtlicher Nutzungsrechte ist, die dem Kläger im Inland zustehen.285 Eine solche Verletzung setzt wiederum eine Handlung im Inland voraus.286 Hier wird vertreten, dass gegen ein Angebot im Internet auf Grund der Abrufbarkeit an jedem Ort automatisch in Deutschland Schutz verlangt werden könne. Erst materiell sei dann zu prüfen, ob das im Inland bestehende Recht des Klägers verletzt worden sei.287 Andere fordern auch bei Urheberrechten zumindest eine Ausrichtung der Handlung auf das
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Unlängst BGH vom 29.3.2007, I ZR 122/04 – Bundesdruckerei, Rn 16 mwN, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 25, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln, Rn 15; ähnlich BGH vom 5.10. 2006, I ZR 7/04 – Schulden Hulp, Rn 13, beide abrufbar unter bundesgerichtshof.de. MüKo/Drexl IntUnlWettbeR Rn 84 mwN. Zum Schutz von Kennzeichen und einfacher geographischer Herkunftsangaben gegen Irreführung BGH vom 28.6.2007, I ZR 49/04 – Cambridge Institute, Rn 26, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; zum Urheberrecht BGH vom 24.5.2007, I ZR
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42/04 – Staatsgeschenk, Rn 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 24.5.2007, I ZR 42/04 – Staatsgeschenk, Rn 21 mwN zum Stand der Diskussion, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Statt vieler Wandtke/Bullinger/von Welser Vor §§ 120 ff UrhG Rn 4 ff; MüKo/Drexl IntImmGR Rn 10 ff; jüngst Klass GRUR 2007, 373. BGH vom 24.5.2007, I ZR 42/04 – Staatsgeschenk, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Buchner GRUR 2005, 1004, 1006. S auch BGH vom 24.5.2007, I ZR 42/04 – Staatsgeschenk, Rn 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de unter Verweis auf Rom II-VO, dort nun Art 8 Abs 3.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
Territorium, für das Schutz gesucht wird,288 Mankowski bringt unter Angabe konkreter Kriterien eine kollisionsrechtliche Spürbarkeitsschwelle ins Spiel.289 Nach der hier vertrenene Auffassung findet eine Verletzung von inländischen Urheberrechten nicht durch Internet-Angebote im Ausland statt (vgl Rn 113). 4. Rom II-VO4
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a) Allgemeines. Die Rom II-VO gilt ab 11.1.2009 für außervertragliche Schuldverhältnisse. Dieser Begriff ist autonom im Sinne der Verordnung auszulegen.290 Nach Art 2 Abs 1 Rom II-VO sind dies Ansprüche aus unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Dabei reicht es aus, wenn das Entstehen eines solchen Schuldverhältnisses wahrscheinlich ist (Art 2 Abs 2 Rom II-VO). Als Grundsatz legt Art 4 Abs 1 Rom II-VO fest, dass das Recht des Staates anzuwenden sei, in dem der Schaden eintritt (lex loci damni). Nicht entscheidend soll der Staat des schadensbegründenden Ereignisses oder indirekter Schadensfolgen sein. Schadenseintrittsort meint daher nicht das Land in dem bloß mittelbare Auswirkungen auf das Vermögens des Geschädigten erfolgen, sondern den Erfolgsort der Verletzung des geschützten Rechtsguts. Diese Entscheidung erfolgt bewusst entgegen der Feststellung, dass nahezu alle Mitgliedstaaten am Begehungsort anknüpfen (lex loci delicti commissi).291 Der Schadenseintrittsort soll für höhere Rechtssicherheit sorgen.292 Rom II-VO weicht nicht nur von dem Vorrang des Handlungsortes nach Art 40 Abs 1 S 2 EGBGB ab, sondern bedauerlicherweise auch von der Terminologie des Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO (s Rn 87). Der Ort des Schadenseintrittes ist am ehesten zu vergleichen mit dem Erfolgsort. Eine 129 Wahlmöglichkeit wie nach Art 40 Abs 1 EGBGB besteht nicht. Somit kehrt sich das bisherige Verhältnis von Handlungs- zu Erfolgsort um. Ausnahmen vom Schadenseintrittsort sind – wie nach Art 40 Abs 2 EGBGB – lediglich für Fälle vorgesehen, in denen Haftender und Geschädigter zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Auftritt in demselben Staat haben (dann gilt das Recht dieses Staates, Art 4 Abs 2 Rom II-VO) oder wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung mit einer anderen Rechtsordnung ergibt (Art 4 Abs 3 Rom II-VO). Auf diese Weise soll auf Einzelfälle angemessen reagiert werden können.293 In Art 26 Rom II-VO ist der Fortbestand der Ordre Public nach der lex fori festgehalten.
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b) Sonderregelungen. Nach eingehender Diskussion wurden Ansprüche aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich der Verleumdung vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen (Art 1 Abs 2g). Hier konnten die Vertreter der Interessen der Presse erreichen, dass zunächst eine Untersuchung dieses Bereiches bis zum 31.12.2008 vorgelegt wird (Art 30 Abs 2 Rom II-VO). Rom II-VO enthält für eine Reihe von Rechtsgebieten Sondervorschriften. Für Tele131 medien von besonderer Relevanz erscheinen die Vorschriften zur Produkthaftung (Art 5) zum unlauteren Wettbewerb (Art 6) sowie zur Verletzung von Rechten geistigen Eigentums (Art 8). Für die gesondert geregelten Rechtsbereiche gilt die Kollisionsnorm der engeren Verbindung zu einem Staat nicht, wie sich aus Art 4 Abs 3 Rom II-VO ergibt, der sich lediglich auf die Regelungen in Abs 1 und 2 bezieht. 288
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Sowohl auch OLG München vom 28.7. 2005, 29 U 2887/05 – ang DVD, MMR 2005, 768, 771 mit Anm Hoeren; s bei Buchner GRUR 2005, 1004, 1007 mwN. Mankowski GRUR Int 1999, 909, 915 ff.
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ErwG 11 Rom II-VO. ErwG 15 Rom II-VO. ErwG 15 und 16 Rom II-VO. ErwG 14 Rom II-VO.
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Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
Für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs sieht Art 6 Abs 2 Rom II-VO vor, dass 132 es bei konkreter Beeinträchtigung eines bestimmten Wettbewerbers bei der allgemeinen Kollisionsnorm des Art 4 verbleibt. Für andere Fälle gilt ein modifiziertes Marktortprinzip (Art 6 Abs 1 Rom II-VO). Anzuwenden ist das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder kollektive Interessen der Verbraucher beeinträchtigt werden. Hierbei soll es sich lediglich um eine Präzisierung der lex loci damni des Art 4 Abs 1 Rom II-VO handeln.294 Die modifizierte Anknüpfungsnorm entspricht weitgehend der Bestimmung des Marktortes gemäß der Rechtsprechung des BGH (s oben Rn 123). Für außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geisti- 133 gen Eigentums bestimmt Art 8 Abs 1 Rom II-VO die Geltung des Schutzlandsprinzips (s dazu oben Rn 124). Unter geistigen Eigentumsrechten werden alle Immaterialgüterrechte einschließlich des Urheberrechts, der verwandten Schutzrechte, des Schutzes für Datenbanken und die gewerblichen Schutzrechte verstanden.295
III. Herkunftslandprinzip Ziel der Bemühungen der EU auf dem Gebiet des elektronischen Geschäftsverkehrs ist 134 es, einheitliche Standards zu setzen (harmonisierter Bereich) und es den Unternehmen, die diese Standards einhalten, zu ermöglichen ihre Leistungen ungehindert innerhalb des gesamten Wirtschaftsraums der EU anbieten und erbringen zu können. Ein wesentlicher Baustein dabei ist das Herkunftslandprinzip auch für E-Commerce-Angebote (Art 3 ECRL, § 3 Abs 1 und Abs 2 TMG). Danach unterliegen die Diensteanbieter den Vorschriften des Ortes ihrer Niederlassung auch hinsichtlich solcher Telemedien, die in anderen Staaten erbracht werden. Im Gegenzug darf dieses Angebot in den anderen Staaten nicht eingeschränkt werden. Dabei gibt das TMG beinahe wörtlich die Vorgaben der ECRL wieder. Das wird als misslich empfunden, da sich die europäische Vorschrift wenig in die Dogmatik zum internationalen Prozessrecht einfügt.296 Dies erklärt zum Teil, warum die recht klare Zielsetzung des Herkunftslandprinzips eine so heftige Reaktion des Rechtssystems auslöste.297 Zum anderen liegt dies daran, dass die Bestimmungen die Angriffe der Interessengruppen während der europäischen Normfindung in durch verschachtelte Regeln und Ausnahmen nur schwer verständlicher Form überstanden haben. Das Herkunftslandprinzip basiert nicht auf lediglich harmonisierten Normen, son- 135 dern auf einem darüber hinausgehenden koordinierten Bereich.298 Das bedeutet, die Mitgliedstaaten geben gegenüber Anbietern aus anderen Staaten die Durchsetzung eigenen Rechts auf. Daher stammt die Sorge eines Wettbewerbs um die niedrigsten Standards.299 Der Eingriff in die Souveränität der Mitgliedstaaten wurde jedoch erheblich durch Eingrenzungen des koordinierten Bereiches und Generalklauseln als Einfallstore für nationale Sonderregelungen in sensiblen Rechtsbereichen abgefedert. So bleiben nach § 3 Abs 3 TMG vom Herkunftslandsprinzip unberührt ua die Vor- 136 schriften für vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge und der Datenschutz. In § 3 Abs 4 TMG sind neun Bereichsausnahmen aufgelistet, für die das Herkunftslandprinzip nicht gelten soll, einschließlich breiter Gebiete wie Gewinn- und 294 295 296 297
ErwG 21 Rom II-VO. ErwG 26 Rom II-VO. Vgl Spindler NJW 2002, 921, 926. S Spindler NJW 2002, 921, 925, insbesondere Fn 62.
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MüKo/Drexl IntUnlWettbewR Rn 46; Ohly GRUR Int 2001, 899, 900. Eingehend mit Blick für die Chancen Ohly GRUR Int 2001, 899, 906 mwN insb Fn 96 und 97.
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5. Teil
Glücksspiele 300, Verteildienste oder das Urheberrecht und die gewerblichen Schutzrechte 301. In § 3 Abs 5 TMG finden sich schließlich ebenfalls weit gefasste Ausnahmen, die Einschränkungen eines Angebots aus einem Mitgliedsstaat auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts zulassen. Darunter fallen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, öffentliche Gesundheit 302 oder Interessen der Verbraucher, wobei die Durchsetzung dieser Ausnahmen wiederum an besondere Voraussetzungen nach Art 3 Abs 4 und 5 der ECRL geknüpft ist. Schließlich regelt die ECRL nur Dienste der Informationsgesellschaft (Rn 47), sodass die Ausführung von Leistungen in der Offline-Welt nicht harmonisiert ist. Dies soll dazu führen, dass auch das TMG für die Beurteilung der Offline-Lieferung von Produkten nicht einschlägig ist.303 Andererseits soll das Herkunftslandprinzip auch das Strafrecht erfassen.304 Das Recht des Herkunftslands gilt also für Telemedien, soweit sie Dienste der Informationsgesellschaft sind, abschließend nur im koordinierten Bereich, soweit nicht eine Schranke oder Ausnahme greift. Umstritten ist, wie sich das Herkunftslandprinzip auf die Prüfung von Telemedienangeboten auswirkt, insbesondere nach Rom II-VO.305 Aus den vorliegenden Entscheidungen des BGH 306 ergibt sich noch kein abgeschlossenes Bild. Der BGH prüft das Herkunftslandprinzip als Ausschluss, das Angebot von Diensteanbietern mit Niederlassungen in einem anderen EU-Staat bspw durch Werbeverbote beschränken zu können.307 Diese Prüfung erfolgt unmittelbar nach der Feststellung des anzuwendenden Rechts.308 Damit scheint der BGH einer rein kollisionsrechtlichen Lösung, die ohnehin mit Art 1 Abs 4 ECRL schwer in Einklang zu bringen wäre, nicht zuzuneigen. Das Herkunftslandsprinzip legt nicht fest, welches Recht auf ein staatsübergreifendes Angebot anzuwenden ist, sondern enthält eigene Regeln, wann sich aus dem anwendbaren Recht ergebende Beschränkungen gegen ein Angebot aus einem anderen Mitgliedsstaat nicht durchgesetzt werden dürfen. Bezogen auf Werbung im elektronischen Geschäftsverkehr ist daher zunächst das auf die angegriffene Maßnahme anwendbare Recht zu bestimmen. Ergibt sich daraus ein inländischer Marktort, ist das Eingriffs-
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BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 12, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Dazu BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln, Rn 18, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 30, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Zum wortgleichen TDG BGH vom 5.10. 2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln, Rn 16, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Nach Spindler NJW 2002, 921, 926 folgt dies aus den in Art 3 Abs 4 a) ECRL und § 3 Abs 5 Nr 1 TMG für das Strafverfahren vorgesehenen Ausnahmen (mwN). Die fehlende strafrechtliche Kompetenz der EU betreffe nicht die Harmonisierung von Straftatbeständen der Mitgliedstaaten zur Beseitigung von Binnenmarkthindernissen.
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S die Nachweise bei Ohly GRUR Int 2001, 899; Spindler NJW 2002, 921; Buchner GRUR 2005, 1004. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH vom 5.10. 2006, I ZR 7/04 – Schulden Hulp; BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln; BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 12, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 30.3.2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet, Rn 26, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 5.10.2006, I ZR 7/04 – Schulden Hulp, Rn 13; BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln, Rn 16; vgl BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 12, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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§4
Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
verbot des Herkunftslandprinzips zu prüfen. Die Wirkweise ist damit nicht kollisionsrechtlich sondern binnenmarktfunktional.309 Bei der Prüfung des Eingriffverbots sind Rückriffe auf europäische oder andere internationale Rechtsstandards möglich. Im harmonisierten Bereich kann das Herkunftslandsprinzip an den Vorgaben des inländischen Rechts dann nichts ändern, wenn diese Anforderungen über das Mindestschutzniveau einer EU-Norm nicht hinausgehen.310 Eingreifen kann das Herkunftslandsprinzip daher nur im koordinierten Bereich, soweit dieser nicht zugleich harmonisiert ist oder der inländische Gesetzgeber über die Mindestanforderungen der Harmonisierung hinausgeht. Problematisch werden Fälle sein, in denen der Mindeststandard in den Mitgliedsländern unterschiedlich ausgelegt wird. Wichtiger möglicher Anwendungsfall für das Herkunftslandsprinzip ist das Wettbewerbsrecht.311 Selbst in dem schmal verbleibenden, koordinierten Bereich wird das Herkunftslandsprinzip jedoch weiter eingeschränkt. So soll die Beschränkung von Werbung für Arzneimittel nach dem Ausnahmetatbestand von § 3 Abs S 1 Nr 3 TMG, Art 3 Abs 4a) ECRL zulässig sein, da ein entsprechendes Werbeverbot wiederum auf einer EURichtlinie beruhe und diese in ErwG 11 ECRL zum Rechtsstand gezählt wird, der das Schutzniveau für die öffentliche Gesundheit ausfüllt. Verallgemeinert zählen dann zumindest alle im ErwG 11 ECRL genannten Richtlinien zum Schutzniveau, welches jeder Mitgliedsstaat durch geeignete Gesetze über die Ausnahme des Arts 3 Abs 4a ECRL, § 3 Abs 5 TMG auch gegenüber in anderen Staaten niedergelassenen Diensteanbietern durchsetzen kann. Liegt keine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip vor und darf auch nicht auf Grund internationaler Übereinkommen darauf geschlossen werden, dass nach dem Recht des Sitzlandes des Anbieters der Eingriff begründet wäre, ist das Angebot nach dem Sitzlandrecht zu prüfen.312 Ergibt sich dabei ein (wesensgleicher) Rechtsverstoß des Angebots, hindert das Herkunftslandprinzip nicht die Aussprache der inländischen Sanktion.313 Dieses Hin und Her der Rechtsordnungen eröffnet im Detail zahlreiche Fragen.314 Daher hatte sich mancher eine Klarstellung durch die Rom II-VO als kollisionsrechtliches Regelwerk erwartet. Dort heißt es jedoch sibyllinisch, die auf der ECRL beruhenden Regelungen würden nicht eingeschränkt.315 Somit unterfällt das Werberecht bald dem Kollisionsrecht aus Rom II-VO, die Kollision der Rechte aber der E-CommerceRichtlinie.316
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Ohly GRUR Int 2001, 899, 902. Vgl BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln, Rn 18, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; MüKo/Drexl IntUnlWettbewR Rn 48, insbesondere die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) wird hier erhebliche Fragen aufwerfen. S jedoch MüKo/Drexl IntUnlWettbewR Rn 48, insb Fn 147; zum Stand der Harmonisierung s Teil 1 Kap 3 Rn 297 ff. OLG Hamburg NJW-RR 2003, 760 – Die Hunde sind los, verkürzt die Prüfung im
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Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sogleich auf die Prüfung nach ausländischem Recht. Nach anderer Auffassung soll eine Günstigkeitsprüfung stattfinden, wenn das Angebot nur am Sitzland rechtswidrig ist. S vor allem Ohly GRUR Int 2001, 899, 902 f. ErwG 35 Rom II-VO. Die eine kollisionsrechtliche Bedeutung explizit ablehnt, zu diesem anregenden Oxymoron bereits Ohly GRUR Int 2001, 899, 900: Magritte-Theorie; Buchner GRUR 2005, 1004, 1010.
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§5 Besondere Pflichten für Telemedien I. Zulassungserfordernisse/Meldepflichten 145
Wer Telemedien anbieten möchte, bedarf dafür keiner staatlichen Zulassung und hat dies auch nicht gesondert anzumelden (§ 4 TMG). Angesichts millionenfacher Telemedien wie etwa Homepages erscheint das selbstverständlich; im Gesetz wurde dies dennoch ausdrücklich erwähnt 317 und inzwischen entsprechend europaweit harmonisiert (Art 4 Abs 1 ECRL). 146 Zulassungs-, Aufsichts- und Meldeanforderungen aus anderen Vorschriften bleiben hiervon unberührt.318 Rechtsberatung bspw wird nicht dadurch unreglementiert, dass sie über ein Internetangebot erfolgt.319 Es gelten also die allgemeinen berufs-, gewerbe- und funktionsspezifischen Regelungen auch, wenn ein Dienst als Telemedium erfolgt.320 Aus der Etablierung als Telemediendienst dürfen sich jedoch keine weiteren Zulassungs- oder Anzeigeanforderungen ergeben.321 Auch Anforderungen aus dem TKG bleiben vorrangig bestehen (§ 1 Abs 3 TMG s hierzu Teil 5 Kap 2 Rn 31 ff). 147 Die Abgrenzung zu nicht-telemedienspezifischen Anforderungen fällt nicht immer leicht. So bedürfen Informations- und Kommunikationsdienste, wenn und soweit sie dem Rundfunk zuzuordnen sind, nach § 20 Abs 2 RStV der Zulassung nach Landesrecht. Nicht damit gemeint sind originäre Rundfunkangebote 322 iSd § 2 Abs 1 RStV, für die § 20 Abs 1 RStV gilt, sondern andere IuK-Dienste, also Angebote von Telemedien oder Telekommunikation, die dennoch dem Rundfunk zuzuordnen sind.323 Enthält ein Telemedienangebot solche Rundfunkbestandteile, kann der Anbieter von der zuständigen Landesmedienanstalt aufgefordert werden, eine Zulassung nach Rundfunkrecht zu beantragen oder die Rundfunkbestandteile einzustellen.324 Der Zulassungsantrag ist unverzüglich zu stellen und nicht wie früher erst innerhalb von sechs Monaten. Alternativ hat die Änderung in ein rundfunkfreies Angebot binnen drei Monaten zu erfolgen, § 20 Abs 2 S 2 RStV. Ist sich der Anbieter nicht sicher, ob sein Telemediendienst auch dem Rundfunk zuzuordnen ist, kann er ein rundfunkrechtliches Negativtesttat bei der zuständigen Landesmedienanstalt beantragen. 148 Fraglich ist allerdings, welche Angebote unter die Zulassungspflicht fallen sollen. Entscheidend ist zunächst das Verständnis vom Begriff „Rundfunk“. Die Veranstaltung eines dedizierten Vollprogramms von Internetradio oder -fernsehen wird nach Vorstellung der Länder der Zulassung bedürfen. Dies ergibt sich jedoch bereits aus der Einordnung eines solchen Angebots als Rundfunk (§ 2 Abs 1 S 1 iVm § 20 Abs 1 RStV). Nachdem Telemedien gerade nicht vorliegen, soweit IuK-Dienste unter den Rundfunk fallen (§ 1 Abs 1 TMG), ist die Norm wohl als Zweifelsregelung oder Auffangtatbestand zu verstehen. Gesichert soll die Möglichkeit werden, massenkommunikative Telemedien, die sich dem 317 318 319 320 321 322
Bereits in § 4 TDG 1997. S hierzu Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 5 TDG Rn 4 f. BT-Drucks 14/1680, 20 f. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 5 TDG Rn 4. BT-Drucks 14/1680, 20. Zur Abgrenzung zum Rundfunk s Teil 4 Kap 1 Rn 70.
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Dies ergibt sich neben dem Wortlaut insbesondere auch aus der Zuweisung des § 20 Abs 2 RStV für die Telemedien in § 1 Abs 1, 2. Halbs RStV. Dieses Zulassungserfordernis ist wegen Art 4 Abs 1 ECRL nur zulässig, soweit die ECRL für Rundfunkangebote nicht gilt (Rn 59).
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§5
Besondere Pflichten für Telemedien
Rundfunk annähern, der Rundfunkkontrolle zu unterstellen.325 Nach Auffassung der KEK soll ein Angebot von an die Allgemeinheit gerichteten, audiovisuellen, meinungsbildungsrelevanten Darbietungen ab 500 gleichzeitigen Nutzern der Zulassung bedürfen. Dieses Kriterium ist jedoch offensichtlich ungeeignet (s Rn 57). Denkbar ist die Zulassungspflicht nicht nur für Webradios oder solche Angebote, die Videobeiträge redaktionell oder automatisiert programmähnlich ablaufen lassen. Vor allem könnten auch Angebote erfasst sein, die fremde Sendungen als eigene Inhalte integrieren. Werden solche Angebote dagegen als Dienste Dritter ausgewiesen, dürfte der Dritte Anbieter bleiben und eine eigene Zulassungspflicht für das integrierende Angebot nicht entstehen. Nachdem die Länder die Fristen für nachträgliche Zulassungsanträge im Rahmen des 9. RÄStV gerade verkürzt haben, ist nicht zu erwarten, dass dieses Kontrollinstrument nur für die Schublade gedacht ist. Angesichts der kinderleichten Möglichkeiten zur Erstellung eines rundfunkähnlichen Telemedienangebots und des Fehlens eines dem Frequenzmangel im Rundfunkbereich entsprechenden Flaschenhalses 326 bei der Verbreitung im Internet ist eine Zulassungspflicht für Rundfunkbestandteile integrierende Telemedien ein unzeitgemäßer Kontrollreflex. Die zur Vermeidung einer Zulassungspflicht eröffnete Löschung von Rundfunkbestandteilen in einem Telemediendienst verhindert Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit, ohne dass Gründe ersichtlich sind, die das Zulassungsverfahren für solche Dienste rechtfertigen könnten, insbesondere bzgl der mangels Ausnahmeregelung ebenfalls erfassten Bagatellfälle. Angebote des Web 2.0 wie Vlogs oder Podcasts werden dadurch ebenso bedroht wie die Verbreitung von meinungsbildungsrelvanten Inhalten durch virale Kampagnen. Unter Berücksichtigung des Verbots besonderer Zulassungspflichten oder Anforderungen gleicher Wirkung für die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit eines Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft des Art 4 Abs 1 ECRL sollten zumindest die nicht-linearen Angebote zulassungsfrei bleiben. Insoweit ist § 20 Abs 2 RStV richtlinienkonform auszulegen.327 Jedenfalls gilt das Risiko der Zulassungspflicht für massenkommunikative Verteildienste, also Angebote, die gekennzeichnet sind durch gleichzeitige Übermittlung von meinungsbildungsrelevanten Informationen an viele Empfänger und Angebote, die inhaltlich aus Radio- oder Fernsehsendungen bestehen und bei denen das Internet lediglich einen weiteren Übertragungsweg darstellt. Sind Übertragungen von Beiträgen mit Meinungsbildungsrelevanz – vor allem durch die Merkmale der Breitenwirkung, der Aktualität und der Suggestivkraft – regelmäßige Bestandteile des Angebots, sollte die Einholung eines Negativtesttats erwogen werden.
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II. Gewährung von Zugangsfreiheit Nach § 53 RStV haben die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen, die 154 Rundfunk und vergleichbare Telemedien verbreiten, die erforderlichen Maßnahmen zur Ermöglichung eines vielfältigen Angebots und zur Sicherung der Meinungsvielfalt zu 325
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Die Begründung nennt die Verhinderung der Umgehung der rundfunkrechtlichen Bestimmungen ein Ziel, BegrRÄStV, 8. Dierking/Möller MMR 2007, 426, 428 mit dem Hinweis, dass auch der „Engpass“ gleichzeitiger Sendung und damit eines Programmablaufes entfällt.
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Dagegen spricht allerdings dass nach BVerfG vom 11.9.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06, Rn 123 „Rundfunk“ auch in neuen Inhalten, Formaten und Genres sowie neuen Verbreitungsformen geschützt sein soll, was immer dabei übrig bleibt, unter dem Begriff zu verstehen.
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ergreifen. Diesen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang haben von den Telemedien nur solche, deren Angebote mit Rundfunk vergleichbar sind. Zweck der Norm ist die Verhinderung von Machtmissbrauch von Unternehmen, die über Kabel oder sonstige Übertragungswege digitalen Rundfunk verbreiten und darüber entscheiden können, welche Programme und Angebote dem Kunden überhaupt zur Auswahl gestellt werden. Die Norm wurde mit dem 8. RÄStV 2005 eingeführt und galt als sprachlich und rechtlich missglückt. Fraglich war, welche Angebote die Verpflichtungen aus § 53 RStV betreffen.328 Mit dem 9. RÄStV wurde klargestellt, dass die Verpflichtung nur solche Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen treffen soll, die Rundfunk und vergleichbare Telemedien zugleich anbieten.329 Erst die Kombination von Telemedien und Rundfunk eröffnet demnach den Anwendungsbereich des § 53 RStV.330 Vor allem gilt die Norm nach ihrem Wortlaut nun nicht mehr für Zugangssysteme eines Telekommunikationsanbieters, solange damit keine Telemedien kombiniert werden. Anbieter von Mobilfunkdiensten fallen ebenfalls nicht unter die Norm. Die Vorschrift zielt ab auf die technische Übergabestelle bei der Verbreitung von Rundfunk an den Benutzer über Navigatoren durch diejenigen Unternehmen, die Übertragungsdienste in Rundfunknetzen anbieten. Nicht gemeint sind demnach die Anbieter von Telemedien selbst.331 Allerdings werden Systeme erfasst, die die Auswahl von Fernsehprogrammen steuern und die als übergeordnete Benutzeroberflächen für alle über das System angebotenen Dienste verwendet werden (§ 53 Abs 1 S 2 Nr 3 RStV).332 Portalseiten im Internet, die rundfunkähnliche Angebote nachweisen oder die Suche nach diesen ermöglichen, sollen jedoch nicht zu diesen Systemen gehören. Gemeint sind die früheren Basisnavigationssysteme, bspw Menüsteuerungen im die Übertragungsseite abschließenden Empfangsgerät. Das Diskriminierungsverbot kann aber Provider treffen, die proprietäre Zugangssysteme anbieten, die neben dem Zugang zum WWW auch dem Rundfunk vergleichbare Angebote des Internetfernsehens (bspw IP-TV, Webcast) enthalten. Entscheidend ist hier die Trennung der Telekommunikationsdienstleistung vom Telemediendienst. Die Verpflichtungen treffen ausschließlich den Anbieter des Übertragungsweges. Lediglich die Telekommunikationsplattform ist daher diskriminierungsfrei zu gestalten. Das Internet selbst ist dagegen immer diskriminierungsfrei. Problematisch erscheint aber bspw die Unterdrückung anderer Anbieter vom Internetfernsehen durch entsprechende Einstellungen des Routers oder Eintragungen im Domain Name System sowie der automatische Aufruf einer Zugangsseite beim Anschluss von Geräten, die einen Zugriff auf andere Angebote sperrt. Ob dabei die Bereitstellung eines Internetbrowsers neben einer zugangsbeschränkten Einstiegsmaske ausreicht, um die Anforderungen des § 53 RStV zu erfül328
In der Begründung zum 8. RÄStV auf S 9 heißt es dazu: „Verpflichtet werden die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen, sofern sie Rundfunk oder vergleichbare Telemedien verbreiten“, gefolgt von einem Verweis auf § 3 TKG. Allerdings heißt es sodann „Der Kontrolle unterliegen alle Unternehmen, die Rundfunk oder vergleichbare Telemedien über ein eigenes Netz oder über angemietete Kapazitäten an den Kunden weitergeben oder von einem Infrastrukturunternehmen zur Vermarktung einsetzen (S 1).“
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Zuvor traf die Pflicht Anbieter von TK-Leistungen, die Rundfunk oder vergleichbare Telemedien verbreiten. Begr 9. RÄStV, 14. IuK-Dienste, die in Telekommunikationsdiensten nach § 3 Nr 24 TKG bestehen, sind schon begrifflich keine Telemedien (§ 1 Abs 1 S 1 TMG). Vgl auch § 1 Abs 3 der Satzung über die Zugangsfreiheit zu digitalen Diensten gem § 53 Abs 6 RStV vom 13.12.2005 (DLM).
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§5
Besondere Pflichten für Telemedien
len, ist unklar. Die Norm zeigt, wie wenig Sinn Konzepte der Rundfunkregulierung für Internetsachverhalte machen.
III. Informationspflichten bei Telemedien Die Fülle der Informationspflichten insbesondere bei Geschäften mit Verbrauchern 159 über Telemedien dürfte inzwischen nicht nur Anbieter, sondern auch Kunden überfordern.333 Damit erscheint inzwischen fraglich, ob die Informationspflichten noch ihren Zweck erfüllen. Viele Pflichtangaben ergeben sich aus spezialgesetzlichen Vorschriften. Daneben hat der Anbieter ein eigenes Interesse daran, dem Nutzer bspw vor Vertragsschluss bestimmte Informationen mitzuteilen. Zu denken ist an Hinweise zur Nutzung des Angebots, Warnhinweise, Bedienungsanleitungen, die Einschränkung von Nutzungsrechten an den Inhalten einer Internetseite oder die Einbeziehung verbindlicher Regelungen 334 für die Nutzung des Telemediendienstes. 1. Zweck von Informationspflichten Für Anbieter von Telemedien ergeben sich aus unterschiedlichen Quellen Pflichten, 160 den Nutzer über sich, sein Angebot und die hierfür geltenden Regelungen zu informieren. Einen Ursprung haben diese Pflichten auch im modernen Leitbild des Verbraucherschutzes (Teil 3 Kap 1 Rn 237). Neben dem klassischen Schutz des Verbrauchers soll durch vollständige und zutreffende Information sichergestellt werden, dass sachlicher Wettbewerb zwischen den Anbietern entsteht und unseriöse Telemedien geringere Erfolgschancen haben.335 Der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher soll durch ein möglichst objektives Informationsangebot zu Entscheidungen in die Lage versetzt werden, die einen unverzerrten Wettbewerb ermöglichen und dadurch gerade dem Verbraucher größtmögliche Vorteile aus dem europäischen Binnenmarkt verschaffen.336 Dieser Schutz des unverfälschten Wettbewerbs steht nach § 1 S 2 UWG im Allgemeininteresse. Zutreffende sachliche Angaben sollen im Ergebnis also Schutz des freien Wettbewerbs an sich darstellen.337 Im Interesse der Verbraucher fordert die Rechtsprechung daher eine Transparenz des Angebots.338 Die Pflichtangabe einer ladungsfähigen Adresse dient aber nicht nur Kunden bei der 161 Durchsetzung etwaiger Ansprüche,339 sondern ermöglicht außerdem die Disziplinierung durch Mitbewerber. 333
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Zu den noch verschärften Schwierigkeiten bei der Verwendung mobiler Endgeräte siehe auch Rauke MMR 2002, 509. Zur Einbeziehung von AGB durchs Links BGH vom 14.6.2006, I ZR 75/03, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Piper/Ohly/Piper § 2 UWG Rn 92 ff; Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 1 UWG Rn 18 ff. Vgl Richtlinie 97/55/EG, ErwG 7 sowie die Erwägungsgründe der Irreführungs-Richtlinie 84/450/EWG, s auch ErwG 29 ECRL zu Transparenzerfordernissen. Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 1 UWG Rn 38 mwN.
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BGH vom 13.6.2002, I ZR 173/01 – Kopplungsangebot I, 11, abrufbar unter bundesgerichtshof.de unter Bezugnahme von § 7 Nr 3 TDG (2001) = § 6 Abs 1 Nr 3 TMG. OLG Hamburg MMR 2003, 105 – Backstage (mit Anm. Klute) nimmt an, durch fehlende Identifizierbarkeit verschaffe sich der Anbieter im konkreten Fall den unsachlichen Vorteil, nicht so gut zivil- wie strafrechtlich in Anspruch genommen werden zu können und sei dadurch vielleicht in der Lage, günstiger anzubieten.
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5. Teil
Mit der Pflicht, jeder möge sich im Internet identifizieren, werden jedoch überwachungsfreie Räume verhindert. Diesbezügliche Gesetze werden leichtfertig erlassen, weil jedes Entstehen von Daten unter dem Aspekt der Kontrollierbarkeit immer als Vorteil erscheint und der mit der konkreten Maßnahme verbundene Verlust an Freiheit und Selbstbestimmung nicht als wesentlich empfunden wird.340 Kaum Berücksichtigung findet der Aspekt, dass jede Art von Pflichtangabe zugleich zu allgemein zugänglichen elektronischen Informationen über den Anbieter führt, die für den Betroffenen kaum mehr beherrschbar sind. Dies widerspricht dem informationellen Selbstbestimmungsrecht, insbesondere den Grundsätzen der Datenvermeidung und der Datensparsamkeit.341 2. Anbieterkennzeichnung und Impressum
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a) Frühere Regelung. Seit 1997 besteht für die Anbieter von Telemedien die Verpflichtung, Angaben zur eigenen Identität und zur Kontaktaufnahme im Internet preiszugeben, § 6 TDG 1997 und § 6 MDStV. In der Folge können heute die wichtigsten Unternehmensangaben zu zahllosen Firmen, Gewerbetreibenden oder Freiberuflern mit hoher Zuverlässigkeit der jeweiligen Anbieterkennzeichnung im Internet entnommen werden, ohne auf die offiziellen Unternehmensregister oder Wirtschaftsauskunftsdienste zurückgreifen zu müssen. Die Umsetzung dieser Anbieterkennzeichnung erfolgte zunächst zaghaft und oft fehlerhaft; erst mehrere, mitunter finanziell motivierte Abmahnwellen verschafften den Normen flächendeckende Geltung.342 Nachdem der Anwendungsbereich der Vorschriften zur Anbieterinformation sehr 164 weit verstanden wurde, sahen sich auch viele nichtgewerbliche und private Homepagebetreiber veranlasst, ein „Impressum“ zu führen und ein gültiges und regelmäßig abgerufenes Postfach für elektronische Nachrichten preiszugeben. Webseiten wurden anschließend systematisch als Quelle für E-Mail-Adressen zur Zusendung unverlangter elektronischer Werbung oder von Späh-Angriffsprogrammen missbraucht, so dass die Vorschrift illegalen Datensammlern und Spam-Versendern Vorschub leistete.343 Nachdem die bei Schaffung des IuKDG nachvollziehbaren Gründe der Stärkung des Vertrauens der Nutzer in das neue Medium entfallen sind und insbesondere für den Bereich des E-Commerce spezielle Regelungen für die Identifikation des Anbieters bestehen, erscheint es gut vertretbar, die anlassunabhängige Zwangspreisgabe von personenbezogenen Daten in TMG und RStV als verfassungswidrig anzusehen.
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b) Grundlagen der Anbieterinformationen nach TMG und RStV. Ein Ziel der Novelle war es, den Adressatenkreis der Pflicht zur Anbieterinformation etwas enger zu stecken.344 Zugleich wurde der Dualismus von TDG und MDStV durch parallele Rege340
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Das Phänomen ist aktuell wieder bei Entstehung und Umsetzung der Vorratsspeicherungs-Richtlinie 2006/24/EG zu beobachten. Siehe dazu Rn 33. S § 3a BDSG, vgl auch Art 6 Abs 1b), c), e), Art 7b) bis f) Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG; Teil 7 Kap 1 Rn 3. Zu den Umsetzungsproblemen der Anbieterkennzeichnung sowie den damit verbundenen Abmahnwellen s Brunst MMR 2004, 8 u insb Fn 74, und vor allem Stickelbrock GRUR 2004, 111; bzgl fehlerhafter Widerrufsbelehrungen LG Heilbronn MMR 2007, 536 f – Abmahnanwalt. Welche Winkelzüge
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Anwälte hierbei zuweilen unternehmen, zeigt etwa der Sachverhalt des OLG Düsseldorf vom 24.5.2005, I-20 U 25/05, abrufbar unter www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/ duesseldorf/j2005/I_20_U_25_05urteil2005 0524.html zu § 4 Abs 2 JMStV. S hierzu Ott JurPC Web-Dok 78/2005 Abs 2 ff. Hilflos erscheint das Bemühen des Gesetzgebers, diese durch Pflichtangaben genährte, rechtswidrige Praxis wiederum durch Pflichtangaben eindämmen zu wollen. BT-Drucks 16/3078, 14; krit zum Erfolg Ott MMR 2007, 354.
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Besondere Pflichten für Telemedien
lungen einerseits des TMG andererseits des RStV ersetzt, die unterschiedliche Pflichten vorsehen. Aus § 5 Abs 2 TMG ergibt sich, dass der Anbieter unabhängig davon, ob und welche Informationspflichten nach TMG bestehen, zusätzlich entsprechende Pflichten nach RStV zu prüfen hat, § 55 Abs 2 RStV wiederum verweist auf die unberührt bleibenden Pflichten des TMG. Für das TMG bestimmt § 5 Abs 1 positiv, dass eine Anbieterkennzeichnung nur „für 166 geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien“ verlangt wird. Negativ hingegen begrenzt § 55 Abs 1 RStV die Angabepflicht auf „Telemedien, die nicht ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen.“ Dies ist nicht deckungsgleich. Inhaltlich hängt von der Unterscheidung die nicht ganz unwesentliche Frage ab, ob der private Homepagebetreiber neben Namen und Adresse auch noch seine Telefonnummer und E-Mailadresse zur weltweiten Auswertung durch Spam-Versender und Datensammler preiszugeben hat.345 Es ergeben sich hinsichtlich der Identifikationspflicht nunmehr fünf Kategorien von 167 Telemediendiensten: Dienst
Anbieterinformationspflichten
Nicht geschäftsmäßige Telemedien, die ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen
Keine Informationspflichten, §§ 5 Abs 1 TMG, 55 Abs 1 RStV
Telemedien, die nicht nur ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen
Vereinfachte Informationspflichten, § 55 Abs 1 RStV: – Namen und – Anschrift – Zusätzlich bei juristischen Personen auch Namen und Anschrift des Vertretungsberechtigten.
Geschäftsmäßige Telemedien
Anbieterkennzeichnung nach § 5 Abs 1 TMG: 1. Name und Anschrift, der Niederlassung, bei juristischen Personen zusätzlich Rechtsform, Vertretungsberechtigten und, sofern Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht werden, das Stamm- oder Grundkapital sowie, wenn nicht alle in Geld zu leistenden Einlagen eingezahlt sind, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen, 2. Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation mit ihnen ermöglichen, einschließlich der Adresse der elektronischen Post, 3. Aufsichtsbehörde bei zulassungspflichtigen Tätigkeiten, 4. Registerinformationen (Name des Registers, Nummer), 5. Zusatzangaben bei reglementierten Berufen (Kammer, Berufsbezeichnung und der diesen verleihende Staat, Nennung und Zugang zu den berufsrechtlichen Regelungen) 6. Ggf. die Umsatzsteueridentifikationsnummer, 7. Ggf. Abwicklung oder Liquidation bei bestimmten juristischen Personen
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Dieses Problem erkennt auch Ott JurPC Web-Dok 78/2005 allerdings ohne daraus Konsequenzen zu ziehen, s Ott MMR 2007, 354, 359. Die „Selbstaufgabe der Privatheit“
geschieht also nicht immer so freiwillig wie Hohmann-Dennhardt NJW 2006, 545, 548 annimmt.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
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5. Teil
Dienst
Anbieterinformationspflichten
Journalistisch-redaktionelle Telemedien
Zusätzlich: Journalistische Pflichtangaben, § 55 Abs 2 RStV: – Namen und Anschrift eines Verantwortlichen – Bei mehreren Verantwortlichen: Zuweisung des verantworteten Teils
Telemedien mit kommerzieller Kommunikation
Zusätzlich: Besondere Informationspflichten nach § 6 TMG
Die Merkmale der einzelnen Kategorien sind noch nicht vollständig geklärt. Hier kann nur auf besonders neuralgische Punkte eingegangen werden. Die besonderen Informationspflichten des § 6 TMG werden unter Rn 189 besprochen.
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c) Anbieter. Zur eigenen Identifizierung soll nach TMG der Diensteanbieter verpflichtet sein (§ 5 Abs 1) und nach RStV der Anbieter von Telemedien (§ 55 Abs 1). Der Begriff des Diensteanbieters wird im TMG zwar definiert (§ 2 Nr 1 TMG). Wie bereits gezeigt (Rn 67 ff), ist jedoch eine einzelnormspezifische Bestimmung des Anbieterbegriffs erforderlich, da insbesondere die Vermittler fremder Informationen regelmäßig technisch nicht in der Lage und auch nicht berechtigt sein werden, den fremden Inhalten eigene Informationen beizumengen. Auch erste Gerichtsentscheidungen stützen die Annahme, die Informationspflichten 170 seien nur bei originärer Diensteanbietereigenschaft durch kommunikationsbezogene Eigenständigkeit erforderlich.346 Verpflichtet ist also nur der Anbieter, der gegenüber dem Nutzer als unmittelbare Ansprechpartner für den Inhalt der Kommunikation auftritt. Der Normzweck der Anbieterinformation besteht darin, dem Nutzer solche Informationen zur Verfügung zu stellen, die dieser für seine Entscheidung die konkret angebotenen Inhalte zu nutzen oder dagegen Beanstandungen vorzubringen, benötigt. Allerdings gilt dies im Zweifel für jeden konkreten Kommunikationszusammenhang. Besteht ein Angebot aus Telemediendiensten verschiedener Anbieter, ist daher zu jedem einzelnen Dienst entsprechend zu informieren. Ein „Sammelimpressum“, welches nicht erkennbar werden lässt, welcher Teil von wem angeboten wird, genügt den Anforderungen an die Darstellung der Informationen (Rn 180 ff) nicht.
171
d) Persönliche oder familiäre Zwecke (§ 55 Abs 1 RStV). Das Kriterium der ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecke als Anknüpfungspunkt entfallender Anbieterinformationspflicht nach § 55 Abs 1 RStV lässt unterschiedliche Auslegungen zu. Nach der Begründung soll lediglich die Kommunikation im privaten Bereich ohne Nennung des Namens und der Anschrift erfolgen können.347 Als Beispiele werden die Einstellung von Meinungsäußerungen in Foren oder die Veräußerung von Waren über Plattformen Dritter angeführt. Privater Homepages sind dagegen in der Begründung nicht erwähnt, obwohl dies nahegelegen hätte.348 Freigestellt sein soll jedoch der „private wirtschaftliche Geschäftsverkehr“.349 Nachdem Internetseiten schlechthin öffentlich zugänglich sind, wird vertreten, dass 172 Websites nur dann von der Anbieterinformation des RStV freigestellt sind, wenn auf Grund ihres Inhalts oder durch technische Vorkehrungen ausgeschlossen erscheint, dass das Angebot zumindest auch an die Allgemeinheit gerichtet ist.350 Dies berücksichtigt 346 347 348
OLG Frankfurt CR 2007, 545. Begr 9. RÄStV, 17. S auch Ott MMR 2007, 354, 356.
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Begr 9. RÄStV, 17. Ott MMR 2007, 354, 356.
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jedoch nicht, dass die Pflicht zur Angabe der eigenen Identität im Internet in Verbindung mit einem Telemediendienst zu weltweit recherchierbaren und über Dienste wie archive.org zu zeitlich unbegrenzt gespeicherten personenbezogenen Informationen außerhalb der Einflusssphäre des Betroffenen führt. Eine Rechtfertigung für diesen erheblichen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht gibt es bzgl privater Anbieter nur in dem diffusen Reflex, jede Information einer Person zuordnen können zu wollen.351 Gerade durch Nichtangabe seiner Identität kann der Anbieter in einem frei zugänglichen öffentlichen IuK-Dienst einen von öffentlicher Kontrolle und Beobachtung freien Rückzugsbereich seiner Privatsphäre erhalten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Anbieterkennzeichnung nach der Begründung zum IuKDG ursprünglich der Identifizierung des möglichen Vertragspartners zu dienen bestimmt war.352 Dieser Zweck ist mit Schaffung der vorvertraglichen Informationspflichten entfallen (Rn 202). Telemedien sind daher der Privatsphäre eines Anbieters dann zuzurechnen, wenn sie 173 dessen persönlicher oder familiärer Lebensgestaltung zugeordnet werden können und keiner Wirtschaftstätigkeit dienen.353 e) Geschäftsmäßigkeit (§ 5 Abs 1 TMG). Die Geschäftsmäßigkeit eines Telemediums 174 entscheidet über die Pflicht zur Anbieterkennzeichnung nach § 5 Abs 1 TMG. Die wohl hM nahm bisher Geschäftsmäßigkeit in Anlehnung an § 3 Nr 10 TKG bei jedem nachhaltigen Angebot an, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht.354 Übersehen wird dabei, dass nachhaltige Angebote von Telekommunikation für Dritte iS von § 3 Nr 10 TKG deswegen zu Recht als geschäftsmäßig eingeordnet werden, weil Telekommunikationsanbieter im rein privaten Bereich schlechthin kaum denkbar sind. Das Geschäftsmäßige folgt also aus der Besonderheit der Telekommunikationsleistung und der Erbringung gerade für Dritte. Die Erbringung solcher Dienste ist nicht vergleichbar mit dem Erstellen einer Homepage. Internetauftritten von Privatpersonen einen geschäftsmäßigen Hintergrund zu unterstellen, nur weil ein solcher Auftritt „nachhaltig“ ist, erscheint wenig überzeugend. Dem dürfte durch die Novelle endlich der Boden entzogen sein. Ausdrücklich wurde in den Gesetzestext aufgenommen, dass geschäftsmäßig iSd § 5 Abs 1 TMG nur solche Telemedien sind, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Diese Klarstellung stammt aus der Definition der Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne der ECRL (s oben Rn 48). Der Gesetzgeber möchte so Informationspflichten über die Vorgaben der ECRL hinaus vermeiden. Die Begründung stellt klar, dass damit eine Wirtschaftstätigkeit zumindest im Hintergrund bestehen muss.355 Damit unterliegen Telemedien, die ohne den Hintergrund einer Wirtschaftstätigkeit 175 bereitgehalten werden, keinen Anbieterkennzeichnungspflichten nach TMG. Freigestellt 351
Im privaten Bereich besteht kein hinreichender Grund, immer wissen zu müssen, von wem ein Informationsangebot stammt: Bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen durch private Telemedien wird regelmäßig das Instrumentarium der Strafverfolgung zur Identitätsfeststellung ausreichen (s Teil 7 Kap 3 Rn 313). Verletzer, deren Identität auf diesem Wege nicht festgestellt werden kann, werden sich kaum durch Vorschriften des RStV zur Aufgabe der Anonymität bewegen lassen. Betroffen sind durch Informationspflichten also fast ausschließlich rechtstreue
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Anbieter an deren Identifizierung es gerade kein rechtliches Interesse gibt. BT-Drucks 13/7385, 21. Vgl BT-Drucks 16/3078, 14; Begr 9. RÄStV, 17. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 6 TDG Rn 7 mit zahllosen weiteren Nachweisen; Stickelbrock GRUR 2004, 111, 112; Woitke NJW 2003, 871, 872; Ott MMR 2007, 354, 355; wohl auch Brunst MMR 2004, 8, 9 f mwN. BT-Drucks 16/3078, 14.
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sind insbesondere rein private Homepages sowie Informationsseiten von Idealvereinen, die keine sonst nur gegen Entgelt verfügbaren Angebote enthalten.356 Für die Einordnung einer Homepage als Handeln „im geschäftlichen Verkehr“ stellt der BGH auf die erkennbar nach außen tretende Zielrichtung des Handelnden ab: „Dient das Verhalten nicht der Förderung der eigenen oder einer fremden erwerbswirtschaftlichen oder sonstigen beruflichen Tätigkeit, scheidet ein Handeln im geschäftlichen Verkehr aus.“ 357 Zwar erscheint es möglich, auch außerhalb des geschäftlichen Verkehrs geschäftsmäßig zu handeln, dies wird aber nur ausnahmsweise der Fall sein. Vor allem kann nicht aus der Verwendung von Technologien auf Geschäftsmäßigkeit geschlossen werden, wenn diese Privaten wie Unternehmen in gleicher Weise zur Verfügung stehen. Ob ein Dienst in der Regel gegen Entgelt angeboten wird, hängt zunächst davon, was 176 unter „Dienst“ verstanden wird. Ist die abstrakte Form des gesamten Angebots (zB Informationsportal) maßgebend, dann ist das anders zu beurteilen als für einen konkreten Bestandteil (zB Teilnehmerliste). Dieser unbestimmte Bestandteil der Norm sollte verfassungsgemäß eng ausgelegt werden.358 Welche Angebote zu einem bestimmten Zeitpunkt „in der Regel“ gegen Entgelt er177 bracht werden, dürfte selbst für Experten schwer zu beurteilen sein.359 Lizenzfreie Musik, Audiodienste, Wissensdatenbanken, Suchmaschinen sowie zahlreiche Informationsund Medienportale aller Art gibt es vergütungsfrei und in kommerziellen Varianten. Selbst Links werden umsonst oder gegen Vergütung (Sponsored Links) angeboten. Das Kriterium der regelmäßigen Entgeltlichkeit soll nach der Begründung gerade dazu dienen, Informationspflichten nur noch in dem Umfang verbindlich vorzuschreiben, wie dies von der ECRL vorgesehen war.360 Die vom Gesetz geforderte entgeltbezogene Geschäftsmäßigkeit liegt daher nur dann vor, wenn eine tatsächliche Wirtschaftstätigkeit auf unbestimmte Zeit durch den Diensteanbieter nachweisbar ist.361 Nicht entscheidend ist dabei, ob die Vergütung für das Angebot vom Nutzer oder von Dritten gezahlt wird, bspw bei werbefinanzierten Seiten.362 Allerdings bedeutet nicht jeder Werbelink auf einer privaten Homepage eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit. Entgegen der wohl bisher hM 363 ist eine private Homepage nicht deswegen einem „Geschäft“ vergleichbar, weil der Anbieter sich das Hosting der Seite oder die Registrierungsgebühr der Domain durch Werbebanner subventionieren lässt. Nach der hier vertretenen Auffassung bedarf die Verpflichtung zur Offenbarung eines Personenbezugs zu privaten Daten einer Homepage einer deutlich stärkeren Berechtigung als allgemeines Wissenwollen.
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f) Juristische Personen. Den „klassischen“ juristischen Personen wird die Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen, gleichgestellt (§ 2 S 2 TMG). Für die teilrechtsfähigen Personengesellschaften und insbesondere für die GbR wird daher eine Verpflichtung zur Angabe der
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BT-Drucks 16/3078, 14; OLG Hamburg vom 3.4.2007, 3 W 64/07 MIR-Dok 04/2008, 2. BGH vom 22.11.2001, I ZR 138/99 – Shell.de, S 11 abrufbar unter bundesgerichtshof.de Wenig überzeugend soll diesem Merkmal nach Ansicht von OLG Hamburg vom 3.4.2007, 3 W 64/07 MIR-Dok 04/2008, 2 keine eigene Bedeutung zukommen. S etwa auch die Beispiele bei Ott MMR 2007, 354, 355.
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BT-Drucks 16/3078, 14. So Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 4 TDG Rn 12 zur Geschäftsmäßigkeit iSd § 4 Abs 2 TDG mit überzeugenden Gründen und weiteren Nachweisen. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 4 TDG Rn 12; Ott MMR 2007, 354, 355. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 4 TDG Rn 12.
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§5
Besondere Pflichten für Telemedien
Rechtsform sowie eines Vertretungsberechtigten nach TMG erforderlich sein.364 Der RStV enthält keine solche Gleichstellung, obwohl Personengesellschaften in den §§ 21, 22 und 24 RStV ausdrücklich erwähnt werden. Die Verweise in RStV und TMG auf die Anwendung der jeweils anderen Norm helfen nicht unmittelbar weiter. Nach § 60 Abs 1 RStV gilt das TMG nur „im Übrigen“, also gerade nicht bzgl der Regelungen im RStV und § 1 Abs 4 TMG verweist nur auf sich aus dem RStV ergebende besondere Anforderungen an die Inhalte, womit eine Fernwirkung der Begriffsbestimmungen des § 2 TMG nicht verbunden sein kann, da sich die dadurch bedingten Anforderungen eben nicht mehr aus dem RStV ergeben. Die Relevanz dieses Formulierungsmissgeschickes ist gering, da die meisten teilrechtsfähigen Personengesellschaften geschäftsmäßig auftreten werden und dann den weiteren Pflichten des TMG unterliegen. Ohnehin wird die Empfehlung lauten, im Zweifel bis zur höchstrichterlichen Klärung der offenen Fragen, alle denkbaren Informationspflichten zu erfüllen. g) Journalistisch-redaktionelle Telemedien. Eine Besonderheit für die Pflicht zur Be- 179 nennung eines Verantwortlichen besteht bei solchen massenkommunikativen Telemedien, die auch andere, nicht journalistisch-redaktionell gestaltete Bereiche enthalten oder bei denen mehrere Personen die Inhalte verantworten. In beiden Fällen ist eine entsprechende Beschränkung des Verantwortungsbereichs möglich. Die Zuordnung hat jedoch der vom Gesetz geforderten Klarheit zu genügen (s Rn 180). h) Anforderungen an die Wiedergabe der Informationen. Die Pflichtinformationen 180 der §§ 5 Abs 1 TMG sowie 55 Abs 1 und 2 RStV sind leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten.365 Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung „Anbieterkennzeichnung im Internet“ diese Anforderungen präzisiert.366 Demnach ist die Anbieterinformation leicht erkennbar, wenn der Nutzer klar und un- 181 missverständlich darauf hingewiesen wird, mit wem er in geschäftlichen Kontakt tritt.367 Nicht erforderlich ist es hierzu, dass die Informationen unmittelbar auf der Startseite dargestellt werden. Ausreichend ist das Anbieten eines Links auf eine Unterseite, die die erforderlichen Informationen enthält, sofern der Link selbst für den Nutzer auf der Suche nach den Anbieterinformationen leicht zu finden ist und insbesondere über einen aussagekräftigen Linktext beschrieben wird. Begriffe wie „Kontakt“ oder „Impressum“ sind auf Grund allgemeiner Übung im Internet zulässig.368 Werden dagegen auf derselben Ebene verschiedene Links angeboten, unter denen der Nutzer die Pflichtangaben vermuten kann, so kann dies der leichten Erkennbarkeit oder der Klarheit entgegenstehen.369
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So bereits zum TDG Brunst MMR 2004, 8, 10; Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 3 TDG Rn 4. S hierzu die Beispiele und Nachweise bei Woitke NJW 2003, 871; Brunst MMR 2004, 8; Stickelbrock GRUR 2004, 111, Hoeren Internetrecht Rn 359 jedoch die Entscheidung des BGH noch nicht berücksichtigend; sowie OLG München MMR 2004, 321 (mit Anm Ott); OLG Hamburg MMR 2003, 105 – Backstage (mit Anm. Klute). BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 15 ff, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Die Entscheidung erging zwar zu TDG und
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MDStV, ist aber auf die insoweit wortgleichen Bestimmungen des TMG bzw RStV übertragbar. BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 19 ff, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 20, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; im Gegensatz zu „Backstage“ nach Ansicht OLG Hamburg MMR 2003, 105 f – Backstage (mit Anm Klute). OLG München MMR 2004, 321, 322 (mit Anm Ott); letztlich offen gelassen von BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieter-
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Besondere Sorgfalt ist auf die Klarheit der Darstellung zu verwenden, wenn ähnliche Angaben an verschiedenen Stellen bspw eines Internetangebotes dargeboten werden. So werden oft neben einem „Impressum“ noch Kommunikationsdetails für den Kundenservice unter „Kontakt“ mitgeteilt, unter einem Link „über uns“ findet sich eine Beschreibung des Anbieterunternehmens, an anderer Stelle wird eine Adresse zur Erfüllung der Informationspflichten nach Fernabsatzrecht angegeben und schließlich findet der Nutzer weitere Kontaktangaben in der Widerrufsbelehrung 370. Die Trennung des Anbieters vom redaktionell-journalistischen Verantwortlichen gelingt oft nicht oder weitere Mitwirkende an der Erstellung des Angebots werden genannt, ohne deren Rolle zu bestimmen. Es ist daher wichtig, das gesamte Telemedienangebot, insbesondere die Navigationselemente, darauf zu prüfen, ob der Nutzer schnell und einfach widerspruchsfreie Angaben zu den gesetzlich vorgesehenen Aspekten erhält. Die Kennzeichnung der verschiedenen Rollen sollte sich möglichst am Gesetzeswortlaut orientieren, also bspw einen „Anbieter dieses Telemediums“ sowie gegebenenfalls einen „Verantwortlichen für journalistisch-redaktionelle Inhalte“ benennen. Auch dies ist nicht unproblematisch, da solche Bezeichnungen – gleiches gilt bei Paragraphenangaben – dem raschen Wandel der gesetzlichen Grundlage nachfolgen müssen 371 und nach ständiger AGB-Rechtsprechung die Verwendung gesetzlicher Termini kein Garant für Transparenz ist. Unmittelbare Erreichbarkeit ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht technisch im Sinne des Zugangs ohne jeden Zwischenschritt zu verstehen 372, sondern ist dann erfüllt, wenn der Nutzer die Pflichtinformationen ohne „wesentliche Zwischenschritte“ bzw ohne „langes Suchen“ erreichen kann. Auch eine erst nach Verfolgen zweier Verweise zugängliche Informationsseite kann daher unmittelbar erreichbar im Sinne der Vorschriften sein.373 Ständig verfügbar sind die Pflichtinformationen dann, wenn der Zugang zu den Angaben für den Nutzer jederzeit und ohne Beschränkungen gewährleistet ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Pflichtangaben erst nach einem Log-In des Nutzers abrufbar sind. Diskutiert wird sogar die Erforderlichkeit, auf jeder Unterseite einen Link zur Anbieterkennzeichnung anzubieten,374 oder die Druckbarkeit sicherzustellen.375 Dies erscheint heute nicht mehr haltbar. Wie sich aus diesen Beispielen ergibt, neigen Literatur und Gerichte zu übertrieben hohen Anforderungen an die Anbieterkennzeichnung. Kriterien wie „leichte Erkennbarkeit“ oder „Klarheit“ enthalten eine subjektive Komponente, deren Erfüllung vor allem
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kennzeichnung im Internet, Rn 22, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Hier soll die Angabe einer Telefonnummer wiederum wettbewerbswidrig sein (OLG Frankfurt 6 U 158/03) allerdings nicht, wenn dem Besteller klargemacht wird, dass die Rücksendung auch ohne telefonische Kontaktuafnahme möglich ist (KG vom 7.9. 2007, 5 W 266/07, abrufbar unter www. kammergericht.de/entscheidungen/ 5_W_266-07.pdf). So erscheinen heute viele Anbieterkennzeichnungen irreführend, da auf aufgehobene Normen des TDG oder des MDStV verwiesen wird.
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Die bis dahin vorherrschende Ansicht in der Literatur ging davon aus, dass von der Homepage ein unmittelbarer Link zum Impressum führen müsse („one click away“) und von allen anderen Seiten aus zwei Links zulässig sein („two clicks away“), s Brunst MMR 2004, 8, 11; Spindler/Schmitz/Geis/ Spindler § 6 TDG Rn 18 mwN. BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 22 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 6 TDG Rn 18 aE. Brunst MMR 2004, 8, 12.
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§5
Besondere Pflichten für Telemedien
davon abhängt welche Fähigkeiten und welche Vertrautheit den Nutzern im Umgang mit dem Internet zugebilligt werden.376 Die Einschätzungen aus den Anfangsjahren des Mediums erscheinen nicht mehr zeitgemäß. Die Bedienung von Links oder Navigationselementen, das Scrollen 377 durch eine Seite oder das Aufrufen der Startseite durch Eingabe des Domainnamens sollten unter Berücksichtigung des gewandelten Verbraucherleitbildes 378 vorausgesetzt werden dürfen.379 Die Möglichkeit Internetseiten über die Browserfunktion auszudrucken oder als Bildschirmfoto zu sichern ist in den Programmen durch Hilfetexte dokumentiert, sodass entsprechende Kenntnisse zumindest beim verständigen Nutzer einer Seite, der sich für Anbieterkennzeichnungen, Vertragsinformationen oder Bestellvorgänge interessiert, vorausgesetzt werden können. Websites nach einem allgemein Muster aufbauen zu lassen oder stets alle Beteiligten an einer Kommunikation identifizieren zu können, mag einem gewissen Grundbedürfnis nach Ordnung und Gleichförmigkeit entgegenkommen, widerspricht aber grundrechtlich geschützten Prinzipien wie Freiheit bei der Gestaltung der eigenen Darstellung oder der informationellen Selbstbestimmung. Die Auslegung der unbestimmten Begriffe des TMG sollte daher berücksichtigen, dass ein anerkennenswertes Bedürfnis für eine ladungsfähige Anbieteridentifikation nur in Ausnahmefällen bestehen kann und eine Standardstruktur für alle Internetseiten die Möglichkeiten des Mediums einschränkt, ohne entsprechende Vorteile zu verschaffen. Tatsächlich ist kein Rechtsgut bedroht, wenn ein Nutzer mehrmals klicken muss, um die Anbieterinformationen zu finden. Gestaltungen sollten daher erst dann als unzulässig beurteilt werden, wenn durchschnittlich mit dem Internet vertrauten Nutzern der Zielgruppe das Auffinden und Erkennen der Anbieterinformationen nicht unwesentlich erschwert wird. Regelmäßig vernachlässigt wird der Aspekt der Barrierefreiheit bei der Umsetzung 187 der Anbieterinformationen.380 Hierbei ist allerdings fraglich, ob die bisher nur für die öffentliche Hand verbindlichen Regeln auch heranzuziehen sind, um an die Allgemeinheit gerichtete privatwirtschaftliche Websites auf ordnungsgemäße Darstellung der Anbieterinformationen zu prüfen. Ott weist zurecht darauf hin, dass technisch kein Grund besteht, gegenüber Teilen der Bevölkerung Hürden zu den Anbieterinformationen zu errichten, sodass eine Diskriminierung des Zugangs zu diesen Informationen im Nutzerinteresse nicht zulässig sein dürfte.381 Insbesondere für E-Commerce-Angebote wird sich dies auch aus § 19 Abs 1 Nr 1 AGG ergeben können. i) Anbieterinformationen nach anderen Vorschriften. Pflichtangaben zur eigenen Iden- 188 tität aus anderen Vorschriften bleiben neben der Anbieterkennzeichnungs- oder Impres376
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So wird entgegen OLG Hamburg MMR 2003, 105 f – Backstage (mit Anm Klute) die Anbieterkennzeichnung unter dem Linktext „Backstage“ gesucht werden, wenn andere Links nicht näher liegen. Brunst MMR 2004, 8, 13 legt anschaulich dar, weshalb das Erfordernis des Scrollens meist vom Nutzer und nicht dem Anbieter abhängt. S dazu vor allem BGH vom 17.2.2002, I ZR 215/99 – Lottoschein, 9; BGH vom 6.7.2006, I ZR 145/03 – Kunden werben Kunden, 9, beide abrufbar unter bundesgerichtshof.de und Teil 3 Kap 1 Rn 237.
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Zur zunehmenden Vertrautheit des Nutzers mit Links BGH vom 16.12.2004, I ZR 222/02 – Epson-Tinte; BGH vom 7.4.2005, I ZR 314/02 – Internet-Versandhandel; BGH vom 14.6.2006, I ZR 75/03; ermutigend auch BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 20 BGH v 4.10.2007, IZR 143/04 – Versandkosten, Rn 30, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Ott JurPC Web-Dok 78/2005 Abs 11 ff; zur Verpflichtung der öffentlichen Hand § 11 Abs 1 BGG iVm § 3 und Anl BITV. Ott JurPC Web-Dok 78/2005 Abs 11 ff.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
sumspflicht bestehen. Zu denken ist insbesondere an die Informationspflichten bei kommerzieller Kommunikation (§ 6 Abs 1 Nr 2 TMG) auf Geschäftsbriefen (Rn 201) oder im Fernabsatz (Rn 202). Die Anbieteridentifikation im Distanzhandel zumindest kann zugleich mit den Telemedienpflichtangaben erfüllt werden.382 Wichtig ist es, bei verschiedenen Angaben zu Identität und Kontakt möglichst Widersprüche und unklare Zwecke der jeweiligen Informationen zu vermeiden.
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j) Rechtsfolgen bei Verstößen. Verstöße gegen die Impressumspflicht stellen eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 16 Abs 2 Nr 1 TMG und § 49 Abs 1 S 2 Nr 7 und 8 RStV). Außerdem regeln die den Pflichtangaben zugrundeliegenden Vorschriften im Interesse der Markteilnehmer das Marktverhalten im Sinne des Wettbewerbsrechts, sodass Verstöße zugleich unlauteres Verhalten im Wettbewerb nach §§ 3, 4 Nr 11 UWG begründen.383 Fraglich erscheint allerdings, ob jeder Verstoß gegen diese Pflichten zugleich auch die Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG überschreitet.384 Fehlerhafte Angaben des Anbieters zu seiner Identität dürften außerdem als Verlet190 zung sonstiger Pflichten iSd § 241 Abs 2 BGB anzusehen sein. Nachdem Telemediendienste oft der Vertragsanbahnung oder zumindest der Aufnahme geschäftlicher Kontakte iSd § 311 Abs 2 Nr 3 BGB dienen, kann der Nutzer auf Grund solcher fehlerhaften Angaben entstehende Schäden ersetzt verlangen.385 3. Kommerzielle Kommunikation
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Für Werbung über oder in Telemedien enthält § 6 TMG Vorschriften zur Transparenz insbesondere bei E-Mail-Werbung. Der vom Gesetz verwendete Begriff der kommerziellen Kommunikation ist sehr weit definiert (§ 2 Nr 5 TMG ) und umfasst auch ImageWerbung und andere Formen der Kundeninformation mit kommerziellem Hintergrund. Allgemeine Transparenzerfordernisse finden sich in § 6 Abs 1 TMG; gegenüber der 192 Fassung des TDG 2001 wurden lediglich sprachliche Anpassungen vorgenommen; 386 beinahe wörtlich entspricht die Vorschrift Art 6 ECRL. Nach Ansicht des Gesetzgebers sind jedoch die allgemeinen Verpflichtungen durch 193 das UWG in jedem Punkt strenger gegenüber den nur Mindestanforderungen darstellenden Regelungen des § 6 Abs 1 TMG, Art 6 ECRL; daher habe das Gesetz nur deklaratorischen Charakter.387 Die Anwendbarkeit des UWG wird durch § 6 Abs 3 TMG gewährleistet, wobei Verstöße gegen § 6 Abs 1 TMG notwendig unlauteren Wettbewerb darstellen werden. Durch das TMG neu geschaffen wurde das Verschleierungsverbot für Absender oder 194 den kommerziellen Charakter in elektronischer Post (§ 6 Abs 2 S 1).388 Die Formulierung basiert auf dem Entwurf zu einem Anti-Spam-Gesetz 389 vom 15.2.2005, einem selten verzweifelten Akt symbolischer Gesetzgebung. Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurde von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, dass die Regelung widersprüchlich
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BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 34, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 20.7.2006, I ZR 228/03 – Anbieterkennzeichnung im Internet, Rn 15, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. OLG Hamburg MIR Dok. 366-2007, 1. Wenngleich in der Praxis nennenswerte
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Schäden kaum möglich erscheinen ohne ein erhebliches Mitverschulden des Kunden. BT-Drucks 16/3078, 14. BT-Drucks 14/6098, 22; zu den Transparenzerfordernissen aus UWG s Teil 3 Kap 1 Rn 134. Dazu Bender/Kahlen MMR 2006, 590 BT-Drucks 15/4835.
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§5
Besondere Pflichten für Telemedien
formuliert sei, ihr Ziel verfehle und allenfalls denjenigen Unternehmen schade, die versuchten, E-Mail-Werbung rechtmäßig zu versenden.390 Neben weiteren sprachlichen Mängeln der Norm 391 ist bereits der Anwendungsbereich fraglich. E-Mail ist die häufigste, aber nicht die einzige Form für den Austausch elektronischer Nachrichten. SMS, Instant Messaging, Internet Relay Chat oder andere Übertragungsarten können ebenfalls unter elektronischer Post verstanden werden. Die in dem Entwurf zum Anti-Spam-Gesetz vorgesehene Einschränkung auf E-Mail ist entfallen. Der Begriff der elektronischen Post wird auch in § 7 Abs 2 Nr 3 und Abs 3 UWG verwendet und geht dort zurück auf Art 2h der Datenschutz-Richtlinie für elektronische Kommunikation.392 Danach ist elektronische Post jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Tonoder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird. Damit droht eine uferlose Ausdehnung der Vorschrift auf weitere Bereiche elektroni- 195 scher Kommunikation. Hier hilft nur eine restriktive Auslegung, die berücksichtigt, dass der Tatbestand des § 6 Abs 2 TMG Kopf- und Betreffzeilen als Inhaltsbestandteil der Kommunikation voraussetzt. Demnach fallen unter elektronische Post im Sinne des TMG nur solche Nachrichtenformate, die einen briefähnlichen Aufbau einzelner Nachrichten einschließlich Absenderangaben und Betreffzeilen vorsehen. Diese Anforderungen erfüllt derzeit vor allem E-Mail, nicht aber SMS.393 Aber auch für E-Mail bestehen Zweifel an der Anwendbarkeit der Regelung. So er- 196 scheint zwar das Angebot von E-Mail-Diensten als Telemediendienst (Rn 40), hingegen ist die von einem Unternehmen in eigener Sache übermittelte elektronische Werbung kein Dienst, sondern allenfalls ein Bestandteil davon, sodass das TMG für eine solche E-Mail oder deren Zusenden gar nicht gilt (§ 1 TMG). Gleiches gälte für andere Kommunikationsformen, die unter den weiten Begriff der elektronischen Post iSd Art 2h der Datenschutz-Richtlinie für elektronische Kommunikation fallen.394 § 6 Abs 1 TMG regelt ausdrücklich auch Bestandteile von Telemedien 395, Abs 2 jedoch verwendet nur den Begriff der kommerziellen Kommunikation ohne diese Erweiterung. Das spricht dafür, dass Abs 2 gerade nicht auf „Bestandteile“ von Telemedien Anwendung finden soll.396 Die Vorschrift zeugt insgesamt von geringem Verständnis des Problems. Anzunehmen, 197 die fast ausschließlich aus dem Ausland agierenden Versender unverlangter elektronischer Post zu Themen wie dem Bezug verschreibungspflichtiger Medikamente aus zweifelhaften Quellen, Aktienspekulationen, der Preisgabe von Passworten oder der günstigen Beschaffung von Raubkopien würden auf Grund einer Bußgelddrohung in Deutschland nunmehr beginnen, ihre Identität und Absichten in ihren E-Mails offenzulegen, ist drollig.
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Vgl Ausschuss-Drucks 15(9)1848 des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, insb Stellungnahme HK2, 48 ff. Bspw ist die Verschleierung in der „Kopfund Betreffzeile“ unzulässig. Gemeint ist aber wohl Alternativität. Eine einzelne Kopfzeile gibt es nicht und die regelkonformen Informationen im Header einer E-Mail dürften die meisten Nutzer verwirren. Kitz interpretiert die Formulierung dahingehend, dass eine Gesamtschau aus beiden Informationen nicht
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verschleiernd sein darf Kitz DB 2007, 385, 388. ABl EG Nr L 201, 37; Piper/Ohly/Piper § 7 UWG Rn 66. Kitz DB 2007, 385, 387. Sofern solche Angebote nicht bereits unter das TKG fallen. Was allerdings mangels Geltung des Gesetzes hierfür nicht unproblematisch erscheint. S bereits die Stellungnahme von HK2 in Ausschuss-Drucks 15(9)1848 des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, 50.
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5. Teil
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Als Ergebnis ist nun ein weitgehend unbestimmter Ordnungswidrigkeitstatbestand geschaffen worden (§ 16 Abs 1 mit § 6 Abs 2 S 1 TMG) und ein Grund für weitere Abmahnwellen, sodass das „Verschleiern“ in Kopf- und Betreffzeile vor allem seriösen Anbietern Probleme bereiten wird.397 Riskant erscheinen jetzt die Verwendung von Absendeadressen in E-Mails, deren Do199 main nicht mit dem Werbenden übereinstimmt oder außergewöhnliche Betreffzeilen, deren kommerzieller Bezug nicht von allen Adressaten unmittelbar verstanden wird. Offen ist, wer bei einem Auseinanderfallen von Initiator der Werbemail und Versender nun als Absender anzugeben ist. Die Begründung für den Vorentwurf deutet darauf hin, dass derjenige, für den die elektronische Post versandt wird, anzugeben ist.398 Wie befürchtet, schafft die überflüssige Novelle vor allem Unklarheit, obwohl die 200 Anforderungen an den Versand elektronischer Nachrichten durch Unternehmen ohnehin extrem streng sind. Neben den Vorschriften des UWG (insbesondere § 7 Abs 2 Nr 3 und Abs 3 UWG) 201 ergeben sich auch aus anderen Vorschriften Anforderungen an die elektronische Kommunikation mit Kunden.399 So gelten die Pflichtangaben bei Geschäftsbriefen auch für elektronische Versionen.400 Geschäftsbriefe sind alle Mitteilungen eines Kaufmanns über geschäftliche Angelegenheiten nach außen.401 Ausnahmen bestehen für Schreiben an unbestimmte Empfänger (bspw Werbeschreiben, Anzeigen) und bestimmte Vordrucke. Für elektronische kommerzielle Kommunikation eines Unternehmens außerhalb von Rundschreiben wird daher die Angabe der Pflichtinformationen für Geschäftsbriefe zu beachten sein. Zwar sollen nach § 6 Abs 3 TMG nur die Vorschriften des UWG unberührt bleiben, im Gegensatz zu den anderen Rechtsvorschriften, die nach § 5 Abs 2 TMG für weitere Informationspflichten gelten sollen. Die auch ansonsten sorgfaltslose Formulierung des § 6 TMG legt aber nahe, dass es sich um eine Ungenauigkeit handelt und nicht gemeint ist, kommerzielle Kommunikation sei abschließend in TMG und UWG geregelt. 4. Informationspflichten beim Absatz von Waren und Dienstleistungen über Telemedien
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a) Normenunklarheit und Bagatellverstöße. Die für das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen über Telemedien geltenden Informationspflichten sind umfangreich, kompliziert und gesetzestechnisch mangelhaft. Selbst Justizbehörden gelingt die gesetzeskonforme Information beim Internethandel nicht immer.402 Der Gesetzgeber erweist sich 397 398
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So auch Kitz DB 2007, 385, 386. BT-Drucks 15/4835, 7; differenzierend nach Bote oder Eigenversand Kitz DB 2007, 385, 388. Hoffnungsvoll stimmt die Entscheidung OLG Brandenburg vom 10.7.2007, 6 U 12/ 07, abrufbar unter www.olg.brandenburg. de/sixcms/media.php/4250/6%2520U%252 0012-07.pdf, wonach nicht jede Auslassung bei Geschäftsbrief-Pflichtinformationen abmahnfähig sein soll (s zur Bagatellschwelle auch OLG Hamburg MIR Dok. 366-2007). Inzwischen ist ausdrücklich normiert, dass
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die Form des Geschäftsbriefes keine Rolle spielt, §§ 37a, 125a, 177a HGB, 35a GmbHG, 80 AktG, 15b GewO; einen Link auf die Pflichtinformationen halten Levering/Reibel NJW-Spezial 2008, 47 f für ausreichend. Baumbach/Hopt/Hopt § 37a HGB Rn 4. S etwa die Abmahnung der Staatsanwaltschaft Magdeburg durch den IEBA eV wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung bei eBay-Verkäufen (www.spiegel.de/netzwelt/ web/0,1518,507693,00.html, Stand 27.10. 2007).
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Besondere Pflichten für Telemedien
selbst als nicht in der Lage für die eigenen Vorschriften auf Anhieb fehlerfreie Muster zu entwickeln.403 Nachdem die Informationspflichten dem Verbraucherschutz dienen sollen und Markt- 203 verhaltensregeln (§ 4 Nr 11 UWG) darstellen, können Verstöße auch über das Wettbewerbsrecht verfolgt werden.404 So haben sich die Informationspflichten für Abmahnprofis und Wettbewerbsfehden als fruchtbares Rechtsgebiet entwickelt. Teile der Rechtsprechung versuchen den bedrängten Anbietern zu helfen. Nach zutreffender Ansicht des OLG Hamburg wäre es „eine Überspannung der Pflichten eines Gewerbetreibenden, wenn man verlangen wollte, dass er in dem überaus komplizierten und verschachtelten Fernabsatzrecht klüger sein soll als der Gesetzgeber.“ 405 Die hanseatischen Richter nutzen die Bagatellklausel 406 des § 3 UWG, um die Überforderung der Anbieter durch die gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen. Dieser Ansatz ist richtig.407 Die Verletzung von Informationspflichten in Telemedien ist oft genug allein Folge der mangelnden Transparenz der Vorschriften. An der Verfolgung von Versäumnissen, die darin bestehen, dass ohne nennenswerte Marktrelevanz einzelne Informationspflichten nicht oder nicht vollständig umgesetzt sind, besteht kein schutzwürdiges Interesse. Solche Verfahren nicht zu fördern, liegt damit genau im Normzweck der Bagatellklausel.408 Der BGH tendiert allerdings dazu, die Bagatellregelung restriktiv auszulegen. So soll eine im Sinne der §§ 3, 5 UWG wettbewerblich relevante Irreführung zugleich die Überschreitung der Bagatellgrenze indizieren.409 b) Überblick über Informationspflichten. Die wichtigsten Informationspflichten beim 204 Absatz von Waren und Dienstleistungen über Telemedien können hier bloß erwähnt werden.410 Zunächst sind dies die allgemeinen Pflichten, die für alle Angebote im elektronischen Geschäftsverkehr gelten (§ 312e Abs 1 BGB iVm § 3 BGB-InfoV). Im Fernabsatz gelten außerdem die vorvertraglichen Standardinformationspflichten (§ 312c Abs 1 S 1 BGB iVm § 1 Abs 1 BGB-InfoV). Hinzu kommen die Textform-Informationspflichten, welche die Standardinformationen enthalten und teils vor Abgabe der Vertragserklärung (bei Finanzdienstleistungen § 312c Abs 1 Nr 1 BGB) teils nachvertraglich (§ 312c Abs 2 S 1 Nr 2 BGB) in Textform (Rn 208) zu übermitteln sind. Leicht übersehen wird dabei, dass einzelne der Textforminformationen, wenn diese im Rahmen von allgemeinen Ge-
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Eingehend Föhlisch MMR 2007, 139. Ein Änderungsvorschlag des BMJ (abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/files/-/2550/ %C4nderung_BGB-InformationspflichtenVerodnung.pdf, Stand 9.1.2007) ist sogleich auf Kritik gestoßen (Ausführlich im Gutachten von Brönnecke, http://www.vzbv.de/ mediapics/gutachten_broennecke_ widerrufsbelehrung_12_2007.pdf, Stand 9.1.2007). Zur Bagatellklausel instruktiv: Teil 3 Kap 1 Rn 64 ff. Ganz hM s nur Piper/Ohly/Piper § 4.11 UWG Rn 299 ff s KG vom 25.1.2008, 5 W 344/07 BeckRS 2008 04033. Hinsichtlich Verwendung der ungeeigneten Musterbelehrung der BGB-InfoV, OLG Hamburg MIR Dok. 366-2007 bei Ziff 3. S Teil 3 Kap 1 Rn 36, 57, 64 ff, 261.
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S auch LG Berlin v 2.8.2007, 960 138/07; OLG Brandenburg vom 10.7.2007, 6 U 12/07, abrufbar unter www.olg. brandenburg.de/sixcms/media.php/4250/6% 2520U%2520012-07.pdf: Auslassung bei Geschäftsbrief-Pflichtinformationen als Bagatelle. Vgl Hefermehl/Köhler/Bornkamm/Köhler § 3 UWG Rn 48. BGH vom 28.6.2007, I ZR 153/04 – Telefonaktion Rn 26; andererseits zu Bagatellverstößen gegen PAngV: vom 4.10.2007, I ZR 182/05 – Fehlerhafte Preisauszeichnung Rn 15, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Siehe auch Hoenike/Hülsdunk MMR 2002, 516; Zum M-Commerce: Ranke MMR 2002, 509.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
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schäftsbedingungen übermittelt werden, besonders kenntlich zu machen sind (§ 1 Abs 4 S 3 BGB-InfoV). Weitergehende Informationspflichten gibt es insbesondere für Finanzdienstleistungen oder Reiseverträge. Neben der bloßen Fülle der Informationspflichten bereitet bei der Umsetzung der In205 formationspflichten die mangelnde Abstimmung der verschiedenen Normen Schwierigkeiten. ZB sind die Informationen bei Fernabsatzverträgen nach § 312c Abs 1 BGB und im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312e Abs 1 Nr 2 BGB „klar und verständlich mitzuteilen“, wohingegen nach § 5 Abs 1 TMG über die Identität des Anbieters „leicht erkennbar“ zu informieren ist. Ein materieller Unterschied wird in der Praxis wohl kaum zu machen sein. Auch begrifflich nicht abgestimmte Dopplungen erschweren die Umsetzung. So ergeben sich Identifikationspflichten für den Anbieter aus verschiedenen Normen mit unterschiedlichen Anforderungen (§ 5 Abs 1 Nr 1 TMG, § 55 Abs 1 RStV, § 1 Abs 1 Nr 1 bis 3 BGB-InfoV). Eine weitere Dopplung sind die Verpflichtungen zur Preisangabe (einerseits § 1 Abs 1 Nr 7, 8, 11, 12 BGB-InfoV andererseits PAngV).411 Zu einem Sonderproblem wurde das als Erleichterung gedachte Muster für eine 206 Widerrufsbelehrung in Anl 2 zu § 14 Abs 1 und 3 BGB-InfoV. Das bis zum 31.3.2008 gültige Muster war fehlerhaft.412 Insbesondere für den häufigen Fall des Vertriebs von Waren oder Dienstleistungen im Fernabsatz über Internetseiten hatte sich die Ungeeignetheit der Belehrung für viele Anbieter als Falle erwiesen.413 Hintergrund ist, dass die Musterbelehrung von der zweiwöchigen Widerrufsfrist des § 355 Abs 1 S 2 BGB ausgeht. Als wenig gelungenes Ergebnis der Kompromissfindung zwischen Partikularinteressen differenziert das Gesetz jedoch danach, ob die Widerrufsbelehrung vor Vertragsschluss in Textform zur Verfügung stand oder nicht. In letzterem Falle gilt nach § 355 Abs 2 S 2 BGB eine 1-Monats-Frist und § 357 Abs 3 findet keine Anwendung.414 Erfolgt vor Vertragsschluss die Belehrung lediglich auf der Internetseite, vertritt die herrschende Meinung, dass dies nicht der Textform genüge, sodass die Monatsfrist Anwendung fände. Bei der Verwendung des gesetzlichen Musters muss dann die Frist auf einen Monat verlängert werden. Das OLG Hamm nahm sogar an, die Verwendung des gesetzlichen Musters zur Information über das Widerrufsrecht vor Vertragsschluss sei grds wettbewerbswidrig.415 Der Gestaltungshinweis 1 des amtlichen Musters wies lediglich darauf hin, dass die 207 Frist einen Monat betrage wenn „die Belehrung erst nach Vertragsschluss mitgeteilt“ werde. Dies werde jedoch häufig missverstanden, da die Verwender meinten, die Belehrung über das Widerrufsrecht auf einer Internetseite erfolge schließlich vor Vertragsschluss, sodass der Gestaltungshinweis nicht einschlägig sei. Dies hat insbesondere zu Abmahnwellen bei eBay-Anbietern geführt. Inzwischen hat das Bundesministerium der Justiz einen neuen Versuch unternommen, die aus dem eigenen Hause stammenden gesetzlichen 411
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Siehe hierzu BGH v 4.10.2007; I ZR 143/04 – Versandkosten und v 4.10.2007, I ZR 182/05 – Fehlerhafte Preisauszeichnung Rn 15 und BGH v 4.10.2007, I ZR 22/05 – Umsatzsteuerhinweis. Brönneke listet gutachtlich 28 Probleme auf (http://www.vzbv.de/mediapics/gutachten_ broenneke_widerrufsbelehrung_12_2007. pdf, Stand 16.3.2008); s auch Begründung zur 3. VO zur Änderung der BGB-InformationsVO BAnz 2008, 957; LG Berlin vom 2.8.2007, 96 O 138/07.
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Aktuell Föhlisch MMR 2007, 139; Buchmann MMR 2007, 347; Bonke/Gellman NJW 2006, 3169. Womit eine entsprechende Belehrung über die Wertersatzpflicht wiederum unzulässig sein soll, OLG Düsseldorf vom 15.4.2008, I – 20 U 187/07 entgegen OLG Hamburg vom 19.6.2007, 5 W 92/07. OLG Hamm MMR 2007, 377 f.
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Besondere Pflichten für Telemedien
Anforderungen in einem Muster abzubilden.416 Seit dem 1.4.2008 gelten diese neuen Musterbelehrungen, die dem um sich greifenden Abmahngeschäft die Grundlage entziehen sollen. Dabei ist es bereits nicht überzeugend, dass nach hM die Darstellung einer Internet- 208 seite im Browser des Nutzers die Kriterien für Textform nur erfüllen soll, sofern es tatsächlich zur Abspeicherung oder dem Ausdruck der Seite beim Nutzer komme.417 Begründet wird dies mit der flüchtigen Natur von Internetseiten und der Vorstellung des Gesetzgebers. Außerdem fehle es bei Internetseiten an einer an den konkreten Kunden gerichteten Erklärungsäußerung.418 Es mag sein, dass der Gesetzgeber Internetseiten regelmäßig nicht als der Textform genügend im Auge hatte. In der verabschiedeten Norm findet sich hierfür jedoch kein Auslegungsansatz. Nach § 126b BGB ist es ausreichend, wenn die Erklärung in einer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben wird. Die Abgabe der Erklärung muss also nicht auf einem Datenträger erfolgen, sondern kann online geschehen. Ausreichend ist allein die Eignung zur dauerhaften Speicherung. Dies ist zumindest bei solchen Internetseiten der Fall, die über die standardmäßigen Browserfunktionen zum Speichern oder Ausdrucken vom Kunden nach eigenem Belieben aufbewahrt werden können.419 Diese Funktionalität ist in den Browsern enthalten und über Hilfefunktionen nachgewiesen. Begibt sich der Verbraucher in das Internet, um Verträge zu schließen, so darf von ihm erwartet werden, dass er sich das notwendige Verständnis der von ihm selbst eingesetzten technischen Hilfsmittel verschafft. Sobald die Bildschirmanzeige in einem ausdruckbaren und speicherbaren Browserfenster beim Nutzer angezeigt wird, liegt dem auch nichts anderes zugrunde als eine Übermittlung. Die die Widerrufsbelehrung ergebenden Zeichen sind damit in einer nach Belieben des Nutzers speicherbaren Form übermittelt. Die Anforderungen des § 126b BGB sind damit erfüllt.420 Es besteht kein Grund vermeidbare Unsicherheiten im Umgang mit der Technik durch ungeschriebene weitere Tatbestandsmerkmale abzufangen. Auch kann es nicht zu Lasten des Erklärenden gehen, dass er alle Interessenten seines Angebots belehrt und nicht nur den konkreten Käufer. Aus der Natur einer vorvertraglichen Information folgt, dass nicht jeder Empfänger den Vertrag abschließt.
IV. Datensicherheit, Datenspeicherung und Datenschutz Es gibt wohl wenige Bereiche, bei denen politische Vorstellung und Praxis so weit 209 auseinanderklaffen wie beim Telemediendatenschutz. Das IUKDG 1997 hatte so ambitionierte Vorstellungen vom anzustrebenden Umgang mit Daten oder etwaigen Einwilligun416
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BGBl I vom 12.3.2008, 292; außerdem wurde angekündigt, die Musterbelehrungen auf formelles Gesetzesniveau zu heben. Das Ergebnis überzeugt nicht. Die Gestaltungshinweise dürften den durchschnittlichen Anwender ebenso überfordern wie der damit produzierte Belehrungstext den Kunden. Das Problem sind die zu komplizierten gesetzlichen Grundlagen. Die Begründung zur 3. VO zur Änderung der BGB-InformationsVO BAnz 2008, 957 erkennt die früheren Fehler nicht an und verpasst dadurch die Gelegenheit, die strukturellen Mängel der Informationspflichten anzugehen. Zur hM Palandt/Heinrichs § 126b Rn 3;
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Bonke/Gellman NJW 2006, 3169; KG MMR 2007, 185 f; OLG Hamburg MMR 2006, 675 f (mit Anm Hoffmann), OLG Jena vom 9.5.2007, 2 W 124/07, abrufbar unter BeckRS 2007, 10379 Buchmann MMR 2007, 347, 349 f; vgl BT-Drucks 14/7052, 195; aA MüKo/Einsele Bd 1a, 4. Aufl § 126b Rn 9. Buchmann MMR 2007, 347, 349. Überzeugend: MüKo/Einsele Bd 1a, 4. Aufl § 126b Rn 9. Vgl zum Begriff des dauerhaften Datenträgers nach § 8 Abs 1 VerbrKrG OLG München NJW 2001, 2263, 2264 f.
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gen in die Datenverarbeitung, dass allgemeine Nichtumsetzung der Regelungen die Folge war. Selbst Unternehmen, für die ein vertrauensvoller Umgang mit den Kundendaten selbstverständlich ist, waren selten in der Lage, wirksame Einwilligungen einzuholen.421 Inzwischen ist die inländische Datenschutzproblematik vor allem durch die immensen 210 Mengen personenbezogener Daten überholt, die bspw bei Suchmaschinenbetreibern außerhalb des örtlichen Geltungsbereichs des hiesigen Datenschutzrechtes entstehen. Der Gesetzgeber hat die Anforderungen an den Datenschutz in Telemedien gesenkt. Es bleibt abzuwarten, ob dies zur Durchsetzung des Datenschutzrechts führen wird. Zugleich wachsen die Begehrlichkeiten hinsichtlich der entstehenden Daten. Der Gesetz211 geber selbst ist für die Entstehung überflüssiger Sammlungen personenbezogener Daten unmittelbar verantwortlich (Rn 164). Besonderes Interesse besteht auch seitens der Rechtsinhaber an den bei den Intermediären entstehenden Daten über die Nutzung illegaler Angebote.422 Diese Wünsche soll nun die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie (2006/24/EG) erfüllen, ein bereits rechtlich unter verschiedenen Aspekten höchst umstrittenes Vorhaben.423 Ob eine Rückbesinnung auf die informationelle Selbstbestimmung gelingt,424 wird entscheidend davon abhängen, ob die Nutzer ihre indifferente Haltung aufgeben werden. Die Reaktionen auf Vorfälle wie die versehentliche Veröffentlichung der Suchanfragen von 657 000 Nutzern des Suchdienstes von AOL425 deuten aber darauf hin, dass den Betroffenen der Umgang mit Profildaten nicht so egal ist, wie es manchmal scheint. Die Einzelheiten zum Datenschutz werden in Teil 7 Kap 1 Rn 78 ff behandelt. Ein weiterer wichtiger, oft vernachlässigter Aspekt ist die Datensicherheit. Verpflich212 tungen dazu ergeben sich nicht nur aus den datenschutzrechtlichen Vorschriften (bspw § 9 BDSG), sondern auch aus vertraglichen oder vorvertraglichen Schuldverhältnissen. Hierzu wird verwiesen auf Teil 5 Kap 3 Rn 4 ff.
V. Besondere Pflichten journalistisch-redaktioneller Telemedien 213
Für journalistisch redaktionelle Telemedien enthält der RStV zusätzliche Regelungen. Streitig ist, inwieweit solchen Angeboten auch entsprechende journalistische Sonderrechte zur Verfügung stehen.426 Ausdrücklich normiert ist bspw, dass Anbieter von Telemedien sich auf das Informationsrecht gegenüber Behörden wie Rundfunkveranstalter berufen können (§ 9a iVm § 55 Abs 3 RStV). Besondere Regelungen ergeben sich bei den Informationspflichten (Rn 165), der Ge214 gendarstellung, dem Datenschutz, der Werbung und Aufsicht. Das Recht der Gegendarstellung entspricht im Wesentlichen den Regelungen für die 215 Presse (s Teil 4 Kap 2 Rn 51 ff). Eine Besonderheit ist die Verpflichtung, die Gegendarstellung in unmittelbarer Verknüpfung mit der Tatsachenbehauptung und für dieselbe Dauer wie die Tatsachenbehauptung (§ 56 Abs 1 RStV) anzubieten. 421
422
Bedenklich ist auch der Umgang mit Nutzerdaten auf den Seiten staatlicher Einrichtungen, wie bspw LG Berlin v 6.9.2007, 23 S 3/07 abrufbar unter http://www. daten-speicherung.de/data/Urteil_ IP-Speicherung2007-09-06.pdf (Stand 24.3.2008) bezüglich der Speicherung von IP-Nummern zeigt. S etwa Kitz GRUR 2003, 1014.
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S hierzu Rn 33 und Gitter/Schnabel MMR 2007, 411. Vgl Hohmann-Dennhardt NJW 2006, 545. Barbaro/Zeller Jr., A Face Is Exposed for AOL Searcher No 4417749, abrufbar www. nytimes.com/2006/08/09/technology/09aol. html?ei=5090&en=f6f61949c6da4d38&ex= 1312776000&pagewanted=print). Krit Hoeren NJW 2007, 801, 803.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
Für die Verwendung von personenbezogenen Daten zu journalistisch-redaktionellen 216 Zwecken gestaltet § 57 RStV das sog Medienprivileg aus. Wie in § 41 Abs 1 BDSG vorgesehen, gelten für Medien, für die der Landesgesetzgeber dies bestimmt, nur Kernbestimmungen des BDSG (§§ 5, 7, 9 und 38).427 Für die Werbung in journalistisch-redaktionellen Angeboten legt § 58 RStV fest, dass für Sponsoring oder Teleshoppingkanäle die entsprechenden Vorschriften des RStV Anwendung finden. Es besteht das Trennungsgebot (§ 58 Abs 1 RStV). Außerdem ist noch das Verbot subliminaler Manipulation in der Werbung ausdrücklich normiert (§ 58 Abs S 2 RStV), ohne dass dies einen eigenen Verbotsgehalt gegenüber dem UWG enthalten dürfte. Bzgl der Aufsicht wird für journalistisch-redaktionelle Telemedien festgelegt, dass die Datenschutzaufsicht nicht bei den Kontrollbehörden für den Datenschutz liegt, sondern bei den für den Datenschutz im journalistisch-redaktionellen Bereich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständigen Stellen (§ 59 Abs 1 RStV). Schließlich enthält § 59 Abs 3 RStV ein Privileg gegen Sperrungsanordnungen der Aufsicht für den journalistisch-redaktionellen Bereich.
§6 Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Haftung der Anbieter von Teleme- 217 dien für Informationen, die Dritte eingestellt haben. Hier gibt es auf europäischen Vorgaben basierende Sonderregeln. Zunächst wird daher der Rahmen der Verantwortlichkeitsregelungen dargestellt und insbesondere die speziellen Vorschriften des TMG zur Haftung. Anschließend werden aktuelle Sonderprobleme behandelt. Zwar zwingt dies zu undogmatischen Sprüngen, ermöglicht aber die zusammenhängende Darstellung der besonders diskutierten Sachverhalte.
I. Auswirkungen der Verantwortlichkeit der Anbieter Aus Sicht der Rechtsinhaber stellt die nahezu beliebige, ohne Qualitätsverlust mög- 218 liche Verbreitung digitalisierter Produkte eine ernste Herausforderung dar. Von der Inanspruchnahme der Intermediäre erhofft sich diese Seite einfache, professionelle, schnelle und ausreichend solvente Hilfe beim Vorgehen gegen rechtswidrige Angebote Dritter. Ein Vorgehen unmittelbar gegen die Quellen oder Nutzer scheitert oft an unzureichenden Informationen, mangelnder Durchsetzbarkeit oder auch dem Nichtbestehen etwaiger Ansprüche auf Grund der anwendbaren Rechtsordnung.428 Bei den Intermediären laufen einerseits die Informationen über Rechtsverletzungen und Verletzer zusammen und andererseits bestehen technische Möglichkeiten einzuwirken. Vergleichbar ist die Situation bei der Verfolgung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder strafbaren Handlungen. Eine strenge Haftung der Intermediäre liegt also im Interesse all derer, die ihre Rechte verletzt sehen. Die Haftung für Inhalte Dritter hat aber zugleich Einschränkungen des allgemeinen 219 Informationszugangs zur Folge, berührt also die Informationsfreiheit als das Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Art 5 Abs 1 S 1 427
S dazu Gola/Schomerus BDSG § 41 Rn 4; Ohst Teil 7 Kap 1 Rn 49.
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Schmitz/Dierking CR 2005, 420, 422 m zahlreichen Nachw.
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GG).429 Auswirkungen hat die Verantwortlichkeit damit auf meinungsbildungsrelevante Informationsverbreitung und die Internetkultur insgesamt. Werden Linkanbieter oder andere Intermediäre für Inhalte Dritter in Haftung genommen, so ist ihnen zu empfehlen, im Zweifel solche Angebote nicht zugänglich zu machen.430 Folge ist eine Selbstzensur um zweifelhafte Angebote, wie Ermittlungsmaßnahmen des Generalbundesanwaltes bzgl einer im Internet abrufbaren Ausgabe der Zeitschrift radikal zeigten.431 Staatliche Stellen könnten so ganze Internetserver vom Netz trennen durch bloße „Hinweise“ an Intermediäre auf mögliche Strafbarkeit. Auch Suchmaschinen in Deutschland sperren URLs, die entweder von staatlichen Stellen oder sonst als rechtswidrig gemeldet werden.432 Gleiches ist nun für Forenbeiträge zu erwarten.433 Eine Prüfung denunzierter Inhalte auf rechtliche Zulässigkeit ist den Mittlern zu fremden Informationen kaum möglich und bei den typischen Geschäftsmodellen im Internet, die auf Automatisierung und Skalierung bestehen, wirtschaftlich nicht zumutbar. Besteht kein ökonomischer Vorteil, für Inhalte Dritter Risiken einzugehen, werden schon deshalb zukünftig zweifelhafte Inhalte ohne nähere Prüfung gesperrt werden.434 Verhindert wird damit jedoch auch der Zugang zu zweifelhaften aber rechtmäßigen Angeboten, ohne dass eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten der Nutzer stattfindet.435 Von den Intermediären kann auch nicht erwartet werden, dass sie fremde Rechtspositionen mit dem gleichen Engage-
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432
Zu staatlichen Sperrungsverfügungen Stadler MMR 2002, 343, 346. Fülbier CR 2007, 515, 519. Dies konnte beobachtet werden am Beispiel der Ermittlungsmaßnahmen des Generalbundesanwaltes beim BGH zu Ausgabe 154, Juni 1996, der Zeitschrift „radikal“. Mehrere Beiträge wurden vom Generalbundesanwalt als „strafrechtlich relevant“ angesehen und einige Internetprovider angeschrieben mit dem Hinweis, eine Mitwirkung an der Zugänglichmachung der im Ausland abgelegten Texte begründe möglicherweise den Tatvorwurf der Beihilfe zu Straftaten. Eine Sperrungsaufforderung enthielt das Schreiben nicht. Daraufhin wurden die entsprechenden Seiten von einigen der Provider dadurch geblockt, dass der Zugang zum Server mit den Informationen insgesamt verhindert wurde (Sachverhalt nach BT-Drucks 13/8153). Gegen andere Provider wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und später eingestellt (s dazu Hartmann Computerrecht Intern 1998, 99); ähnlich hatten bereits die Ermittlungen zu AG München vom 28.5. 1998, 8340 Ds 465 Js 173158/95 – CompuServe, abrufbar unter www.artikel5.de/ artikel/urteil1.html gewirkt, Sieber JZ 1996, 429, 494, 429. So werden durch die BPjM indizierte Telemedien auf Grund § 2 Nr 5b) Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter der FSM (www.fsm.de/de/Subkodex_
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Suchmaschinenanbieter) ohne eigene Prüfung gesperrt, eine Kontrolle durch betroffene Anbieter aus dem Ausland ist ebenfalls nicht zu erwarten. Die gesetzliche Grundlage des § 24 Abs 5 JuSchG sieht dagegen gerade kein BPjM-Modul vor, sondern nutzerautonome Filterprogramme. BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de zur Durchsetzung mittels „virtuellem Hausrecht“ Maume MMR 2007, 620. Ein Beispiel sind jugendbeeinträchtigende Telemedien aus dem Ausland, die ein inländischer Mitbewerber bei einem Internetprovider für dessen 2,4 Mio Nutzer im September 2007 sperren ließ, da das erforderliche Altersverifikationssystem für die Zugangskontrolle, § 4 Abs 2 JMStV, fehle (www. spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,505122,00. html, Stand 7.10.2007), auch wenn später entsprechende Unterlassungsansprüche einhellig abgelehnt wurden: OLG Frankfurt vom 22.1.2008, 6 W 10/08 JurPC Web-Dok 22/2008; LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007; zunächst aA LG Frankfurt vom 17.10.2007, 2-06 O 477/07 dann aber gegenteilig in der Hauptsacheentscheidung vom 8.2.2008, 3-12 O 171/07, ebenso vom 5.12.2007, 2-03 O 526/07 MIR-Dok 12/2007. Stadler MMR 2002, 343.
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§6
Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
ment verteidigen wie die Betroffenen. Durch die Inanspruchnahme der Intermediäre wird somit faktisch die Auseinandersetzung mit den Rechten des Nutzers oder Anbieters ausgespart. Jede Verantwortlichkeit bloßer Mittler verkürzt also die Informationsfreiheit und bedarf daher besonderer Rechtfertigung. Aus Sicht der Rechtsverfolgung ist es spiegelbildlich besonders effektiv, Intermediäre 220 in die Pflicht zu nehmen, um rechtswidrige oder bloß zweifelhafte Angebote zu verhindern. Die hM hat naturgemäß auch kein Problem mit der Verhinderung umstrittener Angebote. Doch auch bei der Umgehung von Verboten wirken die Mechanismen des Web 2.0 (Rn 4). Bislang konnte die Rechteverfolgung nach erfolgreichen Vorstößen nicht mit geänderten oder neuen Angeboten Schritt halten. Es ist jedoch absehbar, dass Verbote im Internet bald nicht mehr auf einfache Weise umgangen werden können.436 Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Telemedienangebote nimmt der Druck auf die Anbieter zu, Mittel zur Verhinderung von Rechtsverletzungen zu schaffen.437 Der Korridor der Inhalte, mit denen der durchschnittliche Nutzer konfrontiert wird, verengt sich. Das Internet der Nutzer von google.de ist bereits heute ein anderes als das der Nutzer von google.com.438
II. Europarechtliche Vorgaben Die Haftungsregelungen des TMG beruhen auf fast wörtlicher Übernahme der ent- 221 sprechenden Bestimmungen der ECRL. Nach ganz hM ist das Ziel der ECRL eine vollständige Harmonisierung der Vorschriften.439 Begründet wird dies ua mit einem Verweis auf ErwG 50 der ECRL.440 Dort wird das Ziel eines einheitlichen, klaren Regelwerkes in der EU für die Haftung der Vermittler bei Verstößen gegen das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte zum Ausdruck gebracht. Richtig ist, dass die ECRL verbindliche Regelungen in einem Rechtsraum enthält, der 222 zum einen durch die Privilegien für bestimmte Tätigkeiten der Dienste der Informationsgesellschaft in Teil 3 Abschnitt 4 der ECRL bestimmt wird und zum anderen durch das Verbot von Einschränkungen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit, die das Herkunftslandsprinzip verletzen (Art 3 Abs 2 ECRL). Bei genauerer Betrachtung stellt dies aber keinen Rahmen 441 für die Regulierung dar, sondern nur zwei sehr begrenzte Bereiche, die in bestimmten Aspekten geregelt sind. So spricht ErwG 10 ECRL auch nur von „unerlässlichen Maßnahmen“ im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, die die Richtlinie vorsehe. Der Titel der ECRL und ErwG 7 stellen klar, dass nur die Regelung „bestimmter rechtlicher Aspekte“ des E-Commerce beabsichtigt sei. Die Harmonisierung kann sich daher allenfalls auf die konkret in der ECRL bestimm- 223 ten Freistellungstatbestände beziehen. Die Erwähnung des Zieles der Harmonisierung im Bereich der Vermittlerhaftung im Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten in ErwG 50 der ECRL erschiene überflüssig, wenn die Vermittlerhaftung ohnehin abschließend festgelegt wäre. Eine Beschränkung der Umsetzung auf den Mindestkompromiss von Privilegien lässt sich aus Gemeinschaftsrecht daher nicht gewinnen. Es ist lediglich
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S oben Rn 8. S etwa den IFPI Digital Media Report 2008, 21 f (http://www.ifpi.org/content/ibrary/ DMR2008.pdf Stand 16.3.2008). Noch kann der Nutzer allerdings wählen. BT-Drucks 14/6098, 22; Hoffmann MMR 2002, 284, 284; Spindler/Schmitz/Geis/
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Spindler TDG Vor § 8 Rn 3, 10, Einf Rn 13; einschränkend mit überzeugenden Argumenten Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1, 8. Hoffmann MMR 2002, 284, 284. So aber ErwG 8 ECRL.
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vorgegeben, dass die in der ECRL genannten Tatbestände nicht zur Verantwortlichkeit der Diensteanbieter führen dürfen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht daran gehindert, mehr Privilegierungen einzuräumen, als dies in der ECRL vorgesehen ist.442 In der Tat weicht der bundesdeutsche Gesetzgeber in einigen Punkten von der Vor224 gabe der ECRL ab. Dies beginnt damit, dass die Regeln zur Verantwortlichkeit des TMG nicht nur für Dienste der Informationsgesellschaft gelten, sondern für alle Diensteanbieter des TMG (s oben Rn 67). Erfasst sind also auch die rein privaten Dienste, Verteildienste 443 und solche massenmedialen Angebote, die früher unter die entsprechenden Regelungen des MDStV fielen. Zum anderen betrifft dies einzelne sprachliche Umformulierungen im Aufbau, dem Text und den Überschriften, die Ansätze für Auslegungsfragen bieten.444 Missverständlich heißt es in der Begründung zum EGG allerdings: „Die Richtlinienbestimmungen über die Verantwortlichkeit sind, soweit sie Verantwortlichkeitsprivilegierungen vorsehen, als Vollharmonisierung gedacht, dh die Mitgliedstaaten dürfen weder weitere noch engere Regelungen im nationalen Recht treffen.“ 445 Dennoch dürften keine Zweifel daran bestehen, dass durch das TMG die Verantwort225 lichkeitsregelungen der ECRL für Diensteanbieter iSd Art 22 Abs 1 ECRL im erforderlichen Maß umgesetzt sind. Davon zu trennen sind Fragen der Auslegung des TMG als der Umsetzung dienendem 226 Recht.446 Nach dem Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung ist es „Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderung des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.“ 447 Auszulegen ist also auch bei Gesetzen, die der Implementierung einer Richtlinie dienen, das nationale Recht.448 Deshalb kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nicht in Betracht, wenn die Norm absolut klar und eindeutig ist.449 Verbindlich ist die Richtlinie allerdings hinsichtlich des zu erreichenden Ziels (Art 249 Abs 3 EGV), worunter der zu erreichende Rechtszustand hinsichtlich verbindlicher Vorgaben verstanden wird.450 Außerdem sollen aus der Richtlinie übernommene Rechtsbegriffe nach Gemeinschaftsrecht auszulegen sein.451 (eingehend zur Wirkung europäischen Sekundärrechts Teil 1 Kap 3 Rn 11 ff). In der Konsequenz hilft eine richtlinienkonforme Interpretation insbesondere dann nicht weiter, wenn die Richtlinie keinen zu erreichenden Rechtszustand vorgibt.
III. Haftungsprivilegierung im TMG 1. Das System der Regelung des TMG
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Abschnitt 3 des TMG regelt die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter. Die Bestimmungen wurden wortgleich aus dem TDG 2001 übernommen, welches wiederum die Vorgaben der ECRL implementiert hat. Der Abschnitt zur Verantwortlichkeit beginnt 442 443 444 445
In den sonst vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen. So bereits Spindler/Schmitz/Geis/Spindler TDG Vor § 8 Rn 21 ff. Hoffmann MMR 2002, 284, 288. BT-Drucks 14/6098, 22; zum Auslegungsgehalt dieses und weiterer Widersprüche in den Äußerungen des Gesetzgebers eingehend Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1, 8 f.
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Eingehend Grabitz/Hilf/Nettesheim EGV Art 249 Rn 153. EuGH Rs 14/83 – v. Colson u. Kamann NJW 1984, 2021, 2022. Geiger EGV Art 249 Rn 10. BGH vom 19.10.2004, XI ZR 337/03, 9, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Grabitz/Hilf/Nettesheim EGV Art 249 Rn 133. EUV/EGV/Geiger EGV Art 249 Rn 13.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
mit allgemeinen Grundsätzen (§ 7 TMG) und beschreibt dann bestimmte Tätigkeiten bei der Übermittlung, Zugangsvermittlung oder Speicherung fremder Informationen, für die der Diensteanbieter nicht verantwortlich sein soll (§§ 8–10 TMG). Für die eigenen Telemedien haftet der Diensteanbieter nach den allgemeinen Regeln, wobei allerdings die Besonderheiten des Mediums Berücksichtigung finden können. Eine Kernfrage ist, wann Provider für Daten oder Kommunikationen ihrer Kunden 228 und Nutzer in Anspruch genommen werden können. Die Regelungen befinden sich damit inmitten des Spannungsfelds zwischen den Polen eines effektiven Schutzes gegen Rechtsverletzungen, wirtschaftlicher Interessen der Intermediäre und letztlich der Freiheit der Nutzer. Es überrascht daher nicht, dass die Haftungsprivilegien heftig umstritten sind. Dies betrifft von der Verfassungsmäßigkeit,452 über die Struktur der Privilegien und den Anwendungsbereich jedes einzelne Tatbestandsmerkmal. Inzwischen liegen mehrere Entscheidungen des BGH zur Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter vor.453 So war streitig, auf welcher Ebene die Haftungsprivilegien eingreifen: Enthalten die 229 Regelungen einen eigenen Haftungstatbestand? Begeht der von der Verantwortung befreite Provider dennoch voll umfänglich eine Rechtsverletzung? Handelt er dabei rechtswidrig und/oder schuldhaft? Die Einordnung der privilegierenden Wirkung in das Prüfungsschema einer etwaigen Rechtsverletzung hat Auswirkungen auf mögliche Handlungspflichten oder Beteiligungen Dritter 454 sowie im Zivilrecht auf die Beweislast. Im Wesentlichen werden drei Ansätze für die Wirkung der Privilegierung vertreten: Als Vorbzw Nach-Filter zu den allgemeinen Verantwortlichkeitsregeln oder als Verantwortlichkeit ausschließender Sondertatbestand innerhalb der allgemeinen Verantwortlichkeitsregeln.455 Der Bundesgerichtshof hat für die deliktische Zivilrechtshaftung nach § 823 BGB ent- 230 schieden, dass die Verantwortlichkeitsregelungen keinen haftungsbegründenden Charakter oder eigene Anspruchsgrundlagen aufwiesen 456, sondern als zusätzliches anspruchsbegründendes Merkmal der Verantwortlichkeit für die durch die Vorschriften privilegierten Diensteanbieter zu prüfen seien. Dies käme der in der Literatur vertretenen Filterfunktion der Verantwortlichkeitsregelungen gleich, wonach die Voraussetzungen der Normen erfüllt sein müssten, bevor die Prüfung der einschlägigen Vorschriften nach den Maßstäben des jeweiligen Rechtsgebiets erfolge.457 Hiervon scheint der VI. Senat des
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Zum TDG 1997 Lehmann CR 1998, 232; Spindler/Schmitz/Geis/Spindler TDG Vor § 8 Rn 8 f. Zum TDG/MDStV BGH vom 23.9.2003, VI ZR 335/02; BGH vom 22.11.2001, III ZR 5/01; BGH vom 4.3.2004, III ZR 96/03 – Dialer; BGH v. 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I; BGH vom 30.3. 2006, I ZR 24/03 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten; BGH vom 5.10.2006, I ZR 229/03 – Pietra di Soln; zum TMG BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; BGH vom 19.4. 2007, I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II; BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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Hierzu eingehend Spindler MMR 1998, 639. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler TDG Vor § 8 Rn 27 ff; weiterführend jeweils mwN Sobola/Kohl CR 2005, 443, 445; Stadler Haftung 45 ff; Hoffmann MMR 2002, 284, 285; Müller-Terpitz Verantwortlichkeit: Vorfilter, aber tatbestandsintegriert zu prüfen. So auch die Begründung zum EGG, BT-Drucks 14/6098, 23. BGH vom 23.9.2003, VI ZR 335/02, 7 mwN, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; so etwa beschreibt auch die Begründung die Wirkung der Privilegierungen, BT-Drucks 14/6098, 23: „Sind daher im Einzelfall die Voraussetzungen der allgemeinen Vorschriften für eine Haftung erfüllt, so ist der Diensteanbieter für die Rechtsgutsverletzung
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BGH in der Entscheidung „Meinungsforum im Internet“ für das TMG wieder etwas abgerückt: 458 Eine Verantwortlichkeit nach allgemeinen Vorschriften des Zivil- oder Strafrechts werde von den Haftungsprivilegien vorausgesetzt. Beide Urteile lassen letztlich offen, wie sich der BGH zur „Filterlösung“ positioniert. Diese wird als „Auffassung der Literatur“ zitiert und als dem vom BGH herangezogenen selbstständigen Privilegtatbestand lediglich gleichkommend dargestellt. Damit ist der BGH insbesondere nicht gebunden hinsichtlich der Beurteilung von Fällen bei denen Dritte mitwirken, die sich auf keinen Privilegtatbestand berufen können. Zumindest die zuletzt zitierte Entscheidung spricht dafür, dass der BGH die Verantwortlichkeit nach TMG als Freistellung von Strafe oder Schadensersatzpflicht für eine vollumfänglich vorliegende Rechtsverletzung versteht.459 Dies entspricht auch dem Konzept der ECRL (Rn 223). Für die Praxis hoch relevant ist die Einordnung durch den BGH als anspruchsbegrün231 dendes Merkmal der Verantwortlichkeit.460 Damit obliegt dem Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Privilegien des TMG nicht greifen.461 2. Sachlicher Anwendungsbereich
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Der Anwendungsbereich des TMG ist in § 1 bestimmt. Danach gilt das Gesetz für alle Telemedien und enthält lediglich konkrete Einschränkungen des Anwendungsbereiches hinsichtlich bestimmter Rechtsmaterien oder Inhalte: Das TMG gilt nicht für den Bereich der Besteuerung und soll weder Regelungen im Bereich des internationalen Privatrechts treffen noch die Zuständigkeit der Gerichte regeln (§ 1 Abs 2 und 5 TMG).462 TKG, Pressegesetze und RStV bleiben unberührt (§ 1 Abs 3 und 4 TMG). Weitere Einschränkungen des Anwendungsbereiches finden sich speziell für das Herkunftslandprinzip (§ 3 Abs 4 TMG). Trotz dieser klaren Regelungen werden erhebliche Einschränkungen der Anwendbar233 keit – vor allem der Verantwortlichkeitsregeln im Zivilrecht – angenommen. Diese werden gesondert behandelt (Rn 256).
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a) Strafrecht. Der Bundesgerichtshof hat die Anwendbarkeit der Haftungsprivilegien für den Bereich des Strafrechts wiederholt bestätigt.463 Damit ist allerdings nicht entschieden, auf welcher Ebene die Privilegien greifen, also durch Ausschließung des Tatbestands, der Rechtswidrigkeit, der Schuld oder lediglich der Strafbarkeit.464 Dies spielt in der Praxis eine wichtige Rolle, wenn es um mehrere Beteiligte geht oder wohl eher theoretisch bei Notwehr und Notstand.
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gleichwohl nicht verantwortlich, wenn er sich auf das Eingreifen der §§ 9, 10 oder 11 berufen kann.“ BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, 5, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Es bleibt dabei prozessökonomisch unbenommen, die Verantwortlichkeit nach TMG zuerst zu prüfen. BGH vom 23.9.2003, VI ZR 335/02, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 23.9.2003, VI ZR 335/02, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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S aber zum Herkunftslandprinzip Rn 134. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 13; BGH vom 12.7. 2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, 11; vgl BGH vom 27.6. 2001, 1 StR 66/01, 9, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. S zum Diskussionsstand Fischer/Fischer StGB § 184 Rn 27 ff; Vassilaki MMR 1998, 630.
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b) Öffentliches Recht. Die Geltung der Privilegien des TMG auf Sachverhalte, die 235 dem öffentlichen Recht unterfallen, ist fraglich. Grds spricht für die Geltung der Vorschriften, dass behördliche Sperrungsanordnungen in § 9 Nr 5 S 2 TMG ausdrücklich erwähnt sind, sich aus dem Anwendungsbereich des § 1 TMG keine Einschränkungen auf Rechtsgebiete ergeben und bereits die ECRL in den jeweils letzten Absätzen der Art 12–15 die Befolgung bestimmter behördlicher Anordnungen vorsieht.465 Es ist bemerkenswert, dass der BGH schon wiederholt bei der Frage der dogmatischen Einordnung der Privilegien formuliert hat, diese setzten eine „Verantwortlichkeit nach allgemeinen Vorschriften des Zivil- oder Strafrechts voraus“ 466 und damit öffentlich-rechtliche Ansprüche nicht erwähnt. Spindler weist allerdings zu Recht darauf hin, dass der praktische Anwendungsbe- 236 reich im öffentlichen Recht gering wäre: 467 Behördlich angeordnete Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen bleiben richtlinienkonform 468 unberührt, § 7 Abs 2 S 2 TMG.469 Der Kampf der Bezirksregierung Düsseldorf mit Sperrungsverfügungen gegen das Internet scheitert daher nicht an den Haftungsprivilegierungen.470 Eine andere Inanspruchnahme der Vermittler von Informationen durch öffentlich-rechtliches Handeln, für das es auf die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter ankäme, ist nicht ersichtlich. Lediglich wird durch die Verantwortlichkeitsregeln eine öffentlich-rechtliche Anordnung einer allgemeinen Überwachungs- oder Prüfungspflicht fremder Inhalte verboten, § 7 Abs 2 S 1 TMG.471 c) Zivilrecht. Zivilrechtliche Ansprüche sind ein wesentlicher Aspekt der Verantwort- 237 lichkeit der Diensteanbieter. Die Privilegierung der Diensteanbieter bei zivilrechtlicher Inanspruchnahme wegen von Nutzern eingebrachter Informationen ist eines der Ziele der ECRL und des TMG. Die Praxis hat zentrale Bereiche wie die Unterlassungsansprüche (Rn 271) und die Haftung für Links oder die Tätigkeit der Suchmaschinen (Rn 294) aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften genommen und wendet insoweit die allgemeinen Regeln mit telemedienspezifischen Besonderheiten an. Diese Sachverhalte werden zusammenhängend unter den Sonderproblemen behandelt (Rn 256), wo auch die allgemeinen Haftungsregelungen der Verantwortlichkeit für Gefahrenquellen sowie der Gehilfen- und Störerhaftung dargestellt werden. Die Haftungsprivilegien des TMG sind nicht auf außervertragliche Rechtsverhältnisse 238 beschränkt. Grds können die Vorschriften daher auch die Verantwortlichkeit in einem
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Ergänzend heißt es in ErwG 47 ECRL: „Die Mitgliedstaaten sind nur dann gehindert, den Diensteanbietern Überwachungspflichten aufzuerlegen, wenn diese allgemeiner Art sind. Dies betrifft nicht Überwachungspflichten in spezifischen Fällen und berührt insbesondere nicht Anordnungen, die von einzelstaatlichen Behörden nach innerstaatlichem Recht getroffen werden.“ Zuletzt BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler TDG Vor § 8 Rn 19. S die letzten Absätze der § 12–14 ECRL.
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Spindler NJW 2002, 921, 922; zum TDG 1997 Sieber MMR (Beil 2) 1999, 1, 3 f und 25. S beispielhaft OVG Münster MMR 2003, 348, 351 – Sperrungsverfügung (mit Anm Spindler); dazu Spindler MMR 2003, 353; Engel MMR Beil 4 2003, 1 ff; Stadler MMR 2002, 343; s auch Ladeur ZUM 2004, 1. Einen guten Überblick bietet www.artikel5.de/entscheidungen/ sperrungsanordnungen_2002.html (Stand 3.10.2007); jetzt eingehend auch Sieber/ Nolde Sperrverfügungen. So auch Spindler/Schmitz/Geis/Spindler TDG Vor § 8 Rn 19.
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Vertragsverhältnis betreffen.472 Sich aus dem Vertragsverhältnis ergebende Leistungsoder Verhaltenspflichten sind jedoch vorrangig, da eine vertragliche Begründung der Haftung für einen der privilegierten Tatbestände durch das TMG nicht ausgeschlossen wird.473 Verpflichtet sich der Diensteanbieter etwa, bestimmte Inhalte nicht zu speichern, so ergibt sich seine vertragliche Haftung bei Zuwiderhandlungen unbeschadet des § 10 TMG. Auswirkungen in den vertraglichen Bereich haben die Haftungsprivilegien aber soweit vertragliche Regelungen nicht bestehen als allgemeine Auslegungsgrundsätze sowie als Maßstab für die AGB-Kontrolle (§ 307 Abs 2 Nr 1 BGB). 3. Die Privilegierungstatbestände des TMG
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a) Durchleitung von Informationen (§ 8 Abs 1 TMG). Die Übermittlung fremder Informationen in einem Kommunikationsnetz oder die Vermittlung des Zugangs zur Nutzung solcher Informationen wird nach § 8 Abs 1 S 1 TMG privilegiert. Hauptanwendungsfall sind Leistungen und Tätigkeiten von Providern, die den Zugang des Nutzers zum Internet ermöglichen oder die netzinterne Übermittlungsvorgänge beim Austausch von Informationen im Internet betreffen.474 Umgesetzt wird damit Art 12 ECRL.475 Freigestellt wird der automatisierte Betrieb der technischen Infrastruktur für Zugang zum Internet und die automatisierte Durchführung der von den Nutzern vorgenommenen Kommunikationsvorgänge.476 Eine bloße Durchleitung liegt nicht mehr vor, wenn der Diensteanbieter 240 – die Übermittlung selbst veranlasst (§ 8 Abs 1 Nr 1 TMG), – den Adressaten der übermittelten Informationen auswählt (§ 8 Abs S 1 Nr 2 TMG) oder – die übermittelte Information auswählt bzw verändert (§ 8 Abs S 1 Nr 3 TMG). Nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Begründung 477 ist der Diensteanbieter 241 selbst dann privilegiert, wenn er positiv Kenntnis davon hat, dass seine Tätigkeit konkret rechtswidrige Inhalte betrifft. Erst bei absichtlichem Zusammenwirken des Anbieters mit dem Nutzer zum Zwecke der Begehung rechtswidriger Handlungen greift die Privilegierung nicht mehr. Auf Grund der Ausklammerung der Unterlassungsansprüche (Rn 271) erscheint die Praxisrelevanz der Vorschrift allerdings gering. Zur Kenntnisnahme von durchzuleitenden Daten ist der Diensteanbieter ohnehin nur ausnahmsweise berechtigt (s Teil 5 Kap 2 Rn 155). Erschöpft sich die Tätigkeit des Diensteanbieters nicht in der bloßen Durchleitung, 242 bspw weil er den Nutzer beim Zugang im Rahmen einer Schulung anleitet, haftet er für diese Tätigkeit nach den allgemeinen Vorschriften.478 Der Betreiber eines Internetcafes ermöglicht den Zugang zum Internet und ist insoweit privilegiert, das Bereitstellen des Zugangsgerätes wird dagegen nach den allgemeinen Vorschriften zu beurteilen sein.479
243
b) Zwischenspeicherungen. Haftungsprivilegiert werden auch bestimmte Formen technischer Zwischenspeicherungen. Dabei unterscheidet das TMG zwischen solchen Speichervorgängen, die während und ausschließlich bei der Durchleitung gem § 8 Abs 1 472 473 474 475 476
Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 8 TDG Rn 14. Vgl Müller-Terpitz Verantwortlichkeit 588. Zur ECRL: Freytag CR 2000, 600, 606 f. BT-Drucks 14/6098, 24. S auch Erwägungsgrund 42 ECRL.
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477 478 479
BT-Drucks 14/6098, 24. AA wohl Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 9 TDG Rn 11 mwN. Vgl Liesching/Knupfer MMR 2003, 562, 568; Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 9 TDG Rn 11.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
TMG entstehen (Rn 239) und Speicherungen zur beschleunigten Übermittlung von Informationen (§ 9 TMG).480 In beiden Fällen ist wiederum allein die Tätigkeit eines Diensteanbieters bei der technischen Ermöglichung fremder Kommunikation privilegiert. Die Privilegierung ist daher gebunden an die Erforderlichkeit zur Erreichung des jeweiligen technischen Zwecks. Zwischenspeicherungen zur beschleunigten Übermittlung von Informationen (in der Gesetzesbegründung Caching genannt) gehen dabei über das für die Durchleitung der Information erforderliche Maß hinaus. Hier dienen die Speichervorgänge nicht der bloßen, sondern der effizienten bzw beschleunigten Übermittlung. Für die Zwischenspeicherung bei der Durchleitung gelten die Ausführungen unter Rn 239 entsprechend. Für das Caching hingegen gelten die Bestimmungen des § 9 TMG. Zu Diskussionen führt zunächst das für Caching konstitutive Kriterium der zeitlichen 244 Begrenzung.481 Spindler weist darauf hin, dass sich eine allgemeine, feste Grenze nicht bestimmen lasse und schlägt als Anhaltspunkt regelmäßig zwei bis drei Tage vor.482 Wortlaut und Begründung der Norm geben jedoch keinen Anlass, die Privilegierung des Cachings restriktiv zu handhaben. Zeitlich begrenzt ist eine Zwischenspeicherung immer dann, wenn bei der automatisierten Abspeicherung ein Verfallsdatum feststeht. Dieses Kriterium wird also regelmäßig durch die allgemeinen Einstellungen der Speichersysteme erfüllt sein. Strenger ist dagegen die Anforderung, dass die Speicherung ausschließlich dem Zweck dienen darf, die Übermittlung auf Nutzeranfrage hin effizienter zu gestalten. Das Vorhandensein einer konkreten Nutzeranfrage ist nach dem Wortlaut nicht erforderlich. Eine Speicherung auch zu anderen Zwecken als einer erwarteten Nutzeranfrage dagegen wäre nicht privilegiert. Um Caching im Sinne der Vorschrift handelt es sich daher dann nicht mehr, wenn die Speicherung dazu dient, eine nicht mehr verfügbare Quelle zu ersetzen. Daraus kann jedoch keine allgemeine Überwachungspflicht zur Überprüfung der Aktualität der verwendeten Quellen gefordert werden, wie sich aus § 7 Abs 2 S 1 sowie § 9 S 1 Nr 5 TMG ergibt. Jedenfalls zulässig wäre auch die Ausnutzung bestehender Industriestandards für die Aktualisierung (Schluss aus § 9 S 1 Nr 3 TMG). Allerdings sind solche Standards bislang nicht ersichtlich. Speicherungen von Internetseiten, die der Archivierung dienen (zB archive.org) oder eine eigene Verwertung der Inhalte darstellen,483 fallen dagegen klar aus der Privilegierung des Caching heraus. Gleiches gilt für Speicherungen, die für den Nutzer erfolgen und daher unter § 10 TMG fallen (Rn 249). Nach der hier vertretenen Auffassung kann sich die Zeitdauer der Speicherung am Durchschnitt der Aktualisierungsrate für die gecachte Art von Informationen orientieren. Das Cachen von Seiten mit aktuellen Meldungen wird daher nur für wenige Stunden privilegiert sein, bei weniger dynamischen Angeboten erscheinen Wochen oder gar Monate zulässig. An das Caching werden strengere Anforderungen hinsichtlich der Grenzen der Privi- 245 legierung gestellt. Die Privilegierung endet, wenn der Diensteanbieter – die Informationen verändert (§ 9 S 1 Nr 1 TMG), – Bedingungen für den Zugang zu Informationen nicht beachtet (§ 9 S 1 Nr 2 TMG), – allgemeine Aktualisierungsstandards nicht einhält (§ 9 S 1 Nr 3 TMG), – Standards zur Datenerhebung beeinträchtigt (§ 9 S 1 Nr 4 TMG).
480 481 482
BT-Drucks 14/6098, 24. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 10 TDG Rn 3 f. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 10 TDG Rn 4.
483
Denkbar etwa beim verkleinerten Angebot von Bilddateien durch Suchmaschinen, siehe OLG Jena v 27.2.2008, 2 V 319/07, BeckRS 2008 04589.
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Außerdem soll sich der Diensteanbieter auf die Privilegierung des Caching dann nicht mehr berufen können, wenn er Kenntnis von der tatsächlichen Entfernung oder Sperrung oder gerichtlichen oder behördlichen Anordnung einer solchen Maßnahme bzgl der Quelle erlangt hat und nicht seinerseits unverzüglich handelt, um die Informationen bei sich zu entfernen oder zu sperren (§ 9 S 1 Nr 5 TMG). Ziel dieser Privilegierungsausnahme ist es, das internettypische Ausweichverhalten auf andere Anbieter, bei Wegfall des ersten, zu verhindern. Die Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Information dagegen ist nach Wortlaut und 247 Begründung 484 unschädlich. Spindler schlägt eine teleologische Einschränkung der Zwischenspeicherprivilegien für diese Fälle vor.485 Dies soll sich aus ErwG 42 der ECRL ergeben. Ein entsprechender Umsetzungsauftrag kann jedoch Art 13 ECRL nicht entnommen werden. ErwG 42 der Richtlinie beschreibt lediglich allgemein den Regelfall der privilegierten Dienste, der Tatbestand der Privilegierung beim Caching ist in Art 13 ECRL für die Harmonisierung abschließend geregelt. Die Entscheidung fiel zugunsten der Akzessorietät der gecachten Informationen (§ 9 Nr 5 TMG), die bereits eine erhebliche Einschränkung der Informationszugangsfreiheit zur Folge haben kann. Ein wichtiger Anwendungsfall des Caching wird in der automatisierten Spiegelung 248 von Seiten Dritter gesehen.486 Die umfangreichsten Caches zur Beschleunigung der Beantwortung von Nutzeranfragen unterhalten die Suchmaschinenbetreiber. Dort findet sich ein großer Teil des Internet teilweise mehrfach zwischengespeichert. Nach hM soll diese Gruppe aber gerade von den Haftungsprivilegien ausgenommen sein (Rn 294).
249
c) Speicherung von Informationen. Die Speicherung von Informationen für einen Nutzer ist privilegiert (§ 10 S 1 TMG). Im Gegensatz zu den Zwischenspeicherungen (§ 8 Abs 2, § 9 TMG) handelt es sich um zeitlich nicht begrenzte, für den Nutzer oder Dritte abrufbare dauerhafte Festlegungen der Informationen auf Speichermedien des Anbieters oder von ihm eingeschalteter Dritter. Wichtigster Anwendungsfall ist das Hosting.487 Die Privilegierung ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Der Diensteanbieter darf 250 keine Kenntnis von rechtswidrigen Speicherungen bzw diese implizierenden Umständen haben und er muss nach Kenntnis unverzüglich handeln (§ 10 S 1 Nr 1 und Nr 2 TMG). In § 10 S 2 TMG ist darüber hinaus die Feststellung enthalten, dass die Privilegierung nicht greift, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von diesem beaufsichtigt wird. Umstritten ist das Merkmal der Kenntnis.488 Die Ausnahme von der Privilegierung 251 bei Kenntnis der Speicherung oder der Umstände unterscheidet nach Anspruchsgrundlagen. Für Fälle der Schadensersatzhaftung ist bereits die Kenntnis der Umstände, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, schädlich. In den anderen Fällen der Verantwortlichkeit – und dies ist wegen des Ausscheidens der Unterlassungsansprüche in erster Linie der Bereich des Strafrechts – ist dagegen erst die Kenntnis der rechtswidrigen Handlung oder der Information entprivilegierend.
484 485 486 487
BT-Drucks 14/6098, 24 f. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 10 TDG Rn 8, 20. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 10 TDG Rn 5. Darunter fallen auch bestimmte Plattform-
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488
und Forenbetreiber, Fülbier CR 2007, 515, 517. Eingehend mit der Darstellung zum aktuellen Stand der Diskussionen und zahlreichen weiteren Nachweisen Spindler/Schmitz/ Geis/Spindler § 11 TDG Rn 10 ff.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
Zu fordern ist positive Kenntnis in Bezug auf eine konkrete Rechtsverletzung.489 Art 14 Abs 1 lit a ECRL verlangt „tatsächliche Kenntnis“.490 Eine Pflicht des Diensteanbieters, gespeicherte Informationen durch Mitarbeiter oder technische Hilfsmittel zu überwachen und nach rechtswidrigen Informationen zu suchen, besteht nicht (§ 7 Abs 2 S 1 TMG). Eine Ausnahme für Fälle eines Verdachts auf rechtswidrige Informationen ist in § 10 S 1 Nr 1 Alt 2 TMG ausdrücklich normiert. Systematik und Wortlaut lassen es daher nicht zu, Fälle fahrlässiger oder absichtlicher Unkenntnis der Kenntnis gleichzusetzen. Hierfür besteht auch kein Bedarf, da es dem Rechtsinhaber obliegt, entsprechende Rechtsverstöße zu ermitteln und den Diensteanbieter durch Inkenntnissetzung zur unverzüglichen Entfernung zu zwingen. Nicht ausreichend sind dabei allgemeine Hinweise, dass es zu Rechtsverletzungen komme.491 Die Versuche der Ausdehnung der Haftung über den Wortlaut der Vorschriften hinaus beruhen auf einer Ablehnung des vom europäischen Gesetzgeber entwickelten Konzepts des Schutzes der Intermediäre zu Gunsten der Interessen der Rechteinhaber, nicht auf dem Text der Norm. Der nächste Streitpunkt ist die Frage, ob sich Kenntnis oder Kennenmüssen auch auf die Rechtswidrigkeit beziehen müssen.492 Der Wortlaut des § 10 S 1 Nr 1 TMG spricht nur von Kenntnis der rechtswidrigen Handlung, bzgl der Information fehlt dagegen der Aspekt der Rechtswidrigkeit. Aus der Begründung ergibt sich, dass diese Unterscheidung bewusst erfolgt ist.493 Ist die Information als solche bereits zu beanstanden (bspw Besitz kinderpornografischer Schriften,494 § 184b StGB) ist die Kenntnis von der Information ausreichend. Ergibt sich die Rechtswidrigkeit dagegen nicht unmittelbar aus einer Information selbst, sondern begründet bspw erst die Verwendung der Informationen die Rechtswidrigkeit, soll sich die Kenntnis auf die rechtswidrige Handlung beziehen müssen. Gegen diese Differenzierung werden aus Gemeinschaftsrecht Bedenken erhoben.495 Für eine richtlinienkonforme Auslegung ist indes auf Grund des eindeutigen Wortlautes und dessen ausdrücklicher Begründung kein Raum (s Rn 226). Die Differenzierung ist auch sachgerecht. Beim Hauptanwendungsfall – der Verantwortung für die Speicherung oder Mitwirkung bei der Zugänglichmachung von strafrechtswidrigem Material – ergibt sich das Verbotensein unmittelbar aus der Information. Der Diensteanbieter ist hier ab Kenntnis des Materials Normadressat wie jeder andere auch. Bei Informationen, deren Rechtsunzulässigkeit sich erst aus dem Zusammenspiel mit weiteren Handlungen ergibt, hätte jedes Abstellen auf weniger als positive Kenntnis Prüfungs- oder Kontrollpflichten zur Folge, welche die Vorschriften gerade zu verhindern suchen. Nicht der rechtsunkundige Provider wird prämiert, sondern der bösgläubige in die Haftung genommen. Zweckmäßig zum Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit wäre die Etablierung eines geregelten notice and take down-Verfahrens für alle gegen Diensteanbieter geltend gemachten Ansprüche. Auf der jetzigen Basis fehlt die Transparenz der Löschungen sowohl für den Nutzer, der nicht erkennt, dass Informationen fehlen 496 als auch für die 489
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So mit eingehender Begründung OLG Brandenburg MMR 2004, 330 (mit Anm Spindler) vgl BGH v 23.9.2003, VI ZR 335/02, 5 Zu § 5 Abs 2 TD6 1997; Spindler/Schmitz/ Geis/Spindler § 11 TDG Rn 11. Vgl ErwG 46 ECRL, der von Bekannt- oder Bewusstwerden rechtswidriger Tätigkeiten spricht. So auch OLG Brandenburg MMR 2004, 330, 332 (mit Anm Spindler) siehe aber um die damit verbundene Problematik der
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Verantwortung für eine Gefahrenquelle Rn 263. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 11 TDG Rn 17 ff. BT-Drucks 14/6098, 25. S Teil 7 Kap 3 Rn 258. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 11 TDG Rn 19 mwN. Schmitz/Dierking CR 2005, 420, 426. Positive Ausnahme sind bspw die Hinweise bei google.de auf gelöschte Resultate.
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Allgemeinheit, da das Ausmaß der Sperrungen von Inhalten nicht bekannt ist. Außerdem sollte eine Löschung von Inhalten voraussetzen, dass der Anspruchsteller in geeigneter Weise für zu unrecht verlangte Löschungen in Anspruch genommen werden kann. Das wäre ein angemessenes Gegengewicht zur mangelnden Prüfbarkeit des Anspruches durch den Diensteanbieter.
IV. Sonderprobleme der Verantwortlichkeit von Telemedienanbietern 1. Eigene Inhalte – Fremde Inhalte
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Das TMG unterscheidet zwischen eigenen Informationen, für die der Diensteanbieter ohne Privilegierung haftet, sofern er diese zur Nutzung bereithält (§ 7 Abs 1 TMG) und fremden Informationen, für die der Diensteanbieter unter bestimmten Bedingungen nicht haftet (§§ 8–10 TMG).497 In den Filter der Privilegierungstatbestände gelangt somit nur der Diensteanbieter, der sich darauf berufen kann, die angegriffenen Inhalte seien fremd. Aus der Einteilung in fremde oder eigene Informationen folgt also eine entscheidende Bifurkation im Verantwortlichkeitsrecht.498 257 Die ohnehin zur Meidung der Sondervorschriften tendierende Rechtsprechung verwendet zudem die Figur der zu eigen gemachten Informationen, um auch auf diese die allgemeinen Gesetze anwenden zu können.499 Eine solche Kategorie wird auch von der Begründung zum TDG 2001 erwähnt, nach der Gesetzesbegründung soll es sich um eine Unterform der eigenen Informationen handeln.500 Inzwischen hat der BGH ausdrücklich die Haftung für zu eigen gemachte Inhalte festgestellt.501 Das überzeugt jedoch nicht. 258 Abweichend von der wertenden Betrachtung des TMG sieht die ECRL für die Haftungsprivilegien das tatsachenorientierte Kriterium vor, ob Informationen vom Nutzer eingegebenen worden sind. Zutreffend wird daher von der Literatur darauf hingewiesen, dass die Einteilung in eigene und fremde Informationen der Richtlinie fremd sei.502 Der von der ECRL vorgegebene, herzustellende Rechtszustand ist also die Freistellung der Verantwortung von Diensteanbietern unter den in Art 12 bis 14 näher bestimmten Konstellationen für die durch einen Nutzer eingegebenen Informationen. Nachdem es sich bei den Privilegierungstatbeständen der ECRL um umzusetzendes Recht handelt, muss sich die Bestimmung des Merkmals der fremden Informationen im Sinne des TMG in richtlinienkonformer Auslegung daran orientieren, dass zumindest die Sachverhalte, die nach der Richtlinie freizustellen sind, erfasst werden.503 259 Die Regelungen des TMG entsprechen außerdem vom Aufbau her den Privilegierungstatbeständen der ECRL und sind als Vollharmonisierung gedacht.504 Es liegt daher fern 497 498
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Vgl auch § 1 Abs 3 S 2 JuSchG. Siehe aber auch den vielversprechenden Ansatz der Abgrenzung des Werknutzers vom Vermittler im Urheberrecht bei Wimmers/Schulz CR 2008, 170. S die Nachweise bei Spindler/Schmitz/Geis/ Spindler § 8 TDG Rn 5; Spindler MMR 2004, 440; Engels AfP 2000, 524, 527; zuletzt BGH v 18.10.2007, I ZR 102/05 – ueber18.de Rn 20. BT-Drucks 14/6098, 23; eingehend zum TDG 1997: Sieber Verantwortlichkeit Rn 290 ff.
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BGH vom 18.10.2007, I ZR 102/05 – ueber18.de Rn 16; zurückhaltender noch BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 13, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: „Eine Prüfung durch die Beklagte, die dazu führen könnte, dass sie sich die Inhalte zu eigen macht, findet nicht statt“. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 8 TDG Rn 6; Hoffmann MMR 2002, 284, 288; Schmitz/Dierking CR 2005, 420, 424 f. So auch Spindler MMR 2004, 440, 441. BT-Drucks 14/6098, 22.
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anzunehmen, der Gesetzgeber habe sich durch die Verwendung des Begriffes der „fremden Informationen“ aus den von der ECRL vorgegebenen Sachverhalten lösen wollen. Fremde Inhalte sind daher zumindest alle Informationen, die von Nutzern eingegeben und vom Diensteanbieter lediglich übermittelt, zugangsvermittelt oder gespeichert werden. Wählt der Diensteanbieter Informationen Dritter aus oder verändert diese, so bleiben die Informationen fremd. Allerdings ist der Anbieter dann nicht mehr privilegiert (§ 8 Abs 1 Nr 3 TMG bzw Art 12 Abs 1c ECRL). Dagegen möchte die hM in diesem Fall wohl annehmen, es handele sich nicht mehr um fremde Informationen. Das ist mit der Systematik des Aufbaus der Haftungsprivilegien, wie er aus der ECRL übernommen wurde, schwerlich zu vereinbaren.505 Dort sind Privilegierungstatbestände aufgeführt und Tatbestände, die die Privilegierungen wiederum ausschließen. Für eigene Informationen gelten jedoch die allgemeine Regeln (§ 7 Abs 1 TMG). Gleiches gilt im Falle des § 8 Abs 1 S 2 TMG. Danach findet die Privilegierung für die Durchleitung keine Anwendung bei kollusivem Zusammenwirken des Anbieters mit dem Nutzer. Auch dabei müsste es sich nach der Theorie der zu eigen gemachten Informationen um eine deklaratorische Norm ohne Anwendungsbereich handeln. Für eine weite Auslegung des Begriffs der eigenen Informationen des Diensteanbieters, 260 die auch vom Nutzer eingegebene Informationen umfasst, lässt die ECRL also keinen Raum 506. Die von der Literatur kritisierte Tendenz der Gerichte, sich Auseinandersetzungen mit den Privilegierungstatbeständen zu ersparen, indem fremde Informationen als „zu eigen gemacht“ unqualifiziert werden,507 ist gemeinschaftsrechtswidrig. Es besteht hierfür auch kein Bedarf, da die Privilegierungstatbestände der §§ 8 bis 10 TMG ein ausdifferenziertes System der Verantwortlichkeit gerade unter Berücksichtigung der Kenntnis und Beteiligung des Diensteanbieters an der Information selbst und ihrer Zugänglichkeit enthalten. Der Kunstgriff der zu eigen gemachten Informationen kann nur noch insoweit Bestand haben, als hierdurch Verhaltensweisen des Diensteanbieters erfasst werden, die nicht bereits in den Privilegierungstatbeständen abschließend geregelt sind. Dies hat vielleicht auch der BGH im Sinn, wenn die Zu-Eigen-Machung von Inhalten an deren Prüfung durch den Diensteanbieter geknüpft wird.508 Gibt der Anbieter Inhalte Dritter weiter als von ihm geprüfte Informationen, so erschöpft sich der Beitrag des Anbieters nicht in den nach §§ 8 bis 10 TMG privilegierten Tätigkeiten, denn die aus der ECRL umzusetzenden Privilegien gelten nur bzgl des technischen Beitrages der Diensteanbieter.509 Nachdem die ECRL eine Bestimmung bzgl der fremden Informationen im Sinne der 261 Privilegierungstatbestände liefert, erfolgt die Ausfüllung des Begriffes der eigenen Informationen negativ dazu. Dieses Ergebnis wird auch gestützt durch den Wortlaut des § 7 Abs 1 TMG. Dort wird die Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf eigene Informationen zusätzlich beschränkt auf solche, die der Anbieter „zur Nutzung bereithält“. Zweifelsfrei bleiben Diensteanbieter aber auch sonst nach den allgemeinen Vorschriften verantwortlich. Die Vorschrift hat also deklaratorischen Charakter 510 und wird definiert durch die Privilegtatbestände, nicht durch deren Ausnahmen.
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S bereits Freytag CR 2000, 600, 608 zu Art 14 Abs 2 ECRL. Schmitz/Dierking CR 2005, 420, 425 bemerken zu Recht, dass nicht das nationale Recht die Reichweite der ECRL bestimmt. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 8 TDG Rn 5; s vor allem Sobola/Kohl CR 2005, 443, 444 f.
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BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 13, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Vgl ErwG 42 ECRL; BT-Drucks 14/6098, 22 f; vor allem Spindler MMR 2004, 440, 441. So wohl auch Sobola/Kohl CR 2005, 443, 444.
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Fremde Informationen sind folglich nach der hier vertretenen Auffassung alle Inhalte, die von Dritten in das Angebot eingestellt werden, eigene Informationen diejenigen, die der Diensteanbieter selbst einstellt oder als eigene veröffentlicht. Für die Beurteilung soll es nach verbreiteter Auffassung darauf ankommen, ob die Information aus Sicht eines objektiven Nutzers als vom Anbieter stammend erscheine.511 Sieber hat zum TDG 1997 das Kriterium der bewussten Einzelauswahl vorgeschlagen.512 Spindler stellt dagegen darauf ab, ob der Anbieter aktiv die Kontrolle über Informationen ausübe.513 Zwar lässt sich dies insbesondere aus ErwG 42 der ECRL ableiten, dennoch führt diese Auffassung in die Untiefen technischer Kontingenzen. Vorzugswürdig erscheint daher eine an den Privilegierungstatbeständen der ECRL orientierte Auslegung. Abzustellen ist allein auf die objektive Handlung der Eingabe durch Dritte und die Erschöpfung des Beitrags des Anbieters in der technischen Unterstützung durch Übermittlung, Speicherung oder Zugangsvermittlung. Die Privilegierungstatbestände der ECRL stellen auf die Tatsache und nicht den Anschein der Eingabe der Informationen durch den Nutzer ab; eine Ausnahme von der Privilegierung für das Setzen des Anscheins eigener Eingabe gibt es in den Regelungen der ECRL nicht. Erst wenn der Anbieter Informationen Dritter selbst verwertet oder sonst als eigene verwendet, besteht Anlass das Prüfungsschema der §§ 8–10 TMG zu verlassen. 2. Verantwortlichkeit für Gefahrenquelle
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Ein eigener Wettbewerbsverstoß (§ 3 UWG) des Anbieters soll nach Ansicht des BGH in der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht bestehen können: Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffne, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Wettbewerbsrecht geschützt sind, könne eine unlautere Wettbewerbshandlung begehen, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren begrenze. Eine solche Gefahrenquelle liege bei Angeboten vor, die mit der naheliegenden Gefahr verbunden sind, dass schutzwürdige Interessen von Verbrauchern beeinträchtigt werden können. Gelangten dann konkrete Rechtsverletzungen dem Anbieter zur Kenntnis, so hafte er für eigenes Unterlassen, wenn er solche Verstöße zukünftig nicht so weit wie möglich verhindere.514 Die Pflicht zu zumutbaren, gefahrenverhütenden Maßnahmen entspreche dem allgemeinen Rechtsgedanken der Verantwortung für eine Gefahrenquelle.515 Die Verkehrspflicht konkretisiere sich als Prüfungspflicht. Der unangemessenen Ausdehnung der Haftung werde durch das Kriterium der Zumutbarkeit Einhalt geboten. Hier sollen die Grundsätze der Störerhaftung entsprechend gelten.516 Die konkrete Prüfungspflicht wird dann anhand der Umstände des Einzelfalles abgewogen, wobei das Verbot der Auferlegung allgemeiner Überwachungspflichten (§ 7 Abs S 1 TMG) immerhin als berück-
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Plaß WRP 2000, 599, 609 folgend OLG Braunschweig MMR 2001, 608, 609; ähnlich OLG Brandenburg MMR 2004, 330, 330 (mit Anm Spindler); Sobola/Kohl CR 2005, 443, 444. Leible/Sosnitza NJW 2004, 3225, 3226. Sieber Verantwortlichkeit Rn 302. Spindler/Schmitz/Geis/Spindler § 8 TDG Rn 9; Spindler MMR 2004, 440, 442; das kann aber zu dem von Schmitz/Dierking CR 2005, 420, 425 aufgezeigten Problem
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führen, dass Anbieter für Kontrollen mit Haftung bestraft werden. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 37, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 38, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 39, 41, 43 f, 46, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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sichtigenswerter Aspekt erhalten bleibe.517 Im Ergebnis habe der Betreiber einer Auktionsplattform jedes Anbieten konkret bekannt gewordener jugendgefährdender Titel zu verhindern und bzgl aufgefallener Drittanbieter deren Sortiment nach Kategorien unzulässigen Materials zu durchsuchen.518 Außerdem soll es noch zumutbar sein, die von Anbietern eingesetzten Alterverifikationssysteme rechtlich zu prüfen.519 Die Entscheidung ist auf berechtigte Kritik gestoßen.520 Die Einordnung von Inter- 264 netplattformen als Gefahrenquelle 521 verlagert die Haftung aus der Störerverantwortlichkeit (s Rn 278) in die täterschaftliche Haftung mit der Folge der Schadensersatzpflicht (§ 9 UWG) oder Gewinnabführung (§ 10 UWG).522 Vor allem aber fällt damit die Begrenzung der sich ergebenden Überwachungspflichten auf eine konkret mitgeteilte „Störung“.523 Stattdessen hat der Verantwortliche die Verletzung abstrakter Rechtsgüter zu verhindern, lediglich eingeschränkt durch das unvorhersehbare Kriterium der Zumutbarkeit. Automatisiert wird eine Überwachung von Titeln, Anbietern oder gar Altersverifikationssystemen nicht gelingen.524 Sobald der Anbieter jedoch Kenntnis vom Inhalt nimmt, sitzt er in der Haftungsfalle (s Rn 256, 270, 287). Grundlage der neuen Haftung ist die Auferlegung einer bisher nicht bestehenden Ver- 265 haltenspflicht zur Verhinderung des Missbrauches des bereitgestellten Angebots. Dem Mitwirkenden wird nicht sein konkreter Beitrag an einer Störung vorgehalten, sondern seine Untätigkeit hinsichtlich der von ihm geschaffenen „Gefahrenquelle“. Gerade für Intermediäre ist damit ein Paradigmenwechsel verbunden.525 Jedes Kommunikationsmedium eröffnet die Gefahr unzulässiger Übermittlungen; aus der Verletzung von Rechtsgütern kann auf das Bestehen einer Gefahrenquelle geschlossen werden. Versuche aufgrund des Merkmals der Zurechenbarkeit den Anwendungsbereich des Instituts sinnvoll einzuschränken 526 haben im Urteil des BGH wenig Stütze. Ob dieses Ergebnis allerdings mit § 7 Abs 2 Satz 1 TMG, Art 15 Abs 1 ECRL in Einklang steht, darf bezweifelt werden. Anbieter sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht für die „Gefahren-
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BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 43 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Köster MMR 2007, 640. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 49, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Spindler MMR 2007, 511, 512; Köster MMR 2007, 640; zustimmend dagegen Köhler GRUR 2008, 1, 2 f; vgl OLG Frankfurt vom 22.1.2008, 6 W 10/08. S dazu aus strafrechtlicher Sicht bereits Sieber JZ 1996, 429, 494, 500 f. S hierzu Rössel/Kruse CR 2008, 35 II; Teil 3 Kap 1 Rn 340; unklar ist, ob insoweit nicht allerdings die Privilegierungen der §§ 8 ff TMG zu Gunsten des Diensteanbieters greifen. Obwohl dieses Kriterium bei der Störerhaftung auch nahezu aufgegeben ist, vgl Köster MMR 2007, 640, 640 f und Rn 1.
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Köster MMR 2007, 640, 641. Köhler GRUR 2008, 1 sieht gar die Ersetzung des Instituts der Störerhaftung. LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007, 7 beschränkt die Zurechenbarkeit auf den „eigenen Verantwortungsbereich“, sodass ein Provider nicht für Seiten Dritter haften soll. Aus der BGH-Entscheidung ergibt sich das nicht, da die Haftung am eigenen Beitrag für die Zugangsmöglichkeit anknüpft und dieser ohne Zweifel der Sphäre des Intermediärs zuzuordnen ist. LG Frankfurt aM vom 5.12.2007, 2-03 O 526/07 MIR-Dok 429-2007, 3 verneint in derselben Fallgestaltung ebenfalls die Zurechenbarkeit, da die Zugangsvermittlung „inhaltsneutral“ sei.
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5. Teil
quelle“ Plattform läuft aber genau darauf hinaus. Eine solche Verkehrssicherungspflicht geht auch über den systematisch nur auf den konkreten Einzelfall bezogenen Vorbehalt der Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung, § 7 Abs 2 Satz 2 TMG, Art 12 Abs 3, Art 13 Abs 2, Art 14 Abs 3 Satz 1 ECRL hinaus. Ob die Begrenzung auf das Wettbewerbsrecht und hier auf die Einhaltung bestimmter Normen bestehen bleibt, darf bezweifelt werden.527 Aufgrund der Unbestimmtheit der Voraussetzungen dieser Rechtsfigur, bietet sich die Anwendung auf andere Fälle im Bereich der Internethaftung an, in denen Unbehagen mit den herkömmlichen Ergebnissen besteht.528 Das reicht bis hin zu der Ausnahme, ein Linksetzer gehe bewusst das Risiko einer 266 Veränderung der verlinkten Seiten ein und übernehme daher eine Verkehrsicherungspflicht zur regelmäßigen Kontrolle.529 Dies verkennt den Charakter von Links als schlichtes und wichtigstes Strukturmerkmal für die Suche nach Informationen im Internet. Eine nicht verlinkte Website wird nicht gefunden. Ntoulas, Cho und Olston haben 2004 festgestellt, dass jede Woche etwa 320 Millionen neue Seiten erstellt werden und nur 20 % der bestehenden Webpages nach Ablauf eines Jahres noch zugänglich sind. Zugleich bestehen neue Seiten nach dieser Untersuchung zu weniger als 40 % auch aus neuen Inhalten; dennoch soll nach etwa einem Jahr die Hälfte der Inhalte des Webs neu sein.530 Zudem wird eine immer größer werdende Zahl von Internetseiten dynamisch, dh in Abhängigkeit von der konkreten Nutzeranfrage, individuell generiert. Der Verlinkende kann dann gar nicht prüfen, welche Seiteninhalte einem anderen Nutzer angezeigt werden. Eine Verknüpfung ist also eine Tür zu einem sich rasant ändernden, unüberschaubaren Kosmos. Niemand kann ernstlich die Haftung dafür übernehmen wollen, was sich hinter einem Link in dieses Gebilde später tut. Wenig Trost bietet zudem die Einschränkung auf „zumutbares Handeln“. Es fehlt 267 nicht nur an jeglicher Bestimmtheit dieses Kriteriums (s Rn 285 ff). Die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen lassen sich auch nur schwer in gerichtsverwertbarer Form in die Prozesse einbringen.531 Es steht damit im Belieben eines Gerichts seine Kasuistik der Zumutbarkeit zu entwickeln und im Verbund mit der Annahme seiner örtlichen Zuständigkeit für alle Rechtsverletzungen im Internet (s Rn 87) entsprechende Klagen bei sich zu konzentrieren.532 Dem BGH selbst gelingt in seiner Leitentscheidung keine überzeugende Abgrenzung, weshalb etwa das Angebot eines Versteigerers nach Kategorien von Jugendgefährdung zu überprüfen und ein bestimmter Titel 533 insgesamt aus der Platt-
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Keine Anwendung auf Accessproviding: OLG Frankfurt vom 22.1.2008, 6 W 10/08 JurPC Web-Dok 22/2008, LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 4132007; Köhler GRUR 2008, 1, 6 f meint, die Störerhaftung im Markenrecht sei bereits mittelbare täterschaftliche Verantwortung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht; Links als Gefahrenquelle: Schmitz/ Dierking CR 2005, 420, 428. Urheberrecht: LG Hamburg vom 26.7.2006, 308 O 407/06 (mit Anm Mantz); Foren: LG Hamburg vom 2.12.2005, 324 O 721/05 allerdings insoweit aufgehoben durch OLG Hamburg vom 22.8.2006, 7 U 50/06 – heise.de MMR 2006, 745 (mit Anm Feldmann).
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OLG München vom 15.3.2002, 21 U 1914/02, abrufbar unter JurPC Web-Dok 262/2002. Ntoulas/Cho/Olston WWW2004, 2 abrufbar unter citeseer.ist.psu.edu/ ntoulas04whats.html (Stand 13.11.2007). S etwa die Darlegung des Aufwands bei Köster MMR 2007, 640, 641. Zugleich ist es die Aufgabe des Anwalts, sich entsprechende Gerichte auszusuchen, Schack MMR 2000, 135, 139. Ohne dass sich der BGH mit den vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten für Filter auseinandersetzt oder gar der Frage, wie verschiedene Schnittversionen eines Titels vom Anbieter geprüft werden sollen (s Köster MMR 2007, 640, 640).
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§6
Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
form zu filtern sein soll, während das Filtern der Liste indizierter Medien durch § 7 TMG nicht verlangt werden könne. Gerade letzteres wäre wenigsten technisch möglich, wenn es auf die Zeichenfolge der Titel gemäß der Liste beschränkt wird.534 Allerdings lässt sich vielleicht für die Anbieter die Rechtsfigur der Verkehrsicherungspflicht auch nutzen, um das eigene Haftungsrisiko zu begrenzen. Nach ständiger Rechtsprechung können die „echten“ deliktischen Verkehrsicherungspflichten auf Dritte übertragen werden.535 Outsourcing der Überwachung von Portalen und Plattformen könnte also eine Lösung sein. Lichtblick der BGH Entscheidung zur Verkehrspflicht ist die Klarstellung, dass die 268 einen Unterlassungsanspruch begründende Wiederholungsgefahr eine Verletzung der Prüfpflichten erfordert, also mindestens einen weiteren Verstoß nach der Entstehung.536 Löst eine Rechtsverletzung oder deren Kenntnisverschaffung durch eine Abmahnung die Prüfpflicht erst aus, so kann die Pflicht noch nicht verletzt worden sein und es besteht noch kein Unterlassungsanspruch. Entsprechend wäre es dann nicht geboten, einer Klage durch eine Unterlassungsverpflichtung das Rechtschutzbedürfnis zu entziehen.537 Allerdings sorgt der BGH sogleich für weitere Dunkelheit, indem er die Schwelle für 269 die den Unterlassungsanspruch ebenfalls begründende Erstbegehungsgefahr dadurch senkt, dass er der Verletzung von Verkehrspflichten eine Indizwirkung für eine unmittelbar drohende Gefahr einer Rechtsverletzung zuzusprechen scheint.538 3. Gehilfenhaftung Offengelassen hat der BGH bislang, ob sich bei nachhaltiger Verletzung von Störer- 270 pflichten eine Gehilfenstellung des Störers ergeben kann.539 Voraussetzung wäre neben einer objektiven Beihilfehandlung zumindest bedingter Vorsatz in Bezug auf die konkrete Haupttat, einschließlich des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit. Letzteres soll voraussetzen, dass der konkrete Inhalt dem Anbieter bekannt ist.540 Daran wird es fehlen, wenn eine Kontrolle der Inhalte durch den Betreiber nicht erfolgt, etwa weil Dritte diese auf einer Plattform ohne Vorabprüfung einstellen können. Die Annahme einer Pflicht zur Überwachung der in §§ 8–10 TMG privilegierten Dienste verstieße dabei gegen § 7 Abs 2 S 1 TMG. Bedeutung kann die Gehilfenhaftung erlangen, wenn Intermediäre versuchen, ihrer Verantwortung für die „Gefahrenquelle Internet“, durch Kontrollen gerecht zu werden.541 Durch Kenntnisnahme oder Kontrolle fremder Inhalte droht nach hM deren ZuEigen-Machung, jedenfalls aber der Verlust der Haftungsprivilegierung.
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Das wird bei Suchmaschinen nämlich bereits praktiziert. Jüngst BGH vom 22.1.2008, VI ZR 126/07 Rn 9 mwN. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 53, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Köster MMR 2007, 640, 641. BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 54, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 18; BGH v. 19.4.2007, I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II, Rn 31, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Vgl BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II, Rn 31, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Dies fordert etwa LG Hamburg MMR 2001, 491, 492 (mit Anm Gercke).
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5. Teil
4. Unterlassungsansprüche
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Nach hM finden die Haftungsprivilegien keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche.542 Eine ursprünglich angelegte Differenzierung nach Rechtsmaterien 543 findet dabei wohl nicht statt, sodass alle zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche nach allgemeinem Recht ohne die Besonderheiten des TMG zu beurteilen sein sollen. Dies gilt auch für den vorbeugenden Unterlassungsanspruch.544 Diese Ansicht stützt sich auf vier Argumente. Zunächst wird auf die zugrundeliegenden Vorschriften der ECRL verwiesen. Alle Privilegierungstatbestände der ECRL sehen vor, dass die Möglichkeit unberührt bleibe, „dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern (Art 12 Abs 3, Art 13 Abs 2, Art 14 Abs 3 S 1 ECRL). Damit bestehe bzgl der Unterlassungsansprüche keine Umsetzungspflicht zur Freistellung der Verantwortlichen nach den Privilegierungstatbeständen. Auch sehe ErwG 48 ECRL vor, dass die Mitgliedstaaten Diensteanbietern Pflichten zur Verhinderung von Rechtsverletzungen auferlegten. Außerdem bliebe nach § 7 Abs 2 S 2 TMG die Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit privilegierter Diensteanbieter unberührt. Weiter wird auf einen Wertungswiderspruch verwiesen, der sich sonst für das Speichern von Informationen gem § 10 TMG ergäbe. Dort wird in zulässiger Ausübung des Umsetzungsspielraums gem Art 14 Abs 1 lit a ECRL festgelegt, dass beim Speichern fremder Informationen die allgemeine Verantwortlichkeit ab Kenntnis der rechtswidrigen Handlung oder der Information beginne, für Schadensersatz jedoch bereits ab Kennenmüssen (Rn 251). Wäre diese Regelung auch auf Unterlassungsansprüche anwendbar, käme es zu dem Widerspruch, dass ein Provider zum Schadensersatz verpflichtet sein könnte, ohne zugleich Unterlassung zu schulden. Schließlich wird auf die Entstehungsgeschichte der Vorläuferregelung in § 5 Abs 1 bis 3 TDG 1997 verwiesen.545 Die Gegenauffassung beruft sich vor allem auf den Gesetzeszweck der Privilegierung bestimmter Diensteanbieter. Wenn eine Privilegierung bei schuldhaft verursachten Schäden erfolge, dürften Anbieter, denen nicht einmal Verschulden vorgeworfen werden könne, erst Recht keinen Ansprüchen ausgesetzt sein.546 Außerdem setze die Erwähnung von Schadensersatzansprüchen in § 10 Nr 1 TMG voraus, dass die Norm auch andere
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BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 12 ff; BGH vom 19.4. 2007, I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II; BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay BGH vom 30.4.2008, I ZR 73/05 – InternetVersteigerung III, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; OLG Brandenburg vom 16.11.2005, 4 U 5/05, S 10; s jüngst LG München I MMR 2007, 453 – Usenet (mit Anm Mantz); Spindler/Schmitz/Geis/ Spindler § 8 TDG Rn 15 ff mwN; Nachweise zur aA Ehret CR 2003, 754, 759 f. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 12, abrufbar unter
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bundesgerichtshof.de bezog sich zunächst nur auf Ansprüche „auf Unterlassung markenrechtlicher Verletzungshandlungen“. Vgl auch LG München I MMR 2007, 453, 455 – Usenet (mit Anm Mantz). BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – InternetVersteigerung II, Rn 19, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Insbesondere BT-Drucks 13/7385, 20 f; BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 16, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; siehe hierzu bereits Spindler K&R 1998, 177, 178. Ehret CR 2003, 754, 760.
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§6
Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
Ansprüche erfasse, nämlich die Haftung auf Unterlassung. Letzteres erscheint jedoch deswegen nicht zwingend, da die Norm unstreitig als andere Variante die strafrechtliche Verantwortung betrifft.547 Der BGH hat die Unanwendbarkeit der Privilegien auf Unterlassungsansprüche un- 277 längst für das TMG bestätigt,548 die Diskussion darf insoweit als beendet angesehen werden. Eine überzeugende Begründung gibt es dadurch noch nicht. Aus der ECRL lässt sich wohl eher die Gegenmeinung ableiten. Die Erwähnung bei den Privilegierungstatbeständen, dass es möglich bleibe, nach den allgemeinen Vorschriften vom Diensteanbieter zu verlangen, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, setzt voraus, dass die Verantwortlichkeitsregelungen auch für solche Ansprüche gedacht sind. Damit läge eine entsprechende Interpretation der wortgleich umgesetzten Bestimmungen des TMG nahe. Die Haftungsprivilegien des TMG in den §§ 8–10 sprechen davon, wann Diensteanbieter nicht verantwortlich sind. Unter Verantwortlichkeit wird im Allgemeinen nicht nur verstanden, dass eine Person wegen schuldhaften Verhaltens in Anspruch genommen werden kann, sondern auch die sog Störerverantwortung.549 Vom Wortlaut erfassen die Privilegien der §§ 8–10 TMG damit auch die Frage der Verantwortlichkeit als Störer. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben aus der ECRL bestehen gerade nicht. Die hM lässt sich damit nur aus § 7 Abs 2 S 2 TMG begründen. Die Gesetzesmaterialien sprechen dabei nicht gegen die Anwendung der Haftungsprivilegien auf Störer. Allgemein spricht die Begründung von der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter. Eine Differenzierung nach Verschulden findet nicht statt. Allerdings wird § 8 Abs 2 S 2 TDG 2001 (= § 7 Abs 2 S 2 TMG) mit der Umsetzung der Ausnahmeregelungen der ECRL begründet.550 Dies ist indes nicht möglich, da die Richtlinie keinen solchen Rechtszustand als Vorgabe enthält, sondern stattdessen lediglich die Möglichkeit eröffnet, Befugnisse der Gerichte und Verwaltungsbehörden aufrechtzuerhalten, vom Diensteanbieter die Verhinderung oder Abstellung einer Rechtsverletzung zu verlangen.551 Hier kann also nichts umgesetzt, sondern allenfalls Gebrauch gemacht werden von einer Möglichkeit. Dies ist nicht geschehen, da § 7 Abs 2 S 2 TMG keine Unterlassungsansprüche betrifft, sondern Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung, also Handlungen.552 Im Übrigen ändert § 7 Abs 2 S 2 TMG nicht die Verantwortlichkeit. Dort ist nur bestimmt, dass auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit die allgemeinen Grundsätze gelten. Das inländische Recht kennt eine Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung des Nichtverantwortlichen aber nicht. Für dieses Ergebnis spricht auch die Begründung, die ausdrücklich davon ausgeht, Sperrungsverpflichtungen entstünden erst nach Kenntnis.553 Gemeint ist echte Kenntnis, da die Begründung zwischen Kenntnis und Kennenmüssen unterscheidet.554 Die Störerverantwortung kann damit nicht gemeint sein, da diese nur die willentlich adäquat kausale Verursachung einer Störung und die Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten, nicht aber die Kenntnis der rechtswidrigen Information voraussetzt. Somit ist auch der Wertungswiderspruch, den die hM zwischen Schadensersatzhaftung und Unterlassungsver547 548
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So BT-Drucks 14/6098, 25. BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, Rn 7; BGH vom 12.7.2007, I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, Rn 20, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Vgl Freytag CR 2000, 600, 604: (Mit-)Einstehenmüssen für eine Rechtsverletzung. § 276 BGB bestimmt zwar vertreten müssen als Maßstab für die Verantwortlichkeit,
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betrifft aber nur die Haftung in Schuldverhältnissen. BT-Drucks 14/6098, 23. ErwG 45 ECRL. So bereits Leible/Sosnitza NJW 2004, 3225, 3226, vgl LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007, 4. BD-Drucks 14/6098, 23. BD-Drucks 14/6098, 22.
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pflichtung für den komplizierten Unterfall des § 10 Nr 1 TMG anführt, Teil der Begründung der Norm. Im Übrigen erscheint eine Korrektur dieses Widerspruchs über § 7 Abs 2 S 2 TMG durchaus möglich. Sofern nach § 10 Nr 1 TMG der Diensteanbieter bereits bei Kennenmüssen auf Schadensersatz haftet, spricht nichts dagegen, ihn insoweit nach den allgemeinen Grundsätzen auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, da die Störerverantwortung vorverlagerter Schutz vor solchen Rechtsbeeinträchtigungen ist. 5. Störerhaftung
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a) Einführung. Als Störer kommt in Betracht, wer in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein.555 Täterschaft oder Teilnahme werden bei Intermediären mangels konkreter Kenntnis der Rechtsverletzung regelmäßig nicht vorliegen. Abzuwarten bleibt aber die Entwicklung der Haftung für Verkehrssicherungspflicht (Rn 263) und der Gehilfenhaftung bei fortgesetzten Beiträgen als Störer (Rn 270). Störerhaftung kommt vor allem bei allen Fällen der Verletzung von Immaterialgüterrechten oder anderen absoluten Rechten nach § 823 BGB in Frage.556 Nach herrschender Auffassung (Rn 271) finden die Verantwortlichkeitsregelungen des 279 TMG keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche und damit auch auf die Störerhaftung. Damit ist der zentrale Konflikt um Inhalte in Telemedien – die Untersagung von Handlungen, die zur Zugänglichmachung inkriminierter Inhalte im Internet beitragen ohne an der Rechtsverletzung teilzunehmen – den ausdifferenzierten und speziell zum Schutz der Diensteanbieter entwickelten Privilegien entzogen. Als Ersatz hat der BGH das Institut der Störerhaftung gerade in Bezug auf Telemedienanbieter weiterentwickelt. Hinsichtlich der Störerverantwortung der Intermediäre steht die Entwicklung der Rechtsprechung erst am Anfang. Aus den vorliegenden Entscheidungen sollen im Folgenden wichtige Aspekte der Störerverantwortung abgeleitet werden.
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b) Adäquate Kausalität. Kausal ist jede Handlung, die zumindest auch den missbilligten Erfolg einer Rechtsgutsverletzung verursacht hat. Adäquate Kausalität ist gegeben, wenn das Ereignis im allgemeinen, nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen oder nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen.557 Selbst dazwischentretendes, vorsätzliches Verhalten eines Dritten ist dem Störer regelmäßig zuzurechnen.558 An der Adäquanz scheitern damit nur Ursachen, bei denen bei wertender Betrachtung der Zurechnungszusammenhang nicht gegeben ist oder denen fernliegende ungewöhnliche Geschehensabläufe zugrunde liegen. Intermediäre tragen typischer Weise zur Zugänglichmachung, Verbreitung, Übermittlung und Abrufbarkeit von Inhalten aller Art bei. Ihr willentlich adäquater Beitrag zu einer Verletzung absoluter Rechtspositionen wird meist schon daraus gefolgert werden, dass sie die den Beanstandungen zugrundeliegenden Kommunikationsvorgänge erst ermöglichen. Ziel der Haftungsprivilegien war es gerade, die für die Entwicklung zur Informationsgesellschaft zentralen 555
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BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 18 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 18 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; zu der Tendenz der Einschränkung der Störerhaftung auf Fälle
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des Verhaltensunrecht, bei denen der Störer bspw nicht Adressat der Verbotsnormen ist s KG GRUR-RR 2006, 68. BGH vom 11.1.2005, X ZR 163/02, 7 mwN, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. KG GRUR-RR 2006, 68, 70.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
Intermediäre von Risiken zu befreien, die zu ihrer technisch orientierten Infrastrukturleistung nicht angemessen erscheinen und deren Entwicklung bremsen können. Von der Möglichkeit durch einen spezifischen Adäquanzbegriff für die Störerhaftung den Kreis der Verantwortlichen durch beitragsbezogene Adäquanzkriterien entsprechend einzuschränken, wird jedoch kaum Gebrauch gemacht.559 c) Verletzung zumutbarer Prüfpflichten. Die ganz hM grenzt die Verantwortlichkeit 281 des Störers dadurch ein, dass die Haftung eine Verletzung von Prüfpflichten voraussetzt, deren Umfang sich danach bestimmt, ob und wieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalls eine Prüfung zuzumuten sei.560 Das allein begrenzende Kriterium der Störerhaftung sind letztlich die zumutbaren Prüfpflichten. Für Unterlassungsansprüche wird also das ausgeklügelte System der Privilegierungstatbestände durch eine vom Zumutungsempfinden des angerufenen Gerichts abhängige Einzelfallprüfung ersetzt.561 aa) Bestimmung des verlangten Verhaltens. In einem ersten Schritt ist festzustellen, 282 welches Verhalten vom Störer zukünftig verlangt wird. Hier steckt, wie Spindler aufzeigt, ein großes Manko der Störerhaftung: Die Zulassung weitgefasster Unterlassungsanträge auf der Grundlage der sog Kerntheorie. Geht es um die Sperrung von Inhalten wandelt sich die Pflicht zur Unterlassung eines konkret beanstandeten Verhaltens durch eine abstrakte Formulierung des Tenors in eine Pflicht zur Überwachung zukünftigen Contents.562 Zu weit gefasste Anträge können zu unbestimmt sein oder das beantragte Verhalten als unerfüllbar bzw unzumutbar erscheinen lassen.563 Das geforderte Unterlassen muss hinreichend bestimmt sein, dafür reicht die bloße Wiederholung gesetzlicher Tatbestände regelmäßig nicht aus, sondern das konkret beanstandete Verhalten ist als Unterlassungsantrag zu formulieren.564 Mit der vom Gerichtssystem zu schaffenden Rechts559
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Siehe aber LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007, 7; LG Frankfurt aM vom 5.12.2007, 2-03 O 526/07 MIR-Dok 429-2007, 3; Leistner GRUR 2006, 801, 809 f schlägt eine beitragsbezogene Differenzierung zwischen aktiven und neutralen Störern vor. Zum umgekehrten Fall der Zurechnung des Verhaltens von Vertragspartnern siehe Spieker GRUR 2006, 903, 907 f. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 19, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; zu den Kriterien der Zumutbarkeit nach TDG 1997 Sieber Verantwortlichkeit Rn 403 ff; BGH v. 11.3.2004, I ZR 304/01 – InternetVersteigerung I, 19, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; zu den Kriterien der Zumutbarkeit nach TDG 1997: Sieber Verantwortlichkeit Rn 403 ff. Nicht relevant sind Prüfpflichten, wenn der Intermediär ausnahmsweise Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des vermittelten Angebots hat, wie im Sachverhalt des OLG München vom 28.07.2005, 29 U 2887/05 – anyDVD, MMR 2005, 768, 772.
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Auf ein solches Konzept zumutbarer Prüfungspflichten weicht der BGH inzwischen auch in ganz anderen Rechtsbereich aus (vgl. BGH vom 8.11.2007, VII ZR 183/05 Rn 24, abrufbar unter bundesgerichtshof.de Spindler MMR 2007, 511, 514; grundlegend BGH vom 23.2. 2006, I ZR 272/02 – Markenparfümverkäufe; einschränkend BGH vom 13.11.2007, VI ZR 265/06 und VI ZR 269/06 abrufbar unter bundesgerichtshof.de; s auch die Antragsfassung bei OLG Brandenburg vom 16.11.2005, 4 U 5/05 S 3. Eingehend zur Antragsfassung gegen Intermediäre BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II, Rn 49 ff; zur verbreiteten aber nicht hinreichend bestimmten „insbesondere – Formulierung“ s BGH vom 4.10.2007, I ZR 143/04 – Versandkosten, Rn 12, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 16.11.2006, I ZR 191/03 – Telefonwerbung für „Individualverträge“, Rn 16, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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Kapitel 1 Telemedienrecht
5. Teil
sicherheit ist es kaum zu vereinbaren, wegen Schwierigkeiten der Antragsfassung Kernfragen der Unterlassungspflichten in das Vollstreckungsverfahren zu verlagern, wie vom BGH vorgeschlagen.565 Stattdessen können bspw Prüfungspflichten zur Klarstellung in den Antrag integriert werden.566 Bei der Ausweitung auf kerngleiche zukünftige Verletzungshandlungen könnte außerdem die vorherige Kenntniserlangung Bestandteil des Antrags sein.567
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bb) Möglichkeit eines Alternativverhaltens. Der Störer kann nur haften, sofern er rechtlich 568 und tatsächlich 569 zu der geforderten Unterlassungshandlung in der Lage ist. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass niemand zum Unmöglichen verpflichtet sein kann (ultra posse nemo obligatur). Dies ist nicht zu verwechseln mit der Frage der adäquaten Kausalität, die bereits gegeben ist, wenn in der Vergangenheit das Verhalten des Störers in zurechenbarer Weise ursächlich für die Rechtsverletzung geworden ist oder vorbeugend ein entsprechender Geschehensablauf wahrscheinlich erscheint. Davon zu trennen ist auch die Frage, ob der Störer durch sein Verhalten zukünftige Rechtsverletzungen insgesamt verhindern kann. Dies kann im Rahmen der Zumutbarkeit eine Rolle spielen. In Internet-Versteigerung I hat der BGH es für den Unterlassungsanspruch jedoch für 284 unerheblich gehalten, ob der Störer durch Filterverfahren zukünftige Rechtsverletzungen erkennen kann.570 Die Prüfung der Verhinderungsmöglichkeit soll danach erst im Vollstreckungsverfahren geprüft werden. Dies hat der BGH in Internet-Versteigerung II jedoch relativiert, indem er die Möglichkeit zur Filterung als Kriterium der Zumutbarkeit behandelt.571 Nach Ansicht des Kammergerichts ist es dem AdminC einer Domain unter der eine Suchmaschine betrieben wird zwar nicht möglich, inhaltlich einzuwirken, doch soll er als ultima ratio verpflichtet sein, die Domain zu löschen, wenn der Domaininhaber nicht greifbar ist.572 Das OLG Köln entscheidet mangels weiterer Erkenntnisquellen im Zweifel für die Filterbarkeit.573
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BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – InternetVersteigerung II, Rn 48; nach BGH vom 8.11.2007, I ZR 172/05 – EURO und Schwarzgeld soll die parallele Durchführung von Ordnungsmittelverfahren und negativer Feststellungsklage zulässig sein beim Streit, ob eine Verhaltensweise unter einen bestehenden Unterlassungstitel fällt. Insoweit kann der Unterlassungsschuldner ein vielleicht sorgfältigeres Hauptsacheverfahren erzwingen. Das Risiko der Festsetzung von Ordnungsmitteln aufgrund zu weit gefasster Titel trägt dennoch der Unterlassungsschuldner obwohl die Formulierungsdefizite keinesfalls aus seiner Sphäre stammen. Es wäre dem Unterlassungsschuldner daher wohl zu raten – obwohl es gerade nicht seine Aufgabe ist – mögliche Anträge aufzuzeigen. Beide Urteile abrufbar unter bundesgerichtshof.de. OLG Köln v. 21.9.2007, 6 U 86/07. Bereits Kloos CR 1999, 46, 47; vgl aber BGH vom 13.11.2007, VI ZR 265/06
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und VI ZR 269/06 abrufbar unter bundesgerichtshof.de. LG Hamburg MMR 2005, 480 f. Bspw OLG Hamburg MMR 2005, 53 – polonia-hamburg.de: Falsches Verknüpftwerden in Suchmaschine kann nicht verhindert werden; LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007, 7: keine Haftung, wenn Unterlassung des eigenen Beitrags nicht effektiv die Rechtsverletzung verhinderte. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 20, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – InternetVersteigerung II, 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. KG MMR 2006, 392, 393; vgl aber gegen die vorrangige Inanspruchnahme einzelner Mitstörer BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. OLG Köln vom 21.9.2007, 6 U 86/07, 9.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
cc) Aspekte der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit von Prüfungspflichten im engeren Sinne ergibt sich aus einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Diese lassen sich in verschiedene Aspekte unterteilen. Zunächst sind die Umstände der Rechtsverletzung zu ermitteln. Relevant ist hier, inwieweit für den Störer erkennbar war, dass Rechtsverletzungen der gerügten Art drohen 574 und ob die Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Rechtsverletzungen entsprechenden Aufwand für die Verhinderung angemessen erscheinen lassen. Dabei spielen Schwere der Rechtsverletzung und geschütztes Rechtsgut eine Rolle. Außerdem kann der Beitrag des Störers an der Rechtsverletzung Berücksichtigung finden 575 oder ein Profitieren an der Rechtsverletzung.576 Selbst wenn ursprünglich keine Prüfungspflichten zumutbar gewesen sind, sollen diese entstehen können, wenn der Störer von einer möglichen Rechtsverletzung erfährt. So soll eine Störerhaftung begründet sein, wenn ein Hyperlink aufrechterhalten bleibt, obwohl eine nunmehr zumutbare Prüfung, insbesondere nach einer Abmahnung oder Klageerhebung, ergeben hätte, dass mit dem Hyperlink ein rechtswidriges Verhalten unterstützt wird.577 Wichtig ist dabei, dass die Verletzung der Prüfpflichten in diesen Fällen erst nach entsprechender Kenntnis erfolgen kann. Im Falle der Kenntniserlangung durch Abmahnung ist der Empfänger noch kein Störer (s Rn 268). Bei der Zumutbarkeit ist also immer auch zu prüfen, ob eine ursprünglich nicht bestehende Prüfungspflicht inzwischen zumutbar geworden ist, sofern der Inanspruchgenommene sein Verhalten nicht geändert hat. Als nächstes ist die Beeinträchtigung des Störers durch die Beachtung etwaiger Prüfungspflichten einzuschätzen. Hier sind die Auswirkungen einer entsprechenden Prüfpflicht zu berücksichtigen auf das Angebot selbst oder auch den Geschäftsbetrieb des Störers. Dies sind unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen, wie Kosten, oder die Beeinträchtigung des mit dem Angebot verbundenen Geschäftsmodelles.578 Die Möglichkeit einer automatisierten Filterung kann den Umfang des Unterlassungsgebots bestimmen.579 Festzustellen ist aber auch, ob die Einforderung von Prüfungspflichten zu mittelbaren Beeinträchtigungen der Meinungs- oder Informationsfreiheit führen wird.580 Die
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Vgl BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 13 ff, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Komplizierte rechtliche Prüfung; Fülbier CR 2007, 515, 519. BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 11, 14, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Eigenverantwortung des unmittelbar Haftenden, geringfügiger Beitrag durch beiläufiges Verlinken; siehe auch Leistner GRUR 2006, 801, 809 f. Den Umfang vertraglicher Pflichten gegenüber dem Hauptverantwortlichen möchte Nennen GRUR 2005, 214, 220 bei Werbeagenturen berücksichtigen. BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – InternetVersteigerung II, 45, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 14, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 19, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. BGH vom 19.4.2007, I ZR 35/04 – InternetVersteigerung II, 21, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Vgl BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 14, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Bedeutung von Hyperlinks für Nutzbarkeit des Internet. Nach OLG München vom 28.7.2005, 29 U 2887/05 – anyDVD, MMR 2005, 768, 772 soll die Angabe einer URL, nicht aber die Verlinkungen selbst der Pressefreiheit unterfallen. Diese wenig hilfreiche Unterscheidung verkennt bereits den technischen Sachverhalt: Die „Verlinkung selbst“ geschieht durch den Nutzer, der Anbieter übermittelt tatsächlich nur die URL und die Information, dass es sich dabei um URL handelt.
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möglichen Auswirkungen entsprechender Pflichten können in Sonderfällen sogar ergeben, dass den Handelnden keinerlei Prüfungspflichten treffen. So soll eine hochspezialisierte Organisation zur Registrierung von Domainnamen von der Prüfung bei der Erstregistrierung ganz freigestellt sein und nach Kenntnis konkreter Verletzungen nur in offenkundigen Fällen zur Beendigung der Störung verpflichtet sein581, wohingegen Betreibern von Meinungsforen die unmittelbare Inanspruchnahme nach Kenntnis droht.582 Unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit ist die Effektivität der Verhinderung durch 289 die Prüfungspflicht zu bestimmen. Aufwändige Prüfungspflichten, die nur minimale Effekte hinsichtlich etwaiger Rechtsverletzungen zur Folge haben können, erscheinen kaum zumutbar.583 In einem letzten Schritt sind die ermittelten Aspekte des Einzelfalls abzuwägen und 290 das vom Störer hinzunehmende Maß an Beeinträchtigung festzulegen. Hier sind allgemeine Abwägungskriterien zu beachten, wie bspw das grundsätzliche Verbot der Auferlegung von Überwachungspflichten nach § 7 Abs S 1 TMG 584 oder die besondere Bedeutung von Hyperlinks als Strukturmerkmal des Internets.585 Der hinzunehmende Aufwand ist spezifisch für das betroffene Angebot und den Anbieter festzulegen.586 Wirtschaftsunternehmen ist ein höherer Aufwand zuzumuten als Privatpersonen oder nicht-kommerziellen Unternehmen.587 Besonderes privilegiert sind außerdem Presse- und Rundfunkunternehmen.588 Es bietet sich an, die differenzierten Regelungen der Verantwortlichkeit in den §§ 8 bis 10 TMG als Wertungsmaßstab heranzuziehen. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung mittels der zumutbaren Prüfungspflich291 ten zukünftig tatsächlich der ausufernden Störerverantwortlichkeit entgegenwirken wird.
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Zur DeNIC: BGH vom 17.5.2001, I ZR 251/99 – Ambiente.de; vom 19.2.2004, I ZR 82/01 – kurt-biedenkopf.de. Diese Privilegierung überzeugt nicht. Die Annahme, die DeNIC verwalte die Domains im Interesse aller Nutzer und der Öffentlichkeit kann sich zwar auf deren Statut berufen, nicht aber auf die Mitgliederstruktur. Ob die DeNIC nur wenige Mitarbeiter einsetzt, kann ebenfalls nicht relevant sein, da sich deren Anzahl aus den zugewiesenen Aufgaben ergibt und nicht umgekehrt. Nach Kilian/Heussen/Koch CHB Nr 24 Rn 118 ist die Rechtsabteilung der DeNIC außerdem gut besetzt. Schließlich wird noch auf die Kostengünstigkeit der Domainregistrierung verwiesen, obwohl die Preise bei der DeNIC direkt kaum besonders niedrig erscheinen und bei einer Registrierung über ein DeNICMitglied dessen kommerzielles Interesse wohl für eine Störerverantwortung spräche. Schließlich besteht kein schutzwertes Interesse daran, Domainnamen dadurch etwas günstiger anbieten zu können, dass Rechtsverletzungen hingenommen werden. BGH v 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet. So wohl auch OLG Köln v. 21.9.2007, 6 U
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86/07, 11; vgl LG Kiel vom 23.11.2007, 14 O 125/07 MIR-Dok 413-2007, 7: keine Verpflichtung zu nahezu wirkungslosen Maßnahmen. Vgl bereits Freytag CR 2000, 600, 605. BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, abrufbar unter bundesgerichtshof.de zustimmend Spindler GRUR 2004, 724, 728. Vgl BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, Rn 8, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Keine spezifischen Einschränkungen für Meinungsforum; BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 11, 14, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: Funktion und Aufgabe des Störers sind zu berücksichtigen, bei der Verantwortlichkeit für Hyperlinks sind Meinungs- und Pressefreiheit zu berücksichtigen. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 19; BGH vom 17.5. 2001, I ZR 251/99 – Ambiente.de, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Fülbier CR 2007, 515, 519. Vgl BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 14, abrufbar unter bundesgerichtshof.de.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
Zu befürchten ist, dass unter Außerachtlassung der besonderen Rolle der Intermediäre alles was Rechtsverletzungen verhindert auch für zumutbar gehalten wird.589 d) Störerauswahl. Nach Ansicht des BGH darf der Verletzte frei wählen, ob und wel- 292 che Störer er in Anspruch nimmt.590 Die Auswahl oder ihre Kriterien werden nicht überprüft. Eine Störerauswahl unter Zumutbarkeitserwägungen nimmt dagegen das KG in einem speziellen Fall mit überzeugenden Gründen vor.591 e) Inhalt der Störerhaftung. Der Störer haftet ausschließlich auf Unterlassung, nie- 293 mals auf Schadensersatz.592 Entsprechend besteht auch kein Anspruch auf Auskunft über das Verhalten des Störers oder gar zu personenbezogenen Daten Dritter.593 Auch rechtfertigt die Störerhaftung kein Tätigwerden auf die Entfernung von Inhalten bei Dritten, die das Angebot des Störers als Quelle verwendet haben.594 Hochproblematisch ist die Ausweitung der Störerhaftung auf zukünftige Sachverhalte durch verallgemeinernde Tenorierung (Rn 282). Dunkel sind schließlich die Ausführungen des BGH zum Anspruch auf Beseitigung außerhalb der Verletzung von Prüfungspflichten in der Entscheidung Meinungsforum im Internet.595 6. Hyperlinks und Suchmaschinen Verknüpfungen sind ein Kernbestandteil des World Wide Web, dem wohl bekanntes- 294 ten Teilbereich des Internet.596 Die Möglichkeit zu verlinken ist keine zusätzliche Funktionalität des Web, sondern ein integraler Wesensbestandteil der zugrundeliegenden Protokolle.597 Das Prinzip der Verknüpfung hat sich als unschätzbarer Systemvorteil erwiesen. Linkverbote berühren somit nicht nur die betroffenen Inhalte sondern die 589
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LG Hamburg MMR 2006, 491, 492: Kann der Forumsbetreiber die Anzahl der Beiträge nicht überprüfen, soll er verpflichtet sein, sein Angebot entsprechend einzuschränken; insoweit jedoch nicht bestätigt durch OLG Hamburg MMR 2006, 745 – heise.de (mit Anm Feldmann). BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. KG MMR 2006, 392, 393: Löschung der Domain durch AdminC erst wenn Inhaber nicht erreichbar. BGH vom 11.3.2004, I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, 20, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; s zur Abgrenzung zu den Verkehrspflichten Rössel/Kruse CR 2008, 35, 36 f. OLG Frankfurt MMR 2005, 241 (mit Anm Spindler); hingegen nicht mehr vertretbar LG Köln v. 12.9.2007, 28 O 339/07, abrufbar unter JurPC Web-Dok 164/2007; siehe hierzu aA bei § 101a UrhG; Dreier/ Schulze/Dreier § 101a RuG, Zur Auskunft im einstweiligen Rechtsschutz; OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29 f. So aber LG Hamburg MMR 2006, 697.
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BGH vom 27.3.2007, VI ZR 101/06 – Meinungsforum im Internet, Rn 9, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: „Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet“. “A defining characteristic of the Web is that it allows embedded references to other resources via URIs. The simplicity of creating hypertext links using [URL] is partly (perhaps largely) responsible for the success of the hypertext Web as we know it today.” (Architecture of the World Wide Web, Volume One, abrufbar unter: www.w3.org/ TR/webarch (Stand 23.4.2007); O’Reilly What Is Web 2.0, Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software (www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/ tim/news/2005/09/30/what-is-web-20.html? page=1)); s auch Müglich CR 2002, 583, 583. Statt vieler Müglich CR 2002, 583, 583; MAH/Lotze § 31 Rn 221, zust LG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 54, 56; Kochinke/ Tröndle CR 1999, 190, 190: Links sind das „Herzstück des Internet“.
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Struktur des Internet. Auf Linkhaftung reagiert das Internet daher sehr stark.598 Im Bereich des Telemedienrechts dürfte dies das am umfangreichsten bearbeitete Thema sein.599 Entsprechendes gilt für Suchmaschinen, ohne die ein zielgerichteter Zugang zu den mehr 12 Mrd 600 Internetseiten nicht möglich wäre. Die derzeit ganz hM nimmt an, die Privilegierungstatbestände fänden auf Links und 295 Suchmaschinen keine Anwendung.601 Dies war die überraschende Wendung nachdem die Diskussion vor allem um die richtige Einordnung unter die verschiedenen Enthaftungstatbestände geführt worden war.602 Die Begründung dafür soll sich aus der ECRL gewinnen lassen. Die ECRL sieht alle zwei Jahre eine Überprüfung der Regelungen vor (Art 21 Abs 1). Ausdrücklich soll dabei auch untersucht werden, „ob Vorschläge in Bezug auf die Haftung der Anbieter von Hyperlinks und von Instrumenten zur Lokalisierung von Informationen, Verfahren zur Meldung und Entfernung rechtswidriger Inhalte („notice and take down“-Verfahren) und eine Haftbarmachung im Anschluss an die Entfernung von Inhalten erforderlich sind“ im „Hinblick auf das etwaige Erfordernis einer Anpassung“ der ECRL (Art 21 Abs 2 ECRL). Aus diesem unglücklich formulierten Absatz soll gefolgert werden können, die ECRL 296 treffe zu Hyperlinks und Suchmaschinen keine Aussage. Nachdem die Haftungsvorschriften vom bundesdeutschen Gesetzgeber beinahe wörtlich der ECRL nachgebildet 598
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Bekanntes Beispiel sind die Überreaktionen auf die Entscheidung LG Hamburg vom 12.5.1998, 312 O 85/98 – Link, abrufbar unter JurPC Web-Dok 86/1998 Unzählige Homepages – bspw der StA Cottbus (www. sta-cottbus.brandenburg.de/sixcms/detail. php?id=214223&template=seite_stcb_1 (Stand 29. 6. 2007)) – enthalten unter Hinweis auf das Urteil eine pauschale Distanzierung von verlinkten Inhalten und verkennen dabei, dass der Kern der Entscheidung darin besteht, dass solche allgemein gehaltenen Hinweise gerade nicht ausreichen. Für eine Übersicht über die Entwicklung Spindler/Schmitz/Geis/Spindler Vor § 8 TDG Rn 30; s zum internationalen Vergleich Manna/Vasapollo CRi 2007, 59; Ott GRUR Int 2007, 14; jüngst umfassend Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1; zentrale Entscheidungen: Störerverantwortung für Links BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten; urheberrechtliche Qualifizierung: BGH vom 17.7.2003, I ZR 259/00 – Paperboy, abrufbar unter bundesgerichtshof.de; Verkehrssicherungspflicht zur regelmäßigen Prüfung von gesetzten Links: OLG München v. 15.3.2002, 21 U 1914/02, abrufbar unter JurPC WebDok 262/2002; Keine Zueigenmachung durch bloßen Link: OLG Schleswig MMR 2001, 399 – Swabedoo (mit Anm Schütz/ Attendorn); Framing: OLG Hamburg GRUR 2001, 831 – Roche Lexikon Medizin; Zu-Eigen-Machung durch Link: OLG
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Braunschweig MMR 2001, 608; keine Verantwortung für Verlinktwerden: OLG Hamburg MMR 2005, 53 – polonia-hamburg.de; Haftung für Links in Webkatalog: OLG Hamburg MMR 2006, 37 Angabe einer URL zu einem urheberrechtsverletzenden Angebot durch Presse zulässig aber nicht die „Verlinkung“ OLG München v 28.7.2005, 29 U 2887/05 – anyDVD, MMR 2005, 768, 772; Verlinkung als objektivierender Rahmen einer Meinungsäußerung: OLG München GRUR-RR 2006, 208 – Flop-Airline. Gulli/Signorini The Indexable Web is More than 11.5 billion pages, abrufbar unter www.cs.uiowa.edu/~asignori/web-size/ size-indexable-web.pdf (Stand 9.10.2007). BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 9, abrufbar unter bundesgerichtshof.de: „Spezialgesetzliche Vorschriften, nach denen die Verantwortlichkeit der Beklagten für das Setzen eines Hyperlinks in der beanstandeten Art und Weise zu beurteilen wäre, bestehen nach der geltenden Rechtslage nicht. Die Vorschriften des Mediendienste-Staatsvertrages (…) sind – nicht anders als die entsprechenden Vorschriften des Teledienstegesetzes (…) – auf Fälle der vorliegenden Art nicht anwendbar“; „ohne Wenn und Aber“ zustimmend Spindler GRUR 2004, 724, 728, jüngst BGH v 18.10.2007, I ZR 102/05 – ueber18.de Rn 20 mwN. S die Nachweise zum TDG 1997 bei Sieber Verantwortlichkeit Rn 307.
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Verantwortlichkeit der Telemedienanbieter für Inhalte Dritter
worden seien und trotz Kenntnis des Streites zu Hyperlinks und entsprechender Anregungen zu einer spezifischen Regelung – wie in § 17 Österr. ECG – keine solche Hyperlink-Bestimmung erlassen worden sei, fänden die Privilegien des TMG keine Anwendung auf Hyperlinks.603 Der BGH hat sich dieser Auffassung angeschlossen, wobei anstelle einer Begründung auf Materialien und Literatur verwiesen wird.604 Es ist das Verdienst von Sieber und Liesching die Argumente gegen diese wenig über- 297 zeugende Ansicht unter dem Aspekt der Suchmaschinenhaftung zusammengetragen zu haben.605 Kurzgefasst: der Nichtregelung fehlt Gestaltungswille. Der Anwendungsbereich des TMG ergibt sich aus § 1 der Vorschrift ohne die geringsten Ansatzpunkte für eine diesbezügliche Einschränkung bzgl Suchmaschinen oder Hyperlinks. Das gleiche gilt für die ECRL, die in Art 1 Abs 5 sehr genau bestimmt, auf welche Bereiche die RL keine Anwendung finden soll. In Art 3 Abs 3 ECRL zeigt der EU-Gesetzgeber außerdem seine Fähigkeit sogar innerhalb einzelner Normen klarzustellen, wenn bestimmte Bereiche von der Anwendung ausgenommen werden sollen. Stattdessen werden Suchmaschinen als Dienste der Informationsgesellschaft ausdrücklich genannt (Rn 48). Ohne einen Anknüpfungspunkt für Zweifel ergibt der Wortlaut von ECRL und TMG, dass Suchmaschinen oder Links nicht aus dem Anwendungsbereich ausgenommen sind. Dies ändert sich auch nicht durch die Überprüfungsberichte nach Art 21 Abs 2 ECRL. Dort ist nicht davon die Rede, dass die Einführung entsprechender Regelungen geprüft werden soll, sondern ob spezifische Regelungen für Links und Suchmaschinen trotz Umsetzung der Richtlinie erforderlich erscheinen, und ob diese dann eine Anpassung der Richtlinie erfordern. Dieser ausdrücklich doppelte Vorbehalt eines Erfordernisses kann nur so verstanden werden, wie dies auch die Vorschriften zum Anwendungsbereich nahelegen: Die ECRL lässt die Frage offen. Die ECRL gibt damit für die Auslegung des TMG nichts her. Dies hat auch der bundesdeutsche Gesetzgeber so gesehen und sich nicht für die Schaffung eines Sonderrechts für Hyperlinks und Suchmaschinen entschieden. So ist auch die von der hM angeführte Gegenäußerung der Bundesregierung zur Anregung einer spezifischen Bestimmung zu verstehen. Dort heißt es zwar, es bleibe hinsichtlich der zivil- oder strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Hyperlinks bei der Haftung nach allgemeinen Vorschriften.606 Dieser Satz steht jedoch im Zusammenhang mit der Frage, ob die Bundesregierung spezielle Beschränkungen für Links für notwendig erachtet. Dafür soll indes „zunächst die weitere Entwicklung in Wissenschaft und Rechtsprechung“ verfolgt werden. Damit ist klargestellt, dass die Linkhaftung keine besondere Regelung erfahren, sondern zunächst mittels der allgemeinen Bestimmungen – zu denen das TMG zählt – entwickelt werden soll.607 Im Übrigen erscheint es wenig überzeugend, Diskussionen bei der Entstehung der Richtlinie, zumindest missverständliche Gegenäußerungen eines Organs innerhalb des Entstehungsprozesse der Norm oder gar das Schweigen des Gesetzgebers über den klaren Wortlaut der Vorschrift zum Anwendungsbereich zu stellen. Immer wieder werden in den Materialien in diesem Zusammenhang zwar Links, nicht aber die Suchmaschinen erwähnt, ohne dass daraus Besonderheiten gefolgert würden.608 Stattdessen stellt die Begründung ausdrücklich klar, dass Suchmaschinen unter das TMG fallen.609 603
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S Darlegung und Nachweise bei Spindler/ Schmitz/Geis/Spindler Vor § 8 TDG Rn 32 ff. BGH vom 1.4.2004, I ZR 317/01 – Schöner Wetten, 9 f, abrufbar unter bundesgerichtshof.de. Eingehend Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1.
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BT-Drucks 14/6098, 37. So auch Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1, 9, dort Fn 9 mwN. Bspw in dem zuvor zitierten Satz aus BT-Drucks 14/6098, 37. BT-Drucks 14/6098, 13.
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Damit sind die drängenden Fragen der Suchmaschinen- und Linkhaftung nicht gelöst, sondern verlagert, denn eine Einordnung von Links unter einen der Privilegierungstatbestände gelingt nicht unmittelbar.610 Wer einen spezifischen Link oder eine Linkliste unterhält möchte die Auffindbarkeit und Abrufbarkeit einer Information durch den Nutzer herstellen und nicht die Kommunikation Dritter durchleiten. Eine Speicherung für den Nutzer liegt erst vor, wenn die die Auswahl des Links durch den Nutzer erfolgt ist. Anderes lässt sich vertreten für automatisiert produzierte Linklisten, bspw bei Suchmaschinen. Ergänzend wird eine analoge Anwendung vorgeschlagen. Diese ist nach hM nicht zulässig, da der Gesetzgeber keine planwidrige Regelungslücke gelassen habe. Eingehend weisen Sieber und Liesching nach, dass dieses Argument nicht greift, da sich ein Wille des Gesetzgebers gegen eine Erfassung der Links unter dem Regelungsplan der Privilegien nicht nachweisen lässt, sondern lediglich die Nichtschaffung einer spezifischen Regelung und im Übrigen der Gesetzgeber die Lösung der als ungelöst erkannten Problematik durch die Weiterentwicklung der Regelungen durch Wissenschaft und Rechtsprechung ausdrücklich erwartet hat.611 Für automatisierte Linklisten der Suchmaschinenbetreiber wenden Sieber und Liesching mit überzeugenden Argumenten die Regeln für Zugangsanbieter analog an (§ 8 TMG).612 Bei manuell ausgewählten Links soll es dagegen bei den allgemeinen Regeln bleiben. Auf das Caching der Suchmaschinenbetreiber ist hingegen § 9 TMG unmittelbar anwendbar (Rn 1). Die Relevanz dieser Diskussion ist allerdings derzeit gering, da für die wichtigste 299 Anspruchsgrundlage in diesem Bereich, nämlich die Störerhaftung, eine Anwendung der Haftungsprivilegien ohnehin ausscheiden soll. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Störerhaftung auf einer über Jahrzehnte durch die Rechtsprechung entwickelten und vom Gesetzgeber aufrechterhaltenen „planwidrigen“ Regelungslücke basiert.
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Das OLG Jena vom 27.2.2008, 2 U 319/07, BeckRS 2008 04589 unter II 4 versucht Unterlassungsansprüche gegen eine Suchmaschine, die Miniaturansichten von Bildern ohne Zustimmung des Urhebers zugänglich macht, nach Treu und Glauben auszuschließen, wenn der Urheber selbst durch den Inhalt der Metatags auf seiner Seite die Suchmaschine „angelockt“ habe. Das OLG verkennt dabei allerdings, dass die Metatags standardkonform zur Beschreibung eines Internetangebotes dienen und sich ua Suchmaschinen dies zu nutze machen. Dass ein Urheber durch ordnungs-
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gemäß ausgewählte Metatags zur Aufmerksamkeitssteigerung für sein Angebot sich des Einspruchs gegen rechtswidrige Nutzungen begeben soll, opfert das Urheberrecht den durch die Suchmaschine geschaffenen Tatsachen. Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1, 9 f; Stenzel MMR 2006, V weist darauf hin, dass selbst absichtliche Lücken einer rechtsstaatlichen Ausführung bedürften und fordert dringend gesetzgeberisches Eingreifen. Sieber/Liesching MMR-Beil Heft 8 2007, 1, 11 ff; so auch Sieber/Nolde Sperrverfügungen 134 ff.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht * Literatur Berger-Kögler Regulierung des Auslandsroaming-Marktes MMR 2007, 294; Brinkel/Lammers Innere Sicherheit auf Vorrat ZUM 2008, 11; Bünchner (Hrsg) Beck’scher TKG-Kommentar 2. Aufl München 2000 (zit BeckTKG-Komm/Bearbeiter 2. Aufl); Demmel/Skrobotz Vergabe und Nutzung von Vanity-Nummern MMR 1999, 74; Ditscheid Unterschiedliche Abrechnungssysteme in Zusammenschaltungsverhältnissen im Wandel? CR 2006, 316; Dorschel BVerfG: Einstweilige Anordnung über die Vorratsdatenspeicherung CR 2008, R 39; Eckhardt Die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen im TKG CR 2007, 405; Erman Bürgerliches Gesetzbuch 11. Aufl Münster/Köln 2004 (zit Erman/Bearbeiter); Geppert/Ruhle/Schuster Handbuch Recht und Praxis der Telekommunikation 2. Aufl Baden-Baden 2002; Gersdorf Telekommunikationsrecht Stand: Juli 2005 www.jura.uni-rostock.de/Gersdorf/Buecher_und_Skripten/ ScriptTKRecht.pdf; Hahn AGB in TK-Dienstleistungsverträgen MMR 1999, 251; Heun (Hrsg) Handbuch Telekommunikationsrecht Köln 2002 (zit Heun/Bearbeiter); Hoeren Internetrecht Stand: September 2007 www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/materialien/Skript/skript_September2007. pdf; Holznagel Domainnamen- und IP-Nummern-Vergabe – eine Aufgabe der Regulierungsbehörde? MMR 2003, 219; Holznagel/Hombergs Das Prinzip nachrangiger Regulierung auf den Endnutzermärkten K&R 2003, 322; Holznagel/Enaux/Nienhaus Telekommunikationsrecht 2. Aufl München 2006; Koenig/Neumann Internet-Protokoll-Adressen als Nummern im Sinne des Telekommunikationsrechts? K&R 1999, 145; Jenny Eile mit Weile – Vorratsdatenspeicherung auf dem Prüfstand CR 2008, 282; Koenig/Loetz/Neumann Telekommunikationsrecht Heidelberg 2004; Krüger (Red) Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Band 2 Schuldrecht Allgemeiner Teil, §§ 241–432, 5. Aufl München 2007 (zit MünchKommBGB/Bearbeiter); Mayer/Möller Bekämpfung von Spam mit den Mitteln des Telekommunikationsrechts durch die RegTP K&R 2005, 251; O’Brien EU considers telecom ‘superregulator’, International Herald Tribune, 12.8.2007, http://www.iht.com/articles/2007/08/12/ business/telecom13.php; Pohle/Dorschel Entgeltnachweis und technische Prüfung CR 2007, 153; ders Verantwortlichkeit und Haftung für die Nutzung von Telekommunikationsanschlüssen CR 2007, 628; Redeker Provider-Verträge – ihre Einordnung in die Vertragstypen des BGB ITRB 2003, 82; Rösler/Zagouras Neue verbraucherschützende Grundlagen bei Mehrwertdiensten NJW 2002, 2930; Schimanek/von Lewinski Grundlagen des Telekommunikations-, Rundfunk- und Medienrechts sowie Vertragsgestaltung im Telekommunikations- und Internetrecht Stand: 14.7.2006, www.rewi.hu-berlin.de/ jura/etc/lwk/DOK/TKM.pdf; Säcker (Hrsg) Berliner Kommentar zum TKG Frankfurt 2006 (zit BerlKommTKG/Bearbeiter); Schlotter Die neuen Endkunden schützenden Regelungen des „Gesetzes zur Änderung telekommunikativer Vorschriften“ vom 18.02.2007 – ein detaillierter Überblick JurPC WebDok 148/2007; Schmitz Inhalt und Gestaltung von Telekommunikationsverträgen MMR 2001, 150; Schmitz/Eckhardt Vertragsverhältnisse und CRM bei Mehrwertdiensten CR 2006, 323; Schulze/Dörner/Ebert/Eckert/Hoeren/Kemper/Saenger/Schulte-Nölke/Staudinger Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar 5. Aufl Baden-Baden 2006 (zit Hk-BGB/Bearbeiter); Schütz Kommunikationsrecht München 2005; Schuster (Hrsg) Vertragshandbuch Telemedia München 2001; Spindler Neues im Vertragsrecht der Internetprovider CR 2004, 203; ders Urteilskommentierung zu BGH, Beschluss vom 23.3.2005 – III ZR 338/04 (ZIP 2005, 951) EWiR § 611 BGB 1/05, 627; ders Vertragsrecht der Inter* Herrn Thorsten Ammann gebührt der Dank des Verfassers für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Abschnitts.
Jan Pohle
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
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netprovider 2. Aufl Köln 2004; ders Vertragsrecht der Telekommunikationsanbieter Köln 2000; Tipke/Kruse (Hrsg) Kommentar zur AO und FGO 16. Aufl Köln 2003 (Tipke/Kruse/Bearbeiter); Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg) AGB-Recht 10. Aufl Köln 2006 (zit Ulmer/Brandner/Hensen/Bearbeiter); Vander Der neue Rechtsrahmen für Mehrwertdienste NJW 2007, 2580; Graf von Westphalen/Grote/Pohle Der Telefondienstvertrag Heidelberg 2001; Wissmann (Hrsg) Telekommunikationsrecht 2. Aufl Frankfurt 2006 (zit Wissmann/Bearbeiter); Zscherpe Anforderungen an die daten-schutzrechtliche Einwilligungen im Internet MMR 2004, 723.
Übersicht Rn § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . I. Telekommunikationsrecht zwischen privater Vertragsgestaltung und öffentlicher Regulierung . . 1. Vom Monopol zum Wettbewerb . . . . . . . . . . . 2. Sektorspezifische Marktregulierung . . . . . . . . . a) Heutige wirtschaftliche Rahmenbedingungen . . . b) TKG und allgemeines Wettbewerbsrecht . . . . . . . 3. Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung . . . . . . . II. Grundbegriffe der Telekommunikationsregulierung . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . 2. Zuständige Behörden und Entscheidungsbefugnisse . . . . a) Einzelzuständigkeiten . . b) Allgemeine Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . 3. Marktabgrenzung, Marktanalyse, Regulierungsverfügung . . . . . . . . . . a) Konzept der asymmetrischen ex-ante Regulierung b) Marktabgrenzung und Marktanalyse . . . . . . c) Regulierungsverfügung . . III. Inhalt und Struktur von Telekommunikationsverträgen . . . 1. Vor- und Endleistungsbereich . . . . . . . . . . . . 2. AGB, Preisliste, Leistungsbeschreibungen . . . . . . . 3. Durchbrechung der Privatautonomie durch Regulierung und Kundenschutz . . . . . . . . § 2 Freiheit des Marktzutritts . . . . . . I. Grundsatz . . . . . . . . . . . II. Anzeigepflichten . . . . . . . . III. Gebühren und Beiträge . . . . . § 3 Infrastrukturelle Voraussetzungen . . I. Zugang zu Frequenzen . . . . . 1. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 2. Frequenzplanung . . . . . . 3. Frequenzzuteilung . . . . . . a) Allgemeinzuteilung . . . .
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Rn b) Einzelzuteilung . . . . . . c) Ausschreibung und Versteigerung . . . . . . . . 4. Frequenzhandel . . . . . . . II. Zugang zu Nummern . . . . . . 1. Nummernarten und Nummernbereiche . . . . . . . . 2. Zuteilung . . . . . . . . . . 3. Nutzungsbedingungen . . . . a) Inhalt und Voraussetzungen . . . . . . . . . . b) Überwachung und Sanktionen . . . . . . . . . . c) Exkurs: Mehrwertdiensterufnummern . . . . . . . 4. Übertragung von Nummern . III. Zugang zu Grund und Boden . . 1. Gesetzliche Nutzungsrechte . a) Öffentliche Verkehrswege b) Private Grundstücke . . . 2. Privatrechtliche Nutzungsverträge . . . . . . . . . . . IV. Zugang zu fremder Infrastruktur 1. Zugangsregulierung . . . . . 2. Zusammenschaltung . . . . . § 4 Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen . . . . . . . . . I. Bewerbung telekommunikativer Dienste . . . . . . . . . . . . . II. Vertragstypologie . . . . . . . . III. Parteien . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . 2. Mehrparteien-Konstellationen a) Alternative Teilnehmernetzbetreiber . . . . . . . . . b) Alternative Verbindungsnetzbetreiber . . . . . . . aa) Call by call . . . . . bb) Preselection . . . . . 3. Mehrwertdienste . . . . . . IV. Typische Rechtsprobleme beim Vertragsschluss . . . . . . . . . 1. Einbeziehung von AGB . . . 2. Verbraucherschutzrechtliche Widerrufsrechte . . . . . . . 3. Sittenwidrige Telekommunikationsverträge . . . . . . . 4. Dauerschuldverhältnisse bei Kurzwahldiensten . . . . . .
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40 41 42 43–59 44–48 49, 50 51–57 52 53 54–57 58, 59 60–64 61–63 62 63 64 65–68 66, 67 68 69–95 70 71–74 75–86 75 76–83 77 78–83 79 80–83 84–86 87–95 89 90–92 93 94, 95
§1
Einführung Rn
§ 5 Pflichten des Anbieters . . . . . . . I. Vertragliche Haupt- und Nebenleistungspflichten . . . . . . . . II. Kundenschutzspezifische Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . 1. Informationspflichten . . . . 2. Anforderungen an den Netzzugang . . . . . . . . . . . . 3. Übermittlung von Kündigungserklärungen . . . . . . 4. Teilnehmerverzeichnisse . . . 5. Einzelverbindungsnachweis . § 6 Pflichten des Kunden . . . . . . . . I. Entgeltpflicht . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . 2. Postpaid- und Prepaid-Verträge . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . b) Guthabenverfall . . . . . 3. Prinzip der Gesamtrechnung . 4. Fakturierung und Inkasso . . a) Online-Billing . . . . . . b) Offline-Billing . . . . . . 5. Entgelthöhe . . . . . . . . . a) Grundsatz der Privatautonomie . . . . . . . . b) Entgeltregulierung . . . . c) Sonstige gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . 6. Einwendungen gegen die Rechnung . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . b) Entgeltnachweis und technische Prüfung . . . . . . c) Zahlung des Durchschnittsbetrages . . . . . d) Haftung des Anschlussinhabers . . . . . . . . . 7. Zahlungsverzug und Entgeltsperre . . . . . . . . . . . . II. Nebenpflichten . . . . . . . . .
96–107 97, 98 99–107 100–102 103 104 105 106, 107 108–147 109–146 109 110–115 110–113 114, 115 116 117–119 118 119 120–132 121 122–125 126–132 133–144 133 134–137 138–141 142–144 145, 146 147
Rn § 7 Vertragsbeendigung . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . II. Einzelfragen . . . . . . . . . . 1. Wechsel des Telekommunikationsanbieters . . . . . . . . 2. Laufzeitklauseln . . . . . . 3. Sperr- und Kündigungsklauseln für den Fall übermäßiger Nutzung von Flatrates . . . 4. Deaktivierungsentgelte . . . 5. Verfall von Prepaid-Guthaben . . . . . . . . . . . . § 8 Haftung der Anbieter . . . . . . . I. Haftung gegenüber dem Endkunden . . . . . . . . . . . . II. Haftung gegenüber anderen Marktteilnehmern . . . . . . . § 9 Datenschutz . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . II. Besondere Informationspflichten . . . . . . . . . . . . III. Elektronische Einwilligung . . IV. Gesetzliche Erlaubnistatbestände V. Kopplungsverbot . . . . . . . VI. Vorratsdatenspeicherung . . . 1. Verpflichtungsadressaten . . 2. Zu speichernde Daten . . . 3. Vorhaltezeit . . . . . . . . . 4. Verwendung auf Vorrat gespeicherter Daten . . . . . 5. Erweiterte Identifizierungspflichten . . . . . . . . . . 6. Manuelle Auskunftspflichten 7. Verfassungsbeschwerde . . . VII. Online-Durchsuchung und BKA-Gesetzentwurf . . . . . . § 10 Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . I. Öffentlich-rechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . II. Zivilrechtliche Bestimmungen . III. Schlichtungsverfahren . . . . .
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§1 Einführung I. Telekommunikationsrecht zwischen privater Vertragsgestaltung und öffentlicher Regulierung 1. Vom Monopol zum Wettbewerb Lange Zeit begriff man in Deutschland wie auch in vielen anderen europäischen Staa- 1 ten das Post- und Fernmeldewesen als Bestandteil der Daseinsvorsorge, entsprechende Dienste waren staatlich monopolisiert. Die in Art 87 Abs 1 GG aF niederlegte bundeseigene Verwaltung der Materie wurde von der Deutschen Bundespost als Sondervermö-
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gen des Bundes wahrgenommen. Sie durfte Post- und Telekommunikationsleistungen exklusiv vertreiben. Einzelheiten regelten das Fernmeldeanlagengesetz (FAG) und das Telegrafenwegegesetz (TWG)1. Wie viele andere Bereiche hat innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte auch die Tele2 kommunikationsindustrie vom Aufschwung und der rasanten technischen Entwicklung der Informationstechnologie profitiert und auf Basis neuer Technologien ihr Nutzungsangebot kontinuierlich erweitern können 2. Der damit einhergehende gesamtwirtschaftliche Bedeutungszuwachs des Telekommunikationssektors für den europäischen Binnenmarkt weckte schließlich den Bedarf nach einer Vereinheitlichung des einschlägigen Regelungsgeflechts. So haben zahlreiche europäische Richtlinien den europäischen Telekommunikationsmarkt über Jahre hinweg liberalisiert und harmonisiert und überkommene monopolistische Strukturen aufweichen lassen. Angefangen beim sog Grünbuch der Europäischen Kommission über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte (1987) 3, über die Endgeräte-Richtlinie (1988) 4, die Dienste-Richtlinie (1990) 5, ergänzt durch Richtlinie 94/46/EG (Satellitenkommunikation) 6, Richtlinie 95/51/EG (Kabel-Richtlinie) 7 und Richtlinie 96/2/EG (Mobilnetz-Richtlinie) 8, wurden mit Richtlinie 96/19/EG (Richtlinie zur Einführung des vollständigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten) 9 und der Verordnung 2887/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Endbündelung der Ortsnetze 10 die Betreiber von beträchtlicher Marktmacht verpflichtet, Anschlussleitung und Verbindungsleitung getrennt anzubieten (sog Line-Sharing), letztlich alle Monopolrechte der ehemaligen Post- und Fernmeldeverwaltungen aufgehoben und so der Prozess der Liberalisierung im Jahre 2000 im Wesentlichen abgeschlossen. Um einen fairen und funktionsfähigen Wettbewerb des sich auf diese Weise immer 3 weiter öffnenden Telekommunikationsmarktes gewährleisten zu können, hielt man es zudem für erforderlich, einheitliche Marktzutrittsbedingungen zu normieren. Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm der europäische Gesetzgeber im Jahre 1990 mit der sog ONP-Richtlinie11. Sie verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Schaffung objektiver, transparenter und diskriminierungsfreier Zugangsbedingungen zu den Netzen und
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Vgl insgesamt Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 20 f. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 22. KOM [87] 290 vom 30.6.1987. Richtlinie 80/301/EWG der Kommission vom 16.5.1988 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte, ABl EG Nr L 131 vom 27.5.1988, 73 ff. Richtlinie 90/388/EWG, ABl EG Nr L 192 vom 24.7.1990, 10. Richtlinie 94/46/EG der Kommission vom 13.10.1994 zur Änderung der Richtlinien 88/301/EWG und 90/388/EWG, insbesondere betreffend die Satelliten-Kommunikation, ABl EG Nr L 268 vom 19.10.1994, 15 ff. Richtlinie 95/51/EG, Richtlinie der Kommission vom 18.10.1995 zur Änderung der Richtlinie 90/388/EWG hinsichtlich der Aufhebung der Einschränkungen bei der Nutzung von Kabelfernsehnetzen für die Erbringung bereits
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liberalisierter Telekommunikationsdienste, ABl EG Nr L 308 vom 29.11.1996, 59 ff. Richtlinie 96/2/EG der Kommission vom 16.1.1996 zur Änderung der Richtlinie 90/388/EWG betreffend die mobile Kommunikation und Personal Communications, ABl EG Nr L 66 vom 16.3.1996. Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13.3.1996 zur Änderung der Richtlinie 90/388/EWG hinsichtlich der Einführung des vollständigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten, ABl EG Nr L 74 vom 22.3.1996, 13 ff. Verordnung (EG) Nr 2887/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12. 2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss, ABl EG Nr L 336 vom 30.12.2000, 4 ff. Open Network Provision, Richtlinie 90/387/ EWG des Rates vom 28.6.1990 zur Verwirk-
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§1
Einführung
wurde in der Folgezeit weiter angepasst und ergänzt. Die Mietleitungs-Richtlinie 12 aus dem Jahre 1992 formuliert einheitliche Bedingungen für den Zugang und die Nutzung von Mietleitungen, die Genehmigungs-Richtlinie (1997) 13 den supranationalen Rechtsrahmen für entsprechende nationale Genehmigungs- und Lizenzverfahren. Unter Betonung der Interoperabilität der Netze als Schlüsselfaktor eines funktionierenden und wettbewerbsfähigen Telekommunikationsmarktes wurde zu alledem Marktteilnehmern mit beträchtlichem Marktumfang im Jahre 1997 aufgetragen, Wettbewerbern fortan durch Zusammenschaltung der Netze die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Geschäftstätigkeit auch auf solche Endkunden ausdehnen zu können, die sie mit eigenen Netzen nicht zu erreichen vermögen (Zusammenschaltungs-Richtlinie)14. Den Belangen des Gemeinwohls versucht die Sprachtelefonie-Richtlinie aus dem Jahre 199815 Rechnung zu tragen. Sie soll auch im liberalen Telekommunikationsmarkt die fortwährende Bereitstellung von Netzanschlüssen, Telefon- und Auskunftsdiensten sowie von öffentlichen Karten-/Münztelefonen gewährleisten. Zunehmender Wettbewerb, die wachsende Konvergenz der Netze sowie der damit ein- 4 hergehende steigende Harmonisierungsbedarf waren für den europäischen Gesetzgeber 2002 schließlich Anlass, das bis dahin bestehende supranationale Regelungsgeflecht im Wege einer vollständigen Überarbeitung zu einem neuen Richtlinienpaket zusammenzufassen. Dieses besteht aus einer Rahmen-Richtlinie16 – dem allgemeinen Teil – und vier einzelbereichsspezifischen Richtlinien (Genehmigungs-Richtlinie 17, Zugangs-Richtlinie 18, Universaldienst-Richtlinie 19 und Datenschutz-Richtlinie 20). Daneben fasst eine Wettbe-
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lichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs, ABl EG Nr L 192 vom 24.7.1990, 1 ff. Richtlinie 92/44/EWG des Rates vom 5.6. 1992 zur Einführung des offenen Netzzugangs bei Mietleistungen, ABl EG Nr L 165 vom 19.6.1992, 27 ff. Richtlinie 97/13/EG vom 10.4.1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemeinund Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste, ABl EG Nr L 117 vom 7.5. 1997, 15 ff. Richtlinie 97/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.6.1997 über die Zusammenschaltung in der Telekommunikation im Hinblick auf die Sicherstellung eines Universaldienstes und der Interoperabilität durch Anwendung der Grundsätze für einen offenen Netzzugang (ONP), ABl EG Nr L 199 vom 26.7.1997, 32 ff (sog „Zusammenschaltungs-Richtlinie“). Richtlinie 98/10/EG vom 26.2.1998 über die Anwendung des offenen Netzzugangs (ONP) beim Sprachtelefondienst und den Universaldienst im Telekommunikationsbereich in einem wettbewerbsorientierten Umfeld, ABl EG Nr L 101 vom 1.4.1998, 24 ff. Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Par-
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laments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 33 ff. Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 21 ff. Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 7 ff. Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 51 ff. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl EG Nr L 201 vom 31.7.2002, 37 ff.
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werbs-Richtlinie 21 die überarbeiteten früheren Liberalisierungs-Richtlinien (unter anderem Dienste- 22, Satelliten- 23 und Kabel-Richtlinie 24) zu einem einheitlichen Normenwerk zusammen 25. Da Richtlinien – im Gegensatz zu Verordnungen – grundsätzlich keine unmittelbare Geltung zu entfalten vermögen, sind sie von den Mitgliedstaaten zunächst in nationales Recht umzusetzen. Dies geschah in Deutschland in drei Schritten: Während die erste Postreform (1989) das operative Geschäft der Deutschen Bundes5 post in drei selbstständige öffentliche Unternehmen – „Deutsche Bundespost Postbank“, „Deutsche Bundespost Postdienst“ und „Deutsche Bundespost Telekom“ – splittete sowie den Markt für Satelliten- und Mobilfunk teilweise, den Markt für Endgeräte und Firmennetze dagegen vollständig dem freien Wettbewerb öffnete, brachte die zweite Postreform (1994) grundlegende verfassungsrechtliche Änderungen mit sich 26. So wurde die Bundespost aus dem Katalog bundeseigener Verwaltung (Art 87 Abs 1 GG) heraus gelöst. Telekommunikationsdienste dürfen seither privatwirtschaftlich angeboten werden (Art 87f Abs 2 GG). Für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Postund Telekommunikationsdienstleistungen hat der Bund Sorge zu tragen (Art 87f Abs 1 GG). Die Umwandlung der ehemals Deutschen Bundespost in ein Unternehmen privater Rechtsform bestimmt Art 143b Abs 1 GG. Hierauf basierend entstand aus der „Deutschen Bundespost Telekom“ letztlich die Deutsche Telekom AG. Erst aus der dritten Postreform (1996) entstand in Umsetzung oben bezeichneter 6 Richtlinien dann das erste Telekommunikationsgesetz (TKG), welches wiederum in Umsetzung des Richtlinienpaketes aus 2002 im Jahre 2004 im Wesentlichen zu seiner heute geltenden Fassung fand 27. Zur Ausführung des Gesetzes zuständige Behörde ist die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (§ 116 TKG). Wie inoffizielle Dokumente der Kommission belegen, ist der Europäische Rechts7 rahmen seit Ende 2005 jedoch abermals Gegenstand umfangreicher Überarbeitungen. Neben etlichen Änderungen des Sekundärrechts steht insbesondere der Aufbau einer europäischen Regulierungsbehörde (EECMA) mit eigenen und superregulierenden Befugnissen in Rede, was in jüngster Vergangenheit bereits heftig diskutiert wurde.28 Konkrete Veröffentlichungen der Kommission hierzu sind bisweilen nicht ergangen. Insgesamt wird der Telekommunikationssektor wohl aber auch in Zukunft entwicklungsdynamisch bleiben.
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Richtlinie 2002/77/EG der Kommission vom 16.9.2002 über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 249 vom 17.9.2002, 21 ff. Richtlinie 90/388/EWG, ABl EG Nr L 192 vom 24.7.1990, 10. Richtlinie 94/46/EG der Kommission vom 13.10.1994 zur Änderung der Richtlinien 88/301/EWG und 90/388/EWG, insbesondere betreffend die Satelliten-Kommunikation, ABl EG Nr L 268 vom 19.10.1994, 15 ff. Richtlinie 95/51/EG, Richtlinie der Kommission vom 18.10.1995 zur Änderung der
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Richtlinie 90/388/EWG hinsichtlich der Aufhebung der Einschränkungen bei der Nutzung von Kabelfernsehnetzen für die Erbringung bereits liberalisierter Telekommunikationsdienste, ABl EG Nr L 308 vom 29.11. 1996, 59 ff. Holznagel/ Enaux/Nienhaus 312. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 25 ff. TKG vom 22.6.2004 (BGBl I S 1190), zuletzt geändert durch Art 3 des Gesetzes vom 18.2. 2007 (BGBl I S 106). O’Brien International Herald Tribune 12.8. 2007, vgl http://www.iht.com/articles/ 2007/08/12/business/telecom13.php.
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§1
Einführung
2. Sektorspezifische Marktregulierung a) Heutige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Insbesondere mit den Zielen, einen 8 chancengleichen Wettbewerb zu fördern und flächendeckend leistungsfähige Infrastrukturen gewährleisten zu können, unterwirft das TKG den Telekommunikationsmarkt hoheitlichen Regulierungsmechanismen (vgl §§ 1 und 2 TKG). Einzelheiten finden sich in den §§ 9 ff TKG, wobei teilweise zwischen ökonomischer und nicht-ökonomischer Regulierung unterschieden wird. Während erstere dazu dient, Wettbewerbsverzerrungen, die auf der besonderen Wettbewerbsposition von Anbietern von beträchtlicher Marktmacht beruhen (§§ 9–43 TKG), entgegen zu wirken, betrifft letztere insbesondere technische, infrastrukturelle oder datenschutzrechtliche Elemente, wie bspw den Kundenschutz (§§ 43a ff, TKG) 29. Ausgehend von der sog Genehmigungs-Richtlinie 30 setzt das TKG 2004 für die Er- 9 bringung von Telekommunikationsdienstleistungen nicht mehr den Erwerb einer Lizenz voraus. Die Aufnahme derartiger Dienste sind der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen lediglich schriftlich anzuzeigen (§ 6 Abs 1 TKG). Da das TKG jedoch nur den Marktzugang nach telekommunikationsrechtlichen Vorschriften erleichtern will und keineswegs den Anspruch erhebt, gewerberechtliche Vorschriften aufweichen zu wollen, vermag eine Anzeige allein nach § 6 Abs 1 TKG dort nicht auszureichen, wo andere Vorschriften die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit von einer ausdrücklichen Genehmigung einer Behörde abhängig machen (bspw § 14 GewO) 31. Kontrovers diskutiert wird derzeit die Frage, ob und ggf unter welchen Umständen Open WLAN-Networks bzw WLAN Hotspots meldepflichtig sind 32. Im Übrigen sind zahlreiche Rechtsverordnungen zu beachten, auf die das TKG an 10 etlichen Stellen verweist (vgl zB § 44 Abs 1 und 2 TKG; § 53 Abs 1 TKG; § 54 Abs 3 TKG; § 66 Abs 4 TKG; § 67 Abs 1 TKG; § 78 Abs 2 Nr 5 TKG; § 98 Abs 3 TKG; § 102 Abs 6 TKG; § 108 Abs 1, 2 TKG; § 110 Abs 1, 4, 5, 6, 8 und 9 TKG und andere). Sie ergänzen und konkretisieren das TKG in vielfacher Hinsicht. Zu nennen sind insbesondere die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) 33, die Frequenzgebührenverordnung (FgebV) 34, die Frequenznutzungsplanaufstellungsverordnung (FreqNPAV) 35, die Frequenzschutzbeitragsverordnung (FSBeitrV) 36, die Telekommunikations-Nummerngebührenverordnung (TNGebV)37 und die TKG-Übertragungsverordnung (TKGÜbertrV)38. Eine Telekommunikationsnummerierungsverordnung (TNV) exis-
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Vgl Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 70 ff. Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 21 ff. BT-Drucks 15/2316, 60; BerlKommTKG/ Gosse § 6 Rn 22 mwN; Schütz Rn 6. Zum Streitstand wie auch zur Problematik insgesamt vgl BerlKommTKG/Gosse § 6 Rn 27 mwN. BGBl 2005 I S 3136, zuletzt geändert durch Art 13 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie
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zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl I 2007 S 3198. BGBl 1997 I S 1226, zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.11.2006, BGBl I S 2661. BGBl 2001 I S 827, zuletzt geändert durch Art 464 der Verordnung vom 31.10.2006, BGBl I S 2407. BGBl 2004 I S 958, zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.5.2005, BGBl I S 1538. BGBl 1999 I S 1887, zuletzt geändert durch Art 1 Verordnung vom 19.12.2006, BGBl I S 3378. BGBl 2004 I S 2899, zuletzt geändert durch Art 465 Verordnung vom 31.10.2006, BGBl I S 2407.
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tiert inzwischen ebenfalls.39 Die Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV), die bislang die maßgeblichen kundenschutzrechtlichen Vorschriften des Telekommunikationsrechts beinhaltete, ist mit dem TKG-Änderungsgesetz 40 Bestandteil des neuen TKG geworden (vgl §§ 43a ff TKG) 41.
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b) TKG und allgemeines Wettbewerbsrecht. Wie sowohl die historische Entwicklung des Telekommunikationsrechts als auch die §§ 1 und 2 TKG selbst verdeutlichen, setzt sich das deutsche wie auch das europäische Regelungsgeflecht maßgeblich für die Öffnung der Telekommunikationsmärkte und die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen ein (vgl insbesondere § 2 Abs 2 Nr 2 TKG). Auf Grund ehemals überwiegend monopolistisch geprägter Strukturen können die nationalen Ex-Monopolisten – in Deutschland die Deutsche Telekom AG – auf eine über Jahrzehnte staatlich finanzierte Netzinfrastruktur zurückgreifen und verfügen in nahezu allen Geschäftsfeldern über einen beträchtlichen Marktvorsprung. Neue Marktteilnehmer könnten neben einem derart übermächtigen Wettbewerber unmöglich bestehen. Ihr Einstieg in den Telekommunikationsmarkt wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die allgemeinen Wettbewerbsgesetze – GWB und UWG – begegnen zwar der unange12 nehmen Eigenschaft des Wettbewerbs, sich stets selbst beseitigen zu wollen. Sie regulieren aber – zumindest überwiegend aus einer bloßen ex-post – Betrachtung heraus, indem sie den vorhandenen und generell funktionsfähigen Wettbewerb vor einer Verschlechterung des status quo zu bewahren suchen. An einem solch schützenswerten status quo fehlt es dem Telekommunikationsmarkt jedoch noch, vielmehr gilt es einen funktionsfähigen Wettbewerb erst einmal herzustellen. Diese Wettbewerbsschieflage berücksichtigt der Gesetzgeber im TKG. Er gibt der Bundesnetzagentur hinreichendes Regulierungsinstrumentarium an die Hand, um im Sinne eines chancengleichen Wettbewerbs marktgestalterisch tätig werden zu können. Insoweit schlüpft das TKG auch in die Rolle eines bereichsspezifischen Kartellrechts 42, das die wirtschaftlichen und technischen Besonderheiten des Telekommunikationsmarktes angemessen zu würdigen weiß. Das TKG ist insoweit lex specialis, UWG und GWB sind nur dort heranzuziehen, wo das TKG selbst keine oder nur unzureichende Regelungen enthält (zB bei Preisabsprachen) 43. 3. Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung
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Mit Öffnung der Telekommunikationsmärkte und dem Wandel vom öffentlich-rechtlichen 44 zum privatrechtlichen Nutzungsverhältnis 45 hat auch die Bedeutung privatrechtlicher Vertragsgestaltung im Bereich telekommunikativer Dienstleistungen immens an Bedeutung gewonnen. Insbesondere hat der Liberalisierungsprozess eine stetig wachsende Zahl von Anbietern in den unterschiedlichsten Bereichen telekommunikativer Dienstleistungen nach sich gezogen und weicht die klassische Konstellation der Identität von Netzbetreiber und Diensteanbieter immer weiter auf. Vielmehr findet sich auf nahezu allen Telekommunikationsdienstleistungssegmenten und -ebenen eine Vielzahl unterschiedlichster Anbieter, deren Rechte und Pflichten über hochkomplexe Vertragswerke miteinander verwoben sind. Hinzu kommt, dass sich Telekommunikationsdienstleistungen – sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunkbereich – schon lange nicht mehr nur 39 40 41 42 43
BGBl 2008 I S 141. BGBl 2007 I S 106. Ausf hierzu Vander NJW 2007, 2580 ff. Gersdorf 26 f. BT-Drucks 13/3609, 36; Geppert/Ruhle/ Schuster Rn 230; Gersdorf 28.
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44 45
Vgl hierzu noch Graf von Westphalen/Grote/ Pohle 17. Seit dem 1.7.1991 (Postreform I).
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auf klassische Sprachdienste beschränken, sondern von einem stetig wachsenden Angebot unterschiedlichster Daten- und Inhaltsdienste begleitet werden. Hier lassen sich Rechte und Pflichten nur im Wege aufwendiger Vertragsgestaltung trennscharf voneinander abgrenzen. Dies gilt sowohl im Vorleistungs- als auch im Endkundenbereich. Ersterer betrifft 14 Verträge zwischen Telekommunikationsdienstleistern und Netzbetreibern (auch untereinander) über Zugangs- und Zusammenschaltungsleistungen und unterliegt dem Einfluss der Bundesnetzagentur, die die Deutsche Telekom AG als Adressat dieser Regelung mitunter auch gegen ihren Willen zu entsprechenden Leistungen verpflichten kann (§ 21 TKG). Letzterer betrifft die klassischen Telefonanschlussverträge im Endkundenbereich. Hier setzen die §§ 43a ff TKG (Kundenschutz), §§ 88 ff TKG (Fernmeldegeheimnis), §§ 91 ff TKG (Datenschutz), §§ 305 ff BGB (AGBs), §§ 312 ff sowie §§ 355 ff BGB (bürgerlich-rechtliches Kundenschutzrecht) der auf der Privatautonomie fußenden Vertragsfreiheit angemessene Grenzen.
II. Grundbegriffe der Telekommunikationsregulierung 1. Rechtsgrundlagen Die Regeln des Telekommunikationsrechts sind nicht auf ein kompaktes Regelwerk 15 begrenzt sondern finden ihre Stütze in unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen, die sich im Wesentlichen jedoch auf das TKG und auf diesem fußende Verordnungen beschränken: Das Telekommunikationsgesetz (TKG). Das TKG, das über eine viele Jahre andau- 16 ernde Entwicklung 46 zu seiner heute geltenden Fassung 47 gefunden hat, regelt in insgesamt 152 Paragrafen nach einem einleitenden Teil, der insbesondere die Zwecke und Ziele des Gesetzes erläutert (§§ 1 und 2 TKG), und einem umfangreichen Definitionskatalog (§ 3 TKG), in den §§ 9 ff die einzelnen Instrumente der Markregulierung. Neuerdings enthält das TKG in den §§ 43a ff auch ausführliche Bestimmungen hinsichtlich des Kundenschutzes, der bis dato in der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) 48 geregelt war. Mit dem Ziel, auf einen endnutzerorientierten TV-Endgerätemarkt mit einheitlichen technischen Standards hinzuwirken, zur Förderung des Wettbewerbs zur Übertragung digitaler Rundfunksignale und um die zukünftige Verfügbarkeit einer großen Bandbreite an Programmen und Dienstleistungen sicherzustellen, enthalten die §§ 48 ff TKG auch bereits erste Regelungen zur Rundfunkübertragung, insbesondere hinsichtlich Interoperabilität von Fernsehgeräten, Übertragung digitaler Fernsehinhalte 49 und Zugangsberechtigungssystemen. Die Vergabe von Frequenzen, Nummern sowie die für den Aufbau neuer Netzinfrastrukturen erforderlichen Wegerechte sind in den §§ 52 ff TKG aufgeführt. In den §§ 88 ff TKG sind Fernmeldegeheimnis, Datenschutz und Fragen der öffentlichen Sicherheit geregelt, welche durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007 50 umfangreiche und massiv 46 47
Siehe § 1 I 1. Telekommunikationsgesetz vom 22.6.2004 (BGBl I S 1190), zuletzt geändert durch Art 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften vom 18.2.2007 BGBl I S 106.
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49 50
BGBl 1997 I S 2910, aufgehoben durch Art 5 Nr 1 S 2 des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften vom 18.2.2007 BGBl I S 106, 120. Vgl hierzu ausf BT-Drucks 15/2316, 73 ff. BGBl I 2007, 3198 (3205 ff).
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5. Teil
in öffentlicher Diskussion stehende Änderungen erfahren (Näheres noch im Laufe der Darstellung). Demgegenüber betreffen die §§ 116 ff TKG Organisation, Verfahren und Befugnisse der Bundesnetzagentur, die die Aufgaben der Nationalen Regulierungsbehörde iSd Art 3 Abs 1 Rahmen-Richtlinie 51 wahrnimmt. Verordnungen zum TKG. Aus dem inzwischen überkommenen Verständnis, sich bloß 17 auf grundlegende Fragen der Telekommunikationsregulierung beschränken zu wollen, wird das TKG auch heute durch zahlreiche Verordnungen ergänzt und konkretisiert.52 Zwar gibt der Gesetzgeber – dies zeigen etwa die aktuellen Regelungen zum Kundenschutz in den §§ 43a ff TKG 53 – zunehmend zu erkennen, das TKG zu einem umfassenden telekommunikationsrechtlichen Kompendium ausgestalten zu wollen, dennoch verweist es auch heute noch vergleichsweise häufig auf entsprechende Verordnungen. Erwähnenswert sind hier insbesondere die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV), die bereits im Geltungsbereich des TKG 1996 bestand, im November 2005 auf Grundlage des TKG 2004 novelliert wurde 54 und jüngst durch Art 13 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12. 2007 55 erneut umfassende Änderungen erfahren hat, die Frequenzgebührenverordnung (FgebV) 56, die Frequenznutzungsplanaufstellungsverordnung (FreqNPAV) 57, die Frequenzschutzbeitragsverordnung (FSBeitrV) 58, die Telekommunikations-Nummerngebührenverordnung (TNGebV) 59 und die TKG-Übertragungsverordnung (TKGÜbertrV) 60. Die Telekommunikations-Kundenschutzverordnung, welche bis kürzlich maßgebliche telekommunikationsspezifische Kundenschutzvorschriften umfasste, ist im Zuge des TKG-Änderungsgesetzes 61 jüngst in den §§ 43a ff TKG aufgegangen, etliche andere Verordnungen bereits im Rahmen der Novellierung des TKG 2004.62 Eine Telekommunikations-Nummerierungsverordnung (TNV) ist seit 15.2.2008 nunmehr ebenfalls in Kraft.63 2. Zuständige Behörden und Entscheidungsbefugnisse
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a) Einzelzuständigkeiten. Gem Art 3 Abs 1 der Rahmen-Richtlinie 64 obliegt die Überwachung und Regulierung der Telekommunikationsmärkte unabhängigen 65 natio51
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Hierzu im Folgenden § 1 II 2; vgl jedoch Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 33 ff. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 88. BGBl 2007 I S 106. BGBl 2005 I S 3136. BGBl 2007 I S 3198. BGBl 1997 I S 1226, zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.11.2006, BGBl 2006 I S 2661. BGBl 2001 I S 827, zuletzt geändert durch Artikel 464 der Verordnung vom 31.10. 2006, BGBl 2006 I S 2407. BGBl 2004 I S 958, zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.5.2005, BGBl 2005 I S 1538.
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BGBl 1999 I S 1887, zuletzt geändert durch Art 1 der Verordnung vom 19.12.2006, BGBl 2006 I S 3378. BGBl 2004 I S 2899, zuletzt geändert durch Art 465 der Verordnung vom 31.10.2006, BGBl 2006 I S 2407. BGBl 2007 I S 106. So etwa die Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV), die Telekommunikations-Entgeltverordnung (TEntgV), die Netzzugangsverordnung (NZV) ua. BGBl 2008 I S 141. Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 33 ff. Vgl Art 3 Abs 2, 3 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
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nalen Regulierungsbehörden (National Regulatory Authority) 66 als hoheitliche Aufgabe. Dies ist in Deutschland die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen 67. Sie hat im Wesentlichen für die Sicherstellung eines chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs (§ 2 Abs 2 Nr 2 TKG), einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen (§ 2 Abs 2 Nr 5 TKG) und einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen und Rufnummern sowie deren Verwaltung (§ 2 Abs 2 Nr 7 und 8) Sorge zu tragen. Insgesamt erstreckt sich die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur auf sämtliche Hoheitsbefugnisse des TKG und dieses konkretisierender Rechtsvorschriften. b) Allgemeine Missbrauchsaufsicht. Eine der regulatorischen Hauptaufgaben der 19 Bundesnetzagentur liegt darin, sicherzustellen, dass übermächtige TK-Unternehmen – namentlich die Deutsche Telekom AG – ihre marktbeherrschende Stellung nicht zum Nachteil der übrigen Marktteilnehmer missbrauchen. Während § 19 GWB derartige Verhaltensweisen generell verbietet, bezieht sich das TKG sektorspezifisch auf den regulierungsbedürftigen TK-Markt und beinhaltet neben entgeltspezifischen Missbrauchsvorschriften in § 28 (ggf iVm §§ 38/39) TKG auch einen allgemeinen Missbrauchstatbestand (§ 42 TKG) 68. „Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert oder deren Wettbewerbsmöglichkeiten ohne sachlich gerechtfertigten Grund erheblich beeinträchtigt werden“, definiert § 42 Abs 1 S 2 TKG allgemein. Im Falle der Abs 2 und 3 wird ein Missbrauch im Sinne der Vorschrift vermutet. Entsprechende Verhaltensweisen ahndet die Bundesnetzagentur auf der Grundlage des Abs 4, wonach sie das regulierte Unternehmen zu entsprechenden Maßnahmen anhalten kann oder Verträge ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden können (§ 41 Abs 4 S 2 TKG). In bestimmten Fällen ist die Bundesnetzagentur auch zur Abschöpfung rechtswidrig erlangter wirtschaftlicher Vorteile (§ 43 TKG) und zur Verhängung von Bußgeldern (§ 149 TKG) ermächtigt. 3. Marktabgrenzung, Marktanalyse, Regulierungsverfügung a) Konzept der asymmetrischen ex-ante Regulierung. Wie eingangs angedeutet, wäre 20 es zur Schaffung eines fairen und chancengleichen Wettbewerbs und der flächendeckenden Grundversorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu erschwinglichen Preisen (vgl §§ 1 und 2 TKG) allein nicht ausreichend gewesen, den Telekommunikationsmarkt bloß zu liberalisieren und sich selbst zu überlassen. Die marktbeherrschende Stellung, die die Deutsche Telekom AG im Jahr 2000 nach dem im Wesentlichen abgeschlossenen Liberalisierungsprozess in nahezu allen Geschäftsfeldern inne hatte, hätte Markteinsteiger, die mitunter auf Teilnehmeranschlussleitungen der Deutschen Telekom angewiesen sind, um den Endkunden überhaupt mit eigenen Kommunikationsdienstleistungen versorgen zu können, in tiefe Abhängigkeit gestürzt und
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7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4. 2002, 33 ff. Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 33 ff.
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Vgl Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BEGTPG) vom 7.7.2005 (BGBl I S 1970 (2009)), geändert durch Art 27 der Verordnung vom 31.10.2006 (BGBl I S 2407). Zum Verhältnis § 28 – §§ 42 ff TKG vgl BeckTKG-Komm/Schütz § 42 Rn 6 ff sowie Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 338.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
einen fairen Wettbewerb wie auch eine Verbesserung der telekommunikativen Infrastruktur zugunsten einer flächendeckenden und preisgünstigen TK-Versorgung der Bevölkerung verhindert. Gem Art 87f Abs 1 GG kommt der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen jedoch besonderer Schutz zu (vgl auch §§ 1, 2 Abs 2 TKG). Dem wäre mit einer bloßen ex-post Missbrauchskontrolle, wie sie die allgemeinen Wettbewerbsrechte – GWB und UWG – grds vorsehen, nicht Genüge getan 69. Vielmehr erlaubt der Gesetzgeber der für die Ausführung des TKG zuständigen Bundesnetzagentur (vgl § 116 TKG), das Marktgeschehen bereits vorab – also ex-ante – regulatorisch zu steuern und so einem fairen und ausgewogenem Telekommunikationsmarkt zur Entstehung zu verhelfen 70. Dabei bedient sich das TKG eines asymmetrischen Regulierungsansatzes: Nicht das Telekommunikationsunternehmen als solches ist Gegenstand der Regulierung, sondern nur dasjenige, welches auf einem Markt tätig ist, auf dem kein wirksamer Wettbewerb besteht und im betreffenden Geschäftsbereich zugleich über „beträchtliche Marktmacht“ iSv § 3 Nr 4 und § 11 Abs 1 S 3–5 TKG verfügt 71 (vgl § 9 Abs 1 und 2 iVm §§ 10 und 11 TKG). Probleme bereitet vor diesem Hintergrund insbesondere § 9a TKG, der „neue Märkte“ von einer Regulierung ausnehmen soll („Regulierungsferien“). Mit dieser Regelung ist Deutschland national wie international auf heftige Kritik gestoßen. Nach einem vorab durchgeführten Vertragsverletzungsverfahren72 hat die Europäische Kommission am 13.9.2007 nun sogar Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.73 Eine Entscheidung des Gerichts steht bisweilen aus.
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b) Marktabgrenzung und Marktanalyse. Ausgehend hiervon ist es zunächst notwendig, den relevanten Markt zu definieren, um dann in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob auf dem jeweils in Betracht kommenden Markt ein wirksamer Wettbewerb vorliegt. Diesen ersten Schritt übernimmt § 10 TKG (Marktdefinitionsverfahren), wonach für eine Regulierung solche Märkte in Betracht kommen, die durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsbeschränkungen gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um einem Marktversagen entgegenzuwirken (§ 10 Abs 2 S 1 TKG). Wann dies der Fall ist, bestimmt die Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr zustehenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums (§ 10 Abs 2 S 2 TKG) 74. Sie hat allerdings die Empfehlungen der Kommission in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte, basierend auf der Rahmen-Richtlinie zu berücksichtigen (§ 10 Abs 2 S 3 TKG). Dabei fällt auf, dass § 10 Abs 2 S 1 TKG zwar Kriterien für die Einordnung eines Marktes als regulierungsbedürftig aufstellt, den Begriff des Marktes selbst jedoch nicht definiert, sondern vielmehr voraussetzt 75. Gem Art 15 Abs 1 S 3 der Rahmen-Richtlinie 76 und Gliederungspunkt (5) der Märkteempfehlung der Kommission 77 definiert sich der Marktbegriff im Sinne der Vorschrift jedoch im Einklang mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts, wonach einem Markt in sachlicher Hinsicht immer solche Produkte angehören, die aus Sicht der Marktgegenseite austauschbar und aus Sicht der Anbieterseite umstellungsflexibel sind 78. Han69 70 71 72 73 74 75 76
S hierzu bereits § 1 II 2b). Gersdorf 27. Gersdorf 27. Vgl IP/07/595. IP/07/889. Hierzu auch VG Köln MMR 2006, 422 (424); VG Köln MMR 2007, 744 ff. Koenig/Loetz/Neumann 116. Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Par-
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laments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 33 ff. Empfehlung der Kommission vom 11.2. 2003, ABl L 114 vom 8.5.2003, 45 ff. S auch Koenig/Loetz/Neumann 116 f.
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delt es sich aus Kundensicht also um alternative Produkte und ist mit einer kurzfristigen und kostenneutralen Umstellung der Produktion andere Anbieter zu rechnen, bilden die betreffenden Produkte einen Markt iSd Vorschrift 79, den die Bundesnetzagentur unter Berücksichtigung der Kommissionsempfehlung 80, die bereits etliche relevante Vorleistungs- und Endkundenmärkte ausdrücklich benennt, den Kriterien des § 10 Abs 2 S 1 TKG zu unterziehen hat 81. Kommt sie dabei zu dem Ergebnis, mit dem betreffenden Telekommunikationssektor handele es sich um einen regulierungsbedürftigen Markt, hat sie diesen in einem zweiten Schritt auf das Bestehen eines wirksamen Wettbewerbs hin zu untersuchen (§ 11 TKG-Marktanalyse). Dies ist nur bei „Abwesenheit von beträchtlicher Marktmacht“ der Fall (§ 3 Nr 31 TKG), was unter den in § 11 Abs 1 S 2, 3 TKG beschriebenen Gegebenheiten zu verneinen ist, da unter diesen Umständen von einer beträchtlichen Marktmacht regelmäßig auszugehen ist. Im Übrigen hat die Europäische Kommission Leitlinien zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht aufgestellt 82. An diese Kriterien ist die Bundesnetzagentur gebunden (§ 11 Abs 1 S 4 TKG). Zu beachten ist, dass Entscheidungen der Bundesnetzagentur sowohl im Marktdefini- 22 tions- als auch im Marktanalyseverfahren in bestimmten Fällen nur im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt ergehen können (vgl § 123 Abs 1 S 1 TKG). Darüber hinaus ist gem § 12 TKG ein Konsultations- und unter bestimmten Umständen auch ein Konsolidierungsverfahren durchzuführen. Das Konsultationsverfahren (§ 12 Abs 1 TKG) dient dazu, interessierten Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zeigt sich, dass die Ergebnisse des Marktdefinitions- und -analyseverfahrens Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten haben werden, so ist (auch) ein Konsolidierungsverfahren (§ 12 Abs 2 TKG) durchzuführen (§ 12 Abs 2 iVm § 10 Abs 3; § 11 Abs 3 TKG). Dies ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung von Telekommunikationsdienstleistungen für den europäischen Binnenmarkt als auch der Vielzahl der Marktteilnehmer in aller Regel der Fall.83 Im Rahmen dieses Verfahrens prüft die Kommission, ob und ggf inwieweit derartige Beeinträchtigungen tatsächlich bestehen. Daraufhin eingehende Stellungnahmen der Kommission hat die Bundesnetzagentur weitestgehend zu berücksichtigen (§ 12 Abs 2 Nr 2 S 1 TKG). Unter den Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Nr 3 TKG steht der Kommission gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur sogar ein Veto zu. Sind aus Sicht der Bundesnetzagentur allerdings solch außergewöhnliche Umstände 23 gegeben, dass zum Zwecke der Gewährleistung des Wettbewerbs und zum Schutze der Nutzerinteressen dringender Handlungsbedarf besteht, so kann sie gem § 12 Abs 2 Nr 4 TKG auch ohne ein vorheriges Konsultations- bzw Konsolidierungsverfahren vorläufig notwendige Maßnahmen treffen. Von den übrigen gesetzlichen Vorgaben und Voraussetzungen befreit sie die Vorschrift hingegen nicht 84. c) Regulierungsverfügung. Kommt die Bundesnetzagentur nach Durchführung der in 24 den §§ 10 und 11 TKG niedergelegten Verfahren zu dem Ergebnis, dass ein regulierungsbedürftiger Markt vorliegt, so kann sie betreffenden übermächtigen Unternehmen Ver79 80 81 82
BerlKommTKG/Heinen § 10 Rn 32 ff mwN; Gersdorf 35; Koenig/Loetz/Neumann 116 f. Empfehlung der Kommission vom 11.2. 2003, ABl L 114 vom 8.5.2003, 45 ff. Näheres anschaulich bei Gersdorf 34 f. Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für
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elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (2002/C165/03), ABl C165 vom 11.7.2002, 6 ff. Anschauliche Übersicht bei Gersdorf 36; Sonderprobleme vgl Gersdorf 36 ff. Vgl ausf Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 116. Vgl exemplarisch VG Köln MMR 2005, 340.
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pflichtungen iSd §§ 19, 20, 21, 24 TKG (Maßnahmen im Bereich von Netzzugang und Zusammenschaltung – sog Zugangsregulierung), den §§ 30, 39 TKG (Maßnahmen hinsichtlich Entgelten für Zugangsleistungen – sog Entgeltregulierung), § 40 TKG (Maßnahmen bzgl Betreiberauswahl und -vorauswahl) oder § 41 TKG (Verpflichtung zur Bereitstellung von Mietleitungen) auferlegen (§ 13 Abs 1 S 1 TKG). Hierbei hat die Behörde zwar ein Auswahlermessen bzgl des zur Verfügung stehenden Maßnahmeninstrumentariums, ein Entschließungsermessen steht ihr – wie sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs 2 TKG („werden“) ergibt – jedoch nicht zu 85. Die Behörde hat dem jeweiligen Unternehmen vielmehr Verpflichtungen in Form sog Regulierungsverfügungen aufzuerlegen, womit es sich dem Grunde nach um Verwaltungsakte iSd § 35 VwVfG handelt (§ 13 Abs 3 TKG). Bereits bestehende Verpflichtungen können von der Behörde beibehalten, geändert oder auch widerrufen werden (§ 13 Abs 1 S 1 TKG). Dabei stellt § 13 I 1 letzter Halbs TKG klar, dass auch im Rahmen von Regelungsverfügungen ein Konsultationsverfahren und – für den Fall, dass die jeweilige Maßnahme Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten haben sollte – auch ein Konsolidierungsverfahren durchzuführen ist. Ein Vetorecht der Kommission gegen die Regulierungsverfügung als solche besteht jedoch nicht. § 13 Abs 1 S 1 letzter Halbs TKG verweist lediglich auf § 12 Abs 1, 2 Nr 1, 2 und 4 TKG, nicht auf Nr 3. Planungen gehen jedoch dahin, das Vetorecht der Kommission auch auf Regulierungsverfügungen auszudehnen. Doch ob und ggf inwieweit jene Idee Wirklichkeit entfalten wird, bleibt abzuwarten.
III. Inhalt und Struktur von Telekommunikationsverträgen 25
Wie eingangs angedeutet, hat die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte das Recht der Telekommunikationsdienste um eine stets an Bedeutung gewinnende privatrechtliche Komponente ergänzt. Das ehemals klassische bilaterale Verhältnis zwischen Anbieter, der gleichzeitig Netzbetreiber und Diensteanbieter war, und Endkunde ist von einer bunten Vielzahl von Anbietern, die auf unterschiedlichen Leistungsstufen miteinander konkurrieren und neben der klassischen Sprachtelefonie eine Vielzahl weiterer Dienste anbieten, mehr und mehr verdrängt worden. Die gegenseitige Abhängigkeit der unterschiedlichsten Anbieter macht es erforderlich, wechselseitige Rechte und Pflichten eindeutigen vertraglichen Regelungen zuzuführen. Angesichts der steigenden Komplexität der Sachverhalte hat die Vertragsgestaltung im Bereich telekommunikativer Dienstleistung immens an Bedeutung gewonnen 86. 1. Vor- und Endleistungsbereich
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Vertragstypologisch ist zwischen Vorleistungs- und Endleistungsbereich zu unterscheiden. Der Vorleistungsbereich betrifft die vertraglichen Beziehungen der Anbieter von Telekommunikationsdiensten mit den Netzbetreibern und untereinander, die angesichts der Zersplitterung der Leistungsangebote und -dienste sowie deren Vielfalt erforderlich geworden sind, um den Endkunden mit entsprechenden Telekommunikationsdienstleistungen versorgen zu können. Hierbei handelt es sich typischerweise um Verträge über Zugangs- und Zusammenschaltungsleistungen wie Carrier-Festverbindungsverträge, Zusammenschaltungsverträge, Carrier-Carrier-Verträge oder Resellerverträge 87. Der End-
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Vgl hierzu Schimanek/von Lewinski 21 f. Ausf hierzu s bereits oben § 1 I 3.
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Einen kurzen Einblick in die Materie gibt Schmitz MMR 2001, 150 ff. Für ausführliche
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leistungsbereich umfasst hingegen Verträge mit dem Endkunden. Hierunter fällt zunächst der klassische Telefonanschlussvertrag zwischen Endkunde und Festnetzbetreiber, einem alternativen Teilnehmernetzbetreiber oder auch einem Mobilfunkanbieter. Aber auch Verträge mit alternativen Verbindungsnetzbetreibern auf Call-by-Call- oder PreselectionBasis zählen zum Endleistungsbereich, ebenso Verträge über Internetdienstleistungen. Im Bereich des Mobilfunks beinhaltet der Endleistungsbereich neben solchen mit Mobilfunkbetreibern alternativ auch Vertragsbeziehungen des Endkunden mit Resellern und Mobile Virtual Network Operators (nicht jedoch anderen Netzbetreibern im Falle des Roamings) 88. 2. AGB, Preisliste, Leistungsbeschreibungen Ein Telekommunikationsvertrag besteht in der Praxis in aller Regel aus mehreren in 27 sich abgeschlossenen Regelungsmodulen, namentlich Auftragsformular, Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Preisliste und Leistungsbeschreibungen. Die separate Fassung der einzelnen Dokumente dient nicht nur der inhaltlichen Übersichtlichkeit sondern ist aus rechtlichen Gesichtspunkten wesentlich praktikabler als ein einzelnes in vier Teile untergliedertes Dokument. So unterliegen die einzelnen Regelungsmodule teils unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen. Dem lässt sich durch tatsächliche räumliche Trennung in verschiedene Dokumente angemessen begegnen 89. Die Hauptleistungspflichten eines Telekommunikationsvertrages werden in der Praxis 28 häufig in einer sog Leistungsbeschreibung festgelegt 90. Sie legt vorwiegend die Kommunikationsdienstleistung fest, die der Anbieter dem Kunden zu erbringen hat, enthält nicht selten aber auch besondere Nebenleistungspflichten. Leistungsbeschreibungen sind grds allgemeine Geschäftsbedingungen iSd §§ 305 ff BGB. Da sie regelmäßig hauptleistungspflichtbezogen sind, unterfallen Sie jedoch nicht der Inhaltskontrolle der §§ 307–309 BGB (vgl § 307 Abs 3 S 1 BGB) 91. Das Transparenzgebot ist hingegen zu beachten (§ 307 Abs 3 S 2 BGB)92. Im Gegensatz zur Leistungsbeschreibung treffen die ausdrücklich als solche bezeich- 29 nete Allgemeinen Geschäftsbedingungen – kurz AGB – keine Regelung betreffend Leistung und Gegenleistung sondern legen weitere Vertragsmodalitäten fest. Hierzu zählen Regelungen in das Zustandekommen des Vertrages, Leistungsstörungen, Haftungsfragen, Datenschutz und die eventuelle Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kunden 93. Hier gelten die §§ 305 ff BGB im Rahmen des § 310 BGB grds vollumfänglich. Darüber hinaus werden die Entgelte der einzelnen Telekommunikationsdienstleistungen in einer Preisliste detailliert aufgeschlüsselt. In das Auftragsformular sind in aller Regel lediglich Kundendaten, Vertragsart, Tarife und eventuell weitere Dienste einzutragen 94. 3. Durchbrechung der Privatautonomie durch Regulierung und Kundenschutz Für die Vertragsgestaltung gilt in erster Linie der Grundsatz der Privatautonomie, 30 wonach die Parteien in dem, was sie vereinbaren und wie sie es vereinbaren, grds frei
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Darstellungen sei auf Schuster Teil 1 Rn 5 sowie auf Spindler Vertragsrecht der Telekommunikationsanbieter verwiesen. Vgl Graf von Westphalen/Grote/Pohle 27 ff sowie 167 ff. So auch Schimanek/von Lewinski 68. Vgl auch Schimanek/von Lewinski 67.
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BGH NJW 1992, 688, 689, BGH NJW 1994, 318; BGH NJW 1993, 2369. Vgl Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs Vorbem zu § 307 Rn 40. Zu den Einzelheiten vgl noch §§ 4 ff. Schimanek/von Lewinski 67. Schimanek/von Lewinski 67.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
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sind. Sie haben lediglich die gesetzlichen Grenzen zu beachten, wie etwa § 134 BGB (gesetzliche Verbote), § 138 BGB (Sittenwidrigkeit, Wucher), §§ 305 ff BGB (Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen) oder Regelungen des Verbraucherschutzes (§§ 312 ff; §§ 355 ff BGB). Dies ist auch bei der Gestaltung von Telekommunikationsverträgen nicht anders. Hier setzt das TKG der Privatautonomie jedoch zusätzliche Grenzen: So unterliegen etwa Verträge zwischen Telekommunikationsdienstleistern und/oder 31 Netzbetreibern über den Zugang und die Zusammenschaltung von Netzen und den dafür geforderten Entgelten (Vorleistungsbereich) den regulatorischen Maßnahmen der Bundesnetzagentur (vgl §§ 16 ff sowie §§ 30 ff TKG). Gem § 21 TKG kann die Bundesnetzagentur Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze mit beträchtlicher Marktmacht – die Deutsche Telekom AG – auch gegen ihren Willen verpflichten, mitunter auch anderen Unternehmen Zugang zu ihren Netzen zu gewähren. Entsprechende Verträge erhalten ihre Prägung letztlich durch eine vorherige Verfügung der Bundesnetzagentur. Im Endleistungsbereich schränken demgegenüber zwingende Vorgaben des TKG im Bereich des Kundenschutzes (§§ 43a ff TKG), des Fernmeldegeheimnisses (§§ 88 ff TKG) und des Datenschutzes (§§ 91 ff TKG) die Freiheit vertraglicher Gestaltung mit dem Endkunden zusätzlich ein. Der Vertragsgestalter hat hier praktisch zwei Gesetzeswerke parallel zu beachten 95.
§2 Freiheit des Marktzutritts I. Grundsatz 32
Setzte der Betrieb von Übertragungswegen, die die Grenze eines Grundstücks überschreiten und für Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit genutzt werden sowie der Betrieb von Sprachtelefondiensten auf Basis selbst betriebener Telekommunikationsnetze nach § 6 TKG aF 96 noch den Erwerb einer Lizenz voraus, ist nach § 6 TKG nF 97 eine besondere Erlaubnis nicht mehr erforderlich. Die Erbringung von Telekommunikationsleistungen ist der Bundesnetzagentur lediglich noch schriftlich anzuzeigen (sog Allgemeingenehmigung) 98. Lediglich die Nutzung von Funkfrequenzen ist weiterhin von einer vorherigen Zuteilung der Bundesnetzagentur abhängig (§ 55 TKG) 99.
II. Anzeigepflichten 33
Die Anzeigepflicht dient der Übersichtlichkeit und Kontrolle. Sie verschafft der Bundesnetzagentur einen Überblick über den Gesamtmarkt und seinen Wettbewerb und gibt ihr die Möglichkeit, die jeweiligen Dienstleister auf Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu überprüfen 100. Einschlägig ist § 6 TKG. Hiernach hat jeder, der gewerblich öffentliche Telekommunikationsnetze betreibt oder gewerbliche Telekommunikationsdienste für die 95 96 97
98
Einzelheiten bei Spindler CR 2004, 203 ff. BGBl 1996 I S 1120, 1123. TKG vom 22.6.2004 (BGBl I S 1190), zuletzt geändert durch Art 3 des Gesetzes vom 18.2. 2007 (BGBl I S 106). Zum historischen und gemeinschaftsrecht-
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99 100
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lichen Hintergrund vgl die Darstellung bei Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 185 ff. Ausf hierzu vgl Gliederungspunkt § 3 I in dieser Abhandlung (Zugang zu Frequenzen). Vgl BT-Drucks 15/2316, 60.
§2
Freiheit des Marktzutritts
Öffentlichkeit erbringt, Aufnahme, Änderung und Beendigung seiner Tätigkeit sowie Änderungen seiner Firma bei der Bundesnetzagentur unverzüglich schriftlich anzuzeigen. § 3a VwVfG stellt eine elektronische Meldung der Schriftform gleich, sofern sie unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur iSd § 2 Nr 3 SigG erfolgt. Die Meldung muss Angaben enthalten, die für die Identifizierung des Betreibers oder Anbieters erforderlich sind, also insbesondere Handelsregisternummer, Anschrift, Kurzbeschreibung des Netzes bzw Dienstes und muss den voraussichtlichen Termin für die Aufnahme der Tätigkeit enthalten (§ 6 Abs 2 S 1 TKG). Es ist das von der Bundesnetzagentur vorgeschriebene und veröffentlichte Formular zu verwenden (§ 6 Abs 2 S 2 TKG). Auf Antrag bestätigt die Bundesnetzagentur innerhalb einer Woche die Vollständigkeit der Meldung und bescheinigt, dass dem Unternehmen die durch das TKG und seine Verordnungen eingeräumten Rechte zustehen (§ 6 Abs 3 TKG). Ist die Einstellung der Geschäftstätigkeit nicht innerhalb von sechs Monaten der Bundesnetzagentur gemeldet worden, so ist sie ermächtigt, diese von Amts wegen festzustellen (§ 6 Abs 5 TKG). Zur Problematik ausdrücklicher gewerberechtlicher Zulassungsvoraussetzungen – wie etwa gem § 14 GewO – sei auf obige Erörterungen verwiesen.101
III. Gebühren und Beiträge Die §§ 142 ff TKG ermöglichen es der Behörde, unter bestimmen Voraussetzungen 34 Abgaben zu verlangen. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen Gebühren und Auslagen einerseits (§ 142 TKG) und Beiträgen andererseits (§§ 143; 144 TKG). Gebühren im Sinne der Vorschriften sind regelmäßig Verwaltungsgebühren, dh Gegenleistungen für hoheitliche Amtshandlungen 102. Entstehen der Behörde im Zusammenhang mit einer Amtshandlung finanzielle Nachteile oder treffen diese Zahlungspflichten gegenüber Dritten, spricht man hingegen von Auslagen 103. Was die Begrifflichkeit der Beiträge anbelangt, so handelt es sich mit ihnen – ähnlich der Gebühr – um Gegenleistungen für staatliche Leistungen, sie unterscheidet sich von dieser jedoch darin, dass die betreffende staatliche Leistung nicht unbedingt in Anspruch genommen zu werden braucht. Entscheidend ist allein, dass eine staatliche Leistung für einen bestimmten Personenkreis bereitgestellt wird 104. Beitragspflichtig iSd § 143 TKG sind demzufolge all diejenigen, denen Frequenzen zugeteilt wurden oder die solche Frequenzen dauerhaft ohne Zuteilung nutzen 105. ISd § 144 TKG sind alle auf dem Telekommunikationsmarkt tätigen Unternehmen beitragspflichtig. Die Kosten sind anteilig zu verteilen 106. Wann die Bundesnetzagentur Gebühren und Auslagen erheben darf, fasst § 142 TKG zusammen. § 142 TKG liegt das Kostendeckungsprinzip zugrunde (§ 142 Abs 2 S 2 TKG) 107. Lediglich für die Zuteilung von Nutzungsrechten an Frequenzen und Rufnummern dürfen Gebühren auch unter Lenkungsgesichtspunkten erhoben werden (vgl § 142 Abs 2 S 4 TKG). Dies gilt nicht, wenn Nummern von außerordentlich wirtschaftlichem Wert vergeben werden (§ 142 Abs 2 S 5 TKG). Beiträge iSd § 143 TKG sind den einzelnen Nutzergruppen anteilig der Frequenzzuweisung, Beiträge iSd § 144 TKG anteilig nach Umsätzen aufzuerlegen (§§ 143 Abs 2 S 2; 144 Abs 2 TKG). 101 102 103 104
§ 1 II. BerlKommTKG/Höfler § 142 Rn 2. Vgl BeckTKG-Komm/Schütz § 142 Rn 4. BeckTKG-Komm/Schütz § 143 Rn 2 mit Verweis auf Schlabach, Einl VwKostG, Rn 5; Tipke/Kruse/Düen § 3 AO Rn 21.
105 106 107
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BeckTKG-Komm/Schütz § 143 Rn 2 f. BeckTKG-Komm/Schütz § 144 Rn 2. So BeckTKG-Komm/Schütz § 142 Rn 2 und 12.
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§3 Infrastrukturelle Voraussetzungen I. Zugang zu Frequenzen 35
Funkgestützte Kommunikationssysteme bieten dem Nutzer eine beachtliche Flexibilität und genießen insbesondere in Form von WLAN, Mobilfunk- und GPS-Nutzung großen Zuspruch. Die Bedeutung der Funktechnik wächst immens 108. Technisch basieren funkgestützte Kommunikationssysteme auf der Verwendung von Funkfrequenzen, wobei jede Frequenz nur für einen physikalischen Übertragungsweg genutzt werden kann. Gleichsam unterliegt auch das technisch nutzbare Frequenzspektrum physikalischen Grenzen 109. Technische Neuerungen ermöglichen zwar eine immer effizientere Ausnutzung der Frequenzbereiche, gleichzeitig steigt aber auch deren Nutzungsbedarf stetig an 110. Mit anderen Worten: Die Ressource „Frequenz“ ist knapp. Um ein „Chaos im Funkverkehr“ 111 zu vermeiden, ist es zwingend erforderlich, den Zugang zu Frequenzen hoheitlich zu verwalten112. Hierbei sind allgemeine Frequenzplanung und individuelle Frequenzzuteilung zu unterscheiden. 1. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
36
§ 55 Abs 1 S 1 TKG macht vorbehaltlich anderweitiger Regelungen jedwede Nutzung von Frequenzen von einem vorherigen Frequenzzuteilungsakt abhängig. Hierunter verbirgt sich die ausdrückliche behördliche oder aber zumindest durch Rechtsvorschriften erteilte Erlaubnis, bestimmte Frequenzen unter festgelegten Bedingungen nutzen zu dürfen (§ 55 Abs 1 S 2 TKG). Juristisch spricht man von einem sog Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. 2. Frequenzplanung
37
Da sich Funkfrequenzen vom Bestand nationaler Territorialitätsgrenzen unbeeindruckt zeigen und sich weder mit physikalischen Mitteln noch sonst wie zuverlässig regional beschränken lassen, sind schädliche Störungen zwischen den Funkstellen verschiedener Länder im Wege einer länderübergreifenden Planung unbedingt zu vermeiden. Während die International Telecommunication Union (ITU)113, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf, unter anderem Funkdiensten bestimmte Frequenzbänder sowie einzelnen Staaten bestimmte Frequenzen zuweist und auf diese Weise einen internationalen Frequenzbereichsplan 114 entwickelt hat, übernimmt die Conférence Européenne des Administrations des Postes et des Télecommunications (CEPT)115 die europaweite Koordination der Frequenznutzung. Die Europäische Union begnügt sich derweil damit, durch Erlass zahlreicher Rechtsvorschriften die Marschrichtung nationaler Frequenzplanungen vorzugeben 116. National gilt der Frequenzbereichszuweisungs-
108 109 110 111
Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 455. Geppert/Ruhle/Schuster Rn 701; auch Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 457. So anschaulich Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 457. So das BVerfG in seiner ersten Rundfunkentscheidung, BVerfGE 12, 205, 230.
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112 113 114 115 116
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Geppert/Ruhle/Schuster Rn 701; Schütz Rn 30. www.itu.int. Bestandteil Vollzugsordnung für den Funkdienst (VO-Funk). www.cept.org. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 461 ff.
§3
Infrastrukturelle Voraussetzungen
plan, der von der Bundesregierung als Rechtsverordnung erlassen wird 117. Auf dessen Grundlage erstellt die Bundesnetzagentur einen sog Frequenznutzungsplan (§ 54 TKG), der eine detaillierte Aufteilung der Frequenzbereiche sowie nähere Nutzungsbestimmungen enthält (§ 54 Abs 2 S 1 TKG). Der Frequenznutzungsplan ist – im Gegensatz zum Frequenzbereichszuweisungsplan – keine Rechtsnorm sondern lediglich planerische Grundlage für nachfolgende Frequenzzuteilungen118. 3. Frequenzzuteilung Während die Frequenzplanung die Grundlagen der Frequenzordnung abstrakt fest- 38 legt, werden im Rahmen der Frequenzzuteilung einzelnen Anbietern telekommunikativer Dienste bestimmte Frequenzbänder konkret zugewiesen. Dies bestimmt sich nach § 55 TKG, der maßgeblich von europarechtlichen Vorgaben geprägt ist. Insbesondere auf Grund der Vorgabe des Art 9 Abs 1 S 2 der Rahmen-Richtlinie, wonach die Zuteilung von Frequenzen anhand objektiver, transparenter, nicht diskriminierender und angemessener Kriterien zu erfolgen hat, gewährt § 55 Abs 5 TKG bei Vorliegen der enumerativ aufgeführten Voraussetzungen einen durchsetzbaren Anspruch auf Erteilung 119. Ein Anspruch auf eine bestimmte Einzelfrequenz besteht jedoch nicht (§ 55 Abs 5 S 2 TKG). Die Vergabe von Frequenzen erfolgt grds zeitlich begrenzt (§ 55 Abs 8 TKG). Beabsichtigt der Antragsteller, beantragte Frequenzen in einer den in § 2 Abs 2 TKG niedergelegten Regulierungszielen widerstrebenden Weise zu benutzen, so kann die Erteilung versagt werden (§ 55 Abs 10 TKG). Dies ist etwa der Fall, wenn eine Überprüfung des Nutzungskonzeptes des Antragsstellers ergibt, dass dessen Bedürfnis nach Frequenzzuteilungen nur der Hortung von Frequenzen auf Vorrat dient oder auf einer ineffizienten Gestaltung der Funkanlagen beruht 120. a) Allgemeinzuteilung. Gem § 55 Abs 2 TKG werden Frequenzen in aller Regel in 39 Form der Allgemeinzuteilung vergeben. Hierbei erteilt die Bundesnetzagentur „von Amts wegen“ (§ 55 Abs 2 S 1 TKG) der Allgemeinheit oder wenigstens einem nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis die generelle und nicht exklusive Nutzung bestimmter Frequenzen (Allgemeinverfügung iSv § 35 S 2 VwVfG). Da vor diesem Hintergrund eine gleichzeitige Nutzung derselben Frequenz am selben Ort nicht ausgeschlossen werden kann, unterliegen der Allgemeinzuteilung generell Funkanwendungen mit geringem Störpotential 121, wie bspw DECT-Telefone, Infrarot-Funkanwendungen, Abstandswarnsysteme oder WLAN. Entsprechende Frequenzzuteilungen sind zu veröffentlichen (§ 55 Abs 2 S 2 TKG) 122. b) Einzelzuteilung. Ist eine Allgemeinzuteilung nicht möglich, etwa weil funktechnische 40 Störungen nicht auszuschließen sind oder eine effiziente Frequenznutzung nicht sichergestellt werden kann, vergibt die Bundesnetzagentur auf schriftlichen Antrag Frequenzen individuell und exklusiv (§ 55 Abs 3, 4 TKG). Per Verwaltungsakt iSd § 35 S 1 VwVfG wird dem Begünstigten dann das Recht zuteil, eine bestimmte Frequenz zu den jeweils bezeichneten Bedingungen exklusiv nutzen zu dürfen 123. Der als solcher formulierte Ausnahmefall der Einzelzuteilung dürfte im Mobilfunkbereich jedoch die Regel werden124.
117 118 119 120
Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung (FreqBZPV), BGBl 2001 I S 778. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 481 ff. Vgl BT-Drucks 15/2316, 77. So BT-Drucks 15/2316, 78.
121 122 123 124
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BeckTKG-Komm/Ehmer 2. Aufl § 47 Rn 11. Vgl www.bundesnetzagentur.de. BerlKommTKG/Wegmann § 55 Rn 26. Gersdorf 53; ausf hierzu Koenig/Loetz/Neumann 181.
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c) Ausschreibung und Versteigerung. Übersteigt die Nachfrage das Kontingent verfügbarer Frequenzen, „kann“ ein Vergabeverfahren durchgeführt werden (§ 55 Abs 9; § 61 TKG)125. Hierbei stellt § 61 Abs 1 S 1 TKG zwei Vergabemodi zur Verfügung: Das Versteigerungsverfahren (Abs 5) und das Ausschreibungsverfahren (Abs 6). Beide müssen nach vorab festzusetzenden objektiven, nachvollziehbaren und diskriminierungsfreien Regeln erfolgen. Einzelheiten finden sich in § 61 Abs 5, 6 TKG. Das Versteigerungsverfahren sieht eine Frequenzzuteilung gegen Höchstgebot vor, wobei es der Bundesnetzagentur freisteht, ein Mindestgebot festzusetzen (§ 61 Abs 5 S 2 TKG) 126. Im Ausschreibungsverfahren werden die in Rede stehenden Frequenzen nach in Abs 6 wie auch von der Bundesnetzagentur vorab zu bestimmenden Kriterien vergeben. Erweisen sich mehrere Bewerber als gleich geeignet, so entscheidet das Los (§ 61 Abs 6 S 5 TKG). Das Versteigerungsverfahren genießt Anwendungsvorrang (§ 61 Abs 2 TKG). Es kommt nicht in Betracht, wenn es den Regulierungszielen zuwider liefe 127. Ist zu erwarten, dass sich ein erfolgreiches Gebot oder eine erfolgreiche Bewerbung eines Antragstellers wettbewerbsgefährdend auswirken würde, so kann dieser von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen werden (§ 61 Abs 3 S 1 TKG). Berechtigte Interessen sind in die Entscheidungserwägung mit einzubeziehen (§ 61 Abs 3 S 2 TKG). 4. Frequenzhandel
42
§ 62 Abs 1 S 1 TKG erklärt den Handel mit Frequenznutzungsrechten grds für zulässig. Er ermächtigt die Bundesnetzagentur nach Anhörung der betroffenen Kreise Frequenzbereiche für den Handel freizugeben sowie Rahmenbedingungen und das Verfahren für den Handel festzulegen. Entsprechende Entscheidungen sind zu veröffentlichen (§ 62 Abs 2 S 2 TKG). Von der Bundesnetzagentur einzuhaltende Kriterien ergeben sich aus § 62 Abs 2 TKG. Bislang hat die Behörde jedoch weder Frequenzen zum Handel freigegeben noch entsprechende Vorgaben veröffentlicht. Demgemäß werden in Deutschland derzeit noch keine Frequenzen gehandelt 128. Im Übrigen ließe § 150 Abs 8 TKG unter anderem den Handel solcher Frequenzen, die nach §§ 10; 11 und 47 Abs 5 TKG vom 25.7.1996129 zugeteilt wurden, ohnehin nicht zu. Ein Handel mit UMTS-Lizenzen wäre also selbst im Falle entsprechender Frei- und Vorgaben der Bundesnetzagentur nicht erlaubt.
II. Zugang zu Nummern 43
Nach den Vorgaben der ITU 130 darf eine internationale Rufnummer – exklusiv internationaler Präfixe (0 bzw 00) – gegenwärtig aus maximal 15 Stellen bestehen. Damit verbleiben in Deutschland abzüglich der zweistelligen Landeskennzahl (49) lediglich noch 13 Stellen, die als nationale Rufnummer vergeben werden können. Auf Grund nicht sonderlich effizienter Vergabe in der Vergangenheit sind Nummern heutzutage ein zumindest 125
126
AA BerlKommTKG/Wegmann § 55 Rn 52, der die Bundesnetzagentur unter Berücksichtigung von Art 3 Abs 1, 12 Abs 1 GG im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null zur Durchführung eines solchen Verfahrens für verpflichtet hält. Allgemein bekannt ist bspw die Versteigerung der UMTS-Frequenzen (Mitte 2000).
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Ausf mit Beispiel Schütz Rn 69. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 504 mwN. BGBl 1996 I S 1120. ITU-Empfehlung E.164. Näheres vgl Wissmann/Baumgarten Kap 7 Rn 3 ff.
§3
Infrastrukturelle Voraussetzungen
potentiell knappes Gut. So wurden die zur Verfügung stehenden Stellen oftmals nicht hinreichend ausgenutzt. Vielfach begnügte man sich mit lediglich siebenstelligen Rufnummern inkl. nationaler Bereichskennzahl 131. Der Verzicht auf eine Stelle hat jedoch zur Folge, dass 10 nachfolgende Nummern, der Verzicht auf zwei Stellen, dass sogar 100 nachfolgende Nummern blockiert sind 132. Um eine effiziente Nutzung von Nummerierungsressourcen zu gewährleisten, erhebt § 2 Nr 8 TKG die Nummernverwaltung zum Gegenstand hoheitlicher Regulierung. 1. Nummernarten und Nummernbereiche Als „Nummer“ definiert das Gesetz in § 3 Nr 13 TKG solche Zeichenfolgen, die in 44 Telekommunikationsnetzen Zwecken der Adressierung dienen. Hierzu zählen unter anderem Ortskennzahlen, Netzzugangsnummern, Teilnehmernummern, Diensterufnummern und nach richtigem Verständnis auch IP-Nummern. Denn auch das Internet ist ein Telekommunikationsnetz iSd § 3 Nr 27 TKG 133, wo sich über IP-Nummern einzelne Rechner adressieren und identifizieren lassen 134. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Frage, ob dies auch auf Domainnamen zutrifft, weil sie auf Grund der Funktionsweise des Domain Name Systems (DNS) nicht der unmittelbaren Adressierung dienen, sondern durch sog Nameserver zunächst in IP-Nummern übersetzt werden müssen 135. Mit dieser Argumentation wird eine Klassifizierung von Domainnamen als Nummern iSd § 3 Nr 13 TKG teilweise abgelehnt 136. Dem lässt sich mit Blick etwa auf § 66 Abs 1 S 4 TKG jedoch entgegen halten, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass der Nummerierungsvorschriften der Problematik um die Nummernbegrifflichkeit im Hinblick auf Domainnamen durchaus bewusst gewesen sein muss. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zum TKG 2004 ergibt, hatte er diese Problematik in seine Erwägungen mit einbezogen137. In der aktuellen Gesetzesbegründung wird sogar ausgeführt, der „entwicklungsoffene Nummernbegriff des § 3 Nr 13 TKG“ gelte „für sämtliche Telekommunikationsnetze einschließlich solcher, in denen das Internet-Protokoll Verwendung findet“ 138. Dies spricht deutlich dafür, den telekommunikationsrechtlichen Nummernbegriff offen und technologieneutral zu verstehen139. Dennoch hat sich der Gesetzgeber angesichts der zweifelhaften Rechtslage letzten Endes dafür ausgesprochen, die Verwaltung von Domainnamen zunächst weiterhin der DENIC eG zu überlassen140. § 66 Abs 1 S 4 TKG schließt eine Verwaltung von Domainnamen durch die Bundesnetzagentur daher bisweilen aus. Eine besondere Ausprägung der Nummer ist die Rufnummer 141. Ihre Begrifflichkeit 45 ist enger gefasst und beinhaltet solche Nummern, durch deren Wahl im öffentlichen Telefondienst eine Verbindung zu einem bestimmten Ziel aufgebaut werden kann (§ 3 Nr 18 TKG). Sie beschränkt sich laut Gesetzeswortlaut auf den „öffentlichen Telefondienst“, der gem § 3 Nr 17 TKG jedoch lediglich die klassische Sprachtelefonie umfasst. Eine 131 132 133 134 135
Vgl Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 518. So insgesamt mit Beispiel Holznagel/Enaux/ Nienhaus Rn 518. So ausdrücklich BT-Drucks 15/2316, 58. So BerlKommTKG/Brodkorb § 66 Rn 223. Ausf hierzu Holznagel MMR 2003, 219, 220; Koenig/Neumann K&R 1999, 145; Schütz Rn 95 sowie Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 514; zum technischen Hintergrund Demmel/Skrobotz MMR 1999, 74, 77.
136 137 138 139
140 141
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So etwa Koenig/Loetz/Neumann 186 f. Vgl etwa BT-Drucks 15/2316, 82. BT-Drucks 16/2581, 22. Ausf zur Problematik und zum selben Ergebnis kommend Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 514 mwN. Vgl BT-Drucks 15/2316, 118. Gersdorf 54.
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Rufnummer setzt sich aus Landeskennzahl (zB 49 für Deutschland), nationaler Bereichskennzahl (Ortskennzahl (zB 030 für Berlin)), Netzkennzahl (zB 0160, 0170, 0171 für T-Mobile, 0172, 0173, 0174 für Vodafone, 0177, 0178 für E-Plus, 0176, 0179 für O2) oder Dienstekennzahl (bspw 0700 (persönliche Rufnummer), 0800 (entgeltfreie Telefondienste)) und der Teilnehmerrufnummer zusammen. Die Gesamtheit aller Nummern, die für eine bestimmte Art der Adressierung verwen46 det werden, bilden einen sog „Nummernraum“ (vgl § 3 Nr 13c TKG)142. Zentrales Beispiel ist der Nummernraum für das öffentliche Telefonnetz auf der Basis der Empfehlung E.164 der ITU, der unter anderem auch die Mobilfunkrufnummern umfasst. Einem anderen Nummernraum gehören hingegen bspw die Kurzwahlnummern im Mobilfunk an. Als „Nummernart“ werden hingegen alle Nummern eines Nummernraums für einen 47 bestimmten Dienst oder eine bestimmte technische Adressierung (§ 3 Nr 13a TKG) definiert. Bspw handelt es sich bei sog Premium-Diensten um eine Nummernart, für die im Nummernraum des öffentlichen Telefonnetzes die Nummern (0)190 und (0)900 vorgesehen waren bzw sind. Als weitere Beispiele lassen sich die Nummern aus den Bereichen (0)15, (0)16 und (0)17 anführen, die für die Nummernart „Mobilfunkrufnummern“ reserviert sind. Als „Nummernbereich“ bezeichnet man eine für eine Nummernart bereitgestellte 48 Teilmenge des Nummernraums (§ 3 Nr 13b TKG)143. Hierzu zählen bestimmte Rufnummerngassen, innerhalb derer bestimmte Dienste oder Adressierungsformen angeboten werden können. So etwa bilden alle (0)180er Nummern den Nummernbereich (0)180. Einzelne Teilmengen eines Nummernbereichs nennt man „Nummernteilbereiche“ (§ 3 Nr 13d TKG). So lässt sich der (0)180er Nummernbereich etwa in die Nummernbereiche (0)1801, (0)1802, (0) 1803 usw. unterteilen (unterschiedliche Preistarife). 2. Zuteilung
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Nummern sind mit Blick auf § 66 Abs 1 S 2 TKG öffentliches Gut. Dem Zuteilungsnehmer wird folglich kein Eigentumsrecht zuteil, er erhält lediglich ein beschränktes Nutzungsrecht an der Nummer144. Eine rechtmäßige Nummernnutzung hat zwingend von der Bundesnetzagentur auszugehen145, sie erfolgt in Form eines begünstigenden Verwaltungsaktes146. Bereitgestellte Nummern sind kein handelbares Wirtschaftsgut147. Bei der Vergabe von Nummern ist zwischen ein- und zweistufigem Zuteilungsver50 fahren sowie Allgemeinzuteilung zu unterscheiden: Im Rahmen des einstufigen Zuteilungsverfahrens vergibt die Bundesnetzagentur die Nummer dem Zuteilungsnehmer unmittelbar zu dessen eigener Verwendung (sog „direkte Zuteilung“, vgl § 4 Abs 2 Nr 1
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Eine Übersicht „Der Nummernraum für das öffentliche Telefonnetz/ISDN in Deutschland“ findet sich unter www. bundesnetzagentur.de. Zur Praxis der Ein- und Zuteilung von Nummern hält die Bundesnetzagentur unter www.bundesnetzagentur.de zahlreiche Informationen zum Abruf bereit. BerlKommTKG/Brodkorb § 66 Rn 32; Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 521. Vgl Entwurf der Begründung der TNV vom 22.6.2007, B, zu § 4 (Nummern-
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zuteilung), S 4, abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de; vgl auch § 4 V 1 TNV-E. Vgl Entwurf der Begründung der TNV vom 22.6.2007, B, zu § 4 (Nummernzuteilung), S 4 sowie Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 523. Vgl Entwurf der Begründung der TNV vom 22.6.2007, B, zu § 4 (Nummernzuteilung), S 5 sowie zu § 10 (abgeleitete Zuteilung von Nummern), S 8, abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de.
§3
Infrastrukturelle Voraussetzungen
TNV 148). Beim zweistufigen Zuteilungsverfahren hingegen stellt die Bundesnetzagentur Betreibern und Anbietern von Telekommunikationsnetzen und -diensten in einem ersten Schritt Nummern oder Nummernblöcke dergestalt zur Verfügung, dass jene sie dem Endkunden in einem zweiten Schritt weiterzureichen vermögen. Dabei wird der hoheitlich erfolgende erste Schritt als „originäre Zuteilung“ (§ 4 Abs 2 Nr 2 TNV), die privatrechtliche Zuteilung an den Endkunden (zweiter Schritt) als „rechtsgeschäftlich abgeleitete Zuteilung“ (§ 4 Abs 2 Nr 3 TNV) bezeichnet. Soweit die Bundesnetzagentur durch originäre Zuteilungen massenhaft abgeleitete Nummernzuteilungen ermöglicht, gestattet ihr § 4 Abs 4 S 2 TNV entsprechende Rahmenbedingungen vorzugeben, um die Pflichten, die ihr TKG und TNV aufbürden, auf die originären Zuteilungsempfänger zu übertragen. § 10 TNV beinhaltet entsprechende unabdingbare Sonderregeln. Eine weitere rechtsgeschäftliche Übertragung – und damit eine Handelbarkeit – von Nummern schließt § 4 Abs 5 TNV aus. In Ausnahmefällen kann die Bundesnetzagentur Nummern auch im Wege einer Allgemeinzuteilung 149 vergeben (§ 4 Abs 2 Nr 4 TNV). Für die Zuteilung von Rufnummern werden Gebühren erhoben (§ 142 Abs 1 S 1 Nr 2 TKG)150. 3. Nutzungsbedingungen § 4 Abs 4 S 1 TNV trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Nummern grds um 51 eine knappe Ressource 151 handelt und erlaubt es daher, Zuteilungen im Einzelfall inhaltlich und/oder zeitlich zu beschränken 152. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Kundenschutz insbesondere für den Bereich der Mehrwertdienste. a) Inhalt und Voraussetzungen. Ausdrücklich nennt § 4 Abs 4 S 1 TNV Befristung 52 und Auflagen. Während die Befristung von Zuteilungen der Transparenz und Planungssicherheit der Marktbeteiligten im Falle nur vorläufig oder auslaufend strukturierter, ausgestalteter und bereitgestellter Nummernbereiche dienen soll 153, betreffen Auflagen insbesondere die Verwendung von Nummern. So kann etwa die Erteilung einer Nummer an bestimmte Zwecke gebunden sein oder mit Informations-, Nutzungs- oder Rückgabepflichten einhergehen. Sonstige Nebenbestimmungen beziehen sich meist auf Änderung und Widerruf zugeteilter, die Wiederverwendung freigewordener oder die Veröffentlichung von Nummern154. Zahlreiche Regelungen dieser Art finden sich in den von der Bundesnetzagentur bisweilen veröffentlichten Zuteilungsbedingungen 155. 148
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Abrufbar unter www.bmwi.de/BMWi/ Navigation/Service/gesetze,did=209586.html (14.9.2007). Zur Begrifflichkeit vgl bereits oben (Thematik Frequenzen). Zur Problematik und Vereinbarkeit dieser Regelung mit europarechtlichen Vorgaben vgl Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 525 mwN. S bereits § 3 II 1 u. 2. Vgl Entwurf der Begründung der TNV vom 22.6.2007, B, zu § 4 (Nummernzuteilung), S 5, abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de. Vgl Entwurf der Begründung der TNV vom 22.6.2007, B, zu § 4 (Nummernzuteilung), S 5, abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de.
154 155
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Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 523. Vgl bspw die Regeln für die Zuteilung von Nationalen Teilnehmerrufnummern, ABl RegTP Nr 23/2004 Vfg; Regeln für die Zuteilung von (0)9009er-Rufnummern für über Anwählprogramme erreichbare „Premium Rate“-Dienste, ABl RegTP Nr 16/2003 Vfg Nr 38/2003; Regeln für die Zuteilung von (0)900-Rufnummern für Premium Rate-Dienste, ABl RegTP Nr 16/2004 Verfügung 037/2004 vom 11.8.2004; Regeln für die Zuteilung von Rufnummern für Auskunftsdienste, ABl Bundesministerium für Post und Telekommunikation Nr 8/97 Vfg 61 sowie Änderungsverfügung ABl RegTP Nr 24/98 Vfg 143; Regeln für die Zuteilung von Rufnummern für öffentliche zellulare Mobilfunkdienste, ABl RegTP Nr 23/2000
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5. Teil
b) Überwachung und Sanktionen. Über die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der von ihr erteilten Zuteilungsbedingungen wacht die Bundesnetzagentur. Widerrechtliches Verhalten kann sie mit entsprechenden Anordnungen und Maßnahmen sanktionieren (§ 67 Abs 1 TKG). So kann sie etwa rechtswidrig genutzte Nummern einziehen (§ 67 Abs 1 S 4 TKG) und deren Abschaltung veranlassen (§ 67 Abs 1 S 5 TKG) sowie dem Rechnungssteller die Ausfertigung einer Rechnung untersagen (§ 67 Abs 1 S 6 TKG). Ebenso kann sie in begründeten Ausnahmefällen bestimmte Kategorien von Dialern verbieten (§ 67 Abs 1 S 7 TKG). Darüber hinaus ist sie ermächtigt, Auskünfte über personenbezogene Daten einzuholen, insbesondere dann, wenn eine solche zur einzelfallbezogenen Überprüfung der Einhaltung von Verpflichtungen erforderlich ist (vgl § 67 Abs 1 S 2 TKG). Die Aufzählung des § 67 Abs 1 TKG ist jedoch keineswegs abschließend. Sofern mildere oder effektivere Maßnahmen in Betracht kommen und zur Beseitigung des Rechtsverstoßes geeignet sind, kann die Bundesnetzagentur sich auf § 67 Abs 1 S 1 TKG stützen156.
54
c) Exkurs: Mehrwertdiensterufnummern und R-Gespräche. Unter den Begriff der Mehrwertdienste werden solche Dienstleistungen gefasst, die der Kunde bei Anwahl einer entsprechenden Dienstenummer neben der reinen Telekommunikationsdienstleistung erhält157. Das zeitabhängig oder en block berechnete Entgelt erfasst sowohl die Gebühr für die Telekommunikationsleistung als auch die Vergütung für die auf diese Weise in Anspruch genommene Dienstleistung. Eine Vielzahl von Missbrauchsfällen zulasten des Endkunden haben den Gesetzgeber über die letzten Jahre hinweg jedoch veranlasst, dem Kundenschutz immer mehr Gewicht beizumessen und das Regelungsgeflecht um Mehrwertdienste immer enger zu ziehen. Die neuesten nummerierungsspezifischen kundenschützenden Regelungen finden sich seit dem 1.9.2007 in den §§ 66a ff TKG. Hier ist insbesondere § 66 h Abs 2 TKG augenfällig, wonach alle zugeteilten (0)900er 55 Rufnummern in einer zentralen Datenbank der Bundesnetzagentur erfasst und unter Angabe von Namen und ladungsfähiger Anschrift im Internet veröffentlicht werden 158. Entsprechende und umfangreiche Auskunftsrechte und -pflichten stellt § 66h Abs 1, 3 TKG klar. Auch Anwählprogramme, die Verbindungen zu einer Nummer herstellen, über welche neben der Telekommunikationsdienstleistung als solcher auch Inhalte abgerechnet werden (sog Dialer), dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie zuvor bei der Bundesnetzagentur registriert wurden, die von dieser vorgeschriebenen Mindestvoraussetzungen erfüllen 159 und ihr gegenüber schriftlich versichert wurde, dass eine rechtswidrige Nut-
156
vom 6.12.2000, geändert mit Vfg 10/2002, ABl 7/2002 und mit Vfg 31/2003, ABl 14/2003; Regeln für die Zuteilung von Rufnummern für Internationale Virtuelle Private Netze, ABl Bundesministerium für Telekommunikation und Post Nr 16/97 Vfg 132; Regeln für die Zuteilung von Persönlichen Rufnummern, ABl RegTP Nr 16/2004, Vfg 035/2004 vom 11.8.2004; Regeln für die Zuteilung von Rufnummern für FreephoneDienste, ABl RegTP Nr 16/2004, Vfg 036/2004 vom 11.8.2004; und andere (allesamt veröffentlicht auch unter www.bundesnetzagentur.de). BerlKommTKG/Brodkorb § 67 Rn 12. Ebenso Mayer/Möller K&R 2005, 251, 255.
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157
158 159
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So die Definition der Begründung zum ersten Entwurf einer Telekommunikationsnummerierungs-Verordnung vom 30.7.2004. Vgl Nachweise bei BeckTKG-Komm/Klees TKG-E 2005 § 66a Fn 17 zu Rn 11. Abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de. Vgl BNetzA Vfg Nr 36–39/2003, ABl Nr 16/2003 vom 13.8.2003; Vfg Nr 54/ 2003, ABl Nr 24 vom 3.12.2007; Vfg Nr 4/2005, ABl Nr 3 vom 16.2.2005. Eine Überprüfung des Dialers findet jedoch nur bei Beschwerden bzw bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente statt, Vfg Nr 37/ 2003.
§3
Infrastrukturelle Voraussetzungen
zung ausgeschlossen ist (§ 66f Abs 1 S 1 TKG). Sie dürfen darüber hinaus nur aus einem von der Bundesnetzagentur hierzu zur Verfügung gestellten Nummernbereich angeboten werden (§ 66f Abs 1 S 2 TKG). Um eine mögliche Umgehung – etwa durch Verwendung anderer Dienstenummern – zu verhindern, gilt § 66f Abs 1 S 1 TKG rufnummerunabhängig. Auf Grund etlicher Missbrauchsfälle in der Vergangenheit 160 untersagt § 66f Abs 1 S 3 TKG den Betrieb eines nicht registrierten Dialers neben einem registrierten Dialer unter einer Nummer. Aus Gründen der Überprüfung registriert die Bundesnetzagentur unter einer Nummer jeweils nur einen einzigen Dialer (§ 66f Abs 2 S 1 TKG). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, so kann die Bundesnetzagentur die Registrierung des Dialers ablehnen (§ 66 Abs 3 S 1 TKG). Dies gilt insbesondere, wenn der Antragsteller sich schwerwiegender Verfehlungen gegen das TKG schuldig gemacht oder wiederholt Registrierungen mittels falscher Angaben erschlichen hat (§ 66 Abs 3 S 2 TKG). Hinsichtlich Telefonverbindungen, in deren Rahmen der Angerufene das Verbin- 56 dungsentgelt trägt (sog R-Gespräche), erklärt § 66i TKG Angebot und Abrechnung anderer als reiner Telefondienstleistungen für unzulässig. Die Bundesnetzagentur führt Sperrlisten, in die sich Endkunden eintragen lassen können, um Missbräuchen vorzubeugen (§ 66i Abs 2 TKG). Weitere Regelungen betreffend die Transparenz von Preisen, sonstigen Informationen 57 und Verbindungstrennungspflichten finden sich in §§ 66a–e TKG. Einen umfassenden Schutz vor Nummernmissbrauch bietet das Umgehungsverbot des § 66l TKG. Verstöße können zum Wegfall des Entgeltanspruchs führen (§ 66g TKG). 4. Übertragung von Nummern Im Hinblick darauf, dass Rufnummernwechsel für den Nutzer mit erheblichen Kosten 58 und im Falle einer gewerblichen Nutzung sehr wohl auch mit vertrieblichen Nachteilen verbunden sein können161, bestimmt § 46 Abs 1 TKG, dass Nutzer, die den Anbieter wechseln, ihre Rufnummer grds behalten dürfen (sog Rufnummernübertragbarkeit). Hierzu setzt § 46 Abs 1 S 1 Nr 1 TKG im Falle geographisch gebundener Nummern – hierzu zählen insbesondere Festnetzrufnummern eines bestimmten Ortsbereichs – allerdings ein Verbleib des Nutzers am selben Standort voraus. Nicht geographisch gebundene Nummern, wie zB Mobilfunknummern können hingegen auch bei einem Standortwechsel beibehalten werden (§ 46 Abs 1 S 1 Nr 2 TKG). Diese Regelungen gelten jedoch nur innerhalb der Nummernräume oder Nummernteilräume, die für einen Telefondienst festgelegt wurden (§ 46 Abs 1 S 2 TKG). Insbesondere die Übertragung von Festnetznummern ins Mobilfunknetz oder umgekehrt ist unzulässig (§ 46 Abs 1 S 3 TKG). Verpflichtete dieser Regelungen sind sowohl Netzbetreiber (§ 46 Abs 1 S 1 TKG) als 59 auch Anbieter von Telekommunikationsdiensten (§ 46 Abs 2 TKG). Dem wechselnden Teilnehmer können nur die einmalig beim Wechsel entstehenden Kosten auferlegt werden (§ 46 Abs 3 S 1 TKG). Das gleiche gilt im Verhältnis von Netzbetreiber und Anbieter (§ 46 Abs 3 S 2 TKG).
160 161
Vgl Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 425. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 532.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
III. Zugang zu Grund und Boden 60
Mit dem Aufweichen monopolistischer Strukturen im Wege der Liberalisierung der Märkte ist das Netzmonopol der Deutschen Telekom AG entfallen. Konkurrenten steht seitdem die Errichtung eigener Netzinfrastrukturen offen, wovon regionale und überregionale Anbieter bisweilen teilweise Gebrauch gemacht haben. Der Aufbau entsprechender Infrastrukturen und Kommunikationslinien setzt zwangsläufig jedoch das Betreten fremden Grund und Bodens voraus. Hier ist zwischen gesetzlichen und privatrechtlichen Nutzungsrechten zu unterscheiden: 1. Gesetzliche Nutzungsrechte
61
Entsprechende gesetzlich verankerte Wegerechte finden sich in den §§ 68 ff TKG 162. Das Gesetz unterscheidet zweierlei:
62
a) Öffentliche Verkehrswege. Öffentliche Verkehrswege iSd § 68 Abs 1 S 2 TKG darf der Bund hinsichtlich öffentlichen Zwecken dienender Telekommunikationslinien unentgeltlich nutzen (§ 68 Abs 1 S 1 TKG). Entsprechende Befugnisse werden Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze durch die Bundesnetzagentur auf schriftlichen Antrag hin übertragen (§ 69 Abs 1 TKG).
63
b) Private Grundstücke. Die Beeinträchtigung privater Grundstücke regelt § 76 TKG. Hiernach hat der Eigentümer Errichtung, Betrieb und Erneuerung von Telekommunikationslinien auf seinem Grundstück insoweit zu dulden, als dies nicht mit zusätzlichen Einschränkungen der Nutzbarkeit verbunden ist (§ 76 Abs 1 Nr 1 TKG) oder die Benutzung ihn nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt (§ 76 Abs 1 Nr 2 TKG). Das BVerfG versteht § 76 TKG als Inhalts- und Schrankenbestimmung iSv Art 14 Abs 1 S 2 GG 163. Beeinträchtigen entsprechende Maßnahmen den Grundeigentümer über das erforderliche Maß hinaus, gewährt § 76 Abs 2 TKG angemessene Ausgleichsansprüche. 2. Privatrechtliche Nutzungsverträge
64
Neben bzw ergänzend zu gesetzlichen Nutzungsrechten besteht für Zugangsanbieter und Grundstückseigentümer auch die Möglichkeit, sog Nutzungsverträge abzuschließen, wonach der Anbieter das Recht erwirbt, sämtliche Einrichtungen auf dem Grundstück anbringen zu dürfen, die erforderlich sind, um ihm obliegenden Bereitstellungsverpflichtungen seinen Kunden gegenüber nachkommen zu können. § 45a TKG regelt in diesem Zusammenhang den praktisch häufigsten (Unter-)Fall der Grundstücksnutzung zur Gewährleistung des Netzzugangs und insoweit gegenseitige Kündigungsrechte und Mitbenutzungen vorhandener Leitungen und Einrichtungen164.
IV. Zugang zu fremder Infrastruktur 65
Wie eingangs angedeutet, wären Marktneulinge am Telekommunikationsmarkt ohne die mannigfachen Regulierungsinstrumentarien, wie sie das TKG bereithält, nicht in der 162
Zum verfassungsrechtlichen Infrastrukturauftrag des Art 87f Abs 1 GG sowie zum europarechtlichen Hintergrund vgl Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 553 f.
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163 164
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BVerfG NJW 2003, 196, 198; BVerfG NJW 2000, 798, 799. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 596 sowie 366.
§3
Infrastrukturelle Voraussetzungen
Lage, im Markt gegen den Ex-Monopolisten Deutsche Telekom AG zu bestehen. Dies gilt insbesondere im Bereich der Netzinfrastruktur. So befinden sich gerade Teilnehmeranschlussleitungen (TAL) – so bezeichnet man die Verbindungsleitung vom letzten Vermittlungspunkt zum Netzanschluss beim Endkunden – bis heute flächendeckend in Händen der Deutschen Telekom AG. Der Zugang zum Endkunden führt nur über diese „letzte Meile“. Demzufolge ist der Zugang zum Netz des ehemaligen Monopolisten für andere Anbieter von Telekommunikationsdiensten von essentieller Bedeutung 165. Ziel der Zugangsregulierung ist es daher, die Interoperabilität elektronischer Kommunikationsdienste sicherzustellen und auf diese Weise zu einem nachhaltigen Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt beizutragen (Art 1 Abs 1 S 2 Zugangs-Richtlinie 166). 1. Zugangsregulierung Gem § 21 Abs 1 S 1 und § 3 Nr 32 TKG kann die Bundesnetzagentur über beträcht- 66 liche Marktmacht verfügende Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze verpflichten, anderen Unternehmen Einrichtungen oder Dienste zum Zwecke der Erbringung von Telekommunikationsdiensten zur Verfügung zu stellen. Hierbei kommt der Behörde grds ein Ermessen zu (§ 21 Abs 1 S 1 TKG), dem im Einzelfall durch Muss- oder Soll-Vorgaben aber auch Grenzen gesetzt sind. Einen umfassenden Katalog mit Abwägungsgesichtspunkten enthält § 21 Abs 2, 3 TKG167. Ist einem übermächtigen Betreiber eine Zugangsverpflichtung iSd § 21 TKG auferlegt 67 worden, so hat er unverzüglich, spätestens aber nach Ablauf von drei Monaten, ein entsprechendes Angebot abzugeben (§ 22 Abs 1 TKG). Individuelle Vertragsverhandlungen sind vorrangig (vgl § 25 Abs 2 TKG). Erst wenn diese scheitern, ist die Bundesnetzagentur zur Anordnung eines entsprechenden Zugangs berechtigt (§ 25 Abs 1 S 1 TKG). Die Behörde ist zur Anordnung von Standardangeboten ermächtigt (s § 23 Abs 3 TKG). Gegenstand einer Anordnung können auch Entgelte sein (§ 25 Abs 5 S 1 TKG). Bei Nichtbefolgung von Anordnungen der Bundesnetzagentur können Zwangsgelder bis zu € 1 Mio festgesetzt werden (§ 25 Abs 8 TKG). 2. Zusammenschaltung § 3 Nr 34 TKG definiert die Zusammenschaltung als besondere – und wohl auch 68 gewichtigste – Form des Zugangs iSd § 3 Nr 32 TKG. Sie ist „die physische und logische Verbindung öffentlicher Telekommunikationsnetze […] um Nutzern eines Unternehmens die Kommunikation mit Nutzern desselben oder eines anderen Unternehmens […] zu ermöglichen“ (§ 3 Nr 34 TKG). Ohne sie wäre eine Kommunikation über die eigenen Netzgrenzen hinweg nicht möglich. Will bspw ein Kunde der Deutschen Telekom AG mit einem Anschlusskunden eines alternativen Teilnehmernetzbetreibers telefonieren, so erfordert dies die Zusammenschaltung beider Netze. Die Zusammenschaltung ermöglicht also die Kommunikation von Teilnehmern verschiedener Netzbetreiber miteinander. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die eingangs erwähnte Problematik um die Teil-
165 166
So insgesamt Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 204. Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kom-
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munikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, ABl EG Nr L 108 vom 24.4.2002, 7 ff. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 211 ff.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
nehmeranschlussleitungen von immensem Gewicht. Insofern erschöpft sich die Zusammenschaltung von Netzen eben nicht bloß in der Interoperabilität der Netze, sondern ist der entscheidende Grundstein für die Entstehung eines nachhaltigen Wettbewerbs auf dem Telekommunikationsmarkt 168.
§4 Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen 69
Nachdem eingangs 169 bereits auf Inhalt und Struktur von Telekommunikationsverträgen im Allgemeinen eingegangen wurde, soll der Vertragsschluss im Endkundensegment als solcher sowie die damit einhergehende Problematik Gegenstand folgender Erörterungen sein.
I. Bewerbung telekommunikativer Dienste 70
Ein starker Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt und entsprechend offensive Werbepraktiken haben dazu geführt, dass auch und gerade Sachverhalte mit telekommunikationsrechtlichem Hintergrund vermehrt Gegenstand lauterkeitsrechtlicher Streitigkeiten werden. Als Beispiel einer unübersehbaren Kasuistik hatte in einem jüngst durch das OLG Frankfurt/Main entschiedenen Fall170 ein Telekommunikationsdiensteanbieter sowohl auf seiner Homepage als auch in Werbeprospekten ein Kombinationsangebot aus DSL-Flatrate für monatlich € 9,90 und Telefon-Flatrate für € 19,90 beworben, dabei stets jedoch lediglich den Preis der DSL-Flatrate blickfangmäßig hervorgehoben. Auf weitere Kosten iHv € 19,90 wurde der Verbraucher hingegen nur in einem mittels Sternverweis gekennzeichnetem und relativ umfangreichen Erläuterungstext hingewiesen. Hierin sah das Gericht ein Verstoß gegen die §§ 3 und 5 UWG sowie § 1 Abs 1 S 1 sowie Abs 6 PAngV. Eine Irreführung des Verbrauchers sei auch nicht durch Unterzeilen wie „Telefonieren für 0 Cent/Minute!“ oder „Kostenlos telefonieren!“ zu entkräften, denn im Gegensatz zur Blickfangwerbung im Mobilfunkbereich, wo sich ein Durchschnittsverbraucher von Anfang an im Klaren darüber sei, dass er ein entsprechend subventioniertes Handy unmöglich für (fast) umsonst erhalten könne, vermute der DSL-Durchschnittskunde hierunter keine Einschränkungen.
II. Vertragstypologie 71
Die vertragstypologische Einordnung von Telekommunikationsverträgen gestaltet sich bis heute als schwierig. Denn es gibt nicht den Telekommunikationsvertrag. Der Kunde trifft vielmehr auf ein buntes Angebot unterschiedlichster Dienste, die sich je nach Anbieter mehr oder weniger bedarfsgerecht zu einem individuellen Leistungspaket zusammenschnüren lassen. Wie bereits dargestellt ist außerdem zwischen unterschiedlichen Leistungsebenen sowie festnetzgebundenen und mobilen Telekommunikationsleistungen zu
168 169
Ausf zur Zusammenschaltung Holznagel/ Enaux/Nienhaus Rn 208 sowie 227. Siehe § 1 III.
1482
170
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OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 30.11. 2006, 6 U 24/06, MMR 2007, 252 ff.
§4
Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen
unterscheiden171. Die Vielschichtigkeit von Telekommunikationsverträgen macht vielfach differenzierte Betrachtungsweisen erforderlich. Grds kommen hierbei miet-, dienst- und werkvertragliche Elemente in Betracht. Festnetztelefonie. Im Rahmen von Festnetztelefonieverträgen ist zwischen Telefon- 72 anschluss und Telefonverbindung zu unterscheiden. Bei der Anschlussleitung handelt es sich um eine „Sache“ iSd § 90 BGB, die dem Kunden typischerweise auf Zeit zur Verfügung gestellt wird. Richtigerweise ist daher insoweit von einem Mietverhältnis auszugehen 172. Das Herstellen der Telefonverbindung wird überwiegend als Dienstleistung, teilweise auch als Werkvertrag 173 eingestuft. Sind Verbindungs- und Teilnehmernetzbetreiber identisch, so ist von einem typengemischten Vertragsverhältnis auszugehen, das hinsichtlich der Anschlussleitung mietvertragliche, hinsichtlich der Telefonverbindung jedoch dienstvertragliche Elemente enthält. Wählt der Kunde im Wege von Call-by-Calloder Preselection hingegen einen anderen Anbieter, so hat dieser zwei Verträge mit unterschiedlichen Parteien abgeschlossen: Einen Mietvertrag über den Anschluss mit seinem Teilnehmernetzbetreiber betreffend den Telefonanschluss und einen insofern wegen der Erfolgsbezogenheit zutreffenden Werkvertrag über Verbindungsleistungen mit dem jeweiligen Call-by-Call- oder Preselection-Anbieter. Mobilfunktelefonie. Im Bereich der Mobilfunktelefonie verhalten sich die Verhält- 73 nisse nicht wesentlich anders. Auch hier kann zwischen der Zugangsleistung zum Netz einerseits und den Verbindungsleistungen andererseits unterschieden werden. So eröffnet der Mobilfunknetzbetreiber dem Kunden dergestalt Zugang zum Netz, dass er diesem eine SIM-Karte für die Dauer des Vertragsverhältnisses entgeltlich zur Verfügung stellt. Insoweit ist angesichts des § 535 BGB ein Mietverhältnis anzunehmen 174. Was hingegen die vertragliche Einordnung der einzelnen Verbindungsleistungen betrifft, sind mobilfunkspezifische Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. So lässt sich etwa den am Markt typischerweise verwendeten Vertragsunterlagen entnehmen, dass derartige Verbindungsleistungen sowohl natürlich als auch technisch bedingt nicht stets und unter allen Umständen gewährleistet werden können. Eine im Rahmen des Abschlusses eines Mobilfunkvertrags seitens des Anbieters abgegebene Willenserklärung kann nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte daher nie im Sinne eines Erfolgs verstanden werden, sondern allenfalls als redliches Bemühen iSd § 611 BGB (§§ 133; 157 BGB)175. Hieran vermögen auch sich stets verdichtende Netzinfrastrukturen nichts zu ändern. Ein Mobilfunkvertrag ist daher als typengemischter Vertrag aus mietund dienstvertraglichen Elementen zu qualifizieren176. Ähnlich wie schon bei der Festnetztelefonie unterstellt die Rechtsprechung, Mobilfunkverträge ohne nähere Begründung generell einheitlich dienstvertragsrechtlichen Regeln (§§ 611 ff)177. Datendienste. Da der Transport von Daten im Internet – nicht etwa die Nutzung des 74 Rechners des Providers – im Vordergrund der Leistungsbeziehung steht, hat der BGH die Anwendung mietvertraglicher Vorschriften auf Access-Provider-Verträge abgelehnt 178.
171 172
173
Vgl bereits § 1 III 1. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 20; aA wohl Palandt/Sprau Einf v § 631 BGB Rn 28/29; differenzierend Schuster CR 2006, 444, 453. Dienstvertrag: BGH NJW 2002, 2386, 2387; BGH NJW 2005, 3636; BGH NJW 2004, 1590, 1591, der von der Anwendung des Dienstvertragsrechts (§§ 611 ff BGB)
174 175 176 177 178
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ausgeht; Werkvertrag: Graf von Westphalen/ Grote/Pohle 29 f. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 172. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 173. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 172. Vgl BGH NJW 2005, 3636; BGH NJW 2002, 2386, 2387. BGH NJW 2005, 2076; ebenso Spindler CR 2004, 203, 207.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
Ebenso wenig sei der Provider angesichts schwankender Netzauslastung in der Lage, stets entsprechende Verbindungen oder bestimmte Übertragungsgeschwindigkeiten zu garantieren, weshalb auch werkvertragsrechtliche Regeln außer Betracht zu bleiben haben179. Jedenfalls auf zeitabhängige Datendienste findet daher Dienstvertragsrecht Anwendung.180 Anders ist jedoch bei volumenabhängigen Verträgen oder Internet-by-Call-Verbindungen zu entscheiden, da hier jeweils konkrete Erfolge geschuldet werden181.
III. Parteien 1. Grundlagen
75
Telekommunikationsverträge im Endkundensegment unterliegen auf Grund ihres privatrechtlichen Charakters dem Grundsatz der Privatautonomie, wonach es den Parteien grds unbenommen bleibt, mit wem sie Verträge schließen und welchen Inhalt diese haben. Grds sind Telekommunikationsverträge zweiseitige Verträge zwischen dem jeweiligen Leistungserbringer und dem Kunden, der sich für die Nutzung entsprechender Telekommunikationsdienste zur Zahlung der jeweiligen Entgelte verpflichtet hat. Dies gilt für Festnetz-, Mobilfunk- und Datendienstverträge gleichermaßen. 2. Mehrparteien-Konstellationen
76
Die dem Liberalisierungsprozess zu verdankende Vielfalt an Angeboten und Anbietern telekommunikativer Dienstleistungen, die der Markt heutzutage auf den unterschiedlichsten Ebenen bereithält, hat jedoch auch dazu geführt, dass die klassische Konstellation, sämtliche Leistungen (Netzzugang, Verbindungsleistungen, Internet-, Daten- und Servicedienste) aus einer Hand abzunehmen, inzwischen alles andere als selbstverständlich ist. Tendenziell wird dazu übergegangen, einzelne Leistungsangebote anbieterkonkurrierend aufzuschlüsseln. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Festnetztelefonie. Während es Jahrzehnte lang gang und gäbe war, Telefonanschluss und Verbindungen über einen einzigen Anbieter zu erhalten, hält der Markt heute frei kombinierbare Alternativen bereit:
77
a) Alternative Teilnehmernetzbetreiber. Um Telefondienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, benötigt der Kunde zunächst einen Telefonanschluss. Diesen erhält er vom Teilnehmernetzbetreiber 182. Dies ist in Deutschland selbst ein Jahrzehnt nach Einführung des Wettbewerbs in der Sprachtelefonie größtenteils immer noch die Deutsche Telekom AG 183. Inzwischen haben aber auch einige konkurrierende Teilnehmernetzbetreiber, die zwecks Leistungserbringung die Teilnehmeranschlussleitung von der Deutschen Telekom AG anmieten,184 auf dem Anschlusssektor Fuß gefasst und sind in Ballungszentren oder regional begrenzt für zahlreiche Endkunden schon zu einer echten Alternative geworden. Zu vertragstypologischen Fragen der Bereitstellung von Telefonanschlüssen siehe bereits oben185.
78
b) Alternative Verbindungsnetzbetreiber. Die einzelnen Telefonverbindungen werden durch den Verbindungsnetzbetreiber realisiert. Dieser kann mit dem Teilnehmernetz179 180
BGH NJW 2005, 2076; ebenso Spindler CR 2004, 203, 207. Vgl etwa BGH NJW 2005, 2076; Spindler Vertragsrecht der Internetprovider Teil IV Rn 93; Spindler CR 2004, 203, 207 f, Redeker ITRB 2003, 82, 83.
1484
181 182 183 184 185
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So auch Spindler EWiR § 611 BGB 1/05, 627, 628. Schmitz MMR 2001, 150, 152. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 204. Zum Begriff s bereits oben § 3 IV. S hierzu § 4 I.
§4
Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen
betreiber identisch sein, muss dies aber nicht zwingend. Vielmehr kann der Kunde den Verbindungsnetzbetreiber frei wählen. So kann etwa ein Anschlusskunde der Deutschen Telekom AG diese durchaus auch als Verbindungsnetzbetreiber in Anspruch nehmen. Er ist jedoch keineswegs dazu verpflichtet. Genauso gut kann er sich für einen alternativen Verbindungsnetzbetreiber entscheiden. aa) Call by call. Eine Möglichkeit, über einen alternativen Verbindungsnetzbetreiber 79 zu telefonieren, ist das sog Call by Call-Verfahren. Hier wählt der Kunde durch Eingabe einer entsprechenden Verbindungsnetzbetreiberkennzahl (in Deutschland nach dem Muster 010xy) denjenigen Betreiber aus, über den er das konkrete Telefonat führen möchte. Das auf diesem Wege zwischen Kunde und Verbindungsnetzbetreiber zustande kommende Vertragsverhältnis bezieht sich lediglich auf das konkrete Telefonat, die Telefonverbindung. Der Call by Call-Vertrag ist folglich auf einmalige Leistung gerichtet. bb) Preselection. Beim Preselection schließen Kunde und Verbindungsnetzbetreiber hingegen einen Vertrag über die dauerhafte Erbringung von Verbindungsleistungen. Das Vertragsverhältnis beschränkt sich im Gegensatz zum Call by Call-Verfahren also nicht nur auf einen konkreten Anruf. Der betreffende Verbindungsnetzbertreiber ist für alle Anrufe voreingestellt. Die Wahl einer Verbindungsnetzbetreiberkennzahl entsprechend dem Call by Call-Verfahren entfällt. Wählt der Kunde einen von seinem Teilnehmernetzbetreiber verschiedenen Verbindungsnetzbetreiber, so sind zwei selbstständige schuldrechtliche Verträge gegeben: Einmal unterhält der Kunde einen Telefonanschlussvertrag mit dem Teilnehmernetzbetreiber und zum Zweiten (jeweils) einen Vertrag über die Erbringung von Verbindungsleistungen mit dem (jeweiligen) Verbindungsnetzbetreiber. Eine eventuelle Zusammenschaltungsvereinbarung zwischen Teilnehmer und Verbindungsnetzbetreiber ist für die Endkundenbeziehung ohne Bedeutung (Relativität der Schuldverhältnisse). Dagegen ist ein Splitting von Netz- und Verbindungsnetzbetreiber im Bereich des Mobilfunks nicht möglich. Beide Leistungen werden vom Mobilfunknetzbetreiber erbracht. Es liegt ein zweiseitiges Vertragsverhältnis vor, woran sich auch dann nichts ändert, wenn der Mobilfunkbetreiber auf fremde Netzinfrastrukturen zurückgreift, wie dies etwa bei bloßen Resellern oder sog Mobile Virtual Network Operators (virtuelle Mobilfunknetzbetreiber) der Fall ist. Vertragliche Verhältnisse zwischen Mobilfunkbetreiber und Netzbetreiber, auf den ersterer zurückgreift, um seine Vertragspflichten dem Endkunden gegenüber erfüllen zu können, macht letzteren zwar zu dessen Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), lassen das einheitliche Vertragsverhältnis zum Endkunden jedoch unberührt. Denn schuldrechtliche Vertragsverhältnisse wirken stets nur inter partes. Dasselbe gilt in den Fällen, in denen Mobilfunkverträge zwischen Endkunde und sog Serviceprovidern186 zustande gekommen sind. Auch hier ist der Mobilfunknetzbetreiber lediglich Erfüllungsgehilfe des Serviceproviders 187. Auch für den Fall, dass der nationale Mobilfunkbetreiber auf Netze ausländischer Betreiber zurückgreift, um seinem Kunden auch im Ausland mobile Telefonate zu ermöglichen (sog internationales Roaming), gilt nichts anderes. Der ausländische Netzbetreiber ist lediglich Erfüllungsgehilfe des nationalen Mobilfunkanbieters. Nur mit Letzterem unterhält der Kunde ein vertragliches Schuldverhältnis188. Datendienste (insbesondere Internetleistungen) können im Festnetzbereich vom Anschlussanbieter selbst (so zB bei einem Anschluss der Deutschen Telekom AG über 186 187
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LG Rostock NJ 2004, 133; ebenso Graf von Westphalen/Grote/Pohle 197 f.
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ZB debitel, Talkline, The Phone House und andere. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 178.
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T-Online) oder einem separaten Internet-Access-Provider – dauerhaft oder im Wege des Internet by Call – bereitgestellt werden. Wählt der Kunde einen vom Anschlussanbieter verschiedenen Internet Access Provider, so bestehen jeweils selbstständige Vertragsverhältnisse. Mobile Internetzugänge und Anwendungen weisen zur mobilen Sprachtelefonie keine Besonderheiten auf. Hier erfolgen Sprach- und Datendienste aus einer Hand. 3. Mehrwertdienste
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Etwas komplizierter gestaltet sich die Betrachtung des rechtlichen Geflechts um Mehrwertdienste, die in jüngerer Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Diskussionen waren, insbesondere im Hinblick auf den Download von Handyklingeltönen durch Minderjährige189. Mehrwertdienste werden im Einzelfall weder vom Teilnehmernetzbetreiber noch vom 85 jeweiligen Verbindungsnetzbetreiber und im Bereich des Mobilfunks auch nicht seitens des Mobilfunknetzbetreibers angeboten. Vielmehr gesellt sich dem Leistungsgeflecht ein weiterer Anbieter hinzu, der den jeweiligen Mehrwertdienst selbst betreibt (sog Mehrwertdiensteanbieter). Werden Mehrwertdienste in Anspruch genommen, so erschöpft sich die Leistung des Teilnehmernetzbetreibers auf den Zugang zum Netz und die Überführung des Anrufs in das Netz des Verbindungsnetzbetreibers und dessen Leistung in der Weiterleitung an den betreffenden Zielanschluss (Festnetzbereich). Im Bereich des Mobilfunks werden Netzzugang und Verbindungsleistungen durch den Mobilfunkanbieter als einheitliche Leistung angeboten190. Erst am Zielanschluss erbringt der jeweilige Mehrwertdiensteanbieter dann die konkrete Mehrwertdienstleistung. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist in der Bereithaltung des Mehrwertdienstes 86 durch den Mehrwertdiensteanbieter ein Angebot auf Abschluss eines Vertrags über die Erbringung einer konkreten Mehrwertdienstleistung zu sehen (Realofferte), das der Kunde durch Anwahl einer entsprechenden Mehrwertdiensterufnummer konkludent annimmt191. Die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Endnutzer und Mehrwertdiensteanbieter sind juristisch betrachtet also wenig spektakulär. Dasselbe gilt in diesem Fall für die Beziehung des Endkunden zum Teilnehmernetzbetreiber. Der zwischen beiden bestehende Telefonanschlussvertrag erschöpft sich auf die Transportleistung des Anrufs in das Netz des Verbindungsnetzbetreibers. Diese Leistung ist durch das – in der Regel monatlich – zu zahlende Bereitstellungsentgelt vollständig abgegolten192. Aus der Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten erwachsen jedoch keine eigenen vertraglichen Beziehungen zwischen Endkunde und Verbindungsnetzbetreiber. Dies hat der BGH inzwischen klargestellt 193. Der Anwahl einer Mehrwertdiensterufnummer sei angesichts der maßgeblichen Vorschriften der §§ 133; 157 BGB kein Erklärungswert dahingehend zu entnehmen, dass der Nutzer nicht nur mit dem Mehrwertdiensteanbieter sondern auch mit dem Verbindungsnetzbetreiber eine (entgeltliche) vertragliche Beziehung begründen wolle. Dem durchschnittlich verständigen und informierten Telefon- und Internetnutzer, auf den bekanntlich abzustellen sei, sei dabei nicht bewusst, dass die Verbindung zu dem Mehrwertdienst durch weitere zwischengeschaltete Leistungserbringer erfolge. Doch selbst dann, wenn er damit rechne, beurteile er angesichts des Umstandes, dass das im Wege der Mehrwertdienstleistung zu entrichtende Entgelt auch die Leistungen des Ver189 190 191
Vgl exemplarisch BGH GRUR 2006, 776 ff. Ausf § 4 I. und II. BGH NJW 2005, 3636, 3637; BGH NJW-RR 2004, 928, 929 mwN.
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BGH MMR 2004, 308, 309; BGH NJW 2002, 361, 362; Schmitz/Eckhardt CR 2006, 323, 327 f. BGH NJW 2006, 286, 287 f.
§4
Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen
bindungsnetzbetreibers beinhalte, Letzteren lediglich als für die Erbringung des Mehrwertdienstes notwendige technische Hilfspersonen und daher bloßen Erfüllungsgehilfen. Damit gehe der erkennbare Wille des Endkunden keinesfalls dahin, mit diesem zusätzliche vertragliche Beziehungen eingehen zu wollen. Ebenso spreche, so der BGH, die bei der Auslegung von Willenserklärungen stets zu berücksichtigende Interessenlage gegen eine solche Annahme. Wäre der Kunde hinsichtlich ein- und desselben Entgeltanspruchs doch zusätzlichen Gläubigern ausgesetzt, obwohl er im Ergebnis nur einmal zu zahlen hätte. Regelmäßige Streitigkeiten über die Tilgungswirkung von Leistungen wären vorprogrammiert. Im Falle der Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten unterhalte der Verbindungsnetzbetreiber daher keine eigene vertragliche Beziehung zum Endkunden. Originäre Entgeltansprüche für seine Transportleistung gegenüber dem Endkunden stehen ihm folglich nicht zu. Ob und ggf in welchem Umfang der Verbindungsnetzbetreiber hingegen Ansprüche gegen den Mehrwertdienstleister erheben kann, ist eine andere Frage. Jedenfalls aber ist es dem Verbindungsnetzbetreiber möglich, Vergütungsansprüche des Mehrwertdiensteanbieters auf Grundlage einer wirksamen Abtretung, Einziehungsermächtigung, Inkassobefugnis oder eines Forderungskaufs geltend zu machen, vorausgesetzt er kann sowohl entsprechende Absprachen als auch geltend gemachte Forderungen mittels Vorlage einer qualifiziert bestreitbaren Telefonrechnung substantiiert darlegen und beweisen.194
IV. Typische Rechtsprobleme beim Vertragsschluss Grds kommt ein Vertrag durch zwei korrespondierende Willenserklärungen, nament- 87 lich Angebot und Annahme – zustande (§§ 145 ff BGB). Dies ist bei Telekommunikationsverträgen nicht anders. Je nach Vertriebsform kann jedoch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses variieren. Bestellt der Kunde wie in einem Fall, den das LG Hamburg zu entscheiden hatte, eine SIM-Karte per Internet, so kommt ein Vertrag in aller Regel durch Versand einer Auftragsbestätigung oder der SIM-Karte selbst zustande. Eine bloße Benachrichtigung des Kunden über den Eingang seiner Bestellung befand das LG Hamburg hingegen nicht für ausreichend 195. Im Übrigen dürfte ein Vertragsschluss indessen regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn der Kunde die jeweilige Leistung des Telekommunikationsanbieters tatsächlich in Anspruch nimmt, etwa die betreffende SIM-Karte freischalten lässt 196. Nach Ansicht des BGH gibt ein Anbieter von Mehrwertdiensten oder Call-by-Call-Verbindungsleistungen durch die Bereitstellung derartiger Dienste eine Realofferte ab, die der Kunde im Wege der Anwahl einer entsprechenden Nummer konkludent annehme 197. Bei der Inanspruchnahme von Premium-SMS-Diensten dagegen soll ein Vertragsschluss erst dadurch erfolgen, dass der Anbieter das per SMS seitens des Kunden empfangene Angebot auf Abschluss eines Content-Vertrags durch zur Verfügung stellen des Downloads bzw Versand der entsprechenden Daten und Inhalte annehme 198. Erschließen sich jene Überlegungen insgesamt auch aus den allgemeinen Regeln über 88 den Abschluss von Verträgen (§§ 145 ff BGB) und der anerkannten Rechtspraxis, so fühlen sich etliche TK-Unternehmen hierdurch nicht gehindert, rechtliche Wertungen dieser Art zusätzlich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – sog Vertragsabschlussklau194
195 196
Hierzu jüngst LG Koblenz CR 2007, 513 (514) sowie LG Augsburg MMR 2007, 672 f. LG Hamburg CR 2005, 227. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 183 sowie
197 198
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Hahn MMR 1999, 251, 252 und Schöpflin BB 1997, 106. BGH NJW 2005, 3636, 3637. S Klees CR 2005, 626, 629.
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5. Teil
seln – in ab und an auch leicht modifizierter Form niederzuschreiben. So findet sich etwa in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Mobilfunkanbietern gelegentlich eine Klausel, wonach eine Vertragsannahme im Wege der Freischaltung der SIM-Karte nur eine von mehreren Möglichkeiten der Angebotsannahme durch den Kunden darstelle 199. Auf Grund ihres lediglich deklatorischen Charakters werden Klauseln dieser Art allgemein jedoch für zulässig erachtet 200. Neben diesen und weiteren Problemen, die im Rahmen des Abschlusses von Telekommunikationsverträgen bedeutsam werden können, verdienen vier typische Fragestellungen besondere Aufmerksamkeit: 1. Einbeziehung von AGB
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Um Bindungswirkung entfalten zu können, müssen Allgemeine Geschäftsbedingungen wirksamer Bestandteil des Vertrages geworden sein. Dies setzt neben inhaltlicher Wirksamkeit der betreffenden Klauseln insbesondere ihre wirksame Einbeziehung voraus. Hierzu muss der Verwender die andere Vertragspartei ausdrücklich oder – wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist – durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses auf diese hinweisen (§ 305 Abs 2 Nr 1 BGB) und seinem Gegenüber die Möglichkeit verschaffen, vom Inhalt der jeweiligen Klauseln in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen. Erkennbaren körperlichen Behinderungen seines Vertragspartners hat der Verwender angemessen Rechnung zu tragen (§ 305 Abs 2 Nr 2 BGB). Im Übrigen macht § 305 Abs 2 aE BGB zur Voraussetzung, dass sich der Vertragspartner mit deren Geltung einverstanden erklärt. Diese allgemeinen strengen Voraussetzungen mildert für einen Spezialfall § 305a Nr 2b) BGB etwas ab. Demnach gilt unter anderem beim Abschluss von Verträgen über Telekommunikationsdienstleistungen, die unmittelbar durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln und während der Erbringung einer Telekommunikationsdienstleistung in einem Mal erbracht werden, ein erleichtertes Einbeziehungsverfahren. Können die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der anderen Vertragspartei vor dem Vertragsschluss nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zugänglich gemacht werden, so genügt es, wenn die AGB des Anbieters im Amtsblatt der Bundesnetzagentur veröffentlicht sind und die andere Partei mit ihrer Geltung einverstanden ist. Der Verwender hat seine AGBs zusätzlich jedoch auch in seinen Geschäftsstellen bereitzuhalten201. § 305a Nr 2b) zielt auf Vertragsschlüsse im offenen Call-by-call-Verfahren, Mehrwertund Informationsdienste ab, welche üblicherweise nach Dauer der Telekommunikationsdienstleistung abgerechnet werden und der Vertragspartner daher kein Interesse daran haben wird, vorgelesenen AGBs auf seine Kosten lauschen zu müssen 202. 2. Verbraucherschutzrechtliche Widerrufsrechte
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Insbesondere auf dem Telekommunikationsmarkt haben sich moderne Vertriebsformen inzwischen als feste Größe etabliert. Immer häufiger gehen Telekommunikationsanbieter dazu über, Kunden per Telefon oder Internet vertraglich zu binden. Zahlreiche Anbieter verzichten sogar vollständig auf den klassischen Filialvertriebsweg und bieten ihre Produkte und Leistungen ausschließlich über Fernabsatzgeschäfte an. Hier sind die
199 200
Graf von Westphalen/Grote/Pohle 183 mwN. Vgl etwa die Darstellung bei Hahn MMR 1999, 251, 252 f.
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201 202
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Vgl Hk-BGB/Schulte-Nölke § 305a BGB Rn 4. Hk-BGB/Schulte-Nölke § 305a BGB Rn 6.
§4
Zustandekommen von Telekommunikationsverträgen
§§ 312b ff BGB von besonderer Bedeutung. Mit Blickrichtung auf den Verbraucher- und allgemeinen Kundenschutz formulieren die §§ 312c; 312e BGB besondere Informationspflichten des Anbieters, denen er auch durch abweichende Vereinbarungen nicht entgehen kann (vgl § 312f BGB). So sind dem Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung die in § 1 BGB-Info-Verordnung niedergelegten Angaben klar und verständlich zu unterbreiten (§ 312c Abs 1 S 1 BGB). Identität und geschäftlicher Zweck des Kontaktes hat der Unternehmer sogleich offen zu legen (§ 312c Abs 1 S 2 BGB). Vertragsbestimmungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen sind spätestens bei vollständiger Erfüllung des Vertrages in Textform mitzuteilen (§ 312c Abs 2 S 1 Nr 2 BGB). Da dies bei solchen Dienstleistungen, die unmittelbar durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln erbracht werden (wie zB Call-by-Call-, Mehrwert- oder SMSDienste), technisch nicht realisiert werden kann, kommt § 312c Abs 2 S 2 BGB dieser Besonderheit entgegen und erklärt Informationspflichten iSd § 312c Abs 2 S 1 Nr 2 BGB hier ausnahmsweise für entbehrlich. Für das Online-Shopping gelten – gegenüber Verbrauchern wie Unternehmen – gem § 312e BGB iVm § 3 BGB-Info-Verordnung jedoch zusätzliche Pflichten. Etabliert hat sich ein sog „Vier-Fenster-Modell“, wonach dem Kunden nacheinander vier Fenster angezeigt werden, deren Inhalt er jeweils durch Klicken bestätigt. Das erste Fenster enthält die Beschreibung des Lieferanten und des ausgewählten Produkts nach den Vorgaben des Fernabsatzrechts, das zweite Fenster die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im dritten Fenster erteilt der Kunde – soweit erforderlich – seine Datenschutzeinwilligung (§§ 4; 4a BDSG). Das vierte Fenster gewährt dem Kunden die Möglichkeit, eventuelle Bestellfehler zu korrigieren (§ 312e Abs 2 BGB).203 Für den Verbraucher besteht im Rahmen von Fernabsatzverträgen die Möglichkeit, 91 seine auf den Abschluss des jeweiligen Vertrages gerichtete Willenserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen (§ 312d Abs 1 iVm § 355 BGB). Ist der TK-Unternehmer den ihm obliegenden Pflichten nicht im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang nachgekommen, kann dies erhebliche Nachteile für ihn haben. So bestimmt § 312d Abs 2 BGB, dass etwa für den Fall, dass der Unternehmer seinen Pflichten nach § 312c Abs 2 BGB nicht zu Genüge nachgekommen ist, eine Widerrufsfrist erst gar nicht zu laufen beginnt. Dasselbe gilt für den Fall, dass eine § 355 Abs 2 BGB nicht entsprechend gestaltete Widerrufsbelehrung erfolgt ist. Ordnungsgemäße, jedoch verspätete Widerrufsbelehrungen führen günstigstenfalls zu Fristverlängerungen (vgl § 355 Abs 2 S 2 BGB). Probleme machen jedoch auch hier solche Dienstleistungen, die unmittelbar durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln erbracht werden. Wie sollte ein Widerrufsrecht bei Dienstleistungen aussehen, die unmittelbar nach Vertragsschluss bereits unwiderkehrbar erfüllt wurden? Nach Ansicht des BGH sind solche Fälle über § 312d Abs 3 Nr 2 BGB zu lösen. Demgemäß erlösche das Widerrufsrecht auch in den Fällen, in denen der Unternehmer auf Grund ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Ausführung der betreffenden Dienstleistung begonnen habe (1. Alt) oder diese vom Verbraucher selbst veranlasst sei (2. Alt). Dies ist durch Anwahl einer Call-by-call-, Mehrwertdienste- oder SMS-Dienstenummer oder die Annahme eines R-Gesprächs durch Eintippen einer bestimmten Tastenkombination genau genommen der Fall. Auf diese Weise veranlasst der Kunde nämlich nicht bloß den Vertragsschluss als solchen sondern zugleich auch die sofortige und unumkehrbare Erbringung der jeweiligen Leistung, so dass zumindest § 312d Abs 3 Nr 2, 2. Alt BGB als
203
Hoeren Rn 480.
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erfüllt angesehen werden kann 204. Dies gilt nach überwiegender Ansicht unabhängig davon, ob der jeweilige TK-Unternehmer zuvor seinen Informationspflichten gem § 312c Abs 1 BGB iVm § 1 BGB-Info-Verordnung nachgekommen ist oder nicht205. Gem Art 1 des Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Tele92 fonwerbung vom 13.3.2008 wird es Verbrauchern zukünftig zudem möglich sein, Verträge über die Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten als auch über Wett- und Lotterie-Dienstleistungen innerhalb von zwei bzw vier Wochen zu widerrufen, sofern entsprechende Verträge telefonisch geschlossen wurden (Art 1 RefEntw).206 Auch darf der Anrufende bei „kommerzieller Kommunikation“ (zukünftig in § 3 Nr 10b TKG legaldefiniert) seine Rufnummer nicht mehr unterdrücken. Im Übrigen gelten Werbeanrufe Verbrauchern gegenüber schon dann als wettbewerbswidrig, wenn sie ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung erfolgen. Verstöße gelten jeweils als Ordnungswidrigkeit und sind im Falle unerlaubter Rufnummernunterdrückung bis € 10.000,– und im Falle unlauterer Telefonwerbung sogar bis € 50.000,– bußgeldbewehrt. Entsprechende Regelungen werden sich künftig in TKG wie UWG wiederfinden (vgl Art 2 und 3 RefEntw).207 In Planung sind darüber hinaus Änderungen in Bezug auf den Schutz vor untergeschobenen TK-Verträgen (sog „Slamming“). So soll der neue TK-Anbieter sowohl im Falle eines Anbieterwechsels als auch bei Änderung der Betreiberauswahl zukünftig in Textform zum Beweis verpflichtet sein, dass der Kunde den alten Vertrag tatsächlich gekündigt hat. Erst danach soll der Telefonanschluss auf den neuen Anbieter umgestellt werden dürfen. Entsprechende Gedanken sollen nunmehr im Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes Berücksichtigung finden.208 3. Sittenwidrige Telekommunikationsverträge
93
Während vor wenigen Jahren noch Sex- und Erotikangebote die Hauptfallgruppe sittenwidriger Telekommunikationsverträge bildeten, hat diese Fallgruppe seit Inkrafttreten des ProstG 209 nahezu vollständig an Bedeutung verloren210. Die heute wesentlich bedeutendere Fallgruppe sittenwidriger Telekommunikationsverträge rankt sich vielmehr um überhöhte Entgeltforderungen. So hatte der BGH erst kürzlich über ein Verbindungsentgelt von 2,9 Cent pro Sekunde – € 1,74 pro Minute – im Rahmen von R-Gesprächen zu entscheiden und hat in Verbindung mit dem Überrumpelungscharakter in der konkreten Situation hier zumindest eine Nichtigkeit nach § 138 BGB angedacht 211. Eine Richtschnur mag inzwischen § 66d TKG bilden, der zulässige Preishöchstgrenzen normiert. Hiernach darf der Minutenpreis maximal € 3,– (§ 66d Abs 1 S 1 TKG), das Entgelt pro Verbindung maximal € 30,– (§ 66d Abs 2 S 1 TKG) betragen. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass § 138 BGB neben der Entgelthöhe auch und gerade weitere Umstände 204
205 206
207
Vgl BGH MMR 2006, 453, 457 – R-Gespräche; Palandt/Grüneberg § 312d BGB Rn 7a. Vgl Palandt/Grüneberg § 312d BGB Rn 7a; Erman/Saenger § 312d BGB Rn 14. Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung vom 13.3.2008, 1 und 9 f, erhältlich unter www.bmj.bund.de/cold-calling (5.6.2008). Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung vom 13.3.2008, 1 f, 5 und 11 ff.
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Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung vom 13.3.2008, 5 f. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001, BGBl I S 3983, in Kraft seit 1.1.2002 (vgl Art 3 ProstG). So BGH MMR 2004, 308, 309. Vgl BGH NJW 2006, 1971, 1975.
§5
Pflichten des Anbieters
mit einbezieht, die letztlich in einer Art Gesamtschau eine Sittenwidrigkeit zu begründen vermögen. Vor diesem Hintergrund kann § 66d TKG allenfalls eine allgemeine Richtschnur sein. 4. Dauerschuldverhältnisse bei Kurzwahldiensten Probleme bereiten generell auch sog Kurzwahldienste. Kurzwahldienste sind Dienste, 94 die die Merkmale eines Premium-Dienstes haben, jedoch eine spezielle Nummernart mit kurzen Nummern nutzen (§ 3 Nr 11b TKG). Es ist zwischen sog Kurzwahl-Sprachdiensten, bei denen die Kommunikation sprachgestützt erfolgt (§ 3 Nr 11c TKG) und sog Kurzwahl-Datendiensten, die der Übermittlung nichtsprachgestützter Inhalte mittels Telekommunikation dienen, zugleich aber keine Teledienste im Sinne des Teledienstegesetzes oder Mediendienste im Sinne des Mediendienste-Staatsvertrages – heute TMG – darstellen (§ 3 Nr 11a TKG), zu unterscheiden. Insbesondere bei Premium-SMS- und MMS-Diensten sind dem Kunden wesentliche Vertragsinhalte oftmals unklar. Ihm ist häufig nicht mal bewusst, ein Dauerschuldverhältnis einzugehen. Nach Erhalt der ersten überhöhten Rechnung verspüren daher etliche Kunden nicht selten das Bedürfnis, von jener vertraglichen Verpflichtung schleunigst wieder los kommen zu wollen, wären ihnen denn die Kündigungsbedingungen hinreichend bekannt212. Dieses Dilemma versucht seit dem 1.9.2007 § 45l TKG zu beseitigen. Hiernach setzt 95 ein Entgeltanspruch des Anbieters oben beschriebener Dienste künftig voraus, dass der Diensteanbieter den Nutzer über die wesentlichen Inhalte des Abonnement-Vertrages informiert und der Kunde sich mit diesen Bedingungen einverstanden erklärt (vgl § 45l Abs 3 TKG). Dies erfolgt in der Praxis regelmäßig per sog Handshake-SMS, die seitens des Kunden durch eine weitere SMS bestätigt wird. Hinzuweisen hat der Anbieter insbesondere auf die jeweiligen Preise inkl Steuern und Abgaben je eingehender Kurzwahlsendung, den Abrechnungszeitraum und – sofern möglich – auch auf die Höchstzahl pro Abrechnungszeitraum eingehender Kurzwahlsendungen (§ 45l Abs 3 S 2 TKG). Zudem besteht für den Kunden ein jederzeitiges Kündigungsrecht, auf das er in der HandshakeSMS ebenfalls hinzuweisen ist (§ 45l Abs 2 und 3 S 2 TKG). Die Kündigung eines Abonnements wird technisch in aller Regel durch Eingabe eines sog Stop-Codes realisiert 213. Sofern der Kunde von seinem Auskunftsanspruch gem § 45l Abs 1 S 1 TKG Gebrauch gemacht hat, stehen dem Anbieter Entgeltansprüche von mehr als € 20,– pro Kalendermonat nur zu, wenn er diesem Verlangen unverzüglich entsprochen hat (§ 45l Abs 1 S 2, 3 TKG).
§5 Pflichten des Anbieters Ist ein wirksamer Telekommunikationsvertrag im Endkundensegment zustande ge- 96 kommen, so entstehen beiden Parteien wechselseitige Verpflichtungen. Neben den für das jeweilige Schuldverhältnis typischen Haupt- und Nebenleistungspflichten (I.) treffen den Anbieter insbesondere kundeschutzspezifische Nebenpflichten nach Maßgabe der §§ 43a ff TKG (II.).
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I. Vertragliche Haupt- und Nebenleistungspflichten 97
Zunächst bürdet das begründete Vertragsverhältnis dem Anbieter vertragsspezifische Haupt- und Nebenleistungspflichten auf. Als Hauptleistungspflichten bezeichnet man dabei solche, die nach Vertragszweck und Parteiwille als wesentlich anzusehen sind 214, sprich, dem jeweiligen Vertrag sein typisches Gepräge geben 215. Damit die vertraglich vereinbarte Hauptleistung jedoch sachgerecht nutzbar oder verwertbar ist, kann es erforderlich sein, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Derartige Pflichten werden als Nebenleistungspflichten bezeichnet. Sie dienen der Vorbereitung und Sicherung der Hauptleistung 216. Die Hauptleistungspflichten des Anbieters werden regelmäßig in sog Leistungsbe98 schreibungen näher definiert, gelegentlich wird per AGB auch pauschal auf eine Leistungsbeschreibung Bezug genommen 217. So liegt die Hauptpflicht des Anbieters bei klassischen Telefondienstverträgen etwa darin, dem Kunden Zugang zum öffentlichen Telekommunikationsnetz zu eröffnen und ihm zu ermöglichen, unter Aufbau abgehender und Entgegennahme ankommender Telefonverbindungen mit anderen Teilnehmern eines Telefonfest- oder Mobilfunknetzes Sprache und sonstige Daten auszutauschen 218. Hiermit verbunden ist freilich die Pflicht, dem Vertragskunden auch die vereinbarte Rufnummer absprachegemäß zur Verfügung zu stellen 219, bei Mobilfunkverträgen ist dem Kunden die entsprechende SIM-Karte einschließlich dazu gehöriger PIN und PUK auszuhändigen 220. Je nach konkret vereinbartem Leistungspaket können die Hauptleistungspflichten variieren. Sind etwa Daten- oder im Rahmen von Mobilfunkverträgen Roamingdienste vertraglich vereinbart worden, so zählt auch deren Nutzungsmöglichkeit zu den Hauptpflichten des betreffenden Anbieters 221.
II. Kundenschutzspezifische Nebenpflichten 99
Neben den Haupt- und Nebenleistungspflichten des Anbieters, die allesamt auf schuldrechtlicher Vertragsgrundlage beruhen, bürden die §§ 43a ff TKG dem Anbieter zusätzliche kundenschutzspezifische Nebenpflichten auf, denen er sich nicht zulasten des Kunden entziehen kann (vgl § 47b TKG). Insoweit schränkt das TKG die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Beteiligten zugunsten des Kundenschutzes ein. Von wesentlicher Bedeutung sind insbesondere: 1. Informationspflichten
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Zunächst hat der TK-Unternehmer zahlreichen Informationspflichten nachzukommen. So schreibt § 43a TKG für Verbraucherverträge (vgl § 43a S 2 TKG) den Vertragsinhalt bereits insoweit vor, dass der Anbieter zwingend seinen Namen, ladungsfähige Anschrift sowie ggf Rechtsform, Sitz und Registergericht in den Vertrag aufzunehmen 214 215 216
217
Palandt/Grüneberg § 320 BGB Rn 4. Palandt/Heinrichs § 241 BGB Rn 5. Vgl Palandt/Heinrichs § 241 BGB Rn 5 sowie MünchKommBGB/Kramer § 241 BGB Rn 18 f. Zu Leistungsbeschreibungen selbst sowie zur Anwendbarkeit der §§ 305 ff BGB vgl bereits ausf § 1 III 2.
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218 219 220 221
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BGH NJW 2002, 361, 362. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 19 f. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 196 ff. Vgl auch Graf von Westphalen/Grote/Pohle 196.
§5
Pflichten des Anbieters
hat (§ 43a S 1 Nr 1 TKG). Dasselbe gilt im Hinblick auf Art und wesentliche Leistungsdaten der angebotenen Telekommunikationsdienste (Nr 2), voraussichtliche Bereitstellung des Anschlusses (Nr 3), angebotene Wartungs- und Entstördienste (Nr 4), Einzelheiten zu Preisen (Nr 5) sowie Bezugsquellen detaillierter Preisverzeichnisse (Nr 6). Ebenso sind Vertragslaufzeit (Nr 7), Voraussetzungen für Verlängerung und Beendigung des Bezugs entsprechender Dienste (Nr 8), etwaige Entscheidungs- und Erstattungsregelungen (Nr 9) und die zur Einleitung eines eventuellen außergerichtlichen Streitverfahrens (§ 47a TKG) praktisch einzuleitenden Schritte (Nr 10) im den Vertragstext aufzunehmen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem Endnutzer das Vergleichen von Angeboten zu erleichtern und auf diese Weise den Qualitätswettbewerb unter den Anbietern zu fördern 222. Bleiben die Informationen des TK-Unternehmers dagegen hinter den Anforderungen des § 43a TKG zurück und entstehen dem Nutzer aus der Nicht- oder Schlechterfüllung derartiger Informationspflichten irgendwelche Schäden, so hat der TK-Unternehmer entsprechend Ersatz zu leisten (§ 280 Abs 1 (ggf iVm § 311 Abs 2) BGB) 223. Daneben treffen den Anbieter gem § 45n TKG schon im Vorfeld allgemeine Informa- 101 tionspflichten. Hierzu zählen insbesondere Name und ladungsfähige Anschrift des Anbieters, von ihm angebotene Dienste, Preise, allgemeine Geschäftsbedingungen und grundlegende Rechte des Nutzers. Entsprechende Informationen sind zu veröffentlichen (§ 45n Abs 1 S 1 TKG). Hierdurch soll ein größeres Maß an Markttransparenz erreicht werden und dem Endnutzer eine zuverlässige Möglichkeit an die Hand gegeben werden, unterschiedliche Marktteilnehmer miteinander zu vergleichen 224. Gem § 45n Abs 3 S 1 TKG kann die Bundesnetzagentur in ihrem Amtsblatt jegliche Informationen veröffentlichen, die für den Endnutzer von Bedeutung sein können. Der weit gefasste Wortlaut der Norm soll der Regulierungsbehörde möglichst umfassenden Spielraum für eine eigene Informationspolitik eröffnen 225. Darüber hinaus verpflichtet § 45p TKG Anbieter solcher entgeltlicher Dienste, die 102 über die bloße Verbindungsleistung hinausgehen, den Endnutzer auf sein Verlangen hin über Grund und Gegenstand entsprechender Entgelte zu informieren. Diese Verpflichtung ist insbesondere für Mehrwertdiensteanbieter von Bedeutung 226. Sie fußt auf der Überlegung, dass der mit dem betreffenden Anbieter nicht identische Netzbetreiber regelmäßig keine entsprechenden Auskünfte zu geben vermag 227. 2. Anforderungen an den Netzzugang Ein Anbieter, der einem Endkunden einen Netzzugang zur Verfügung stellt, hat diesen 103 an einer mit dem Kunden zu vereinbarenden geeigneten Stelle zu installieren (§ 45d Abs 1 TKG). Darüber hinaus ist dem Kunden unentgeltlich die Möglichkeit zu gewähren, bestimmte Rufnummernbereiche sperren zu lassen (§ 45d Abs 2 S 1 TKG). Die netzseitige Anrufsperre ist ein probates Mittel, um einem hohen Forderungsaufkommen durch die Anwahl bestimmter Informationsdienste entgegenzuwirken. Hierbei hat der Gesetzgeber insbesondere an die Nummerngasse 0900 gedacht 228. Für die Freischaltung gesperrter Rufnummernbereiche steht es dem Anbieter hingegen frei, ein entsprechendes Entgelt zu verlangen (§ 45d Abs 2 S 2 TKG).
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So BT-Drucks 15/5213, 21. BerlKommTKG/Rugullis Anh I § 43a Rn 29. BerlKommTKG/Robert Anh I § 45n Rn 1; ebenso Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 361.
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BerlKommTKG/Robert Anh I § 45n Rn 24. BerlKommTKG/Robert Anh I § 45p Rn 5. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 363. Vgl BT-Drucks 16/2581, 25.
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5. Teil
3. Übermittlung von Kündigungserklärungen
104
Gem § 45d Abs 3 TKG hat es der Anbieter hinzunehmen, dass der das Vertragsverhältnis aufkündigende Kunde seine Kündigungserklärung nicht selbst überbringt, sondern diese durch einen anderen – seinen neuen – Anbieter übermitteln lässt. Die Vorschrift soll dem neu eröffneten Wettbewerb um Kundenverhältnisse auch im Bereich des allgemeinen Netzzugangs Rechnung tragen und – im Interesse der Kunden wie auch der neuen Anbieter – die ansonsten wettbewerbsrechtlich möglicherweise problematische Entgegennahme und Weiterleitung der Kündigung durch den neuen Anbieter ermöglichen 229. Hinsichtlich der zivilrechtlich relevanten Frage, wann die Kündigung denn wirksam wird, trifft § 45d Abs 3 TKG keine Aussage. Insoweit ist folglich bei den zivilrechtlichen Grundsätzen zu verbleiben. Die Kündigungserklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie wird folglich in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem „Noch“-Anbieter zugeht (§ 130 Abs 1 S 1 BGB) 230. Geht die Kündigung aus vom neuen Anbieter zu vertretenden Umständen dem bisherigen Vertragspartner verspätet zu, so kann der Kunde den neuen Anbieter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen 231. Da § 45d spezielle Regelungen für den Netzzugang des Endnutzers enthält, findet er keine Anwendung auf Konstellationen im Bereich der Betreiberauswahl iSd § 40 Abs 1 TKG 232. 4. Teilnehmerverzeichnisse
105
Verlangt der Teilnehmer in ein allgemein zugängliches Teilnehmerverzeichnis eingetragen zu werden, so hat der Anbieter dem nachzukommen (§ 45m Abs 1 S 1 TKG). Dabei muss es sich nicht um ein anbietereigenes Verzeichnis handeln; der Eintrag muss unentgeltlich erfolgen (§ 45m Abs 1 S 1 TKG). Unrichtige Einträge hat der Anbieter zu berichtigen (§ 45m Abs 1 S 2 TKG). Verlangt der Teilnehmer – soweit gesetzliche Vorschriften nicht entgegen stehen – die Eintragung von Mitbenutzern seines Zugangs, so hat der Anbieter auch dem zu entsprechen (§ 45m Abs 1 S 3 TKG). Wie der Wortlaut der Vorschrift eindeutig zum Ausdruck bringt, muss der Kunde – im Gegensatz zur alten Rechtslage – nun ausdrücklich bestimmen, ob und in welcher Form er in ein Teilnehmerverzeichnis eingetragen werden möchte (sog Antragsprinzip) 233. Diese Rechtsfolge ergibt sich mittelbar auch aus der datenschutzrechtlichen Vorschrift des § 104 S 2 TKG, wonach die Teilnehmer bestimmen können, welche Angaben in den Verzeichnissen veröffentlicht werden sollen 234. Entsprechende Pflichten hat der Anbieter auch Wiederverkäufern von Sprachdiensten gegenüber einzuhalten (§ 45m Abs 2 TKG). Wenn auch gem § 45m Abs 1 S 1 TKG die Eintragung dem Endnutzer gegenüber unentgeltlich zu erfolgen hat, so kann der Zugangsanbieter ein Entgelt sehr wohl vom Wiederverkäufer für die Eintragung eines Endnutzers fordern 235. Dies ergibt sich aus der Historie der Norm. So wurde in § 21 Abs 2 S 3 TKV 1997 der Endnutzer aus der Sicht des Zugangsanbieters noch als „Mitbenutzer“ angesehen. Dies ist nach aktuellem Gesetzesstand nun allerdings nicht mehr eindeutig, da § 45m Abs 2 bloß noch pauschal auf „die Ansprüche nach Abs 1“ verweist (so wörtlich). Die bis dahin bestehende Interessenlage ist allerdings die
229 230 231 232
BeckTKG-Komm/Piepenbrock § 45d Rn 9. BeckTKG-Komm/Piepenbrock § 45d Rn 9. BeckTKG-Komm/Piepenbrock § 45d Rn 9; Geppert/Ruhle/Schuster Rn 487. BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45d Rn 25.
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Vgl BeckTKG-Komm/Dahlke § 45m TKG-E 2005 Rn 11. So auch BeckTKG-Komm/Dahlke § 45m TKG-E 2005 Rn 16. BerlKommTKG/Robert Anh I § 45m Rn 22.
§5
Pflichten des Anbieters
gleiche geblieben, denn Kunden sollen der optimalen Erreichbarkeit wegen nach wie vor die Eintragung in Teilnehmerverzeichnisse ermöglicht werden 236. Für die Aufnahme in Verzeichnisse von Auskunftsdiensten gilt das Gesagte entsprechend (§ 45m Abs 3 TKG). 5. Einzelverbindungsnachweis Gem § 45e Abs 1 S 1 TKG kann der Teilnehmer von seinem/seinen Telekommunika- 106 tionsanbieter/n jederzeit und für die Zukunft die Ausstellung sog Einzelverbindungsnachweise verlangen. Normadressat ist sowohl der Teilnehmernetz- als auch der Verbindungsnetzbetreiber 237 unerheblich der zugrunde liegenden Übertragungstechnik (Festnetz/ Mobilfunknetz) 238. § 45e Abs 1 S 1 TKG definiert den Einzelverbindungsnachweis als eine nach Einzelverbindungen aufgeschlüsselte Rechnung, die zumindest die Angaben enthält, die für eine Nachprüfung der jeweiligen Teilbeträge erforderlich sind. Entsprechende Einzelheiten legt die Regulierungsbehörde fest (§ 45e Abs 2 S 1 TKG). Ihrer derzeitigen Auffassung nach muss ein Verbindungsnachweis im Sinne der Norm folgende Angaben enthalten: – Datum des jeweiligen Verbindungsbeginns 239 – Anschlussnummer, von der aus der jeweilige Verbindungsaufbau erfolgt ist 240 – Zielrufnummer 241 – Die Angabe des Entgelts für jede Einzelverbindung ist nach Auffassung der Bundesnetzagentur nicht immer erforderlich. Es genügt die Ausweisung der jeweiligen Tarifeinheiten. Soweit sich die Verbindungsentgelte nicht nach Tarifeinheiten errechnen, ist das Entgelt für jede Einzelverbindung allerdings anzugeben.242 – Beginn und Dauer des Anrufs 243 – Kostenpflichtige Entgelte, die von einem festen Betrag – etwa einem Mindestumsatz – abgerechnet werden, sind stets vollständig aufzuführen.244 Setzt sich das Entgelt sowohl aus zeitabhängigen als auch zeitunabhängigen Tarifen zusammen (sog Kombitarife), sind die Preisanteile nach § 66d Abs 2 S 2 TKG getrennt auszuweisen.245 Einen diesen Festlegungen entsprechenden Einzelverbindungsnachweis kann der 107 Kunde unentgeltlich verlangen (§ 45e Abs 2 S 2 TKG). Ein darüber hinausgehender „Komfort-Einzelverbindungsnachweis“ kann selbstverständlich vereinbart werden, ist aber meist kostenpflichtig 246. Zu unterscheiden ist der Einzelverbindungsnachweis iSd § 45e TKG von dem des § 45i TKG, der eine vorherige Beanstandung der Rechnung nach § 45i TKG voraussetzt und eine detaillierte Aufschlüsselung der einzelnen Verbindungsdaten sowie eine technische Prüfung der Vorgänge beinhaltet 247. Der Anspruch des 236 237
238 239 240 241
So BerlKommTKG/Robert Anh I § 45m Rn 22 mwN. Zur Begrifflichkeit von Teilnehmer- und Verbindungsnetzbetreiber s bereits oben § 4 I und II. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 17. RegTP, Mitt Nr 184/98, ABl RegTP 1998, 2008, 2009. RegTP, Mitt Nr 184/98, ABl RegTP 1998, 2008, 2009. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005, Rn 32 ff mwN.
242 243 244 245 246 247
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Reg-TP, Mitt Nr 184/98, ABl RegTP, 2008, 2012. Reg-TP, Mitt Nr 184/98, ABl RegTP, 2008, 2012. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 41 mwN. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 42 mwN. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 26. Vgl hierzu BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005, Rn 8.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
Endnutzers aus § 45e TKG erstreckt sich lediglich auf die im Rahmen der jeweiligen Vertragsbeziehung in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienste. Eine Übersicht über Verbindungsleistungen etwaiger Call-by-call oder Preselection-Anbieter ist bei diesen selbst einzufordern 248. Angesichts der Zunahme reiner Pauschaltarife (sog Flatrates) dürften Einzelverbindungsnachweise für die Zukunft jedoch eher an Bedeutung verlieren249.
§6 Pflichten des Kunden 108
Aus dem Telekommunikationsvertrag resultieren nicht nur Pflichten für den Anbieter sondern auch für den Endkunden. Auch seine Seite betreffend ergänzt und modifiziert das TKG die privatautonom getroffenen Vereinbarungen:
I. Entgeltpflicht 1. Grundlagen
109
Bestand die Hauptleistungspflicht des Anbieters in der Bereitstellung und Erbringung vereinbarter telekommunikativer Dienste, liegt diese auf der Seite des Kunden in der Zahlung der hierfür vereinbarten Entgelte. So wird in aller Regel bereits bei der Bereitstellung des Telefonanschlusses bzw der Freischaltung der SIM-Karte ein einmaliges Bereitstellungsentgelt fällig, dem daraufhin regelmäßig nutzungsunabhängige Grund- sowie nutzungsabhängige Verbindungsentgelte folgen. Verwendet der Kunde eine sog PrepaidKarte, so erfüllt dieser die ihn treffende Entgeltpflicht dadurch, dass er bzgl in Anspruch genommener Verbindungsleistungen in Vorlage tritt 250. Nicht zu den Hauptleistungspflichten zählen hingegen solche Zahlungspflichten des Kunden, die außerhalb des Synallagmas stehen, wie dies etwa bei De- und Reaktivierungsentgelten der Fall ist. 2. Postpaid- und Prepaid-Verträge
110
a) Überblick. Wann der Endkunde seiner Entgeltpflicht nachzukommen hat, bestimmt sich nach dem jeweils zugrundeliegenden Vertragsverhältnis. Es ist zwischen Postpaid- und Prepaid-Verträgen zu unterscheiden: 111 Haben die Parteien einen Festnetz- oder Mobilfunkvertrag mit nachträglicher – in aller Regel monatlicher – Rechnungslegung abgeschlossen, liegt ein sog Postpaid-Vertrag vor. Dem Kunden werden seinerseits in Anspruch genommene Telekommunikationsdienstleistungen periodenhaft nachträglich in Rechnung gestellt. Er zahlt also erst nach Inanspruchnahme der Leistung. Daher auch die Bezeichnung „postpaid“ (engl „post“ = nachträglich, danach; „pay“ = zahlen). Laufzeitverträge sind per definitionem also Postpaid-Verträge.
248 249
BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 19. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45e TKG-E 2005 Rn 47.
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250
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Vgl auch Graf von Westphalen/Grote/Pohle 206.
§6
Pflichten des Kunden
Bei Prepaid-Verträgen hingegen erbringt nicht der Anbieter, sondern der Kunde die 112 Vorleistung. Er zahlt ein gewisses Guthaben ein, welches er im Wege der Inanspruchnahme entsprechender Telekommunikationsleistungen aufzehren kann. Der Kunde leistet – anders ausgedrückt – Vorauskasse (engl „pre“ = vor-, vorab; „pay“ = zahlen). Prepaid lässt sich auf verschiedene Arten realisieren. Neben Überweisungsmodellen ist es gerade im Bereich des Mobilfunks gängige Praxis geworden, sein sog Guthabenkonto durch Erwerb einer Guthabenkarte in bestimmter Höhe dergestalt aufzuladen, dass ein auf der Karte freizurubbelnder Code nach Anwahl einer Servicenummer über die Mobiltelefontastatur eingegeben wird. Für den Festnetzbereich hingegen wäre die traditionelle Telefonkarte für die öffentliche Telefonzelle als Beispiel zu nennen. Daneben gibt es sog Calling Cards, welche es ermöglichen, durch Anwählen einer besonderen Diensterufnummer und nach Eingabe eines Codes beitragsmäßig limitierte Gespräche zu führen251. Insbesondere im Bereich des Mobilfunks erfreuen sich Vorauszahlungsprodukte 113 großer Beliebtheit. Sie gewährleisten nicht nur effektive Kostenkontrolle sondern bedienen auch die nicht zu vernachlässigende Schar an minderjährigen Mobilfunknutzern, denen in Deutschland nicht zuletzt wegen der gesetztlichen Regelungen zum Minderjährigenschutz (§§ 104 ff BGB) generell keine Mobilfunklaufzeitverträge angeboten werden. Auch können Kunden mit mangelnder Bonität bedient werden. Dies entspricht auch der noch relativ neuen Norm des § 45f S 1 TKG. Hiernach muss dem Endkunden ein Mindestangebot an Vorauszahlungsprodukten zur Verfügung stehen 252, um ihm die Möglichkeit zu geben, überhöhten Entgeltrechnungen vorzubeugen und Überschuldungsgefahren zu minimieren 253. b) Guthabenverfall. Auf besonderes juristisches Interesse stoßen immer wieder Klau- 114 seln einiger Prepaid-Anbieter, wonach ein vorhandenes Guthaben nur für eine begrenzte Zeit Gültigkeit haben soll. Die Rechtsprechung hat derartige Verfallsklauseln bislang einhellig als Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung und daher nichtig angesehen (§ 307 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 BGB) 254. Da es sich bei solchen Klauseln weder um kontrollfreie Leistungsbeschreibungen noch um Preisangaben handelt (§ 307 Abs 3 BGB), sind sie der Inhaltskontrolle der §§ 307–309 BGB nicht entzogen255. Demnach sind derartige Verfallsklauseln mitunter an § 307 Abs 1 S 1 BGB zu messen, der den Vertragspartner unangemessen benachteiligende AGB für unwirksam erklärt. Dies ist im Zweifel sowohl der Fall, wenn eine Bestimmung gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung verstößt (§ 307 Abs 2 Nr 1 BGB) als auch dann, wenn eine Bestimmung nicht klar verständlich ist (§ 307 Abs 1 S 2 BGB). Mit der Rechtsprechung sind beide Varianten als erfüllt zu betrachten: Einmal greift diese Klausel in das schuldrechtliche Verträge kennzeichnende Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung ein 256. Zum anderen verstößt eine solche gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs 1 S 2 BGB), da Prepaid-Leistungen generell als mindestumsatz- und grundgebührfrei vermarktet werden und so der Sache nach eine faktische Mindestumsatzverpflichtung verschleiern 257. Im Übrigen bejahte das OLG München im Hinblick darauf, dass der Verfall des Guthabens in beliebiger Höhe auch nach nur kurzer Ver251
252 253 254
BeckTKG-Komm/Dahlke § 45f TKG-E 2005 Rn 24; Schuster/Schmitz S 224, Rn 138 ff; S 226, Rn 147 ff. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45f TKG-E 2005 Rn 10. BT-Drucks 15/5213, 22. Vgl für den Bereich des Mobilfunks etwa OLG München NJW 2006, 2416 ff; OLG
255 256 257
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Köln WRP 2003, 1014 ff; LG Köln WRP 2003, 408 ff; hinsichtlich des Verfalls von Telefonkarten für öffentliche Fernsprecher vgl BGH NJW 2001, 2635 ff. Vgl exemplarisch OLG München NJW 2006, 2416, 2417. OLG München NJW 2006, 2416 f. OLG München NJW 2006, 2416, 2418.
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tragslaufzeit vorgesehen sei und so jedenfalls in bestimmten Fällen eine unangemessen hohe Vergütung vorsehe, auch einen Verstoß gegen § 308 Nr 7 BGB 258. Eine nachträgliche Befristung der Gültigkeitsdauer älterer Telefonkarten für öffent115 liche Fernsprecher unter Anrechnung unverbrauchter Guthabensätze hält das OLG Köln im Wege ergänzender Vertragsauslegung sowie gestützt auf § 315 BGB hingegen auch vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung259 für wirksam. Unmöglich könne ein durchschnittlicher Telefonkartenerwerber vor dem Hintergrund stetiger informationstechnischer Fortentwicklung, zu der der Betreiber allein schon aus Missbrauchsgesichtspunkten angehalten sei, von einer unbegrenzten Gültigkeit von Telefonkarten ausgehen (§§ 133, 157 BGB).260 3. Prinzip der Gesamtrechnung
116
Bislang war der Anschlussanbieter und Rechnungssteller gem § 15 Abs 1 TKV verpflichtet, dem Kunden eine sog Gesamtrechnung zu erstellen, dh nicht nur seine eigenen Entgeltforderungen sondern auch solche von Call-by-Call und Preselection-Anbietern auszuweisen. Diese Verpflichtung ist inzwischen weggefallen (vgl §§ 18 und 21 Abs 2 Nr 7 TKG). Erstellt der Anschlussinhaber dennoch eine Gesamtrechnung, so hat der jedoch weiterhin Namen und ladungsfähige Anschrift sowie kostenfreie Kundendienstetelefonnummern der einzelnen Anbieter und zumindest die Gesamthöhe der auf sie entfallenden Entgelte aufzuführen (§ 45h Abs 1 S 1 TKG). Die Zahlung des gesamten Rechungsbetrages hat für den Kunden auch gegenüber den übrigen auf der Rechnung aufgeführten Anbietern befreiende Wirkung (§ 45h Abs 1 S 3 TKG), begleicht er seine Rechnung hingegen nur teilweise und ist nichts Abweichendes vereinbart worden, sind entsprechende Teilzahlungen auf die in der Rechnung ausgewiesenen Forderungen anteilig zu verrechnen (§ 45h Abs 2 TKG). Auf die Möglichkeit, begründete Einwendungen gegen einzelne in der Rechnung gestellte Forderungen erheben zu können, ist der Empfänger der Rechnung in dieser hinzuweisen (§ 45h Abs 3 TKG). An die Begründungspflicht sind jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen. Es soll lediglich vermieden werden, dass sich der Kunde ihm obliegenden Zahlungspflichten unbegründet widersetzen kann261. 4. Fakturierung und Inkasso
117
Bezieht der Kunde Netzzugang, Verbindungsleistungen, Internet-, Daten- und sonstige Servicedienste von unterschiedlichen Anbietern, so ist diese Mehrparteienkonstellation von mehreren selbstständigen vertraglichen Schuldverhältnissen geprägt 262, woraus den einzelnen Anbietern jeweils eigene Entgeltansprüche gegen den Kunden zustehen. Ist die Deutsche Telekom AG nach aktueller Rechtslage auch nicht mehr dazu verpflichtet 263, erfolgt die Abrechnung sämtlicher über einen Teilnehmeranschluss in Anspruch genommenen Leistungen auch heute noch regelmäßig in einer einheitlichen Rechnung der Deutschen Telekom AG (sog Fakturierung). Sie zieht entsprechende Forderungen ihrer Wettbewerber auch ein (sog Inkasso). Waren die rechtlichen Grundlagen dieser Praxis bislang in § 15 TKV aF geregelt (Gesamtrechnung) bzw völlig unumstritten (Inkasso), beruhen derartige Leistungen heutzutage auf vertraglicher Grundlage und sub258 259 260 261
OLG München NJW 2006, 2416, 2418. BGH MMR 2001, 806. OLG Köln MMR 2007, 382 ff. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 387 sowie Rösler/Zagouras NJW 2002, 2930 f.
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262 263
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S hierzu bereits § 4 II 2 und 3. Siehe § 6 I 3.
§6
Pflichten des Kunden
sidiär auch der Kontrolle der Bundesnetzagentur (§ 21 Abs 2 Nr 7 TKG) 264. Im Rahmen des Inkasso ist zwischen zweierlei Verfahren zu differenzieren: a) Online-Billing. Beim Online-Billing-Verfahren legt der Teilnehmernetzbetreiber 118 den Endkundenpreis fest und fakturiert die Leistung dem Endkunden gegenüber als eigene, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Vom Kunden eingezogene Entgelte leitet der Teilnehmernetzbetreiber nach Abzug ihm aus der jeweiligen Zusammenschaltungsvereinbarung zustehender Aufwendungen dem jeweiligen Verbindungsnetzbetreiber zu, der – genauso wie der etwaige Mehrwertdienstanbieter – dem Endkunden gegenüber nicht in Erscheinung tritt. Das Risiko etwaiger Zahlungsausfälle liegt allein beim Teilnehmernetzbetreiber. Anwendung findet das Online-Billing-Verfahren derzeit im Rahmen der Abrechnung von Verbindungen zu 0137er und 0180er Nummern sowie Mehrwert(0900) und Auskunftsdiensten (118xy), die aus dem Mobilfunknetz getätigt werden.265 b) Offline-Billing. Beim sog Offline-Billing legt der Verbindungsnetzbetreiber die je- 119 weiligen Entgelte fest und entspricht hierbei ggf Vorgaben des Mehrwertdiensteanbieters. Die Abrechnung der Entgelte nimmt hingegen – wie schon beim Online-Billing – der Teilnehmernetzbetreiber nach Maßgabe des § 45h TKG vor 266, der auch die Kundenentgelte einzieht und an den Verbindungsnetzbetreiber weiterleitet. Mahnung und Inkasso obliegen hier weiterhin dem jeweiligen Verbindungsnetzbetreiber, der auch das Risiko eventueller Zahlungsausfälle zu tragen hat. Per Offline-Billing werden derzeit Preselection- und Call-by-Call-Verbindungen, Verbindungen zu Online-Diensten sowie 0900er-Verbindungen, die aus dem Festnetz hergestellt werden, abgerechnet.267 5. Entgelthöhe Was die Höhe vereinbarter Gegenleistungen für die Nutzung telekommunikativer 120 Dienste betrifft, so unterliegen Telekommunikationsverträge sowohl grundsätzlichen als auch besonderen – national- wie supranationalrechtlich geprägten – Regelungen: a) Grundsatz der Privatautonomie. Wie bei der privatrechtlichen Vertragsgestaltung 121 üblich, gilt auch bei Telekommunikationsverträgen zunächst der zivilrechtliche Grundsatz der Privatautonomie. Die Vereinbarung geldwerter Leistungen sowie deren Höhe liegt grds in Händen der Parteien. Verständigen sich die Parteien allerdings auf Entgelthöhen, die geeignet sind, dem leitenden Grundgedanken des TKG zuwider einen fairen, chancengleichen und nachhaltigen Wettbewerb zu gefährden oder Endnutzer in nicht billigenswerter Weise zu benachteiligen, so sind dem gesetzlich wie regulatorisch Grenzen gesetzt 268. b) Entgeltregulierung. Entgeltregulatorische Maßnahmen obliegen der Bundesnetz- 122 agentur (§§ 27 ff TKG). Neben allgemeinen Leitlinien und Bewertungskriterien, die zur Überprüfung und Bewertung von Entgelten gleichermaßen von Bedeutung sind, bezieht sich § 39 TKG im speziellen auf solche Entgelte, die dem Endkunden in Rechnung gestellt werden. Die §§ 30–38 TKG betreffen hingegen lediglich den Vorleistungsbereich. Sie berühren den Endkunden nicht unmittelbar. Die folgende Darstellung soll sich daher auf die Frage der Regulierung von Endkundenentgelten beschränken 269. 264 265 266 267
Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 390. Vgl insgesamt Ditscheid CR 2006, 316, 319 ff. Vgl hierzu bereits § 6 I 3. Vgl insgesamt Ditscheid CR 2006, 316, 319 ff.
268 269
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Vgl hierzu auch bereits § 1 I 3 sowie III 3. Zur Regulierung von Zugangsentgelten (§§ 30–38 TKG) vgl ausf etwa Holznagel/ Enaux/Nienhaus Rn 260 ff.
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123
Wie § 39 Abs 1 S 1 TKG bestimmt, sind Endkundenentgelte nur dann vorab („exante“) genehmigungspflichtig, wenn entsprechende Maßnahmen im Vorleistungsbereich 270 im Hinblick auf die Regulierungsziele des § 2 Abs 2 TKG nicht ausreichend erscheinen und der betreffende Markt eine negative Wettbewerbsprognose diagnostiziert (ultima ratio-Prinzip) 271. Sind diese allerdings erfüllt, so sind die Vorschriften über das Genehmigungsverfahren der Regulierung von Entgelten für Zugangsleistungen (§§ 31– 37 TKG) entsprechend anzuwenden (§ 39 Abs 1 S 3 TKG). Ob die Bundesnetzagentur die betreffenden Entgelte der Genehmigungspflicht unterwirft, steht in ihrem Ermessen 272. Treffen die Voraussetzungen des § 39 Abs 1 S 1 TKG hingegen nicht zu, sind in Frage 124 stehende Endkundenentgelte lediglich noch nachträglich, also „ex-post“, überprüfbar. § 38 Abs 4 TKG ist entsprechend anzuwenden. Prüfungsmaßstab ist § 28 TKG. Wenn eine obligatorische Anzeigepflicht auch nicht besteht, ist die Bundesnetzagentur unter Beachtung des § 39 Abs 1 S 1 TKG jedoch ermächtigt, eine solche anzuordnen (§ 39 Abs 2 S 3 TKG). Ist eine solche angeordnet, kann die Bundesnetzagentur die Einführung einer geplanten Entgeltmaßnahme untersagen, wenn sie offenkundig mit § 28 TKG nicht vereinbar wäre (§ 39 Abs 3 S 3 TKG). Um Wettbewerber in die Lage zu versetzen, Endkundenangebote eines dominanten Anbieters nachzubilden und zeitgleich mit diesem auf den Markt bringen zu können, bestimmt § 39 Abs 4 TKG, dass ein Unternehmen, das auf einem Endkundenmarkt über beträchtliche Marktmacht verfügt und verpflichtet ist, Zugang zu einer entsprechenden Zugangsleistung nach § 21 TKG zu gewähren, welche Bestandteile enthält, die gleichermaßen für ein Angebot auf dem Endkundenmarkt wesentlich sind, verpflichtet ist, gleichzeitig mit einer geplanten Entgeltmaßnahme im Endnutzerbereich ein Angebot für die jeweilige Vorleistung vorzulegen, das insbesondere den Vorgaben des § 28 TKG entsprechen muss (§ 39 Abs 4 S 1 TKG). Sofern das Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht kein solches Vorleistungsangebot vorlegt, kann die Bundesnetzagentur die Forderung des Endkundenentgelts ohne weitere Prüfung untersagen (§ 39 Abs 4 S 2 TKG). Man kann sich mit Fug und Recht fragen, was eine solche Regelung mit der Entgeltregulierung von Endnutzerleistungen zu tun hat. Die Regelung war bereits im Gesetzgebungsverfahren hoch umstritten, verquickt sie doch zwei Dinge miteinander – Vorleistungspflicht und geplante Entgeltmaßnahmen – die inhaltlich überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Problematisch ist weiterhin, dass eine solche Verpflichtung ihrem Wortlaut nach bereits eine entsprechende Zugangsverpflichtung voraussetzt. Dies dürfte gerade bei innovativen Produkten, auf welche die Norm aber gemünzt ist, in aller Regel nicht der Fall sein. Besteht eine entsprechende Zugangsverpflichtung noch nicht, läuft § 39 Abs 4 TKG mithin ins Leere 273. Die Norm scheint daher systematisch wie inhaltlich missglückt274. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Kunde auch bei abweichenden Vereinbarungen 125 nur die Seitens der Bundesnetzagentur genehmigten Entgelte zu zahlen hat (§§ 39 Abs 1 S 3; 37 Abs 2 TKG bzw §§ 39 Abs 3 S 1; 38 Abs 4 S 4; 37 Abs 2 TKG). 270 271
Zur Begrifflichkeit vgl bereits § 1 III 1. Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 301. Ausf Holznagel/Hombergs K&R 2003, 322 ff. Zu beachten bleibt jedoch, dass Endkundenentgelte der Anbieter von Sprachtelefondiensten zum Teil noch der Genehmigungspflicht nach § 25 TKG 1996 unterfallen, (§ 150
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272 273 274
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Abs 1 TKG), vgl EuGH Urteil vom 22.11.2007, C-262/06 MMR 2008, 94. Vgl Wortlaut „kann“ (§ 39 I 1 TKG). Vgl auch Holznagel/Enaux/Nienhaus Rn 305. So auch BeckTKG-Komm/Schuster-Ruhle § 39 Rn 41.
§6
Pflichten des Kunden
c) Sonstige gesetzliche Vorgaben. Neben den regulatorischen Vorgaben der Bundesnetzagentur sorgt auch das Gesetz selbst für eine angemessene Limitierung dem Kunden in Rechnung gestellter Entgelte. So legt § 66d TKG Preishöchstgrenzen fest, wonach der Minutenpreis grds € 3,– nicht überschreiten darf (§ 66d Abs 1 S 1 TKG). Dies gilt auch im Falle der Weitervermittlung durch einen Auskunftsdienst (§ 66d Abs 1 S 2 TKG). Die Abrechnung darf höchstens im 60-Sekunden-Takt erfolgen (§ 66d Abs 1 S 3 TKG). Zeitunabhängig abgerechnete Dienstleistungen über Premium-Dienste-Rufnummern dürfen € 30,– pro Verbindung grds nicht überschreiten (§ 66d Abs 2 S 1 TKG). Setzt sich der Preis aus zeitabhängigen und zeitunabhängigen Diensten gleichermaßen zusammen, sind die Entgelte jeweils anteilig auszuweisen (§ 66d Abs 2 S 2 TKG). Von § 66d Abs 1, 2 TKG abweichende Entgelte dürfen nur unter den Voraussetzungen von § 66 Abs 3 TKG gefordert werden. Einzelheiten regelt die Bundesnetzagentur. Ein weiterer Schutz vor überhöhten Telefonentgelten bietet § 66e TKG, wonach Verbindungen über Premium-Dienste- bzw Kurzwahl-Sprachdienste-Nummern – auch nach Weitervermittlung – grds nach spätestens sechs Minuten zu trennen sind (§ 66e Abs 1 TKG). Längere Verbindungen setzen eine geeignete Legitimation des Endnutzers voraus (§ 66e Abs 2 S 1 TKG). Entsprechende Anforderungen bestimmt die Bundesnetzagentur. Weiteren Schutz vor einer erhöhten Rechnung bieten dem Kunden die Registrierungspflichtigkeit von Dialern (§ 66f TKG), die Erfassung und Veröffentlichung von (0)900er Rufnummern (§ 66h TKG) sowie § 66i TKG, der es verbietet, dem Kunden im Rahmen sog R-Gespräche andere als die für die reine Verbindungsleistung anfallenden Entgelte in Rechnung zu stellen. Zu besagten Normen wurde bereits im Rahmen der Mehrwertdienste ausführlich Stellung bezogen 275. Im Übrigen statuieren §§ 66a–66c TKG deutliche Preisangabe, -ansage- und -anzeigepflichten. Verstöße gegen §§ 66a ff TKG führen unter den Voraussetzungen des § 66g TKG zum Wegfall der Entgeltzahlungspflicht des Kunden. Die §§ 66a ff – und mithin auch § 66g – TKG gelten auch dann, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden (§ 66l TKG). Für den Bereich des Mobilfunks gilt seit 30.6.2007 überdies die sog Roaming-Verordnung 276, wodurch der europäische Gesetzgeber im Wege legislativer Festsetzung verbindlicher Höchstgrenzen für sog Roaming-Tarife erstmals unmittelbar in die Tarifgestaltung der Telekommunikationsdiensteanbieter eingreift 277. Roamingdienste ermöglichen es dem Kunden über die eigene SIM-Karte auch im Ausland zu telefonieren, wobei der nationale Mobilfunkbetreiber hierbei auf Netze ausländischer Betreiber zurückgreift. Die hierfür unter den Netzbetreibern vereinbarten als auch dem Kunden letztlich in Rechnung gestellten Entgelte überstiegen in der Vergangenheit nach Einschätzung des Verordnungsgebers die Bereitstellungskosten in nicht gerechtfertigter Weise. Dem soll die Verordnung begegnen 278. Hiervon ausgehend beschränkt sie in Art 3 Abs 1 zunächst das durchschnittliche Großkundenentgelt auf € 0,30 pro Minute, einschließlich der Kosten für Verbindungsaufbau, Transit und Anrufzustellung. Diese Beträge sinken am 1.8.2008 auf € 0,28 und zum 1.8.2009 auf € 0,26 (Art 3 Abs 2). Zur Berechnung des durchschnittlichen Großkundenentgeltes macht Abs 3 entsprechende Angaben. Endkundenentgelte betreffend regelt Art 4 der Verordnung den sog „Eurotarif“. Dieser darf € 0,49 pro Minute für abgehende und € 0,24 für eingehende Gespräche nicht überschreiten. Zum 30.8.2008 findet eine weitere Ermäßigung auf € 0,46 bzw € 0,22, zum 30.8.2009 auf
275 276 277
§ 3 II 3c). ABl L 171/32. Ausf Berger-Kögler MMR 2007, 294.
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Eine Ausweitung auf Daten-Roaming ist momentan noch in Planung.
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5. Teil
€ 0,43 bzw € 0,19 statt (Art 4 Abs 2). Bestandskunden haben die Möglichkeit, zwischen dem Eurotarif und einem anderen Roaming-Tarif zu wählen. Haben diese innerhalb der in Art 4 Abs 3 bezeichneten Frist keine Entscheidung mitgeteilt, wird automatisch ein Eurotarif gewährt. Die Vereinbarung eines zeitunabhängigen pauschalen Roamingentgelts steht den Anbietern weiterhin jedoch frei. Außerdem treffen den Anbieter gem Art 6 besondere Informationspflichten. Er hat grds jeden Teilnehmer schon bei der Einreise in einen anderen Mitgliedstaat über anfallende Roamingentgelte (inklusive Mehrwertsteuer) per Kurznachricht zu informieren (Art 6 Abs 1). Weiterhin schreibt Art 6 Abs 2 vor, dass der Teilnehmer die Möglichkeit haben muss, kostenlos ausführliche personalisierte Preisinformationen abzurufen. Entsprechende Informationspflichten bestehen schon bei Vertragsschluss. Werden Roamingentgelte aktualisiert oder geändert, sind die Kunden hierüber ohne unnötige Verzögerungen zu unterrichten (Art 6 Abs 3). Der Gefahr überhöhter Entgelte im Rahmen der Nutzung von Kurzwahldiensten 130 beugt § 45l TKG vor 279. Ebenso wirkt § 45f TKG überraschend hohen Verbindungsentgelten entgegen. Hier131 nach hat dem Endkunden stets die Möglichkeit offen zu stehen, auf Vorauszahlungsbasis Zugang zum öffentlichen Telefonnetz zu erhalten oder öffentlich zugängliche Telefondienste in Anspruch nehmen zu können. Dem wird durch Calling-Cards im Festnetzbereich sowie Prepaid-Karten im Mobilfunkbereich angemessen Rechnung getragen 280. Neben den speziellen Vorschriften des TKG versteht auch das BGB unangemessen 132 hohe Entgelte zu unterbinden. Überwucherte bzw sittenwidrige Entgelte können zur Nichtigkeit entsprechender vertraglicher Vereinbarungen führen (§ 138 BGB) 281. Dasselbe gilt im Falle des Verstoßes gegen Verbotsnormen (§ 134 BGB). Ist der Kunde durch Täuschung oder Drohung zum Vertragsschluss bewogen worden, so kann er gem § 123 BGB anfechten 282. Vereinbarte Entgelte unterliegen als Hauptleistungspflichten jedoch nicht der Inhaltskontrolle der §§ 307–309 BGB, Zahlungsmodalitäten hingegen sehr wohl. Dies betrifft insbesondere Klauseln, wonach der Kunde sich verpflichtet, am Lastschriftverfahren teilzunehmen 283. Die Frage welche Lastschriftklausel in welcher konkreten Ausprägung den Kunden unangemessen benachteiligt, wird äußerst kontrovers diskutiert 284. Der BGH hingegen hält Lastschriftklauseln selbst für den Fall, dass dem Endkunden nur gegen weiteres Entgelt alternative Zahlungsmöglichkeiten eingeräumt werden, AGB-rechtlich stets dann für zulässig, wenn dem Kunden zwischen Zugang der Rechnung und Einziehung des Rechnungsbetrages mindestens fünf Werktage verbleiben, die Rechnung sorgfältig zu prüfen und für ausreichende Kontodeckung sorgen zu können285. Eine Bearbeitungsgebühr für Rücklastschriften ist im Hinblick auf § 309 Nr 5b) BGB hingegen als unzulässige Pauschalierung abzulehnen 286. 6. Einwendungen gegen die Rechnung
133
a) Grundlagen. Ist der Kunde mit der Höhe ihm in Rechnung gestellter Verbindungsentgelte nicht einverstanden und will er diese nicht gegen sich gelten lassen, so kann er 279 280 281 282
283
Vgl hierzu ausf bereits § 4 III 4. S hierzu bereits ausf § 6 I 2. Vgl hierzu bereits § 4 III 3. Zur Frage automatisierter Vertragsschlüsse durch Einwahlprogramme (sog Dialer) vgl § 3 II 3c). Vgl BGH NJW 2003, 1237, 1238 sowie BGH NJW 1996, 988.
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Vgl exemplarisch OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 374, 377 f; Heun/Leitermann Teil 5 Rn 150 ff; Graf von Westphalen/Grote/Pohle 110 f; konträr dazu etwa LG Düsseldorf NJW-RR 1996, 308, 309; Hahn MMR 1999, 586, 588. BGH NJW 2003, 1237, 1239. OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 1716.
§6
Pflichten des Kunden
sich hiergegen zur Wehr setzen. Wie er vorgehen kann, wie Beweispflichten und Haftungsradien verlaufen und was zu tun ist, wenn sich das tatsächliche Verbindungsaufkommen nicht (mehr) ermitteln lässt, das versuchen § 45i und § 45j TKG einer Klärung zuzuführen. Im Einzelnen gilt Folgendes: b) Entgeltnachweis und technische Prüfung. Zunächst hat der Endkunde die betref- 134 fende Abrechnung zu beanstanden (§ 45i Abs 1 S 1 TKG). Hierfür einzuhaltende Fristen bemessen sich grds nach den Vereinbarungen der Parteien, die jedoch – so stellt es § 45; Abs 1 S 1 TKG klar – nicht kürzer als acht Wochen bemessen sein dürfen. In der Praxis gängig – und im Rahmen der einschlägigen AGB-rechtlichen Regelungen im Übrigen ausdrücklich zulässig 287 – sind sog Einwendungsausschlussklauseln im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen. Kürzere Beanstandungsfristen sind vor dem Verbot geltungserhaltender Reduktion regelmäßig unwirksam (§ 306 BGB) 288. Der Zugang der Rechnung setzt den Fristlauf in Gang (§ 45i Abs 1 S 1 TKG). Hier trifft den Anbieter – entsprechend dem zivilprozessualen Grundsatz, dass derjenige, der einen Anspruch geltend macht, entsprechend Beweis über die diesen stützenden Tatsachen zu erbringen hat – die Beweislast 289. Form- und Fristgemäßheit der Beanstandung fällt demgegenüber in die Beweispflicht des Kunden. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die AGB der Anbieter Beanstandungen häufig der Schriftform unterwerfen. Unabhängig von der AGB-rechtliche Zulässigkeit dieser Regelungen dürfte vor dem Hintergrund des § 127 Abs 2 BGB nicht stets ein eigenhändig unterzeichnetes Beanstandungsschreiben (§§ 126; 127 Abs 1 BGB) erforderlich sein. Vielmehr wird – soweit ein entgegenstehender Wille des Anbieters nicht ersichtlich ist – ebenso die telekommunikative Übermittlung eines solchen ausreichen, dies zumindest in den Fällen, in denen der Anbieter dem Endnutzer im Rahmen der Vertragsabwicklung Faxnummer oder E-Mail-Adresse (zB auf der Rechnung) bekannt gegeben hat 290. Angesichts der ihn treffenden Beweislast und der Problematik um die Beweisbarkeit des Zugangs von E-Mails ist dem Kunden jedoch eher zu einem Einschreiben zu raten 291. Im Übrigen ist auch darauf zu achten, dass der Kunde seine Beanstandung zwar nicht begründen muss, dem Regelungszweck der Norm zufolge aber dennoch gehalten ist, den Anbieter auf seinerseits vermutete Abrechnungsfehler nachvollziehbar hinzuweisen, um diesem entsprechend Gelegenheit zur Nachprüfung zu geben 292. Seiner Erklärung muss sich zumindest andeutungsweise entnehmen lassen, dass er die Verbindungspreise beanstandet 293. Die bloße Einstellung von Zahlungen ist nicht ausreichend 294. Hat der Kunde die Abrechnung ordnungsgemäß beanstandet, so ist der Anbieter ver- 135 pflichtet, das in Rechnung gestellte Verbindungsaufkommen in Form eines Entgeltnachweises nach den einzelnen Verbindungsdaten aufzuschlüsseln und eine technische Prüfung durchzuführen (§ 45i Abs 1 S 2 TKG). Sowohl Entgeltnachweis als auch Ergebnisse der technischen Prüfung sind dem Kunden innerhalb von acht Wochen nach der Beanstandung auf Verlangen vorzulegen (§ 45i Abs 1 S 3 TKG). Lässt der Anbieter diese Frist
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289
290
Vgl BT-Drucks 16/2581, 26. Hk-BGB/Schulte-Nölke § 306 BGB Rn 4; BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 8; BGH MMR 2004, 602, 603; Palandt/ Heinrichs Vorbem vor § 307 BGB Rn 8. Palandt/Heinrichs § 130 BGB Rn 21; BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 12. Palandt/Heinrichs § 127 BGB Rn 2, § 126b
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BGB Rn 3; BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 12. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 12. So BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 15. BGH MMR 2004, 602, 604. BGH MMR 2004, 602, 604.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
verstreichen, erlöschen seine bis dahin entstandenen Ansprüche aus Verzug; eine mit der Abrechnung geltend gemachte Forderung wird erst im Zeitpunkt der Vorlage fällig (§ 45i Abs 1 S 4 TKG). Vorgaben zum Verfahren der technischen Prüfung veröffentlicht die Bundesnetzagentur (§ 45i Abs 1 S 5 TKG). Ob sich aus dieser Formulierung auch eine Befugnis der Bundesnetzagentur, Standards verbindlich festzulegen, ableiten lässt, ist nicht eindeutig295. Beruht die Beanstandung nachweislich nicht auf einem technischen Mangel (sondern 136 etwa auf der Zugrundelegung eines falschen Tarifs 296), ist der Anbieter von der Pflicht zur technischem Prüfung befreit (vgl § 45i Abs 1 S 2 aE TKG), zur Erstellung eines die einzelnen Telekommunikationsverbindungen aufschlüsselnden Entgeltnachweises bleibt der Anbieter hingegen weiterhin verpflichtet 297. Wurden aus technischen Gründen keine Verkehrsdaten gespeichert oder gespeicherte Daten nach Verstreichen in § 45i Abs 1 TKG genannter oder mit dem Anbieter vereinbarter Fristen oder auf Grund rechtlicher Verpflichtung bereits gelöscht, trifft den Anbieter weder eine Nachweispflicht über die erbrachten Verbindungsleistungen noch eine Auskunftspflicht hinsichtlich einzelner Verbindungen (§ 45i Abs 2 S 1 TKG). Dasselbe gilt für den Fall, dass der Teilnehmer unter deutlichem Hinweis auf beschriebene Rechtsfolgen den Anbieter ausdrücklich zur Löschung entsprechender Daten angewiesen oder ihm schon die Speicherung solcher verboten hat (§ 45i Abs 2 S 2 TKG). In Ergänzung von Darlegungs- und Beweislastverteilung und allgemeinen Grundsät137 zen bestimmt § 45i Abs 3 S 1 TKG weiterhin, dass es Sache des Anbieters ist, nachzuweisen, dass er den Telekommunikationsdienst oder den Zugang zum Telekommunikationsnetz bis zu dem Übergabepunkt, an dem dem Teilnehmer der Netzzugang bereitgestellt wird, technisch fehlerfrei erbracht hat. Mängel oder Fehler an technischen Einrichtungen sind also dem Einfluss- und Verantwortungsbereich des Anbieters zuzurechnen. Die Beweislastverteilung entspricht mithin der tatsächlich bestehenden Risiko- und Einflusssphäre 298. Daher treffen den Anbieter derartige Nachweispflichten auch bzgl Netzkomponenten Dritter, derer er sich lediglich bedient 299. Bringt die technische Prüfung nach § 45i Abs 1 TKG Mängel zutage, die sich auf die Berechnung des beanstandeten Entgelts zu Lasten des Teilnehmers möglicherweise ausgewirkt haben können, so wird widerleglich vermutet, dass das in Rechnung gestellte Verbindungsaufkommen unrichtig ist; dasselbe gilt für den Fall, dass zwischen Beanstandung und Abschluss der technischen Prüfung mehr als zwei Monate vergehen (§ 45i Abs 3 S 2 TKG). Die Unrichtigkeitsvermutung entlastet den Endnutzer somit vom Kausalitätsnachweis, dass sich festgestellte technische Mängel auch tatsächlich auf das in Rechnung gestellte Verbindungsentgelt nachteilig ausgewirkt haben 300. Kann der Anbieter hingegen nachweisen, dass die geforderten Verbindungsentgelte trotz technischer Mängel ordnungsgemäß ermittelt wurden, so kann er die Vermutung des § 45i Abs 3 S 2 TKG widerlegen. Gelingt ihm dies, ist er auch berechtigt, entsprechende Entgelte zu fordern. § 45i TKG gilt nunmehr ausdrücklich auch für Prepaid-Produkte 301.
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Dies bejahend BT-Drucks 16/2581, 26; ebenso Pohle/Dorschel CR 2007, 153, 157; vorsichtig hingegen Schlotter JurPC WebDok 148/2007, Abs 87 sowie BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45i Rn 20. So das Beispiel der BT-Drucks 16/2581, 26. So auch Schlotter JurPC Web-Dok 148/2007, Abs 83 ff.
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BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 32. BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45i Rn 16 sowie Schlotter JurPC Web-Dok 148/2007, Abs 90. BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 35. BT-Drucks 16/2581, 26.
§6
Pflichten des Kunden
c) Zahlung des Durchschnittsbetrages. Wird nach § 45i Abs 3 S 2 TKG vermutet, dass das in Rechnung gestellte Verbindungsaufkommen unzutreffend ist und lässt sich das tatsächliche Verbindungsaufkommen nicht (mehr) ermitteln, so verbleibt dem Anbieter lediglich noch ein Anspruch auf Zahlung eines Teilbetrages, der sich an dem durchschnittlichen Entgelt der sechs vorangegangenen Abrechnungszeiträume orientiert (§ 45j Abs 1 S 1 TKG). Der Ermittlung des Durchschnittsbetrages sind lediglich die nutzungsabhängigen Entgelte zugrunde zu legen 302. Nutzungsunabhängige Fixkosten – wie etwa Grundgebühren – können nicht Gegenstand einer Durchschnittsberechnung gem § 45j Abs 1 S 1 TKG werden, da es hier schon nicht zu Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe kommen kann 303. Sind in der Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Teilnehmer bisweilen weniger als sechs Monate unbeanstandet geblieben, stützt sich die Durchschnittsberechnung auf die verbleibenden Abrechnungszeiträume (§ 45j Abs 2 S 1 TKG). Bestanden bei vergleichbaren Umständen in den entsprechenden Abrechnungszeiträumen der Vorjahre niedrigere Entgeltforderungen, treten diese an die Stelle der durchschnittlich berechneten (§ 45j Abs 2 S 2 TKG). Vergleichbare Umstände sind bspw bei Urlaub oder Auslandsaufenthalten in den entsprechenden Abrechnungszeiträumen der Vorjahre anzunehmen 304. Gelingt dem Teilnehmer allerdings der Nachweis, dass er in dem in Frage stehenden Abrechnungszeitraum den Netzzugang nur unterdurchschnittlich oder gar überhaupt nicht genutzt hat, hat die Durchschnittsberechnung zu unterbleiben (§ 45 Abs 1 S 2 TKG). Dasselbe gilt, wenn den Umständen nach erhebliche Zweifel verbleiben, ob dem Teilnehmer die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen überhaupt zugerechnet werden kann (§ 45 Abs 1 S 3 TKG). Fordert der Anbieter den Kunden auf Grundlagen einer Durchschnittsberechnung berechtigterweise zur Zahlung auf, so sind Letzterem auf die beanstandete Forderung zu viel gezahlte Entgelte spätestens zwei Monate nach erfolgter Beanstandung zu erstatten (§ 45j Abs 3 TKG) 305.
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d) Haftung des Anschlussinhabers. Die Nutzung des Netzzugangs fällt generell in 142 den Gefahren- und Risikobereich des Endnutzers und so kommt es, dass dieser fehlerfrei erbrachte und korrekt abgerechnete Leistungen grds auch entsprechend zu vergüten hat. Aus Gründen des Kundenschutzes hat sich der Gesetzgeber jedoch entschieden, gewisse Risikofaktoren dem Anbieter aufzuerlegen und diesem unter bestimmten Umständen trotz ordnungsgemäßer Leistung und Abrechnung dennoch geldwerte Ansprüche ausnahmsweise zu versagen 306 (vgl § 45i Abs 4 TKG). So bürdet zunächst § 45i Abs 4 S 1 TKG dem Anbieter das Kostenrisiko insoweit auf, 143 als dass der Teilnehmer nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen nicht zurechenbar ist. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der Endnutzer die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen weder selbst schuldhaft (§ 276 BGB analog) noch durch einen Dritten, dem er Zugang zum Telekommunikationsnetz eingeräumt hat, zurechenbar schuldhaft (§ 278 BGB analog) veranlasst worden ist 307. Dem Telekommunikationsvertrag entspringen auf Grund seines Dauerschuldcharakters jedoch besondere Treuepflichten, die im Interesse einer störungsfreien Leistungsabwicklung von
302 303 304 305
BeckTKG-Komm/Dahlke § 45j TKG-E 2005 Rn 8. BerlKommTKG/Robert Anh I § 45j Rn 9. BT-Drucks 16/2581, 26. Vgl auch BT-Drucks 16/2581, 26.
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BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 36 und 38. Vgl BGH JurPC Web-Dok 179/2004, Abs 10 ff sowie BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45i Rn 29.
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5. Teil
beiden Parteien einzuhalten sind 308 und dem Endnutzer insbesondere Sorgfaltspflichten dahingehend auferlegen, durch geeignete Vorkehrungen eine missbräuchliche Nutzung seines Telekommunikationsanschlusses zu verhindern 309. Über die Angemessenheit entsprechender Maßnahmen können nur die Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheiden. Unbefugte Nutzungen durch Familien-, Haushalts- oder Betriebsangehörige wird sich der Endkunde wohl stets zurechnen lassen müssen 310. Trotz angemessener Vorsichtsmaßnahmen nicht vermeidbare Missbräuche durch Dritte werden dem Endkunden hingegen regelmäßig nicht zurechenbar sein 311. Darüber hinaus schließt § 45i Abs 4 S 2 TKG eine Haftung für in Rechnung gestellte 144 Entgelte auch insoweit aus, als dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Dritte durch unbefugte Veränderungen an öffentlichen Telekommunikationsnetzen das in Rechnung gestellte Verbindungsentgelt beeinflusst haben. Wie aus dem Wortlaut ersichtlich, ist es nicht erforderlich, dass entsprechende Maßnahmen Dritter, die in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte tatsächlich beeinflusst haben. Es genügt bereits, wenn der Endnutzer Tatsachen darlegt und beweist, die entsprechende Verdachtsmomente begründen 312. Über diesen in § 45i Abs 4 S 2 TKG verkörperten Rechtsgedanken, der an für sich § 16 Abs 3 S 3 TKV aF entstammt, löste der BGH in der Vergangenheit auch solche Rechtsfälle, in denen ein automatisches Einwahlprogramm auf dem Computer des Anwenders heimlich installiert worden war, welches für diesen unbemerkt Internetverbindungen über teure Mehrwertdiensterufnummern herstellte (sog Dialer) 313. Nunmehr ordnet § 66g Nr 5 TKG an, dass Endnutzer solche Verbindungsentgelte, die über § 66f TKG zuwider betriebene Dialer verursacht worden sind, nicht zahlen müssen 314. 7. Zahlungsverzug und Entgeltsperre
145
Da Zahlungspflicht des Kunden und Leistungspflicht des Anbieters im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, berechtigt § 320 Abs 1 BGB den Anbieter für den Fall, dass der Kunde seiner Zahlungspflicht nicht mehr nachkommt, seinerseits zur Verweigerung der Leistung. Entsprechende Leistungsverweigerungsrechte sind in den AGB des Anbieters regelmäßig enthalten. Sie verklauseln allgemeine Prinzipien des Schuldrechts und sind AGB-rechtlich im Grundsatz daher nicht zu beanstanden 315. Verweigert der Anbieter seine Leistung durch Sperrung des Zugangs, so gilt für den „Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste […] an festen Standorten“ 316 – ausgenommen ist also der Mobilfunkanbieter 317 – § 45k TKG, der dem grds bestehenden Leistungsverweigerungsrecht des Anbieters im Sinne des Kundenschutzes Grenzen setzt. Demnach darf der Anbieter den Kunden nur sperren, wenn dieser sich nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit mindestens € 75,– in Verzug befindet (§§ 280 Abs 1, 2; 286 BGB), die Sperrung mindestens zwei Wochen zuvor schriftlich angedroht und der Kunde hierbei darauf hingewiesen
308 309 310 311 312
Palandt/Grüneberg § 314 BGB Rn 2 sowie Palandt/Heinrichs § 242 BGB Rn 32. Vgl BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 39. Vgl BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 39. Vgl BeckTKG-Komm/Dahlke § 45i TKG-E 2005 Rn 39. BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45i Rn 30. Ausf zur Verantwortlichkeit und Haftung für die Nutzung von Telekommuni-
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kationsanschlüssen Pohle/Dorschel CR 2007, 628 ff. S BGH MMR 2004, 308 ff. Vgl hierzu bereits § 3 II 3c). Graf von Westphalen/Grote/Pohle 238 ff. So der Wortlaut des § 45k I 1 TKG. Ditscheid MMR 2007, 210, 214; BeckTKGKomm/Dahlke § 45k Abs 1 S 1 TKG-E 2005 Rn 6; BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45k Rn 7.
§7
Vertragsbeendigung
wurde, dass dieser die Möglichkeit habe, hiergegen Rechtsschutz vor den Gerichten zu suchen (§ 45k Abs 2 S 1 TKG). Seitens des Teilnehmers form-, fristgerecht und schlüssig begründet beanstandete Beträge haben bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben, sofern betreffende Forderungen nicht bereits tituliert sind (§ 45k Abs 2 S 2 TKG). Schlüssig begründet sind Forderungen dann, wenn sie die Rechnungshöhe nicht bloß pauschal in Frage stellen, sondern konkrete Rechnungspositionen unter Angabe von Gründen bestritten werden 318. Ist die Schlüssigkeit einer Beanstandung streitig, darf eine Sperre nur erfolgen, wenn der Anbieter den Kunden zuvor zur vorläufigen Zahlung eines Durchschnittsbetrages nach § 45j TKG aufgefordert hat und der Teilnehmer diesen nicht binnen zwei Wochen zum Ausgleich gebracht hat (§ 45k Abs 2 S 3 TKG) 319. Steigt hingegen das Verbindungsaufkommen sowie die Höhe damit einhergehender 146 Entgeltforderungen sprunghaft an, darf der Anbieter eine Sperrung vornehmen. Dies gilt jedoch nur, wenn zugleich Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Endnutzer werde jene Entgelte tatsächlich auch beanstanden 320. Zum Vergleich sind die Abrechnungen der vergangenen sechs Monate heranzuziehen (§ 45k Abs 4 TKG). Darüber hinaus ist der Anbieter bei wiederholten oder schwerwiegenden Verstößen des Teilnehmers gegen gesetzliche Verbote unter kurzer Fristsetzung zu Sperrmaßnahmen berechtigt (§ 45k Abs 1 S 1 iVm § 45o TKG). Der Sperrung hat eine Abmahnung vorauszugehen (§ 45o S 3 TKG). Notrufdienste müssen unangetastet bleiben (§ 45k Abs 1 S 2 iVm § 108 Abs 1 TKG).
II. Nebenpflichten Neben der Pflicht zur Zahlung entsprechender Bereitstellungs- und Nutzungsentgelte 147 treffen den Endkunden regelmäßig weitere vertragsimmanente und AGB-rechtlich vereinbarte Nebenpflichten, insbesondere Mitteilungs- und Hinweispflichten. So ist der Kunde etwa regelmäßig verpflichtet, seinen Vertragspartner über etwaige Änderungen von Name, Anschrift oder Bankverbindung unverzüglich zu unterrichten. SIM-Karten sind vor unberechtigten Zugriffen Dritter zu schützen, PIN- und PUK geheim zu halten. Dasselbe gilt für Access-Zugangsdaten und Passwörter. Unberechtigte Kenntnisnahmen oder Nutzungen sind regelmäßig unverzüglich anzuzeigen, etwaige Kartendiebstähle unverzüglich zu melden 321.
§7 Vertragsbeendigung I. Grundlagen Die Beendigung eines Telekommunikationsvertrages setzt regelmäßig die Kündigung 148 desselben voraus. In der Praxis wird der Kunde üblicherweise per AGB ermächtigt, das Vertragsverhältnis nach Ablauf einer Mindestvertragslaufzeit und Beachtung gewisser 318 319 320
BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45i Rn 9. Schlotter JurPC Web-Dok 148/2007, Abs 101. S auch BeckTKG-Komm/Dahlke § 45k TKG-E 2005 Rn 28.
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Vgl ausf etwa zu Nebenpflichten im Rahmen von Mobilfunkverträgen Graf von Westphalen/Grote/Pohle 217 ff.
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Kündigungsfristen einseitig auflösen zu können. Neben sog Laufzeitklauseln, die sich mit dem Einzug von Bündelangeboten (Telefondienstvertrag nebst Hardware, zB Router) schon lange nicht mehr bloß auf Mobilfunkverträge beschränken, werden in diesem Zusammenhang immer auch wieder Fragen wie der Wechsel des Verbindungsnetzbetreibers, Deaktivierungsentgelte aber auch der Verfall von Prepaid-Guthaben diskutiert.
II. Einzelfragen 1. Wechsel des Telekommunikationsanbieters
149
Viele alternative Telekommunikationsanbieter werben inzwischen damit, Neukunden bei der Kündigung ihrer bisherigen Telekommunikationsverträge behilflich sein zu wollen. Diese Möglichkeit unterstützt § 45d Abs 3 TKG 322, wonach der das Vertragsverhältnis aufkündigende Kunde seine Kündigungserklärung ausdrücklich durch seinen neuen Anbieter übermitteln lassen kann. Die Norm dient dem Wettbewerb im Kundeninteresse 323 und sichert den Übermittlungsakt des neuen Anbieters wettbewerbsrechtlich ab 324. Darüber hinaus hat der BGH inzwischen klargestellt, dass die dauerhafte Voreinstellung eines Endkundenanschlusses auf das Netz des neuen Verbindungsnetzbetreibers (sog Preselection 325) seitens der Deutschen Telekom AG nicht von einer entsprechenden schriftlichen Erklärung des Kunden abhängig gemacht werden darf. Eine solche Vorgehensweise sei weder vor dem Hintergrund etwaiger Missbrauchsgefahren noch aus einer entsprechenden Anwendung des § 174 BGB gedeckt und diskriminiere den Wettbwerber in nicht hinnehmbarer Weise iSd § 42 Abs 1 S 2 TKG, da für eine Rückumstellung auf das eigene Verbindungsnetz eine schriftliche Erklärung des Kunden nicht zur Voraussetzung gemacht werde 326. 2. Laufzeitklauseln
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Soweit Mobilfunk- oder DSL-Anbieter im Rahmen eines entsprechenden Telekommunikationsvertrages Endgeräte verbilligt abgeben oder Flatratetarife anbieten, sind entsprechende Verträge in der Praxis zumeist an Mindestvertragslaufzeiten von bis zu 24 Monaten geknüpft. Soweit derartige Laufzeitklauseln – was wohl der Normalfall sein dürfte – allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen, sind sie jedenfalls im nichtkaufmännischen Verkehr an § 309 Nr 7a) BGB zu messen. Denn soweit derartige Vertragskonstellationen als Typengemisch aus Miet- und Dienst-/Werkvertrag einzuordnen sind, steht im Rahmen des § 309 Nr 7a) BGB ihre dienst- bzw werkvertragliche Komponente im Vordergrund 327. Demnach sind Vertragslaufzeiten, die sich im Rahmen von 24 Monaten halten, nicht zu beanstanden 328. Dasselbe gilt für entsprechende Vertragslaufzeiten im kaufmännischen Verkehr, wo § 309 Nr 7a) BGB gem § 310 Abs 1 S 1 BGB zwar keine unmittelbare Anwendung erfährt, im Rahmen des § 307 jedoch Indizwirkung zu entfalten vermag 329. Problematischer erscheinen hingegen Laufzeitklauseln, die nur
322 323 324 325 326 327
S hierzu bereits § 5 II 3. BT-Drucks 16/2581, 25. BerlKommTKG/Schlotter Anh I § 45d Rn 25. Vgl hierzu bereits § 4 II 2b) bb). BGH GRUR 2007, 256 ff. Graf von Westphalen/Grote/Pohle 245 f.
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Differenzierend und teils aA Hahn MMR 1999, 251, 255 f. Vgl BGH NJW 1981, 1501, 1502; BGH NJW 1984, 1750, 1751; BGH NJW 1993, 2436 sowie die Darstellung in MünchKommBGB/Basedow § 310 BGB Rn 8.
§7
Vertragsbeendigung
den Kunden langfristig binden, dem Anbieter hingegen kürzere ordentliche Kündigungsrechte belassen. Dies benachteiligt den Kunden unangemessen gem § 307 Abs 1 S 1 BGB, wurde bereits geurteilt 330. 3. Sperr- und Kündigungsklauseln für den Fall übermäßiger Nutzung von Flatrates Vermehrt sind Telekommunikationsanbieter in jüngerer Zeit aber auch dazu überge- 151 gangen, die Nutzung von Telefon- und/oder Internetflatrates per AGB auf das für Privatkunden marktübliche Maß zu beschränken und sich für den Fall der Zuwiderhandlung Sperr- und Sonderkündigungsrechte auszubedingen. Entsprechende Klauseln verstoßen gegen das Transparenzgebot und laufen dem Charakter eines Flaterate-Vertrages zuwider, weshalb sie gemäß § 307 Abs 1 S 2 wie auch Abs 2 Nr 2 BGB als unwirksam zu beurteilten sind.331 Im Übrigen dürften derartige Klauseln aber auch schon aufgrund überraschenden Charakters nicht Vertragsbestandteil werden (§ 305c Abs 1 BGB). 4. Deaktivierungsentgelte Auch ist fraglich, ob ein Anbieter ein gewisses Entgelt vom Kunden für die Deaktivie- 152 rung seines Anschlusses verlangen kann. Hierüber hat der BGH entschieden und entsprechende Klauseln wegen Verstoßes gegen § 307 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 Nr 1 BGB für unwirksam erklärt 332. Der BGH stellte zunächst klar, dass derartige Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingen der Inhaltskontrolle der §§ 307–309 BGB unterliegen. Dem stehe auch § 307 Abs 3 BGB, der die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle von Leistung und Gegenleistung ausschließt 333, nicht entgegen, da ein entsprechendes Deaktivierungsentgelt mit den vertraglichen Hauptleistungspflichten in keinerlei Zusammenhang stehe. Vielmehr diene die Dokumentation vertragsrelevanter Vorgänge im Hinblick auf etwaige spätere Beanstandungen des Kunden, über wirksam beendete Vertragsverhältnisse oder beglichene bzw noch offen stehende Entgelte ausschließlich Eigeninteressen des Anbieters 334. Entsprechende Aufwendungen dem Kunden als Deaktivierungsentgelt deklariert zu überwälzen, widerspräche daher wesentlichen Grundgedanken des BGB, wonach jeder Rechtsunterworfene seine gesetzlichen Verpflichtungen stets selbst zu erfüllen habe, ohne dafür ein gesondertes Entgelt von der anderen Vertragspartei verlangen zu können. Entsprechende Ansprüche bestünden allenfalls dann, wenn das Gesetz diese vorsehe. Dies sei hier jedoch gerade nicht der Fall 335. 5. Verfall von Prepaid-Guthaben Ebenso wie der Verfall von Guthaben nach einer bestimmten Zeit 336 benachteiligt 153 auch der Verfall von Guthaben am Ende der Vertragslaufzeit als Missachtung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung den Kunden unangemessen. Entsprechende Vereinbarungen sind gem § 307 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 Nr 1 BGB als nichtig zu betrachten. Insoweit sei zunächst auf die Ausführungen zur Problematik des periodischen Guthabenverfalls verwiesen 337. Hinzu kommt, dass ein Guthabenverfall im Falle der Beendigung des Vertrages dem Endkunden die Kündigung unangemessen erschwert 338. 330 331 332 333
So OLG Koblenz MMR 2004, 106. LG Düsseldorf, MMR 2007, 674 f. BGH NJW 2002, 2386 ff. Vgl Palandt/Heinrichs § 307 BGB Rn 54 mwN.
334 335 336 337 338
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So BGH NJW 2002, 2386, 2387. BGH NJW 2002, 2386, 2387. Vgl hierzu bereits § 6 I 2b). § 6 I 2b). LG München MMR 2006, 410, 411.
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5. Teil
Anders hingegen gestaltet sich die Rechtslage im Falle von Gutschriften, die dem Teilnehmer auf dessen Wunsch ersatzweise für ein ihm eigentlich zu überlassendes Endgerät gewährt werden. So hatte in einem durch das OLG Düsseldorf jüngst entschiedenen Fall ein Kunde, der die Vertragsoption „Gutschrift statt Handy DM 250,– pro Vertrag/pro SIM-Karte“ gewählt, bei Vertragsende jene DM 250,– jedoch noch nicht vertelefoniert hatte, den Anbieter auf Auszahlung des Guthabenrestes verklagt. Hier stellte das Gericht klar, dass jene Formulierung unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB, Treu und Glauben und der Verkehrssitte lediglich dahingehend aufzufassen seien, als dass entsprechende Gutschriften ausschließlich mit den für die Nutzung des Mobilfunkanschlusses und der Herstellung von Verbindungsleistungen entstehenden Kosten verrechnet werden könnten und verwies dabei auf eine AGB-Klausel des Anbieters, wonach Kulanzgutschriften ohnehin lediglich in Form von Gesprächsguthaben gewährt würden. Auch verneinte das Gericht einen etwaigen Verstoß gegen § 307 Abs 1 S 1 BGB. Aufgrund des freiwilligen Zugabe-Charakters in Rede stehenden Guthabens sei von einer unangemessener Benachteiligung des Kunden nicht auszugehen.339
§8 Haftung der Anbieter 155
Kommt der Anbieter seinen Verpflichtungen nicht oder in nicht ausreichender Weise nach, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit er dem Vertragspartner für eventuelle Nachteile haften muss. Anspruchsteller kann in diesem Rahmen sowohl der Endkunde als auch ein anderer Marktteilnehmer, sprich Telekommunikationsdienstleister, sein:
I. Haftung gegenüber dem Endkunden 156
Kommt es dem Endkunden gegenüber zu Leistungsstörungen, so richtet sich die Haftung des Anbieters nach dem der jeweiligen Leistungsbeziehung zugrunde liegenden bürgerlich-rechtlichen Leistungsstörungsrecht. So liegt etwa der Bereitstellung eines Festnetztelefonanschlusses – wie gezeigt 340 – ein Mietvertragsverhältnis zugrunde. Anschlussstörungen wären folglich nach mietvertraglichem Leistungsstörungsrecht zu behandeln, demzufolge dem Endkunden Ansprüche auf Beseitigung der Störung zustehen (§ 535 Abs 1 S 2 BGB). Minderungs- bzw Schadensersatzansprüche kann der Endkunde unter den Voraussetzungen der §§ 536 ff BGB geltend machen. Eventuelle Kündigungsrechte ergeben sich aus § 543 BGB. Telefonverbindungsleistungen hingegen liegen nach überwiegender Ansicht dienstvertragsrechtliche Vorschriften zugrunde 341, entsprechende Leistungsstörungen bemächtigen den Endkunden folglich auf §§ 280 ff BGB zurückzugreifen. Begreift man diese Leistung werkvertraglich, dh insbesondere im PreselectionSegment, bestimmen sich die Rechte des Kunden nach §§ 633; 634 BGB, dh Nacherfüllung (§§ 634 Nr 1; 635 BGB), Aufwendungsersatz (§§ 634 Nr 2; 637 BGB) oder Schadensersatz (§§ 634 Nr 4; 636; 280; 281; 283 und 311a BGB) oder §§ 634 Nr 3; 636; 323 und 326 Abs 5 BGB 342. Bei Mobilfunkverträgen, die richtigerweise als Typen339 340 341 342
OLG Düsseldorf MMR 2007, 388 f. Siehe § 4 I. Hierzu ebenfalls § 4 I. Die Rechtsprechung, die das Erbringen von
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Verbindungsleistungen hingegen auf dienstvertragsrechtliche Beine stellt, müsste demgegenüber auf die §§ 626 ff BGB zurückgreifen.
§8
Haftung der Anbieter
gemisch aus Miet- und Dienstvertragsrecht anzusehen sind 343, orientiert sich die Haftung des Anbieters je nach vertragstypologischer Einordnung der jeweiligen Leistungsstörung entweder anhand der §§ 536 ff oder der §§ 633; 280 ff BGB 344. Sind Datendienste, wie etwa Internetdienste, gestört, so sind Endnutzer je nach dem, wie der jeweilige Dienst konkret vertragstypologisch einzuordnen ist345, gehalten, den Anbieter entweder über die §§ 633; 634 BGB oder über §§ 626 ff BGB haftbar zu machen. Im Übrigen sind auch etwaige Ansprüche des Endkunden aus Unmöglichkeit (§§ 280 Abs 1, 2; 283 BGB), Verzug (§§ 280 Abs 1, 2; 286 BGB), der Verletzung von Nebenleistungs- und Nebenpflichten346 sowie direkt aus § 280 Abs 1 BGB zu beachten. Da sich eine hundertprozentige und störungsfreie Verfügbarkeit von Telekommunika- 157 tionsdiensten jedoch weder mit technisch noch wirtschaftlich vertretbarem Aufwand sicherstellen lässt 347, schuldet der Anbieter auch keine dementsprechende Verfügbarkeit der Leistung. Dies berücksichtigt das BGB in seiner Generalität leider nur unzureichend, das TKG bemüht sich an geeigneter Stelle insoweit um einen angemessenen Ausgleich. So trägt § 45b TKG der technisch bedingten Störanfälligkeit von Telekommunikationsnetzen dadurch Rechnung, dass marktmächtige Anbieter Störungen stets unverzüglich und tageszeitunabhängig zu beseitigen haben, auch an Sonn- und Feiertagen. Ebenso wenig dürfen zu Universaldiensten verpflichtete Unternehmen ihre Leistungen nach eigenem Gutdünken einstellen oder beschränken (§ 85 Abs 1 S 1 TKG). Entsprechende Maßnahmen sind nur auf gesetzlicher Grundlage zur Sicherheit des Netzbetriebes, der Aufrechterhaltung der Netzintegrität, der Interoperabilität der Dienste und aus Gründen des Datenschutzes erlaubt (§ 85 Abs 2 TKG). Hierbei sind die Belange der Endnutzer hinreichend zu berücksichtigen und Leistungseinstellungen/-beschränkungen im Rahmen technischer Möglichkeiten auf den betroffenen Dienst zu beschränken (§ 85 Abs 1 S 2 TKG). Handelt der Telekommunikationsunternehmer im Rahmen dieser Vorschrift, liegt hierin keine Pflichtverletzung. Etwaige Leistungsstörungsansprüche des Endkunden scheiden in diesen Fällen aus348. Liegt der gestörten Telekommunikationsleistung hingegen kein Dauerschuldverhältnis 158 zugrunde und kommt, wie dies zB im Wege des Call-by-Call der Fall sein kann, eine Verbindung schon gar nicht zustande, so fehlt es bereits an einem Vertragsschluss, mangels dessen auch das Leistungsstörungsrecht keinerlei Anwendung zu finden vermag. Wie im Rahmen des Vertragsschlusses bereits erörtert 349, kommt im Wege von Call-by-Call wie auch bei Mehrwertdiensten ein Vertrag erst durch die Anwahl und Herstellung der Verbindung zustande 350. Gelingt die Verbindung nicht, fehlt es an einem Vertrag. Gewährleistungsansprüche des Kunden scheiden mithin aus. Der Fall, dass eine Verbindung hingegen zunächst zustande kommt, später jedoch abbricht, bedarf etwas differenzierter Betrachtung. Hier hängen etwaige Ansprüche des Kunden maßgeblich davon ab, welches Leistungsversprechen der Anbieter im Rahmen der Realofferte abgegeben hat. Insbesondere bei Sprachkommunikationsdienstleistungen, wo es für den Kunden keine Schwierigkeit darstellt, eine neue Verbindung – gegebenenfalls auch über einen Konkurrenzanbieter – herzustellen und der Anbieter die Störanfälligkeit des Netzes nur eingeschränkt zu beeinflussen vermag, spricht Vieles dafür, dessen Leistungsversprechen nur auf die
343 344 345 346 347
S hierzu bereits ausf § 4 II. S jedoch sogleich Rn 158. Vgl hierzu bereits § 4 II. Vgl bereits § 5 II 1. Hierzu eingehend Graf von Westphalen/ Grote/Pohle 17 ff und 196 ff.
348 349 350
Jan Pohle
Graf von Westphalen/Grote/Pohle 53. S § 4 IV. Sog „Realofferte“, s hierzu bereits § 4 IV. mwN.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
tatsächlich bestandene Verbindung zu beziehen und nachträgliche Störungen einer bereits bestehenden Verbindung mit einem Wegfall entsprechender Gewährleistungsansprüche des Kunden korrespondieren zu lassen 351. Dies wird man jedoch bei Mehrwertdiensten, die für den Kunden nur nach ordnungsgemäßem Abschluss der jeweiligen Verbindung nutzbar sind – wie bspw beim Download eines Handy-Klingeltons – anders sehen müssen. Hier ist es angebracht, die werkvertraglichen Gewährleistungsrechte der §§ 633; 634 BGB greifen zu lassen. Hat der Anbieter letztlich Schadensersatz zu leisten, so bestimmt sich die Höhe des 159 betreffenden Schadens und Ersatzanspruchs wie üblich nach den §§ 249 ff BGB. Besteht diese Pflicht gegenüber einem Endnutzer, so gilt die Besonderheit des § 44a TKG, wonach der Anbieter nur dann unbeschränkt haftet, wenn er den Schaden vorsätzlich verursacht hat. Bloß fahrlässig verursachte Vermögensschäden sind lediglich begrenzt auf € 12 500,– pro Endnutzer (§ 44a S 1 TKG) bzw € 10 Mio pro Schadensfall (§ 44a S 2 TKG) zu ersetzen 352. Ist der Endnutzer nicht Verbraucher, besteht auch die Möglichkeit, die Haftung einzelvertraglich zu begrenzen (§ 44a S 5 TKG). Insoweit sind dann jedoch die allgemeinen Vorgaben bzw Grenzen des AGB-Rechts zu beachten.
II. Haftung gegenüber anderen Marktteilnehmern 160
Anderen Marktteilnehmern gegenüber haftet der Kunde für Pflichtverletzungen nach vertraglichen wie gesetzlichen Regeln. Auch hierfür ist – wie im vorigen Absatz dargestellt – die jeweilige vertragstypologische Einordnung der betreffenden Pflichtverletzung entscheidend. Von besonderer Bedeutung im Vorleistungsbereich ist insbesondere § 44 TKG, wonach Mitbewerber nicht nur Unterlassungs-, sondern auch Schadensersatzansprüche geltend machen können, wenn ein Unternehmen gegen Vorschriften des TKG, auf dessen Grundlage erlassener Rechtsverordnungen oder Verfügungen der Bundesnetzagentur verstößt, bspw seine beträchtliche Marktmacht missbräuchlich ausnutzt (§ 42 TKG) 353. Im Einzelfall ist die Bundesnetzagentur sogar zur Abschöpfung rechtswidrig erlangter wirtschaftlicher Vorteile ermächtigt (§ 43 TKG). Die Haftungsbeschränkung des § 44a TKG gilt ihrem eindeutigen Wortlaut nach Nicht-Endkunden gegenüber nicht zwingend.
§9 Datenschutz 161
„Wer nicht mit Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt sein, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden“, so entschied das Bundesverfassungsgericht am 15.12.1983 im sog Volkszählungsurteil 354. Diese Aussage bestimmt bis heute maßgeblich das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung 355, welches in Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG seine 351 352 353
Graf von Westphalen/Grote/Pohle 55 f. Vgl auch BerlKommTKG/Rugullis Anh I § 44a Rn 7 und 16 ff. Vgl hierzu exemplarisch § 7 II 1.
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354 355
Jan Pohle
BVerfGE 65, 1. BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 5; Gola/Schomerus § 33 BDSG Rn 1.
§9
Datenschutz
verfassungsrechtliche und in den allgemeinen sowie besonderen sektorspezifischen Datenschutzgesetzen seine einfachgesetzliche Grundlage erfährt. Dem Schutz personenbezogener Daten kommt gerade im Rahmen der Multimedialisierung unserer Umwelt immer gewichtigere Bedeutung zu, weshalb dem medienrechtlich relevanten Datenschutz ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Nachfolgende Betrachtungen sollen sich daher auf telekommunikationsspezifische Probleme in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränken.
I. Grundlagen Besondere telekommunikationsrechliche Datenschutzbestimmungen finden sich in 162 den §§ 91 ff TKG. Sie regeln den Schutz personenbezogener Daten speziell im Rahmen der Nutzung telekommunikativer Dienste und erlegen Unternehmen sowie Personen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, spezielle Pflichten auf (§ 91 Abs 1 S 1 TKG). Inhalte und nähere Umstände der Telekommunikation unterliegen dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses (§§ 88 ff TKG). Hiervon profitieren auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften (§ 91 Abs 2 S 2 TKG). Dasselbe gilt für geschlossene Nutzergruppen öffentlicher Stellen (§ 91 Abs 2 TKG). An ausländische nicht öffentliche Stellen dürfen Diensteanbieter personenbezogene Daten nur übermitteln, soweit das Bundesdatenschutzgesetz dies zulässt und auch nur insoweit, als dass derartige Übermittlungsvorgänge für Erstellung oder Versand von Rechnungen oder zur Missbrauchsbekämpfung erforderlich sind (§ 92 TKG).
II. Besondere Informationspflichten Gem § 93 TKG treffen den Diensteanbieter besondere Informationspflichten, wobei 163 die Norm differenziert: Vertragspartner des Anbieters – sog Teilnehmer (§ 3 Nr 20 TKG) – sind stets über 164 Art, Umfang, Ort und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten in allgemein verständlicher Form so zu unterrichten (§ 93 Abs 1 S 1 TKG). Hierdurch soll der Betroffene grundlegende Kenntnis von den für ihn maßgeblichen Datenverarbeitungstatbeständen erhalten, um sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Dies gilt umso mehr, als dass die jeweilige Datenerhebung und -verarbeitung von der Einwilligung des Teilnehmers abhängig ist, da diesem ohne substantiierte Information eine eigenverantwortliche und willensmangelfreie Entscheidung nicht möglich sein wird 356. Dem Teilnehmer sind daher insbesondere die verschiedenen Datenarten – Bestandsdaten (§ 3 Nr 3 TKG) bzw Verkehrsdaten (§ 3 Nr 30 TKG) – zu benennen und zu erläutern, ebenso ist darüber zu informieren, dass bestimmte personenbezogene Daten gem § 95 TKG zum Zwecke der Begründung, Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses gespeichert und verarbeitet werden dürfen. Auf deren Löschung nach Ablauf des auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses folgenden Jahres (§ 95 Abs 3 TKG) ist ebenfalls hinzuweisen357. Weiterhin ist der Teilnehmer darüber in Kenntnis zu setzen, welche Daten zu Abrechnungszwecken gespeichert, verarbeitet oder an andere Diensteanbieter oder Dritte zu diesem Zwecke übermitteln werden (§ 97 356
BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 25.
357
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BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 26.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
Abs 5, 6 TKG). Auf die Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen von Störbeseitigungen (§ 100 TKG) ist hinzuweisen. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Übermittlung entsprechender Daten an ausländische Stellen (§ 92 TKG) 358. Auch auf zulässige Wahlund Gestaltungsmöglichkeiten sind die Teilnehmer aufmerksam zu machen (vgl § 93 Abs 1 S 2 TKG). Nichtteilnehmern – sog Nutzern (vgl § 3 Nr 14 TKG) – gegenüber, bestehen hingegen 165 weniger detailreiche Informationspflichten. Gem § 93 Abs 1 S 3 TKG genügt es, diese durch allgemein zugängliche Informationen über die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten zu unterrichten. Diese unterschiedliche Behandlung findet ihren Grund darin, dass Telekommunikationsdiensteanbieter lediglich zu ihren Kunden in unmittelbarer Beziehung stehen und so auch nur diesen gegenüber in der Lage sein werden, konkrete datenschutzbezogene Auskünfte zu erteilen 359.
III. Elektronische Einwilligung 166
Wie sich aus § 4 BDSG ergibt, sind Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, soweit dies gesetzlich erlaubt oder angeordnet wird. In allen übrigen Fällen setzt § 4 Abs 1 BDSG eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen voraus. Sie bedarf grds der Schriftform (vgl § 4a Abs 1 S 3 TKG). Hiervon macht § 94 TKG eine Ausnahme, der im Rahmen der Telekommunikationsdienste unter gewissen Umständen auch eine elektronische Einwilligung für ausreichend erachtet. Die strengen Vorgaben der Norm sollen sicherstellen, dass die elektronische Einwilligung ein der schriftlichen Einwilligung vergleichbares Maß an Rechtssicherheit bereit hält 360. So ist zunächst zu gewährleisten, dass der Betroffene seine Einwilligung bewusst und 167 eindeutig erteilen kann (§ 94 Nr 1 TKG). Er muss in die Lage versetzt werden, sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst zu werden, um auf dieser Grundlage das ihm zustehende Recht auf informationelle Selbstbestimmung eigenverantwortlich ausüben zu können 361. Dem ist nur mit umfangreichen Informationspflichten zu begegnen, denen der Anbieter gem § 93 TKG vollumfänglich nachzukommen hat 362. Um das Recht des Einwilligenden auf informationelle Selbstbestimmung zu sichern, 168 verpflichtet § 94 Nr 2 TKG den Anbieter darüber hinaus, Einwilligungen zu protokollieren. Nur so ist es dem Betroffenen möglich, konkret festzustellen, in was er wann, in welchem Umfang und zu welchem Zweck eingewilligt hat. Insofern sind wenigstens Umfang und Zeitpunkt der Einwilligungserklärung zu speichern 363. Weiterhin hat der Dienstanbieter sicherzustellen, dass der Teilnehmer oder Nutzer den Inhalt seiner Einwilligung jederzeit abrufen (§ 94 Nr 3 TKG) und diese mit Wirkung für die Zukunft widerrufen (§ 94 Nr 4 TKG) kann. Sind die Vorgaben des § 94 TKG sichergestellt, so kann eine Einwilligung in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auch auf elektronischem Wege wirksam erklärt werden.
358 359 360
Vgl insgesamt BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 27 ff. BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 23. BeckTKG-Komm/Büttgen § 94 Rn 4.
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361 362 363
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BeckTKG-Komm/Büttgen § 94 Rn 6. Zu den Informationpflichten des Anbieters s bereits § 9 II. BeckTKG-Komm/Büttgen § 94 Rn 7 und 9.
§9
Datenschutz
IV. Gesetzliche Erlaubnistatbestände Die §§ 95 ff TKG enthalten einen abschließenden Katalog von Erlaubnistatbestän- 169 den, die eine Datenverarbeitung ohne Einwilligung des Nutzers zulassen. Das Gesetz unterscheidet zwischen Bestands- und Nutzungsdaten. Bestandsdaten sind nach der Legaldefinition des § 3 Nr 3 TKG „Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden“. Hierzu zählen beispielsweise Name und Anschrift des Vertragspartners, Kontoverbindung und die Art des abgeschlossenen Vertrages. Die Verarbeitung von Bestandsdaten ist nach der gesetzlichen Regelung des § 95 TKG zulässig, so weit eine solche zu diesen Zwecken erforderlich ist (§ 95 Abs 1 TKG). Dies gilt auch für die Daten eines anderen Anbieters, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen diesen Diensteanbietern eine solche Datenverarbeitung erforderlich macht (zB eine Zusammenschaltungsvereinbarung). Eine Übermittlung an Dritte bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Teilnehmers, § 95 Abs 1 S 3 TKGIm Grundsatz ist eine Nutzung von Bestandsdaten zu Werbezwecken nur mit Einwilligung des Nutzers zulässig (sog Opt-in-Prinzip, vgl § 95 Abs 2 S 1 TKG). § 95 Abs 2 S 2 TKG gestattet ausnahmsweise die Nutzung der Rufnummer sowie der Post- und Emailadresse des Nutzers im Rahmen einer bestehenden Kundenbeziehung (sog Opt-out-Prinzip). Verkehrsdaten definiert § 3 Nr 30 TKG als Daten, die während der Nutzung des Dienstes erhoben und verwendet werden. Die §§ 96 ff TKG normieren unterschiedliche Erlaubnistatbestände, nach denen eine Nutzung von Verkehrsdaten zulässig ist. Generell ist eine Datenverarbeitung ohne Einwilligung des betroffenen Nutzers zulässig so weit diese zur Erbringung der Telekommunikationsdienstleistung, zu deren Abrechnung sowie zur Störungsbeseitigung und Missbrauchsbekämpfung (§ 96 Abs 2 S 1 TKG iVm §§ 97, 99, 100, 101 TKG) oder „für die durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten“ Zwecke erforderlich ist. Diese Erweiterung der Verarbeitungszwecke hat nach der amtlichen Begründung zum TKGÄndG lediglich klarstellende Bedeutung dahingehend haben, dass einer aufgrund strafprozessualer und vergleichbarer Vorschriften zulässigen Datenverarbeitungen die Bestimmungen des Datenschutzrechts nicht entgegenstehen. Im Einzelnen zielt diese Regelung auf §§ 100g, 100h StPO, § 8 Abs 8 und 10 BVerfSchG, § 10 Abs 3 MADGesetz und § 8 Abs 3a BND-Gesetz sowie durch Landesrecht geregelte Erteilung von Auskünften über Verkehrsdaten an die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden. Verkehrsdaten, deren weitere Nutzung nach vorgenannten Grundsätzen nicht zulässig ist, sind nach § 96 Abs 2 S 2 TKG unverzüglich nach dem Ende der Verbindung zu löschen. Betreffend die Nutzung von Standortdaten iSd § 3 Nr 19 TKG, dh Daten, die in einem Telekommunikationsnetz erhoben oder verwendet werden und die den Standort des Endgeräts eines Endnutzers eines Telekommunikationsdienstes für die Öffentlichkeit abgeben, findet sich in § 98 TKG eine spezielle und differenzierte gesetzliche Regelung.
V. Kopplungsverbot Wie § 4a Abs 1 S 1 BDSG klarstellt, ist eine Einwilligung nur wirksam, wenn sie auf 170 der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Die Einwilligung muss also freiwillig, dh frei von jeglicher unangemessener Beeinflussung erfolgen, da sie sonst nicht den wahren Willen des Einwilligenden widerspiegelt 364. Dem will § 95 Abs 5 TKG Rechnung tragen, der es verbietet, die Erbringung von Telekommunikationsdiensten von einer Einwilligung 364
Vgl Gola/Schomerus § 4a BDSG Rn 6 ff.
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des Teilnehmers in die Verwendung seiner Daten für solche Zwecke abhängig zu machen, die für das Erbringen entsprechender Dienste selbst nicht erforderlich sind. Leider enthält die Norm im Gegensatz zu ihrer Vorgängervorschrift jedoch die Einschränkung, dass eine solche Kopplung nur dann nicht der Fall sein dürfe, wenn dem Teilnehmer ein anderer Zugang zu diesen Telekommunikationsdiensten nicht oder in nicht zumutbarer Weise möglich sei (vgl § 95 letzter Halbs TKG). Die aktuelle Regelung stellt den Teilnehmer datenschutzrechtlich mithin deutlich schlechter als die Vorgängerregelung 365. Ob dem im Wege einer restriktiven Auslegung der Wortgruppe „Zugang zu diesen Telekommunikationsdiensten“ derart zu begegnen ist, der jeweilige Diensteanbieter selbst müsse mindestens eine Nutzungsmöglichkeit anbieten, bei der die Leistung nicht von der Angabe hierfür nicht erforderlicher Daten abhängig sei 366, ist umstritten. Nach anderer Ansicht soll es hingegen genügen, wenn Mitbewerber entsprechend ungekoppelte vergleichbare Dienste anbieten 367. Die ehemals klare Regelung führt in ihrer aktuellen Fassung leider in die rechtliche Unsicherheit.
VI. Vorratsdatenspeicherung 171
Mit Geltung des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet § 113a Abs 1 TKG seit dem 1.1.2008 Anbieter, die öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste für Endnutzer erbringen, zudem, im Rahmen der Nutzung ihres Dienstes anfallende Verbindungsdaten für die Dauer von sechs Monaten auf Vorrat zu speichern. 1. Verpflichtungsadressaten
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Verpflichtungsadressat ist gem § 113a Abs 1 S 1 TKG der Anbieter, der öffentlich zugängiche Telekommunikationsdienste für Endnutzer erbringt. Bedauerlicherweise passt sich die gewählt Formulierung jedoch weder eindeutig in den Begriffskatalog des § 3 TKG noch genau in die europarechtlichen Vorgaben ein, sondern wählt einen Mittelweg, wobei weder der Öffentlichkeitsbegriff als solcher noch der der öffentlichen Zugänglichkeit seitens des TKG genauer definiert wird 368. Zwar bemüht sich die Gesetzesbegründung insoweit um Klarstellung, als dass jene Merkmale für unternehmensinterne Netze, Nebenstellenanlagen oder E-Mail- Server von Universitäten als nicht erfüllt gelten sollen369, leider bleibt es jedoch bei dieser beispielhaften Aufzählung. Präzise wie allgemein anwendungstaugliche Kriterien liefern weder Gesetz noch dessen Begründung, so dass letzten Endes nicht eindeutig feststeht, wer denn zur Speicherung entsprechender Daten nun wirklich verpflichtet sein soll 370. Hier stellt sich insbesondere für Unternehmen ein Problem, die mit ihren Diensten ausschließlich Geschäftskunden bedienen. So führt die Voraussetzung des „Endkunden“ jedenfalls bei Orientierung an § 3 Nr 8 TKG nicht zu Einschränkungen, da Geschäftskunden in aller Regel keine öffentlichen Telekommunika365 366 367
So auch BeckTKG-Komm/Büttgen § 95 Rn 33 mwN. So BeckTKG-Komm/Büttgen § 95 Rn 33 aE. Zum Streitstand des inzwischen aufgehobenen jedoch wortlautidentischen § 3 Abs 4 TDDSG vgl Zscherpe MMR 2004, 723, 727.
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368 369 370
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Deutlich hierzu Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 13 f. BT-Drucks 16/5846, 69. Vgl Eckhardt CR 2007, 405, 407 ebenso Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 13.
§9
Datenschutz
tionsnetze betreiben oder Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbringen. Demgegenüber zeichnen die Ausführungen der Gesetzesbegründung im Zusammenhang mit Anonymisierungsdiensten, wonach öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste alle Telekommunikationsdienste sein sollen, die „jedermann“ zugänglich sind 371, hingegen ein eher enges und nicht strikt an § 3 Nr 8 TKG orientiertes Begriffsverständnis, womit Geschäftskunden außen vor wären 372. Anbieter, die öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste für Endnutzer erbringen, selbst jedoch keine Verkehrsdaten erzeugen oder verarbeiten, sind verpflichtet, sicherzustellen, dass entsprechende Daten auch tatsächlich gespeichert werden; auf Verlangen der Bundesnetzagentur sind ihr ebenfalls mitzuteilen, wer diese Daten speichert (§ 113a Abs 1 S 2 TKG). Demzufolge wären Reseller nicht selbst zur Speicherung entsprechender Verkehrsdaten verpflichtet, soweit dies durch den Netzbetreiber selbst sichergestellt ist 373. 2. Zu speichernde Daten Was im Einzelnen gespeichert werden muss, konkretisiert § 113a TKG in den Absät- 173 zen 2 ff. So sieht § 113a Abs 2 TKG etwa für Anbieter von Telefondiensten einschließlich Mobilfunk- und Internet-Telefondiensten die Speicherung von – Rufnummer oder anderer Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie im Falle von Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses, – Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, – in Fällen, in denen im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können, außerdem Angaben zu dem genutzten Dienst, – und im Falle mobiler Telefondienste ferner: • die internationale Kennung für mobile Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss, • die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes, • die Bezeichnung der durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen, • im Fall im Voraus bezahlter anonymer Dienste auch die erste Aktivierung des Dienstes nach Datum, Uhrzeit und Bezeichnung der Funkzelle, • sowie im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adresse des anrufenden und des angerufenen Anschlusses vor. Entsprechendes gilt bei der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- und ähnlichen 174 Nachrichten. Hier sind außerdem Zeitpunkt der Versendung und des Empfangs der Nachricht zu speichern. Problematisch erscheint hier, dass § 113a Abs 2 TKG an mehreren Stellen nicht von Rufnummer, sondern von „Kennung“ oder „Anschlusskennung“ spricht, das TKG beide Begrifflichkeiten jedoch nicht näher definiert. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob § 113a TKG künftig auch die Speicherung sog MAC-Adressen der angschlossenen Geräte erfordert 374.
371 372 373
Vgl BT-Drucks 16/5846, 72. So Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 14. Vgl Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 14.
374
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Vgl zur Problematik etwa Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 15.
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5. Teil
175
Anbieter von E-Mail-Diensten sind gem § 113 Abs 3 TKG verpflichtet – bei Versendung einer Nachricht die Kennung des elektronischen Postfachs und die Internetprotokoll-Adresse des Absenders sowie die Kennung des elektronischen Postfachs jedes Empfängers der Nachricht, – bei Eingang einer Nachricht in einem elektronischen Postfach die Kennung des elektronischen Postfachs des Absenders und des Empfängers der Nachricht sowie die Internetprotokoll-Adresse der absendenden Telekommunikationsanlage, – bei Zugriff auf das elektronische Postfach dessen Kennung und die InternetprotokollAdresse des Abrufenden, – die Zeitpunkte der in den Nummern 1 bis 3 genannten Nutzungen des Dienstes nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone zu speichern. Daneben treffen auch Anbieter von Internetzugangsdiensten Speicherungspflichten 176 nach dem TKG. Für sie sieht § 113 Abs 4 TKG die Speicherung – der dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse, – die eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, – sowie Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone vor. Erfolglose Anrufversuche müssen gem § 113a Abs 5 TKG grundsätzlich nicht gespei177 chert werden, es sei denn der Verpflichtete speichert oder protokolliert derartige Daten ohnehin bereits zu eigenen Zwecken. Schlägt hingegen bereits der Verbindungsaufbau fehl, so bedarf es keinesfalls der Speicherung entsprechender Verbindungsdaten375. § 113a Abs 6 TKG manifestiert jedoch besondere Regeln für solche Diensteanbieter, die der Speicherpflicht unterfallenden Daten verändern. Dies trifft insbesondere sog Anonymisierungsdienste, welche fortan sowohl ursprüngliche als auch neue Angaben ebenso wie den Zeitpunkt ihrer Umschreibung zu speichern haben. Mobilfunkdiensteanbieter für die Öffentlichkeit speichern zudem geographische Lage der betreffenden Funkzelle wie auch Hauptstrahlrichtung der jeweiligen Funkantenne (§ 113a Abs 7 TKG). Die Speicherung von Kommunikationsinhalten ist hingegen bei allen Diensten strengstens untersagt (§ 113a Abs 8 TKG). Gespeicherte Verbindungsdaten sind mit äußerster Sorgfalt zu behandeln (vgl § 113a Abs 10 TKG). § 150 Abs 12b S 1 TKG schiebt die Anwendung der Ordnungswidrigkeitstatbestände nach § 149 Abs 1 Nr 36 und 37 TKG für Verstöße gegen Speicherungs- und Sicherungspflichten jedoch zunächst bis zum 1. Januar 2009 auf 376. Anbieter von Interzugangs-, E-Mail- oder Internettelefoniediensten sind ab jenem Datum erst zur Speicherung verpflichtet (§ 150 Abs 12b) S 2 TKG). 3. Vorhaltezeit
178
Für oben aufgeführte Verbindungsdaten gilt eine Vorhaltezeit von sechs Monaten (§ 113a Abs 1 S 1 TKG). Der Diensteanbieter hat entsprechend gespeicherte Daten innerhalb eines Monats nach Ablauf der Vorhaltezeit zu löschen oder die Lösung zumindest sicherzustellen (vgl § 113a Abs 11 TKG).
375
BT-Drucks 16/5846, 71.
1518
376
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BT-Drucks 16/5846, 74.
§9
Datenschutz
4. Verwendung auf Vorrat gespeicherter Daten In welchem Rahmen auf Vorrat gespeicherte Daten zukünftig verwendet werden dür- 179 fen, beantwortet § 113b TKG, der – im Gegensatz zur Richtlinie und auch anders als der Referentenentwurf – sich nicht bloß auf die Verfolgung von Straftaten (§ 113b Nr 1 TKG) beschränkt. Vielmehr dürfen iSd § 113a TKG gespeicherte Daten auch zur Abwehr erheblicher Gefahren für die Öffentliche Sicherheit (§ 113b Nr 2 TKG) und sogar zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes wie auch des Militärischen Abschirmdienstes (§ 113b Nr 3 TKG) auf Verlangen an die jeweils zuständigen Stellen übermittelt werden. Vorausgesetzt wird jedoch, dass entsprechende gesetzliche Bestimmungen dies unter Bezugnahme auf § 113a TKG auch vorsehen (vgl § 113b TKG). Zwar ist mit § 100g StPO eine entsprechende gesetzliche Grundlage für Strafverfolgungszwecke bereits vorhanden, auf den Gebieten der Gefahrenabwehr und der Nachrichtendienste fehlt eine solche bislang allerdings noch. Daher ist damit zu rechnen, dass Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder wie auch Spezialgesetze der Nachrichtendienste in diesem Punkt noch entsprechende Ergänzungen erfahren werden. Problematisch erscheint ferner die Weite entsprechender Eingriffsmöglichkeiten. So erlaubt beispielsweise § 100g Abs 1 S 1 Nr 2 StPO eine Erhebung entsprechender Verkehrsdaten ohne Wissen des Betroffenen schon dann, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer „eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat“. Erfasst sind somit selbst Bagatelldelikte wie etwa eine Beleidigung per Telefon 377. Ob die in § 100g Abs 1 S 2 StPO involvierte Subsidiaritätsklausel, die Erhebung der Daten müsse in einem angemessenen Verhältnis zur Sache stehen, derartige Bagatellfälle tatsächlich zuverlässig auszuschließen imstande sein wird 378, darf angesichts gegenteiliger Erfahrungen in der Vergangenheit wohl bezweifelt werden 379. Ähnlichen Kritikpunkten sieht sich teils auch die Möglichkeit der Echtzeiterhebung von Verkehrsdaten (§ 100g Abs 1 S 3 StPO) ausgesetzt 380. Im Ergebnis beschränkt sich die Verwendung auf Vorrat gespeicherter Daten jedoch 180 auf hoheitliche Zwecke (§ 113b S 1, HS 2 TKG auf die in § 113a TKG). Privaten Rechteinhabern ist der Zugriff auf Vorratsdaten iSd § 113a TKG verwehrt, jedenfalls auf direktem Wege. Heran ändert auch der Umstand, dass § 113b S 1, HS 2 TKG Auskunftserteilungen nach § 113 TKG ausnimmt, nichts. Die Norm führt keine Erweiterung des Regelungskreises herbei sondern dient lediglich der Klarstellung der Gesetzeslage, so, wie sie „seit jeher dem Willen des Gesetzgebers“381 entsprach382. Demnach sollen Auskünfte über Namen und Anschrift eines mittels dynamischer IP-Adresse und Uhrzeit individuali377 378 379
Vgl Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 20 f. So BT-Drucks 16/5846, 52. Ausführlich hierzu Roggan, Stellungnahme der Humanistischen Union, http://www.bundestag.de/ausschuesse/a06/a nhoerungen/23_tkue_allg_teil/04_ stellungnahmen/stellungnahme_roggan.pdf, 47 f; ebenso Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11 (21) und Pöppelmann, gemeinsame Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD), des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), des Deut-
380
381 382
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schen Presserats, des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di), des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), http://www.bundestag. de/ausschuesse/a06/anhoerungen/ 23_tkue_allg_teil/04_stellungnahmen/ stellungnahme_p_ppelmann.pdf, 25 ff. Vgl ausführlich hierzu etwa Eckhardt CR 2007, 336, 341 ff, ebenso Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 21. BT-Drucks 16/6979, 70. Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 18 mwN.
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Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
sierten Anschlussinhabers im manuellen Auskunftsverfahren (§ 113 TKG) selbst dann von behördlicher Seite eingeholt werden können, wenn dies durch den Diensteanbieter nur unter Rückgriff auf nach § 113a TKG gespeicherte Verkehrsdaten möglich ist 383. Insgesamt soll die Erteilung entsprechender Auskünfte jedoch auf hoheitliche Zwecke beschränkt bleiben, so Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ausdrücklich.384 Dies ist nach einem aktuellen Urteil des EuGH vom 29.1.2008 auch nicht zu beanstanden. Weder Richtlinie 2006/24/EG noch Richtlinie 2000/31/EG vom 8.6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, noch Richtlinie 2001/ 29/EG vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte der Informationsgesellschaft, noch Richtlinie 2004/48/EG vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und auch nicht Richtlinie 2002/58/EG vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation gebieten es den Mietgliedstaaten, im Hinblick auf einen effektiven Schutz des Urheberrechts, die Mitteilung personenbezogener Daten auch im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen.385 Inhabern geistiger Eigentumsrechte ist es demnach weiterhin lediglich möglich, entsprechende personenbezogene Daten über ein strafrechtliches Verfahren zu erlangen386. Dies ändert sich für Fälle offensichtlicher Rechtsverletzung und Rechtsverstößen gewerblichen Ausmaßes jedoch zum 1.7.2008 mit dem Gesetz zur Rechtsdurchsetzung im geistigen Eigentums, wonach gem § 101 nF UrhG in den genannten Fällen auch Drittauskunftsanspruch gegen Provider bestehen werden.387 5. Erweiterte Identifizierungspflichten
181
Weiterhin gelten für die Anbieter seit dem 1.1.2008 erweiterte Identifizierungspflichten. So bestimmt § 111 TKG, dass derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt und dabei Rufnummern oder andere Anschlusskennungen vergibt oder Telekommunikationsanschlüsse für automatische oder manuelle Auskunftsverfahren bereitzuhalten verpflichtet ist (§§ 112; 113 TKG), fortan – Rufnummern und andere Anschlusskennungen, – Namen und Anschrift des Anschlussinhabers, – bei natürlichen Personen deren Geburtsdatum, – bei Festnetzanschlüssen auch die Anschrift des Anschlusses, – in Fällen, in denen neben einem Mobilfunkanschluss auch ein Mobilfunkendgerät überlassen wird, die Gerätenummer dieses Gerätes (IMEI) sowie – das Datum von Vertragsbeginn und -ende vor der Freischaltung zu erheben und unverzüglich zu speichern hat. Dies gilt auch, soweit diese für betriebliche Zwecke nicht erforderlich sind, und auch dann, wenn sie nicht in Teilnehmerverzeichnisse (§ 104 TKG) eingetragen werden. Betroffen sind Tele383 384 385
386
Vgl BT-Drucks 16/6979, 70. BT-Drucks 16/6979, 71. EuGH, Urteil vom 29.1.2008, Az C-275/06, aktuell erhältlich unter http://medien-internet-und-recht.de/ pdf/VT_MIR_2008_036.pdf. Vgl Brandl F.A.Z. vom 4.12.2007, T1; auch Brinkel/Lammers ZUM 2008, 11, 16 mwN.
1520
387
Jan Pohle
Vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20.4.2007, BT-Drucks 16/5048. das Gesetz wurde vom Deutschen Bundestag am 11.4. 2008 verabschiedet.
§9
Datenschutz
fon-, DSL- und Mobilfunkanbieter. Für E-Mail-Diensteanbieter werden derartige Pflichten nicht begründet 388. Erheben sie jedoch entsprechende Daten ohnehin zu eigenen Zwecken, sind sie entsprechende Informationen auch vorzuhalten verpflichtet (§ 111 Abs 1 S 3 TKG). Vertriebspartner haben erhobene Daten dem Diensteanbieter zu übermitteln (vgl § 111 Abs 2 TKG). Die Bestandsdaten sind Gerichten, Strafverfolgungsbehörden, Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder zum Zwecke der Gefahrenabwehr, dem Zollkriminalamt und den Zollfahndungsämtern für Zwecke eines Strafverfahrens sowie dem Zollkriminalamt zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach § 39 des Außenwirtschaftsgesetzes, den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, den Notrufabfragestellen nach § 108 TKG sowie der Abfragestelle für die Rufnummer 124, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie den Behörden der Zollverwaltung für die in § 2 Abs 1 SchwarzArbG genannten Zwecke über zentrale Abfragestellen zum automatischen Abruf bereitzuhalten (§ 112 Abs 2 TKG). Der Abruf hat ausschließlich über die Bundesnetzagentur als neutrale Vermittlungsstelle zu erfolgen (§ 112 Abs 4 TKG)389. Sie ist auf Ersuchen der genannten Stellen verpflichtet, die entsprechenden Datensätze aus den Kundendateien abzurufen und der ersuchenden Stelle zu übermitteln 390. Vorgehaltene Daten sind vom Diensteanbieter mit Ablauf des auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses folgenden Kalenderjahres zu löschen (§ 95 Abs 3 TKG). 6. Manuelle Auskunftspflichten Neben dem automatisierten Auskunftsverfahren sind Anbieter von Telekommunika- 182 tionsdiensten auch verpflichtet, über Bestandsdaten individuell und manuell Auskunft zu erteilen (§ 113 TKG). Hierzu gehören in aller Regel auch IP-Adressen, Bankverbindungen, Beruf oder auch eventuelle Mahnungen391. Ebenso können Passwörter, PINs und PUKs abgefragt werden (vgl § 113 Abs 1 S 2 TKG). Nähere Voraussetzungen und Grenzen regelt § 113 TKG teils selbst, teils mit Verweis auf besondere Vorschriften. 7. Verfassungsbeschwerde Wie bereits angedeutet, bestehen gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommu- 183 nikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG teils arge verfassungsrechtliche Bedenken. Gegen das Gesetz wurde mehrfach Verfassungsbeschwerde eingereicht und Verstöße gegen das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 10 Abs 3 Var 3 GG und Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG), gegen die Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG), die Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG), die Meinungs-, Informations-, Rundfunk- und Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 GG) und gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) angeführt. Zudem wurde beantragt, die Datensammlung wegen „offensichtlicher Verfassungswidrigkeit“ im Wege einstweilige Anordnung auszusetzen 392. Dem kam das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht in voller Gänze nach, son388 389
390
BT-Drucks 16/5846, 68. Vgl hierzu BT-Drucks 13/3609, 56; erläuternd Beck’scher TKG-Kommentar/Bock § 112 Rn 20. Berliner Kommentar zum TKG/Klesczewski § 112 Rn 29.
391 392
Jan Pohle
Vgl Berliner Kommentar zum TKG/ Klesczewski § 113 Rn 6 mwN. Vgl Beschwerdeschrift, Seite 12, abrufbar unter http://wiki.vorratsdatenspeicherung. de/images/Verfassungsbeschwerde_ Vorratsdatenspeicherung.pdf.
1521
Kapitel 2 Telekommunikationsrecht
5. Teil
dern entschied im Rahmen einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, des gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung393 angestrengten Nichtigkeitsverfahrens394 sowie der „Solange“-Rechtsprechung, dass auf Vorrat gespeicherte Daten allenfalls im Rahmen Katalogtaten nach § 100a Abs 2 StPO berührender Strafverfahren an die Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden dürfen.395 Mit einer Entscheidung in der Hauptsache ist aller Voraussicht nach noch 2008 zu rechnen.
VII. Online-Durchsuchung und BKA-Gesetzentwurf 184
Obwohl das Bundesverfassungsgericht Ende Februar Regelungen zur heimlichen Durchforstung von PCs im NRW-Verfassungsschutzgesetz für unwirksam erklärt hat, finden sich auch in § 20k BKAG-E weiterhin Regelungen zur Online-Durchsuchung. Entfallen ist lediglich der Zusatz, die vorgeschriebene Protokollierung habe „zum Zwecke der Datenschutzkontrolle und Beweissicherung“ zu erfolgen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der genannten Entscheidung kürzlich erst entsprechende Grundsätze aufgestellt und ein neues Grundrecht „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ als besondere Ausprägung es Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung hergeleitet (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG).396 Inwiefern sich derartige Regelungen wie auch aktuelle Gedankenspiele um eine Bundesabhörzentrale hiermit vereinbaren lassen, bleibt abzuwarten. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat gegen die geplanten Änderungen des BKA-Gesetzes jedenfalls bereits Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht (Art 17 GG).397
§ 10 Rechtsschutz 185
Wie im Verlauf der Darstellung aufgezeigt, beinhaltet das Telekommunikationsrecht sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Regelungskomplexe. So erfolgt die Regulierung des Telekommunikationsmarktes bspw zweifellos hoheitlich, dasselbe gilt für die Vergabe von Nummern und Frequenzen, die Wahrung der Öffentlichen Sicherheit sowie betreffend die Thematik der Abgaben. Auf der anderen Seite nimmt das TKG insbesondere im Rahmen des Kunden- und Datenschutzes zusätzlichen Einfluss auf die privatautonome Gestaltung von Telekommunikationsverträgen und das zivilrechtliche Geschehen. Demzufolge gabelt sich – dem betroffenen Regelungskomplex entsprechend – auch der Weg zu den Gerichten.
393 394 395
Richtlinie 2006/24/EG, ABl EG L 105 vom 13.4.2006, 54 ff. Vgl CR 2007, R134, R135. BVerfG, Beschluss vom 11.3.2008 – 1 BvR 256/08, CR 2008, 287 ff. Eingehend Dorschel CR 2008, R39 und Jenny CR 2008, 282 ff.
1522
396 397
Jan Pohle
BVerfG Urteil vom 27.2.2008 – Az 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07. http://www.vorratsdatenspeicherung.de/ content/view/222/55/lang,de (12.6.2008).
§ 10
Rechtsschutz
I. Öffentlich-rechtliche Bestimmungen Streitigkeiten über Entscheidungen der Bundesnetzagentur sind als öffentlich-recht- 186 liche Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten auszutragen (§ 40 Abs 1 S 1 VwGO). Zu beachten ist jedoch, dass Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur keine aufschiebende Wirkung entfalten (§ 137 Abs 1 TKG). Im Falle von Beschlusskammerentscheidungen – dies betrifft sämtliche marktregulatorische Entscheidungen nach dem zweiten Teil des TKG wie auch Entscheidungen im förmlichen Verfahren der Frequenzvergabe – ist außerdem gem § 137 Abs 2 TKG kein Vorverfahren vorgesehen, ebenso ist die Berufung ausgeschlossen (§ 137 Abs 3 S 1 TKG). Hierdurch soll zügig Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erreicht werden 398. Die Möglichkeit einer Revision zum Bundesverwaltungsgericht bleibt im Hauptsacheverfahren hingegen bestehen. Für alle übrigen Entscheidungen der Bundesnetzagentur verbleibt es bei den üblichen instanzgerichtlichen Regelungen.
II. Zivilrechtliche Bestimmungen Verletzt hingegen ein Marktteilnehmer Vorschriften des TKG oder telekommunika- 187 tionsrechtliche Rechtsverordnungen, verstößt er gegen Regulierungsverfügungen der Bundesnetzagentur (§ 44 TKG) oder sonstige – evtl auch einzelvertragliche – Verpflichtungen, so steht den streitenden Parteien der Zivilrechtsweg offen. Neben den einschlägigen und an anderer Stelle bereits ausführlich erörterten BGB-rechtlichen Haftungsregularien 399 gilt dies insbesondere für § 44 TKG 400. Verstößt ein Marktteilnehmer gegen Vorschriften des Verbraucherschutzes, so besteht gem § 44 Abs 2 TKG ferner ein Verbandsklagerecht. Insoweit wird auf § 3 des Unterlassungsklagegesetzes verwiesen.
III. Schlichtungsverfahren Darüber hinaus eröffnet § 47a TKG Teilnehmern die Möglichkeit, etwaige Streitfälle 188 mit Anbietern von Telekommunikationsdiensten für die Öffentlichkeit betreffend die Erfüllung von Verpflichtungen gem §§ 43a; 45 bis 46 Abs 2 sowie § 84 TKG außergerichtlich beizulegen (§ 47a Abs 1 TKG). Schlichterin ist die Bundesnetzagentur (§ 47a Abs 2 TKG). Einzelheiten des Schlichtungsverfahrens regelt die Bundesnetzagentur in einer Schlichtungsanordnung.
398 399
Vgl BR-Drucks 755/03, 136. Siehe § 8 I.
400
Jan Pohle
S hierzu § 8 II.
1523
Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht Literatur Arlt Digital Rights Management-Systeme GRUR 2004, 548; Bartsch Computerviren und Produkthaftung CR 2000, 721; Bergfelder Was ändert das 1. Signaturänderungsgesetz? CR 2005, 148; Bizer Kryptokontroverse – Der Schutz der Vertraulichkeit in der Telekommunikation DuD 1996, 5; Brauch Geld oder Netz! c’t 14/2004, 48; Gründer/Schrey (Hrsg) Managementhandbuch IT-Sicherheit. Risiken, Basel II, Recht Berlin 2007 (zit Gründer/Schrey/Bearbeiter); Hamm Kryptokontroverse DuD 1997, 186; Holznagel Recht der IT-Sicherheit München 2003; Hörl/Häuser Service Level Agreements in IT-Outsourcingverträgen CR 2003, 713; Kloepfer Umweltrecht Berlin 1998; Lapp Zivilprozessualer Beweiswert und Beweiskraft digitaler Dokumente ITRB 2004, 64; Lensdorf/Steger IT-Compliance im Unternehmen ITRB 2006, 206; Meier/Wehlau Die zivilrechtliche Haftung für Datenlöschung, Datenverlust und Datenzerstörung NJW 1998, 1585; Möller Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem PostIdent-Verfahren NJW 2005, 1605; Pleister/Ruttig Neues Urheberrecht – neuer Kopierschutz MMR 2003, 763; Reinhard/Pohl/Capellaro (Hrsg) IT-Sicherheit und Recht. Rechtliche und technisch-organisatorische Aspekte für Unternehmen Berlin 2007 (zit Reinhard/ Pohl/Capellaro/Bearbeiter); Roßnagel Das neue Recht elektronischer Signaturen NJW 2001, 1817; Spindler IT-Sicherheit und Produkthaftung – Sicherheitslücken, Pflichten der Hersteller und der Softwarenutzer NJW 2004, 3145; ders Verantwortlichkeit von IT-Herstellern, Nutzern und Intermediären Bonn 2007; Wiesner Key Recovery DuD 2000, 698.
Übersicht Rn § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen des IT-Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . 1. Bedrohungen für die IT-Sicherheit . . . . . . . . 2. Datenschutzrecht . . . . . . 3. Vertragliche und deliktische Haftung . . . . . . . . . . 4. Handels-, Steuer-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . 5. Strafrecht . . . . . . . . . 6. BSIG und bereichsspezifisches IT-Sicherheitsrecht . 7. Technische Regelwerke . . . II. Bedeutung der IT-Sicherheit im Medienrecht . . . . . . . . III. Begrifflichkeiten . . . . . . . . § 2 Sichere Kommunikation und Identifizierung . . . . . . . . . . . . . . I. Signaturrecht . . . . . . . . . 1. Regelungen des Signaturgesetzes . . . . . . . . . .
1–22 1–10 1–3 4 5
6 7 8 9, 10 11–15 16–22 23–110 23–47 26–36
Rn a) Einfache elektronische Signatur . . . . . . . . . b) Fortgeschrittene elektronische Signatur . . . . . c) Qualifizierte elektronische Signatur . . . . . d) Qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung . . e) Nachhaltigkeit von qualifizierten Signaturzertifikaten . . . . . . . . . . 2. Alternativen . . . . . . . . a) Identifizierung im Rahmen von Zahlungsfunktionen b) Identifizierung über Dritte, IdentitätsmanagementSysteme . . . . . . . . . c) Identifizierung durch Medienbruch . . . . . . II. Kryptorecht . . . . . . . . . . 1. Kryptodebatte und Kryptobeschluss . . . . . . . . . .
Gregor Kutzschbach
29 30 31–34
35
36 37–47 39–42
43–45 46, 47 48–55 50–53
1525
Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil Rn
2. Bestehende kryptorechtliche Regelungen . . . . . . . . . III. Vertragliche und deliktische Haftung, Datenschutzrechtliche Anforderungen an IT-Sicherheit 1. Ansprüche gegen den Hersteller . . . . . . . . . . . a) Deliktische Ansprüche . b) Vertragliche Ansprüche . 2. Ansprüche gegen den Verkäufer . . . . . . . . . 3. Ansprüche gegen Dienstleister IV. Urheberrecht – Digital Rights Management . . . . . . . . . a) Arten von DRM . . . .
Rn b) Regelungen des UrhG . . c) Haftung des Rechtsinhabers . . . . . . . . V. Technische Regelwerke, Zertifizierung . . . . . . . . . . . 1. Technische Regelwerke . . . a) Rechtliche Relevanz Technischer Regelwerke b) IT-Grundschutz . . . . . c) BSI-Technische Richtlinien und BSI-Standards . . . d) ISO 17799 und ISO 27001 e) Common Criteria . . . . f) Sonstige Standards . . . 2. Zertifizierung . . . . . . .
54, 55
56–80 62–74 63–70 71–74 75 76–80 81–91 82–84
85–87 88–91 92–110 92–104 92, 93 94, 95 96, 97 98–100 101, 102 103, 104 105–110
§1 Einleitung I. Rechtsgrundlagen des IT-Sicherheitsrechts 1. Bedrohungen für die IT-Sicherheit
1
Medien sind ohne moderne Informationstechnik nicht mehr denkbar. Die Abhängigkeit von IT nimmt stetig zu. Gleichzeitig steigt die Komplexität und Anfälligkeit der IT, sei es durch technische Probleme, Sicherheitslücken oder gezielte Angriffe auf IT-Systeme. Als Beispiel für die zunehmende Gefährdung sei die zunehmende Ausnutzung von 2 Sicherheitslücken durch die Organisierte Kriminalität genannt. Wurden früher Viren und Würmer überwiegend von Einzelpersonen zur Befriedigung ihres persönlichen Geltungsbedürfnisses verbreitet, haben Angriffe heutzutage meist einen kriminellen Hintergrund und werden entsprechend professionell durchgeführt und verschleiert. So gibt es in letzter Zeit immer wieder Berichte über virtuelle „Schutzgelderpressungen“: Anbieter von Internetangeboten, zB Online-Wettbüros, werden mit der Drohung, ihr Angebot mittels sog DDoS-Angriffe 1 lahm zu legen, erpresst. Weigern sich diese, werden (zunächst nur kurzzeitig) entsprechende Angriffe unter Nutzung sog Bot-Netze 2 gefahren, bis der Erpresste zahlt, da der Schaden durch einen Ausfall seines Systems zu groß zu werden droht.3
1
2
DDoS steht für Distributed Denial of Service. Bei Denial of Service-Angriffen wird versucht, einen Server durch viele gleichzeitige Anfragen zu überlasten und dadurch außer Betrieb zu nehmen. Von einem Distributed Denial of Service Angriff spricht man, wenn dieser von mehreren ferngesteuerten Rechnern gleichzeitig aus erfolgt. Bei einem Bot-Netz handelt es sich um ein fernsteuerbares Netzwerk von in der Regel
1526
3
gekaperten PCs. Die Kontrolle über diese PCs wird durch die Verbreitung von Schadsoftware (Viren, Würmern, Trojanischen Pferden) erlangt. Die Schadsoftware eröffnet einem oder mehreren Steuerungs-Servern Zugriff auf die befallenen Rechner und erlaubt die Ausführung beliebiger Befehle. Vgl bereits Brauch c’t 14/2004, 48; www.heise.de/newsticker/meldung/48613.
Gregor Kutzschbach
§1
Einleitung
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der IT-Sicherheit hat sich aus ursprünglich 3 nur vereinzelten und versprengten Regelungen ein eigenes Rechtsgebiet entwickelt, das sich allein (und unabhängig vom „klassischen“ Datenschutzrecht) mit Fragen der ITSicherheit befasst. Dieses Rechtsgebiet ist insb für elektronische Medienangebote von wachsender Bedeutung. Die Rechtsgrundlagen des IT-Sicherheitsrechts sind dabei immer noch sehr unterschiedlichen Ursprungs: 2. Datenschutzrecht Soweit fremde personenbezogene Daten verarbeitet werden, stellt § 9 BDSG nebst 4 Anlage Anforderungen an die Absicherung der Informationsverarbeitung. Für Anbieter von elektronischen Medien und Mediendiensten werden Teilaspekte in den datenschutzrechtlichen Vorschriften des Telemediengesetzes konkretisiert.4 3. Vertragliche und deliktische Haftung Nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt sind die übrigen 5 vertraglichen oder deliktischen Haftungsnormen: Hierunter fällt einerseits die Haftung der Hersteller und Verkäufer von Hard- und insb Software. Aber auch der Anwender von IT muss im Geschäftsverkehr die IT-Sicherheit betreffende Sorgfaltspflichten beachten, um Schäden Dritter zu vermeiden, wenn er sich nicht schadensersatzpflichtig machen will. 4. Handels-, Steuer-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Auch das Handels- und Steuerrecht enthält im Zeitalter der elektronischen Buch- 6 führung spezifische Vorgaben für den sicheren IT-Einsatz bei der Rechnungslegung und im e-Commerce. Entsprechend gehören die IT-Organisation und IT-Sicherheit zu den Kernaufgaben der Geschäftsführung im Gesellschaftsrecht.5 Insbesondere durch das KonTraG 6 wurden neue Vorschriften zum Risikomanagement im HGB, AktG und GmbHG eingefügt. Dies beinhaltet auch ein umfassendes Informationssicherheits-Management. Für Aktiengesellschaften, deren Wertpapiere auch in den USA gehandelt werden, enthält der Sarbanes-Oxley Act von 2002, der in Reaktion auf diverse Bilanzskandale (Enron, Worldcom) erlassen wurde, strenge Anforderungen an die internen Kontrollsysteme von Kapitalgesellschaften. Insbesondere Sec 404 schreibt ein entsprechendes (IT-)Risikomanagement vor. Durch die sog „Basel II“ Vorschriften 7 sind Kreditinstitute verpflichtet, im Rahmen der Kreditvergabe eine umfassende Risikobewertung vorzunehmen, die auch die Bewertung des beim Kreditnehmer vorhandenen IT-Risikomanagements umfasst.8
4 5 6
7
Zu den datenschutzrechtlichen Vorschriften s unten Teil 7 Kap 1. Reinhard/Pohl/Capellaro/Sundermann Rn 184; Lensdorf/Steger ITRB 2006 206, 207. Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl I S 786. Die auf den Vorschlägen des Baseler Aus-
8
schusses für Bankenaufsicht beruhenden Eigenkapitalvorschriften der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG sind im KWG sowie in der Solvabilitätsverordnung (SolvV) und der Groß- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV) umgesetzt. Reinhard/Pohl/Capellaro/Breithaupt Rn 677.
Gregor Kutzschbach
1527
Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil
5. Strafrecht
7
Schließlich zielen auch zahlreiche Normen des Strafrechts auf den Schutz der Informationstechnik. Während die meisten IT-relevanten Vorschriften des StGB vorsätzliche Angriffe auf IT-Systeme oder die dort verarbeiteten Daten unter Strafe stellen, können einige Fahrlässigkeitstatbestände auch durch Sorgfaltspflichtverletzungen seitens der Betreiber von Informationstechnischen Systemen begangen werden.9 6. BSIG und bereichsspezifisches IT-Sicherheitsrecht
8
Neben den vorgenannten Regelungen mit eher grundsätzlichem Anwendungsbereich existieren ferner zahlreiche bereichsspezifische Vorschriften des IT-Sicherheitsrechts in den jeweiligen Fachgesetzen. Exemplarisch seien hier die Reglungen im BSIG genannt: Neben den Aufgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) regelt dies insb die Erteilung des Sicherheitszertifikats für IT-Produkte. Die für den elektronischen Rechtsverkehr wichtigen Fragen der elektronischen Signatur sind im Signaturgesetz (SigG) geregelt. Auch im Urheberrecht sind Fragen der IT-Sicherheit von Bedeutung, insb dann, wenn Rechtsinhaber Werke durch technische Maßnahmen sichern wollen (Digital Rights Management – DRM). 7. Technische Regelwerke
9
Allen genannten Rechtsnormen ist gemein, dass sie die jeweils ergreifenden technischen Sicherungsmaßnahmen und damit den rechtlichen Rahmen der informationstechnischen Sorgfaltspflichten allenfalls abstrakt-generell umschreiben. Ein IT-Verantwortlicher oder Administrator wird allein durch die Lektüre der Gesetzestexte diesen nicht entnehmen können, welche technischen Maßnahmen er im konkreten Anwendungsfall ergreifen muss. 10 Die rechtlichen Sorgfaltspflichten bedürfen vielmehr der Konkretisierung durch technische Regelwerke. Mit zunehmender Komplexität und Verbreitung der Informationstechnik haben sich zahlreiche Standards für die unterschiedlichen Einsatzbereiche gebildet. Als Normgeber kommen neben den „klassischen“ Normungsgremien wie DIN oder ISO Behörden wie das BSI mit seinem Grundschutzhandbuch, Branchenverbände oder Herstellerkonsortien in Betracht.
II. Bedeutung der IT-Sicherheit im Medienrecht 11
Das IT-Sicherheitsrecht ist grds branchenübergreifend, auch wenn die technische Konkretisierung teilweise je nach Branche oder Unternehmensart wieder sehr unterschiedlich ausfallen kann. Insbesondere die handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorgaben zur IT-Organisation treffen grds jedes Unternehmen abhängig von Rechtsform, Größe und Art des IT-Einsatzes. Im Folgenden soll der Fokus daher auf diejenigen Ausschnitte des IT-Sicherheitsrechts gelegt werden, die für Anbieter von (insb elektronischen) Medien, Mediendiensten oder Telemediendiensten 10 von besonderer Relevanz sind. 9
ZB § 317 StGB Störung von Telekommunikationsanlagen.
1528
10
Zur Abgrenzung der Begriffe oben Teil 5 Kap 1 Rn 36 ff.
Gregor Kutzschbach
§1
Einleitung
Dies sind zunächst die Vorschriften über die elektronische Kommunikation und Identifizierung, insb das Signaturrecht, ohne die wirksame Vertragsschlüsse auf elektronischem Weg nicht möglich sind. Ferner stellen sich für Anbieter von Inhalten gegen Bezahlung Fragen der wirksamen Absicherung desselben. Handelt es sich hier zunächst nur um eine Frage der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, wird diese haftungsrechtlich dann relevant, wenn der Inhalteanbieter diese nicht selbst elektronisch verbreitet, sondern auf entsprechende Dienstleistungen Dritter zurückgreift, zB im Rahmen von Outsourcing. Rechtliche Anforderungen an den Zugriffsschutz ergeben sich weiterhin auch für Anbieter von jugendgefährdenden Inhalten. Aber auch Anbieter von werbefinanzierten und frei zugänglichen elektronischen Medien sind betroffen: Nur durch entsprechende technische Maßnahmen lässt sich sicherstellen, dass die Angebote sowie die darauf geschaltete Werbung auch in der gewünschten Form elektronisch abgerufen werden können. Insbesondere Fragen der Verfügbarkeit spielen hier eine Rolle, wenn zB aufgrund erhöhter Netzlast oder gezielter Angriffe Server auszufallen drohen. Unmittelbar medienrechtsrelevant sind schließlich alle technikrechtlichen Fragen, die mit dem Einsatz von DRM im Zusammenhang stehen. Aufgrund der immensen Bedeutung technischer Regelwerke für die Auslegung des ITSicherheitsrechts sollen schließlich die wichtigsten technischen Normen ebenso wie Möglichkeiten zur Zertifizierung von IT-Sicherheit behandelt werden.
12 13
14 15
III. Begrifflichkeiten Eine Legaldefinition des Begriffs der IT-Sicherheit findet sich in § 2 Abs 2 BSIG: „Sicherheit in der Informationstechnik im Sinne dieses Gesetzes bedeutet die Einhaltung bestimmter Sicherheitsstandards, die die Verfügbarkeit, Unversehrtheit oder Vertraulichkeit von Informationen betreffen, durch Sicherheitsvorkehrungen 1. in informationstechnischen Systemen oder Komponenten oder 2. bei der Anwendung von informationstechnischen Systemen oder Komponenten.“ Dabei umfasst Informationstechnik gem § 2 Abs 1 BSIG „alle technischen Mittel zur Verarbeitung oder Übertragung von Informationen.“ Durch diese sehr weite Definition fällt nicht nur die elektronische Datenverarbeitung in IT-Systemen in den Anwendungsbereich des IT-Sicherheitsrecht, sondern bspw auch die Telekommunikationssicherheit, für die das TKG freilich größtenteils spezialgesetzliche Vorgaben enthält. § 2 Abs 2 BSIG bennet die drei wichtigen Schutzziele der IT-Sicherheit: Verfügbarkeit, Unversehrtheit und Vertraulichkeit. Unter Verfügbarkeit ist dabei die beständige Gewährleistung der Funktionalität der eingesetzten Informationstechnik zu verstehen: Diese darf zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt sein. Ein (auch zeitweiser) Ausfall der Informationstechnik würde die Verfügbarkeit ebenso beeinträchtigen wie Fehlfunktionen, die zu einer Beeinträchtigung des Datenverarbeitungsprozesses führen. Unversehrtheit bedeutet in erster Linie die Integrität des eingesetzten IT-Systems: Dieses muss gewährleisten, dass Daten nur vom Berechtigten und nur in der von ihm beabsichtigten Art und Weise verarbeitet werden können. Die verarbeiteten Daten müssen in diesem Sinne stets vollständig und korrekt sein. Die Sicherung der Integrität umfasst dabei den Schutz vor Datenverlust oder -veränderung durch Fehlfunktionen ebenso wie vor absichtlicher Manipulation der Daten. Die Integrität eines IT-Systems kann bereits Gregor Kutzschbach
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16
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19
Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil
durch Veränderungen an der Informationstechnik selbst gestört werden (zB durch heimliche oder nicht dokumentierte Veränderungen an Software durch Schadprogramme), auch wenn sich dieses nicht unmittelbar in Fehlern bei der Datenverarbeitung niederschlägt. Sofern Daten nicht nur lokal verarbeitet, sondern auch übertragen werden, muss auch 20 deren Authentizität verbürgt sein: Dies bedeutet, dass durch geeignete Kontrollmechanismen, bspw der Verwendung von Signaturen, die Herkunft der Daten von einer bestimmten Person oder einem bestimmten IT-System sichergestellt werden kann. Die Vertraulichkeit eines IT-System ist gegeben, wenn die dort verarbeiteten Informa21 tionen nur für Berechtigte zugänglich sind. Mittel zur Sicherstellung der Vertraulichkeit sind neben der Zugangs- und Zugriffskontrolle insb Methoden der Verschlüsselung. Auffällig an der Definition des § 2 Abs 2 BSIG ist, dass IT-Sicherheit nicht als defi22 nierter Zustand beschrieben wird, sondern auf die Einhaltung von Sicherheitsstandards bzw Sicherheitsvorkehrungen zur Gewährleistung der Schutzziele der IT-Sicherheit abgestellt wird. Hintergrund für diese etwas komplizierte Konstruktion dürfte die Tatsache sein, dass ein klar definierter „sicherer“ Zustand aufgrund der enormen Komplexität moderner Informationstechnik jedenfalls bei voller Funktionalität kaum zu erreichen ist. IT-Sicherheit beschreibt vielmehr den Prozess, durch Einhaltung von Standards und Sicherheitsvorkehrungen nach dem jeweiligen Stand der Technik den effektivsten Schutz zu erreichen.
§2 Sichere Kommunikation und Identifizierung I. Signaturrecht 23
Die elektronische Kommunikation ersetzt mehr und mehr den Schriftverkehr. Insbesondere wenn Leistungen in elektronischer Form angeboten werden, soll auch der zugrunde liegende Vertragsschluss auf elektronischem Weg erfolgen. Ein Medienbruch würde hier von den Beteiligten als unpraktisch und langwierig wahrgenommen. Eine herkömmliche Email hat allerdings den Nachteil, dass weder Integrität noch 24 Authentizität sichergestellt sind. Email-Absender können auch ohne besonderes technisches Know-How gefälscht werden. Der Inhalt kann während oder nach der Übertragung sowohl seitens des Absenders oder des Empfängers verändert werden, ohne dass die Änderungen erkennbar wären. Und allein aufgrund der Email-Adresse kann in der Regel kein Rückschluss darauf gezogen werden, wer tatsächlich der Verfasser der Email war. Die Beweiskraft einer Email tendiert im Rechtsverkehr daher gegen Null.11 Ist dies bei den nach wie vor weit verbreiteten werbefinanzierten Medienangeboten 25 noch hinnehmbar, ist die fehlende Beweiskraft für Vertragsabschlüsse über Email oder Webdialoge schon kritischer, wenn es sich um entgeltliche Angebote handelt. Der herkömmliche Online-Handel kann die fehlende Authentizität des Online-Vertragsschlusses durch den für den Versand ohnehin notwendigen Medienbruch regelmäßig heilen: Spä-
11
AG Bonn NJW-RR 2002, 1363; AG Erfurt MMR 2002, 127; Reinhard/Pohl/Capellaro/ Ewald Rn 23; Lapp ITRB 2004, 64 f.
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§2
Sichere Kommunikation und Identifizierung
testens mit der Annahme der Lieferung kann regelmäßig ein konkludenter Vertragsschluss konstruiert und die Rechnungsadresse verifiziert werden. Für rein elektronische Angebote, sei es das Online-Abonnement oder der Kauf in Download-Shops, müssen aber andere Formen des beweissicheren Vertragsschlusses gefunden werden. Vollends untauglich sind Formen der elektronischen Kommunikation ohne Signaturen, wenn die Identität des Vertragspartners eindeutig festgestellt werden muss: Anbieter jugendgefährdender Inhalte müssen bspw die Volljährigkeit ihrer Kunden eindeutig feststellen, um damit eine effektive Barriere für den Zugang Minderjähriger zu schaffen. Altersverifikationssysteme, die mit einfachen Mitteln umgangen werden können, genügen hier nicht.12 1. Regelungen des Signaturgesetzes Einen Versuch, diesen Nachteilen im elektronischen Geschäftsverkehr zu begegnen, 26 hat der Gesetzgeber in Form des Signaturgesetzes (SigG), ergänzt durch die Signaturverordnung (SigV), unternommen. Mit diesen Vorschriften wird auch die europäische Signatur-Richtlinie 13 umgesetzt. Technisch beruhen elektronische Signaturen auf dem Prinzip der asymmetrischen Ver- 27 schlüsselung 14: Jede Signatur besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel. Um eine Email zu signieren, wird aus dieser zunächst ein sog Hash-Wert 15 errechnet. Mit dem privaten Schlüssel (oder „Signaturschlüssel“, § 2 Nr 4 SigG) wird dieser HashWert verschlüsselt. Mittels des dem Empfänger bekannt gegebenen öffentlichen Schlüssels („Signaturprüfschlüssel“, § 2 Nr 5 SigG) kann der Hash-Wert wieder entschlüsselt werden. Durch Vergleich des Hash-Werts der Email mit dem entschlüsselten Hash-Wert der Signatur lassen sich die Integrität und Authentizität der Email verifizieren. Das Signaturgesetz definiert vier in ihrem Sicherheitsniveau abgestufte Varianten der 28 elektronischen Signatur: einfache, fortgeschrittene, qualifizierte und akkreditierte qualifizierte Signaturen. a) Einfache elektronische Signatur. Die einfache elektronische Signatur sind gem § 2 29 Nr 1 SigG Daten in elektronischer Form, die anderen Daten beigefügt oder logisch mit diesen verknüpft sind und der Authentifizierung dienen. Diese Definition wird durch jede Beifügung von Daten erfüllt, die dem Zweck dienen, den Urheber einer Nachricht oder Datei auszuweisen, sei es durch die Wiedergabe eines Namens am Ende einer Email oder durch eine Grafik, die eine Unterschrift darstellt. Die Definition ist offenbar lediglich der Vollständigkeit halber in das SigG aufgenommen worden, Rechtsfolgen knüpft das SigG keine an die Verwendung einer einfachen Signatur. Die Integrität oder Authentizität einer Nachricht kann mit dieser nicht bewiesen werden.16 Eine einfache Signatur soll die
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BGH I ZR 102/05 (noch nicht veröffentlicht); OLG Düsseldorf MMR 2005, 611. Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen vom 19.1.2000, ABl L 13 S 12. Bei der asymmetrischen Verschlüsselung wird mit Schlüsselpaaren gearbeitet: Die mittels eines privaten (geheimen) Schlüssels verschlüsselte Nachricht kann nur mittels des zugehörigen öffentlichen Schlüssels entschlüsselt werden. Aus dem öffentlichen
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Schlüssel lässt sich dabei nicht der private Schlüssel berechnen, so dass der öffentliche Schlüssel ohne das Risiko eines Missbrauchs öffentlich verteilt werden kann. Ein Hash-Wert ist ein mittels einer mathematischen Funktion aus einer beliebigen Eingabe ermittelte Wert, der dieser Eingabe möglichst eindeutig zugeordnet werden kann. Eine Änderung am Eingabewert führt auch zu einer Änderung des Hash-Werts. Holznagel § 5 Rn 15.
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5. Teil
Zuordnung einer elektronischen Nachricht zu deren Urheber erleichtern. Irgendeine Beweiskraft hinsichtlich der Identität des Verfassers oder der Integrität der Nachricht kommt ihr nicht zu.
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b) Fortgeschrittene elektronische Signatur. Fortgeschrittene elektronische Signaturen verwenden bereits asymmetrische Schlüsselpaare, um eine Nachricht eindeutig dem Inhaber des Signaturschlüssels zuzuordnen (§ 2 Nr 2a) SigG) und diesen als Schlüsselinhaber zu identifizieren (§ 2 Nr 2b) SigG). Nachträgliche Änderungen an den signierten Daten können durch die oben beschriebenen Verfahrensweise erkannt werden (§ 2 Nr 2d) SigG). Dabei können die Mittel zur Schlüsselerzeugung in der alleinigen Kontrolle des Schlüsselinhabers bleiben (§ 2 Nr 2c) SigG). Zur fortgeschrittenen Signierung können damit Programme eingesetzt werden, die vollständig auf dem Rechner des Anwenders laufen, wie zB PGP („Pretty Good Privacy“) oder Verschlüsselungsprodukte nach dem OpenPGP-Standard wie GnuPG. Durch eine fortgeschrittene Signatur lässt sich die Integrität einer Nachricht feststellen. Die Authentizität jedenfalls soweit, als die Herkunft vom Inhaber des zugehörigen Signaturschlüssels nachgewiesen ist. Die tatsächliche Sicherheit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur hängt dabei von den eingesetzten Signaturverfahren, der verwendeten Soft- und Hardware und vor allem von der Sorgfalt des Anwenders bei der Signaturerstellung ab. Da die Schlüsselerzeugung allein in der Hand des Schlüsselinhabers bleibt, gibt sie zudem keine Rückschlüsse über die Identität des Schlüsselinhabers. Dieser kann seine Nachrichten auch unter einem falschen Namen fortgeschritten signieren. Das Signaturrecht knüpft daher ebenfalls keine Rechtsfolgen an die Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur. Gleichwohl kann diese zumindest einen Anhaltspunkt für die Identität des Verfassers einer Nachricht geben: Ist einmal die Identität eines Signaturinhabers festgestellt worden, kann aus der Verwendung derselben Signatur bei anderen Nachrichten regelmäßig geschlossen werden, dass auch diese vom selben Verfasser stammen.17
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c) Qualifizierte elektronische Signatur. Die der fortgeschrittenen Signatur fehlende Identifizierungsfunktion ist daher die wesentliche Funktionserweiterung bei der qualifizierten elektronischen Signatur. Diese muss gem § 2 Nr 3a) SigG auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen. Außerdem schreibt § 2 Nr 3b) SigG die Verwendung einer „sicheren“ Signaturerstellungseinheit vor. Erst durch das qualifizierte Zertifikat wird ein öffentlicher Schlüssel (Signaturprüf32 schlüssel) einer Person eindeutig zugeordnet und deren Identität bestätigt (§ 2 Nr 6 SigG). Der Empfänger einer Email kann das Zertifikat bei der Zertifizierungsstelle, die das Zertifikat augestellt hat, online überprüfen und dadurch dessen Identität bestätigen. Die genauen Anforderungen an den Inhalt des Zertifikats sind in § 2 Nr 7 und § 7 SigG festgelegt. Ein Zertifikat darf insb nur ausgestellt werden, wenn die Person, die das Zertifikat beantragt, sich gegenüber der Zertifizierungsstelle zuvor eindeutig identifiziert hat (§ 5 Abs 1 SigG). Das Zertifikat ist spätestens nach fünf Jahren zu erneuern (§ 14 Abs 3 SigV). Nach Ablauf eines Zertifikats kann die Identität des Inhabers einer qualifizierten elektronischen Signatur noch weitere 5 Jahre beim Zertifizierungsdiensteanbieter überprüft werden (§ 4 Abs 1 SigV).
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Sofern dieser den Schlüssel nicht an Dritte weitergegeben hat.
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Der Betrieb eines solchen Zertifizierungsdienstes ist genehmigungsfrei und lediglich 33 anzeigepflichtig (§ 4 Abs 1, 3 SigG). Der Zertifizierungsdiensteanbieter muss die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzen und insb durch Vorlage eines Sicherheitskonzepts nachweisen (§ 4 Abs 2 SigG). Verletzt der Zertifizierungsdiensteanbieter schuldhaft seine Pflichten nach dem SigG, ist er gem § 11 SigG schadensersatzpflichtig. Hinsichtlich des Verschuldens wird durch § 11 Abs 2 SigG die Beweislast dem Zertifizierungsdiensteanbieter auferlegt. Die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur erfüllt gem § 126a BGB 34 das Schriftformerfordernis. Die elektronische Signatur ist der Unterschrift auf einem papierschriftlichen Dokument gleichgestellt. Sind elektronische Rechnungen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, sind diese gem § 14 Abs 3 Nr 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, auch wenn keine schriftliche Rechnung gestellt wurde. Theoretisch bleibt eine qualifizierte elektronische Signatur allerdings anfechtbar mit der Behauptung, die bei einem Zertifizierungsdiensteanbieter eingesetzte Technik sei nicht sicher genug, um die Identität eines Absenders eindeutig zu belegen.18 d) Qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung. Um auch dieses 35 Risiko auszuschließen besteht für Zertifizierungsdiensteanbieter die Möglichkeit, sich gem § 15 SigG auf freiwilliger Basis bei der zuständigen Behörde akkreditieren zu lassen. Anders als bei der bloßen Anzeige nach § 4 Abs 3 SigG muss er im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens der zuständigen Behörde nachweisen, dass er sämtliche Anforderungen des SigG und der SigV erfüllt. Ist der Nachweis erbracht, erhält er ein entsprechendes Gütesiegel als akkreditierter Zertifizierungsdiensteanbieter. Damit gilt gem § 15 Abs 1 S 4 SigG die technische und administrative Sicherheit für die auf ihren qualifizierten Zertifikaten beruhenden qualifizierten elektronischen Signaturen als nachgewiesen (qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung).19 Auch solche akkreditierten qualifizierten Signaturen haben eine Gültigkeit von maximal fünf Jahren, anders als bei der (einfachen) qualifizierten elektronischen Signatur kann die Identität des Signaturinhabers allerdings bis 30 Jahre nach Ablauf des Zertifikats beim Zertifizierungsdiensteanbieter überprüft werden (§ 4 Abs 2 SigV). e) Nachhaltigkeit von qualifizierten Signaturzertifikaten. Der Identitätsnachweis 36 durch qualifizierte Signaturen erfolgt immer über den Zertifizierungsdiensteanbieter, den die entsprechenden Aufbewahrungspflichten nach § 4 SigV treffen. Stellt der Zertifizierungsdiensteanbieter seinen Geschäftsbetrieb ein, zB in Folge der Insolvenz des Anbieters, kann der für den Rechtsverkehr wichtige Identitätsnachweis nicht mehr erbracht werden. Eine einfache qualifizierte Signatur wird in diesem Moment wertlos. Auch für noch während des Bestehens des Zertifizierungsdiensteanbieters signierte Nachrichten lässt sich im Nachhinein nicht mehr die Identität des Signaturinhabers verifizieren. Lediglich für qualifizierte elektronische Signaturen mit Anbieter-Akkreditierung sieht § 15 Abs 6 SigG vor, dass die zuständige Behörde das Zertifikatsverzeichnis übernimmt, so dass der Identitätsnachweis auch im Insolvenzfall weiter geführt werden kann.
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Zu den prozessrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang Bergfelder CR 2005, 148, 149.
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Reinhard/Pohl/Capellaro/Ewald Rn 40; Roßnagel NJW 2001, 1817, 1822.
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5. Teil
2. Alternativen
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Obwohl das SigG nunmehr seit 1997 (in seiner heutigen Fassung seit 2001) besteht, haben sich elektronische Signaturen im Geschäftsverkehr noch kaum durchgesetzt.20 Auch das 2003 gestartete sog Signaturbündnis 21 der Bundesregierung mit der Industrie, das mit dem Ziel gestartet wurde, die Verbreitung elektronischer Signaturen zu fördern, hat an diesem Zustand bislang wenig verändert. Da qualifizierte elektronische Signaturen nur wenig verbreitet sind, werden im elektronischen Geschäftsverkehr auch Alternativen akzeptiert. Da hierdurch andererseits für kaum einen Geschäftsvorfall eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist, sinkt die Bereitschaft, die Kosten und den organisatorischen Aufwand für den Erwerb einer qualifizierten elektronischen Signatur auf sich zu nehmen: Ein qualifiziertes Zertifikat kostet derzeit ca. 50,– € im Jahr, aufgrund der technischen Anforderungen insb des § 15 Abs 1 SigV kann die Signatur nicht auf dem Rechner gespeichert werden, sondern muss auf einem externen Medium, zB einer Chipkarte, vorgehalten werden. Auch können elektronische Signaturen nur für natürliche, nicht aber für juristische Personen ausgestellt werden (§ 2 Nr 9 SigG). Die fortgeschrittene elektronische Signatur ist für den Anwender einfacher und preiswerter zu handhaben, genießt aber mangels Identifizierungsfunktion keine rechtliche Privilegierung gegenüber unsignierten Nachrichten.22 38 Aus diesem Grund wird in der Praxis überwiegend auf mehr oder weniger sichere Alternativen zurückgegriffen, wenn insb die Identität des Verfassers sichergestellt werden muss. Da nur die wenigsten Rechtsgeschäfte dem Schriftformerfordernis unterliegen, ist dies rechtlich ohne weiteres möglich. Problematisch ist lediglich die Frage der Beweiskraft.
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a) Identifizierung im Rahmen von Zahlungsfunktionen. Die meisten elektronischen Medienangebote sind auf eine Identifizierung des Kunden nicht angewiesen. Daher wird auf diese in der Regel verzichtet und das Augenmerk auf die Sicherstellung der Bezahlung gelegt. Da eine Zug um Zug Leistung wie bei Bargeschäften im elektronischen Rechtsverkehr nicht möglich ist, ist die für den Anbieter sicherste Methode, Vorkasse zu verlangen. Erst nach Zahlungseingang erhält der Kunde die gewünscht Leistung, zB in Form von Zugangsdaten zu einem Mediendienst. Der Kunde muss in diesem Fall allerdings darauf vertrauen, dass der Anbieter selbst korrekte Angaben über seine Identität gemacht hat bzw er im Betrugsfall zumindest den Zahlungsempfänger anhand der Bankverbindung ermitteln kann. Nicht nur aufgrund des Vorleistungsrisikos, sondern auch aufgrund der für die Überweisung benötigten Zeitspanne von in der Regel einem Tag sind solche Angebote für viele potenzielle Kunden nicht akzeptabel. 40 Schneller ist die Zahlung per Kreditkarte. Hier muss nicht der tatsächliche Zahlungsfluss abgewartet werden, da der Kartenaussteller in seinem Vertrag mit dem Anbieter ein entsprechendes Zahlungsversprechen für den Fall der ordnungsgemäßen Belastung der Kreditkarte durch den Karteninhaber abgibt. Grds ist für die Zahlung mit Kreditkarte neben Vorlage der Karte auch die Unterschrift des Karteninhabers notwendig. Lässt sich ein Händler lediglich die Kreditkartendaten geben, trägt damit grds er das Risiko, dass der Karteninhaber die Zahlung später verweigert. Da eine Unterschrift im elektronischen Geschäftsverkehr ohne den Einsatz qualifizierter Signaturen nicht geleistet werden kann, haben die Kartenaussteller unterschiedliche zusätzliche Verifizierungssysteme eingeführt (je nach Kartenaussteller CVC, CVN oder CVC-Code genannt). Dieser ist auf der Rück20 21
Bergfelder CR 2005, 148. www.signaturbuendnis.de.
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Zum Ganzen auch Reinhard/Pohl/Capellaro/ Ewald Rn 27.
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seite der Karte aufgedruckt und muss bei der elektronischen Kartenzahlung zusätzlich zu den Kartendaten auf der Vorderseite angegeben werden als Nachweis, dass man tatsächlich im Besitz der Karte ist. Tatsächlich bietet dieses System keinerlei Sicherheit: Ein Kreditkartenbetrüger kann sich mit geringem Aufwand in den Besitz aller für eine OnlineZahlung erforderlichen Daten bringen, da diese bei jedem Bezahlvorgang, sei es im Internet oder im Ladengeschäft, offen angegeben werden. Zwar wird die auf der Rückseite aufgedruckte Nummer bei Zahlung per Unterschrift nicht erfasst. Für das jeweilige Verkaufspersonal ist es aber problemlos möglich, während des Bezahlvorgangs (zB beim Einführen der Karte in das Lesegerät) diese Nummer abzulesen. Bestreitet daher ein Kunde eine Kreditkartenzahlung im Internet, kann ihm auch bei 41 Verwendung der korrekten Kartenprüfnummer nicht nachgewiesen werden, dass er den Zahlungsvorgang mit seiner Karte ausgelöst hat. Ein rechtliches Haftungsrisiko besteht für den Kunden bei Missbrauch seiner Karte daher nicht. De facto werden die Missbrauchsfälle seitens der Kartenaussteller offenbar in Kauf genommen. Durch die automatisierte Überwachung der Zahlungsströme hinsichtlich Auffälligkeiten (fraud detection) und ggf Sperrung der betroffenen Karte lässt sich der Schaden begrenzen. Eine weitere Methode ist schließlich die Bezahlung über die Telefonrechnung. Hier 42 gibt der Anbieter dem Kunden eine Mehrwert-Telefonnummer, die er von seinem Telefonanschluss aus anruft. Der Kaufpreis wird daraufhin seiner Telefonrechnung belastet. Dieses eignet sich allerdings nur für Kleinbeträge: Zum einen tritt hier der Anbieter (abgesehen von Prepaid-Telefonverträgen) regelmäßig in Vorleistung und trägt damit das Ausfallrisiko, wenn der Kunde nicht in der Lage oder Willens ist, seine Telefonrechnung zu begleichen. Auch stellt sich wie bei sonstigen Mehrwertdiensten die Frage der Haftung des Anschlussinhabers für den Missbrauch durch Dritte.23 b) Identifizierung über Dritte, Identitätsmanagement-Systeme. In den oben geschil- 43 derten Fällen überträgt der Anbieter praktisch die Aufgabe der Identifizierung auf das für den Bezahlvorgang eingeschaltete Kreditinstitut. Dieses ist gem § 2 GWG ohnehin verpflichtet, seine Kunden durch persönliche Vorlage von Personalausweis oder Reisepass oder anhand einer qualifizierten elektronischen Signatur zu identifizieren. So bieten Kreditkartenaussteller bspw die Möglichkeit, gegenüber Online-Händlern nicht nur die Bezahlung abzuwickeln, sondern auch die vom Kunden angegebene Lieferanschrift zu verifizieren. Wie das Beispiel der Bezahlung über die Telefonrechnung zeigt, ist auch eine Identifizierung über sonstige Dritte möglich, wenn auch weniger weit verbreitet. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang sog Identitätsmanage- 44 ment-Systeme.24 Die Idee dahinter ist, dass sich der Nutzer einmal gegenüber dem Identitätsmanagement-Portal authentifiziert. Will der Nutzer nun Angebote Dritter nutzen, kann er sich bei diesen über das Portal des Identitätsmanagement-Systems anmelden, dass gegenüber dem eigentlichen Anbieter die Identität des Nutzers bestätigt (Single Sign On). Die Bundesregierung prüft derzeit, in erster Linie um die Nutzbarkeit von E-Government-Angeboten zu verbessern, die Schaffung sog Bürgerportale. Diese sollen nicht nur den Zugang zu den einzelnen Behörden via Single Sign On gewähren, sondern auch privatwirtschaftlichen Anbietern offen stehen, um die Identifizierung und Authentifizierung über das Bürgerportal abzuwickeln.25 23 24
Hierzu auch Teil 5 Kap 2 Rn 67 ff. Das bekannteste ist wohl Microsoft Passport.NET. Da Microsoft aufgrund seiner Marktmacht wenig Vertrauen entgegengebracht wird, haben sich als Gegenpart das
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Open ID-Project und die Liberty Alliance gebildet. Bundesministerium des Innern E-Government 2.0, 21, abrufbar unter www.bmi.bund.de.
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Einen Sonderfall stellen Altersverifikationssysteme dar. Hier kommt es dem Anbieter selbst oft gar nicht darauf an, die Identität seines Vertragspartners zu kennen. Gem § 4 Abs 2 S 2 JMStV sind aber jugendgefährdende, insb pornografische Telemedien nur zulässig, wenn sichergestellt wird, dass diese nur Erwachsenen zugänglich sind. Um diesen Altersnachweis zu erbringen, bedienen sich viele Anbieter sog Altersverifikationssysteme. Diese müssen zuvor die Identität bzw die Volljährigkeit einer Person mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt haben und können diese dann gegenüber den angeschlossenen Anbietern jugendgefährdender Medien bestätigen.26
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c) Identifizierung durch Medienbruch. Viele Anbieter bedienen sich schließlich des Medienbruchs, um die Identität ihres Kommunikationspartners zu verifizieren. So können bspw Zugangsdaten statt per Email per Post an den Empfänger versand werden. Ein Beweis über die tatsächliche Identität ist damit noch nicht geführt, aber das Missbrauchsrisiko kann hierdurch minimiert werden. Der größte Vorteil elektronischer Kommunikation, nämlich deren Geschwindigkeit, geht hierbei verloren. Gesetzlichen Pflichten zur Identifizierung des Geschäftspartners, wie sie § 2 GWG 47 oder implizit § 4 Abs 2 S 2 JMStV postulieren, wird im Zweifelsfall nur durch Verwendung sicherer Identitifzierungsverfahren wie der qualifizierten elektronischen Signatur oder dem PostIdent-Verfahren genügt.27 Bei letzterem weist sich der Betroffene mit seinem Personalausweis in einer Postfiliale aus und übergibt zusätzlich eine Postsendung, zB einen Kontoeröffnungsantrag. Der Post-Mitarbeiter bestätigt dann die Identität des Einsenders auf dem Schreiben.
II. Kryptorecht 48
Durch Einsatz elektronischer Signaturen kann die Integrität und Authentizität einer Email gewährleistet werden. Die Vertraulichkeit hingegen ist damit noch nicht gewahrt. Auch eine signierte Email kann auf dem Übertragungsweg abgefangen, kopiert und mitgelesen werden. Um auch die Vertraulichkeit der Kommunikation zu gewährleisten, bedarf es des Einsatzes der Kryptographie. Dies gilt auch, soweit Daten auf Datenträgern gespeichert werden: Erlangt ein Unbefugter Zugang zu diesen Daten, sei es durch Überwinden der Zugangssperren, sei es durch physischen Zugriff auf das Speichermedium, kann nur die Verschlüsselung der Daten (und sichere Verwaltung des Schlüssels) den Abfluss sensibler Informationen verhindern. Die Kryptographie ist die Schlüsseltechnologie für die Gewährleistung der IT-Sicherheit. Im Gegensatz zum Signaturrecht existiert jedoch keine allgemeinverbindliche Rechts49 vorschrift über den Einsatz von Verschlüsselung. Lediglich in einigen neueren bereichsspezifischen Gesetzen ist für bestimmte Fälle der Einsatz von Kryptographie vorgeschrieben.28 Im Übrigen ergibt sich eine Verpflichtung zum Einsatz kryptographischer Methoden nur mittelbar aus den jeweiligen den IT-Einsatz betreffenden Sorgfaltspflichten.
26
Zu den Anforderungen an die Identifizierung gegenüber dem Altersverifikationssystem BGH I ZR 102/05 (noch nicht veröffentlicht); OLG Düsseldorf MMR 2005, 611.
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27 28
Hierzu ausf Möller NJW 2005, 1605. ZB § 3 der Passdatenerfassungs- und Übermittlungsverordnung (PassDEÜV).
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1. Kryptodebatte und Kryptobeschluss Die sog Kryptodebatte war in der Vergangenheit vielmehr von der Diskussion über eine beschränkende Regulierung des Kryptoeinsatzes geprägt: Wenn moderne starke Verschlüsselungsverfahren fehlerfrei implementiert und angewendet werden, besteht auch für Strafverfolgungsmöglichkeiten keine Möglichkeit, die verschlüsselten Daten wieder lesbar zu machen. Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen nach §§ 100a ff. StPO laufen ins Leere, wenn die Tatverdächtigen entsprechend Kryptographie einsetzen. Diskutiert wurden neben einem völligen Verbot des Einsatzes von Verschlüsselungstechniken für Private 29 die Gestattung nur von Verschlüsselungstechnik, die einen staatlichen Zugriff auf die Schlüssel gestattet (key recovery) 30 oder bei denen der Schlüssel bei staatlichen Stellen hinterlegt wird (key escrow) 31. Die Bundesregierung hat schließlich mit ihrem Eckwertepapier zur deutschen KryptoPolitik 32 von 1999 (sog Kryptobeschluss) erklärt, dass sie nicht beabsichtige, „die freie Verfügbarkeit von Verschlüsselungsprodukten in Deutschland einzuschränken.“ Sie sähe „in der Anwendung sicherer Verschlüsselung eine entscheidende Voraussetzung für den Datenschutz der Bürger, für die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs sowie für den Schutz von Unternehmensgeheimnissen.“ Die Bundesregierung hat deshalb erklärt, die Verbreitung sicherer Verschlüsselung in Deutschland aktiv zu unterstützten. Einen vergleichbaren Beschluss hat in der Folge auch die europäische Kommission gefasst.33 Damit unterliegt der Einsatz auch starker Verschlüsselungsverfahren in Deutschland keinen rechtlichen Schranken. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass es je nach Art und Umfang der betrieblichen Datenverarbeitung eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen kann, wenn auf den Einsatz von Kryptographie verzichtet wird.34
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2. Bestehende kryptorechtliche Regelungen Gleichwohl existieren einige, den Einsatz oder die Vermarktung von Kryptographie 54 beschränkende Vorschriften: So sind die Betreiber von Telekommunikationsanlagen gem § 8 Abs 3 TKÜV verpflichtet, Telekommunikationsinhalte im Falle einer Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme in entschlüsselter Form an die zuständige Behörde auszuleiten. Dies gilt natürlich nur, soweit es sich um eine vom Provider eingesetzte systemseitige Verschlüsselung handelt, denn nur in diesem Fall verfügt der Provider über den Schlüssel. Setzt der Tatverdächtige an seinem Endgerät eine Ende-zu-Ende Verschlüsselung ein, kann auch der Telekommunikationsprovider nur den verschlüsselten Datenstrom ausleiten. Auch die §§ 146 Abs 5 und 147 Abs 5 AO sehen vor, dass für das Finanzamt die hier aufgeführten elektronischen Geschäfts- und Buchführungsunterlagen lesbar gemacht werden, das heißt im Fall der Verschlüsselung insb entschlüsselt werden müssen. Auch die Mitwirkungspflichten nach § 200 AO beinhalten ggf eine Pflicht, verschlüsselte Unterlagen lesbar zu machen.35 29 30 31 32 33
Vgl Bizer DuD 1996, 5, 10; Hamm DuD 1997, 186, 188. Wiesner DuD 2000, 698. Wiesner DuD 2000, 698, 699. www.dud.de/dud/documents/kreg990602. htm. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und
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Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 26.1.2001 „Schaffung einer sicheren Informationsgesellschaft durch Verbesserung der Sicherheit der Informationsinfrastruktur und Bekämpfung der Computerkriminalität“, KOM (2000) 890, 11. Hierzu unten Rn 56–80. Holznagel § 6 Rn 22.
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5. Teil
Schließlich unterliegen einige Kryptoprodukte der Ausfuhrkontrolle nach der EGDual-Use-Verordnung 36, wobei viele marktgängige Produkte bereits gem Teil 2 Anmerkung 3 des Anhangs I zur Dual-Use-Verorordnung von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind. Für Hersteller von Kryptosystemen, die für die Übertragung staatlicher Verschlusssachen zugelassen sind, gelten außerdem Beschränkungen für ausländische Beteiligungen gem §§ 7 Abs 2 Nr 5 AWG, 52 AWO.
III. Vertragliche und deliktische Haftung, Datenschutzrechtliche Anforderungen an IT-Sicherheit 56 57
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Wer Informationstechnik herstellt, verkauft, betreibt oder nutzt setzt sich notwendigerweise zahlreichen Haftungsrisiken aus. Die schädigenden Ereignisse können dabei unterschiedlichster Natur sein: Neben vorsätzlichen Angriffen auf IT-Infrastrukturen, zB in Form von Einbrüchen in IT-Systeme, Ausspähen, Zerstören und Ändern von Daten oder Angriffen auf die Verfügbarkeit von IT-Systemen können Daten auch durch Fehlfunktionen der eingesetzten Hard- und Software oder deren Fehlbedienung verloren gehen oder verändert werden. Befindet sich die Informationstechnik eines Unternehmens, bspw eines Mediendiensteanbieters, allein in dessen Hand und Verantwortung, bedeutet ein Ausfall oder eine Störung zunächst nur eine Eigenschädigung, die unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verhehrend sein mag, aber juristisch noch keine Haftungsansprüche auslöst.37 In der Praxis wird der Betrieb der Informationstechnik aber auf viele Schultern verteilt: So kümmert sich der eigentliche Mediendiensteanbieter möglicherweise lediglich um die Inhalte. Die technische Aufbereitung und Verteilung obliegt einem anderen Dienstleister, der sich wiederum der Dienste eines Großrechenzentrums bedient. Der Zugang zum Internet erfolgt über einen entsprechenden Zugangsprovider, die eingesetzte Hard- und Software wurde über entsprechende Händler von den jeweiligen Herstellern erworben oder gemietet und möglicherweise von einem weiteren IT-Dienstleister an die Bedürfnisse des Auftraggebers angepasst. Dieses Beispiel verdeutlicht: Kommt es durch Ausfall oder Fehlfunktion der Informationstechnik bei einem der Beteiligten (oder einem unbeteiligten Dritten) zu einem Schaden, ist die Frage, wer für diesen einzustehen hat und welche Regressforderungen in diesem Beziehungsgeflecht entstehen, nicht immer trivial. Soweit zwischen den Parteien Vertragsbeziehungen bestehen, kommen dabei insb vertragliche Schadensersatzansprüche in Betracht. Unter welchen Umständen die Vertragsparteien für einen Schaden haften, ist dabei insb eine Frage der Vetragsgestaltung. Im übrigen können auch Ansprüche aus Delikt, insb aus §§ 823 ff BGB, dem Produkthaftungsgesetz oder ggf dem BDSG 38 bestehen. Nicht jeder Schaden ist aus deliktischen Ansprüchen ersetzbar. Voraussetzung ist in der Regel die schuldhafte Verletzung eines Rechtsguts des Geschädigten oder eines Schutzgesetzes. Der Ersatz reiner Vermögensschäden (zB durch Produktionsausfälle) ist nur sehr eingeschränkt möglich. Auch soweit Schäden durch vorsätzliche Angriffe von außen verursacht wurden, stellen sich diese Haftungsfragen. Denn Ansprüche gegen den Angreifer selbst sind in der 36 37
Verordnung des Rates vom 22.7.2000 1334/2000/EG, ABl L 159, 1. Abgesehen von möglichen innerbetrieblichen Regressforderungen gegen Arbeitnehmer oder die Geschäftsführung.
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Hierzu unten Teil 7 Kap 1 Rn 141 ff.
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Regel wertlos, da dieser nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand überhaupt zu ermitteln ist, oftmals im Ausland sitzt oder gar nicht über die finanziellen Mittel verfügt, die durch sein Verhalten verursachten Schäden zu ersetzten. Wesentlich wichtiger ist daher für den Geschädigten die Frage, welche Ansprüche er 61 gegen Dritte hat. Denn erfolgreiche Angriffe beruhen in der Regel auf Schwachstellen der eingesetzten Informationstechnik, insb Programmierfehlern, Fehlkonfiguration oder einem von vornherein falschen Einsatzkonzept. 1. Ansprüche gegen den Hersteller Soweit ein Schaden auf einen Fehler der eingesetzten Hard- oder Software zurückzu- 62 führen ist, stellt sich die Frage nach der Haftung des Herstellers. Da jedenfalls Standardkomponenten in der Regel über einen Händler erworben werden und damit keine Vertragsbeziehungen zwischen Hersteller und Geschädigtem bestehen, sind hier insb deliktische Ansprüche von Bedeutung. a) Deliktische Ansprüche. Voraussetzung für einen Anspruch aus § 823 Abs 1 BGB ist die Verletzung eines hier aufgeführten Rechtsguts. Die Haftung für die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass zB durch den Ausfall einer Steuerungssoftware in Industrieanlagen auch solche Schäden durch IT-Sicherheitslücken entstehen. In der Regel stellt sich aber die Frage, ob es durch eine Sicherheitslücke in einem Produkt zu einer Eigentumsverletzung gekommen ist. Aber auch eine Eigentumsverletzung in Form einer Substanzverletzung ist eher selten: Die Hardware wird durch Sicherheitsvorfälle regelmäßig nicht zerstört. Ein bloß vorübergehender Ausfall der IT hebt deren Gebrauchstauglichkeit in der Regel nicht auf und stellt daher keine Eigentumsverletzung dar.39 Der Begriff des Eigentums in § 823 Abs 1 BGB umfasst nach herrschender Meinung allerdings auch die Integrität von Daten, die im Eigentum des Geschädigten stehen. Damit führt jede ungewollte Veränderung oder Löschung von Daten zu einer Eigentumsverletzung.40 Dies gilt erst Recht für die Zerstörung von immaterialgüterrechtlich geschützten elektronischen Werken.41 Keine Verletzung der Datenintegrität und damit des Eigentums liegt allerdings in den immer häufigeren Fällen vor, in denen die Daten, zB Konstruktionszeichnungen und andere Betriebsgeheimnisse, durch einen Trojaner ausgespäht werden, solange sie auf dem Datenträger des Geschädigten unverändert bleiben. Liegt eine Eigentumsverletzung vor, muss diese dem Hersteller auch zuzurechnen sein. Bei IT-Sicherheitsvorfällen ist typischerweise das Verhalten Dritter für den Schaden mitursächlich, insb wenn ein Hacker eine Sicherheitslücke ausnutzt. Mit einem solchen Fehlverhalten Dritter ist allerdings regelmäßig zu rechnen: Auch wenn sich ein Schaden erst durch die Ausnutzung einer latenten Gefahr (Sicherheitslücke) verwirklicht, ist dieser dem Hersteller zurechenbar.42 39
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Reinhard/Pohl/Capellaro/Bäumer Rn 328; Spindler NJW 2004, 3145, 3146. Eine Ausnahme besteht, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache vorliegt: BGHZ 55, 153, 159; BGHZ 105, 346, 350; BGH NJW 1994, 517, 518. OLG Karlsruhe, NJW 1996, 200, 201;
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Meier/Wehlau NJW 1998, 1585, 1587; Spindler Rn 110; Spindler NJW 2004, 3145, 3146; aA LG Konstanz NJW 1996, 2662; AG Dachau NJW 2001, 3488. Spindler Verantwortlichkeiten von IT-Herstellern, Nutzern und Intermediären Rn 110. BGH NJW 1990, 1236, 1237.
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Hinsichtlich des Verschuldens des Herstellers greifen die allgemeinen zur deliktischen Produkthaftung von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze: Der Hersteller haftet für Konstruktionsfehler, Anleitungsfehler und für die Verletzung von Produktbeobachtungs- Warn- und Rückrufpflichten.43 Kann der Geschädigte nachweisen, dass der Fehler im Organisationsbereich des Herstellers entstanden ist, kommt es hinsichtlich der objektiven Verkehrspflichtverletzung und des Verschuldens zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten. Schwierig zu beantworten ist die Frage, wann ein IT-Produkt fehlerhaft ist und erst 68 gar nicht in den Verkehr hätte gebracht werden dürfen bzw Handlungspflichten des Herstellers nach Inverkehrbringen auslöst. Grds ist der Hersteller verpflichtet, sein Produkt nach dem jeweiligen Stand der Technik fehlerfrei herzustellen.44 Soweit ein Produkt Sicherheitslücken aufweist, ist der Zeitpunkt der Kenntnis des Herstellers von der Sicherheitslücke maßgeblich: Kennt er diese bereits vor dem Inverkehrbringen des Produkts, darf er das fehlerhafte Produkt erst gar nicht zum Verkauf bringen.45 Erfährt er erst später von der Sicherheitslücke, muss er die Nutzer des Produkts in geeigneter Weise warnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorzeitige Veröffentlichung von Sicherheitslücken, für die es noch keine Abhilfe gibt, deren Ausnutzung durch Angreifer beschleunigen kann. Im Ergebnis muss der Hersteller daher abwägen, ob und wie er vor Verfügbarkeit eines Sicherheitspatches die Nutzer warnt. Spätestens wenn erste Schadprogramme auftauchen, die die Sicherheitslücke ausnutzen, kann der Hersteller mit der Warnung aber nicht mehr zuwarten. In der Praxis veröffentlichen Hersteller von Standardsoftware regelmäßig Sicherheits69 patches, um bekannt gewordenen Sicherheitslücken zu beheben. Eine grundsätzliche Pflicht zu derartigen Nachbesserungen besteht allein aus § 823 BGB allerdings nicht, theoretisch würde eine Rücknahme des fehlerhaften Produktes genügen. Neben den Ansprüchen aus § 823 BGB können auch solche nach dem Produkthaf70 tungsgesetz (ProdHaftG) bestehen. Da hier der Kreis der geschützten Rechtsgüter noch enger gefasst ist, spielen diese aber in der Praxis gegenüber den deliktischen Produkthaftungsansprüchen aus § 823 I BGB keine Rolle.
71
b) Vertragliche Ansprüche. Wird die Informationstechnik unmittelbar vom Hersteller erworben, was insb bei individuell für den Käufer hergestellter oder angepasster Software (Individualsoftware) der Fall sein kann, kommen gegen den Hersteller auch vertragliche Ansprüche in Betracht, wenn die Informationstechnik Sicherheitslücken aufweist. Ob und welche Gewährleistungsansprüche bestehen, hängt davon ab, welcher Ver72 tragstyp vorliegt. Während bei Standardsoftware regelmäßig ein Kaufvertrag geschlossen wird, wird es sich beim Erwerb von Individualsoftware oftmals um einen Werkvertrag handeln. Möglich ist aber auch die Miete oder das Leasing von Software, die sich nicht einmal auf der Hardware des Nutzers befinden muss, sondern zB online genutzt wird und auf den Servern des Herstellers bzw Leasinggebers läuft. Bei hochkomplexen IT-Projekten, insb wenn eine maßgeschneiderte Softwarelösung für den Auftraggeber angefertigt werden soll, werden oftmals lediglich Dienstleistungsverträge geschlossen, da ein geschuldeter Erfolg, wie er für einen Werkvertrag notwendig wäre, bei Vertragsschluss noch gar nicht definiert werden kann.
43 44
Ausf Spindler Rn 122. BGH DB 1972, 1335; BGH NJW 1981, 1603. Zur Bedeutung technischer Normen bei Auslegung des Begriffs unten Rn 92–93.
1540
45
Spindler Rn 123.
Gregor Kutzschbach
§2
Sichere Kommunikation und Identifizierung
Beim Kaufvertrag hängen Gewährleistungsansprüche davon ab, welche Beschaffen- 73 heit vereinbart wurde. Regelmäßig ist zugrunde zu legen, ob der Kaufgegenstand für den vertraglich vorausgesetzten Zweck oder den gewöhnlichen Gebrauch geeignet ist. Maßgeblich ist hierfür die Funktionsfähigkeit, Korrektheit und das Fehlen von Schadensneigungen.46 Dasselbe gilt letztlich auch beim Miet- und Werkvertrag. Insbesondere bei letzterem ist die genaue Beschreibung des geschuldeten Werks im Pflichtenheft von ausschlaggebender Bedeutung dafür, ob der Auftraggeber Gewährleistungsansprüche geltend mache kann. Gewährleistungsansprüche sehen je nach Vertragsart lediglich die Nachbesserung des 74 Produkts selbst bzw die Minderung des Kaufpreises vor. Entstehen dem Käufer bzw Auftraggeber weitere Mangelfolgeschäden, müssen diese ggf über § 280 Abs 1 BGB ersetzt werden. Gegenüber Dienstleistern ist § 280 Abs 1 BGB ohnehin die einzige vertragliche Anspruchsgrundlage. Der Verkäufer oder Auftragnehmer ist nicht haftbar, wenn er den Beweis erbringt, dass ihn hinsichtlich der Schlechtleistung kein Verschulden trifft, § 280 Abs 1 S 2 BGB. 2. Ansprüche gegen den Verkäufer Gegen den Verkäufer hat der Käufer eines mangelhaften, da mit Sicherheitslücken 75 behafteten Produkts grds die oben beschriebenen Gewährleistungsansprüche auf Nachbesserung, Minderung, Rücktritt und Schadensersatz. Mangelfolgeschäden wird der Käufer allerdings regelmäßig nicht geltend machen können, da den Verkäufer diesbzgl meistens kein Verschulden trifft. In der Praxis spielen Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer von Standardsoftware kaum eine Rolle: Für Sicherheitslücken werden in der Regel von den Herstellern – jedenfalls innerhalb des Gewährleistungszeitraums – kostenlos Sicherheitspatches zur Verfügung gestellt. Die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen ist für den Käufer dagegen mit zahlreichen Nachteilen verbunden: Zum einen trägt er das Beweisund Prozessrisiko. Zum anderen wird vom Verkäufer erfolgreich nur die Rückabwicklung des Kaufs verlangt werden können, da der Verkäufer keine Möglichkeiten zur Nachbesserung hat. Mangels Alternativen ist der Käufer insb bei Betriebssystemen aber auf deren Einsatz angewiesen und wird nolens volens die Sicherheitslücken in Kauf nehmen und das mangelhafte Produkt weiter benutzen. 3. Ansprüche gegen Dienstleister Die Bedeutung von Dienstleistungsverträgen nimmt im IT-Recht immer mehr zu. Dies 76 betrifft weniger die oben beschriebenen Verträge zur Erstellung individueller IT-Lösungen, sondern insb den Trend, die immer schwieriger zu beherrschende und zugleich immer wichtiger werdende Informationstechnik nicht mehr selbst zu betreiben, sondern diese Leistungen an spezialisierte Dienstleister outzusourcen. Erfüllt der Dienstleister die vertraglich vereinbarten Leistungen nicht, schlecht oder 77 zu spät, kommen Schadensersatzansprüche wegen Nichtleistung, Schlechtleistung oder Verzug in Betracht. Allerdings wird sich kaum ein IT-Dienstleister vertraglich verpflichten, für eine zu 78 100 % fehlerfreie Leistung einzustehen. Dazu ist die Informationstechnik und deren Be-
46
Bartsch CR 2000, 721 mwN.
Gregor Kutzschbach
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Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil
herrschung zu komplex und fehleranfällig. In der Praxis hat es sich daher eingebürgert, in sog Service-Level-Agreements (SLAs) genaue Parameter zu vereinbaren, bis zu welchem Grad welche Leistungen geschuldet werden.47 Ein wichtiges Kriterium ist zB die Verfügbarkeit: Diesbzgl kann festgelegt werden, an wie vielen Stunden/Tagen im Jahr das System ausfallen darf, wie lange ein Ausfall höchstens dauern darf, ob eine Fehlerbeseitigung nur Werktags oder auch an Wochenenden oder nachts notwendig ist. Auch hinsichtlich eines möglichen Datenverlusts kann vereinbart werden, in welchen Abständen bspw Sicherungskopien des Datenbestands gefertigt werden müssen. Maßnahmen gegen das Ausspähen von Daten lassen sich in SLAs schwerer erfassen. 79 Hier sollten die Parteien im Vertrag genau vereinbaren, welche Maßnahmen mindestens zu ergreifen sind. Verstößt der Auftragnehmer gegen die im Vertrag oder SLA vereinbarten Pflichten, 80 sollten auch die daran geknüpften Sanktionen genau vereinbart worden sein, zumal sich der Nachweis eines konkreten Schadens einschließlich Schadenshöhe in Folge von ITSicherheitsvorfällen äußerst schwierig gestalten kann. Je nach Erheblichkeit eines Verstoßes bietet es sich an, eine Minderung der Vergütung, Vertragsstrafen oder Schadensersatzpauschalen und bei besonders schweren oder andauernden Vertragsverletzungen zusätzlich ein außerordentliches Kündigungsrecht zu vereinbaren.48
IV. Urheberrecht – Digital Rights Management 81
Auch die Verwertung und Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke erfolgt zunehmend auf elektronischem Weg. Im Gegensatz zu herkömmlichen Vertriebswegen lassen sich von digitalen Werken auch durch Unberechtigte problemlos Kopien erstellen, die vom Original in keiner Weise zu unterscheiden sind. Vor diesem Hintergrund entsteht bei den Rechtsinhabern der Wunsch, der unbefugten Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke auch mit technischen Mitteln zu begegnen. Der Einsatz von technischen Schutzmaßnahmen zur faktischen Sicherung einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Verwertung wird unter dem Begriff des Digital Rights Management (DRM) diskutiert.49 Neben der Bekämpfung der sog Produktpiraterie soll DRM auch der wirksamen Durchsetzung urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte sowie einer Produktgestaltung mit abgestuften Nutzungsberechtigungen und einer ggf damit einhergehenden abgestuften Preisgestaltung dienen.50
82
a) Arten von DRM. Aus technischer Sicht können drei verschiedene Varianten unterschieden werden: Zum Einen die verschiedenen Kopierschutzsysteme, die das Erstellen von digitalen Kopien erschweren oder unmöglich machen sollen. Des weiteren Maßnahmen zur individuellen Kennzeichnung von Daten: Diese können 83 eine illegale Vervielfältigung zwar nicht verhindern, aber erlauben es zumindest, die Herkunft illegaler Kopien nachzuverfolgen. Dies kann technisch einfach aber leicht manipulierbar durch das Abspeichern von Informationen zum Urheber oder eingeräumten Nutzungsrechten im Meta-Datensatz einer Datei erfolgen. Hiervon zu unterscheiden ist das sog Wasserzeichen (Watermark). Hier werden diese Informationen unauffällig in die eigentliche Mediendatei eingebettet, ohne dass dies bei Betrachtung auffällt. Solche
47 48
Ausf hierzu Hörl/Häuser CR 2003, 713. Reinhard/Pohl/Capellaro/Bäumer Rn 326; Hörl/Häuser CR 2003, 713, 717.
1542
49 50
Arlt GRUR 2004, 548. Dreier/Schulze/Dreier § 95a UrhG Rn 2.
Gregor Kutzschbach
§2
Sichere Kommunikation und Identifizierung
Wasserzeichen werden mittels kryptographischer Methoden in der eigentlichen Datei versteckt. Werden im Wasserzeichen auch Informationen über den Kunden, dem ein digitales Werk verkauft wurde, gespeichert, spricht man vom digitalen Fingerabdruck (Fingerprinting). Hierunter zu fassen ist letztlich auch das Perceptual Hashing. Dabei wird aus bestimmten signifikanten Abschnitten einer Mediendatei (zB bestimmten Bildfolgen einer Videosequenz) ein Hash gebildet. Dieser verändert sich in der Regel nicht, auch wenn zB das Format der Datei geändert wird. Schließlich können digitale Werke kryptographisch gesichert werden: Die Datei wird 84 nur verschlüsselt weitergegeben. Nur der Inhaber des zugehörigen Schlüssels ist in der Lage, diese wiederzugeben. Wird der Schlüssel zB im Abspielgerät abgespeichert, wie bei CSS-geschützten DVDs, kann er nicht ohne größeren Aufwand weitergegeben werden. Bei PC-basierten DRM-Systemen wird in der Regel ein aus bestimmten Hardwareparametern des autorisierten Gerätes generierter Schlüssel verwendet, so dass eine Übertragung auf andere Geräte nicht möglich ist. b) Regelungen des UrhG. Rechtlich ist DRM einerseits in § 95a UrhG abgesichert: 85 Wirksame technische Maßnahmen zum Schutz eines Werkes dürfen nicht unbefugt umgangen werden, um den Zugang zu dem Werk oder die Nutzung zu ermöglichen (§ 95a Abs 1 UrhG). Unter technische Maßnahmen fallen gem § 95a Abs 2 UrhG alle Technologien und Vorrichtungen, die dazu bestimmt sind, geschützte Werke betreffende Handlungen, die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind, zu verhindern oder einzuschränken. Verstöße gegen § 95a UrhG sind unter den Voraussetzungen des § 108b UrhG strafbar. Aber auch der Einsatz von DRM seitens des Rechtsinhabers unterliegt rechtlichen 86 Beschränkungen. Gem § 95d Abs 1 UrhG sind Werke, die mit technischen Maßnahmen geschützt werden, deutliche sichtbar mit Angaben über die Eigenschaften der technischen Maßnahme zu kennzeichnen. Es sind alle technischen Verwendungsbeschränkungen aufzulisten oder der Umfang der technisch möglichen Nutzung anzubringen.51 Verstöße gegen § 95d Abs 1 UrhG sind im UrhG nicht sanktioniert. Allerdings liegt bei einem nicht gekennzeichneten aber mit technischen Mitteln geschützten Werk ein Sachmangel vor, da der Kunde bei Fehlen der Kennzeichnung davon ausgehen darf, dass das Werk technisch frei kopierbar ist.52 Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Umkehrschluss zu § 95d UrhG. Für Software gelten die Regelungen der §§ 95a bis 95d UrhG nicht (§ 69a Abs 4 87 UrhG). c) Haftung des Rechtsinhabers. Mit einem erheblichen Haftungsrisiko für den Rechts- 88 inhaber ist der Einsatz von DRM dann verbunden, wenn dieses an informationstechnischen Systemen undokumentiert Änderungen vornimmt. Jede derartige Veränderung an einem informationstechnischen System erfüllt den objektiven Tatbestand des § 303a StGB (Datenveränderung), da notwendigerweise Daten auf dem Zielsystem, in der Regel Systemdateien, verändert werden müssen. Außerdem stellt sie eine Eigentumsverletzung iSd § 823 Abs 1 BGB dar. Normalerweise ist eine solche Datenveränderung, die bei der Installation jeder Software von statten geht, nicht rechtswidrig, da sie mit Einwilligung des Eigentümers erfolgt. Dieser will die Software installieren und willigt damit zumindest konkludent in die für die Installation und Ausführung der Software notwendigen Ände-
51
Dreier/Schulze/Dreier § 95d UrhG Rn 4.
52
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95d UrhG Rn 4.
Gregor Kutzschbach
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Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil
rungen an seinen Daten ein. Änderungen an Daten durch Schadsoftware wie Trojaner oder Viren erfolgen hingegen gegen den Willen des Eigentümers und sind rechtswidrig. Dasselbe gilt für sog Spyware: Hier installiert der Eigentümer zwar freiwillig eine Software. Von seiner Einwilligung nicht umfasst ist allerdings die undokumentierte Installation zusätzlicher Funktionen, die in keinem Zusammenhang mit der installierten Software stehen und bspw Daten über sein Nutzungsverhalten sammeln und an Dritte übermitteln. Nichts anderes gilt, wenn bei Nutzung eines DRM-geschützten Werks oder DRM89 geschützter Software Änderungen am System vorgenommen werden, die allein der Umsetzung des DRM dienen, wenn der Nutzer nicht vor der Installation darauf hingewiesen wird und er zumindest die Möglichkeit hat, den Vorgang abzubrechen und auf die Nutzung des geschützten Werks zu verzichten. Praktisch relevant geworden ist dieser Fall im Jahr 2005, als bekannt wurde, dass die 90 Musik-CDs eines großen Unternehmens beim Einlegen in einen PC eine Software in Form eines sog Root-Kits 53 installierten, ohne dass der Nutzer hierauf in irgendeiner Form hingewiesen wurde. Da der Nutzer weder ausdrücklich noch konkludent hierin eingewilligt hat, geschah diese Datenveränderung rechtswidrig. In einem solchen Fall steht dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch sowohl aus 91 § 823 Abs 1 als auch § 823 Abs 2 BGB iVm § 303a StGB zu. Dieser geht grds auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Sind durch in Folge der Datenveränderung weitere Schäden entstanden, weil zB eine zusätzliche Sicherheitslücke geschaffen und von einem Angreifer ausgenutzt wurde, müssen auch diese ersetzt werden.
V. Technische Regelwerke, Zertifizierung 1. Technische Regelwerke
92
a) Rechtliche Relevanz technischer Regelwerke. Allen Normen des IT-Sicherheitsrechts gemein ist, dass Maßstäbe für Sorgfaltspflichten nicht oder nur sehr abstrakt festgelegt sind. Wenn es um die Definition der verkehrsüblichen Sorgfalt oder die Wahrung anderer technischer Standards geht, rekurrieren Gesetzgeber wie Rechtsprechung auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“, den „Stand der Technik“ oder „Stand der Wissenschaft und Technik“.54 Hierdurch bleiben die rechtlichen Definitionen flexibel, um den jeweiligen Umstände des Einzelfalls und vor allem der technischen Entwicklung angepasste Verhaltensweisen zu fordern. Insbesondere in der schnelllebigen Informationstechnik und angesichts der in immer kürzeren Zeitabständen auftretenden neuen Sicherheitsrisiken bleibt im Rahmen der Rechtsetzung praktisch keine andere Wahl. Für den Rechtsunterworfenen ist damit aber immer noch unklar, welche Sicherheits93 maßnahmen er tatsächlich zu treffen hat. Zur Beantwortung dieser Frage muss daher auf technische Regelwerke, insb technische Standards und Normen, zurückgegriffen werden.55 Technische Regelwerke entfalten für sich genommen keine Rechtswirkung. Sie werden von Normungsausschüssen verabschiedet, in denen in der Regel Interessenvertreter und Sachverständige vertreten sind, so dass es ihnen auch an der demokratischen 53
Ein Root-Kit ist eine typische Schadsoftware, die einem Dritten Zugang zu einem System verschaffen kann und sich in diesem derart versteckt, dass sie auch mit viel Aufwand nur
1544
54 55
schwer zu entdecken und ohne bleibende Schäden zu entfernen ist. Ausf zu den Begriffen Kloepfer § 3 Rn 75. Holznagel § 4 Rn 43.
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§2
Sichere Kommunikation und Identifizierung
Legitimation fehlte. Soweit für ein IT-System entsprechende Standards existieren, kann allerdings vermutet werden, dass es bei Einhaltung des Standards den Regeln der Technik entspricht. Bleiben die Sicherungsvorkehrungen hinter dem Standard zurück, ist dies ein Indiz dafür, dass der Hersteller oder Betreiber seine Sorgfaltspflichten verletzt. Der Haftungsmaßstab wird durch die technischen Regelwerke also konkretisiert.56 b) IT-Grundschutz. Das nicht nur in Deutschland wohl bekannteste Regelwerk für 94 IT-Sicherheit sind die IT-Grundschutzkataloge (früher IT-Grundschutzhandbuch) des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).57 Die Vorgaben der ITGrundschutzkataloge gehen dabei von einer für die IT-Systeme üblichen Gefährdungslage aus, die in den meisten Fällen zutreffend ist, und empfehlen hierfür adäquate Gegenmaßnahmen. Eine meist sehr aufwendige Risikoanalyse kann hierdurch vermieden werden. So kann ein Sicherheitsniveau erreicht werden, das in den meisten Fällen als ausreichend betrachtet werden kann. In Fällen eines höheren Sicherheitsbedarfs kann der ITGrundschutz als Grundlage für weitergehende Maßnahmen genutzt werden. Die Grundschutzkataloge beschreiben dabei nicht nur rein technische Maßnahmen, 95 sondern machen auch Vorgaben für die Organisation und das Sicherheitsmanagement. c) BSI-Technische Richtlinien und BSI-Standards. Neben den Grundschutzkatalogen 96 gibt das BSI auch die BSI-Standards heraus. Diese enthalten Empfehlungen des BSI zu Methoden, Prozessen und Verfahren sowie Vorgehensweisen und Maßnahmen mit Bezug zur Informationssicherheit. Das BSI greift dabei Themenbereiche auf, die von grundsätzlicher Bedeutung für die Informationssicherheit in Behörden oder Unternehmen sind und für die sich national oder international sinnvolle und zweckmäßige Herangehensweisen etabliert haben. Schließlich erlässt das BSI Technische Richtlinien (BSI-TR). Mit diesen sollen ange- 97 messene IT-Sicherheitsstandards verbreitet werden. Technische Richtlinien richten sich an diejenigen, die mit dem Aufbau oder der Absicherung von IT-Systemen zu tun haben. Bereits bestehende Standards werden gegebenenfalls referenziert und ergänzt. d) ISO 17799 und ISO 27001. Von großer Bedeutung sind weiterhin die Standards 98 ISO 17799 und 27001. Diese wurden zunächst als Britische Standards durch eine Kommission des britischen Handelsministeriums entwickelt (BS 7799-1 und 7799-2). Durch die Überführung in die internationalen Standards ISO 17799 und ISO 27001 wurden diese auch für andere Staaten relevant. ISO 17799 enthält Spezifikationen für ein Informations-Sicherheits-Management 99 (ISMS). Ausgehend von einer Risikoanalyse werden Verfahren und Methoden für ein Sicherheits-Management vorgeschlagen. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Dokumentation des Mangement-Systeme und dessen Bewertung.58 ISO 27001 gibt Vorgaben zur Beurteilung eines nach ISO 17799 aufgebauten Mana- 100 gement-Systems. Es legt Anforderungen für Herstellung, Einführung, Betrieb, Überwachung, Wartung und Verbesserung eines ISMS fest. e) Common Criteria. Von besonderer Relevanz für die Hersteller von IT-Systemen 101 sind die Common Criteria (CC).59 Diese sind ein internationaler Standard für die Bewertung und Zertifizierung der Sicherheit von Computersystemen im Hinblick auf Daten56 57 58
BVerwG NVwZ-RR 1997, 209, 214; Reinhard/Pohl/Capellaro/Reinhard Rn 3. www.bsi.bund.de/gshb/deutsch/index.htm. Reinhard/Pohl/Capellaro/Reinhard Rn 8.
59
www.commoncriteria.org. Weitergehende Informationen sind unter www.bsi.bund.de/ cc/index.htm abrufbar.
Gregor Kutzschbach
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Kapitel 3 IT-Sicherheitsrecht
5. Teil
sicherheit und Datenschutz. Die CC sind ihrerseits in der ISO 15408 standardisiert. Die Bewertung der CC umfasst die Funktionalität und die Vertrauenswürdigkeit. Die Funktionalitätsklassen werden durch die Schutzprofile (Protection Profiles – PP) spezifiziert. Diese sind für die jeweiligen Anforderungen an ein Produkt vorher zu entwickeln und definieren diese durch Beschreibung der Grundfunktionen. Im Rahmen der Prüfung werden die Schutzprofile dann weiter in Schutzziele (Protection Targets) überführt, um ein möglichst genaues Raster für die Prüfung zu erhalten. Vorgänger der CC und teilweise immer noch relevant waren die europäischen ITSEC102 Standards 60 und die amerikanischen TCSEC 61.
103
f) Sonstige Standards. Der Verband der EDV-Prüfer (ISACA) hat die Control Objectives for Information and Related Technology (CoBIT) entwickelt.62 Dieser Standard spezifiziert Methoden zur Kontrolle von Risiken, die sich durch den Einsatz von IT zur Unterstützung geschäftsrelevanter Abläufe ergeben. Zu nennen ist ferner noch die ISO-TR 13335, die für Führungskräfte in Unternehmen 104 und Organisationen Hinweise für den Aufbau eines Sicherheitskonzepts enthält. Die Norm ISO 9000 beschreibt schließlich ein Verfahren zur Überprüfung von Qualitätsmanagement-Systemen. 2. Zertifizierung
105
Zahlreiche der genannten Normen sehen die Prüfung und Bewertung der Konformität mit den Sicherheitsanforderungen der jeweiligen Standards durch unabhängige Stellen vor. Dies ist insb für Hersteller und Dienstleister von Bedeutung, da die Konformität ihrer Produkte und Dienstleistungen für die potentiellen Kunden in der Regel nur schwer zu beurteilen ist. Hierzu wird durch eine fachkundige Prüfstelle die Konformität des Untersuchungsgegenstandes mit dem jeweiligen Standard überprüft (Konformitätsbewertung). Die Kompetenz der Prüfstelle wird zuvor durch die Akkreditierung bei einer unabhängigen Stelle formell bestätigt. Erfüllt der Untersuchungsgegenstand die Anforderungen des Standards, wird dies durch ein Zertifikat bescheinigt, mit dem der Hersteller sein Produkt bewerben kann. Eine haftungsrechtliche Wirkung im Sinne eines Haftungsprivilegs für das zertifizierte 106 Produkt hat die Zertifizierung dabei nicht.63 Allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung kann einem Zertifikat eine Indizwirkung für die Normenkonformität zukommen.64 Aber auch dabei ist zu beachten, dass ein Zertifikat jeweils nur die Überprüfung gegen eine bestimmte Norm oder ein bestimmtes Schutzprofil beinhaltet und auch die Möglichkeit besteht, die Konformitätsprüfung auf bestimmt Aspekte zu beschränken. So trifft die Zertifizierung eines Betriebssystems auf einem Einzelplatzrechner keine Aussage über dessen Sicherheit, wenn der Rechner an ein Netzwerk angeschlossen ist. Auch sehen Prüfverfahren zB nach CC verschiedene Abstufungen der Prüfungstiefe vor. Diese kann von einer bloßen Schlüssigkeitsprüfung der Dokumentation bis hin zu einer vertieften Prüfung des Quellcodes einer Software reichen. Zentrale Zertifizierungsinstanz in Deutschland ist das BSI, zu dessen Aufgaben gem 107 § 3 Abs 1 Nr 1 BSIG die Prüfung und Bewertung der Sicherheit von informationstechni-
60 61 62
Information Technology Security Evaluation Criteria. Trusted Computer Evaluation Criteria. www.isaca.org/cobit.
1546
63 64
Spindler Rn 157 mwN. Bamberger/Roth/Spindler § 823 BGB Rn 491.
Gregor Kutzschbach
§2
Sichere Kommunikation und Identifizierung
schen Systemen oder Komponenten und die Erteilung von Sicherheitszertifikaten gehören. Die Erteilung eines Sicherheitszertifikats durch das BSI richtet sich nach § 4 BSIG und der BSI-Zertifizierungsverordnung. Dabei bedient sich das BSI gem § 4 Abs 2 BSIG beim BSI akkreditierter Prüfstellen. Eine Zertifizierung von Produkten erfolgt insb nach den Common Criteria. Die Kon- 108 formitätsbewertung erfolgt gegen entsprechende Protection Profiles. Je nach Tiefe der Überprüfung werden verschiedene Vertrauenswürdigkeitsstufen (Evaluation Assurance Level – EAL) unterschieden. So wird ab EAL 4 auch der Quellcode von Software evaluiert, ab Stufe EAL 5 kommen formale Spezifikations- und Verifikationsmethoden hinzu, die über die üblicherweise im Produktionsprozess verwendeten Methoden deutlich hinaus gehen. Zertifikate nach CC bis zur EAL 4 werden aufgrund der Common-Criteria-Vereinba- 109 rung in den wichtigsten westlichen Industriestaaten gegenseitig anerkannt. Neben den CC zertifiziert das BSI auch anhand anderer Standards: Zu nennen ist 110 einerseits die Zertifizierung nach ITSEC-Standards. Außerdem kann die Einhaltung der im IT-Grundschutz-Katalog vorgeschlagenen Maßnahmen und des damit verbundenen Schutzniveaus durch das BSI zertifiziert werden. Auf der Basis des IT-Grundschutzes zertifiziert das BSI zudem auch nach ISO 27001. Schließlich ist eine Zertifizierung auf Basis der Technischen Richtlinien des BSI möglich.65
65
Weiterführende Informationen unter www.bsi.bund.de/zertifiz/index.htm.
Gregor Kutzschbach
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Teil 6 Schutz der Persönlichkeit
Kapitel 1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht Literatur Di Fabio Persönlichkeitsrechte im Kraftfeld der Medienwirkung AfP 1999, 126; Gounalakis „Soldaten sind Mörder“ NJW 1996, 481; Heiderhoff Eine europäische Kollisionsregel für Pressedelikte EuZW 2007, 428; Koppehele Voraussetzungen des Schmerzensgeldanspruchs bei prominenten Personen aus dem Showgeschäft AfP 1981, 337; Soehring Caroline und ein Ende? AfP 2000, 230; Teichmann Abschied von der absoluten Person der Zeitgeschichte NJW 2007, 1917.
Übersicht Rn § 1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . II. Rechtsgrundlagen und Qualifikation als Rahmenrecht . . . . III. Europarechtliche Einflüsse auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . IV. Systematisierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts § 2 Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . I. Natürliche Personen . . . . . . II. Gruppierungen und Kollektive III. Juristische Personen des Privatrechts/Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen . . . . . . . IV. Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . .
.
1–8
.
1, 2
.
3, 4
.
5–7
.
8
. . .
9–22 9, 10 11, 12
.
13–20
.
21, 22
Rn § 3 Das Persönlichkeitsrecht Verstorbener I. Der postmortale Achtungsanspruch . . . . . . . . . . . II. Postmortale Verletzung der Menschenwürde . . . . . . . III. Keine postmortale immaterielle Geldentschädigung . . . . . . § 4 Schutzbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . I. Geheimsphäre . . . . . . . . . II. Intimsphäre . . . . . . . . . . III. Privatsphäre . . . . . . . . . . 1. Räumliche Abgrenzung . . 2. Thematische Abgrenzung . IV. Sozialsphäre . . . . . . . . . . V. Öffentlichkeitssphäre . . . . .
23–33 .
23, 24
.
25–30
.
31–33
. . . . . . . .
34–55 37, 38 39–43 44–51 45–48 49–51 52, 53 54, 55
§1 Allgemeines I. Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die Medien und insbesondere die Presse haben sowohl das Recht als auch die Auf- 1 gabe die Öffentlichkeit über gesellschaftlich relevante Themen und Vorgänge zu informieren. Hierzu zählt die aktuelle Nachrichtenberichterstattung aus Politik und Wirtschaft ebenso wie die Information über allgemeine Themen zB aus der Wissenschaft und über fremde Länder, aber auch die reine Unterhaltung und der investigative Journalismus zur Aufdeckung bislang unbekannter Sachverhalte. Die für die Medien zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Rechte sind in Gestalt der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit in Art 5 GG verfassungsrechtlich verankert.
Sabine Boksanyi
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Kapitel 1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht
2
6. Teil
Allerdings bestehen diese Rechte nicht schrankenlos. Denn ebenso, wie es nach unserem modernen Demokratieverständnis unverzichtbar ist, von den Medien in umfassender und objektiver Art und Weise informiert zu werden, ist es für den Einzelnen wichtig, den Medien nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. An dieser Stelle setzt das von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht 1 an, das der Presse- und Medienfreiheit Grenzen setzt. Es schützt den Einzelnen sowohl vor unwahrer Berichterstattung, als auch vor der Verletzung seiner Intim- und Privatsphäre und vor ungewollter kommerzieller Ausbeutung.
II. Rechtsgrundlagen und Qualifikation als Rahmenrecht 3
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht iSv § 823 BGB anerkannt. Es leitet sich aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag der Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 GG ab,2 deren Schutzgegenstand die Unverletzlichkeit der Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sind. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschränkt als allgemeines Gesetz iSv Art 5 Abs 2 GG die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art 5 Abs 1 GG. Als sog offenes Recht oder Rahmenrecht ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch weder abschließend im Gesetz geregelt, noch von Rechtsprechung und Literatur anhand fester Tatbestandsmerkmale bestimmt. Es unterliegt in seinem Umfang vielmehr der Herausbildung im jeweiligen Einzelfall und muss anhand des konkreten Sachverhalts stets neu definiert und in seinen Grenzen festgelegt werden.3 Ein Eingriff in dieses Recht indiziert nicht automatisch die Rechtswidrigkeit. Vielmehr muss in jedem Einzelfall durch eine Güterabwägung ermittelt werden, ob der Eingriff durch schutzwürdige andere Interessen gerechtfertigt ist oder nicht.4 Dabei geht es in der Regel um eine Abwägung zwischen den Mediengrundrechten bzw dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit einerseits und dem Wunsch des Einzelnen andererseits, ausschließlich selbst darüber zu bestimmen ob, wann und wie er von den Medien in der Öffentlichkeit dargestellt wird.5 Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gibt es die besonderen Persönlichkeits4 rechte 6, die jeweils eigene gesetzliche Normierungen gefunden haben.7 Hierzu gehören ua die Urheberpersönlichkeitsrechte nach §§ 12 ff UrhG,8 das Namensrecht nach § 12 BGB,9 die im Datenschutz geregelten Rechte zur informationellen Selbstbestimmung 10 und das in den §§ 22 ff KUG geregelte Recht am eigenen Bild.11
1 2 3 4
5
6
Zur Rechtsentwicklung Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 3; Prinz/Peters Rn 50. MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 3 mwN. Soehring Rn 19.2. BGH NJW 2007, 684, 685 unter Verweis auf BGH NJW 2004, 762, 764 und BGH NJW 2005, 2766, 2770 jeweils mwN. Zu Grundlagen und Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausführl mwN Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 1 ff. Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 18.
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7
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Umfassend zu den gesetzlich geregelten, besonderen Persönlichkeitsrechten und zu deren Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 4. Teil 2 Kap 1 Rn 101 ff. Zur Abgrenzung Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Namensrecht vgl MünchKomm/Bayreuther § 12 Rn 5. Teil 7 Kap 1. Teil 6 Kap 3.
Sabine Boksanyi
§1
Allgemeines
III. Europarechtliche Einflüsse auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht Die Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird neben der deutschen 5 Rechtsprechung auch durch gemeinschafts- bzw europarechtliche Aspekte geprägt.12 Eine zentrale Rolle spielen dabei die Garantien der EMRK. Art 8 Abs 1 EMRK gewährt jedermann den Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Parallel zu dem Konflikt im deutschen Recht zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und den Mediengrundrechten aus Art 5 GG andererseits, steht im europäischen Recht Art 8 Abs 1 EMRK in demselben Spannungsverhältnis zu Art 10 Abs 1 EMRK, der jedermann den Anspruch auf freie Meinungsäußerung gewährt. Die Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre einerseits und dem Schutz der Meinungs- und Äußerungsfreiheit anderseits laufen mithin parallel, sei es gestützt auf das deutsche Grundgesetz und die Auslegung durch das BVerfG, sei es gestützt auf die Garantien der EMRK und die Behandlung durch den EGMR. Die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn es zu unterschiedlichen Interpretationen und 6 Gewichtungen desselben Sachverhalts durch das BVerfG einerseits und durch den EGMR andererseits kommt, zeigen sich an dem Fall um Caroline von Monaco, der letztlich durch einen Entscheidung des EGMR zu einer Änderung der deutschen Rechtsprechung geführt hat.13 Der Rechtssprechung des EGMR im Bereich des Presserechts kommt nicht zuletzt 7 auch deshalb eine große Bedeutung zu, weil der EGMR – mag man seine Entscheidungen befürworten oder kritisieren – einheitliche Leitlinien vorgibt, wo die nationalen Auffassungen stark von einander abweichen. Eine europäische Kollisionsregelung für Pressedelikte, die in Bezug auf die nationale Gerichtszuständigkeit Rechtssicherheit schafft, ist zwar geplant, wird jedoch noch einige Zeit auf sich warten lassen.14
IV. Systematisierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die Möglichkeiten das allgemeine Persönlichkeitsrecht und dessen Ausgestaltungen 8 zu typisieren und zu systematisieren sind ebenso zahlreich wie die hierzu in der Literatur vorhandenen Ansätze.15 Nachfolgend wird in § 4 die Einteilung in unterschiedliche Schutzsphären vorgenommen. Diese Einteilung ist keineswegs zwingend, deckt jedoch die wichtigsten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ab und lässt eine Zuordnung der wichtigsten, die Rechtsprechung immer wieder beschäftigenden Fallgruppen zu.
12 13 14
Vgl hierzu ausführl mwN MünchKommBGB/ Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 12. Teil 4 Kap 2 Rn 35 ff. Heiderhoff EuZW 2007, 428.
15
Soehring Rn 19.3 mwN; besonders gelungen erscheint die Systematisierung in Wenzel/ Burkhardt Kap 5 Rn 18; krit MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 Rn 9.
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6. Teil
§2 Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts I. Natürliche Personen 9
Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist in erster Linie jede natürliche Person. Die Erreichung eines bestimmten Alters bei Kindern ist dabei ebenso wenig Voraussetzung wie die Fähigkeit, sich der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewusst zu sein. So können sowohl Kleinkinder, als auch Personen, die zB infolge von Alter, Krankheit oder Behinderung unfähig sind, die eigene Ehr- oder Intimitätsverletzung zu empfinden, im Verletzungsfalle entsprechende Ansprüche geltend machen. 10 Im Gegenteil nimmt die Rechtsprechung insbesondere bei Kindern sogar ein gesteigertes Schutzbedürfnis an, das in der Regel Vorrang vor den Mediengrundrechten genießt.16 Entsprechendes gilt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Eltern in Situationen elterlicher Hinwendung zu ihren Kindern. In solchen Fällen erfährt der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Verstärkung durch Art 6 Abs 1 und 2 GG.17
II. Gruppierungen und Kollektive 11
Gruppierungen von nicht anderweitig organisierten, sondern lediglich zu einem bestimmten Kollektiv gehörenden Personen sind als solche nicht Träger eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dementsprechend ist bspw die Familie mangels klar bestimmbaren Zuordnungssubjekts nicht Träger eines eigenen Persönlichkeitsrechts.18 Dies bedeutet jedoch nicht, dass durch eine sog Kollektivbeleidigung, also eine herabsetzende Äußerung, die sich auf eine solche Personengruppe bezieht, nicht die einzelnen Mitglieder dieser Gruppe in ihrem jeweiligen allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sein können. Die Behauptung zB, eine Familie führe ein sittlich verfehltes Leben, kann durchaus die Ehre der einzelnen Familienmitglieder verletzen und entsprechende Ansprüche auslösen.19 12 Im Falle der Beleidigung von Personengruppen nimmt die Strafrechtsprechung eine Beleidigung eines einzelnen Mitglieds dann an, wenn der Kreis der Betroffenen deutlich abgegrenzt und zahlenmäßig überschaubar ist und wenn die Äußerung an ein Merkmal anknüpft, das auf alle Mitglieder des Kollektivs zutrifft.20 Für das Zivilrecht wird diese Wertung nicht eindeutig übernommen. Zustimmung verdient die Auffassung, wonach ehrverletzende Äußerungen über Kollektive nur dann als Persönlichkeitsrechtsverletzungen der einzelnen Mitglieder betrachtet werden sollten, wenn erkennbar (auch) der Einzelne gemeint ist, wenn somit nach Art und Umständen der Äußerung, die persönliche Diffamierung des Einzelnen im Vordergrund steht und nicht die soziale Funktion einer Gruppe oder Institution das eigentliche Angriffsziel ist.21 16 17 18
19 20
BVerfG NJW 2000, 2191; BGH NJW 2005, 215. BVerfG NJW-RR 2007, 1191 unter Verweis auf BVerfG NJW 2000, 1021. MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 19 mit Verweis auf BGH GRUR 1974, 794. BGH NJW 1969, 1110. MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12
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BGB Rn 20 mit Verweis auf BGHSt 2, 39; 11, 207; 36, 83; Schönke/Schröder Vor §§ 185 StGB Rn 7 mwN. MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 20 auch unter Verweis auf Gounalakis NJW 1996, 481; richtungsweisend zum Kollektiven Ehrenschutz BVerfG NJW 1995, 3303.
Sabine Boksanyi
§2
Träger des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht
III. Juristische Personen des Privatrechts/Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen Juristische Personen des Privatrechts und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen können grds ebenfalls Träger eines (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts gem Art 2 Abs 1 GG sein. Es wird ihnen ein eigenes Namensrecht ebenso zugesprochen wie ein Schutz vor Verletzungen ihrer Ehre, vor Offenbarung ihrer Geheimnisse, vor Verfälschungen ihrer Identität und vor dem Belauschen der Worte ihrer Angehörigen.22 Anders als bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts natürlicher Personen wird Personenvereinigungen allerdings kein Anspruch auf immaterielle Geldentschädigung zugebilligt, und zwar wegen Fehlens der für diesen Anspruch als Grundlage vorausgesetzten „personalen Würde“.23 Allerdings sollen juristische Personen des Privatrechts und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen nur in dem Umfang Träger eines Unternehmenspersönlichkeitsrechts sein, der sich aus „ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und den ihr zugewiesenen Funktionen“ ergibt.24 Eine juristische Person des Privatrechts kann danach in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sein, wenn ihr sozialer Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen ist. Dies bejahte zB das OLG Köln 25 in dem Fall einer Klage des Verlags der Boulevardzeitschrift „Express“ gegen die Produzentin des Films „Schtonk“, in dem die reale und weltweit beachtete Affäre um die gefälschten Hitlertagebücher satirisch verarbeitet worden war. In diesem Film war anstelle des Namens des seinerzeit tatsächlich betroffenen Verlags der erfundene Zeitschriftenname „Expressmagazin“ verwendet worden. Das OLG Köln bejahte Unterlassungsansprüche des Verlags der Zeitschrift „Express“, da in der Verwendung des Titels „Express“ für die in der Filmsatire erscheinende Zeitschrift der soziale Geltungsanspruch und das Ansehen des Verlag als Wirtschaftsunternehmen beeinträchtigt werde. In ähnlicher Art und Weise bejahte das OLG Köln 26 eine Verletzung des Persönlichkeitsrecht eines Wirtschaftsverlags durch einen redaktionellen Beitrag, in dem in Bezug auf die Berichterstattung eines Wirtschaftsmagazins zunächst die Zahl der Anzeigen von Telekommunikationsunternehmen und sodann deren redaktionelle Erwähnung gegenübergestellt wurden. In Bezug auf die Telekom hieß es sodann, diese dominiere nicht nur das Werbeeinkommen, sondern vor allem auch die Redaktion. In dem darin verkörperten Vorwurf des Gefälligkeitsjournalismus lag nach Auffassung des Gerichts eine Verletzung der von dem unternehmerischen Persönlichkeitsrecht erfassten Geschäftsehre des betroffenen Verlags. Gegenteilig entschied der BGH 27 in einem Fall, in dem BMW gegen einen Hersteller von Geschenk- und Scherzartikeln klagte. Der Unternehmer hatte unter Abwandlung des Firmenkürzels und Emblems von BMW Aufkleber mit der Aufschrift „Bumms Mal Wieder“ vertrieben. Darin sei – so der BGH – weder eine Aussage zu der Qualität der Pro22
23
MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 21 mit umfassenden weiteren Nachweisen in Fn 71. MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 21 mit Verweis in Fn 72 auf BGH NJW 1980, 2807, 2810 – Medizin-Syndikat I; OLG München ZUM 2003, 252; OLG München OLGR 1996, 217; OLG Frankfurt
24
25 26 27
AfP 2000, 576; aA BGH NJW 1981, 675 – BKA Bericht. Wenzel/Burkhardt Kap 5 Rn 125 mit Verweis auf BVerfG NJW 1957, 665; BVerfG NJW 1967, 1411; BGH, NJW 1970, 378, 381. OLG Köln NJW 1992, 2641. OLG Köln AfP 2001, 332. BGH NJW 1986, 2951.
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dukte von BMW, noch zu dem Auftreten des Unternehmens im Wirtschaftsleben zu sehen, ebenso wenig eine ehrverletzende, herabwürdigende Kritik des Unternehmens insgesamt. Auch sei der geschützte Bereich wirtschaftlicher Entfaltung nicht betroffen, weshalb das dem Unternehmen grds zustehende Persönlichkeitsrecht hier nicht verletzt sei. Juristische Personen des Privatrechts können sich auch auf das Recht am gesproche18 nen Wort als Teil ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen. Das BVerfG hat eine Verletzung dieses Rechts in zwei Fällen bejaht, in denen Zivilgerichte Zeugenaussagen gegen juristischen Personen des Privatrechts verwertet hatten, die darauf beruhten, dass die Zeugen ohne Kenntnis und Einwilligung der betroffenen Unternehmen Telefonate über Mithöreinrichtungen mitgehört hatten.28 Umfassend ist der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz juristischer Personen 19 allerdings noch nicht geklärt. Letzte Klärung hat auch das BVerfG im sog Contergan-Fall nicht erbracht. Gegenstand des Verfahrens war die Verfassungsbeschwerde des pharmazeutischen Unternehmens, das vor fünfzig Jahren das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan auf den Markt gebracht hatte, dessen Einnahme durch Schwangere zu zahlreichen Missbildungen bei den von den Betroffenen geborenen Kindern geführt hat. Das Unternehmen wehrte sich gegen die Ausstrahlung eines Films zu diesem Thema, der insbesondere die Bemühungen des betroffenen Unternehmens schildert, Entschädigungszahlungen und die Bestrafung von Mitarbeitern zu verhindern, wobei sich der Film allerdings ausdrücklich nicht als Dokumentarfilm, sondern als „Spiel- und Unterhaltungsfilm auf der Grundlage eines historischen Stoffes“ versteht. Es liegt nur die Entscheidung des BVerfG über die Eilanträge des Unternehmens vor.29 20 In dieser Entscheidung, in der das BVerfG den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Gestalt eines Ausstrahlungsverbots ablehnt, wird der Umfang der verfassungsrechtlichen Fundierung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts weiterhin offen gelassen. Bestätigt wird insoweit nur, dass einem als juristische Person des Privatrechts organisierten Unternehmen in seiner beruflichen Betätigung durch Art 12 Abs 1 GG zumindest ein Schutz vor der Verbreitung inhaltlich unzutreffender Informationen zukommen kann. Im konkreten Fall überwogen aus Sicht des BVerfG allerdings die Schutzrechte der Medien nach Art 5 GG.
IV. Juristische Personen des öffentlichen Rechts 21
Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grds nicht Träger von Persönlichkeitsrechten. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass sie in Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben keine Grundrechtsträger sind, solange ihre öffentliche Aufgabe nicht unmittelbar einem Grundrecht zuzuordnen ist wie zB im Falle der Rundfunkanstalten.30 Allerdings besteht auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts der Schutz durch die strafrechtlichen Normen der §§ 185 ff StGB.31 Hieraus können sich zivilrechtliche Unterlassungsansprüche aus § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 185 ff StGB ergeben.32 Die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer können nach herrschender 22 Meinung in Rechtsprechung und Literatur keinen Persönlichkeitsrechtsschutz für sich 28 29
BVerfG NJW 2002, 3619, 3622. BVerfG vom 29.8.2007, AZ 1 BvR 1225, 1226/07, ZUM 2007, 730. Das Unternehmen hat die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache im Januar 2008 zurückgezogen.
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30 31 32
BVerfG NJW 1967, 1411; NJW 1979, 1875. BVerfG NJW 1990, 1982; NJW 1995, 3303, 3304; BGH, NJW 1956, 1367. BGH NJW 1983, 1183; BGH, NJW 1984, 1607.
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§3
Das Persönlichkeitsrecht Verstorbener
beanspruchen.33 Anders sieht dies offenbar das LG Hamburg.34 Das LG Hamburg betont, dass aus § 194 Abs 3 S 2 StGB35 immerhin die Beleidigungsfähigkeit und zivilrechtliche Klagebefugnis von Behörden folge. Unter Verweis auf Soehring36 vertritt das LG Hamburg die Auffassung, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts sich zumindest dann zivilrechtlich gegen eine Medienberichterstattung wehren können, wenn sie wie ein Privater am Rechtsverkehr teilnehmen, mag dies auch zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben geschehen. Mit dieser Begründung spricht das LG Hamburg juristischen Personen des öffentlichen Rechts einen eingeschränkten, aber gleichwohl grundgesetzlich verankerten Persönlichkeitsrechtsschutz zu. In dem vom LG Hamburg konkret entschiedenen Fall wurde ein Richtigstellungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland zwar verneint. Das Gericht will einen solchen Richtigstellungsanspruch aber in besonders gravierenden Einzelfällen gewähren. Es spricht dabei von solchen Fällen, die zum Zuspruch einer beträchtlichen Geldentschädigung führen würden, wenn der Betroffene eine natürliche Person wäre.
§3 Das Persönlichkeitsrecht Verstorbener I. Der postmortale Achtungsanspruch Das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Person endet mit deren Tod, denn Träger 23 des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art 2 Abs 1 GG sind nur lebende Personen.37 Allerdings folgt aus der Garantie der Menschenwürde gem Art 1 Abs 1 GG, dass die Persönlichkeit des Menschen auch über den Tod hinaus geschützt wird. Auf dieser Basis hat die Rechtsprechung den Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts entwickelt.38 Nach dem Tod eines Menschen können dementsprechend nur noch solche Eingriffe abgewehrt werden, die nicht „nur“ das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern darüber hinausgehend die Menschenwürde des Betroffenen verletzen.39 Postmortal geschützt ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zum einen der allgemeine 24 Achtungsanspruch, der einem Menschen „kraft seines Personseins“ zusteht. Dieser Schutz bewahrt den Verstorbenen insbesondere vor Herabwürdigungen oder Erniedrigungen.40 Darüber hinaus ist auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt, den eine Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat.41
33 34 35
LG Wiesbaden AfP 1979, 327; Soehring Rn 13.19; Prinz/Peters Rn 141. LG Hamburg AfP 2002, 450. § 194 Abs 3 S 2 StGB regelt die Zuständigkeit des Behördenleiters für die Stellung eines Strafantrags im Falle der Beleidigung gegen eine Behörde oder sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
36 37 38 39 40 41
Soehring Rn 13.2 ff. St Rspr für alle BVerfG AfP 2006, 452, 453. St Rspr ausdrücklich aktuell zB BGH AfP 2007, 42, 43. BVerfG NJW 2001, 2957; BVerfG NJW 2001, 594; BVerfG, NJW 2006, 3409. BVerfG NJW 1991, 1645; BVerfG NJW 2001, 2957, 2959. BVerfG NJW 2001, 2957, 2959.
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II. Postmortale Verletzung der Menschenwürde 25
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Von einer Verletzung der Menschenwürde ist bei schweren Eingriffen und groben Entstellungen auszugehen.42 Eine Veröffentlichung, die diese Voraussetzungen erfüllt, ist immer unzulässig. Anders als im Fall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eine Abwägung der Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht möglich, da eine Verletzung der Menschenwürde immer unzulässig ist.43 Eine Güterabwägung zB mit kollidierenden Freiheitsrechten der Medien findet insoweit nicht statt.44 Wie hoch allerdings die Hürde für eine Verletzung der Menschenwürde ist, zeigt der nachfolgend geschilderte Beispielsfall Kaisen. Das BVerfG 45 stellte in dieser Entscheidung ausdrücklich klar, dass ein Berühren der Menschenwürde des Verstorbenen für Unterlassungsansprüche der Angehörigen nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es einer Verletzung der Menschenwürde und einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt.46 Dem Fall lag die Wahlkampfbehauptung der politischen Partei DVU zugrunde, der verstorbene Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Wilhelm Kaisen würde, wenn er noch lebte, im Jahre 1991 die DVU wählen. Diese Aussage wurde vom BVerfG als wertende Wahlkampfaussage für zulässig erachtet, weil sie Wilhelm Kaisen nicht in seiner Menschenwürde verletze.47 Dabei spielte es für das BVerfG eine entscheidende Rolle, dass die DVU sich das Renommee von Wilhelm Kaisen im politischen Wahlkampf zu Nutze machen wollte. Dies sei gerade kein Ausdruck von Verachtung, sondern eher das Gegenteil. Eine weitere Rolle spielte es für das BVerfG, dass es sich bei der Äußerung um eine „erkennbar spekulative Meinung des Verfassers“ gehandelt habe. Dem Adressaten, der diese Spekulation selbst auf ihre Plausibilität hin überprüfen könne, sei in aller Regel bewusst, dass Wahlkampfaussagen – ähnlich wie kommerziellen Zwecken dienende Werbeaussagen – häufig Übertreibungen enthalten und verzerrte Bilder zeichneten. Solche Äußerungen widersprächen zwar den ungeschriebenen Regeln des politischen Anstands und guten Geschmacks, stellten aber nicht die Lebensleistung des Betroffenen in Frage und verfälschten diese auch nicht. Die Entscheidung erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung zur Vererblichkeit der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts fragwürdig. Dieser aktuellen Rechtsprechung lag ein Fall zugrunde, in dem ein Unternehmen für die Umweltfreundlichkeit der von ihm vertriebenen Fotokopiergeräten mit dem Slogan geworben hatte „Vom Blauen Engel schwärmen, genügt uns nicht“. Die Werbung war mit einem nachgestellten Bild aus dem berühmten Film „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich illustriert. In diesem Zusammenhang entschied das BVerfG,48 dass eine derartige Ausbeutung der Persönlichkeit eines Verstorbenen zu Werbezwecken dessen Menschenwürde zwar regelmäßig unberührt lasse. Gleichzeitig akzeptierte das BVerfG aber die richterliche Rechtsfortbildung, die der Erbin von Marlene Dietrich wegen der Ausbeu-
42 43 44
Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 115. BVerfG NJW 2001, 594. BVerfG AfP 2006, 452, 453 mit Verweis auf BVerfG NJW 2001, 594 f und BVerfG NJW 2001, 2957, 2959.
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BVerfG NJW 2001, 2957, 2960. BVerfG NJW 2001, 2957, 2959 unter Verweis auf BVerfG NJW 1995, 3303. BVerfG NJW 2001, 2957, 2960. BVerfG NJW 2006, 3409.
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§3
Das Persönlichkeitsrecht Verstorbener
tung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts von Marlene Dietrich einen Anspruch auf Schadensersatz zusprach.49 Auch im oben geschilderten Fall Kaisen entschied das BVerfG, dass die Menschen- 30 würde von der Wahlkampfaussage der DVU nicht berührt sei. Schon dies erscheint zweifelhaft. Denn wenn die innere, politische Einstellung einer Person, noch dazu eines Politikers, nach seinem Tod für Wahlkampfzwecke verfremdet wird, so kann dies durchaus als grobe Entstellung seines Lebensbildes gesehen werden. Viel mehr aber stellt sich noch die Frage, ob in der ungenehmigten Verwendung einer Person im Rahmen einer Wahlkampfwerbung nicht – ebenso wie im Falle der Verwendung in einer Werbung für Fotokopiergeräte – eine Verletzung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts liegt. Zwar geht es bei Wahlkampfwerbung nicht um reine Wirtschaftswerbung. Gleichwohl macht sich der Werbende den Werbe- und Imagewert des ungefragt in die Werbung Einbezogenen zu Nutze. Im Ergebnis scheint jedenfalls die werbliche Verwendung eines Verstorbenen für die Wahlkampfwerbung einer politischen Partei, die er zu Lebzeiten abgelehnt hätte, weitaus mehr nach einer Entschädigung zu verlangen, als die rein kommerzielle, jedoch wertneutrale werbliche Verwendung im Rahmen der Werbung für Fotokopiergeräte. Es erscheint im Ergebnis nicht akzeptabel, dass im Fall Marlene Dietrich Schadensersatz an die Erben zu zahlen war, während im Fall Kaisen den Angehörigen nicht einmal Abwehransprüche zustehen sollen.
III. Keine postmortale immaterielle Geldentschädigung Anspruchsinhaber im Falle von postmortalen Verletzungen der ideellen Bestandteile 31 des Persönlichkeitsrechts sind nicht die Erben, sondern die Angehörigen des Verstorbenen. Allerdings ist insoweit anerkannt, dass den Angehörigen lediglich Abwehransprüche zustehen. Immaterielle Geldentschädigungsansprüche scheitern daran, dass die Genugtuungsfunktion, die diesen Ansprüchen zu Grunde liegt, beim Verstorbenen nicht mehr greifen kann.50 Gegenteilig hatte das Oberlandesgericht München 51 in einem Fall entschieden, in dem 32 es der Tochter von Marlene Dietrich (auch) einen Schadens-/Wertersatzanspruch wegen der postmortalen Veröffentlichung eines angeblichen Nacktfotos von Marlene Dietrich zugesprochen hatte. Es argumentierte, dass Marlene Dietrich zu Lebzeiten einen solchen Geldentschädigungsanspruch gehabt hätte, der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG aber nicht weiter reichen könne als der Schutz der Menschenwürde nach dem Tod. Ebenso wenig sei einzusehen, dass der Schutz der postmortalen Persönlichkeitsrechte im kommerziellen Bereich verstärkt, der ideelle Bereich aber den Zugriffen der Medien deutlich schutzloser freigegeben werde. Diesem Vorstoß hat der BGH 52 inzwischen eine Absage erteilt. Er hatte über immate- 33 rielle Geldentschädigungsansprüche der Angehörigen einer Verstorbenen zu entscheiden, die in rechtswidriger Weise durch Mitarbeiter eines TV Senders in entkleidetem Zustand gefilmt worden war. Der BGH lehnte immateriellen Geldentschädigungsansprüche der Angehörigen ab. Zur Begründung führte der BGH aus, Genugtuung komme für die Verstorbene nicht mehr in Betracht, da eine an Angehörige fließende Entschädigung wegen
49 50
BGH NJW 2000, 2201. BGH NJW 1974, 1371; BGH NJW 2006, 605.
51 52
OLG München ZUM 2002, 744; GRUR-RR 2002, 341. BGH ZUM 2006, 211.
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eines verletzenden Angriffs auf das Ansehen oder die Würde des Verstorbenen diese Genugtuungsfunktion nicht erfüllen könne. Das Gleiche gelte für einen Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts.53
§4 Schutzbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht generell vor Berichterstattung in den Medien. Auch nachteilige Aussagen müssen von dem Betroffenen grds hingenommen werden, wenn sie wahr und durch ein entsprechendes Öffentlichkeitsinteresse gerechtfertigt sind.54 Auch in Bezug auf wahre Aussagen und Tatsachen muss eine Person jedoch nicht jede Berichterstattung über sich dulden. Das Persönlichkeitsrecht gesteht dem Einzelnen vielmehr auch einen Lebensbereich zu, der von den Blicken Außenstehender geschützt, nur ihm selbst bzw dem von ihm selbst bestimmten Personenkreis wie Freunden und Familie zugänglich ist. Dieses Recht auf einen eigenen Lebensraum ist heute unbestritten.55 Der Umfang dieses Schutzes ist gegen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit 35 abzuwägen. Während eine reine Privatperson sich in der Regel in sehr weitem Umfang darauf berufen kann, in ihrem Leben vor den Augen der Öffentlichkeit geschützt zu sein, steht dieses Recht Prominenten und insbesondere Politikern nur in sehr viel beschränkterem Umfang zu. Es kann für die Öffentlichkeit durchaus von Relevanz und anerkennenswertem Interesse sein, ob zB ein Politiker privat auch „lebt“, was er öffentlich „predigt“. Hier gewinnt die Rolle der Presse als „Watchdog der Gesellschaft“ 56 ihre Bedeutung, die es auch nach der insoweit strengen Rechtsprechung des EGMR möglich macht, Personen in öffentlichen Funktionen in gewissen Grenzen auch in ihrem Privatleben zu fotografieren oder sonst über ihr Privatleben zu berichten. Um hier gewisse Anhaltspunkte für die zu beachtenden Grenzen zu haben, anhand 36 derer die sodann erforderliche Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz einerseits und Pressefreiheit andererseits vorzunehmen ist, gehen die Rechtsprechung und weite Teile der Literatur von Sphären jeweils unterschiedlicher Schutzintensität aus.57
34
I. Geheimsphäre 37
Die Geheimsphäre steht in engem Zusammenhang mit dem vom BVerfG anerkannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung.58 Das Recht beruht auf dem Gedanken, dass grds jedermann selbst darüber bestimmen können soll, ob, wann und in welchem Umfang er persönliche Lebenssachverhalte offenbart. Deshalb ist die Weitergabe personenbezogener Daten ebenso unzulässig wie die Weitergabe des Inhalts persönlicher Briefe, das
53 54 55 56 57
BGH ZUM 2006, 211, 212. BVerfG NJW 1999, 1322, 1324 mwN. Vgl eine Vielzahl von Nachweisen bei Wenzel/Burkhardt Kap 5 Rn 35. Teil 4 Kap 2 Rn 21 ff. Zu den unterschiedlichen Ansätzen der Sphä-
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renbildung unter entsprechenden weiteren Nachweisen vgl Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 38; krit zu dieser Art der Systematisierung MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 9. BVerfG NJW 1984, 419.
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Schutzbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Abhören von Telefonaten, die Öffentlichmachung vertraulicher Aufzeichnungen und Tagebuchinhalten sowie sonstiger Informationen, die offenkundig oder mutmaßlich vom Geheimhaltungswillen des Betroffenen erfasst sind. Mangels entgegenstehender, überwiegender Informationsinteressen ist dieser Geheimhaltungswille des Betroffenen zu respektieren. Bei der Bestimmung dessen, was in die Geheimsphäre einer Person fällt, kommt es 38 maßgeblich auf das Verhalten der betroffenen Person selbst an. In Bezug auf Umstände, die der Betroffene selbst freimütig preisgibt, zB sich in Interviews oder sonst in der Öffentlichkeit dazu äußert, kann er sich nicht auf den Schutz der Geheimsphäre berufen. Er wird nicht in seinen Rechten verletzt, wenn die Medien das Thema dann auch entsprechend aufgreifen. Dabei kommt es jedoch nur auf eine vom Betroffenen selbst und freiwillig veranlasste Aufhebung der Geheimsphäre an. Unzulässige Veröffentlichungen durch Dritte können weitere Veröffentlichungen nicht rechtfertigen, denn sonst ließe sich der Geheimschutz jederzeit durch einen einmaligen Verstoß für die Zukunft aufheben und unterlaufen.59 Ebenso können genehmigte Veröffentlichungen den Geheimnisschutz nur insoweit aufheben, als derselbe Umfang erneut betroffen ist. Gewährt zB ein politischer Agent Interviews, lässt sich jedoch stets nur so abbilden, dass er letztlich nicht erkennbar ist, so bleibt die Veröffentlichung von Fotos, die ihn identifizierbar machen und damit – im konkreten Fall – einer Gefährdung aussetzen, verboten.60
II. Intimsphäre Die Intimsphäre umfasst den engsten persönlichen Lebensbereich einer Person. Sie ist 39 unantastbar, ihr Schutz ist absolut.61 Eingriffe Dritter in die Intimsphäre sind mangels entsprechender Einwilligung immer rechtswidrig. Eine Abwägung gegen die Rechte der Medien bzw gegen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit findet in diesem Bereich nicht statt. Zum Bereich der Intimsphäre zählen Vorgänge aus dem Sexualbereich, ärztliche 40 Untersuchungen und deren Ergebnisse sowie körperliche Gebrechen und Krankheiten. Inkonsequent erscheint insoweit auf den ersten Blick, dass der BGH eine schwere Brustkrebserkrankung lediglich der Privat- und nicht der Intimsphäre zugeordnet hat.62 Allerdings lässt die Entscheidung des BGH erkennen, dass bei einem ungenehmigten Bericht über die Erkrankung von einer besonders schweren Persönlichkeitsverletzung ausgegangen wird, die auch einen Geldentschädigungsanspruch rechtfertigt. Insoweit ist eher davon auszugehen, dass der BGH hier mit der Verwendung des Begriffs „der Privatsphäre“ einen besonders schützenswerten Bereich der Betroffenen definieren und die Privatsphäre nicht gegen die Intimsphäre abgrenzen wollte. Aus der Entscheidung ist daher nicht zu folgern, dass entsprechende Krankheiten nicht der Intimsphäre zuzurechnen seien. Nicht vom absolut geschützten Bereich der Intimsphäre erfasst ist, was der Betroffene 41 selbst öffentlich macht oder was offenkundig sichtbar ist. Das BVerfG 63 hat klargestellt, dass der Schutz der Privatsphäre entfällt „wenn sich jemand selbst damit einverstanden 59 60 61
LG Hamburg NJW 1989, 1160. OLG München, ZUM 1990, 145. BVerfG NJW 2000, 2189; BGH NJW 1979, 647; BGH NJW 1981, 1366; BGH NJW 1999, 2893, 2894.
62 63
BGH NJW 1996, 984, 985; krit insoweit Wenzel/Burkhardt Kap 5, Rn 48. BVerfG NJW 2000, 1021, 1023.
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Kapitel 1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht
6. Teil
zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden, etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt“. Für den Bereich der Intimsphäre kann nichts anderes gelten.64 Auch religiöse Überzeugungen und Zugehörigkeiten zu religiösen Vereinigungen kön42 nen der Intimsphäre zugeordnet werden. Die Rechtssprechung ist insoweit nicht ganz einheitlich. Sie geht teilweise von einer Zurechnung zur Intimsphäre,65 teilweise zur Privatsphäre 66 aus. Auch hier ist allerdings davon auszugehen, dass das BVerfG, das eine Zuordnung zur Privatsphäre vornimmt, den Begriff der Privatsphäre im konkreten Fall als Oberbegriff für den Bereich der Privat- und Intimsphäre verwendet. Eine Abgrenzung findet in der zitierten Entscheidung nicht statt und im konkreten Fall entschied das BVerfG ohnehin zu Gunsten des Betroffenen. Aus der Verwendung des Begriffs der Privatsphäre durch das BVerfG ist an dieser Stelle daher ebenfalls nicht zu folgern, dass das Gericht – wäre es auf die Unterscheidung zwischen Intim- und Privatsphäre angekommen – von dem Bereich der Privatsphäre anstelle der Intimsphäre ausgegangen wäre. Letztlich bleibt die Abgrenzung zwischen Intim- und Privatsphäre fließend und hängt 43 nicht zuletzt auch davon ab, wie detailliert über einen Sachverhalt berichtet wird. So wurde zB die Erwähnung eines Ehebruchs nicht der Intimsphäre, sondern nur der (abwägungsfähigen) Privatsphäre zugerechnet, mit der Begründung, dass der Umstand des Ehebruchs im konkreten Fall lediglich als Tatsache erwähnt, jedoch nicht im Detail darüber berichtet worden war.67
III. Privatsphäre 44
Die Privatsphäre ist weiter als die Intimsphäre. Sie stellt denjenigen Lebensbereich einer Person dar, der zwar keine intimen Themen wie den Sexualbereich oder Krankheiten erfasst, in dem sich aber das private, nicht freiwillig nach außen getragene Leben des Betroffenen abspielt. Es geht dabei um den sowohl räumlich als auch thematisch abzugrenzenden 68 Schutzbereich, zu dem nur der Betroffene selbst Zugang hat sowie diejenigen Personen, denen er selbst diesen Zugang gestattet. 1. Räumliche Abgrenzung
In räumlicher Hinsicht gehört zur Privatsphäre insbesondere der häusliche Bereich, von dem eine Person annehmen darf, dass er ohne konkrete Hilfsmittel oder Maßnahmen zur Ausspähung den Augen Dritter entzogen ist.69 Daneben zählt zur Privatsphären in räumlicher Hinsicht auch derjenige Bereich, der 46 eine gewisse örtliche Abgeschiedenheit bietet. Gemeint sind Orte, an denen der Betroffene begründetermaßen davon ausgehen kann, vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt zu sein. Bei „öffentlichen Orten“ wie öffentlichen Badeanstalten, öffentlichen Wegen, Märkten etc wird hiervon nicht ausgegangen. Das Kriterium der „örtlichen Abgeschiedenheit“ basiert auf der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG zu Caroline
45
64
65 66
Wenzel/Burkhardt 5. Kap Rn 51 mit Verweis auf Koppehele AfP 1981, 337 und Soehring AfP 2000, 230, 234. So wohl OLG München NJW 1986, 1260. BVerfG NJW 1990, 1980.
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67 68 69
BGH NJW 1999, 2893. BVerfG NJW 2000, 2194; BGH NJW 1996, 1128; BVerfG WRP 2008, 645, 651. KG NJW-RR 2000, 1714; BVerfG NJW 2006, 2836.
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§4
Schutzbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
von Monaco.70 Die örtliche Abgeschiedenheit wurde als entscheidend dafür angesehen, ob eine absolute Person der Zeitgeschichte 71 auch bei privaten Tätigkeiten fotografiert werden durfte oder nicht. Spielte sich die fragliche Tätigkeit in einem Bereich örtlicher Abgeschiedenheit ab, wie zB in dem hinteren Teil eines Gartenrestaurants, war dies nicht der Fall.72 Bei privaten Tätigkeiten außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit, wie zB bei dem Besuch eines öffentlichen Marktes, durfte die absolute Person der Zeitgeschichte demgegenüber abgelichtet werden.73 Diese Rechtsprechung hat zunächst durch den EGMR 74 sowie inzwischen auch durch 47 Übernahme der Rechtsprechung des EGMR durch die deutschen Gerichte eine Wandelung erfahren. Man könnte deshalb vertreten, dass damit auch der Raum der Privatsphäre neu definiert werden müsse. Dieser Ansatz ist jedoch nicht richtig und eine Neudefinition des räumlichen Aspekts 48 der Privatsphäre nicht erforderlich. Der Grund hierfür liegt darin, dass der private Einkaufsbummel oder der private Besuch eines Straßencafes schon immer der Privatsphäre zuzuordnen waren und dies auch bleiben. Der räumliche Bereich der Privatsphäre hat sich somit nicht geändert. Was sich geändert hat, ist die Gewichtung der Interessen im Rahmen der Abwägung, wann und unter welchen Umständen im Hinblick auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit Bilder aus diesem Bereich der Privatsphäre veröffentlicht werden dürfen. Mit Abschaffung oder jedenfalls Relativierung der Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte 75 gibt es jedenfalls keine Personen mehr, die per se im Rahmen ihrer Privatsphäre abgelichtet werden dürfen und zwar auch dann nicht, wenn sich die Privatsphäre im öffentlichen Raum abspielt. Eine Neudefinition des räumlichen Bereichs der Privatsphäre geht damit aber nicht einher. 2. Thematische Abgrenzung Thematisch gehören zum Bereich der Privatsphäre alle Vorgänge, die nach allgemei- 49 nem Verständnis als „privat“ gelten, also alle Umstände, die in Zusammenhang mit Familie, Freunden und privaten Tätigkeiten stehen. Hierzu zählen auch Heirats- und Scheidungsabsichten und damit in Zusammenhang stehende sonstige Einzelheiten aus dem Privatleben. Auch hier kommt es für die Frage, ob über private Themen berichtet werden darf, auf eine Abwägung des Schutzes der Privatsphäre des Betroffenen mit dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an. So mag zB die geplante Hochzeit eines Politikers zwar eine private Angelegenheit sein, das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit kann eine Berichterstattung hierüber allerdings rechtfertigen. Entsprechendes hat das OLG Karlsruhe im Falle von Albert II. von Monaco sogar für sehr intime Gespräche zwischen ihm und seiner Freundin bzw für Aussagen über eine gemeinsame Liebesnacht der Beiden mit der Begründung angenommen, dass Albert II. von Monaco ein regierendes Staatsoberhaupt sei. Die Frage der Thronfolge in Monaco sei noch ungeklärt, weshalb ein hohes Öffentlichkeitsinteresse an den beschriebenen Vorgängen anzunehmen sei.76 Auch Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind grds Privatsache. Gleiches gilt 50 für private Gespräche und zwar auch dann, wenn sie berufliche oder sogar politische 70
71
BVerfG NJW 2008, 1793, 1799 – Caroline von Hannover; BGH NJW 1996, 1128; BVerfG; NJW 2000, 1021; BVerfG NJW 2000, 2192. Zum Begriff der absoluten Person der Zeitgeschichte vgl Teil 4 Kap 2 Rn 36 und Teil 6 Kap 3 Rn 43 ff.
72 73 74 75
76
BVerfG NJW 2000, 1021. BVerfG NJW 2000, 1021, 1026. EGMR, NJW 2004, 2647. BVerfG NJW 2008, 1793, 1798 – Caroline von Hannover; vgl Teichmann NJW 2007, 1917. OLG Karlsruhe NJW 2006, 617.
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Kapitel 1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht
6. Teil
Themen zum Gegenstand haben. Hier kommt es weniger auf das Thema als auf die Umstände des Gesprächs an. Ähnlich wie bei der Annahme „örtlicher Abgeschiedenheit“ im Rahmen des Bildnisschutzes, kann der Einzelne in Bezug auf ein privat geführtes Telefonat davon ausgehen, vor den Augen bzw Ohren der Öffentlichkeit geschützt sprechen zu können. Dementsprechend hat der BHG auch den Inhalt eines Telefonats zwischen dem damaligen Kanzlerkandidaten Kohl und dem Generalsekretär seiner Partei Biedenkopf über die politischen Aussichten im Wahlkampf der Privatsphäre zugeordnet.77 Soweit Krankheiten, Krankenhausaufenthalte, ärztliche Behandlungen etc nicht ohne51 hin bereits der Intimsphäre zuzuordnen sind, zB weil sie nach außen offenkundig sind, gehören sie jedenfalls der Privatsphäre an. Gleiches gilt für religiöse Überzeugungen und kirchliche Zugehörigkeiten.
IV. Sozialsphäre 52
Die Sozialsphäre umfasst denjenigen Bereich einer Person, der außerhalb des Privaten liegt und in dem die Person mit Ihrer Umwelt in Kontakt tritt. Dieser Bereich kann grds von jedem wahrgenommen werden, ohne dass eine persönliche Beziehung bestehen muss. Gleichwohl tritt der Betroffene in diesem Bereich nicht bewusst in das Licht der Öffentlichkeit. Es geht hier um den Bereich der beruflichen, gewerblichen oder politischen Betätigung des Betroffenen als Glied der sozialen Gesellschaft.78 Der BGH hat den Begriff der „Sozialsphäre“ in seiner der Entscheidung Wallraff I 79 geprägt und verwendet ihn seither in ständiger Rechtsprechung.80 Auch in diesem Bereich steht dem Einzelnen vom Grundsatz her das Bestimmungsrecht darüber zu, in welchem Umfang er sich der Öffentlichkeit aussetzt.81 Im Rahmen der Abwägung kommt dem Öffentlichkeitsinteresse in diesem Bereich aber ein wesentlich gewichtigerer Rang zu.82 Im Bereich der Sozialsphäre stellt sich zumeist weniger das Problem, ob über einen 53 bestimmten Sachverhalt berichtet werden darf, oder nicht, als vielmehr, ob der davon Betroffene namentlich genannt werden oder durch ein Foto identifizierbar gemacht werden darf. Zu dieser Problematik wird auf Teil 4 Kap 2 § 5 in diesem Werk verwiesen.
V. Öffentlichkeitssphäre 54
Die Öffentlichkeitssphäre betrifft denjenigen Bereich einer Person, in der sie sich bewusst und aktiv in das Licht der Öffentlichkeit stellt. Hierunter fallen vor allem öffentliche Auftritte von Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern. Über solche öffentlichen Auftritte und die Einzelheiten, die dabei zu Tage treten, darf durch die Medien in der Regel berichtet werden. Der Begriff des „Auftritts“ ist hierbei allerdings problematisch. Richtigerweise kann 55 als „öffentlicher“ Auftritt nicht nur ein „offizieller“ Auftritt gelten, der gegen Entgelt erfolgt. Vielmehr muss hierunter auch ein sonstiges öffentliches Erscheinen fallen, bei dem sich eine allgemein bekannte Person bewusst dem Licht der Öffentlichkeit zuwendet. Ein Beispiel hierfür ist das öffentliche Auftreten von Prominenten oder deren Angehörigen auf Sportveranstaltungen und Ehrentribünen. Es kann nach der hier vertretenen Auf77 78 79
BGH NJW 1979, 647. Wenzel/Burkhardt Kap 5, Rn 65. BGH NJW 1981, 1089, 1091.
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80 81 82
BGH AfP 1995, 404. BGH NJW 1981, 1366. BGH AfP 1995, 404.
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Schutzbereiche des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
fassung nicht richtig sein, dass sich zB Ehefrauen von Fußballnationalspielern – teilweise gemeinsam mit ihren Kindern – bei weltweit übertragenen Spielen zB im Rahmen einer Fußballweltmeisterschaft prominent auf der Zuschauerbühne präsentieren, sich bei der Veröffentlichung entsprechender Fotos dann aber auf eine angebliche Verletzung ihrer Privatsphäre berufen. Ähnliches gilt auch für „Auftritte“ Prominenter in bestimmten Lokalen oder bei Feierlichkeiten, die zwar einen privaten Anlass haben mögen, die aber offenkundig mit der Zielsetzung besucht werden, „zu sehen und gesehen zu werden“. Hier wäre eine differenziertere Betrachtung durch die Rechtsprechung wünschenswert und eine Zurechnung auch dieser Art von „Auftritten“ zu der Öffentlichkeitssphäre geboten.
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Kapitel 2 Kommerzialisierte Persönlichkeitsrechte Literatur Balthasar Eingriffskondiktion bei unerlaubter Nutzung von Persönlichkeitsmerkmalen – Lafontaine in Werbeannonce NJW 2007, 664; Beuthien Was ist vermögenswert, die Persönlichkeit oder ihr Image? – Begriffliche Unstimmigkeiten in den Marlene-Dietrich-Urteilen NJW 2003, 1220; Bodewig/Wandtke Die doppelte Lizenzgebühr als Berechnungsmethode im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie GRUR 2008, 220; Ehmann Zum kommerziellen Interesse an Politikerpersönlichkeiten AfP 2007, 81; Fricke Personenbildnisse in der Werbung für Medienprodukte GRUR 2003, 406; Götting BGH, Urt vom 5.10.2006 – I ZR 277/03 – kinski.klaus.de (Anmerkung) GRUR 2007, 170; Helle Privatautonomie und kommerzielles Persönlichkeitsrecht JZ 2007, 444; Reber Die Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts in Deutschland und den USA (von Marlene Dietrich über Klaus Kinski zu Marilyn Monroe) – ein Irrweg des Bundesgerichtshofs? GRUR Int 2007, 492; Röthel Dauer des Schutzes der vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts LMK 2007, 213345; Schierl (Hrsg) Prominenz in den Medien. Zur Genese und Verwertung von Prominenten in Sport, Wirtschaft und Kultur Köln 2007; Schubert Von Kopf bis Fuß auf Verwertung eingestellt? Die Dogmatik der Vermögensrechte der Persönlichkeit im Licht der neuesten Rechtsprechung von BGH und BVerfG AfP 2007, 20; Strothmann Werbung mit bekannten Persönlichkeiten – Zugleich Anmerkungen zur neueren Rechtsprechung des BGH – GRUR 1996, 693; Ullmann Persönlichkeitsrechte in Lizenz? AfP 1999, 209; Wanckel Foto- und Bildrecht 2. Aufl München 2006; Zagouras Satirische Politikerwerbung – Zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz WRP 2007, 115.
Übersicht Rn § 1 Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . I. Ideeller Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts II. Kommerzieller Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . III. Geldentschädigung und/oder fiktive Lizenz bei Verletzung . 1. Geldentschädigung für immaterielle Verletzung . . 2. Fiktive Lizenzgebühr wegen materieller Verletzung . . . § 2 Das Persönlichkeitsrecht als selbstständiges Wirtschaftsgut . . . . . . I. Das Persönlichkeitsrecht als frei verfügbares Ausschließlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . II. Vermarktungsbereitschaft des Betroffenen . . . . . . . . . .
.
1–14
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1, 2
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3–5
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6–14
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7–11
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12–15
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16–37
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16–23
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24–28
Rn III. Schutzdauer . . . . . . . . . . . § 3 Werbung für Presseerzeugnisse . . . . I. Bedeutung und Kategorisierung . II. Werbung in oder auf dem Presseprodukt . . . . . . . . . . . . . III. Werbung für eine bestimmte Ausgabe außerhalb des Presseprodukts . . . . . . . . . . . . . . IV. Imagewerbung für ein Presseprodukt . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Art 5 GG für allgemeine Wirtschaftswerbung . . . . . . . . . . . . . . . I. Art 5 GG trotz kommerzieller Zwecke . . . . . . . . . . . . . II. Meinungsbildender Inhalt einer Wirtschaftswerbung . . . . . . . III. Güter- und Interessenabwägung IV. Ausblick . . . . . . . . . . . .
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29–37 38–59 38–41 42–45
46–50 51–59 60–76 60–62 63–68 69–75 76
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Kapitel 2 Kommerzialisierte Persönlichkeitsrechte
6. Teil
§1 Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts I. Ideeller Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 1
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde von der Rechtssprechung zunächst ausschließlich dazu entwickelt, den Menschen in seinem immateriellen Wert- und Achtungsanspruch, in seiner Menschenwürde und der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit zu schützen. Der von einer Medienberichterstattung Betroffene sollte sowohl in seinem Selbstbestimmungsrecht darüber, was er der Öffentlichkeit über seine Person zugänglich macht und was nicht, als auch in seinem Interesse auf unverfälschte Darstellung seiner Persönlichkeit geschützt werden. Es ging somit zunächst ausschließlich um den ideellen, in Geld nicht messbaren Wert, dem Betroffenen einen „autonomen Bereich eigener Lebensgestaltung zuzugestehen, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann.“ 1 Dieser ideelle Wert ist ebenso wie das so verstandene allgemeine Persönlichkeitsrecht 2 unauflöslich mit der Person des Betroffenen verbunden und nicht auf Dritte übertragbar.2 Ebenso wenig kann der ideelle Teil des Persönlichkeitsrechts vererbt werden, weshalb Geldentschädigungsansprüche von Erben oder Angehörigen eines Verstorbenen für Verletzungen des postmortalen, ideellen Persönlichkeitsrechts bis heute verneint werden.3
II. Kommerzieller Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 3
In zunehmendem Maße erwiesen sich in der modernen Medienwelt, insbesondere in der Werbewirtschaft, die Kennzeichen einer prominenten Person aber auch als wirtschaftlich verwertbar.4 So hat die Werbewirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten verstärkt damit 4 begonnen, berühmte Persönlichkeiten zum Zwecke der Bewerbung eigener Produkte oder Dienstleistungen einzusetzen und die Rechtssprechung musste anerkennen, dass auch dann, wenn die entsprechende Werbung nicht gegen den ideellen Teil des Persönlichkeitsrechts verstößt, also weder entwürdigend noch herabsetzend ist, der wirtschaftliche (Werbe-) Wert einer Person geschützt werden musste. Name, Stimme und Aussehen – letztlich das ganze „Image“ einer Person 5 – werden heute als eigentumsähnliches Persönlichkeitsgüterrecht einer Person anerkannt. Endgültig höchstrichterlich anerkannt ist die Trennung von ideellen und kommerziel5 len Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts seit den sog Marlene-Entscheidungen des BGH 6 und des BVerfG.7 Diese Entscheidungen trugen der zunehmenden Kommerzialisierung von Persönlichkeitsmerkmalen in den Massenmedien Rechnung. Persönlichkeitsmerkmale wie Name, Bild und Unterschriftszug von Marlene Dietrich waren von Unternehmen zur Vermarktung und Bewerbung diverser Produkte eingesetzt worden. Konkret ging es um die Bewerbung von Fotokopiergeräten in dem einen 8 bzw Fotos, Kosmetika 1
2 3
MünchKommBGB/Rixecker Anh zu § 12 BGB Rn 3 mit Verweis auf BGHZ 131, 332, 337 und Di Fabio AfP 1999, 126 mwN. BGH NJW 2000, 2195, 2197. BGH NJW 1974, 1371; BGH NJW 2000, 2195, 2197; LG Heilbronn ZUM 2002, 160; Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 139.
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4 5 6 7 8
Schierl. Beuthien NJW 2003, 1220. BGH NJW 2000, 2195; BGH NJW 2000, 2201. BVerfG NJW 2006, 3409. BGH NJW 2000, 2201.
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§1
Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
und Merchandising-Artikeln in dem anderen Fall.9 Der BGH entschied, dass Auskunftsund Schadensersatzansprüche zugunsten der Erbin von Marlene Dietrich begründet seien.10 In diesen Entscheidungen erkannte der BGH zum ersten Mal ausdrücklich die Trennung von ideellen und kommerziellen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts an. Bei einer schuldhaften Verletzung der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts sollten Schadensersatzansprüche unabhängig von der Schwere des Eingriffs bestehen und nach dem Tod der Betroffenen auch zugunsten der Erben des Verstorbenen aufrecht erhalten bleiben. Das BVerfG bestätigte diese Entwicklung. Diese sei verfassungsrechtlich zwar nicht geboten, als richterliche Rechtsfortbildung auf der Ebene des einfachen Rechts aber zulässig und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
III. Geldentschädigung und/oder fiktive Lizenz bei Verletzung Die widerrechtliche Verwendung der Persönlichkeitsmerkmale einer Person zu Zwe- 6 cken der Wirtschaftswerbung kann parallel sowohl einen immateriellen Geldentschädigungs-, als auch einen materiellen Schadensersatz- bzw Lizenzanspruch auslösen. Der Anspruch auf immaterielle Geldentschädigung, somit auf Ersatz des Nichtvermögensschadens besteht gegebenenfalls selbstständig neben demjenigen auf Ersatz des Vermögensschadens und muss auch selbstständig und ausdrücklich geltend gemacht werden.11 Dabei berührt die Geltendmachung eines etwaigen materiellen Schadensersatz- bzw Lizenzanspruchs den eventuellen Anspruch auf eine immaterielle Geldentschädigung allenfalls der Höhe nach, jedoch nicht dem Grunde nach.12 Die Ansprüche unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. 1. Geldentschädigung für immaterielle Verletzung Der Zuspruch einer immateriellen Geldentschädigung setzt eine besonders schwerwie- 7 gende Persönlichkeitsrechtsverletzung voraus. In der „nur“ widerrechtlichen Einbindung einer Person in eine wertneutrale Werbung wird dies nach heutigem Verständnis nicht (mehr) gesehen.13 Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die die konkrete Werbung als etwas Negatives und Ehrenrühriges erscheinen lassen. Dies kann in der Peinlichkeit des beworbenen Produkts selbst liegen, zB bei der Werbung für ein Sexualpräparat.14 Entsprechendes ist aber auch denkbar, wenn der Betroffene aus beruflichen oder sonst anzuerkennenden Gründen, zB als Politiker oder Theologe, es als ehrenrührig oder seiner Position abträglich ansehen muss, dass der Eindruck erweckt wird, er habe sich für eine entsprechende Werbung zur Verfügung gestellt.15 Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass das nachfolgend noch näher bespro- 8 chene Urteil des BGH zu Oskar Lafontaine 16 den Aspekt der immateriellen Geldentschädigung nicht thematisiert hat bzw ein solcher offenbar nicht geltend gemacht wurde.
9 10
11 12
BGH NJW 2000, 2195. Unterlassungsansprüche waren bereits durch die Abgabe von Unterlassungserklärungen erledigt worden. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff UrhG Rn 44. Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 113; OLG Frankfurt ZUM 1985, 570; OLG München
13 14
15 16
ZUM 1996, 160; LG Hamburg AfP 1995, 526. Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 113. Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 112 unter Verweis auf „Herrenreiter“, BGH NJW 1958, 827. Wenzel/Burkhardt Kap 14 Rn 111. Vgl näher unter Teil 6 Kap 2 § 4 II Rn 62 ff.
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6. Teil
Zwar führt der BGH in diesem Urteil im Rahmen des Anspruchs auf fiktive Lizenzgebühr aus, dass ein Bereicherungsanspruch nicht daran scheitert, dass der Kläger wegen des für Bundesminister geltenden Verbots anderer besoldeter Tätigkeiten gem Art 66 GG oder aus Gründen der politischen Glaubwürdigkeit an der eigenen kommerziellen Verwertung seines Bildnisses gehindert gewesen wäre.17 Der Anspruch scheitert an späterer Stelle der Prüfung aus anderen Gründen.18 Nicht thematisiert wird aber, ob der Gedanke politischer Glaubwürdigkeit für Oskar Lafontaine eine immaterielle Geldentschädigung begründen hätte können. Insgesamt fällt auf, dass sämtliche Urteile, die sich aktuell mit der Gewährung von 9 Entschädigungsansprüchen wegen ungewollter Einbindung in Werbemaßnahmen beschäftigen, dies nicht zumindest auch parallel auf der Basis eines immateriellen Geldentschädigungsanspruchs tun, sondern ausschließlich in Zusammenhang mit der Frage nach einer fiktiven Lizenzgebühr. Der immaterielle Geldentschädigungsanspruch spielt in der Praxis insoweit nur sehr selten eine Rolle, obwohl unstreitig anerkannt ist, dass beide Ansprüche selbstständig nebeneinander bestehen können und nur entsprechend geltend gemacht werden müssen. Der Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass wie oben dargestellt die – auch ungewollte – Einbindung in Wirtschaftswerbung für sich betrachtet nicht als geldentschädigungswürdig angesehen wird. Die Hürde für darüber hinausgehende Umstände, die eine Werbung aufgrund ihrer Peinlichkeit selbst geldentschädigungspflichtig machen, ist aber offenbar zu hoch, um in der Praxis oft überschritten zu werden. Es erscheint durchaus fraglich, ob es richtig ist, nicht bereits den ungewollten Einsatz 10 einer Person in der Werbung selbst als geldentschädigungswürdig anzusehen. Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob es nach heutigem Verständnis ehrenrührig ist, den Eindruck zu erwecken, jemand habe sich zu Vermarktungszwecken zur Verfügung gestellt. Die freiwillige Mitwirkung in einer wertneutralen Werbung mag heute tatsächlich nichts Ehrenrühriges mehr an sich haben. Dies ändert aber nichts daran, dass es gleichwohl das immaterielle Persönlichkeitsrecht einer Person verletzen dürfte, wenn diese unfreiwillig zu Vermarktungszwecken eingesetzt und vor den Karren der Werbung gespannt wird. Im Falle einer Zwangskommerzialisierung erscheint eine solche Sichtweise geboten und zwar nicht deshalb, weil Werbung als solches ehrenrührig oder peinlich ist, sondern weil es das ureigenste Selbstbestimmungsrecht einer Person verletzt, wenn andere zu eigenen kommerziellen Zwecken ohne entsprechende Einwilligung über die Persönlichkeitsmerkmale eines anderen verfügen. Folgt man dieser Auffassung nicht, tut sich zudem eine gefährliche Schutzlücke auf. 11 Die Werbewirtschaft kann sich nach gegenwärtigem Verständnis nämlich all derjeniger relativ risikolos bedienen, die nicht entsprechend prominent sind und damit keinen anerkannten Werbewert haben. Eine fiktive Lizenzgebühr wird in diesen Fällen scheitern, da solche Personen einen fiktiven Lizenzwert nicht haben. Eine immaterielle Geldentschädigung scheitert aber ebenfalls, solange nicht die Werbung für sich genommen peinlich oder herabwürdigend ist, was in den meisten Fällen nicht der Fall sein wird. Es ist fraglich, ob die Rechtsprechung diese Schutzlücke gewollt, bewusst in Kauf genommen oder übersehen hat. Richtig erscheint sie jedenfalls nicht.
17
BGH GRUR 2007, 139, 140.
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Vgl hierzu näher Rn 63 ff.
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§1
Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
2. Fiktive Lizenzgebühr wegen materieller Verletzung Wird eine Person ungefragt in der Werbung eingesetzt und damit ihr Werbewert ausgebeutet, so führt dies zu einem materiellen Schadensersatz- bzw Lizenzanspruch der betroffenen Person. Sie hat dabei ein Wahlrecht, den Schaden entweder konkret oder nach der Lizenzanalogie zu berechnen oder den Verletzergewinn herauszuverlangen.19 In der Praxis spielt in den weit überwiegenden Fällen ausschließlich die Lizenzanalogie eine Rolle. Dies dürfte seinen Grund in den Beweisproblemen haben, die mit jeder konkreten Berechnung – sei es des Schadens auf Seiten des Verletzten oder des Gewinns auf Seiten des Verletzers – zusammenhängen. Bei der Berechnung der fiktiven Lizenzgebühr ist derjenige Betrag zu ermitteln, den der Betroffene für eine entsprechende Werbung als Lizenzgebühr hätte verlangen können. Dabei ist insbesondere auf die Bekanntheit und den Sympathie- bzw Imagewert des Abgebildeten abzustellen sowie auf den Aufmerksamkeitswert, den Verbreitungsgrad und die Rolle, die dem Abgebildeten in der Werbung zugeschrieben wird.20 Das OLG München hat zB den Lizenzwert für das Werbemotiv „Blauer Engel“ aus dem berühmten Film mit Marlene Dietrich in Höhe von € 70 000,– festgesetzt.21 Noch bedeutend höher hat das Landgericht München I den Lizenzwert von Boris Becker nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit 1,2 Mio. festgesetzt.22 Diese Lizenzhöhe wurde vom OLG München allerdings inzwischen aufgehoben und die Entscheidung über die Höhe zurückverwiesen.23 Im Zuge der Annäherung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts an ein kommerzialisiertes Verwertungsrecht könnte man auch über eine doppelte Lizenzgebühr als pauschalierten Schadensersatz nachdenken. Anerkannt ist ein solch 100 %iger Aufschlag auf die übliche Lizenzgebühr im Bereich des Urheberrechts bei der Verletzung von unkörperlichen Wiedergaberechten (GEMA-Fälle)24, wird aber für das gesamte Immaterialgüterrecht diskutiert.25 In Einzelfällen spricht die Rechtsprechung einen solchen Aufschlag auch bei der Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts zu, insbesondere bei Fehlen der Urheberbenennung, rechtlich allerdings unter dem Gesichtspunkt einer Vertragsstrafe.26 Für einen pauschalierten Aufschlag spricht, den Präventionsgedanken zu stärken und nicht den redlichen Nutzer mit dem (vorsätzlichen) Verletzer gleichzusetzen. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen besteht jedoch nicht das gleiche Bedürfnis nach präventiven Elementen, wie bei den Immaterialgüterrechten. Denn neben der Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie ist der zusätzliche Ersatz immaterieller Schäden möglich und üblich. Präventive Erwägungen werden dabei seit langem mit einbezogen.27 Die nachfolgenden Ausführungen und die darin erläuterten Urteile beziehen sich ausschließlich auf die Gewährung eines Anspruchs auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr wegen Verletzung der kommerziellen Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person. Sie sind nicht mit immateriellen Geldentschädigungsansprüchen zu verwechseln.
19 20
21 22
BGH NJW 2000, 2201, 2202; BGH NJW 2007, 689. LG Hamburg GRUR 2002, 143 unter Verweis auf OLG München, ZUM 2003, 139 und LG Hamburg ZUM 2004, 399. OLG München NJW-RR 2003, 767. LG München I AfP 2006, 382 (nicht rechtskräftig) zu weiteren Beispielen zur Lizenzhöhe vgl Wanckel Rn 282.
23 24 25 26
27
OLG München K&R 2007, 320. BGH GRUR 1973, 379; s. allgemein zum Verletzerzuschlag Teil 1 Kap 4 Rn 58 ff. Bodewig/Wandtke GRUR 2008, 220. OLG Düsseldorf GRUR 2006, 393; LG Köln, Urteil vom 29. November 2007, AZ: 29 O 102/07. Rixecker in MüKo Anhang zu § 12 Rn 225 ff.
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Kapitel 2 Kommerzialisierte Persönlichkeitsrechte
6. Teil
§2 Das Persönlichkeitsrecht als selbstständiges Wirtschaftsgut I. Das Persönlichkeitsrecht als frei verfügbares Ausschließlichkeitsrecht 16
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Der BGH hat bereits in sehr frühen Entscheidungen das Recht am eigenen Bild als „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“ bezeichnet.28 Allerdings hat er in der sog Nena-Entscheidung 29 die Übertragbarkeit dieses Rechts wegen seines Rechtscharakters als allgemeines Persönlichkeitsrecht in Frage gestellt und damit gleichzeitig die Übertragbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbst verneint. Die Qualifizierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als nichtübertragbar und nichtvererblich ist seit der Marlene-Rechtsprechung des BGH zumindest in dieser Absolutheit passé. In den Entscheidungen zu Marlene Dietrich hat der BGH die kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts als vererbliches Rechtsgut anerkannt, das bei ungenehmigter Verwendung Lizenzansprüche der Erben auslösen kann. Weitere Fragen sind nach wie vor offen. Dies gilt zum einen weiterhin für die Frage nach der Übertragbarkeit des Persönlichkeitsrechts unter Lebenden. Für den ideellen Bestandteil des Persönlichkeitsrechts kann eine solche Übertragbarkeit sicherlich nicht in Frage kommen. Was den kommerziellen Bestandteil des Persönlichkeitsrechts betrifft, stellt sich die Situation jedoch anders dar. Die – zutreffende – Anerkennung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts sollte ihre logische Folge durchaus auch in der Anerkennung der Übertragbarkeit unter Lebenden haben. Zwar ist dem BGH darin zuzustimmen, dass die im Schrifttum teilsweise erhobenen Bedenken gegen eine immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung der Persönlichkeit und damit verbundene etwaige gesellschaftliche Fehlentwicklung nicht von der Hand zu weisen sind. Letztlich greifen diese aber – wie der BGH ebenfalls zutreffend weiter ausführt – nicht durch. Denn dem Recht kommt auch eine dienende Funktion zu, die im Interesse beider Seiten einen Ordnungsrahmen für neue Formen der Vermarktung bieten muss.30 Die Vermarktung der kommerziell verwertbaren Persönlichkeitsmerkmale Prominenter ist heute ein Faktum im Wirtschaftsleben, das durch Nichtanerkennung in der Rechtsprechung weder verhindert, noch die dahinter stehende gesellschaftliche Entwicklung rückgängig gemacht werden kann. In der sog Nena-Entscheidung 31 war der BGH noch gezwungen, den Umweg über die ergänzende Vertragsauslegung zu wählen, um zu einem interessengerechten Ergebnis zu kommen. Dies wäre heute angesichts der Weiterentwicklung und Anerkennung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts nicht mehr erforderlich. Es spricht insoweit viel dafür, die im Wirtschaftsleben praktizierte Übertragung kommerzialisierter Persönlichkeitsrechte auch juristisch anzuerkennen. Bedenkliche Ausuferungen oder gesellschaftliche Fehlentwicklungen sind insoweit schon deshalb nicht ernsthaft zu befürchten, weil ihnen durch das unstreitige und zu Recht nicht übertragbare ideelle Persönlichkeitsrecht Einhalt geboten wird. Ungeklärt und soweit ersichtlich bislang nicht thematisiert ist auch die Frage nach der bewussten und zielgerichteten Vererblichkeit des kommerzialisierten Persönlichkeitsrechts. Die Anerkennung materieller Schadensersatzansprüche der Erben im Verletzungs-
28 29
BGH GRUR 1956, 427, 429; später auch BGH GRUR 1992, 557, 558. BGH GRUR 1987, 128.
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BGH NJW 2000, 2195, 2199. BGH GRUR 1987, 128.
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Das Persönlichkeitsrecht als selbstständiges Wirtschaftsgut
fall muss nicht automatisch auch bedeuten, dass das kommerzielle Persönlichkeitsrecht ein selbstständiges Vermögensgut ist, über das der Erblasser beliebig testamentarisch verfügen kann. Kann er bspw sein kommerzielles Persönlichkeitsrecht im Sinne eines Vermächtnisses einer anderen Person als seinen Erben vermachen? Auch diese Frage ist bislang nicht geklärt. Weiter stellt sich die Frage, was der Erblasser tun muss, wenn er nicht möchte, dass 21 sein Persönlichkeitsrecht nach seinem Tod überhaupt verwertet wird. Muss er dann genau dies testamentarisch festlegen, weil die Befugnis zur Verwertung sonst automatisch auf seine Erben übergeht? Die Überlegung liegt nahe, denn immerhin hat der BGH die Vererblichkeit des kommerziellen Persönlichkeitsrechts dahingehend eingeschränkt, dass die Erben ihr Benutzungsrecht nicht gegen den mutmaßlichen Willen des Erblassers ausüben dürfen.32 Wie aber soll dieser mutmaßliche Wille festgestellt und gewahrt werden, wenn nicht durch ausdrückliche testamentarische Verfügung womöglich mit gleichzeitiger Bestimmung einer Person als „Wächter“ hierüber?33 Trotz aller offenen Fragen hat der BGH mit der Marlene-Rechtsprechung zumindest 22 eine Grundlage für die wirtschaftliche, auch postmortale Verwertbarkeit von Ansehen und Bekanntheit einer Person vor allem auch zu Werbezwecken geschaffen.34 Teilweise wird in der Literatur zwar die Tragfähigkeit dieser Grundlage in Frage gestellt, da das BVerfG darauf hingewiesen hat, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet sei.35 Diese Bedenken erscheinen jedoch vernachlässigbar, da das BVerfG diese Aussage in einem anderen Zusammenhang getätigt hat. Es wollte damit der exklusiven Vermarktung von Bildnissen einer Person Einhalt gebieten, wenn es um redaktionelle Berichterstattung geht. Was eine Person in einem bestimmten Medium selbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, soll nicht willkürlich für andere Medien gesperrt sein und nach Belieben des Betroffenen trotz eigener Offenlegung dann doch wieder dem Schutz der Privatsphäre unterliegen. Mit der Anerkennung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts als vermarktbares Vermögensgut im Rahmen der Werbung hat dies nichts zu tun. Fakt ist in jedem Fall, dass der BGH mit der Anerkennung der Vererblichkeit der 23 kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts einen deutlichen Schritt in Richtung Anerkennung des Persönlichkeitsrechts als vermarktbares Ausschließlichkeitsrecht getan hat. Die weitere Entwicklung hierzu bleibt abzuwarten.
II. Vermarktungsbereitschaft des Betroffenen Es ist anerkannt, dass die ungenehmigte Verwertung der Persönlichkeitsmerkmale 24 einer Person für den Betroffenen bzw nach seinem Tod für seine Erben Lizenzansprüche auslösen kann. Fraglich ist jedoch, ob die Geltendmachung solcher Ansprüche voraussetzt, dass der Betroffene – wäre er vorher gefragt worden – zu einer entsprechenden Vermarktung bereit und in der Lage gewesen wäre. In der nachfolgend noch näher besprochenen Entscheidung zu Oskar Lafontaine 36 25 gibt der BGH ausdrücklich seine frühere Rechtsprechung 37 auf, wonach ein Schadens32 33 34 35
BGH NJW 2000, 2195, 2199. Vgl insoweit auch die berechtigten Bedenken von Wenzel/Burkhardt Kap 5 Rn 117 ff. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 4. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 4
36 37
unter Verweis auf BVerfG GRUR 2000, 446. Vgl näher Rn 63 ff. BGH NJW 1958, 827; BGH, NJW 1959, 1269; BGH NJW 1979, 2205; zum Mei-
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oder Bereicherungsausgleich ein solch grundsätzliches Einverständnis des Abgebildeten mit der Vermarktung seiner Person vorausgesetzt hat. Der BGH begründet diese Änderung seiner Rechtsprechung damit, dass die unbefugte kommerzielle Nutzung des Bildnisses einer Person in deren Recht am eigenen Bild eingreife, das vermögensrechtlich ausschließlich ihr selbst zustehe. Bereicherungsgegenstand sei die Nutzung des Bildes und da diese nicht herausgegeben werden könne, sei nach § 818 Abs 2 BGB Wertersatz zu leisten. Der Zahlungsanspruch fingiere nicht die Zustimmung des Betroffenen, sondern stelle vielmehr den Ausgleich für einen rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositionsbefugnis dar.38 Diese Änderung der Rechtsprechung des BGH wird in der Literatur höchst kontro26 vers diskutiert.39 Zum Teil wurde auch bereits vor der Entscheidung des BGH vertreten, dass es richtigerweise auf eine Vermarktungsbereitschaft des Betroffenen nicht ankommen kann. Ähnlich zu der jetzigen Begründung des BGH wurde darauf verwiesen, dass der Bereicherungsausgleich nicht dazu diene, eine Vermögensminderung beim Rechteinhaber auszugleichen, sondern einen grundlosen Vermögenszuwachs beim Rechtsverletzer.40 Die Vermarktungsbereitschaft des Betroffenen sei dazu nicht Voraussetzung. Gegen die neue Rechtsprechung des BGH wird von anderen Stimmen in der Literatur 27 ins Feld geführt, der Inhaber der verletzten Persönlichkeitsrechte sei zu widersprüchlichem Verhalten gezwungen, wenn er sich immer gegen eine Kommerzialisierung seiner Persönlichkeit gewehrt habe, im Falle einer ungewollten Vermarktung durch einen Dritten aber gezwungen sei, seine Schadensberechnung bzw die Bereicherungsliquidation auf den Eingriff in ein Persönlichkeitsrecht als Wirtschaftsgut zu stützen.41 Dieser Kritik ist nicht zuzustimmen. Derjenige, der sich im Rahmen seines Selbstbe28 stimmungsrechts dazu entschließt, sein Persönlichkeitsrecht nicht zu vermarkten bzw zu kommerzialisieren, nimmt damit seinem Persönlichkeitsrecht nicht dessen kommerziellen Wert. Ein solcher Vermögenswert entsteht nicht durch ein aktives Tun oder Unterlassen des Betroffenen, sondern durch eine entsprechende Nachfrage auf dem Markt. Entschließt sich der Inhaber des Rechts, diesen Marktwert nicht zu nutzen, so steht dies nicht im Widerspruch dazu, ihn gleichwohl zu liquidieren, wenn dieser Marktwert ihm ungewollt genommen wurde und eine Rückgängigmachung des Vorgangs nicht mehr möglich ist. Die neue Rechtsprechung des BGH, die auf eine grundsätzliche Vermarktungsbereitschaft oder Vermarktungsfähigkeit des Rechtsinhabers als Voraussetzung für bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche im Verletzungsfalle verzichtet, verdient daher Zustimmung.
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nungsstand in der Literatur vor allem auch in Bezug auf unterschiedliche Konsequenzen fehlender Vermarktungsbereitschaft für Schadensersatzansprüche einerseits und Bereicherungsansprüche andererseits vgl ausführl mit zahlreichen weiteren Nachweisen Helle JZ 2007, 444, 447. BGH GRUR 2007, 139, 141 unter Verweis auf MünchKommBGB/Rixecker § 12 Anh, Rn 226; Schricker/Götting § 60 UrhG, §§ 33–50 KUG Rn 10, 14; Wenzel/
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von Strobl-Albeg Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap 9 Rn 10 mwN; Ullmann AfP 1999, 209, 212. Im Ergebnis zust Balthasar NJW 2007, 664 und Ehmann AfP 2007, 81; abl demgegenüber Helle JZ 2007, 444. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 27 unter Verweis Schricker/Götting § 60 UrhG, § 22 KUG Rn 55. Helle JZ 2007, 444, 450.
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Das Persönlichkeitsrecht als selbstständiges Wirtschaftsgut
III. Schutzdauer Mit der Marlene-Rechtsprechung haben BGH und BVerfG die Vererblichkeit der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts anerkannt. Offen war allerdings noch, wie lange nach dem Tod des Betroffenen dieser Schutz fortbestehen soll. Der BGH musste im Falle von Marlene Dietrich hierüber nicht entscheiden, da die dort streitgegenständlichen Verletzungshandlungen jeweils nur kurz nach dem Tod von Marlene Dietrich vorgenommen worden waren. Der BGH hielt damals in zeitlicher Hinsicht nur fest, dass der Schutz kommerzieller Interessen nicht über den Schutz der ideellen Interessen an der Persönlichkeit hinausreichen könne. Einen Anhaltspunkt böte insofern die Zehn-Jahres-Frist des § 22 S 3 KUG, wobei offen bleiben könne, ob ein längerer Schutz der kommerziellen Interessen dann in Betracht zu ziehen sei, wenn und soweit sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausnahmsweise ein längerer Schutz ideeller Interessen ergebe. Die damals noch offene Frage der Schutzdauer hat der BGH 42 in seiner Entscheidung zu Klaus Kinski nun dahingehend beantwortet, dass der Schutz der vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts analog § 22 S 3 KUG auf zehn Jahre nach dem Tod begrenzt sei. Streitgegenstand war in dieser Entscheidung die Registrierung des Domain-Namens „kinski-klaus.de“, mit dem die Beklagten des Rechtsstreits für eine von ihnen veranstaltete Ausstellung über Klaus Kinski werben wollten. Vor dem BGH ging es nicht um fiktive Lizenzgebühren, sondern um Schadensersatz in Gestalt der Erstattung der zuvor entstandenen Abmahnkosten. Diese Schadensersatzansprüche ließ der BGH daran scheitern, dass die analog anzuwendende Schutzfrist für das postmortale Recht am eigenen Bild nach § 22 S 3 KUG überschritten war. Die Entscheidung des BGH ist in der Literatur heftig umstritten43 und wird teilweise als Rückschritt zu der Marlene-Rechtsprechung gewertet. Der BGH stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumente. Zum einen schaffe die klare Frist Rechtssicherheit. Zum anderen berücksichtige sie das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit, sich mit Leben und Werk einer zu Lebzeiten weithin bekannten Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Die Entscheidung des Gesetzgebers über die Dauer des Schutzes des postmortalen Rechts am eigenen Bild sei daher auf die Dauer des Schutzes für die vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts zu übertragen. Der Entscheidung kann nicht zugestimmt werden. Soweit der BGH auf ein berechtigtes Öffentlichkeitsinteresse abstellt, greift dieses Argument dann nicht durch, wenn es gerade nicht um eine öffentliche Auseinandersetzung mit Leben und Werk einer berühmten Person geht, sondern um die kommerzielle Verwertung der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts in der reinen Wirtschaftswerbung. Der BGH führt zu Beginn seiner Entscheidung selbst aus, dass auch bei bestehendem Einwilligungserfordernis eine Rechtfertigung nach Art 5 GG möglich ist und gesondert geprüft werden müsse. Zur Sicherung dieser Interessen ist eine zeitliche Begrenzung der Schutzfrist somit nicht erforderlich. Das zweite Argument des BGH, der Wunsch nach Rechtssicherheit, ist sicherlich nachvollziehbar. Gleichwohl ist mehr als fraglich, ob eine starre Grenze wie diejenige des § 22 S 3 KUG den unterschiedlichen Bekanntheitsgraden von Prominenten gerecht wird. Der BGH stellt darauf ab, dass die Begrenzung der Schutzdauer des Rechts am eigenen
42 43
BGH NJW 2007, 684. Zust Röthel LMK 2007, 213, 345; abl Reber
GRUR Int 2007, 492; Götting GRUR 2007, 170.
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Bild ua auch auf dem Gedanken beruht, dass das Schutzbedürfnis nach dem Tod mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt. Dies hat aber mit dem Verblassen der Erinnerung an den Verstorbenen zu tun und ist von Person zu Person verschieden. Während die eine Person ihre Bekanntheit bereits wenige Jahre nach ihrem Tod eingebüßt haben kann, gedeiht eine andere Person zum Mythos und ist auch noch viele Jahre nach ihrem Tod in der Erinnerung der Öffentlichkeit sehr präsent. Vor diesem Hintergrund ist es dann aber auch erforderlich, den unterschiedlichen Fällen durch individuell zu bestimmende und am Einzelfall auszurichtende Schutzfristen gerecht zu werden. Eine Analogie zu der Schutzfrist nach § 22 KUG ist auch dogmatisch abzulehnen. Der 35 BGH meint, „die Entscheidung des Gesetzgebers über die Dauer des Schutzes des postmortalen Rechts am eigenen Bild (sei) auf die Dauer des Schutzes für die vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts zu übertragen.“ Diese Analogie passt aber schon deshalb nicht, weil § 22 KUG einen vollkommen anderen Bereich, nämlich die nicht-kommerzielle Verbreitung eines Bildes betrifft. Die kommerzielle Verbreitung des Bildes einer Person zu Wirtschaftszwecken ist von 36 § 22 KUG nicht erfasst. Dies zeigt sich schon daran, dass es hier auch während der Dauer der ersten zehn Jahre nach dem Tod um eine ganz andere Einwilligung geht, als um die in § 22 S 3 KUG geregelte Einwilligung der Angehörigen, nämlich um die Einwilligung der Erben. Analog zu der Einwilligung der Angehörigen in eine nichtkommerzielle Verwertung könnte insoweit noch eher überlegt werden, ob mit Blick auf das Recht am eigenen Bild auch die sonstigen, nicht-materiellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts auf zehn Jahre begrenzt werden müssten. Dies geschieht aber – zu Recht – gerade nicht, denn auch nach Ablauf von zehn Jahren müssen den Angehörigen einer Person zumindest gegen grobe Entstellungen und Verletzungen Abwehransprüche weiterhin zustehen. Die kommerzielle Verwertung der Persönlichkeitsmerkmale einer Person ist dem37 gegenüber ein vollkommen anderer Rechtsbereich der eine Analogie zu 22 KUG nicht nahelegt. So sehr man sich Rechtsicherheit wünschen mag, ist zumindest die starre ZehnJahres-Frist für rein wirtschaftliche Zwecke nicht akzeptabel.
§3 Werbung für Presseerzeugnisse I. Bedeutung und Kategorisierung 38
Von den Fällen reiner Wirtschaftswerbung zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, in denen eine Person in der Werbung für ein Presseerzeugnis eingesetzt wird. Diesen Fällen kommt sowohl in der Praxis, also auch in der juristischen Diskussion 39 deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil in diesen Fällen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen in Konflikt zu der nach Art 5 GG gewährleisteten Pressefreiheit tritt und die beiden Rechtspositionen gegeneinander abgewogen werden müssen. Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass die verfassungsrechtlich geschützte Pressefreiheit den Bereich des gesamten Pressewesens und damit auch die Werbung für Presseerzeugnisse umfasst.44 Inwieweit rechtfertigt dies aber den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte zu Werbezwecken Abgebildeter?
44
BGH GRUR 2002, 690, 691.
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§3
Werbung für Presseerzeugnisse
Fest steht, dass sich auch im Bereich des Pressewesens niemand ohne irgendeinen 40 Zusammenhang für die Werbezwecke eines Medienunternehmens einspannen lassen muss. Fraglich ist aber, wie eng der Zusammenhang zwischen dem redaktionellen Inhalt des Presseprodukts und dem zu Werbezwecken Abgebildeten sein muss, um die Werbung auch ohne dessen Einwilligung zu rechtfertigen. Richtigerweise sind hier drei Fallgruppen unterschiedlicher Werbearten zu unterschei- 41 den: – Werbung im Presseprodukt selbst zB durch Abbildung auf der Titelseite – Werbung außerhalb des Presseprodukts, jedoch für eine bestimmte Ausgabe des Produkts und – allgemeine Imagewerbung zugunsten eines Verlags oder einer Publikation. Die genannten Fallgruppen werden in den nachfolgenden Abschnitten einzeln behandelt.
II. Werbung in oder auf dem Presseprodukt Grds stellt jede Abbildung einer Person auf der Titelseite einer Zeitschrift eine Werbung für eben diese Zeitschrift dar.45 Eine solche Abbildung muss von niemandem hingenommen werden, wenn sich in der fraglichen Zeitschrift kein redaktioneller Inhalt über den Abgebildeten befindet. Die damit einhergehende Persönlichkeitsverletzung des Betroffenen wegen Ausnutzung seines Werbewerts ist umso größer, wenn das Titelbild der Zeitschrift auch in der sonstigen Werbung, zB auf Plakaten oder im Fernsehen gezeigt wird. Allerdings stellt die Rechtsprechung relativ niedrige Anforderungen an Umfang und Inhalt eines redaktionellen Inhalts, mit dem die Abbildung einer Person auf der Titelseite gerechtfertigt werden kann. In einer Entscheidung, in der ein bekannter Schauspieler auf der Titelseite der Kundenzeitschrift einer Drogerie abgebildet wurde, genügte nach Auffassung des BGH ausdrücklich ein sehr kurzer, inhaltsarmer Beitrag im Inneren der Zeitschrift, um die Abbildung des Schauspielers auf der Titelseite zu rechtfertigen.46 Die Grenze sah der BGH mit Blick auf die Tatsache, dass es sich um die Kundenzeitschrift eines Drogeriemarktes handelte, erst dort, wo der Eindruck erweckt worden wäre, der Abgebildete empfehle die Produkte des Unternehmens. Hierfür fehlte es im konkreten Fall an Anhaltspunkten. Ähnlich großzügig entschied das OLG Hamburg 47 über einen Fall, in dem ein bekannter Quiz-Moderator auf der Titelseite einer Rätselzeitschrift abgebildet wurde. Die Zeitschrift enthielt keinen redaktionellen Inhalt über den Betroffenen. Lediglich die Titelseite selbst zeigte den Moderator vor dem Hintergrund eines Kreuzworträtsels und trug eine Bildunterschrift, die besagte, dass der Betroffene mit seiner bekannten Sendung zeige, wie spannend Quiz sein könne. Das OLG Hamburg hielt die Abbildung des Moderators auf der Titelseite für zulässig. Dabei stellte es entscheidend darauf ab, dass nicht der Eindruck erweckt werde, der Moderator empfehle die Zeitschrift. Zudem hielt das Gericht die Bildunterschrift für ausreichend, ein bestehendes Informationsinteresse zu befriedigen, wobei auch die Be45 46
Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 95. BGH AfP 1995, 495; zust Strothmann GRUR 1996, 693, 695.
47
OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 142.
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kanntheit des Moderators eine wichtige Rolle spielte. Insoweit führte das OLG Hamburg aus: „Die außergewöhnliche Position des Klägers als Moderator einer Quiz-Sendung führt dazu, dass dieser selbst im Zusammenhang mit einer inhaltsarmen Erwähnung der von ihm moderierten Sendung die Veröffentlichung seines Abbilds auf einer Rätselzeitschrift als Presseorgan hinnehmen und die damit verbundene Umsatzsteigerung der Veröffentlichenden unentgeltlich dulden muss.“
III. Werbung für eine bestimmte Ausgabe außerhalb des Presseprodukts 46
Von der Abbildung einer Person auf der Titelseite einer Zeitung oder Zeitschrift ist derjenige Fall zu unterscheiden, in dem auf anderem Wege für eine bestimmte Ausgabe einer Publikation geworben wird. Auch in diesem Fall, zB in der TV-Werbung, ist die Abbildung einer Person nur dann zulässig, wenn ein Zusammenhang zu dem redaktionellen Inhalt der beworbenen Ausgabe besteht. Offen war bis vor kurzem die Frage, ob in Fällen, in denen ein ausreichender Zusam47 menhang zum redaktionellen Inhalt der Publikation besteht, nur das identische Bild verwendet werden darf, das auch in der beworbenen Ausgabe selbst erscheint oder ob in der Werbung auch die Verwendung anderer Bilder zulässig ist. Über diese Frage hatte der BGH anhand einer Fernsehwerbung für eine Beilage zu der Zeitung „BILD“ zu entscheiden. Die Beilage zum Thema „50 Jahre Deutschland“ enthielt einen kurzen redaktionellen Beitrag nebst Bild über einen Besuch von Marlene Dietrich in München. Die Beilage wurde in einem TV-Werbespot mit einem anderen Foto von Marlene Dietrich beworben. Die Tochter von Marlene Dietrich machte wegen der Verwendung dieses anderen Fotos in der Werbung Schadensersatzansprüche geltend. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen 48 wies der BGH 49 die Klage ab. Der BGH stellte maßgeblich darauf ab, dass die Verwendung des anderen Fotos in 48 der Werbung keine zusätzliche Beeinträchtigung darstelle, als wenn das identische Bild aus der Publikation auch in der Werbung verwendet worden wäre. Nur in diesem Fall würde aber das Persönlichkeitsrecht von Marlene Dietrich gegenüber der Pressefreiheit überwiegen. Der BGH nimmt in diesem Zusammenhang auch Bezug auf die Rechtsprechung des BVerfG, die bei der Illustration zeitgeschichtlicher Ereignisse neben Fotos, die bei diesen Ereignissen entstanden sind, auch kontextneutrale Fotos zulässt, wenn ihre Verwendung in dem neuen Zusammenhang keine zusätzliche Beeinträchtigung für den Betroffenen darstellt.50 Die Entscheidung des BGH verdient Zustimmung. Für die Frage, ob das Foto einer 49 Person in der Werbung verwendet werden darf oder nicht, kann es nicht auf formale, sondern nur auf materielle Kriterien ankommen.51 Ist ein inhaltlicher Bezug zwischen dem Werbeträger und dem Inhalt des Presseprodukts gegeben, so ist die Werbung grds zulässig. Richtig ist es, erst dort die Grenze zu ziehen, wo dem Betroffenen durch die Verwendung eines anderen Fotos in der Werbung als in dem Beitrag eine zusätzliche Belastung widerfährt. Dies wäre zB der Fall, wenn das in der Werbung verwendete Foto besonders nachteilig ist oder fälschlicherweise der Eindruck erweckt wird, der Betroffene empfehle die Publikation. Ist dies nicht der Fall, muss die konkrete Gestaltung der Werbung und damit auch die Auswahl des verwendeten Fotos ebenso der Pressefreiheit unterliegen wie die Gestaltung des damit in Zusammenhang stehenden Artikels. 48 49
OLG München AfP 1999, 507. BGH GRUR 2002, 690.
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BVerfG NJW 2001, 1921. So auch Fricke GRUR 2003, 406.
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Die identische Frage, die hier im Zusammenhang mit einem TV-Werbespots zu ent- 50 scheiden war, könnte man auch für die Abbildung einer Person auf der Titelseite einer Zeitungs- oder Zeitschriftenausgabe aufwerfen. Hier wird die Problematik aber gar nicht thematisiert, sondern es wird vollkommen selbstverständlich davon ausgegangen, dass ein Prominenter auf der Titelseite abgebildet werden darf, zu dem es im Heftinneren einen Bericht gibt. Dabei muss der Bericht im Heftinneren nicht einmal Bilder enthalten, geschweige denn müssen auf der Titelseite die identischen Bilder wie im Innenteil verwendet werden. Es gibt keinen Grund, den TV-Fernsehspot strenger zu behandeln.
IV. Imagewerbung für ein Presseprodukt Von der Bewerbung der konkreten Ausgabe einer Publikation – sei es auf der Titelseite oder durch andere Medien – ist derjenige Fall zu unterscheiden, in dem ein Presseprodukt insgesamt beworben wird. In diesem Fall werden oft Prominente in der Werbung abgebildet mit dem Argument, Berichte über sie seien potentieller Inhalt des beworbenen Presseprodukts. Da in diesen Fällen keine konkrete Ausgabe, sondern die Zeitungs- oder Zeitschriftenreihe insgesamt beworben wird, kann die Werbung nicht auf einen bestimmten redaktionellen Inhalt Bezug nehmen. Es stellt sich die Frage, ob auch diese Art der Werbung zulässig ist. Von der Rechtsprechung wurde dies aktuell in zwei Fällen verneint. Den Betroffenen wurden jeweils hohe fiktive Lizenzgebühren zugesprochen. In einem der beiden Fälle hatte eine Sonntagszeitung das Bild von Boris Becker verwendet, um eine fiktive Titelseite zu gestalten, auf der ein Beitrag über Boris Becker angekündigt wurde. Das Bild von Boris Becker war mit der Bildunterschrift „Der strauchelnde Liebling“ und „… mühsame Versuche, nicht von der Erfolgsspur geworfen zu werden“ versehen. Der angekündigte Artikel erschien später jedoch nie. Sein Erscheinen war auch nie geplant gewesen. Die fiktive Titelseite wurde als sog Dummy zum einen in der Werbewirtschaft verbreitet. Zum anderen wurde der Dummy – und nur hierauf bezieht sich der noch nicht abgeschlossene Streitfall vor Gericht – in der Publikumswerbung für die Zeitung verwendet. Das LG München I sprach Boris Becker für diese Werbung eine fiktive Lizenzgebühr in Höhe von € 1,2 Mio zu.52 Der Anspruch wurde vom OLG München 53 dem Grunde nach bestätigt.54 Die Entscheidung über die Höhe wurde aufgehoben und zurückverwiesen. Eine weitere Entscheidung steht noch aus. In ähnlicher Art und Weise hatte das LG Hamburg 55 über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Zeitung im Rahmen einer umfassenden, allgemeinen Werbekampagne ein Foto des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Bundesaußenministers Joschka Fischer verwendet hatte. Wie auch im Fall von Boris Becker verteidigte sich die Zeitung ua damit, dass der Abgebildete beispielhaft für den potentiellen Inhalt der beworbenen Zeitung stehe. In diesem Fall kam als Besonderheit hinzu, dass das Gesicht von Joschka Fischer dergestalt abgewandelt war, dass die Gesichtszüge denjenigen eines Kindes entsprachen. In ähnlicher Art und Weise hatte die Zeitung im Rahmen der Werbekampagne eine Vielzahl von Prominenten – ihre Gesichter jeweils zu Kindergesichtern verfremdet – in der Werbung eingesetzt. Die Abgebildeten blieben jeweils erkennbar. Das LG Hamburg 52 53 54
LG München I ZUM 2003, 416. OLG München K&R 2007, 320. Eine Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen
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ist derzeit beim BGH anhängig, AZ: IZR 65/07. LG Hamburg GRUR 2007, 143.
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sprach Joschka Fischer auf entsprechende Klage eine fiktive Lizenzgebühr in Höhe von € 200 000,– zu. Auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.56 In beiden Fällen betonten die Gerichte zwar, dass die Werbung für ein Presseerzeugnis 55 vom Schutz des Art 5 GG umfasst sei. Im Falle von Joschka Fischer entschied das LG Hamburg aber, dass die Eigenwerbung der Presse den Schutz von Art 5 GG und damit das Privileg des § 23 Abs 1 Ziff 1 KUG nur dann genieße, wenn in der Werbung auf eine konkrete Berichterstattung Bezug genommen und die Öffentlichkeit über diesen Bericht in Kenntnis gesetzt werde. Dies gelte nicht, wenn ein Foto – wie hier – nur als Sinnbild für den potentiellen Inhalt der Zeitung stehe. Im Gegensatz zu der Entscheidung des LG Hamburg ließ das OLG München die 56 Abbildung von Boris Becker auf dem Dummy grds dem Schutz der Presse- und Informationsfreiheit und damit auch dem Schutzbereich des § 23 Abs 1 Ziff 1 KUG unterfallen. Allerdings ließ das OLG München sodann im Rahmen der Abwägung gem § 23 Abs 2 KUG die Interessen von Boris Becker überwiegen, und zwar insbesondere deshalb, weil es an einem thematischen Bezug zwischen Werbung und Inhalt des Presseerzeugnisses fehle und darüber hinaus der besonders hohe Image- und Werbewert von Boris Becker für die wirtschaftlichen Interessen des Werbetreibenden kommerzialisiert werde.
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Die Entscheidungen des LG Hamburg zu Joschka Fischer und des OLG München zu Boris Becker unterscheiden sich vor allem darin, dass das LG Hamburg bereits den Schutzbereich des Art 5 GG bzw das Privileg für die Veröffentlichungen von Bildnissen der Zeitgeschichte nicht als eröffnet angesehen hat. Demgegenüber hat das OLG München erst auf der Ebene der Interessenabwägung gem § 23 Abs 2 KUG dem Persönlichkeitsrecht von Boris Becker den Vorrang eingeräumt hat. Insoweit verdient das OLG München die größere Zustimmung. Vollkommen unstreitig und vom LG Hamburg auch anerkannt umfasst Art 5 GG den gesamten Bereich des Pressewesens einschließlich der Werbung und Vermarktung von Presseerzeugnissen. Nicht zuzustimmen ist dem LG Hamburg aber darin, dass es diesen Schutzbereich auf Fälle beschränken will, in denen auf eine konkrete Berichterstattung Bezug genommen wird. Damit wird der Presse generell die Möglichkeit genommen, für ein Presseprodukt, zB für den Marktauftritt einer neuen Zeitschrift, insgesamt zu werben und dabei beispielhaft auch Prominente abzubilden, über die typischerweise in dem Presseerzeugnis berichtet wird. Auch dieser Art der Werbung darf der Schutz der Pressefreiheit nicht per se entzogen werden.
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Richtigerweise muss die Problematik der reinen Imagewerbung für Presseprodukte unter Verwertung der Bilder von Prominenten im Rahmen der Interessenabwägung abgehandelt werden. An dieser Stelle angesiedelt, wäre das Urteil des LG Hamburg zu Joschka Fischer im Ergebnis jedenfalls nachvollziehbar. Dem als Baby-Gesicht abgewandelten Bild von Joschka Fischer, das als reines Werbemittel eingesetzt wurde, fehlt ein eigener Aussagegehalt. Vielmehr wird versucht, den positiven Image- und Sympathiewert von Joschka Fischer auf die beworbene Zeitung zu übertragen. Mit dieser Begründung ist es durchaus vertretbar im Rahmen der Abwägung zwischen der grds einschlägigen Pressefreiheit einerseits und den kommerziellen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts von Joschka Fischer andererseits letzteren den Vorrang einzuräumen und dem vom LG Hamburg zugesprochen Lizenzanspruch zumindest dem Grunde nach zuzustimmen.
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Anders verhält es sich bei der Entscheidung des OLG München zu Boris Becker. Dort wird Boris Becker nicht als reines Werbemittel eingesetzt, sondern er wird auf einer fiktiven Titelseite abgebildet, die insbesondere auch durch die Bildunterschrift „Der strau56
Anhängig beim OLG Hamburg 7 U 152/06.
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Art 5 GG für allgemeine Wirtschaftswerbung
chelnde Liebling“ und „… mühsame Versuche, nicht von der Erfolgsspur geworfen zu werden“ einen eigenen Aussagegehalt hat. Zwar erschien der zu dieser Ankündigung gehörende Artikel später nie. Dies ändert aber nichts daran, dass die Schlagzeile selbst ein Stück Zeitgeschichte thematisiert. Die Bedeutung der Pressefreiheit ist hier höher zu bewerten, denn es geht sowohl um die Bewerbung eines Presseprodukts, als auch um eine inhaltlich der Meinungs- und Pressefreiheit unterfallende eigenständige Aussage. An letzterem fehlte es bei Joschka Fischer. Im Fall von Boris Becker hätte deshalb im Rahmen der Interessenabwägung der Pressefreiheit der Vorrang eingeräumt werden müssen. Hier ging es nicht wie bei Joschka Fischer in erster Linie um die Ausnutzung eines Imageoder Beliebtheitswerts. Auch wurde nicht der Eindruck erweckt, Boris Becker lese selbst oder empfehle die fragliche Zeitung. Vielmehr wurde in Gestalt der fiktiven Titelschlagzeile ein selbstständiger, wenn auch kurzer redaktioneller Inhalt geschaffen und dieser Inhalt dann als Werbung für die Zeitung verwendet. Diesem redaktionellen Inhalt und seiner Illustration durch ein Bild von Boris Becker hätte der Schutz von Art 5 GG gebührt. Mit der Ausnutzung der kommerziellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts von Boris Becker hat dies demgegenüber wenig zu tun.
§4 Art 5 GG für allgemeine Wirtschaftswerbung I. Art 5 GG trotz kommerzieller Zwecke Von der Werbung für Presseprodukte zu unterscheiden ist Werbung für medienfremde 60 Produkte. Diese Werbung ist nicht bereits per se von Art 5 GG geschützt, sondern nur dann, wenn ihr selbst neben den vom Werbetreibenden verfolgten kommerziellen Interessen ein eigener meinungsbildender Gehalt zukommt. In den bereits mehrfach erwähnten Marlene-Dietrich-Entscheidungen des BGH 57 und des BVerfG 58 war dies nicht der Fall. In Zusammenhang mit der Werbung für medienfremde Produkte, spielt Art 5 GG aber 61 dann eine Rolle, wenn die Werbung selbst als Meinungsäußerung in den Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit fällt. Spätestens seit den beiden Entscheidungen des BVerfG 59 zu der von dem Textilunternehmen Benetton betriebenen „Schockwerbung“ ist höchstrichterlich anerkannt, dass auch Wirtschaftswerbung den Schutz des Art 5 Abs 1 GG für sich in Anspruch nehmen kann, wenn sie einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat. Der mit der Werbung zugleich verfolgte kommerzielle Zweck der Absatzförderung der Produkte oder Dienstleistungen des werbenden Unternehmens ändert hieran grds nichts. Die grundsätzliche Anwendbarkeit von Art 5 GG trotz kommerzieller Interessen des 62 Werbetreibenden wird auch in der Marlene-Dietrich-Entscheidung zu MerchandisingArtikeln deutlich, wenngleich sie im konkreten Fall zu Recht verneint wird. Der BGH lehnte in diesem Fall eine Rechtfertigung der Werbung unter dem Aspekt der Kunstfreiheit des Art 5 Abs 3 GG ab, da die Merchandising-Artikel zwar anlässlich eines Musicals auf den Markt kamen, auf dieses Musical selbst aber nicht Bezug nahmen. Insoweit bestand kein erkennbarer Zusammenhang zwischen den Produkten und dem Musical.60 Die ausdrückliche Ablehnung von Art 5 Abs 3 GG im konkreten Fall macht aber deut57 58 59
BGH NJW 2000, 2201. BVerfG NJW 2006, 3409. BVerfG NJW 2001, 591; BVerfG NJW 2003, 1303.
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BGH NJW 2000, 2195, 2200.
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lich, dass eine andere Entscheidung in Frage gekommen wäre, hätte es einen Zusammenhang zwischen den beworbenen Produkten und dem von Art 5 Abs 3 GG geschützten Musical gegeben. Auch hieraus wird deutlich, dass auch kommerzielle Wirtschaftswerbung jedenfalls nicht von vorne herein vom Anwendungs- und Schutzbereich des Art 5 GG ausgeschlossen ist.
II. Meinungsbildender Inhalt einer Wirtschaftswerbung 63
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Allerdings stellt sich die Frage, wie hoch die Anforderungen sind, die an den Inhalt einer Werbung zu stellen sind, um ihr den Schutz von Art 5 GG zu gewähren. Im Falle der Verwendung von Fotos einer Person stellt sich dieselbe Frage im Rahmen von § 23 Abs 1 Nr 1 KUG, der es grds – und vorbehaltlich der unter III. näher behandelten Interessenabwägung – gestattet, Bilder aus dem Bereich der Zeitgeschichte und damit auch Fotos prominenter Persönlichkeiten ohne deren Einwilligung zu veröffentlichen. Auf § 23 Abs 1 Nr 1 KUG darf sich allerdings nicht berufen, wer keinem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkommt, sondern ausschließlich eigene Geschäftsinteressen verfolgt. Sowohl bei der Frage, ob der Text einer Werbung vom Schutzbereich des Art 5 Abs 1 GG erfasst ist, als auch bei der Frage, ob für die Abbildung einer Person eine Rechtfertigung nach § 23 Abs 1 Nr 1 KUG in Betracht kommt, kommt es deshalb darauf an, ob die Werbung zumindest auch einen meinungsbildenden Informationsgehalt hat. Hierzu nachfolgend eine Entscheidung des BGH 61 zu Oskar Lafontaine und eine Entscheidung des OLG Hamburg 62 zu Prinz Ernst August von Hannover: In der Entscheidung des BGH zu Oskar Lafontaine ging es um die Werbung einer Autovermietung, die kurz nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanzminister erschienen war. Die Werbung zeigte Porträtaufnahmen aller 16 Mitglieder der damaligen Bundesregierung. Das Bild von Oskar Lafontaine war durchkreuzt, jedoch weiterhin erkennbar. Der Slogan zu der Anzeige lautete: „… verleast auch Autos für Mitarbeiter in der Probezeit.“. Nachdem Oskar Lafontaine auf entsprechende Klage vom LG Hamburg und bestätigt vom OLG Hamburg 63 eine fiktive Lizenzgebühr in Höhe von € 100 000,– zugesprochen bekommen hatte, hob der BGH diese Entscheidungen auf und wies die Klage unter Hinweis auf den von Art 5 GG geschützten meinungsbildenden Inhalt der Werbung ab. Der BGH stellte zunächst erneut klar, dass sich der Schutz des Art 5 GG auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen und sogar auf reine Wirtschaftswerbung erstreckt, wenn diese einen eigenen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat.64 Im konkreten Fall bejahte der BGH in der Anzeige eine politische Meinungsäußerung in Form der Satire. Der Werbetreibende konnte sich damit nach Auffassung des BGH auf § 23 Abs 1 Ziff 1 KUG berufen, da mit der Verwendung des Fotos nicht nur Werbung betrieben, sondern zumindest auch ein zeitgeschichtliches Ereignis behandelt wurde. Im Ergebnis gegenteilig entschied das OLG Hamburg in einem Fall, in dem es Prinz Ernst August von Hannover eine fiktive Lizenzgebühr in Höhe von € 60 000,– für die Werbeanzeige eines Zigarettenherstellers zusprach. Die Anzeige zeigte eine von allen Seiten eingedrückte Zigarettenschachtel und war mit dem Text kommentiert: „War es Ernst? Oder August?“ 61 62
BGH GRUR 2007, 139. OLG Hamburg NJW-RR 2007, 1417, inzwischen aufgehoben vom BGH gem Pressemitteilung des BGH vom 5. Juni 2008.
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OLG Hamburg ZUM 2005, 164. Zust zu Recht Schubert AfP 2007, 20, 21.
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§4
Art 5 GG für allgemeine Wirtschaftswerbung
Allerdings sah auch das OLG Hamburg den Schutzbereich des Art 5 GG grds als 68 eröffnet an. Er erkannte an, dass sich der Schutz des Art 5 Abs 1 GG auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen und Wirtschaftswerbung erstreckt, wenn sie einen Informationsgehalt oder meinungsbildenden Inhalt hat. Gleichzeitig führte das Gericht aus, dass die Meßlatte für solch meinungsbildenden Inhalt nicht zu hoch angelegt werden dürfe. Vielmehr erfasse Art 5 Abs 1 GG auch Äußerungen, die auf niedrigerem intellektuellen Niveau lägen oder aus anderen Gründen geringe Bedeutung hätten. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Das im Ergebnis gleichwohl gegenteilige Urteil des OLG Hamburg fand seine Begründung im Rahmen der nachfolgend behandelten Interessenabwägung.
III. Güter- und Interessenabwägung Hat eine Werbeanzeige einen nach Art 5 Abs 1 GG geschützten meinungsbildenden Inhalt bzw handelt es sich bei einem veröffentlichten Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte iSv § 23 Abs 1 Nr 1 KUG, hat dies nicht automatisch die Rechtmäßigkeit der Anzeige zur Folge. Vielmehr stehen sich dann die nach den genannten Normen geschützten Rechte des Werbetreibenden einerseits und das Persönlichkeitsrecht des Prominenten andererseits gegenüber und müssen einzelfallbezogen gegeneinander abgewogen werden. Im Fall von Oskar Lafontaine stellte der BGH zunächst klar, dass die Interessenabwägung im Falle der ungewollten Verwendung des Bildnisses einer Person in einer Werbeanzeige im Regelfall zugunsten des Abgebildeten ausgehen werden. Denn es stelle einen wesentlichen Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, selbst darüber zu entscheiden, ob und in welcher Weise das eigene Bildnis für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden soll. Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Allerdings gehe es – so der BGH weiter – dabei zumeist um die Ausnutzung des Image- oder Werbewerts des Abgebildeten, indem der Eindruck erweckt wird, der Abgebildete identifiziere sich mit dem beworbenen Produkt, empfehle es oder preise es an. Dies war im Fall der Werbung der Autovermietung mit Oskar Lafontaine nach zutreffender Auffassung des BGH nicht der Fall. Vielmehr setzt sich die Werbung in satirischspöttischer Form mit einem aktuellen politischen Tagesereignis – dem Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanzminister – auseinander. Sie nutzt gerade nicht einen etwaig positiven Image- oder Sympathiewert Oskar Lafontaines für die eigene Werbung aus, sondern präsentiert diesen im Rahmen einer Satire als eine Art „Anti-Helden“. Die Entscheidung des BGH, das Persönlichkeitsrecht von Oskar Lafontaine in diesem Fall hinter die Rechte des Werbetreibenden aus Art 5 GG zurücktreten zu lassen, verdient Zustimmung 65. Zum gegenteiligen Ergebnis kam das OLG Hamburg in dem oben geschilderten Fall, in dem der Name von Prinz Ernst August von Hannover in der Werbung einer Zigarettenfirma verwendet wurde. In Gestalt eines satirischen Wortspiels wurde dort auf die vermeintliche Bereitschaft des Prinzen Ernst August von Hannover zu tätlichen Auseinandersetzungen angespielt. Das OLG Hamburg sah den entscheidenden Unterschied zu der Entscheidung zu Oskar Lafontaine darin, dass im Falle von Prinz Ernst August von Hannover kein politisches Ereignis thematisiert wurde, wie im Falle des Rücktritts des Finanzministers. Die 65
AA Zagouras WRP 2007, 115.
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6. Teil
Anzeige der Zigarettenfirma sei nicht dazu geeignet, die Meinung der Öffentlichkeit zu Handgreiflichkeiten von Prinz Ernst August von Hannover zu beeinflussen. Vielmehr werde im Rahmen der Anzeige lediglich ein Witz auf Kosten von Prinz Ernst August von Hannover gemacht. Er werde zu kommerziellen Zwecken, nämlich zur Förderung des Absatzes einer Zigarettenmarke, öffentlich verspottet. Angesichts dieses nur geringfügig meinungsbildenden Charakters der Werbeanzeige sei dem Persönlichkeitsrecht von Prinz Ernst August von Hannover der Vorrang einzuräumen. Die Differenzierung des OLG Hamburg zwischen den Fällen zu Oskar Lafontaine 74 und Prinz Ernst August von Hannover überzeugt nicht. Soweit das OLG Hamburg argumentiert, die Anzeige um Prinz Ernst August von Hannover diene nicht der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und erschöpfe sich in einem Witz auf Kosten des Genannten, kann für die Anzeige um Oskar Lafontaine kaum etwas anderes gelten. Auch diese Anzeige dürfte kaum geeignet gewesen sein, die öffentliche Meinung zum Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanzminister zu beeinflussen. Ebenso ist es gleichermaßen der Kern beider Anzeigen einen Witz auf Kosten des Betroffenen zu machen. Dies ist aber nun einmal der Inhalt einer Satire. Bejaht man – zu Recht – zugunsten einer Satire den Schutz nach Art 5 GG, so ist es widersprüchlich ihr eben diesen Schutz im Rahmen der Interessenabwägung mit dem Argument wieder zu entziehen, dass es sich nur um einen Witz auf Kosten des Betroffenen handele. Es entspricht der dargestellten Rechtsauffassung, dass der BGH die Entscheidung des 75 OLG Hamburg zu Prinz Ernst August von Hannover inzwischen aufgehoben und die Klage abgewiesen hat.66 Zu Recht verweist der BGH dabei erneut darauf, dass das auch im Bereich der Wirtschaftswerbung bestehende Recht auf freie Meinungsäußerung, auf das sich der Beklagte berufen könne, auch unterhaltende Beiträge umfasse, die Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse aufgreifen. Entscheidend war für den BGH im konkreten Fall weiter, dass durch die Verwendung des prominenten Namens nicht der Eindruck erweckt wurde, Prinz Ernst August von Hannover würde die beworbene Zigarettenmarke empfehlen sowie dass die Werbeanzeige keinen den Genannten beleidigenden oder herabsetzenden Inhalt hatte.
IV. Ausblick 76
Die Folgen der Entscheidungen zu Oskar Lafontaine und zu Prinz August von Hannover auf die Werbewirtschaft, bleiben abzuwarten. Auf den ersten Blick wäre zu erwarten, dass sich künftig Werbemaßnahmen unter Einsatz Prominenter darum bemühen, zumindest auch einen meinungsbildenden, möglichst politisch gefärbten Inhalt aufzuweisen, um unter Berufung auf das Urteil zu Oskar Lafontaine in den Genuss der Meinungsfreiheit nach Art 5 GG zu kommen. Wie das – wenngleich inzwischen aufgehobene – Urteil des OLG Hamburg zu Prinz Ernst August von Hannover zeigt, ist hier allerdings bei weitem noch keine Rechtssicherheit geschaffen. Es wird einer Reihe weiterer Entscheidungen bedürfen, bis eine prognostizierbare Linie in der Rechtsprechung erkennbar sein wird. Sollte die Rechtsprechung des BGH allerdings dazu führen, dass sich die Werbung künftig mehr in Richtung einer geistreichen, meinungsbildenden Satire und weg von einer platten Wirtschaftswerbung entwickelt, so wäre dies nur zu begrüßen. Die entsprechende Werbung sollte dann auch vollkommen zu Recht auf den besonderen Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art 5 GG vertrauen dürfen. 66
Pressemitteilung des BGH vom 5.6.2008.
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Kapitel 3 Bildnisschutz Literatur Balthasar Eingriffskondiktion bei unerlaubter Nutzung von Persönlichkeitsmerkmalen – Lafontaine in Werbeannonce NJW 2007, 664; Beuthien/Hieke Unerlaubte Werbung mit dem Abbild prominenter Personen AfP 2001, 353; Damm/Rehbock Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in Presse und Rundfunk 2. Aufl München 2001; Franke Bildberichterstattung über Demonstrationen und Persönlichkeitsschutz der Polizei JR 1982, 48; Fricke Keine Geldentschädigung für „Hassprediger“ AfP 2005, 335; Götting Die bereicherungsrechtliche Lizenzanalogie bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg) Festschrift für Eike Ullmann Saarbrücken 2006, 65; ders Anmerkung zu BGH Urteil vom 5.10.2006, Az I ZR 277/03, GRUR 2007, 170; Helle Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht Tübingen 1991; ders Privatautonomie und kommerzielles Persönlichkeitsrecht JZ 2007, 444; Hochrathner Hidden Camera – Ein zulässiges Einsatzwerkzeug des investigativen Journalismus? ZUM 2001, 669; Hoppe Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich – der neue § 201a StGB GRUR 2004, 990; Jarass Konflikte zwischen Polizei und Presse bei Demonstrationen JZ 1983, 280; Klass Die neue Frau an Grönemeyers Seite – ein zeitgeschichtlich relevantes Ereignis? ZUM 2007, 818; Ladeur Fiktive Lizenzentgelte für Politiker? ZUM 2007, 111; Lettl Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Medienberichterstattung WRP 2005, 1045; Maaßen Bildzitate in Gerichtsentscheidungen und juristischen Publikationen ZUM 2003, 830; von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg) Kommentar zum Grundgesetz Bd 2 5. Aufl München 2005 (zit von Mangoldt/Klein/Starck/Bearbeiter); Neumann-Duesberg Bildberichterstattung über absolute und relative Personen der Zeitgeschichte JZ 1960, 114; Osiander Das Recht am eigenen Bild im allgemeinen Persönlichkeitsrecht Frankfurt aM 1993; Paeffgen Allgemeines Persönlichkeitsrecht der Polizei und § 113 StGB JZ 1979, S 16; Reber Die Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts in Deutschland und den USA (von Marlene Dietrich über Klaus Kinski zu Marilyn Monroe) – ein Irrweg des Bundesgerichtshofs? GRUR Int 2007, 492; Rebmann Aktuelle Probleme des Zeugnisverweigerungsrechts von Presse und Rundfunk und des Verhältnisses von Presse und Polizei bei Demonstrationen AfP 1982, 189; Schack Anmerkung zu BGH Urt vom 5.10.2006, I ZR 277/03 JZ 2007, 366; Schertz Bildnisse, die einem höherem Interesse der Kunst dienen GRUR 2007, 558; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg) Kommentar zum Grundgesetz 11. Aufl Köln 2008 (zit Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Bearbeiter); Schmitt Auswirkungen der Caroline-Entscheidung auf die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes von Begleitpersonen? ZUM 2007, 186; Schubert Von Kopf bis Fuß auf Verwertung eingestellt? Die Dogmatik der Vermögensrechte der Persönlichkeit im Licht der neuesten Rechtsprechung von BGH und BVerfG AfP 2007, 20; Schwartmann Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht Heidelberg 2008 (zit Schwartmann/Bearbeiter); Söder Persönlichkeitsrecht in der Presse ZUM 2008, 89; Starck Das Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und seine rechtlichen Konsequenzen JZ 2006, 76; Stürner Anm zu EGMR vom 24.6.2004 JZ 2004, 1018; Teichmann Abschied von der absoluten Person der Zeitgeschichte NJW 2007, 1917; Wanckel Foto- und Bildrecht 2. Aufl München 2006 (zit Wanckel/Bearbeiter); Weberling/Wallraf/Deters (Hrsg) Im Zweifel für die Pressefreiheit Baden-Baden 2008 (zit Weberling/Wallraf/Deters/Bearbeiter).
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Übersicht Rn
Rn
§ 1 Gegenstand des Bildnisschutzes . . . . 1–15 I. Der Bildnisbegriff . . . . . . . . 2–4 II. Erkennbarkeit der abgebildeten Person . . . . . . . . . . . . . . 5–15 § 2 Begriff des Veröffentlichens . . . . . . 16–21 I. Verbreiten . . . . . . . . . . . . 17–19 II. Die öffentliche Zurschaustellung 20, 21 § 3 Einwilligung . . . . . . . . . . . . . 22–37 I. Rechtsnatur und Umfang der Einwilligung . . . . . . . . . . 24–30 II. Stillschweigende Einwilligung . . 31 III. Ausdrückliche Einwilligung . . . 32 IV. Beweislast und Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . 33, 34 V. Reichweite der Einwilligung . . 35, 36 VI. Widerruf der Einwilligung . . . 37 § 4 Gesetzlich normierte Abbildungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 38–70 I. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte . . . . . . . . . . 39–55 1. Begriff der Zeitgeschichte . . 40–42 2. Alte Rechtsprechung zur absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte . . . . . . 43–46 3. Das neue abgestufte Schutzkonzept des BGH . . . . . . 47–50 4. Abwägung der widerstreiten-
den Interessen (Pressefreiheit vs Persönlichkeitsrechte) . . 51–55 II. Abbild als Beiwerk . . . . . . 56–59 III. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen 60–66 IV. Höheres Interesse der Kunst . . 67–70 § 5 Berechtigte Interessen des Abgebildeten 71–84 I. Kommerzielle Bildnisverwertung 72–78 1. Werbung . . . . . . . . . . 73–76 2. Publizistische Eigenwerbung, Blickfangwerbung . . . . . 77, 78 II. Durch das Bildnis betroffene Sphäre . . . . . . . . . . . . 79–83 III. Heimliche Bildnisherstellung, Belästigung, Belagerung . . . . 84 § 6 Ansprüche des Abgebildeten . . . . 85–104 I. Vorbeugender Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . 88, 89 II. Lizenzanalogie . . . . . . . . 90–95 1. Lizenzbereitschaft und objektive Kommerzialisierbarkeit 91, 92 2. Mitglieder der Bundesregierung . . . . . . . . . . 93–95 III. Vererblichkeit der Ansprüche . 96–98 IV. Dauer des Schutzes . . . . . . 99–103 V. Haftungsprivilegien . . . . . . 104 § 7 Bildnisschutz in der heutigen Zeit . . 105–107
§1 Gegenstand des Bildnisschutzes 1
Aufgrund ihrer besonderen Wirkung auf die Menschen sind Bilder wichtige Instrumente für die Medien 1. Der in den §§ 22 ff KUG geregelte Bildnisschutz setzt der Verwendung von Bildnissen einer Person jedoch Grenzen und stellt eine einfachgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar 2. Geschützt wird das Recht des Abgebildeten, über die Verwendung seines Bildnisses zu entscheiden. Nicht umfasst werden vom Bildnisschutz daher Bilder von Sachen 3.
I. Der Bildnisbegriff 2
Der Bildnisbegriff wird durch den Schutzzweck des Gesetzes bestimmt. Personen sollen selbst entscheiden können, wie und ob sie der Öffentlichkeit im Bild präsentiert werden. Auch Beamte und sonstige Amtsträger können sich grds auf den Bildnisschutz unabhängig davon berufen, ob sie bei der Ausübung ihrer spezifisch hoheitlichen Funktion wiedergegeben sind 4. Die Menschenwürde als Mittelpunkt der grundrechtlichen Werte1 2
Beater Rn 1266. Schwartmann/Schulenberg Kap 1.7 Rn 102. Zum strafrechtlichen Schutz durch § 201a StGB Hoppe GRUR 2004, 990.
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Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 87; Schwartmann/Schulenberg Kap 1.7 Rn 150. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 8.
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§1
Gegenstand des Bildnisschutzes
ordnung verbietet es, einem eine staatliche Funktion ausübenden Bürger den Bildnisschutz zu verweigern 5. Der Begriff des Bildnisses definiert sich als die „Darstellung einer Person in ihrer 3 wirklichen, dem Leben entsprechenden Erscheinung“ 6, ist also nicht nur auf Fotografien als solche beschränkt, sondern umfasst auch sonstige Darstellungen einer Person, durch die sie figürlich-visuell erkennbar wird. Fehlende Geschäfts- und Einsichtsfähigkeit (zB bei geistig behinderten Personen) ist für das Bestehen eines Bildnisses unschädlich. Insofern spricht man auch von einem weiten Bildnisbegriff. Die klassische Darstellungsform von Personen ist die zweidimensional-unbewegte wie 4 bei gemalten Portraits, Fotos, Fotomontagen 7, Zeichnungen 8 und Karikaturen oder in bewegter Form wie etwa im Film. Auch Abbildung auf Münzen fallen unter den Bildnisbegriff des KUG 9. Ebenso können dreidimensionale Abbildungsformen Bildnisse iSd §§ 22 ff KUG sein. Solche liegen insbesondere dann vor, wenn durch schauspielerischen Ausdruck auf der Bühne, durch Skulpturen, Doubles 10 und sonstige Darstellungen ein Bild einer Person hergestellt wird. Für Schauspieler gilt, auch wenn sie in einer Rolle abgebildet sind, dass sie das Bildnis sind und nicht die verkörperte Figur. Ob dies auch dann gilt, wenn der Schauspieler bspw durch eine Maskierung identifiziert werden kann, ist eine Frage der Erkennbarkeit und wird in den allermeisten Fällen zu verneinen sein 11. Die Ähnlichkeit mit der erkennbaren Person muss nicht beabsichtigt sein, eine rein zufällige Ähnlichkeit reicht aus 12, jedenfalls wenn diese Ähnlichkeit ausgenutzt wird 13.
II. Erkennbarkeit der abgebildeten Person Der Bildnisbegriff setzt die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus 14. Für die 5 Erkennbarkeit kommt es nicht auf das Verständnis des Durchschnittslesers oder -zuschauers an15. Es genügt vielmehr, wenn die betroffene Person begründeten Anlass zu der Annahme hat, sie könnte innerhalb eines mehr oder minder großen Kreises erkannt werden 16. Die Identifizierbarkeit im engen Familien- und Freundeskreis wird teilweise nicht als ausreichend angesehen; vielmehr müsse die Erkennbarkeit mindestens für einen Personenkreis vorhanden sein, den der Betroffene nicht mehr ohne weiteres selbst unterrichten kann 17. Anderer Ansicht nach genügt die Erkennbarkeit innerhalb des Bekanntenkreises 18. Das folge aus dem Zweck des Bildnisschutzes, die Persönlichkeit davor zu bewahren, gegen ihren Willen durch die Abbildung für andere verfügbar zu werden 19. Letztlich muss hier berücksichtigt werden, dass für den Betroffenen gerade auch in seinem engen Bekanntenkreis die Gefahr besteht, durch die Bildnisverwertung in einem 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Franke JR 1982, 48; Rebmann AfP 1982, 189, 193; aA Paeffgen JZ 1979, 516. AmtlBegr S 31. LG Köln AfP 1987, 149. OLG Hamburg AfP 1983, 282. BGH NJW 1996, 593, 594 – Willy Brandt. BGH NJW 2000, 2201 – Der Blaue Engel. BGH NJW 1961, 550 – Familie Schölermann. BGH NJW 1959, 1269 – Caterina Valente. Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 2. BGH AfP 1979, 345, 346 – Fußballtorwart; BGH NJW 1985, 1617 – Nacktaufnahme.
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BVerfG NJW 2004, 3619, 3620. BGH NJW 1971, 698, 700 – Pariser Liebestropfen. LG Köln AfP 2005, 81, 82; Fricke AfP 2005, 335. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 15; Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 4; Schricker/Götting § 22 KUG Rn 16. BGH NJW 1979, 2205 – Fußballkalender; OLG Karlsruhe AfP 2002, 42; OLG Hamburg NJW-RR 1992, 536.
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falschen Licht zu erscheinen. Den Abgebildeten hier auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verweisen, erscheint insbesondere wegen der Kodifizierung des Rechts am eigenen Bild nicht angebracht. Die Erkennbarkeit ergibt sich regelmäßig durch die Gesichtszüge des Abgebildeten, wobei es dahinstehen kann, ob das Gesicht kaum oder überhaupt nicht zu erkennen ist, wenn der Betroffene durch andere ihm eigene Merkmale erkennbar wird. Welche Merkmale das sind, ist grds ohne Belang 20. Neben den Gesichtszügen können das die Körpersilhouette, die Statur, Haltung oder auch der Haarschnitt sein 21. Die Größe der Abbildung ist grds ebenfalls unerheblich. Die Erkennbarkeit kann auch bei kleineren Bildausschnitten zu bejahen sein 22. Die Verwendung eines Augenbalkens oder das durch Verkachelung 23 angestrebte verschwimmen der Gesichtszüge ist nicht ausreichend, wenn dadurch die Erkennbarkeit nicht ausgeschlossen wird 24. Regelmäßig liegt eine Erkennbarkeit vor, wenn der Augenbalken wegen seiner geringen Größe noch die Identifizierbarkeit des Abgebildeten erlaubt25. Daneben kann sich die Erkennbarkeit auch aus den begleitenden Umständen ergeben, die neben oder außerhalb der Abbildung liegen 26. Wird in einem Begleittext oder in einer Bildunterzeile zur Abbildung, die für sich allein den Betroffenen nicht erkennbar macht, der Name des Abgebildeten genannt, handelt es sich ebenfalls um ein Bildnis iSd KUG 27. Daher ist eine Erkennbarkeit auch dann zu bejahen, wenn zB Fußballspiele in einer Computersimulation nachgestellt werden, wenn die Spielfiguren durch ihre Mannschaftszugehörigkeit und ihre Trikotnummern eindeutig bestimmbar sind. Daneben kommt es weder auf eine Namensnennung noch auf eine Nachbildung der Gesichtszüge an. Allerdings genügt die Bezeichnung als Kind einer bekannten Person nicht, um eine Erkennbarkeit zu begründen 28. Erkennbarkeit anhand außerhalb des Abbildes selbst liegender Merkmale kann sich ergeben, wenn der Abgebildete bei Fotoausschnitten aufgrund früherer Veröffentlichungen des ganzen Fotos erkannt werden kann 29, bei der Identifizierbarkeit über eine mit ihm gemeinsam abgebildete Person 30 oder durch eine Sache 31. Gleichwohl wird diese Rechtsprechung hinsichtlich der Identifizierbarkeit an anderen, außerhalb des Bildnisses selbst liegenden Merkmalen, als zu weit empfunden 32. Demnach vermische die Rechtsprechung zunehmend Fragen des Bildnisschutzes unzutreffenderweise mit persönlichkeitsrechtlichen Fragen des Anonymitätsschutzes 33. § 22 KUG schütze den Betroffenen ausschließlich davor, wie und ob das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit preisgegeben werde, nicht aber die Persönlichkeit des Betroffenen im Übrigen. Folglich seien die Fälle,
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BGH NJW 2000, 2201 – Der Blaue Engel. BGH AfP 1979, 345, 346 – Fußballtorwart; OLG Karlsruhe ZUM 2001, 883, 887; OLG Hamburg AfP 1978, 703, 704 – Aidsrisiko Tätowierung; KG ZUM 2007, 60. Hierzu krit wohl Weberling/Wallraf/Deters/Damm 143, 144. BGH NJW 1971, 698, 700 – Doppelmörder. Ausf zur Praxis des „Verpixelns“ Weberling/ Wallraf/Deters/Damm 143. OLG Karlsruhe NJW 1980, 1701; OLG Hamburg AfP 1993, 590. LG Berlin AfP 1997, 732.
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OLG Frankfurt NJW 1992, 441, 442. BGH NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin I. OLG München ZUM 2007, 932, 933; aA Vorinstanz LG München I ZUM 2007, 936, 937. BGH AfP 1979, 345, 346 – Fußballtorwart. OLG Frankfurt NJW 1992, 441, 442, OLG Düsseldorf GRUR 1970, 618 – Schleppjagd. OLG Düsseldorf GRUR 1970, 1618. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 6 mwN. Hochrathner ZUM 2001, 669, 672.
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§1
Gegenstand des Bildnisschutzes
in denen eine Person nur aus außerhalb der Abbildung liegenden Umständen identifiziert werden kann, nach den für das allgemeine Persönlichkeitsrecht geltenden Kriterien und Abwägungsgrundsätzen zu behandeln 34. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es hier letztlich allein um die Verwendung eines Bildnisses geht. Warum für den Fall auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgewichen werden soll, wo doch eine Sonderregelung für den Bildnisschutzbereich besteht, ist nicht ersichtlich. Letztlich ist für ein Eingreifen des § 22 KUG demnach nicht entscheidend, wodurch der Abgebildete erkennbar ist, sondern allein, dass er erkennbar ist. Worauf die Erkennbarkeit zurückzuführen ist, sollte daher unberücksichtigt bleiben, zumal eine Erkennbarkeit des Abgebildeten in einem mehr oder minder großen Kreis für ausreichend angesehen wird 35. Ein Sonderfall ist das Bildnis eines Doppelgängers, einem sog Double. Das Bildnis des Doppelgängers kann zugleich Bildnis der verkörperten Person sein 36. Nach Ansicht des BGH ist das sogar dann möglich, wenn sich die Gesichtszüge des Doppelgängers deutlich von denen des Originals unterscheiden; die Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes reiche für die Begründung eines Bildnisses aus 37. Maßgeblich sei dabei, dass das Bild in der Absicht verbreitet wird, die abgebildete Person für den Betroffenen auszugeben. Dem soll auch nicht entgegenstehen, dass ein größerer Teil der Betrachter erkennt, dass es sich um einen Doppelgänger handelt 38. Wenn ein Schauspieler eine real existierende Person verkörpert, kann dies ebenfalls ein Bildnis des dargestellten Betroffenen sein 39. Die Entscheidung des BGH zu der aus dem Film „Der Blaue Engel“ mit Marlene Dietrich wiedergegebenen Szene in Verbindung mit Werbung hat deutlich gemacht, dass die bisher entwickelten Kriterien für die Annahme eines Bildnisses in derartigen Fällen mehr Ungereimtheiten als Antworten liefern. In der angesprochenen Entscheidung hat der BGH ein Bildnis von Marlene Dietrich schon aufgrund der Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes der von Marlene Dietrich dargestellten Rolle angenommen, obwohl sich die Gesichtszüge des Modells erkennbar von denen Marlene Dietrichs unterschieden. Das subjektive Kriterium der Absicht, eine andere Person verkörpern zu wollen, kann für die objektive Feststellung, ob ein Bildnis iSd KUG vorliegt, untauglich sein. Denn für einen Betrachter kann es so aussehen, als ob es sich um ein Bildnis des Betroffenen handelt, selbst wenn die Ähnlichkeit nur zufällig und ungewollt ist. Zum anderen widerspricht es dem Grundsatz des Bildnisschutzes, dass das Haupterkennungsmerkmal eines Menschen die Gesichtszüge sind. Eine Ähnlichkeit anzunehmen, selbst wenn sich die Merkmale deutlich unterscheiden, überzeugt nicht. Mit der verbreiteten Kritik ist daher davon auszugehen, dass im Fall der Nachstellung einer berühmten Szene ein Bildnis des Originalschauspielers dann nicht anzunehmen ist, wenn sich das Double von der Vorlage erkennbar unterscheidet 40. Ein Bildnis iSd § 22 KUG liegt nur dann vor, wenn die nachgestellte Szene lediglich eine Assoziation mit dem Originaldarsteller hervorruft. Knüpft aus Sicht des Betrachters die Darstellung an das Motiv des Originals an, bedient sich einer bekannten Szene für die eigene Abbildung,
34
35
OLG Karlsruhe GRUR 2004, 1058; Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 6; Wild GRUR 1979, 735; Hochrathner ZUM 2001, 669, 671. BGH NJW 1971, 698, 700 – Pariser Liebestropfen.
36 37 38 39 40
Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 17 f. BGH NJW 2000, 2201 – Der Blaue Engel. LG Düsseldorf AfP 2002, 64, 65. OLG Hamburg NJW 1975, 649, 650. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 7; Beuthien/Hieke AfP 2001, 353, 356.
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6. Teil
oder nutzt das markante Auftreten einer bekannten fiktiven Figur, kann erst Recht kein Bildnis angenommen werden, wenn der Doppelgänger maßgeblich vom Original zu unterscheiden ist. Entscheidend ist die Sicht des objektiven Betrachters, ob die Darstellung an die Person des Originals anknüpft oder an die verkörperte Rolle oder Szene. Daher kann ein Bildnis iSv § 22 KUG nur dann angenommen werden, wenn ein Schauspieler, der die betroffene Person verkörpert, dieser auch ähnlich sieht 41. Dieselben Kriterien sind bei zufälliger Ähnlichkeit anzuwenden. Muss der sorgfältige 15 Betrachter davon ausgehen, es handele sich um das Original, liegt ein Bildnis iSd KUG vor.
§2 Begriff des Veröffentlichens 16
Nur das Verbreiten und die öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen (Veröffentlichen) gegen den Willen des Abgebildeten werden durch das KUG geschützt (§ 22 KUG). Die Herstellung und Vervielfältigung kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht 42 verletzen, ist aber grds nicht Regelungsmaterie des Bildnisschutzes 43. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn jegliche Verwertung der Bildnisse eine Rechtsverletzung darstellen würde 44, wobei jedoch immer zu berücksichtigen ist, dass die notwendige Abwägung im Rahmen von § 23 KUG schwerlich vorab zu leisten sein wird. Für Fotografierverbote auf Grund besonderer gesetzlicher Grundlagen vgl Teil 2 Kap 4 § 3 III.
I. Verbreiten Verbreiten iSd § 22 S 1 KUG ist die Weitergabe des Gegenstandes, auf dem sich das Bildnis befindet, an einen anderen, so dass dieser die Verfügungsgewalt darüber erhält 45 und so das Risiko einer nicht mehr kontrollierbaren Kenntnisnahme in sich birgt 46. Die Verbreitung eines Bildnisses erfolgt in der Regel nach vorheriger Vervielfältigung. Unbedingt notwendig ist eine Vervielfältigung jedoch nicht. Auch das Original kann verbreitet werden. Zwecks Begriffsvereinheitlichung wird oft auf § 17 UrhG zurückgegriffen 47, der das Verbreitungsrecht als das Recht definiert, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Teilweise wird jedoch auf das Merkmal der Öffentlichkeit verzichtet, so dass unter Verbreiten iSd § 22 KUG jede Art der Verbreitung, selbst ein Verschenken der Vervielfältigungsstücke im privaten Bereich, verstanden wird 48. Daraus folgt, dass ein Verbreiten schon stets dann gegeben ist, wenn der Hersteller 18 des Bildnisses den Bildträger an einen Dritten weitergibt, so dass die Gefahr der unkontrollierbaren Kenntnisnahme entsteht. Umfasst ist jede Art der Verbreitung körperlicher
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41 42 43
OLG München ZUM 2007, 932, 933. Dazu ausf Teil 6 Kap 1. BGH NJW 1966, 2353, 2354 – Vor unserer eigenen Tür; Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 8, 12 ff; Schricker/Götting § 22 KUG Rn 5; Helle 68 mit Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien.
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44 45 46 47 48
So auch Helle 69 f. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 43. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 8. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 43. Schricker/Götting § 22 KUG Rn 11; Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 8.
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§2
Begriff des Veröffentlichens
Exemplare etwa in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, auf Postkarten oder Werbeträgern, wobei Bildnisse aller Art verbreitet werden können, etwa Fotonegative oder -abzüge oder Fernseh- oder Filmbilder. Ein Verbreiten liegt allerdings nicht erst dann vor, wenn der „Endverwerter“ die Bildnisse seiner eigentlichen Zweckbestimmung zuführt, also durch die direkte Verschaffung der Möglichkeit der Kenntnisnahme in der Öffentlichkeit. Bereits vorgelagerte Handlungen, die das Risiko der unkontrollierbaren Kenntnisnahme begründen, stellen ein Verbreiten iSd § 22 S 1 KUG dar. Soweit die Presseagentur bspw nicht selbst Hersteller eines Bildnisses ist, sondern wie gewöhnlich Bildnisse von Fotografen, Fotoagenturen oder Bildarchiven erwirbt, liegt bereits in der Übergabehandlung ein Verbreiten und somit eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild seitens des Veräußerers. Freilich schließt das aber nicht aus, dass das Abdrucken des Materials in Zeitschriften, Zeitungen, Büchern usw als Folgehandlung gleichfalls den Tatbestand des § 22 S 1 KUG erfüllt. Unwesentlich für das Verbreiten iSd § 22 S 1 KUG ist, ob die Verbreitung entgeltlich 19 oder unentgeltlich erfolgt. Der mit dem Verbreiten verfolgte Zweck ist für den Begriff des Verbreitens ebenso unerheblich.
II. Die öffentliche Zurschaustellung Der Begriff des öffentlichen Zurschaustellens ergänzt den Begriff des Verbreitens in 20 dem Bereich, in dem das Bildnis nicht mittels eines materiellen Trägers an Dritte weitergegeben, sondern einer Anzahl von Personen die Wahrnehmung des Bildnisses ermöglicht 49 wird. Im Unterschied zur Verbreitung muss die Zurschaustellung öffentlich sein 50. Der Begriff der öffentlichen Zurschaustellung ist weit zu fassen. Für den Öffentlichkeitsbegriff wird § 15 Abs 3 UrhG herangezogen. Demnach ist es nicht erforderlich, dass das Bildnis einer unbeschränkten Anzahl von Person dargeboten wird. Ausreichend ist es, dass die Veröffentlichung sich an eine Mehrzahl von Personen richtet. An eine Mehrzahl von Personen richtet sich die Veröffentlichung beim Vorführen eines Filmes, einer Reportage, eines Werbeclips im Fernsehen oder Kino, bei der Präsentation von Fotografien in einem Schaukasten, auf einer Werbetafel oder der Verwendung eines Bildes auf einer Homepage sowie das Einbinden eines im Internet zugänglichen Bildes in einem eigenen Artikel 51. Es kommt dabei gerade nicht darauf an, dass das Bildnis einer Mehrzahl von Personen gleichzeitig angeboten wird, sondern vielmehr allein auf die Möglichkeit der unbegrenzten Kenntnisnahme. Nicht öffentlich ist die Zurschaustellung, wenn der Kreis der Personen abgegrenzt ist 21 und die Personen durch gegenseitige Beziehungen untereinander oder durch Beziehung zu der Person, die das Bildnis anbietet, persönlich verbunden sind 52. Freilich ist es schwer feststellbar und vage, inwiefern Personen untereinander verbunden sein können. Die innere Verbundenheit als Kriterium für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Öffentlichkeit ist insbesondere für den Bildnisverwerter höchst unbefriedigend. Im Interesse aller Parteien ist es daher angebracht, den Maßstab für den Begriff der Öffentlichkeit eher niedrig anzulegen. Wenn das Abbild einer Person nicht im engsten Kreis zur Schau gestellt wird, richtet sie sich bereits an die Öffentlichkeit, so dass der Tatbestand des § 22 S 1 KUG erfüllt ist. Regelmäßig sind derartige Konstellationen nur im Kreis der Familie, 49 50
VG Köln AfP 1988, 182, 184. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 9; Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 11.
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OLG München ZUM-RD 2007, 526. OLG Oldenburg GRUR 1988, 694, 695.
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6. Teil
im engsten Bekanntenkreis oder unter Freunden denkbar. In allen anderen Konstellationen muss von einer Öffentlichkeit ausgegangen werden, so dass eine Zurschaustellung iSd § 22 S 1 KUG gegeben ist.
§3 Einwilligung 22
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sind Bildnisveröffentlichungen nur mit Einwilligung des Abgebildeten möglich. In der Praxis sind trotzdem in vielen Fällen Fotoveröffentlichungen auch ohne ausdrückliche Zustimmung rechtmäßig, weil entweder eine konkludente Einwilligung vorliegt oder das Foto in den Bereich über die Zeitgeschichte fällt. 23 Das Einwilligungserfordernis ist Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Selbstbestimmung über die Darstellung der Person in der Öffentlichkeit, welches sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt.
I. Rechtsnatur und Umfang der Einwilligung 24
Die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten. Nach der überwiegenden Meinung handelt es sich um eine Willenserklärung iSd §§ 104 ff BGB 53. Demgemäß finden auf sämtliche Auslegungsfragen, die sich aus einer Einwilligung ergeben können, die allgemeinen Bestimmungen des BGB Anwendung. Dies betrifft auch die Frage, ob und wie eine Einwilligung angefochten oder widerrufen werden kann. Die praktische Erfahrung zeigt, dass sich aus der Einwilligung eine Vielzahl von Fragestellungen ergeben kann. Es ist daher dringend zu empfehlen, die Einwilligung und ihre Modalitäten schriftlich niederzulegen. Dies sollte zweckmäßigerweise bereits bei der erstmaligen Erstellung einer Aufnahme erfolgen, kann jedoch auch anlassbezogen vor einer späteren Nutzung geschehen 54. Da die Einwilligung vorherige Zustimmung bedeutet (§ 183 BGB), muss die Erklärung jedenfalls vor der Nutzungshandlung vorliegen. In der Einwilligungserklärung sollte auch der gegenständliche, zeitliche und gegebenenfalls räumliche Umfang der Einwilligung niedergelegt werden. 25 Aus Sicht des Abgebildeten empfiehlt sich eine präzise Eingrenzung der Erlaubnis, um die Kontrolle über die Nutzung zu behalten. Wer sich zB anlässlich einer Veranstaltung fotografieren lässt, kann vereinbaren, dass die Aufnahme nur für die tagesaktuelle, redaktionelle Berichterstattung verwendet werden darf. Auch Exklusivabreden sind denkbar. So kann die Einwilligung beschränkt auf ein bestimmtes Medium und eine einmalige Veröffentlichung in einer bestimmten Sendung bzw in einem bestimmten Artikel erteilt werden. Bei Werbeaufnahmen sollte festgelegt werden, für welches Produkt, für welche Kampagne und für welchen Zeitraum die Einwilligung erteilt wird. Ferner kann eine räumliche Beschränkung erfolgen, so dass eine Nutzung zB nur innerhalb oder außerhalb Deutschlands erfolgen darf. 26 Fotografen und andere Bildnisverwerter sind hingegen in der Regel bemüht, äußerst umfassende Einwilligungen zu erhalten. Dies ergibt sich häufig aus dem Sachzwang, dass 53
Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 14; Osiander 27.
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54
Wanckel/Nietschke Rn 130.
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§3
Einwilligung
die spätere Nutzung und Verwertungsmöglichkeit der Aufnahmen zum Zeitpunkt ihrer Herstellung noch nicht feststehen. Insoweit ist zu beachten, dass die Nutzungen, die besonders weitgehend in das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten eingreifen oder die so ungewöhnlich sind, dass das Modell mit ihnen nicht rechnen muss, ausdrücklich genannt sein sollten. Dies gilt für die Verwendung in der Werbung, PR und Merchandising, Fotodatenbanken und Bildagenturen, Veröffentlichungen mit sexuellem Bezug oder in einem herabwürdigenden Kontext. Ebenfalls sollte die Einwilligung etwaige Bearbeitungen des Bildmaterials (elektronische Verfremdungen, Fotomontagen) definieren, wenn derartige Nutzungen beabsichtigt sind. Auch das Recht, die Aufnahmen an Dritte zur dortigen Verwendung weitergeben zu dürfen, sollte zur Klarstellung aufgenommen werden, falls der Fotograf entsprechend über das Material verfügen will. Nach § 22 S 2 KUG gilt die Einwilligung im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete 27 hierfür eine Entlohnung erhalten hat. Diese Entlohnung muss jedoch wirtschaftlich adäquat zu der Nutzungshandlung sein. Es reicht deshalb grds nicht aus, dem Abgebildeten einen Abzug des Fotos zu überlassen, wenn das Bildnis zugleich hundertfach als Werbemotiv veröffentlicht wird. Es wird auch die Auffassung vertreten, dass die kostenfreie Überlassung von Abzügen niemals zu einer Einwilligung nach § 22 S 2 KUG führt 55. Ferner ist auch in diesen Fällen erforderlich, dass die Nutzung dem entspricht, was dem Abgebildeten bei der Herstellung der Aufnahme mitgeteilt wurde. So deckt eine Entlohnung nicht eine Veröffentlichung, die den Betroffenen für ihn unerwartet in einen abträglichen Zusammenhang stellt. Die Entlohnung muss direkt für die Veröffentlichung erfolgt sein 56. Ein Arbeitnehmer, der lediglich sein übliches Gehalt für seine normale Arbeitsleistung erhält, erhält damit keine Entlohnung iSd § 22 S 2 KUG, auch wenn er bei der Berufsausübung fotografiert wird. Bei Minderjährigen muss die Einwilligung von den Erziehungsberechtigten erteilt wer- 28 den, soweit das Kind geschäftsunfähig ist. Da die elterliche Sorge nach der Konzeption des BGB beiden Elternteilen zusteht, müssen auch beide mit der Verwendung des Bildnisses ihres Kindes einverstanden sein. So kann nicht ein Elternteil eigenmächtig Fotos seiner minderjährigen Kinder auf die eigene Homepage stellen, wenn der andere Elternteil damit nicht einverstanden ist. Für den Fall einer Meinungsverschiedenheit sieht § 1627 S 2 BGB vor, dass die Eltern versuchen müssen, sich zu einigen. Sollte dies nicht möglich sein, kommt uU gem § 1628 BGB eine gerichtliche Entscheidung in Betracht. Voraussetzung dafür ist zwar, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist. Gerade mit Blick darauf, dass hier das Persönlichkeitsrecht des Kindes betroffen ist, dürfte dies jedoch in der Regel der Fall sein. Selbiges gilt im Grundsatz gem § 1687 BGB auch bei Getrenntleben der Eltern. Ist das Kind bereits einsichtsfähig und beschränkt geschäftsfähig, was idR ab 14 Jah- 29 ren der Fall ist, muss zusätzlich das Kind selbst zustimmen 57. Durch diese Kumulation von notwendigen Zustimmungen ist es nicht ausreichend, wenn ein Minderjähriger bei einer Tanzveranstaltung durch gezieltes Posieren für einen Fotografen uU konkludent seine Einwilligung zur Veröffentlichung des Bildes erklärt 58. Vielmehr ist auch maßgebend, ob die Erziehungsberechtigten hiermit einverstanden sind.
55 56 57
Prinz/Peters Rn 836; Helle 108. Prinz/Peters Rn 836. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 12; Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 26; Schricker/Götting § 22 KUG Rn 42; aA
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Helle 105, der auf die Möglichkeit verweist, nach § 1666 BGB eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung herbeizuführen. So Schwartmann/Schulenberg Kap 1.7 Rn 108.
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Kapitel 3 Bildnisschutz
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6. Teil
Bei Verstorbenen ist binnen zehn Jahren nach dem Tode die Einwilligung der in § 22 S 4 genannten Angehörigen erforderlich.
II. Stillschweigende Einwilligung 31
Eine Einwilligung kann auch stillschweigend erteilt werden, zB durch konkludentes Handeln 59. Der bloßen Duldung einer Aufnahme ohne Gegenwehr wird in der Regel mangels Erklärungsgehalt keine stillschweigende Einwilligung zu entnehmen sein 60. Anders ist dies jedoch dann zu beurteilen, wenn der Gefilmte ohne Widerspruch gegen die Aufnahmen an ihn gerichtete Fragen beantwortet. In einem solchen Fall erklärt er sich konkludent auch mit der späteren Ausstrahlung der Filmaufnahmen einverstanden 61. Ähnlich ist auch der Fall zu bewerten, dass ein Redner auf einem Symposium einen Vortrag hält und dabei fotografiert wird. Eine stillschweigende Einwilligung in die Bildnisverwertung lässt sich dem aber auch nur entnehmen, wenn die Aufnahmen nicht verdeckt hergestellt wurden, sondern dies für den Redner erkennbar war, etwa durch die Verwendung von Blitzgeräten oä. Anders ist hingegen die Situation zu beurteilen, dass ein Kamerateam Polizisten im Einsatz begleitet, weil der Gefilmte hier unter Umständen den Eindruck bekommt, er müsse die Aufnahmen dulden 62.
III. Ausdrückliche Einwilligung 32
Eine ausdrückliche Einwilligung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Verwendungsformen, die besonders gravierend in das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten eingreifen oder außergewöhnlich sind, sollten ausdrücklich aufgeführt werden. Dies gilt insbesondere für die kommerzielle Nutzung in der Werbung oder im Merchandising und Veröffentlichungen mit sexuellem Bezug. Die ausdrückliche Formulierung solcher Nutzungen ist zu empfehlen, weil derartige Nutzungen oft nicht von der pauschalen Einwilligungserklärung abgedeckt sind. Ferner erfüllt die ausdrückliche Bezeichnung solcher Verwendungsformen eine Warnfunktion für den Abgebildeten, damit dieser sich über die Tragweite seiner Einwilligung bewusst ist. Er kann sich dann später nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe mit bestimmten Nutzungen seines Bildnisses nicht gerechnet.
IV. Beweislast und Sorgfaltspflichten 33
Die Beweislast für die Erteilung und den Umfang einer Einwilligung trägt grds der Verwerter des Fotos, nicht der Abgebildete. Wer sich auf die Erlaubnis des Abgebildeten beruft, hat nachzuweisen, dass der Abgebildete mit Art und Weise der Veröffentlichung einverstanden war 63. Schon aus dieser Beweislastregel ergibt sich die praktische Notwendigkeit für alle Bildverwerter, vor der Nutzung der Fotos sorgfältig zu prüfen, ob die beabsichtigte Verwertungshandlung zulässig ist. Darüber hinaus erlegt die Rechtsprechung den Verwertern strenge Sorgfaltspflichten beim Umgang mit Fotos auf. Wer ein Personenbildnis veröffentlichen will, muss sich zuvor vergewissern, dass die Einwilligung des Abgebildeten tatsächlich vorliegt oder ob eine rechtliche Ausnahme iSv § 23 Abs 1 KUG 59 60 61 62
BGH GRUR 1996, 195 ff. Prinz/Peters Rn 834. OLG Karlsruhe ZUM 2006, 568, 570. OLG Hamburg ZUM-RD 2005, 129, 130,
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das auch für die stillschweigende Einwilligung unter Umständen eine Aufklärung des Betroffenen verlangt. BGH NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke.
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§3
Einwilligung
einschlägig ist 64. Jeder, der das Personenbildnis eines anderen verbreiten will, ist von sich aus zur Prüfung gehalten, wie weit seine Veröffentlichungsbefugnis reicht 65. Zu prüfen ist damit auch in jedem Fall, ob der Abgebildete minderjährig ist und deshalb auch die Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich ist 66. Eine Besonderheit gilt für die Beweislast, wenn eine Vergütung iSv § 22 S 2 KUG 34 gezahlt wurde 67. Denn dann vermutet das Gesetz widerleglich das Vorliegen einer Einwilligung. Damit ist in diesem Fall der Abgebildete darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass eine Einwilligung trotz Vergütung nicht erteilt wurde.
V. Reichweite der Einwilligung Gerade in den Fällen der konkludenten Einwilligung stellt sich die Frage, auf welche 35 Veröffentlichungen sich die Einwilligung bezieht. Insbesondere ist in derartigen Fällen mangels klarer ausdrücklicher Regelungen häufig umstritten, ob das Foto nur aktuell im Zusammenhang mit dem Entstehungsanlass oder auch später als sog Archivfoto in einem anderen zeitlichen und/oder inhaltlichen Kontext veröffentlicht werden darf. Der Inhalt und Umfang von – auch stillschweigend erklärten – Einwilligungen ist durch deren Auslegung nach dem Umständen des Einzelfalls zu ermitteln 68, wobei im Zweifel auch ohne ausdrückliche Erklärung des Einwilligenden eine Beschränkung der Reichweite anzunehmen ist 69. Dabei ist – in Anlehnung an die im Urheberrecht entwickelte Zweckübertragungslehre – im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Einwilligung idR nur so weit reicht, wie der mit ihrer Erteilung verfolgte Zweck es erfordert. Demgemäß hat auch der BGH wiederholt entschieden, dass die Einwilligung zur Ablichtung anlässlich eines konkreten Ereignisses regelmäßig nur die Zustimmung zur Verbreitung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über dieses Ereignis enthält 70. Die Veröffentlichung eines Archivfotos kann nach der Rechtsprechung auch ohne 36 Einwilligung des Betroffenen nach § 23 Abs 1 Nr 1 KUG zulässig sein, wenn ein älteres Foto ohne Bezug zu dem Entstehungsanlass als Portraitfoto zur Bebilderung eines zeitgeschichtlich relevanten Ereignisses veröffentlich wird 71. Die Einwilligung zur Veröffentlichung eines Fotos auf einer Homepage, das den Abgebildeten bei Ausübung einer Freizeitbeschäftigung zeigt, rechtfertigt noch nicht die Verwendung dieses Bildes durch Setzen eines Links in einem anderen Artikel durch einen Dritten72.
VI. Widerruf der Einwilligung Grds bindet eine einmal erteilte Einwilligung den Erklärenden. Eine Einwilligung kann 37 deshalb nur unter besonderen Umständen widerrufen werden, unabhängig davon, ob sie mündlich oder schriftlich, konkludent oder ausdrücklich erklärt wurde 73. Wann besondere Widerrufsgründe vorliegen, wird von der Literatur und der Rechtsprechung nicht 64 65 66 67 68 69 70 71
Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 21 mwN. BGH NJW 1985, 1617, 1619. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 70 f. Vgl Rn 27. BGH NJW 1996, 593, 594 – Willy Brandt. BGH NJW 1956, 1554 – Paul Dahlke. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 41; ebenso OLG München CR 2007, 739, 470. BVerfG NJW 2000, 1021 ff; BVerfG NJW
72 73
2001, 1921, 1924; BerlVerfGH NJW-RR 2007, 1686, 1688. OLG München ZUM-RD 2007, 526, das wohl einen Inline-Link meint. Osiander 30; Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 19 mwN; ähnlich für den Regelfall mit Verweis auf § 314 BGB Beater Rn 1281. Anders für eine unentgeltliche Einwilligung Lettl WRP 2005, 1045, 1052.
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Kapitel 3 Bildnisschutz
6. Teil
einheitlich beantwortet. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass eine Einwilligung im begründeten Einzelfall widerruflich sein muss. Dies ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsgedanken, welcher dem gesamten Persönlichkeitsschutz zugrunde liegt 74. Ein wirksamer Widerruf kommt grds dann in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen für den Betroffenen bei Veröffentlichung unzumutbar wären. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit ist eine einzelfallbezogene Güter- und Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten erforderlich.
§4 Gesetzlich normierte Abbildungsfreiheit 38
§ 23 Abs 1 KUG fixiert die Schranken, denen der Bildnisschutz durch die Sozialgebundenheit des Menschen unterliegt 75. Die Ausnahmetatbestände, bei deren Eingreifen das Interesse der Allgemeinheit an der Verbreitung oder öffentlichen Zurschaustellung eines Bildnisses das Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten verdrängt, sind dort abschließend geregelt 76. Sie gelten allein für den Bildnisschutz und lassen uU bestehende urheberrechtliche Befugnisse des Fotografen, Malers etc unberührt 77. Die Einschränkung des Bildnisschutzes durch § 24 KUG ist für Medienprodukte kaum von Bedeutung, weil dieser die Verwendung des Bildnisses nur für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit gestattet.
I. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte 39
Die praktisch bedeutsamste Ausnahme von § 22 KUG ist die in § 23 Abs 1 Nr 1 KUG geregelte Fallgruppe von Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Demnach ist der Schutz des Rechts am eigenen Bild zu Gunsten des Interesses der Allgemeinheit an einer bildmäßigen Information über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeschränkt 78. Somit ist § 23 Abs 1 Nr 1 KUG die Grundlage für Bildnisveröffentlichungen ohne die Einwilligung des Abgebildeten bzgl der Bildberichterstattung in den Medien. Im Grunde geht es um eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten. 1. Begriff der Zeitgeschichte
40
Ausgangspunkt für diese Abwägung ist der Begriff der Zeitgeschichte. Hierfür muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestimmt werden 79. Es kommt nicht darauf an, ob die Veröffentlichung des Bildes der Information der Öffentlichkeit oder lediglich der Unterhaltung dienen soll, denn auch diese unterfällt der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsbildung 80, jedenfalls soweit sie zu sozialkritischen Diskussionen in 74 75 76 77 78
BVerfG NJW 2000, 1021, 1022; ähnlich auch Osiander 30. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 1. BGH NJW 1979, 2205 – Fußballkalender. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 2. BVerfG NJW 2008, 1793, 1795 – Caroline von Hannover; BGH GRUR 1956, 427, 428 – Paul Dahlke.
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79
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BVerfG NJW 2008, 1793, 1796 – Caroline von Hannover; BVerfG GRUR 2000, 446, 452 – Caroline von Monaco. BVerfG NJW 2008, 1793, 1796 – Caroline von Hannover; KG ZUM-RD 2008, 1, 2.
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§4
Gesetzlich normierte Abbildungsfreiheit
der Öffentlichkeit führen kann81. Erfasst wird damit alles, was von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse ist 82. Auch wenn die Presse im Rahmen der gesetzlichen Grenzen einen weiten Entscheidungsspielraum darüber, was zum Zeitgeschehen gehört und damit veröffentlichungswürdig ist, hat, ist der Bereich der Zeitgeschichte sachgerecht zu begrenzen 83. Dementsprechend liegt ein zeitgeschichtliches Ereignis bspw nicht in einer Berichterstattung selbst, und auch nicht in reinen Spekulationen. Ebenso wenig reicht die Befriedigung bloßer Neugier aus, um eine Veröffentlichung zu rechtfertigen. Allerdings wurde ein zeitgeschichtlich bedeutsames Ereignis von der Rechtsprechung 41 angenommen, als ein bekannter Politiker sich aus dem öffentlichen Leben zurückzog, weil ein Interesse daran bestand, zu erfahren, wie dieser damit umgeht 84. Hier ist jedoch zu beachten, dass der Rückzug der ehemals in der Öffentlichkeit stehenden Person akzeptiert werden sollte und nicht auf Grund ihrer Popularität bis zu diesem Zeitpunkt der Schutz dieser Privatsphäre aufgehoben werden darf 85. Denn es muss ihrer selbst überlassen bleiben, sich aus dem öffentlichen Leben vollständig zurückzuziehen und damit auch eine Berichterstattung über ihr Privatleben zu unterbinden. Auch wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handeln sollte, 42 führt dies nicht automatisch zu einer Zulässigkeit der Abbildung. Vielmehr muss auch in diesem Fall eine Abwägung mit den Rechtsgütern des Abgebildeten vorgenommen werden; eine schematische Zuordnung ist nicht zulässig. Dies ergibt sich schon aus § 23 Abs 2 KUG, der eine Nutzung davon abhängig macht, dass keine berechtigten Interessen des Abgebildeten verletzt werden86. 2. Alte Rechtsprechung zur absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte Um eine Beantwortung der Frage, ob die Abbildung zulässig ist, zu erleichtern, griffen 43 Rechtsprechung und Literatur auf die Begriffe der absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte zurück 87. Absolute Personen der Zeitgeschichte sind dabei Menschen, die auf Grund ihrer hervorgehobenen Stellung in Staat und Gesellschaft oder durch außergewöhnliches Verhalten oder besondere Leistungen aus der Masse der Mitmenschen herausragen 88, und die deshalb unabhängig von einem Ereignis im öffentlichen Interesse stehen. Hierzu gehören bspw Politiker, Künstler und Sportler, soweit sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichen 89. Das Bildnis einer absoluten Person der Zeitgeschichte durfte immer dann veröffentlicht werden, wenn hierdurch nicht in ihre persönliche Sphäre eingegriffen wurde, so dass eine fast umfassende Bildberichterstattung gesichert 81 82
83 84 85
BVerfG NJW 2008, 1793, 1796 – Caroline von Hannover. BGH GRUR 2007, 902, 903 – Abgestuftes Schutzkonzept II. Krit gegenüber der Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz einer Berichterstattung im Wege einer „Qualitätsprüfung“ Klass ZUM 2007, 818, 824. Ebenso BGH GRUR 2007, 523, 525 f – Abgestuftes Schutzkonzept. KG ZUM-RD 2008, 1, 2. Die Entscheidung des KG (Fn 84) weist jedoch die Besonderheit auf, dass der abgebildete Politiker zum Zeitpunkt der Aufnahme noch im Amt war. Daher stand er noch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, was unter Umständen auch eine Berichter-
86 87
88 89
stattung über sein Privatleben rechtfertigen kann. Insoweit ist dem KG zuzustimmen, dass eine Berichterstattung über das voraussichtliche Leben des Privatmannes Fischer nach seinem Ausscheiden aus der Politik zu diesem Zeitpunkt noch zulässig ist. Dazu auführlichen unten Rn 71 ff. Grundlegend hierfür Neumann-Duesberg JZ 1960, 114. Diese Begriffe sollen nach Wenzel/ von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 8 jedoch nur als Faustformel für eine Grobbewertung dienen. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 8. Vgl Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 11 mit Rechtsprechungsnachweisen; Dreier/ Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 6.
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war. Nur in sehr engen Bereichen konnten sich die absoluten Personen der Zeitgeschichte auf den vorrangigen Schutz ihrer Privatsphäre berufen 90, insbesondere bei örtlicher Abgeschiedenheit 91. Relative Personen der Zeitgeschichte hingegen treten nur im Zusammenhang mit 44 einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis – und damit vorübergehend – in das Blickfeld der Öffentlichkeit 92; sie haben durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis das Interesse auf sich gezogen 93. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit beschränkt sich demgemäß auf eben jenes Ereignis; darüber hinaus gehende Verwendungen von Bildnissen sind unzulässig. Eine relative Person der Zeitgeschichte kann daher zB auch ein Anwalt sein, der in einer mittelgroßen Stadt längere Zeit als Kommunalpolitiker tätig war und dessen Kanzlei im Rahmen einer spektakulären Aktion von einem Staatsanwalt mit dem Tätigkeitsgebiet Wirtschaftskriminalität durchsucht wird 94, der Täter einer große Aufmerksamkeit hervorrufenden Straftat 95 oder der Begleiter einer absoluten Person der Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit 96. Demgegenüber dürfte die Rede auf einem öffentlichen Symposium in der Regel nicht ausreichen, um den Sprecher zu einer relativen Person der Zeitgeschichte zu machen. Denn so bedeutsam das Thema der Veranstaltung auch sein mag, ein zeitgeschichtliches Ereignis wird sie nur selten darstellen. Diese über längere Zeit praktizierte Rechtsprechung wurde vom EGMR gerügt 97. 45 Nach dessen Entscheidung, der eine Klage von Prinzessin Caroline zu Grunde lag, kann nicht die Zuordnung zu der Gruppe der absoluten oder relativen Personen der Zeitgeschichte maßgebend für die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung sein. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit, deren wesentliche Bedeutung für die demokratische Gesellschaft der Gerichtshof anerkennt, und den Interessen des Betroffenen stattfinden. Bei den streitgegenständlichen Bildveröffentlichungen war für den Gerichtshof von Bedeutung, dass Caroline hier ausschließlich in Szenen des Alltagslebens, also im rein privaten Umfeld gezeigt wurde, und dass sie keine repräsentativen Pflichten als Mitglied ihrer Familie wahrnahm 98. Da die Berichterstattung in diesem Fall damit nur die Neugier über Carolines Privatleben befriedigen sollte, stelle dies keinen Beitrag zur Diskussion von allgemeinem Interesse für die Gesellschaft dar, so dass die Meinungsfreiheit hier zurücktreten müsse 99. Insgesamt kritisiert der EGMR zum einen die Einordnung der Beschwerdeführerin als 46 absolute Person der Zeitgeschichte, zum anderen die daraus von den nationalen Gerichten gezogenen Konsequenzen 100. Zwar sei es durchaus denkbar, dass Personen des politischen Lebens, die amtliche Funktionen wahrnehmen, in diese Kategorie fallen. Allein die Zugehörigkeit zu einer Herrscherfamilie, ohne selbst amtliche Funktionen zu haben, 90
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Zusammenfassend zur Rechtsprechung vor der Entscheidung des EGMR Klass ZUM 2007, 818, 822 f. Lettl WRP 2005, 1045, 1056 f. BVerfG NJW 2001, 1921, 1922 f – Prinz Ernst August von Hannover. BGH GRUR 2007, 523, 524 – Abgestuftes Schutzkonzept. OLG Karlsruhe ZUM 2006, 571. OLG Frankfurt NJW 2007, 699, 701 – Rohtenburg. Eingehend zur Berichterstattung über Straftäter Beater Rn 1329 ff. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 19. EGMR NJW 2004, 2647 – Caroline von
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Hannover/Deutschland. Zu den Auswirkungen dieser Entscheidung auf die sog Begleiterrechtsprechung Schmitt ZUM 2007, 186, allgemein zu den Konsequenzen Starck JZ 2006, 76. EGMR NJW 2004, 2647, 2649 (Nr 61 f) – Caroline von Hannover/Deutschland. EGMR NJW 2004, 2647, 2650 (Nr 65 f) – Caroline von Hannover/Deutschland; hinsichtlich der Beurteilung der Qualität der Berichterstattung Stürner JZ 2004, 1018, 1019. EGMR NJW 2004, 2647, 2650 (Nr 72 ff) – Caroline von Hannover/Deutschland.
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Gesetzlich normierte Abbildungsfreiheit
genüge für diese Einordnung jedoch noch nicht. Schließlich bekräftigt der Gerichtshof seine Auffassung, dass die deutschen Gerichte keinen gerechten Ausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen hergestellt haben 101. 3. Das neue abgestufte Schutzkonzept des BGH Nach dieser Entscheidung des EGMR, die die deutschen Gerichte grds bindet 102, verwendet der BGH nunmehr die Begriffe der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte in ihrer bisherigen Diktion nicht mehr 103. An ihre Stelle ist ein neues, abgestuftes Schutzkonzept getreten 104. Danach ist ein Bildbericht auch über eine sog Person der Zeitgeschichte nicht mehr ohne weiteres zulässig. Vielmehr muss auch hier immer eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse und dem Persönlichkeitsinteresse des Abgebildeten vorgenommen werden. Im Einzelfall kann aber bei dieser Abwägung der Bekanntheitsgrad des Betroffenen durchaus bei der Beurteilung des Informationswertes von Bedeutung sein105. Der bisherige Automatismus, dass über eine absolute Person der Zeitgeschichte immer berichtet werden darf, es sei denn, sie genießt den Schutz der Privatsphäre, kann jedoch nach dem Urteil des EGMR nicht weiter bestehen. So gehört bspw auch bei Prominenten der Urlaub grds zum geschützten Kernbereich, aus dem nicht ohne weiteres berichtet werden darf 106. Daran ändert auch nichts, dass die Gerichte die Begriffe der absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte auch weiterhin verwenden. Zu Recht kehrt damit die Rechtsprechung zum Gesetzeswortlaut zurück, der nicht von Personen der Zeitgeschichte spricht, sondern von Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Schon darin klingt an, dass es nicht maßgeblich auf die abgebildete Person, sondern auf den bildlich festgehaltenen Zusammenhang ankommt. Eine Konsequenz dieser Betrachtung ist jedoch, dass dann auch keine neutralen Portraitfotos genutzt werden dürfen, wenn über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet wird. Denn dieses Bild stellt dann nicht das Ereignis dar, sondern allenfalls eine Person, die an diesem Ereignis beteiligt war. Dies trug maßgeblich dazu bei, die Begriffe der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte zu prägen107. Letztlich muss jedoch im Interesse der Rechtssicherheit davon ausgegangen werden, dass das KUG – seinem Wortlaut entsprechend – allein auf das bedeutsame Ereignis abstellt, was jedoch nicht daran hindert, jedes öffentliche Auftreten bestimmter Personen als zeitgeschichtlich bedeutsam zu beurteilen. Eine Abbildung neutraler Fotos aus aktuellem Anlass lässt sich bei wortlautgetreuer Anwendung geltenden Rechts nur durch eine Änderung des Gesetzes erreichen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob auch die Rechtsprechung in künftigen Entscheidungen ein derart enges Verständnis des Begriffes der Zeitgeschichte entwickelt. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, so ist festzustellen, dass durch die Veränderung in der Rechtsprechung des BGH dem Persönlichkeitsschutz nunmehr eine größere 101 102 103
EGMR NJW 2004, 2647, 2651 (Nr 79) – Caroline von Hannover/Deutschland. BVerfG NJW 2005, 2685, 2688 – Görgülü. BVerfG NJW 2008, 1793, 1798 – Caroline von Hannover; Klass ZUM 2007, 818, 820 spricht von einer faktischen Abschaffung der absoluten Person der Zeitgeschichte. Andere Gerichte behalten die bisherige Rechtsprechung bei, weil sie sich an die vor der EGMR-Entscheidung ergangenen Urteile
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des Bundesverfassungsgerichtes gebunden sehen, so etwa OLG Hamburg ZUM 2006, 875. BVerfG NJW 2008, 1793, 1798 – Caroline von Monaco; Teichmann NJW 2007, 1917, 1918. BGH GRUR 2007, 523, 526 – Abgestuftes Schutzkonzept. BGH WRP 2007, 648, 651 – 7 Tage. Neumann-Duesberg JZ 1960, 114.
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Bedeutung zuteil wird. Abzuwarten bleibt jedoch, inwieweit diese Veränderung negative Auswirkungen auf die Pressefreiheit hat. Im Grundsatz ist der Tendenz der Rechtsprechung jedoch uneingeschränkt zuzustimmen. Sie sollte darüber hinaus auch den Mut haben, dem Gesetzeswortlaut entsprechend auch die Veröffentlichung neutraler Portraitaufnahmen im Rahmen der Berichterstattung zu unterbinden. 4. Abwägung der widerstreitenden Interessen (Pressefreiheit vs Persönlichkeitsrechte)
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Die Verwendung eines Bildnisses in den Schranken des § 23 Abs 1 Nr 1 KUG setzt ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit voraus 108. Grds ist es dafür ausreichend, wenn die Bildnisveröffentlichung im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegt 109. Dieser Bereich ist sehr weit zu fassen, denn der Presse muss es möglich sein, umfassend über die Vorkommnisse in einer demokratischen Gesellschaft zu berichten. Dass dieses Bedürfnis nicht zu gering eingeschätzt werden darf, lässt sich auch am grundrechtlichen Schutz der Pressefreiheit in Art 5 Abs 1 S 2 GG erkennen. Das Spektrum möglicher Berichtsgegenstände reicht hier von reiner Information über Fakten bis hin zur Unterhaltung der Leser. Unter besonderen Umständen kann es daher auch gerechtfertigt sein, über das Privatleben von bedeutenden Personen zu berichten110. Für die Zuordnung eines Bildnisses zum Bereich der Zeitgeschichte ist zwischen dem 52 Schutz von Persönlichkeit und Privatsphäre sowie der Pressefreiheit abzuwägen111. Bei dieser Interessenabwägung geht die Rechtsprechung nicht nur auf den Inhalt des Bildes selbst ein, sondern auch auf die hiermit einhergehende Wortberichterstattung, denn auch hierdurch kann der Informationswert des Bildes mit geprägt werden 112. Auf den redaktionellen Gehalt und die konkrete Artikelgestaltung kommt es wegen der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit nicht an 113. Allerdings müssen die verwendeten Abbildungen einen Bezug zu dem zeitgeschichtlichen Ereignis haben 114, wobei auch hier mit Blick auf die Pressefreiheit kein zu enger Maßstab angelegt werden kann. Andererseits kann sich aus der Wortberichterstattung auch die Unzulässigkeit der Bildnisveröffentlichung im Einzelfall ergeben115. Die Pressefreiheit wird, soweit es sich um Wahlwerbung von Parteien handelt, darüber hinaus noch durch Art 21 GG verstärkt116. Ein überwiegendes Informationsinteresse liegt immer dann nicht vor, wenn die Ab53 gebildeten lediglich bei alltäglichen Handlungen im Urlaub gezeigt werden, soweit sich nicht aus dem Zusammenhang, insbesondere der Wortberichterstattung, ein Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis ergibt.
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Schwartmann/Schulenberg Kap 1.7 Rn 121; krit zum allgemeinen Erfordernis eines berechtigten Informationsinteresses Söder ZUM 2008, 89, 95. BGH GRUR 2007, 902, 903 – Abgestuftes Schutzkonzept II. Krit gegenüber der Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz einer Berichterstattung im Wege einer „Qualitätsprüfung“ Klass ZUM 2007, 818, 824. EGMR NJW 2004, 2647 – Caroline von Hannover/Deutschland; BVerfG NJW 2008, 1793, 1800 – Caroline von Monaco. BGH GRUR 2007, 523, 525 (Nr 14) –
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Abgestuftes Schutzkonzept; KG ZUM-RD 2007, 516. BVerfG NJW 2008, 1793, 1801 – Caroline von Monaco; BGH GRUR 2007, 523, 526 – Abgestuftes Schutzkonzept; BGH GRUR 2007, 902, 903 – Abgestuftes Schutzkonzept II. BGH GRUR 2007, 523, 526 – Abgestuftes Schutzkonzept. Teichmann NJW 2007, 1917, 1919. BGH GRUR 2004, 592, 594 – Charlotte Casiraghi. LG Hamburg AfP 2007, 275, 277.
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Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, ob der Betroffene früher etwas gegen 54 die Veröffentlichung seines Bilder unternommen hat, oder ob er diese ohne weiteres geschehen ließ 117 oder ob der Betroffene sich selbst an die Presse gewandt hat 118. Eine abschließende Abwägung bleibt aber der Entscheidung im Einzelfall vorbehalten. 55 Dabei ist als Grundregel davon auszugehen, dass der Schutz der Privatsphäre umso schwerer wiegt, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist 119. Nach der neueren Rechtsprechung besteht überhaupt kein berücksichtigenswertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das eine Bildveröffentlichung gestattet, wenn es wesentlich um Unterhaltung ohne gesellschaftliche Relevanz geht 120. An dieser Entscheidung lässt sich bereits erkennen, dass die Rechtsprechung nach der Entscheidung des EGMR strenger geworden ist und dem Persönlichkeitsrecht eher den Vorrang vor der Bildberichterstattung einräumt. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Tendenz in der Rechtsprechung fortsetzen wird, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Berichterstattung hier zuließ, weil sie in der Öffentlichkeit zu einer sozialkritischen Diskussion führen könne121.
II. Abbild als Beiwerk Der Ausnahmetatbestand des § 23 Abs 1 Nr 2 KUG betrifft solche Abbildungen, bei 56 denen der Betroffene nur zufällig zu sehen ist, als Beiwerk erscheint, und nicht selbst im Blickpunkt des Betrachters steht. Nach § 23 Abs 1 Nr 2 betrifft das aber nur solche Bilder, die eine Landschaft oder eine sonstige Örtlichkeit wiedergeben122. Diese Vorschrift betrifft den Fall, dass auf einem Bild Personen neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen, also nicht Personenbildnisse. Die Norm gilt daher nicht für diejenigen Fälle, in welchen bei Personenaufnahmen andere Personen als Beiwerk erscheinen und sonstige Bilder, die nicht eine Landschaft oder andere Örtlichkeit zeigen123. Demzufolge ist der sich einprägende Gehalt der Abbildung nicht die Personenabbildung an sich, sondern eine Landschaft, ein Gebäude oder eine sonstige Umgebung, hinter die der vermeintlich Betroffene zurücktritt. Unbeachtlich für die Einordnung als Beiwerk iSd § 23 Abs 1 Nr 2 KUG ist der Wille 57 des Fotografen oder des Abgebildeten. Entscheidend ist der Gesamteindruck, den das konkrete Bild vermittelt. Als Faustformel gilt: Kann die Personenabbildung entfallen, ohne dass der Charakter der Aufnahme verändert wird, ist die Abbildung des Betroffenen lediglich als Beiwerk einzuordnen124. Erste Anhaltspunkte dafür sind die Größe des Abgebildeten und dessen Position im Raum 125. So ist grds von einem Beiwerk auszugehen, wenn der Betroffene nur am Rande oder im Hintergrund zu erblicken ist, oder er derart klein im Verhältnis zu den anderen Bildbestandteilen erscheint, dass der Betrachter erst bei genauem Hinsehen Kenntnis von ihm nimmt. Zum Teil wird auch darauf abgestellt, ob die einzelne Person nur „bei Gelegenheit“ auf der Abbildung einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten erscheint, oder ob sie aus der Anonymität herausgelöst wird 126. 117 118 119 120
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LG Berlin ZUM-RD 2007, 418, 420. BVerfG NJW 2000, 1021, 1023. BGH GRUR 2007, 899, 901. BGH NJW 2007, 1977, 1980 (Nr 28) – Caroline von Hannover; krit dazu Klass ZUM 2007, 818, 824, sowie Söder ZUM 2008, 89, 93. BVerfG NJW 2008, 1793, 1801 – Caroline von Hannover. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 47. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 47.
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OLG München ZUM 1997, 390 – Schwarzer Sheriff; OLG Oldenburg NJW 1989, 400; OLG Karlsruhe GRUR 1989, 823 – Unfallfoto; Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 27; Dreier/Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 17; Schricker/Götting § 23 KUG Rn 18. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 27. LG Oldenburg GRUR 1986, 464, 465; Schricker/Götting § 23 KUG Rn 18.
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Auf Abbildungen, auf denen die betroffene Person als Unbekannter zufällig neben einer Person der Zeitgeschichte zu sehen, aber nach den genannten Kriterien nicht in die Kategorie Beiwerk einzuordnen ist, wird zum Teil eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 Nr 2 erwogen 127. Dem ist aber schwer zu folgen. Da die Rechtsprechung schon die Zulässigkeit von Abbildungen Verwandter von Personen der Zeitgeschichte verneint, wenn sie selbst nicht Personen der Zeitgeschichte sind 128, kann eine analoge Anwendung bei zufällig mit Abgebildeten nicht richtig sein. Zum anderen handelt es sich gerade nicht um Fälle des § 23 Abs 1 Nr 2 KUG, da es sich dabei in nahezu allen Fällen um Personenbildnisse handeln dürfte. Ist ein Personenbildnis in die Abbildung einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit 59 eingefügt worden, entfällt die Privilegierung, weil es augenscheinlich auf die Abbildung der eingefügten Person ankommt 129. Von § 23 Abs 1 Nr 2 KUG ebenfalls nicht gedeckt sind vergrößerte Bildpartien, die aus einem anderen Bild herausgeschnitten wurden130.
III. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen 60
Unter die Abbildungsfreiheit fallen auch Aufnahmen von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, weil dabei nicht das Abbild des Einzelnen, sondern das Gesamtgeschehen im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Da das Abbild des Einzelnen erst dann nicht mehr im Fokus des Betrachters steht, wenn er aus der Menge nicht mehr herausgehoben werden kann, ist eine ausreichend große Anzahl von Personen notwendig. Wie im Fall des § 23 Abs 1 Nr 2 KUG kommt dem Gesamteindruck wiederum eine maßgebliche Bedeutung zu. Grund für die Ausnahme von § 22 KUG ist, dass nicht einzelne Personen, sondern ein Vorgang gezeigt werden soll. Gegenstand und Zweck des Bildes ist die Darstellung des Geschehens, nicht die Darstellung der Personen, die an dem Geschehen teilgenommen haben131. Die abgebildeten Personen müssen an der Versammlung usw teilgenommen haben. 61 Ob die Personen sich zu dem Vorgang geplant zusammengetroffen haben, ist ohne Belang. Deshalb fallen auch zufällige Menschenansammlungen unter § 23 Abs 1 Nr 3 KUG. Wegen des Tatbestandmerkmals der Teilnahme an einer Versammlung wird man jedoch fordern müssen, dass die Mehrzahl der Personen, die an dem Vorgang teilnehmen, den kollektiven Willen haben, etwas Gemeinsames zu tun132. Daran fehlt es, wenn einige Personen, die sich nicht kennen, unabhängig voneinander, aber gleichzeitig ein Sonnenbad in einem öffentlichen Park nehmen133 oder wenn Fahrgäste eines Verkehrsmittels fotografiert werden, die nur durch den Vorgang des Reisens miteinander verbunden sind. Teilweise wird daraus abgeleitet, dass im Falle von Demonstrationen die Abbildung 62 von Polizeibeamten durch diese Vorschrift nicht gedeckt sei, weil sie nicht als Teilnehmer, sondern zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben anwesend seien, ihnen also der mit den Demonstranten übereinstimmende kollektive Wille fehle134. Doch die Aufnahme des Polizeieinsatzes muss erlaubt sein, soweit sie den Vorgang an sich erfasst. Unzulässig dagegen sind Aufnahmen, deren optischer Schwerpunkt nicht den Vorgang der Demons127 128 129 130
Dreier/Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 16. Zur Begleiterrechtsprechung vgl Dreier/ Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 10. BGH NJW 1961, 558 – Familie Schölermann. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 28; Schricker/Götting § 23 KUG Rn 19.
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OLG München ZUM 1997, 391 – Schwarzer Sheriff. OLG München NJW 1988, 915 – Nackt im Park; aA Helle 168 f. OLG München NJW 1988, 915 – Nackt im Park. Rebmann AfP 1982, 189, 193.
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tration abbildet, sondern die Darstellung einzelner beteiligter Demonstranten und Polizeibeamten135. Ausnahmsweise sind jedoch solche Aufnahmen von spektakulären Polizeieinsätzen zulässig, auf denen einzelne Beamte und Demonstranten erkennbar sind, soweit sie für das Geschehen repräsentativ sind und keine berechtigten Interessen iSd § 23 Abs 2 KUG der Veröffentlichung entgegenstehen. Bei Ausschreitungen können die Teilnehmer von Demonstrationen auch als relative Personen der Zeitgeschichte anzusehen sein, wodurch ihre Abbildung nach § 23 Abs 1 Nr 1 KUG gedeckt sein kann136. Dass die Versammlung vollständig gezeigt wird, kann nicht gefordert werden, zumal das oft unmöglich wäre. Die Wiedergabe eines Ausschnitts ist allerdings nur dann zulässig, wenn dieser einen repräsentativen Eindruck des Geschehens vermittelt137. Das ist dann nicht der Fall, wenn lediglich einzelne Personen gezeigt werden138. Nicht umfasst von § 23 Abs 1 Nr 3 KUG sind private Veranstaltungen und Veranstaltungen wie Beerdigungen oder Hochzeiten, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit, sondern im engeren (Familien-)Kreis stattfinden. Zwar handelt es sich in diesen Fällen um einen Vorgang in der Öffentlichkeit im Sinne der Vorschrift139. Doch gerade bei Trauerfeiern wird in der Regel den Angehörigen das Recht eingeräumt werden müssen, die Öffentlichkeit auszuschließen und damit eine Bildberichterstattung zu verhindern, insbesondere wenn der Verstorbene dies gewünscht hat 140, ebenso im Falle eines tragischen Todes 141. Dieser Teilnehmerschutz gilt auch dann, wenn der Verstorbene in der Öffentlichkeit gestanden hat oder wenn am Beerdigungsvorgang aufgrund besonderer Umstände ein Informationsinteresse besteht. Dies ergibt sich aus einer Interessenabwägung im Rahmen des § 23 Abs 2 KUG zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Interessen des Betroffenen am Schutz seiner Privatsphäre, denn die Angehörigen – insbesondere die eines Verbrechensopfers – haben einen nach § 23 Abs 2 KUG zu achtenden Anspruch darauf, dass ihre Trauer respektiert und nicht zum Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gemacht wird 142. Ob § 23 Abs 1 Nr 3 KUG auf Bilder, die das Typische einer Sportart herausstellen sollen und dabei notwendig Personen zeigen, anwendbar ist, hat der BGH bislang offen gelassen143. Die Abbildung einzelner Personen des Vorgangs ist nach hM unzulässig 144. Nach dieser Auffassung wäre auch das Herausgreifen einzelner Personen, die Sportveranstaltungen besuchen, um sie als Beispiel für das Spektakel bzw exemplarisch ihre Emotionen bzgl einer Szene oder der ganzen Veranstaltung zu zeigen, unzulässig. Teilweise wird diese Ansicht jedoch als zu eng betrachtet. Wie bei Demonstrationen seien die Betroffenen für das Geschehen repräsentativ, zusätzlich werde das Persönlichkeitsrecht des einzelnen Abgebildeten dabei nicht nachhaltiger beeinträchtigt als bei einem Ausschnitt, der neben ihm auch noch andere Teilnehmer zeigt 145. Außerdem könne man in solchen Fällen von einer stillschweigenden Einwilligung ausgehen, da der Abgebildete als Teilnehmer einer Veranstaltung wisse, dass bei solchen Veranstaltungen üblicherweise derartige Aufnahmen angefertigt werden146. Soweit man der zweiten Auf135 136 137
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Soehring Rn 21.13. So Jarass JZ 1983, 280; Wenzel/von StroblAlbeg Kap 8 Rn 52. OLG Hamburg GRUR 1990, 35; Wenzel/ von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 51; Damm/Rehbock Rn 205. OLG München NJW-RR 1996, 93 – Tochter von Anne-Sophie Mutter. LG Köln AfP 1994, 246; offen gelassen von LG Köln NJW 1992, 443.
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Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 53. LG Köln NJW 1992, 443. LG Köln NJW 1992, 443. BGH NJW 1979, 2203, 2205 – Fußballtorwart. Soehring Rn 21.13; Schricker/Gerstenberg/ Götting § 23 KUG Rn 22; Prinz/Peters Rn 872. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 51. Damm/Rehbock Rn 205.
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fassung folgt, ist jedoch zu beachten, dass dennoch berechtigte Interessen des Herausgegriffenen nach § 23 Abs 2 KUG entgegenstehen können.
IV. Höheres Interesse der Kunst 67
Gem § 23 Abs 1 Nr 4 KUG bedarf es keiner Einwilligung bei der Verbreitung und Veröffentlichung von Bildnissen, die nicht auf Bestellung angefertigt worden sind, wenn sie einem höherem Interesse der Kunst dient. Die Vorschrift, die in der Praxis kaum eine Rolle spielt 147, betrifft in erster Linie Bildstudien. Nach verbreiteter Meinung sind Fotografien, soweit sie künstlerisch anspruchsvoll sind, in die Ausnahmeregelung mit einzubeziehen148, ebenso wie andere künstlerisch gefertigte Bildnisse. Bedeutung kann der Vorschrift insbesondere dann zukommen, wenn die – künstlerisch – abgebildeten Personen nicht in einem zeitgeschichtlichen Zusammenhang auftreten und deshalb § 23 Abs 1 Nr 1 KUG nicht anwendbar ist. Der Ausschluss von auf Bestellung gefertigten Bildern erschien wegen des besonderen 68 Vertrauensverhältnisses als gerechtfertigt 149. Ein Personenbildnis dient dem Interesse der Kunst, wenn es in kunstgemäßer Weise verbreitet wird, etwa in Form einer Ausstellung 150. Letztlich kommt es dabei allein auf die Zweckbestimmung an 151. Ein gleichzeitiges – wenn auch nicht überwiegendes – wirtschaftliches Interesse an der Verbreitung und Veröffentlichung schadet nicht 152, denn es würde die zu schützenden Interessen der Kunst und der Künstler allzu sehr einschränken153. Der Anwendungsbereich des ursprünglich nur auf künstlerische Bildnisstudien ge69 münzten § 23 Abs 1 Nr 4 KUG muss aus heutiger Sicht weiter gefasst werden. Grundlage für die Auslegung des § 23 Abs 1 Nr 4 KUG ist heute der Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichtes. Danach reicht es für das Vorliegen eines Kunstwerks aus, dass bei formaler typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktypes erfüllt sind 154. Demzufolge ist es geboten, jedwede Form von Bildnissen, unabhängig vom Werktyp, als ein Kunstwerk anzusehen, welches zu künstlerischen Zwecken verbreitet wird. Nach diesem weiten Kunstbegriff ist § 23 Abs 1 KUG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 5 Abs 3 GG auf sämtliche Werktypen auszuweiten, die Personen abbilden können. Somit ist der Anwendungsbereich des § 23 Abs 1 Nr 4 eröffnet für Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Karikaturen von Personen, für die dreidimensionale Abbildung (zB Plastiken), für künstlerisch Anspruchsvolle Fotografien, sofern sie nicht vorrangig der Berichterstattung dienen, aber auch der Darstellung von Lebensbildern im Film, auf der Bühne und in der Literatur 155. § 23 Abs 1 Nr 4 KUG ist auf die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von 70 Bildnissen zu wissenschaftlichen Zwecken analog anzuwenden 156. Soweit es sich um die 147
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Schertz GRUR 2007, 558; Damm/Rehbock Rn 210; Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 51; für Medienveröffentlichungen ebenso Osiander 57. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 54; anders noch die Gesetzesbegründung, wohl aber wegen der geringen Verbreitung der Fotografie zu dieser Zeit, vgl Schertz GRUR 2007, 558, 560. Vgl Zitat aus der Gesetzesbegründung bei Schertz GRUR 2007, 588, 560.
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Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 54. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 33. Schricker/Götting § 23 KUG Rn 72. OLG München ZUM 1997, 388. BVerfGE 67, 213, 226. Ausf zur Thematik Schertz GRUR 2007, 558. LG Hannover ZUM 2000, 970; Wandtke/ Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 33; Schricker/Götting § 23 KUG Rn 32; aA Dreier/Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 24.
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Berechtigte Interessen des Abgebildeten
Verbreitung von Bildnissen zu wissenschaftlichen Zwecken handelt, kommen bspw Bildnisse in juristischen Publikationen in Betracht 157, oder insbesondere auch Abbildungen von Kranken in medizinischen Lehrbüchern. In den meisten der hier in Frage kommenden Fälle wird es für den wissenschaftlichen Zweck allerdings nicht erforderlich sein, dass die Person des Abgebildeten erkennbar ist. Jedenfalls sind die berechtigten Interessen des Abgebildeten zu beachten.
§5 Berechtigte Interessen des Abgebildeten Die Abbildungsfreiheit gilt nicht grenzenlos. Auch Personen der Zeitgeschichte haben 71 einen natürlichen Anspruch darauf, dass die Öffentlichkeit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nimmt. Die berechtigten Interessen des Dargestellten können in verschiedener Weise beeinträchtigt sein, nicht nur durch Verletzung seiner Privat- oder Intimsphäre, sondern auch durch die Art der Verbreitung, eine tendenziös negative Darstellung oder die Verwendung des Bildnisses für fremde wirtschaftliche Interessen, insbesondere in der Werbung, so dass in jedem Fall eine Abwägung der gegenläufigen Interessen im Einzelfall erfolgen muss. Von Bedeutung kann dabei auch sein, ob das Bild unter Ausnutzung von Heimlichkeit oder von technischen Mitteln, die dem gleich kämen, zu Stande gekommen ist 158. Eine absolute Grenze für die Bildnisverwendung stellt die Verletzung der in Art 1 Abs 1 GG geschützten Menschenwürde dar159. Mithin kommt es bei der Frage, ob ein Bildnis aus einem zeitgeschichtlichen Zusammenhang abgebildet werden darf, zu einer zweifachen Abwägung: Zunächst ist im Rahmen von § 23 Abs 1 Nr 1 KUG durch eine Gegenüberstellung von Interessen festzustellen, ob überhaupt ein Ereignis der Zeitgeschichte vorliegt, und dann ist im Rahmen von § 23 Abs 2 KUG festzustellen, ob das Interesse der Allgemeinheit oder das Persönlichkeitsrecht überwiegt.
I. Kommerzielle Bildnisverwertung Die Abbildungsfreiheit setzt voraus, dass die Bildveröffentlichung schutzwürdigen 72 Informationsinteressen der Allgemeinheit dient und keine berechtigten Interessen des Betroffenen iSv § 23 Abs 2 KUG der Nutzung entgegenstehen160. Eine Bildnisnutzung allein zu Werbezwecken161 unterfällt dagegen nicht dem Privileg des § 23 Abs 1 KUG, so dass sich eine Abwägung nach § 23 Abs 2 KUG erübrigt 162. Eine Abwägung im Rahmen von § 23 Abs 2 KUG hat nur dann zu erfolgen, wenn mit der Veröffentlichung des Bildnisses nicht nur kommerzielle Interessen verfolgt werden, sondern mit dem Bildnis ein gewisser, wenn möglicherweise auch nicht sehr bedeutender Informationswert für die
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Maaßen ZUM 2003, 830, 840; Wandtke/ Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 33. BGH GRUR 2007, 523, 526 – Abgestuftes Schutzkonzept. Schertz GRUR 2007, 558, 564. BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. Zur Entwicklung der Rechtsprechung zur
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Werbung und ihr Verhältnis zur Meinungsfreiheit vgl Weberling/Wallraf/Deters/Soehring/Link 285. So auch Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 46; zur Verwendung von Bildnissen in der Werbung vgl auch Teil 6 Kap 2 § 4.
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Kapitel 3 Bildnisschutz
6. Teil
Öffentlichkeit verbunden ist 163. Ausnahmen von diesem Grundsatz können dann gegeben sein, wenn andere grundrechtlich geschützte Interessen betroffen sind, namentlich, wenn von Medien ein Werbezweck für die eigenen Publikationen verfolgt wird, der am Schutz von Art 5 Abs 1 S 2 GG teilhat164, oder zu den kommerziellen Interesse des Bildverwerters gleichzeitig das Recht der freien Meinungsäußerung (Art 5 Abs 1 GG) tritt 165. 1. Werbung
73
Für den Umgang mit Bildnissen von Personen in der Werbung gilt, dass grds nicht das schutzwürdige Interesse der Öffentlichkeit im Vordergrund steht, sondern die eigenen kommerziellen Interessen des Werbenden166. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass die Werbung durch die tatsächliche Nutzung der Darstellung einer Person erfolgt. Dies ist aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters zu beurteilen167 und dann der Fall, wenn mit einem konkreten Bildnis für ein konkretes Produkt geworben und der angesprochenen Zielgruppe des Werbenden der Eindruck vermittelt wird, die abgebildete Person stehe zu diesem Produkt, empfehle es und stelle als Anreiz zum Kauf der Ware oder Dienstleistung sein Bild zur Verfügung168. An einer solchen Verknüpfung fehlt es jedenfalls dann, wenn die abgebildete Person nur zufällig zu sehen ist169. Demzufolge wäre jede Art der Werbung mit Abbildungen prominenter Personen ohne deren Zustimmung unzulässig, wenn der Eindruck vermittelt wird, die abgebildete Person stehe für das umworbene Produkt. Diese simple Abgrenzung von zulässiger zu unzulässiger Werbung mit Fotos Prominenter wirft in der postmodernen Mediengesellschaft freilich vielschichtige Probleme auf, die nunmehr auch die Rechtsprechung veranlasst haben, in mehreren Entscheidungen eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person vorzunehmen170. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit der abgebildeten Person des öffentlichen Lebens tatsächlich Nachteile aus der ungenehmigten Veröffentlichung entstehen. Werbung im klassisch verstandenen Sinne, also die Anpreisung der Vorzüge des jewei74 ligen Produktes hinsichtlich der Qualität, des Preises oder anderer materieller Werte, stellt die werbenden Unternehmen in der globalen Warenvielfalt oftmals vor das Problem, das eigene Produkt nicht von anderen Erzeugnissen klar abgrenzen bzw hervorzuheben zu können. Im Zentrum der modernen Werbung steht daher im zunehmenden Maße der Transfer eines ganz besonderen Images oder Lifestyles. Wo einst das Produkt im Mittelpunkt der Werbung stand, steht heute der Konsument. Es stellt sich nicht die Frage, was man kauft, sondern wer was kauft. Die Marke gewinnt in demselben Tempo gegenüber dem eigentlichen Produkt eine immer größere Bedeutung. Personen der Medienöffentlichkeit, insbesondere Politiker, Schauspieler, Fernsehgrößen oder sonstige Prominente, verstehen es nicht selten, das verkaufte Image oder in der Werbung enthaltene Botschaften für die eigenen Interessen zu nutzen171. Sie stehen stets vor der Abwägung zwischen der Aufgabe von Teilen ihres Persönlichkeitsrechts, hier dem Recht am eigenen
163 164 165 166 167
BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 95. BGH GRUR 2007, 139, 141 – Rücktritt des Finanzministers. BGH GRUR 1956, 427 – Pauk Dahlke. BGH NJW-RR 1995, 789 – Kundenzeitschrift; LG Hamburg GRUR 2007, 143 – Lizenzgebühr für Joschka Fischer.
1606
168 169 170
171
BGH NJW-RR 1985, 789 – Kundenzeitschrift. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 1. BGH GRUR 2007, 139 – Rücktritt des Finanzministers; LG Hamburg GRUR 2007, 143 – Lizenzgebühr für Joschka Fischer. Ausf Ladeur ZUM 2007, 111.
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§5
Berechtigte Interessen des Abgebildeten
Bild, und dem Gewinn an Aufmerksamkeit im öffentlichen Leben. Zum Teil wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass die Rechtsprechung diese Art der Abwägung zwischen gewonnener Aufmerksamkeit und ungenehmigter Werbung bei der Beurteilung des konkreten Falles berücksichtigen muss172. Demnach könne die abgebildete Person, nachdem ihr die durch die Werbung zugefallene Aufmerksamkeit zugute gekommen ist, im Nachhinein nicht die weitere Werbung mit ihrem Bildnis untersagen oder eine fiktive Lizenzgebühr einfordern, da ihr faktisch keine Nachteile entstanden seien173. So, wie sich die klassischen Konturen der Werbung als solche verändern, verschwim- 75 men auch die Grenzen zwischen kommerzieller Werbung und nichtkommerzieller Meinungsäußerung, wie die heiß diskutierten „Benetton“-Urteile 174 zeigen. Ist Werbung mit einer Meinungsäußerung verbunden, so kann sie trotz des kommerziellen Textes der Reklame durch die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art 5 Abs 1 GG gedeckt sein, wenn die eigentliche Aussage relativ weit entfernt von der Werbung für das Produkt oder die Leistung anzusiedeln ist175. Nicht gedeckt sind auch in dieser Konstellation ehrverletzende oder herabsetzende Äußerungen oder Darstellungen. Zwar ist es richtig, dass Werbung in der postmodernen Gesellschaft immer neue 76 Erscheinungsformen hat, doch allen Typen wohnen die strategisch-kommerziellen Interessen inne. In vielen Mischformen – wie zB dem Product Placement in vielen TV- und Kinoproduktionen, Printmedien und Onlineangeboten – liegt regelmäßig die Zustimmung des Werbeträgers vor, sei es aus kommerziellen (zB Unterstützung einer Filmproduktion) oder aus ideellen Interessen (Vereinnahmung des Images einer Marke). Der Werbende, der unter dem Deckmantel der Meinungsäußerung das Bildnis einer Person der Zeitgeschichte verwendet, dürfte regelmäßig in erster Linie seine kommerziellen Interessen verfolgen. Die Person der Zeitgeschichte dient dazu als Blickfang und wird so – wenn sie sich auch offensichtlich nicht mit dem Produkt identifiziert – selbst zum Mittler der beworbenen Ware. Der Werbende nutzt in diesem Fall die Popularität der abgebildeten Person für seine eigenen kommerziellen Interessen. Die Meinungsäußerung tritt dem gegenüber in den Hintergrund. Niemand braucht sich gefallen zu lassen, auf diese Weise zu Werbezwecken eingesetzt zu werden, auch wenn durch die Montage der Werbung das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art 5 Abs 1 GG ausgeübt wird. Das Interesse des Betroffenen überwiegt bei der Abwägung die mit der Abbildung gleichzeitig ausgeübte Meinungsäußerung. Damit ist bei der werblichen Verwendung von Bildnissen grds eine Einwilligung des Abgebildeten erforderlich176. 2. Publizistische Eigenwerbung, Blickfangwerbung Eine eigene Fallgruppe im Bereich der Werbung mit Bildnissen Prominenter stellt die 77 publizistische Eigenwerbung dar. Zwei Kategorien sind hier zu unterscheiden: Zum einen die Abbildung einer Person der Zeitgeschichte auf dem Titelblatt einer Zeitung oder Zeitschrift, die dem Zweck dient, potenzielle Kunden für das Presseprodukt zu interessieren. Wird in der Zeitung über die abgebildete Person der Zeitgeschichte berichtet, besteht ein Informationsinteresse der Allgemeinheit, über die auf dem Cover dargestellte Person mehr zu erfahren. Fehlt ein redaktioneller Beitrag zu der Person, dient die Abbil172 173 174
Ladeur ZUM 2007, 111 ff. Ladeur ZUM 2007, 111 ff. BVerfGE 102, 347 – Schockwerbung I; BVerfGE 107, 275 – Schockwerbung II.
175 176
BGH GRUR 2007, 139, 141 – Rücktritt des Finanzministers. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 42.
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dung allein dem kommerziellen Interesse und kann nicht den Schutz der Pressefreiheit aus Art 5 Abs 1 S 2 GG erfahren. Zum anderen muss Werbung für das Presseerzeugnis nicht im Presseerzeugnis selbst 78 erfolgen. Es genügt für den Schutz aus Art 5 Abs 1 S 2 GG, dass die Werbung für das Presseerzeugnis dieses der Öffentlichkeit vorstellt und dabei Art und Gegenstand der Berichterstattung so ankündigt, dass die Öffentlichkeit von der Berichterstattung Kenntnis erlangt und dadurch die Informationsgelegenheit wahrnehmen kann177. Das Bild muss keinerlei Bezug zu dem Bericht selbst haben, es sei denn, die Person der Zeitgeschichte muss durch die Abbildung eine größere Einschränkung ihrer Persönlichkeitsrechte hinnehmen als sie durch den Bericht im redaktionellen Teil schon erfährt178. Vorstellbar ist dies jedoch nur, wenn die Abbildung als solche schon aus anderen Gründen unzulässig wäre.
II. Durch das Bildnis betroffene Sphäre 79
Ebenso ist zu berücksichtigen, aus welcher Sphäre des Abgebildeten das Bildnis, welches verwendet werden soll, stammt179. So ist die Verwendung eines Bildnisses, das unter Verletzung der Privat- oder Intimsphäre entstanden ist, grds nach einer Abwägung im Rahmen von § 23 Abs 2 KUG unzulässig180. Demgegenüber haben die Interessen des Betroffenen immer weniger Gewicht, je näher die Bildnisse an die Öffentlichkeitssphäre rücken. Welche Sphäre durch ein Bildnis betroffen ist, lässt sich abschließend nur im jeweiligen Einzelfall beurteilten. Die Rechtsprechung hat wiederholt ausgeführt, dass zum Schutz der Privatsphäre in 80 jedem Fall der häusliche Bereich einer Person gehört, sie aber nicht auf diesen beschränkt ist181. Umfasst ist darüber hinaus auch der Bereich örtlicher Abgeschiedenheit, in der der Betroffene auf sein Alleinsein vertraut und sich deshalb so verhält, wie er es in der Öffentlichkeit nicht würde182, wobei dem Punkt des Verhaltens nur eine Indizwirkung zukommen soll 183. Ein über einer öffentlichen Straße befindlicher Balkon einer Privatwohnung im Zentrum Berlins gehört nicht notwendig zum Bereich der geschützten Privatsphäre, sofern er nicht besonders gegen Einblicke geschützt ist und damit von der Straße aus eingesehen werden kann184. Als geschützte Bereiche der Privatsphäre sah die Rechtsprechung bisher bspw das 81 Baden an einem Strand an, der nur vom Wasser aus zugänglich war 185, darüber hinaus die verborgene Atmosphäre eines unvollkommen beleuchteten Gartenlokals186, nicht hingegen gewöhnliche Restaurantbesuche 187 sowie das Spazierengehen mit einem Kleinkind in Berlin 188. Auch wenn ein Bereich der Privatsphäre betroffen ist, so kann das Individualinteresse 82 des Abgebildeten dennoch hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurück177 178 179 180
181
BGH GRUR 2002, 690 – Marlene Dietrich II. BGH GRUR 2002, 690 – Marlene Dietrich II. Zu den einzelnen Sphären vgl Teil 6 Kap 1 § 4. Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 56; Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 35; Dreier/Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 27. BVerfG GRUR 2000, 446, 450 – Caroline von Monaco; BGH GRUR 1996, 923, 925 – Caroline von Monaco II.
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182 183 184 185 186 187 188
BGH GRUR 1996, 923, 926 – Caroline von Monaco II. BVerfG GRUR 2000, 446, 453 – Caroline von Monaco. KG ZUM-RD 2008, 1, 3. LG Hamburg ZUM 1998, 852, 859. BGH GRUR 1996, 923, 926 – Caroline von Monaco II. BGH GRUR 1996, 923, 926 – Caroline von Monaco II. LG München I Urteil vom 7.5.2008, 9 O 22942/07.
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Berechtigte Interessen des Abgebildeten
treten. Dies ist bspw dann der Fall, wenn Prominente Exklusivverträge über die Berichterstattung aus ihrem Privatleben abgeschlossen haben. Durch dieses Verhalten machen die Betroffenen deutlich, dass sie auf den Schutz ihrer Privatsphäre weitgehend verzichten189; eine Verweigerung der Berichterstattung für Privates muss demgegenüber situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck kommen190. Als der Intimsphäre zugehörig sah die Rechtsprechung bspw Bilder an, die den Be- 83 troffenen nackt zeigten191, das Bild eines Wachkomapatienten192, sowie die Abbildung einer Leiche193. Anders als im Bereich der Privatsphäre kann im Bereich der Intimsphäre auch nicht von einer früheren Einwilligung bspw hinsichtlich Nacktaufnahmen darauf geschlossen werden, dass derartige Bilder auch künftig veröffentlicht werden dürfen194.
III. Heimliche Bildnisherstellung, Belästigung, Belagerung Eng mit den Sphären in Zusammenhang stehend ist auch die Frage, auf welche Art 84 und Weise Bildnisse hergestellt wurden. So ist bei einer Abwägung auch zu berücksichtigen, ob die Abbildung heimlich oder in belästigender Art und Weise, zB durch Belagerungen des Betroffenen, angefertigt wurden195. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht es für zweifelhaft hält, ob allein durch heimliche oder überrumpelnde Aufnahmen die außerhäusliche Privatsphäre verletzt werden kann196, so erkennt es an, dass Aufnahmetechniken, die die räumliche Abgeschiedenheit überwinden, bei der Abwägung im Rahmen des § 23 Abs 2 KUG zu berücksichtigen sind 197. Der BGH geht demgegenüber grds von einer Unzulässigkeit der heimlichen Herstellung von Aufnahmen sowie der Verwendung entsprechender technischer Mittel aus 198. Analog hierzu wird von einer Unzulässigkeit der Bildnisverwertung auch dann auszugehen sein, wenn der Betroffene auf Grund einer Belagerung durch Journalisten belästigt wird und dadurch sein alltägliches Verhalten anpassen muss199.
189 190
191 192 193 194 195
Schricker/Götting § 23 KUG Rn 95. Wandtke/Bullinger/Fricke § 23 KUG Rn 39; BVerfG GRUR 2000, 446, 450 – Caroline von Monaco; BGH GRUR 2005, 76, 78 – „Rivalin“ von Uschi Glas; krit Stürner JZ 2004, 1018, 1020; Dreier/Schulze/Dreier § 23 KUG Rn 31. BGH GRUR 1985, 398, 399 – Nacktfoto; LG München NJW 2004, 617. OLG Karlsruhe NJW-RR 1999, 1699 – Wachkomapatient. OLG Hamburg AfP 1983, 466 – Bombenattentäter. OLG Hamburg AfP 1982, 41 f – Heimliche Nackfotos. EGMR NJW 2004, 2647, 2650 (Nr 68) – Caroline von Hannover/Deutschland.
196 197
198
199
BVerfG GRUR 2000, 446, 453 – Caroline von Monaco. BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 f. So auch KG ZUM-RD 2008, 1, 4 für Teleobjektive. Das KG hat hier jedoch eine Überwindung von Hindernissen verneint, weil der fotografierte Balkon nicht zum Bereich der geschützten Privatsphäre gehörte. BGH NJW 2007, 1981 – Prinz Ernst August von Hannover; BGH NJW 2007, 1977, 1981 – Caroline von Hannover; ebenso – auch für überrumpelnde Aufnahmen – Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 8 Rn 77. KG NJW-RR 2007, 1196.
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6. Teil
§6 Ansprüche des Abgebildeten 85
Der unzulässig Abgebildete kann zivilrechtliche Ansprüche auf Beseitigung und Zahlung von Schadensersatz geltend machen200. Dabei kann zum einen §§ 1004 Abs 1 S 1, 823 Abs 2 BGB iVm § 22 KUG bzw Art 1 Abs 1, 2 Abs 1 GG zur Anwendung kommen. Daneben sind auch Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 Abs 1 BGB denkbar. Insoweit sind jedoch bei der Beurteilung die Wertungen des KUG zu berücksichtigen, so dass inhaltlich keine divergierenden Ergebnisse entstehen können. Für die Höhe des Schadensersatzanspruchs gelten auch bei der Verletzung des Rechts am eigenen Bild die Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung 201. 86 Weiterhin kommen auch Unterlassungsansprüche analog § 1004 Abs 1 S 2 BGB sowie Zahlungsansprüche aus §§ 812 Abs 1 S 1 Fall 2, 687 Abs 2 BGB in Betracht. Ein Schmerzensgeldanspruch kann sich aus Art 2 Abs 1, 1 Abs 1 GG ergeben 202. Soweit ein Zahlungsanspruch des Abgebildeten besteht, begründet dies auch einen – aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten – Auskunftsanspruch 203. 87 Daneben ergibt sich aus § 37 KUG ein Vernichtungsanspruch hinsichtlich der widerrechtlich hergestellten, verbreiteten und vorgeführten Exemplare sowie der Vorrichtungen, die ausschließlich zur widerrechtlichen Vervielfältigung oder Vorführung bestimmt sind. Alternativ kann anstelle der Vernichtung auch ein Herausgabeanspruch aus § 823, 1004 BGB bzgl der Fotos, Negative etc geltend gemacht werden 204. Soweit die Abbildung mit einer unwahren Tatsachenbehauptung verbunden ist, kann auch ein Gegendarstellungsanspruch nach den Landespressegesetzen bestehen 205.
I. Vorbeugender Unterlassungsanspruch 88
Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch ist § 1004 Abs 1 S 2 BGB. Zwar ist grds auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch denkbar, jedenfalls wenn mit der Veröffentlichung bereits angefertigter Aufnahmen zeitnah zu rechnen ist. Zu Recht hat der BGH jedoch entschieden 206, dass eine Klage keinen Erfolg haben kann, wenn die beanstandeten Bilder noch nicht einmal hergestellt wurden. Denn in diesem Fall ist die – immer notwendige – Abwägung, ob im Einzelfall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder das Individualrecht des Betroffenen überwiegt, noch nicht möglich. Zudem dürften je nach Formulierung des Klageantrags auch erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen Klage bestehen 207. 89 Eine Besonderheit besteht dann, wenn die Verbreitung in jedem nur denkbaren Fall unzulässig wäre 208. In einer solchen Situation kann sich auch schon ein Unterlassungsanspruch gegen die Anfertigung der Bilder ergeben, wobei aber alle Umstände des Einzelfalls im Wege einer Interessenabwägung zu würdigen sind 209. Allerdings bietet das KUG
200 201 202
203
Zu Ansprüchen im Medienrecht allgemein s Teil 1 Kap 4. Lettl WRP 2005, 1045, 1082. Ausf zur Schadensberechnung Teil 1 Kap 4 § 1 III 6. BGH NJW 1995, 861, 864 – Caroline von Monaco; BGH NJW 1996, 984, 985 – Caroline von Monaco. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 39.
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204 205 206 207 208 209
Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 9 Rn 4. Zum Presserecht vgl Teil 2 Kap 4. BGH VI ZR 265/06 und VI ZR 269/06, vgl PM des BGH Nr 170/2007. Ebenso KG ZUM-RD 2007, 53. KG NJW-RR 2007, 1196, 1199. KG NJW-RR 2007, 1196, 1198.
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§6
Ansprüche des Abgebildeten
insoweit keinen Schutz, weil § 22 KUG nur die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen reglementiert, die Herstellung – anders als in § 37 KUG – hingegen nicht gesondert aufgeführt wird. Ein solcher Anspruch kann sich daher nur aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben 210.
II. Lizenzanalogie Schon früh hat die Rechtsprechung zu Recht anerkannt, dass auch das Recht am eige- 90 nen Bild ein vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht darstellt 211. Damit spielt in der Praxis die Lizenzanalogie auch im Bereich des Bildnisschutzes eine entscheidende Rolle 212. Denn sie entbindet den Verletzten von der Pflicht, den erlittenen Schaden darzulegen und zu beweisen, und macht den Umfang nicht von einem – eventuell nicht einmal bestehenden – Gewinn des Verletzers abhängig. Anspruchsgrundlage ist insoweit § 812 Abs 1 S 1 Fall 2 BGB, denn durch die Verwertung des Bildnisses wird in ein Recht des Abgebildeten eingegriffen. Diesem steht nämlich, als Ausfluss seines Persönlichkeitsrechts, die freie Entscheidung darüber zu, ob und in welcher Weise er sein Bild verwerten will 213. Damit ist ein unter Umständen bestehender wirtschaftlicher Wert des Bildnisses auch nur dem Abgebildeten zugewiesen. 1. Lizenzbereitschaft und objektive Kommerzialisierbarkeit Allerdings schränkte die Rechtsprechung die Anwendbarkeit der Lizenzanalogie im 91 Bildnisschutzbereich auf Fälle ein, in denen eine Lizenzbereitschaft bestand 214. Damit blieb denjenigen ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht verwehrt, die einer Verwertung ihres Bildes zu kommerziellen Zwecken niemals zugestimmt hätten. Ob es ratsam ist, die gleichsam stärkste Form des Eingriffs in das Recht am eigenen Bild von der einfachsten Art der Entgeltberechnung auszunehmen, erscheint zweifelhaft. Zwar ist der Entscheidung zugute zu halten, dass ein Schaden des Abgebildeten insoweit nicht entstanden ist, als er eine kommerzielle Verwertung seines Bildes nicht beabsichtigte, und ihm insoweit keine Einnahmen entgehen konnten. Dies kann jedoch nur für die Berechnung des konkreten Schadens im Rahmen von §§ 249 ff BGB eine Rolle spielen. Für die Lizenzanalogie muss die Frage, ob eine Lizenzbereitschaft besteht, unberücksichtigt bleiben. Denn im Rahmen von § 812 BGB geht es darum, einen beim Bereicherten unverdienten Vermögenszuwachs auszugleichen. Es geht um die Sanktionierung einer Verletzungshandlung 215. Zu Recht hat daher der BGH nunmehr das Erfordernis der Lizenzbereitschaft des Verletzten aufgegeben 216. Zweifelhaft ist auch, ob eine objektive Kommerzialisierbarkeit den Kreis der An- 92 spruchsberechtigten einzuengen vermag 217. Denn schon die Verwendung des jeweiligen 210 211
212 213 214
Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 22 ff. BGH GRUR 1956, 427, 429 – Paul Dahlke. Zur Dogmatik der vermögensrechtlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts Schubert AfP 2007, 20. Ausf zur Lizenzanalogie bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Götting. LG Hamburg AfP 1995, 526, 527 – Nena. BGH GRUR 1958, 408, 409 – Herrenreiter. Krit Helle JZ 2007, 444, 451.
215 216
217
OLG München NJW-RR 1996, 539, 540 – Telefon-Sex-Foto. BGH GRUR 2007, 139, 140 f – Rücktritt des Finanzministers; ebenso LG Hamburg GRUR 2007, 143, 144. Dem BGH zust Balthasar NJW 2007, 664, 665. Krit zu diesem Merkmal Götting 65, 67 ff.
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Bildes spricht dafür, dass ein Auswertungsinteresse hieran besteht. Es ist daher nicht ersichtlich, warum der Kreis der Anspruchsinhaber verengt werden sollte auf Personen, die ihr Bildnis bereits einmal vermarktet hatten bzw jedenfalls Gelegenheit hierzu hatten. 2. Mitglieder der Bundesregierung
93
Einen Sonderfall stellt die Abbildung von Mitgliedern der Bundesregierung dar. Denn Art 66 GG schränkt deren Möglichkeiten, neben ihrem Regierungsamt bezahlten Tätigkeiten nachzugehen, erheblich ein 218. Diese Regelung erfasst alle auf privaten Erwerb gerichteten Tätigkeiten 219. Daraus könnte gefolgert werden, dass das Grundgesetz auch die Vermarktung des Images dieser Politiker unterbinden will, ähnlich wie dies durch § 7 Abs 7 RStV auch Nachrichtensprechern untersagt ist 220. Dem ist für aktive Regierungsmitglieder zu folgen. Denn diese sollen eine Seriosität ausstrahlen 221, die ihrem Amt gerecht wird, nicht aber durch die Vermarktung ihres Bildnisses Geld verdienen, zumal in den meisten Fällen der kommerzielle Wert der Abbildung vorrangig aus ihrer Regierungstätigkeit folgt. Zudem könnte zumindest der Verdacht entstehen, dass die Betroffenen in eine gewisse Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen treten 222. Schon in der Begründung der Norm wurde davon ausgegangen, dass Regierungsmitglieder von allen Bindungen frei sein müssen 223. Wenn dies aber für eine aktive Vermarktung des eigenen Bildnisses gilt, so muss es auch für aus unberechtigten Abbildungen folgende Zahlungsansprüche gelten. Denn insoweit besteht kein dem Politiker zugewiesenes Recht, in das der Abbildende eingegriffen haben könnte. Daher scheint es angemessen, Mitglieder der Bundesregierung allein auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zu verweisen. Zweifelhaft ist jedoch, inwieweit Art 66 GG auch für ehemalige Mitglieder der Bun94 desregierung ein derartiges Verbot statuiert. Unmittelbar ergibt sich eine Einschränkung aus dem Grundgesetz hier nicht, denn nach dem Ausscheiden ist der Betroffene eben kein Mitglied der Bundesregierung mehr. Dennoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass gerade Mitglieder der Bundesregierung gerade auf Grund ihres Amtes einen erhöhten Bekanntheitsgrad genießen. Wenn Art 66 GG ihnen verbietet, diesen während ihrer Amtszeit finanziell auszunutzen, so muss selbiges auch nach dem Ausscheiden aus der Regierung gelten. Denn Ansporn für ein Tätigwerden in einem derart wichtigen Amt darf nicht – auch nicht ansatzweise – die Aussicht sein, später durch die gewonnene Bekanntheit erhebliche Gewinne zu erwirtschaften, sondern allein die fachlich korrekte Führung des jeweiligen Aufgabenbereichs. Anders ist die unbehinderte, uneigennützige und unbestechliche Amtsausführung 224 nicht zu gewährleisten. Art 66 soll gerade dazu beitragen, Interessenkollisionen zu vermeiden 225. Es bestehen auch keine Bedenken, den Anwendungsbereich dieser Regelung im Wege einer Analogie auszuweiten 226.
218 219
220 221
Selbiges gilt gem Art 55 Abs 2 GG auch für den Bundespräsidenten. Dreier/Hermes Art 66 GG Rn 12; SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Brockmeyer Art 66 Rn 16; Sachs/Oldiges Art 66 GG Rn 13. In diesem Sinne Ladeur ZUM 2007, 111, 114. Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/ Brockmeyer Art 66 GG Rn 1 spricht vom
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222 223 224 225
226
öffentlichen Ansehen der Regierungsmitglieder. Ladeur ZUM 2007, 111, 114. Dreier/Hermes Art 66 GG Rn 2. Dreier/Hermes Art 66 GG Rn 5. Von Mangoldt/Klein/Starck/Epping Art 66 GG Rn 1; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf/Brockmeyer Art 66 GG Rn 1. Sachs/Oldiges Art 66 GG Rn 4.
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Ansprüche des Abgebildeten
Allerdings führte eine derartig strenge Argumentation dazu, dass letztlich Mitglieder 95 der Bundesregierung nach Ausscheiden aus dieser keine Anstellung mehr annehmen dürften. Denn es ist davon auszugehen, dass die erlangte Bekanntheit für den neuen Arbeitgeber zumindest eine mitentscheidende Rolle gespielt hat. Zudem wäre eine Vermarktung der eigenen Persönlichkeit für immer ausgeschlossen, auch wenn inzwischen andere Ereignisse eine (erneute) Popularität begründet haben. Sinnvoll erscheint es daher, die kommerzielle Vermarktung des Persönlichkeitsbildes dann zu erlauben, wenn die Erinnerung an die Regierungstätigkeit des betroffenen in der Bevölkerung verblasst ist. Wann dies der Fall ist, bleibt – wie auch beim Schutz der ideellen Interessen im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsrechts – einer Abwägung im Einzelfall vorbehalten 227. Jedenfalls steht Art 66 GG damit aber einer kommerziellen Bildnisvermarktung direkt nach dem Verlassen der Bundesregierung entgegen. In einem solchen Fall wäre daher schon aus diesem Grunde ein Anspruch aus § 812 BGB ausgeschlossen, weil keine vermögenswerte Position des Betroffenen verletzt wird. Dem stehen auch nicht die Grundrechte des Betroffenen entgegen, denn ihm steht weiterhin ein Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung zu, der für die Wahrung seiner Rechte ausreichend ist.
III. Vererblichkeit der Ansprüche Anders als die ideellen Interessen, die das Persönlichkeitsrecht schützt, sind dessen 96 vermögensrechtliche Bestandteile vererblich 228. Damit können die Erben die Verwendung des Abbildes des Erblassers gestatten, aber auch Schadensersatzansprüche bei der unberechtigten Veröffentlichung geltend machen. Allerdings bestehen für eine Verwertung des Bildnisses insoweit Grenzen, als die Erben diese nicht gegen den Willen des Erblassers vornehmen dürfen 229. Von der Vererblichkeit der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts 97 sind jedoch drei andere Problemstellungen zu unterscheiden. Zum einen ist die Frage, ob Abbildungen von Toten Gegenstand des Bildnisschutzes sind. Dies ist abzulehnen, weil das Persönlichkeitsrecht, welches durch das KUG ausgestaltet wird, mit dem Tod des Betroffenen untergeht 230. Daher werden später angefertigte Bilder nicht mehr vom Bildnisschutz erfasst 231. Zweitens kann unter Umständen die Menschenwürde des Abgebildeten, die auch nach seinem Tod fortwirkt, durch die Bildnisverwertung betroffen sein 232. Schließlich kann es auch zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung der Hinterbliebenen kommen, wenn diese durch die Bildnisverwertung in einen negativen Zusammenhang gebracht werden. Trotz der Vererblichkeit der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts 98 kann ein Erbe bei Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes keinen Schmerzensgeldanspruch geltend machen, weil eine Genugtuung für das verstorbene Opfer nach dessen Tod nicht mehr möglich ist 233.
227
228
229 230
Grds gegen eine Karenzzeit nach dem Ausscheiden aus der Regierung Sachs/Oldiges Art 66 GG Rn 4a. BGH NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; Götting 65, 74; Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 4. BGH NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. BVerfG NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto.
231 232 233
Wenzel/von Strobl-Albeg Kap 7 Rn 10 mwN. Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz vgl Teil 6 Kap 1 § 3 II. BGH GRUR 2006, 252, 253 – Postmortaler Persönlichkeitsschutz; vgl auch Teil 6 Kap 1 § 3 III.
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Kapitel 3 Bildnisschutz
6. Teil
IV. Dauer des Schutzes In seiner grundlegenden Marlene-Dietrich-Entscheidung hat der BGH dargelegt, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts hinsichtlich kommerzieller Interessen zeitlich nicht über den Schutz der ideellen Interessen hinausgehen kann. Einen Anhaltspunkt bildet insofern die in § 22 S 3 KUG enthaltene 10-Jahres-Frist; im Einzelfall sollen aber auch längere Fristen denkbar sein 234. Maßgebend für die Schutzdauer sollen die Bekanntheit und Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes sein 235, so dass ein Schutz auch noch 30 Jahre nach dem Tod möglich ist 236. In einer neueren Entscheidung weicht der BGH offensichtlich von dieser Linie ab, 100 indem er statuiert, die 10-Jahres-Frist aus § 22 S 3 KUG sei analog auf die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu übertragen 237. Zu Begründung führt das Gericht aus, es gebe ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, sich mit dem Leben und Werk einer bekannten Persönlichkeit auseinander setzen zu können. Zudem spreche für eine Analogie hier auch die Rechtssicherheit. Nach Ablauf der Frist gebe es nur noch einen Schutz der ideellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts. Diese Entscheidung fand Zustimmung 238, aber auch kritische Stimmen meldeten sich 101 zu Wort 239. Teilweise wird gefordert, parallel zur urheberrechtlichen Schutzfrist auch das Persönlichkeitsrecht 70 Jahre nach dem Tod des Betroffenen zu schützen 240; der Gesetzgeber müsse hier tätig werden, weil das Internet und ähnliche Massenmedien, die heute die Erinnerung an Personen länger wach halten, bei Erlass des KUG noch nicht existiert haben. Eine Fristverlängerung durch den Gesetzgeber sei insbesondere deswegen angebracht, weil nach jetziger Rechtslage das Bildnis eines Verstorbenen auch gewerblich genutzt werden könne und der Verwender sich allenfalls Unterlassungsansprüchen ausgesetzt sehe 241. Zu berücksichtigen ist aber, dass Göttings 242 Vergleich mit dem Urheberrecht nicht 102 so recht passt. Denn anders als der Urheber (oder Lichtbildner), der das Bildnis erstellt hat, war der Abgebildete an dessen Erschaffung weder schöpferisch noch technisch beteiligt. Dies rechtfertigt es, dem Urheber ein ausschließliches Verwertungsrecht an seinem Werk zuzugestehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum die Erben des Abgebildeten nach dessen Tod die Bildnisverwertung auch nach der 10-Jahres-Frist noch behindern können sollen 243. Zudem bleibt festzuhalten, dass – anders als das allgemeine Persönlichkeitsrecht – der Bildnisschutz in den §§ 22 ff KUG eine eindeutige Regelung erfahren hat. Auch wenn das KUG zu Recht nicht auf die Einwilligung der Erben, sondern der nächsten Angehörigen abstellt, so ist die gesetzgeberische Wertung, dass das Bildnis grds zehn Jahre nach dem Tod des Abgebildeten auch von Dritten verwendet werden darf, zu respektieren. Zwar mag das KUG vornehmlich die ideellen Interessen des Abgebildeten schützen. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Schutz vor kommerzieller Ausbeutung eines Bildnisses, die die Menschenwürde des Abgebildeten nicht verletzt, verfassungsrechtlich zwar nicht ausgeschlossen, aber eben auch nicht geboten ist 244.
99
234 235 236 237 238 239
BGH NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. BGH GRUR 1995, 668, 670 – Emil Nolde. BGH GRUR 1995, 668 – Emil Nolde. BGH GRUR 2007, 168 – kinski-klaus.de. Schack JZ 2007, 366. Zur Kritik insbesondere Reber GRUR Int 2007, 492.
1614
240
Götting GRUR 2007, 170. Götting GRUR 2007, 170. 242 Götting GRUR 2007, 170. 243 Ähnlich auch Dreier/Schulze/Dreier § 22 KUG Rn 30. 244 BVerfG NJW 2006, 3409 – Marlene Dietrich. 241
Ferdinand Grassmann/Sascha Begemann
§7
Bildnisschutz in der heutigen Zeit
Letztlich ist das Aufkommen der Massenmedien kein Phänomen der letzten Jahre, so 103 dass in der Nichtverlängerung dieser Frist ein planvolles Unterlassen des Gesetzgebers gesehen werden kann. Schließlich ist auch nur auf diese Weise die vom BGH angestrebte Rechtssicherheit zu erreichen. Wenn eine Verlängerung der postmortalen Schutzfrist gewünscht ist, so kann eine solche allein durch den Gesetzgeber vorgenommen werden. Auch in diesem Falle erscheint es jedoch sinnvoll, die Schutzdauer auf die Dauer einer Generation, also 25–30 Jahre nach dem Tod des Abgebildeten, zu beschränken 245.
V. Haftungsprivilegien Auch im Bereich des Bildnisschutzes kommen die allgemeinen Haftungsprivilegien in 104 Betracht, insbesondere nach dem TMG 246.
§7 Bildnisschutz in der heutigen Zeit Das KUG trat vor mehr als 100 Jahren in Kraft. Zu dieser Zeit war die Fotografie 105 zwar schon bekannt – erste Bilder, die chemisch hergestellt wurden, entstanden in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts – und ein Grund für die Verabschiedung des KUG 247, sie unterschied sich jedoch stark von dem, was die heutige Technik ermöglicht. Die Herstellung von Bildern war verhältnismäßig teuer und mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde begonnen, die Belichtungsmessung in die Aufnahmegeräte zu integrieren. Eine automatische Fokussierung kam erst 40 Jahre später in die Kameras. Heute sind Fotoapparate allgegenwärtig, sei es in Form kleiner Kompaktkameras, sei es integriert in Mobiltelefone. Dadurch hat sich die Gefahr, Gegenstand der Bildberichterstattung zu werden, stark erhöht248, zumal dies durch eine deutsche Boulevardzeitung noch forciert wird 249, auch wenn ausdrücklich um die Beachtung der Privatsphäre Dritter gebeten wird. Diesen Herausforderungen hat das KUG bisher erfolgreich standgehalten. Durch die 106 technikneutrale Formulierung kommt es nicht darauf an, ob ein Bildnis mit Ölfarben oder einer Digitalkamera aufgenommen wurde. Soweit keine Ausnahme des § 23 KUG eingreift, bleibt die Verbreitung und Veröffentlichung von der Einwilligung des Abgebildeten abhängig. Daher besteht auch keine Notwendigkeit, an dem Gefüge des KUG etwas zu verändern. Eine andere Frage betrifft jedoch die Rechtsfolgenseite, die aber das KUG selbst nicht 107 unmittelbar regelt. Denn wenn eine Person zu Unrecht zB auf der Webseite einer Zeitung abgebildet wird, besteht ua ein Anspruch auf Zahlung der üblichen Lizenz 250. Bei der Höhe dieser Lizenzzahlung müssen dann aber auch die veränderten Umstände berücksichtigt werden, so dass nicht unmittelbar auf ältere Entscheidungen zum KUG zurückgegriffen werden kann. Denn ein Bild, das auf einer Webseite veröffentlicht ist, kann auf der ganzen Welt abgerufen werden, und ist damit nicht vergleichbar mit dem Abdruck in 245 246 247 248
Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 11. Hierzu ausf Teil 5 Kap 1 § 6 III. Helle 45. So auch BVerfG vom 26.2.2008, 1 BvR 1602/07, Rn 46.
249
250
www.bild.t-online.de/BTO/news/ aktuell/2006/07/11/bild-leser-reporter/ anmeldung.html. Vgl oben Rn 90 ff.
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Kapitel 3 Bildnisschutz
6. Teil
einer Tageszeitung, die im Zweifel schon am nächsten Tag kaum noch Beachtung findet. Insofern kann als Grundlage für die Zahlung nicht die Lizenzierung eines Bildes für ein regionales oder nationales Blatt dienen, sondern es kommt auf die weltweite Verwertung des Bildnisses gerade auch im Internet an. Nur auf diesem Wege kann wirksam verhindert werden, dass in den Medien die Bildnisse von Personen, die nicht unter die Schranken des § 23 KUG fallen, ohne adäquate finanzielle Risiken auswerten.
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Ferdinand Grassmann/Sascha Begemann
Teil 7 Schutzrahmen von Medien
Kapitel 1 Datenschutzrecht Literatur Abel Rechtsfragen von Scoring und Rating RDV 2006, 108; Auernhammer Bundesdatenschutzgesetz 3. Aufl Köln ua 1993; Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt Entscheidungshilfe für die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer RDV 2004, 156; Beck’scher TKG Kommentar Telekommunikationsgesetz 3. Aufl München 2006 (zit BeckTKG-Komm/Bearbeiter); Bizer WebCookies – datenschutzrechtlich DuD 1998, 277; ders Vorratsdatenspeicherung: Ein fundamentaler Verfassungsverstoß DuD 2007, 586; ders Sieben goldene Regeln des Datenschutzes DuD 2007, 350; ders Was sind Telemedien? DuD 2007, 40; Böhme/Pfitzmann Digital Rights Management zum Schutz personenbezogener Daten? DuD 2008, 342; Breyer AGB und „Datenschutzerklärung“ eines Internetauktionshauses MMR 2006, 407; Dorn Lehrerbenotung im Internet – Eine kritische Würdigung des Urteils des OLG Köln vom 27.11.2007 DuD 2008, 98; Dörr/Schmidt Neues Bundesdatenschutzgesetz, Köln 1992; Duhr/Naujok/Peter/Seiffert Neues Datenschutzrecht für die Wirtschaft DuD 2002, 5; Eckhardt Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation – Auswirkungen auf Werbung mittels elektronischer Post MMR 2003, 557; ders Datenschutzerklärungen und Hinweise auf Cookies ITRB 2005, 46; Ehmann Strafbare Fernwartung in der Arztpraxis CR 1991, 293; Eichler Cookies – verbotene Früchte? K&R 1999, 76; Enzmann/Roßnagel Realisierter Datenschutz für den Einkauf im Internet CR 2002, 141; Fraenkel/Hammer Rechtliche Löschvorschriften DuD 2007, 899; Garstka Bestandsaufnahme über die Situation des Datenschutzes – „10 Jahre nach dem Volkszählungsurteil“ DuD 1994, 243; Gietl Das Schicksal der Vorratsdatenspeicherung DuD 2008, 317; Gola Die Einwilligung als Legitimation für die Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten RDV 2002, 109; Gola/Klug Grundzüge des Datenschutzrechts, München 2003; Gola/Schomerus Bundesdatenschutzgesetz 9. Aufl München 2007; Grützmacher Datenschutz und Outsourcing ITRB 2007, 183; Heidrich ua (Hrsg) Heise Online-Recht, Hannover 2008 (zit Heise Online-Recht/Bearbeiter); Heller Anmerkung zu OLG Köln, Urteil vom 27. November 2007 – 15 U 142/07 – spickmich.de ZUM 2008, 243; Holznagel/Bennekoth Radio Frequency Identification – Innovation vs Datenschutz? MMR 2006, 17; Ihde Cookies – Datenschutz als Rahmenbedingung der Internetökonomie CR 2000, 413; Jacob Perspektiven des neuen Datenschutzrechts DuD 2000, 5; Jandt Das neue TMG – Nachbesserungsbedarf für den Datenschutz im Mehrpersonenverhältnis MMR 2006, 652; Koehler Allgemeine Geschäftsbedingungen im Internet MMR 1998, 289; Kloepfer/Kutschbach Schufa und Datenschutzrecht MMR 1998, 650; Klug Die Vorabkontrolle – Eine neue Aufgabe für betriebliche und behördliche Datenschutzbeauftragte RDV 2001, 12; Koch Scoring-Systeme in der Kreditwirtschaft – Einsatz unter datenschutzrechtlichen Aspekten MMR 1998, 458; Köcher/Kaufmann Speicherung von Verkehrsdaten bei Internet-Access-Providern DuD 2006, 360; Kuner/Hladjk Die alternativen Standardvertragsklauseln der EU für internationale Datenübermittlungen RDV 2005, 193; Ladeur Datenverarbeitung und Datenschutz bei neuartigen Programmführern in „virtuellen Videotheken“ – Zur Zulässigkeit der Erstellung von Nutzerprofilen MMR 2000, 715; Lejeune Datentransfer in das außereuropäische Ausland ITRB 2005, 94; Mattke Adressenhandel – Das Geschäft mit Konsumentenadressen – Praktiken und Abwehrrechte, Frankfurt aM 1995; Meyer Cookies & Co. – Datenschutz und Wettbewerbsrecht WRP 2002, 1028; Möller/Florax Kreditwirtschaftliche Scoring-Verfahren – Verbot automatisierter Einzelentscheidungen gem. § 6a BDSG MMR 2002, 806; Möncke Data Warehouses – eine Herausforderung für den Datenschutz? DuD 1998, 561; Moritz/Tinnefeld Der Datenschutz im Zeichen einer wachsenden Selbstregulierung Jur-PC Web-Dok 181/2003; Niedermeier/Schröcker Asset-Tracking – datenschutzrechtlicher Zündstoff? CR 2002, 241; Nielen/Thum Auftragsdatenverarbeitung durch Unternehmen im Nicht-EU-Ausland K&R
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
2006, 171; Nordemann/Dustmann To Peer Or Not To Peer CR 2004, 380; Podlech/Pfeifer Die informationelle Selbstbestimmung im Spannungsverhältnis zu modernen Werbestrategien. RDV 1998, 139; Rasmussen Die elektronische Einwilligung im TDDSG DuD 2002, 406; Räther Datenschutz und Outsourcing DuD 2005, 461; Rittweger/Schmidl Einwirkung von Standardvertragsklauseln auf § 28 BDSG DuD 2004, 617; Roßnagel (Hrsg) Handbuch Datenschutzrecht, München 2003 (zit Roßnagel/Bearbeiter); Roßnagel/Scholz Datenschutz durch Anonymität und Pseudonymität – Rechtsfolgen der Verwendung anonymer und pseudonymer Daten MMR 2000, 721; Rössel Telemediengesetz – ein Zwischenschritt: neues Gesetz mit Novellierungsbedarf ITRB 2007, 158; Schaar Datenschutz im Internet, München 2002; ders Neues Datenschutzrecht für das Internet RDV 2002, 4; Schmitz Übersicht über die Neuregelung des TMG und des RStV K&R 2007, 135; Schröder Verbindliche Unternehmensregelungen – Binding Corporate Rules – Zur Verbindlichkeit nach § 4 II BDSG DuD 2004, 462; Simitis (Hrsg) Bundesdatenschutzgesetz, 6. Aufl Baden-Baden 2006 (zit Simitis/Bearbeiter); Spindler Das neue Telemediengesetz – Konvergenz in sachten Schritten CR 2007, 239; Spindler/Dorschel Auskunftsansprüche gegen Internet-Service-Provider CR 2005, 38; Splittgerber/Klytta Auskunftsansprüche gegen Internetprovider K&R 2007, 78; Steidle/Pordesch Im Netz von Google. Web-Tracking und Datenschutz DuD 2008, 324; Taeger Kundenprofile im Internet – Customer Relationsship Management und Datenschutz K&R 2003, 220; Taroschka „Auslandsübermittlung“ personenbezogener Daten im Internet CR 2004, 280; Weichert Biometrie – Freund oder Feind des Datenschutzes? CR 1997, 369; ders Datenschutz als Verbraucherschutz DuD 2001, 264; ders Datenschutzrechtliche Anforderungen an Verbraucher-Kredit-Scoring DuD 2005, 582; ders Datenschutzrechtliche Anforderungen an Data-Warehouse-Anwendungen bei Finanzdienstleistern RDV 2003, 113; ders Datenschutzrechtliche Probleme beim Adressenhandel WRP 1996, 522; Wichert Web-Cookies – Mythos und Wirklichkeit DuD 1998, 273; Wisskirchen Grenzüberschreitender Transfer von Arbeitnehmerdaten CR 2004, 862; Wittig Die datenschutzrechtliche Problematik der Anfertigung von Persönlichkeitsprofilen zu Marketingzwecken RDV 2000, 59; Witzel Organisatorische Pflichten beim Outsourcing im Bankenbereich ITRB 2006, 286; Woitke Informationsund Hinweispflichten im E-Commerce BB 2003, 2469; Wuermeling Neue Einschränkungen im Direktmarketing CR 2001, 303; Zilkens Europäisches Datenschutzrecht – Ein Überblick RDV 2007, 196; Zscherpe Anforderungen an die datenschutzrechtliche Einwilligung im Internet MMR 2004, 723; ders Datenschutz im Internet – Grundsätze und Gestaltungsmöglichkeiten für Datenschutzerklärungen K&R 2005, 264.
Übersicht Rn § 1 Grundlagen des Datenschutzes . . . I. Zweck und Grundprinzipien . 1. Datensparsamkeit/Datenvermeidung . . . . . . . . 2. Transparenz . . . . . . . . 3. Zweckbestimmung und Zweckbindung . . . . . . . 4. Sicherheit und Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Grundprinzipien . . II. Rechtsquellen und ihre Anwendbarkeit . . . . . . . . . . III. Begriffe . . . . . . . . . . . . 1. Personenbezogene Daten . . 2. Verwertungsarten . . . . . 3. Weitere datenschutzrechtliche Begriffe . . . . . . . . . . a) Verantwortliche Stelle, Empfänger und Dritte . b) Auftragsdatenverarbeitung . . . . . . . . . . c) Automatisierte Verarbeitung und Verbot auto-
1620
1–50 2–12 3 4–8 9, 10 11 12 13–16 17–48 17–28 29–36 37–48 37, 38 39–41
Rn matisierter Einzelentscheidungen . . . . . . d) Anonymisieren und Pseudonymisieren . . . . e) Mobile personenbezogene Speicher- und Verarbeitungsmedien . . . . . . IV. Medienprivileg – Datenschutz bei der Presse . . . . . . . . . § 2 Materielles Datenschutzrecht . . . . I. Gesetzliche Erlaubnistatbestände . . . . . . . . . . . 1. Nicht-öffentliche Stellen im BDSG . . . . . . . . . . a) Eigene Geschäftszwecke (§ 28 Abs 1 Nr 1–3 BDSG) . . . . . . . . . b) Andere Zwecke – Listenprivileg (§ 28 Abs 2–5 BDSG) . . . . . . . . . c) Spezialregelungen für sensitive Daten (§ 28 Abs 6–9 BDSG) . . . . .
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42, 43 44–46
47, 48 49, 50 51–114 52–96 53–77
53–60
61–65
66
§1
Grundlagen des Datenschutzes Rn
d) Geschäftsmäßige Datenerhebung und -speicherung zum Zweck der Übermittlung (§ 29 BDSG) . . . . . . . . . e) Geschäftsmäßige Datenerhebung und -speicherung zum Zweck der Übermittlung in anonymisierter Form . . . . . 2. Telemedien . . . . . . . . . a) Bestandsdaten . . . . . b) Nutzungsdaten . . . . . c) Abrechnungsdaten . . . d) Inhaltsdaten . . . . . . 3. Telekommunikation . . . . a) Bestandsdaten . . . . . b) Verkehrsdaten . . . . . c) Standortdaten . . . . . . 4. Rundfunk . . . . . . . . . II. Einwilligung . . . . . . . . . . a) Freie Entscheidung . . . . . b) Informierte Entscheidung . c) Schriftform . . . . . . . . . d) Besondere Hervorhebung . e) Elektronische Erklärung bei Telemedien und Telekommunikationsdiensten . . . . f) Widerruflichkeit . . . . . . g) Einwilligungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen . § 3 Betroffenenrechte . . . . . . . . . . I. Auskunft . . . . . . . . . . . II. Benachrichtigung . . . . . . . III. Widerspruch . . . . . . . . . IV. Unterlassung/Beseitigung/ Widerruf . . . . . . . . . . . V. Berichtigung/Gegendarstellung
Rn VI. Löschung/Sperrung . . . . . . VII. Vernichtung . . . . . . . . . . VIII. Schadensersatz . . . . . . . . 1. Vertragliche Ansprüche . . 2. Gesetzliche Ansprüche . . . § 4 Durchsetzung und Verfahren . . . . I. Aufsichts- und Kontrollinstanzen . . . . . . . . . . . II. Formelle Anforderungen an den Datenschutz in Medienunternehmen . . . . . . . . . . . . 1. Datenschutzbeauftragter . . a) Aufgaben und Befugnisse b) Eignung zum Datenschutzbeauftragten . . . c) Bestellung des Datenschutzbeauftragten . . . 2. Meldepflicht . . . . . . . . 3. Datengeheimnis . . . . . . III. Audit und Gütesiegel . . . . . IV. Ordnungswidrigkeiten/Strafrecht . . . . . . . . . . . . . § 5 Grenzüberschreitende Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mitgliedstaaten der EU bzw Vertragsstaaten des EWR . . . II. Staaten außerhalb der EU/EWR 1. Angemessenes Datenschutzniveau . . . . . . . . . . . 2. Zur Ausführung eines Vertrages erforderlicher Datenaustausch . . . . . . . . . 3. Standardvertragsklauseln . 4. Individueller Datenschutzvertrag . . . . . . . . . . 5. Code of Conduct . . . . . . 6. Safe Harbor . . . . . . . . 7. Einwilligung . . . . . . . .
67–73
74–77 78–88 79, 80 81, 82 83–87 88 89–95 90 91–94 95 96 97–114 99–101 102–105 106, 107 108
109–112 113 114 115–145 116–121 122–126 127–130 131, 132 133
134–139 140 141–145 141 142–145 146–179 146–152
153–168 153–162 156, 157 158–160 161, 162 163–167 168 169–170 171–176 177–192 180 181–192 182
183 184, 185 186, 187 188 189–191 192
„Daten sind das fundamentale Problem dieses Jahrhunderts. An unserem Umgang damit wird sich entscheiden, was aus uns Menschen wird.“ 1 Dieser Teil gibt eine Einführung in die vielfältige Welt des Datenschutzes, die die Welt der Papierakten bis hin zu Telekommunikationsdaten erfasst und möchte für den Umgang mit diesen wichtigen Daten sensibilisieren.
§1 Grundlagen des Datenschutzes Das Deutsche Datenschutzrecht nahm seinen Anfang mit dem ersten Landesdaten- 1 schutzgesetz 2 1970 über das erste Bundesdatenschutzgesetz im Jahre 1978 3 bis hin zum 1
Bruce Schneier in seiner Dankesrede zu den 16. Pioneer Awards der Electronic Frontier Foundation www.heise.de/newsticker/ meldung/87488.
2
3
Das Hessische Datenschutzgesetz vom 30.9.1970, GVBl I 1970, 625, das zugleich das erste Datenschutzgesetz weltweit war. BGBl I 1977 S 201.
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
Volkszählungsurteil 4 des Bundesverfassungsgerichts 1984 5. Aber bereits in der frühen Mikrozensus-Entscheidung aus dem Jahre 1969 zeigte das Bundesverfassungsgericht ein Verständnis für den Datenschutz, das heute in der Politik, wenn man zB die Debatte um die Zentraldatei, dh die Einführung einer zentralen Datenbank über alle Bundesbürger im Zuge der Einführung einer einheitlichen Steuernummer 6, oder der Vorratsdatenspeicherung 7 betrachtet, leider zu fehlen scheint. Hier heißt es: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.“ 8 Die Befürchtungen der Datenschützer, dass eine Zentraldatei und die Vorratsdatenspeicherung „Begehrlichkeiten“ wecken 9, den Missbrauch von personenbezogenen Daten und Dystopien vom „Gläsernen Menschen“ und „Big Brother“ fördern wird, sind berechtigt.
I. Zweck und Grundprinzipien 2
Mit der steigenden Bedeutung des Datenschutzes steigt auch das Bedürfnis, den Datenschutz zu instrumentalisieren. Das Verständnis von Datenschutz wird oftmals mit der gesetzgeberischen Festlegung darüber, „wer darf Daten zu welchen Zwecken unter welchen Voraussetzungen nutzen und wie lange müssen sie gespeichert werden“, verwechselt 10. Das widerspräche der herkömmlichen Definition und den Zielen, die mit dem Datenschutz angestrebt werden, ganz erheblich. Das Bundesverfassungsgericht 11 definiert dagegen den Datenschutz wie folgt: „Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art 2 I iV mit Art 1 I GG umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grds selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“ Es geht also nicht darum, wer Daten wie lange nutzen und speichern darf, sondern um das Recht des Einzelnen, über seine Daten selbst zu bestimmen und deren Verwertungen ggf zu verhindern. Der Zweck des Datenschutzes wird in § 1 Abs 1 BSDG daher auch wie folgt legaldefiniert: „Zweck dieses Gesetzes ist es, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird.“ Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich den Umfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weiter konkretisiert und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme entwickelt 12. Der Schutzbereich ist zB dann betroffen, wenn „es der Zugriff auf ein System ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten“13. Das Bundesverfassungsgericht stellte außerdem bereits im Volkszählungs4 5 6
7 8 9
BVerfG NJW 1984, 419 – Volkszählung. Zur Geschichte vgl ausf Simitis/Simitis Einl Rn 1 ff. Vgl nur www.heise.de/newsticker/meldung/ 94111; www.fr-online.de/in_und_ausland/ politik/aktuell/?em_cnt=1187903. Vgl Rn 10. BVerfG NJW 1969, 1707 – Mikrozensus. www.heise.de/newsticker/meldung/94067.
1622
10 11 12 13
www.heise.de/newsticker/meldung/84463. BVerfG NJW 1984, 419 – Volkszählungsurteil. BVerfG NJW 2008, 822, 824 – OnlineDurchsuchung. BVerfG NJW 2008, 822, 827 – OnlineDurchsuchung; vgl auch BVerfG Beschluss v 10.3.2008, AZ: 1 BvR 2388/03; BGH MMR 2007, 237 – Online-Durchsuchung.
Claudia Ohst
§1
Grundlagen des Datenschutzes
urteil klar, dass nicht zwischen relevanten und irrelevanten Daten unterschieden werden kann – belanglose Daten existieren nicht 14. Im Vordergrund steht daher das Prinzip der Datenvermeidung bzw der Datensparsamkeit. 1. Datensparsamkeit/Datenvermeidung „Den besten Schutz vor Datendiebstahl und Datenmissbrauch stellt es dar, wenn von 3 vornherein möglichst wenige persönliche Daten erhoben und gespeichert werden.“ 15 Vom Grundsatz der Datenvermeidung bzw -sparsamkeit gehen sowohl BDSG (§ 3a BDSG) als auch TMG (§ 13 Abs 6 TMG) ausdrücklich aus 16. Nach § 3a BDSG ist insbesondere von den Möglichkeiten der Anonymisierung 17 und Pseudonymisierung 18 Gebrauch zu machen. Allerdings handelt es sich um einen reinen Programmsatz, der von den Aufsichtsbehörden nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann 19. Die Datenvermeidung steht unter dem Aspekt des Systemdatenschutzes, dh Datenvermeidung durch entsprechende Gestaltung der technischen Systeme, zB durch Angebote, die nur noch Verbindungsdaten zur Abrechnung benötigen, jedoch ein Vorhalten von Nutzungsdaten überflüssig machen 20, oder die Verwendung von anonymen Geldkarten. 2. Transparenz Transparenz bedeutet, dass die verarbeitende Stelle bestimmten Aufklärungs- und 4 Hinweispflichten nachkommen muss; die Verwendung von personenbezogenen Daten muss für den Betroffenen transparent sein. Transparenzpflichten finden sich in ua § 4 Abs 3 BDSG, § 33 Abs 1 BDSG, § 13 Abs 3 TMG, § 15 Abs 3 TMG und § 93 TKG. Nach § 4 Abs 3 BDSG ist der Betroffene bei der Erhebung von Daten bei ihm selbst 5 über die Identität der verantwortlichen Stelle (mindestens Name und Anschrift 21), alle Zweckbestimmungen der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung und die Kategorien von Empfängern zu informieren; Letzteres allerdings nur, soweit der Betroffene nach den Umständen des Einzelfalls nicht mit der Übermittlung an diese rechnen muss. Das ist aber zB der Fall, wenn zum Zweck der Mitbestimmung die Personaldaten dem Betriebsrat übermittelt werden 22. Der Betroffene muss auch darauf hingewiesen werden, ob er zur Auskunft verpflichtet ist oder seine Angaben freiwillig erfolgen, und ggf über die verpflichtende Rechtsvorschrift aufgeklärt, was aber in der Praxis im Wesentlichen nur auf öffentliche Stellen zutrifft. Werden erstmals personenbezogene Daten für eigene Zwecke ohne Kenntnis des Betroffenen gespeichert, ist der Betroffene gem § 33 Abs 1 BDSG zusätzlich von der Speicherung an sich und der Art der gespeicherten Daten zu benachrichtigen 23. Bei der geschäftsmäßigen Speicherung zum Zweck der Übermittlung ohne Kenntnis des Betroffenen muss außerdem über die erstmalige Übermittlung und die Art der übermittelten Daten informiert werden. Ein Verstoß gegen Transparenzpflichten des BDSG wird weitgehend nicht geahndet. Im Einzelfall kann ein Verstoß gegen Treu und 14 15
16
BVerfG NJW 1984, 419 – Volkszählungsurteil. Forderungspapier zum TMG von 11 Organisationen ua Vereinigung für Datenschutz DVD eV und der Verbraucherzentrale Bundesverband www.daten-speicherung.de/ index.php/telemediengesetz/. Auch § 78 SGB X legt diesen Grundsatz für Sozialdaten fest.
17 18 19 20 21 22 23
Vgl Rn 44 f. Vgl Rn 46. Gola/Schomerus § 3a Rn 2 ff. Unterrichtung durch die Bundesregierung, BT-Drucks 14/1191, 13. Vgl ausf Gola/Schomerus § 4 Rn 30. Gola/Schomerus § 4 Rn 34. Vgl Rn 122 ff.
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
Glauben vorliegen und damit auch die Datenerhebung, jedenfalls deren Weiterverarbeitung, unzulässig werden 24. Ein Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht nach § 33 BDSG stellt jedoch eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 43 Abs 1 Nr 8 BDSG). Auch das TMG gibt zahlreiche Hinweis- und Aufklärungspflichten vor. Gem § 13 6 Abs 1 ist der Diensteanbieter verpflichtet, den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung außerhalb der EU/EWR in allgemein verständlicher Form zu unterrichten. Der Inhalt der Unterrichtung muss dabei für den Nutzer jederzeit abrufbar sein. Der Nutzer von Telemedien muss aber auch über die Möglichkeiten der anonymen und pseudonymen Verwendung seiner Daten informiert werden (§ 13 Abs 6 TMG). Ein Verstoß gegen diese Transparenzpflichten stellt gem § 16 Abs 2 Nr 2 TMG eine Ordnungswidrigkeit dar. Gleiches gilt gem §§ 47, 49 RStV auch für den Rundfunk. Sehr umfangreiche und detaillierte Informationspflichten gibt das Gesetz vor allem 7 den Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen auf. Gem § 93 TKG haben Diensteanbieter ihre Teilnehmer bei Vertragsabschluss über Art, Umfang, Ort und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten so zu unterrichten, dass die Teilnehmer in allgemein verständlicher Form Kenntnis von den grundlegenden Verarbeitungstatbeständen der Daten erhalten. Ausdrücklich sieht § 93 vor, dass die Teilnehmer auch auf die zulässigen Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen sind, damit sie sich für die datenschutzfreundlichste entscheiden können. Unter anderem muss der Teilnehmer informiert werden über: • die Verwendung seiner Bestandsdaten gem § 95 Abs 1 S 1 TKG zur Werbung für eigene Angebote und zur Marktforschung (nur soweit dies für diese Zwecke erforderlich ist und der Teilnehmer eingewilligt hat), • das Widerspruchsrecht bei besonderen Kundenbeziehungen nach § 95 Abs 2 S 2 TKG, • die Möglichkeit des Einzelverbindungsnachweises gem § 99 TKG, • die Möglichkeiten der Rufnummernanzeige nach § 102 TKG, zB die Möglichkeit sowohl bei eingehenden als auch bei ausgehenden Anrufen die Rufnummern dauerhaft oder auch einzeln zu unterdrücken; bei SMS muss der Teilnehmer darauf hingewiesen werden, dass eine solche Unterdrückung grds nicht erfolgt 25, • die Möglichkeit, dass eine von einem Dritten veranlasste automatische Weiterschaltung auf sein Endgerät auf einfache Weise und unentgeltlich abgestellt werden kann, soweit dies technisch möglich ist, gem § 103 TKG, • die Möglichkeit der Aufnahme in ein öffentliches Teilnehmerverzeichnis auf Antrag, gem § 104 TKG, • die Möglichkeit der telefonischen Auskunft gem § 105 Abs 1 TKG und das Widerspruchsrecht, • die Möglichkeit der Inverssuche gem § 105 Abs 3 TKG und das Widerspruchsrecht 26. Im World Wide Web besteht die einfache Möglichkeit, sich bereits durch die Verwen8 dung von Website Privacy Policies um Transparenz zu bemühen 27 und gleichzeitig das
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Vgl Gola/Schomerus § 4 Rn 41 ff. BeckTKG-Komm/Büttgen § 93 Rn 39. Zur Verpflichtung der Anwendung von § 105 Abs 3 gegenüber Auskunftsdienstebetreibern vgl BGH ZUM 2007, 853.
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Vgl Eckhardt ITRB 2005, 46; Heise OnlineRecht/Arning/Haag C. II. 2.; Zscherpe K&R 2005, 264, 268.
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Grundlagen des Datenschutzes
Vertrauen der Nutzer in das eigene Angebot zu stärken. Den Nutzern kann bereits an dieser Stelle erklärt werden, was mit ihren Daten im Falle der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung passiert. Zusätzlich zu den Pflichtangaben empfiehlt es sich, außerdem einen Ansprechpartner bei weiteren Fragen zu benennen. Die Datenschutzerklärung sollte leicht und jederzeit erreichbar sein, dh von jeder Seite des Webangebots durch einen Klick zugänglich, und auch als Datenschutzerklärung bezeichnet werden und nicht zB als „weitere Informationen“ oder in den AGB etc versteckt 28. Außerdem sollte sie gut gegliedert und optisch so aufbereitet sein, dass sie am Bildschirm gut lesbar ist 29. Überdies ist es unzulässig, die Erklärung ausschließlich in Englisch oder anderen Sprachen außer Deutsch zu verfassen, da es anderenfalls an der allgemeinen Verständlichkeit fehlen dürfte 30. 3. Zweckbestimmung und Zweckbindung Die Zweckbestimmung ist Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. 9 Der Betroffene muss detailliert über den Zweck der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung informiert werden 31, und die verarbeitende Stelle muss sich an diese Zweckbestimmung auch halten. Bei Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung ist die Zweckbestimmung Ausdruck der Verhältnismäßigkeit. Daten dürfen nur für den vorgesehenen Zweck erhoben und genutzt werden (§ 28 Abs 1 Nr 1, S 2, 29 BDSG). Ist eine Einwilligung erforderlich, ist der Betroffene über alle Zwecke der Erhebung und Verarbeitung zu informieren. Darüber hinaus dürfen die Daten nicht verwendet werden32; dies gilt zB auch für Suchmaschinen im WWW 33. Eine besondere Zweckbindung betrifft gem § 31 BDSG Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden und entsprechend auch nur für diese Zwecke verwendet werden dürfen. Von diesen Vorschriften wird jedoch im Rahmen der Umsetzung der umstrittenen 10 Richtlinie 34 zur Vorratsdatenspeicherung 35 eine Ausnahme gemacht, was im Widerpruch zu der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht 36. Hier heißt es ausdrücklich: „Ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Damit wäre die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren
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OLG München RDV 2007, 27, 29; Eckhardt ITRB 2005, 46, 48; Woitke BB 2003, 2469, 2476; Zscherpe K&R 2005, 264, 268. Eckhardt ITRB 2005, 46, 47; Taeger K&R 2003, 220, 225. Koehler MMR 1998, 289, 294; Zscherpe K&R 2005, 264, 268. Vgl Rn 4 ff. Vgl zu Privacy-DRM, dh Systemen, die die Zweckbindung technisch durchsetzen sollen Böhme/Pfitzmann DuD 2008, 342; zu Content-DRM Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst § 95a Rn 12 ff. Arbeitspapier „Opinion on data protection issues related to search engines“ der Art-29-
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Datenschutzgruppe 00737/EN WP 148 vom 4.4.2008. Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.3.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG. BGBl I 2007 S 3198. Vgl zur Verfassungswidrigkeit dieser neuen Regelungen ausf Bizer DuD 2007, 586, 587 ff.
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Zwecken nicht zu vereinbaren.“ 37 Seit dem 1.1.2008 gibt es hier nun aber die neue Aufbewahrungspflicht gem §§ 113a f. TKG. Für E-Mail- und Internet-Access-Provider ist diese gem § 150 Abs 12b TKG ab 1.1.2009 verpflichtend. Es gab zwar die Möglichkeit des Aufschubs für Internetdienste gem Art 15 Abs 3 der Richtlinie 2006/24/EG bis zum 15.3.2009; von dieser hat die Bundesregierung jedoch keinen Gebrauch gemacht 38, sondern erst nach Protest die Einführung der Aufbewahrungspflicht vom 1.1.2008 auf den 1.1.2009 verlegt 39. Die Regelung gilt für die Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und für die Geheimdienste. Nicht betroffen sind die Rechte des geistigen Eigentums 40. Andere Daten als die in § 113a TKG genannten, sind zB weiterhin gem § 96 Abs 2 TKG, § 97 Abs 3 S 3 TKG zu löschen, soweit sie für die Abrechnung nicht erforderlich sind 41, dh zB im Fall der Vereinbarung von Pauschaltarifen 42. Gem § 11 Abs 3 TMG ist die 6-monatige Speicherfrist des § 15 Abs 7 TMG nicht für Telemedien, die überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, anwendbar, so dass auch hier die Regelungen des TKG gelten 43. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Eilverfahren entschieden, dass § 113a TKG und damit die Vorratsdatenspeicherung vorläufig zwar nicht auszusetzen ist, hat aber bis zu einer Entscheidung in der Verfassungsbeschwerde § 113b S 1, Nr 1 TKG (zur Verfolgung von Straftaten) teilweise ausgesetzt, dh die Nutzung der durch die Vorratsdatenspeicherung gesammelten Daten – bis auf die Verfolgung von Katalogtaten iSd § 100a StPO in engen Grenzen – gesperrt 44. Es führt aus, dass die Möglichkeit des Zugriffs auf die so gesammelten Verkehrsdaten eine erhebliche Gefährdung des in Art 10 Abs 1 GG verankerten Persönlichkeitsrechts darstellt 45. Allerdings gab das Bundesverfassungsgericht den Diensteanbietern auch auf, die gespeicherten Daten über die Löschungsfrist des § 113a Abs 11 TKG aufzubewahren, für den Fall, dass die Regelungen verfassungsgemäß seien. Eine Aussetzung von § 113b S 1 Nr 2 und 3 TKG (zur Gefahrenabwehr und für Geheimdienste), hielt das BVerfG nicht für erforderlich, da es zZ keine fachrechtlichen Abrufermächtigungen gibt 46.
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BVerfG NJW 1984, 419, 422 – Volkszählungsurteil. Die Eile der Bundesregierung verwundert um so mehr, als die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht nur in Deutschland, sondern aus mehreren Gründen auch europarechtlich umstritten ist (vgl die Nichtigkeitsklage Irlands, eingereicht am 6.7.2006, Rs C-301/06); ein entsprechender Antrag auf Vertagung der Umsetzung bis zur Entscheidung in dieser Rechtssache wurde abgelehnt (BT-Drucks 16/6979, 56 f); die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat zudem von der Möglichkeit des Aufschubs Gebrauch gemacht (vgl Erklärungen im Anhang der Richtlinie 2006/24/EG). Grund war allerdings lediglich, dass die technische Umsetzung zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht gewährleistet werden kann (BT-Drucks 16/6979, 71 f).
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Der Vorschlag des Bundesrates BR-Drucks 275/01 (B) 15 f wurde nicht umgesetzt (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drucks 16/5846, 96). Vgl aber LG Köln ZUM 2007, 873 wegen der Löschung von identifizierenden Daten im Rahmen der Störerhaftung. Vgl Rn 25. Zur alten Rechtslage vgl Nordemann/Dustmann CR 2004, 380. BVerfG K&R 2008, 291 – Vorratsdatenspeicherung; vgl insb zu den Auswirkungen der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-301/06 auf die Hauptsacheentscheidung des BVerfG Gietl DuD 2008, 317, 323. BVerfG K&R 2008, 291, 293 – Vorratsdatenspeicherung. BVerfG K&R 2008, 291, 296 – Vorratsdatenspeicherung.
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Grundlagen des Datenschutzes
4. Sicherheit und Geheimhaltung Eng mit dem Datenschutz verbunden ist die Datensicherheit, denn der rechtliche 11 Schutz der Daten ist ohne die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für ihren Schutz schwer durchsetzbar. Zentrale Norm ist § 9 BDSG, der die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen insbesondere in seiner Anlage 1 spezifiziert 47. 5. Weitere Grundprinzipien Weiteres zentrales Grundprinzip des Datenschutzes ist das Vorhandensein von Betrof- 12 fenenrechten, dh das Recht des Einzelnen, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen auch einzufordern.48 Wichtig sind (nicht abschließend) außerdem die Gewährleistung der Datenqualität- und -integrität, dh dass personenbezogene Daten genau, vollständig und aktuell sein müssen, und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
II. Rechtsquellen und ihre Anwendbarkeit Datenschutzgesetze gibt es auf Bundes- und Landesebene. Das BDSG 49 ist das allge- 13 meine Bundesgesetz für den Datenschutz, das aber gem § 1 Abs 3 BDSG gegenüber anderen Bundesvorschriften wie dem TMG 50 und dem TKG 51 subsidiär ist 52. Das BDSG sieht unterschiedliche Vorschriften für öffentliche und nicht-öffentliche Stellen vor, wobei im Folgenden die Vorschriften für die nicht-öffentlichen Stellen 53 in den Vordergrund gestellt werden. Die entsprechenden Landesgesetze 54 gelten für die einzelnen öffentlichen 47 48 49
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Vgl hierzu ausf Teil 5 Kap 3. Vgl ausf Rn 115 ff. Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.1.2003 (BGBl I S 66), zuletzt geändert durch Art 1 des Gesetzes vom 22.8.2006 (BGBl I S 1970). Telemediengesetz vom 26.2.2007 (BGBl I S 179). Telekommunikationsgesetz vom 22.6.2004 (BGBl I S 1190), zuletzt geändert durch Art 2 Gesetz vom 21.12.2007 (BGBl I 2007, 3198). Spezialvorschriften zum Datenschutz finden sich zB außerdem im SGB X, §§ 90 ff BBG, §§ 56 ff BRRG, §§ 28 ff Straßenverkehrsgesetz. Vgl zum Begriff Rn 38. Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) vom 23.7.1993, zuletzt geändert am 26.7.2006 (GVBl 405); Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen – DSG NRW – zuletzt geändert durch Art 10 des Vierten Befristungsgesetzes vom 5.4.2005 (GV NRW 332), in Kraft getreten am 30.4.2005; Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger (DSG-Land Sachsen Anhalt) vom 12.3.1992 (GVBl 152) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 18.2.2002 (GVBl 54), zuletzt geändert durch das Erste Rechts- und
Verwaltungsvereinfachungsgesetz vom 18.11.2005 (GVBl 698, 701); Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten (Landesdatenschutzgesetz – LDSG – Baden Württemberg) in der Fassung vom 18.9.2000 (GBl 648), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14 2.2007 (GBl 108); Landesdatenschutzgesetz (LDSG – Rheinland Pfalz) vom 5.7.1994 (GVBl 293), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.2.2007 (GVBl 41); Hessisches Datenschutzgesetz (HDSG) idF vom 7.1.1999 (GVBl I 98); Gesetz zum Schutz des Bürgers bei der Verarbeitung seiner Daten (Landesdatenschutzgesetz – DSG Mecklenburg-Vorpommern) vom 28.3.2002 (GVOBl M-V 154), zuletzt geändert am 25.10.2005 (GVOBl M-V 535); Bremisches Datenschutzgesetz (BremDSG) vom 4.3.2003 (Brem GBl 85); Niedersächsisches Datenschutzgesetz (NDSG) idF vom 29.1.2002 (Nds GVBl 22), zuletzt geändert durch Art 11 des Gesetzes vom 16.12.2004 (Nds GVBl 634); Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Informationen vom 9.2.2000, GVOBl Schl-H 4/2000, 169; Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten in der Berliner Verwaltung (Berliner Datenschutzgesetz – BlnDSG) idF vom 17.12.1990
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Stellen der Länder.55 Hinzu kommen die europarechtlichen Vorschriften 56: 1995 wurde die Datenschutz-Richtlinie 57 verabschiedet, 1997 die TK-Datenschutz-Richtlinie 58, die 2002 durch die Datenschutz-Richtlinie für elektronische Kommunikation ersetzt wurde 59. Im Medienbereich sind neben dem BDSG und den Landesgesetzen vor allem das 14 TMG und das TKG von Bedeutung. Der Datenschutz bei Telemedien 60 hat sich durch die Einführung des Telemediengesetzes nicht wesentlich verändert 61; die früheren Regelungen des MStV 62 für Mediendienste und TDDSG 63 für Teledienste wurden weitgehend übernommen und nun für Telemedien vereinheitlicht. Das TMG ist hinsichtlich der Erlaubnistatbestände, wie auch schon das TDDSG, gegenüber dem BDSG speziell und zählt diese abschließend auf; dies ist nun in § 12 Abs 1 TMG ausdrücklich klargestellt 64. Das TMG gilt nicht in Dienst- und Arbeitsverhältnissen, soweit die Nutzung der Dienste ausschließlich zu beruflichen oder privaten Zwecken erfolgt (§ 11 Abs 1 Nr 1 TMG). Ebenso ist die Anwendung für die Kommunikation von und zwischen Unternehmen ausgeschlossen, soweit die Nutzung der Dienste ausschließlich zur Steuerung von Arbeitsund Geschäftsprozessen stattfindet (§ 11 Abs 1 Nr 2 TMG). Das TMG gilt nicht nur im Verhältnis Nutzer und Diensteanbieter, sondern auch im Verhältnis zwischen zwei
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(GVBl 1991, 16, 54), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.7.2001 (GVBl 305); Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Land Brandenburg (Brandenburgisches Datenschutzgesetz – BbgDSG idF vom 9.3.1999 (GVBl I, 66), zuletzt geändert durch Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes und anderer Rechtsvorschriften vom 30.11.2007 (GVBl I 193); Hamburgisches Datenschutzgesetz (HmbDSG) vom 5.7.1990 (HmbGVBl 133, 165, 226), zuletzt geändert am 18.11.2003 (HmbGVBl 539); Gesetz zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Datenschutzgesetz – SächsDSG) vom 25.8.2003 (SächsGVBl 330), geändert durch Gesetz vom 14.12.2006 (SächsGVBl 530); Thüringer Datenschutzgesetz vom 10.10.2001 (GVBl 248); Gesetz Nr 1308 – Saarländisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten (Saarländisches Datenschutzgesetz – SDSG) vom 24.3.1993, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 27.2.2002 (Amtsbl 498). Vgl Gola/Schomerus § 1 Rn 19a. Vgl Teil 1 Kap 3. Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl EG L vom 23.11.1995, 23; vgl Teil 1 Kap 3 Rn 198. Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.1997 über
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die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation, ABl EG L 24, 1 vom 30.1.1998; vgl Teil 1 Kap 3 Rn 198. Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation ABl EG L 201/37 vom 31.7.2002; vgl Teil 1 Kap 3 Rn 198 f. In Abgrenzung zum Rundfunk und den Telekommunikationsdiensten (vgl zur Abgrenzung ausf Teil 5 Kap 1 Rn 52 ff). BT-Drucks 16/3078, 15; vgl auch Schmitz K&R 2007, 135. Staatsvertrag über Mediendienste (2002) (Mediendienste-Staatsvertrag), zuletzt geändert durch Art 8 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15.10.2004, (GBl BW 2005 197). Gesetz über den Datenschutz bei Telediensten (Teledienstedatenschutzgesetz – TDDSG) vom 22.7.1997 (BGBl I S 1870), zuletzt geändert durch Art 3 des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14.12.2001 (BGBl I S 3721). BT-Drucks 16/3078, 16; Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 45; Schaar Rn 372; KG MMR 2007, 116; OLG München MMR 2006, 739, 743; aA für das TDDSG LG Hamburg MMR 2005, 55.
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Diensteanbietern, wenn ein Diensteanbieter die Funktion eines Nutzers im Verhältnis zum anderen ausübt, zB ein Websitebetreiber im Verhältnis zum Host-Provider 65. Das Recht der Telekommunikation hat in den letzten Jahren viele Änderungen durch- 15 laufen 66. Die für den Datenschutz maßgeblichen Vorschriften finden sich nun in §§ 91 ff TKG 67. Das TKG regelt gem § 91 Abs 1 den Schutz personenbezogener Daten der Teilnehmer und Nutzer von Telekommunikation bei der Erhebung und Verwendung dieser Daten durch Unternehmen und Personen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder an deren Erbringung mitwirken. Juristische Personen sind hier ausdrücklich mitgeschützt, sofern es sich um dem Fernmeldegeheimnis 68 unterliegende Einzelangaben über Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren juristischen Person oder Personengesellschaft handelt 69. Das BDSG ist auch gegenüber dem TKG gem § 1 Abs 3 BDSG subsidiär 70. Im TK-Bereich sind außerdem besonders das Fernmeldegeheimnis 71 und die Sicherheit der Telekommunikation zu beachten 72. Für Anbieter, die sowohl der Regelungsmaterie des TMG als auch der des TKG unterliegen (zB für die Bereiche Internet-Access, E-Mail-Übertragung), finden nun aus Gründen der Rechtsklarheit 73 gem § 11 Abs 3 TMG die Vorschriften des TMG nur noch vereinzelt Anwendung. Dies betrifft das eingeschränkte Kopplungsverbot (§ 12 Abs 3 TMG), die Möglichkeiten der Datenverarbeitung zur Bekämpfung missbräuchlicher Nutzung (§ 15 Abs 8 TMG) und die diesbezüglichen Sanktionen (§ 16 Abs 2 Nr 2, 5 TMG). Gem § 47 Abs 1 RStV ergeben sich die datenschutzrechtlichen Regelungen für den 16 Rundfunk ebenfalls aus dem TMG 74, so dass die komplizierte Abgrenzung zwischen diesen Diensten für den Bereich des Datenschutzes nicht von Bedeutung ist. Spezialregelungen gelten außerdem in vielen Bereichen, ua im Bereich der Banken und Börsen 75.
III. Begriffe 1. Personenbezogene Daten Personenbezogene Daten, der wohl wichtigste Begriff im Datenschutzrecht, sind 17 Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener) (§ 3 Abs 1 BDSG), dh zB Name, Anschrift, Geburtsdatum und -ort, aber auch Werturteile über Personen 76. Das Bundesverfassungsgericht führte im Volkszählungsurteil 77 aus, dass es „unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein „belangloses“ Datum mehr“ gibt. Entscheidend ist, ob das Datum einen Rückschluss auf den Betroffenen zulässt 78. Auf welche Weise dabei der 65 66 67
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BT-Drucks 14/6098, 16; Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 45 mwN. Vgl im Einzelnen Teil 5 Kap 2. Früher waren diese Vorschriften lediglich in Verordnungen, dh in der Telekommunikationsdiensteunternehmen-Datenschutz verordnung (TDSV 1996), ersetzt durch die Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV 2000), die bis 26.6.2004 galt, zu finden. Hierzu ausf Teil 5 Kap 2 Rn 13, 155. Vgl im Einzelnen BeckTKG-Komm/Robert § 91 Rn 15. Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 45; Schaar Rn 372.
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Vgl hierzu ausf Teil 5 Kap 2 Rn 13, 155. Grützmacher ITRB 2007, 183, 187. BT-Drucks 16/3078, 15. § 49 RStV enthält die zugehörigen Bußgeldvorschriften – vgl Rn 172. Witzel ITRB 2006, 286. Simitis/Dammann § 3 Rn 12; Gola/Schomerus § 3 Rn 5 ff. BVerfG NJW 1984, 419 – Volkszählungsurteil. Vgl LG Landshut-Tietgen DuD 2000, 106, 109 für den Fall von Gebäude-Abbildungen, die Rückschlüsse auf eine Person zulassen könnten.
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Bezug zur Person hergestellt werden kann, ist nicht von Bedeutung 79. Auch Zusatzwissen ist mit einzubeziehen, so dass der Personenbezug relativ ist 80. Besondere Arten personenbezogener Daten oder auch sensitive Daten sind Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben (§ 3 Abs 9 BDSG). Diese Angaben sind besonders schutzwürdig. Geschützt sind in Deutschland 81 grds nur Daten von natürlichen Personen 82. Die 18 Daten juristischer Personen können lediglich entweder als Betriebsgeheimnis nach § 17 UWG, über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht 83 (als absolutes Recht § 823 Abs 1 BGB) geschützt werden oder mittelbar zB durch die im Unternehmen tätigen Mitarbeiter oder Gesellschafter 84. Im Sozialrecht stehen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch von juristischen Personen aber den Sozialdaten (§ 67 Abs 1 SGB X) gleich (§ 35 Abs 4 SGB I) und sind daher ebenfalls vom Sozialgeheimnis umfasst. Der Endnutzerbegriff des TKG umfasst ebenfalls juristische Personen (§ 3 Nr 8 TKG); das TMG schließt hingegen in § 11 Abs 2 juristische Personen ausdrücklich aus. Im Medienbereich sind selbstverständlich auch die allgemeinen personenbezogenen 19 Daten, wie Name, Adresse, Telefonnummer, dh die Bestandsdaten des Datensubjekts, relevant, jedoch auch immer mehr Daten, die das Kauf- bzw Nutzerverhalten beschreiben, so dass es verstärkt zum Anlegen und Speichern von Nutzerprofilen kommt, die das Konsumverhalten eines Menschen derart detailliert wiedergegeben, dass hieraus Schlussfolgerungen für sein künftiges Verhalten gezogen werden können und er zielgerichtet und individuell mit Werbung und maßgeschneiderten Kaufangeboten versorgt werden kann. Scorewerte, dh die Bewertung einer Person nach bestimmten Kriterien hinsichtlich der Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe (zB Kaufkraft), sind ebenfalls personenbezogene Daten 85. Auch Prognose- und Planungsdaten sind als personenbezogene Daten einzustufen, denn auch wenn sie in der Zukunft liegen, beschreiben sie dennoch die Verhältnisse von Betroffenen, zB die Karriereaussichten in einem Unternehmen 86. Zur Anlegung von Nutzerprofilen im Internet werden meist ua IP-Adressen und Cookies verwendet. IP-Adressen sind als personenbezogene Daten anzusehen 87. Dem kann zwar entge20 gengehalten werden, dass die IP-Adresse keinen Aufschluss über die konkrete Person gibt, die an dem Rechner „gesessen“ hat; jedenfalls kann – außer bei öffentlichen Computern – immer zumindest indirekt oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Rückschluss auf die betreffende Person gezogen werden. Auch die Richtlinie 95/46/EG will mit der Einbeziehung der technischen Angaben solche Daten einbeziehen 88. Die Einordnung als personenbezogenes Datum ist jedenfalls bei einer statischen IP-Adresse der Fall.
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Simitis/Dammann § 3 Rn 20 ff. Rasmussen DuD 2002, 406, 407; Roßnagel/ Scholz MMR 2000, 721, 723; Steidle/Pordesch DuD 2008, 324, 326. In anderen europäischen Ländern, zB in Österreich, sind auch Daten juristischer Personen geschützt. In § 11 Abs 2 TMG für den Begriff der Nutzer noch einmal ausdrücklich klargestellt (vgl BT-Drucks 16/3078, 15). Vgl hierzu BGH NJW 1994, 2505. Vgl BGH NJW 1986, 2505 – Angaben über
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die finanzielle Situation einer GmbH als Teil der Angaben über die Person des alleinigen Geschäftsführers/Gesellschafters; VG Wiesbaden JurPC Web-Dok 70/2008, Abs 47. Koch MMR 1998, 458; Kloepfer/Kutschbach MMR 1998, 650; Weichert DuD 2005, 582; Abel RDV 2006, 108, 110. Gola/Schomerus § 3 Rn 9. So auch Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 31 f; Köcher/Kaufmann DuD 2006, 360; Splittgerber/Klytta K&R 2007, 78, 82. Vgl Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 31 f.
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Aber auch bei einer dynamischen Adresse kann zB in Zusammenhang mit den Logfiles ein Personenbezug hergestellt werden, so dass eine dynamische IP-Adresse ebenso unter die Datenschutzbestimmungen fallen kann 89. Überdies wird man in der Praxis beim Erheben von IP-Adressen kaum unterscheiden können, ob gerade eine statische oder eine dynamische IP-Adresse erhoben bzw verarbeitet wird. Cookies sind kurze Einträge in einer meist kleinen Datenbank bzw in einem speziellen Dateiverzeichnis auf einem Computer. Sie dienen dem Austausch von Informationen zwischen Computerprogrammen oder der zeitlich beschränkten Archivierung von Informationen. Ein Cookie besteht aus mindestens zwei Bestandteilen, seinem Namen und dem Inhalt oder Wert des Cookie; zusätzlich können Angaben über den zweckmäßigen Gebrauch vorhanden sein 90. Im Web bedeutet dies, dass ein Datensatz mit bestimmten Informationen in die „Cookie-Datei“ des lokalen Rechners abgelegt wird und auch wieder ausgelesen werden kann. Über Cookies werden regelmäßig Informationen über Nutzer abgelegt, die dann insbesondere für Nutzerprofile verwendet werden können. Cookies sind daher ebenfalls als personenbezogene Daten anzusehen, da sie, insbesondere in Verbindung mit IP-Adressen, den Personenbezug erlauben 91 bzw – von demselben Anbieter ausgelesen – als Nutzerprofile dienen können. Biometrische Daten sind ebenfalls personenbezogene Daten. Das gilt sowohl für den Fingerabdruck, die Handgeometrie, die Stimmaufnahme, das Gesichtsbild, ebenso wie die daraus abgeleiteten mathematisch berechneten, digitalisierten, einzigartigen Charakteristiken 92. Biometrische Daten werden vielfach als Zugangskontrolle bei nicht-öffentlichen Stellen, aber auch verstärkt von öffentlichen Stellen, zB im Rahmen des Europäischen Reisepasses, genutzt. Bei diesen maschinenlesbaren Pässen besteht zB die besondere Gefahr, dass diese unberechtigt ausgelesen und zum Identitätsdiebstahl und bei Straftaten verwendet werden 93. Viele medienrechtlich relevante Arten von personenbezogenen Daten werden im TMG und im TKG legaldefiniert. Für den Begriff der Bestandsdaten finden sich je nach Anwendungsbereich gleich zwei Definitionen: In § 14 Abs 1 TMG für die Telemedien heißt es: „Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich sind (Bestandsdaten)“. Bestandsdaten in § 3 Nr 3 TKG werden als Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden, definiert. Beispiele für Bestandsdaten sind die Grunddaten eines Datensubjekts, wie sein Name und seine Adresse, aber auch ggf seine statische IP-Adresse. Nutzungsdaten werden für Telemedien in § 15 TMG wie folgt definiert: Daten, die zur Ermöglichung und Abrechnung der Inanspruchnahme von Telemedien erforderlich
89
90 91
Vgl nur Nordemann/Dustmann CR 2004, 380, 386; Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 44; AG Mitte Urteil vom 27.3.2007, AZ: 5 C 314/06; AG Darmstadt MMR 2005, 634, 635; LG Darmstadt MMR 2006, 330. Vgl auch insbesondere zur Herkunft des Begriffs de.wikipedia.org/wiki/Cookie. So auch Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 32; Bizer DuD 1998, 277, 278; Eckhardt ITRB 2005, 46, 47; Eichler K&R 1999, 76, 79;
92 93
Ihde CR 2000, 413, 416 f; differenzierend Meyer WRP 2002, 1028, 1030; aA Wichert DuD 1998, 273, 275, der den Aufwand, das Datensubjekt zu identifizieren, für unverhältnismäßig hoch hält. Weichert CR 1997, 369, 372. Vgl Budapester Erklärung zu maschinenlesbaren Ausweisdokumenten www.fidis.net/fileadmin/fidis/press/budapest_declaration_on_MRTD.de.pdf.
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sind. Sie entstehen während der Nutzung der Telemedien, zB bei Interaktionen des Diensteanbieters mit dem Nutzer 94. Nutzungsdaten sind insbesondere 1. Merkmale zur Identifikation des Nutzers, 2. Angaben über Beginn und Ende sowie den Umfang der jeweiligen Nutzung und 3. Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien. Hierunter fallen zB auch das Datenvolumen 95, Dauer der Verbindung, Name von Downloads, URLs und IP-Adressen. Allerdings können gerade statische IP-Adressen auch Bestandsdaten darstellen 96. Abrechnungsdaten sind gem § 15 Abs 4 TMG Daten, die für Zwecke der Abrechnung mit dem Nutzer erforderlich sind. Hierbei handelt es sich um Nutzungsdaten mit der besonderen Zweckbestimmung der Abrechnung. Der Begriff ist eng auszulegen und steht in Abhängigkeit vom konkreten Vertragsverhältnis 97, dh zB dem Datenvolumen für den Fall einer volumenabhängigen Rechnungsstellung oder die Gesamtnutzungszeit bei der Vereinbarung eines zeitabhängigen Zahlbetrags. Der Begriff der Abrechnungsdaten war lange Zeit umstritten, da es der weitverbreiteten Praxis entsprach, selbst bei volumenund zeitunabhängigen Flat Rates zahlreiche Daten der Nutzer zu speichern 98. Dem haben die begrüßenswerten Entscheidungen aus Darmstadt ein Ende gesetzt, in denen entschieden wurde, dass bei einer Flat Rate keine Nutzungsdaten gespeichert werden müssen und diese daher unverzüglich, dh spätestens nach dem Ende der jeweiligen Verbindung, zu löschen sind 999. Dies bezieht sich insbesondere auf die dynamischen IPAdressen, da diese in keinem Fall bei einer zeit- oder volumenunabhängigen Abrechnung erforderlich sind; auch der Anwendungsbereich des § 9 BDSG zur Datensicherheit ist hier deutlich überschritten 100. Verkehrsdaten sind gem § 3 Nr 30 TKG Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Der Begriff entspricht im Wesentlichen dem der Verbindungsdaten und wurde durch die Eingliederung der TDSV 2000 in das TKG 2004 eingeführt 101. IP-Adressen sind bspw Verkehrsdaten. Standortdaten sind gem § 3 Nr 19 TKG Daten, die in einem Telekommunikationsnetz erhoben oder verwendet werden und die den Standort des Endgeräts eines Endnutzers eines Telekommunikationsdienstes für die Öffentlichkeit angeben. Aus Art 9 Richtlinie 2002/58/EG ergibt sich, dass es sich um Verkehrsdaten handeln kann, jedoch nicht muss. Standortdaten sind exakte geographische Standortverarbeitungen durch die neuen standortbezogenen Dienste 102. Inhaltsdaten sind Daten, die den Inhalt der Kommunikation zwischen Diensteanbieter und Nutzer betreffen. Das betrifft bspw Daten, die im Internet aber für die „OfflineWelt“ erhoben werden 103, zB den Inhalt von Kaufverträgen oder Versicherungen, deren Abschluss im WWW erfolgt ist.
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BT-Drucks 13/7385, 24. LG Darmstadt MMR 2006, 330; Köcher/ Kaufmann DuD 2006, 360. Vgl auch Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 117; Splittgerber/Klytta K&R 2007, 78, 82. Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 125. Vgl zur alten Diskussion Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 46.
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AG Darmstadt MMR 2005, 634, 635; LG Darmstadt MMR 2006, 330. AG Darmstadt MMR 2005, 634, 636. BT-Drucks 755/03, 120. BeckTKG-Komm/Wittern § 3 Rn 40. Zscherpe K&R 2005, 264, 266; Hoeren/ Sieber/Schmitz 16.4 Rn 140 ff.
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2. Verwertungsarten Das BDSG definiert ferner verschiedene Verwertungsarten: Erheben, Verarbeiten, Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren, Löschen und Nutzen. Erheben ist gem § 3 Abs 3 BDSG das Beschaffen von Daten über den Betroffenen, wobei die Zusammenstellung aus bereits vorhandenen Unterlagen nicht hierunter fällt 104. An einem Erheben fehlt es, wenn die Daten ohne Aufforderung geliefert werden; es liegt aber vor, wenn der Empfänger zumindest Interesse an den Daten geäußert hat 105. Allerdings fällt das reine Beschaffen bei nicht-öffentlichen Stellen noch nicht unter das Datenschutzgesetz, da gem § 1 Abs 2 Nr 3 und § 27 BDSG der Anwendungsbereich nur eröffnet ist, wenn dieser Beschaffung eine Verarbeitung oder Nutzung folgen soll („dafür erheben“). Erforderlich ist daher ein zielgerichtetes Beschaffen von Daten; den Daten muss ein Zweck zugewiesen sein 106. Beispiele für das Erheben von Daten sind Kundenbefragungen zum Erstellen von Nutzerprofilen, Meinungsumfragen, aber auch Blutproben und Videoaufzeichnungen. Verarbeiten ist gem § 3 Abs 4 BDSG der Oberbegriff für Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten. Diese einzelnen Begriffe wiederum werden, ungeachtet der dabei angewendeten Verfahren, wie folgt definiert: Speichern ist das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren personenbezogener Daten auf einem Datenträger zum Zwecke ihrer weiteren Verarbeitung oder Nutzung (§ 3 Abs 4 Nr 1 BDSG). Das Speichern erfordert nicht unbedingt einen elektronischen Datenträger; auch das Aufschreiben auf einen Zettel kann Speichern sein. Es kommt lediglich darauf an, dass die Daten „nachlesbar“ fixiert werden; sie können auch von einer anderen Stelle übertragen worden sein 107. Verändern ist das inhaltliche Umgestalten gespeicherter personenbezogener Daten (§ 3 Abs 4 Nr 2 BDSG). Hierunter fällt sowohl die Modifikation der Daten selbst als auch ihrer Bezugsobjekte. Beispiele sind das Pseudonymisieren, Anonymisieren oder Berichtigen von Daten, nicht jedoch das Löschen. Übermitteln ist das Bekannt geben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener personenbezogener Daten an einen Dritten in der Weise, dass (a) die Daten an den Dritten weitergegeben werden oder (b) der Dritte zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltene Daten einsieht oder abruft (§ 3 Abs 4 Nr 3 BDSG). Dies kann schriftlich, mündlich, direkt im selben Raum oder auch auf Distanz elektronisch oder fernmündlich erfolgen 108. Der Empfänger muss dabei nicht bekannt sein; auch eine Bekanntgabe gegenüber der Öffentlichkeit genügt. Eine Übermittlung liegt – mangels Bekanntgabe an einen Dritten – nicht vor bei einer Bekanntgabe innerhalb der verantwortlichen Stelle, an den Betroffenen oder zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bei der Auftragsdatenverarbeitung innerhalb der EU/EWR 109. Sperren ist das Kennzeichnen gespeicherter personenbezogener Daten, um ihre weitere Verarbeitung oder Nutzung einzuschränken (§ 3 Abs 4 Nr 4 BDSG). Gesperrte Daten dürfen dann ohne Einwilligung des Betroffenen im Rahmen des BDSG nur übermittelt oder genutzt werden, wenn (1.) es zu wissenschaftlichen Zwecken, zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder aus sonstigen im überwiegenden Interesse der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten liegenden Gründen unerlässlich ist und (2.) die Daten 104 105 106 107
Gola/Schomerus § 3 Rn 24. LG Ulm MMR 2006, 265, 266. Kilian/Heussen/Weichert Nr 132 Rn 33. Gola/Schomerus § 3 Rn 27.
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Kilian/Heussen/Weichert Nr 132 Rn 38. Vgl Rn 39 ff; vgl zum Begriff der Übermittlung im Internet auch EuGH MMR 2004, 95 – Lindqvist, Rn 178.
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hierfür übermittelt oder genutzt werden dürften, wenn sie nicht gesperrt wären (§ 35 Abs 8 BDSG). Löschen ist das Unkenntlichmachen gespeicherter personenbezogener Daten (§ 3 35 Abs 4 Nr 5 BDSG), dh der bloße Vermerk „Gelöscht“ genügt nicht. Hierzu zählen aber Methoden wie das Vernichten der Datenträger, Schwärzen, Schreddern etc. Bei der Löschung von Daten im WWW gehört hierzu, dass die Daten auch durch den zB Server Cache, den Google Cache oder die Wayback Machine nicht mehr auffindbar sind. Unter Nutzen ist jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um 36 Verarbeitung handelt, zu verstehen (§ 3 Abs 5 BDSG). 3. Weitere datenschutzrechtliche Begriffe
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a) Verantwortliche Stellen, Empfänger und Dritte. Verantwortliche Stelle ist jede Person oder Stelle, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen lässt (§ 3 Abs 7 BDSG). Empfänger ist jede Person oder Stelle, die Daten erhält. Dritter hingegen ist jede Person oder Stelle außerhalb der verantwortlichen Stelle. Hierzu zählt aber nicht der Betroffene sowie Personen und Stellen, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum personenbezogene Daten im Auftrag erheben, verarbeiten oder nutzen (§ 3 Abs 8 BDSG). Wer Dritter ist, ist nach dem funktionalen Stellenbegriff zu bestimmen 110. Nicht-öffentliche Stellen, auf die sich der vorliegende Beitrag konzentriert, sind gem 38 § 2 Abs 4 BDSG negativ definiert als natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts, soweit es sich nicht um öffentliche Stellen iSd § 2 Abs 1–3 handelt, dh sie im Wesentlichen keine Behörden, Organe der Rechtspflege und andere öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts darstellen oder Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen 111.
39
b) Auftragsdatenverarbeitung. Auftragsdatenverarbeitung ist gem § 11 BDSG die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten im Auftrag durch andere Stellen 112. Hierbei bleibt der Auftraggeber Herr der Daten und ist für die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz verantwortlich. Er bleibt auch weiterhin Verantwortlicher für die Ansprüche wie auf Löschung oder Schadensersatz (§§ 6, 7 und 8 BDSG). Zu den Pflichten des Auftraggebers zählt die sorgfältige Auswahl des Auftragnehmers unter besonderer Berücksichtigung der Eignung der von ihm getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen 113. Der Auftrag ist detailliert schriftlich zu erteilen. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Einzelheiten der Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung, der technischen und organisatorischen Maßnahmen und etwaige Unterauf-
110
111 112
Vgl BVerfG NJW 1988, 959, 961 – Arbeitsstättenzählung; s zum funktionalen Stellenbegriff auch Rn 41. Vgl Gola/Schomerus § 2 Rn 4 ff. Besonders problematisch ist die Auftragsdatenverarbeitung bzw jegliches Outsourcing bei Geheimnisträgern wie Rechtsanwälten und Ärzten (§ 203 StGB); hier ist
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in jedem Fall die Einwilligung des Kunden erforderlich (vgl ausf Ehmann CR 1991, 293). Bei bekannten Providern kann man aufgrund dessen, dass diese regelmäßig von den Datenschutzbehörden überprüft werden, meist von dieser Eignung ausgehen (vgl Grützmacher ITRB 2007, 183, 185).
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tragsverhältnisse festzulegen 114. Die Einhaltung der beim Auftragnehmer getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen muss er außerdem überprüfen. Diese Kontrolle kann er jedoch auch Dritten überlassen 115. Der Auftragnehmer hingegen darf die Daten nur im Rahmen der Weisungen des Auf- 40 traggebers erheben, verarbeiten oder nutzen, muss den Auftraggeber jedoch unverzüglich darauf hinweisen, wenn er meint, dass eine Weisung des Auftraggebers gegen den Datenschutz verstößt. Die Regelungen des BDSG gelten für den Auftragnehmer nur bedingt und zwar für nicht-öffentliche Stellen, soweit sie personenbezogene Daten im Auftrag als Dienstleistungsunternehmen geschäftsmäßig erheben, verarbeiten oder nutzen, die §§ 4f, 4g (Datenschutzbeauftragter und dessen Aufgaben), §§ 5 (Verpflichtung auf das Datengeheimnis), 9 (technische und organisatorische Maßnahmen), 38 (Aufsichtsbehörde), 43 Abs 1 Nr 2, 10 und 11, Abs 2 Nr 1 bis 3 und Abs 3 sowie § 44 (Ordnungswidrigkeiten und Strafvorschriften). Die Regelungen über die Auftragsdatenverarbeitung gelten auch, wenn die Prüfung 41 oder Wartung automatisierter Verfahren oder Datenverarbeitungsanlagen durch andere Stellen im Auftrag vorgenommen wird und dabei ein Zugriff auf personenbezogene Daten nicht ausgeschlossen werden kann. Problematisch ist in der Praxis jedoch die Abgrenzung zwischen der Auftragsdatenverarbeitung und dem Outsourcing, bei dem der Auftragnehmer verantwortlich iSd Datenschutzes ist 116. Beim Outsourcing liegt im Gegensatz zur Auftragsdatenverarbeitung eine Funktionsübertragung und mithin eine datenschutzrechtlich relevante Übermittlung an den Funktionsnehmer vor. Diese wäre dann entsprechend wieder an den datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Übermittlung zu messen, dh sie müsste gesetzlich oder durch Einwilligung erlaubt sein 117. Im Wesentlichen kommt hier als gesetzlicher Erlaubnistatbestand nur § 28 Abs 1 Nr 2 BDSG – das Überwiegen eines berechtigten Interesses – in Betracht 118. Bei sensitiven Daten sind zudem die §§ 28 Abs 6–9 BDSG zu beachten. Entscheidend ist daher, ob gem §§ 3 Nr 8, 11 Abs 3 BDSG „im Auftrag“ verarbeitet wird, dh weisungsabhängig, oder nicht. Entscheidet der Auftragnehmer eigenverantwortlich und entscheidet er über die ordnungsgemäße Datenverarbeitung, liegt eine Funktionsübertragung, dh hier Outsourcing, vor 119. Hinweis hierfür ist es zB, wenn Vertragsgegenstand nicht vorrangig die Datenverarbeitung, sondern andere Aufgaben sind, so dass die Datenverarbeitung eher selbstständig im Rahmen der eigentlichen Aufgabenerfüllung erfolgt. Hat der Dienstleister aber keine eigene Entscheidungsbefugnis, agiert er sozusagen nur als „verlängerter Arm“ des Auftraggebers, ist er kein Dritter iSd § 3 Nr 8 BDSG 120; es liegt dann eine Auftragsdatenverarbeitung vor. c) Automatisierte Verarbeitung und Verbot automatisierter Einzelentscheidung. 42 Automatisierte Verarbeitung ist die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen. Eine nicht automatisierte Datei ist jede nicht automatisierte Sammlung personenbezogener Daten, die gleichartig aufgebaut und nach bestimmten Merkmalen zugänglich ist und ausgewertet werden kann121. 114
115
Mustervereinbarungen sind zB unter https: //www.datenschutzzentrum.de/wirtschaft/ vertrgad.htm zu finden; eine Mustervereinbarung für die Auftragsdatenverarbeitung bei der Akten- und Datenträgervernichtung ist unter https://www.datenschutzzentrum. de/wirtschaft/vertrgav.htm abrufbar. Grützmacher ITRB 2007, 183, 186.
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Vgl Grützmacher ITRB 2007, 183. Vgl ausf Rn 51 ff. S Rn 57 ff. Zur Auftragsdatenverabeitung im Ausland vgl Rn 175, 181. Vgl Räther DuD 2005, 461, 465. So legaldefiniert in § 3 Abs 2 BDSG.
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Seit 2001 stellt § 6a BDSG besondere Anforderungen an automatisierte Einzelentscheidungen. § 6a will verhindern, dass Entscheidungen aufgrund von Persönlichkeitsprofilen ergehen, ohne dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, von den Bewertungsmaßstäben Kenntnis zu erhalten 122. Entscheidungen sind solche, die auf Daten gestützt werden, die zum Zweck der Bewertung einzelner Aspekte einer Person, wie ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit, ihrer Kreditwürdigkeit, ihrer Zuverlässigkeit oder ihres Verhaltens, erhoben wurden 123. Hierzu zählen nicht Abhebungen am Geldausgabeautomaten, automatisierte Genehmigungen von Kreditkartenverfügungen oder der automatisiert gesteuerte Guthabenabgleich zur Ausführung von Überweisungs-, Scheck- oder Lastschriftaufträgen 124. Es muss sich um eine Entscheidung handeln, die rechtliche Folgen nach sich zieht oder zumindest eine erheblich beeinträchtigende Wirkung hat. Eine solche Entscheidung liegt zB beim Schufa125-Scoring vor, denn je nach Scoring-Wert können sich die Konditionen eines abzuschließenden Vertrages ändern, bis hin zur Verweigerung des Vertragsabschlusses; ist ein negativer Score erst einmal übermittelt, wird sich selbst eine darauf folgende Entscheidung durch einen Sachbearbeiter auch maßgeblich auf diesen stützen 126. Allerdings ist nur die reine automatisierte Entscheidung verboten; sobald es eine Überprüfung durch einen Menschen gibt, fällt die Entscheidung aus dem Anwendungsbereich des § 6a BDSG; das betrifft zB die automatisierte Vorauswahl, zB bei Personalentscheidungen 127. Das Verbot der automatisierten Einzelentscheidung gilt jedoch nicht, wenn die Entscheidung im Rahmen des Abschlusses oder der Erfüllung eines Vertragsverhältnisses oder eines sonstigen Rechtsverhältnisses ergeht und dem Begehren des Betroffenen stattgegeben wurde oder die Wahrung der berechtigten Interessen des Betroffenen durch geeignete Maßnahmen gewährleistet und dem Betroffenen von der verantwortlichen Stelle die Tatsache des Vorliegens einer solch automatisierten Entscheidung mitgeteilt wird. Als geeignete Maßnahme gilt insbesondere die Möglichkeit des Betroffenen, seinen Standpunkt geltend zu machen. Daneben kommen auch andere Maßnahmen in Betracht. Maßstab ist insoweit die Effizienz der jeweiligen Maßnahme hinsichtlich der Wahrung des berechtigten Interesses der betroffenen Personen. Um dem Zweck dieser Regelung gerecht zu werden, muss der Betroffene über die Tatsache des Vorliegens einer Entscheidung iSv § 6a Abs 1 informiert werden. Die erneute Überprüfung darf nicht ausschließlich automatisiert erfolgen. § 6a Abs 3 gibt ferner ein Auskunftsrecht über den logischen Aufbau der automatisierten Verarbeitung; dies soll Transparenz für den Betroffenen schaffen. Selbstverständlich gilt auch hier der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und der Schutz des geistigen Eigentums 128.
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d) Anonymisieren und Pseudonymisieren. Anonymisieren ist nach der Legaldefinition des § 3 Abs 6 BDSG das Verändern personenbezogener Daten derart, dass die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Unverhältnismäßig ist der Aufwand, wenn die Deanonymisierung zu aufwändig im Verhältnis zum Wert der Information ist bzw die Neubeschaffung einfacher wäre 129. Bei der Entscheidung, ob
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BT-Drucks 14/4329, 37. BT-Drucks 14/4329, 37. BT-Drucks 14/4329, 37. Die Schufa hat ausweislich ihres Jahresberichts aus dem Jahr 2005 63 Mio Personen und 384 Mio Daten erfasst; 99 % der Verfahren sind EDV-gestützt.
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Ausf Möller/Florax MMR 2002, 806, 809; Koch MMR 1998, 458. BT-Drucks 14/4329, 37. BT-Drucks 14/4329, 37; Erwägungsgrund 41 Richtlinie 95/46/EG. Vgl Roßnagel/Scholz MMR 2000, 721, 724.
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Grundlagen des Datenschutzes
eine Person bestimmbar ist, sollten insgesamt alle Mittel berücksichtigt werden, die vernünftigerweise entweder von der verantwortlichen Stelle oder von einem Dritten eingesetzt werden könnten, um die betreffende Person festzustellen 130. Das Reinidentifizierungsrisiko ist jedoch immer im Einzelfall zu bestimmen. Anonymisierte Daten unterfallen nicht mehr dem Datenschutzrecht, denn sie sind nicht mehr personenbezogen. Allerdings besteht immer die Gefahr, dass diese Daten durch das Hinzufügen von Zusatzwissen reindividualisiert werden können und dadurch deanonymisiert 131. Eine mögliche Anonymisierung und damit die Möglichkeit der Datenvermeidung sah 45 der Gesetzgeber noch in der Verwendung von Prepaid-Karten 132. Allerdings werden auch bei der Verwendung von Prepaid-Systemen Nutzungsdaten, zB die IP-Adresse oder Telefonnummer, benötigt, so dass auch hier die datenschutzrechtlichen Regelungen zu beachten sind 133. Bestandsdaten über das für das Vertragsverhältnis Erforderliche müssen nach 134 einer Gesetzesänderung in § 111 Abs 1 TKG nun aber auch zusätzlich noch erhoben werden, so dass die Hoffnung, durch Prepaid-Systeme Daten „sparen“ zu können, sich nicht erfüllt hat 135. Pseudonymisieren ist das Ersetzen des Namens und anderer Identifikationsmerkmale 46 durch ein Kennzeichen zu dem Zweck, die Bestimmung des Betroffenen auszuschließen oder wesentlich zu erschweren (§ 3 Abs 6a BDSG). Pseudonymisierte Daten unterfallen noch dem Datenschutzrecht, denn die Bestimmung des Betroffenen ist zwar erschwert, aber nicht ausgeschlossen. Relativ gesehen kann hier aber bereits Anonymität vorliegen, denn für denjenigen, der die Pseudonymisierung nicht vorgenommen hat, ist vom Pseudonym in der Regel nicht auf den Betroffenen zu schließen 136. Pseudonyme sind zB das Kfz-Zeichen, die Matrikelnummer, die IP-Adresse oder der eBay-Benutzername. Pseudonyme können, wie bei der Matrikelnummer, von der verantwortlichen Stelle ausgegeben, wie bei der Benutzer-ID vom Betroffenen selbst gewählt oder wie bei einem Signaturschlüssel nach dem SigG von einem vertrauenswürdigen Dritten vergeben werden. Bei der Weitergabe dieser pseudonymisierten Daten an einen Dritten, der keine Referenzliste oder Zuordnungsregel zur Wiederherstellung des Bezugs zur Person hat, handelt es sich nicht um eine Übermittlung personenbezogener Daten 137. Grds handelt es sich jedoch um personenbezogene Daten 138, für die insbesondere im TMG auch einige spezielle Vorschriften gelten. e) Mobile personenbezogene Speicher- und Verarbeitungsmedien. Mobile personen- 47 bezogene Speicher- und Verarbeitungsmedien sind Datenträger, (1.) die an den Betroffenen ausgegeben werden, (2.) auf denen personenbezogene Daten über die Speicherung hinaus durch die ausgebende oder eine andere Stelle automatisiert verarbeitet werden können und (3.) bei denen der Betroffene diese Verarbeitung nur durch den Gebrauch des Mediums beeinflussen kann (§ 3 Abs 10 BDSG). Typischer Anwendungsfall sind EC-Karten, SIM-Karten, Krankenversicherungskarten, aber auch oft Kundenkarten; teil-
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So Erwägungsgrund 26 Richtlinie 95/46/EG. Vgl Roßnagel/Scholz MMR 2000, 721, 723. BT-Drucks 13/7385, 23. Vgl auch Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 102. Vgl zur alten Rechtslage BVerwG MMR 2004, 114 – Erhebung von Kundendaten bei Prepaid-Produkten. Vgl aber BVerfG MMR 2007, 308 und Rn 52.
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Zu den einzelnen Aufdeckungsrisiken und Vorsorgemaßnahmen vgl ausf Roßnagel/ Scholz MMR 2000, 721, 727. Gola/Schomerus § 3a Rn 10; Roßnagel/ Scholz MMR 2000, 721, 727. So auch Simitis/Bizer § 3 Rn 217; Steidle/ Pordesch DuD 2008, 324, 327.
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weise sind diese auch bereits mit RFID-Technologien ausgestattet. Nicht unter den Begriff der mobilen personenbezogenen Speicher- und Verarbeitungsmedien fallen jedoch die passiven Produkte-Tags mit RFID-Technologie, da es hier an der zweiten Voraussetzung, der Möglichkeit der automatisierten Verarbeitung von Daten, fehlt 139. Gem § 6c BDSG muss die Stelle, die ein Medium ausgibt oder ein Verfahren zur auto48 matisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, das ganz oder teilweise auf einem solchen Medium abläuft, auf das Medium aufbringt, ändert oder hierzu bereithält, den Betroffenen 1. über seine Identität und Anschrift, 2. in allgemein verständlicher Form über die Funktionsweise des Mediums einschließlich der Art der zu verarbeitenden personenbezogenen Daten, 3. darüber, wie er seine Rechte nach den §§ 19, 20, 34 und 35 ausüben kann, und 4. über die bei Verlust oder Zerstörung des Mediums zu treffenden Maßnahmen unterrichten, soweit der Betroffene nicht bereits Kenntnis erlangt hat.
IV. Medienprivileg – Datenschutz bei der Presse 49
Das Medienprivileg gem § 41 BDSG gibt den Ländern vor, dass diese in ihrer Gesetzgebung vorsehen müssen, dass für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten von Unternehmen und Hilfsunternehmen der Presse ausschließlich zu eigenen journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zwecken den Vorschriften der §§ 5 (Datengeheimnis), 9 (Technische und organisatorische Maßnahmen) und 38a (Verhaltensregeln) entsprechende Regelungen einschließlich einer hierauf bezogenen Haftungsregelung entsprechend § 7 (Schadensersatz) zur Anwendung kommen 140. Da die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Rundfunksender (bis auf die Deutsche Welle) nicht gilt, müssen die Länder die entsprechenden Regelungen vorsehen. § 41 BDSG enthält insofern nur eine Rahmenregelung. Die entsprechenden Regelungen finden sich daher im Rundfunkdienstestaatsvertrag (§ 47 RStV) 141, in den Landespressegesetzen und Landesdatenschutzgesetzen 142. Rundfunkanstalten sind zwar nicht ausdrücklich in § 41 BDSG benannt, aus den Regelungen für die Deutsche Welle ist aber ersichtlich, dass diese vom Regelungsbereich umfasst sind. Die Ausnahmeregelungen sind Ausfluss der Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 GG), so 50 dass der Pressebegriff ebenso wie im GG zu verstehen ist, zB sind auch Kunden- und Werkszeitungen erfasst 143. In diesem Regelungsbereich bedarf es im Wesentlichen des Datenschutzes nicht, sondern hier werden sogar oft sensitive Daten zulässigerweise genutzt 144. Geschützt ist die Veröffentlichung selbst und die hierzu durchgeführte Recherche 145. Zu beachten ist jedoch, dass lediglich die Daten mit einer journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zweckbestimmung von der Regelung umfasst sind. Für alle
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Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17, 21. Spezialregeln nach dem BDSG gelten für die Deutsche Welle, da diese der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfällt (§§ 41 Abs 2–4, 42 BDSG). Der Mediendienstestaatsvertrag, der in das TMG übergegangen ist, ist am 1.3.2007 außer Kraft getreten.
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ZB § 22a Berliner Pressegesetz und § 31 BlnDSG. Vgl zum Pressebegriff und den presserechtlichen „Betroffenenrechten“ ausf Teil 4 Kap 2 Rn 8 ff, 42 ff. Vgl insbesondere BVerfG DÖV 1973, 451 – Lebach-Urteil. BGH DuD 1990, 371.
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Materielles Datenschutzrecht
anderen gilt das BDSG; sie sind nicht privilegiert 146. Hierunter fallen zB Honorardaten von freien Mitarbeitern, Reisekostenabrechnungen, die Abonnentenverwaltung und auch Leseranalysen oder GEZ-Daten 147. Außerdem gilt die Privilegierung nur für eigene Zwecke, dh die kommerzielle Verwertung der journalistischen Datenbanken und Archive zu nicht-journalistischen Zwecken, insbesondere durch Dritte, ist nicht erfasst 148. Dies ist zB der Fall, wenn Online-Recherchen im Datenbestand von außen zugelassen werden. Die Privilegierung kann aber auch unternehmensintern entfallen, wenn die Daten zB bei internen Marketing- oder Personalfragen genutzt werden. Gilt das Medienprivileg, sind nur die Regelungen des § 5, 9, 38a und, entsprechend hierauf bezogen, die Regelung zum Schadensersatz § 7 BDSG anwendbar. Daneben gelten die presserechtlichen Regelungen zur Gegendarstellung oä. Hier findet sich in den Landespressegesetzen auch oft ein Verweis zu den Regelungen für die Deutsche Welle nach § 41 Abs 2–4 BDSG.
§2 Materielles Datenschutzrecht Ausgangspunkt des materiellen Datenschutzrechts ist die Frage, wann die Daten von 51 Betroffenen verwendet werden dürfen. Hier definiert bereits das Volkszählungsurteil ein strenges Regel-Ausnahme-Verhältnis 149, dh ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das bedeutet, dass Erhebung, Speicherung, Verarbeitung und Nutzung zunächst verboten sind und nur in zwei Fällen erlaubt 150: 1. gesetzliche Erlaubnis oder 2. Einwilligung des Betroffenen Einwilligungserklärung und die gesetzlichen Erlaubnistatbestände sind stets restriktiv auszulegen 151.
I. Gesetzliche Erlaubnistatbestände Gesetzliche Erlaubnistatbestände 152 finden sich zB in §§ 13 ff BDSG (für öffentliche 52 Stellen), §§ 28 ff BDSG (für nicht-öffentliche Stellen), §§ 14, 15 TMG (für Telemedien und über § 47 RStV für den Rundfunk), §§ 95 ff TKG (für Telekommunikation) und in zahlreichen Spezialgesetzen. Für Medienunternehmen besonders relevant sind die Vorschriften des BDSG für nicht-öffentliche Stellen, für Telemedien und ggf für die Telekommunikation, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.
146 147 148 149
Vgl auch LG Ulm MMR 2005, 265, 267. Gola/Schomerus § 41 Rn 11 ff; Simitis/Walz § 41 Rn 15. Simitis/Walz § 41 Rn 16 f; Kilian/Heussen/ Weichert Nr 137 Rn 3. BVerfG NJW 1984, 419 – Volkszählungsurteil; vgl auch Garstka DuD 1994, 243.
150 151
152
Vgl § 4 Abs 1 BDSG; § 12 Abs 1, 2 TMG. OLG Celle NJW 1980, 347; Hoeren/ Sieber/Helfrich 16.1 Rn 36; Simitis/Simitis § 4a Rn 44. Hierzu zählen auch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen (BAG NJW 1987, 674, 677).
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
1. Nicht-öffentliche Stellen im BDSG
53
a) Eigene Geschäftszwecke (§ 28 Abs 1 Nr 1–3 BDSG). Bei der gesetzlichen Erlaubnis sind vor allem § 28 Abs 1 Nr 1–3 BDSG von Bedeutung. Hiernach ist das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke zulässig. Hiermit sind Datenverarbeitungen gemeint, die der Erfüllung bestimmter anderer, eigener Zwecke der Daten verarbeitenden Stelle dienen, dh wenn die Daten nur Mittel zum Zweck sind, aber nicht geschäftsmäßig verarbeitet werden 153, wobei Letzteres durch § 29 BDSG erlaubt sein kann 154. Dies ist besonders bei der Verarbeitung von Kunden- und Arbeitnehmerdaten der Fall. ZB bei Wirtschafts- und Handelsauskunfteien kann eine Verarbeitung sowohl nach § 28 (Inkassobüro) als auch nach § 29 (Auskunftei) erfolgen; diese sind dann jedoch organisatorisch streng zu trennen 155. Dies trifft auch auf Bewertungs- und Meinungsportale im Internet zu, wobei die personenbezogenen Daten, die von Dritten als Bewertungen eingestellt werden, nach § 29 BDSG zu beurteilen sind156. Zusätzlich erforderlich nach Nr 1 ist es, dass die Datenverarbeitung der Zweck54 bestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient; auch hier ist eine Vorratsdatenspeicherung nicht zulässig (vgl auch § 28 Abs 1 S 2). Das ist dann der Fall, wenn Daten mit Rücksicht auf den Zweck eines zwischen der verantwortlichen Stelle und den Betroffenen bestehenden Vertragsverhältnisses benötigt werden 157. Der Zweck ergibt sich dabei aus dem Vertrag und muss jedenfalls von den Parteien durch gemeinsame Erklärungen ihrer rechtsgeschäftlichen Beziehung zugrunde gelegt worden sein 158. Wenn die Daten zur Abwicklung einer Bestellung im Internet erhoben werden, kann daraus keine Erlaubnis für die Verwendung von selbst firmengebundenen Werbeaktionen erwachsen. Sobald der Vertrag, dh zB ein Kaufvertrag durch die Lieferung und Zahlung, erfüllt ist, müssen die Daten gelöscht werden oder das Unternehmen muss sich die Einwilligung des Kunden zur weiteren Speicherung einholen. Damit ist dem Anlegen von Kundenprofilen im Sinne eines Data Warehouse 159 oder 55 Data Mining 160 meist ein Riegel vorgeschoben. Diese sind datenschutzrechtlich bereits wegen der Grundsätze der Datensparsamkeit bzw -vermeidung und Zweckbindung bedenklich. Eine Einwilligung ist fast immer erforderlich 161; es ist allerdings genau nach der Art der Daten und ihrer Erhebung zu unterscheiden 162. Aber auch da stellt der 153 154
155 156
157
Gola/Schomerus § 28 Rn 4. Wenn die Beratung im Vordergrund steht und nicht die Datenverarbeitung, fallen auch zB Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unter § 28 BDSG (Gola/Schomerus § 28 Rn 5). Vgl ausf Gola/Schomerus § 28 Rn 6 ff. Dorn DuD 2008, 98, 100; Heller ZUM 2008, 243, 245; aA OLG Köln GRUR-RR 2007, 26, 29 – spickmich.de. Vgl LG Frankfurt aM MMR 2006, 769 – FIFA WM 2006, hier war die Erhebung der Ausweisnummer bei Kauf einer Eintrittskarte zur WM als zulässig betrachtet worden, weil sie bei der Einlasskontrolle und damit für den Vertragszweck benötigt wurde.
1640
158 159 160
161
162
Simitis/Simitis § 28 Rn 79. Zentraler Datenspeicher zur Sammlung von (personenbezogenen) Daten. Anwendung von (statistisch-mathematischen) Methoden auf einen Datenbestand wie ein Data Warehouse mit dem Ziel der Mustererkennung, dh hier zur Erstellung von Kundenprofilen. Podlech/Pfeifer RDV 1998, 139; Ladeur MMR 2000, 715, 719; Möncke DuD 1998, 561; Taeger K&R 2003, 220; Weichert DuD 2001, 264; Weichert RDV 2003, 113; Wittig RDV 2000, 59. Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 226.
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§2
Materielles Datenschutzrecht
Grundsatz der Zweckbindung hohe Anforderungen, denn eine Pauschaleinwilligung wird insbesondere hier nicht genügen. Dasselbe trifft auf die Erhebung von Akquisedaten, zB Hobbys, Gewohnheiten und Vorlieben von Kunden, selbst im Rahmen einer Geschäftsbeziehung zu 163. Im Rahmen von Bonus- oder Kundenkarten ist die Erhebung von Kundendaten, wie 56 Ort und Zeit des Karteneinsatzes und der getätigte Umsatz, zulässig, wenn dies zur Rabattgewährung bzw für Serviceleistungen im Rahmen des Kundenkartenvertrages erforderlich ist 164. Hierfür können dann auch RFID-Technologien sowohl für die Kundenkarte als für den Kauf von Produkten (RFID-Tags an Produkten) verwendet werden 165. Ein Problem ergibt sich aber dann, wenn ein RFID-Tag nicht vom ersten Geschäft, sondern einem anderen, in das der Kunde sich anschließend begibt, ausgelesen wird, denn der Produkte-RFID-Tag wird nicht automatisch deaktiviert, sondern kann auch von Dritten ausgelesen werden, denen keine Erlaubnis nach § 28 Abs 1 Nr 1 BDSG zusteht 166. Hierfür wäre dann die Einwilligung des Kunden erforderlich, die aber regelmäßig nicht eingeholt wird. Aus diesem Grund werden ua Hinweispflichten für Unternehmen und Deaktivierungsmöglichkeiten für den Kunden gefordert 167. Gem § 28 Abs 1 Nr 2 ist das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln per- 57 sonenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke zulässig, soweit es zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Der Begriff des berechtigten Interesses ist weit zu verstehen 168. Es genügt jedes Interesse, das in wirtschaftlicher Hinsicht der Optimierung des Unternehmensgegenstandes und der Erreichung der geschäftlichen Ziele dient 169; es genügt allerdings auch ein tatsächliches oder ideelles Interesse. Die Datenverarbeitung muss jedoch auch erforderlich zur Wahrung dieses Interesses sein. Die Erforderlichkeit ist hierbei streng auszulegen 170. Keine überflüssigen Daten dürfen erhoben, verwendet oder genutzt werden, dh nicht mehr als für den Zweck notwendig 171. Die Erforderlichkeit ist nicht mehr gegeben, wenn die Interessen auch auf andere objektiv zumutbare Weise gewahrt werden können. Das berechtigte Interesse ist nun wiederum im Einzelfall gegen das schutzwürdige Interesse des Betroffenen abzuwägen 172. „Dabei sind Art, Inhalt und Aussagekraft der beanstandeten Daten an den Angaben und Zwecken zu messen, denen die Speicherung dient. Nur wenn diese am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Abwägung, die die speichernde Stelle vorzunehmen hat, keinen Grund zur Annahme bietet, dass die Speicherung der in Frage stehenden Daten zu dem damit verfolgten Zweck schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt, ist die Speicherung zulässig.“ 173 163 164 165
166 167
Vgl Gola/Schomerus § 28 Rn 12. Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17, 20. Hierzu ausf Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17; LG Frankfurt aM MMR 2006, 769 – FIFA WM 2006. Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17, 21. Beschluss der obersten Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich am 8./9.11.2006 in Bremen; Arbeitspapier Datenschutzfragen im Zusammenhang mit der RFID-Technik der Art-29Datenschutzgruppe 10107/05/DE WP 105 vom 19.1.2005.
168 169 170 171 172
173
Grützmacher ITRB 2007, 183, 186; Gola/ Schomerus § 28 Rn 33. Grützmacher ITRB 2007, 183, 186. Gola/Schomerus § 28 Rn 34; Simitis/Simitis § 28 Rn 143. Bizer DuD 2007, 350, 353. Zur Interessenabwägung bei sog AssetTracking vgl ausf Niedermeier/Schröcker CR 2002, 241. BGH NJW 1986, 2505, 2506.
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
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Das Anlegen von Kundenprofilen und zielgruppenorientierte Werbung kann daher gem § 28 Abs 1 Nr 2 BDSG zulässig sein 174. Die Übermittlung von Adressaten an Dritte zwecks Werbung ist es jedenfalls nicht 175. Bei der Übermittlung an sog Warndienste wie die Schufa 176 muss zwischen harten und weichen Negativmerkmalen unterschieden werden. Während harte Negativmerkmale, wie die bereits erfolgte Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, regelmäßig nach § 28 Abs 1 Nr 2 BDSG übermittelt werden können, muss bei weichen Merkmalen, wie zB der Zahlungsunwilligkeit, eine Abwägung im Einzelfall erfolgen. Bei Warndiensten ist zudem zu berücksichtigen, dass durch evtl. fehlende Voreintragungen ein falscher Eindruck von dem allgemeinen und aktuellen Vertragsverhalten entstehen kann, so dass eine Übermittlung unzulässig ist 177. Beim Scoring wird die Kaufkraft und die Kreditwürdigkeit eines Kunden nach einer statistisch-mathematischen Analyse bewertet. Aus dieser Auswertung soll erkennbar sein, wie ein Kunde sich bei der Erfüllung gerade eines noch abzuschließenden Vertrages verhalten wird 178. Bestimmte Daten, die für die Kreditwürdigkeit relevant sind, wie Einkommen und Beruf, können daher zulässig sein; Daten, die nicht relevant sind, wie Familienstand, Adresse und Alter, dagegen nicht 179. Dies ist am konkreten Interesse zu prüfen. In jedem Fall ist auch das Verbot der automatisierten Einzelentscheidung zu beachten 180. Unzulässig ist zB die Speicherung von Nutzungsdaten in sog Logfiles zu Kontroll59 zwecken 181. Hier protokollieren Anbieter – oftmals Betreiber öffentlicher Websites oder unternehmensinterner Intranets – die Nutzungen der einzelnen Nutzer mit, um entweder das Benutzerverhalten zu prüfen oder auch Missbrauch schneller nachverfolgen zu können182. Diese Protokollierung fällt jedoch nicht mehr in den Geschäftszweck, sofern das BDSG wegen § 12 Abs 1 TMG überhaupt noch Anwendung findet 183, und auch eine Einwilligung wird nicht anzunehmen sein. Unzulässig wäre wohl auch die Feststellung mit RFID, wie lange sich welcher Kunde in welchem Geschäft bzw in welchen Abteilungen eines Geschäfts aufhält 184. Als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke ist es ebenfalls gem § 28 Abs 1 60 Nr 3 BDSG zulässig, wenn die Daten allgemein zugänglich sind oder die verantwortliche Stelle sie veröffentlichen dürfte, allerdings erneut nicht, wenn das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung gegenüber dem berechtigten Interesse der verantwortlichen Stelle offensichtlich überwiegt. Im Gegensatz zu Nr 2 muss das schutzwürdige Interesse des Betroffenen hier offensichtlich überwiegen, da die Daten in diesem Fall aus öffentlichen Quellen stammen; insbesondere die Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 GG) und ein allgemeines Informationsinteresse sind zu berücksichtigen 185. Die verantwortliche Stelle muss demnach – im Gegensatz zu Nr 2 – keine detaillierte Einzelprüfung vornehmen. Allgemein zugängliche Quellen sind zB Zeitungen, Zeitschriften, WWW, Rundfunk, Messen und Ausstellungen und öffentliche
174
175 176 177 178 179 180
Vgl auch Eckhardt MMR 2003, 557, 561; Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17, 20; Wuermeling CR 2001, 303, 304. Gola/Schomerus § 28 Rn 39. Vgl hierzu AG Hamburg DuD 2001, 621. Gola/Schomerus § 28 Rn 40; OLG Düsseldorf RDV 2006, 124. Ausf zum Kredit-Scoring Weichert DuD 2005, 582, 584. Weichert DuD 2005, 582, 584. Vgl hierzu Rn 43.
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181
182 183 184 185
Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 213; AG Mitte Urteil vom 27.3.2007, AZ: 5 C 314/06. Vgl zu pseudonymisierten Webstatistiken Rn 82. Vgl Rn 14. Holznagel/Bennekoth MMR 2006, 17, 20. OLG Köln GRUR-RR 2008, 26, 29 – spickmich.de; LG Köln MMR 2007, 729, 731 f – spickmich.de.
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§2
Materielles Datenschutzrecht
Register, wenn an die Einsichtnahme keine besonderen Anforderungen gestellt werden 186. Allerdings zählen auch öffentliche Foren, Mailinglisten, Websites 187 oder Newsgroups hierzu, so dass zB die Erhebung von Email-Adressen oder anderen personenbezogenen Daten aus diesen Quellen zulässig sein kann 188. b) Andere Zwecke – Listenprivileg (§ 28 Abs 2–5 BDSG). Eine Verwendung zu einem anderen Zweck ist gem § 28 Abs 2, 3 und 5 in engen Grenzen möglich: 1. erneut unter den bereits genannten Voraussetzungen des § 28 Abs 1 S 1 Nr 2 und 3 (§ 28 Abs 2), 2. zur Wahrung von berechtigten Interessen Dritter (§ 28 Abs 3 S 1 Nr 1), 3. zur Gefahrenabwehr und zur Verfolgung von Straftaten (§ 28 Abs 3 S 1 Nr 2), 4. für Zwecke der Werbung, Markt- und Meinungsforschung unter bestimmten Voraussetzungen (§ 28 Abs 3 S 1 Nr 3), 5. zur wissenschaftlichen Forschung (§ 28 Abs 3 S 1 Nr 4), 6. für Dritte ebenfalls unter den Voraussetzungen dieser Abs 2 und 3 (§ 28 Abs 5). Für Medienunternehmen von besonderem Interesse ist die Zweckänderung gem § 28 Abs 3 S 1 Nr 3 BDSG. Die Voraussetzung, dass Daten zum Zweck der Werbung oder Markt- und Meinungsforschung verwendet werden dürfen, bedeutet hier, dass es sich um listenmäßig oder anderweitig zusammengefasste Daten über Angehörige einer Personengruppe handelt, die sich auf eine Angabe über die Zugehörigkeit des Betroffenen zu dieser Personengruppe, Berufs-, Branchen- oder Geschäftsbezeichnung, Namen, Titel, akademische Grade, Anschrift und Geburtsjahr beschränken (Listenprivileg). Die Liste darf nur eine Angabe über die Zugehörigkeit zu einer Personengruppe enthalten. Jede weitere, die nicht zu den erlaubten Angaben gehört, ist unzulässig 189. Außerdem darf kein Grund zu der Annahme bestehen, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung oder Nutzung hat. Gem § 28 Abs 3 S 2 vermutet der Gesetzgeber, dass dieses Interesse besteht, wenn im Rahmen der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses gespeicherte Daten übermittelt werden sollen, die sich auf strafbare Handlungen, auf Ordnungswidrigkeiten sowie, bei Übermittlung durch den Arbeitgeber, auf arbeitsrechtliche Rechtsverhältnisse beziehen. Hierzu zählen ebenfalls die sensitiven Daten, die den speziellen Restriktionen der Abs 6–9 unterliegen. Allerdings hat der Betroffene nach § 28 Abs 4 BDSG ein Widerspruchsrecht, auf das die verantwortliche Stelle hinzuweisen hat. Nach Ausübung des Widerspruchs sind die Daten zu sperren 190. Hierzu genügt auch ein Telefonanruf oder eine konkludente Erklärung oder der Hinweis „Annahme verweigert“ 191. Diese Erklärung kann auch gegenüber einem Erfüllungsgehilfen oder Auftragnehmer der verantwortlichen Stelle, zB dem Interviewer eines Meinungsforschungsunternehmens, abgegeben werden. Der Eintrag in eine sog Robinson-Liste 192 genügt nicht. Bei der Vermarktung von Adressen wird man es jedoch zu den Sorgfaltspflichten der betreffenden Stelle zählen dürfen, ihre Liste mit der Robinson-Liste abzugleichen und die betreffenden Daten entsprechend zu löschen bzw
186 187
Schuldnerverzeichnis, Handels- und Vereinsregister, nicht aber das Grundbuch. OLG Köln GRUR-RR 2008, 26, 29 – spickmich.de; LG Köln MMR 2007, 729, 731 f – spickmich.de.
188 189 190 191 192
Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 225. Gola/Schomerus § 28 Rn 56a. Vgl Rn 135. Gola/Schomerus § 28 Rn 59. Hierzu Weichert WRP 1996, 522, 531 f.
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
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zu sperren 193. Der Hinweis auf das Widerspruchsrecht muss nicht den Anforderungen an die Einwilligung genügen, darf allerdings auch nicht versteckt werden 194. Ein Verstoß gegen diese Hinweispflicht ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 43 Abs 1 Nr 3 BDSG). Diese Regelungen korrelieren auch mit den allgemeinen Regelungen des BGB (§§ 823, 65 1004 BGB) und § 7 Abs 2 UWG, § 6 TMG zur Abwehr von Briefkastenwerbung, Spam und Cold Calls 195. Die Nutzung auch von allgemein zugänglichen Daten (zB auf einer Website) zu wettbewerbswidrigen Zwecken ist zudem auch datenschutzrechtlich immer rechtwidrig 196.
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c) Spezialregelungen für sensitive Daten (§ 28 Abs 6–9 BDSG). Eine gesetzliche Erlaubnis für besondere personenbezogene Daten (§ 3 Abs 9 BDSG) 197 ist nur unter besonderen Umständen gem § 28 Abs 6 BDSG möglich, zB wenn dies zum Schutz lebenswichtiger Interessen des Betroffenen (zB eine erforderliche medizinische Behandlung) oder eines Dritten erforderlich ist, sofern der Betroffene aus physischen oder rechtlichen Gründen außerstande ist, seine Einwilligung zu geben, und in bestimmten Fällen für die wissenschaftliche Forschung. Gem § 28 Abs 6 Nr 3 ist die Verwendung aber auch dann erlaubt, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche (iSd § 194 BGB) erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt, zB innerhalb von Dienstverhältnissen 198. Die Abs 7–9 enthalten zudem Privilegien aus medizinischen Gründen, zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und für zB religiöse Organisationen ohne Erwerbszweck.
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d) Geschäftsmäßige Datenerhebung und -speicherung zum Zweck der Übermittlung (§ 29 BDSG). Werden Daten nicht zu eigenen Zwecken, sondern geschäftsmäßig erhoben, bleibt nur der Rückgriff auf § 29 und 30 BDSG. Geschäftsmäßig bedeutet jede auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit. Das schließt auch ein erstmaliges Tätigsein ein, wenn Wiederholungsabsicht besteht 199. Entgeltlichkeit ist kein Kriterium 200. Für die Verarbeitung oder Nutzung der übermittelten Daten gilt § 28 Abs 4 und 5. Die Bestimmungen der § 28 Abs 6 bis 9 für sensitive Daten gelten ebenfalls entsprechend 201.
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(1) Erheben, Speichern oder Verändern der Daten (§ 29 Abs 1 BDSG). Das geschäftsmäßige Erheben, Speichern oder Verändern personenbezogener Daten zum Zweck der Übermittlung, insbesondere wenn dies der Werbung, der Tätigkeit von Auskunfteien (auch Warndiensten), dem Adresshandel oder der Markt- und Meinungsforschung dient, ist nach § 29 Abs 1 BDSG in zwei Fällen zulässig, wenn 1. kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung hat, oder 2. die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen202 entnommen werden können oder die verantwortliche Stelle sie veröffentlichen dürfte, es sei denn, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung offensichtlich überwiegt .
193 194 195 196
Gola/Schomerus § 28 Rn 60; ausf Mattke 249 ff; Weichert WRP 1996, 522, 531 f. Vgl ausf Gola/Schomerus § 28 Rn 62 ff. Näheres vgl Teil 3 Kap 1 Rn 289 ff; Teil 5 Kap 1 Rn 19 ff. Vgl nur Gola/Schomerus § 28 Rn 54b; aA LG Kiel RDV 2000, 226.
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197 198 199 200 201 202
Vgl zum Begriff Rn 17. Gola/Schomerus § 28 Rn 73. Gola/Schomerus § 29 Rn 4. LG Ulm MMR 2005, 265, 266. Vgl Rn 66. Vgl zur Auslegung § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 BDSG.
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Materielles Datenschutzrecht
Im ersten Fall ist erneut, wie bei § 28 Abs 1 S 1 Nr 2 BDSG, das berechtigte Interesse 69 der verantwortlichen Stelle mit dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen im Einzelfall abzuwägen 203. Sind die Interessen als gleichrangig einzustufen, ist die Datenerhebung unzulässig 204. Die Beweislast trägt allerdings der Betroffene 205. Insgesamt müssen konkrete Anhaltspunkte für ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse des Betroffenen bestehen. Die betreffende Stelle muss jedoch prüfen, ob die übermittelten Daten jedenfalls korrekt sind 206. Besonders zu beachten ist das Interesse der Betroffenen bei Daten, die sich negativ für sie auswirken können 207. Scorewerte können im Rahmen ihrer Zweckbestimmung übermittelt werden, wenn sie als solche gekennzeichnet werden. Allerdings ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten über das vertragsgemäße Zahlungs- und Geschäftsabwicklungsverhalten von Kunden sowie die Übermittlung von Scorewerten, die auf der Grundlage dieses Verhaltens berechnet wurden, durch Versandhandelsunternehmen an Auskunfteien zur Nutzung für deren eigene Geschäftszwecke unzulässig, denn diese Kunden müssen nicht damit rechnen, dass ihr bisheriges Kundenverhalten gegenüber einem Versandhaus entscheidend dafür sein kann, ob sie Lieferungen von anderen Unternehmen erhalten, die bei einer Auskunftei Bonitätsauskünfte einholen 208. Kaufkraftklassen-Bewertungen können außerdem diskriminierend wirken und deren Übermittlung ist dann nicht zulässig. Angaben über strafbares Verhalten dürfen nur bei besonderem Informationsinteresse gespeichert werden 209. Problematisch in diesem Zusammenhang ist auch wieder die Tätigkeit von Warnauskunfteien, wie der Schufa. Wenn diese die Dateien rechtmäßig gem § 28 BDSG erhalten haben, muss der Betroffene die Übermittlung hinnehmen, wenn die Daten für das Geschäftsleben relevant sind und objektive missbilligenswerte Tatbestände und Verhaltensweisen betroffen sind, wobei zB der Antrag auf und selbst ggf der Erlass eines Mahnbescheids noch nicht genügt 210. Im zweiten Fall ist § 28 Abs 1 S 2 BDSG, dh der Grundsatz der Zweckbestimmung 70 anzuwenden, so dass auch hier eine Vorratspeicherung nur mit Einwilligung der Betroffenen möglich ist211. (2) Übermittlung der Daten (§ 29 Abs 2 BDSG). Die Übermittlung im Rahmen der 71 Zwecke nach § 29 Abs 1 ist zulässig, wenn 1. der Dritte, dem die Daten übermittelt werden, ein berechtigtes Interesse an ihrer Kenntnis glaubhaft dargelegt hat (lit a) oder es sich um listenmäßig oder sonst zusammengefasste Daten nach § 28 Abs 3 Nr 3 handelt, die für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung übermittelt werden sollen (lit b), und 2. kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat. Bei der Übermittlung nach Nr 1 lit a) sind die Gründe für das Vorliegen eines berech- 72 tigten Interesses und die Art und Weise ihrer glaubhaften Darlegung von der übermittelnden Stelle aufzuzeichnen. Nach diesem Erlaubnistatbestand ist auch regelmäßig die 203 204 205 206 207
208
LG Köln RDV 2008, 28, 30; vgl hierzu Rn 57. Simitis/Ehmann § 29 Rn 159 ff. Simitis/Ehmann § 29 Rn 167. LG Paderborn MDR 1981, 581. Vgl zB OLG Düsseldorf RDV 2006, 124; aA wohl OLG Frankfurt aM CR 2001, 294. Beschluss der obersten Aufsichtsbehörden
209 210
211
für den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich am 19./20.4.2007 in Hamburg. Gola/Schomerus § 29 Rn 13a. Zu diesem gesamten Komplex ausf Simitis/ Ehmann § 29 Rn 109 ff; BGH NJW 1984, 436; OLG Frankfurt RDV 1988, 148; OLG Frankfurt RDV 2003, 245; OLG Hamm MDR 1983, 667, 668. Vgl zur Auslegung Rn 60.
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7. Teil
Zulässigkeit der Datenübermittlung bei Bewertungsportalen zu beurteilen212. Im Rahmen einer geschlossenen Benutzergruppe kann hier zB beim Abschluss des Nutzervertrags überprüft werden, ob ein berechtigtes Interesse tatsächlich vorliegt213. Bei der Übermittlung nach Nr 1 lit b) gelten wieder die Grundsätze von § 28 Abs 3 S 1 Nr 3 BDSG 214. Auch hier gibt es ein Widerspruchsrecht (§ 29 Abs 4 iVm § 28 Abs 4 BDSG), auf das hinzuweisen ist. § 28 Abs 3 S 2 gilt entsprechend 215. Bei der Übermittlung im automatisierten Abrufverfahren obliegt die Aufzeichnungspflicht dem Dritten, dem die Daten übermittelt werden. Für die glaubhafte Darlegung genügt eine Kurzbeschreibung, um den Bezug zum konkreten Vorgang herzustellen 216. Die Aufzeichnungen sollten solange aufbewahrt werden, wie mit Schadensersatzansprüchen der Betroffenen zu rechnen ist. Durch die Aufzeichnungspflicht soll der Entscheidung der Betroffenen stärker Rechnung getragen werden. Für die Abwägung des schutzwürdigen Interesses gem § 29 Abs 2 Nr 2 gilt erneut das zu § 29 Abs 1 Nr 1 Gesagte 217.
73
(3) Aufnahme in Verzeichnisse. Die Aufnahme personenbezogener Daten in elektronische oder gedruckte Adress-, Telefon-, Branchen- oder vergleichbare Verzeichnisse hat gem § 29 Abs 3 BDSG zu unterbleiben, wenn der entgegenstehende Wille des Betroffenen aus dem zugrunde liegenden elektronischen oder gedruckten Verzeichnis oder Register ersichtlich ist, denn dann liegt bereits ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse vor, das hier durch § 29 Abs 3 noch einmal ausdrücklich kodifiziert wird. Der Empfänger der Daten hat sicherzustellen, dass Kennzeichnungen aus elektronischen oder gedruckten Verzeichnissen oder Registern bei der Übernahme in weitere Verzeichnisse oder Register übernommen werden. In diesem Rahmen ist insbesondere die Regelung für die Teilnehmerverzeichnisse gem § 104 TKG zu beachten 218. Die Verletzung dieser Pflicht ist bußgeldbewehrt (§ 43 Abs 1 Nr 7 BDSG).
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e) Geschäftsmäßige Datenerhebung und -speicherung zum Zweck der Übermittlung in anonymisierter Form (§ 30 BDSG). Werden personenbezogene Daten geschäftsmäßig erhoben und gespeichert, um sie in anonymisierter Form zu übermitteln, sind gem § 30 Abs 1 BDSG die Merkmale gesondert zu speichern, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Werden Daten dagegen von zB Instituten sofort anonymisiert, zB per Post, erhoben, greift der Datenschutz von Anfang an nicht. Bleibt der Personenbezug aber nach Erhebung bestehen, wenn auch nur im Gedächtnis eines Interviewers, ist § 30 BGDG anwendbar, auch wenn die Daten nur in anonymisierter Form weitergegeben werden 219. § 30 gilt ferner nur für kommerzielle und geschäftsmäßige Erhebung; anderenfalls kommt § 40 BDSG in Betracht 220. Eine Erhebung zu eigenen Zwecken unterfällt jedoch § 28 BDSG. 75 § 30 BDSG regelt für die Erhebung und Speicherung der Daten nur die Datentrennung; für ihre Zulässigkeit selbst bleibt es daher bei der Erforderlichkeit der Einwilligung 221, es sei denn, die Daten werden nach §§ 28 oder 29 BDSG verarbeitet. Dann ist jedenfalls die Erhebung auch ohne Einwilligung zulässig und die auf die zulässige Erhe-
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213 214 215 216
Dorn DuD 2008, 98, 100; Heller ZUM 2008, 243, 245; aA OLG Köln GRUR-RR 2007, 26, 29 – spickmich.de. Heller ZUM 2008, 243, 245. Vgl Rn 62. Vgl ausf Rn 63. Gola/Schomerus § 29 Rn 22.
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217 218 219 220 221
Vgl hierzu Rn 69. Vgl Gola/Schomerus § 29 Rn 34. Gola/Schomerus § 30 Rn 1. Gola/Schomerus § 30 Rn 2. Gola/Schomerus § 30 Rn 3; Simitis/Ehmann § 30 Rn 40 ff; Auernhammer § 30 Rn 10, 16; vgl auch Rn 97 ff.
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Materielles Datenschutzrecht
bung folgende Speicherung ist es ebenso 222. Die Übermittlung der Daten ist in diesem Fall datenschutzrechtlich ohnehin unbedenklich, da sie nach § 30 BDSG in anonymisierter Form erfolgt 223. Die Merkmale dürfen mit den Einzelangaben wieder zusammengeführt werden, also depseudonymisiert, soweit dies für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung oder zu wissenschaftlichen Zwecken erforderlich ist. Die Veränderung personenbezogener Daten ist ferner nach Abs 2 zulässig, wenn 76 1. kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Veränderung hat, oder 2. die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können oder die verantwortliche Stelle sie veröffentlichen dürfte, soweit nicht das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Veränderung offensichtlich überwiegt. Es gilt insofern das Gleiche wie bei § 28 Abs 1 Nr 3 und § 29 Abs 1 Nr 1, 2 BDSG Gesagte 224. Die personenbezogenen Daten sind gem § 30 Abs 3 BDSG zu löschen, wenn ihre 77 Speicherung unzulässig ist. § 29 gilt nicht. Für sensitive Daten gilt § 28 Abs 6 bis 9 entsprechend. 2. Telemedien Für Telemedien 225 wird bei den gesetzlichen Erlaubnistatbeständen primär zwischen 78 der Verarbeitung von Bestands- und Nutzungsdaten 226 unterschieden. Die Erlaubnistatbestände des TMG sind abschließend; auf das BDSG kann nicht zurückgegriffen werden 227. a) Bestandsdaten. Bestandsdaten 228 dürfen gem § 14 Abs 1 TMG (ähnlich § 28 Abs 1 79 Nr 1 BDSG) erhoben und verwendet werden, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich sind 229. Die Vorschrift bestimmt daher die Zulässigkeit in Abhängigkeit von der Erforderlichkeit 230 und nicht anhand eines Zulässigkeitskatalogs. Problematisch und umstritten war und ist jedoch Abs 2: „Auf Anordnung der zustän- 80 digen Stellen darf 231 der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr 232 durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des
222 223 224 225 226 227 228 229 230 231
Simitis/Ehmann § 30 Rn 46 ff. Vgl Rn 44 f. Vgl Rn 62 f. Vgl Rn 68 ff. Zu den Begriffen der Bestand- und Nutzungsdaten vgl Rn 23, 24. Vgl Rn 14. Vgl hier Rn 23. Zur Löschung vgl Rn 138. Vgl Rn 25, 57. Der Bundesrat schlug an dieser Stelle eine Auskunftspflicht („hat ... zu erteilen“) der
232
Diensteanbieter vor; dies wurde von der Bundesregierung jedoch zu Recht abgelehnt, da im TMG nur die datenschutzrechtliche Erlaubnis im Verhältnis zum Nutzer geregelt wird; alles Weitere ist eine Frage der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zwischen dem Diensteanbieter und der Behörde (BT-Drucks 16/3135, 2). Eingefügt durch die Stellungnahme des Bundesrates und der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, vgl zur Begründung zu Art 10 GG BT-Drucks 16/3078, 18.
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Militärischen Abschirmdienstes oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.“ Die Regelung, dass für Zwecke der Strafverfolgung die Auskunftserteilung erfolgen darf, fand sich bereits im TDDSG. Nun setzt der Gesetzgeber praktisch die Bekämpfung von Verbrechen mit der Durchsetzung des geistigen Eigentums gleich, so dass eine Norm, mit deren Hilfe die Bekämpfung des Terrorismus erfolgen sollte 233, nun auch dazu dient, zivilrechtliche Ansprüche von Urhebern oder Markeninhabern durchzusetzen 234. Hier ist der Gesetzgeber in seiner Umsetzung der sog Enforcement-Richtlinie 235 weit über das Ziel hinausgeschossen. Die Änderung im TMG in Abweichung von der alten Regelung des § 5 TDDSG macht den Weg frei für die neuen Ansprüche ua in den §§ 101 UrhG, 140b PatG, § 19 MarkenG, § 46 GeschmacksmusterG, § 24b GebrauchsmusterG , nach denen der Rechteinhaber bei einer Verletzung im gewerblichen Ausmaß nun auch von Telemedienanbietern Bestandsdaten herausverlangen kann 236. Da auf Internet-Access-Provider ausweislich der Gesetzesbegründung die Datenschutzvorschriften des TKG Anwendung finden 237, fallen diese nicht unter die Regelung, da § 14 Abs 2 TMG (und auch § 15 Abs 5 S 3) gem § 11 Abs 3 TMG nicht auf diese anwendbar ist 238, so dass es für diese Anbieter auch weiterhin dabei bleibt, dass die Zuordnung dynamischer IP-Adressen zu Name und Adressen des Nutzers weiterhin datenschutzrechtlich unzulässig bleibt 239. Die Gesetzesänderung im TMG wäre außerdem zur Umsetzung der Enforcement-Richtlinie nicht notwendig gewesen, da der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten zur Umsetzung einen Ermessenspielraum gegeben hat und zudem nach Erwägungsgrund 15 die Datenschutz-Richtlinien nicht berührt werden sollten 240. Es bleibt zu hoffen, dass es der Praxis gelingen wird, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit diese Ansprüche verfassungsgemäß auszulegen 241.
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b) Nutzungsdaten. Der Diensteanbieter darf gem § 15 Abs 1 TMG personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen. Die Erhebung und Verwendung zu anderen Zwecken, zB die Verwendung von IP-Adressen zu statistischen Auswertungen, ist von § 15 Abs 1 TMG nicht erfasst 242. Wie bereits im TDDSG, bleibt aber auch hier die Frage ungeklärt, ob damit auch Nutzungsdaten anderer Betroffener 233
234 235
236
237 238 239
Vgl zu den Rechtsgrundlagen Hoeren/ Sieber/Schmitz 16.4 Rn 181 ff; BT-Drucks 14/7386. Vgl zur Kritik auch Jandt MMR 2006, 652, 653; Spindler CR 2007, 239, 243. Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl L 157 vom 30.4.2004. Zur alten Rechtslage vgl KG MMR 2007, 116; OLG München MMR 2006, 739, 743; LG Hamburg MMR 2005, 55; Spindler/ Dorschel CR 2005, 38, 44 ff; Splittgerber/ Klytta K&R 2007, 78, 82. BT-Drucks 16/3078, 15. Vgl auch Rössel ITRB 2007, 158; Spindler CR 2007, 239, 243. Vgl aber Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks 16/5048, 57 mit der Meinung, dass bei einer solchen Abfrage nur Bestandsdaten betroffen wären und die eine Ergän-
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240
241
242
zung der Vorschriften des Urheberrechts und gewerblichen Rechtsschutzes vorschlägt, die ein „anderes Gesetz“ iSd § 88 Abs 3 S 3 bzw § 95 Abs 1 TKG darstellen würden. EuGH CR 2008, 381 – Promusicae./.Telefónica; vgl auch Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 47: Ein Leerlaufen von Art 8 der Richtlinie wäre dennoch nicht zu befürchten gewesen, da jedenfalls die Produktpiraterie außerhalb der Telemedien bzw Telekommunikation betroffen gewesen wäre. Weitere Regelungen zur Auskunftserteilung zum Zwecke der Gefahrenabwehr im Hinblick auf die geplante erweiterte Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes bei der Terrorismusbekämpfung werden im Rahmen des dafür anstehenden Gesetzesvorhabens (Gesetz zur Änderung des BKA-G) geprüft (BT-Drucks 16/3078, 16). Steidle/Pordesch DuD 2008, 324, 327.
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als dem Nutzer erfasst sind. Nutzer geben im Internet oftmals die Daten von Dritten weiter, zB im Rahmen eines Netzwerks oder des Geschenkeservice eines Online-Shops. Während nach § 28 BDSG diese Daten innerhalb des Vertragsverhältnisses regelmäßig verarbeitet werden dürfen, bezieht sich § 15 TMG lediglich auf die Daten des Nutzers, nicht jedoch auf Daten eines anderen Betroffenen, der aber ebenfalls datenschutzrechtliche Ansprüche hat. Obwohl das TMG hinsichtlich der Erlaubnistatbestände abschließend ist, wird für den Dritten daher ein Rückgriff auf die Vorschriften des BDSG notwendig 243. Eine gesetzliche Erlaubnis zur Verwendung von Nutzungsdaten gibt das Gesetz des 82 Weiteren dafür, Nutzungsdaten über die Inanspruchnahme verschiedener Telemedien zusammenzuführen, soweit dies für Abrechnungszwecke mit dem Nutzer erforderlich ist (§ 15 Abs 2). Dies kann zB Cookies betreffen, die in verschiedenen Sessions zB den Warenkorbinhalt eines Nutzers speichern 244. Außerdem darf der Diensteanbieter Nutzungsprofile zB in Cookies für Zwecke der Werbung, der Marktforschung (zB bei Webstatistiken und Suchhistorien bei Suchmaschinen) oder zur bedarfsgerechten Gestaltung der Telemedien bei Verwendung von Pseudonymen erstellen, sofern der Nutzer dem nicht widerspricht (§ 15 Abs 3). Dass der Dienst tatsächlich unter diesem Pseudonym genutzt wird, ist hingegen nicht erforderlich 245. Wichtig hierbei ist jedoch, dass der Diensteanbieter den Nutzer auf sein Widerspruchsrecht im Rahmen der Unterrichtung nach § 13 Abs 1 TMG hinweist, so dass er um die Opt-Out-Möglichkeit weiß. Ein Hinweis auf mögliche Änderungen in der Browsereinstellung genügt hierfür nicht246. Die Nutzungsprofile zB in Cookies, dürfen (ohne Einwilligung) jedoch keinesfalls mit personenbezogenen Daten über den Träger des Pseudonyms zusammengeführt werden. Dies verbietet es dem Diensteanbieter zB, mit dem TK-Anbieter Daten hinsichtlich der dynamischen IPAdresse auszutauschen, weil damit die pseudonymisierte Nutzung auf die Person des Nutzers zurückgeführt werden kann. Insgesamt bleibt auch nach dem TMG beim Setzen von Cookies im Wesentlichen nur die Möglichkeit der Einwilligung 247. Dabei sollte neben der Tatsache, dass ein Cookie gesetzt wird, auch über dessen Inhalt und den Zweck der Erhebung und auch darüber, ob und mit welchen Daten an welchen Web-Server der Inhalt gesendet wird bzw wurde 248, informiert werden. Eine Einwilligung kann aber nicht bereits in der entsprechenden Browser-Einstellung gesehen werden, die das Speichern von Cookies zulässt 249. Aufgrund der praktischen Probleme bei einer wirksamen Einwilligungserklärung wird oft nur die Verwendung von nicht personenbezogenen bzw anonymisierten Daten bleiben 250. Auch bei der Verwendung von Pseudonymen hat der Nutzer einen Anspruch auf Auskunft der unter seinem Pseudonym gespeicherten Daten gem § 13 Abs 7 TMG 251. 243 244 245 246 247
Vgl ausf Jandt MMR 2006, 652. Vgl AG Ulm CR 2000, 469. Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 163. Zur Unterrichtung bei Google Analytics ausf Steidle/Pordesch DuD 2008, 324, 328. AG Ulm CR 2000, 469; Bizer DuD 1998, 277, 281; Eichler K&R 1999, 76, 79; Ihde CR 2000, 413; Meyer WRP 2002, 1028, 1030 mit Hinweis auf die zusätzlichen wettbewerbsrechtlichen Folgen; Zscherpe K&R 2005, 264, 266; Arbeitspapier „Opinion on data protection issues related to search engines“ der Art-29-Datenschutzgruppe 00737/EN WP 148 vom 4.4.2008.
248
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250 251
Vgl ausf Bizer DuD 1998, 277, 281; Arbeitspapier „Opinion on data protection issues related to search engines“ der Art-29-Datenschutzgruppe 00737/EN WP 148 vom 4.4.2008. Vgl ausf Eichler K&R 1999, 76, 80; Heise Online-Recht/Arning/Haag C. II. 4.3; Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 219; Meyer WRP 2002, 1028, 1030. Ihde CR 2000, 413. Vgl zu den Problemen dieses Anspruchs Rn 120.
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c) Abrechnungsdaten. Abrechnungsdaten dürfen hingegen auch über das Ende des Nutzungsvorgangs hinaus verwendet werden, wobei es wieder die Möglichkeit der Sperrung der Daten anstelle der Löschung zur Erfüllung bestehender gesetzlicher, satzungsmäßiger oder vertraglicher Aufbewahrungsfristen des Diensteanbieters gibt (§ 15 Abs 4 TMG). Die Nutzung steht auch hier unter dem strengen Vorbehalt der Erforderlichkeit, so dass nach deren Wegfall die Löschungspflicht eintritt 252. Dynamische IP-Adressen sind, jedenfalls bei Pauschaltarifen, regelmäßig keine Abrechungsdaten und dürfen daher nicht gem § 15 Abs 4 TMG über die Nutzung hinaus verwendet werden 253. Aber auch die Erhebung und Speicherung des Datenvolumens ist bei einem volumenunabhängigen Pauschaltarif nicht zulässig 254. Zum Abrechnungsnachweis genügen auch Kunden-ID und zB Telefonnummer, so dass zusätzliche Daten gem dem Grundsatz der Datenvermeidung und -sparsamkeit ohnehin nicht zu speichern sind 255. Erlaubt ist die Übermittlung von Abrechnungsdaten an andere Diensteanbieter oder Dritte, soweit dies zur Ermittlung des Entgelts und zur Abrechnung mit dem Nutzer erforderlich ist (§ 15 Abs 5). Hat der Diensteanbieter zB mit einem Dritten einen Vertrag über den Einzug des Entgelts geschlossen, so darf er diesem Dritten Abrechnungsdaten – soweit erforderlich – übermitteln. Zum Zwecke der Marktforschung anderer Diensteanbieter dürfen nur anonymisierte Nutzungsdaten übermittelt werden, dh auch die IP-Adressen oder Telefonnummern dürfen nicht übertragen, sondern müssen gelöscht werden. Bei den verbleibenden Daten wird es sich daher in der Regel um die Anzahl und Dauer von Zugriffen auf ein bestimmtes Angebot handeln. Da anonyme Daten keine personenbezogenen Daten mehr sind, ist dies jedoch nicht mehr als eine Klarstellung. § 14 Abs 2 TMG findet entsprechende Anwendung. Da dieser Verweis auf § 14 TMG sich systematisch in § 15 Abs 5 S 3 TMG befindet, kann die Herausgabe von Daten sich auch nur auf die Abrechungsdaten als Teil der Nutzungsdaten beziehen. § 15 Abs 6 TMG erläutert parallel zu § 99 TKG die Zulässigkeit von Einzelverbindungsnachweisen: Die Abrechnung über die Inanspruchnahme von Telemedien darf Anbieter, Zeitpunkt, Dauer, Art, Inhalt und Häufigkeit bestimmter, von einem Nutzer in Anspruch genommener, Telemedien nicht erkennen lassen, es sei denn, der Nutzer verlangt einen Einzelverbindungsnachweis 256. Das bedeutet, dass Anbieter, Zeitpunkt, Dauer, Art, Inhalt und Häufigkeit keine Abrechnungsdaten darstellen, es sei denn, der Nutzer wünscht diesen Nachweis. Weitere Vorschriften parallel zu den Telekommunikationsdiensten legt § 15 Abs 7 TMG fest. Hiernach ist die Speicherung von Abrechnungsdaten, die für die Erstellung von Einzelnachweisen über die Inanspruchnahme bestimmter Angebote auf Verlangen des Nutzers verarbeitet werden, höchstens bis zum Ablauf des sechsten Monats nach Versendung der Rechnung erlaubt. Werden gegen die Entgeltforderung innerhalb dieser Frist Einwendungen erhoben oder Rechnungen trotz Zahlungsaufforderung nicht beglichen, dürfen die Abrechnungsdaten weiter gespeichert werden, bis die Einwendungen abschließend geklärt sind oder die Entgeltforderung beglichen ist. Gem § 15 Abs 8 TMG darf der Diensteanbieter außerdem personenbezogene Daten von Nutzern über das Ende des Nutzungsvorgangs sowie die Speicherfrist nach § 15 Abs 7 hinaus verwenden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte vor-
252 253 254
Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 126. Vgl Rn 25. LG Darmstadt MMR 2006, 330.
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LG Darmstadt MMR 2006, 330, 331. Vgl hierzu ausf Teil 5 Kap 5 Rn 102 ff.
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liegen, dass Dienste von bestimmten Nutzern in der Absicht in Anspruch genommen werden, das Entgelt nicht oder nicht vollständig zu entrichten, soweit dies für Zwecke der Rechtsverfolgung erforderlich ist. Sonstige Missbrauchsfälle wie in § 100 Abs 3 TKG 257 sind im TMG nicht geregelt. Zu diesen im TKG geregelten Fällen der Leistungserschleichung gibt es daher im TMG keine gesetzliche Erlaubnis; eine Verwendung über das Ende des Nutzungsvorgangs bzw über das Ende der Speicherfrist hinaus ist demnach nicht möglich. Da das TMG jedenfalls hinsichtlich der Erlaubnistatbestände abschließend ist 258, kann hierzu auch nicht auf § 28 BDSG zurückgegriffen werden. Der Diensteanbieter hat die Daten unverzüglich zu löschen, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder die Daten für die Rechtsverfolgung nicht mehr benötigt werden. Der betroffene Nutzer ist zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des mit der Maßnahme verfolgten Zweckes möglich ist. d) Inhaltsdaten. Die Behandlung von sog Inhaltsdaten 259 ist im TMG nicht aus- 88 drücklich geregelt. Wird die gesamte Leistung mittels Telemedien erbracht, sind die Regelungen des TMG anwendbar 260. Anderenfalls fallen die Inhaltsdaten nicht in den Anwendungsbereich des TMG und sind daher nach den allgemeinen Regelungen des BDSG zu beurteilen 261, was allerdings auch bedeutet, dass hierfür ggf eine schriftliche Einwilligung nach § 4a BDSG, dh nicht nur eine elektronische, erforderlich ist 262. 3. Telekommunikation §§ 95 ff TKG zählen – abschließend – zahlreiche Erlaubnistatbestände auf. Eine Ein- 89 willigung ist natürlich unabhängig davon immer möglich 263. a) Bestandsdaten. Gem § 95 TKG dürfen Bestandsdaten 264 im Rahmen eines Ver- 90 tragsverhältnisses mit einem anderen Diensteanbieter erhoben und verwendet werden, soweit dies zur Erfüllung des Vertrages zwischen den Diensteanbietern erforderlich 265 ist. Eine Übermittlung der Bestandsdaten an Dritte darf jedoch nur mit Einwilligung des Teilnehmers erfolgen, soweit sie nicht durch die §§ 91 ff TKG oder ein anderes Gesetz bereits erlaubt ist. Bestandsdaten dürfen nur zur Beratung der Teilnehmer, zur Werbung für eigene Angebote und zur Marktforschung verwendet werden, soweit dies für die Zwecke des Bestands erforderlich ist und der Teilnehmer eingewilligt hat. Besondere datenschutzrechtliche Regelungen gelten ua auch für: • Störungen von Telekommunikationsanlagen und Missbrauch von Telekommunikationsdiensten (§ 100 TKG): Hier darf der Diensteanbieter zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen die Bestandsdaten und Verkehrsdaten der Teilnehmer und Nutzer erheben und verwenden. Soweit erforderlich, darf der Diensteanbieter bei Vorliegen zu dokumentierender tatsächlicher Anhaltspunkte auch die Bestandsdaten und Verkehrsdaten nach § 100 Abs 3 erheben und verwenden, die zum Aufdecken sowie Unterbinden von Leistungserschleichungen und sonstigen rechtswidrigen Inanspruchnahmen der Telekommuni-
257 258 259 260 261
Vgl Rn 90. Vgl oben Rn 14. Vgl Rn 88. Schaar Rn 310 f, 462 ff; Zscherpe K&R 2005, 264, 266. Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 150 ff; Rössel ITRB 2007, 158, 160; Spindler CR
262 263 264 265
2007, 239, 243; Zscherpe K&R 2005, 264, 266. Spindler CR 2007, 239, 243; Schaar Rn 462 ff. § 94 TKG; vgl ausf Rn 109 ff. Vgl Rn 23. Vgl Rn 25, 57.
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kationsnetze und -dienste erforderlich sind. Er darf aus den erhobenen Verkehrsdaten und Bestandsdaten auch einen pseudonymisierten Gesamtdatenbestand bilden. • Aufnahme in Teilnehmerverzeichnisse (§ 104 TKG), • Telefonauskunft (§ 105 TKG).
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b) Verkehrsdaten. Erlaubt ist im Rahmen des § 96 Abs 1 TKG die Erhebung und Verwendung von Verkehrsdaten, soweit dies für die Zwecke der §§ 91 ff TKG, dh zB für Entgeltabrechnung, erforderlich ist 266. Die Erlaubnis ist auf folgende Daten beschränkt: 1. Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten, 2. Beginn und Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen, 3. vom Nutzer in Anspruch genommene Telekommunikationsdienste, 4. Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen, 5. sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwendige Verkehrsdaten. Für die Zulässigkeit der Nutzung kommt es im Wesentlichen wieder auf die Frage der 92 Erforderlichkeit an. Die Erhebung von EC-Karten-Daten neben den Personalausweisdaten ist bspw beim Abschluss von Mobilfunkverträgen nicht erforderlich und bedarf daher der Einwilligung267. Bei der E-Mail-Kommunikation ist in diesem Rahmen auch die Zwischenspeicherung in zB POP3-Mailpostfächern und SMTP-Spooldateien erlaubt. Besondere datenschutzrechtliche Regelungen gelten ua auch für: 93 • den Einzelverbindungsnachweis 268 (§ 99 TKG) für die Mitteilungs- und Informationspflichten gegenüber dem Teilnehmer. Dies ist insbesondere für den Nachweis von Entgeltforderungen von Bedeutung. • Störungen von Telekommunikationsanlagen und Missbrauch von Telekommunikationsdiensten (§ 100 TKG)269, • Mitteilen ankommender Verbindungen (§ 101 TKG) bei bedrohenden oder belästigenden Anrufen: Dies bezieht sich jedoch nur auf Anrufe – E-Mail-Spam ist daher nicht erfasst. • Rufnummernanzeige und -unterdrückung (§ 102 TKG): Bietet der Diensteanbieter die Anzeige der Rufnummer der Anrufenden an, müssen Anrufende und Angerufene die Möglichkeit haben, die Rufnummernanzeige dauernd oder für jeden Anruf einzeln auf einfache Weise und unentgeltlich zu unterdrücken. Angerufene müssen die Möglichkeit haben, eingehende Anrufe, bei denen die Rufnummernanzeige durch den Anrufenden unterdrückt wurde, auf einfache Weise und unentgeltlich abzuweisen. • Automatische Anrufweiterschaltung (§ 103 TKG): Der Diensteanbieter ist verpflichtet, seinen Teilnehmern die Möglichkeit einzuräumen, eine von einem Dritten veranlasste automatische Weiterschaltung auf sein Endgerät auf einfache Weise und unentgeltlich abzustellen, soweit dies technisch möglich ist. • Nachrichtenübermittlungssysteme mit Zwischenspeicherung (§ 107 TKG) 266
Zur Beschlagnahme von Verbindungsdaten im Herrschaftsbereich des Teilnehmers vgl BVerfG NJW 2006, 976.
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267 268 269
BGH NJW 2003, 1237, 1241. Vgl auch Teil 5 Kap 2 Rn 102 ff. Vgl Rn 90.
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Eine Löschungspflicht besteht nach § 96 Abs 2 TKG 270. Gem § 97 TKG können Ver- 94 kehrsdaten für die Entgeltermittlung und Entgeltabrechnung verwendet werden. Hier stellen sich ähnlich Probleme wie im TMG 271. Bei Prepaid-Karten ist aber eine Speicherung der Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken nicht erforderlich, wenn der Kunde auf den Einzelverbindungsnachweis verzichtet und die sich für ihn daraus resultierenden Beweislastnachteile in Kauf nimmt 272. c) Standortdaten. Standortdaten dürfen gem § 98 Abs 1 nur in dem zur Bereit- 95 stellung von Diensten mit Zusatznutzen (§ 3 Nr 5 TKG) erforderlichen Maß und innerhalb des dafür erforderlichen Zeitraums verarbeitet werden, wenn sie anonymisiert wurden oder wenn der Teilnehmer seine Einwilligung erteilt hat. Auch hier besteht eine Informationspflicht. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Besondere Regelungen gelten zB für Verbindungen zu Notrufnummern (§ 98 Abs 3 TKG, § 102 Abs 6). 4. Rundfunk Gem § 47 RStV sind auf den Rundfunk die datenschutzrechtlichen Regelungen des 96 TMG anwendbar 273.
II. Einwilligung Ist keine gesetzliche Erlaubnis vorhanden, muss der Betroffene in die Erhebung, Ver- 97 arbeitung oder Nutzung eingewilligt haben 274. Eine Einwilligungsfiktion (Einwilligung, wenn der Betroffene nicht innerhalb einer Frist widerspricht), ist unzureichend 275. Eine Einwilligung ist eine vorherige Einwilligungserklärung des Betroffenen (vgl § 183 BGB). Eine Genehmigung (§ 184 BGB) oder Heilung einer rechtswidrigen Nutzung ist nicht möglich 276. Umstritten ist, was in einem „Genehmigungsfall“ mit den bereits erhobenen Daten geschehen muss. Es ist möglich, eine Genehmigung der Erhebung als Einwilligung für die jedenfalls künftige Verarbeitung der Daten anzusehen 277. Anderenfalls wären die Daten neu zu löschen und neu zu erheben 278. In jeden Fall kann die Genehmigung der rechtswidrigen Datenerhebung aber den Verzicht auf Schadensersatz darstellen 279. Grds ist es jedoch eine gute Nachricht für den Verwerter von personenbezogenen 98 Daten, dass der Betroffene in jede Verwendung seiner personenbezogenen Daten einwilligen kann 280; erforderlich ist „nur“ eine wirksame Einwilligungserklärung. Die Beweislast für das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung trägt der Verwender 281. An eine wirksame Einwilligungserklärung werden jedoch hohe formelle und materielle Anforderungen gem § 4a BDSG gestellt: 270 271 272
273 274
Zur Löschung vgl Rn 134 ff. Vgl Rn 83 ff. BVerfG MMR 2007, 308; vgl aber auch zu den Änderungen durch die Vorratsdatenspeicherung Rn 10. Vgl Rn 16. Dies ist auch immer der Fall, wenn es sich um Datennutzung durch Geheimnisträger (vgl § 203 StGB) handelt; vgl zum Datenschutz in der Insolvenz BGH DuD 2006, 45.
275 276 277 278 279 280
281
Simitis/Simitis § 4a Rn 43 f. Simitis/Simitis § 4a Rn 29. Gola/Schomerus § 4a Rn 15. Simitis/Simitis § 4a Rn 29. Gola/Schomerus § 4a Rn 15; Simitis/Simitis § 4a Rn 29. Ein Grenze bildet aber das Fragerecht des Arbeitnehmers (vgl Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht § 611 BGB Rn 271 ff; Gola RDV 2002, 109, 111). BGH NJW 1991, 2955.
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7. Teil
Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Er ist auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie, soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben. a) Freie Entscheidung. Die freie Willensentscheidung zeichnet sich durch die Möglichkeit aus, die Einwilligung verweigern zu können. Hiervon wird nicht nur die Dispositionsfreiheit umfasst 282, sondern auch die Möglichkeit, die Entscheidung treffen zu können. Das ist nicht der Fall, wenn in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann 283. Ein solches Ungleichgewicht besteht zB in dem Fall, in dem die Einwilligung des Arbeitnehmers in eine Datenverarbeitung, zB die Überwachung durch den Arbeitgeber beim Surfen, unwirksam ist, da dem Arbeitnehmer, sofern er weiterhin in dem Unternehmen beschäftigt sein möchte, nichts anderes übrig bleibt, als die Erklärung zu unterzeichnen. Gerade bei Datentransfer in internationalen Konzernen kann dies zu Problemen führen 284. Gleiches gilt auch gegenüber Behörden (sofern eine Datenerhebung etc. nicht bereits durch Gesetz geregelt ist) oder im Versicherungswesen 285. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die „Schufa-Klausel“ 286, bei der der Vertragschließende zB einen Kredit- oder Versicherungsvertrag nicht abschließen kann, wenn er nicht in die Überprüfung einwilligt. Bei der Beurteilung der (Un)Wirksamkeit einer Einwilligungserklärung ist daher von erheblicher Bedeutung, ob zwischen den Parteien ein Verhandlungsungleichgewicht besteht oder nicht. Wenn ein Einwilligender derartige Nachteile bei Nichtunterzeichnung in Kauf nehmen muss, dass er seinen informationellen Selbstschutz nicht mehr sicherstellen kann, ist seine Einwilligungserklärung als unwirksam anzusehen 287. Aber auch die Einwilligung in AGB kann problematisch sein, denn auch bei formular100 mäßigen Einwilligungserklärungen besteht die Gefahr, dass die Einwilligung zu einer reinen Formalität absinkt 288, eine Erklärung versehentlich abgegeben wird 289, oder dem Betroffenen suggeriert wird, dass seine Einverständniserklärung keine Bedeutung mehr habe, da die Verarbeitung und Nutzung ohnehin innerhalb der jeweils geltenden Datenschutzgesetze erfolgt 290, dh der Betroffene keine freiwillige Entscheidung mehr treffen kann. Ausreichend ist jedoch, wenn dem Betroffenen zB die Möglichkeit des Ankreuzens „Ja/Nein“ gegeben wird; allerdings kann auch eine reine Opt-Out-Lösung zulässig sein 291. Der Grundsatz der Freiwilligkeit ist außerdem in § 12 Abs 3 TMG für Telemedien 101 kodifiziert, in dem es heißt, dass ein Diensteanbieter die Bereitstellung von Telemedien
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283 284 285
Wie in BVerfG NJW 1992, 1875, 1876 – Fangschaltung, wo die Benutzer der Fernmeldeleitung aufgrund der hoheitlichen Festlegung der Benutzungsbedingungen durch die Deutsche Bundespost keine Dispositionsfreiheit hatten. BVerfG MMR 2007, 93 – Schweigepflichtentbindung. Vgl Rn 174 ff. BVerfG MMR 2007, 93 – Schweigepflichtentbindung.
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Eine solche Schufa-Klausel wurde vom BGH bereits 1986 als Verstoß gegen § 9 AGBG (heute § 307 BGB) angesehen, BGH NJW 1986, 46. BVerfGE MMR 2007, 93, 94 – Schweigepflichtentbindung. BGH NJW 1986, 46, 47. Vgl Enzmann/Roßnagel CR 2002, 141. LG München I MMR 2001, 466, 467 – Payback-Rabattsystem. OLG München RDV 2007, 27, 29.
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Materielles Datenschutzrecht
nicht von der Einwilligung des Nutzers in eine Verwendung seiner Daten für andere Zwecke abhängig machen darf, wenn dem Nutzer ein anderer Zugang zu diesen Telemedien nicht oder in nicht zumutbarer Weise möglich ist (Kopplungsverbot). Das Kopplungsverbot soll eine freie und eigenständige Willensentscheidung bewahren 292. Dies gilt selbstverständlich dann nicht, wenn die Datenverarbeitung der Abwicklung eines bestehenden Vertrages dient, denn diese ist bereits gem § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 BDSG bzw § 14 TMG zulässig 293. Beim Kopplungsverbot stellt sich die zentrale Frage, ob dem Nutzer ein anderer Zugang zu dem betreffendem Telemedium zumutbar ist 294. Dies ist dann der Fall, wenn andere Anbieter gleichwertige Dienste anbieten, die der Nutzer ohne unzumutbare Nachteile in Anspruch nehmen kann 295. Hierbei kommt es hingegen nicht auf die Frage an, ob derselbe Medienanbieter seinen Dienst auch ohne Einwilligung zur Verfügung stellt 296, sondern im Wesentlichen darauf, ob der Medienanbieter ein Monopolist in seinem Gebiet ist, dh die jeweilige Marktsituation ist ausschlaggebend 297. Dies ist natürlich eine Frage des Einzelfalls. Einen Anhaltspunkt bietet die Entscheidung des OLG Brandenburg, in dem der vom dortigen Kläger behaupteten 73-%ige Marktanteil von eBay bei Online-Auktionen nicht als Monopolstellung erkannt wurde 298. Die Notwendigkeit der Einführung eines uneingeschränkten Kopplungsverbots, das vom Bundesrat vorgeschlagen wurde, wird von der Bundesregierung für den Online-Bereich derzeit beobachtet, jedoch verneint 299. Eine Lösung für Monopolisten besteht zB darin, ihren Dienst mit der Einwilligung in die Nutzung der Dienste kostenfrei anzubieten, hingegen für Nutzer, die nicht einwilligen, gegen eine Gebühr. Diese Gebühr darf dann natürlich nicht derart unangemessen sein, dass dies einem Verstoß gegen das Kopplungsverbot gleichkommt. § 95 Abs 5 TKG enthält, wie auch § 12 Abs 3 TMG, ein Kopplungsverbot, dh die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen darf ebenfalls nicht von einer Einwilligung des Teilnehmers in eine Verwendung seiner Daten für andere Zwecke abhängig gemacht werden, wenn dem Teilnehmer ein anderer Zugang zu diesen Telekommunikationsdiensten nicht oder in nicht zumutbarer Weise möglich ist 300. b) Informierte Entscheidung. Der Einwilligende muss rechtzeitig und umfassend über 102 Art, Umfang und Zweck der Erhebung, Verwendung und die Nutzung seiner Daten aufgeklärt werden 301, damit er anschließend und abschließend eine informierte Entscheidung treffen kann. Eine Vorabinformation und Bevollmächtigung kann ggf diesem Erfordernis nicht mehr Rechnung tragen, da neue Gesichtspunkte, die bei Abgabe der Erklärung vorliegen, evtl bei Abgabe der Bevollmächtigung noch nicht vorgelegen haben. Deshalb muss die Einwilligung in der Regel auch höchstpersönlich abgegeben werden, denn nur der Betroffene selbst kann eine freie informierte Entscheidung über sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung treffen302. Ausnahme ist, wenn der „Bevollmächtigte“ lediglich als Bote handelt, denn dann übermittelt er nur eine fremde Willenserklärung 303.
292 293 294 295 296 297 298
Vgl Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 81. Simitis/Simitis § 4a Rn 63. Vgl ausf Schaar Rn 593 f. OLG Brandenburg MMR 2006, 405, 407 mwN. OLG Brandenburg MMR 2006, 405, 407. Rasmussen DuD 2002, 406, 410; Zscherpe MMR 2004, 723, 726. OLG Brandenburg MMR 2006, 405, 407; Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 83.
299 300 301 302
303
Dies erfolgt mit Hinweis auf das Urteil des OLG Brandenburg, BT-Drucks 16/3135, 2. Näheres zu § 95 Abs 5 Teil 5 Kap 2 Rn 162. Vgl ausf Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 48. So auch Heise Online-Recht/Arning/Haag C. II. 6.2.2.; Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 56; Simitis/Simitis § 4a Rn 30 ff; Zscherpe MMR 2004, 7723, 725; aA Roßnagel/ Holznagel/Sonntag Kap. 4.8. Rn 27. Simitis/Simitis § 4a Rn 31.
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7. Teil
103
Zu den mitzuteilenden Angaben zählen: Wer erhebt, verwendet oder nutzt die Daten (ladungsfähige Anschrift)? Welche Daten werden erhoben, verwendet oder genutzt? Wozu werden die Daten erhoben, verwendet oder genutzt? Ggf an wen werden welche Daten zu welchem Zweck übermittelt werden etc? Welche Rechte hat der Betroffene und welche Folgen hat deren Ausübung (Weigerung, Löschung, Sperrung, Auskunft etc.)? Deshalb muss die Information auch vor der Einwilligung erfolgen. Um derartige 104 Informationspflichten aber nicht ausufern zu lassen, stellt Art 10 Richtlinie 95/46/EG diese Informationspflichten unter den Vorbehalt, dass sie auch geeignet und erforderlich sein müssen, um eine Verarbeitung nach Treu und Glauben zu gewährleisten. Bspw genügt bei der Frage, wer die Daten verarbeitet, die Funktion der Mitarbeiter, der Name ist nicht erforderlich. Wichtig bei der Frage der Übermittlung ist jedoch die Frage, ob eine Übermittlung in Länder außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erfolgt 304. Die Einwilligungserklärung muss auch hinreichend bestimmt sein, dh Blankoerklä105 rungen oder auch pauschale Einwilligungserklärungen können in keinem Fall als hinreichend erachtet werden 305. Teilweise werden auch Einwilligungserklärungen in AGB grds als unwirksam betrachtet: „Das Erfordernis eines ausdrücklichen oder konkludenten Einverständnisses schließt eine Herbeiführung der „Einverständniserklärung“ durch AGB aus. Jede andere Sicht der Dinge würde Wettbewerber zu einer entsprechenden Angleichung ihrer Geschäftsbedingungen ermuntern und zu eben der massiven Belästigung führen, der das Erfordernis des ausdrücklichen oder zumindest konkludenten Einverständnisses entgegenwirken soll.“ 306 Auf solche vorformulierten Einwilligungserklärungen sind aber jedenfalls die §§ 305 ff BGB anwendbar 307. Pauschale Einwilligungserklärungen verstoßen hiernach bereits gegen § 305c BGB – die Einbeziehung überraschender Klauseln – und sind daher bereits unwirksam 308. In jedem Fall liegt jedoch zumindest ein Verstoß gegen § 307 BGB vor, wenn der Einwilligende die Reichweite der Einwilligung nicht mehr überblicken kann 309. Ebenfalls zu unbestimmt ist die Klausel, dass an „die in diesem Zusammenhang beauftragten Dienstleistungsunternehmen“ übermittelt wird, denn hiermit bleibt ua offen, welche Art von Dienstleistungsunternehmen erfasst werden; insbesondere kann es sich auch um Werbe- oder Marktforschungsunternehmen handeln 310. Auch alle anderen Klauseln einer Einwilligungserklärung unterliegen (bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 307 Abs 3 BGB) der Inhaltskontrolle. Liegt eine pauschale Einwilligungserklärung vor, ist die Wirksamkeit dieser jedoch nicht auf diejenigen Daten zu reduzieren, deren Verarbeitung der Einwilligende vernünftigerweise voraussehen konnte 311, sondern ist gesamtunwirksam. Alles andere würde dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion widersprechen und den Datenschutz aushöhlen. • • • • •
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c) Schriftform. Grds sind Einwilligungserklärungen ausdrücklich 312 zu erteilen. Bei einer länger andauernden Geschäftsbeziehung kann auch eine konkludente Einwilligung 304 305 306 307
308
Hierzu ausf Rn 174 ff. BGH NJW 1986, 46, 47; OLG Celle NJW 1980, 347. BGH NJW 1999, 1864 – Telefonwerbung. BGH NJW 1986, 46 – Schufaklausel; BGH MMR 2000, 607; BGH MMR 2003, 389; LG München I MMR 2001, 466 – PaybackRabattsystem; Breyer MMR 2006, 407. BGH NJW 2003, 1237, 1241; OLG Karls-
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309 310 311 312
ruhe RDV 1988, 146; Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 44; Wittig RDV 2000, 59, 62. LG Bonn CR 2007, 237; Hoeren/Sieber/ Helfrich 16.1 Rn 44. LG München I MMR 2001, 466, 467 – Payback-Rabattsystem. So aber OLG Celle NJW 1980, 347, 348. So Bizer DuD 2007, 350, 351; Simitis/ Simitis § 4 Rn 43; Hoeren/Sieber/Helfrich
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§2
Materielles Datenschutzrecht
ausreichend sein 313. Gleiches gilt, wenn ein Verbraucher bei einer freiwilligen, schriftlichen Haushaltsumfrage eine längere Bedenkzeit hat, um zu entscheiden, ob er die Unterlagen ausfüllen möchte 314. Die Einwilligung muss schriftlich iSd § 126 BGB erfolgen, wenn nicht gem § 4a BDSG 107 wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Die Schriftform kann gem § 126 Abs 3 BGB jedoch auch durch die elektronische Form gem § 126a BGB ersetzt werden; das bedeutet jedoch das Hinzufügen einer qualifizierten 315 elektronischen Signatur, was gerade im B2C-Bereich noch nicht verbreitet ist. Angemessen ist eine andere Form zB bei Meinungsumfragen von Passanten oder bei telefonischen Umfragen; dabei liegt in der Bereitschaft, in dieser Situation Auskunft zu geben, bereits ein besonderer Umstand für den Verzicht auf die Schriftform 316. Besondere Umstände liegen auch dann vor, wenn die erhobenen Daten anonymisiert und nur in dieser Weise weiter verarbeitet werden 317. Anders ist das allerdings bei der Erhebung von sensitiven Daten zu sehen, wenngleich eine Gleichbehandlung hier praxisgerecht wäre. Jedenfalls ist in diesem Fall eine konkludente oder stillschweigende Einwilligung erst recht ausgeschlossen 318. Freiwilligkeit kann die Notwendigkeit der schriftlichen Einwilligung ebenfalls nicht aufheben 319. Für Telemedien und Telekommunikationsdienste gelten Sonderbestimmungen 320, dh die Möglichkeit der elektronischen Einwilligung. d) Besondere Hervorhebung. Die Einwilligung muss besonders hervorgehoben sein, 108 vorzugsweise in einer separaten Erklärung. Wenn die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen abgegeben werden soll, muss sie drucktechnisch (zB Kursiv- oder Fettdruck) hervorgehoben werden und sich optisch deutlich vom restlichen Text unterscheiden; bloße Hinweise in den AGB reichen in keinem Fall aus 321. e) Elektronische Erklärung bei Telemedien und Telekommunikationsdiensten 322. Die 109 Einwilligung kann bei Telemedien, Rundfunk- und Telekommunikationsdiensten auch elektronisch erklärt werden; sie ist nicht an die Verwendung von elektronischen Signaturen geknüpft 323. In diesem Fall muss gem § 13 Abs 2 TMG 324 bzw § 94 TKG sichergestellt werden, dass 1. der Nutzer seine Einwilligung bewusst und eindeutig erteilt hat, 2. die Einwilligung protokolliert wird, 3. der Nutzer den Inhalt der Einwilligung jederzeit abrufen kann und 4. der Nutzer die Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. Gerade bei der elektronischen Einwilligung ist auf die eindeutige und bewusste Hand- 110 lung des Nutzers zu achten, da er zB nur durch einen Mausklick einwilligen könnte und hier die Gefahr besteht, dass der Nutzer nicht erkennt, welche Folgen dieser eine Mausklick haben bzw dass er überhaupt rechtliche Folgen haben kann. Da an die Einwilligung wie an jede Willenserklärung bestimmte Anforderungen geknüpft sind 325, fehlte es hier
313 314 315 316 317
16.1 Rn 59; ausnahmsweise Auernhammer § 4 Rn 15; Gola/Schomerus § 4a Rn 13; grds auch konkludent möglich Dörr/ Schmidt § 4 Rn 7 f. Gola/Schomerus § 4a Rn 13. OLG Frankfurt aM CR 2001, 294; vgl auch LG Darmstadt RDV 1999, 28. Vgl Schaar RDV 2002, 4, 11. Gola/Schomerus § 30 Rn 5. Gola/Schomerus § 30 Rn 5.
318 319 320 321 322 323 324 325
Gola/Schomerus § 4a Rn 16a. So auch LG Stuttgart RDV 1998, 262; aA LG Darmstadt RDV 1999, 28. Vgl ausf Rn 109 ff. Vgl nur Simitis/Simitis § 4a Rn 41. Zur Abgrenzung vgl ausf Teil 5 Kap 1. BT-Drucks 14/6098, 28. Strenger als im alten § 4 Abs 1 S 2 TDDSG. Vgl Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 71.
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ggf am erforderlichen Erklärungsbewusstsein. Insgesamt wird daher auf den durchschnittlichen verständigen Nutzer abgestellt und darauf, ob dieser erkennen kann und muss, dass er rechtsverbindlich in die Nutzung seiner persönlichen Daten einwilligt 326. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn noch eine bestätigende Wiederholung erfolgt 327, dh dass zB nach dem Anklicken einer Check Box noch ein Schaltfeld mit der erneuten Erklärung der Einwilligung zu betätigen ist 328. Eine einfache Schaltfläche nach Eingabe der Daten genügt hingegen nicht329. Eine weitere Möglichkeit ist die Zusendung der Datenschutzerklärung per E-Mail, die dann per E-Mail akzeptiert wird. Bei der Zusendung von Newslettern empfiehlt sich diese Möglichkeit des Double-Opt-In in jedem Fall. So wird auch dem Missbrauch von E-Mail-Adressen durch Dritte vorgebeugt. Eine OptOut-Lösung ist im Bereich des TMG nicht zulässig 330. Hinsichtlich der Form der Einwilligungserklärung sollte aber auf die für § 4a BDSG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden, dh dass die Erklärung zB darstellungstechnisch hervorgehoben wird 331. Um den Transparenzpflichten genüge zu tun, empfiehlt sich ohnehin eine Datenschutzerklärung, die dann auch als Basis für die Einwilligungserklärung verwendet werden kann 332. Die Protokollierung erfordert keine Archivierung mit Reidentifikationsmöglichkeit 333. 111 Auch bei der Abrufbarkeit ist es nicht erforderlich, dass die personenbezogene Einwilligung des Nutzers bereitgehalten wird, vielmehr genügt es, dass die standardisierte Einwilligungserklärung rund um die Uhr abgerufen werden kann 334. Bei Änderungen sind alle Fassungen zur Verfügung zu stellen 335. Der Gesetzgeber orientierte sich hierbei vornehmlich an der Möglichkeit von E-Mail-Verfahren 336, allerdings kommen genauso Webformulare oä in Betracht. Eine Speicherfrist ist für die Protokollierung der Einwilligung sowie deren Inhalt nicht 112 genannt. Da es sich aber um Bestandsdaten handelt, ist die Verwendung gem § 14 Abs 1 TMG auf die inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer beschränkt; sie ist daher jedenfalls nach Beendigung des Nutzerverhältnisses zu löschen. Eine längere Speicherfrist kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Nutzer den Inhalt der Erklärung gem § 13 Abs 2 Nr 3 TMG jederzeit abrufen können muss, denn zum einen würde dies den Diensteanbieter überfordern 337, zum anderen ist für die Abrufbarkeit des Inhalts auch eine Abrufbarkeit der standardisierten Erklärung ausreichend, dh auch in anonymer Form. Allenfalls kann sich eine längere Speicherungsfrist ua aus § 257 HGB oder § 147 Abs 3 AbgO ergeben. In diesem Fall sind die Daten jedoch zu sperren 338. Zuletzt muss der Nutzer die Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen können.
113
f) Widerruflichkeit. Die Widerruflichkeit der Einwilligung, die in § 13 Abs 2 TMG bzw § 94 TKG normiert ist, gilt auch außerhalb dieser Gesetze 339. Eine Genehmigung ist nicht möglich; daher ist eine Verarbeitung ohne Einwilligung unzulässig 340. Ein Verzicht 326 327 328
329 330 331 332 333 334
OLG Brandenburg MMR 2006, 405, 406. Eckhardt ITRB 2005, 46, 47. OLG Brandenburg MMR 2006, 405, 406; Rasmussen DuD 2002, 406, 408; Zscherpe MMR 2004, 723, 726. Rasmussen DuD 2002, 406, 408. OLG München RDV 2007, 27, 29. Vgl Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 73. Vgl Rn 8. Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 75. Rasmussen DuD 2002, 406, 409.
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335 336 337 338 339
340
Rasmussen DuD 2002, 406, 409; Schaar RDV 2002, 4, 11. BT-Drucks 14/6098, 28. Vgl Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4 Rn 75. Bizer DuD 2007, 350, 353. Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 77; OLG Düsseldorf ZIP 1985, 1319; Simitis/Simitis § 4a Rn 94 mwN. Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 78; Simitis/ Simitis § 4 Rn 29 mwN.
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§3
Betroffenenrechte
auf das Widerrufsrecht ist ausgeschlossen 341, wobei an den Widerruf ebenso hohe Anforderungen zu stellen sind wie an die Einwilligung selbst 342. g) Einwilligungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Bei der Frage nach der Ein- 114 willigungsfähigkeit von Kindern und Jungendlichen ist, unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Einwilligung um einen Realakt oder eine Willenserklärung handelt, von der Einsichtsfähigkeit des Betroffenen (§§ 828 Abs 1 BGB und § 10 StGB iVm §§ 1 Abs 2, 3 JGG) auszugehen 343. Das bedeutet, dass eine Einwilligungsfähigkeit von Kindern unter 7 Jahren jedenfalls nicht gegeben ist, zwischen 7–14 Jahren hingegen möglich, wenn auch regelmäßig nicht gegeben. Von 14–16 Jahren muss eine Betrachtung im Einzelfall erfolgen, so dass hierbei insbesondere auch auf den Einwilligungsumfang abzustellen ist; eine Einwilligung zu Marketingzwecken wird hier eher abzulehnen sein. Ab 16 Jahre kann dagegen regelmäßig von einer Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden, da ein Jugendlicher, der in einigen Bundesländern wählen und zB auch Moped fahren darf, auch in der Regel die Auswirkungen zB der Weitergabe seiner Daten einschätzen kann 344. Ist ein Kind oder Jugendlicher nicht einwilligungsfähig, ist die Einwilligung der Eltern bzw des Erziehungsberechtigten einzuholen.
§3 Betroffenenrechte Zentral für den Datenschutz sind die sog Betroffenenrechte, dh die Rechte, die der 115 Betroffene zur Abwehr von rechtswidrigen Nutzungen etc seiner Daten geltend machen kann. Hierzu zählen Rechte auf Auskunft, Benachrichtigung, Widerspruch, Unterlassung/Beseitigung, Berichtigung/Gegendarstellung, Löschung/Sperrung, Vernichtung und Schadensersatz.
I. Auskunft Der Betroffene hat einen Anspruch auf Auskunft, zB über den Namen und die 116 Anschrift eines Datenempfängers bei der Übermittlung von Daten aus § 34 BDSG. Dieses Recht ist gem § 6 Abs 1 BDSG unabdingbar. Daneben besteht der Anspruch auf Auskunft auch nach allgemeinen Regeln aus § 242 BGB. Der Betroffene kann gem § 34 Abs 1 BDSG Auskunft verlangen über 117 1. die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen, und ggf auch die Bezeichnung der Datei, in der die Daten gespeichert sind 345, 2. Empfänger oder Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und 3. den Zweck der Speicherung. Bei der geschäftsmäßigen Speicherung zum Zweck der Übermittlung kann der Be- 118 troffene aber über Herkunft und Empfänger nur Auskunft verlangen, sofern nicht das 341 342 343
Hoeren/Sieber/Helfrich 16.1 Rn 79. Vgl hierzu Rn 97 ff. So auch Zscherpe MMR 2004, 723, 724.
344 345
So auch Zscherpe MMR 2004, 723, 724. Gola/Schomerus § 34 Rn 9.
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Interesse an der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses überwiegt, wobei dieser Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist, da ansonsten wohl immer ein entgegenstehendes Interesse besteht 346. Auskunft über Herkunft und Empfänger sind aber auch dann zu erteilen, wenn diese Angaben nicht gespeichert sind. Gem § 34 Abs 2 BDSG kann der Betroffene von Stellen, die geschäftsmäßig personenbezogene Daten zum Zwecke der Auskunftserteilung speichern, Auskunft über seine personenbezogenen Daten verlangen, auch wenn sie weder in einer automatisierten Verarbeitung noch in einer nicht automatisierten Datei gespeichert sind. Dabei ist die Auskunft aber streng auf die Daten beschränkt, die in Verbindung mit den Daten des Betroffenen stehen 347. Auskunft über Herkunft und Empfänger kann der Betroffene auch hier nur verlangen, sofern nicht das Interesse an der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses überwiegt. Die Auskunft ist gem § 34 Abs 3, 5 BDSG schriftlich und unentgeltlich zu erteilen, 119 soweit nicht wegen der besonderen Umstände eine andere Form der Auskunftserteilung angemessen ist. Bei der geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung erfolgten Speicherung kann ein Entgelt verlangt werden, wenn der Betroffene die Auskunft gegenüber Dritten zu wirtschaftlichen Zwecken nutzen kann. Das Entgelt darf über die durch die Auskunftserteilung entstandenen direkt zurechenbaren Kosten nicht hinausgehen. Ein Entgelt kann in den Fällen nicht verlangt werden, in denen besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Daten unrichtig oder unzulässig gespeichert werden, oder in denen die Auskunft ergibt, dass die Daten zu berichtigen oder unter der Voraussetzung des § 35 Abs 2 S 2 Nr 1 zu löschen sind. Besteht die Entgeltpflicht nach § 34 Abs 5 BDSG, muss dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, sich im Rahmen seines Auskunftsanspruchs persönlich Kenntnis über die ihn betreffenden Daten und Angaben zu verschaffen. Die Auskunftserteilung kann unterbleiben, wenn der Betroffene nach § 33 Abs 2 S 1 Nr 2, 3 und 5 bis 7 nicht zu benachrichtigen ist. Bei automatisierten Entscheidungen erstreckt sich das Recht des Betroffenen nach § 6a Abs 3 BDSG auch auf den logischen Aufbau der automatisierten Verarbeitung der ihn betreffenden Daten. Dies umfasst jedoch nicht Auskunft über die verwendete Software 348. Für Telemedien verweist § 13 Abs 7 TMG auf § 34 BDSG; nach dieser Maßgabe hat 120 der Diensteanbieter dem Nutzer auf Verlangen Auskunft über die zu seiner Person oder zu seinem Pseudonym gespeicherten Daten zu erteilen. Im Gegensatz zum BDSG kann die Auskunft hier jedoch auch auf Verlangen des Nutzers elektronisch erteilt werden. Das Auskunftsrecht könnte an dieser Stelle jedoch mit dem Verbot der Zusammenführung der pseudonymisierten Daten mit der Person des Nutzers kollidieren, denn durch das Auskunftsbegehren muss der Diensteanbieter in aller Regel diese Daten zusammenführen, um die Auskunft erteilen zu können 349. Allerdings wird man es hier genügen lassen, dass der Nutzer unter seinem Pseudonym anfragt 350, oder in der Geltendmachung des Anspruchs eine Einwilligung des Nutzers auf jedenfalls zu diesem Zweck erlaubte Zusammenführung sehen müssen. Auch im Rahmen des TKG können die Ansprüche gem § 34 BDSG geltend gemacht werden (§ 93 Abs 1 S 4 TKG). Im Rahmen des Medienprivilegs 351 hat der Betroffene gem § 41 Abs 3 BDSG im Falle 121 der Beeinträchtigung in seinem Persönlichkeitsrecht durch eine Berichterstattung der Deutschen Welle 352 das Recht auf Auskunft über die der Berichterstattung zugrunde 346
347 348 349
Gola/Schomerus § 34 Rn 11a; vgl auch zu § 19 BDSG BVerfG Beschluss v 10.3.2008, AZ: 1 BvR 2388/03. BGH NJW 1984, 1887, 1888. Gola/Schomerus § 6a Rn 18. Vgl ausf Hoeren/Sieber/Schmitz 16.4
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350 351 352
Rn 170 f, der die Regelung deshalb als verfassungswidrig ansieht. So Schaar Rn 508. Vgl hierzu Rn 49 f. Bzw nach den entsprechenden Landesgesetzen, vgl Rn 13.
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§3
Betroffenenrechte
liegenden, zu seiner Person gespeicherten Daten. Diese Auskunft kann allerdings nach Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Beteiligten verweigert werden, soweit 1. aus den Daten auf Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Rundfunksendungen berufsmäßig journalistisch mitwirken oder mitgewirkt haben, geschlossen werden kann, 2. aus den Daten auf die Person des Einsenders oder des Gewährsträgers von Beiträgen, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil ein Rückschluss gezogen werden kann, 3. durch die Mitteilung der recherchierten oder sonst erlangten Daten die journalistische Aufgabe der Deutschen Welle durch Ausforschung des Informationsbestandes beeinträchtigt würde.
II. Benachrichtigung In vielen Fällen legt das Gesetz der verantwortlichen Stelle die Pflicht auf, den Betroffenen über die Verarbeitung seiner Daten – auch ohne Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs – zu informieren. Die allgemeine Vorschrift des BDSG findet sich in § 33 Abs 1. Hiernach ist der Betroffene zu benachrichtigen, wenn erstmals personenbezogene Daten für eigene Zwecke ohne seine Kenntnis gespeichert werden. Dies kann nur dann geschehen, wenn die Daten in Abweichung vom Grundprinzip der Direkterhebung nicht bei ihm selbst erhoben wurden. Er ist zu informieren über • die erfolgte Speicherung, • die Art der Daten, • die Zweckbestimmung der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung, • die Identität der verantwortlichen Stelle und • die Kategorien der Empfänger, sofern er nach den Umständen des Einzelfalles nicht mit der Übermittlung an diese rechnen muss. Auf welche Weise der Betroffene die Kenntnis erlangt hat, so dass eine Benachrichtigung nicht erforderlich wäre, ist nicht von Bedeutung. Es ist ebenfalls nicht erforderlich, dass er konkrete Kenntnis von der Art der Datenspeicherung hat; er muss lediglich nach allgemeiner Lebenserfahrung wissen, dass die Speicherung automatisiert bzw dateigebunden erfolgt ist 353. Für die Kenntnis kommt es nicht auf die tatsächliche Kenntnis an, sondern darauf, dass Kenntnis vorhanden sein müsste; das ist zB dann der Fall, wenn die Datenspeichung im vorliegenden Fall üblich oder gar unvermeidlich ist 354. Bei der geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung ohne Kenntnis des Betroffenen erfolgten Speicherung ist der Betroffene von der erstmaligen Übermittlung, der Art der übermittelten Daten und den Kategorien der Empfänger, sofern er nach den Umständen des Einzelfalles nicht mit der Übermittlung an diese rechnen muss, zu benachrichtigen. Ausnahmen von der Pflicht zur Benachrichtigung enthält der umfangsreiche Katalog nach § 33 Abs 2, ua wenn 1. der Betroffene auf andere Weise Kenntnis von der Speicherung oder der Übermittlung erlangt hat (§ 33 Abs 2 Nr 1), 2. die Daten nur deshalb gespeichert sind, weil sie aufgrund gesetzlicher, satzungsmäßiger oder vertraglicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen oder 353
Gola/Schomerus § 33 Rn 28.
354
Gola/Schomerus § 33 Rn 29.
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
ausschließlich der Datensicherung oder der Datenschutzkontrolle dienen und eine Benachrichtigung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde (§ 33 Abs 2 Nr 2), zB beim Eintrag von Telefonnummern in eine Sperrliste 355, 3. die Daten nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen des überwiegenden rechtlichen Interesses eines Dritten, geheim gehalten werden müssen (§ 33 Abs 2 Nr 3), 4. die Daten für eigene Zwecke gespeichert sind (§ 33 Abs 2 Nr 7) und a) aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen wurden und eine Benachrichtigung wegen der Vielzahl der betroffenen Fälle unverhältnismäßig ist, oder b) die Benachrichtigung die Geschäftszwecke der verantwortlichen Stelle erheblich gefährden würde, es sei denn, dass das Interesse an der Benachrichtigung die Gefährdung überwiegt, oder 5. die Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung gespeichert sind (§ 33 Abs 2 Nr 8) und a) aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen wurden, soweit sie sich auf diejenigen Personen beziehen, die diese Daten veröffentlicht haben, oder b) es sich um listenmäßig oder sonst zusammengefasste Daten handelt (§ 29 Abs 2 Nr 1 Buchstabe b) und eine Benachrichtigung wegen der Vielzahl der betroffenen Fälle unverhältnismäßig ist. Die Ausnahmen (bis auf §§ 33 Abs 2 Nrn 1 und 8) sind dabei von der verantwortlichen Stelle schriftlich zu vermerken. Der Datenschutzbeauftragte hat im Rahmen seiner Kontrollpflicht auf die Erstellung dieser Dokumentation hinzuwirken 356. Weiterhin ist der Betroffene bei Maßnahmen gegen den Missbrauch von Telekommu126 nikationsdiensten nach § 100 Abs 4 S 4 TKG zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahmen möglich ist.
III. Widerspruch 127
Sowohl die Vorschriften des BDSG als auch die Spezialnormen des TMG und TKG geben dem Betroffenen bei Zulässigkeit der Verarbeitung oder Einwilligung zahlreiche Widerspruchsrechte. Gem § 28 Abs 4 S 1 hat der Betroffene das Recht, der Nutzung oder Übermittlung 128 seiner Daten für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung zu widersprechen. Die Nutzung oder Übermittlung ist dann für diese Zwecke unzulässig. Auf dieses Recht ist der Betroffene bei der Ansprache zum Zweck der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung hinzuweisen; soweit personenbezogene Daten des Betroffenen genutzt werden, die bei einer dem Ansprechenden im Rahmen einer solchen Umfrage nicht bekannten Stelle gespeichert sind, hat dieser auch sicherzustellen, dass der Betroffene Kenntnis über die Herkunft der Daten erhalten kann. Auch bei diesem Dritten hat der Betroffene dann ein Widerspruchsrecht mit der Folge, dass der Dritte die Daten für diese Zwecke zu sperren hat. Ein ähnliches Widerspruchsrecht steht dem Betroffenen außerdem bei Verwendung seiner Nutzungsdaten für Telemedien gem § 15 Abs 3 TMG zu. Hiernach darf der Diensteanbieter für Zwecke der Werbung, der Marktforschung oder zur bedarfsgerechten Gestaltung der Telemedien Nutzungsprofile bei Verwendung 355
AG Frankfurt aM MMR 2007, 470, 471.
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356
Gola/Schomerus § 33 Rn 43.
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Betroffenenrechte
von Pseudonymen nur erstellen, sofern der Betroffene nicht von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht. Hierauf muss der Diensteanbieter den Betroffenen bereits im Rahmen der Unterrichtung nach § 13 Abs 1 TMG hinweisen. Gem § 35 Abs 5 BDSG dürfen personenbezogene Daten außerdem nicht für eine 129 automatisierte Verarbeitung oder Verarbeitung in nicht automatisierten Dateien erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, soweit der Betroffene dieser bei der verantwortlichen Stelle widerspricht und eine Prüfung ergibt, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen wegen seiner besonderen persönlichen Situation das Interesse der verantwortlichen Stelle an dieser Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt, es sei denn, dass eine Rechtsvorschrift zur Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung verpflichtet. Weitere Widerspruchsrechte finden sich in § 95 Abs 3 S 2 TKG (Versendung von 130 Text- oder Bildmitteilungen im Falle der rechtmäßigen Kenntnis von der Rufnummer oder der Postadresse) und § 105 Abs 2, 3 TKG (Telefonauskunft).
IV. Unterlassung/Beseitigung/Widerruf Neben den Ansprüchen aus dem BDSG können dem Betroffenen auch Beseitigungs- 131 und Unterlassungsansprüche und auch Widerrufsansprüche bzw Richtigstellungsansprüche 357 zustehen, und zwar aus den allgemeinen Normen der §§ 1004, 823 BGB, denn die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten kann eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen (vgl schon § 1 Abs 1 BDSG) 358. Gem § 44 Abs 1 TKG hat ein Endverbraucher oder Wettbewerber einen Anspruch 132 auf Beseitigung bzw Unterlassung gegen ein Unternehmen, das gegen das TKG, eine auf Grund des TKG erlassene Rechtsverordnung, eine auf Grund des TKG in einer Zuteilung auferlegte Verpflichtung oder eine Verfügung der Bundesnetzagentur verstößt. Der Anspruch besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Aktivlegitimiert sind gem § 3 UKlaG auch Verbraucherschutzverbände 359, nach § 44 Abs 2 TKG beschränkt auf die Fälle, in denen in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen Vorschriften des TKG, die dem Schutz der Verbraucher dienen, verstoßen wird. Werden die Zuwiderhandlungen in einem geschäftlichen Betrieb von einem Angestellten oder einem Beauftragten begangen, so ist der Unterlassungsanspruch auch gegen den Inhaber des Betriebes begründet. Im Übrigen bleibt das Unterlassungsklagengesetz unberührt, dh auch bei Verstößen gegen das BDSG und TMG kann das UKlaG Anwendung finden 360.
V. Berichtigung/Gegendarstellung Gem § 35 Abs 1 BDSG gilt der Grundsatz, dass personenbezogene Daten berichtigt 133 werden müssen, wenn sie unrichtig sind. Dieses Recht ist gem § 6 Abs 1 unabdingbar. Wird die Richtigkeit der Daten lediglich bestritten und lässt sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen, sind die Daten lediglich gem § 35 Abs 4 BDSG zu sperren 361. Eine Ausnahme gilt dann gem § 35 Abs 6 BDSG bei der geschäftsmäßigen Daten357 358
OLG Düsseldorf DuD 2006, 124. Vgl nur BGH NJW 1984, 436; OLG Köln GRUR-RR 2008, 26, 27; AG Mitte Urteil vom 27.3.2007, AZ: 5 C 314/06; Bamberger/ Roth/Bamberger § 12 BGB Rn 160.
359 360 361
Vgl OLG München RDV 2007, 27, 28. Vgl OLG München RDV 2007, 27. Vgl hierzu BVerwG MMR 2007, 171, 172.
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speicherung zum Zweck der Übermittlung, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen und zu Dokumentationszwecken gespeichert sind (außer in den Fällen des § 35 Abs 2 Nr 2). Zumindest hat der Betroffene in diesen Fällen (und für den Fall, dass aus diesen Gründen auch kein Sperrungs- oder Löschungsrecht besteht) aber ein Recht, den unrichtigen Daten (oder wenn die Richtigkeit bestritten wird) seine Gegendarstellung beizufügen 362. Die Daten dürfen dann von der verantwortlichen Stelle nicht mehr ohne diese Gegendarstellung übermittelt werden. Von der Berichtigung unrichtiger Daten sind gem § 35 Abs 7 BDSG die Stellen zu verständigen, denen im Rahmen einer Datenübermittlung diese Daten zur Speicherung weitergegeben werden, wenn dies keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert und schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen. Weitere Ansprüche auf Berichtigung finden sich in § 41 Abs 3 S 3 (Medienprivileg) und § 45m TKG (unrichtige Daten in einem öffentlichen Teilnehmerverzeichnis).
VI. Löschung/Sperrung 134
Personenbezogene Daten sind gem § 35 Abs 2 S 2 BDSG zu löschen, wenn (1.) ihre Speicherung unzulässig ist, (2.) es sich um sensitive Daten 363 oder Daten über strafbare Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten handelt und ihre Richtigkeit von der verantwortlichen Stelle nicht bewiesen werden kann, (3.) sie für eigene Zwecke verarbeitet werden, sobald ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist, oder (4.) sie geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung verarbeitet werden und eine Prüfung jeweils am Ende des vierten Kalenderjahres, beginnend mit ihrer erstmaligen Speicherung, ergibt, dass eine längerwährende Speicherung nicht erforderlich ist 364. Dieses Recht ist gem § 6 Abs 1 unabdingbar. Gem § 30 Abs 3 BDSG sind außerdem im Rahmen von § 30 BDSG unzulässig gespeicherte Daten zu löschen. An die Stelle einer Löschung tritt gem § 35 Abs 3 BDSG dann eine Sperrung, soweit 135 (1.) im Fall des § 35 Abs 2 Nr 3 einer Löschung gesetzliche, satzungsmäßige oder vertragliche Aufbewahrungsfristen, zB § 257 HGB, entgegenstehen, (2.) Grund zu der Annahme besteht, dass durch eine Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden, oder (3.) eine Löschung wegen der besonderen Art der Speicherung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist. Personenbezogene Daten sind außerdem zu sperren, soweit ihre Richtigkeit vom Betroffenen bestritten wird und sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen lässt 365. Eine Sperrung von Daten muss auch nach Widerspruch gem § 28 Abs 4 BDSG erfolgen (Werbung), wobei vom Betroffenen eine Verzögerung hinzunehmen ist, wenn die verantwortliche Stelle den Sperrvermerk erst beim nächsten turnusmäßigen Abgleich vornimmt 366. Verlangt der Betroffene, dass seine Daten auch aus der „Sperrliste“ gelöscht werden, ist dem nachzukommen. Allerdings kann dann der verantwortlichen Stelle kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie bei Verwendung von Fremddaten den Betroffenen erneut anschreibt 367. Eine Ausnahme gilt dann gem § 35 Abs 6 BDSG bei der geschäftsmäßigen Datenspeicherung zum Zweck der Übermittlung, wenn die Daten aus allgemein zugäng-
362 363 364
Vgl Gola/Schomerus § 35 Rn 8. Rn 17. Vgl zu Löschdefiziten in der Praxis ausf Fraenkel/Hammer DuD 2007, 899, 900 ff.
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365 366 367
Vgl hierzu BVerwG MMR 2007, 171, 172. Gola/Schomerus § 28 Rn 65. Gola/Schomerus § 28 Rn 65; vgl auch AG Frankfurt aM MMR 2007, 470, 471.
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Betroffenenrechte
lichen Quellen entnommen und zu Dokumentationszwecken gespeichert sind (außer in den Fällen des § 35 Abs 2 Nr 2) 368. Von der Sperrung bestrittener Daten sowie der Löschung oder Sperrung wegen Unzulässigkeit der Speicherung sind gem § 35 Abs 7 BDSG die Stellen zu verständigen, denen im Rahmen einer Datenübermittlung diese Daten zur Speicherung weitergegeben werden, wenn dies keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert und schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen. Gesperrte Daten dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen gem § 35 Abs 8 BDSG nur noch übermittelt oder genutzt werden, wenn 1. es zu wissenschaftlichen Zwecken, zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder aus sonstigen im überwiegenden Interesse der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten liegenden Gründen unerlässlich ist und 2. die Daten hierfür übermittelt oder genutzt werden dürften, wenn sie nicht gesperrt wären. Bei Telemedien hat der Diensteanbieter gem § 13 Abs 4 S 1 Nr 2, S 2 TMG durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die anfallenden personenbezogenen Daten über den Ablauf des Zugriffs oder der sonstigen Nutzung unmittelbar nach deren Beendigung gelöscht oder, soweit einer Löschung gesetzliche, satzungsmäßige oder vertragliche Aufbewahrungsfristen entgegenstehen, gesperrt werden. Danach sind zB Profildaten bei Deaktivierung der Mitgliedschaft in einem Online-Netzwerk oder Online-Shop zu löschen. Da es für die Löschung von Bestandsdaten keine Regelung gibt, sind hier die Regelungen des § 35 BDSG anwendbar 369. Für die Nutzungsdaten von Telemedien ist hingegen in § 15 Abs 8 S 2 TMG ein Löschungsanspruch vorgesehen, der dann besteht, wenn die nach § 15 Abs 1 TMG erhobenen Nutzungsdaten nicht mehr für die Inanspruchnahme von Telemedien oder zur Abrechnung benötigt werden. Eine Sperrungsmöglichkeit ist gem § 15 Abs 4 TMG zur Erfüllung bestehender gesetzlicher, satzungsmäßiger oder vertraglicher Aufbewahrungsfristen für Abrechnungsdaten über das Ende des Nutzungsvorgangs hinaus vorgesehen. Weitere Löschungsansprüche/-pflichten bestehen ua in § 6b Abs 5 BDSG (Videoüberwachung), § 95 Abs 3 TKG (Beendigung des Vertragsverhältnisses), § 96 Abs 2 (Verkehrsdaten), § 97 Abs 3 TKG (Verwendung von Verkehrsdaten zur Entgeltermittlung und Entgeltabrechnung) und § 100 Abs 3 S 4 TKG (Maßnahmen zur Aufdeckung von Missbrauch von Telekommunikationsdiensten).
136
137
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139
VII. Vernichtung Einen separaten Anspruch auf Vernichtung der Daten gibt es nicht; dies wird an sich 140 durch die Löschung der Daten erreicht. Lediglich das TKG sieht im Falle einer Kopie des amtlichen Ausweises für die Begründung eines Vertragsverhältnisses die Vernichtung dieser Kopie gem § 95 Abs 4 S 3 TKG unverzüglich nach Feststellung der für den Vertragsabschluss erforderlichen Angaben vor.
368
Zum dann bestehenden Gegendarstellungsanspruch Rn 133.
369
OLG Bamberg CR 2006, 274; Gola/Klug 193.
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VIII. Schadensersatz 1. Vertragliche Ansprüche
141
Ansprüche auf Schadensersatz können wie immer aus Vertrag oder aus Gesetz bestehen. Aus Vertrag kann sich bei unrichtiger oder unzulässiger Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis oder zB bei Verträgen, bei denen Kundendaten benötigt werden, ein Anspruch aus § 280 Abs 1 BGB ggf, im Fall von vorvertraglichen Vertrauensverhältnissen, iVm § 311 Abs 2 BGB ergeben. Bei der Auftragsdatenverarbeitung können in der Regel Ansprüche wegen Verletzung der Hauptleistungspflichten aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) bestehen. Es gelten die allgemeinen Regeln des BGB 370. 2. Gesetzliche Ansprüche
142
Im BDSG gibt es lediglich für öffentliche Stellen gem § 8 BDSG eine verschuldensunabhängige Schadensersatznorm. Bei einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist dem Betroffenen der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, angemessen in Geld zu ersetzen. Die Ansprüche sind aber in jedem Fall insgesamt auf einen Betrag von € 130 000,– begrenzt. Das gilt nach § 8 Abs 3 S 2 BDSG auch dann, wenn aufgrund desselben Ereignisses an mehrere Personen Schadensersatz zu leisten ist, der insgesamt den Höchstbetrag von € 130 000,– übersteigt. Dann verringern sich die einzelnen Schadensersatzleistungen in dem Verhältnis, in dem ihr Gesamtbetrag zu dem Höchstbetrag steht. Unzulässig ist jede Verarbeitung, die rechtswidrig ist, wobei sich die Rechtswidrigkeit aus dem BDSG, aber auch anderen datenschutzrechtlichen Vorschriften, wie § 83 BetrVG, TKG oder TMG, ergeben kann 371. Sie kann auch unrichtig sein, wenn sie zB unvollständig ist und ein falsches Bild über den Betroffenen gibt 372. 143 Sind bei einer automatisierten Verarbeitung mehrere Stellen speicherungsberechtigt, zB bei einem Datenpool, und ist der Geschädigte nicht in der Lage, die speichernde Stelle festzustellen, so haftet jede dieser Stellen. Dadurch ist der Betroffene von der Last entbunden, nachweisen zu müssen, wer konkret den Schaden verursacht hat. Ansonsten gelten auch hier die Normen für das Mitverschulden (§ 254 BGB) und die Verjährung der unerlaubten Handlung (§§ 852, 199 ff BGB) durch ausdrücklichen Verweis. 144 Eine weitere Schadensersatznorm, die sowohl für nicht-öffentliche Stellen als auch für öffentliche Stellen gilt, ist § 7 BDSG 373. Fügt eine verantwortliche Stelle hiernach dem Betroffenen durch unzulässige oder unrichtige Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten einen Schaden zu, ist sie dem Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet. Die Ersatzpflicht entfällt allerdings, soweit die verantwortliche Stelle die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat; § 7 S 2 BDSG kehrt damit die Beweislast um, dh die Stelle muss beweisen, dass sie die gebotene Sorgfalt beachtet hat. Hierfür kommt das Vorliegen von höherer Gewalt oder ein Eigenverschulden des Betroffenen in Betracht 374. Ersetzt wird – im Gegensatz zu § 8 BDSG – nur der
370 371 372 373
Vgl Gola/Schomerus § 7 Rn 18, 20. Gola/Schomerus § 7 Rn 3, § 8 Rn 10. Gola/Schomerus § 7 Rn 4, § 8 Rn 11. Die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften sind sehr unterschiedlich, § 18 Abs 1 BlnDSG schließt zB den Ersatz immaterieller Schäden ein und legt keine Höchst-
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374
summe fest (vgl zu weiteren landesrechtlichen Vorschriften Gola/Schomerus § 7 Rn 21). Vgl Erwägungsgrund 55 Richtlinie 95/46/EG; zur Frage, ob die Exkulpation nach § 831 BGB übernommen werden kann, vgl Gola/Schomerus § 7 Rn 10.
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Durchsetzung und Verfahren
Vermögensschaden. Schäden hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts 375 und Zahlung eines Schmerzensgeldes können sich daher nur aus den allgemeinen Vorschriften § 823 Abs 1 BGB iVm Art 1, 2 GG, die neben §§ 7, 8 BDSG anwendbar sind 376, ergeben. Sonstige Haftungsbestimmungen, wie die Gesamtschuldnerschaft, richten sich nach den allgemeinen Vorschriften des BGB. Gem § 44 Abs 1 TKG hat ein Endverbraucher oder Wettbewerber einen Anspruch 145 auf Schadensersatz gegen ein Unternehmen, das gegen das TKG, eine auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnung, eine auf Grund dieses Gesetzes in einer Zuteilung auferlegte Verpflichtung oder eine Verfügung der Bundesnetzagentur vorsätzlich oder fahrlässig verstößt. Der Anspruch besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Geldschulden sind ab Eintritt des Schadens zu verzinsen. Die §§ 288 und 289 S 1 BGB finden entsprechende Anwendung. Die Haftung für einen Vermögensschaden ist gem § 44a Abs 1 TKG jedoch im Falle einer bloß fahrlässigen Handlung gegen einen Endnutzer auf höchstens € 12 500,– je Endnutzer begrenzt. Entsteht die Schadensersatzpflicht durch eine einheitliche Handlung oder ein einheitliches Schaden verursachendes Ereignis gegenüber mehreren Endnutzern und beruht dies nicht auf Vorsatz, ist die Schadenersatzpflicht unbeschadet der Begrenzung in S 1 in der Summe auf höchstens € 10 Mio begrenzt. Dann wird der Schadensersatz im Verhältnis gekürzt. Diese Haftungsbegrenzung schließt nicht den Verzugsschaden für die Zahlung des Schadensersatzes ein. Abweichende einzelvertragliche Vereinbarungen sind gem § 44a S 5 jedoch möglich.
§4 Durchsetzung und Verfahren I. Aufsichts- und Kontrollinstanzen Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit wird vom 146 Deutschen Bundestag für eine Amtszeit von 5 Jahren gewählt (§ 22 BDSG). Er kontrolliert die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei den Behörden der Bundesverwaltung und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes sowie der bundesunmittelbaren Körperschaften (§ 24 BDSG). Stellt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Verstöße gegen solche Vorschriften oder sonstige Mängel bei der Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten fest, beanstandet er dies bei der zuständigen Behörde (§ 25 BDSG) und erstattet dem Deutschen Bundestag Bericht, spricht Empfehlungen aus und wirkt auf die Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden hin (§ 26 BDSG). Er kann sich auch in der Öffentlichkeit zu datenschutzrechtlichen Problemen äußern, wobei Warnungen insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegen 377. Gem § 38 BDSG sind Aufsichtsbehörden 378 als externe Kontrollinstanz zur Über- 147 wachung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in der Privatwirtschaft einzurich375 376
377
Vgl OLG Rostock ZIP 2001, 793; AG Charlottenburg MMR 2006, 255. Gola/Schomerus § 7 Rn 15; Gola/Schomerus § 8 Rn 2; Bamberger/Roth/Bamberger § 12 BGB Rn 160. VG Köln RDV 1999, 125.
378
ZB Berliner Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit www. datenschutz-berlin.de/ und Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz SchleswigHolstein https://www.datenschutzzentrum. de/.
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ten 379. Die Aufgabe dieser Aufsichtsbehörden ist es, die Ausführung der datenschutzrechtlichen Vorschriften zu kontrollieren, soweit diese die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten oder die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien regeln. Sie werden insbesondere in den problematischen Feldern wie dem Adresshandel und bei den Auskunfteien tätig 380. Außerdem kontrollieren sie die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften nach den jeweiligen Landesgesetzen 381. Außerdem beraten und unterstützen sie die Beauftragten für den Datenschutz 382 und die verantwortlichen Stellen. Stellt die Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorschriften fest, ist sie befugt, die Betroffenen hierüber zu unterrichten, den Verstoß bei den zuständigen Stellen anzuzeigen sowie bei schwerwiegenden Verstößen die Gewerbeaufsichtsbehörde zur Durchführung gewerberechtlicher Maßnahmen zu unterrichten. Die Aufsichtsbehörde führt gem § 38 Abs 2 BDSG ein Register der nach § 4d BDSG 148 meldepflichtigen automatisierten Verarbeitungen mit den Angaben nach § 4e S 1 BDSG. Das Register kann von jedem eingesehen werden, bis auf die Information nach § 4e S 1 Nr 9 und die Angabe der zugriffsberechtigten Personen. Die verantwortlichen Stellen haben der zuständigen Aufsichtsbehörde auf Verlangen die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte gem § 38 Abs 3 BDSG unverzüglich zu erteilen. Die Aufsichtsbehörde ist gem § 38 Abs 4 BDSG auch befugt, während der Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Geschäftsräume der betreffenden Stelle zu betreten und dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen. Sie kann geschäftliche Unterlagen, insbesondere die Übersicht nach § 4g Abs 2 S 1 sowie die gespeicherten personenbezogenen Daten und die Datenverarbeitungsprogramme einsehen. Nach § 38 Abs 5 BDSG können die Maßnahmen nach § 9 BDSG durchgesetzt werden, allerdings nur, soweit diese die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten oder die Verarbeitung personenbezogener Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien regeln; das Ziel der Sicherstellung der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung genügt nicht 383. Die Aufsichtsbehörde kann auch die Abberufung des Beauftragten für den Datenschutz verlangen, wenn dieser die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit nicht besitzt 384. Die bundesweite Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden ist im sog „Düsseldorfer 149 Kreis“ organisiert. Es handelt sich dabei um eine informelle Vereinigung der obersten Aufsichtsbehörden für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften im nichtöffentlichen Bereich 385. Vertreter dieser Behörden waren im Herbst 1977 in Düsseldorf zusammengekommen, um sich über eine möglichst einheitliche Anwendung des damals neu erlassenen Bundesdatenschutzgesetzes zu verständigen. Zu diesem Zweck fasst und veröffentlicht der Düsseldorfer Kreis zu bestimmten datenschutzrechtlichen Themen Beschlüsse, in denen eine einheitliche Rechtsauffassung niedergelegt wird 386. Auf europäischer Ebene gibt es zunächst eine Kontrollbehörde Europäischer Daten150 schutzbeauftragter, die aufgrund Art 41 der EG-Verordnung 45/2001 eingerichtet wurde und die Organe und Einrichtungen der EG bei der Verarbeitung von personenbezogenen
379 380 381 382 383 384 385
Vgl Gola/Schomerus § 38 Rn 1. Vgl Weichert DuD 2001, 264, 270. Vgl Rn 13. Vgl hierzu Rn 153 ff. OVG Hamburg NJW 2006, 310. Vgl Gola/Schomerus § 38 Rn 27. Für den öffentlichen Bereich gibt es die Kon-
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386
ferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Die Entschließungen des Düsseldorfer Kreises sind unter www.bfdi.bund.de/ nn_531946/DE/Oeffentlichkeitsarbeit/ Entschliessungssammlung/Functions/ DKreis_table.html abrufbar.
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Durchsetzung und Verfahren
Daten berät und überwacht 387. Dieses Amt ist unabhängig und weisungsfrei gestaltet. Der Europäische Datenschutzbeauftragte prüft gem Art 46 EG-Verordnung 45/2001 ua Beschwerden, führt aber auch von sich aus Untersuchungen durch; er kontrolliert die Anwendung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen und überwacht relevante Entwicklungen insoweit, als sie sich auf den Schutz personenbezogener Daten auswirken, insbesondere die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie. Im Rahmen dieser Tätigkeit kann er zB gem Art 47 EG-Verordnung 45/2001 die Berichtigung, Sperrung, Löschung oder Vernichtung aller Daten, die unter Verletzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen verarbeitet wurden, anordnen, die Verarbeitung vorübergehend oder endgültig verbieten und auch beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängigen Verfahren beitreten. Nach Art 29 der Richtlinie 95/46/EG gibt es außerdem eine Gruppe zur Förderung 151 der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die sog Art 29-Gruppe 388. Sie ist das unabhängige Beratungsgremium der Europäischen Union in Datenschutzfragen. Ihre Aufgaben sind in Art 30 der Richtlinie 95/46/EG sowie in Art 14 der Richtlinie 97/66/EG festgelegt. Mit der Einsetzung dieser Datenschutzgruppe sollen danach ua die folgenden vorrangigen Ziele erreicht werden: • Abgabe von Stellungnahmen zu Fragen des Datenschutzes in der Gemeinschaft gegenüber der Kommission und zu den auf Gemeinschaftsebene erarbeiteten Verhaltensregeln, • Förderung der einheitlichen Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Richtlinien in allen Mitgliedstaaten durch die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz, • Beratung der Kommission hinsichtlich aller Gemeinschaftsmaßnahmen, die sich auf die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre auswirken. Im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen übernimmt gem § 115 Abs 4 152 TKG oftmals auch der Bundesdatenschutzbeauftragte (§§ 21, 24–26 Abs 1–4 BDSG) die Aufgabe der Aufsichtsbehörde in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur 389, die für den Bereich des TKG oftmals zusätzlich zuständig ist. In vielen Fällen kann sie wahlweise statt des Bundesdatenschutzbeauftragten über Verfahren informiert werden 390.
II. Formelle Anforderungen an den Datenschutz in Medienunternehmen 1. Datenschutzbeauftragter Jedes Unternehmen, das personenbezogene Daten automatisiert verarbeitet, muss gem 153 § 4f BDSG einen Datenschutzbeauftragten bestellen. Auch bei der nicht-automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten muss ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden, wenn damit in der Regel, dh auf Dauer bei normaler Beschäftigtenzahl des Betriebes, mindestens 20 Personen beschäftigt sind. Hierbei wird nicht auf den Arbeitnehmerbegriff abgestellt, sondern auf die eingesetzten Personen, die insofern auch zB freie Mitarbeiter oder Teilzeitkräfte sein können 391. Eine Ausnahme für die Bestellung eines 387 388 389
Vgl im Einzelnen Art 41 ff EG-Verordnung 45/2001; Zilkens RDV 2007, 199. ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/. Vgl ausf Teil 5 Kap 5 Rn 17 ff.
390 391
§§ 100 Abs 3 S 5, 100 Abs 4 S 3, 101 Abs 5 TKG. Vgl Gola/Schomerus § 4f Rn 10a, 11.
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Datenschutzbeauftragten gilt für die nicht-öffentlichen Unternehmen, die in der Regel höchstens neun Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen. Der Begriff „mit der Verarbeitung beschäftigt“ ist weit zu verstehen und umfasst zB das Kassenpersonal, die Personalabteilung, das EDV-Personal, jeden, der sich personenbezogene Daten anzeigen lassen kann, dabei auch Personen, die im Rahmen der Auftragsdatenverarbeitung tätig werden. Ständig bedeutet nicht, dass es die Hauptaufgabe der Person sein muss; es ist auch kein bestimmter Anteil an der Arbeit festgelegt, aber die Person muss die datenverarbeitende Tätigkeit immer dann ausführen, wenn sie anfällt 392. Außerdem besteht die Pflicht der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten gem § 4f 154 Abs 1 S 6 BDSG bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die der Vorabkontrolle (§ 4d Abs 5 BDSG) unterliegen 393, oder wenn personenbezogene Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung oder der anonymisierten Übermittlung erhoben, verarbeitet oder genutzt werden 394. In diesem Fall, wie zB bei Auskunfteien, Markt- und Meinungsforschungsunternehmen und im Adresshandel, ist immer ein Datenschutzbeauftragter zu stellen. Selbst wenn bei einer nicht-öffentlichen Stelle keine Verpflichtung zur Bestellung 155 besteht, hat der Leiter der nicht-öffentlichen Stelle die Erfüllung der Aufgaben nach § 4g Abs 1 und 2 BDSG in anderer Weise sicherzustellen. Wer trotz Erforderlichkeit keinen Datenschutzbeauftragten bestellt, ist bußgeldpflichtig bis zu € 25 000,– (§ 43 Abs 1 Nr 2 BDSG).
156
a) Aufgaben und Befugnisse eines Datenschutzbeauftragten. Der Datenschutzbeauftragte wirkt gem § 4g BDSG grds auf die Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes, des ggf anwendbaren Landesdatenschutzgesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz hin. Im Einzelnen gehören hierzu ua folgende Aspekte: • Überwachung der Einhaltung der formellen und materiellen Vorschriften des Datenschutzes, • Beratung, Mitwirkung und Überwachung bei der Bearbeitung personenbezogener Daten, insbesondere bei der Verwendung von Datenverarbeitungsprogrammen (zu diesem Zweck ist der Datenschutzbeauftragte über Vorhaben der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten rechtzeitig zu unterrichten), • Schulung der Mitarbeiter in datenschutzrechtlichen Fragen, • Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde (§ 38 Abs 1 S 2 BDSG), • Verfügbarmachen der Angaben nach § 4e S 1 Nr 1 bis 8 (Inhalt der Meldepflicht) auf Antrag an jedermann in geeigneter Weise (dies gilt nicht für Behörden im Falle des § 4g Abs 3 BDSG), • Erstellung eines IT-Sicherheitskonzepts, • Ansprechpartner für die Arbeitnehmer des Unternehmens in datenschutzrechtlichen Fragen. 157 Der Datenschutzbeauftragte ist in der Anwendung seiner Fachkunde auf dem Gebiet des Datenschutzes gem § 4f Abs 3 S 2 BDSG weisungsfrei. Er darf wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden. Dem Datenschutzbeauftragten müssen alle zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Er ist von allen relevanten Vorgängen rechtzeitig zu unterrichten. Gem § 4f Abs 4 BDSG ist der 392 393
Gola/Schomerus § 4f Rn 12. Vgl Rn 166.
1670
394
Vgl Rn 67 ff.
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Datenschutzbeauftragte zur Verschwiegenheit sowohl über die Identität des Betroffenen als auch über die Umstände, die Rückschlüsse auf den Betroffenen zulassen, verpflichtet. Er kann allerdings durch den Betroffenen auch davon befreit werden. Dem Datenschutzbeauftragten kann sogar ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen, und seine Akten und andere Schriftstücke können einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, soweit er Kenntnis von Daten erlangt, für die dem Leiter oder einer bei der öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stelle beschäftigten Person aus beruflichen Gründen diese Rechte zustehen (§ 4f Abs 4a BDSG). b) Eignung zum Datenschutzbeauftragten. Der Datenschutzbeauftragte muss eine 158 natürliche Person sein. Zum Beauftragten kann gem § 4f Abs 2 S 3 BDSG auch eine Person außerhalb der verantwortlichen Stelle, zB ein Anwalt, bestellt werden; die Kontrolle erstreckt sich auch auf personenbezogene Daten, die einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis, insbesondere dem Steuergeheimnis nach § 30 der AbgO, unterliegen. Gem § 4f Abs 2 BDSG darf zum Datenschutzbeauftragten nur ernannt werden, wer die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt. Fehlt dem formell bestellten Datenschutzbeauftragten die Fachkunde und/oder Zuverlässigkeit, wurde kein Datenschutzbeauftragter wirksam bestellt. Unter Fachkunde versteht man sowohl das allgemeine Grundwissen, das jeder Beauf- 159 tragte aufweisen muss, als auch die betriebsspezifischen Kenntnisse 395. Zum Grundwissen gehört vor allem das Datenschutzrecht, für das im Allgemeinen eine rechtskundige Person am besten geeignet ist. Weiterhin erforderlich ist das Verständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge sowie Grundkenntnisse über Verfahren und Techniken der automatisierten Datenverarbeitung. Dabei ist es nicht erforderlich, dass unbedingt IT-Spezialkenntnisse vorhanden sind, sondern lediglich ein „Grundwissen“. Außerdem muss der Beauftragte mit der Organisation und den Funktionen seines Betriebes vertraut sein; ggf muss ihm ein Stab von Fachleuten, aber jedenfalls eine Kontaktperson, zugeteilt sein. Das Maß der erforderlichen Fachkunde bestimmt sich gem § 4f Abs 2 S 2 BDSG insbesondere nach dem Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen Stelle und dem Schutzbedarf der personenbezogenen Daten, die die verantwortliche Stelle erhebt oder verwendet, so dass an einen Datenschutzbeauftragten eines Handwerksunternehmens andere Anforderungen zu stellen sind als an den Datenschutzbeauftragten einer Wirtschaftsauskunftei. Ein einwöchiges Seminar ist allenfalls geeignet, die Fachkunde zu vermitteln, nicht jedoch die betriebsspezifischen Kenntnisse 396. Zusätzlich muss der Datenschutzbeauftragte über die erforderliche Zuverlässigkeit 160 verfügen. Zur Zuverlässigkeit eines Datenschutzbeauftragten gehört es auch, dass er die erforderliche Arbeitszeit dieser Aufgabe widmen kann, dh hierfür freigestellt wird. Bei zB einem Betrieb mit weniger als 300 Beschäftigten wird die Aufgabe des Datenschutzbeauftragten in der Regel weniger als 20 % der Arbeitszeit in Anspruch nehmen 397. Wichtig ist jedoch auch, dass bestimmte Personen aufgrund einer möglichen Interessenkollision nicht zum Datenschutzbeauftragten bestellt werden dürfen. Dies betrifft vor allem den Inhaber einer Firma, den Vorstand, den Geschäftsführer oder sonstige gesetzliche oder verfassungsmäßig berufene Leiter. Auch weitere Personen, die in Interessenkonflikte geraten könnten, sollten nicht zum Datenschutzbeauftragten bestellt werden, wie zB der Leiter der EDV, der Personalleiter oder beim Direktvertrieb der Vertriebsleiter 398.
395 396
Gola/Schomerus § 4f Rn 20. LG Köln RDV 2000, 174.
397 398
ArbG Offenbach RDV 1993, 83. Vgl ausf Gola/Schomerus § 4f Rn 26 ff.
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7. Teil
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c) Bestellung des Datenschutzbeauftragten. Ein Datenschutzbeauftragter muss gem § 4f Abs 1 BDSG schriftlich bestellt werden, wobei Aufgabe und organisatorische Stellung zu konkretisieren sind. Die Wahrung der Schriftform ist dabei konstitutiv 399. Nichtöffentliche Stellen sind hierzu spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme ihrer Tätigkeit verpflichtet. Die Bestellung zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten sollte allen Mitarbeitern bekannt gemacht werden. Wird ein Arbeitnehmer zum Datenschutzbeauftragten bestellt, kann hierfür ggf eine Änderung des Arbeitsvertrages erforderlich werden 400. Die Bestellung zum Beauftragten für den Datenschutz kann gem § 626 BGB analog 162 auch widerrufen werden, bei nicht-öffentlichen Stellen auch auf Verlangen der Aufsichtsbehörde (§ 38 Abs 5 S 3 BDSG). Dies ist zB dann der Fall, wenn die Erforderlichkeit für die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nicht mehr besteht. Da die Weiterbeschäftigung aber freiwillig ist, sollte ggf ein Widerruf oder eine Kündigung 401 erfolgen, wenn keine Fortsetzung der Tätigkeit gewollt ist. Als wichtiger Grund iSd § 626 BGB kommen alle Gründe sowohl aus der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter als auch aus der ggf anderen Tätigkeit in Betracht. 2. Meldepflicht
163
Gem § 4d BDSG sind Verfahren automatisierter Verarbeitung vor ihrer Inbetriebnahme der zuständigen Aufsichtsbehörde 402 zu melden 403. Diese Meldepflicht kann entfallen, wenn ein Datenschutzbeauftragter bestellt wurde. Die Meldepflicht entfällt außerdem, wenn die verantwortliche Stelle personenbezogene Daten für eigene Zwecke erhebt, verarbeitet oder nutzt, hierbei höchstens neun Personen mit der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten beschäftigt sind und entweder eine Einwilligung der Betroffenen vorliegt oder die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit den Betroffenen dient (vgl § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 BDSG). Durch diese Ausnahmen obliegt die Meldepflicht daher eher selten. In jedem Fall, dh zB auch wenn ein Datenschutzbeauftragter bestellt ist, muss eine Meldung bei automatisierten Verarbeitungen erfolgen, wenn die Daten geschäftsmäßig gespeichert werden und die Speicherung der Daten zum Zweck der (anonymisierten) Übermittlung § 29 (bzw § 30) BDSG erfolgt. Sofern Verfahren automatisierter Verarbeitungen meldepflichtig sind, sind gem § 4e 164 BDSG folgende Angaben zu machen: 1. Name oder Firma der verantwortlichen Stelle, 2. Inhaber, Vorstände, Geschäftsführer oder sonstige gesetzliche oder nach der Verfassung des Unternehmens berufene Leiter und die mit der Leitung der Datenverarbeitung beauftragten Personen, 3. Anschrift der verantwortlichen Stelle, 4. Zweckbestimmungen der Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung, 399
400 401
Muster sind unter https://www. datenschutzzentrum.de/wirtschaft/ mustbdsb.htm abrufbar. Vgl ausf Gola/Schomerus § 4f Rn 30 ff. Zur Frage, ob eine Beendigungskündigung oder eine Änderungskündigung erfolgen muss, sowie zum besonderen Kündigungsschutz vgl ausf Gola/Schomerus § 4f
1672
402 403
Rn 39 ff; vgl auch LAG Berlin RDV 1998, 73; LAG Niedersachsen RDV 2004, 177. Vgl Rn 146 ff. Muster sind unter https://www. datenschutzzentrum.de/wirtschaft/ meldung.htm und www.datenschutz-berlin. de/infomat/download.htm#melde abrufbar.
Claudia Ohst
§4
Durchsetzung und Verfahren
5. eine Beschreibung der betroffenen Personengruppen und der diesbezüglichen Daten oder Datenkategorien, wobei sensitive Daten besonders zu kennzeichnen sind, 6. Empfänger oder Kategorien von Empfängern, denen die Daten mitgeteilt werden können (auch interne Stellen oder Auftragsdatenverarbeiter), 7. Regelfristen für die Löschung der Daten, 8. eine geplante Datenübermittlung in Drittstaaten, 9. eine allgemeine Beschreibung, die es ermöglicht, vorläufig zu beurteilen, ob die Maßnahmen nach § 9 BDSG zur Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung angemessen sind. Auch Änderungen von meldepflichtigen Angaben sowie der Zeitpunkt der Aufnahme 165 und der Beendigung der meldepflichtigen Tätigkeit müssen entsprechend mitgeteilt werden. Ein Verstoß gegen die Meldepflicht ist bußgeldbewehrt (§ 43 Abs 1 Nr 1 BDSG) und kann mit einem Bußgeld bis zu € 25 000,– geahndet werden. Eine weitere Meldepflicht besteht nach § 1 Abs 5 S 3 BDSG für die im Inland operierenden verantwortlichen Stellen, die nicht in einem Mitgliedstaat von EU/EWR belegen sind. Diese haben Angaben über im Inland ansässige Vertreter zu machen, es sei denn, dass Datenträger nur zum Zweck des Transits durch das Inland eingesetzt werden. Bestimmte automatisierte Verarbeitungen, die besondere Risiken für die Rechte und 166 Freiheiten der Betroffenen aufweisen, unterliegen nach § 4d Abs 5 BDSG einer Vorabkontrolle. Diese ist insbesondere durchzuführen, wenn sensitive Daten verarbeitet werden oder die Verarbeitung personenbezogener Daten dazu bestimmt ist, die Persönlichkeit des Betroffenen zu bewerten, einschließlich seiner Fähigkeiten, seiner Leistung oder seines Verhaltens. Erfasst werden nicht einzelne Verarbeitungsvorgänge, wie das Erheben oder Nutzen von Daten, sondern Verarbeitungspakete, wie Personalverwaltung und Videoüberwachung 404. Wann derartige Risiken vorliegen, ist auslegungsbedürftig. Hierunter fallen aber zB Data-Warehouse-Datenbanken, Datenbanken von Wirtschaftsauskunfteien oder Videoüberwachung 405. Aber auch hier gibt es sog „Befreiungstatbestände“, so dass es genügt, dass eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Einwilligung des Betroffenen vorliegt oder die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient (§ 28 Abs 1 S 1 Nr 1 BDSG); dann ist die Vorabkontrolle nicht erforderlich. Kontrollorgan ist der Datenschutzbeauftragte, der sich gem § 4d Abs 6 BDSG in 167 Zweifelsfällen an die Aufsichtsbehörde zu wenden hat 406. Auf eine Stellungnahme der Behörde nach Meldung muss die verantwortliche Stelle jedoch nicht warten. Erfolgt die Vorabkontrolle nicht, führt dies zu einer formell rechtswidrigen Verarbeitung 407; dies ergibt sich bereits aus der Voraussetzung, dass die Vorabkontrolle vor Beginn der Verarbeitung stattzufinden hat. Jedoch führt auch eine formelle Bestätigung durch den Datenschutzbeauftragten nicht automatisch zur materiellen Rechtmäßigkeit 408.
404 405 406
Gola/Schomerus § 4d Rn 9a. Gola/Schomerus § 4d Rn 13; Klug RDV 2001, 12, 16; Jacob DuD 2000, 5, 7. Hierin liegt sogar eine verbindliche Verpflichtung (Gola/Schomerus § 4d Rn 18).
407 408
Simitis/Petri § 4d Rn 39; aA Gola/Schomerus § 4d Rn 15. Simitis/Petri § 4d Rn 40.
Claudia Ohst
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
3. Datengeheimnis
168
Mitarbeiter, die mit der Verarbeitung, Erhebung oder Speicherung von personenbezogenen Daten beschäftigt sind bzw darauf Zugriff haben, müssen auf das Datengeheimnis verpflichtet werden 409. Das gilt auch für vorübergehend beschäftigte Arbeitnehmer sowie für Praktikanten, Boten, Schreibkräfte und Wartungspersonal, in der Regel jedoch nicht für den Reinigungsdienst. Das Datengeheimnis besteht auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit fort.
III. Audit und Gütesiegel 169
Gem § 9a BDSG können Anbieter von Datenverarbeitungssystemen und -programmen sowie datenverarbeitende Stellen ihr Datenschutzkonzept und ihre technischen Einrichtungen durch unabhängige und zugelassene Gutachter prüfen und bewerten lassen und das Ergebnis der Prüfung veröffentlichen. Diese Regelung wurde aufgenommen, um eine höhere Akzeptanz für den Datenschutz zu erreichen und damit die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen zum Qualitätsmerkmal zu erheben und einen Wettbewerbsvorteil hierfür zu erreichen. Ein von § 9a BDSG vorgesehenes Gesetz wurde bislang nicht erlassen (vgl Referentenentwurf für ein Bundesdatenschutzauditgesetz 410). Ein Datenschutzaudit bietet zB der TÜV an 411; das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat einen IT-Grundschutz-Baustein „Datenschutz“ erstellt 412. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz 413 in Schleswig Holstein bietet der Privatwirtschaft ein Audit 414 auf Basis ihres Landesdatenschutzgesetzes an. Außerdem verleiht es auf Antrag – auf der Basis von Sachverständigengutachten – ein Gütesiegel 415:
170
Die Zertifizierung erfolgt zunächst für 2 Jahre. Dieses Gütesiegel wurde ua auch von Microsoft für die Bereitstellung und den Abruf von Updates und Upgrades für Microsoftprodukte beantragt und vom Datenschutzzentrum verliehen 416.
409
410 411 412
Eine entsprechende Formulierungshilfe kann unter https://www.datenschutzzentrum.de/ wirtschaft/verpflds.htm abgerufen werden. https://www.datenschutzzentrum.de/ bdsauditg/20070907-entwurf-bdsauditg.pdf. www.tuev-sued.de/informatik_services/ datenschutz. www.bsi.de/gshb/baustein-datenschutz/ dokumente/b01005.pdf.
1674
413 414 415 416
www.datenschutzzentrum.de/. www.datenschutzzentrum.de/audit/. www.datenschutzzentrum.de/guetesiegel/. Liste der registrierten Unternehmen mit Kurzgutachten, abrufbar unter www.datenschutzzentrum.de/guetesiegel/ register.htm.
Claudia Ohst
§4
Durchsetzung und Verfahren
IV. Ordnungswidrigkeiten/Strafrecht Verstöße gegen das Datenschutzrecht sind sowohl bußgeldbewehrt als auch oftmals 171 sogar strafbar. Der Bußgeldkatalog findet sich in § 43 BDSG. Mit einer Geldbuße von bis zu € 25 000,– können danach ua folgende Verstöße geahndet werden: 1. Verstoß gegen die Meldepflicht (§§ 4d, e BDSG), 2. Verstoß gegen Benachrichtigungspflichten (§ 33 Abs 1 BDSG).
172 Mit einer Geldbuße bis zu € 250 000,– sind ua folgende Verstöße bußgeldbewehrt: 1. unbefugte Erhebung oder Verarbeitung personenbezogener Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, 2. unbefugtes Bereithalten personenbezogener Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens, 3. unbefugtes Verschaffen personenbezogener Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, aus automatisierten Verarbeitungen oder nicht automatisierten Dateien für sich oder andere 4. Erschleichung der Übermittlung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, durch unrichtige Angaben Mit einer Geldbuße von bis zu € 50 000,– können außerdem nach § 16 TMG folgende 173 Verstöße geahndet werden, wenn: 1. entgegen § 12 Abs 3, die Bereitstellung von Telemedien von einer dort genannten Einwilligung abhängig gemacht wird (Verstoß gegen das Kopplungsverbot), 2. entgegen § 13 Abs 1 S 1 oder 2, der Nutzer nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig unterrichtet wird (Verstoß gegen Transparenzpflichten), 3. einer Vorschrift des § 13 Abs 4 S 1 Nr 1 bis 4 oder 5, über eine dort genannte Pflicht zur Sicherstellung zugewiderhandelt wird, 4. entgegen § 14 Abs 1 (Bestandsdaten) oder § 15 Abs 1 S 1 (Nutzungsdaten) oder Abs 8 S 1 oder 2, personenbezogene Daten erhoben oder verwendet oder nicht oder nicht rechtzeitig gelöscht werden oder 5. entgegen § 15 Abs 3 S 3, ein Nutzungsprofil mit Daten über den Träger des Pseudonyms zusammengeführt wird. Mit einer Geldbuße von bis zu € 300 000,– können Verstöße gegen die datenschutz- 174 rechtlichen Bestimmungen des TKG geahndet werden, und zwar wenn: 1. entgegen § 95 Abs 2 oder § 96 Abs 2 S 1 oder Abs 3 S 1, Daten verwendet werden (unzulässige Verwendung von Bestands- und Verkehrsdaten, § 149 Abs Nr 16 TKG), 2. entgegen § 96 Abs 2 S 2 oder § 97 Abs 3 S 2, Daten nicht oder nicht rechtzeitig gelöscht werden (§ 149 Abs Nr 17 TKG) oder 3. entgegen § 106 Abs 2 S 2, Daten oder Belege nicht oder nicht rechtzeitig gelöscht werden (§ 149 Abs Nr 18 TKG). Weitere Ordnungswidrigkeitstatbestände sieht § 49 Abs 1 Nr 18–23 RStV für den 175 Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften im Rundfunkbereich vor, die mit einer Geldbuße bis zu € 500 000,– geahndet werden können. Inhaltlich stimmen sie mit den Bußgeldvorschriften des TMG überein. Die Strafbarkeit richtet sich gem § 44 BDSG lediglich gegen in § 43 Abs 2 bezeich- 176 nete vorsätzliche Handlungen (die auch mit einem Bußgeld bis zu € 250 000,– bewehrt sind). Weitere Voraussetzung ist, dass diese Handlungen gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, began-
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Kapitel 1 Datenschutzrecht
7. Teil
gen werden417. Es handelt sich hierbei um ein Vergehen, das mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt sind dabei der Betroffene, die verantwortliche Stelle, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Aufsichtsbehörde. Weiterhin kann sich die Strafbarkeit aus den allgemeinen Straftatbeständen des StGB ergeben, so zB eine Leistungserschleichung § 265a StGB oder Betrug § 263 StGB in den Missbrauchsfällen von Telemedien und Telekommunikation 418.
§5 Grenzüberschreitende Datenverarbeitung 177
Deutschland hat ein hohes Datenschutzniveau und ist verpflichtet, dieses Niveau auch bei einem Datentransfer ins Ausland sicherzustellen. Da eine Rechtswahl im Datenschutzrecht nicht möglich ist, kommt es für die Anwendbarkeit des Deutschen Rechts allein auf den Sitz der erhebenden, verarbeitenden oder nutzenden Stelle an (Territorialprinzip). Verarbeitende Stelle ist, wer personenbezogene Daten verarbeitet oder verarbeiten lässt und über Zweck und Ziel der Datenverarbeitung verwendete Daten, Verfahren und über die Übermittlungsadressaten entscheidet (Art 2 lit d Richtlinie 95/46/EG) 419. Wenn ein Unternehmen nicht in einem Mitgliedstaat der EU niedergelassen ist, wobei zur „Niederlassung“ in der EU bereits das Betreiben einer .de-Domain genügt 420, kann es dem deutschen Datenschutzrecht schon dann unterliegen, wenn es Mittel verwendet, die in Deutschland belegen sind, dh es genügt schon das Eigentum an der technischen Infrastruktur 421. Dies ist insbesondere bei der Übermittlung von Daten von inländischen Stellen ins Ausland von Bedeutung. 178 Da § 3 Abs 8 S 3 BDSG nur bei Stellen gilt, die im Inland in einem anderen Mitgliedstaat der EU/EWR personenbezogene Daten im Auftrag erheben, verarbeiten oder nutzen, muss die konkret vorgenommene Übermittlung regelmäßig nach § 28 Abs 1 BDSG erlaubt sein. Wenn dies ähnlich einer Auftragsdatenverarbeitung erfolgt, sprechen schon die Musterklauseln422 der EU dafür, dass das hierfür benötigte Interesse 423 der Unternehmen an einer solchen Übermittlung besteht 424. Besonders problematisch ist dies jedoch bei sensitiven Daten, deren Übermittlung selten ohne Einwilligung zulässig ist 425. Bei der Bereitstellung von Daten auf einer Website, die natürlich weltweit abrufbar ist, handelt es sich beim Abruf jedoch noch nicht um eine Übermittlung in ein Drittland 426. 179 Im Telekommunikationsbereich dürfen Diensteanbieter zusätzlich gem § 92 TKG an ausländische nicht öffentliche Stellen personenbezogene Daten nach Maßgabe des BDSG nur übermitteln, soweit es (1) für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten, 417 418 419 420 421 422 423 424
AG Wuppertal ITRB 2008, 99. Vgl ausf Teil 7 Kap 13. Zum Problem Abgrenzung bei Auftragsdatenverarbeitung/Outsourcing vgl Rn 41. Zscherpe K&R 2005, 264, 265 mwN. Zscherpe K&R 2005, 264, 265. Entscheidung der Kommision, ABl EG L 6/52 v. 10.1.2002. Vgl Rn 53 ff. Vgl auch Räther DuD 2005, 461, 464; Rittweger/Schmidl DuD 2002, 617, 619 f;
1676
425
426
Simitis/Walz § 11 Rn 16; Nielen/Thum K&R 2006, 171, 173; Grützmacher ITRB 2007, 183, 187. Grützmacher ITRB 2007, 183, 187; Räther DuD 2005, 461, 464; Nielen/Thum K&R 2006, 171, 173 f; aA mit Bezug auf die Standardvertragsklauseln Rittweger/Schmidl DuD 2002, 617, 620. EuGH MMR 2004, 95 – Lindqvist; Taroschka CR 2004, 280.
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§5
Grenzüberschreitende Datenverarbeitung
(2) für die Erstellung oder Versendung von Rechnungen oder (3) für die Missbrauchsbekämpfung erforderlich ist. Zur ersten Fallgruppe gehört im Wesentlichen die Übertragung von Verkehrsdaten bei Auslandstelefonaten. Bei der zweiten Fallgruppe geht es um Bestands- und Verkehrsdaten für die Rechnungserstellung. Die dritte Fallgruppe befasst sich im Wesentlichen mit den Fällen der Leistungserschleichung iSd § 100 Abs 3 TKG 427.
I. Mitgliedstaaten der EU bzw Vertragsstaaten des EWR Für die Frage der Zulässigkeit der Übermittlung von personenbezogenen Daten ins 180 Ausland muss zunächst zwischen einer Übermittlung von Daten innerhalb und außerhalb der EU/EWR unterschieden werden. Die Richtlinie 95/46/EG 428 hat innerhalb von Europa ein einheitliches Schutzniveau für personenbezogene Daten eingeführt. Weil das Schutzniveau in der EU/EWR mit Deutschland vergleichbar ist, bestehen gem § 4b BDSG keine Bedenken beim Datentransfer in andere EU- bzw EWR-Staaten, sofern dort deren Bestimmungen eingehalten werden.
II. Staaten außerhalb der EU/EWR Für die Übermittlung in Staaten außerhalb der EU/EWR gibt es folgende Möglich- 181 keiten 429: 1. Angemessenes Datenschutzniveau Für die Beurteilung, ob die grenzüberschreitende Datenverarbeitung in Staaten außer- 182 halb der EU/EWR zulässig ist, muss zunächst festgestellt werden, ob deren Datenschutzniveau dem Europäischen gleicht, dh ob bei der die Daten empfangenen Stelle aus Sicht der EU, nicht unbedingt nach den Regelungen des Empfängerlandes, ein vergleichbares, adäquates Datenschutzniveau gegeben ist 430. Die Verantwortung für die Übermittlung trägt gem § 4b Abs 5 BDSG die übermittelnde Stelle. Ein angemessenes Datenschutzniveau liegt anerkanntermaßen in der Schweiz 431, Kanada 432 Guernsey 433, Argentinien 434 und Isle of Man 435 vor. Eine aktuelle Liste und die Entscheidungen der Kommission sind jederzeit auf den Webseiten der EU abrufbar 436. Im Falle eines Datentransfers in die USA liegt unbestritten ein angemessenes Datenschutzniveau regelmäßig nicht vor, da die dortigen Datenschutzanforderungen hinter den europäischen zurückbleiben 437. Gerade hier besteht aber oftmals die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Datentransfers. 427
428 429
430
Vgl ausf BeckTKG-Komm/Büttgen § 92 Rn 19; BeckTKG-Komm/Wittgen § 100 Rn 9 ff. Vgl Rn 13. Vgl zu den einzelnen Fallkonstellationen im Dreipersonenverhältnis insbesondere den Beschluss der obersten Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich am 19./20.4.2007 in Hamburg für den internationalen Datenverkehr. Vgl Lejeune ITRB 2005, 94; ausf Backes/ Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156 f.
431 432
433 434 435 436 437
ABl EG L 215/1 vom 25.8.2000. ABl EG L 2/13 vom 4.1.2002 (eingeschränkt für den öffentlichen Bereich, vgl genauer DuD 2002, 315 f). ABl EG L 308 vom 25.11.2003. ABl EG L 168 vom 5.7.2003. ABl EG L 151/51 vom 30.4.2004. ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/ thridcountries/index_de.htm. Eine spezielle Regelung gibt es für Fluggastdaten – Agreement between the European Union and the United States of America on the processing and transfer of passenger
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2. Zur Ausführung eines Vertrages erforderlicher Datenaustausch
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Erlaubt ist die Übermittlung stets, wenn die erforderliche Datenübermittlung sich aus dem Zweck eines Vertrages ergibt (§ 4c Abs 1 Nr 2 BDSG), sofern der Betroffene hiervon Kenntnis hat; dabei ist Transparenz von entscheidender Bedeutung. Typischer Fall der zulässigen Übermittlung ist die Reservierung eines Hotelzimmers in einem anderen Land. Problematisch wird es jedoch bereits bei Arbeitsverträgen 438. Als unstreitig zulässig kann es betrachtet werden, wenn der Datentransfer aufgrund der konkreten Umstände erforderlich ist, zB bei international tätigen Mitarbeitern, bei Auslandseinsätzen oder Konzernbezug 439. Zulässig ist auch der Datentransfer bei der Gewährung von Aktienbezugsrechten an die Mitarbeiter 440. 3. Standardvertragsklauseln
184
Die Europäische Kommission hat 2001 von ihrem Recht gem Art 26 Abs 4 Richtlinie 95/46/EG Gebrauch gemacht und Standardvertragsklauseln beschlossen, mit deren Hilfe Unternehmen über den Datentransfer Verträge, die ein angemessenes Datenschutzniveau sicherstellen, abschließen können 441 (Standardklausel I). Aufgrund diverser Kritikpunkte 442 wurde 2004 eine neue Klausel eingeführt, die die alte jedoch nicht ersetzt, sondern neben sie tritt (Standardklausel II oder „alternative Standardklausel“) 443. Werden die Klauseln inhaltlich unverändert übernommen, entfällt die ansonsten erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörden. Allerdings ist zu raten, die Aufsichtsbehörde dennoch zu informieren, da einige dies erwarten 444. Jedenfalls hat die Aufsichtsbehörde das Recht, im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit nach § 38 BDSG die Vorlage der vereinbarten Standardvertragsklauseln zu Überprüfungszwecken zu verlangen 445. Im Fall der Auftragsdatenverarbeitung im Ausland muss die Entscheidungsbefugnis 185 beim Auftraggeber bleiben, dh der Auftraggeber kann mit einem Auftragnehmer in einem Drittland einen Standardvertrag schließen, nicht jedoch der Auftragnehmer in eigenem Namen mit einem Subunternehmer. Es ist ein Vertragsverhältnis mit dem Auf-
438
439
name record (PNR) data by air carriers to the United States Department of Homeland Security (DHS) vom 18.7.2007; dieses Abkommen hat seitens der Art-29-Datenschutzgruppe, die zu den datenschutzrechtlichen Aspekten noch nicht einmal gehört wurde, zu Recht erhebliche Kritik erhalten: Stellungnahme 5/2007 zum Folgeabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika vom Juli 2007 über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security vom 17.8.2007. Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 159; Lejeune ITRB 2005, 94, 95. Gola RDV 2002, 109, 115; Lejeune ITRB 2005, 94, 95.
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440 441
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443
444 445
Gola RDV 2002, 109, 115. Standardvertragsklauseln vom 15.6.2001 zur Eigenverarbeitung, ABl EG L 181/19 vom 4.7.2001 und Standardvertragsklauseln vom 27.12.2001 zur Auftragsdatenverarbeitung, ABl EG L 6/52 vom 10.1.2002. Vgl hierzu Stellungnahme der Art 29-Datenschutzgruppe, ec.europa.eu/justice_home/ fsj/privacy/docs/wpdocs/2003/wp84_de.pdf. Alternative Standardvertragsklauseln vom 27.12.2004 ABl EG L 385/74 vom 29.12.2004; zu den einzelnen Klauseln ausf Kuner/Hladjk RDV 2005, 193. Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 160. www.innenministerium. baden-wuerttemberg.de/fm/1227/ him_40_endfassung.pdf.
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§5
Grenzüberschreitende Datenverarbeitung
traggeber erforderlich, sei es durch einen separaten Vertrag oder einen Beitritt zum ursprünglichen Auftragsvertrag 446. 4. Individueller Datenschutzvertrag Auch individualvertragliche Lösungen sind selbstverständlich möglich (§ 4c Abs 2 186 BDSG). Allerdings bedürfen die dann ausgehandelten Verträge der Genehmigung der datenschutzrechtlichen Aufsichtbehörden. Da dieses Vorbereitungs- und Genehmigungsverfahren als zu lang und aufwendig angesehen wird, wird es selten praktiziert. Allerdings kann eine solche Lösung natürlich helfen, die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens zu wahren. Inhaltliche Abweichungen von den Vorgaben der Standardvertragsklauseln können dann unschädlich sein und genehmigt werden, wenn eine hinreichende Kompensation durch sonstige verbindliche unternehmensinterne Regelungen oder organisatorische Maßnahmen erfolgt. Besonderes Augenmerk ist hierbei gem § 4c Abs 2 BDSG auf die besonderen Garantien des Persönlichkeitsrecht und der Ausübung der damit verbundenen Rechte zu legen. Die erforderliche Genehmigung ist nur unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen. Der 187 Grund hierfür ist, dass die erteilte Genehmigung wegen der Pflicht zur Notifizierung nach § 4c Abs 3 BDSG dem Bund und von diesem nach Art 26 Abs 3 Richtlinie 95/46/EG der Europäischen Kommission vorgelegt werden muss. Nach Art 26 Abs 3 iVm Art 31 Abs 2 Richtlinie 95/46/EG besteht für andere Mitgliedstaaten oder die Europäische Kommission die Möglichkeit, Widerspruch gegen die erteilte Genehmigung einzulegen. Die Kommission kann geeignete Maßnahmen erlassen, die von den Mitgliedstaaten zu beachten sind. Der Widerspruchsvorbehalt sichert der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, die von der Europäischen Kommission gegebenenfalls beschlossenen Maßnahmen umzusetzen. 5. Code of Conduct Nach § 4c Abs 2 BDSG ist es ebenfalls möglich, durch unternehmensinterne Regelun- 188 gen 447 ein angemessenes Datenschutzniveau zu sichern 448. Dies hat den Vorteil, dass kein umfangreiches Vertragsmanagement erforderlich ist, sondern im Wesentlichen mit Corporate Policies oder Guidelines gearbeitet werden kann, deren Umsetzung durch entsprechende Corporate Audits regelmäßig überprüft werden 449. Nach dem BDSG sind diese zwar als Ausnahme formuliert, aber dennoch als gleichberechtigt anzusehen 450. Sie sind jedoch den Datenschutzbehörden zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Unklar ist aber, ob sich diese Prüfungspflicht auch auf einzelne Übermittlungen oder 446 447 448
Beschluss des Düsseldorfer Kreises vom 19./20.4.2007. Zu deren Rechtsnatur und Verbindlichkeit vgl ausf Schröder DuD 2004, 462. Diese Lösung bietet sich allerdings nur für Großunternehmen an; vgl zum DaimlerChrysler Code of Conduct Moritz/Tinnefeld JurPC Web-Dok 181/2003 und die Unternehmensrichtlinie des GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (www.datenschutz-berlin.de/infomatz dateien/jb/anl02.pdf, 49 ff).
449
450
Richtlinien gibt das Arbeitsdokument: Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer: Anwendung von Art 26 Abs 2 der EU-Datenschutz-Richtlinie auf verbindliche unternehmensinterne Vorschriften für den internationalen Datentransfer der Arbeitsgruppe 29 (ec.europa.eu/justice_home/fsj/ privacy/docs/wpdocs/2003/wp74_de.pdf). Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 161.
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bestimmte Arten von Übermittlungen beziehen kann 451; der Wortlaut des § 4c Abs 2 BDSG spricht dafür. Jedenfalls empfiehlt sich jeweils die Abstimmung mit der Aufsichtbehörde 452. Die Genehmigung ist auch hier unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen 453. 6. Safe Harbor Die sog Safe-Harbor-Regelungen 454 enthalten spezielle Regelungen für den Datenaustausch mit den USA. Wenn sich der Empfänger in den USA zur Beachtung dieser Regelungen verpflichtet hat, steht der Datenübermittlung nichts im Wege. Anwendung findet Safe Harbor jedoch nur im Bereich der US Federal Trade Commission (FTC) und der Luftfahrtgesellschaften und Ticket-Agenten, die dem Department of Transportation unterstehen, da diese auch die Einhaltung der oben genannten Regelungen überprüfen. Eine Übermittlung von Unternehmen, die der FCC (Federal Communications Commission) unterliegen, ist noch nicht gegeben 455. Unternehmen, die in den Bereichen Banken, Sparkassen und Telekommunikation tätig sind, fallen bspw bisher nicht unter das Abkommen. Die Liste 456 der Safe-Harbor-Unternehmen ist selbstverständlich öffentlich und jederzeit abrufbar. In dieser Liste finden sich zB Unternehmen wie Microsoft, Google und Amazon. Kern dieser Safe-Harbor-Regelungen sind sieben Prinzipien und 15 FAQs 457: 190 Diese sieben Prinzipien sind: • Informationspflicht – Bekanntgabe der Datenverarbeitung (Zweck, Empfänger etc) an den Betroffenen, • Wahlmöglichkeit – Wahlmöglichkeit des Betroffenen, seine Daten nicht oder nicht für einen bestimmten Zweck weiterleiten zu lassen, • Weitergabe – Datenempfänger muss bei Weitergabe seinerseits hinreichenden Datenschutz, insbesondere Informationspflicht und Wahlmöglichkeit, gewähren, • Sicherheit – Personenbezogene Daten müssen vor Verlust, unberechtigtem Zugriff, Zerstörung etc geschützt werden, • Datenintegrität – Personenbezogene Daten müssen zweckbezogen, genau, vollständig und aktuell sein, • Auskunftsrecht – Betroffene haben einen Anspruch auf Zugang zu ihren Daten und ggf Berichtigung etc, • Durchsetzung – Schaffung von Mechanismen, die die Durchsetzung dieser Prinzipien sicherstellen. Für Medienunternehmen sind zusammenfassend folgende der 15 FAQs von beson191 derer Bedeutung: • FAQ 1: Ausnahmen für das Erfordernis der Zustimmung bei der Übermittlung von sensitiven Daten. • FAQ 2: Ausnahmen für den journalistischen Bereich: Die Grundsätze vom Safe Harbor gelten nicht für personenbezogene Daten, die zur Veröffentlichung, zur Verbrei-
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452 453 454
Zust Backes/Eul/Guthmann/Martwich/ Schmidt RDV 2004, 156, 161; wohl auch Lejeune ITRB 2005, 94, 96. Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 161. Vgl hierzu Rn 183. www.export.gov/safeharbor/.
1680
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Gola/Klug 65; Gola/Schomerus § 4a Rn 6 ff. web.ita.doc.gov/safeharbor/shlist.nsf/ webPages/safe+harbor+list. eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2000/l_215/l_21520000825de00070047. pdf.
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§5
Grenzüberschreitende Datenverarbeitung
tung über Rundfunk und Fernsehen oder für andere Formen öffentlicher Kommunikation gesammelt werden, unabhängig davon, ob sie tatsächlich genutzt werden oder nicht, ebenso nicht für früher veröffentlichtes Material, das aus Medienarchiven stammt. • FAQ 3: Keine hilfsweise Haftung für Internet Service Provider, Telekommunikationsunternehmen und andere Organisationen, die lediglich übermitteln, weiterleiten oder zwischenspeichern (vgl §§ 8, 9 TMG). • FAQ 15: Daten aus öffentlichen Registern und öffentlich zugängliche Daten: Die Grundsätze der Informationspflicht, der Wahlmöglichkeit und der Weiterübermittlung sind nicht auf Daten in öffentlichen Registern anzuwenden, wenn diese nicht mit nicht-öffentlichen Daten kombiniert sind und solange die von der zuständigen Behörde festgelegten Bedingungen für ihre Abfrage beachtet werden. Im Allgemeinen gelten die Grundsätze der Informationspflicht, der Wahlmöglichkeit und der Weiterübermittlung auch nicht für öffentlich verfügbare Daten, es sei denn, der europäische Übermittler weist darauf hin, dass diese Daten Beschränkungen unterliegen, aufgrund derer die Organisation die genannten Grundsätze im Hinblick auf die von ihr geplante Verwendung anwenden muss. Organisationen haften nicht dafür, wie diese Daten von denen genutzt werden, die sie aus veröffentlichtem Material entnommen haben. 7. Einwilligung Selbstverständlich kann ein Betroffener in den Datenaustausch einwilligen, auch 192 wenn beim Empfänger das angemessene Datenschutzniveau nicht eingehalten wird. Allerdings verlangt § 4c Abs 1 Nr 1 BDSG hierfür eine „informierte Einwilligung“. Das heißt, die Betroffenen müssen zusätzlich über die Risiken informiert werden, die durch diese Übermittlung entstehen können, dh über das Datenschutzniveau bei der empfangenden Stelle. Dies kann und wird in vielen Fällen eher abschrecken. Außerdem muss die informierte Einwilligung von den Betroffenen selbst erfolgen, dh ggf von einem Arbeitnehmer, Versicherten, Konsumenten etc. selbst. Dadurch kann eine Einwilligung auch nicht zwischen zwei juristischen Personen erfolgen 458. Bei Personaldaten stellt sich besonders verstärkt die Frage, ob der betreffende Mitarbeiter überhaupt eine freiwillige Entscheidung treffen kann 459, wenn hiervon praktisch sein Arbeitsplatz abhängt. Grds bleibt jedoch auch hier die Einwilligungsmöglichkeit bestehen 460. Wichtig ist jedenfalls, dass der Arbeitnehmer nicht unter Druck gesetzt wird oder dass er zB mit einer Vertrauensperson vorab über die Einwilligung sprechen kann 461. Hinzu kommt, dass eine automatisierte Übermittlung natürlich erschwert wird, wenn manche Betroffene einwilligen und manche nicht. Außerdem besteht natürlich auch hier die Möglichkeit, die Einwilligung zu widerrufen. Dann wird es zusätzlich Schwierigkeiten bereiten, den Datentransfer rückabzuwickeln, weshalb ggf anzuraten ist, die Daten in einem getrennten System auch lokal weiterhin vorrätig zu halten 462. Letztlich kann die Einwilligung nur dann eine geeignete Rechtsgrundlage für einen Datentransfer darstellen, wenn es sich lediglich um einen kleinen Personenkreis handelt und der Datentransfer nicht in Zusammenhang mit einem für das Unternehmen notwendigen Informationssystem steht 463. 458 459 460
Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 159. Vgl Rn 99; Duhr/Naujok/Peter/Seiffert DuD 2002, 5, 13. Wisskirchen CR 2004, 862, 863; Gola RDV 2002, 109 ff mwN.
461 462 463
Wisskirchen CR 2004, 862, 863. Backes/Eul/Guthmann/Martwich/Schmidt RDV 2004, 156, 159. So auch Backes/Eul/Guthmann/Martwich/ Schmidt RDV 2004, 156, 159.
Claudia Ohst
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Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht) Literatur Amann Jugendliche und ihre Einstellungen zu Liebe, Sexualität und Partnerschaft. Die Sexualaufklärung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und ihre zentralen Ergebnisse zur Jugendsexualität tv diskurs 4 1/1998, 80; Baacke Kinder und ästhetische Erfahrung in alten und neuen Medien. Chancen für Qualifikationen und Qualitäten tv diskurs 1, 1/1997, 60; Bachmair Medienkompetenz als kulturelles Phänomen. Jugendschutz lässt sich nur bedingt wissenschaftlich begründen tv diskurs 38, 4/2006, 20; Bandura Social Learning Theorie of Identificatory Processes, in: Goslin (Ed) Handbook of Socialisation Theory and Research, Chicago 1969, 213 (zit Bandura Social Learning); Bannenberg Ein bisschen Kriminalität ist normal. Gewaltphänomene bei Jugendlichen, ihre Entwicklung, ihre Ursachen tv diskurs 30, 4/2004, 32; Beck Position des rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck zur Diskussion um Big Brother und vergleichbare Sendeformate tv diskurs 13, 3/2000, 42; Bekkers Der Bock als Gärtner? Viel Selbstkontrolle, wenig Staat tv diskurs 37, 3/2006, 4; Benda Jugendschutz und öffentliche Sauberkeit. Die Medienfreiheit und ihre Einschränkung durch Gesetze tv diskurs 15, 1/2001, 28; Bente/Fromm Affektfernsehen. Motive, Angebotsweisen und Wirkungen, Opladen 1997; Berkowitz The Contagion of Violence: An S-R Mediational Analysis of some Effects of Observed Aggression Nebraska Symposion of Motivation 18, 1970, 95; Blech/von Bredow Die Grammatik des Guten Der Spiegel 31, 2007, 108; Bornemann Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder NJW 2003, 787; Bragg/Buckingham If they’re happy they’re happy. Wie Heranwachsende in Großbritannien mit Darstellungen von Liebe und Sexualität den Medien umgehen tv diskurs 34, 4/2005, 34; Brüne Nur dem Pfarrer traute man. Die FSK brauchte die Kirchen, um von den Alliierten akzeptiert zu werden tv diskurs 10, 4/1999, 46; Büttner Recht und Ordnung im Bewusstsein der neuen Mediengeneration. Eine explorative Studie tv diskurs 25, 3/2003, 26; Castendyk So viel Freiheit wie möglich, so viel Schutz wie nötig. Interpretationsspielräume und Grenzen für den Jugendschutz tv diskurs 31, 1/2005, 20; Chevillard Hartes Gesetz mit weichen Kriterien. Jugendmedienschutz in Frankreich: Alle Filme werden geprüft, aber die meisten werden ohne Altersbeschränkung freigegeben tv diskurs 5, 2/1998, 4; Dörr Big Brother und die Menschenwürde, Frankfurt 2000; Dolase Auch Verlierer sollen im Film mal glücklich sein tv diskurs 24, 2/2002, 30; Drabman/Thomas Does Media Violence increase Childrens’s Toleration of Real Life Aggression Developmental Psycology 10, 1974, 418; Dworkin Against the male flood: Censorship, pornography and equality, in: Itzin (Hrsg) Pornography: Women, violence and civil liberties, Oxford 1992, 515; Erdemir Neue Paradigmen der Pornografie? – Ein unbestimmter Rechtsbegriff auf dem Prüfstand MMR 2003, 628; Ertel Erotika und Pornographie. Repräsentative Befragung und psychophysiologische Langzeitstudie zu Konsum und Wirkung, München 1990; Farin Jugendkulturen gestern und heute. Immer die gleiche Provokation in neuen Gewändern? tv diskurs 37, 3/2006, 20; Faulstich Kuriose Bevormundung. Der Zuschauer soll Pornographie finden dürfen epd-Medien 8, 1997, 8; Feshbach The Stimulating vs. Catharsis Effects of a Vicarous Aggressiv Activity Journal of Abnormal and Social Psychologie 63, 1961, 381; Gangloff Baustellen für den Jugendschutz. Pornographie im TV-Kabel, Sex via Satelliten, Videos aus dem Internet tv diskurs 42 4/2007, 89; Gerbner/Gross The scary World of TV’s heavy Viewer Psychology Today 10 (4) 1976, 41; von Gottberg Jugendschutz in den Medien, Berlin 1995 (zit von Gottberg Jugendschutz in den Medien); ders Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen. Mit Selbstkontrolle für mehr Jugendschutz im Fernsehen tv diskurs 4, 1/1998, 54 (zit von Gottberg Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen); ders Die FSK wird 50 tv diskurs 10, 4/1999, 34 (zit von Gottberg Die FSK wird 50); ders Prognosen auf dünnem Eis. Lassen sich Jugendschutzkriterien wis-
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Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht)
7. Teil
senschaftlich begründen? tv diskurs 14, 4/2000, 28 (zit von Gottberg Prognosen auf dünnem Eis); ders Sexualität, Jugendschutz und der Wandel von Moralvorstellungen tv diskurs 15, 1/2001, 60 (zit von Gottberg Sexualität und Jugendschutz); ders Angstauslöser oder Angstverarbeitung? Der schwierige Umgang mit gewaltauslösenden Bildern in den Medien tv diskurs 24, 2/2003, 24 (zit von Gottberg Angstauslöser oder Angstverarbeitung); Göttlich/Krotz/Paus-Hase Daily Soaps und Daily Talks im Alltag von Jugendlichen Opladen 2001; Grimm Fernsehgewalt. Zuwendungsattraktivität, Erregungsverläufe, sozialer Effekt, Opladen/Wiesbaden 1999 (zit Grimm Fernsehgewalt); Grimm/ Clausen-Muradian Gewalt und Pornographie auf Schülerhandys. Zuständigkeiten und Handlungsoptionen nach Strafgesetzbuch (StGB), Jugendschutzgesetz (JuSchG) und JugendmedienschutzStaatsvertrag (JMStV) JMS-Report, 5/07, 2007, 2 (zit Grimm Gewalt und Pornographie auf Schülerhandys); Groebel/Gleich Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms, Opladen 1993; Hanten Geschützter Raum mit viel Bewegungsfreiheit. Ein geschlossenes Netz für Kinder als Aufgabe von Gesellschaft und Anbietern tv diskurs 41, 3/2007, 10; von Hartlieb, Horst Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit NJW 1985, 830; ders Zur Auslegung der Neufassung des § 131 StGB Film und Fakten, Heft 1, 1987, 12 (zit von Hartlieb Zur Auslegung der Neufassung des § 131 StGB); von Hartlieb/von Gottberg Gewalt im Film Film und Fakten, Heft 9 1989, 33; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner Jugendschutz. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Jugendschutzgesetz, Mediendienste-Staatsvertrag, Teledienstegesetz, Heidelberg 2003; Hilse Die Altersfreigabe von Computer- und Automatenspielen durch USK und ASK JMS-Report, 3/2004, 2; Hochstein Zur Grenzziehung brauchen wir den gesellschaftlichen Konsens tv diskurs 1, 1/1997, 20; Hönge Hypothesen mit konkreten Folgen. Nach welchen Kriterien werden Filme freigegeben? tv diskurs 6, 3/1998, 58; Höynck/Mößle/Kleimann/Pfeiffer/Rehbein Jugendmedienschutz bei gewalthaltigen Computerspielen. Eine Analyse der USK-Alterseinstufungen, Hannover 2007; Humberg FSK-Spruchpraxis im Wandel der Zeit tv diskurs 38, 4/2006, 64; Knoll Jugendliche und Jugendschutz. Eine Anmerkung wider einen statischen Jugendbegriff tv diskurs 10, 4/1999, 20; Knoll/Müller Jugendliche Medienwelt. Sexualität und Pornographie. Eine Expertise im Auftrag der BZgA, Köln 1998; Kunczik/Zipfel Medien und Gewalt. Der aktuelle Forschungsstand tv diskurs 33–37, 3/2005–3/2006 (zit Kunczik/ Zipfel Medien und Gewalt); dies Gewalt und Medien. Ein Studienbuch, Köln/Weimar 2006 (zit Kunczik/Zipfel Studienbuch); Lenzen Das Problem ist die Kausalitätsannahme. Ist die Mediengewalt ein Modell für Wirklichkeit? tv diskurs 23, 1/2003, 50; Liesching Gesetzlicher Jugendmedienschutz. Eine Bestandsaufnahme BPJM Aktuell, 2/2007, 5; Machura Ansehensverlust der Justiz? Licht und Schatten des Gerichtsshowkonsums, in: Döveling/Mikos/Nieland: Im Namen des Fernsehvolkes. Neue Formate für Orientierung und Bewertung, Konstanz 2007, 83; MacKinnon Nur Worte, Frankfurt aM 1994; Mahrenholz Brauchen wir einen neuen Pornographie-Begriff? ZUM 1998, 525; Markowitsch/Siefer Tatort Gehirn, Frankfurt aM 2007; Merkel Zur Änderung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Rede der Bundesministerin für Frauen und Jugend vor dem Deutschen Bundestag am 11. Februar 1993 BPS Aktuell 3/93, 1993, 3; Merkens/Zinnecker Jahrbuch Jugendforschung, 3. Auflage Opladen 2003; Michaelis Unsere Kinder sollen ohne Angst aufwachsen … tv diskurs 31–33, 1–3/2005 (zit Michaelis Unsere Kinder sollen ohne Angst aufwachsen …); Mikos Von der Zurschaustellung des Körpers zur Nummernrevue. Anmerkungen zur Pornographie-Diskussion aus film- und kulturwissenschaftlicher Sicht tv diskurs 3, 3/1997, 53; Mynarik Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien. Freiwillige Selbstkontrolle und Co-Regulierung nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Baden-Baden 2006 (zit Mynarik Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien); dies „Mobiles Entertainment“ und das Jugendschutzrecht – Entwicklung von Mobilfunkrecht und -technik – Perspektiven für den Jugendschutz, ZUM 50, 3/2006, 183 (zit Mynarik Mobiles Entertainment); Nieding/Ohler Henne und Ei – oder etwas Drittes? tv diskurs 36, 2/2006, 48; Nikles/Roll/Spürck/Umbach Jugendschutzrecht. Kommentar zum Jugendschutzgesetz (JuSchG) und zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) mit Erläuterungen zur Systematik und Praxis des Jugendschutzes, Neuwied 2003; Noltenius Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes, Göttingen 1958; Pastötter Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozess. Analyse des postindustriellen Phänomens Hardcore-Pornographie, Wiesbaden 2003; Pfeiffer/Kleimann Medienkonsum, Schulleistungen und Jugendgewalt tv diskurs 36, 2/2006, 42; Rausch Jugendschutz in Online-Medien. Zusammenspiel von Selbstkontrolle und Medienkompetenz JMS-Report 3/2004, 7; Retzke Präventiver Jugendschutz. Eine Untersuchung des Jugendschutzgesetzes und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags unter besonderer Berücksichti-
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Hans Joachim von Gottberg
Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht) gung des Systems der regulierten Selbstregulierung und der innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzabgrenzung, Göttingen 2006; Sander Die Lust auf Skurriles tv diskurs 29, 3/2004, 50; Scarbarth Werkanalytischer Blick statt (Vor)-Urteilen tv diskurs 1, 1/1997, 40; Scheuer Jugendschutz in europäischen elektronischen Medien. Klassifizierung. Filtersysteme, Medienkompetenz tv diskurs 40, 2/2007, 4; Schmerl/Huber Frauenfeindliche Werbung. Sexismus als heimlicher Lehrplan, Berlin 1981; Schmidt In Phantasiewelten spazieren gehen. Wie die Sexualisierung der Öffentlichkeit auf Jugendliche wirkt tv diskurs 15, 1/2001, 46; Scholz Jugendschutz 3. Auflage, München 1999; Scholz/Liesching Jugendschutz – Kommentar, 4. Auflage München 2004; Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 StGB, Regensburg 1999; Schumann Zum Begriff der Pornographie tv diskurs 2, 2/1997, 57 (zit Schumann Zum Begriff der Pornographie); ders Zum strafrechtlichen und rundfunkrechtlichen Begriff der Pornographie, in: Eser/Schittenhelm/Schumann (Hrsg) FS Lenckner, München 1998, 565 (zit Eser/Schittenhelm/Schumann/Schumann); Schwarzer PorNo. Die Kampagne – Das Gesetz – Die Debatte. Emma Sonderband, Köln 1988; Selg Psychologische Wirkungsbefunde. Über Gewalt in den Medien tv diskurs 2, 2/1997, 50 (zit Selg Psychologische Wirkungsbefunde); ders Pornographie und Gewalt – Vorschläge zur Sprachreglung BPS-Report 4, 1988, 1 (zit Selg Pornographie und Gewalt); ders Pornographie und Erotographie tv diskurs 1, 1/1997, 48 (zit Selg Pornographie und Erotographie); Sigusch Thrill der Treue – Über Alterswahn und Jugendsexualität tv diskurs 15, 1/2001, 38 (zit Sigusch Thrill der Treue); Sigusch/Schmidt Jugendsexualität. Dokumentation einer Untersuchung, Stuttgart 1973; Speck-Hamdan Wie Kinder lernen. Vom Entstehen der Welt in den Köpfen der Kinder TELEVIZION 17/2004, 4; Spitzer Vorsicht Bildschirm, Stuttgart 2005 (zit Spitzer Vorsicht Bildschirm); ders Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg 2002 (zit Spitzer Lernen); ders Fernsehen und Bildung tv diskurs 36, 2/2006, 36 (zit Spitzer Fernsehen und Bildung); ders Wer seinem Kind Gutes tun will, der kaufe ihm bitte keinen Computer Psychologie heute, 01/2006, 34 (zit Spitzer Wer seinem Kind Gutes tun will); Stefen Jugendmedienschutz in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wodraschke (Hrsg) Jugendschutz und Massenmedien, München 1983, 99; Sturm Medienwirkung – ein Produkt der Beziehung zwischen Rezipient und Medium, in: Groebel/Winterhoff-Spurk Medienpsychologie, München 1989, 33; Süss Mediensozialisation von Heranwachsenden. Dimensionen – Konstanten – Wandel, Wiesbaden 2004; Sulzbacher Verfolgung von Gewaltdarstellungen unzureichend. Änderung des Paragraphen 131 StGB in der Diskussion: Können Verschärfungen die Strafverfolgung verbessern? JMS-Report 5/2003, 5; Tetz Selbstbewusst und reflektiert. Trotz sexualisierter Medien liegen konservative Werte im Trend tv diskurs 16, 2/2001, 70; Ulich Der Pornographiebegriff und die EG-Fernsehrichtlinie, Baden-Baden 2000; Vitouch Fernsehen und Angstbewältigung, Zur Typologie des Zuschauerverhaltens 3. Aufl Wiesbaden 2007; ders Gewaltfilme als Angsttraining tv diskurs 2, 2/1997, 40; Walther Begriff der Pornographie BPjM Aktuell 3/2003, 3; Weides Der Jugendmedienschutz im Filmbereich NJW 1987, 224; Wilms Kritik an getrennter Jugendschutzaufsicht im Fernsehen nimmt zu JMSReport 3/2004, 9; Wüllenweber Voll Porno stern 06/2007, 67; Zillmann Pornografie in: Mangold/ Vorderer/Bente (Hrsg) Lehrbuch der Medienpsychologie, Göttingen 2004. Folgende Dokumente können aus dem Internet geladen werden: 1. Grundsätze der FSK: www.fsk.de 2. Jugendschutzgesetz (JuSchG), Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), Prüfordnung der FSF (PrO-FSF), Richtlinien zur Anwendung der Prüfordnung der FSF (FSF-Richtlinien zur PrO-FSF), Satzung der FSF, Gemeinsame Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes (Jugendschutzrichtlinien – JuSchRiL) sowie die Beiträge aus tv diskurs: www.fsf.de 3. USK-Grundsätze: www.usk.de 4. Verhaltenscodex der FSM (VK-FSM): www.fsm.de
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Übersicht Rn § 1 Medienfreiheit und Jugendschutz im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . I. Medienfreiheit und Jugendschutz II. Die Kunstfreiheit und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . § 2 Inhaltliche Schwerpunkte des Jugendmedienschutzes . . . . . . . . . . . I. Aufgaben und Ziele . . . . . . 1. Kriterienfindung im Jugendschutz . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilungsmaßstäbe, Kriterien, Spruchpraxis . . . . . 3. Erziehungsziele und plurale Wertordnung . . . . . . . . II. Die Beurteilung von Gewaltdarstellungen . . . . . . . . . 1. Gewaltdarstellungen aus Sicht der Wissenschaft . . . . . . 2. Wirkungsforschung und Jugendschutz . . . . . . . . 3. Medienkritische Ansätze . . 4. Wirkung abhängig vom Kontext . . . . . . . . . . . III. Angst und Angstverarbeitung . IV. Verstehensfähigkeiten in den Altersstufen . . . . . . . . . . V. Darstellung von Sexualität . . . VI. Weitere neue Fernsehformate . 1. Aktuelle Programmtrends im Fernsehen . . . . . . . . . . 2. Zum Identifikationspotential von Reality-Shows . . . . . § 3 Jugendschutzaspekte im Strafrecht . I. Gewaltdarstellungen . . . . . . II. Pornografie . . . . . . . . . . 1. Kurzdarstellung der rechtlichen Ausgangslage . . . . 2. Das Problem der Definition von Pornografie . . . . . . . 3. Vollständig verboten: Harte Pornografie (§ 184 Abs 3 StGB) . . . . . . . . . . . . § 4 Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) . . . . . . . . 1. Zuständigkeitsbereich der Bundesprüfstelle . . . . . . 2. Antragsberechtigte Stellen . 3. Das Procedere der Bundesprüfstelle . . . . . . . . . . a) Offensichtliche und schwere Jugendgefährdung . . . . . . . . . . b) Listenstreichungen und wesentlich inhaltsgleiche Fassungen . . . . . . . . III. Altersbeschränkungen im Kino und für Video/DVD . . . . . .
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1–3 1, 2 3 4–80 4–22 10–12 13–19 20–22 23–42 23–28 29–31 32–35 36–42 43–46 47–55 56–73 74–80 74 75–80 81–102 83–89 90–102 90, 91 92–99
100–102 103–187 103, 104
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Rn 1. Die Obersten Landesjugendbehörden . . . . . . . . . . 120–123 2. Die Altersfreigaben . . . . . 124–127 3. Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht . . . . . . 128–134 a) Lehrprogramme . . . . . 128 b) Nichtgewerbliche Nutzung 129, 130 c) DVDs als Beilage von Zeitschriften . . . . . . . . . 131 d) Öffentliche Vorführungen auf Festivals . . . . . . . 132 e) Kennzeichen Keine Jugendfreigabe . . . . . 133 f) Prüfpflicht für den Hauptfilm und Beiprogramme . 134 4. Zur Arbeitsweise der FSK . 135–173 a) Historie . . . . . . . . . 135–140 b) Die Gremien der FSK . . 141, 142 c) Ausschüsse und Antragstellung . . . . . . . . . 143–147 d) Kennzeichnung mit Keine Jugendfreigabe . . . . . 148–150 e) Berufungen . . . . . . . 151–153 f) Übernahmen von Kinoentscheidungen für Trägermedien . . . . . . 154 g) Vorlage fremdsprachiger Filme . . . . . . . . . . 155–157 h) Bedingungen für erneute Vorlage . . . . . . . . . 158 i) Vereinfachte Prüfverfahren 159–162 k) Anbringung des Kennzeichens, Verbindlichkeit der Freigabe . . . . . . . 163–173 aa) Kinofilme . . . . . . 163 bb) Trägermedien . . . . 164–167 cc) Zuständigkeiten, Regeln für den Verkauf bespielter Trägermedien . . . . . . . 168–173 5. Jugendschutz und Computerspiele: Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) . 174–185 a) Historie . . . . . . . . . 174, 175 b) Struktur der USK . . . . 176–179 c) Berufungen . . . . . . . 180–182 d) Besondere Prüfverfahren 183 e) Verweigerung der Kennzeichnung . . . . . . . . 184 f) Die USK in der Kritik . . 185 6. Die Automaten Selbstkontrolle (ASK) . . . . . . . . . 186, 187 § 5 Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) . . . . . . . . . . . 188–301 I. Zielsetzung des JMStV . . . . 188–192 1. Das System der regulierten Selbstregulierung . . . . . . 191 2. Die Anerkennung von Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle . . . . . . . 192
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Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht) Rn II. Unzulässige Sendungen iSd JMStV . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzziehung zwischen Erotikfilmen und Pornografie . . . . . . . . . . . 2. Erotikprogramme in PayTV-Sendern . . . . . . . . 3. Der Fall „Adult Channel“ . III. Jugendschutz im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) . 1. Sendezeitbeschränkungen und Vorsperren . . . . . . 2. Festlegung der Sendezeit für wiederkehrende Formate . 3. FSK-Freigaben und Sendezeitbeschränkungen . . . . 4. Die Jugendschutzbeauftragten . . . . . . . . . . . 5. Regelungen für Werbung . 6. Jugendschutz im öffentlichrechtlichen Fernsehen . . . 7. Regelungen für Telemedien a) Pornografische Inhalte in Telemedien . . . . . . . b) Keine geschlossenen Benutzergruppen im Rundfunk . . . . . . . . . . c) Jugendschutz und Handy 8. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) . . . . a) Allgemeines . . . . . . . b) Aufgaben der KJM . . . c) Prüfgruppen . . . . . . 9. Rechte und Pflichten der Selbstkontrolleinrichtungen nach dem JMStV . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . b) Aufsichtszuständigkeit bei Nichtmitgliedern einer Selbstkontrolleinrichtung c) Die Selbstkontrolle als gesetzgeberisches Ziel . . d) Nichtvorlagefähige Programminhalte . . . . . . e) Sicherheit der Prüfergebnisse . . . . . . . . . . 10. Zusammenfassung der Jugendbestimmungen für das Fernsehen . . . . . . . a) Kinofilme und Videofilme b) Fernsehprogramme . . .
193–209
199, 200 201–208 209 210–301 211 212 213–217 218 219 220–223 224–229 225, 226
227 228, 229 230–234 230 231–233 234
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238, 239 240–242 243 244
245–251 245 246
Rn c) Programmankündigungen 247 d) Akustische Kennzeichnung für FSK-16-Filme und Filme ohne Jugendfreigabe . . . . . . . . . 248 e) Ausnahmeregelungen . . 249 f) Ausstrahlungsverbote . . 250 g) Mit indizierten Filmen inhaltsgleiche Programme 251 11. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) . . . . . . 252–283 a) Historie . . . . . . . . . 252–260 b) Das Kuratorium . . . . 261 c) Die Prüfer . . . . . . . . 262 d) Die Prüfung bei der FSF 263–278 aa) Prüfungsrelevante Programme . . . . 265–269 bb) Das Prüfverfahren . 270–278 e) Probleme bei divergierenden Prüfentscheidungen von FSF und FSK . . . . 279–283 12. Zuständig für Internet: Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM) . . . . . 284–301 a) Historie . . . . . . . . . 284, 285 b) Besonderheiten des Prüfverfahrens der FSM . . . 286–293 aa) Der Regelfall: nachträgliche Prüfung . . 286 bb) Die Beschwerdestelle der FSM . . . . . . 287, 288 cc) Der Beschwerdeausschuss . . . . . . . 289–291 dd) Angebotsbeobachtung 292, 293 c) Der Verhaltenskodex der FSM . . . . . . . . . . 294–299 d) Weitere Tätigkeitsfelder der FSM . . . . . . . . 300, 301 aa) Vereinbarung mit Suchmaschinenanbietern . . . . . . 300 bb) Ein Netz für Kinder 301 § 6 Jugendschutzrecht im europäischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 302–312 I. Altersklassifizierung von Kinofilmen . . . . . . . . . . . . . 302, 303 II. Die EG-Fernseh-Richtlinie . . . 304–312 1. Unzulässig im Rundfunk: Pornografie und grundlose Gewalt . . . . . . . . . . . 307–309 2. Jugendschutz . . . . . . . . 310–312
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Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht)
7. Teil
§1 Medienfreiheit und Jugendschutz im Grundgesetz I. Medienfreiheit und Jugendschutz In Art 5 Abs 1 Grundgesetz (GG) wird eine weitgehende Medien- und Informationsfreiheit garantiert. „Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es dort, und damit wird jedem Wunsch, Medienerzeugnisse vor ihrer Vermarktung oder vor ihrer Ausstrahlung im Fernsehen durch staatliche Institutionen zu kontrollieren, ein Riegel vorgeschoben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dadurch gesetzlicher Jugendschutz unmöglich ge2 macht würde. Denn das Zensurverbot bezieht sich auf eine staatliche Kontrolle vor der Veröffentlichung, was bedeutet, dass Medien nach der Veröffentlichung auf dem Markt von staatlichen Kontrollen und Sanktionen nicht mehr verschont bleiben. Denn in seinem zweiten Absatz macht Art 5 GG deutlich, dass die Freiheit der Medien ihre Grenzen findet „in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den Gesetzen zum Schutze der Jugend“. Das Grundgesetz verpflichtet dadurch den Gesetzgeber, Gesetze zum Schutze der Jugend vor bestimmten medialen Darstellungen zu erlassen. Es verbietet eine Kontrolle im Vorhinein, lässt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eine Kontrolle im Nachhinein zu.1
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II. Die Kunstfreiheit und ihre Grenzen 3
Weitgehend uneingeschränkt dagegen gilt die Freiheit der Kunst, die Art 5 Abs 3 GG garantiert und die keine weiteren Einschränkungen erfährt. Das heißt jedoch nicht, dass Kunst alles darf. Die Freiheit der Kunst kann allerdings nicht durch einfache Gesetze eingeschränkt werden, sie findet ihre Grenzen aber dann, wenn ihre Aussagen den Schutzbereich anderer Grundrechtsnormen berühren und der Schutzbereich der Kunstfreiheit nach einer Güterabwägung zurücktreten muss. In verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes, die sich mit dem Verhältnis von Kunst und Jugendschutz befassen, wird deutlich, dass bei Inhalten, die einen künstlerischen Charakter haben könnten, zB bei der Indizierung sorgfältig zwischen den Interessen der Kunst und des Jugendschutzes abgewogen werden muss.2
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S BVerfGE 33, 52, 71 ff; vgl dazu auch Teil 7 Kap 3 Rn 16–22. Vgl hierzu auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Indizierung des Romans „Josephine Mutzenbacher“, BVerfGE 83, 130, ebenso BVerwG Urteil vom 26.11.1992 – 7 C 20/92. Danach hat die BPjM bei der Abwägung der Interessen
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Jugendschutz-Kunst eine gutachterliche Funktion. Diese hat sie bei der Einordnung des Buches Opus Pistorum als offensichtlich schwer jugendgefährdend nach Auffassung des VG Köln nicht richtig ausgeübt, die Indizierung wurde aufgehoben. Dies bestätigt das BVerwG; vgl dazu Rn 30, 31.
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Inhaltliche Schwerpunkte des Jugendmedienschutzes
§2 Inhaltliche Schwerpunkte des Jugendmedienschutzes I. Aufgaben und Ziele Der Jugendschutz gründet sich auf dem in Art 6 Abs 2 GG garantierten elterlichen Erziehungsrecht sowie auf dem Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, das sich aus Art 2 Abs 1 GG ableiten lässt.3 Das Erziehungsrecht der Eltern sowie die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden können durch gesellschaftliche Einflüsse beeinträchtigt oder gefährdet werden, deren negative Folgen Kinder oder Jugendliche auf Grund der Verführungskraft und ihrer eigenen Unerfahrenheit nicht erkennen. Dazu zählen die Gefahr des frühen Konsums von Alkohol oder Zigaretten, der nächtliche Besuch von Tanzveranstaltungen oder Diskotheken sowie negative Einflüsse der Medien.4 Die Jugendhilfe hält erzieherische und bildende Maßnahmen bereit, um Eltern und Kinder über diese Gefahren aufzuklären und gegenüber negativen Einflüssen zu stabilisieren. Freizeitangebote und sportliche Aktivitäten sind ebenfalls geeignet, dem Heranwachsenden die nötige Stärke zu vermitteln, um Störungen seiner Entwicklung abzuwehren. Die Grundlagen für den erzieherischen Jugendschutz werden in § 1 Sozialgesetzbuch (SGB VIII) wie folgt beschrieben: Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Daraus folgen Maßnahmen für den erzieherischen Jugendschutz (§ 14 SGB VIII), die das Ziel verfolgen, junge Menschen (zu) befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen und sie zu Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen führen. Der gesetzliche Jugendmedienschutz ist eine flankierende Maßnahme zu den erzieherischen Aktivitäten der Jugendhilfe. Bestimmte Einflüsse werden als so dominant eingeschätzt, dass ihnen mit erzieherischen Maßnahmen allein nicht erfolgreich begegnet werden kann. Stattdessen soll mit Hilfe einer Art Konfrontationsschutz so weit wie möglich verhindert werden, dass Kinder oder Jugendliche mit diesen Gefährdungen in Berührung kommen. Die Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit des Sozialgesetzbuches finden wir in allen Jugendschutzgesetzen als Erziehungsziel wieder. Erscheinen Medieninhalte geeignet, dieses Ziel zu beeinträchtigen, setzen nach dem Jugendschutzgesetz mit Blick auf Altersgruppen differenzierte Beschränkungen ein, bspw in Form von Altersbeschränkungen für bestimmte Filme. Auch nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sollen Kinder und Jugendliche durch Sendezeitbeschränkungen vor solchen Einflüssen ferngehalten werden. Für Medieninhalte, die geeignet erscheinen, dieses Erziehungsziel gefährden oder gar schwer gefährden, gibt es durch die Aufnahme in die Liste der jugendgefährdenden Medien weitergehende Vertriebsbeschränkungen bis hin zum Werbeverbot. Im Bereich des Fernsehens sind diese Inhalte ganz verboten. Beeinträchtigung und Gefährdung unterscheiden sich also einerseits durch die Stärke in der vermuteten Wirkung und, dadurch bedingt, das größere Ausmaß der Vertriebsbeschränkungen (für gefährdende Inhalte). 3 4
§ 1 SGB VIII. Durch den Schutz vor sittlichen Gefähr-
dungen sollen verfassungsrechtliche Güter bewahrt werden. BVerfGE 30, 336, 347, 348.
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1. Kriterienfindung im Jugendschutz Über diese allgemeinen Zielvorgabe hinaus enthalten die Jugendschutzgesetze keine Kriterien oder Definitionen, die für die Beurteilung von Inhalten unter Jugendschutzgesichtspunkten gelten. Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass sich die Voraussetzungen dafür, was als jugendschutzrelevant gilt, ständig verändern. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Jugendschutzkriterien an die Entwicklung gesellschaftlicher Wertevorstellungen geknüpft sind. Zum zweiten muss beachtet werden, dass die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch Medieninhalte von ihrer eigenen Kompetenz abhängt, bspw zwischen fiktionalen Inhalten und realistischen Darstellungen zu unterscheiden. Und diese Kompetenz verbessert sich mit zunehmender Medienerfahrung.5 Ältere Menschen, die mit zwei öffentlich-rechtlichen Fernsehangeboten aufgewachsen sind, werden in ihrer Jugend fast alle Fernsehsendungen inhaltlich als eine Art abgefilmte Realität wahrgenommen und verarbeitet haben. Das Fernsehen und seine Inhalte waren daher für die Konstruktion des Bildes von Wirklichkeit ausgesprochen entscheidend. Kinder, die heute heranwachsen, werden sehr früh mit einer Fülle medialer Angebote 11 konfrontiert. Sie erfahren sehr schnell, dass Vieles, was die Medien anbieten, bestimmten Interessen oder dem Ziel des finanziellen Gewinns (Marktanteile) folgt, ohne mit der Lebenswirklichkeit viel zu tun zu haben. Darüber hinaus sind in den Medien selbst zahlreiche Reflexionen über die Hintergründe zu finden, die bei der Produktion von Filmen oder Fernsehsendungen eine Rolle spielen. Der Produktionsweg eines Filmes (Drehbuch, Produzent, Regie und Schauspieler, aber auch Special Effects) ist heute bereits den meisten älteren Kindern im Groben bekannt. In den Medien selbst, vor allem in den Printmedien, gehört auch die Medienkritik zum Geschäft, so dass Jugendliche wissen, dass bspw die Vorliebe für brutale Gewaltdarstellungen gesellschaftlich zumindest kontrovers diskutiert wird. Die Distanz zu Inhalten entwickelt sich dadurch, dass man heute sehr viel mehr über die Medien und ihre Produktionsbedingungen weiß. In vielen Fällen sind darin Kinder bereits Erwachsenen überlegen. Wenn also heute bspw von der FSK manche Filme sehr viel weniger streng beurteilt werden als vor 10 oder 20 Jahren,6 bedeutet das nicht, dass die Prüfergebnisse früher oder heute falsch sind. Es bedeutet eben auch, dass die heutige Generation von Kindern und Jugendlichen kompetenter mit Medieninhalten umgehen kann.7 Allgemein herrscht die Vorstellung, im Bereich des Jugendschutzes würde im Laufe 12 der Zeit immer großzügiger geurteilt. Die trifft nur bedingt zu. Zweifellos kann man eine solche Tendenz im Bereiche der sexuellen Darstellungen erkennen. Während bis zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts bereits die Abbildung nackter Menschen zur Indizierung führte, finden wir dies heute in allgemein zugänglichen Zeitschriften sowie im Tagesprogramm des Fernsehens. Allerdings wäre die damals typische Reduzierung der Frauenrolle auf Haushalt und Kindererziehung (massiv bspw in der damaligen Werbung) heute völlig unvorstellbar.8 Auch die Gleichsetzung attraktiver Frauen mit beworbenen Konsumgütern 9, was bis in die Achtzigerjahre hinein in der Werbung sehr
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Baacke setzt sich vor allem für medienpädagogische Aktivitäten ein, zeigt aber auch auf, dass Heranwachsende durch ästhetische Erfahrungen Inhalte zunehmend kompetent einschätzen können, vgl Baacke tv diskurs 1/1997, 60, 61, 70. Einen Überblick über die Entwicklung der Spruchpraxis gibt Humberg tv diskurs 4/2006, 64 ff.
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Vgl Bachmair tv diskurs 4/2006, 20, 22. Einen guten, aus heutiger Sicht fast satirischen Einblick in die Reduzierung der Frau auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau bietet der Dokumentarfilm Rendezvous unterm Nierentisch von Manfred Breuersdorf ua, Deutschland 1987. Eine ausführliche Sammlung frauenfeindlicher Werbung dokumentieren Schmerl/Huber.
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häufig war, würde heute auf erhebliche öffentliche Proteste stoßen. Auch die Tatsache, dass Schauspieler in modernen Filmen nur sehr selten rauchen, während das bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts fast werbewirksam dargestellt wurde, zeigt, dass der Jugendschutz differenzierter, aber keineswegs immer liberaler wird. 2. Beurteilungsmaßstäbe, Kriterien, Spruchpraxis Weder das JuSchG noch der JMStV legen also fest, welche Inhalte nach Auffassung des Gesetzgebers geeignet sind, zu einer Entwicklungsbeeinträchtigung oder zu einer Entwicklungsgefährdung beizutragen. Die Gesetze geben lediglich ein Ziel vor, das aber selbst wiederum interpretiert und konkretisiert werden muss. Urteile im Bereich des Jugendschutzes müssen zwar begründet werden, allerdings reicht dafür eine plausible Annahme, dass ein medialer Inhalt beeinträchtigend oder gefährdend sein kann, ein Beweis ist nicht erforderlich.10 Im Bereich des Jugendschutzes wurde immer wieder der Versuch unternommen, durch die Formulierung möglichst präziser Kriterien eine gewisse Objektivität und Vergleichbarkeit von Ergebnissen herzustellen. Ein solcher Versuch muss jedoch scheitern.11 Auch wenn die Institutionen des Jugendschutzes ihre Kriterien durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse untermauern, implizieren die Entscheidungen Werthaltungen, die sich je nach Zusammensetzung der Ausschüsse immer wieder neu formieren. Auch die Frage, ob die Prüfer eine grds positive oder negative Grundeinschätzung gegenüber den Medien haben, beeinflusst das Ergebnis. Ein dritter wichtiger Faktor ist der jeweilige Erfahrungshorizont der Prüfer mit Kindern oder Jugendlichen der entsprechenden Altersgruppen. Prüfer, die gerade jüngere Kinder erziehen, setzen sich meist für ein hohes Schutzniveau ein. Prüfer, deren Kinder erwachsen sind oder die bereits Großeltern sind, befinden sich nicht mehr in direkter Erziehungsverantwortung und sehen deshalb vieles gelassener. In jedem Falle können die Prüfer persönliche Erfahrungen, aber auch persönliche Vorlieben für bestimmte Filme oder Programme bei der Anwendung von Kriterien nicht außer Acht lassen. Die Institutionen des Jugendschutzes haben in unterschiedlicher Intensität den Versuch unternommen, diese allgemeinen Vorgaben des Gesetzes in ihren jeweiligen Prüfordnungen zu konkretisieren. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) besitzt neben den gesetzlichen Vorgaben keine weiteren verbindlichen Kriterien, bemüht sich allerdings, ihre Spruchpraxis durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu untermauern.12 Das geschieht bspw dadurch, dass bei schwierigen Entscheidungen während des Indizierungsverfahrens Gutachter aus dem Bereich der Psychologie oder Pädagogik hinzugezogen werden. Sie verfügt allerdings über ein Papier, das wohl eher für die Öffentlichkeit die Sichtweise der BPjM erläutert. Auch die für die Erteilung von Altersfreigaben zuständige freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) begnügt sich mit der Vorgabe recht allgemeiner Bewertungskriterien in § 18 ihrer Grundsätze: Unter
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BVerfGE 21, 150, 157; BVerfGE 49, 89, 131 ff; das gilt aber nicht, wenn Beeinträchtigungen oder Gefährdungen nach dem aktuellen Forschungsstand auszuschließen sind (BVerfGE 83, 130, 141). Vgl von Gottberg Prognosen auf dünnem Eis 28, 29 f. Der langjährige Vorsitzende der Bundes-
prüfstelle für jugendgefährdende Schriften, Rudolf Stefen, hat als erster begonnen, Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung in die Spruchpraxis mit einzubeziehen. Er gründete die Zeitschrift BPS-Report, in der zum ersten Mal öffentlich Entscheidungen vorgestellt und diskutiert wurden, vgl ua Stefen 99 ff.
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Beeinträchtigungen sind Hemmungen, Störungen oder Schädigungen zu verstehen (Abs 1), die Entwicklungsbeeinträchtigung wird durch Inhalte befürchtet, welche die Nerven überreizen, übermäßige Belastungen hervorrufen, die Phantasie über Gebühr erregen, die charakterliche, sittliche (einschl. religiöse) oder geistige Erziehung hemmen, stören oder schädigen oder zu falschen und abträglichen Lebenserwartungen verführen (Abs 3). Außerdem wird festgelegt, dass sich die Freigabe an den Schwächeren einer Altersstufe orientieren muss (Abs 4). Des Weiteren wird auf die Pluralität der Ausschüsse verwiesen, außerdem seien die 17 Erkenntnisse der wissenschaftlichen Medienwirkungsforschung zu berücksichtigen. In den fünfziger und sechziger Jahren ging man von einer schlichten Übertragung aus: 18 Wenn Kinder oder Jugendliche unethisches Verhalten im Film oder Fernsehen vorgeführt bekommen, machen sie dies auch nach. Heute stellt sich die relevante Forschungslage weitaus differenzierter, jedoch nicht unbedingt einheitlich dar. Neben der Medienwirkungsforschung entstehen durch Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und der Hirnforschung inzwischen zusätzliche Erkenntnisse über die emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Dabei wird deutlich, dass sich das Gehirn in Abhängigkeit von realen Anforderungen entwickelt: Bei hoher Beanspruchung spezieller Leistungen oder Begabungen bilden sich Neuronen und das Gehirn wächst. Spitzer hält es für „nicht unwahrscheinlich, dass die Vergrößerung des Hippokampus bei Londoner Taxifahrern mit deren Aufgabe des Zurechtfindens in einem Straßengewirr ganz besonderen Ausmaßes in Zusammenhang steht.“ 13 Der Prozess, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse mit naturwissenschaftlicher For19 schung zu kombinieren, steht erst am Anfang. In der Erziehungswissenschaft setzt sich allmählich die Vorstellung durch, dass das Lernen kein einfacher Aneignungsprozess ist, sondern dass neue Informationen mit bestehenden Erfahrungen abgeglichen werden. Kinder und Jugendliche konstruieren sich ihre Vorstellung von Wirklichkeit, indem sie versuchen, reale Erfahrungen und mediale Bilder in Einklang zu bringen.14 Durch die Medienforschung und die Jugendforschung weiß der Jugendschutz einiges darüber, wie Heranwachsende Medieninhalte in ihren Lebenskontext einbeziehen.15 3. Erziehungsziele und plurale Wertordnung
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Will man feststellen, ob ein Medieninhalt geeignet ist, die Entwicklung und Erziehung zu beeinträchtigen oder zu gefährden, kann dies nicht geschehen, ohne dass man sich darüber einig ist, welches Menschenbild und welche Persönlichkeit man als Folge des Erziehungsprozesses anstrebt. In unserer pluralistischen Gesellschaft gehen die Vorstellungen über einen erfolgreichen Erziehungsprozess weit auseinander. Die in den Jugendschutzgesetzen gewählte Formulierung führt dazu, dass jeder sein eigenes Erziehungsbild als Grundlage für die Bewertung zu Grunde legt. Damit wird oft das Verständnis von Jugendschutz ebenso plural wie die Erziehungsvorstellungen, die unsere Verfassung zulässt. So garantiert Art 4 GG die Religionsfreiheit. Will man aber aus katholischer, evangelischer, jüdischer oder einer dem Islam nahe stehenden Sicht ein einheitliches Erziehungsziel formulieren, so ist das unmöglich. Darüber hinaus lässt Art 4 GG selbstverständlich auch zu, dass Menschen keiner Religion angehören.
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ZB Spitzer Lernen 32 Vgl Speck-Hamdan TELEVIZION 17/2004, 4, 5.
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So zB Süss 203 f.
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Es versteht sich, dass sich die Jugendschutzgesetze sowie die Auslegungen durch die 21 Einrichtungen des Jugendschutzes an der Verfassung orientieren müssen. Unsere Verfassung lässt verschiedene Erziehungsziele zu. Daher können sich die Kriterien der Jugendschutzorganisationen bzgl ihres Erziehungsbildes nur an den Rahmenbedingungen orientieren, die unsere Verfassung als unabänderliche Grundwerte festlegt. Dazu gehören an erster Stelle die Würde des Menschen, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Friedensgesinnung sowie die freiheitliche, demokratische Grundordnung, Religionsfreiheit, Freiheit der Medien sowie die demokratischen Institutionen des Staates. Dies ist innerhalb der Jugendschutzinstitutionen unumstritten.16 Umstritten ist allerdings, wie weit neben den Grundwerten unserer Verfassung so 22 etwas wie der allgemeine Wertekonsens geschützt werden soll. Dies ist sicherlich noch dann sinnvoll und zulässig, wenn ein bestimmtes Verhalten durch die allgemeinen Gesetze unter Strafe gestellt wird oder für bestimmte Personengruppen, zB Minderjährige, verboten ist. Medien also, die den Konsum illegaler Drogen verherrlichen oder verharmlosen, fallen sicherlich unter die Jugendschutzbestimmungen. Schwieriger wird es, wenn Sichtweisen oder Verhaltensweisen, vor denen der Jugendschutz schützen will, nach unserer Verfassung und nach den allgemeinen Gesetzen erlaubt sind, aber dem vermeintlichen allgemeinen Wertekonsens widersprechen.
II. Die Beurteilung von Gewaltdarstellungen 1. Gewaltdarstellungen aus Sicht der Wissenschaft Die knapp 5 000 Studien, die den Zusammenhang zwischen realer und fiktionaler 23 Gewalt untersucht haben, führten nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Die erste Studie wurde in den fünfziger Jahren aufgrund der Beobachtung des FBI in den USA durchgeführt, dass es eine direkte Korrelation zwischen dem Ansteigen von Gewaltverbrechen in den Großstädten und der Zunahme von Gewaltdarstellungen im Fernsehen gab. Der amerikanische Psychologe Feshbach wurde von den Fernsehsendern mit einem Gutachten über diese Frage beauftragt. Sein Ergebnis: Gewaltdarstellungen im Fernsehen haben einen Katharsiseffekt.17 Aufgestaute Aggressionen, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen oder Machtverhältnisse nicht abgebaut werden können, werden in das Gewaltverhalten der Protagonisten des Filmes projiziert und damit ausgelebt. Die Folge sei eine Reduktion der Aggression, für den Zuschauer entsteht eher ein läuternder Effekt.18 Die Katharsistheorie wurde verständlicherweise von den Medienunternehmen gern 24 aufgegriffen und lange Zeit verteidigt. Allerdings gab es bald andere Positionen, von denen die wichtigsten hier kurz beschrieben werden sollen: – Die Habitualisierungsthese vermutet, dass sich durch das regelmäßige Anschauen vergleichbarer Gewaltdarstellungen eine Art Muster über Reaktionen in Konfliktfällen herausbildet. Also: nicht die einzelne Gewaltdarstellung ist das Problem, sondern das regelmäßige Anschauen vergleichbarer Gewaltmuster.19 Die Folge könnte sein, dass
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Vgl Castendyk tv diskurs 1/2005, 20, 21, 27. Der Begriff Katharsis geht auf das Buch der Poetik des Aristoteles zurück, der im Miterleben einer tragischen Handlung einen reinigenden Effekt vermutete.
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Vgl Feshbach Journal of Abnormal and Social Psychologie 63, 1961, 381 ff. Vgl Drabman/Thomas Psychology 1974, 418 ff.
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die Empfindungen der Zuschauer gegen Gewalt durch Gewöhnung allmählich abgestumpfen. – Ähnliches vermutet die Desensibilisierungsthese. Sie geht davon aus, dass Menschen, deren Gefühle durch das Ansehen von Gewaltdarstellungen stark beansprucht werden, Methoden entwickeln, um die dargestellte Gewalt besser auszuhalten. Die Folge ist, dass sie Gewaltdarstellungen besser ertragen können. Um denselben Erregungszustand zu erreichen, benötigen sie immer drastischere Gewaltdarstellungen. Diesen Prozess der Abstumpfung können wir als Zuschauer oft selbst erleben. Ob allerdings die Abstumpfung gegenüber medial dargestellter Gewalt gleichzeitig auch für reale Gewalt gilt, konnte niemals nachgewiesen werden. – Die Stimulationstheorie vermutet, dass Menschen in emotional erlegten Zuständen (Verärgerung, Frustration) eher bereit sind, aggressiv zu reagieren. Aggressive mediale Darstellungen von Gewalt könnten unter bestimmten (individuellen) Umständen solche reale Gewalt zusätzlich stimulieren, zB dann, wenn die mediale Gewalt gerechtfertigt erscheint.20 – Die Kultivierungshypothese geht weniger von einer Lernwirkung aus, sondern eher von einem kulturellen Gewöhnungseffekt (Mainstraming). Durch die ständige, ansteigende Konfrontation mit Gewaltakten im Fernsehen wird vor allem bei Vielsehern auch reale Gewalt zunehmend akzeptiert.21 – Die sozial-kognitive Lerntheorie 22 geht davon aus, dass aggressives Verhalten durch das Nachahmen von Modellen erlernt wird. Auch Protagonisten aus Filmen dienen als Modell. Das heißt aber nicht, dass gewalttätig handelnde Vorbilder ohne weiteres in das eigene Verhaltensrepertoire aufgenommen werden. Es findet vielmehr eine Art Filterprozess statt, indem die Darstellung im Film vor dem Hintergrund sozialer Erfahrungen und kognitiver Prozesse interpretiert wird. Die Beobachtung eines Menschen, der sich selbst verletzt, führt nicht dazu, dass man ihn imitiert – denn aufgrund der eigenen Erfahrung weiß man, dass dies Schmerzen bereitet. Wenn aber ein Protagonist gewalttätig handelt, damit Erfolg hat und nicht bestraft wird, könnte man lernen, dass Gewalt ein Erfolg versprechendes Mittel ist, um Interessen durchzusetzen oder Ziele zu erreichen. Sog Metaanalysen 23 finden in der Gesamtsicht der Studien und Untersuchungen zwar 25 keinen Beweis dafür, dass mediale Gewaltdarstellungen ursächlich für reale Gewalttaten sein könnten, sie finden aber insgesamt viele Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Rezeption medialer Gewaltdarstellungen und realem Gewaltverhalten gibt. Normalerweise würde man einen solch geringen Zusammenhang als Zufall bezeichnen. Da er aber immer wieder vorkommt, wird er als Wirkungsrisiko 24 interpretiert. In der neueren Forschung wird darauf hingewiesen, dass es eine mechanische Wir26 kung im Sinne eines Reiz-Reaktions-Systems nicht gibt. In einer komplizierten Kette von Motivationen, individuellen biologischen und sozialen Dispositionen sowie biografischen Variablen, die letztlich dafür entscheidend sind, ob ein Mensch im strafrechtlichen Sinne oder im Sinne sozialer Konventionen gewalttätig handelt, können mediale Inhalte eine
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Vgl Berkowitz Nebraska Symposion of Motivation 18, 1970, 95 ff. Vgl Gerbner/Gross Psychology Today 10 (4) 1976, 41 ff. Vgl Bandura Social Learning 213 ff.
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Vgl ua Kunczik/Zipfel Medien und Gewalt 79 ff, 249 ff. Zuerst Selg Psychologische Wirkungsbefunde, tv diskurs 2/2007, 50 ff.
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Rolle spielen.25 In der Forschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Gewaltdarstellungen niemals alleinige Ursache für gewalttätiges Verhalten sind. Sie können aber entsprechend disponierte Menschen in konkreten Lebenssituationen, in denen sie aggressiv stimuliert sind, zu einer gewalttätigen Reaktionen anreizen. Das in Filmen gelernte Muster der gewalthaltigen Reaktion auf Frustration, Ärger oder Interessendurchsetzung ist unbewusst vorhanden und kann in Situationen aktiviert werden, die ein solchen Verhalten provozieren, vor allem dann, wenn es zufällig eine große Ähnlichkeit zwischen der realen und der fiktionalen Situation gibt. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass mediale Gewaltdarstellungen reale Aggressionen auch hemmen können. Denn der überwiegende Teil gewalthaltiger Filme vermittelt letztlich die Botschaft, dass Gewalt nur kurzfristig erfolgreich ist, langfristig hingegen hinter Gitter oder gar in den Tod führt. Die meisten Menschen sind wohl in der Lage, medialen Gewaltkonsum als Fiktion 27 bzw als Unterhaltung zu verstehen, ohne sich dadurch in ihrem realen Verhalten oder in ihrer Auffassung gegenüber Gewalt beeinflussen zu lassen. Es werden aber bestimmte Risikogruppen vermutet, die auf Grund individueller oder sozialer Dispositionen über eine ohnehin erhöhte Gewaltbereitschaft verfügen, die dann durch die Erfahrung der medialen Gewalt bestätigt wird. In der Psychologie wie dieser Effekt auch als doppelte Dosis bezeichnet: Die realen Erfahrungen werden durch mediale Erfahrungen verstärkt. Wie hoch jedoch der Anteil an solchen gefährdungsgeneigten Rezipienten ist, kann nur geschätzt werden, ebenso wenig herrscht über die Bedingungsfaktoren eine genaue Vorstellung. „Wir sprechen bei der Jugendkriminalität – das ist ja der Beginn – auf der einen Seite von einer ubiquitären Phase, die also fast jeder durchmacht, und auf der anderen Seite von einer Phase, die eher die Ausnahme darstellt: von Mehrfachtäterschaften und Intensivtäterschaften. Die Intensivtäter fallen schon relativ früh durch massive Straftaten auf. Internationale Studien zeigen, dass es vor allem Jungen sind und sehr wenige Mädchen. Es sind Jungen, die schon sehr früh verschiedenste Verhaltensauffälligkeiten und Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen zeigen und häufig Gewalterfahrungen aus der Familie haben. Etwa fünf Prozent der Jungen kommen sehr früh mit dem Gesetz in Konflikt und sind für über fünfzig Prozent der schweren und mittelschweren Straftaten ihres ganzen Jahrgangs verantwortlich. Die sind das Problem, um das wir uns kümmern müssen. Man kann auf jeden Fall sagen, es ist eine Kumulation sozialer und persönlicher Risiken, die bei diesen Jungen zusammenkommen.“ 26 In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird weitgehend davon ausgegangen, dass 28 das moralische Urteilsvermögen sowie das Repertoire an Verhaltensmustern in einem Zusammenspiel von Persönlichkeitsvariablen und Sozialisation herausgebildet wird. In der Hirnforschung wird in letzter Zeit auch die Position vertreten, dass Grundformen des moralischen Urteilsvermögens unabhängig von der späteren Sozialisation bereits im Gehirn angelegt sind.27 Kommt es zu einer Störung der Verbindung zwischen dem moralischen Urteilsvermögen und dem kognitiven Denken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch später Gewaltverbrechen begeht, relativ hoch. Eine solche Störung kann auch durch Unfälle oder Krankheiten, bspw durch Gehirntumore, verursacht werden. Einige Forscher sind überzeugt, dass man ein solches Gewaltrisiko anhand bildgebender Verfahren prognostizieren kann.28
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Die Medienpsychologin Herta Sturm wies darauf bereits in den 1980er Jahren hin; vgl Sturm 33 ff. Bannenberg tv diskurs 4/2004, 34 ff.
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Vgl Blech/von Bredow Der Spiegel 31, 2007, 108 ff. Markowitsch/Siefer 214 ff.
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2. Wirkungsforschung und Jugendschutz Der Jugendschutz kann mit solchen relativ allgemeinen Aussagen bei der konkreten Bewertung von Filmen oder Programmen wenig anfangen. Die meisten wissenschaftlichen Wirkungsuntersuchungen basieren auf dem Vergleich sog Vielseher und Wenigseher von Fernsehgewalt. Danach weisen die Vielseher von medialer Gewalt in ihrer Lebensrealität eine leicht erhöhte Bereitschaft zu Normverstößen auf. Es ist jedoch unklar, ob die Vielseher auf Grund ihrer bereits bestehenden Vordispositionen ein höheres Interesse an Gewaltdarstellungen haben oder ob ihre ex post gemessene erhöhte Bereitschaft zu Gewaltverhalten die Folge des Medienkonsums ist. Unklar, aber zumindest möglich ist auch, dass für Menschen, die aufgrund individueller oder sozialer Dispositionen zur Aggression oder Normübertretung neigen, bspw in Kriminalfilmen lernen, dass sich Gewalt und Verbrechen nur kurzfristig lohnen. Es ist jedenfalls zu kurz gegriffen, aus einer Korrelation auf ein Ursache-Wirkungsverhältnis zu schließen.29 Das bekannteste Beispiel hierfür ist das der Störche in Schweden: Seit Jahren nimmt die Population der Störche im gleichen Umfang ab wie die Geburtenrate bei Menschen. Würde man dies nach dem Ursache-Wirkungsprinzip interpretieren, so könnte man dadurch beweisen, dass der Mensch doch vom Klapperstorch gebracht wird. Korrelationen sind zwar Hinweise auf einen Zusammenhang, müssen aber interpretiert werden, denn sie können, wie bei dem hier aufgeführten Beispiel, auch zufällig sein. Ein weiteres Problem dieser Studien besteht darin, dass sie Gewaltdarstellungen rein 30 quantitativ erfassen, also weder den dramaturgischen Kontext noch die Identifikationsangebote der Programme berücksichtigen. Im Jugendschutz werden die Ergebnisse der Wirkungsforschung berücksichtigt, müs31 sen aber in Kriterien aufgenommen werden, die man an konkrete Inhalte anlegen kann. Die Urteile der Jugendschutzinstitutionen sind also Wirkungsprognosen, in denen der Forschungsstand mit plausiblen Vermutungen und individuellen Erfahrungen und Werthaltungen von Prüfern zusammenkommt. Ähnlich wie Steuerschätzungen oder Wetterberichte sollen und wollen sie möglichst genau sein, aber der Wirkungsprozess ist so komplex, dass wir von objektiven Aussagen weit entfernt sind.
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3. Medienkritische Ansätze
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Während in den Sozialwissenschaften bzgl negativer Auswirkungen von Medien überwiegend ein vorsichtiger Optimismus herrscht, ist die Haltung der Öffentlichkeit sowie der Politik sehr viel ängstlicher.30 Bei Gewalttaten Jugendlicher oder den Amokläufen von Erfurt (2002) oder Emsdetten (2006) wird immer wieder ein Zusammenhang zwischen medialer Gewaltdarstellung und realer Gewalt hergestellt. Dabei reicht oft die Kenntnis darüber, dass ein jugendlicher Täter bestimmte Filme gesehen oder bestimmte Computerspiele gespielt hat. Auch wenn detaillierte psychologische Täteranalysen meist sehr komplexe Ursachenstrukturen aufzeigen, wird in der subjektiven Medientheorie die Wirkungsmacht zB von Computerspielen wie Counterstrike überaus hoch eingeschätzt. Jede dieser Taten führt zu Forderungen nach strengeren Jugendschutzgesetzen. Derzeit ist das Verbot sog Killerspiele in der Diskussion.
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Vgl auch Lenzen tv diskurs 1/2003, 50 ff. So hat die jetzige Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Zeit als zuständige Bundesministerin
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ein härteres Vorgehen des Staates gegen Gewaltdarstellungen im Fernsehen gefordert. Merkel BPS Aktuell 3/93, 3 f.
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Aufgrund solcher populären Vorstellungen 31 stoßen in der Öffentlichkeit vor allem 33 medienkritische Stellungnahmen aus der Wissenschaft auf Interesse. Der Ulmer Neurologe Manfred Spitzer rät in populären Zeitschriften oder Fernsehsendungen dazu, Kinder möglichst lange von Fernseher und Computer fernzuhalten.32 Er sieht vor allem die Gefahr einer frühen Gewöhnung (Mediensucht). Die Mediensucht verhindere reale Aktivitäten und verschlechtere die Leistungsfähigkeit in Schule und Ausbildung. Er fasst seine Thesen zur Medienwirkung in dem Satz zusammen: Fernsehen macht dick, dumm und gewalttätig.33 Auch Christian Pfeiffer, Kriminologe aus Hannover und Direktor des Kriminologi- 34 schen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) sieht in den Medien die Ursache für Schulversagen, Schulabbrüche und Jugendgewalt. Vor allem Computerspiele spielten bei der Entstehung realer Gewalt eine große Rolle, da der Spieler seine Hemmschwelle, zu töten, aktiv überwinden muss, wenn er das Spiel gewinnen will. Bei Filmen hingegen nehme der Zuschauer an einem Geschehen nur passiv teil. Durch das ständige virtuelle Töten würde der Spieler darüber hinaus seine Empathie gegenüber den virtuellen Opfern reduzieren müssen. Aufgrund einer Untersuchung des KFN vertritt Pfeiffer die These, der Medienkonsum 35 sei ursächlich für schlechte Schulleistungen verantwortlich. Die Studie untersucht den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen deutschen Städten und stellt fest, dass die Nutzungsdauer in München sehr viel geringer ist als in Dortmund. Gleichzeitig seien die Schulleistungen in Dortmund durchschnittlich sehr viel schlechter als in München. Daraus folgert Pfeiffer, dass schlechte Schulleistungen die Folge von hohem Medienkonsum seien.34 In dieser These stimmt er mit Spitzer überein, der sich auf internationale Vergleichsstudien beruft, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen hohem Medienkonsum und schlechten Schulleistungen herstellen.35 Das Problem bei solchen Studien ist allerdings, dass sie aus Zusammenhängen Ursachen konstruieren. So kann bspw der hohe Medienkonsum in Dortmund mit einer schlechteren wirtschaftlichen Lage der Familien zusammenhängen, die mangels teurer Freizeitaktivitäten die Medien stärker nutzen als Familien in München. Die schlechtere wirtschaftliche Lage könnte gleichzeitig zu einer reduzierten Leistungsbereitschaft in der Schule beitragen, weil die Möglichkeiten zur Unterstützung fehlen oder die Hoffnung, durch gute Schulleistungen auch später beruflich erfolgreicher zu sein, angesichts der realen Erfahrungen sinkt.36 4. Wirkung abhängig vom Kontext In der neueren Forschung wird daher sehr viel stärker die spezifische Wirkung von 36 detaillierter oder wenig detaillierter Gewaltdarstellung sowie der Gesamtkontext des Filmes untersucht. Es zeigt sich, dass Gewaltdarstellungen in Abhängigkeit von der Geschichte und der Gestaltungsform eines Filmes sowohl aggressionssteigernde als auch aggressions-
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So fordern verschiedene Politiker, vor 20.00 Uhr die Darstellung von Mord und Toten im Fernsehen zu verbieten, „Brutal TV. Macht Fernsehen Jugendliche zu Kriminellen? Politiker attackieren Sender“, Focus 3/2008, 17.1.2008, 120 ff. Vgl Spitzer Wer seinem Kind etwas Gutes tun will Psychologie Heute 34 ff.
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Einen Rundumschlag an negativen Wirkungen liefert Spitzer Vorsicht Bildschirm 155 ff. Vgl Pfeiffer/Kleimann tv diskurs 2/2006, 42 ff. Spitzer Fernsehen und Bildung tv diskurs 2/2006, 36 f. So Nieding/Ohler tv diskurs 2/2006, 48 ff.
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hemmende Effekte haben können. Die Gewaltdarstellung in Kriegsfilmen ist von ihrer Grausamkeit her vergleichbar mit den Darstellungen in Antikriegsfilmen, trotzdem haben sie im anderen Kontext eine entgegengesetzte Wirkung. Untersuchungen von Grimm 37 zeigen bspw, dass Szenen, die drastische Folgen von Gewalt aus Sicht der Opfer darstellen, bei Zuschauern eher zu einer Reduktion der Aggressionen führen. Grimm erklärt das damit, dass der Zuschauer Mitgefühl für die Opfer empfindet und Aggressionen vermeidet, um nicht selbst in eine ähnliche Situation zu geraten. Allerdings gibt es dennoch negative Effekte. Gehört der Täter bspw erkennbar einer ethnischen Minderheit an, so kann die Toleranz gegen diese Gruppe abnehmen, weil der Zuschauer sie für gefährlich hält. Eine andere Wirkung haben die Szenen, die Gewalteinwirkungen auf die Opfer ausblenden und somit für den Zuschauer erträglicher sind. So fällt ihm die Identifikation mit dem Täter leichter, der Gewalt einsetzt, um sein Ziel zu erreichen. Wenn die Schmerzen oder die Qual der Opfer ausgeblendet werden, steht das Gefühl der Macht und Omnipotenz über dem des Mitleids. Solche Darstellungen können zu einem Anstieg der Aggressionsbereitschaft führen. Ob dies auch mit einem Anstieg der Gewaltbereitschaft verbunden ist, konnte in der Untersuchung nicht festgestellt werden. Dies ist in der Praxis für Laien in Sachen Jugendschutz immer wieder überraschend: Die Filme, die man selber nicht schlimm findet, werden manchmal strenger freigegeben als die Filme, die man wegen ihrer unerträglichen Darstellung von Gewalt kaum aushalten kann. Im Jugendschutz werden diese Forschungsergebnisse berücksichtigt. Es geht, jedenfalls bei Filmen, für die eine Freigabe ab 12 oder 16 Jahren angestrebt wird, weniger um die einzelne Gewaltdarstellung, als um die Gesamtaussage des Films, die er unter Berücksichtigung des gesamten Kontextes hat. So stellen Krimis und Actionfilme zwar Gewalt dar, allerdings wird in ihrem Kontext deutlich, dass es dem Helden des Filmes darum geht, die Gewalt zu besiegen und die Norm des friedlichen Miteinanders wiederherzustellen. Allerdings nutzt der Held in manchen Actionfilmen die Situation aus, um seinerseits rohe und unnötige Gewalt anzuwenden. So wird innerhalb des Jugendschutzes sehr darauf geachtet, ob der Held Gewalt nur im Notfall (Notwehr) anwendet oder ob seine Gewalthandlungen über das hinausgehen, was notwendig ist, um die Gewalt des Täters zu stoppen. Die Handlung der Täter wird meist drastisch dargestellt, um den Zuschauer gegen ihn einzunehmen und ein ebenso drastisches Eingreifen des Helden zu rechtfertigen. Das schafft beim Zuschauer Rachegefühle, die dazu führen können, dass er dem Helden nahezu alles zugesteht, was man dem Täter an Gewalt zufügen kann. Hier ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu beachten: Aufgabe des Helden sollte es sein, den Täter der Justiz zu überstellen, soweit dies die Situation zulässt. Die Tötung des Täters durch den Helden gilt als Selbstjustiz, wenn es sich nicht um Notwehr handelt und noch andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, dessen Gewalthandlungen ein Ende zu setzen. Eine Verherrlichung von Selbstjustiz ist gegen die Prinzipien des Rechtsstaates gerichtet, da das Gewaltmonopol des Staates negiert wird und die Instanzen der Strafverfolgung als unfähig tatenlos hingestellt werden. Das darf allerdings nicht dazu führen, das jede Kritik an konkreten Missständen bei Polizei oder Gerichten als unzulässiger Aufruf zur Selbstjustiz gewertet wird. Die Frage ist, ob Einzelfälle auf die gesamte rechtsstaatliche Strafverfolgung verallgemeinert werden. Neben der bildlichen Darstellung der Gewalthandlungen spielt auch die Sprache eine große Rolle. Oft wird das Gewalthandeln des Täters mit zynischen oder menschen37
Vgl Grimm Fernsehgewalt 706 ff.
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verachtenden Bemerkungen unterstützt. Dies wird durch die Gremien des Jugendschutzes in der Regel negativ berücksichtigt.38
III. Angst und Angstverarbeitung Ein weiterer Aspekt des Jugendschutzes hinsichtlich der Wirkung von Gewaltdarstel- 43 lungen ist die Erzeugung von Ängsten, die vor allem jüngere Kinder nicht adäquat verarbeiten können. Dabei kann es nicht darum gehen, Kindern möglichst jede Konfrontation mit Angst erzeugenden Bildern zu ersparen,39 sondern es gilt, mediale Angebote so zu differenzieren, dass man Darstellungen, die eine positive Angstverarbeitung ermöglichen, von solchen unterscheidet, die Kinder kurzfristig oder mittelfristig traumatisieren. In den siebziger Jahren gab es in der Pädagogik eine Diskussion um die Frage, ob 44 Märchen, die ebenfalls auf Gewalthandlungen basieren, bei Kindern eine positive Einstellung zur Gewalt fördern könnten. Bruno Bettelheim beendete diese Debatte mit seinem Buch Kinder brauchen Märchen, in dem er unter anderem darauf hinwies, dass Märchen eine wichtige Funktion für die Angstverarbeitung besitzen. Da Kinder schnell in der Lage sind, Erzählstrukturen von Märchen zu verinnerlichen, wissen sie bald, dass Märchen zwar ein hohes Angstpotential entwickeln, dass aber zum Schluss derjenige, aus dessen Perspektive das Märchen erlebt wird, als Sieger aus der Geschichte hervorgeht. Märchen, so Bettelheim, entwickeln also die Hoffnung und die innere Sicherheit, dass Situationen, die Angst erzeugen, zu bewältigen sind. Kinder haben so die Möglichkeit, auf einer fiktionalen, real letztlich ungefährlichen Weise Angst zu erleben, sie auszuhalten und zum Schluss durch die Dramaturgie wieder abzubauen.40 Der Wiener Psychologe Peter Vitouch 41 hat Untersuchungen mit angstneurotischen 45 Jugendlichen durchgeführt, die eine Vorliebe für Horrorfilme hatten. Er beobachtete, dass die jungen Zuschauer diese Filme bewusst einsetzten, um ihre Angst zu verarbeiten. Filme ermöglichen als Simulation (und damit letztlich real ungefährliche Weise) die Erzeugung von Angst, die aber, das ist für die Verarbeitung wichtig, kontrolliert werden kann. Die Angstkontrolle kann stattfinden, indem bei verängstigenden Szenen die Hand vor die Augen gehalten wird, mit der Mutter oder der Freundin gekuschelt wird (Angstlusterlebnis) oder indem der Film schlicht ausgeschaltet wird. Vitouch beobachtete weiter, dass gerade solche Filme, die im hohen Grade Angst auslösten, von den Jugendlichen immer wieder angeschaut wurden. Das Ziel solcher Wiederholungen ist es, in den Filmen bestimmte Muster zu erkennen, deren Beherrschung in der Realität mutmaßlich helfen kann, Gefahrensituationen zu entkommen. Außerdem führen solche Muster zur Genrekenntnis: Man kann dadurch prognostizieren, wie in anderen Filmen, die man noch nicht kennt, die Handlung verlaufen wird. Auch will man sich vergewissern, dass man die während des Filmes erlebte Angst immer wieder übersteht.42 Vitouch weist aber auch
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Vgl Hönge tv diskurs 3/1998, 58 ff. Die durch Medien symbolisch durchlebte Angst hilft Kindern, reale Ängste besser auszuhalten und die Gewissheit zu stärken, dass Ängste überwunden werden können, vgl Michaelis Unsere Kinder sollen ohne Angst aufwachsen, tv diskurs, Heft 31, 74 ff. Über die Problematik im Umgang mit Angst im Jugendschutz s von Gottberg Angstaus-
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löser oder Angstverarbeitung tv diskurs 2/2003, 24 ff. Vitouch Fernsehen und Angstbewältigung, 2007; das Buch enthält eine gute Zusammenstellung verschiedener Experimente zum Verhältnis „Angst und Fernsehkonsum“, S 67 f. Vitouch Gewaltfilme als Angsttraining, tv diskurs Heft 2, 46 f.
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darauf hin, dass die beabsichtigte Angstbewältigung nicht immer funktioniert. Er stellt bestimmte Kriterien auf, die ein Film erfüllen muss, um tatsächlich zur Angstbewältigung beizutragen. Danach ist es vor allem wichtig, dass der Film eine Figur enthält, die für den Zuschauer stabil und verlässlich ist, die sie gewissermaßen durch den Film leitet und der nichts geschehen darf. Im ungünstigsten Fall kann die individuelle Unfähigkeit, Angst auszuhalten, durch Filme noch erheblich verstärkt werden. Die Folge kann sowohl völlige Angstvermeidung sein (zB Vermeiden von öffentlichen Straßen aus Angst vor Überfällen) als auch eine Sucht nach Konfrontation mit immer neuem Angsterleben. Unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes ist also festzuhalten, dass (Horror)46 Filme gerade deshalb angesehen werden, weil der Nervenkitzel und die eigene Angst durch Identifikation mit den Protagonisten erlebt werden sollen, um am Schluss des Filmes, meist durch das Happy End, abgebaut zu werden. Es ist ein einfaches System von Spannung und Entspannung. Bei Zuschauern, die in der Lage sind, diese Dramaturgie eines Filmes nachzuvollziehen, kann ein solcher Film zu einem besseren Umgang mit Ängsten beitragen. Sie entwickeln schnell eine abstrakte Kenntnis solcher Dramaturgien und wissen dadurch, dass dem Angstaufbau die Entspannung folgt. Dieser Prozess ist als Mood- oder Gefühlsmanagement bekannt: Der Zuschauer entwickelt auch in seinem realen Leben die Hoffnung, dass beängstigende Situationen vorübergehen und gelöst werden. Um allerdings Filme in dieser Weise zu verarbeiten, sind bestimmte altersabhängige kognitive Fähigkeiten notwendig. Insgesamt wird in der Forschung verschiedentlich darauf hingewiesen, dass medial vermittelte Angst aggressionshemmend wirken kann.
IV. Verstehensfähigkeiten in den Altersstufen 47
Der jeweilige kognitive und emotionale Entwicklungsstand der Heranwachsenden ist entscheidend für die Fähigkeit, die Inhalte eines Films zu verstehen und zu verarbeiten. Obwohl individuelle und soziale Dispositionen sowie das Geschlecht wichtige Faktoren für den jeweiligen Entwicklungsstand sind, steht dem Jugendschutz nur das Alter als Differenzierung zur Verfügung.43 Das bedeutet zum einen, dass Jugendschutzentscheidungen immer relativ grob gefällt werden, da bspw bei Zwölfjährigen die einen durchaus in der Lage sind, einen Inhalt ohne Schaden zu verkraften, während die anderen damit kognitiv überfordert sind.44 Zum anderen muss entschieden werden, ob man sich am Entwicklungsstand eines durchschnittlichen Zwölfjährigen orientiert oder ob man vor allem die sog gefährdungsgeneigten Jugendlichen im Blick hat. Insgesamt wird im Jugendschutz davon ausgegangen, dass bei der Alterseinstufung auf den Entwicklungsstand der jeweils Jüngsten einer Altersgruppe Rücksicht genommen werden muss. Bei der FSK heißt es: Dabei ist nicht nur auf den durchschnittlichen, sondern auch auf den gefährdungsgeneigten Minderjährigen abzustellen. Lediglich Extremfälle sind auszunehmen.45 Bei Kindern unter 12 Jahren muss beachtet werden, dass sie in der Regel nicht in der 48 Lage sind, die gesamte Dramaturgie des Filmes zu verstehen. Sie erleben Filme als Addi-
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Einen Einblick in die Entwicklung der Verstehensfähigkeit von Filmen bei kleinen Kindern bieten Nieding/Ohler tv diskurs 2/2006, 48 ff. Die Geschwindigkeit der kognitiven Entwicklungsschritte sowie die Fähigkeit, mit
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medial vermittelter Angst umzugehen, hängt von vielen Faktoren ab, nur zu einem geringen Teil vom Alter; vgl Dolase tv diskurs 2/2002, 30 ff. § 18 Abs 1 Nr 4 FSK-Grundsätze, abrufbar unter www.fsk.de.
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tion von Einzelszenen, sie brauchen also dann, wenn Angst aufgebaut wird, relativ bald eine Entspannungsphase, da sie noch nicht in der Lage sind, dem dramaturgischen Aufbau und der Lösung am Ende des Filmes zu folgen. Oft sind sie auch kognitiv gar nicht fähig, die Handlung in allen Einzelheiten zu verstehen. Das muss nicht unbedingt zu einer Beeinträchtigung führen, kann es aber dann, wenn das Verstehen der Handlung wichtig ist, um bspw Angst zu verarbeiten. Durch die Fixierung von Kindern auf einzelne Szenen dürfen diese nicht drastisch oder detailliert Gewalt darstellen, weil sich sonst solche Bilder bei Kindern gewissermaßen in die Erinnerung einbrennen. Zwölfjährige Kinder sind in der Lage, der filmischen Dramaturgie zu folgen. Physiologisch ist das Gehirn inzwischen ausgewachsen, allerdings befinden sie sich jetzt in der Phase der Pubertät und der Identitätsentwicklung. Man kann die Entwicklungsaufgaben in der Altersphase bis zum zehnten Lebensjahr als Prozess der Aneignung verstehen, in der Kinder sich ihre Umwelt zu eigen machen und die sozialen Sichtweisen der Umgebung zu verstehen und zu übernehmen versuchen. Sie sind in der Regel an den Werthaltungen und Sichtweisen der Familie bzw der Gruppe, in der sie aufwachsen, orientiert.46 In der Pubertät ist es zunächst eine wichtige Entwicklungsaufgabe, sich von der Bindung an die Eltern oder die Familie, die sich während der Kindheit fast übermächtig aufgebaut hat, zu lösen. Kinder bzw Jugendliche suchen nach alternativen Wertvorstellungen, Meinungen, Weltbildern und Lebensweisen. Alles, was vorher selbstverständlich war, wird in Frage gestellt: Heute wird diese oder jene Ideologie, Musikrichtung oder Literatur bevorzugt, nur um diese unmittelbar darauf durch eine neue zu ersetzen. Es herrscht das Chaos im Kopf, und es gelingt nur langsam, in dieses Chaos wieder eine Ordnung zu bringen. In dieser Phase ist die Lust auf Provokation besonders groß, und diese Provokation wird zum Teil auch über Identifikation mit Antihelden der Medien, die, ebenso wie die zuweilen während der Pubertät bevorzugten Musikstile, die Eltern und Lehrer oft verzweifeln lässt, ausgelebt.47 In dieser Altersphase findet die Entwicklung eines eigenen Wertesystems sowie des Ich-Gefühls statt. Thesen und Antithesen werden aufgebaut und verworfen, bis sich allmählich ein eigener Stil oder ein eigenes Wertesystem herauskristallisiert. Darüber hinaus wird in dieser Altersphase die Geschlechterrolle entwickelt. Diese Phase ist in modernen Gesellschaften besonders schwierig, denn Jugendliche sind nicht mehr Kind, sie sind aber auch noch nicht erwachsen. Sie sind geschlechtsreif, aber als Erwachsene fühlen sie sich erst, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen und einen Beruf gefunden haben. Dieser Prozess dauert in hoch zivilisierten Gesellschaften immer länger, was die Übergangsphase des Jugendalters verlängert (Postadoleszenz).48 In dieser Entwicklungsphase sind Kinder besonders anfällig für die Wertvorstellungen und Verhaltensstile, die durch die Medien transportiert werden. Ihre Werthaltungen sind, wenn auch meist nur vorübergehend, absolut. Kompromisse oder Relativierungen fallen schwer. Zwar können sie die Dramaturgie von Filmen durchschauen, aber bestimmte Werthaltungen der Filmfiguren können sie, zumindest vorübergehend, stark beeinflussen. 46
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Eine ausführliche Beschreibung der Entwicklungsstufen s von Gottberg Jugendschutz in den Medien 67 ff. Durch alle Kulturen hindurch ist die Pubertät die Phase des Probierens, der Tabuüberschreitung und der Provokation; s auch Farin tv diskurs 3/2006, 20 ff. In der Jugendforschung herrscht weitgehende
Übereinstimmung darüber, dass das Jugendalter in der gesetzlichen Festlegung (14–18 Jahre) unzureichend bestimmt ist. In Gesellschaften, in denen Heranwachsende mit einer Vielzahl von problembelasteten Situationen konfrontiert sind, beginnt die Jugend für Viele früher, Merkens/Zinnecker 203.
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Dies betrifft vor allem die Geschlechterrollen: Mangels eigener Erfahrungen konstruieren sie sich nicht zuletzt aus den medialen Angeboten ihre Vorstellung darüber, wie man als Mann oder Frau zu sein hat, was von einem erwartet wird und wie man mit dem jeweils anderen Geschlecht oder den daraus erwachsenden Beziehungen umgeht. Bei der Freigabe von Filmen ist darauf zu achten, dass kein Rollenverhalten vorgelebt wird, dass die Stärke und Macht eines Geschlechts über das andere setzt: Die Gleichberechtigung der Geschlechter, wie unsere Verfassung sie will, ist zu beachten. In Bezug auf die Darstellung von Gewalt muss vor allem auf die Einhaltung rechts53 staatlicher Prinzipien geachtet werden. In dieser Altersphase herrscht noch ein Ungleichgewicht von Gerechtigkeit und Recht. Die Bereitschaft, Selbstjustiz zu befürworten, ist oft dann groß, wenn staatliches Handeln nicht in der Lage ist, den vermeintlichen Täter zu bestrafen. In den letzten Jahren haben sich in den vorrangig an Jugendliche gerichteten Musik54 sendern (allen voran MTV) immer wieder neue Formate entwickelt, in denen Jugendliche gesellschaftliche Tabus in einer Art Spielshow austesten (Jack Ass, Freakshow). Dazu gibt es im Bereich des Jugendschutzes unterschiedliche Haltungen. Während die einen meinen, dies gehöre zu einer normalen Entwicklung dazu, insbesondere dann, wenn Erwachsene kein Verständnis dafür haben, sind die anderen der Meinung, dass auch die spielerische Verletzung von Tabus mit Personen, die dies freiwillig mitmachen (bspw Spiele, bei denen die Gefahr der Verletzung besteht) jugendbeeinträchtigend ist oder gar ein gefährdendes Modell sein könnte.49 Bei Sechzehnjährigen ist die wichtigste Phase der Wertentwicklung und Identitätsent55 wicklung abgeschlossen. Sie unterscheiden sich von Achtzehnjährigen aus psychologischer Sicht nur noch in der Differenzierung. In den meisten europäischen Ländern (mit Ausnahme von Deutschland und Großbritannien) endet das Jugendschutzalter daher mit 16 Jahren. Der Anteil der Filme, die bei der FSK keine Jugendfreigabe erhalten, ist deshalb auch sehr gering.50 Es handelt sich dabei vor allem um solche Gewaltdarstellung, die besonders eindringlich sind und für die keine Relativierung durch den Kontext zu Verfügung steht.
V. Darstellung von Sexualität 56
In keinem anderen Bereich hat sich der gesellschaftliche Wertewandel so deutlich auf die Spruchpraxis des Jugendschutzes ausgewirkt wie bei sexuellen Darstellungen. Während in den fünfziger Jahren Filme allein deshalb nicht für Jugendliche freigegeben wurden, weil außereheliche Sexualität auch nur thematisiert wurde, ist heute selbst die Darstellung nackter Menschen allein kein Jugendschutzkriterium mehr, selbst für Sechs-
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Mit diesen Argumenten stufte die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) im Jahre 2001 verschiedene Folgen des Formates Freak Show als offensichtlich schwer jugendgefährdend ein. MTV klagte dagegen, teilweise mit Erfolg. Das VG München vertrat die Auffassung, die offensichtlich schwere Jugendgefährdung müsse jedem ungefangenem Beobachter unmittelbar deutlich werden
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(VG München Urteil vom 4.11.2004 – M 17 K 02.5297). Das Berufungsverfahren endete mit einem Vergleich. Der Sender verpflichtete sich, bei weiteren Ausstrahlungen auf besonders eindringliche Szenen zu verzichten. Viele Experten fordern daher, auch in Deutschland die höchste Altersgrenze auf 16 Jahre zu senken. So Knoll tv diskurs 4/1999, 66 ff.
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jährige nicht. Auch mögliche sexuell stimulative Effekte allein stehen heute nicht mehr unter Jugendschutzgesichtspunkten in der Debatte.51 Während man lange Zeit befürchtete, durch die Konfrontation mit medialer Sexualität würden Pubertierende zu immer früheren sexuellen Erfahrungen animiert (Verfrühung), geht es heute eher darum, Heranwachsende vor medial vermittelten Normalitätskonzepten zu bewahren, die zB sexuelle Erfahrungen als notwendige Voraussetzung darstellen, um in der sozialen Gruppe akzeptiert und anerkannt zu werden.52 Der sexuelle Reifungsprozess läuft in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit ab. Jugendliche sollen selbstbestimmt und unabhängig von medialen Darstellungen über ihr Verhalten entscheiden können. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt ist das durch sexuelle Darstellungen vermittelte Geschlechterbild. Die Reduzierung der Frau auf die Rolle des Lustobjekts oder die Stilisierung des Mannes als ständig potenten Sexualpartner gehören zu den Klischees, die zahlreiche Softerotikfilme vermitteln. Pubertierende können diesen Darstellungen noch keine eigenen Erfahrungen entgegensetzen und deshalb dadurch übermäßig beeinflusst werden. Dies steht der pädagogisch gewollten Selbstbestimmung und der grundgesetzlich garantierten Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen. Im Gegensatz zu der Wirkung medialer Gewalt gibt es bzgl der Wirkung sexueller Darstellungen wenig für den Jugendschutz relevante Forschung. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass man es aus ethischer Sicht kaum vertreten kann, Kinder und Jugendliche bewusst mit medialen Inhalten zu konfrontieren, die sie möglicherweise gefährden könnten. Da die Vorliebe für gewalthaltige Programme häufiger und offener zugegeben wird, ist es im Bereich der Forschung von Gewaltdarstellungen leichter, Gruppen mit unterschiedlichen Programmvorlieben zusammenzustellen. Ein großer Teil der Forschung stammt aus den USA, wo man keine Probleme damit hat, zu Forschungszwecken auch junge Kinder mit Gewaltdarstellungen zu konfrontieren. Das Gleiche wäre mit erotischen oder gar pornografischen Darstellungen undenkbar. Ergebnisse der Jugendforschung und der Sexualwissenschaft weisen darauf hin, dass sich trotz der unbestrittenen Liberalisierung sexueller Darstellungen in den Medien das durchschnittliche Alter erster sexueller Erfahrungen seit den siebziger Jahren nicht wesentlich nach unten verändert hat.53 Auch die Befürchtung, der sexuelle Lustgewinn könnte durch die mediale Präsens sexuell stimulativer Bilder die Beziehungen zwischen jungen Menschen zu Lasten zwischenmenschlicher Emotionen und Verantwortungen dominieren, scheint sich angesichts des hohen Stellenwerts eher konservativer Werte wie Treue und Zuverlässigkeit bei Jugendlichen nicht zu bestätigen.54 Jugendliche wollen zwar über die Sexualität der Erwachsenen gut informiert sein, aber sie antizipieren dies eher in der Phantasie als in ihrer Realität.55
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Für einen Überblick über den Wertewandel seit den 50er Jahren s ua von Gottberg Sexualität und Jugendschutz tv diskurs 1/2001, 60 ff. Das fordert ua Scarbarth tv diskurs 1/1997, 40 ff. Eine jährliche Vergleichsstudie über die Einstellung Jugendlicher zu sexuellen Werten wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt, vgl Amman tv diskurs 1/1998, 80 ff.
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Vgl Merkens/Zinnecker 317, danach wird der Familie ein „beachtlich hoher Stellenwert“ eingeräumt, 90 % der Jugendlichen gaben an, ein „insgesamt gutes Verhältnis“ zu ihren Eltern zu haben, 70 % würden ihre Kinder ähnlich erziehen wie ihre Eltern. Vgl Schmidt tv diskurs 1/2001, 46 ff, sowie Sigusch Thrill der Treue tv diskurs 1/2001, 38 ff.
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Im Zentrum der Kriterien des Jugendschutzes stehen also vor allem die vermittelten Normalitätskonzepte und die Selbstbestimmung: Jugendliche sollen nicht aufgefordert werden, etwas zu akzeptieren, was sie selbst nicht wollen, sexueller Lustgewinn soll nicht isoliert von Gefühlen und Verantwortung dargestellt werden und nicht durch psychischen oder materiellen Druck einseitig zustande kommen. Ebenso wird ein Geschlechterbild, das nicht auf der Gleichwertigkeit von Mann und Frau beruht, für Heranwachsende als kritisch angesehen, vor allem dann, wenn sich die agierenden Personen als Vorbilder für Heranwachsende eignen.56 Im Bereich des Jugendschutzes ist die Wirkung von sexuellen Darstellungen mit ausschließlich stimulativer Absicht (zB Pornografie) auf Jugendliche über 16 Jahren umstritten. Es geht dabei um die Frage, ob die Reduzierung von zwischengeschlechtlichen Partnerschaften auf den sexuellen Lustgewinn und das Fehlen von Gefühlen, Verantwortung und Bindung, wie sie typisch für Erotik- und Pornofilme ist, für Kinder oder Jugendliche überhaupt eine Relevanz für die Bildung der Geschlechteridentität hat. Denn auch Jugendlichen ist inzwischen klar, dass der Reiz der Pornografie gerade darin besteht, dass sie Fantasiebilder anbietet, die absolute jenseits realer Erfahrungen liegen. Jeder auch noch so junge Mensch kann angesichts seines realen Umfelds erkennen, dass Menschen nicht permanent nackt und sexuell stimuliert sind oder ohne jede persönliche Beziehung miteinander praktisch dauernd Geschlechtsverkehr haben. Hinzu kommt, dass es sich bei den Protagonisten pornographfischer Filme nicht um professionelle Schauspieler handelt, so dass ihre Inszenierung nicht den Eindruck vermittelt, als habe dies etwas mit dem wirklichen Leben zu tun. Gerade die schlechte künstlerische und technische Qualität der Pornografie sowie die Reduzierung auf sexuelle Stimulans verhindert, dass solchen Erzeugnissen ein Vorbild- oder Modellcharakter zueigen ist. Mikos weist darauf hin, dass es auch in anderen Bereichen auf bestimmte Körperaktivitäten reduzierte Darstellungen gibt, ohne dass ihnen vorgeworfen würde, einen einseitigen Modellcharakter zu besitzen. Bspw würde bei einem abgefilmten Fußballspielen niemand befürchten, dass die Reduzierung auf körperliche Aktivitäten und die enorme Leistungsfähigkeit der Sportler auf den Zuschauer die Wirkung hätte, körperliche Leistungsfähigkeit ohne andere zwischenmenschliche Bezüge als Lebensinhalt zu erlernen oder Versagensängste zu empfinden, wann man selber die Leistung nicht erbringen kann: „All diesen Genres ist gemeinsam, dass die Handlung nicht im Mittelpunkt der Filme steht. Während es im Actionfilm in erster Linie um die Action geht, in den Gag-Komödien um die Gags, in den Musicals um die Gesangs- und Tanznummern, stehen die verschiedenen Variationen sexueller Praktiken im Mittelpunkt der Erotik-, Sex- und Pornofilme. Das Genre wird nicht durch spezifische Arten von Handlungen bestimmt, sondern durch einzelne, aneinander gereihte Elemente, die sich in Variation immer wiederholen.“ 57 Auf der anderen Seite wird gerade in dieser Reduzierung der Sexualität auf den ausschließlichen Lustgewinn eine gefährdende Wirkung gesehen, und es wird gefordert, eines der wesentlichen Unterscheidungskriterien zwischen Pornografie und Erotik darin zu sehen, dass Erotik über eine Geschichte jenseits der sexuellen Lustbefriedigung verfügt. Nur so könne eine Fixierung auf den sexuellen Lustgewinn vermieden werden. Dass die Medien bei der Konstruktion von Identität und Geschlechterrolle eine wichtige Rolle spielen, ist in der Wissenschaft unumstritten. Allerdings wird im Hinblick auf
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Richtlinien zur Anwendung der PrO-FSF § 10.
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Vgl Mikos tv diskurs 1/1997, 57 ff.
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diesen Prozess eher von Spielfilmen, Fernsehserien oder Daily Soaps ausgegangen. Buckingham 58 sieht darin eine Art Fenster zur Erwachsenenwelt: Kinder und Jugendliche können sich so auf die Probleme des Heranwachsens vorbereiten, sie erfahren, was sie später in Beziehungen erwartet, wie man sich verliebt, aber auch, welche Schmerzen empfindet, wenn sich der geliebte Partner trennt. Sie können sich auch ein Bild über Sexualität machen, ohne dabei selber aktiv werden zu müssen. Ob sich das auch auf Pornografie bezieht, ist ungewiss, denn auf all diese Fragen gibt 66 sie keine Antwort. Ihre stimulative Absicht richtet sich eher an Ältere, für Jugendliche stellt sie angesichts ihrer Entwicklungsaufgaben meist eine Überforderung dar. Sie beschäftigen sich stark mit der Frage, wie man dem gewünschten Partner seine Liebe gesteht, wie man mit der Angst umgeht, dass diese nicht erwidert werden könnte und wie man sich auf die jeweiligen Wünsche und Ziele – dazugehört dann auch unter anderem die Sexualität – einstellt. Pornografie stellt aus Sicht der Jugendlichen die sexuellen Wünsche der Alten dar, von denen sie sich selbst eher abgrenzen wollen.59 In der Gesellschaft gibt es jedoch große Ängste vor möglichen schädlichen Wirkungen 67 der Pornografie: „Als Gefahren des Pornographiekonsums seien die Herabsetzung der sexuellen Kontrolle, der Abbau von Inhibitionen gegenüber einigen Verhaltensweisen, die Verhinderung von Harmonisierung der Triebrichtungen, die Verursachung von Sexualdelikten, gravierende Persönlichkeitsstörungen, Nachteile für partnerschaftliche Beziehungen, Nachteile für die allgemein-seelische und insbesondere für die sexuelle Reifung, der Verursachung der Überbewertung der Sexualität im menschlichen Leben und die Hervorrufung einer entwürdigenden Einstellung zu Angehörigen des anderen Geschlechts für nicht unwahrscheinlich gehalten worden.“ 60 Betrachtet man dagegen die Forschungslage zur Wirkung von Pornografie,61 fällt auf, 68 dass es sich meist um Schreibtischtheorien handelt, die möglicherweise mehr über die ethische Grundposition der Autoren als über die Wirkung aussagen. Vor allem staatliche Kommissionen – zusammengesetzt aus Medienpsychologen und anderen Sozialwissenschaftlern – haben sich in den USA mit den Wirkungen des Medienkonsums von Pornografie und sexuell explizitem Material beschäftigt, da ab den 1970er Jahren verstärkt Bedenken der Öffentlichkeit über mögliche negative Wirkungen von Pornografie auf die sexuelle Moral bei der Regierung in Washington vorgebracht worden waren. Einige befürchteten, dass die Gesellschaft durch eindeutige pornografische Darstellungen „übersexualisiert“ 62 würde und sich Anomalien zu Alltäglichkeiten entwickelten, was zu einem Problem der Gesellschaft werden könnte. Vertreten wurde auch, durch die Pornografie würde der Vergewaltigungsmythos und der Nymphomaniemythos verbreitet. Andere dagegen betrachteten einen liberalen Umgang mit diesem Thema als Teil einer sexuellen Revolution.
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Eine interessante Studie zu diesem Thema wurde von den britischen Regulierungsbehörden in Auftrag gegeben. Darin wird darauf hingewiesen, dass Kinder und Jugendliche von den vielfältigen Medienangeboten nicht überwältigt sind, sondern dass ihnen ständig neue Entscheidungen abverlangt werden: wer sie sein wollen, was sie denken und für wie alt sie sich halten wollen (Bragg/Buckingham 34 ff). So berichtet Margit Tetz als Leiterin des
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Dr.-Sommer-Teams bei der Jugendzeitschrift BRAVO über ihre Erfahrungen mit jungen Lesern, die sich mit Fragen und Problemen an BRAVO wenden, vgl Tetz tv diskurs 2/2001, 70 ff. Vgl Ulich 69. Einen Überblick über die Forschungslage aus der Sicht des Jugendschutzes bieten Knoll/Müller 57 f. Zillmann 566.
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Zu den Gegnern gehört auch die feministische Sichtweise, die in der Pornografie vor allem Gewalt und die Missachtung des Mannes gegenüber der Frau sieht und befürchtet, dass sich dieses Geschlechterverhältnis durch die Pornografie verstärkt. Um die feministische Sicht auf das Thema Pornografie besser einordnen zu können, sei hinzugefügt, dass sog Prozensur-Feministinnen wie Andrea Dworkin oder Catharine MacKinnon eine Unvereinbarkeit zwischen der Freiheit einer Frau und ihrer Mitwirkung an sexuellen Beziehungen zu Männern voraussetzen. Das heißt, jeder heterosexuelle Geschlechtsverkehr wird mit Vergewaltigung gleichgesetzt.63 In eine ähnliche Richtung ging die 1988 von der Zeitschrift Emma und ihrer Chefredakteurin Alice Schwarzer gestartete Kampagne PorNo. Schwarzer forderte, Pornografie wie folgt zu definieren: „Pornographie ist die verharmlosende oder verherrlichende, deutlich erniedrigende sexuelle Darstellung von Frauen oder Mädchen in Bildern und/oder Worten, die eines oder mehrere der folgenden Elemente enthält: die als Sexualobjekte dargestellten Frauen/Mädchen genießen Erniedrigung, Verletzung oder Schmerz; die als Sexualobjekte dargestellten Frauen/Mädchen werden vergewaltigt – vaginal, anal oder oral; die als Sexualobjekte dargestellten Frauen/ Mädchen werden von Tieren oder Gegenständen penetriert – in Vagina oder After; die als Sexualobjekte dargestellten Frauen/Mädchen sind gefesselt, geschlagen, verletzt, misshandelt, verstümmelt, zerstückelt oder auf andere Weise Opfer von Zwang und Gewalt.“ 64 Schwarzer forderte, zivilrechtlich eine Klagemöglichkeit von Frauen gegen die Pornoindustrie zu schaffen. Grds kann man der Definition zustimmen, allerdings gibt es solche Darstellungen in der „weichen“ Pornografie nicht, jedenfalls nicht aus der Sicht des objektiven Betrachters. Denn solche Darstellungen würden als Gewaltpornografie unter § 184 Abs 3 StGB fallen. Dennoch hat sich auch der Deutsche Bundestag mit den Vorschlägen Schwarzers beschäftigt. „Die Diskussion erregte vor allem moralisch kaum. Die Debatte in der von der SPD-Bundestagsfraktion initiierten Anhörung am 13. und 14. September des Jahres 1988 verlief durchweg sachlich, selbst Beate Uhse und die Pornofilm-Darstellerin Biggy Mondi durften sich äußern. Sinn und Zweck der Anhörung war es gewesen, herauszufinden, ob die gesetzlichen Handhaben ausreichten, um die harte Pornographie zu bekämpfen, was bei einer vorgesehenen Strafe von bis zu einem Jahr Freiheitsentzug und Geldbußen bis zu 1,8 Millionen Euro bejaht werden musste.“ 65 In den 1970er Jahren wurde im Jugendschutz die sog Spiraletheorie vertreten: der 70 Konsum sexuell stimulierender Bilder führe zu einem Verlangen nach immer stärkeren sexuellen Reizen und Tabuüberschreitungen bis hin zur Pornografie und später zur harten Pornografie. Diese Theorie gilt inzwischen als widerlegt. Der Psychologe Henner Ertel 66 führte zur Frage der Wirkung von Pornografie eine der wenigen empirischen Untersuchungen durch und konnte dabei wenige Änderungen bei Verhaltensweisen und Einstellungen beobachten: „Eine grobe Vereinfachung besteht […] darin, die sexuellen Fiktionen der pornographischen Fantasiewelten als Handlungsanweisungen für sexuelles Verhalten miss zu verstehen. Nur bei einem sehr kleinen Prozentsatz von Personen spielt diese mögliche Funktion eine Rolle; vermutlich ist sie meist auf einen bestimmten Abschnitt in der sexuellen Sozialisation begrenzt. Aber selbst in diesem Fall ist die dazwischen geschaltete Bedeutungskonstruktion der Konsumenten maßgebend dafür, wie die sexuellen Darstellungen wahrgenommen und verarbeitet werden.“ 67 Hinweise zu Bestätigung der Spiraletheorie fand Ertel nicht. Zwar wurde bei einigen Versuchspersonen ein 63 64 65 66
Dworkin 520; MacKinnon S 26 f. Schwarzer 44. Pastötter 80. Ertel 473, danach zeige sich in der Porno-
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grafie „der Bodensatz menschlicher Sexualität“. Ertel 20.
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Inhaltliche Schwerpunkte des Jugendmedienschutzes
verstärktes Interesse nach stärkerer Stimulans beobachtet, eine Veränderung sexueller Neigungen bspw in Richtung auf Kinderpornografie oder Gewaltpornografie wurden nicht beobachtet. Pornografie scheint danach eher Bedürfnisse zu bedienen, als sie zu schaffen oder auch nur zu verändern. Eine mögliche Beeinträchtigung durch Pornografie wird in einer wachsenden Unzu- 71 friedenheit mit der eigenen Sexualität gesehen. Scarbarth sieht die Gefahr, dass vor allem Jugendliche, die unter Selbstwertproblemen leiden und ihre eigene Sexualität im Vergleich zu den Phantasiewelten der Pornografie als unbefriedigend empfinden könnten.68 Ähnlich äußert sich auch Zillmann: „Ein erkennbarer Effekt der Pornographienutzung auf die allgemeine Lebenszufriedenheit ergab sich […] nicht. […] Die Beobachtung der exzessiven sexuellen Zufriedenheit anderer Personen, des utopischen Vergnügens in der Welt der Pornographie, führt tatsächlich zu sexueller Unzufriedenheit.“ 69 Dieser Effekt könnte auch zu einem gewissen Suchtverhalten führen, da die empfundene Unzufriedenheit mit der eigenen Sexualität einer Fixierung auf die Stimulans durch Pornografie und Masturbation anreizt. Insgesamt geht es bei den gesetzlichen Bestimmungen zur Pornografie wohl weniger 72 um Jugendschutz als um kulturelle Konventionen und empfundene Darstellungstabus. Die Vorstellung, etwas Unanständiges, sehr Intimes einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, stößt angesichts unserer kulturellen Tradition auf Unbehagen. Für diese kulturelle Grenze dient der Jugendschutz als Erklärung nach außen, indem man sich vorstellt, dass das, was man selber als unanständig empfindet, auf Kinder und Jugendliche eine noch stärker abstoßende oder verderbende Wirkung haben müsse. Bzgl der bereits zurzeit der Strafrechtsreform durch die Liberalisierung der Pornografie befürchteten Enthemmung bei Jugendlichen meinten schon damals die Sexualwissenschaftler Sigusch und Schmidt: “Das öffentliche Gerede vom Sexualchaos ist einfach fehlplaziert und dient ganz offensichtlich Profitinteressen. Zeitungen, Illustrierte, pseudowissenschaftliche Bücher und Filme werden, so lange es sich rentiert, Tag für Tag den Versuch unternehmen, die Sexualität der Jugend anhand fast durchweg belangloser oder sogar erfundener Einzelereignisse zu diffamieren. Diese Medien werden weiterhin so tun, als sei die gegenwärtige Jugendsexualität mit Schlagwörtern wie ‚Sexorgie‘, ‚Blutschande‘, ‚Zerfall der guten Sitten‘, ‚häufiger Partnerwechsel‘ und ‚Sexbesessenheit‘ zu charakterisieren. Lüsternen und frustrierten Erwachsenen wird hier Jugendsexualität bewusst zum Konsum vorgeworfen. Man hofft, dass Erwachsene ihre heimlichen, verbotenen Wunschträume und fantasierten Erlebnisse auf die Jugend projizieren. Doch diese Erwachsenen werden den Jugendlichen Sexualparadiese neiden, die es gar nicht gibt.“ 70 An dieser Sichtweise auf die Jugend hat sich bis heute nichts geändert. Das heißt 73 nicht, dass es eine exzessive Sexualität bei Jugendlichen nicht gebe. Das Problem besteht darin, dass einzelne Phänomene als typisch für eine gesamte Generation herangezogen werden.71 Repräsentative wissenschaftliche Untersuchungen, die geeignet wären, Einzelphänomene in einen statistischen Zusammenhang anzuordnen, schaden der beabsichtigten Empörung und werden deshalb ignoriert.
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Scarbarth tv diskurs 1/1997, 40, 47. Zillmann 565, 579. Sigusch/Schmidt 58. Ein typisches Beispiel: Wüllenweber stern 06/2007, 67 ff, hier entsteht der Eindruck, Jugendliche wären beim Sex ihrer Eltern
dabei, würden ständig Pornografie konsumieren und seien regelmäßig auf Gang-BangPartys zu Gast. Dies sei die Folge der medialen Sexualisierung, früher hätten Jugendliche Sexualität untereinander gelernt.
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Kapitel 2 Jugendmedienschutz (ohne Strafrecht)
7. Teil
VI. Weitere neue Fernsehformate 1. Aktuelle Programmtrends im Fernsehen
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Bereits seit Mitte der neunziger Jahre ist ein Trend zu beobachten, der den Jugendschutz vor neue inhaltliche Probleme stellt. Während der Anteil fiktionaler Programme im Fernsehen zurückgeht, entstehen immer mehr Mischformate, in denen Realität, Spiel, Spontanität und redaktionelle Vorgaben miteinander kombiniert werden. Begonnen hat diese Entwicklung mit den Talkshows, die dann später von den Gerichtsshows abgelöst wurden. Aber auch Big Brother oder das sog Dschungel-TV vermischen Realität und Showelemente. 2. Zum Identifikationspotential von Reality-Shows
Das inhaltliche Problem besteht darin, dass alle Untersuchungen über die Wirkung von Medieninhalten sowie die meisten Kriterien des Jugendschutzes zur Bewertung von Filmen oder Fernsehprogrammen an fiktionalen Unterhaltungsfilmen ausgerichtet sind. Filme wollen den Zuschauer für eine bestimmte Zeit in eine Scheinrealität mitnehmen und über attraktive Identifikationsfiguren fesseln. Die Figuren in den Reality-Shows sind hingegen keine Medienprofis, sondern Menschen, wie man sie sie aus dem realen Leben kennt und es stellt sich die Frage, inwiefern sie als Identifikationsfiguren dienen. Zu dieser Frage gibt es im Jugendschutz verschiedene Auffassungen. Die einen folgen 76 der auch in der Bevölkerung verbreiteten Überlegung, dass die Wirkung von scheinbar abgefilmter Realität stärker sei als die von fiktionale Filmen. Die bei Filmen bestehende Distanz, die aus dem Wissen resultiert, dass es sich um inszenierte, erfundene Geschichten handelt, würde fehlen, wenn der mediale Inhalt den Eindruck vermittelte, er bilde Realität ab. Die anderen bezweifeln, dass allein die Tatsache, dass solche Sendungen zum Teil vor77 geben, den Zuschauer an der Realität anderer teilnehmen zu lassen, dazu führt, dem Geschehen eine Vorbildfunktion für das eigene Verhalten oder das eigene Denken zu geben.72 Betrachtet man die bisher zu diesem Thema durchgeführten Untersuchungen 73, die sich vor allem mit den Talkshows beschäftigten, so scheint dies nur bei einer relativ kleinen Gruppe in einer bestimmten Altersphase der Fall zu sein. Schon bei den Talkshows, stärker aber noch bei Big Brother oder bei Ich bin ein Star – 78 Holt mich hier raus! wurde in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob es einem Sender erlaubt sein darf, Menschen, die aufgrund mangelnder Medienerfahrung die Folgen ihrer Teilnahme an einer Sendung möglicherweise nicht richtig einschätzen können, einem Millionenpublikum zu präsentieren und sich vor diesem möglicherweise zu blamieren.74 Einige sahen darin sogar einen Verstoß gegen den in Art 1 GG garantierten Schutz der Menschenwürde.75 Zwar waren diese Themen verschiedenen Male Gegenstand von Diskussionen in den Aufsichtsbehörden, eine Beanstandung ist jedoch bisher nie ausgesprochen worden.76
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Einen Überblick über die Entstehung und Geschichte solcher Formate, die auf Skurriles und den Tabubruch setzen, gibt Sander tv diskurs 3/2004, 50 ff. ZB Göttlich/Krotz/Paus-Hase 151. So Hochstein tv diskurs 1/1997, 20 ff. Vgl Dörr; Dörr untersuchte die Frage des
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Verstoßes gegen die Menschenwürde und arbeitet gut anwendbare, nachvollziehbare Kriterien aus, letztlich verneint er dies aber, 90 ff. Unter anderem forderte der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Kurt Beck die Landesmedienanstalten auf, Big Brother
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§3
Jugendschutzaspekte im Strafrecht
Auch die Gerichtsshows im Fernsehen wurden häufig kritisiert. Sie stellen eine 79 Mischung aus Realität und Fiktion dar. Zwar handelt es sich um tatsächliche Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, die für diese Shows beurlaubt sind, die Fälle sind jedoch frei erfundene Geschichte, alle anderen beteiligten Personen sind Schauspieler. Dies erzeuge, so die Kritik, den Eindruck, in den Gerichtsshows würde das reale Geschehen in Gerichtssälen wiedergegeben.77 In der Tat folgt die Inszenierung der Gerichtsshows mehr dem Unterhaltungswert als dem normalen Alltag im Gericht. Die Fälle sind extrem konstruiert, Zeugen und Angeklagte schreien sich an und beschimpfen sich, die Richter bemühen sich mit unterschiedlichem Erfolg, eine angemessene Disziplin herzustellen. Allerdings scheinen Jugendliche zu durchschauen, dass der Wahrheitsgehalt solcher Shows begrenzt ist. Bei einer Befragung von Jugendlichen (8. Klasse) waren diese durchaus in der Lage, den Showcharakter zu erkennen. Einen Einfluss der Gerichtsshows auf ihre Vorstellung von Recht und Gericht war nur bei den jüngeren auszumachen. „Es gibt jedenfalls nach unseren Ergebnissen keinen Grund zu größerer Besorgnis. Im Gegenteil: Einige der Schülerantworten zeugen im Hinblick auf Handlungsroutinen demokratischer Institutionen von einem hohen demokratischen Bewusstsein und gefestigten moralischen Begründungen.“ 78 Unter Jugendschutzgesichtspunkten sind Gerichtsshows vor allem im Tagesprogramm 80 dann ein Problem, wenn Kinder Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung sind und diese aus dem Geschehen als Opfer hervorgehen. Hier ist bei jungen Rezipienten die Bereitschaft zur Identifikation besonders hoch und es besteht die Gefahr, dass sie existenzielle Ängste entwickeln, wenn Kinder Opfer von Verbrechen oder von Streitereien um das Sorgerecht werden, ohne dass dies letztlich positiv endet. Problematisch werden auch kurze Einspieler gewertet, die nachgespielte gewalttätige Auseinandersetzungen darstellen. Junge Zuschauer, die den Spielcharakter der Gerichtsshows noch nicht sicher identifizieren, könnten dadurch übermäßig verängstigt werden.79
§3 Jugendschutzaspekte im Strafrecht Im Strafgesetzbuch werden verschiedene Verbote für bestimmte Medieninhalte ausge- 81 sprochen. Medien können nach ihrem Erscheinen auf dem Markt von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und später ganz oder in Teilen von einem Gericht verboten werden. Eine ausführliche Darstellung strafrechtlicher Aspekt im Medienbereich findet sich in Teil 7 Kap 3 Rn 215–258 dieses Handbuchs. Hier soll nur auf einige Fragen eingegangen werden, die häufig in Zusammenhang mit dem Jugendschutz gestellt werden. In der Praxis des Jugendschutzes sind vor allem §§ 131 und 184 Strafgesetzbuch (StGB) 82 relevant.
wegen des Verstoßes gegen die Menschenwürde zu verbieten, und das vor der Ausstrahlung. Damit brachte er die Anstalten in eine schwierige Lage, da sie als Befehlsempfänger für politische Wünsche gegolten hätten, wenn sie darauf eingegangen wären. Zu
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den Argumenten Becks s Beck tv diskurs 3/2000, 42 ff. Vgl Machura 83 ff. Büttner tv diskurs 3/2003, 26, 33. Vgl Jahresbericht der FSF 2005, 44 ff, abrufbar unter www.fsf.de.
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7. Teil
I. Gewaltdarstellungen § 131 StGB verbietet die Herstellung, die Verbreitung oder den Import von Schriften (worunter alle Medien gefasst werden), „die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Tätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder das Unmenschliche des Vorganges in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt.“ 80 Das Ziel dieser gesetzlichen Bestimmung ist es, bereits die Herstellung, die Verbreitung 84 oder den Import besonders grausamer Darstellungen unter Strafe zu stellen und dadurch zu verhindern. Von Wirkungen ist im Strafgesetzbuch nicht die Rede. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass die hier bezeichneten Medieninhalte grds jugendgefährdend und sozialschädlich sind. Bei der Formulierung dieser gesetzlichen Bestimmungen musste darauf geachtet werden, dass die Kriterien den Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes 81 entsprechen, um zu vermeiden, dass hier für den Bürger unkalkulierbaren Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden Tür und Tor geöffnet wird. Damit würde die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit de facto stark eingeschränkt, weil sie nicht mehr mit der wünschenswerten Rechtssicherheit ausgeübt werden könnte.82 Herausgekommen ist eine Ansammlung von normativen Tatbestandsmerkmalen, die nach der Überzeugung vieler Fachleute in der Praxis wenig handhabbar ist. Betrachtet man zB die Filme, die bisher bundesweit beschlagnahmt worden sind, so ist das Ergebnis in der Tat unbefriedigend: das Gewaltpotential der beschlagnahmten Filme ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite sind viele erheblich brutalere Filme nicht erfasst worden, dafür sind auf der anderen Seite Filme verboten worden, die Kenner als vergleichsweise harmlos einstufen. Vielfach beruhen die Beschlagnahmungen auf dem Beschluss eines Staatsanwaltes, der im Eilverfahren von einem Gericht bestätigt wurde: Da normalerweise die Staatsanwaltschaft aktiv wird, nachdem der Film bereits für die Firma seinen Gewinn eingespielt hat, hat die Firma meist gegen die Einziehung des Filmes keinen Widerspruch eingelegt, so dass oft kein ordentliches Gerichtsverfahren folgte. Die Bestimmungen des § 131 StGB sind schon verschiedene Male geändert bzw er85 gänzt worden, weil oft der Eindruck entsteht, dass Filme oder Computerspiele mit äußerst brutalen Inhalten nicht unter diese Bestimmung fallen. Bei Computerspielen bestand lange das Problem, dass es sich bei den im Spiel getöteten Figuren nicht um real abgebildete Menschen, sondern um animierte, menschenähnliche Wesen handelt. Dies galt lange als Argument, um die Bestimmungen auf Computerspiele nicht anzuwenden. Deshalb wurde der § 131 StGB 2003 entsprechend ergänzt. Aber offensichtlich sind die Hürden, um Computerspiele mit dieser Regelung zu erfassen, immer noch zu hoch, denn inzwischen wird wieder über eine Erweiterung nachgedacht.83 Ein erster Hinweis bei der Beurteilung, ob ein Film unter die Bestimmungen des § 131 86 StGB fällt, ist die massive Aneinanderreihung detaillierter brutaler Gewaltdarstellungen. Wo andere Filme ausblenden, wird hier die Gewalt fast in Echtzeit dargestellt. Sie wird nicht durch den Kontext relativiert, sie ist Gegenstand des Filmes und spekuliert auf
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Zum Schriftenbegriff siehe Teil 7 Kap 3 Rn 48–54. Art 103 Abs 2 GG. Vgl von Hartlieb Zur Auslegung der Neufassung des § 131 StGB, 12 und von Hartlieb/ von Gottberg 33, die im Sinne des Gesetzgebers aus Sicht der FSK argumentieren;
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Schönke/Schröder/Lenckner § 131 StGB Rn 2 ff vertritt die Auffassung, dass der § 131 aufgrund mangelnder Bestimmtheit nur in einigermaßen eindeutigen Fällen angewendet werden kann. S hierzu Sulzbacher JMS-Report 5/2003, 5 ff.
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§3
Jugendschutzaspekte im Strafrecht
einen Zuschauer, der sie genießt. Die Gewalt muss aber auch „grausam oder sonst unmenschlich“ sein. Da aber im Grunde jede Darstellung einer Gewalttat grausam ist, ohne dass sie verboten werden müsste, muss es sich um eine besonders grausame Darstellung handeln, beispielsweise einen Täter, der großes Vergnügen darin findet, Menschen möglichst schmerzvoll zu quälen und dabei gnadenlos zu töten. Und dies muss detailliert gezeigt werden. Das allein reicht aber nicht aus, denn der § 131 stellt nicht nur auf die Ebene der Dar- 87 stellung ab, sondern er fragt nach der Zielsetzung des Inhalts. Eine brutale Gewaltdarstellung könnte auch das Ziel verfolgen, den Betrachter genau gegen diese Gewalt emotional einzunehmen, was letztlich einer Verurteilung der dargestellten Gewalt gleichkäme. Die Darstellung muss deshalb eine Verherrlichung oder Verharmlosung von Gewalt allgemein zum Ausdruck bringen. Sie muss den Zuschauer nicht gegen, sondern für die Gewalt einnehmen. Das ist nicht so einfach nachweisbar, denn es handelt sich hierbei um die Interpretation dessen, was zB der Autor oder Regisseur eines Filmes zum Ausdruck bringen will. Selten stellen Medien jedoch Gewalt dar und fordert unverhohlen zur Nachahmung 88 auf oder drücken aus, dass sie die gewalttätigen Handlungen der Protagonisten gutheißen. Deshalb wurde im Jahre 1985 ein weiterer Aspekt hinzugefügt, da sich in der Praxis herausgestellt hatte, dass § 131 StGB für viele einschlägige Filme nicht angewandt wurde. Sind die Kriterien „Verherrlichung“ oder „Verharmlosung“ nicht nachzuweisen, fällt ein Inhalt nun auch unter diese Bestimmung, wenn er „das Grausame oder Unmenschliche des Vorganges in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt“. Aber auch diese Erweiterung des § 131 hat nicht sehr viel bewirkt, da hier nicht beurteilt werden soll, ob innerhalb der Darstellung die Würde eines oder mehrerer Menschen, die Opfer von Gewalttaten werden, verletzt wird, denn dies ist ja wohl selbstverständlich: wenn ein Mensch Opfer eines Gewaltverbrechens wird, so tangiert dies immer seine Würde. Damit könnten dann mancher Tatort oder viele andere Krimis verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zum Verbot des Filmes „Tanz der 89 Teufel“ 84 festgestellt, dass der Film gegen die Würde des Menschen schlechthin gerichtet sein muss, indem er den Eindruck vermittelt, als wäre die Verletzung der Menschenwürde durch brutale Gewalt ein normaler, erlaubter oder gar begrüßenswerter Akt. Dies bei einem Film nachzuweisen ist jedoch ausgesprochen schwierig; denn natürlich bezieht sich der Film auf die dargestellten Personen und nicht auf Menschen schlechthin.
II. Pornografie 1. Kurzdarstellung der rechtlichen Ausgangslage Durch § 184 StGB werden pornografische Medien von vornherein zahlreichen Ver- 90 triebsbeschränkungen unterworfen, deren Ziel es ist, sie von Kindern fernzuhalten. Pornografie darf Personen unter 18 Jahren nicht angeboten, überlassen oder zugäng- 91 lich gemacht werden.85 Sie darf nicht an Kiosken oder im Versandhandel 86 angeboten oder verkauft werden, die öffentliche Vorführung von pornografischen Filmen im Kino ist untersagt.87 Die Vermietung pornografischer Trägermedien ist nur in Ladengeschäften 84 85 86
BVerfGE 87, 209. § 184 StGB Abs 1 Nr 1. § 184 StGB Abs 1 Nr 3.
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§ 184 StGB Abs 1 Nr 8, allerdings nur, wenn das Eintrittsgeld für den Film bestimmt ist (sog Entgeltklausel). So sollten Vorführungen
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7. Teil
gestattet, zu denen Kinder und Jugendliche keinen Zutritt haben und in die sie nicht einsehen können.88 Darüber hinaus ist es untersagt, für Pornografie zu werben. Das gilt nicht für sog inhaltsneutrale Werbung, die selbst keine pornografischen Darstellungen enthält und bei der die Tatsache, dass für Pornografie geworben wird, nicht unmittelbar erkennbar ist.89 Die Ausstrahlung pornografischer Darbietungen im Rundfunk ist verboten. Darunter sind live-Übertragungen sexueller Handlungen zu verstehen, fiktionale pornografische Darstellungen fallen nicht unter strafrechtliche das Verbot.90 2. Das Problem der Definition von Pornografie
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Was genau unter Pornografie zu verstehen ist, überlässt § 184 StGB der Rechtsprechung. Eine Definition von Pornografie ist im Gesetz nicht zu finden. Denn die Beurteilung dessen, was in einer Gesellschaft als pornografisch gilt, hängt sehr stark von der gesellschaftlichen Werteentwicklung ab, die einem ständigen Wandel unterworfen ist. Allerdings weist die Übersetzung des Begriffes „Pornografie“, Schreiben über Hurerei, schon darauf hin, dass es sich um ausschließlich auf die sexuelle Lust des Betrachters ausgerichtete detaillierte Schilderungen sexueller Vorgänge ohne zwischenmenschliche Beziehungen handeln muss. Bei der Verfolgung von pornografischen Inhalten hat sich die Staatsanwaltschaft lange 93 Zeit insbesondere auf die Darstellung der Geschlechtsorgane in sexueller Aktion und in Großaufnahme bezogen, so dass dies in der Praxis des Strafrechts das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen Softsexfilmen und pornografischen Filme geworden ist. Besonders befriedigend war das aus Sicht des Jugendschutzes nicht, da die Gefährdung eines Jugendlichen weniger in der Kenntnis der Geschlechtsorgane liegt als vielmehr in der Vermittlung unerwünschter Rollenbilder und Wertvorstellungen. Auf der anderen Seite ist es für den Händler, den Polizisten oder den Staatsanwalt nur mit hohem Aufwand möglich, die durch ein Werk vermittelte Wertvorstellung zu prüfen. Die Darstellung von Geschlechtsteilen in Großaufnahme kann jedoch jedermann ohne weiteres erkennen. In der allgemeinen Vorstellung werden Bilder, Filmsequenzen oder Texte, die stimu94 lativ (aus subjektiver Sicht) Sexualität von Menschen darstellen, schnell als Pornografie bezeichnet. Für den einen handelt es sich bereits bei der Darstellung eines oder mehrerer nackter Menschen um Pornografie, für den anderen muss schon der Koitus gezeigt werden. Die Haltung zu der Frage, was man selbst als pornografisch einschätzt und was nicht, hängt unmittelbar mit der individuellen Sexualmoral zusammen. Bei der Reform des Sexualstrafrechts in den siebziger Jahren wurde der damals gel95 tende Begriff der unzüchtigen Schriften durch den Begriff der pornografischen Schriften ersetzt. Ziel war es, den Begriff zu versachlichen und die Orientierung am vermeintlichen sittlichen Empfinden zu reduzieren.91 Im Vordergrund stand damals die Frage, ob pornografische Darstellungen geeignet sind, eine individuelle sozialethische Gefährdung zu erzeugen. Eine Anhörung von Sachverständigen zu dieser Frage führte zu keinem klaren Ergebnis. Vor allem bei Heranwachsenden sei zu befürchten, dass Pornografie eine einseitige Orientierung auf den sexuellen Lustgewinn und eine Reduzierung von Be-
in einschlägigen Etablissements möglich gemacht werden. Bis zur Einführung des Videorekorders haben zahlreiche Kinos statt einer Eintrittskarte eine Schallplatte oder ein Getränk angeboten, um das Verbot so zu umgehen.
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§ 184 StGB Abs 1 Nr 4; bzgl der Tathandlungen siehe Teil 7 Kap 3 Rn 156–180. BGH NJW 1977, 1695. So das BVerwG, NJW 1966 ff. Vgl Walther BPjM 3/2003, 3 ff.
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Jugendschutzaspekte im Strafrecht
ziehungsfähigkeit und Verantwortungsgefühlen zur Folge haben könnte. Daraufhin wurde beschlossen, Pornografie für Jugendliche zu verbieten, solange die Forschung nicht nachweisen kann, dass Pornografie auch für Minderjährige unschädlich ist.92 Auf eine Legaldefinition von Pornografie hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet, um die spätere Rechtsprechung nicht unnötig zu binden.93 Allerdings ist später weder der Versuch gemacht worden, die gesetzliche Bestimmung auf der Grundlage neuerer Forschungsergebnisse zu überprüfen noch hat bei der Definition des Begriffes Pornografie durch die Gerichte die aktuelle Forschungslage jemals eine Rolle gespielt. Stattdessen greift die Rechtsprechung heute immer noch auf die Definition des BGH zurück, der 1969 in seinem bekannten Urteil zu dem Roman Fanny Hill den Begriff unzüchtige Schriften definierte. Danach muss eine Schrift (oder andere Medien) ganz oder überwiegend das Ziel der sexuellen Stimulanz vorfolgen und den sexuellen Lustgewinn ohne zwischenmenschlichen Beziehungen verabsolutieren, wobei das Geschlechtliche grob aufdringlich und in übersteigerter oder anreißerischer Weise dargestellt wird und die Grenzen des gesellschaftlichen Anstands eindeutig überschritten werden.94 Auch diese Definition lässt eine Reihe von Interpretationen zu. Zunächst ist festzuhalten, dass das Ziel des Pornografieverbotes nicht in der Verhinderung einer möglichen sexuellen Stimulanz liegt. Der BGH hat dieses Kriterium vor allem deshalb eingeführt, um die Darstellung sexueller Vorgänge in der Pornografie von solchen Darstellungen abzugrenzen, die bspw wissenschaftlichen Zwecken, medizinischen Absichten oder der sexuellen Aufklärung dienen. Insgesamt zielt die Definition des BGH, positiv gesehen, vor allem darauf ab, bei Kindern und Jugendlichen die Integration der Sexualität in eine von zwischenmenschlichen Gefühlen und gegenseitiger Verantwortung getragene Beziehungsfähigkeit zu ermöglichen. Die Darstellung einer ausschließlich am sexuellen Lustgewinn orientierten Sexualität, so die Befürchtung, könnte eine solche Beziehungsfähigkeit beeinträchtigen. Die grob anreißerische Darstellung des Geschlechtlichen hingegen wurde wohl deshalb in die Definition aufgenommen, weil verhindert werden sollte, dass Menschen mit engeren sexuellen Moralvorstellungen durch entsprechende Darstellungen kompromittiert werden könnten (Konfrontationsschutz). Beim Pornografieverbot geht es also zum einen um Jugendschutz, zum anderen aber auch darum, in der Öffentlichkeit Darstellungen zu verhindern, die die Grenzen eines gesellschaftlichen Wertekonsenses überschreiten. Unklar ist allerdings, wie in einer pluralistischen Gesellschaft dieser Wertekonsens ausgemacht werden soll. Dies bleibt letztlich innerhalb eines sehr großen Ermessensspielraums der Einschätzung von Staatsanwälten und Richtern überlassen.95 Grundsatzurteile, die die Frage der Definition von Pornografie betreffen, gab es seit dem bekannten Fanny Hill-Urteil des BGH aus dem Jahr 1969 nicht mehr. Pornografische Druckerzeugnisse wurden nach der Strafrechtsreform in sog Sexshops angeboten, zu denen nur Erwachsene Zutritt erhielten. Sexuelle Darstellungen unterhalb der offensichtlichen Pornografieschwelle in Zeitschriften, Illustrierten oder Magazinen waren häufig Gegenstand von Indizierungsverfahren bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die ihrerseits eine Einschätzung vornahm, ob es sich um Pornografie handelte. Die Strafgerichte waren daher mit diesen Fällen nur selten beschäftigt. In den sieb-
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Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, BT-Drucks VI/3521, 843 ff. BT-Drucks VI/3521, 60.
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BGHSt 23, 40 ff, 1 StR 456/68 vom 22.7.1969. Vgl Benda tv diskurs 1/2001, 28 ff.
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ziger Jahren gab es zwar eine Reihe von Sexfilmen, die die Schwelle zur Pornografie überschritten, allerdings wurden diese durch die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) vor der Veröffentlichung geprüft und notfalls unter teilweise erheblichen Schnittauflagen in einer Fassung freigegeben, die nicht mehr als pornografisch gelten konnte. Erst in den neunziger Jahren, als private Fernsehsender vermehrt Sexfilme ausstrahlten, wurde wieder über die Frage der Grenzziehung zwischen den im Fernsehen erlaubten Sex- bzw Erotikfilmen und unzulässigen pornografischen Filmen diskutiert. 3. Vollständig verboten: Harte Pornografie (§ 184 Abs 3 StGB)
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Verboten sind die Herstellung und die Verbreitung sog harter Pornografie, worunter pornografische Darstellungen mit Kindern, mit Tieren oder mit Gewalt verstanden werden. Wichtig dabei ist, dass es sich nicht allein um sexuell stimulative Darstellungen, sondern um Pornografie handeln muss. Im Bereich der Gewalt (Darstellungen, die sadistische Neigungen bedienen) kommt es oft gar nicht zu sexuellen Handlungen, so dass es hier schwer fällt, von Pornografie zu sprechen. Öfter kommen vollzogene Vergewaltigungen vor, die Androhung von Gewalt zum Erzwingen des Geschlechtsakts reicht nicht aus. Dies beklagt Schreibbauer: „Bedenkt man aber, dass es für ein potentielles Opfer, zB einer Vergewaltigung keinen großen Unterschied macht, ob die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung durch eine Gewaltanwendung oder -androhung verursacht wird, und berücksichtigt man zudem, dass auch die sexuelle Entwicklung von Minderjährigen und jungen Erwachsenen durch Darstellungen, die eine Verbindung zwischen Nötigungen und sexueller Befriedigung ziehen, wegen der kriminogenen Tendenz massiv gefährdet wird, so erscheint es wenig einsichtig, dass nur die Gewaltanwendung, nicht aber die Drohung mit Gewalt gem § 184 Abs 3 verboten ist.“ 96 Während Eltern alle anderen jugendgefährdenden oder strafrechtlich relevanten 101 Medien ihren Kindern zugänglich machen dürfen (Erzieherprivileg), gilt bei Kinderpornografie ein Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche auch für sie. „Beim Schutz von Kindern vor einem realen Missbrauch bei der Herstellung (§ 176, 176a StGB) ist eine Darstellung dann als Kinderpornografie anzusehen, wenn sie einen realen Missbrauch eines Kindes zum Gegenstand hat (bzw dies nicht auszuschließen ist) und die Darstellung geeignet ist, beim Konsumenten einen weiteren Bedarf an einschlägigen Darstellungen hervorzurufen. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn die Darstellung dazu geeignet ist, beim (pädophilen) Betrachter das Motiv für den Erwerb von Kinderrealpornografie, was vornehmlich in der sexuellen Erregung liegt, zu befriedigen, und dadurch das Verlangen nach weiteren realen Darstellungen geweckt werden kann.97 Da zur Herstellung von Kinderpornografie zahlreiche Kinder missbraucht werden, ist 102 nicht nur die Herstellung und Verbreitung, sondern bereits der Besitz strafbar. Damit soll das Risiko für den Vertrieb und den Erwerb vergrößert werden. Außerdem wird damit die Verfolgung von Verstößen vereinfacht, da sich Hersteller und Händler in der Vergangenheit oft damit herausgeredet haben, dass die bei ihnen beschlagnahmten Materialien lediglich dem persönlichen Konsum und nicht der Verbreitung dienten.
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Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)
§4 Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) I. Allgemeines Im Jahre 2003 wurden im Rahmen einer Reform des Jugendschutzrechts das Gesetz 103 zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Medien zum Jugendschutzgesetz zusammengeführt. Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Einigung von Bund und Ländern auf ein Eckpunktepapier, dass die Zuständigkeiten des Bundes für Trägermedien und die der Länder für Fernsehen und Telemedien neu festlegte.98 Im Jugendschutzgesetz werden eine Reihe allgemeiner Bestimmungen bspw über die Abgabe von Zigaretten oder alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche getroffen. Darüber hinaus enthält das Gesetz Bestimmungen über jugendgefährdende Medien sowie über Altersbeschränkungen von Kino- und Videofilmen bzw DVDs und über Computerspiele. Eine faktische Überprüfung der Einhaltung von Altersfreigaben ist nur bei öffent- 104 lichen Vorführung möglich. Vorausgesetzt, die Kontrollen funktionieren, kann ausgeschlossen werden, dass Kinder oder Jugendliche einen Film sehen, der für sie nicht freigegeben ist. Im Bereich des Handels mit bespieltem DVDs oder Videokassetten beschränkt sich die Kontrollmöglichkeit darauf, an wen ein Trägermedium abgegeben wird. Ob derjenige, der ein solches Trägermedium erwirbt, dieses an Jüngere weitergibt, entzieht sich der Kontrolle. Aus diesem Grunde sind die Vertriebsbeschränkungen und Werbebeschränkungen für Trägermedien teilweise strenger als für Kinofilme.
II. Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) Medien mit jugendgefährdenden Inhalten können auf die Liste der jugendgefährden- 105 den Medien (Index) gesetzt werden.99 Dazu zählen Inhalte, welche geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. … Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien.100 Die Aufnahme in die Liste (Indizierung) soll erreichen, dass ein bestimmtes Produkt 106 Jugendlichen nicht mehr zugänglich gemacht werden darf, während Erwachsene es erwerben können. Zuständig für die Indizierung ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Im Gesetz 101 werden die Vertriebsbeschränkungen festgelegt, denen ein Produkt nach der Indizierung unterliegt. Indizierte Medien dürfen nicht an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, sie dürfen nicht in Kiosken oder im Versandhandel verkauft werden. Ihre Vermietung ist nur in Ladengeschäften gestattet, zu denen Kinder und Jugendliche keinen Zutritt haben. Indizierte Medien dürfen nicht beworben 102 oder im Fernsehen ausgestrahlt werden. Die Ausstrahlung im Fernsehens für eine 98 99 100 101
Zur Problematik der Kompetenzen von Bund und Ländern vgl Cole 256. § 18 JuSchG. § 18 Abs 1 JuSchG. § 15 Abs 1 Nr 1–5 JuSchG.
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Im Gegensatz zu pornografischen Inhalten darf für indizierte Medien auch nicht inhaltsneutral geworben werden, BGH NJW 1985, 154.
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überarbeitete Fassung ist nur gestattet, wenn eine Bestätigung der Bundesprüfstelle darüber vorliegt, dass diese im Vergleich zur Originalfassung keine jugendgefährdenden Szenen mehr enthält. 1. Zuständigkeitsbereich der Bundesprüfstelle
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Nachdem die Bundesprüfstelle zunächst nur für sog Trägermedien (Schallplatten, Printmedien, Computerspiele, Videofilme und DVDs) zuständig war, wurde ihr Geltungsbereich inzwischen auch auf sog Telemedien (Internet) ausgedehnt. Damit soll vor allem die Verbreitung pornografischer, rechtsradikaler oder gewaltverherrlichender Internetangebote eingeschränkt werden. Allerdings ist die Indizierung nur gegenüber solchen Anbietern durchzusetzen, die ihren Sitz in Deutschland haben. 2. Antragsberechtigte Stellen
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Die Bundesprüfstelle wird in der Regel auf Antrag des für Jugendfragen zuständigen Bundesministeriums, einer Obersten Landesjugendbehörde oder eines Jugendamtes tätig. Seit 2003 kann sie auch auf Anträge anderer Behörden tätig werden.103 Kommt ein Indizierungsverfahren zustande, muss die Bundesprüfstelle den für die Verbreitung des Mediums Verantwortlichen benachrichtigen. Dieser kann selbst oder durch einen Bevollmächtigten schriftlich oder mündlich zu dem Verfahren Stellung nehmen.104 Wird ein Medium indiziert, so wird es in die Liste der jugendgefährdende Medien aufgenommen. Diese wird im Bundesanzeiger veröffentlicht. Um zu vermeiden, dass die Liste für Jugendliche einen werbenden Effekt hat und damit das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt ist, wird sie in verschiedenen Teilen (A-D) geführt, wobei Teil C und D weitgehend Telemedien betrifft und nicht öffentlich ist, weil die Veröffentlichung den Interessen des Jugendschutzes schaden könnte.105 3. Das Procedere der Bundesprüfstelle
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Die Bundesprüfstelle fällt ihre Entscheidungen in einem 12-köpfigen Gremium, das normalerweise einmal im Monat zusammenkommt.106 Den Vorsitz führt der/die Vorsitzende der Bundesprüfstelle, der/die vom für Jugendfragen zuständigen Bundesministerium für einen Zeitraum von drei Jahren benannt wird. Die übrigen Beisitzer werden von verschiedenen im Gesetz festgelegten Behörden, Verbänden und Institutionen vorgeschlagen und vom zuständigen Bundesministerium ernannt. Sie rekrutieren sich aus den Bereichen der Kunst, Literatur, des Buchhandels und der Verleger, Vertreter der Anbieter, Träger der Jugendhilfe, der Lehrerschaft sowie Vertreter der Kirchen.107 Jedem Gremium müssen mindestens drei Beisitzer aus den Bereichen angehören, die den Anbietern zugerechnet werden. Eine Indizierung erfolgt dann, wenn mindestens eine Mehrheit von zwei Drittel des Gremiums dafür stimmt. Gegen die Entscheidungen der Bundesprüfstelle steht der Klageweg bei den Verwal110 tungsgerichten offen. Allerdings gestehen diese den Gremien der Bundesprüfstelle einen weiten Beurteilungsspielraum zu. Eine Klage hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Bundesprüfstelle gesetzliche Grundlagen missachtet hat oder ihr Verfahrensfehler nach-
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§ 21 Abs 2 JuSchG. § 21 Abs 7 JuSchG. § 18 Abs 2 JuSchG.
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§ 18 Abs 5 JuSchG. § 19 Abs 2 JuSchG.
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Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)
zuweisen sind. Dazu gehören zB Fehler bei der Besetzung der Gremien, unvollständiges Sichten der Prüfinhalte oder fehlerhafte Darstellungen in den Bescheiden, zB eine unzutreffende Wiedergabe des Inhalts. a) Offensichtliche und schwere Jugendgefährdung. Ist die Jugendgefährdung eines 111 Medieninhaltes offensichtlich, so kann ein Dreierausschuss, der aus zwei Beisitzern und des/der Vorsitzenden der Bundesprüfstelle besteht, darüber entscheiden. In diesem Falle muss die Entscheidung einstimmig sein. Kommt keine einstimmige Entscheidung zustande, so entscheidet das 12-köpfige Gremium.108 Angesichts der Menge der zu prüfenden Inhalte ist die Bundesprüfstelle schon aus zeitökonomischen Gesichtspunkten nicht in der Lage, diese allein mit dem 12-köpfigen Gremium zu bewältigen. In früheren Zeiten waren vor allem Magazine und andere Printmedien Gegenstand des Indizierungsverfahrens. Inzwischen handelt es sich meistens um Videofilme, DVDs, Computerspiele oder Telemedien, die während der Sitzung angesehen werden müssen. Hierdurch entsteht ein erhöhter Prüfungsaufwand. Seitdem das Verwaltungsgericht Köln verschiedene Entscheidungen der Bundesprüfstelle aufgehoben hat, weil sich das Gremium Videofilme nicht vollständig, sondern nur in vorbereiteten Ausschnitten angesehen hat, müssen die Inhalte nun in voller Länge betrachtet werden. Um die Ressourcen der Bundesprüfstelle vor diesem Hintergrund möglichst effizient zu nutzen, wird der größte Teil der Indizierungsverfahren mittlerweile von 3-köpfigen Gremien durchgeführt. Medieninhalte, die als offensichtlich schwer jugendgefährdend gelten, fallen unter die 112 Vertriebsbeschränkungen des Gesetzes, ohne dass ein besonderes Indizierungsverfahren notwendig ist. Dazu gehören Trägermedien mit Inhalten, die durch Bestimmungen des Strafrechts 109 erfasst sind, die den Krieg verherrlichen, die leidende Menschen in einer ihre Würde verletzten Art und Weise darstellen oder die Kinder oder Jugendliche in unnatürlicher sexuell stimulierende Körperhaltung darstellen.110 b) Listenstreichungen und wesentlich inhaltsgleiche Fassungen. Will ein Anbieter einen 113 indizierten Inhalt erneut in einer veränderten Fassung veröffentlichen, so kann die Bundesprüfstelle feststellen, ob die vorgenommenen Änderungen oder Kürzungen ausreichen, um die Gründe, die zur Indizierung geführt haben, zu entkräften. Wenn aufgrund des gesellschaftlichen Wertewandels die Gründe, die zur Indizierung 114 geführt haben, nicht mehr zutreffen, kann eine Person, die durch eine Indizierung beschwert ist (zB ein Fernsehanbieter) bei der Bundesprüfstelle einen Antrag auf Listenstreichung stellen.111 In solchen Fällen entscheidet die Bundesprüfstelle im 12er-Gremium. Solche Anträge auf Streichung aus der Liste waren schon immer möglich, wurden aber in der Vergangenheit nur sehr selten gestellt. Printmedien verlieren normalerweise nach einigen Jahren ihren wirtschaftlichen Wert. Bei Filmen ist das jedoch anders, insbesondere, wenn Fernsehsender Filme ausstrahlen wollen, die in der Videofassung indiziert wurden. Daher wurde das Recht, in begründeten Fällen einen Antrag auf Listenstreichung zu stellen, 2003 in das Gesetz aufgenommen. Dies hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass das Ausstrahlungsverbot von indizierten Filmen im Fernsehen, das ebenfalls seit 2003 gilt, umstritten ist. In den letzten Jahren haben tatsächlich vor allem Fernsehsender Anträge auf Listenstreichung gestellt, teilweise mit Erfolg. 108 109 110
§ 21 Abs 1 JuSchG. §§ 86, 130a, 131, 184, 184a oder b StGB. § 15 Abs 2 JuSchG, hier geht es vor allem um Abbildungen, die geeignet sind, pädophile Neigungen zu stimulieren. Solche Abbildungen sind eher für entsprechende
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Erwachsene gefährdend als für Kinder, deshalb gilt hier ein allgemeines strenges Verbot, das sich praktisch vor allem auf das Internet bezieht. § 21 Abs 2 und Abs 7 JuSchG.
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7. Teil
III. Altersbeschränkungen im Kino und für Video/DVD Die öffentliche Vorführung von Kinospielfilmen und der Verkauf oder die Vermietung bespielter Trägermedien (Video/DVD) ist grds ohne besondere Vorprüfung erlaubt, allerdings nur gegenüber Erwachsenen. Kindern und Jugendlichen dürfen Kinofilme 112 öffentlich nur vorgeführt werden, wenn sie von den Obersten Landesjugendbehörden freigegeben sind. Vergleichbares gilt für bespielte Trägermedien und für Computerspiele. Das bedeutet, dass jeder Film, völlig unabhängig von seinem Inhalt, ohne Freigabe 116 durch die Obersten Landesjugendbehörden nur vor Erwachsenen gespielt werden darf, also selbst dann, wenn sein Inhalt offensichtlich keine Probleme des Jugendschutzes berührt. Nun ist das Kinopublikum ein junges Publikum; ein Film ohne Jugendfreigabe hat daher kaum eine Marktchance. Außerdem würden die Kinos einen nicht geprüften Film kaum spielen. Die Kinos, die Mitglied im größten Verband der Filmtheaterbesitzer (HDF) sind, haben sich vereinsrechtliche verpflichtet, nur Filme mit einer FSK Kennzeichnung vorzuführen. Aber auch andere Kinos sehen in der FSK-Freigabe eine Absicherung gegenüber möglicher öffentlicher Kritik oder gegenüber der Staatsanwaltschaft, falls strafrechtliche Aspekte in Betracht kommen. Daher gibt es im Kinobereich praktisch keinen Film, der ohne eine Prüfung in den Kinos vorgeführt wird. Was genau als öffentliche Filmvorführung verstanden wird, definiert das Gesetz nicht. 117 Vor allem die Frage, was als öffentlich angesehen wird, ist nicht immer zu klären. Eine öffentliche Vorführung findet auf jeden Fall statt, wenn sie auf öffentlichen jedermann zugänglichen Verkehrsflächen (Straßen, Parks, öffentliche Plätze) präsentiert wird.113 Ein wichtiges Kriterium bei Vorführungen in geschlossenen Räumen ist es, dass jedermann, der die durch den Veranstalter vorgegebenen Kriterien (zB Eintrittsgeld, ein bestimmtes Mindestalter) erfüllt, zu der Veranstaltung Zutritt erhält 114 und die Besucher nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind. Private Veranstaltungen gehören nicht dazu, es sei denn, sie werden (bspw durch Anzeigen in Zeitungen oder Einladungen in Rundfunksendungen) für jedermann geöffnet. Sobald die Vorführung auf eine klar namentlich zu benennende Personengruppe beschränkt ist, handelt es sich jedenfalls nicht um eine öffentliche Vorführung. Ein Lehrer, der mit einer Schulklasse eine Filmvorführung besuchen will, ist also nicht an die Altersfreigaben gebunden.115 Das Gleiche gilt, wenn er einen Film im Schulunterricht vorführt. 118 In der Praxis kommt es oft vor, dass auf einem Trägermedium Musik Clips oder Ausschnitte aus Filmen mit bestimmten Werbeaussagen verbunden werden und an öffentlichen Verkehrsflächen (Bahnhöfen, Plätzen oder in Vorräumen von Kinos oder Diskotheken) zu sehen sind. Dabei handelt es sich eindeutig um eine öffentliche Vorführung. Das gleiche gilt, wenn in Gaststätten oder in anderen öffentlichen Räumen Filme über Video, DVD oder das Pay TV vorgeführt werden. Bei Filmvorführungen in Flugzeugen handelt es sich wohl nicht um eine öffentliche Vorführung, da die Passagiere sich im Flugzeug nicht zum Zwecke der Filmvorführung versammeln und das Flugticket nicht als Eintrittskarte für eine Filmsichtung erworben wird. Außerdem kann man davon ausgehen, dass auf Langstreckenflügen Kinder kaum ohne ihre Eltern unterwegs sind. Andere vertreten die Auffassung, dass Passagiere eines Flugzeuges untereinander keine persönliche Beziehung haben und es sich daher um Öffentlichkeit handelt.116 Tatsächlich spielt
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§ 11 Abs 1 JuSchG. So Scholz § 4 Nr 2 Vgl BayObLGST 1952, 49; BayObLGST 1978, 105.
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So auch Nikles/Roll/Spürck/Umbach 44, Rn 8. So von Hartlieb/Schwarz/Trinkl 28, Rn 13.
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die persönliche Beziehung wohl eine Rolle. Bei Vereinen oder Veranstaltungen in Jugendklubs kommt es bspw darauf an, ob jedermann leicht Mitglied werden kann oder ob die Mitglieder durch ein gemeinsames Interesse oder Ziel miteinander verbunden sind. Die Vorführung in der Privatsphäre gilt nicht als öffentliche Vorführung, darunter ist 119 auch die Vorführung in Hotelzimmern gefasst. Bei Programmen, die pornografisch oder indiziert sind, muss allerdings sichergestellt sein, dass das Angebot Kindern und Jugendlichen (das gilt auch für minderjährige Angestellte) nicht zugänglich gemacht wird. Empfehlenswert ist bspw die Vergabe einer PIN Freischaltung des Programms an den erwachsenen Hotelgast oder die Freischaltung entsprechende Angebote nach persönlichem Anruf in der Rezeption. Ebenfalls muss darauf geachtet werden, dass die Ankündigung entsprechender Filme kein Verstoß gegen das Werbeverbot darstellt. Dies kann dadurch geschehen, dass die Ankündigung nur dem erwachsenen Hotelgast ausgehändigt wird. 1. Die Obersten Landesjugendbehörden Für die Jugendfreigabe sind nach dem Gesetz die Obersten Landesjugendbehörden 117 zuständig, was praktisch bedeutet, dass es 16 Filmprüfstellen in der Bundesrepublik geben müsste. Eine bundesweite einheitliche Regelung durch eine Bundesbehörde wäre verfassungswidrig, da hierin ein Eingriff in die Kulturhoheit der Länder vermutet werden könnte. Die Jugendschutzbewertungen in den einzelnen Ländern sind je nach ihrem kulturellen und religiösen Hintergrund sehr unterschiedlich. Würden also tatsächlich die Obersten Landesjugendbehörden für die Freigabe verantwortlich sein, so könnte man zB damit rechnen, dass derselbe Film in Hamburg und Berlin mit einer anderen Freigabe auf den Markt kommen würde als etwa in Bayern. Würde tatsächlich jedes Land einzeln prüfen, so käme dies für die Landeshaushalte sehr teuer. Denn man brauchte nicht nur eigene Prüfinstanzen, sondern müsste auch die Freigaben in die Kinos bringen und Berufungen organisieren. Außerdem ist fraglich, ob eine jugendschutzrechtliche Bewertung vor der Veröffentlichung eines Filmes durch eine Behörde nicht einen Verstoß gegen das Zensurverbot in Art 5 Abs 1 GG bedeuten würde. Auch für die Filmwirtschaft hätte ein solches uneinheitliches Freigabeverfahren nur Nachteile, weil auch die Werbung und das gesamte Marketing in enger Verbindung mit der Altersfreigabe eines Filmes stehen. Ein für 6- oder 12-Jährige freigegebener Familienfilm muss anders beworben werden als ein 16er Film. Bei einer unterschiedlichen Freigabe müsste also in Bayern eine andere Werbekampagne initiiert werden als in Hamburg oder Berlin. Insofern haben sowohl die Jugendbehörden als auch die Filmwirtschaft ein Interesse daran, eine für alle Bundesländer gültige Altersfreigabe zu ermöglichen. Die Obersten Landesjugendbehörden haben sich daher bereits in den fünfziger Jahren entschlossen, in einer Ländervereinbarung ihre Prüfkompetenz weitgehend an die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) abzugeben. Eine solche Möglichkeit sieht das Gesetz inzwischen (seit 2003) ausdrücklich vor.
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2. Die Altersfreigaben Es gelten folgende Alterskategorien: a) Freigegeben ohne Altersbeschränkung, b) Frei- 124 gegeben ab 6 Jahren, c) Freigegeben ab 12 Jahren, d) Freigegeben ab 16 Jahren, e) keine Jugendfreigabe. 117
§ 14 Abs 2 JuSchG.
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Für Filme, die eine Freigabe ab 12 Jahren erhalten haben, ist der Kinobesuch Kindern ab sechs Jahren in Begleitung einer personensorgeberechtigten Person 118 erlaubt. Diese Regelung gilt seit 2003 und beabsichtigt, die Erziehungsverantwortung der Eltern zu stärken. Außerdem soll dadurch berücksichtigt werden, dass die Entwicklungsspanne zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr sehr groß ist. Das führt dazu, dass einige große, auf ein junges Publikum abzielende Filme für Sechsjährige stark verängstigend wirken, während sie für Achtjährige durchaus geeignet sind (zB Der Herr der Ringe, Harry Potter etc). Diese Filme werden ab zwölf Jahren freigegeben, können aber nun in der entsprechenden Begleitung von Kindern ab sechs Jahren gesehen werden. Darüber hinaus gelten unabhängig von der Altersfreigabe für bestimmte Alters126 gruppen zeitliche Grenzen für den Kinobesuch, es sei denn, das Kind ist in Begleitung einer personensorgeberechtigten oder Erziehung beauftragten Person. Danach dürfen Kinder unter sechs Jahren generell eine Filmvorführung nur in entsprechender Begleitung besuchen. Nur in Begleitung ist Kindern ab sechs Jahren der Kinobesuch gestattet, wenn die Vorführung nach 20.00 Uhr beendet ist, Kindern unter 16 Jahren, wenn die Vorführung nach 22.00 Uhr beendet ist und Jugendlichen ab 16 Jahren, wenn die Vorführung nach 24.00 Uhr beendet ist (§ 11 Abs 3). Die Alterkategorien werden durch das Gesetz festgelegt und können von den Behör127 den oder der FSK selbst nicht verändert werden. 3. Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht
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a) Lehrprogramme. Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht gelten dann, wenn es sich um ein Informations-, Instruktions- oder Lehrprogramm handelt.119 In diesem Fall kann der Anbieter eine entsprechende Kennzeichnung selbst vornehmen. Das gilt auch für vergleichbare Inhalte auf Trägermedien (Videos, DVDs, Computerspiele).120 Diese Regelung wurde ins Gesetz aufgenommen, um die Prüfinstitutionen nicht unnötig zu belasten und die Anbieter vor unnötigen Kosten zu bewahren. Bisher wurde von dieser Möglichkeit allerdings wenig Gebrauch gemacht. Unklar ist, ob dies an der Routine der Anbieter liegt, vor dem Kino- oder Videostart eine FSK-Freigabe einzuholen, oder ob die Firmen sich eine inhaltliche Einordnung selbst nicht zutrauen.
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b) Nichtgewerbliche Nutzung. Weiterhin sind von der Prüfungspflicht Filme ausgenommen, die für die nichtgewerbliche Nutzung bestimmt sind. Diese Freistellung entfällt allerdings, sobald ein für die nichtgewerbliche Nutzung vorgesehener Film später gewerblich genutzt wird.121 Von dieser Regelung profitieren zB Filme, die von Jugendgruppen, von Jugendverbänden, von Parteien, aber auch von öffentlichen Institutionen, die vor allem die Schulen und die außerschulische Bildung beliefern, angeboten werden. Solange sie unentgeltlich oder nur gegen eine geringe Schutzgebühr vertrieben werden (zB über die Landesbildstellen, die Bundeszentrale für politische Bildung oder über das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), benötigen sie keine FSK-Freigabe. Dieses Privileg entfällt, sobald der Film gewerblich verwertet wird. Dies ist in der Praxis 130 nicht ganz unproblematisch: Es kann vorkommen, dass bspw das FWU die Rechte zu
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Dabei kann es sich um die Eltern oder um Freunde, Verwandte handeln, die das Kind begleiten und notfalls sachgerecht reagieren können, wenn das Kind belastende Szenen nicht ohne weiteres verarbeiten kann. Vgl
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119 120 121
hierzu auch Nikles/Roll/Spürck/Umbach 83 Rn 8. § 11 Abs 1 JuSchG. § 20 Abs 2 FSK-Grundsätze. § 11 Abs 4 S 2.
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einem Film für die nichtgewerbliche Nutzung erwirbt, diese aber dann später durch Dritte gewerblich ausgewertet werden. In diesem Falle würde auch die Freistellung für die nichtgewerbliche Nutzung entfallen. Daher bemühen sich auch die nichtgewerblichen Verwerter, vorsichtshalber eine FSK-Freigabe einzuholen. Die FSK stellt dafür ein vereinfachtes und kostengünstiges Prüfverfahren zur Verfügung. c) DVDs als Beilage von Zeitschriften. In den letzten Jahren werden vermehrt DVDs 131 als Beilage von Zeitschriften vertrieben. Ist darauf ganz oder teilweise Material enthalten, das der Kennzeichnungspflicht unterliegt, so ist eine Prüfung durch eine hierfür vorgesehene Selbstkontrolle erforderlich. Im Gesetz ist nicht bestimmt, welche Anforderungen an diese Selbstkontrolle gestellt werden. In der Regel werden solche DVDs durch DT Control in München geprüft.122 Besteht bereits eine Freigabe durch die FSK (bis freigegeben ab 12 Jahren) oder durch die FSF (bis freigegeben für das Hauptabendprogramm), so kann diese verwendet werden. Eine Freigabe ist auf solche Inhalte beschränkt, die keine Jugendbeeinträchtigung enthalten (vergleichbar einer Freigabe ab 12 Jahren). Auf der Zeitschrift selbst sowie auf dem Trägermedium muss auf die Tatsache hingewiesen werden, dass der Inhalt des Trägermediums nicht als jugendbeeinträchtigend eingestuft wurde. Die Obersten Landesjugendbehörden haben die Möglichkeit, den Selbstkontrolleinrichtungen dieses Kennzeichnungsrecht zu entziehen. d) Öffentliche Vorführungen auf Festivals. Auch Filme, die auf Festivals gezeigt wer- 132 den, benötigen eine Jugendfreigabe, solange Kinder und Jugendliche Zutritt zu der Veranstaltung haben. In solchen Fällen ist zu empfehlen, sich an die jeweils für das Land zuständige Oberste Landesjugendbehörde zu wenden, die in solchen Fällen eine auf die Zeit des Festivals beschränkte Freigabe erteilt. e) Kennzeichen Keine Jugendfreigabe. Besondere Regelungen gibt es für Filme, die 133 keine Jugendfreigabe erhalten. Kommen die Prüfausschüsse zu dem Ergebnis, dass von einem Kinofilm eine schwere Jugendgefährdung ausgehen könnte oder dass dieser im Wesentlichen inhaltsgleich mit einem bereits indizierten Film ist, darf dieser nicht gekennzeichnet werden.123 Liegen bei der Prüfung Hinweise vor, die auf einen Verstoß gegen § 15 Abs 1 JuSchG schließen lassen, müssen die Obersten Landesjugendbehörden darüber die Strafverfolgungsbehörden informieren. Das wäre bspw dann der Fall, wenn der Verleiher einen Film trotz Ablehnung des Kennzeichens in die Kinos bringen würde. Bei Videofilmen oder DVDs muss die Kennzeichnung bereits dann verweigert werden, wenn es sich nach § 14 Abs 4 sich um eine einfache Jugendgefährdung handeln könnte. Mit Zustimmung des Antragstellers kann ein Film aus dem FSK-Verfahren heraus der Bundesprüfstelle vorgelegt werden. Erst wenn die Bundesprüfstelle zu dem Ergebnis kommt, dass sie den Film nicht indiziert, kann die Kennzeichnung stattfinden. Werden jedoch Filme mit Keine Jugendfreigabe gekennzeichnet, ist eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle ausgeschlossen.124 f) Prüfpflicht für den Hauptfilm und Beiprogramme. Zu beachten ist, dass nicht nur 134 die Hauptfilme freigegeben sein müssen, sondern auch Beiprogramme, also Werbung oder Programmankündigungen.125 Dabei kommt es auf die Wirkung des Werbefilmes an, dessen Freigabe nicht an die des beworbenen Filmes gebunden ist. In dem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Werbung für alkoholische Getränke oder für Tabakwaren generell erst ab 16 Jahren freigegeben werden darf.126 122 123 124
§ 12 Abs 5 JuSchG. § 14 Abs 3 JuSchG. § 14 Abs 4 JuSchG.
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§ 11 Abs 4 JuSchG. § 11 Abs 5 JuSchG.
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4. Zur Arbeitsweise der FSK a) Historie. Die FSK wird von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) organisiert. Sie wurde 1949 gegründet, und ihre Aufgabe bestand zunächst darin, die nach dem Zweiten Weltkrieg geltende Militärzensur in den Besatzungszonen zu ersetzen. Bei der Militärzensur ging es weniger um Jugendschutz, sondern um die Befürchtung, dass Filme aus der Zeit des Nationalsozialismus entsprechende Ideologien transportieren könnten. Die deutschen Filmverleiher, vertreten durch ihren damaligen Vorsitzenden Horst von Hartlieb, wollten in einer freiwilligen Selbstkontrolle die Militärzensur durch eine Prüfung ersetzen, an der Personen beteiligt waren, die nachweislich der nationalsozialistischen Idee niemals nahe gestanden hatten. Vor allem Kirchenvertreter spielten dabei eine wichtige Rolle. Dieses Vorhaben wurde vom damaligen Filmoffizier der amerikanischen Besatzungszone, Erich Pommer, einem in die USA ausgewanderten, ehemals in Babelsberg bei der UFA tätigen Filmproduzenten, unterstützt. Ziel der Filmwirtschaft, aber auch der Amerikaner, war es, nach amerikanischem Vorbild auf Selbstkontrolle statt auf staatliche Zensurmaßnahmen zu setzen. Von der FSK geprüfte Filme sollten durch die zuständigen Militärbehörden so anerkannt werden, als hätten sie diese selbst geprüft. Schon bald nach der Gründung der FSK war die Militärzensur aber durch die Konsti136 tuierung der Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat obsolet geworden. Die Filmwirtschaft begann deshalb, die FSK in eine Filmprüfstelle umzuwandeln, die für die Einhaltung des Jugendschutzes und bestimmter ethischer Maßstäbe für Erwachsene zuständig sein sollte. Die Filmverleiher verpflichteten sich, alle Filme vor der Veröffentlichung der FSK vorzulegen. Die Kinobesitzer ihrerseits sagten zu, die von der FSK erteilten Altersfreigaben zu kontrollieren und durchzusetzen. Das Ziel war, durch ein System der Selbstkontrolle staatliche Eingriffe in die Filmfreiheit überflüssig zu machen. Dies misslang jedoch. 1952 trat das erste Jugendschutzgesetz in Kraft. Danach waren die Obersten Landesjugendbehörden für die Altersfreigaben zuständig. Bevor diese in der Lage waren, eigene Prüfkommissionen zu gründen, mussten sie die Frage klären, wie die zahlreichen, bereits durch die FSK geprüften Filme zu behandeln waren. So war für eine Übergangszeit geplant, die Freigabe der FSK aufgrund einer Ländervereinbarung anzuerkennen. Dieses zunächst als Provisorium gedachte System hat sich letztlich bewährt und dient inzwischen als Vorbild für die Regelung des Jugendschutzes durch Selbstkontrolleinrichtungen.127 Diese Entwicklung verlief allerdings nicht ohne Probleme. Nach der Freigabe des 137 Filmes Die Sünderin im Hauptausschuss (für Erwachsene) drohten die Kirchenvertreter, ihre Prüfer aus den Ausschüssen der FSK zurückzuziehen. Aufgrund dieser und weiterer vergleichbarer Vorfälle wurden die Ausschüsse mehrfach umgebaut; letztlich gelang es immer wieder, sich zu einigen.128 Als 1985 auch Videofilme in das System der Altersfreigaben einbezogen wurden, war 138 zunächst unklar, ob die FSK auch hierfür zuständig sein sollte. Die Obersten Landesjugendbehörden waren dazu nur unter Bedingungen bereit. Sie setzten durch, dass sie einen Ständigen Vertreter in der FSK etablierten, der den Vorsitz in den Ausschüssen führen sollte. Dieser lag bis dahin beim Leiter der FSK, der von der Filmwirtschaft bestimmt wurde. Die FSK verlor im Laufe der Jahre, insbesondere auch durch die Einführung des ständigen Vertreters, immer mehr ihren Charakter als Selbstkontrolleinrich-
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Ausf von Gottberg Die FSK wird 50, tv diskurs 10/1999, 34–45.
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Vgl Brüne tv diskurs 4/1999, 46 ff.
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tung. So wird sie zwar von der Film- und Videowirtschaft organisiert und finanziert, die Entscheidungen werden aber letztlich überwiegend durch unabhängige Dritte unter Beteiligung der zuständigen Behörden auf der Grundlage des Jugendschutzgesetzes getroffen. Auch die Verfassungsmäßigkeit der FSK ist immer wieder in Frage gestellt worden.129 139 In der Rechtslehre wurde jedoch weitgehend eine andere Auffassung vertreten. Die Vorlage von Filmen oder Veröffentlichungen sei nicht verpflichtend, Zugangsbeschränkungen würden sich nicht auf Erwachsene, sondern auf Jugendliche auswirken.130 Da sowohl die Obersten Landesjugendbehörden als auch die Wirtschaft letztlich die Vorteile dieses Systems anerkannten, ist es niemals zur offiziellen Beschwerde oder zu einem Prozess gekommen. Dennoch muss bedacht werden, dass eine Veröffentlichung ohne FSKFreigabe nur theoretisch möglich ist, da sie aufgrund der durch das Gesetz geschaffenen Marktbedingungen keine Chance haben. Da es sich bei FSK-Entscheidungen durch die Einbindung der Obersten Landes- 140 jugendbehörden um begünstigende Verwaltungsakte handelt, ist die Klage beim Verwaltungsgericht zulässig. Die Klage richtet sich direkt gegen die Obersten Landesjugendbehörden, vertreten durch die federführende Stelle der Obersten Landesjugendbehörden für FSK-Angelegenheiten, die zurzeit im Kultusministerium des Landes Rheinland-Pfalz eingebunden ist. Da jedoch die Wirtschaft sowie die Behörden das Verfahren bei der FSK in hohem Maße akzeptieren, hat es bisher seit Bestehen der FSK eine solche Klage noch nie gegeben. b) Die Gremien der FSK. Für die Formalitäten der Prüfverfahren, die Besetzung der 141 Ausschüsse sowie die Prüfkriterien ist die Grundsatzkommission zuständig. Sie ist ferner für die Verfassung und Fortschreibung der Grundsätze der FSK verantwortlich. In der Grundsatzkommission sind neben Vertretern der Obersten Landesjugendbehörden, der Filmwirtschaft, der Videowirtschaft, den Landesmedienanstalten und des öffentlichrechtlichen Fernsehens auch Vertreter der Kirchen und der für den Kulturbereich zuständigen Landesministerien Mitglied.131 Um die besondere Position der Obersten Landesjugendbehörden zu unterstreichen, haben diese bei allen Entscheidungen ein Vetorecht. Als Rahmen für die Kriterien der Jugendprüfung wird in § 18 FSK-Grundsätze auf 142 das Jugendschutzgesetz und bzgl der Interpretation auf die Pluralität und die fachliche Zusammensetzung der Prüfausschüsse verwiesen, die darüber hinaus die Erkenntnisse der Wirkungsforschung sowie der Entwicklungspsychologie ihren Entscheidungen zu Grunde legen. c) Ausschüsse und Antragstellung. Die Entscheidungen werden vom Arbeitsausschuss 143 getroffen.132 Dieser besteht aus sieben Prüfern, der Vorsitz liegt beim Ständigen Vertreter der Oberste Landesjugendbehörden. Neben ihm prüft ein Jugendschutzsachverständiger, der im Rotationsverfahren jeweils von einer Obersten Landesjugendbehörde entsendet wird. Zwei weitere Prüfer entstammen der sog Liste der öffentlichen Hand, in der Ver-
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Es wurde argumentiert, die FSK sei zwar keine staatliche Einrichtung, sie treffe ihre Entscheidungen aber stellvertretend für die Obersten Landesjugendbehörden. Geht man von dem weitergehenden Begriff der Meinungsäußerung aus, so wird man das Zensurverbot auch auf eine „zensierende Tätigkeit formell-privatrechtlicher, durch vertragliche Einigung zustande gekommener
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Instanzen pluralistischer Kräftegruppen“ erstrecken müssen, so Noltenius 131 ff, anders OLG Frankfurt, das die Tätigkeit der FSK nicht für verfassungswidrig hält, NJW 1963, 113. Vgl von Hartlieb NJW 1985, 830, 833 sowie Weides NJW 1987, 224, 226. Vgl § 4 FSK-Grundsätze. § 5 FSK-Grundsätze.
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treter der Kirchen, von Jugendorganisationen, Bundes- und Länderbehörden aufgeführt sind. Drei weitere Prüfer werden von der Film- bzw Videowirtschaft entsendet. Allerdings sind auch sie dem Jugendschutz gegenüber verantwortlich und dürfen nicht im Bereich der Wirtschaft beschäftigt sein. Der Antragsteller kann angeben, welche Altersfreigabe er anstrebt. Er ist weiterhin berechtigt, vor oder nach der Sichtung des Filmes seine Argumente für die von ihm angestrebte Freigabe vorzutragen. Dies kann auch in schriftlicher Form geschehen. Der Ausschuss ist jedoch in seiner Entscheidung frei. Er muss, unabhängig von der durch den Antragsteller gewünschten Freigabe, immer auch prüfen, ob eine Freigabe für Kinder möglich ist. Die Prüfung selbst ist vertraulich und findet in der Regel ohne Anwesenheit Dritter statt.133 Nur in seltenen Fällen lässt der Ausschuss dritte Personen als Beobachter zu (bspw zu wissenschaftlichen Zwecken). Die Beratung findet unter Leitung des Ständigen Vertreters der Obersten Landesjugendbehörden statt. Seine Aufgabe besteht unter anderem darin, eine gewisse Kontinuität in der Prüfpraxis zu gewährleisten. Darüber hinaus ist er für die Einhaltung der Formalien, die sich aus dem Gesetz und den Grundsätzen ergeben, verantwortlich. Nach eingehender Diskussion erfolgt eine Abstimmung, bei der alle Prüfer gleichberechtigt sind. Es gilt die einfache Mehrheit. Die Freigabe eines Filmes gilt grds für die vorgeführte Fassung. Eine Freigabe unter Schnittauflagen, wie sie lange Zeit bei der FSK möglich war, ist nicht mehr vorgesehen. Der Ständige Vertreter unterschreibt im Auftrag der Oberste Landesjugendbehörden eine Freigabekarte als Dokument für den Anbieter.134 Dadurch wird das Prüfergebnis zum Verwaltungsakt. Die Freigabekarte wird dem Filmverleiher (inzwischen online) zur Verfügung gestellt, so dass dieser jeder Filmkopie eine Freigabekarte beiliegen kann. So kann der Kinobesitzer bei eventuellen Kontrollen die Freigabe des Filmes dokumentieren.
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d) Kennzeichnung mit Keine Jugendfreigabe. Eine gesonderte Prüfung für Erwachsene gibt es, anders als zu Zeiten der Sünderin, nicht mehr. Selbst dann, wenn der Antragsteller lediglich eine Kennzeichnung mit Keine Jugendfreigabe beantragt, prüft der Ausschuss in seiner vollen Besetzung und kann gegebenenfalls auch eine Jugendfreigabe erteilen. Kommt im Ausschuss eine Jugendfreigabe nicht in Betracht, so wird über das Kenn149 zeichen Keine Jugendfreigabe nur noch mit den Vertretern der Filmwirtschaft und dem Ständigem Vertreter verhandelt. Die Vertreter der Filmwirtschaft prüfen zunächst, ob der Film gegen die Grundsätze der FSK für die Freigabe vor Erwachsenen verstößt.135 Ist dies nach ihrer Meinung nicht der Fall, muss der ständige Vertreter entscheiden, ob es sich nach seiner Meinung um einen schwer jugendgefährdenden Film oder um ein Verstoß gegen strafrechtliche Bestimmungen 136 handelt. Der Antragsteller erhält hierüber eine Mitteilung und muss entscheiden, ob er den Film dennoch veröffentlichen will. Der Ständige Vertreter unterrichtet in diesem Fall die Obersten Landesjugendbehörden, die dann ihrerseits über eine Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörden entscheiden.137 Bei Filmen, die keine Aussicht auf eine Jugendfreigabe haben, geht es vor allem da150 rum, zu prüfen, ob sie möglicherweise gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen.
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§ 10 FSK-Grundsätze. § 26 FSK-Grundsätze. § 2 Abs 1 FSK-Grundsätze.
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§ 18 Abs 3 Nr 1 FSK-Grundsätze. § 20 Abs 2 FSK-Grundsätze.
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Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)
Dabei stellt die SPIO als Trägerin der FSK eine Juristenkommission zur Verfügung. Die Juristenkommission erteilt keine Freigabe als Verwaltungsakt, sondern lediglich ein Sachverständigengutachten. Bei einer Freigabe durch die Juristenkommission darf nicht das Kennzeichen der Obersten Landesjugendbehörden Keine Jugendfreigabe verwendet werden. e) Berufungen. Gegen die Entscheidung des Arbeitsausschusses kann sowohl der 151 Antragsteller als auch eine überstimmte Minderheit (mindestens zwei Personen) den Hauptausschuss anrufen, der über eine Berufung entscheidet.138 Er besteht aus neun Personen, der Vorsitz liegt diesmal bei der Filmwirtschaft. Allerdings wird das Kräfteverhältnis (fünf neutrale Prüfer und vier Prüfer der Filmwirtschaft) beibehalten. Der Ständige Vertreter ist bei der Beratung anwesend, allerdings ohne Stimmrecht. Nach den FSK-Grundsätzen kann in der Berufung nicht strenger entschieden werden als im Arbeitsausschuss. Ist eine Oberste Landesjugendbehörde mit dem Ergebnis nicht einverstanden, kann 152 sie den Appellationsausschuss als oberste Instanz der FSK anrufen. Dieser Ausschuss kann in Fällen grundsätzlicher Bedeutung auch auf Antrag des Antragstellers prüfen.139 Der Appellationsausschuss ist ausschließlich mit Prüfern besetzt, die von den Obersten Landesjugendbehörden dafür benannt sind. Er besteht aus sieben Personen, von denen vier nach einem bestimmten Rotationsverfahren direkt von den Obersten Landesbehörden entsandt werden, drei Personen werden von der Geschäftsstelle der FSK aus einer hierfür von den Obersten Landesjugendbehörden zur Verfügung gestellten Liste in den Ausschuss berufen. Aufgrund der starken Stellung der Obersten Landesjugendbehörden in diesem Ausschuss ist nach den FSK-Grundsätzen eine weitere Appellation (durch eine andere Oberste Landesjugendbehörde) nicht mehr möglich. Nach dem Gesetz wäre jede Oberste Landesjugendbehörde befugt, für ihren Geltungsbereich eine abweichende Freigabe in Kraft zu setzen. Dies ist aber in der Vergangenheit noch nie geschehen. Weder für Berufungen noch für Appellationen gibt es zeitliche Beschränkungen. Eine 153 Ausnahme bilden Prüfungen für Filme, die auf Trägermedien veröffentlicht werden sollen. Bei ihnen wären die finanziellen Folgen einer veränderten Einstufung sehr hoch, da die Kennzeichen mit dem Bildträger und dem Cover im Druck verbunden sein müssen. Sollte sich die Alterseinstufung verändern, wären praktisch alle im Handel befindlichen Exemplare nicht mehr zu verwenden und müssten durch neu bedruckte Exemplare ausgetauscht werden. Die Kosten hierfür müssten die Behörden tragen, da die Anbieter im Vertrauen auf ihre Freigabe gehandelt haben. Kommt also aus Sicht des Ständigen Vertreters in Betracht, dass bei einer Altersfreigabe für Trägermedien eine Oberste Landesjugendbehörde Appellation einlegen könnte, kann er eine Freigabe so lange aussetzen, bis die Obersten Landesjugendbehörden mitgeteilt haben, dass eine Appellation nicht beabsichtigt ist.140 Liegt eine solche Mitteilung nicht mindestens nach drei Wochen vor, so wird die getroffene Entscheidung gültig. f) Übernahmen von Kinoentscheidungen für Trägermedien. Die Prüfverfahren für 154 Kinofilme oder Filme auf Trägermedien sind identisch. Will bspw ein Videoanbieter einen Film herausbringen, der bereits über eine Kinofreigabe verfügt, so weist er der FSK-Verwaltung nach, dass es sich um eine inhaltsgleiche Fassung handelt. Ein wichtiger Anhaltspunkt hierfür ist der Vergleich der gemessenen Länge mit der Länge des Kino-
138 139
§ 13 FSK-Grundsätze. § 15 FSK-Grundsätze.
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§ 12 Abs 4 FSK-Grundsätze.
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films. Bestehen bzgl der inhaltlichen Gleichheit keine Zweifel, so wird die Freigabe ohne weitere Prüfung im Wege des Übernahmeverfahrens erteilt.141
155
g) Vorlage fremdsprachiger Filme. Grds ist ein Film zur Prüfung in der Fassung vorzulegen, in der er in Deutschland veröffentlicht werden soll.142 Liegt zum Zeitpunkt der Prüfung der Film noch nicht in der synchronisierten Fassung vor, kann der Antragsteller in Ausnahmefällen eine Prüfung in der Originalsprache beantragen. Voraussetzung dafür ist, dass mindestens drei Dialoglisten mit ausführlicher Inhaltsangabe in deutscher Sprache vorliegen. Erklären sich drei Prüfer außer Stande, die Jugendbeeinträchtigung eines Filmes in dieser Weise festzustellen, so muss der Film ganz oder in Teilen erneut einem Ausschuss vorgelegt werden.143 Soll ein Film in Deutschland in der originalsprachlichen Fassung veröffentlicht wer156 den, so ist dem Ausschuss eine ausführliche Inhaltsangabe vorzulegen.144 Ist ein Film in der deutschsprachigen Fassung geprüft worden und soll später in der 157 Originalfassung veröffentlicht werden, muss der Antragsteller versichern, dass es sich um eine inhaltlich identische Fassung handelt, die sich nur durch die Sprache unterscheidet. Der Ständige Vertreter entscheidet als Vorsitzender des Ausschusses über die Erstreckung der Freigabe der deutschsprachigen auf die originalsprachlichen Fassung.145
158
h) Bedingungen für erneute Vorlage. Ein Film, der bereits über eine gültige FSK-Freigabe verfügt, kann nur dann den Ausschüssen zur erneuten Prüfung vorgelegt werden, wenn der Antragsteller entweder eine wesentlich geänderte Fassung hergestellt hat, auf welche die Gründe, die zu der gültigen Freigabe geführt haben, nicht mehr zutreffen, oder wenn veränderte Zeitumstände (Wertewandel oder eine veränderte Spruchpraxis) eine erneute Prüfung rechtfertigen.146 Über die Annahme zur erneuten Prüfung entscheidet der Ständige Vertreter als Vorsitzender des Arbeitsausschusses. Ist das gültige Prüfergebnis auf eine Entscheidung des Hauptausschusses oder des Appellationsausschusses zurückzuführen, so sind die jeweiligen Vorsitzenden an der Entscheidung des Ständigen Vertreters, bei einer erneuten Prüfung zuzustimmen, zu beteiligen.147
159
i) Vereinfachte Prüfverfahren. Für Filme oder Trägermedien mit Inhalten, die in der Regel nicht jugendschutzrelevant sind (Musikvideos, Sportvideos etc), sind bei der FSK verschiedene sog vereinfachte Prüfverfahren eingerichtet worden. Ziel ist es zum einen, die Kosten für die Anbieter in vernünftigen Grenzen zu halten, zum anderen sollen die Ausschüsse nicht übermäßig mit Inhalten belastet werden, die nicht zu ihren zentralen Aufgaben gehören. Filme mit einer Spieldauer unter 60 Minuten und Filme, die nicht über eine zusam160 menhängende Spielhandlung verfügen (zB Dokumentarfilme oder Musikfilme), können in einem verkleinerten Ausschuss (drei Prüfer) freigegeben werden.148 Das gleiche gilt für erneute Vorlagen wegen veränderter Umstände oder nach Durchführung von Schnitten, wenn die erste Prüfung mindestens 10 Jahre zurückliegt. Auch Filme, die bereits in einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Fernsehsender ausgestrahlt wurden, werden in diesem Ausschuss geprüft. Zusätzlich wird für Videoclips, Dokumentationen, Beiprogramme(meist auf DVDs) 161 und Zeichentrick/Animation ein weiteres vereinfachtes Prüfverfahren zur Verfügung
141 142 143 144
§ 22 Abs 1 FSK-Grundsätze. § 22 Abs 1 FSK-Grundsätze. § 23 Abs 2 FSK-Grundsätze. § 23 Abs 3 FSK-Grundsätze.
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§ 23 Abs 4 FSK-Grundsätze. § 16 Abs 1 FSK-Grundsätze. § 16 Abs 3 FSK-Grundsätze. § 24 Abs 1 FSK-Grundsätze.
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§4
Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)
gestellt. Die Prüfung erfolgt hier durch eigens dafür benannte Personen (Einzelprüfung), die vom Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden in Abstimmung mit der Film- und Videowirtschaft bestimmt werden.149 Auch Fernsehserien (unter 60 Min), die ohne Beanstandungen zwischen 06.00 und 22.00 Uhr im Fernsehen ausgestrahlt wurden, können in der Einzelprüfung freigegeben werden. Das Kennzeichen keine Jugendfreigabe kann in diesem Prüfverfahren nicht erteilt werden. Auf eine Prüfung im vereinfachten Verfahren besteht kein Rechtsanspruch. Gegen die Entscheidung des Einzelprüfers kann der Antragsteller eine Prüfung durch den normalen Ausschuss herbeiführen. Filme, die ausschließlich im Bereich der nichtgewerblichen Nutzung ausgewertet wer- 162 den, können ebenfalls in der Einzelprüfung freigegeben werden. Die hierfür antragsberechtigten Institutionen sind vor allem Landesbildstellen oder andere Einrichtungen, die im Bereich der schulischen oder außerschulischen Bildung arbeiten. k) Anbringung des Kennzeichens, Verbindlichkeit der Freigabe. aa) Kinofilme. Bei 163 Kinofilmen muss die jeweilige Altersfreigabe deutlich sichtbar an der Kinokasse kenntlich gemacht werden. Der Kinobetreiber darf grds nur solche Personen zum Kinobesuch zulassen, die das Freigabealter erreicht haben. Wenn der Verantwortliche die Kontrolle nicht selbst durchführen kann, ist zu empfehlen, dass er eine klare Regelung für die Durchführung der Kontrolle trifft. Besondere Regelungen gibt es für Filme, die ohne Altersbeschränkung freigegeben sind: Kinder unter sechs Jahren dürfen diese nur in Begleitung eines Personensorgeberechtigten besuchen. Filme mit einer Freigabe ab 12 Jahren können auch von Kindern ab 6 Jahren besucht werden, sofern sie von einem Personensorgeberechtigten begleitet werden. bb) Trägermedien. Bei Trägermedien (Video, DVD) muss das Kennzeichen sowohl auf der Hülle als auch auf dem Trägermedium selbst angebracht sein. Die Größe, die Gestaltung, der Text sowie die Farbe des Kennzeichens sind von den Obersten Landesjugendbehörden vorgegeben. Wird eine DVD als Beilage einer Zeitschrift eingesetzt, so muss die Zeitschrift selbst auf die entsprechende Freigabe hinweisen. Werden Filme, die eine Freigabe bei der FSK erhalten haben, im Internet angeboten, so muss auf die Freigabe der FSK hingewiesen werden. Bei den Altersfreigaben der FSK handelt sich um einen Verwaltungsakt. Es darf nur das Kennzeichen verwendet werden, das die FSK auch tatsächlich erteilt hat. Es ist dem Anbieter auch nicht gestattet, abweichend vom FSK-Ergebnis eigenständig eine höhere Altersfreigabe anzugeben. Einige Anbieter von Videos oder DVDs haben versucht, japanische Anime-Comics ohne FSK-Freigabe im Versandhandel anzubieten. Allerdings wurden die Filme von der in Großbritannien tätigen British Board of Filmclassification (BBFC) mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet. Dagegen klagte ein Wettbewerber. Das Landgericht Koblenz hat das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ausgesetzt. Der EuGH-Generalanwalt hat dazu am 13. September 2007 allerdings die Auffassung vertreten, dass Deutschland nicht verpflichtet werden könne, die Freigaben anderer Länder anzuerkennen. Eine abschließende Entscheidung wird im Winter erwartet, in den meisten Fällen folgt jedoch das Gericht dem Votum des Generalanwaltes.150
149 150
§ 25 FSK-Grundsätze. Vgl Deutschland kann an Altersfreigaben festhalten, JMS-Report 5/2007, 10.
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cc) Zuständigkeiten, Regeln für den Verkauf bespielter Trägermedien. Zuständig für die Überprüfung der Einhaltung des Jugendschutzgesetzes im Kino, in Geschäften und Videotheken sind die lokalen Ordnungsbehörden. Sie führen regelmäßig Jugendschutzkontrollen durch. Bei Verstößen gegen Jugendschutzbestimmungen muss der Betreiber mit Bußgeldern bis zu € 50 000,– rechnen.151 Bei Verkauf oder Vermietung bespielter Trägermedien müssen die Alterskennzeichnungen beachtet werden. Videos oder DVDs, die nicht über eine Alterskennzeichnung verfügen, dürfen Kindern und Jugendlichen nicht angeboten und nicht an sie verkauft werden. Sie dürfen nicht an Kiosken oder im Wege des Versandhandels verkauft werden. Als Versandhandel ist jedes entgeltliche Geschäft zu verstehen, das durch öffentlich zugängliche Kataloge oder andere Werbung – wozu inzwischen auch über das Internet verbreitete Werbung gehört – aufgrund einer Bestellung zustande kommt und bei dem keine persönliche Beziehung oder Verbindung zwischen dem Anbieter und dem Kunden besteht. Kann der Händler sicherstellen, dass es sich beim Empfänger um eine erwachsene Person handelt, gelten die Jugendschutzvorschriften nicht.152 Dies ist entweder durch das sog Postidentverfahren oder eine persönliche Ausweiskontrolle bei der Übergabe der Ware möglich. Weniger strenge Regeln gelten, wenn Filme bspw in Internet Plattformen angeboten werden, auf denen Dritte eigenverantwortlich mit Waren handeln. Ein typisches Beispiel hierfür ist eBay. Der Betreiber der Plattform wird nicht verpflichtet, bei jedem einzelnen Angebot zu prüfen, ob es gegen Jugendschutzbestimmungen verstößt. Allerdings muss es in jedem Fall gesperrt werden, wenn der Betreiber davon Kenntnis erhält. Darüber hinaus muss er alles Mögliche und Zumutbare unternehmen, um auszuschließen, dass zB indizierte oder pornografische Trägermedien angeboten werden. So verfügt eBay über eine Software, die alle Angebote nach indizierten Titeln durchsucht. Bei pornografischen Titeln hingegen ist ein solches Verfahren nicht möglich, da nur ein geringer Teil der Titel in der Indizierungsliste oder sonstigen Aufstellungen verzeichnet ist.153 In Ladengeschäften muss bei Filmen, die keine Jugendfreigabe erhalten haben, deutlich darauf hingewiesen werden, dass dieses Angebot nicht für Kinder und Jugendliche gilt.154 Trägermedien mit Inhalten, die indiziert oder pornografisch iSv § 184 Abs 1 StGB sind, dürfen nur unter der Ladentheke gehandelt werden. Sie dürfen also nicht öffentlich ausgestellt und beworben werden. Nur Erwachsene dürfen eine Liste der entsprechenden Angebote erhalten und diese erwerben. In Ladengeschäften, in denen bespielte Trägermedien vermietet werden, dürfen pornografische oder indizierte Inhalte nur dann vorrätig gehalten werden, wenn Kindern und Jugendlichen der Zutritt generell verweigert wird. In diesem Falle muss das Schaufenster so gestaltet sein, dass man von öffentlichen Verkehrsflächen nicht in das Geschäft einsehen kann. Strittig ist, welche Anforderungen an das Ladengeschäft gestellt werden und ob das frühere Shop-in-the-Shop-System ausreicht. Dieses System bietet innerhalb eines für jedermann zugänglichen Geschäftes einen abgeschlossenen Bereich an, in dem indizierte und 151 152 153
§ 28 Abs 5 JuSchG. § 1 Abs 4 JuSchG. Dies hat der BGH klargestellt. Geklagt hatte ein Verband der Videowirtschaft, der bemängelte, eBay würde auf seiner Auktionsplattform auch indizierte und pornografische Trägermedien anbieten. Er sah
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darin eine wettbewerbswidrige Handlung. Der BGH gab dem Kläger recht, stellte allerdings auch fest, dass eBay keine „unzumutbaren Prüfungspflichten“ auferlegt werden können, die das gesamte Geschäftsmodell infrage stellen würden (Az. I ZR 18/04/4). § 12 Abs 3 JuSchG.
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Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)
pornografische Trägermedien vorrätig sind. In der Rechtsprechung wird es überwiegend nicht als ausreichend angesehen.155 Allerdings wird dies in manchen Städten unterschiedlich beurteilt. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sich diese Vorschrift als nicht besonders sinnvoll erwiesen hat, denn sie hatte zufolge, dass 90 % Videotheken nur für Erwachsene zugänglich waren. Kinder oder Jugendliche mussten sich ihre Videos über erwachsene Dritte besorgen, wobei die Altersfreigabe keine Rolle spielt. Zum anderen ist ein Urteil des BGH zu einer Videothek, die pornografische Videokassetten in einem Automaten anbot, der in einem abgetrennten Raum stand, von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen und hat die Anwesenheit eines eigenen Personals nicht mehr als zwingend erforderlich zur Erfüllung der Voraussetzungen für ein Ladengeschäft iSv § 184 Abs 1 Nr 3a StGB angesehen.156 5. Jugendschutz und Computerspiele: Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) a) Historie. Nach § 12 Abs 1 JuSchG müssen seit 2003 auch Computerspiele mit 174 Altersfreigaben versehen sein, wenn sie an Minderjährige abgegeben werden sollen. Auch hierfür sind die Obersten Landesjugendbehörden zuständig. Die Prüfung wird (analog zur FSK) von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in Berlin durchgeführt. Die Vertriebsbeschränkungen für Computerspiele sowie die Altersstufen sind identisch mit jenen für Trägermedien. Bis 2003 arbeitete die USK als reine Selbstkontrolleinrichtung. Da es für Computer- 175 spiele keine Kennzeichnungspflicht gab, waren ihre Prüfergebnisse lediglich eine Empfehlung für die Konsumenten. Das hat sich durch das neue Jugendschutzgesetz geändert, das nun ausdrücklich Computerspiele mit einbezieht. Die Ausschüsse der USK prüfen nun auch unter dem Vorsitz eines von den Obersten Landesjugendbehörden benannten Ständigen Vertreters.157 b) Struktur der USK. Die USK wird getragen vom Förderverein für Jugend- und 176 Sozialarbeit e.V. in Berlin (FJS). Sie verfügt über einen Beirat, in dem neben Kirchenvertretern, Behördenvertretern auch die Obersten Landesjugendbehörden und die Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vertreten sind. Dieser Beirat hat die USK-Grundsätze verabschiedet, die von den Obersten Landesjugendbehörden gebilligt wurden. Die Verfahren bei der USK sind im Wesentlichen mit denen bei der FSK vergleichbar. Die Aufgaben der USK werden in § 1 ihrer Grundsätze beschrieben. Dazu gehören in erster Linie die Prüfung von Spielen auf Bildträgern zur Kennzeichnung durch die Obersten Landesjugendbehörden, die Beratung der Anbieter, um auch dort Sensibilität für Aspekte des Jugendschutzes zu schaffen, sowie Öffentlichkeitsarbeit, um Kinder und Jugendliche, aber auch die Eltern, über Chancen und Risiken der Spiele zu informieren. Die Prüfer (Gutachtenden) bei der USK müssen die notwendigen fachlichen Qualifi- 177 kationen aufweisen.158 Sie werden vom Beirat benannt. Sie dürfen nicht im Bereich der Softwarewirtschaft beschäftigt sein. Die Gutachtenden wählen aus ihren Reihen einen
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So LG Stuttgart BPS-Report 1/86, 14 f; LG Verden BPS-Report 2/86, 16 f. BGHSt 48, 278; BGH NJW 2003, 2838. Als Grund vertrat der BGH die Auffassung, die technischen Sicherungsmöglichkeiten seien
157 158
inzwischen besser geworden und würden somit ausreichen. Vgl Hilse JMS-Report 3/2004, 2 ff. § 4 Abs 2 USK-Grundsätze.
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Sprecher (eine Sprecherin), der/die Mitglied des Beirats ist. Auch die Tester (die Personen, die nach ihrer Beschäftigung mit einem Computerspiel dieses den Ausschüssen vorführen) müssen entsprechende fachliche Qualifikationen verfügen, sie sind unabhängig und dürfen ebenfalls nicht im Bereich der betroffenen Wirtschaft beschäftigt sein. Nach § 6 Abs 2 der Grundsätze wird die Regelprüfung nach Eingang und Über178 prüfung der Unterlagen des Antragstellers in einem Ausschuss von fünf Personen durchgeführt, denen vier Gutachtende sowie der Ständige Vertreter, der den Vorsitz führt, angehören. Für eine Prüfentscheidung reicht die einfache Mehrheit. Computerspiele, bei denen der Antragsteller eine Freigabe ohne Altersbeschränkung 179 oder ab sechs Jahren beantragt, werden durch die USK in einem vereinfachten Verfahren geprüft, das aus drei Gutachtenden besteht. Der Ständige Vertreter wirkt an der Prüfung ohne Stimmrecht mit. Entschieden wird dann, wenn alle drei Gutachtenden zustimmen.159 Stimmt ein Gutachtender oder der ständige Vertreter dem Ergebnis nicht zu, muss über das Spiel im Regelverfahren entschieden werden.
180
c) Berufungen. Gegen die Entscheidung des Regelverfahrens kann sowohl die antragstellende Firma als auch der Ständige Vertreter Berufung einlegen. Hierfür wird für den Antragsteller eine Frist von zwei Wochen festgelegt, für den Ständigen Vertreter gilt eine Frist von 24 Stunden. Über die Berufung entscheidet ein Ausschuss, der in seiner Zusammensetzung mit dem der Regelprüfung identisch ist. Allerdings dürfen Gutachtende, die an der Regelprüfung beteiligt waren, am Berufungsausschuss nicht teilnehmen.160 Gegen diese Entscheidung kann der Antragsteller oder der Ständige Vertreter eine 181 weitere Berufung einlegen. In diesem Falle prüft ein aus sieben Gutachtenden bestehender Ausschuss. Ihm gehören der Sprecher der Gutachtenden, der Ständige Vertreter, der Vorsitzende des Beirates sowie vier nach einem bestimmten Verfahren ausgewählte Beiratsmitglieder an. Die Prüfentscheidung wird jeweils mit einfacher Mehrheit gefällt.161 Gegen die letztinstanzliche Entscheidung kann eine Oberste Landesjugendbehörde 182 innerhalb einer Frist von zehn Tagen Appellation einlegen. Über die Appellation wird in einem Ausschuss von sieben Personen entschieden, die direkt von den Obersten Landesjugendbehörden benannt werden. An den Prüfungen können der Ständige Vertreter und der Leiter der USK ohne Stimmrecht teilnehmen.
183
d) Besondere Prüfverfahren. In § 11 der USK-Grundsätze werden verschiedene besondere Prüfungen ermöglicht, die ausschließlich durch den Ständigen Vertreter durchgeführt werden. Dabei geht es bspw um die Prüfung von Inhaltsgleichheit: unter anderem fällt hierunter auch die Feststellung, ob ein Spiel mit einem von der Bundesprüfstelle indizierten Spiel wesentlich inhaltsgleich ist.
184
e) Verweigerung der Kennzeichnung. Nach § 12 Abs 5 kann die Kennzeichnung verweigert werden. Das ist der Fall, wenn der Ausschuss zum Ergebnis kommt, dass das Spiel gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt, offensichtlich schwer jugendgefährdend oder sonst unzulässig ist oder eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle in Frage kommt. Ist sich der Ausschuss bzgl der Frage, ob das Spiel von der Bundesprüfstelle als jugendgefährdend eingestuft werden würde, unsicher, so wird eine Entscheidung der Bundesprüfstelle herbeigeführt, wenn der Antragsteller diesem Verfahren nicht ausdrücklich widerspricht.
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§ 7 USK-Grundsätze. § 8 USK-Grundsätze.
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§ 9 USK-Grundsätze.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
f) Die USK in der Kritik. Obwohl die USK rechtlich und organisatorisch mit der FSK 185 vergleichbar ist, steht sie zum Teil massiv in der Kritik. Die Hauptvorwürfe beziehen sich darauf, dass die USK nicht über ein transparentes Verfahren für die Auswahl und den Einsatz der Prüfer verfüge. Abgesehen vom Ständigen Vertreter werden die Prüfer von der USK selbst benannt und eingesetzt. Des Weiteren wird kritisiert, dass die USK in ihren Ausschüssen ein Spiel nicht komplett zur Kenntnis nimmt, sondern sich auf sog Tester verlässt, die dem Ausschuss die wesentlichen Elemente des Spieles vorführen.162 Dieser Vorwurf ist berechtigt, auf der anderen Seite ist es fast unmöglich, mit mehreren Personen gleichzeitig ein Computerspiel, das anders als Filme nicht linear vorzuführen ist, komplett durchzuspielen. Der USK wird eine zu liberale Freigabepraxis vorgeworfen und eine zu große Nähe zur Wirtschaft unterstellt. In einer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) vorgestellten Studie wird beklagt, dass 82 % der Jugendlichen zwischen 14 und 15 Jahren Spiele kennen, die über keine Jugendfreigabe verfügen oder gar indiziert sind. Dies weist aber wohl eher auf ein Defizit im Bereich der Kontrolle und der elterlichen Aufsichtspflichten hin. Mit einer strengeren Freigabe ist dieses Problem jedenfalls kaum zu lösen. 6. Die Automaten Selbstkontrolle (ASK) Das Spielen an Automaten ohne Gewinnmöglichkeit darf Kindern und Jugendlichen 186 ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten oder erziehungsberechtigten Person nur gestattet werden, wenn der Inhalt des Spiels von den Obersten Landesjugendbehörden oder einer Organisation der Freiwilligen Selbstkontrolle geprüft wurde und mit der auch für Kinofilme oder Trägermedien geltenden Altersfreigabe versehen sind. In öffentlichen Verkehrsflächen dürfen solche Automaten nur aufgestellt werden, wenn die Inhalte des Automatenspiels ab sechs Jahren freigegeben sind. Die Freigabe für Automatenspiele wird von der Automaten Selbstkontrolle (ASK) mit Sitz in Berlin erteilt. Der Aufenthalt in Spielhallen ist Kindern und Jugendlichen nicht gestattet. Die Teil- 187 nahme an Spielen mit Gewinnmöglichkeiten darf ihnen nur auf Volksfesten, Schützenfesten, Jahrmärkten, Spezialmärkten oder ähnlichen Veranstaltungen gestattet werden, wenn der Gewinn der Waren von geringem Wert ist.163
§5 Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) I. Zielsetzung des JMStV Der Jugendschutz im Fernsehen wird, ebenso wie der Jugendschutz für Telemedien 188 (Internet), im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geregelt. Ziel des Gesetzes ist es zum einen, für vergleichbare Inhalte unabhängig von der Art der Verbreitung dasselbe Maß an Jugendschutz zu gewährleisten. Zum anderen geht der Gesetzgeber davon aus, dass angesichts der rasanten Vermehrung von Inhalten und Vertriebswegen der Jugendschutz ohne die Mitwirkung der Anbieter nicht mehr einzuhalten ist.
162
So Höynck/Mößle/Kleimann/Pfeiffer/Rehbein, 62.
163
§ 6 JuSchG.
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Im Bereich des Fernsehens und des Internets muss bedacht werden, dass eine faktische Kontrolle der Jugendschutznormen nicht möglich ist. Wenn ein Film oder ein Programm aufgrund der Bestimmungen des JMStV nur im Nachtprogramm ausgestrahlt wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass jüngere Kinder zuschauen, zwar sehr gering, auszuschließen ist es allerdings nicht. Auf der anderen Seite bedeuten Einschränkungen bei der Sendezeit aufgrund von Jugendschutzbestimmungen gleichzeitig auch, dass Erwachsene entsprechende Filme oder Programme zu dieser Zeit nicht wahrnehmen können. In der Praxis heißt das zum einen, dass bestimmte Programme, die Erwachsene im Bereich des Kinos oder des Videomarktes jederzeit wahrnehmen können, im Bereich des Fernsehens oder des Internets gänzlich unzulässig sind (zB indizierte Filme). Zum anderen muss aber zwischen den Interessen der Erwachsenen und denen des Jugendschutzes abgewogen werden. Der JMStV setzt deshalb auf eine geteilte Verantwortung der Anbieter auf der einen Seite und der Familie auf der anderen. Das Ziel dieses Staatsvertrages wird in § 1 JMStV wie folgt formuliert: 190 Zweck des Staatsvertrages ist der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. 1. Das System der regulierten Selbstregulierung
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Zur Durchsetzung dieser Ziele geht der Staatsvertrag neue Wege. Die Durchsetzung und Kontrolle der Bestimmungen werden durch das System der sog regulierten Selbstregulierung vollzogen. Da nach Art 5 Abs 2 GG die Durchsetzung des Jugendschutzes Aufgabe des Staates ist, kann der Staat den Jugendschutz nicht ausschließlich Selbstkontrolleinrichtungen übertragen.164 Deshalb bestimmt das Gesetz ein Miteinander von der nach dem Gesetz zuständigen Aufsicht und Institutionen der Freiwilligen Selbstkontrolle.165 2. Die Anerkennung von Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle
192
Zwar ist nach dem JMStV die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) für die Kontrolle der Jugendschutzbestimmungen im Fernsehen und dem Internet verantwortlich. Sie ist ein Organ der für die Lizenzierung und die Kontrolle des privaten Rundfunks in Deutschland zuständigen Landesmedienanstalten. Das Gesetz gibt den Anbietern aber gleichzeitig die Möglichkeit, eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle einzurichten, die, sofern sie die in § 19 Abs 3 JMStV getroffenen Voraussetzungen erfüllt, von der KJM anzuerkennen ist. Eine anerkannte Selbstkontrolle kann in ihrem Zuständigkeitsbereich die Bestimmungen des Gesetzes weitgehend selbstständig durchsetzen. Die Zuständigkeit der KJM beschränkt sich auf solche Fälle, die der Selbstkontrolle nicht vorgelegt wurden oder in denen die Selbstkontrolle den ihr zustehenden fachlichen Beurteilungsspielraum überschritten hat. Dieses Modell der regulierten Selbstregulierung beabsichtigt, dass die Einschätzung von Programminhalten und die Durchsetzung der Jugendschutzbestimmungen weitgehend von den Selbstkontrolleinrichtungen übernom-
164 165
BVerfG 83, 130, 139 ff. So bezeichnet Bornemann das System als
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„Teilprivatisierung der Aufsicht“, Bornemann NJW 2003, 787.
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§5
Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
men werden, während die KJM nur noch für grundsätzliche Fragen verantwortlich ist und so dafür sorgen soll, dass die Selbstkontrolleinrichtungen ihre Aufgaben sachlich vertretbar und im erforderlichen Umfang wahrnehmen.166
II. Unzulässige Sendungen iSd JMStV In § 4 Abs 1 JMStV werden Sendungen oder Telemedien aufgeführt, die völlig unzulässig sind, also auch in der Verbreitung an Erwachsene. Weitgehend handelt es sich dabei um bereits nach dem Strafrecht relevante Straftatbestände, Sanktionsmöglichkeiten sind nach dem JMStV jedoch leichter durchzusetzen. Soweit es sich um einen strafrechtlich relevanten Tatbestand handelt, ist die strafrechtliche Auslegung anzuwenden.167 Unzulässig sind Inhalte, die Propagandamittel iSd § 86 des Strafgesetzbuches darstellen oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen iSd § 86a des Strafgesetzbuches verwenden, Inhalte, die zum Hass gegen Rassen oder Minderheiten aufstacheln oder die während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Grausamkeiten leugnen.168 Des weiteren sind Inhalte verboten, die gegen §§ 131 und 184 StGB verstoßen oder in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen sind. Auch Darstellungen von leidenden Menschen in einer ihre Würde verletzenden Weise sind nicht gestattet, ebenso wie die Darstellung von Kindern oder Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung.169 Das Verbot der Darstellungen von Menschen, die sterben oder schwerem körperlichem oder seelischem Leiden ausgesetzt sind und dadurch in ihrer Würde verletzt sind, gilt auch für die Berichterstattung, es sei denn, dass gerade für diese Form der Darstellung ein berechtigtes Interesse vorliegt.170 Diese Regelung erweist sich in der Praxis als problematisch. Es ist nachvollziehbar, dass bspw im Rahmen der Kriegsberichterstattung oder in Reportagen über Katastrophen, Unfälle oder Verbrechen das Leiden der Menschen nicht unnötig lang und detailliert ins Bild gesetzt werden soll. Auf der anderen Seite dienen solche Bilder aber auch dazu, den Zuschauern die Brutalität und Abscheulichkeit von Kriegen oder terroristischen Anschlägen zu verdeutlichen. Gerade in Berichten und Dokumentationen über die während der Nazizeit begangenen Gräueltaten und Menschenwürdeverstöße dienen solche Bilder dazu, Mitgefühl für die Opfer und eine Verurteilung der nationalsozialistischen Herrschaft zu erzeugen. Bei der Auslegung dieser Verbotsnorm muss also bedacht werden, dass der Gesamteindruck einer Sendung zu berücksichtigen ist, also die Frage, ob der gezeigte Verstoß gegen die Menschenwürde befürwortet oder verharmlost wird oder ob sich die Sendung insgesamt eindeutig dagegen stellt. Das BVerfG 171 folgt der sog Objekt-Formel, wonach Menschen nicht zum bloßen Objekt degradiert werden dürfen, indem der soziale Wert- und Achtungsanspruch und damit die Subjektqualität des Menschen infrage gestellt wird. Da die Menschenwürde unantastbar ist, ist eine Abwägung mit anderen Grundrechten unzulässig. Das bedeutet
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Vgl Mynarik 127 ff. Vgl Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner Fn 21. Zu beachten ist, dass für Fälle von Nr 1–6 die Sozialadäquanzklauseln des StGB gelten, nach denen Darstellungen im Rahmen der Kunst oder Wissenschaft ausgenommen sind. In einem Spielfilm oder Dokumentar-
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film über das Dritte Reich ist es erlaubt, zB Hakenkreuze zu zeigen. Es handelt sich um solche Angebote, die sich in stimulativer Absicht an Pädophile wenden. § 4 Abs 1 Nr 8 JMStV. BVerfGE 96, 375, 399.
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7. Teil
aber auch, dass eine Menschenwürdeverletzung deutlich und offensichtlich sein muss, sie muss grundlegend und prinzipiell sein, und sie muss eine gewisse Intensität erreichen.172 In der Praxis gibt es erstaunlicherweise bisher keine Beanstandungen zu Kriegs- oder 197 Katastrophenberichterstattung. Stattdessen wurde zB die Nachrichtensendung eines Privatsenders beanstandet, die den Pflegenotstand in Deutschland anhand eines zufällig von einem Hobbyfunker aufgenommenen Überwachungsvideos verdeutlichen wollte. Das Video zeigt, wie ein hilfloser alter Mann von seiner Stieftochter, die ihn eigentlich pflegen soll, beschimpft und misshandelt wird. Die Qualität des Videos ist sehr schlecht, so dass niemand zu erkennen ist, gleichzeitig wirkt es aber authentisch, so dass man sich als Zuschauer der Wirkung nicht entziehen kann. In der Sendung wird dies zum Anlass genommen, mit mehreren Sachverständigen über den Pflegenotstand und Möglichkeiten der Abhilfe zu debattieren. Die KJM warf der Sendung vor allem vor, dass Ausschnitte aus dem Video nicht nur einmal, sondern mehrere Male in der Sendung gezeigt wurden. Damit sei das Maß an berechtigtem Interesse der Berichterstattung überschritten. Der Sender argumentierte, die Sendung sei allein schon deshalb kein Verstoß gegen die Menschenwürde, weil sie Menschenwürdeverletzung anprangere. Die Wiederholung der Bilder sei wichtig, um die Empathie des Zuschauers während der Sendung aufrechtzuerhalten. Die abstrakte Schilderung, Statistiken oder Interviews würden nicht die Emotion Zuschauers ansprechen, diese sei aber wichtig, um sich gegen entsprechende Menschenwürdeverletzungen zu wenden. Außerdem sei die Beanstandung ein Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung. In erster Instanz folgte das VG Hannover 173 der Argumentation der KJM, das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Im Bereich des Fernsehens spielt in der Praxis vor allem das Pornografieverbot eine 198 Rolle, da es hier oft schwierige Abgrenzungsprobleme gibt. Im Bereich des Internets haben auch die anderen Verbotsnormen eine mehr oder weniger große Bedeutung. Sie im Einzelnen hier zu erläutern, würde zu weit führen.174 1. Grenzziehung zwischen Erotikfilmen und Pornografie
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Dies spielt vor allem eine Rolle, seit nach der Einführung des privaten Fernsehens dort auch Erotikfilme ausgestrahlt werden. Während vorher sexuelle Darstellungen vor allem im Kino, auf Video oder in entsprechenden Magazinen veröffentlicht wurden, zu denen der Konsument gezielt und aus eigenem Antrieb Zugang suchte, geht man beim Fernsehen davon aus, dass auch solche Menschen mit entsprechendem Material konfrontiert werden, die dies nicht wünschen. Ende der neunziger Jahre hat es daher vor allem bei Programmen des Pay-TV-Senders Premiere erhebliche Diskussionen um die Grenzen zwischen im Fernsehen erlaubten Erotikfilmen und verbotener Pornografie gegeben. Daran waren weniger die Strafgerichte beteiligt, sondern die für das Fernsehen zuständigen Landesmedienanstalten. Diese vertraten die Ansicht, dass die bis dahin in der Praxis als Unterscheidungskriterium geltende Definition, nämlich die detaillierte Darstellung der Geschlechtsteile, nicht allein zutreffend sei. Nach Vorstellung der Landesmedienanstalten handelt es sich bereits dann um Pornografie, wenn ein Film überwiegend aus der Darstellung sexueller Handlungen mit wechselnden Sexualpartnern besteht, ohne dass dies in eine außersexuelle Rahmenhandlung eingebunden ist. 172 173 174
So Cole 264. VG Hannover Urteil vom 6.2.2007 Az 7 A 5470/06 (nicht rechtskräftig). Eine ausführliche Erläuterung findet sich in den Richtlinien zur Anwendung der Prüf-
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ordnung der FSF, Teil III, 25 ff, abrufbar unter www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/ download/FSF_Richtlinien_gesamt.pdf; s auch Teil 7 Kap 3 Rn 215–258.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
Im werbefinanzierten frei empfangbaren Fernsehen wurden schon Ende der achtziger 200 Jahre regelmäßig Erotikfilme ausgestrahlt. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um Filme, die in den siebziger Jahren für das Kino produziert wurden und, zumindest unter Schnittauflagen, über eine Freigabe vor Erwachsenen verfügten. Während die frei empfangbaren Sender ihr Erotikprogramm allmählich reduzierten, wuchs der Anteil der sog Cableversions im Pay-TV, die aus den USA importiert wurden. Dabei handelte es sich um Filme, die mit zwei Kameras aufgenommen waren. Die eine Kamera zeigte alle Details des Geschlechtlichen, der Film war für den Pornomarkt in geschlossenen Videotheken gedacht. Für das amerikanische Kabelfernsehen vermied die andere Kamera den direkten Blick auf die Geschlechtsteile. Dennoch unterschieden sich die Filme deutlich von den deutschen Sexfilmen der siebziger Jahre, bei denen das nostalgische Element manchmal stärker wirkt als die erotische Stimulans. Die handelnden Personen wirken authentisch und modern, und wer die Produktionsbedingungen kannte, wusste, dass die sexuellen Handlungen nicht simuliert, sondern real waren. 2. Erotikprogramme in Pay-TV-Sendern Die Pay-TV-Sender argumentierten, ihr Programm sei nicht frei empfangbar, die De- 201 coder würden aufgrund der allgemeinen Geschäftsbedingungen nur an Erwachsene abgegeben, die sich mit dem Personalausweis identifizieren müssen. Deshalb waren sie der Meinung, mehr zeigen zu dürfen als ihre Kollegen vom frei empfangbaren Fernsehen. Zwar war ihnen klar, dass ihre Programme als Rundfunk gelten und sie damit unter die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags 175 fielen, der die Ausstrahlung pornografischer Programme im Fernsehen verbot, aber sie vertraten die Auffassung, dass bei ihnen das Jugendschutzproblem aus den oben genannten Gründen geringer sei. Sie forderten, dass bei ihnen der Pornografiebegriff großzügiger auszulegen sei. Alle einschlägigen Erotikfilme wurden der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) 202 vor der Ausstrahlung vorgelegt. Die für die Aufsicht über Premiere zuständige Hamburgische Anstalt für neue Medien (HAM) stellte dennoch Erotikfilme mit einer Freigabe der FSF unter Beobachtung. Bald wurden zwei Filme, die gemäß ihrer FSF-Freigabe von Premiere ausgestrahlt worden waren, als pornografisch eingestuft. Es wurde ein Beanstandungsverfahren eingeleitet. Einige Zeit später kamen fünf weitere Filme hinzu. Ein von der HAM bei dem Leipziger Strafrechtsexperten Heribert Schumann in Auf- 203 trag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass einige der Filme pornografisch seien. Nachdem ein von Herbert Selg verfasstes psychologisches Gutachten, das von der FSF in Auftrag gegeben wurde, jedoch zu dem Ergebnis kam, dass die betreffenden Filme keine jugendgefährdenden Wirkungen aufwiesen 176, änderte Schumann seine Auffassung. Die nach dem Strafrecht für die Beschränkung von Pornografie geltenden rechtlichen Bestimmungen seien verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn eine Jugendgefährdung durch pornografische Inhalte zumindest im Bereich des Wahrscheinlichen liege. Ginge es lediglich darum, durch das Pornografieverbot eine bestimmte Sexualmoral zu schützen, so würde dies gegen den freiheitlichen Grundgedanken der Verfassung verstoßen.177 Schu175 176
Bis 2003 waren die Jugendschutzvorschriften im Rundfunkstaatsvertrag geregelt. Selg interpretiert die Forschungslage so, dass stimulierende Bilder in der Pornografie in ihrer Absicht erkannt und von den Rezipienten nicht mit der Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden. Dagegen sei die Ver-
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bindung sexueller Handlungen mit Gewalt als Muster äußerst gefährlich, vgl Selg Pornographie und Gewalt BPS-Report 4/1988, 1 ff sowie Selg Pornographie und Erotographie tv diskurs 1/1997, 48 ff. Vgl Schumann Zum Begriff der Pornographie 2/1997, 57 ff.
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7. Teil
mann schlug vor, nur noch solche Inhalte als pornografisch zu definieren, die durch die Entpersönlichung und Ignoranz der sexuellen Selbstbestimmung des Menschen gegen den Schutz der Menschenwürde (Art 1 GG) verstoßen.178 Die HAM wollte dies nicht nachvollziehen. Der Gesetzgeber habe entschieden, dass pornografische Inhalte Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Der BGH sowie weitere Gerichte hätten den Pornografiebegriff hinreichend definiert. Außerdem gehe es nicht nur um Jugendschutz, sondern auch um den Konfrontationsschutz, der vor allem im Bereich des Rundfunks von großer Bedeutung sei. Die Landesmedienanstalten hätten dies zu beachten. Drei Filme wurden beanstandet.179 Der Sender Premiere klagte gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Hamburg. Zum einen ging es um die Frage, ob die inzwischen nicht mehr ganz neue Definition des BGH vor dem Hintergrund neuer Wirkungserkenntnisse noch haltbar sei, zum anderen sollte geprüft werden, ob die besonderen Bedingungen der Ausstrahlung im Pay-TV ausreichend seien, um den notwendigen Jugendschutz zu gewährleisten. Zumindest müsse in diesem Bereich eine großzügigere Definition von Pornografie gelten. Die Klage wurde zurückgewiesen 180 und landete letztlich beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) beanstandete 1997 vier im Programm des Münchner Pay-TV-Senders DF1 ausgestrahlte Filme. Der Streitgegenstand sowie die Argumente waren im Wesentlichen die gleichen. Bei RTL 2 wurden ebenfalls einige Erotikfilme als pornografisch beanstandet, obwohl diese eine Freigabe durch die Juristenkommission der SPIO erhalten hatten. Der Sender hatte gehofft, die Landesmedienanstalten würden diese Freigaben eher akzeptieren als die der FSF.181 Als im März 2001 Erotiksender wie Beate-Uhse-TV auf der Plattform von Premiere auf Sendung gingen, wollten die Landesmedienanstalten ebenfalls gegen einige Filme trotz FSF-Freigabe vorgehen. Die für den Sender zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) stellte Strafanzeige gegen den Geschäftsführer des Senders wegen unzulässiger Vorbereitung pornografischer Darbietungen im Rundfunk, vor allem wohl deshalb, um auf diese Weise eine Stellungnahme der Berliner Staatsanwaltschaft zu erhalten. Diese kam zu dem klaren Ergebnis, dass es sich bei keinem der Filme um Pornografie handelte und stellte das Verfahren ein. Obwohl die Spruchpraxis der FSF sowie das Ausstrahlungsverhalten der Sender sich nicht erkennbar änderten, gab es danach keine weiteren Beanstandungen. Im Jahre 2002 hob das Bundesverwaltungsgericht das erstinstanzliche Hamburger Urteil auf 182. Auch wenn viele erhofft hatten, durch das Gericht eine Entscheidung darüber zu erhalten, ob 178 179
Vgl Eser/Schittenhelm/Schumann/Schumann 565 ff. Das Beanstandungsverfahren führte in der Öffentlichkeit zu einer sehr kontrovers geführten Diskussion darüber, ob der Pornografiebegriff noch zeitgemäß ist. Auf einer Veranstaltung der Landesmedienanstalten im Herbst 1997 mit dem Titel Sex sells unterstützte Mahrenholz zum Teil die Position Schumanns, der Kulturwissenschaftler Faulstich forderte einen neuen, zeitgemäßen Pornografiebegriff, vgl Mahrenholz ZUM 1998, 525 ff, sowie Faulstich epd Medien 8, 1997, 8 ff.
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VG Hamburg vom 1.3.2001 – 12 VG 2246/98, danach ist ein Film bei der Ausstrahlung im Fernsehen nach der von der Rechtsprechung zu § 184 StGB entwickelten Kriterien zu beurteilen. Für einen neuen Pornografiebegriff, der nach dem Schutzzweck der Norm (abgestufter Jugendschutz) differenziert, sei kein Raum. Zum Pornografiebegriff der zuständigen Hessischen Landesmedienanstalt vgl Erdemir MMR 2003, 628. BVerfG vom 20.2.2002, AZ 6 C 13.01.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
und wie der Pornografiebegriff neu definiert werden müsse, hat sich das Gericht in dieser Frage zurückgehalten. Stattdessen bemängelte es die fehlende Beschäftigung des erstinstanzlichen Urteils mit der Frage, ob die von Premiere getroffenen Maßnahmen ausreichend seien, um den Jugendschutz effektiv zu sichern. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass sich das Ausstrahlungsverbot Pornografie im Fernsehen zumindest nach dem Strafrecht nur auf Lifedarbietungen bezieht. 3. Der Fall „Adult Channel“ Als ein deutscher Kabelnetzbetreiber den in Großbritannien zugelassenen Erotikkanal 209 Adult Channel in sein Netz einspeiste, vertraten wiederum einige Landesmedienanstalten die Ansicht, es würde sich um unerlaubte Pornografie handeln. Auf Konsequenzen wurde jedoch verzichtet, da es sich um ein in Großbritannien zugelassenes Programm handelte. Gespräche zwischen den Landesmedienanstalten und der zuständigen Aufsichtsbehörde in Großbritannien ergaben, dass nach Ansicht der Briten die Programminhalte nicht pornografisch seien.
III. Jugendschutz im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) Die Bestimmungen zum Jugendschutz werden in § 5 JMStV geregelt. Dessen Abs 1 210 lautet: Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. 1. Sendezeitbeschränkungen und Vorsperren Um dies zu gewährleisten, stehen dem Sender bestimmte Sendezeitbeschränkungen 211 zur Verfügung, bei digitalen Kanälen (aus praktischen Gründen ist das derzeit nur beim Pay-TV möglich) gibt es die Möglichkeit zur technischen Vorsperre. Die Voraussetzungen für diese Vorsperre regeln die Landesmedienanstalten in einer entsprechenden Satzung. Derzeit gilt Folgendes: Der Sender muss Programme, die Sendezeitbeschränkungen unterliegen, so vorsperren, dass das Programm weder optisch noch akustisch wahrnehmbar ist (Schwarzbild ohne Ton). Der Zuschauer wird aufgefordert, den Jugendschutz-PIN einzugehen. Dieser wird dem (erwachsenen) Kunden beim Abschluss des Vertrages (der durch einen Händler unter Vorlage des Personalausweises abgeschlossen wird) ausgehändigt. Eine Möglichkeit für bestimmte Kunden – zB in kinderlosen Haushalten – die Jugendschutzsperre auszuschalten, ist nicht zulässig. Folgt nach Beendigung der vorgesperrten Sendung eine weitere Sendung, die vorzusperren ist, muss der Kunde die PIN erneut eingeben. Digitale Sender, die über die Möglichkeit der Vorsperre verfügen, dürfen nach der gegenwärtigen Satzung der Landesmedienanstalten Filme mit einer Freigabe ab 16 Jahren ohne zeitliche Beschränkungen ausstrahlen, Filme ohne Jugendfreigabe dürfen in der Zeit von 20.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens gezeigt werden, vorausgesetzt, sie sind gesperrt.183 183
Satzung zur Gewährleistung des Jugendschutzes in digital verbreiteten Programmen
des privaten Fernsehens – Jugendschutzsatzung (JSS) vom 25.11.2003.
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7. Teil
2. Festlegung der Sendezeit für wiederkehrende Formate
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Die KJM sowie die FSF sind für die Festlegung von Sendezeiten für Programme zuständig, die nicht über eine FSK-Freigabe verfügen. Dabei sind die Besonderheiten der Ausstrahlung von Filmen im Fernsehen, vor allem bei Fernsehserien, zu beachten.184 Für sonstige Sendeformate, die regelmäßig über einen längeren Zeitraum ausgestrahlt werden, können die KJM oder die FSF für alle weiteren Folgen Sendezeitbeschränkung festlegen, wenn bereits mehrere Folgen gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen haben und aufgrund der Ähnlichkeit der Themen zu vermuten ist, dass auch spätere Folgen zu Verstößen führen werden.185 Diese Regelung wurde vor allem für die nachmittäglichen Talkshows eingeführt. Sie wäre theoretisch bspw auch auf Gerichtsshows anwendbar. Bisher wurde von dieser Möglichkeit aber weder von der KJM noch von der FSF Gebrauch gemacht. 3. FSK-Freigaben und Sendezeitbeschränkungen
Die Sendezeitbeschränkung wird mit einer bestimmten FSK-Freigabe verbunden. Dazu heißt es in § 5 Abs 4: Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung iSv Abs 1 auf Kinder oder Jugendliche anzunehmen, erfüllt der Anbieter seine Verpflichtung nach Abs 1, wenn das Angebot nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Gleiches gilt, wenn eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren zu befürchten ist, wenn das Angebot nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Bei Filmen, die nach § 14 Abs 2 des Jugendschutzgesetzes unter 12 Jahren nicht freigegeben sind, ist bei der Wahl der Sendezeit dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung zu tragen. Die Freigabe der FSK für die Kino- oder Videoauswertung ist also eine wichtige Voraus214 setzung für eine Sendezeitbeschränkung im Fernsehen. Filme mit einer Freigabe ohne Altersbeschränkung oder freigegeben ab sechs Jahren können ohne jede Sendezeitbeschränkung ausgestrahlt werden. Filme mit einer Freigabe ab 12 Jahren können ebenfalls ohne zeitliche Beschränkungen ausgestrahlt werden, es sei denn, dass Wohl jüngerer Kinder könnte beeinträchtigt sein. Auf jeden Fall dürfen diese Filme nach den Richtlinien der Landesmedienanstalten ab 20 . 00 Uhr ausgestrahlt werden, besondere Rücksicht auf jüngere Kinder muss also im Tagesprogramm genommen werden. In der Praxis bereitet die Klärung der Frage, welche Filme mit einer Freigabe ab 215 12 Jahren das Wohl jüngerer Kinder beeinträchtigen können, immer wieder Probleme. Denn im Prinzip sind diese Filme im Tagesprogramm zulässig, der Gesetzgeber will einen vernünftigen Kompromiss zwischen den Interessen der Erwachsenen, die am Tag fernsehen, und dem Jugendschutz erreichen. Vieles spricht dafür, dass vor allem solche Filme nicht während des Tages ausgestrahlt werden sollen, bei denen die Freigabe ab 12 Jahren mit knapper Mehrheit und vielen Gegenargumenten erteilt wurde. Ebenfalls geht es wohl nicht darum, dass eine bestimmte Altersgruppe, etwa die Dreijährigen oder die Achtjährigen, mit jüngere Kinder gemeint sind. Denn das hätte der Gesetzgeber ohne weiteres ins Gesetz aufnehmen können. In den Richtlinien der Landesmedienanstalten finden sich zu dieser Frage keine Erläuterungen, es heißt dort lediglich, dass der Anbieter auf jeden Fall dann die Bestimmung einhält, wenn er den Film zwischen 20 . 00 Uhr und 6 . 00 Uhr ausstrahlt.186
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§ 8 Abs 1 JMStV. § 8 Abs 2 JMStV.
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Gemeinsame Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
Bis zum Jahre 1994 konnten Filme mit einer Freigabe ab 12 Jahren ohne jede zeitliche 216 Beschränkungen ausgestrahlt werden. Da die Sender aufgrund ihrer Lizenzverträge Filme innerhalb von 24 Stunden meist kostenlos wiederholen konnten, wurden nahezu alle Filme des Hauptabendprogramms am nächsten Tag im Tagesprogramm wiederholt, darunter auch gewalthaltige Kriminalfilme oder Kriegsfilme, die zum Teil mit sehr knapper Mehrheit eine Freigabe ab 12 Jahren erhalten hatten. Dies veranlasste den Gesetzgeber, die Bestimmung dahingehend zu verändern, die Ausstrahlung von solchen Filmen im Tagesprogramm davon abhängig zu machen, dass das Wohl jüngerer Kinder berücksichtigt werden musste. Da die Ausstrahlung solcher Filme aber grds im Tagesprogramm erlaubt ist, müssen die Anbieter in jedem Einzelfall abwägen, ob das Wohl jüngerer Kinder tangiert ist. Dabei geht es letztlich um eine gewisse Sensibilität, die aber schlecht anhand von klaren Kriterien verbindlich festzumachen ist. Daher führt diese Bestimmung oft zu Kontroversen zwischen den Sendern, der FSF und der KJM. Filme mit einer Freigabe ab 16 Jahren unterliegen einer Sendezeitbeschränkung zwi- 217 schen 22.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens, Filme, die „keine Jugendfreigabe“ erhalten haben, dürfen nur zwischen 23.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens ausgestrahlt werden. Will ein Sender von diesen Beschränkungen abweichen, so ist dafür eine Ausnahmegenehmigung bei der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bzw der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) erforderlich. Dies ist vor allem dann möglich, wenn zwischen dem Ausstrahlungszeitpunkt und der Prüfung bei der FSK mehr als 10 Jahre vergangen sind oder wenn es sich um eine Schnittfassung handelt, in der die Szenen, die für die Altersfreigabe verantwortlich waren, entfernt wurden. Eine klare Regelung für die Zulassung von Filmen im Ausnahmeverfahren gibt es nicht. Der Antragsteller muss die Zulassung im Einzelfall plausibel begründen können. 4. Die Jugendschutzbeauftragten Eine wichtige Säule des Jugendmedienschutzes sind die Jugendschutzbeauftragten bei 218 den Fernsehsendern und Internetanbietern. Fernsehsender, die nicht bundesweit ausstrahlen, können auf die Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten verzichten, wenn sie sich Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen. Anbieter von Telemedien sind von der Einstellung eines Jugendschutzbeauftragten befreit, wenn sie weniger als 50 Mitarbeiter oder nachweislich weniger als 10 Millionen Zugriffe in einem Durchschnittsmonat haben. Die Jugendschutzbeauftragten sind beim Programmeinkauf, bei der Programmplanung und bei der Gestaltung der Angebote einzubeziehen. Sie sind Ansprechpartner für die Belange des Jugendschutzes innerhalb des Unternehmens, aber auch für die Nutzer.187 5. Regelungen für Werbung Daneben finden sich noch jugendschutzrelevante Normen im Bereich des Werbe- bzw 219 Wettbewerbsrechts, das jedoch nicht Gegenstand dieser Darstellung ist. Der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll hier dennoch zum einen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), das Werbung, die geeignet ist, die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen auszunutzen, verbietet, § 4 Ziff 2 UWG, sowie der Jugendder Menschenwürde und des Jugendschutzes (Jugendschutz-Richtlinien – JuSchRiL) vom 8./9.3.2005, 7; Abruf unter www.fsf.de/fsf2/ ueber_uns/download.htm.
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§ 7 JMStV.
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medienschutz-Staatsvertrag (JMStV), der in § 6 jugendschutzrelevante Aspekte von Werbung und Teleshopping regelt. So dürfen Angebote, die indiziert sind, nicht frei beworben werden, § 6 Abs 1 JMStV. Daneben darf im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht Werbung keine direkten Kaufappelle an Kinder oder Jugendliche enthalten, die deren Unerfahrenheit ausnutzen, § 6 Abs 2 Ziff 1 JMStV. An dieser Stelle kurz angesprochen werden soll auch der Schutz des besonderen Vertrauens, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern oder anderen Vertrauenspersonen haben: es darf nicht für Zwecke der Werbung instrumentalisiert werden, vgl § 6 Abs 2 Ziff 3 JMStV. 6. Jugendschutz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
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Die Jugendschutzbestimmungen des JMStV gelten uneingeschränkt auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Allerdings unterliegen diese nicht der Aufsicht durch die KJM. Für die Festlegung von Sendezeiten nach § 8 JMStV sind die öffentlich-rechtlichen 221 Rundfunkanstalten selbst zuständig. Für Ausnahmeanträge 188 können die zuständigen Gremien auf Antrag des Intendanten eine Genehmigung erteilen. Alle öffentlich-rechtlichen Sender verfügen gem § 7 JMStV über einen Jugendschutzbeauftragten. Allerdings sind diese im Regelfall nicht hauptamtlich in diesem Bereich tätig. Sowohl von der KJM als auch aus den Reihen der Politik wird immer wieder eine 222 gemeinsame Aufsicht über das öffentlich-rechtliche und das private Fernsehen gefordert.189 Die öffentlich-rechtlichen Sender wehren sich jedoch vehement dagegen. Die Aufsicht der Gremien funktioniere gut, außerdem gebe es aufgrund des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dort keine Jugendschutzprobleme. Dafür würden nicht zuletzt die strengen internen Richtlinien sorgen. Vergleicht man die Programmstruktur öffentlich-rechtlicher und privater Sender, so 223 ist es sicher richtig, dass das Jugendschutzrisiko in den Programmen der ARD und des ZDF geringer ist. Jugendschutzprobleme gibt es aber auch dort. Sowohl bei Ausnahmegenehmigungen 190 als auch bei der Festlegung von Sendezeiten für eigenproduzierte Filme (§ 8) wie bspw Tatort oder Rosa Roth kommt es zu Entscheidungen, die bspw von Seiten der KJM offen kritisiert werden. Das Problem liegt wohl vor allem darin, dass es für ähnliche Fälle sehr unterschiedliche Entscheidungsgremien und Entscheidungswege gibt und dies je nach Perspektive den Eindruck der Ungleichbehandlung nahe legt.191 7. Regelungen für Telemedien
224
Telemedien werden ihrer Verpflichtung gerecht, wenn sie Programme, die eine Freigabe ab 12 Jahren erhalten haben oder inhaltlich mit einer solchen Freigabe vergleichbar sind, nicht im Umfeld von Programmen anbieten, die sich an Kinder richten.192 Grds dürfen sie Inhalte, die Zeitbeschränkungen unterliegen, nur zu diesen (erlaubten) Zeiten ins Netz stellen. Inhalteanbieter müssen auch prüfen, dass nicht auf unzulässige Angebote verlinkt wird. Als Ausnahme von dieser Bestimmung gilt, wenn entsprechende Jugendschutzprogramme verwendet werden, so dass Kinder und Jugendliche die sie möglicherweise beeinträchtigenden Angebote normalerweise nicht wahrnehmen.193 Das Jugend188 189 190 191
§ 9 JMStV. Vgl Wilms JMS-Report 3/2004), 9 ff. § 9 JMStV. Auch von Seiten der Landesmedienanstalten wird kritisiert, das öffentlich-rechtlichter und privater Rundfunk unterschiedlich
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behandelt wird. Einige gehen so weit, dass dadurch das Ziel des JMStV verfehlt würde, so Bornemann NJW 2003, 787. § 5 Abs 5 JMStV. § 11 Abs 1 JMStV.
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schutzprogramm muss eine Differenzierung nach Altersgruppen ermöglichen, es muss darüber hinaus von der KJM anerkannt werden.194 Zwischen der FSM und der KJM ist umstritten, ob Jugendschutzprogramme auch von der FSM anerkannt werden können. a) Pornografische Inhalte in Telemedien. Das Anbieten von pornografischen oder 225 indizierten Inhalten ist bei Telemedien ausschließlich in geschlossenen Benutzergruppen erlaubt.195 Über Altersverifikationssysteme soll sichergestellt werden, dass der Nutzer erwachsen ist. Die KJM hat strenge Voraussetzungen festgelegt, um einen Vertriebsweg als geschlossene Benutzergruppe im Sinne des Gesetzes anzuerkennen. Danach muss mindestens einmal eine persönliche Ausweiskontrolle durchgeführt werden, um zu bestätigen dass es sich beim Kunden tatsächlich um einen Erwachsenen handelt. In der Praxis wird dies meist über das sog Postidentverfahren durchgeführt. Der Kunde muss sich bei der Post unter Vorlage seines Personalausweises bestätigen lassen, dass er über 18 Jahre alt ist. Der Postangestellte schickt den Vertrag zusammen mit der Bestätigung an den Anbieter. Erst dann, wenn dieser beim Anbieter eingegangen ist, erhält der Kunde den Zugangscode. Darüber hinaus muss sich der Kunde bei jeder Anmeldung neu mit einem bestimmten Code identifizieren.196 Bei den Anbietern stoßen solche hohen Hürden zum Teil auf heftige Kritik. Sie haben 226 versucht, verschiedene Systeme zu etablieren, die bspw durch die Eingabe der Nummer des Personalausweises und der Kontrolle bestimmter Kontobewegungen das Alter des Benutzers feststellen wollten. Die vorliegende Rechtsprechung hält dies allerdings nicht für ausreichend sicher.197 b) Keine geschlossenen Benutzergruppen im Rundfunk. Für den Rundfunk gilt die 227 Möglichkeit, pornografische oder indizierte Inhalte in einer geschlossenen Benutzergruppe anzubieten, nicht. Warum das Gesetz Pornografie im Rundfunk selbst in einer geschlossenen Benutzergruppe nicht zulässt, hängt vermutlich damit zusammen, dass die Bedeutung des Rundfunks für die Meinungsbildung, aber auch für die Bewusstseinsbildung höher eingeschätzt wird als im Bereich des Internets. Es ist jedoch fraglich, ob sich diese Differenzierung auf die Dauer halten lässt. Eine Grauzone gibt es bereits jetzt im Pay-TV. So hat die KJM bei Premiere einige Pay-per-View-Angebote unter Auflagen als eine geschlossene Benutzergruppe gerichtet anerkannt. Auf mehreren digitalen Kanälen können drei pornografische Filme zeitversetzt ausgestrahlt werden (Near-Video-on-Demand), so dass der Kunde den Filmbeginn wählen kann. Um daran teilzunehmen, muss er sich einmal entweder gegenüber einem autorisierten Händler oder gegenüber der Post mit seinem Personalausweis ausgewiesen haben. So erhält er eine Zugangs-PIN, mit der er sich jedes Mal entweder per Internet oder Telefon für das Programm freischalten lassen muss. Dies wird vor allem deshalb nicht als Rundfunk angesehen, weil das Programm kein redaktionelles Konzept aufweist und nicht meinungsrelevant ist. c) Jugendschutz und Handy. Zunehmend können auch über Mobiltelefone (Handys) 228 Internetangebote oder Fernsehangebote genutzt werden. Auch hierbei sind die Bestimmungen des JMStV zu beachten. Bei zeitgleich ausgestrahlten linearen Angeboten (mobiles TV) sind die selben Maßstäbe anzulegen wie gegenüber dem Fernsehen, werden die
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§ 11 Abs 2 JMStV. § 11 Abs 2 JMStV. Daneben hat die KJM verschiedene technische Verfahren zugelassen, die auf ihrer
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Homepage abgerufen werden können: www.kjm-online.de. BGH vom 19.10.2007, Az I ZR 102/05.
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Angebote hingegen auf das Handy geladen und später angesehen, handelt es sich um Telemedien.198 Handys können unter Jugendschutzgesichtspunkten auf verschiedene Weise relevant 229 werden. Das Handy kann ein Trägermedium sein, bspw für aus dem Netz geladene Spiele, Bilder oder Videos. Das Handy kann ebenfalls Bilder oder Bewegtbilder enthalten, die mit der eingebauten Kamera aufgenommen wurden. In letzter Zeit wurde berichtet, dass Jugendliche Schlägereien oder sexuelle Nötigung provozieren, diese mit dem Handy aufnehmen und per Bluetooth-Technik von Handy zu Handy übermitteln (Happy Slapping). Eine andere Variante ist das Mobile Bullying. Hier werden Dritte durch Drohungen, üble Nachrede oder Provokationen (bspw das Übersenden pornografischer Bilder) über das Handy belästigt. Unbestritten ist, dass die Inszenierung realer Gewalt sowie das Bullying strafrechtlich relevant sind. Schwieriger wird es, wenn solche Szenarien aufgenommen und über das Handy ausgetauscht werden, denn hier handelt es sich um individuellen Datenaustausch, der als solcher nicht unter die Bestimmungen des JMStV fällt, abgesehen davon, wenn bereits im Vorfeld aus dem Netz pornografische oder gewaltverherrlichenden Bilder oder Filme heruntergeladen wurden. Hier hat das Mobilfunkunternehmen eine Verantwortung, wenn es solche Inhalte zur Verfügung stellt bzw diese nicht sperrt, obwohl sie ihm bekannt sind.199 8. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)
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a) Allgemeines. Für die Kontrolle der Bestimmungen des JMStV ist die KJM zuständig. Sie ist ein zentrales Organ der Landesmedienanstalten und ersetzt die frühere Zuständigkeit der einzelnen Landesmedienanstalt, die den betroffenen Sender lizenziert hat. Ziel dieser Neuerung war die Vereinheitlichung der Jugendschutzmaßstäbe sowie eine Beschleunigung der Verfahren. Die KJM besteht aus zwölf Mitgliedern. Die Hälfte der Mitglieder besteht aus Direktoren der Landesmedienanstalten, vier Vertreter werden von den Ländern, zwei Vertreter vom Bund benannt. Für jedes KJM-Mitglied wird ein Vertreter bestimmt. Die KJM wählt aus ihren Reihen einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. Dabei muss es sich um Direktoren der Landesmedienanstalten handeln. Die KJM entscheidet mit einfacher Mehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.200
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b) Aufgaben der KJM. Zu den Aufgaben der KJM gehören vor allem: Verfassung und Verabschiedung von Richtlinien im Zusammenwirken mit den Landesmedienanstalten zur Durchsetzung der Bestimmungen des JMStV, Einleitung von Beanstandungsverfahren gegen mögliche Verstöße der Anbieter von Rundfunk oder Telemedien gegen die Bestimmungen von §§ 4 und 5 JMStV, Festlegung von Sendezeitbeschränkungen auch bei regelmäßig wiederkehrenden Formaten (zB Serien oder spezielle Talkshows), die in mehreren Folgen gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen haben,201 Anerkennung von Jugendschutzprogrammen, Anerkennung von Selbstkontrolleinrichtungen gemäß den Voraussetzungen in § 19 JMStV
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Vgl dazu Mynarik Mobiles Entertainment 183 ff; Liesching BPJM Aktuell, 5, 10. Für eine ausführliche, wenn auch etwas skandalisierende Darstellung der Proble-
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matik s Grimm/Clausen-Muradian JMSReport 5/2007, 2 ff. § 8 Abs 1 JMStV. § 8 Abs 1 JMStV.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
6. Erteilung von Ausnahmegenehmigungen bei Filmen, die aufgrund von FSK-Freigaben Sendezeitbeschränkungen unterliegen, 7. Zusammenarbeit mit der Bundesprüfstelle im Bereich der Indizierung von Telemedien 8. Festsetzung von Bußgeldern bei Verstößen. Über Beanstandungsverfahren kann die KJM auch im verkleinerten Dreierausschuss 232 entscheiden.202 Die Mitglieder dieses Ausschusses müssen aus den Reihen der KJM-Mitglieder (oder deren Vertreter) gewählt werden. Außerdem müssen sie die Gruppen, aus denen sich die KJM zusammensetzt (Landesmedienanstalten, Länder, Bund), abbilden. Anders als bei den Selbstkontrolleinrichtungen ist im Gesetz nicht davon die Rede, 233 dass die KJM über einen fachlichen Beurteilungsspielraum verfügt. Die KJM selbst vertritt die Auffassung, sie urteile nach dem Gesetz abschließend, so dass eine besondere Nennung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nicht notwendig sei.203 In der wissenschaftlichen Literatur wird allgemein die Meinung vertreten, dass die KJM nicht über einen Beurteilungsspielraum verfügt.204 Das bedeutet praktisch vor allem, dass die Entscheidungen der KJM auch inhaltlich gerichtlich überprüfbar sind. c) Prüfgruppen. Um die Menge an Prüfungen, vor allem aus dem Bereich des Inter- 234 nets, zu bewältigen, hat die KJM Prüfgruppen gebildet, deren Mitglieder von den Landesmedienanstalten, den Obersten Landesjugendbehörden und dem zuständigen Bundesministerium benannt wurden, die aber keine KJM-Mitglieder sind. Diese Prüfgruppen bereiten die Entscheidungen der KJM vor, indem sie sich für ein bestimmtes Ergebnis einsetzen und dazu einen Beanstandungsentwurf vorbereiten. Aus Gründen der Zeitökonomie wird in der KJM bei entsprechenden Vorlagen durch die Prüfgruppen meist nur im Umlaufverfahren entschieden. Hiergegen richten sich die Veranstalter. Sie vertreten die Auffassung, dass nur eine Präsenzprüfung in der gesamten KJM zulässig ist. Nur so könne garantiert werden, dass alle KJM-Mitglieder das Programm in voller Länge sehen, dass alle Argumente, die für oder gegen eine Beanstandung sprechen, ausreichend diskutiert werden können und dass die Abstimmung auf der Grundlage eines ausreichenden Meinungsbildes stattfindet. Eine abschließenden Rechtsprechung gibt es zu dieser Frage bisher nicht. 9. Rechte und Pflichten der Selbstkontrolleinrichtungen nach dem JMStV a) Grundsätzliches. Die Durchsetzung der Bestimmungen des JMStV und deren Kon- 235 trolle kann auch von Einrichtungen der anerkannten Selbstkontrolle durchgeführt werden. Die Selbstkontrolle muss allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die in § 19 Abs 3 JMStV festgelegt sind. Ziel dieser Voraussetzungen ist es, die Unabhängigkeit und die Sachkunde der Prüfergebnisse von Selbstkontrolleinrichtungen zu sichern. Dazu gehören vor allem: die Unabhängigkeit und Sachkunde der Prüfer, die Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen, die im Bereich des Jugendschutzes im besonderen Maße tätig sind – gemeint sind hier vor allem die Kirchen –, Überprüfungsmöglichkeiten der Entscheidungen auf Antrag der hierfür bestimmten Institutionen der Jugendhilfe in den Ländern, transparente Kriterien für die Durchführung der Prüfung, Bestimmungen für die Vorlage durch die Anbieter, Anhörung der Anbieter bei von ihnen beantragten Prüfungen sowie die Existenz einer Beschwerdestelle, an die sich Zuschauer wenden können. 202 203
§ 14 Abs 5 JMStV. Mündliche Stellungnahme der KJM im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München zu Beanstandungen verschiedener
204
Folgen des MTV-Formates I want a famous face. So von Hartlieb/Schwarz/Castendyk 62, Rn 27.
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In ihrem Antrag auf Anerkennung legt die Selbstkontrolle der KJM die nötigen Nachweise über die Erfüllung der Voraussetzungen vor. Nach dem Anerkennungsbescheid der KJM entfällt die Anerkennung, wenn die Voraussetzungen in relevanten Bereichen ohne Kenntnis und gegebenenfalls Zustimmung der KJM geändert werden. Die Anerkennung gilt nach dem Gesetz für vier Jahre. Danach muss sie neu beantragt werden. Aussagen darüber, welche rechtliche Stellung den Selbstkontrollen gegenüber der 237 KJM eingeräumt werden soll, werden im Gesetz nicht getroffen. In der wissenschaftlichen Literatur wird weitgehend die Auffassung vertreten, es handele sich durch die Anerkennung der Selbstkontrollen durch die KJM um eine Beleihung im verwaltungsrechtlichen Sinne.205
238
b) Aufsichtszuständigkeit bei Nichtmitgliedern einer Selbstkontrolleinrichtung. Anbieter, die nicht Mitglied einer Selbstkontrolleinrichtung sind, unterliegen ausschließlich der Aufsicht durch die KJM. Dies hat auf den ersten Blick gewisse Vorteile. Denn abgesehen von Ausnahmegenehmigungen für Filme, die durch die Prüfungen der FSK bestimmten Sendezeitbeschränkung unterliegen, prüft die KJM immer erst im Nachhinein, da eine Vorprüfung gegen das Zensurverbot in Art 5 Abs 1 GG verstoßen würde. Da die KJM keine eigene flächendeckende Programmbeobachtung durchführt, ist vor allem bei kleineren Anbietern die Chance, dass Jugendschutzverstöße unentdeckt bleiben, relativ groß. Allerdings müssen sie mit erheblichen Bußgeldern rechnen, wenn ihre Programme beanstandet werden. Im Wiederholungsfall droht der Lizenzentzug. In der Regel bevorzugen die Sender daher die Sicherheit, die eine Vorprüfung durch die Selbstkontrolle bietet. Auch Programmveranstalter, die nicht Mitglied in der FSF sind, können ihre Pro239 gramme dort zur Prüfung vorlegen. Allerdings müssen sie mit doppelten Prüfgebühren rechnen, da sie sich an der allgemeinen Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge nicht beteiligen.
240
c) Die Selbstkontrolle als gesetzgeberisches Ziel. Ziel des Gesetzgebers war es, dass im Bereich des Fernsehens möglichst viele Programme vor der Ausstrahlung durch die Einrichtung der Selbstkontrolle geprüft werden. Deshalb bestimmt das Gesetz, dass für Prüfungen von Programmen durch die Selbstkontrolle vor der Ausstrahlung ein Beurteilungsspielraum gilt. In diesem Falle ist die Möglichkeit für die KJM, das Prüfergebnis der Selbstkontrolle aufzuheben, sehr stark eingeschränkt. Es reicht nicht, wenn sie inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommt. Nur dann, wenn die Freigabe unter fachlichen Gesichtspunkten nicht mehr akzeptabel ist, kann der Beurteilungsspielraum als überschritten angesehen werden.206 Nur in solchen Fällen kann die KJM eine Entscheidung der Selbstkontrolle abändern (Missbrauchsaufsicht). In jedem Fall ist der Sender von Bußgeldverfahren befreit (Privilegierung), wenn er sein Programm vor der Ausstrahlung durch die Selbstkontrolle hat prüfen lassen, vorausgesetzt, er hat das Prüfergebnis beachtet. Der Beurteilungsspielraum gilt in jedem Falle bei Entscheidungen im Rahmen nach 241 § 5 JMStV (Jugendschutz), aber wohl auch bei Entscheidungen, bei denen es um die Überprüfung der Unzulässigkeit (§ 4) geht, zumal bestimmte Normen des Strafrechts ebenfalls eine sachkundige Interpretation nahe legen. Allerdings schützt die Privilegierung nicht gegenüber einer Verfolgung durch die Staatsanwaltschaften.207 Diese Privilegierung im Bereich des Fernsehens gilt nur, wenn der Sender das Pro242 gramm vor der Ausstrahlung bei der Selbstkontrolle eingereicht hat.
205 206
So ua Retzke 216. § 20 Abs 3 JMStV.
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So Scholz/Liesching 307, Rn 9.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
d) Nichtvorlagefähige Programminhalte. Eine Ausnahme gibt es für sog nicht vorlage- 243 fähige Programme. Bei Beanstandungsverfahren solcher Programme muss die KJM vorher ein Votum der Selbstkontrolle einholen. Für diesen Fall gilt ebenfalls der Beurteilungsspielraum. Unklar ist, wann ein Programm als nicht vorlagefähig angesehen werden kann. Einigkeit zwischen KJM und den Sendern besteht darin, dass Livesendungen und die aktuelle Berichterstattung darunter fallen. Die KJM vertritt jedoch die Meinung, dass jede Sendung, die bereits vor der Ausstrahlung vorliegt, als vorlagefähig anzusehen ist. Meinungsunterschiede hat es bspw anlässlich der Ausstrahlung der Casting-Show Deutschland sucht den Superstar gegeben. Der Sender verwies darauf, dass angesichts des langwierigen Produktionsprozesses das Sendeband über die Zusammenschnitte von circa 30.000 Castings erst zwei Tage vor der Ausstrahlung vorlag. Eine Ablehnung der Ausstrahlung für den geplanten Sendeplatz (Hauptabendprogramm) hätte für den Sender unzumutbare Konsequenzen gehabt, da die Ausstrahlung in den Programmzeitschriften angekündigt war und kein adäquates Ersatzprogramm zur Verfügung stand. Die KJM vertrat die Auffassung, das Programm sei vorlagefähig, da es keine Livesendung gewesen sei. Eine Klärung dieser Frage ist gegenwärtig nicht abzusehen. e) Sicherheit der Prüfergebnisse. Nach den bisherigen Erfahrungen bieten die Prüf- 244 ergebnisse der Selbstkontrolle den Sendern ein hohes Maß an Sicherheit. Im Zeitraum seit Anerkennung der FSF (August 2003) wurden über 2.500 Programme geprüft. Seit der Anerkennung 2003 wurde in einem Fall von der KJM der Beurteilungsspielraum als überschritten angesehen. Der betroffenen Sender hat dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht München eingereicht. Der Fall 208 ist noch nicht abgeschlossen. 10. Zusammenfassung der Jugendbestimmungen für das Fernsehen a) Kinofilme und Videofilme. Kinofilme und Videofilme, die nach dem JuSchG von 245 der FSK mit Keine Jugendfreigabe gekennzeichnet wurden, dürfen nur in der Zeit zwischen 23.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens gezeigt werden; Filme, die ab 16 Jahren freigegeben wurden, nur in der Zeit zwischen 22.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens. Bei Filmen, die ab 12 Jahren freigegeben wurden, muss der Sender bzw zuständige Selbstkontrolleinrichtungen prüfen, ob der Film im gesamten Tagesprogramm ausgestrahlt werden kann oder ausschließlich im Hauptabendprogramm (ab 20.00 Uhr) zu platzieren ist. b) Fernsehprogramme. Fernsehprogramme oder Filme, die nicht im Kino oder auf 246 Video veröffentlicht wurden und daher über keine FSK-Freigabe verfügen, müssen von den Jugendschutzbeauftragten oder der Freiwilligen Selbstkontrolle im Hinblick auf die geplante Sendezeit unter Zugrundelegung der Jugendschutzbestimmungen eingeschätzt werden. c) Programmankündigungen. Programmankündigungen in Bewegtbildern dürfen nach 247 § 10 JMStV ausgestrahlt werden, wenn sie die in §§ 4 und 5 JMStV getroffenen Vorschriften einhalten. Hier gab es unterschiedliche Auslegungen durch die KJM und die Sender: Während die Sender die Auffassung vertraten, die Vorschrift weise lediglich darauf hin, dass Programmankündigungen die geltenden Jugendschutzkriterien berücksichtigen müssen, vertrat die KJM die Meinung, Programmankündigungen müssten prinzipiell den gleichen Sendezeitbeschränkungen unterliegen wie das Programm, das sie
208
I want a famous face MTV 2004.
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bewerben.209 Derzeit wird eine Vereinbarung zwischen der KJM und der in der FSF vertretenen Sender erprobt, die eine Art Kompromiss darstellt: Programme mit einer Sendezeitbeschränkung nach 22.00 Uhr dürfen nur in dieser Zeit beworben werden, Programme mit einer Sendezeit ab 23.00 Uhr dürfen ebenfalls erst nach 23 Uhr beworben werden. Bei allen übrigen Programmen gilt für die Bewerbung keine Sendezeitbeschränkung, die Sender verpflichten sich allerdings, im besonderen Maße auf die inhaltliche Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen zu achten.
248
d) Akustische Kennzeichnung für FSK-16-Filme und Filme ohne Jugendfreigabe. Bei Filmen, die aufgrund einer Kennzeichnung Ab 16 Jahren oder Keine Jugendfreigabe einer Sendezeitbeschränkung nach 22.00 Uhr unterliegen, muss durch eine akustische Ankündigung vor der Sendung oder durch ein optisches Kennzeichen während der Sendung darauf hingewiesen werden, dass dieser Film für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet ist. Die Sender haben sich darauf verständigt, dass dies durch eine akustische Ankündigung vor dem Film mit dem Text Der nachfolgende Film ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet geschieht.
249
e) Ausnahmeregelungen. Ist eine Altersfreigabe sehr alt oder wurden Szenen entfernt, die für die FSK-Freigabe eine Rolle gespielt haben oder ist aus anderen Gründen die FSKFreigabe nicht mehr zeitgemäß, können durch die KJM oder durch die anerkannte Selbstkontrolleinrichtung Ausnahmen von den durch die Altersfreigaben festgelegten Sendezeiten zugelassen werden (§ 9 JMStV). Die öffentlich-rechtlichen Sender sind grds auch an die Altersfreigaben der FSK gebunden, können aber über Ausnahmen (im Gegensatz zu den privaten) eigenständig in ihren Gremien entscheiden.
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f) Ausstrahlungsverbote. Filme, auf denen die Kriterien des § 4 JMStV zutreffen, sind unzulässig. Zuständig für eine erste entsprechende Einschätzung ist der Jugendschutzbeauftragte des Senders oder die FSF, wenn der Sender eine Einschätzung beantragt.
251
g) Mit indizierten Filmen inhaltsgleiche Programme. Filme, die in der Videofassung indiziert sind, dürfen nur in wesentlich veränderter Schnittfassung ausgestrahlt werden und dies nur dann, wenn eine Bestätigung der BPjM vorliegt, aus der hervorgeht, dass der Film nicht mehr inhaltsgleich mit der indizierten Fassung ist. 11. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)
252
a) Historie. Nach Gründung der ersten privaten Fernsehsender Mitte der achtziger Jahre gab es in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion über die Zunahme von Jugendschutzproblemen in den neuen Sendern. Tatsächlich hatte der Anteil an amerikanischen Filmen und Serien, die aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes einen höheren Gewaltanteil haben als deutsche Produktionen, durch die privaten Sender zugenommen.210 Erotikfilme oder indizierte Filme, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Ausnahmeerscheinungen waren, wurden in den ersten Jahren im privaten Fernsehen häufig ausgestrahlt. In der Politik und in der Öffentlichkeit wurden strengere gesetzliche Maßstäbe und 253 eine härtere Kontrolle für das Fernsehen gefordert. Die damals diskutierten Vorstellungen stießen allerdings teilweise an die Grenzen des Verbots der Vorzensur. Auch die für die Kontrolle zuständigen Landesmedienanstalten konnten Verstöße erst im Nachhinein beanstanden. Aufgrund ihrer recht komplizierten Konstruktionen vergingen zwischen der 209
JuSchRiL 4.4.3.
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Vgl Groebel/Gleich 123 ff.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
Ausstrahlung und der Beanstandung oft Monate, manchmal Jahre. Außerdem konnten die Beanstandungsbescheide bei den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Dies erwies sich für den Jugendschutz in der Praxis als nicht besonders wirkungsvoll, denn bei Abschluss der Verfahren waren die zuständigen Programmverantwortlichen oft nicht mehr beim Sender beschäftigt. Aufgrund der positiven Erfahrungen der Obersten Landesjugendbehörden und der Filmwirtschaft mit dem System der Freiwilligen Selbstkontrolle entstand die Überlegung, auch im Bereich des Fernsehens eine ähnliche Institution einzurichten. Im Gespräch war ein System, das tatsächlich sehr stark an das der FSK angelehnt war. Geplant war, vergleichbar mit der Grundsatzkommission der FSK, ein Kuratorium zu schaffen, das aus Vertretern der Landesmedienanstalten, der Sender sowie unabhängigen Wissenschaftlern und Sachverständigen zusammengesetzt sein und für alle formalen und inhaltlichen Fragen der Programmprüfungen sowie die Auswahl der Prüfer die Zuständigkeit erhalten sollte. Die Landesmedienanstalten sollten im Gegenzug, ähnlich wie die Obersten Landesjugendbehörden im Bereich der Kino- und Videofilme, die Urteile akzeptieren. Für kritische Fälle war ein Appellationsverfahren vorgesehen.211 Die Landesmedienanstalten waren jedoch nicht bereit, an einer solchen Art der Vermischung von Aufsicht und Anbietern mitzuwirken. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender verweigerten sich diesem System der Selbstkontrolle. Zum einen waren sie der Auffassung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe keine Jugendschutzprobleme, zum anderen sahen sie in den Prüfungen einer solchen Selbstkontrolle eine unzulässige Bevormundung ihrer Aufsichtsgremien. Als die FSF 1994 ihre Arbeit aufnahm, war von dem ursprünglichen Konzept nicht mehr sehr viel übrig geblieben. Beteiligt waren alle bundesweit ausstrahlenden privaten Sender, das Kuratorium wurde mit unabhängigen Sachverständigen ohne Mitwirkung der Landesmedienanstalten zusammengestellt. Die Prüfergebnisse wurden von den Landesmedienanstalten wie Sachverständigengutachten gewertet. Sie wurden berücksichtigt, aber es wurde ihnen oft nicht gefolgt. Da es sich bei Jugendschutzentscheidungen immer um Bewertungen handelt, waren unterschiedliche Entscheidungen fachlich möglich. Die FSF forderte daher, dass der Gesetzgeber ihren Gutachten eine stärkere Bindungswirkung sowie einen Beurteilungsspielraum zubilligen sollte. Die Sender, so die FSF, könnten nicht zur Vorlage von Programmen vor der Ausstrahlung motiviert werden, wenn das Prüfergebnis keinerlei Sicherheit gegenüber der Aufsicht bieten würde. Der Gesetzgeber ist diesen Argumenten im Wesentlichen gefolgt. Die Stärkung der Selbstkontrolle war ein Schwerpunkt der Reform des Jugendschutzgesetzes im Jahre 2003. Die FSF ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Ihre Aufgabe ist nach § 2 ihrer Satzung seit dem 1.4.2003 vor allem die Wahrnehmung der Aufgaben einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages, insbesondere durch die Förderung des Jugendschutzes im deutschen Fernsehen. Eine wichtige Funktion der FSF besteht in der Beratung und Weiterbildung der Jugendschutzbeauftragten der Sender. Darüber hinaus unterhält sie eine Beschwerdestelle, die Kritik aus der Bevölkerung zu bestimmten Programmen entgegennimmt. Ihre Aufgaben und ihre Arbeitsweise werden in einem Leitfaden für die Durchführung von Beschwerden näher erläutert. Erscheinen Beschwerden gerechtfertigt, wird nach einem bestimmten Verfahren eine Prüfung durch die Ausschüsse der FSF herbeigeführt. Um eine
211
Vgl von Gottberg Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessen 54.
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möglichst lückenlose Beurteilung auch solcher Fernsehprogramme zu gewährleisten, die nicht der FSF vorgelegt werden konnten – zB Livesendung, Berichterstattung über Sportsendungen –, wird von der Geschäftsstelle der FSF eine Programmbeobachtung durchgeführt. Das Kuratorium enthält darüber einen Bericht. Die Mitglieder der FSF unterwerfen sich den Entscheidungen der Prüfausschüsse und 259 den Vorgaben der Vorlagesatzung, in der geregelt wird, welche Programme die Mitgliedsender vor der Ausstrahlung zur Prüfung einreichen müssen. Bei Nichtbeachtung drohen verschiedene vereinsrechtliche Konsequenzen, die von Bußgeldern bis zum Vereinsausschluss reichen.212 Beantragt ein Sender die Mitgliedschaft in der FSF, so entscheidet darüber der Vor260 stand. Derzeit sind alle bundesweit ausstrahlenden privaten Sender Mitglied in der FSF. Grd ist es auch möglich, dass Lizenzhändler und Produzenten von Werbefilmen Mitglieder werden. Allerdings können auch solche Anbieter, die nicht Mitglied in der FSF sind, ihre Programme dort zur Prüfung vorlegen.
261
b) Das Kuratorium. Für alle Fragen, die formal und inhaltlich im Zusammenhang mit der Prüfung stehen, ist nach der Satzung ein unabhängiges Kuratorium zuständig. Ihm können zwischen 10 und 18 Personen angehören (derzeit sind es 16), die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen stammen, insbesondere aus Wissenschaft, Kultur, dem praktischen Jugendschutz oder anderen Institutionen, die sich mit Fragen des Jugendmedienschutzes befassen. Seit 2003 gehört dem Kuratorium darüber hinaus jeweils ein Mitglied der beiden großen Kirchen an. Ein Drittel der Kuratoriumsmitglieder können von den Sendern benannt werden. Die Kuratoren werden von der Mitgliederversammlung für die Dauer von vier Jahren gewählt. Bei der Nachbesetzung ausscheidender Kuratoriumsmitglieder hat das Kuratorium ein Vorschlagsrecht.
262
c) Die Prüfer. Zurzeit stehen der FSF 100 Prüferinnen und Prüfer zur Verfügung. Sie stammen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und verfügen meist über ein abgeschlossenes Studium in den Bereichen Pädagogik, Medienwissenschaften, Psychologie, Jura oder Medizin. Bei der Auswahl der Prüfer durch das Kuratorium wird darauf geachtet, dass sie über Erfahrungen mit Medien, aber auch mit Kindern und Jugendlichen verfügen.213 Die Benennung gilt für eine Zeit von zwei Jahren, Wiederbenennung ist zulässig. Die Prüfer dürfen während der Zeit ihrer Benennung nicht einem Mitgliedsender oder in dessen Umfeld beschäftigt sein. Um die Kontinuität der Spruchpraxis zu sichern, wirkt in jedem Ausschuss ein hauptamtlicher Prüfer mit, der vom Kuratorium für diese Aufgabe benannt ist. Derzeit werden vier hauptamtliche Prüfer in den Ausschüssen eingesetzt. In besonderen Fortbildungen werden sie zu formalen, rechtlichen und inhaltlichen Entwicklungen regelmäßig geschult. Ähnlich wie der Ständige Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK haben sie die Aufgabe, für die Einhaltung der rechtlichen und formalen Rahmenbedingungen durch die Ausschüsse zu sorgen. Das gilt auch für die Verfassung der Gutachten, die von den hauptamtlichen Prüfern mitverantwortet werden.
263
d) Die Prüfung bei der FSF. Inhaltliche und formale Grundlage für die Prüfung bildet die vom Kuratorium verabschiedete Prüfordnung (PrO-FSF) sowie die ebenfalls vom Kuratorium verabschiedeten Richtlinien zur Anwendung der Prüfordnung. In der § 31 der Prüfordnung werden die allgemeinen Bestimmung des Jugendschutzgesetzes für die jeweilige Wahl der Sendezeit konkretisiert. 212
§ 7 FSF-Satzung.
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§ 6 Abs 1 PrO-FSF.
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Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
Für die Antragstellung sind die Jugendschutzbeauftragten der Sender zuständig. Sie 264 müssen entscheiden, welche Programme unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes in Bezug auf die geplante Sendezeit relevant sind. Bei der Auswahl haben sie darüber hinaus die Vorlagesatzung der FSF zu beachten. aa) Prüfungsrelevante Programme. Ein Teil des Programms (vor allem Spielfilme) ist bereits durch die FSK geprüft worden und unterliegt dadurch bereits Sendezeitbeschränkungen. Filme, die mit Freigegeben ab 16 Jahren oder mit Keine Jugendfreigabe gekennzeichnet sind, dürfen nicht vor 22.00 bzw 23.00 Uhr ausgestrahlt werden. Solche Filme müssen der FSF nur dann vorgelegt werden, wenn der Sender beabsichtigt, sie bspw im Hauptabend- oder im Tagesprogramm zu platzieren. Filme mit einer Freigabe ab 12 Jahren können ohne weitere Prüfung ab 20.00 Uhr (Hauptabendprogramm) gesendet werden. Sollen sie im Tagesprogramm gezeigt werden, so muss der Jugendschutzbeauftragte des Senders prüfen, ob durch eine solche Ausstrahlung dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung getragen wird.214 Im Zweifelsfall muss er den Film der FSF vorlegen, die dann über die Frage der Tagesprogrammierung entscheidet. Eigenproduzierte Filme (TV-Movies), die in der Regel im Hauptabendprogramm eingesetzt werden, müssen nach der Vorlagesatzung in jedem Falle der FSF vorgelegt werden. Das gleiche gilt für Serien, es sei denn, sie sind für die geplante Sendezeit offensichtlich nicht jugendschutzrelevant. Für Serien gilt nach der Vorlagesatzung der FSF eine besondere Regelung. Da sich die einzelnen Folgen normalerweise im Hinblick auf die Jugendschutzkriterien nicht sehr unterscheiden, trifft die Vorlagesatzung eine Regelung, die auf der einen Seite an den Belangen des Jugendschutzes orientiert ist, auf der anderen Seite aber eine unnötige Belastung der Prüfausschüsse verhindern soll. Es reicht danach aus, wenn der Jugendschutzbeauftragte mindestens drei typische Folgen zur Prüfung vorlegt. Erhalten diese geprüften Folgen eine Freigabe, die den beabsichtigten Sendeplatz bestätigt, kann die gesamte Serie an diesem Sendeplatz eingesetzt werden. Allerdings muss der Jugendschutzbeauftragte überprüfen, ob es bei einzelnen Folgen Jugendschutzprobleme geben könnte, die über das Maß der geprüften Folgen hinausgehen. Ist das der Fall, muss er diese Folge ebenfalls zur Prüfung einreichen. Darüber hinaus bieten die Prüfgrundsätze die Möglichkeit, nach der Prüfung der typischen Folgen durch den Ausschuss die Serie ganz oder teilweise durch einen einzelnen Prüfer begutachten zu lassen. Dieser kann im Zweifelsfall Schnittauflagen festlegen oder kritische Folgen dem Ausschuss vorlegen. Nach Auffassung der KJM gilt der Beurteilungsspielraum nur für die Folgen einer Serie, die auch tatsächlich eine Freigabe durch die FSF erhalten haben. Die andere Folgen können von der KJM ohne Rücksicht auf diese Platzierung mit einer abweichenden Sendezeitbeschränkung belegt werden. Dies ist bisher jedoch noch nie geschehen. Besondere Regelungen gelten weiterhin für Programme, die vom Sender selbst produziert werden und erst so kurz vor der Ausstrahlung fertig sind, dass die Zeit für eine Prüfung bei der FSF nicht ausreicht. Dazu gehören vor allem Talk- und Gerichtsshows, sog Reality-Shows oder Casting-Shows.215 Sind diese Sendungen möglicherweise jugendschutzrelevant, so muss der Jugendschutzbeauftragte im Nachhinein mindestens drei Folgen zeitnah der FSF vorlegen. Bei der Ausstrahlung weiterer Folgen muss er während des Produktionsprozesses dafür sorgen, dass die von der FSF gesetzten Kriterien beachtet werden.
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§ 5 Abs 4 JMStV.
215
ZB Deutschland sucht den Superstar, RTL.
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7. Teil
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Sendungen, die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr ausgestrahlt werden, müssen normalerweise der FSF nicht vorgelegt werden. Eine Vorlage ist nur dann sinnvoll, wenn die Bestimmungen über unzulässige Sendungen nach § 4 JMStV berührt werden. In der Praxis handelt es sich dabei vor allem um Erotikprogramme, bei denen in der Prüfung festgestellt werden muss, ob sie möglicherweise die Grenze zur unerlaubten Pornografie überschreiten. In seltenen Fällen handelt es sich um Programme, die möglicherweise gewaltverherrlichend sind 216 oder gegen die Menschenwürde verstoßen.217 Die übrigen Bestimmungen zu unzulässigen Sendungen werden im Bereich des Fernsehens so gut wie nie tangiert.
270
bb) Das Prüfverfahren. Ein Prüfausschuss setzt sich aus fünf Personen zusammen, zu denen auch immer ein hauptamtlicher Prüfer zählt. Gäste können in begründeten Fällen zugelassen werden, wenn der Ausschuss dem zustimmt. Das gilt nicht für den Antragsteller. Zu Beginn jeder Prüfung wird in gemeinsamer Absprache ein sitzungsleitender Vorsitzender und ein Verfasser des Gutachtens benannt. Nach der gemeinsamen Sichtung des vorgelegten Beitrags wird über den Antrag diskutiert und abgestimmt. Es gilt die einfache Mehrheit. Der Prüfausschuss kann über den Einsatz des Programms in folgenden Zeitschienen entscheiden: 1. Tagesprogramm (6.00 Uhr bis 23.00 Uhr) 2. Hauptabendprogramm (20.00 Uhr bis 20.00 Uhr) 3. Spätabendprogramm (22.00 Uhr bis 23.00 Uhr) 4. Nachtprogramm (23.00 Uhr bis 6.00 Uhr) Ausschlaggebend für den Einsatz ist jeweils der Beginn der Sendung. Die Sendezeitfreigabe kann mit Schnittauflagen verbunden werden. In diesem Fall wird eine Freigabe für die ungeschnittene Fassung erteilt und eine darüber hinausgehende, für den Antragsteller günstigere Freigabe für eine Fassung unter Schnittauflagen. In manchen Fällen ist es schwierig, den gesamten Umfang der Schnitte festzulegen und die dadurch veränderte Wirkung des Filmes exakt zu prognostizieren. In diesem Fall kann der Ausschuss bestimmen, dass die geschnittene Fassung dem Vorsitzenden des Ausschusses oder dem hauptamtlichen Prüfer vor der Ausstrahlung noch einmal vorgelegt werden muss. Kommt dieser zu dem Ergebnis, dass die Schritte nicht ausreichen, kann er den Antragsteller auffordern, weitere Schnitte durchzuführen oder den Film erneut einem Ausschuss vorzulegen.218 Zu jeder Prüfentscheidung wird ein ausführliches Gutachten verfasst. Es enthält neben der Vorgeschichte des Programms (zB FSK-Freigaben, frühere FSF-Prüfungen) die wichtigsten Argumente, die diskutiert wurden und letztlich zu der Freigabe geführt haben. Gegebenenfalls werden die Schnittauflagen so exakt wie möglich beschrieben. Nach der Prüfung wird der Antragsteller über das Ergebnis unterrichtet. Das Gutachten soll dem Antragsteller eine Woche nach der Prüfung zugestellt werden.219 Ist der Antragsteller mit dem Prüfergebnis nicht einverstanden, kann er den Berufungsausschuss anrufen. Dieser entscheidet in einer Besetzung von sieben Personen, zu denen auch ein hauptamtlicher Prüfer gehört. Für das Berufungsverfahren sind nur Prüfer zugelassen, die über eine mindestens zweijährige Prüfpraxis verfügen und nicht am
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§ 131 StGB iVm § 4 Abs 5 JMStV. § 4 Abs 8 JMStV.
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§ 12 PrO-FSF. § 13 PrO-FSF.
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§5
Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
ersten Ausschuss beteiligt waren. Der Antragsteller hat die Berufung schriftlich zu begründen. Er kann darüber hinaus seine Argumente persönlich vor oder nach der Sichtung vortragen. Der Ausschuss ist in seiner Entscheidung frei, er kann – anders als bei der FSK – auch ein strengeres Ergebnis festlegen als der erste Ausschuss. Im Gutachten wird ausführlich begründet, warum der Berufungsausschuss gegebenenfalls zu einer anderen Entscheidung gelangt ist als der erste Ausschuss.220 Gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses kann das Kuratorium angerufen 276 werden, allerdings nur, wenn es sich um einen begründeten Fall handelt, der für die Spruchpraxis von Bedeutung ist und möglicherweise eine Fortschreibung der Prüfgrundsätze erforderlich macht. Für die Prüfung wird ein Ausschuss von sechs Kuratoriumsmitgliedern zusammengestellt, Vertreter der Sender im Kuratorium sind davon ausgeschlossen.221 Bei Serien oder anderen wiederkehrenden Programmen, von denen bereits einzelne 277 Folgen einem Ausschuss vorgelegen haben, kann ein Einzelprüfer die nicht geprüften Folgen auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten prüfen.222 Die Prüfausschüsse oder der Einzelprüfer können ihr Prüfergebnis von der Begutach- 278 tung durch einen juristischen Sachverständigen abhängig machen, wenn in Betracht kommt, dass ein Film oder ein Programm unzulässig gem § 4 JMStV ist. e) Probleme bei divergierenden Prüfentscheidungen von FSF und FSK. Die Anbin- 279 dung bestimmter Sendezeitbeschränkungen an die Altersfreigaben der FSK nach dem Jugendschutzgesetz wird in § 5 Abs 4 JMStV sehr strikt festgelegt. Damit werden klare Auswirkungen einer Alterseinstufung nach dem JuSchG für die Ausstrahlung im Fernsehen festgelegt. Umgekehrt hat aber eine Entscheidung der KJM oder der FSF für Filme oder Fernsehsendungen, die erst nach der Ausstrahlung auf Video oder DVD veröffentlicht werden, nach dem Gesetz auf die Altersfreigabe keine Auswirkung. Das führt zu zwei Problemen: Zum einen muss ein Videoanbieter, der Fernsehsendungen auf Video herausbringen will, unabhängig von einer Freigabe durch die FSF eine erneute Prüfung bei der FSK durchlaufen. So musste bspw die Fernsehserie Verliebt in Berlin (Sat 1), die zur besten Sendezeit einem Millionenpublikum ohne Einschränkung gezeigt wurde, für die Veröffentlichung auf DVD komplett der FSK vorgelegt werden. Abgesehen von den Kosten für diese Doppelprüfungen kommt es auch gelegentlich zu 280 widersprüchlichen Entscheidungen, deren Bedeutung rechtlich bisher nicht geklärt werden konnte. So lag eine Fernsehserie zunächst der FSF vor, und alle Folgen wurden, zum Teil mit erheblichen Schnittauflagen, für das Hauptabendprogramm freigegeben. Parallel dazu wird die Serie von einem Videoanbieter auf den Markt gebracht. Er muss eine FSK-Freigabe einholen, wovon weder die FSF noch der Fernsehanbieter etwas wussten. Da bei der FSK eine ungeschnittene Fassung vorlag und der Videoanbieter kein großes Interesse an einer Freigabe ab 12 Jahren hatte, wurden einige Folgen der Serie erst ab 16 Jahren freigegeben, was nach den Vorgaben des JMStV eine Sendezeit im Spätabendprogramm vorschreibt. Die Frage ist, was das nun rückwirkend für die Ausstrahlung bedeutet: Gilt die FSF-Entscheidung oder muss der Sender gem § 5 Abs 4 der Altersfreigabe der FSK folgen und die Serie zukünftig erst ab 22.00 Uhr ausstrahlen? Es kann auch vorkommen, dass ein Fernsehfilm von der FSF eine Freigabe ab 281 22.00 Uhr erhält und kurze Zeit später von der FSK aufgrund anderer Bewertungsmaßstäbe schon ab 12 Jahren freigegeben wird. Was gilt dann für den Fernsehanbieter? 220 221
§§ 19–22 PrO-FSF. §§ 19–22 PrO-FSF.
222
§§ 19–22 PrO-FSF.
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Dieses Problem ist dadurch entstanden, dass bis vor einigen Jahren der Verwertungsweg von Filmen mit dem Kino begann, dann folgte die Video- bzw DVD-Auswertung, danach das Pay-TV und erst dann das Free-TV. Bei einer solchen Verwertungskette gibt es die beschriebenen Probleme nicht. Niemand hat damit gerechnet, dass Fernsehfilme, Fernsehserien und andere Fernsehproduktionen praktisch parallel auf DVD ausgewertet werden. In der Praxis hat dieses Problem zwar zu erheblichen Unsicherheiten für die Anbieter 283 geführt, Beanstandungen oder auch nur Beschwerden gab es bisher nicht. Im Grunde akzeptiert sowohl die KJM als auch die FSK, dass die FSF für den Fernsehmarkt prüft und nach dem Gesetz dafür zuständig ist. Die strikte Anwendung von § 5 Abs 4 JMStV ist in Fällen, in denen eine FSF-Freigabe vorliegt, also bisher von keiner Stelle angemahnt worden. 12. Zuständig für Internet: Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM)
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a) Historie. Die FSM wurde 1997 als eingetragener Verein von Verbänden und Unternehmen der Online-Wirtschaft gegründet. Ziel der FSM ist es, dazu beizutragen, dass die Internetanbieter, insbesondere, wenn es sich um ihre Mitglieder handelt, die gesetzlichen Bestimmungen im Bereich des Jugendschutzes beachten. Darüber hinaus will sie die Öffentlichkeit, vor allem Eltern und Jugendliche, über die Voraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Internetangeboten informieren. Die in § 7 JMStV getroffene Verpflichtung für Internetunternehmen, deren Angebote möglicherweise jugendbeeinträchtigende oder jugendgefährdende Inhalte umfassen, einen Jugendschutzbeauftragten einzustellen, entfällt, wenn die Unternehmen Mitglied in einer Selbstkontrolleinrichtung (wie der FSM) sind. Damit soll vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen eine Motivation geschaffen werden, der FSM beizutreten.223 Die FSM wurde im November 2004 als Selbstkontrolle im Sinne des JMStV aner285 kannt. Die Verpflichtungen der Unternehmen, die Mitglied der FSM sind, ergeben sich aus ihrem Verhaltenskodex. Danach ist es unter anderem untersagt, jugendgefährdende oder verbotene Inhalte (zB Pornografie, Volksverhetzung) anzubieten oder zugänglich zu machen.
286
b) Besonderheiten des Prüfverfahrens der FSM. aa) Der Regelfall: nachträgliche Prüfung. Anders als bei der FSF ist eine Prüfung von Inhalten, bevor sie ins Internet gestellt werden, zwar möglich, aber nicht die Regel. Angesichts der großen Anzahl von Angeboten, die täglich neu hinzukommen, wäre eine Vorprüfung praktisch kaum möglich. Stattdessen erfolgt eine Prüfung durch die FSM aufgrund von Beschwerden. Dies ist ein Verfahren, das bei vielen staatlichen oder freiwilligen Institutionen, die zur Regulierung des Medienangebotes geschaffen wurden, üblich ist. Der im Bereich von Zeitschriften und Zeitungen zuständige Deutsche Presserat sowie der Deutsche Werberat reagieren bspw ausschließlich auf Beschwerden; auch die KJM wird schwerpunktmäßig vor allem dann tätig, wenn Beschwerden aus der Bevölkerung vorliegen.
287
bb) Die Beschwerdestelle der FSM. Für die Behandlung von Beschwerden unterhält die FSM eine Beschwerdestelle. Das Verfahren ist in einer Beschwerdeordnung genau festgelegt. Ein Vorprüfer hat die Aufgabe, den Sachverhalt zu ermitteln und den Anbieter, den die Beschwerde betrifft, zur Stellungnahme aufzufordern. Häufig verändert der Anbieter bereits daraufhin seinen Inhalt oder nimmt ihn aus seinem Angebot heraus. Kommt keine Einigung zustande, wird der Beschwerdeausschuss tätig. 223
Rausch 7 f.
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§5
Der Jugendmedienschutz Staatsvertrag (JMStV)
Erhält die KJM entsprechende Beschwerden, so leitet sie diese an die FSM weiter. In 288 diesem Falle wird das Angebot immer im Beschwerdeausschuss behandelt. cc) Der Beschwerdeausschuss. Im Beschwerdeausschuss wirken drei Prüfer mit, von 289 denen mindestens einer über ein abgeschlossenes juristisches Studium verfügen muss. Ein weiterer Prüfer verfügt über eine sozialwissenschaftliche Ausbildung, der dritte Prüfer stammt aus gesellschaftlichen Institutionen, die sich besonders mit Fragen des Jugendschutzes beschäftigen (die Kirchen, das Deutsche Kinderhilfswerk etc). Die Mitglieder im Beschwerdeausschuss werden auf Vorschlag der FSM-Geschäftsstelle vom Vorstand benannt. Der Beschwerdeausschuss entscheidet, ob die Beschwerde begründet ist. Über das 290 Ergebnis wird der Anbieter informiert. Er wird jetzt eindringlich aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Handelt er nicht, erfolgt eine Rüge, die er einen Monat lang in seinem Angebot veröffentlichen muss. Als nächster Schritt folgt eine Vereinsstrafe (Geldstrafe) oder im Wiederholungsfall der Ausschluss aus dem Verein. Da ein Vereinsausschluss für den Anbieter bedeutet, dass er einen Jugendschutzbeauftragten einstellen muss, ist seine Motivation relativ hoch, dem Votum des Beschwerdeausschusses zu folgen. Betrifft die Beschwerde einen Anbieter, der nicht Mitglied der FSM ist, so wird er 291 ebenfalls aufgefordert, sein Angebot zu verändern oder aus dem Netz zu nehmen. Sanktionsmöglichkeiten stehen der FSM hier nicht zur Verfügung. Allerdings wird der HostProvider aufgefordert, das Angebot zu entfernen. Bei Nichtmitgliedern beschäftigt sich lediglich der Vorprüfer mit der Beschwerde, nur in besonderen Fällen wird der Beschwerdeausschuss damit befasst. Kommt keine Einigung mit dem Anbieter zustande, so werden die Landesmedienanstalten über den Fall informiert. Sie erhalten darüber hinaus die Begutachtung des Vorprüfers. dd) Angebotsbeobachtung. Zur Sicherung des Jugendschutzes bei ihren Mitgliedern 292 führt die FSM eine stichprobenartige Kontrolle von Inhalten im Internet durch. Stößt sie dabei auf Angebote, bei denen ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex in Betracht kommt, wird der Fall behandelt, als würde eine Beschwerde vorliegen. Anders als im Bereich des Fernsehens gilt der Beurteilungsspielraum im Bereich der 293 Telemedien auch dann, wenn eine Prüfung nach der Veröffentlichung im Netz stattgefunden hat. c) Der Verhaltenskodex der FSM. In § 1 Ziff 2 des Verhaltenskodex der FSM 294 (VK-FSM) werden die Mitglieder verpflichtet, Kinderpornografie und Darstellungen, die Kinder in unnatürlichen sexuell aufreizenden Posen abbilden, zu ächten. Bei der Kinderpornografie handelt es sich um Medieninhalte, die inzwischen in nahezu allen Ländern der Welt verboten sind, so dass Zuwiderhandlungen auch gegenüber Anbietern gut abzustellen sind, wenn diese nicht Mitglied der FSM sind oder ihren Sitz im Ausland haben. In § 1 Ziff 3 werden die Mitglieder der FSM verpflichtet, keine unzulässigen Angebote iSv § 4 JMStV ins Netz zu stellen. Sollten Sie pornografische oder indizierte Inhalte zur Verfügung stellen,224 so werden sie verpflichtet, die Voraussetzungen für geschlossene Benutzergruppen zu erfüllen. Wenn Anbieter jugendbeeinträchtigende Angebote iSv § 5 Abs 1 JMStV im Internet 295 publizieren, sind sie verpflichtet, über technische Maßnahmen Kindern und Jugendlichen, für die das entsprechende Programm nicht geeignet ist, den Zugang unmöglich zu machen oder zumindest erheblich zu erschweren. Als Alternative müssen sie dafür Sorge 224
§ 1 Ziff 4 VK-FSM.
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7. Teil
tragen, dass die Inhalte nur zu solchen Zeiten im Netz zu erreichen sind, zu denen die Angehörigen der entsprechenden Altersgruppen sie üblicherweise nicht wahrnehmen (vergleichbar mit Sendezeitbeschränkungen im Fernsehen). Als dritte Option können sie den Inhalt in ein geeignetes, anerkanntes Jugendschutzprogramm eingeben oder es ihm vorschalten.225 Die Mitglieder der FSM werden aufgefordert, auch solche Angebote für ein Jugendschutzprogramm zu klassifizieren, die nicht jugendschutzrelevant sind. Hintergrund ist, dass die FSM ein positives Klassifikationssystem anstrebt.226 Ebenfalls sollen die Anbieter bei solchen Angeboten, die sich gezielt an Kinder in entwicklungsfördernder Weise richten, auf diese Eignung für Kinder hinweisen.227 Bei Angeboten, durch die eine beeinträchtigende Wirkung nur auf Kinder zu befürchten ist (unter 12 Jahren), muss bei der Programmierung beachtet werden, dass diese nicht im Rahmen von Angeboten zu finden sind, die sich direkt an Kinder richten. Darüber hinaus darf von diesen Seiten nicht auf Angebote verlinkt werden, die für Kinder entwicklungsbeeinträchtigend sind.228 Beim Einsatz von Werbung verpflichten sich die Mitglieder der FSM, die in § 6 JMStV enthaltenen Bestimmungen zu beachten. Darüber hinaus verpflichten sie sich, keine Bezahlprogramme zu verwenden, die sich unerkannt automatisch installieren.229 Stellen Anbieter Filme zur Verfügung, die in der Kino- oder Video/DVD-Fassung über eine FSK-Freigabe verfügen, sind sie verpflichtet, auf die Altersfreigabe hinzuweisen.230 Anbieter, die eine Mitgliedschaft in der FSM anstreben, ermöglichen der FSM vorher einen freien Zugang zu ihren Inhalten, damit diese feststellen kann, ob das Angebot den Prinzipien des Verhaltenskodex entspricht. Ist dies nicht der Fall, so kann über eine Mitgliedschaft nur dann positiv entschieden werden, wenn das Angebot entsprechend geändert wird. Eine erneute Prüfung ist dann vorgesehen, wenn das Angebot in jugendschutzrelevanter Weise geändert wird.231
300
d) Weitere Tätigkeitsfelder der FSM. aa) Vereinbarung mit Suchmaschinenanbietern. Eine wichtige Verbesserung für den Jugendschutz im Internet stellt eine Vereinbarung der FSM mit den wichtigsten Suchmaschinenanbietern dar. Darin verpflichten sich diese, bei Suchanfragen solche Angebote zu sperren, die indiziert sind. Da die Suchmaschinen die wichtigsten Hilfen sind, um Angebote im Internet zu finden, ist dies eine wichtige Unterstützung im Sinne des Jugendschutzes.
301
bb) Ein Netz für Kinder. Daneben engagiert sich die FSM auf der Grundlage einer Vereinbarung mit dem Bundesbeauftragten für Kultur (BKM) bei der Entwicklung und Realisierung des Projektes Ein Netz für Kinder.232 Dahinter steht die Überlegung, Jugendschutz nicht nur auf dem Wege von Verboten und Beschränkungen zu gewährleisten, sondern Kindern einen geschützten Raum im Netz zu bieten, in dem alle Angebote versammelt sind, die sich direkt an Kinder wenden und für diese zumindest nicht entwicklungsbeeinträchtigend sind. Die FSM stellt sachverständige Personen zur Verfügung, die entsprechende Angebote prüfen und beobachten, die in diesen Bereich aufgenommen werden sollen. 225 226
227
§ 1 Ziff 5 Nr 1a–c VK-FSM. Hintergrund ist, dass die FSM eine Positivliste anstrebt, die durch bestimmte Jugendschutzprogramme nach Vorgaben der Eltern freigeschaltet werden können. § 1 Abs 5 Nr 2 VK-FSM.
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228 229 230 231 232
§ 1 Ziff 5 Nr 3 VK-FSM. § 1 Ziff 6 VK-FSM. § 1 Ziff 10 VK-FSM. § 1 Ziff 10 VK-FSM. Vgl Hanten tv diskurs 3/2007, 10 ff.
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§6
Jugendschutzrecht im europäischen Kontext
§6 Jugendschutzrecht im europäischen Kontext I. Altersklassifizierung von Kinofilmen Ein System der Altersklassifizierung von Kinofilmen gibt es in allen Mitgliedstaaten 302 der Europäischen Union. Die gesetzlichen Voraussetzungen, die Organisationsformen und die Altersgruppen unterscheiden sich allerdings erheblich. Im Nachbarland Frankreich müssen per Gesetz alle Kinofilme der Commission de classification des œuvres cinématographiques vorgelegt werden, die im Auftrag und unter der Aufsicht des Kulturministeriums die Altersfreigaben erteilt. In Frankreich gilt allerdings der Grundsatz, dass Filme grds frei zugänglich sind.233 Selbst eine Freigabe ab 12 Jahren wird bereits als Restriktion verstanden. Über 90 % aller Kinospielfilme erhalten deshalb eine Freigabe ohne Altersbeschränkung (in Deutschland 24 %). Eine Freigabe ab 12 Jahren kommt selten vor, eine Freigabe erst ab 16 Jahren ist die Ausnahme. In Spanien gibt es ebenfalls die Pflicht zur Altersklassifizierung, diese dient aber nur zur Orientierung der Eltern oder der Jugendlichen selbst und besitzt keinen rechtlich verbindlichen Charakter. Nur für besonders gewalthaltige Filme kann eine Beschränkung auf Erwachsene ausgesprochen werden. In den Niederlanden234 gibt es für alle Medien eine Kennzeichnungspflicht, die allerdings von den Anbietern selbst durchgeführt wird. Ein zentrales Institut (NICAM) begleitet und moderiert das System. Nur bei Beschwerden wird ein Ausschuss tätig.235 Im Vergleich zu den anderen Staaten der EU ist das deutsche System im Bereich des 303 Jugendschutzes überaus detailliert und reguliert, die Freigabekriterien sind besonders streng. Lediglich Großbritannien kann ähnlich strenge Prüfergebnisse aufweisen. Eine Altersklassifizierung für Videofilme oder DVDs gibt es nur in wenigen europäischen Ländern.
II. Die EG-Fernseh-Richtlinie Im Bereich der EU ist die Sicherung des Jugendschutzes grds Aufgabe der Mitglied- 304 staaten. Rechtlich verbindliche Vorgaben für den Bereich des Kino- oder Videomarktes gibt es nicht. Dies wird den Mitgliedstaaten überlassen, weil es sich in der Regel um nationale Märkte handelt. Aufgrund der Satellitentechnik und der Einspeisung europäischer Programme in 305 nationale Kabelnetze wurde im Jahre 1989 für Fernsehprogramme die Europäische Fernseh-Richtlinie 236 geschaffen. Sie bildet einen Regelungsrahmen für die Mitgliedstaaten, den diese in nationales Recht umgesetzt haben. Inzwischen wurde die Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“ (AVMS-Richtlinie) am 29.11.2007 im Europäischen Parlament verabschiedet. Sie ergänzt die Fernseh-Richtlinie um Regelungen für audiovisuelle Abrufmedien. Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, die neue Richtlinie in nationales Recht aufzunehmen.
233 234 235
236
So Chevillard tv diskurs 2/1998, 4 ff. Bekkers tv diskurs 3/2006, 4 ff. Zu den unterschiedlichen Jugendschutzsystemen in Europa s auch von Hartlieb/ Schwarz/von Gottberg 65 ff. Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Ko-
ordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, geändert durch die Richtlinie 97/36/EG von 30.6.1997.
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7. Teil
Ziel der neuen AVMS-Richtlinie ist es, die für das Fernsehen geltenden Bestimmungen auf nicht-lineare Dienste wie mobiles Fernsehen (Handy-TV, sofern es nicht-lineare Angebote sind) oder Abrufdienste (Video-on-Demand) mit abgestufter Regelungsdichte auszuweiten. Weiterhin gilt das Herkunftsland-Prinzip, nach dem für den Anbieter die gesetzlichen Grundlagen des Landes gelten, in dem er seinen Hauptsitz hat und in dem die wesentlichen redaktionellen und wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen werden. Allerdings wird ein Verfahren eingeführt, dass davor schützen soll, dass ein Anbieter sein Angebot ganz oder überwiegend auf ein anderes Land ausrichtet, das nicht das Niederlassungsland des Veranstalters ist, und damit die strengeren Regelungen des Ziellandes umgeht. Die Bestimmungen für das Fernsehen bleiben erhalten, auch diejenigen zu zulässigen, einstweiligen Ausnahmen von der Freiheit der Weiterverbreitung; für den Bereich der nicht-linearen Dienste gilt zusätzlich, dass die Mitgliedstaaten „Notfallmaßnahmen“ für Inhalte ergreifen dürfen (zB Sperrverfügungen), die gegen in der Richtlinie genannte Ziele des Allgemeininteresses verstoßen. 1. Unzulässig im Rundfunk: Pornografie und grundlose Gewalt
307
Nach Art 22 Abs 1 EU-Fernseh-Richtlinie ist die Ausstrahlung von Pornografie in europäischen Fernsehprogrammen grds verboten. Allerdings gibt es keine einheitliche europäische Definition darüber, was darunter zu verstehen ist. In Großbritannien ist als Definition von Pornografie die explizite Darstellung von Geschlechtsteilen ein maßgebliches Kriterium, in Frankreich hingegen sind solche Darstellungen nicht prinzipiell verboten, sondern in bestimmten Kontexten erlaubt. In Schweden und Dänemark hingegen gelten sexuelle Darstellungen als pornografisch, wenn sexuelle Handlungen nicht freiwillig geschehen, sondern mit Gewalt erzwungen werden. Ob es angesichts der Tatsache, dass Medien, vor allem das Internet und das Fernsehen, zunehmend grenzüberschreitend agieren, einen einheitlichen europäischen Pornografiebegriff geben sollte, ist umstritten. Dagegen sprechen die unterschiedlichen kulturellen Traditionen in Europa. Die Staaten mit strengen Regelungen befürchten durch eine Vereinheitlichung des Pornografiebegriffs deren Aufweichung, Staaten mit liberalen Gesetzen wollen eine Bevormundung ihrer Bürger verhindern. Allerdings ist zu befürchten, dass bspw angesichts der strengen Vorschriften in Deutschland Anbieter in die Niederlande oder nach Schweden ausweichen und von dort aus über das Internet problemlos Pornografie anbieten.237 Ähnliches ist zum Teil auch im Bereich des Fernsehens geschehen. Dies könnte zu einer Diskriminierung der Anbieter in Deutschland führen, die strenge Regeln einhalten müssen, die für Angebote aus dem Ausland nicht gelten.238 Die Darstellung grundloser Gewalt ist gleichfalls nicht zugelassen. Doch auch hier 308 gehen die Vorstellungen in den Mitgliedstaaten weit auseinander. Actionfilme wie Rambo III, die in Deutschland indiziert sind und im Fernsehen seit 2003 nicht ausgestrahlt werden dürfen, sind in französischen Kinos ohne Altersbeschränkung gelaufen. Die Szenerie solcher Filme ist nach französischer Vorstellung weit von der Realität
237
Darauf weist zB Gangloff (tv diskurs 4/2007, 89 ff) hin. Die Landesmedienanstalten haben inzwischen angekündigt, sich mit dem Problem zu beschäftigt, weisen aber darauf hin, dass sie wenig unternehmen können, wenn die Anbieter über eine Zulassung aus einem anderen EU-Land verfügen.
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Es wird darüber nachgedacht, mit der Industrie zu vereinbaren, die letzten Programmplätze auf digitalen Satelliten generell zu sperren, weil dort die Angebote meist zu finden sind; vgl Medienwächter prüfen Schritte gegen „Sexsender“ JMS-Report 5/2007, 9. Vgl hierzu Ulich 116 f.
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Jugendschutzrecht im europäischen Kontext
europäischer Jugendlicher entfernt, außerdem seien sie eindeutig als Fiktion erkennbar. Bei Filmen hingegen, die Gewalt in französischen Vorstädten thematisieren, ist man in Frankreich sehr viel vorsichtiger. Sehr streng geht man in Frankreich auch mit Filmen um, die den Selbstmord Jugendlicher thematisieren. Hintergrund: Die Anzahl jugendlicher Selbstmorde ist in Frankreich so hoch wie in keinem anderen Land der EU. In Großbritannien ist die Befürchtung groß, Jugendliche könnten durch Filme zur Kriminalität motiviert werden. Auch hier gibt es reale Bezüge: Der Anteil an Jugendlichen, die bereits einmal wegen Kriminalität inhaftiert waren, liegt dort bei 10 % und damit höher als in anderen europäischen Ländern. Unter grundloser Gewalt werden Filme oder Programme verstanden, die grausame 309 und detaillierte Gewalt selbstzweckhaft und ohne relativierenden, erklärenden Kontext darstellen. Darüber jedoch, welche Formen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen völlig verboten sind, gibt es in den Mitgliedstaaten der EU keine einheitlichen Vorstellungen. Es zeigt sich, dass die Einschätzung der Gefahren, die von Pornografie oder Gewaltdarstellungen in den Medien ausgehen können, kulturell sehr unterschiedlich sind. 2. Jugendschutz Für den Jugendschutz gibt es in der Fernseh-Richtlinie weitere Bestimmungen. Filme 310 und Programme, die geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen zu beeinträchtigen, sollen den gefährdeten Altersgruppen nicht zugänglich gemacht werden. Dies kann über Sendezeitbeschränkungen oder geeignete technische Maßnahmen geschehen.239 Sowohl Kriterien als auch Umsetzung des Jugendschutzes bleiben den Mitgliedstaaten überlassen. Nach der Reform der Fernseh-Richtlinie im Jahr 2007 wird auch das System der regulierten Selbstregulierung als Möglichkeit zur Sicherung des Jugendschutzes ausdrücklich erwähnt.240 Darüber hinaus werden Regelungen für nichtlineare Dienste (vor allem Video-on-Demand) getroffen. Wie sich diese Regelungen auf die Praxis des Jugendschutzes bei den neuen Medien auswirken werden, bleibt abzuwarten. Nach der Fernseh-Richtlinie gilt grds das Sendestaatsprinzip. Ein Fernsehprogramm, 311 das in einem Mitgliedstaat lizenziert ist, darf – vor allem über Satellit – in allen anderen Mitgliedsstaaten ausgestrahlt werden. In der Praxis führte das bisher nur selten zu Problemen, da die meisten Sender, die vornehmlich Programme mit sexuell stimulierenden Inhalten ausstrahlen, nur verschlüsselt zu empfangen sind. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn sich Konzerne bilden, die europaweit Fernsehen veranstalten. Die den Jugendschutz betreffenden praktischen Probleme sind bisher noch überschau- 312 bar, da Fernsehprogramme normalerweise aufgrund der unterschiedlichen Sprachen noch sehr stark für den nationalen Markt produziert werden. Ausnahmen bilden Fernsehsender im Bereich der deutschsprachigen Länder. Aber auch dieses Problem ist noch verhältnismäßig gering, weil zwar die deutschen Sender – mit relativ strengen Jugendschutzkriterien – in Österreich und der Schweiz zu empfangen sind, die österreichischen und Schweizer Sender hingegen – mit einem geringeren Schutzniveau – jedoch in Deutschland derzeit nur in geringem Umfang über Satellit oder im Kabelnetz verbreitet werden.
239
Art 22 Abs 2 EG-Fernseh-Richtlinie.
240
Vgl Scheuer tv diskurs 2/2007, 4, 4.
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Kapitel 3 Medienstrafrecht Literatur Abdallah/Gercke Strafrechtliche und strafprozessuale Probleme der Ermittlung nutzerbezogener Daten im Internet ZUM 2005, 368; Ahrens Napster, Gnutella, FreeNet & Co. – die immaterialgüterrechtliche Beurteilung von Internet-Musiktauschbörsen ZUM 2000, 1029; Altenhain Die strafrechtliche Verantwortung für die Verbreitung mißbilligter Inhalte in Computernetzen CR 1997, 485; ders Der strafbare Mißbrauch kartengestützter elektronischer Zahlungssysteme JZ 1997, 752; Alwart Personale Öffentlichkeit (§ 169 GVG) JZ 1990, 883; Arndt Die Herausgabe der Stasi-Unterlagen Prominenter NJW 2004, 3157; Arzt Anm. zu OLG Celle (MDR 1977, 596) JZ 1977, 339; Bär Auskunftsanspruch über Telekommunikationsdaten nach den neuen §§ 100g, 100h StPO MMR 2002, 358; ders Fehlende Ermächtigungsgrundlage für Online-Durchsuchungen MMR 2007, 239; Bartels/Kollorz Zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen NStZ 2000, 648; Barton MultimediaStrafrecht, Ein Handbuch für die Praxis, Neuwied 1999; ders Verantwortlichkeitsregelung des § 5 TDG K&R 2000, 195; Barton/Gercke/Janssen Die Veranstaltung von Glücksspielen durch ausländische Anbieter per Internet unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH wistra 2004, 2047; Baumann Zur Reform des politischen Strafrechts JZ 1966, 329; Baumann/Weber/ Mitsch Strafrecht Allgemeiner Teil 11. Aufl Bielefeld 2003; von Becker Neues zum „Schlüsselfilm“ AfP 2006, 124; ders Schmerzen wie du sie noch nie erlebt hast NJW 2007, 662; Beisel Die Strafbarkeit der Auschwitzlüge NJW 1995, 997; ders Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen Heidelberg 1997; Beisel/B Heinrich Die Strafbarkeit der Ausstrahlung pornographischer Sendungen in codierter Form durch das Fernsehen JR 1996, 95; dies Die Zulässigkeit der Indizierung von Internet-Angeboten und ihre strafrechtliche Bedeutung CR 1997, 360; BergerZehnpfund Kinderpornographie im Internet – Rechtliche Aspekte der Bekämpfung des Kindermißbrauchs in internationalen Datennetzen Kriminalistik 1996, 635; Bergmann Zur strafrechtlichen Beurteilung von Straßenblockaden als Nötigung (§ 240 StGB) unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung Jura 1985, 457; Beulke Empirische und normative Probleme der Verwendung neuer Medien in der Hauptverhandlung ZStW 113 (2001), 709; Binder Computerkriminalität und Datentransferübertragung – Teil I RDV 1995, 57; Bloy Grund und Grenzen der Strafbarkeit der misslungenen Anstiftung JR 1992, 493; ders Zum Merkmal der Ernstlichkeit bei der Anstiftung JZ 1999, 157; Borgmann Von Datenschutzbeauftragten und Bademeistern – Der strafrechtliche Schutz am eigenen Bild durch den neuen § 201a StGB NJW 2004, 2133; Bosch Der strafrechtliche Schutz vor Foto-Handy-Voyeuren und Paparazzi JZ 2005, 377; Boßmanns Urheberrechtsverletzungen im Online-Bereich und strafrechliche Verantwortlichkeit der Internet-Provider Frankfurt aM 2003; Bottke Strafverfolgungsverjährung bei Anbringen eines gedruckten Aufklebers strafbaren Inhalts JR 1983, 299; ders Bemerkungen zu dem Beschluß des BVerfG zu § 353d Nr 3 StGB NStZ 1987, 314; Brauneck Zur Verantwortlichkeit des Telediensteanbieters für illegal ins Netz gestellte Musikdateien nach § 5 TDG ZUM 2000, 480; Bremer Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht – Ist der Nationalstaat wirklich überholt? Frankfurt aM 2001; Breuer Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf exterritorial handelnde Internet-Benutzer MMR 1998, 141; Britz Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal Baden-Baden 1999; Brockhorst-Reetz Repressive Maßnahmen zum Schutz der Jugend im Bereich der Medien Film, Video und Fernsehen München 1989; Büchele Urheberrecht im World Wide Web Wien 2002; Bühler Ein Versuch, Computerkriminellen das Handwerk zu legen – Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität MDR 1987, 448; Burbulla Fernsehöffentlichkeit als Bestandteil des Öffentlichkeitsgrundsatzes Frankfurt aM 1998; Buscher Neuere Entwicklungen der straf- und ehrenschutzrechtlichen Schranken der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit NVwZ
Bernd Heinrich
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
1997, 1057; Clauß Zur Bestimmung des Erfolgsorts und zur Strafverfolgungskompetenz bei Äußerungsdelikten im Internet MMR 2001, 232; Collardin Straftaten im Internet CR 1995, 618; Collova Über die Entwicklung der gesetzlichen und vertraglichen Regelung der Vervielfältigung zum persönlichen Gebrauch (private Überspielung) in der Bundesrepublik Deutschland UFITA 125, 53; Cornelius Zur Strafbarkeit des Anbieters von Hackertools: Was nach dem 41. Strafrechtsänderungsgesetz noch für die IT-Sicherheit getan werden darf CR 2007, 682; ders Beschluss des BGH zur verdeckten Online-Durchsuchung JZ 2007, 105; Cornils Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet JZ 1999, 394; Cramer Zur strafrechtlichen Beurteilung der Werbung für Pornofilme AfP 1989, 611; Dalbkermeyer Der Schutz der Beschuldigten vor identifizierenden und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden Frankfurt aM 1994; Dallinger Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen MDR 1971, 185; Dannecker Neuere Entwicklungen im Bereich der Computerkriminalität – Aktuelle Erscheinungsformen und Anforderungen an eine effektive Bekämpfung BB 1996, 1285; Degenhart Rundfunk und Internet ZUM 1998, 333; Derksen Strafrechtliche Verantwortung für in internationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt NJW 1997, 1878; Dessecker Im Vorfeld eines Verbrechens: die Handlungsmodalitäten des § 30 StGB JA 2005, 549; Dieckmann Zur Zulassung von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen in Gerichtssälen: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet!“ NJW 2001, 2451; Diemer Verfahrensrügen im Zusammenhang mit der audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO NStZ 2001, 393; Dietrich Rechtsprechungsbericht zur Auskunftspflicht des Access-Providers nach Urheberrechtsverletzung im Internet (zu LG Flensburg GRUR-RR 2006, 174) GRUR-RR 2006, 145; Dose Zur analogen Anwendung des § 7 Abs. 2 StPO (Gerichtsstand des Tatorts) auf Rundfunk- und Fernsehsendungen NJW 1971, 2212; Dreher Der Paragraph mit dem Januskopf in: Gallas-FS Berlin 1973, 307; Durlach Strafbarer Eigennutz: Abgrenzung von Glücksspiel und Sportwette; Abgrenzung von Veranstalten und Vermitteln NStZ 2001, 254; Duttge/Hörnle/Renzikowski Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung NJW 2004, 1065; Eberle Journalistischer Umgang mit Stasi-Unterlagen – Rechtliche Aspekte DtZ 1992, 263; ders Gesetzwidrige Medienöffentlichkeit beim BVerfG? NJW 1994, 1637; Eberle/Rudolf/Wasserburg Mainzer Rechtshandbuch der Neuen Medien Heidelberg 2003 (zit Eberle/Rudolf/Wasserburg/Bearbeiter); Ehmann Zur Struktur des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts JuS 1997, 193; Eichelberger Sasser, Blaster, Phatbot & Co. – alles halb so schlimm? Ein Überblick über die strafrechtliche Bewertung von Computerschädlingen MMR 2004, 594; Eichler Kommentar zu AG München: „CompuServe“-Urteil K&R 1998, 412; Eisele Strafrechtlicher Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen: Zur Einführung eines § 201a in das Strafgesetzbuch JR 2005, 6; Eisenberg Beweisrecht der StPO München 5. Aufl. 2006; Elster Gewerblicher Rechtsschutz Berlin 1921; Emmerich/Würkner Kunstfreiheit oder Antisemitismus? NJW 1986, 1195; Enders Die Beschränkung der Gerichtsöffentlichkeit durch § 169 S 2 GVG – verfassungswidrig? 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1760
Bernd Heinrich
Kapitel 3 Medienstrafrecht Schutz gegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen ZUM 2004, 605; Flechsig/Gabel Strafrechtliche Verantwortlichkeit im Netz durch Einrichten und Vorhalten von Hyperlinks CR 1998, 351; Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB GA 1984, 452; ders Anbringen eines Aufklebers als Verbreiten eines Druckwerks? NStZ 1984, 126; Freiwald Die private Verviellfältigung im digitalen Kontext am Beispiel des Filesharings BadenBaden 2003; Freytag Providerhaftung im Binnenmarkt CR 2000, 600; Führich Zur Auslegung des Begriffs „Ladengeschäft“ im Jugendschutzrecht NJW 1986, 1156; Gabriel Strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Texte Frankfurt aM 2003; Gänßle Strafbarkeit der Verbreitung eines „Terrorists Handbook“ über Mailbox NStZ 1999, 90; Geppert Repetitorium – Strafrecht Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) Jura 1985, 25; ders Die versuchte Anstiftung (§ 30 Abs 1 StGB) Jura 1997, 546; ders Zur passiven Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften und von Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung Jura 2005, 244; Gercke Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Internetstrafrecht in den Jahren 2000 und 2001 ZUM 2002, 238; ders Auskunftspflicht StraFo 2005, 244; ders Strafbarkeit einer Online-Demo MMR 2005, 868; Gerhardt Die Beschränkung der Gesetzgebung auf das Unerlässliche (Darstellung am Beispiel des § 131 StGB) NJW 1975, 375; ders Störenfried oder demokratischer Wächter? Die Rolle des Fernsehens im Gerichtssaal – Plädoyer für eine Änderung des § 169 S 2 GVG ZRP 1993, 377; Germann Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet Berlin 2000; Gersdorf Kameras in Gerichtsverhandlungen – Karlsruhe auf verschlungenem verfassungsdogmatischen Pfade AfP 2001, 29; Gnirck/Lichtenberg Internetprovider im Spannungsfeld staatlicher Auskunftsersuchen DUD 2004, 598; Gotke Öffentliches Anbieten einzelner alter Stücke von Hitlers „Mein Kampf“ JA 1980, 123; Gounalakis Soldaten sind Mörder NJW 1996, 481; ders Kameras im Gerichtssaal – Rechtsvergleichende Überlegungen zu einem Pilotprojekt „Gerichtsfernseher“, in: Kübler-FS Heidelberg 1997, 173; Gounalakis/Rhode Haftung des Host-Providers – ein neues Fehlurteil aus München? NJW 2000, 2168; dies Persönlichkeitsschutz im Internet München 2002; Gounalakis/Vollmann Stasi-Unterlagen-Gesetz – „Sprachrohr“ oder „Maulkorb“ für die Presse? AfP 1992, 36; dies Die pressespezifischen Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Lichte des Art 5 GG DtZ 1992, 77; von Gravenreuth Strafverfahren wegen Verletzung von Patenten, Gebrauchsmustern, Warenzeichen oder Urheberrechten GRUR 1983, 349; ders Das Plagiat aus strafrechtlicher Sicht München 1986; ders Computerviren, Hacker, Datenspione, Crasher und Cracker – Überblick und rechtliche Einordnung NStZ 1989, 201; Greiser Die Sozialadequanz der Verwendung von NS-Kennzeichen bei Demonstrationen NJW 1969, 1155; ders Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda NJW 1972, 1556; Gröseling/Höfinger Computersabotage und Vorfeldkriminalisierung: Auswirkungen des 41. StrÄndG zur Bekämpfung der Computerkriminalität MMR 2007, 626; Gropp Strafrecht Allgemeiner Teil 3. Aufl Berlin, Heidelberg 2005; Groß Presserecht 3. Aufl Heidelberg 1999; ders Medien und Verteidigung im Ermittlungsverfahren in: Hamack-FS Berlin 1999, 39; Gündisch/Dany Rundfunkberichterstattung aus Gerichtsverhandlungen NJW 1995, 760; Haberstumpf Zur urheberrechtlichen Beurteilung von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen GRUR 1982, 142; Härting/Kuon Designklau: Webdesign, Screendesign, Look und Feel im Urheberrecht CR 2004, 527; Hain Big Brother im Gerichtssaal? DÖV 2001, 589; Hamm Hauptverhandlungen in Strafsachen vor Fernsehkameras – auch bei uns? NJW 1999, 1524; Harms Ist das bloße Anschauen von kinderpornographischen Bildern im Internet nach geltendem Recht strafbar? NStZ 2003, 647; von Hartlieb Gewaltdarstellungen in Massenmedien. Zur Problematik der §§ 131 und 184 Abs 3 StGB UFITA 86 (1980), 101; Haucke Piratensender auf See – eine völkerrechtliche Studie über periphere Rundfunksender an Bord von Schiffen oder auf künstlichen Inseln im offenen Meer München 1968; Hauptmann Zur Strafbarkeit des sog Computerhackens – Die Problematik des Tatbestandsmerkmals „Verschaffen“ in § 202a StGB JurPC 1989, 215; Heghmanns Öffentliches und besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung von Softwarepiraterie NStZ 1991, 112; ders Strafrechtliche Verantwortlichkeit für illegale Inhalte im Internet JA 2001, 71; ders Rechtsprechung Strafrecht – Internationales Strafrecht JA 2001, 276; ders Die Strafbarkeit der vorsätzlichen unerlaubten Vervielfältigung und Verbreitung von Tonträgern MMR 2004, 14; Heidrich Zur Auskunftspflicht des Providers gem. §§ 100g, 100h StPO bei Bagatellkriminalität CR 2007, 678; Heine Oddset-Wetten und § 284 StGB – Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Vermittlung von nach DDR-Recht erlaubten Sportwetten wistra 2003, 441; B Heinrich Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Stuttgart 2005 (zit B Heinrich AT I); ders Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Stuttgart 2005 (zit B Heinrich AT II); ders Die Strafbarkeit der unerlaubten Vervielfältigung und Verbreitung von Stan-
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
dardsoftware Berlin 1993 (zit B Heinrich Vervielfältigung); ders Der Erfolgsort beim abstrakten Gefährdungsdelikt GA 1999, 72; ders Zeigen des Hitlergrußes bei Fußballspielen im Ausland NStZ 2000, 533; ders Handlung und Erfolg bei Distanzdelikten, in: Weber-FS Bielefeld 2004, 91; M Heinrich Neue Medien und klassisches Strafrecht – § 184b IV StGB im Lichte der Internetdelinquenz NStZ 2005, 361; Henschel Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG NJW 1990, 1937; Herrmann/Lausen Rundfunkrecht 2. Aufl München 2004; Herzberg Anstiftung zur unbestimmten Haupttat (BGHSt 34, 63) JuS 1987, 617; Herzog Rechtliche Probleme einer Inhaltsbeschränkung im Internet Frankfurt aM 2000; Heymann Strafrechtlicher Schutz der Intimsphäre – Schranke für Spanner oder das Ende des investigativen Journalismus? AfP 2004, 240; Hildebrandt Die Strafvorschriften des Urheberrechts Berlin 2001; Hilgendorf Überlegungen zur strafrechtlichen Interpretation des Ubiquitätsprinzips im Zeitalter des Internet NJW 1997, 1873; Hilgendorf/Frank/Valerius Computerund Internetstrafrecht Berlin 2005; Hillgruber/Schemmer Darf Satire wirklich alles? – Zum Beschluß des Ersten Senats des BVerfG v 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 JZ 1992, 946; Hodel Kannibalismus im Wohnzimmer? Psychosoziale Auswirkungen der Gewaltdarstellungen in den Medien Kriminalistik 1986, 354; Hoeren Ist Felix Somm ein Krimineller? NJW 1998, 2792; ders Auskunftspflichten der Internetprovider an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden – eine Einführung wistra 2005, 1; ders Das Telemediengesetz NJW 2007, 801; Hörisch (Wie) Passen Justiz und Massenmedien zusammen? StV 2005, 15; Hofmann Der Sonderweg des Bundesverfassungsgerichts bei der Fernsehübertragung von Gerichtsverhandlungen ZRP 1996, 399; Hoffmann-Riem Zur Verfassungsmäßigkeit von StGB § 353d Nr 3 JZ 1986, 494; Holzer Investigativer Journalismus AfP 1988, 113; Holznagel/Kussel Möglichkeiten und Risiken bei der Bekämpfung rechtsradikaler Inhalte im Internet MMR 2001, 347; Horn Zum Recht der gewerblichen Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten NJW 2004, 2047; Horn/Hoyer Rechtsprechungsübersicht zum 27. Abschnitt des StGB – „Gemeingefährliche Straftaten“ JZ 1987, 965; Hörnle Verbreitung der Auschwitzlüge im Internet NStZ 2001, 309; dies Pornographische Schriften im Internet – Die Verbotsnormen im deutschen Strafrecht und ihre Reichweite NJW 2002, 1008; ders Anm zu BGH: Vermietung pornografischer Filme durch Automatenvideothek NStZ 2004, 150; von der Horst Rollt die Euro-Pornowelle? ZUM 1993, 227; Huff Justiz und Öffentlichkeit Berlin 1996; ders Fernsehöffentlichkeit im Gerichtsverfahren – Kippt das BVerfG § 169 S 2 GVG? NJW 1996, 571; ders Saalöffentlichkeit auch in Zukunft ausreichend – Keine Änderung des § 169 S 2 GVG NJW 2001, 1622; ders Notwendige Öffentlichkeitsarbeit der Justiz 2004, 403; Huppertz Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot zugunsten des Rundfunks im Strafprozeß München 1971; Huster Das Verbot der „Auschwitzlüge“, die Meinungsfreiheit und das Bundesverfassungsgericht NJW 1996, 487; Isensee Kunstfreiheit im Streit mit Persönlichkeitsschutz AfP 1993, 619; Jahn Die Anwendbarkeit allgemeiner presse- und rundfunkgesetzlicher Straftatbestände auf den Rundfunk und das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes Köln 1973; Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil 2. Aufl Berlin 1991; Janz Rechtsfragen der Vermittlung von Oddset-Wetten in Deutschland NJW 2003, 1694; Jescheck Zur Reform des politischen Strafrechts JZ 1967, 6; Jeßberger Äußerungen (Volksverhetzungen) eines Ausländers auf einem ausländischen Server JR 2001, 432; Jescheck/Weigend Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil 5. Aufl Berlin 1995; Jessen Zugangsberechtigung und besondere Sicherung im Sinne von § 202a StGB Frankfurt aM 1994; Jofer Strafverfolgung im Internet Frankfurt aM 1999; Jung Die Inlandsteilnahme an ausländischer strafloser Haupttat JZ 1979, 325; Kaboth Der Kannibale von Rothenburg und die Kunstfreiheit ZUM 2006, 412; Kächele Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB) Baden-Baden 2007; Kargl Zur Differenz zwischen Wort und Bild im Bereich des strafrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ZStW 117 (2005), 324; Katzenberger Der Schutz von Werken der bildenden Künste durch das Urheberstrafrecht und die Praxis der Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland GRUR 1982, 715; Kaufmann Strafrechtliche Sozialadäquanz einer Verlinkung auf rechtswidrige Internet-Inhalte CR 2006, 545; Kemper Anforderungen und Inhalt der Online-Durchsuchung bei der Verfolgung von Straftaten ZRP 2007, 105; Kempf Sanktionen gegen juristische Personen und Gesellschaften KJ 2003, 462; Kienle Internationales Strafrecht und Straftaten im Internet: zum Erfordernis der Einschränkung des Ubiquitätsprinzips des § 9 Abs 1 Var 3 StGB Konstanz 1998; Kindhäuser Strafrecht Allgemeiner Teil 2. Aufl Baden-Baden 2006 (zit Kindhäuser AT); ders Strafrecht Besonderer Teil II 4. Aufl Baden-Baden 2005 (zit Kindhäuser BT 2); Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch 2. Aufl Baden-Baden 2005 (zit NK/Bearbeiter); Kirste Der Schutz des Amtsträgers vor
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Kapitel 3 Medienstrafrecht der Öffentlichkeit (BVerwG NJW 2002, 1815) JuS 2003, 336; Kitz Das neue Recht der elektronischen Medien in Deutschland – sein Charme, seine Fallstricke ZUM 2007, 368; Kleine-Cosack Das Urteil des BVerwG zum Stasi-Unterlagen-Gesetz (Fall Kohl) NJ 2002, 350; Klengel/Heckler Geltung des deutschen Strafrechts für vom Ausland aus im Internet angebotenes Glücksspiel CR 2001, 243; Kloepfer Das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die Pressefreiheit Berlin 1993; Klug Das Grundrecht der Fernsehfreiheit im Spannungsfeld der Interessen- und Rechtsgüterabwägung nach § 34 StGB bei Kollisionen mit § 201 StGB, in: Oehler-FS Köln 1985, 397; ders Das Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB), in: Jescheck-FS Berlin 1985, 583; Knöbl Die „kleine Münze“ im System des Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechts Hamburg 2002; Knothe/Wanckel „Angeklagt vor laufender Kamera“ ZRP 1996, 106; Koch Aspekte des technischen und strafrechtlichen Zugriffsschutzes von EDVSystemen RDV 1996, 123; ders Zur Strafbarkeit der Auschwitzlüge im Internet (zu BGHSt 46, 212) JuS 2002, 123; ders Perspektiven für die Link- und Suchmaschinen-Haftung CR 2004, 213; Köbele Anspruch auf Mitteilung des Anschlussinhabers bei bekannter IP-Adresse DuD 2004, 609; Köhn Die Technisierung der Popmusikproduktion – Probleme der „kleinen Münze“ in der Musik ZUM 1994, 278; Kohlhaas Das Mitschneiden von Telefongesprächen im Verhältnis zum Abhörverbot und dem Fernmeldegeheimnis NJW 1972, 238; Kohlmann Verfassungswidrige Parteien für immer mundtot? (zu BGHSt 23, 226) JZ 1971, 681; Körber Rechtsradikale Propaganda im Internet – der Fall Töben Würzburg 2003; Köster/Jürgens Haftung professioneller Informationsvermittler im Internet MMR 2002, 420; Kortz Ausschluß der Fernsehöffentlichkeit im Gerichtsverfahren. Interessenausgleich oder Verfassungsverstoß? AfP 1997, 443; Kraft/Meister Rechtsprobleme virtueller Sit-ins MMR 2003, 366; dies Die Strafbarkeit von Internetdemonstrationen K&R 2005, 458; Kramer Heimliche Tonbandaufnahmen im Strafprozess NJW 1990, 1760; Krausnick Kameras in Gerichtsverhandlungen – Karlsruhe auf verschlungenem verfassungsdogmatischen Pfade ZUM 2001, 230; Kremp Investigativer Journalismus AfP 1988, 114; Kress Die private Vervielfältigung im Urheberrecht Hamburg 2004; Kreutzer Napster, Gnutella & Co.: Rechtsfragen zu Filesharing-Netzen aus der Sicht des deutschen Urheberrechts de lege lata und de lege ferenda GRUR 2001, 193, 307; Krey Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd 2: Täterschaft und Teilnahme, Unterlassungsdelikte, Versuch und Rücktritt, Fahrlässigkeitsdelikte 2. Aufl Stuttgart 2004 (zit Krey AT 2); Krey/M. Heinrich Strafrecht Besonderer Teil, Bd 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte 13. Aufl Stuttgart 2005 (zit Krey/ M Heinrich BT 1); Krüger Die digitale Privatkopie im zweiten Korb GRUR 2004, 204; Kudlich Anwendung deutschen Strafrechts bei Volksverhetzung im Internet StV 2001, 397; ders Die Neuregelung der strafrechtlichen Verantwortung von Internetprovidern – Die Änderungen des TDG durch das EGG, insb aus strafrechtlicher Sicht JA 2002, 798; ders Beabsichtigtes Verbreiten pornographischer Schriften JZ 2002, 310; ders Zu den Voraussetzungen des § 216 StGB sowie zu den Mordmerkmalen zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und zur Ermöglichung einer anderen Straftat JR 2005, 342; Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil 5. Aufl München 2005; ders Zur Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen AfP 2004, 190; Kühne Nochmals – Die Strafbarkeit der Zugangsvermittlung von pornographischen Informationen im Internet NJW 2000, 1003; Küpper/Bode Neuere Entwicklung zur Nötigung durch Sitzblockaden Jura 1993, 187; Kunert Das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk MDR 1975, 885; Kutscha Verdeckte Online-Durchsuchung und Unverletzlichkeit der Wohnung NJW 2007, 1169; Kusch Zum strafprozessualen Gerichtsstand bei Beleidigungen durch Rundfunksendungen und Fernsehsendungen NStZ 1990, 200; Kuß Öffentlichkeitsmaxime der Judikative und das Verbot von Fernsehaufnahmen um Gerichtssaal Berlin 1999; von Lackum Verantwortlichkeit der Betreiber von Suchmaschinen MMR 1999, 697; Ladeur/Gostomzyk Rundfunkfreiheit und Rechtsdogmatik – Zum Doppelcharakter des Art. 5 I 2 GG in der Rechtsprechung des BVerfG JuS 2002, 1145; Lagodny Zur Behandlung von einem Ausländer auf einem ausländischen Server ins Internet eingestellter, in Deutschland abrufbarer volksverhetzender Äußerungen als nach deutschem Strafrecht strafbare Inlandstat JZ 2001, 1198; Lampe Der strafrechtliche Schutz der Geisteswerke (II) UFITA 83 (1978), 15; ders Der strafrechtliche Schutz der Geisteswerke UFITA 87 (1980), 107; Laubenthal Sexualstraftaten Berlin 2000; Lenckner Strafrecht und ziviler Ungehorsam (zu OLG Stuttgart NStZ 1987, 121) JuS 1988, 349; Lehr Bildberichterstattung der Medien über Strafverfahren NStZ 2001, 63; Lerche Verfassungsrechtliche Aspekte der „inneren Pressefreiheit“ Berlin 1974 (zit Lerche Pressefreiheit); ders Verfassungsrechtliche Fragen zur Pressekonzentration Berlin 1971 (zit Lerche Pressekonzentration); Lesch Sportwetten via Internet – Spiel ohne Grenzen? wistra 2005, 241; Leupold/
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7. Teil
Bachmann/Pelz Russisches Roulette im Internet? – Zulässigkeit von Glücksspielen im Internet unter gewerbe- und strafrechtlichen Gesichtspunkten MMR 2000, 648; Leutheusser-Schnarrenberger Die gesetzliche Sicherung der Pressefreiheit: Eine endlose Geschichte ZRP 2007, 249; Lieben Strafrechtliche Bekämpfung der Videopiraterie durch die §§ 257 ff StGB GRUR 1984, 572; Liesching/Günter Verantwortlichkeit von Internet-Cafe-Betreibern MMR 2000, 260; Liesching/von Münch Die Kunstfreiheit als Rechtfertigung für die Verbreitung pornographischer Schriften AfP 1999, 37; Lindenmann/Wachsmuth Verbreiten und Zugänglichmachen im Internet JR 2002, 206; Leupold/Demisch Bereithalten von Musikwerten zum Abruf in digitalen Netzen ZUM 2000, 379; Löffler Beginn der Verjährung bei Pressedelikten NJW 1960, 2349; ders Lücken und Mängel im neuen Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmerecht von Presse und Rundfunk NJW 1978, 913; Löhnig „Verbotene Schriften“ im Internet JR 1997, 496; Löwe/Rosenberg Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar, herausgegeben von Peter Rieß 25. Aufl Berlin 1997 ff; 26. Aufl 2006 ff (zit Löwe/Rosenberg/Bearbeiter); Löwenheim Der Schutz der kleinen Münze im Urheberrecht GRUR 1987, 761; ders Vervielfältigungen zum eigenen Gebrauch von urheberrechtswidrig hergestellten Werkstücken, in: Dietz-FS München 2001, 415; Lüttger Zur Strafbarkeit der „Verwendung von Kennzeichen ehemaliger national-sozialistischer Organisationen“ nach § 4 des Versammlungsgesetzes GA 1960, 129; Malek Strafsachen im Internet Heidelberg 2005; Martin Die Strafbarkeit grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Freiburg iBr 1989; ders Grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen im deutschen Strafrecht ZRP 1992, 19; Matzky Kinderpornographie im Internet: Strafgesetzgeberischer Handlungsbedarf? ZRP 2003, 167; Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl Heidelberg 1989 (zit Maurach/Gössel/Zipf AT 2); Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht Besonderer Teil, Teilband 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte 9. Aufl Heidelberg 2003 (zit Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1); dies Strafrecht Besonderer Teil, Teilband 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswert 9. Aufl Heidelberg 2005 (zit Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2); Mecklenburg Internetfreiheit ZUM 1997, 525; Meier Strafbarkeit des Anbietens pornographischer Schriften NJW 1987, 1610; ders Zulässigkeit und Grenzen der Auskunftserteilung gegenüber den Medien – Zur Bedeutung der Presserichtlinien der Justiz, in: Schreiber-FS Heidelberg 2003, 331; ders Auskünfte gegenüber den Medien in: Alternativentwurf Strafjustiz und Medien München 2004, 89; Meirowitz Gewaltdarstellungen auf Videokassetten 1993, 345; ders Übungshausarbeit Öffentliches Recht – Horror auf Video Jura 1993, 152; Meyer Sportwetten als illegales Glücksspiel? – Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB auf Sportwetten JR 2004, 447; Mitsch Strafrecht Besonderer Teil 2, Teilband 2: Vermögensdelikte (Randbereich) Heidelberg 2001 (zit Mitsch BT II/2); Möller/Kelm Distributed Denial-of-Service Angriffe (DDoS) DuD 200, 292; Mönkemöller Moderne Freibeuter unter uns? – Internet, MP3 und CD-R als GAU für die Musikbranche! GRUR 2000, 663; Moritz Verantwortlichkeitsgrenzen für Zugangsprovider CR 2000, 119; Muckel Fernsehaufnahmen von Hauptverhandlungen in Strafsachen JA 2007, 905; Müller-Terpitz Regelungsreichweite des § 5 MDStV MMR 1998, 478; Neuling Inquisition durch Information – Medienöffentliche Strafrechtspflege im nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren Berlin 2005; ders Strafjustiz und Medien – mediale Öffentlichkeit oder justizielle Schweigepflicht im Ermittlungsverfahren? HRRS 2006, 94; Obert/Gottschalk § 201a StGB aus der Sicht des privaten Rundfunks ZUM 2005, 436; Oehler Das deutsche Strafrecht und die Piratensender München 1970; ders Die strafrechtliche Behandlung der nicht genehmigten Rundfunksendungen von Hoher See nach dem Seerechtsübereinkommen von 1982 im Verhältnis zum Europäischen Recht für besondere Fragen, in: Stern-FS München 1997; Otto Zur Bewertung der Äußerung „Soldaten sind Mörder“ als Beleidigung und zur Zuständigkeit des BVerfG bei der Anwendung des einfachen Rechts NStZ 1996, 127; ders Ehrenschutz und Meinungsfreiheit Jura 1997, 193; ders Die Haftung für kriminelle Handlungen in Unternehmen Jura 1998, 409; ders Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre 7. Aufl Berlin 2004 (zit Otto AT); ders Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen Delikte 7. Aufl Berlin 2005 (zit Otto BT); ders Vorliegen von Mordmerkmalen im sog. Kannibalen-Fall JZ 2005, 799; Park Die Strafbarkeit von Internet-Providern wegen rechtswidriger Internet-Inhalte GA 2001, 23; Pätzel Verbreitung pornographischer Schriften durch Internet-Provider CR 1998, 625; Paschke Medienrecht 2. Aufl Berlin 2001; Peglau Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht Frankfurt aM 1997; Pelz Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Internet-Providern ZUM 1998, 530; Pernice Öffentlichkeit und Medienöffentlichkeit Berlin 2000; Pfeiffer (Hrsg) Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungs-
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Kapitel 3 Medienstrafrecht gesetz 5. Aufl München 2003 (zit KK/Bearbeiter); Pieroth/Schlink Grundrechte – Staatsrecht II 23. Aufl Heidelberg 2007; Pollähne Lücken im kriminalpolitischen Diskurs – Zu den Gesetzentwürfen zur Verbesserung des Schutzes der Intimsphäre KritV 2003, 387; Plate Wird das Tribunal zur Szene? NStZ 1999, 391; Pöppelmann/Jehmlich Zum Schutz der beruflichen Kommunikation von Journalisten AfP 2003, 218; Puttfarcken Zulässigkeit der Veröffentlichung des Barschel-Fotos ZUM 1988, 133; Rackow Das Gewaltdarstellungsverbot des § 131 StGB – Ein Risikodelikt und sein symbolischer Subtext, Maiwald-FS Frankfurt aM 2003, 195; Ramberg Erfahrungen bei der Strafverfolgung der Verbreitung von Pornographie via Satellit ZUM 1994, 140; Ranft Verfahrensöffentlichkeit und „Medienöffentlichkeit“ im Strafprozeß Jura 1995, 573; Rebmann Aktuelle Probleme des Zeugnisverweigerungsrechts von Presse und Rundfunk und des Verhältnisses von Presse und Polizei bei Demonstrationen AfP 1982, 189; Rehbinder Die rechtlichen Sanktionen bei Urheberrechtsverletzungen nach ihrer Neuordnung durch das Produktpirateriegesetz ZUM 1990, 462; Reinbacher Die Strafbarkeit der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zum privaten Gebrauch nach dem Urheberrechtsgesetz Berlin 2007; ders Zur Strafbarkeit der privaten Vervielfältigung von offensichtlich rechtswidrig hergestellten Kopiervorlagen GRUR 2008, 394; Reinbacher/Wincierz Kritische Würdigung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendpornographie ZRP 2007, 195; Rengier Die Reichweite des § 53 Abs 1 Nr 5 StPO zum Schutze des namentlich preisgegebenen, aber unauffindbaren Informanten JZ 1979, 797; Rengier Strafrecht Besonderer Teil II, Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit 8. Aufl München 2007 (zit Rengier BT II); Riklin Anstiftung durch Fragen GA 2006, 361; Ringel Rechtsextremistische Propaganda aus dem Ausland im Internet CR 1997, 302; Rochlitz Der strafrechtliche Schutz des ausübenden Künstlers, des Tonträger- und Filmherstellers und des Sendeunternehmens Frankfurt aM 1987; ders Die Strafbarkeit der vorsätzlichen unerlaubten Vervielfältigung und Verbreitung von Tonträgern UFITA 83 (1978), 69; ders Der strafrechtliche Schutz des Urhebers und Leistungsschutzrechtsinhabers FuR 1980, 351; Roggan Am deutschen Rechtswesen soll die Welt genesen? – Eine rechtspolitische Skizze zum Urteil des BGH vom 12.12.2000 KJ 2001, 337; Römer Verbreitungs- und Äußerungsdelikte im Internet Frankfurt aM 2000; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band I: Grundlagen: Der Aufbau der Verbrechenslehre 4. Aufl München 2006 (zit Roxin AT I); ders Strafrecht Allgemeiner Teil Band II: Besondere Erscheinungsformen der Straftat München 2003 (zit Roxin AT II); Rudolphi/Horn/Samson/Günther (Hrsg) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Loseblattsammlung 8. Aufl Stand 2/2008 Neuwied/ Kriftel (zit SK/Bearbeiter); Rüping Strafrechtliche Fragen staatlich genehmigter Lotterien JZ 2005, 234; Ruhrmann Rechtsfragen zur Staatsgefährdung NJW 1954, 1512; Sankol Die Qual der Wahl: § 113 TKG oder §§ 100g, 100h StPO? Die Kontroverse über das Auskunftsverlangen von Ermittlungsbehörden gegen Access-Provider bei dynamischen IP-Adressen MMR 2006, 361; Satzger Die Anwendung des deutschen Strafrechts auf grenzüberschreitende Gefährdungsdelikte NStZ 1998, 112; ders Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Zugangsvermittlern CR 2001, 109; Schaefer/Rasch/ Braun Zur Verantwortlichkeit von Online-Diensten und Zugangsvermittlern für fremde urheberrechtsverletzende Inhalte ZUM 1998, 451; Schack Urheber- und Urhebervertragsrecht 4. Aufl Tübingen 2007; ders Schutz digitaler Werke vor privater Vervielfältigung: zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf § 53 UrhG ZUM 2000, 379; Schaefer Welche Rolle spielt das Vervielfältigungsrecht auf der Bühne der Informationsgesellschaft? in: Nordemann-FS Baden-Baden 1999, 193; Scharnke Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der leitenden Personen des Rundfunks München 1978; Scheerer Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit: Zur Transparenz der Entscheidungsfindung im strafund verwaltungsgerichtlichen Verfahren Königsteil/Taunus 1979; Scheu Interessenwahrnehmung durch Rundfunk und Presse: eine strafrechtliche Untersuchung Berlin 1965; Schiemann Mord oder Totschlag? – Kannibalismus und die Grenzen des Strafrechts NJW 2005, 2350; Schippan Nun endgültig verabschiedet: Das digitale Urheberrecht – Korb 1 ZUM 2003, 678; Schlottfeldt Die Verwertung rechtswidrig beschaffter Informationen durch Presse und Rundfunk Baden-Baden 2002; Schmidt Privates Glücksspielmonopol für Sportwetten auf der Grundlage von DDR-Genehmigungen WRP 2004, 1145; Schmitz Ausspähen von Daten, § 202a StGB JA 1995, 478; ders Verletzung von (Privat)geheimnissen – Qualifikationen und ausgewählte Probleme der Rechtfertigung JA 1996, 949; Schnabel Strafbarkeit des Hacking – Begriff und Meinungsstand wistra 2004, 211; Schoene Zum Begriff „Veranstaltung“ iS des § 286 StGB NStZ 1991, 469; Scholz Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz – Gesetzgeberische oder verfassungsgerichtliche Verantwortung? AfP 1996, 323; Schomburg Das strafrechtliche Verbot vorzeitiger Veröffentlichung von Anklageschriften und anderen amt-
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
lichen Schriftstücken ZRP 1982, 142; Schramm Staatsanwaltschaftliche Auskunft über dynamische IP-Adressen DuD 2006, 785; Schreibauer Das Pornographieverbot des § 184 StGB, Regensburg 1999; Schroeder Grundprobleme des § 49a StGB JuS 1967, 290; ders Die Überlassung pornographischer Darstellungen in gewerblichen Leihbüchereien (§ 184 Abs 1 Nr 3 StGB) JR 1977, 231; ders Das Erziehungsprivileg im Strafrecht in: Lange-FS Berlin 1976, 391; ders Probleme der Staatsverunglipfung JR 1979, 89; ders Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit Heidelberg 1992; ders Das 27. Strafrechtsänderungsgesetz – Kinderpornographie NJW 1993, 2581; Schulte Anmerkung zu Fredrik Roggan – Am deutschen Rechtswesen soll die Welt genesen? KJ 2001, 341; Schulze Die kleine Münze und ihre Abgrenzungsproblematik bei den Werkarten des Urheberrechts Freiburg iBr 1983; ders Der Schutz der kleinen Münze im Urheberrecht GRUR 1987, 769; Schwartmann Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht Heidelberg 2008 (zit Schwartmann/Bearbeiter); Schwarzenegger Handlungs- und Erfolgsort beim grenzüberschreitenden Betrug, in: Schmid-FS Zürich 2001; ders Der räumliche Geltungsbereich des Strafrechts im Internet: Die Verfolgung von grenzüberstreitenden Internetkriminalität in der Schweiz im Vergleich mit Deutschland und Österreich SchwZStW 188 (2001), 109; Schwenzer Urheberrechtliche Fragen der „kleinen Münze“ in der Popmusikproduktion ZUM 1996, 584; ders Werden Träume wahr in der CD-Kopier-Bar? – Grenzen der Privatkopie nach § 53 Abs 1 UrhG ZUM 1997, 478; Sedlmeier Die Auslegung der urheberrechtlichen Straftatbestände bei Internet-Sachverhalten Frankfurt aM 2003; Sieber Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen JZ 1996, 429, 494; ders Anmerkung zu AG München: „CompuServe“-Urteil MMR 1998, 438; ders Internationales Strafrecht im Internet – Das Territorialitätsprinzip der §§ 3, 9 StGB im globalen Cyberspace NJW 1999, 2065; ders Mindeststandards für ein globales Pornografiestrafrecht – Eine rechtsvergleichende Analyse ZUM 2000, 89; ders Die Bekämpfung von Hass im Internet ZRP 2001, 97; ders Verantwortlichkeit im Internet: Technische Kontrollmöglichkeiten und multimediarechtliche Regelungen München 1999; ders Kinderpornographie, Jugendschutz und Providerverantwortlichkeit im Internet Bonn 1999; Siebert Zur allgemeinen Problematik des Persönlichkeitsrechts NJW 1958, 1369; Simitis Das StasiUnterlagen-Gesetz – Einübung in die Zensur? NJW 1995, 639; Sorth Rundfunkberichterstattung aus Gerichtsverfahren Hamburg 1999; Spautz Tonträgerpiraterie, Bootlegs und strafrechtlicher Schutz im Urheberrechtsgesetz FuR 1978, 743; Spindler Verantwortlichkeit und Haftung für Hyperlinks im neuen Recht MMR 2002, 495; ders Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr – Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip NJW 2002, 921; Stange Pornographie im Internet – Versuche einer strafrechtlichen Bewältigung CR 1996, 424; Stapper Presse und Unschuldsvermutung AfP 1996, 349; Steffen Schranken des Persönlichkeitsschutzes für den „investigativen“ Journalismus AfP 1988, 117; Stegbauer Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung – eine Zwischenbilanz NStZ 2000, 281; ders Rechtsextremistische Propaganda und das Kennzeichenverbot des § 86a StGB JR 2002, 182; Steinbach Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften gemäß § 166 StGB – eine Würdigung des Karikaturenstreits nach deutschem Strafrecht JR 2006, 495; Stoltenberg Stasi-Unterlagen-Gesetz, Kommentar Baden-Baden 1992; ders Die historische Entscheidung für die Öffnung der Stasi-Akten – Anmerkungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz DtZ 1992, 65; Stree Zur Problem des publizistischen Landesverrats JZ 1963, 527; Strömer Online-Recht 3. Aufl Heidelberg 2002; Stürner Persönlichkeitsschutz und Geldersatz AfP 1998, 1; Thoms Der urheberrechtliche Schutz der kleinen Münze München 1980; Stürner Bildberichterstattung aus deutschen Gerichtssälen JZ 1995, 297; Tiedemann Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch den Gesetzgeber JZ 1986, 865; Uebbert Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs bei der Veröffentlichung strafbarer Inhalte, insbesondere nach § 21 Abs 2 S 1 Ziffer 1 LPG NW Münster 1995; Ulmer-Eilfort Zur Zukunft der Vervielfältigungsfreiheit nach § 53 UrhG im digitalen Zeitalter, in: Nordemann-FS Baden-Baden 1999, 285; Vahle Zur (Mit-)Verantwortlichkeit beim Überlassen von sog. Horror-Videos an Kinder bzw. Jugendliche DVP 1999, 345; Valerius Ermittlungsmaßnahmen im Internet: Rückblick, Bestandsaufnahme, Ausblick JR 2007, 275; Vassilaki Multimediale Kriminalität – Entstehung, Formen und rechtspolitische Fragen der „Post-Computerkriminalität“ CR 1997, 297; dies Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Dienstanbieter nach dem TDG MMR 1998, 630; dies Online-Auschwitzlüge und deutsches Strafrecht CR 2001, 262; dies Strafrechtliche Haftung nach §§ 8 ff. TDG MMR 2002, 659; Vetter Gesetzeslücken bei der Internetkriminalität Hamburg 2003; Vlachopoulos Kunstfreiheit und Jugendschutz, Berlin 1996; Vogel Fernsehübertragungen von Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland und den USA Frank-
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Kapitel 3 Medienstrafrecht furt aM 2005; Vogel/Norouzi Europäisches ne bis in idem – EuGH NJW 2003, 1173, JuS 2003, 1059; Wagner Beschlagnahme und Einziehung staatsgefährdender Massenschriften MDR 1961, 93; Waldenberger Teledienste, Mediendienste und die „Verantwortlichkeit“ ihrer Anbieter MMR 1998, 124; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen NStZ 1990, 523; Warntjen Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung Jura 2007, 581; U Weber Der strafrechtliche Schutz des Urheberrechts Tübingen 1976 (zit Weber Urheberstrafrecht); ders Grundsätze und Grenzen strafrechtlichen Schutzes des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte FuR 1980, 335; ders Zur strafrechtlichen Erfassung des Musikdiebstahls in: Sarstedt-FS Berlin 1981, 379; ders Strafrechtliche Aspekte der Sportwette in: Rechtsprobleme der Sportwette Heidelberg 1989, 39 (zit Weber Sportwette); W Weber Innere Pressefreiheit als Verfassungsproblem Berlin 1973; Weider Die Videovernehmung von V-Leuten gemäß § 247a StPO unter optischer und akustischer Abschirmung StV 2000, 48; Weigend Strafrechtliche Pornographieverbote in Europa ZUM 1994, 133; ders Gewaltdarstellung in den Medien, Ethik als Schranke der Programmfreiheit im Medienrecht in: Herrmann-FS Baden-Baden 2002, 35; Wendt Das Recht am eigenen Bild als strafbewehrte Schranke der verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsfreiheiten des Art 5 Abs 1 GG AfP 2004, 181; Werle/Jeßberger Grundfälle zum Strafanwendungsrecht JuS 2001, 35; Wessels/ Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil, 37. Aufl Heidelberg 2007; Widmaier Gerechtigkeit – Aufgabe von Justiz und Medien? NJW 2004, 399; Wilhelm Vorzeitige Weitergabe einer Anklageschrift, § 353d Nr 3 StGB NJW 1994, 1520; Willms Verfassungsfeindliche Schriften – Zur Auslegung und Reform des § 93 StGB JZ 1958, 601; Wimmer/Michael Der Online-Provider im neuen Multimediarecht Baden-Baden 1998; Wohlers Die Qualifizierung von Sportwetten als Glücksspiele im Sinne des StGB § 284 JZ 2004, 2047; Wohlers/Demko Der strafprozessuale Zugriff auf Verbindungsdaten (§§ 100g, 100h StPO) StV 2003, 214; Wolf Die Gesetzwidrigkeit von Fernsehübertragungen aus Gerichtsverhandlungen NJW 1994, 681; ders Gerichtsberichterstattung – künftig „live“ im Fernsehen? ZRP 1996, 106; ders „Wir schalten um nach Karlsruhe …“ Fernsehübertragungen aus Sitzungen des Bundesverfassungsgerichts? JR 1997, 441; Wormer Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Missbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten Mannheim 1977; Wrage Allgemeine Oddset-Sportwetten: Zur Strafbarkeit des Buchmachers gemäß § 284 StGB JR 2001, 405; Wysse Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren und Fernsehberichterstattung EuGRZ 1996, 1; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire NJW 1984, 1091; Zuck Mainstream-Denken contra Medienöffentlichkeit – Zur Politik der n-tv-Entscheidung des BVerfG NJW 2001, 1622.
Übersicht Rn § 1 Die Stellung des Medienstrafrechts im Rahmen des Medienrechts . . . . . . I. Der Gegenstandsbereich des Medienstrafrechts . . . . . . . II. Erscheinungsformen der Medienkriminalität . . . . . . . . . . 1. Die Verletzung von Individualrechten durch Medien . 2. Die Verbreitung gefährdender Inhalte durch Medien . . . . 3. Aufforderung zur Begehung von Straftaten über die Medien . . . . . . . . . . . 4. Medien(unternehmen) als Opfer von Straftaten . . . . 5. Sonstige Rechtsverletzungen III. Medienstrafrecht und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . 1. Die Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 Alt 1 GG) . . . . . 2. Die Informationsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 Alt 2 GG) .
1–31 1–4 5–13 6–9 10
11 12 13 14–31 16–18 19–22
Rn 3. Die Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 1 GG) . . . . . . . . 4. Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 2 GG) . . . . . . . . . . 5. Die Freiheit der Berichterstattung durch Film (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 3 GG) . . . . . . . . 6. Die Kunstfreiheit, Art 5 Abs 3 GG . . . . . . . . . . § 2 Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . II. Der Gerichtsstand . . . . . . . III. Der Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB . . . . . . . . . . . IV. Täterschaft und Teilnahme gem §§ 25 ff StGB . . . . . . . . . 1. Allgemeine Grundsätze . . .
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23–26
27, 28
29 30, 31
32–95 32–42 43–47 48–54 55–72 55–60
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil Rn
a) Keine Strafbarkeit des Medienunternehmens als juristische Person . . . . b) Grundsatz der Trennung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . 2. Die Verantwortlichkeit im Internet . . . . . . . . . . . a) Die Providerhaftung . . . b) Das Setzen von HyperLinks . . . . . . . . . . V. Rechtfertigungsgründe . . . . . VI. Die Freiheit der Parlamentsberichterstattung nach Art 42 Abs 3 GG, § 37 StGB . . . . . VII. Die Problematik des Berufsverbotes des § 70 StGB . . . . . VIII. Verjährung . . . . . . . . . . . IX. Einziehung . . . . . . . . . . § 3 Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verletzung von Individualrechten durch Medien . . . . . 1. Die Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff StGB) . . . . . . . a) Das System des strafrechtlichen Ehrenschutzes . . . b) Der geschützte Personenkreis . . . . . . . . . . . c) Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil . . . . . . . . d) Die Beleidigung (§ 185 StGB) . . . . . . . . . . e) Die üble Nachrede (§ 186 StGB) . . . . . . . . . . f) Die Verleumdung (§ 187 StGB) . . . . . . . . . . g) Qualifikationen . . . . . h) Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) . . . . . . . i) Die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) . . . . . . . . . . 2. Der Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§§ 201 ff StGB) . . . . . . a) Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) . . . . . . . b) Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) . . . . . . c) Die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB) . . . . . . . . . . d) Das Ausspähen von Daten § 202a StGB) . . . . . .
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55
56–60 61–72 62–71 72 73–76
77 78–82 83–87 88–95
96–294 96–155 96–119 97–99 100, 101
102, 103 104 105–107 108 109–111
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113–119
120–142
121–125
126–129
130–133 134–137
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Rn e) Die Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) 138–140 f) Die Verwertung fremder Geheimnisse (§ 204 StGB) 141 g) Die Verletzung des Postoder Fernmeldegeheimnisses (§ 206 StGB) . . . 142 3. Die Nötigung (§ 240 StGB) – Medien als Täter . . . . . . 143–146 4. Sonstige individualrechtsschützende Delikte . . . . . 147–155 a) Die Beschimpfung von Bekenntnissen (§ 166 StGB) 147 b) Die Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) . . . . . . . 148–150 c) Der Hausfriedensbruch (§§ 123, 124 StGB) . . . 151–155 II. Die Verbreitung gefährdender Inhalte durch die Medien . . . 156–258 1. Die hauptsächlichen Tathandlungen . . . . . . . . . . . . 156–180 a) Das Verbreiten . . . . . . 156, 157 b) Das Zugänglichmachen . 158–162 c) Sonstige Tathandlungen . 163–180 2. Die Verbreitung staatsgefährdender Inhalte . . . . . . . . 181–214 a) Der Friedensverrat (§§ 80, 80a StGB) . . . . . . . . 183–186 b) Die verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane (§ 89 StGB) . . . . . . . . . . 187–192 c) Die Verunglimpfungstatbestände der §§ 90, 90a und 90b StGB . . . . . . 193–195 d) Die Kundgabe von Staatsgeheimnissen (§§ 93 ff StGB) . . . . . . . . . . 196–207 aa) Der Begriff des Staatsgeheimnisses (§ 93 StGB) . . . . . . . . 197–199 bb) Der Landesverrat (§ 94 StGB) . . . . . 200 cc) Das Offenbaren und die Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§§ 95, 97 StGB) . . 201–203 dd) Das „Sich-Verschaffen“ von Staatsgeheimnissen (§ 96 StGB) . . . . . 204 ee) Der Verrat illegaler Geheimnisse (§§ 97a, 97b StGB) . . . . . . 205, 206 ff) Die Landesverräterische Fälschung (§ 100a StGB) . . . . 207 e) Störpropaganda gegen die Bundeswehr (§ 109d StGB) 208 f) Sicherheitsgefährdendes Abbilden (§ 109g StGB) . 209, 210
Kapitel 3 Medienstrafrecht Rn g) Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§ 353d StGB) . . 3. Die Verbreitung rechtswidriger Inhalte . . . . . . . . a) Das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) . . . b) Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) . . . . . . c) Die Volksverhetzung (§ 130 StGB) . . . . . . d) Die Gewaltdarstellung (§ 131 StGB) . . . . . . 4. Verbreitung pornografischer Schriften (§§ 184 ff StGB) . . . . . . a) Die Schutzzwecke der Normen . . . . . . . . . b) Der Begriff der „pornografischen Schrift“ . . . c) Die Verbreitung pornografischer Schriften gem § 184 StGB . . . . . . . d) Die Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste (§ 184c StGB) . . . . . . e) Die Verbreitung gewaltoder tierpornografischer Schriften (§ 184a StGB) . . . . . . f) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften (§ 184b StGB) . . . . . . . . . . III. Kommunikation im Hinblick auf Straftaten über die Medien . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) . . 2. Anleitung zu Straftaten (§ 130a StGB) . . . . . . . 3. Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) . . 4. Exkurs: Verabredung von Straftaten über das Internet a) Sich-Bereit-Erklären zur Deliktsbegehung . . . . b) Aufforderung zur Begehung von Straftaten . . . c) Verabredung zur Deliktsbegehung . . . . . . . . d) Anleitung zur Begehung von Straftaten . . . . . . IV. Medien(unternehmen) als Opfer von Straftaten . . . . . . . . .
211–214 215–235
215–223
224–227 228, 229 230–235
236–258 237 238, 239
240–251
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259–276 259–261 262, 263 264 265–276 267, 268 269, 270 271 272–276 277–282
Rn 1. Die Nötigung (§ 240 StGB) – Medien als Opfer . . . . . 2. Sabotage . . . . . . . . . . 3. DDoS-Attacken . . . . . . V. Sonstige Rechtsverletzungen . 1. Die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB) . . . . . . . . . . . 2. Die unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung (§ 287 StGB) . . . § 4 Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Tatbestände des Nebenstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . I. Das Urheberstrafrecht . . . . . 1. Die unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke, § 106 UrhG . . . . . . . . . . . . 2. Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 108 UrhG . . . . . . . . . . . . 3. Gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung, § 108a UrhG . 4. Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen, § 108b UrhG . . . . . . . . 5. „Illegale“ Musiktauschbörsen im Internet . . . . . . . . . II. § 33 KUG (Kunst-Urhebergesetz) . . . . . . . . . . . . . III. Presserechtliche Sonderstraftatbestände und Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung der allgemeinen Strafgesetze . . . . . . . . 2. Privilegierung der Presse . . 3. Sondertatbestände für verantwortliche Redakteure und Verleger . . . . . . . . 4. Presseordnungs-Vergehen . 5. Ordnungswidrigkeiten . . . IV. Jugendschutzgesetz (§ 27 JuSchG) . . . . . . . . . . . . 1. Jugendschutz und Strafrecht . . . . . . . . . . . . 2. Die Strafvorschrift des § 27 JuSchG . . . . . . . . . . . 3. Der Bußgeldtatbestand des § 28 JuSchG . . . . . . . . V. § 44 StUG (Stasi-UnterlagenGesetz) . . . . . . . . . . . . § 5 Besonderheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines zum Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . II. Einzelne Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . 1. Öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten, § 116 OWiG . . . . . . . .
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277 278–280 281, 282 283–294
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7. Teil Rn
2. Grob anstößige und belästigende Handlungen, § 119 OWiG . . . . . . . . . . . 3. Werbung für Prostitution, § 120 OWiG . . . . . . . . 4. Landesrechtliche Pressegesetze . . . . . . . . . . . § 6 Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter (§ 53 Abs 1 Nr 5 StPO) . . . . . . . 1. Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts . . . . . . 2. Der geschützte Personenkreis 3. Inhalt und Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts . . . a) Der Inhalt des Zeugnisverweigerungsrechts . . b) Die Beschränkung auf den redaktionellen Teil . . . c) Die Beschränkung des § 53 Abs 2 S 2 StPO . . II. Die strafprozessuale Durchsuchung, §§ 102 ff StPO . . . 1. Durchsuchung zur Auffindung von Beweismaterial . .
Rn 2. Durchsuchung zur Auffindung von Schriften mit strafbarem Inhalt . . . . . . . . III. Die strafprozessuale Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . 1. Die strafprozessuale Beschlagnahme, §§ 94 ff StPO . . . 2. Die Beschlagnahme von Druckwerken gem §§ 111m, 111n StPO . . . . . . . . . IV. Abhörmaßnahmen, Überwachung der Telekommunikation, Online-Durchsuchungen . V. Die Medienöffentlichkeit im Strafverfahren . . . . . . . . . 1. Der Öffentlichkeitsgrundsatz, § 169 S 1 GVG . . . . . . . 2. Die Beschränkung nach § 169 S 2 GVG . . . . . . . 3. Die Gefahren der Medienberichterstattung für den Strafprozess . . . . . . . . 4. Die Verwendung von Medien im Strafverfahren . . . . . 5. Exkurs: Die Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . .
348 349 350 351–395
352–364 352–354 355–359 360–364 361, 362 363 364 365–370 368, 369
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394, 395
§1 Die Stellung des Medienstrafrechts im Rahmen des Medienrechts I. Der Gegenstandsbereich des Medienstrafrechts 1
Im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit Medienprodukten zu prüfen sind, wird als Oberbegriff oft vom „Medienstrafrecht“ gesprochen.1 Dabei muss man sich aber im Klaren sein, dass es sich hierbei nicht um eine abgegrenzte Gruppe von Straftatbeständen, wie zB beim „Umweltstrafrecht“ (§§ 324 ff StGB) oder beim „Betäubungsmittelstrafrecht“ (§§ 29 ff BtMG) handelt. Vielmehr wird das „Medienstrafrecht“, wie zB auch das „Arztstrafrecht“, oder das „Computerstrafrecht“ ausschließlich von seinem Gegenstand her definiert.2 In diesem Zusammenhang sind zwar auch Sondertatbestände zu verzeichnen, weitgehend werden aber die allgemeinen Straftatbestände – und eben keine Spezialtatbestände – zur Anwendung gebracht. Dabei ist die Abgrenzung unklar, was noch zum Medienstrafrecht zu zählen ist und 2 was nicht. Wer eine Zeitung, die einem anderen gehört, zerreißt, begeht eine Sachbeschädigung (§ 303 StGB), wer im Rahmen einer Internetauktion einen anderen täuscht, kann einen Betrug begehen (§ 263 StGB) und wer einem anderen ein Buch entwendet, hat sich wegen eines Diebstahls (§ 242 StGB) zu verantworten. In allen diesen Fällen sind jedoch 1
Vgl nur Dörr/Kreile/Cole/Cole Kap G; Petersen Überschrift zum 5. Teil.
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Vgl auch Fechner Rn 568; Petersen 5. Teil Rn 1.
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Die Stellung des Medienstrafrechts im Rahmen des Medienrechts
keine medienspezifischen Besonderheiten zu beachten, sodass eine Erörterung im vorliegenden Zusammenhang nicht angezeigt ist. Anders stellt sich die Sachlage bei denjenigen Delikten dar, die zwar häufig durch 3 Angehörige von Medienunternehmen begangen werden, aber auch außerhalb des Medienbereiches stattfinden können, wie etwa die Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff StGB) oder die Volksverhetzung (§ 130 StGB). Denn hier können die spezifischen Umstände der Verbreitung, insbesondere die Erreichbarkeit eines weit größeren Personenkreises, sowie die besondere Zwecksetzung eine differenzierte Beurteilung erfordern, was sich ua in der Sonderrolle der Medien im Rahmen der Vorschrift des § 193 StGB (Rechtfertigungsgrund der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“) 3 zeigt.4 Daher wurden insbesondere auch die Delikte, die an die Verbreitung bestimmter Inhalte anknüpfen, in die folgende Darstellung mit aufgenommen.5 Eindeutig ist die Zuordnung zum Bereich des Medienstrafrechts hingegen bei den- 4 jenigen Tatbeständen, die notwendigerweise die Beteiligung eines Medienunternehmens voraussetzen, wie zB § 33 KUG 6 oder bei denjenigen Normen, die eine besondere (strafrechtliche) Stellung von Medienmitarbeitern begründen, wie zB das besondere Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter in § 53 Abs 1 Nr 5 StPO.
II. Erscheinungsformen der Medienkriminalität Im Folgenden soll versucht werden, die unterschiedlichen Erscheinungsformen der 5 Medienstraftaten in verschiedene Fallgruppen einzuordnen. Dabei ist als erstes danach zu differenzieren, ob Medienunternehmen bzw deren Mitarbeiter als Täter oder als Opfer von Straftaten auftreten (wobei bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach deutschem Recht stets an das Verhalten einzelner natürlicher Personen anknüpft und daher das Medienunternehmen selbst als juristische Person im strafrechtlichen Sinne niemals Täter sein kann 7). Als weiteres Unterscheidungskriterium im Bereich der Medienkriminalität kann die Zielrichtung von Straftaten herangezogen werden. Dabei liegt der Schwerpunkt und damit das „Medientypische“ in der Verbreitung gefährlicher oder verbotener Inhalte. Durch die Verbreitung dieser Medieninhalte werden in erster Linie kollektive Rechtsgüter verletzt. Darüber hinaus können jedoch auch, wie das Beispiel der Beleidigungsdelikte zeigt, Individualrechtsgüter betroffen sein.8 1. Die Verletzung von individuellen Rechten durch Medien Als erstes soll auf die Besonderheit von individuellen Rechtsgutsverletzungen einge- 6 gangen werden. Hier ist zu unterscheiden zwischen Delikten, die spezifisch im Zusammenhang mit der Verbreitung von Inhalten stehen und durch die einzelne Personen beeinträchtigt werden sowie Delikten, bei denen – vorwiegend über das Medium des Internets – das Medium lediglich als „Werkzeug“ des Einzelnen dient, um Straftaten zu begehen.
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5 6 7
Vgl hierzu ausf unten Rn 113 ff. Dagegen will Petersen 5. Teil Rn 2 diese Tatbestände aus dem spezifischen Medienstrafrecht ausklammern; anders Paschke Rn 977 ff. Vgl hierzu ausf unten Rn 156 ff. Vgl hierzu ausf unten Rn 314 ff. Vgl hierzu noch unten Rn 55.
8
Vgl aber auch Vassilaki CR 1997, 297, 298 f, die eine Einteilung in Straftaten der Verbreitung von Informationen mit rechtswidrigem Inhalt und solchen vornimmt, die „Informationsrechte Dritter“ verletzen (zB die Verletzung urheberrechtlicher oder datenschutzrechtlicher Vorschriften).
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Als Musterbeispiel für die erste Gruppe sind wiederum die Beleidigungsdelikte, §§ 185 ff StGB, zu nennen, bei denen die Intensität der Ehrverletzung mit der Zahl der Empfänger der Nachricht zunimmt.9 Dies wird im Rahmen der §§ 186, 187 StGB dadurch deutlich, dass die Verbreitung der ehrverletzenden Äußerung durch Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 10 als Qualifikation normiert wurde. In die zweite Gruppe fallen Straftaten, bei denen sich der Täter des Mediums zwar als 8 „Werkzeug“ bedient, er die Rechtsverletzung aber auch auf andere Weise in gleicher Form hätte erreichen können. So kann die Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB,11 auf vielerlei Wegen durchgeführt werden: durch die Ausstrahlung im Fernsehen, durch Rundfunksendungen, den Abdruck von Geheimnissen in der Presse oder durch die Veröffentlichung im Internet. Daneben ist insbesondere im Bereich des Internets an Straftaten zu denken, die der 9 Einzelne unter Benutzung des Mediums begeht, die aber in den Bereich der allgemeinen Kriminalität fallen und die daher im Folgenden auch nicht näher untersucht werden. Ebenso wie eine betrugsrelevante Täuschung mittels eines Briefes übersandt werden kann, ist an eine Betrugsstrafbarkeit, § 263 StGB, zu denken, bei der sich der Täter des Mediums des Internets bedient. Wer zB über „E-Bay“ schlechte Ware zum Verkauf anbietet oder wer Sachen ersteigert, ohne dabei die Absicht zu haben, diese später zu bezahlen, nutzt die speziellen Möglichkeiten, die ihm das Internet bietet, um Straftaten zu begehen, die aber nicht zu den „medienspezifischen“ Straftaten zu rechnen sind. 2. Die Verbreitung gefährdender Inhalte durch Medien
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In besonderer Weise „medientypisch“ – und in der Praxis auch bedeutender – sind diejenigen Delikte, in denen gerade durch die Verbreitung gefährlicher oder verbotener Inhalte eine Straftat begangen wird. So knüpft eine Vielzahl von Delikten daran an, dass der Täter bestimmte Inhalte verbreitet, die entweder grds (wie zB volksverhetzende Äußerungen, § 130 StGB, oder „harte“ Pornografie, §§ 184a, 184b StGB 12) oder gegenüber einem bestimmten Personenkreis (wie zB „weiche“ Pornografie gegenüber Jugendlichen, § 184 StGB 13) nicht übermittelt werden dürfen. Man spricht hier auch von sog „Inhaltsdelikten“, die, wie insbesondere die „Presseinhaltsdelikte“, teilweise spezielle Regelungen erfahren haben.14 3. Aufforderung zur Begehung von Straftaten über die Medien
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Eine Besonderheit, die insbesondere auf den Multiplikatoreffekt einer großflächigen Verbreitung von Informationen abzielt, ist die Möglichkeit, über Medien zur Begehung von Straftaten aufzufordern, § 111 StGB.15 Auch die Anleitung zur Begehung von Straftaten, § 130a StGB,16 ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Schließlich ist auch daran zu denken, dass eine Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 StGB,17 über ein bestimmtes Medium eine besonders nachteilige Wirkung erzeugt.
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Vgl hierzu ausf unten Rn 96 ff. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB noch unten Rn 48 ff. Vgl hierzu ausf unten Rn 138 ff. Vgl zu § 130 StGB noch unten Rn 228 ff; zu § 184a StGB unten Rn 254 f; zu § 184b StGB unten Rn 256 ff.
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Vgl zu § 184 StGB unten Rn 240 ff. Vgl zur Sonderregelung bei Presseinhaltsdelikten noch unten Rn 45. Vgl hierzu ausf unten Rn 259 ff. Vgl hierzu ausf unten Rn 262 f. Vgl hierzu ausf unten Rn 264.
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Die Stellung des Medienstrafrechts im Rahmen des Medienrechts
4. Medien(unternehmen) als Opfer von Straftaten Medienunternehmen bzw deren Mitarbeiter können darüber hinaus aber auch Opfer 12 von Straftaten werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass in diesen Fällen zwar teilweise medientypische Besonderheiten zu berücksichtigen sind, es sich im Wesentlichen dabei jedoch um Delikte handelt, die, wie die Nötigung, § 240 StGB, die Betriebsspionage (Verrat von Betriebsgeheimnissen), § 17 UWG, und die Sabotage, § 303b StGB, in ähnlicher Weise auch gegen andere Wirtschaftsunternehmen begangen werden können.18 5. Sonstige Rechtsverletzungen Darüber hinaus sind noch einige Delikte und Deliktsgruppen zu nennen, die sich 13 dadurch auszeichnen, dass sie zwar auch unter Verwendung eines Mediums begangen werden können, dass es sich aber im Wesentlichen um Straftaten der allgemeinen Kriminalität handelt, bei denen das Medium – insbesondere hier wiederum das Internet – nur ein besonderes Werkzeug darstellt. Zu nennen wäre hier als Beispiel der Tatbestand des unerlaubten Veranstalten eines Glücksspiels, § 284 StGB, welcher sowohl durch OnlineCasinos als auch durch die Vermittlung von Sportwetten erfüllt werden kann.19
III. Medienstrafrecht und Grundgesetz Im Bereich des Medienstrafrechts kollidieren die einzelnen Strafnormen oftmals mit 14 grundgesetzlich garantierten Rechten, insbesondere aus Art 5 GG. Andererseits stellen die Strafvorschriften auch „allgemeine Gesetze“ dar, die über Art 5 Abs 2 GG jedenfalls die Grundrechte des Art 5 Abs 1 GG einschränken können. Dabei ist der Strafgesetzgeber jedoch gehalten, bei der Schaffung und Ausgestaltung der Strafnormen wiederum den Wesensgehalt der Grundrechte zu beachten, sodass diesbezüglich von einer „Wechselwirkung“ auszugehen ist.20 Dies gilt auch – im Hinblick auf bestehende Strafgesetze – für die Auslegung der einzelnen Straftatbestände. Insoweit hat eine Abwägung der betroffenen Rechte zu erfolgen. Auch die Strafgesetze müssen als „ihrerseits […] aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so zu in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden“.21 Dies erfolgt zumeist schon über die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale, sodass ein entsprechendes Verhalten bereits die tatbestandliche Verwirklichung des Deliktes und nicht erst die Rechtswidrigkeit ausschließt.22 Andererseits ist zu beachten, dass Rechtsverletzungen, die über die Medien stattfin- 15 den, infolge der großen Breitenwirkung oftmals weit gravierender sind als Rechtsverletzungen, die sich in einem kleinen Kreis abspielen. So kann eine Verbreitung ehrverletzender Tatsachen über Funk, Fernsehen oder das Internet für den Ruf des Betroffenen infolge des großen Adressatenkreises in weit stärkerem Maße negative Folgen haben als eine Verbreitung derselben Tatsache am Stammtisch.23 18 19 20
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Vgl hierzu ausf unten Rn 277 ff, Vgl hierzu ausf unten Rn 184 ff. Vgl zur Wechselwirkungslehre BVerfGE 7, 198 – Lüth; Petersen § 2 Rn 29; Schönke/ Schröder/Eser Vorbem § 1 Rn 27 ff. BVerfGE 7, 198, 209 – Lüth. Zur Frage, inwieweit aus den Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung tatbestandlichen Verhaltens abgeleitet werden kann, sie
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also Rechtfertigungsgründe darstellen können, vgl unten Rn 76. Vgl hierzu auch Herrmann/Lausen § 26 Rn 3; Siebert NJW 1958, 1369; vgl auch BVerfGE 35, 202, 227 – Lehbach I; BVerfGE 54, 208, 216, wonach Fernsehen in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff als Hörfunk oder Presse verursachen kann.
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1. Die Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 Alt 1 GG)
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Nach Art 5 Abs 1 S 1 Alt 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Ob dies verbal, schriftlich oder über ein (Massen-)Medium geschieht, ist dabei gleichgültig. Die Meinungsfreiheit ist dabei ein Menschenrecht („Jeder“), steht also nicht nur Deutschen zu. Der Schutz des Grundrechts umfasst dabei nicht nur die Meinungsäußerung, die über ein Medium getätigt wird, sondern auch die Berichterstattung der Massenmedien an sich.24 Verboten sind demnach alle Vorschriften, die eine Äußerung oder die Verbreitung von Meinungen beeinflussen, behindern oder verbieten. Medienrechtlich interessant ist, dass auch die Wirtschaftswerbung (insbesondere die sog „Schockwerbung“) vom Grundrecht der Meinungsfreiheit grds erfasst ist. 17 Nach Art 5 Abs 2 GG finden die Grundrechte des Art 5 Abs 1 GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Unter „allgemeinen Gesetzen“ sind dabei alle Gesetze zu verstehen, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit (oder die Freiheit von Presse und Rundfunk) an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, dh ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen.25 Zu diesen allgemeinen Gesetzen gehören zB die zivilrechtlichen Vorschriften über den Schutz des Persönlichkeitsrechts durch Ansprüche auf Unterlassung nach §§ 823 Abs 1, 1004 Abs 1 BGB, die aber ihrerseits im Lichte des Art 5 Abs 1 GG ausgelegt werden müssen (Wechselwirkung).26 Da Strafgesetze zu den allgemeinen Gesetzen zählen, ist ein allgemeines strafrechtliches Verbot, eine bestimmte Meinung zu äußern (relevant zB bei § 130 Abs 3 StGB, der sog „Auschwitzlüge“ 27) prinzipiell vom Wortlaut des Art 5 Abs 2 GG gedeckt. 18 Die Schranken des Art 5 Abs 2 GG können aber nicht in dem Sinne als absolut verstanden werden, dass das entsprechende Grundrecht nunmehr problemlos und unbegrenzt eingeschränkt werden dürfte. Vielmehr gelten diese Schranken nur „relativ“, dh sie müssen wiederum der besonderen Bedeutung der entsprechenden Grundrechte im freiheitlichen Rechtsstaat Rechnung tragen (Wechselwirkungslehre).28 2. Die Informationsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 Alt 2 GG)
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Nach Art 5 Abs 1 S 1 Alt 2 GG hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Da das „Recht, sich selbst zu informieren“ 29 als Grundrecht des Einzelnen (des „Nutzers“) ausgestaltet ist, schützt es in erster Linie nicht die Medien selbst bzw die Medienunternehmen. Es schützt vielmehr die Informationsfreiheit den Einzelnen und zwar nicht nur vor Beschränkungen seitens des Staates, sondern auch bei der Ausgestaltung zivilrechtlicher Verhältnisse. So gewährt Art 5 Abs 1 S 1 Alt 2 GG ua dem (ausländischen) Mieter einen Anspruch gegen seinen Vermieter auf Anbringung einer Parabolantenne zum Empfang von Sendern seines Heimatlandes.30 20 Da jedoch die Informationsfreiheit nur gewährleistet werden kann, wenn eine Informationsvielfalt gegeben ist, folgt hieraus auch eine institutionelle Garantie der Medien, über
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BVerfGE 81, 1, 11 f; BVerfG NJW-RR 2007, 1340. BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. Vgl hierzu ua BVerfG NJW-RR 2007, 1340, 1341: Presseberichte über getilgte Vorstrafen eines Unternehmens.
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Hierzu BVerfG NStZ 2007, 216, 217; vgl zu § 130 noch unten Rn 228 f. BVerfGE 7, 198 – Lüth; vgl hierzu bereits oben Rn 14. BVerfGE 27, 71, 81. BVerfGE 90, 27; BGH NJW 2004, 937.
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welche die Informationen verbreitet werden. Dem Staat ist es also verwehrt, zB Zeitungen grds zu verbieten oder ihr Erscheinen oder die Publikationen von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu machen. Auch darf die Schaffung oder Auslegung von Strafnormen nicht dazu führen, dass die Verantwortlichen eines Medienunternehmens bei der Verbreitung von (kritischen) Informationen mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen haben, denn auch dies kann zur Folge haben, dass entsprechende Informationen nicht mehr verbreitet werden. Dann aber wird auch das Recht des Einzelnen, sich umfassend zu informieren, beschnitten und führt zu einer Einschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit. Hieraus folgt, dass die Verbreitung von Information nur dann verboten bzw unter Strafe gestellt werden darf, wenn sie ihrerseits bedeutende Rechte anderer Personen (zB bei Verleumdungen) oder kollektive Rechtsgüter (zB den öffentlichen Frieden) beeinträchtigt. Möglich ist dies auf Grund des auch für die Informationsfreiheit einschlägigen Art 5 Abs 2 GG, da die Strafgesetze zu den „allgemeinen Gesetzen“ in diesem Sinne zählen.31 Um Informationen weitergeben zu können, müssen diese Informationen aber durch 21 die Mitarbeiter der Medien beschafft werden, sodass auch die Informationsgewinnung durch die Medien in den Schutzbereich mit einbezogen werden muss. Allerdings ist hier zu beachten, dass die Informationsgewinnung ihrerseits auch nur aus „allgemein zugänglichen Quellen“ erfolgen darf. Das Grundrecht der Informationsfreiheit gewährt daher Journalisten nicht das Recht, im Rahmen ihrer Recherche Rechte anderer zu beeinträchtigen (sie dürfen also nicht in fremde Besitztümer eindringen, § 123 StGB, oder fremde Sachen wegnehmen, § 242 StGB).32 Hierdurch werden dem „investigativen Journalismus“ eindeutige Grenzen gesetzt.33 Da dies aber dazu führen kann, dass Skandale oder Missstände nicht aufgedeckt werden können, ist im Einzelfall durchaus daran zu denken, eine Rechtfertigung auf Grund der allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbesondere § 34 StGB, anzunehmen.34 Das Risiko, dass die Rechtsverletzung nicht zu dem entsprechenden Ergebnis führt, dh der vermutete „Missstand bzw die vermutete Gefahr“ nicht vorlag, trägt in diesen Fällen allerdings der Journalist selbst. Die Informationsfreiheit wird darüber hinaus insbesondere bei der Frage der Medienbe- 22 richterstattung von Gerichtsverhandlungen relevant,35 denn auch diese sind allgemein zugängliche Informationsquellen.36 Über ihre öffentliche Zugänglichkeit entscheidet allerdings der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens. 3. Die Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 1 GG) In Art 5 Abs 1 S 2 Alt 1 GG ist die Pressefreiheit geregelt. Sie gewährleistet „die insti- 23 tutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung“.37 Insoweit stellt sie nicht nur ein Individualgrundrecht dar, sondern sichert im Wege der institutionellen Garantie 38 ein Existenzrecht 31 32
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34 35
Vgl zu Art 5 Abs 2 GG und zur „Wechselwirkungslehre“ bereits oben Rn 14 und Rn 18. BVerfGE 66, 116 – Wallraff; demgegenüber fällt jedoch die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen in den Schutzbereich des Art 5 Abs 1 GG. Vgl Holzer AfP 1988, 113; Kremp AfP 1988, 114; Petersen § 2 Rn 7; Steffen AfP 1988, 117. Vgl hierzu unten Rn 75. Vgl hierzu ausf unten Rn 384 ff.
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BVerfGE 103, 44, 61; vgl aber auch §§ 170 ff GVG; § 48 JGG. BVerfGE 10, 118, 121; BVerfGE 103, 44, 59; BVerfG NJW 2005, 965; vgl auch BVerfGE 50, 234, 240; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfGE 10, 118, 121; BVerfGE 20, 162, 175 f – Spiegel; BVerfGE 66, 116, 133; BVerfGE 77, 65, 74; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero; aA Pieroth/Schlink Rn 72.
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7. Teil
der Presse bzw der Presseorgane. Dabei zerfällt die Pressefreiheit in eine äußere und eine innere Pressefreiheit. Die äußere Pressefreiheit sichert der Presse bzw den einzelnen Presseorganen einen 24 weitgehenden Schutz vor staatlicher Einflussnahme. Denn die Freiheit der Presse und der Medien ist konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.39 Insoweit sind eine freie Presse und ein freier Rundfunk von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat.40 Garantiert wird eine freie und regelmäßig erscheinende Presse, die als „ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern“ stehen muss.41 Die Pressefreiheit schließt dabei diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne die die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können.42 Insoweit sind vor allem auch die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Pressemitarbeitern und den Informanten geschützt.43 Die Pressefreiheit schließt dabei diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne die die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können.44 Dabei ist der Begriff der Presse in einem weiten Sinn zu verstehen und schließt sowohl die sog Boulevard- und Unterhaltungspresse („Sensationspresse“) 45 als auch den Anzeigenteil einer Zeitung 46 mit ein. Darüber hinaus schützt Art 5 Abs 1 S 2 Alt 1 GG die innere Pressefreiheit im Sinne 25 einer Unabhängigkeit von Journalisten und Redaktionen.47 Hierdurch ist nicht nur zu gewährleisten, dass die Presseunternehmen in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander stehen müssen (Verbot der Pressekonzentration),48 sondern auch, dass die Tätigkeit der einzelnen Journalisten und Redaktionen nicht beschnitten werden darf. Möglich ist eine Einschränkung der Pressefreiheit im Sinne einer Ahndung von durch 26 Pressevertreter begangenen Straftaten allerdings auf Grund des auch hier einschlägigen Art 5 Abs 2 GG, da die Strafgesetze zu den hier aufgeführten „allgemeinen Gesetzen“ zählen.49 4. Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 2 GG)
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Nach Art 5 Abs 1 S 2 Alt 2 GG wird die Freiheit der Rundfunkberichterstattung gewährleistet.50 Sie entspricht in ihren wesentlichen Zügen der Pressefreiheit, mit der zusammen sie auch teilweise als ein einheitliches Grundrecht der „Medienfreiheit“ zusammengefasst wird.51 Insbesondere Rundfunk und Fernsehen sollen als „unentbehrliche moderne Massenkommunikationsmittel“52 einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Wie schon bei der Pressefreiheit ist auch die Rundfunkfreiheit weit zu fassen und schützt die Berichterstattung von der Beschaffung der Information bis zur
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BVerfGE 77, 65, 74; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfGE 20, 162, 174 – Spiegel; BVerfGE 50, 234, 239 f; BVerfGE 77, 65, 74; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfGE 20, 162, 174 f – Spiegel. BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfGE 34, 269, 283 – Soraya. BVerfGE 21, 271, 278 f. Vgl ausf Lerche Pressefreiheit 1994; W Weber
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Innere Pressefreiheit als Verfassungsproblem 1973. Hierzu Lerche Pressekonzentration 1971. Vgl zur Einschränkung der Pressefreiheit durch Strafvorschriften BVerfGE 20, 162 – Spiegel; zu Art 5 Abs 2 GG und zur „Wechselwirkungslehre“ bereits oben Rn 14 und Rn 18. Vgl hierzu Ladeur/Gostomzyk JuS 2002, 1145. Paschke Rn 191 ff. BVerfGE 12, 205, 260.
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Verbreitung der Nachricht und der Meinung.53 Dabei bezieht sie auch die Unterhaltungssendungen mit ein.54 Neben dem Rundfunk und dem Fernsehen sind auch die modernen digitalisierten Formen der Telekommunikation, wie Teletext, Bildschirmtext, Videotext sowie die verschiedenen Formen des „Pay-TV“ erfasst.55 Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings die Einbeziehung des Internets in die Rundfunkfreiheit. Während ein eigenständiges Grundrecht der „Internetfreiheit“ derzeit noch abgelehnt wird,56 erstreckt sich die Rundfunkfreiheit jedenfalls insoweit auf das Internet, als hierüber Rundfunk und Fernsehsender empfangen werden können. Auch das Grundrecht der Rundfunkfreiheit gilt jedoch nicht absolut. Es ist auch hier 28 eine Ahndung von Straftaten, die durch Mitarbeiter von Medienunternehmen begangen werden, auf Grund der Einschränkung des Grundrechts durch Art 5 Abs 2 GG möglich, da die Strafgesetze zu den „allgemeinen Gesetzen“ in diesem Sinne zählen.57 5. Die Freiheit der Berichterstattung durch Film (Art 5 Abs 1 S 2 Alt 3 GG) Nach Art 5 Abs 1 S 2 Alt 3 GG wird die Freiheit der Filmberichterstattung gewährlei- 29 stet. Auch sie ähnelt in ihren wesentlichen Zügen der Rundfunkfreiheit und bedarf daher an dieser Stelle – auch und gerade unter der Berücksichtigung strafrechtlicher Aspekte – keiner gesonderten Erörterung. Hinzuweisen ist auch hier lediglich auf die Möglichkeit der Einschränkung der Filmfreiheit durch Art 5 Abs 2 GG.58 In der Praxis bedeutsam ist hierbei die Einschränkung durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art 2 Abs 1 GG, sofern durch die Verfilmung das Privatleben einer bestimmten Person oder durch sie begangene Straftaten nachgezeichnet werden.59 Bei der Abwägung kann allerdings berücksichtigt werden, ob der Film auch – oder sogar vorrangig – dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dienen soll oder ob er vorwiegend Unterhaltungszwecke verfolgt.60 6. Die Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 GG) Nach Art 5 Abs 3 GG sind Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre frei. Insbeson- 30 dere das Verhältnis von Kunst und Strafrecht ist seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden.61 53 54 55 56
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BVerfGE 10, 118, 121; BVerfGE 91, 125; BVerfGE 103, 44, 59. BVerfGE 35, 202, 222 f – Lehbach I. Vgl hierzu Petersen § 2 Rn 16. Gounalakis/Rhode Rn 241; Petersen § 2 Rn 16; anders aber Mecklenburg ZUM 1997, 525; vgl ferner Degenhart ZUM 1998, 333. Vgl zu Art 5 Abs 2 GG und zur „Wechselwirkungslehre“ bereits oben Rn 14 und Rn 18. Vgl zu Art 5 Abs 2 GG und zur „Wechselwirkungslehre“ bereits oben Rn 14 und Rn 18. OLG Frankfurt NJW 2007, 699 – Kannibale von Rotenburg (hierzu von Becker AfP 2006, 124; Kaboth ZUM 2006, 412); LG Koblenz NJW 2007, 695 – Gäfgen (hierzu von Becker NJW 2007, 662); zur Problematik der Er-
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kennbarkeit realer Personen in einer Romanfigur BVerfGE 30, 173 – Mephisto; BGH NJW 2005, 2844 – Esra; KG NJW-RR 2007, 1415 (zum hier betroffenen Grundrecht der Kunstfreiheit vgl unten Rn 30). OLG Frankfurt NJW 2007, 699, 703; LG Koblenz NJW 2007, 695, 696 f. Vgl zu dem Verhältnis von Kunstfreiheit und Strafrecht allgemein Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen 1997; Emmerich/ Würkner NJW 1986, 1195; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht: zur Problematik satirischer Ehrverletzungen 1989; Henschel NJW 1990, 1937; Schroeder Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit 1992; Vlachopoulos Kunstfreiheit und Jugendschutz 1996.
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Einerseits soll und darf das Strafrecht dem einzelnen Kunstschaffenden nicht vorschreiben, welche Inhalte und Ausdrucksformen er seinen Kunstwerken geben darf und welche nicht. Andererseits ist es aber auch nicht einzusehen, dass beleidigende oder verleumderische Behauptungen oder pornografische Darstellungen nur deswegen nicht den Strafgesetzen unterliegen, weil sie als Kunst tituliert und dadurch dem an sich unbeschränkten Grundrecht der Kunstfreiheit unterfallen. Denn im Gegensatz zu den Grundrechten des Art 5 Abs 1 GG unterliegt das Grundrecht aus Art 5 Abs 3 GG keiner ausdrücklichen Schranke (es kann also – so zumindest nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes – nicht durch „allgemeine Gesetze“ eingeschränkt werden). Dies bedeutet nun aber nicht, dass das Grundrecht der Kunstfreiheit schrankenlos gewährleistet ist. Denn oftmals kollidiert das Grundrecht des Art 5 Abs 3 GG mit anderen Grundrechten, insbesondere der Menschenwürde des Art 1 Abs 1 GG oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art 2 Abs 1, Art 1 Abs 1 GG. Die Grundrechte müssen hier im Wege der „praktischen Konkordanz“ ausgelegt werden und beeinflussen sich gegenseitig.62 Dies rechtfertigt daher eine Bestrafung zB einer verleumderischen Beleidigung auch dann, wenn diese literarisch aufbereitet und in ein urheberrechtlich geschütztes Werk eingestellt und veröffentlicht wird. Insoweit stellt sich das problematische Verhältnis von Strafrecht und Kunst im Me31 dienrecht 63 nicht anders als im allgemeinen Strafrecht dar.
§2 Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts I. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts 32
Die Verbreitung von Medieninhalten zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie vor Ländergrenzen nicht halt macht. So können Druckwerke, die im Inland hergestellt werden, ins Ausland geliefert und Fernseh- oder Radiosendungen über Satellit im Ausland empfangen werden. Auch und gerade das Internet hat zur Folge, dass Texte, die auf einem inländischen Server abgelegt werden, regelmäßig weltweit abgerufen werden können. Gleiches gilt selbstverständlich auch im umgekehrten Fall: Druckschriften, die im Ausland erscheinen, können nach Deutschland geliefert und ausländische Radio- oder Fernsehsendungen können hier empfangen werden. Schließlich ist es auch problemlos möglich, Texte mit strafrechtlich relevantem Inhalt, die auf einem ausländischen Server abgelegt wurden, über das Internet in Deutschland abzurufen. Insoweit stellt sich die Frage, ob diese Taten auch nach deutschem Strafrecht abgeurteilt werden können. Hier unterscheidet sich das Strafrecht deutlich vom Zivilrecht: Während im Zivilrecht in Fällen von Auslandsberührung stets festgestellt werden muss, welches Recht im konkreten Fall anwendbar ist, weil jeweils nur eine Rechtsordnung zur Anwendung kommen kann, ist es im Strafrecht durchaus möglich, dass mehrere Staaten in gleicher Weise ihre Straf-
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Vgl hierzu insbesondere BVerfGE 30, 173, 193 – Mephisto; BVerfGE 67, 213, 228; BVerfGE 75, 369, 380; BVerfGE 77, 240, 253; BVerfGE 81, 278, 292; BGH NJW 2005, 2844, 2847 – Esra; KG NJW-RR 2007, 1415.
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Vgl zu den medienstrafrechtlichen Aspekten des Verhältnisses von Kunstfreiheit und Strafrecht Liesching/von Münch AfP 1999, 37.
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gewalt ausüben können. Im Gegensatz zu den deutschen Zivilgerichten, die insoweit im Einzelfall auch ausländisches Recht anzuwenden haben, darf ein deutsches Strafgericht aber stets nur deutsches Strafrecht anwenden. Da die staatliche Strafgewalt Ausfluss der staatlichen Hoheitsrechte ist, kann ein 33 Staat diese wahrnehmen, sobald irgendein Anknüpfungspunkt vorhanden ist, der die Anwendung des eigenen Strafrechts rechtfertigt.64 Dabei sind verschiedene Anknüpfungspunkte denkbar (und völkerrechtlich zulässig), die der deutsche Gesetzgeber in unterschiedlicher Weise ausgestaltet hat. Zu nennen ist hier als erstes der Begehungsort der Tat (Territorialitätsprinzip, §§ 3, 9 StGB), der die wichtigste Rolle spielt. Das deutsche Strafrecht gilt hierbei uneingeschränkt für Taten, die im Inland begangen wurden (§ 3 StGB). Darauf, ob der Täter oder das Opfer Deutscher ist, kommt es hierbei nicht an. Hinsichtlich des Begehungsortes gilt nach § 9 StGB das Ubiquitätsprinzip: Hiernach ist eine Tat an demjenigen Ort begangen, a) an dem der Täter gehandelt oder die erforderliche Handlung unterlassen hat oder b) an dem der Erfolg eingetreten ist oder hätte eintreten sollen. Sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort begründen somit die Tatortstrafbarkeit. Noch weiter als bei der Täterstrafbarkeit erstreckt sich der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts für den Teilnehmer (§ 9 Abs 2 StGB):65 Nicht nur der Ort der (Haupt-)Tat, sondern auch der Ort, an dem der Teilnehmer selbst gehandelt hat (oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen) oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte, begründen die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. Im Zusammenhang mit dem Begehungsort stellen sich dabei eine Vielzahl von Proble- 34 men. So ist bereits unklar, wo der Täter gehandelt hat, wenn er sich zwar im Ausland aufhält, sein Verhalten aber in Deutschland über das Medium Radio oder Fernsehen hörbzw sichtbar wird oder wenn er auf einem ausländischen Server eine Web-Seite ins Internet einstellt. Fall 1:66 Anlässlich eines Länderspieles der deutschen Fußballnationalmannschaft in 35 Polen zeigten mehrere Personen im dortigen Stadion den „Hitlergruß“ (eine verbotene Grußform iSd § 86 Abs 2 StGB 67). Diese Szenen waren sowohl live als auch zeitlich versetzt im deutschen Fernsehen zu sehen. – Das KG nahm hier einen Handlungsort in Deutschland an, denn unter Handlung sei jede „auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tätigkeit“ zu verstehen.68 Eine solche Tätigkeit läge aber dann im Inland, wenn die „Wirkungen“ des Verhaltens, die nach der tatbestandlichen Handlungsbeschreibung als deren Bestandteil zu betrachten seien, im Inland einträten.69 Tatbestandliche Handlungsbeschreibung sei in § 86a Abs 1 Nr 1 StGB das „Verwenden“ des Kennzeichens. Ein solches Verwenden läge nun überall dort vor, wo das Kennzeichen optisch und akustisch wahrnehmbar gemacht werde.70 Indem das KG hier allerdings auf die 64
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Zur Notwendigkeit eines legitimierenden Anknüpfungspunktes vgl BGHSt 27, 30, 32; BGHSt 34, 334, 336; BGHSt 45, 64, 66; BGHSt 46, 212, 224; BGHSt 46, 292, 306. Vgl hierzu MünchKommStGB/Ambos/ Ruegenberg § 9 Rn 36 ff; krit zu dieser Weite Jung JZ 1979, 325, 330 ff. Fall nach KG NJW 1990, 3500; vgl hierzu B Heinrich NStZ 2000, 533; ders FS Weber 91, 95 f. BGHSt 25, 30; BGHSt 25, 133, 136; OLG Celle NStZ 1994, 440.
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KG NJW 1990, 3500, 3502. Zust Werle/Jeßberger JuS 2001, 35, 39. Ähnlich Weigend ZUM 1994, 133, 184 für die Tathandlung des Vorführens oder Zugänglichmachens von Pornografie über das Fernsehen (vgl § 184 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 StGB). Dies finde überall dort statt, wo sich die filminteressierten Jugendlichen aufhalten, unabhängig davon, ob die Sendungen von einem inländischen oder ausländischen Sender ausgestrahlt würden; aA Ringel CR 1997, 302, 304; Schreibauer 101.
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„Wirkungen“ abstellt, verwechselt es Handlung und Erfolg, ein Handlungsort hätte daher verneint werden müssen.71 Fall 2:72 Der in Deutschland geborene Täter ist australischer Staatsbürger. 1996 36 schloss er sich mit Gleichgesinnten in Australien zum „Adelaide Institute“ zusammen, dessen Direktor er war. Ziel des Instituts ist es, zu beweisen, dass die Schandtaten des deutschen NS-Regimes insbesondere im Hinblick auf die Vernichtung von Juden niemals (oder jedenfalls nicht in der behaupteten Form) stattgefunden haben. Zu diesem Zweck stellte der Täter über mehrere Jahre Webseiten des „Instituts“ auf einem australischen Server ins Internet, die auch von Deutschland aus abgerufen werden konnten. Diese Seiten enthielten englischsprachige Artikel, in denen der Völkermord an den Juden geleugnet und behauptet wurde, dieses Gerücht sei nur von jüdischen Mitbürgern in die Welt gesetzt worden, um vom deutschen Staat eine Rente zu kassieren. – Zutreffend äußerte der BGH hier Bedenken, eine sich im Inland auswirkende Handlung allein darin zu sehen, dass sich der Täter eines ihm zuzurechnenden Werkzeugs (des Internets) zur – rein physikalischen – Beförderung der Daten ins Inland bediene.73 Will man zu einer nachvollziehbaren Abgrenzung von Handlung(sort) und Erfolg(sort) 37 gelangen, so wird man bei Distanzdelikten davon ausgehen müssen, dass der Täter nur dort handelt, wo er sich körperlich aufhält, während er zB die betreffenden Dateien ins Netz stellt, die Äußerungen tätigt oder die Verhaltensweisen an den Tag legt, die dann über Radio oder Fernsehen übertragen werden.74 Als Begehungsort – und somit tauglicher Anknüpfungspunkt im Rahmen der §§ 3, 9 38 StGB – gilt aber auch der Ort des Erfolges. Dies ist bei den „Erfolgsdelikten“, wie zB bei der Beleidigung, § 185 StGB, die als Erfolg eine Ehrkränkung verlangt, unproblematisch. Eine beleidigende Äußerung über Radio, Fernsehen oder Internet, die der Betreffende (oder ein Dritter) in Deutschland hört, sieht oder liest, begründet in Deutschland einen Erfolgsort. Problematischer ist dies schon bei den sog „konkreten Gefährdungsdelikten“, die neben der Tathandlung voraussetzen, dass der Täter durch die Tat bestimmte Rechtsgüter, die im jeweiligen Tatbestand genannt sein müssen, konkret gefährdet. Dort wo diese konkrete Gefährdung dann tatsächlich eintritt, ist zutreffender Weise der Ort des „Erfolges“ der Straftat zu sehen. Umstritten ist dies jedoch bei den sog „abstrakten Gefährdungsdelikten“, die – zumeist als schlichte Tätigkeitsdelikte ausgestaltet – bereits eine bestimmte Verhaltensweise unter Strafe stellen, ohne dass im Tatbestand ein Erfolg ausdrücklich genannt ist. Die hM lehnt hier einen Erfolgsort ab 75 und kommt insoweit 71 72
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So auch B Heinrich NStZ 2000, 533; ders FS Weber 91, 98 ff. Fall nach BGHSt 46, 21; vgl hierzu die Anmerkungen bei Clauß MMR 2001, 232; Gercke ZUM 2002, 283, 284 f; Heghmanns JA 2001, 276; B Heinrich FS Weber 91, 96 ff; Hörnle NStZ 2001, 309; Jeßberger JR 2001, 432; Koch JuS 2002, 123; Kudlich StV 2001, 397; Lagodny JZ 2001, 1198; Roggan KJ 2001, 337; Schwarzenegger 240; Sieber ZRP 2001, 97; Vassilaki CR 2001, 262. BGHSt 46, 212, 224 f; eine Handlung im Inland ablehend auch Heghmanns JA 2001, 276, 277, 279; B Heinrich NStZ 2000, 533; ders FS Weber 91, 98 ff; Jeßberger JR 2001,
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432, 433; Kudlich StV 2001, 397, 398; Schulte KJ 2001, 341. So auch B Heinrich FS Weber 91, 95 f; Klengel/Heckler CR 2001, 243, 244; Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648, 652; Schreibauer 101; Sieber NJW 1999, 2065, 2067. KG NJW 1999, 3500, 3502 – Hitlergruß; Breuer MMR 1998, 141, 142; Cornils JZ 1999, 394, 395 f; Horn/Hoyer JZ 1987, 965, 966; von der Horst ZUM 1993, 227, 228; Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1875 f; Jakobs Strafrecht AT, 5/21; Kienle 41 ff; Klengel/ Heckler CR 2001, 243, 248; Lackner/Kühl § 9 Rn 2; Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648, 653; LK/Gribbohm 11. Aufl, § 9
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zu untragbaren Ergebnissen. Da der Gesetzgeber bei den abstrakten Gefährdungsdelikten die Strafbarkeit infolge der hohen Gefährlichkeit des Verhaltens gerade nach vorne verlagert hat, ist nicht einzusehen, warum dies dazu führen soll, dass dort, wo das unter Strafe gestellte Verhalten tatsächlich den strafrechtlich unerwünschten Erfolg herbeiführt, ein Tatort abgelehnt wird.76 Der Erfolgsort bei den abstrakten Gefährdungsdelikten liegt somit dort, wo sich das gefährliche Verhalten auswirken kann – tritt ein solcher Erfolg tatsächlich ein, ist dies als unwiderlegbares Indiz dafür anzusehen, dass eine abstakte Gefahr an diesem Ort auch tatsächlich bestand. Der BGH scheint bei seiner Entscheidung im Fall 2 (Adelaide-Institute) mit dieser Ansicht zu sympathisieren, glaubte aber, diese Streitfrage nicht entscheiden zu müssen, da § 130 Abs 3 StGB kein (rein) abstraktes, sondern ein sog abstrakt-konkretes oder auch „potenzielles Gefährdungsdelikt“ darstelle, denn der Tatbestand setze immerhin voraus, dass die Handlung geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.77 In dieser „Eignung zur Friedensstörung“ sah der BGH den zum Tatbestand gehörenden Erfolg, der im konkreten Fall jedenfalls auch in Deutschland eingetreten sei, da die Handlung dazu geeignet gewesen wäre, gerade hier den öffentlichen Frieden zu stören.78 Dass potenzielle Gefährdungsdelikte aber auch nach Ansicht des BGH an sich als Unterfall der abstrakten Gefährdungsdelikte anzusehen sind,79 denen die Anerkennung eines Erfolgsortes bisher gerade versagt blieb, störte ihn dabei nicht. Problematisch an dieser weiten Bestimmung des Tatortes (Erfolgsortes) iSd §§ 3, 9 39 StGB ist nun aber, dass gerade im Medienbereich, insbesondere beim Einstellen strafrechtlich relevanter Texte ins Internet, über den Begehungsort eine nahezu weltweite Strafverfolgung auch von weniger gravierenden Delikten möglich wäre. Dies wurde in der Literatur zutreffend kritisiert und insoweit Einschränkungsmodelle entwickelt.80 Man wird hier jedenfalls fordern müssen, dass ein legitimierender Anknüpfungspunkt vorliegen muss, der einen Bezug der Straftat gerade im Hinblick auf Deutschland hervorhebt. Dieser Anknüpfungspunkt kann in der Verwendung der deutschen Sprache oder auch in der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte liegen. Als weiterer Anknüpfungspunkt kommt – wenn die Tat im Ausland begangen wurde – 40 die Staatsangehörigkeit des Täters (aktives Personalitätsprinzip, § 7 Abs 2 Nr 1 StGB) oder des Opfers (passives Personalitätsprinzip, § 7 Abs 1 StGB) in Frage. Voraussetzung ist hierbei jedoch jeweils, dass die Tat im Ausland ebenfalls strafbar ist oder aber der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Letzteres kommt insbesondere dann in Frage, wenn die Tat, wie zB bei der Aussendung eines Piratensenders,81 auf hoher See begangen wird. Als völkerrechtlich zulässiger Anknüpfungspunkt ist ferner der Schutz bestimmter inländi-
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Rn 20; Pelz ZUM 1998, 530, 531; Ringel CR 1997, 302, 303; Römer 126 f; Roggan KJ 2001, 337, 339; Satzger NStZ 1998, 112, 114 f; Schönke/Schröder/Eser § 9 Rn 6. So auch Barton Rn 221; Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 96; Germann 233 ff; B. Heinrich GA 1999, 72, 77; ders NStZ 2000, 533; ders FS Weber 91, 98 ff; Martin 79 ff, 118 ff; Martin ZRP 1992, 19, 20 f; Schulte KJ 2001, 341; Schwarzenegger SchwZStW 118 (2000), 109, 124 ff; SK/ Hoyer § 9 Rn 7. BGHSt 46, 212, 220 ff.
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Zust Jeßberger JR 2001, 432, 433; aA Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1875; Kienle 78; Ringel CR 1997, 302, 305 f. BGHSt 46, 212, 218; BGH NJW 1999, 2129. Vgl allgemein zum Meinungsstand MünchKommStGB/Ambos/Ruegenberg § 9 Rn 26 ff; ferner Collardin CR 1995, 618, 621; Ringel CR 1997, 302, 307. Vgl zur Problematik der Piratensender Haucke, Piratensender auf See, 1968; Oehler Das deutsche Strafrecht und die Piratensender, 1970; Oehler FS Stern 1339.
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scher Rechtsgüter anerkannt (Schutzprinzip, § 5 StGB). Im hier interessierenden Zusammenhang können nach diesen Grundsätzen zB die Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB), der Hoch- oder Landesverrat sowie die Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 81 ff, 94 ff StGB) und ausgewählte Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§ 109 ff StGB) auch dann geahndet werden, wenn sie im Ausland stattfinden und kein Deutscher daran beteiligt ist. Zu nennen sind weiter die Delikte der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats (§§ 89 ff StGB). Teilweise muss hier zwar der Täter die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, es entfällt jedoch – im Gegensatz zu § 7 StGB – die Voraussetzung, dass die Tat im Ausland mit Strafe bedroht sein muss. Insbesondere im Zusammenhang mit der Verbreitung pornografischer Schriften, §§ 184a, 184b StGB, ist auch im Medienbereich der völkerrechtliche Anknüpfungspunkt der Interessen von universaler, die Weltrechtsgemeinschaft betreffender Bedeutung relevant (Weltrechtsprinzip, § 6 StGB). Zu nennen ist schließlich noch der Anknüpfungspunkt der stellvertretenden Rechtspflege (Stellvertretungsprinzip, § 7 Abs 2 Nr 2 StGB), der dann eingreift, wenn der Täter einer Auslandstat in Deutschland gefasst wird, seine Auslieferung aber, obwohl prinzipiell zulässig, nicht möglich ist, weil der betreffende Staat kein entsprechendes Ersuchen stellt oder dem Täter dort eine menschenunwürdige Behandlung oder Folter droht. Bedenkt man, dass in anderen Ländern ähnliche Regelungen mit denselben Anknüp41 fungspunkten gelten, ist es unausweichlich, dass bei grenzüberschreitenden Taten mehrere Länder für eine Verurteilung zuständig sind und insoweit mehrere Verfahren wegen derselben Tat durchgeführt werden können. Da der Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots wegen derselben Tat (vgl Art 103 Abs 3 GG) im internationalen Bereich aber nicht gilt,82 finden sich vielfach völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen verschiedenen Staaten, welche eine solche Doppelbestrafung einschränken oder ausschließen. Was das deutsche Strafrecht angeht, so ist zu beachten, dass bei Auslandstaten der Verfolgungszwang durch deutsche Behörden stark eingeschränkt ist (vgl §§ 153c StPO). Wenn sich die Staatsanwaltschaft jedoch zum Tätigwerden entschließt, dann hindert eine frühere Strafverfolgung oder Bestrafung derselben Tat in einem anderen Staat die Durchführung eines Verfahrens in Deutschland nicht. Allerdings muss eine im Ausland bereits verbüßte Strafe im Inland angerechnet werden (§ 51 Abs 3 StGB).83 Zu beachten sind jedoch die in der Europäischen Union geltenden Sondervorschriften im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ). Nach Art 54 SDÜ haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, untereinander den Grundsatz „ne bis in idem“ anzuwenden.84 Eine vergleichbare Regelung enthält Art 1 des EG-ne-bis-in-idem-Übereinkommens. Neben den geschilderten allgemeinen Grundsätzen des Strafanwendungsrechts ist zu 42 beachten, dass sich teilweise bereits aus der tatbestandlichen Handlungsumschreibung eine Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt. So finden sich bspw Tatbestände, nach denen der Handelnde nur strafbar ist, wenn er Schriften im Inland verbreitet.85 Handelt der Täter in diesen Fällen von Deutschland aus, indem er zB Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen im Inland herstellt, die dann aber ausschließlich im Ausland verbreitet werden sollen, dann läge an sich (Tatortprinzip, §§ 3, 9 StGB) eine Straftat vor, die jedoch nach § 86 StGB deswegen ausscheidet, weil nur die Herstellung in der Absicht, die Schriften im Inland zu verbreiten, erfasst ist. 82
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Vgl hierzu BVerfGE 12, 62, 66; BGHSt 24, 54, 57; B Heinrich AT I Rn 40, 62; Vogel/Norouzi JuS 2003, 1059, 1060. Vgl hierzu auch BGHSt 29, 63.
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Vgl zu Art 54 SDÜ auch BGHSt 45, 123; BGHSt 46, 187; BGHSt 46, 307; Vogel/ Norouzi JuS 2003, 1059. Vgl § 86 Abs 1 StGB.
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II. Der Gerichtsstand Ist die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts begründet, stellt sich bei der gerichtlichen Verfolgung als erstes die Frage nach dem Gerichtsstand, dh die Frage, welches Gericht für die Aburteilung örtlich und sachlich zuständig ist. Nach § 7 Abs 1 StPO ist der primäre Gerichtsstand derjenige des Tatorts: Örtlich zuständig ist dasjenige Gericht, in dessen Bezirk die Straftat begangen wurde. Begangen ist die Tat nach § 9 StGB sowohl dort, wo der Täter gehandelt hat als auch dort, wo der Erfolg eingetreten ist.86 Eine solche Regelung hätte nun im Medienbereich – insbesondere im Hinblick auf den Erfolgsort – die Konsequenz, dass eine Vielzahl von Gerichtsständen begründet würde (man denke nur an die Verbreitung von Druckschriften an mehreren Orten, die Ausstrahlung von Radio- und Fernsehsendungen an sämtliche Haushalte etc). Da ein solcher „fliegender Gerichtsstand“ kaum akzeptabel wäre, schuf der Gesetzgeber bereits im Jahre 1902 in § 7 Abs 2 StPO jedenfalls für Druckschriften eine Sonderregelung:87 Liegt ein Presseinhaltsdelikt vor (dh wird die Straftat gerade durch den Inhalt der Druckschrift begangen), so ist ausschließlich dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist (Gerichtsstand des Erscheinungsortes). Erschienen ist eine Druckschrift dort, wo die verantwortlichen Entscheidungen über die Veröffentlichung getroffen werden,88 idR also am Geschäftssitz des Verlegers bzw des verantwortlichen Redakteurs.89 Im Ausnahmefall sind aber auch mehrere Erscheinungsorte denkbar.90 Ein „Erscheinen“ setzt dabei voraus, dass die Druckschrift einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden soll.91 Eine Ausnahme gilt nach § 7 Abs 2 S 2 StPO lediglich dann, wenn es sich um eine Beleidigung nach § 185 StGB handelt und der Beleidigte die Straftat im Wege der Privatklage verfolgt. In diesen Fällen ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beleidigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.92 Eine weitere Ausnahme gilt dann, wenn der Erscheinungsort – zB bei fehlendem Impressum – nicht festgestellt werden kann oder dieser im Ausland liegt. Dann bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 7 Abs 1 StPO. Da die Interessenlage im Hörfunk und Fernsehbereich ähnlich ist, ist § 7 Abs 2 StPO – obwohl dieser ausdrücklich nur von „Druckschriften“ spricht – nach allerdings umstrittener Ansicht auch auf diese Medien analog anwendbar (Gerichtsstand des Ausstrahlungsortes).93 Dies gilt aber auch in diesen Fällen nur dann, wenn die Straftat gerade durch den 86 87
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Vgl zur Frage des Handlungs- und des Erfolgsortes bereits ausf oben Rn 33 ff. Durch die StPO-Novelle vom 13.6.1902, RGBl 1902 S 227; zum früheren Rechtszustand vgl RGSt 23, 155. Löwe/Rosenberg/Erb § 7 Rn 21. Stellt man auf den Ort ab, an dem das Druckerzeugnis mit dem Willen des Verfügungsberechtigten die Stätte ihrer Herstellung zum Zweck der Verbreitung verlässt (so RGSt 64, 292; KK/Pfeiffer § 7 Rn 9; Meyer-Goßner § 7 Rn 9), würde man im Ergebnis auf den Ort abstellen, wo „das Druckwerk körperlich betrachtet den Weg seiner Verbreitung antritt“ und nicht auf den Ort, an dem die verantwortlichen Personen handeln;
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vgl hierzu Löwe/Rosenberg/Erb § 7 Rn 20. Löwe/Rosenberg/Erb § 7 Rn 21; MeyerGoßner § 7 Rn 9. KK/Pfeiffer § 7 Rn 9; Meyer-Goßner § 7 Rn 9. BGHSt 13, 257; KK/Pfeiffer § 7 Rn 9; MeyerGoßner § 7 Rn 9. Vgl BGH NJW 1958, 229. LG Arnsberg NJW 1964, 1972; LG Landshut NStZ-RR 1999, 367; AG Würzburg NStZ 1990, 199; Dose NJW 1971, 2212; Kusch NStZ 1990, 200; Löffler/Kühl Vor §§ 20 ff LPG Rn 17; Löwe/Rosenberg/Erb § 7 Rn 12 ff; Meyer-Goßner § 7 Rn 7; aA KK/Pfeiffer § 7 Rn 7.
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Inhalt der Sendungen verwirklicht wird. Da die Interessenlage auch beim Medium des Internets ähnlich ist, muss auch hier die Vorschrift des § 7 Abs 2 StPO analog anwendbar sein (Gerichtsstand des Standortes des Servers). Die weiteren in der StPO vorgesehenen Gerichtsstände spielen auch im Medienstraf47 recht eine eher untergeordnete Rolle und sollen daher nur kurz erwähnt werden. Zwar kann die Staatsanwaltschaft zwischen den verschiedenen Gerichtsständen nach ihrem Ermessen wählen, in der Praxis wird aber dann, wenn ein Gerichtsstand nach § 7 StPO gegeben ist, auch dieser gewählt. Nach § 8 StPO ist ein Gerichtsstand auch an dem Ort begründet, an dem der Angeschuldigte seinen inländischen Wohnsitz (Abs 1) oder in Ermangelung eines solchen, seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort (Abs 2) hat. Ein weiterer Gerichtsstand wird am Ergreifungsort begründet (§ 9 StPO). Sofern zusammenhängende Taten zur (örtlichen) Zuständigkeit mehrerer Gerichte führen würden, wird nach § 13 StPO an jedem Ort ein Gerichtstand für sämtliche miteinander in Zusammenhang stehende Taten begründet (Gerichtsstand des Zusammenhangs).
III. Der Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB 48
Eine Vielzahl der im kommenden Abschnitt noch näher zu untersuchenden Straftatbestände, insbesondere solcher des StGB, enthalten das Tatbestandsmerkmal der „Schriften“, deren Verbreitung oder Verwendung unter Strafe gestellt ist. Dabei ist dieses Merkmal zumeist strafbegründend,94 kann jedoch, wie zB bei der Verleumdung nach § 187 StGB, auch straferhöhende Wirkung haben.95 Zumeist findet sich in diesen Tatbeständen ein ausdrücklicher Hinweis auf die Vorschrift des § 11 Abs 3 StGB. In diesen Fällen gilt die vom Gesetzgeber unter der Überschrift „Personen- und Sachbegriffe“ aufgenommene Definition des Schriftenbegriffes in der genannten Vorschrift. Diese vor die Klammer gezogene Definition in § 11 Abs 3 StGB hat den Vorteil, dass der umfangreiche Schriftenbegriff nicht in jedem Tatbestand erneut umschrieben werden muss. Findet sich hingegen in der entsprechenden Vorschrift kein ausdrücklicher Verweis auf § 11 Abs 3 StGB, muss eine eigenständige tatbestandsbezogene Auslegung erfolgen.96 Als „Schriften“ gelten hiernach nicht nur die klassischen Druckschriften, sondern 49 darüber hinaus auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen. Insoweit enthält § 11 Abs 3 StGB keine klassische „Legaldefinition“, sondern fasst lediglich mehrere Darstellungsformen unter dem Sammelbegriff der „Schrift“ zusammen.97 Insoweit wird auch deutlich, dass der Begriff der „Darstellung“ hier als Oberbegriff anzusehen ist, der in den genannten Erscheinungformen lediglich seine spezielle Ausprägung gefunden hat.98 Als Schriften sind allgemein solche stofflichen Zeichen zu verstehen, in denen in sinn50 lich wahrnehmbarer Weise, insbesondere durch Sehen und Tasten, eine Gedankenerklärung durch Buchstaben, Bilder oder Zeichen verkörpert ist.99 Dies kann auch in Form einer Geheim-, Kurz- oder Bilderschrift geschehen.100
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Vgl ua §§ 80a; 86 Abs 2; 86a Abs 1 Nr 1; 90 Abs 1; 90a Abs 1; 111; 130 Abs 2; 166 Abs 1 und 2; 184 Abs 1; 184a; 184b Abs 1 StGB. Vgl ferner § 186 StGB; auch weitere Rechtsfolgen können sich an die Begehung einer Tat durch eine Schrift knüpfen; vgl zB § 103 Abs 2 iVm § 200 StGB.
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Fischer § 11 Rn 33; NK/Lemke § 11 Rn 69. Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. Vgl hierzu noch näher unten Rn 54. BGHSt 13, 375; Lackner/Kühl § 11 Rn 27; Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. Lackner/Kühl § 11 Rn 27.
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Tonträger sind Gegenstände, die bestimmte technisch gespeicherten Laute enthalten, wie zB Sprachlaute oder Musik, und diese durch Wiedergabe für das Ohr wahrnehmbar gemacht werden können.101 Als Beispiele sind hier Tonbänder und CDs zu nennen.102 Unter einem Bildträger hingegen versteht man einen Gegenstand, der bestimmte Bilder oder Bildfolgen enthält, die durch Wiedergabe für das Auge wahrnehmbar gemacht werden können, wie zB Videokassetten.103 Seit 1997 104 sind auch die Datenspeicher ausdrücklich in § 11 Abs 3 StGB erwähnt. Dadurch werden insbesondere Inhalte, die über das Internet verbreitet werden, vom Schriftenbegriff erfasst. Unter Datenspeichern versteht man einen Gegenstand, auf dem ein gedanklicher Inhalt elektronisch, elektromagnetisch, optisch, chemisch oder auf sonstige Weise niedergelegt ist, auch wenn dieser nur unter Zuhilfenahme technischer Geräte wahrnehmbar gemacht werden kann.105 Erfasst werden somit Magnetbänder, Festplatten, Disketten, USB-Sticks, CD-ROMs, aber auch der Arbeitsspeicher eines Computers.106 Ferner gilt die Definition auch für die Darstellung von Inhalten auf einem Computerbildschirm.107 Damit kann der Schriftenbegriff nun auf Internetseiten, E-Mails, UsenetNews und den FTP-Dienst angewendet werden.108 Probleme kann es jedoch im Hinblick auf Inhalte geben, die über Chats vermittelt werden, da diese Chats regelmäßig Echtzeitübertragungen darstellen.109 Zwar werden auch hier kurzzeitige Zwischenspeicherungen vorgenommen, diese sollen nach der Ansicht des Gesetzgebers aber gerade nicht vom Schriftenbegriff erfasst sein.110 Dem muss jedoch widersprochen werden, da hier jedenfalls eine Zwischenspeicherung im Arbeitsspeicher des Computers stattfindet. Dies reicht jedoch – im Gegensatz zu ganz kurzfristigen Zwischenspeicherungen – im vorliegenden Zusammenhang aus.111 Unter Abbildungen versteht man die optische Wiedergabe körperlicher Gegenstände oder Vorgänge in der Außenwelt in Fläche und Raum, zB Gemälde, Fotos und Dias 112. § 11 Abs 3 nennt am Ende noch „andere Darstellungen“. Fraglich ist, ob damit die „Darstellung“ als Oberbegriff sämtlicher in dieser Vorschrift genannten Träger anerkannt wird 113 oder ob sich die andere Darstellung nur auf die unmittelbar zuvor genannten Abbildungen bezieht. Da aber auch Schriften und die anderen in § 11 Abs 3 StGB genannten Objekte problemlos als Darstellungen angesehen werden können, liegt die Einordnung als Oberbegriff nahe. Als Darstellungen werden dabei alle Arten von stofflichen Zeichen angesehen, die sinnlich wahrnehmbar sind und einen geistigen Sinngehalt vermitteln.114 Teilweise wird darüber hinaus gefordert, dass die stoffliche Verkörperung 101
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Schönke/Schröder/Eser § 242 Rn 78; vgl aus der Rechtsprechung RGSt 47, 404; OLG Düsseldorf NJW 1967, 1142. MünchKommStGB/Radtke § 11 Rn 116. Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78; vgl aus der Rechtsprechung OLG Koblenz NStZ 1991, 45; LG Duisburg NStZ 1987, 367. IuKDG vom 22.7.1997, BGBl 1997 I S 1870, 1876; vgl zur früheren Rechtslage und dem Streit, ob und wie Datenspeicher vom Schriftenbegriff erfasst werden können OLG Stuttgart NStZ 1992, 38; Stange CR 1996, 424, 426 ff. Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. Vgl BT-Drucks 13/7385, 36; BGHSt 47, 55, 58.
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BT-Drucks 13/7385, 36; Schönke/Schröder/ Eser § 11 Rn 78. Barton 120 f, 176 f; vgl auch BGH NStZ 2007, 216, 217. Vgl hierzu Römer 84. BT-Drucks 13/7385 S 36. MünchKommStGB/Radtke § 11 Rn 118, vgl bereits Altenhain CR 1997, 485, 495. Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. So LK/Hilgendorf 12. Aufl, § 11 Rn 125; Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. Vgl Fischer § 11 Rn 33; NK/Lemke § 11 Rn 62 f; Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78; Walther NStZ 1990, 523.
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von einer gewissen Dauer sein muss.115 Dies ist jedoch insoweit problematisch, als zB Bildschirmanzeigen einer über das Internet abgerufenen Information dann nicht unter diese Definition fallen würden, da die Anzeige auf einem Computerbildschirm eben gerade keine Verkörperung von einer gewissen Dauer darstellt.116 Argumentiert wird hier insbesondere mit § 74d StGB,117 wonach Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB eingezogen werden können, was bei unkörperlichen Gegenständen gerade nicht möglich ist.118 Dies ist im Ergebnis jedoch nicht haltbar, da, wie oben gesehen,119 die flüchtigen Speicherungen in einem Arbeitsspeicher eines Computers sowie die Anzeige auf dem Bildschirm als „Datenspeicher“ inzwischen von dieser Definition erfasst werden.120 Nicht erfasst ist dagegen die „Live-Übertragung“ im Fernsehen oder im Hörfunk.121
IV. Täterschaft und Teilnahme gem §§ 25 ff StGB 1. Allgemeine Grundsätze
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a) Keine Strafbarkeit des Medienunternehmens als juristische Person. Strafrechtliche Verantwortlichkeit knüpft stets an das Verhalten einzelner natürlicher Personen an. So kennt das deutsche Strafrecht, obwohl dies von verschiedener Seite aus immer wieder gefordert wird,122 keine strafrechtliche Haftung juristischer Personen. Dies ist auf der Grundlage der herrschenden Strafrechtsdogmatik in Deutschland auch zwingend, da nur natürliche Personen, nicht aber rechtliche Konstrukte handeln können.123 Für die juristischen Personen handeln jedoch die jeweils zuständigen Organe (zB der Geschäftsführer oder der Vorstand, vgl § 14 StGB).124 Eine weitere Begründung des Ausschlusses einer strafrechtlichen Haftung juristischer Personen lässt sich aus dem mit Verfassungsrang ausgestalteten Schuldprinzip herauslesen. Denn nur natürliche Personen, nicht aber Personenmehrheiten als solche können schuldhaft handeln.
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b) Grundsatz der Trennung von Täterschaft und Teilnahme. Das deutsche Strafrecht beruht – jedenfalls im Bereich der Vorsatzdelikte 125 – auf der grundsätzlichen Trennung von Täterschaft und Teilnahme (sog „dualistisches Beteiligungssystem“), wobei es als gemeinsamen Oberbegriff den „Beteiligten“ an einer Straftat nennt (vgl § 28 Abs 2 StGB). Es existieren insgesamt vier verschiedene Formen der Täterschaft und zwei Formen der Teilnahme.
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Vgl NK/Lemke § 11 Rn 63; Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78; SK/Rudolphi/Stein § 11 Rn 63; Walther NStZ 1990, 523. Sieber JZ 1996, 494, 495; Walther NStZ 1990, 523. Vgl zur Einziehung von Schriften noch unten Rn 88 ff. Sieber JZ 1996, 494, 495; vgl auch allgemein zur Beschränkung der Einziehung auf körperliche Gegenstände BVerwGE 85, 169, 171. Vgl oben Rn 53. Vgl hierzu auch Altenhain CR 1997, 485, 495. MünchKommStGB/Radtke § 11 Rn 114; Schönke/Schröder/Eser § 11 Rn 78. Zu den Tendenzen hin zu einem Unterneh-
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mensstrafrecht – insbesondere auf europäischer Ebene – vgl Kempf KJ 2003, 462. Vgl hierzu nur B Heinrich AT I Rn 198; Roxin AT I § 8 Rn 58; Wessels/Beulke Rn 94. Hierzu näher Kindhäuser AT § 7; Otto Jura 1998, 409. Anders hingegen bei den Fahrlässigkeitsdelikten, bei denen sich jeder als Täter strafbar machen kann, der sich sorgfaltspflichtwidrig verhalten hat (sog „Einheitstäter“); auch das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht kennt eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht; vgl hierzu B Heinrich AT II Rn 1177.
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§2
Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
In § 25 StGB werden drei der vier Formen der Täterschaft ausdrücklich normiert. In 57 § 25 Abs 1 Alt 1 StGB findet sich die Grundform der Alleintäterschaft („Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst […] begeht“). Die Alleintäterschaft ist das Kernstück der Täterschaft. Es findet keine Zurechnung irgendwelcher Tatbeiträge eines anderen statt. Jeder Täter wird nur und ausschließlich für sein eigenes Handeln bestraft. In § 25 Abs 1 Alt 2 StGB wird die mittelbare Täterschaft umschrieben („Als Täter wird bestraft, wer die Straftat […] durch einen anderen begeht“). Diese Form ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass der mittelbare Täter eine andere Person, die selbst strafrechtlich nicht verantwortlich ist, zur Tatbegehung einsetzt. Schließlich regelt § 25 Abs 2 StGB die Mittäterschaft („Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft“). Hier findet eine gegenseitige Zurechnung der jeweils erbrachten Tatbeiträge statt. Gesetzlich nicht geregelt ist die Nebentäterschaft, bei der mehrere Personen einen tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführen, ohne dass ein gemeinsamer Tatplan vorliegt. Als Teilnahmeformen nennt das Gesetz die Anstiftung und die Beihilfe. Unter einer An- 58 stiftung (§ 26 StGB) versteht man das vorsätzliche Bestimmen eines anderen zu dessen vorsätzlich und rechtswidrig – aber nicht notwendigerweise schuldhaft – begangenen Haupttat. Der Anstifter wird – ohne Möglichkeit einer Strafmilderung – wie ein Täter bestraft. Unter Beihilfe (§ 27 StGB) ist dagegen das vorsätzliche Hilfeleisten zu einer vorsätzlich und rechtswidrig – wiederum aber nicht notwendigerweise schuldhaft – begangenen Tat eines anderen zu verstehen. Die Strafbarkeit der Beihilfe richtet sich zwar ebenfalls nach der Haupttat, es findet jedoch eine obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs 2 iVm § 49 Abs 1 StGB statt. Die Anwendung der Vorschriften über die Anstiftung und die Beihilfe wirft insbesondere dann Probleme auf, wenn Journalisten durch die Veröffentlichungen bisher „geheimer“ Informationen eine Strafbarkeit eines Amtsträgers wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, § 353b StGB, ermöglichen. So kann bereits die Anfrage an einen Amtsträger nach „geheimer“ Information eine strafbare Anstiftung zu § 353b StGB,126 die Veröffentlichung angebotener Information ihrerseits eine strafbare Beihilfe zu diesem Delikt darstellen.127 Vergegenwärtigt man sich, dass der Gesetzgeber durch das 17. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21.12.1979 128 den bisherigen „Maulkorbparagraphen“ des § 353c StGB aF (Öffentliche Bekanntmachung von Dienstgeheimnissen durch Nichtgeheimnisträger) ersatzlos gestrichen hat, wird aber deutlich, dass hier eine restriktive Auslegung angezeigt ist.129 In der Praxis bedeutsam ist dies insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Beschlagnahme von Unterlagen in Redaktionsräumen: Diese ist nach § 97 Abs 5 StPO zwar grundsätzlich unzulässig soweit dem Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO zusteht. Dieses Verbot entfällt jedoch dann, wenn der Journalist verdächtig ist, sich wegen einer Teilnahme an der Tat strafbar gemacht zu haben.130 Da in Medienunternehmen zumeist eine Vielzahl von Personen zusammen wirken, ist 59 die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen oft schwierig. Kann der jeweilige Tatbeitrag des Einzelnen festgestellt werden, ist zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen, insbesondere zwischen Täterschaft und Teilnahme abzugrenzen. Dabei 126 127 128 129
Vgl hierzu Riklin GA 2006, 361; vgl zudem aus der Schweiz BGE 127 IV 22. Vgl hierzu BVerfG NJW 2007, 1117 – Cicero. BGBl 1979 I S 2324. Für eine ausdrückliche Straffreistellung von Journalisten im Hinblick auf eine Beihilfe zu § 353b StGB durch Aufnahme eines neuen § 353b Abs 5 StGB vgl den Entwurf der FDP-Franktion vom 16.3.2006, BT-Drucks
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16/956; hierzu Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 2007, 249, 251; vgl in diesem Zusammenhang auch den Entwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 7.2.2006, BT-Drucks 16/576, sowie den Entwurf der Fraktion DIE LINKE vom 6.3.2007, BT-Drucks 16/4539. Vgl hierzu näher unten Rn 372 ff.
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geht die Rechtsprechung traditionell von einem subjektiven Maßstab aus (Täter ist, wer die Tat als eigene will, Teilnehmer hingegen, wer lediglich eine fremde Tat veranlassen und fördern will),131 während die hM in der Literatur 132 einen objektiveren Maßstab mit dem Kriterium der Tatherrschaft anlegt (Täter ist, wer die Tat beherrscht, dh als Schlüsselfigur das Tatgeschehen nach seinem Willen hemmen, lenken oder mitgestalten kann; Teilnehmer ist, wer die Tat nicht beherrscht und lediglich als Randfigur die Begehung der Tat veranlasst oder in irgendeiner Weise fördert).133 In der praktischen Anwendung sind die Unterschiede allerdings gering, da auch der BGH inzwischen fordert, dass der die Täterschaft begründende „Täterwille“ auf Grund einer „wertenden Betrachtung“ zu ermitteln sei, welcher sämtliche Umstände der Tat mit einschließen müsse. Wesentliche Anhaltspunkte dieser wertenden Betrachtung sollen hierbei sein: der gemeinsame Tatplan, der Umfang der Tatbeteiligung, der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, die Tatherrschaft oder wenigstens der „Wille zur Tatherrschaft“.134 Nach diesen Grundsätzen ist jedenfalls der Autor bzw Verfasser eines Textes für dessen 60 Inhalt als Täter anzusehen, sofern die Verbreitung von ihm veranlasst wird bzw mit seinem Willen geschieht.135 Täter ist ferner der verantwortliche Redakteur, der die Verbreitung eines (fremden) Textes veranlasst. Problematischer ist hingegen die Annahme einer Strafbarkeit durch Unterlassen, wenn der Autor bzw der Programmverantwortliche die Verbreitung eines bestimmten Textes nicht verhindert hat. Die Strafbarkeit wegen Unterlassens richtet sich nach § 13 StGB und erfordert, dass der Unterlassende rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter Erfolg nicht eintritt (sog „Garantenpflicht“). Eine solche Garantenpflicht ist jedenfalls für den verantwortlichen Redakteur oder Sendeleiter anzunehmen.136 Da eine Garantenpflicht aber auch vertraglich übernommen werden kann, ist es ferner möglich, dass andere, mit der Programmkontrolle beauftragten Personen eine solche Garantenstellung innehaben. Jedoch können sich die verantwortlichen Redakteure oder Sendeleiter nicht durch eine Kollektiventscheidung der Verantwortung entziehen.137 2. Die Verantwortlichkeit im Internet
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Sonderregelungen bestehen hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der verschiedenen Beteiligten im Internet.138 Hier wurde schon früh deutlich, dass eine Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit insbesondere für Tele- und Medien131
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BGHSt 2, 150, 151; BGHSt 2, 169, 170; BGHSt 3, 349, 350; BGHSt 8, 70, 73; BGHSt 8, 390, 391; BGHSt 8, 393, 396; BGHSt 16, 12, 13; BGHSt 18, 87, 90 f; BGHSt 28, 346, 348. Gropp § 10 Rn 34 ff; Jakobs 21. Abschn. Rn 32 ff; Jescheck/Weigend § 61 V; Krey AT 2 Rn 67 ff, 86 ff; Kühl § 20 Rn 29 ff; Lackner/Kühl Vor § 25 Rn 6; LK/Schünemann 12. Aufl § 25 Rn 32 ff; Maurach/ Gössel/Zipf AT 2 § 47 Rn 84; MünchKommStGB/Joecks § 25 Rn 27 ff; Otto AT § 21 Rn 21ff; Roxin AT II § 25 Rn 27 ff; SK/Hoyer Vor § 25 Rn 11; Schönke/Schröder/Cramer/Heine Vorbem §§ 25 ff Rn 61 ff; Wessels/Beulke Rn 518. Vgl zum Streitstand B Heinrich AT II Rn 1203 ff.
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Vgl in ähnlicher Formulierung BGHSt 19, 135, 138; BGHSt 34, 124, 125; BGHSt 36, 363, 367; BGHSt 37, 289, 291; BGHSt 38, 32, 33; BGHSt 38, 315, 319; BGHSt 39, 381, 386; BGHSt 43, 219, 232; BGHSt 48, 52, 56; BGH NStZ 1988, 406. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 16. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 17; Herrmann/Lausen § 26 Rn 19. OLG Stuttgart NStZ 1981, 27; Herrmann/ Lausen § 26 Rn 19. Vgl zu diesem Komplex Altenhain CR 1997, 485; Brauneck ZUM 2000, 480; Gounalakis/Rhode NJW 2000, 2168; Köster/ Jürgens MMR 2002, 420; Lackum MMR 1999, 697; Liesching/Günter MMR 2000, 260; Park GA 2001, 23; Pelz ZUM 1998,
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Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
diensteanbieter erforderlich ist, um vor allem die Internet-Provider vor nicht mehr kalkulierbaren Strafbarkeits- und Haftungsrisiken zu schützen.139 a) Die Providerhaftung. Die Verantwortlichkeit der Internetprovider war ab 1997 in 62 § 5 Teledienstegesetz (TDG aF 1997) geregelt.140 Ab 2001 fand sich eine umfassende Regelung in §§ 8 ff TDG aF 2001.141 Das TDG ist am 1.3.2007 durch das Telemediengesetz (TMG) 142 abgelöst worden. Die Vorschriften des TDG zur Haftung wurden dabei jedoch inhaltsgleich übernommen.143 Nach § 5 Abs 1 TDG aF 1997 waren Diensteanbieter für eigene Inhalte, die sie zur 63 Nutzung bereithielten, sog Contentprovider, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. § 5 Abs 2 TDG aF 1997 regelte, dass Diensteanbieter für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithielten, sog Service- oder Hostprovider, nur dann verantwortlich waren, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis hatten und es ihnen technisch möglich und zumutbar war, deren Nutzung zu verhindern. In § 5 Abs 3 TDG aF 1997 fand sich schließlich die Regelung für den sog Access-Provider: Diensteanbieter waren für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermittelten, nicht verantwortlich, wobei eine automatische und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte auf Grund einer Nutzerabfrage als eine solche Zugangsvermittlung galt (sog Proxy-Cache-Privileg). § 5 Abs 4 TDG aF 1997 stellte schließlich klar, dass durch diese Privilegierung Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen unberührt blieben, wenn der Diensteanbieter unter Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (§ 85 TKG) von diesen Inhalten Kenntnis erlangte und eine Sperrung technisch möglich und zumutbar war. Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang das sog „Compuserve-Urteil“: 144 Der 64 Geschäftsführer einer in Deutschland sitzenden hundertprozentigen Tochterfirma eines US-amerikanischen Online-Service-Providers (Compuserve-USA) wurde wegen des Zugänglichmachens gewalt- und kinderpornografischer Darstellungen angeklagt, die für deutsche Kunden auf dem Server der Compuserve-USA bereitgehalten wurden. Vertragspartner der Kunden war Compuserve-USA, die deutsche Tochterfirma stellte für die Kunden jedoch die Einwahlknoten bereit, die zum Abruf der Inhalte in den USA erforderlich waren. Das AG München145 verurteilte hier auf der Grundlage des § 5 Abs 2 TDG aF 1997 und
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530; Satzger CR 2001, 109; Vassilaki MMR 2002, 659; Wimmer/Michael 119 ff. Petersen § 18 Rn 1. Gesetz vom 22.7.1997, BGBl 1997 I S 187; in Kraft ab dem 1.8.1997. Die Neufassung des TDG geht auf Art 1 des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG) vom 14.12.2001 zurück, BGBl 2001 I S 3721. Die Änderungen des TDG traten am 21.12.2001 in Kraft. Ein Vergleich der beiden Regelungen findet sich bei Spindler MMR 2002, 495, 496 f; vgl ferner BGH NJW 2004, 3102; Kudlich JA 2002, 798, 800. Gesetz vom 26.2.2007, BGBl 2007 I S 179; in Kraft ab dem 1.3.2007. Vgl hierzu auch BGH NJW 2007, 2558. Die Regeln stimmen jedoch in der Zählung nicht überein. Der Begriff „Teledienste“ wurde außerdem durch „Telemedien“ ersetzt. Unter dem Begriff der „Telemedien“ sind laut § 1
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Abs 1 S 1 TMG „alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr 24 des Telekommunikationsgesetzes, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind“, zu verstehen. Zur früheren Trennung zwischen Tele- und Mediendiensten vgl unten Rn 252; krit zur fehlenden Neuregelung der Verantwortlichkeitsregeln Kitz ZUM 2007, 368, 374 f. AG München MMR 1998, 429; LG München NJW 2000, 1051; vgl hierzu Petersen § 18 Rn 2 ff. AG München MMR 1998, 429. vgl hierzu Eichler K&R 1998, 412; Ernst NJW-CoR 1998, 362; Hoeren NJW 1998, 2792; Pätzel CR 1998, 625; Sieber MMR 1998, 438.
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lehnte eine bloße Zugangsvermittlung nach § 5 Abs 3 TDG aF 1997 ab. Das Verhalten der Compuserve-USA sei dem Angeklagten im Wege der Mittäterschaft über § 25 Abs 2 StGB zuzurechnen. Auch hätte der Angeklagte positive Kenntnis von den strafrechtsrelevanten Inhalten besessen. In der Berufungsinstanz wurde das Urteil indes durch das LG München aufgehoben.146 Begründet wurde dies damit, dass der angeklagten deutschen Tochterfirma infolge ihrer völlig untergeordneten Stellung die Tatherrschaft gefehlt habe. Insoweit läge eine bloße Zugangsvermittlung nach § 5 Abs 3 TDG aF 1997 vor. Inzwischen findet sich eine Regelung über die Verantwortlichkeit der Internetprovider 65 in §§ 7 ff TMG (§§ 8 ff TDG aF 2001).147 Diese Vorschriften beziehen sich nicht nur auf die strafrechtliche, sondern auch auf die zivilrechtliche und die urheberrechtliche 148 Haftung des Providers. Die Abstufung des § 5 TDG aF 1997 wurde dabei zwar im Wesentlichen beibehalten, in einzelnen Punkten jedoch nicht unerheblich modifiziert. Die Regelungen sollen im Wesentlichen zu einer weitgehenden Entlastung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Provider führen und stellen mithin einen Filter dar, welcher der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den allgemeinen Regeln vorgeschaltet ist.149 § 7 Abs 1 TMG (§ 8 Abs 1 TDG aF 2001) regelt, dass Diensteanbieter für eigene „In66 formationen“,150 die sie zur Nutzung bereit halten, sog Contentprovider, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sind. Eine genauere Umschreibung des Begriffs des Diensteanbieters findet sich in § 2 Nr 1 TMG (§ 3 Nr 1 TDG aF 2001). Hiernach versteht man unter einem Diensteanbieter denjenigen, der eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereit hält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. Abzustellen ist also nicht auf den Eigentümer des Servers, sondern auf denjenigen, der einen Dienst anbietet, dh eigene Informationen auf dem Server abgelegt hat (etwa auf einer eigenen Web-Seite, einer Online-Auktion etc).151 Dies gilt in gleicher Weise auch für denjenigen, der, zB durch die Moderation von „News-Groups“, nur Beiträge verbreitet, die er zuvor redaktionell überprüft hat.152 Unbeachtlich ist es, ob es sich um einen kommerziellen oder privaten Anbieter handelt.153 Insoweit können auch Universitäten und Schulen, die ihren Studierenden, Schülern und Mitarbeitern einen Internetzugang ermöglichen, als Diensteanbieter angesehen werden.154 Nicht erfasst sind hingegen die Betreiber einer privaten Web-Seite. Da diese fremde Dienste bei der Einstellung bzw Bereitstellung benötigen, sind sie als „Nutzer“ iSd § 2 Nr 3 TMG (§ 3 Nr 2 TDG aF 2001) und nicht Diensteanbieter iSd § 2 Nr 1 TMG (§ 3 Nr 1 TDG aF 2001) anzusehen.155
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LG München NJW 2000, 1051; zu diesem Urteil Barton K&R 2000, 195; Kühne NJW 2000, 1003; Moritz CR 2000, 119. Vgl hierzu Kudlich JA 2002, 798, 800; vgl zu den Unterschieden von § 5 TDG aF 1997 und § 8 TDG aF 2001 Spindler MMR 2002, 495, 496 f. Die Anwendung auf Urheberrechtsverletzungen ist allerdings durchaus streitig; vgl Müller-Terpitz MMR 1998, 478; Schaefer/Rasch/Braun ZUM 1998, 451; Waldenberger MMR 1998, 124, 127 f. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 23; anders allerdings Spindler NJW 2002, 921, 922; vgl zum Meinungsstreit über die Rechtsnatur auch Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 56.
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Nach § 5 Abs 1 TDG aF noch: „Inhalte“. Zur Frage der Verantwortlichkeit für fremde Inhalte, die man sich über eine „Verlinkung“ zu eigen gemacht hat, vgl unten Rn 72. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 16; Hörnle NJW 2002, 1008, 1011. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 24; Park GA 2001, 21, 31 zu § 5 TDG aF 1997. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 55, sofern der Internetzugang auch zu allgemeinen, insbesondere privaten Zwecken zur Verfügung gestellt wird. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 24.
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Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
Eine wesentliche Einschränkung findet sich in § 7 Abs 2 S 1 TMG (§ 8 Abs 2 S 1 TDG 67 aF 2001). Hier wird bestimmt, dass (nur) die Diensteanbieter156 nach §§ 8–10 TMG (§§ 9–11 TDG aF 2001) (dh die Access- und Service- bzw Hostprovider, nicht aber die Contentprovider nach § 8 Abs 1 TDG aF 2001) nicht verpflichtet sind, „die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen“. Allerdings bleiben nach S 2 Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen unberührt. § 7 Abs 2 S 1 TMG (§ 8 Abs 2 S 1 TDG aF 2001) stellt also die Anbieter von allgemeinen Überwachungs- und Kontrollpflichten frei. Lediglich diejenigen, die auf Grund einer (freiwilligen) Kontrolle auf rechtswidrige Informationen stoßen, sind verpflichtet, diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu beseitigen. Dies führt nun freilich dazu, dass diejenigen Provider, die besonders intensiv und sorgfältig kontrollieren, eher in die (auch strafrechtliche) Haftung genommen werden können, wenn sie auf rechtswidrige Informationen stoßen und diese nicht sogleich beseitigen. Halten die Provider jedoch die für sie jeweils geltenden Vorschriften der §§ 8–10 TMG ein, sind sie für die Verbreitung rechtswidriger Inhalte anderer strafrechtlich nicht verantwortlich.157 Im Folgenden unterscheidet das TMG drei unterschiedliche Handlungsformen, die für die Providertätigkeit typisch sind und an die sich unterschiedliche Pflichten knüpfen: das Weiterleiten (oder Durchleiten – § 8 TMG, § 9 TDG aF 2001), das Zwischenspeichern (§ 9 TMG, § 10 TDG aF 2001) und das Bereithalten (§ 10 TMG, § 11 TDG aF 2001) von Informationen. In § 8 TMG (§ 9 TDG aF 2001) wird (in Anlehnung an § 5 Abs 3 TDG aF 1997) eine 68 weitgehende Freistellung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Hinblick auf den Access-Provider getroffen: „Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie (1) die Übermittlung nicht veranlasst, (2) den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt und (3) die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.“ Hierzu sind im Allgemeinen hohe Anforderungen zu stellen, es bedarf also einer bewussten Auswahl bzw Veranlassung durch den Provider, um ihn in die strafrechtliche Verantwortung zu nehmen.158 Die Regelung findet allerdings nach S 2 keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem der Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. In § 8 Abs 2 TMG wird dann klar gestellt, dass das Access-Providing auch die technisch bedingte automatische und kurzzeitige Zwischenspeicherung, die zur Weiterleitung (oder Übermittlung) erforderlich ist, mit einschließt. § 9 TMG (§ 10 TDG aF 2001) enthält dann eine Sonderregelung für Zwischenspei- 69 cherungen (Cache), dh nicht nur kurzzeitige, aber zeitlich begrenzte Speicherungen, die dazu dienen, die Kommunikation zwischen den Netzteilnehmern zu erleichtern (ProxyCache-Privileg, früher § 5 Abs 3 S 2 TDG aF 1997). Die Diensteanbieter sind hier für die Informationen nicht verantwortlich, wenn sie „(1) die Informationen nicht verändern, (2) die Bedingungen für den Zugang zu den Informationen beachten, (3) die Regeln für die Aktualisierung der Information, die in weithin anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, beachten, (4) die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information, die in weithin anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegt sind, nicht beeinträchtigen und (5) unverzüg156 157
Vgl zum Begriff des Diensteanbieters die vorstehende Rn 66. Vgl hierzu auch Vassilaki MMR 2002, 659.
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Vgl hierzu ausf Eberle/Rudolf/Wasserburg/ Schmitt Kap XI Rn 27; Spindler NJW 2002, 921, 923.
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lich handeln, um im Sinne dieser Vorschrift gespeicherte Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sobald sie Kenntnis davon erhalten haben, dass die Informationen am ursprünglichen Ausgangsort der Übertragung aus dem Netz entfernt wurden oder der Zugang zu ihnen gesperrt wurde oder ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde die Entfernung oder Sperrung angeordnet hat.“ Kenntnis meint in diesem Zusammenhang ebenfalls die positive Kenntnis, ein „Kennen-Müssen“ im Sinne einer groben Fahrlässigkeit genügt nicht.159 Schließlich enthält § 10 TMG (§ 11 TDG aF 2001) eine Regelung über den sog „Ser70 vice- oder Hostprovider“ (früher § 5 Abs 2 TDG aF 1997), also denjenigen, der fremde Inhalte auf seinen Rechnern speichert und den Online-Zugriff durch Dritte ermöglicht. Diese „sind für fremde Informationen […] nicht verantwortlich, sofern (1) sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder (2) sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.“ 160 Diese Regelung findet nach S 2 jedoch keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird. Wenn in § 10 Nr 2 TMG von „Kenntnis“ die Rede ist, so ist auch hier eine positive Kenntnis gemeint, sodass jedenfalls eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht ausreicht. Dagegen reicht nach den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen – nach allerdings umstrittener Ansicht – ein bedingter Vorsatz aus.161 Eine mit den Regelungen des TDG aF 2001 identische (wenn auch in der Zählung 71 nicht übereinstimmende) Regelung fand sich für Mediendienste im Medienstaatsvertrag, der – wie auch das TDG aF 2001 – durch das Telemediengesetz 2007 gegenstandslos geworden ist.162
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Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 30, Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn NJW 1997, 2981, 2985. Damit wird die strafrechtliche sowie die schadensersatzrechtliche Haftung ausgeschlossen, zivilrechtliche Unterlassungsansprüche bleiben hingegen unberührt; vgl BGHZ 58, 236, 246 ff – Internet-Versteigerung I; BGH ZUM 2007, 846, 848 – eBay. So auch Barton Rn 336; aA (dolus directus erforderlich) Eberle/Rudolf/Wasserburg/ Schmitt Kap XI Rn 33; Engel-Flechsig/ Maennel/Tettenborn NJW 1997, 2981, 2985; Sieber MMR 1998, 438, 441 f; Vassilaki MMR 1998, 630, 634; vgl auch Spindler NJW 1997, 3193, 3196; jeweils zu § 5 Abs 2 TDG aF 1997. Hierzu BGH CR 2007, 586; Hoeren NJW 2007, 801; die frühere (künstliche) Trennung zwischen Tele- und Mediendiensten ging auf unterschiedliche Gesetzgebungszuständigkeiten für elektronisch verbreitete Inhalte zurück. So beanspruchte der Bund die Zuständigkeit für Teledienste (= Warenund Dienstleistungsangebote, die man im
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Netz abrufen konnte; vgl § 2 Abs 1 TDG aF 2001), während die Länder die Zuständigkeit für die Mediendienste (= Informationsund Kommunikationsdienste, die an die Allgemeinheit gerichtet sind; vgl § 2 Abs 1 MDStV) besaßen; vgl dazu Hoeren NJW 2007, 801, 802; Kitz ZUM 2007, 368. Der Weg hin zur Vereinheitlichung wurde durch das JMStV (dieser enthält in § 23 iVm § 4 eine Strafvorschrift) und das JuSchG, sowie §§ 52, 53 RStV geebnet. Bund und Länder beschlossen Ende 2004 auch außerhalb des Jugendschutzes die Vereinheitlichung „Telemedien“ voranzutreiben. Der Bund sollte die wirtschaftsbezogenen Bestimmungen, ua zur Verantwortlichkeit, erlassen und die Länder sollten die inhaltlichen Anforderungen an Telemedien festsetzen. So verabschiedete der Bund das Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (dieses enthält in § 1 das TMG), die Länder führten durch den 9. RÄStV einen neuen Abschnitt „Telemedien“ im RStV ein.
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§2
Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
b) Das Setzen von Hyper-Links. Insbesondere im Bereich des Setzens von Hyper- 72 Links auf der eigenen Webseite, die auf andere Webseiten mit strafbaren Inhalten verweisen, ist eine Abgrenzung von Mittäterschaft, Beihilfe oder straflosem Verhalten erforderlich.163 Die Frage der Setzung von Hyperlinks wurde vom Gesetzgeber im TMG (wie schon im TDG aF) nicht geregelt, sodass die allgemeinen Vorschriften (und nicht die im TMG vorgesehenen Privilegierungen für die Provider) anwendbar sind.164 Voraussetzung einer Strafbarkeit ist hier jedenfalls, dass der Betreffende vom rechtswidrigen Inhalt der Seite, auf die er durch Setzung eines Links verweist, Kenntnis hat.165 Unzweifelhaft liegt eine strafbare Beteiligung jedenfalls dann vor, wenn sich derjenige, der auf seiner eigenen Seite einen Link setzt, sich die Information zu Eigen macht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn er sich in seinem eigenen Text positiv zum rechtswidrigen Inhalt der fremden Seite äußert, auf die er verweist.166 Fraglich ist in diesem Fall lediglich, ob hier eine Täterschaft oder – lediglich – eine Beihilfestrafbarkeit vorliegt.167 Letztere wäre in den Fällen problematisch, in denen auf eine auf einem ausländischen Server abgelegte Web-Seite verwiesen wird, deren Inhalt dort nicht gegen Strafgesetze verstößt. Da die Beihilfe nach § 27 StGB eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat voraussetzt, käme man hier zur Straflosigkeit, sofern man nicht auch die ausländischen Web-Seiten dem deutschen Strafrecht unterwirft.168 Problematisch ist ferner die Konstellation, dass sich der Inhalt der Seite, auf die verwiesen wird, nachträglich ändert und erst ab der Änderung rechtswidrige Inhalte aufweist. Hier kann eine Strafbarkeit lediglich durch Unterlassen begründet werden, was aber voraussetzt, dass eine Garantenpflicht, dh eine Rechtspflicht des den Link Setzenden vorliegt, nunmehr den gesetzten Link zu löschen. Da das Setzen des Hyperlinks auf die ursprüngliche Seite nicht pflichtwidrig war, kann eine Garantenpflicht lediglich in Form der „Schaffung einer Gefahrenquelle“ diskutiert werden, was jedoch äußerst zweifelhaft ist. Die gleichen Grundsätze wie beim Setzen von Hyper-Links gelten auch für Suchmaschinen.169
V. Rechtfertigungsgründe Keine größeren Besonderheiten im Vergleich zum allgemeinen Strafrecht sind im Be- 73 reich der Rechtfertigungsgründe zu verzeichnen. Auch bei medienrechtlich relevanten Sachverhalten ist im Einzelfall an eine Rechtfertigung auf der Grundlage der allgemeinen Rechtfertigungsgründe zu denken, wobei eine Rechtfertigung auf der Grundlage der Notwehr (§ 32 StGB) nur selten einschlägig sein dürfte.
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Hierzu Flechsig/Gabel CR 1998, 351; Freytag CR 2000, 600, 604; Petersen § 19 Rn 6, 9; Spindler MMR 2002, 495. BT-Drucks 14/6098 S 37; BGH NJW 2004, 2158, 2159 – Schöner Wetten; OLG Stuttgart MMR 2006, 387, 388; Kaufmann CR 2006, 545. Petersen § 19 Rn 9, vgl auch Köster/Jürgens MMR 2002, 420, 424; Spindler MMR 2002, 495, 498. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 21; vgl zum Ganzen auch Hörnle NJW 2002, 1008, 1010. Vgl hierzu OLG Stuttgart MMR 2006, 187,
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188, wonach die Abgrenzung von den im jeweiligen Tatbestand vorausgesetzten Handlungsformen abhängig sein soll, im Regelfall aber eine täterschaftliche Begehungsweise anzunehmen ist, vgl zu diesem Komplex auch Barton Rn 308 ff, 357; Heghmanns JA 2001, 71, 73; Koch CR 2004, 213, 215; Lackner/Kühl § 184 Rn 7b; Löhnig JR 1997, 496, 497; Malek Rn 129 ff; Park GA 2001, 23, 32. Dass dies äußerst problematisch ist, wurde bereits oben, Rn 32 ff, näher dargelegt. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 35; Spindler NJW 2002, 921, 924.
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Bei medienrechtlichen Sachverhalten ist dagegen häufig die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ nach § 193 StGB einschlägig. Da dieser Rechtfertigungsgrund ausschließlich für die Beleidigungsdelikte gilt und keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt,170 soll er im dortigen Zusammenhang erörtert werden.171 Zu denken ist ferner an den regelmäßig subsidiären Rechtfertigungsgrund des § 34 75 StGB, dem rechtfertigenden Notstand. Dieser setzt allerdings eine nicht anders abwendbare Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut voraus, welches das durch den Täter beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Problematisch ist hier zB die Konstellation, das ein Journalist bei der Recherche auf Missstände stößt, die aber nur dadurch aufgedeckt werden können, dass er das Hausrecht (§ 123 StGB) oder das Eigentum (§ 242 StGB – zB durch die Mitnahme von Akten) anderer verletzt.172 Man wird im Rahmen dieses „investigativen Journalismus“ § 34 StGB nur im Ausnahmefall als einschlägig ansehen können, denn auch bei der Beschaffung von Informationen sind die Journalisten grds an die allgemeinen Gesetze gebunden.173 Fraglich ist, ob Rechtfertigungsgründe direkt aus der Verfassung, insbesondere aus 76 den Grundrechten abgeleitet werden können. Dies wurde zwar gelegentlich diskutiert,174 ist aber letztlich nur in Ausnahmefällen möglich. Denn in den meisten Fällen werden die Grundrechte bereits die Auslegung der einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen einer Strafnorm sowie der anderen Rechtfertigungsgründe beeinflussen,175 sodass für einen eigenständigen, direkt aus der jeweiligen Grundrechtsnorm abzuleitenden Rechtfertigungsgrund kein Platz bleibt. Insbesondere gilt dies auch für Art 5 GG, der keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund darstellt.
VI. Die Freiheit der Parlamentsberichterstattung nach Art 42 Abs 3 GG, § 37 StGB 77
Nach § 37 StGB bleiben wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Landesparlaments oder der jeweiligen Ausschüsse dieser Körperschaften von jeder strafrechtlichen Verantwortung frei. Hierdurch soll einerseits die Publizität der Parlamentsarbeit sichergestellt, andererseits eine ungezwungene Erörterung gewährleistet werden.176 Da es sich hierbei nicht um einen klassischen Rechtfertigungsgrund,177 sondern um einen sachlichen Strafausschließungsgrund handelt,178 war er an dieser Stelle gesondert darzustellen. 170
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So die hM; vgl B Heinrich AT I Rn 517; Jakobs 16. Abschn. Rn 37; Krey/M. Heinrich BT 1 Rn 375 f; Kühl § 9 Rn 51; Lenckner JuS 1988, 349, 352; Roxin AT I, § 18 Rn 39; aA Schmitz JA 1996, 949, 953 f – zumindest in Bezug auf § 203 StGB. Vgl unten Rn 113 ff. Vgl hierzu bereits oben Rn 21. Vgl in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 66, 116, 122 – Wallraff. Vgl BVerfGE 73, 206, 248 – hier wurde aber aus Art 8 GG gerade kein Recht auf die Durchführung einer Sitzblockade angenommen; vgl ferner Bergmann Jura 1985, 457, 462 f; Kühl § 9 Rn 114; Küpper/Bode Jura
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1993, 187, 190; Radtke GA 2000, 19, 33; Roxin AT I § 18 Rn 49 ff. Vgl hierzu schon oben Rn 14. BGH NJW 1980, 780, 781; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 37 Rn 1. So aber OLG Braunschweig NJW 1953, 516; Jakobs 16. Abschn Rn 30; LK/Häger 12. Aufl § 37 Rn 10; NK/Neumann § 37 Rn 2; Roxin AT I § 23 Rn 14; Ruhrmann NJW 1954, 1512, 1513; SK/Günther § 37 Rn 1. So Baumann/Weber/Mitsch/Weber § 7 Rn 29; Jescheck/Weigend § 19 II 3; Lackner/Kühl § 37 Rn 1; Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron § 37 Rn 1.
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Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
VII. Die Problematik des Berufsverbotes des § 70 StGB § 70 StGB eröffnet die Möglichkeit, dass gegen denjenigen, der eine Straftat „unter Missbrauch seines Berufes oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, ein Berufsverbot verhängt werden kann. Die Verhängung des Berufsverbotes neben einer Strafe (oder – bei Schuldunfähigkeit – anstatt der Strafe) ist fakultativ („kann“) 179 und bezieht sich auf eine Dauer von einem bis zu fünf Jahren. Ausnahmsweise ist auch ein lebenslanges Berufsverbot möglich, wenn zu erwarten ist, dass die Anordnung einer Frist von fünf Jahren zur Abwehr der vom Täter ausgehenden drohenden Gefahr nicht ausreicht (§ 70 Abs 1 S 2 StGB). Inhalt des Berufsverbotes ist das Verbot, einen Beruf, Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig auszuüben. Der Verurteilte darf in diesen Fällen die Tätigkeit auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von ihm weisungsabhängige Person ausüben lassen (§ 70 Abs 3 StGB). Voraussetzung für die Verhängung eines Berufsverbotes ist einerseits, dass der Täter bei der Begehung der Straftat die sich aus seinem Beruf oder Gewerbe ergebenden Möglichkeiten bewusst und planmäßig ausgenutzt hat („missbraucht“) 180 und andererseits, dass die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lässt, dass der Täter bei der weiteren Ausübung des Berufes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die mit der abgeurteilten Tat vergleichbar sind. Es ist diesbezüglich also eine Prognose erforderlich. Eine nachträgliche Aussetzung des Berufsverbotes zur Bewährung ist möglich, wenn sich nach der Anordnung Gründe ergeben, die eine Prognose rechtfertigen, dass die angenommene Gefahr nicht mehr besteht (§ 70a StGB). Eine solche Aussetzung ist allerdings frühestens nach einem Jahr möglich. Insbesondere im presserechtlichen Bereich ist es umstritten, ob wegen des Entscheidungsmonopols des BVerfG nach Art 18 GG (Verwirkung von Grundrechten) ein Berufsverbot nach § 70 StGB auch dann erfolgen darf, wenn die Straftat durch eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Verlegers oder Journalisten motiviert war und als politische Meinungsäußerung zu qualifizieren ist. Für eine Anwendung des § 70 StGB spricht jedoch, dass diese Taten sonst im Vergleich zur Meinungsäußerung nicht politisch motivierter Täter privilegiert wären.181
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VIII. Verjährung Die Verjährung richtet sich bei Straftaten nach § 78 ff StGB (entscheidend für die 83 Länge der Frist ist dabei die Höhe der im Gesetz angedrohten Freiheitsstrafe), bei Ordnungswidrigkeiten nach § 31 OWiG. Eine Ausnahme von diesen Verjährungsvorschriften machen jedoch die landesrecht- 84 lichen Pressegesetze,182 die zumeist für Presseverstöße eine kürzere Verjährungsfrist vor-
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Vgl hierzu BGH NStZ 1981, 391, 392. BGH NJW 1968, 1730; BGH NJW 1989, 3231, 3232; Löffler/Ricker Kap 49 Rn 22. BGHSt 17, 38, 41; Maunz/Dürig/Dürig/ Klein Art 18 Rn 136 ff (§ 70 StGB als rechtliches aliud zur Grundrechtsverwirkung); Schönke/Schröder/Stree § 70 Rn 4 (Neben-
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einander beider Vorschriften); aA Löffler/ Ricker Kap 49 Rn 26. Vgl zur Begründung für diese Privilegierung BGHSt 25, 347; BGHSt 27, 18; BGHSt 33, 271, 274; Löffler NJW 1960, 2349; Löffler/ Ricker Kap 49 Rn 34.
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sehen.183 Privilegiert sind dabei aber jeweils nur Straftaten, die durch die Veröffentlichung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken strafbaren Inhalts begangen wurden (Presseinhaltsdelikt) sowie Taten gegen das jeweilige Landespressegesetz selbst. Dabei sind die Regelungen im Einzelfall unterschiedlich. So beträgt die Verjährungsfrist in den meisten Landespressegesetzen bei einem Verbrechen ein Jahr, bei einem Vergehen sechs Monate und bei einer Ordnungswidrigkeit drei Monate.184 Teilweise wird aber auch eine einheitliche Verjährungsfrist für Pressedelikte von nur sechs Monaten festgelegt.185 Ausgenommen hiervon sind jedoch regelmäßig besonders genannte Straftaten, wie 85 etwa der Hochverrat (§ 81 StGB), die Volksverhetzung (§ 130 StGB), Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB) sowie die Verbreitung „harter“ Pornografie (§ 184 Abs 3 und 4 StGB). Auch die Verbreitung von Propagandamitteln oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86a StGB) wird in manchen Landespressegesetzen von der kürzeren Verjährungsfrist ausgenommen. Oftmals ist es fraglich, ob tatsächlich ein privilegierendes Presseinhaltsdelikt vorliegt. 86 Dies scheidet bspw dann aus (mit der Konsequenz der Anwendung der allgemeinen Verjährungsfristen), wenn die Verbreitung des Inhalts grds erlaubt und nur auf Grund bestimmter Umstände im Einzelfall verboten ist,186 wie zB bei der Verbreitung jugendgefährdender Schriften (Trägermedien) nach §§ 15, 27 JuSchG.187 Neben der kürzeren Verjährungsfrist besteht eine weitere Privilegierung darin, dass 87 die Verjährungsfrist bereits mit der ersten Veröffentlichung bzw Verbreitung beginnt.188 Dies gilt jedoch nicht für eine sog „Scheinveröffentlichung“, dh einer heimlichen Veröffentlichung weniger Exemplare eben zu dem Zweck, die kurze Verjährungsfrist in Gang zu setzen.189 Auch bei einer Teil- oder Neuveröffentlichung beginnt die Frist jeweils neu zu laufen.190
IX. Einziehung 88
Eine große Rolle im Bereich des Medienstrafrechts spielt die strafrechtliche Einziehung, geregelt in den §§ 74 ff StGB. Sie ist abzugrenzen vom strafrechtlichen Verfall, §§ 73 ff StGB. Der Verfall ermöglicht es, Vorteile, die der Täter oder Teilnehmer aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat (zB das Entgelt aus dem Verkauf verbotener porno183
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Vgl § 24 LPG Baden-Württemberg; § 14 LPG Bayern; § 22 LPG Berlin; § 16 LPG Brandenburg; § 24 LPG Bremen; § 23 LPG Hamburg; § 13 LPG Hessen; § 22 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 24 LPG Niedersachsen; § 25 LPG Nordrhein-Westfalen; § 37 LPG Rheinland-Pfalz; § 66 LMG Saarland; § 14 LPG Sachsen; § 15 LPG SachsenAnhalt; § 17 LPG Schleswig-Holstein; § 14 LPG Thüringen. Vgl § 24 LPG Baden-Württemberg; § 22 LPG Berlin; § 16 LPG Brandenburg; § 12 LPG Bremen; § 23 LPG Hamburg; § 22 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 24 LPG Niedersachsen; § 25 LPG Nordrhein-Westfalen; § 37 LPG Rheinland-Pfalz (abweichend bei Ordnungswidrigkeiten: sechs Monate); § 66 LMG Saarland (teilweise
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abweichend bei Ordnungswidrigkeiten); § 15 LPG Sachsen-Anhalt; § 17 LPG Schleswig-Holstein; § 14 LPG Thüringen. Vgl § 14 LPG Bayern; § 13 LPG Hessen; § 14 LPG Sachsen (bei Ordnungswidrigkeiten: drei Monate). Vgl im Hinblick auf § 89 StGB BGHSt 27, 353, 354; BGH MDR 1978, 503. BGHSt 26, 40; dies ist jedoch umstritten; anders zB Löffler/Ricker Kap 49 Rn 40. Vgl hierzu BGH AfP 1985, 202; KG JR 1990, 124, 125. BGHSt 25, 347, 355; Löffler/Ricker Kap 49 Rn 38. Vgl hierzu die jeweiligen ausdrücklichen Regelungen in den Landespressegesetzen; ferner BGHSt 27, 18.
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Probleme im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts
grafischer Schriften), für verfallen zu erklären, sofern kein Dritter einen zivilrechtlichen Anspruch auf Herausgabe des Gegenstandes besitzt (§ 73 Abs 1 StGB). Dagegen können im Wege der Einziehung nach § 74 Abs 1 StGB Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht werden (oder dazu bestimmt gewesen sind) dem Täter entzogen werden. Eine wichtige Sonderregelung für die Einziehung und Unbrauchbarmachung von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 191 enthält § 74d StGB. Diese Vorschrift betrifft Schriften, die einen solchen Inhalt haben, dass jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts einen Straftatbestand verwirklichen würde (sog „Inhaltsdelikte“) 192 und stellt hierfür eine Spezialvorschrift zu den §§ 74 ff StGB dar.193 Für sonstige Delikte, die zwar im Zusammenhang mit (der Verbreitung von bzw in) Medien stehen, bei denen sich die Strafbarkeit jedoch nicht über den jeweiligen Inhalt begründet (zB Fehlen des erforderlichen Impressums,194 Verletzung von Urheberrechten), gelten hingegen die üblichen Einziehungsvorschriften, die für den Täter günstiger sind, weil sie weniger weit reichen.195 § 74d Abs 1 StGB erweitert den Bereich der Schriften, die infolge einer Straftat eingezogen werden können, über den Kreis der konkreten Tatobjekte (dh über diejenigen Schriften, die tatsächlich verbreitet wurden) hinaus auf sämtliche Schriften, die zur Verbreitung bestimmt waren (dh letztlich auf die gesamte zur Verbreitung bestimmte Auflage).196 Dabei ist die Einziehung obligatorisch („werden eingezogen“), während sie bei sonstigen Gegenständen fakultativ ist (§ 74 Abs 1 StGB: „können eingezogen werden“). Neben der Einziehung der Schriften ist obligatorisch („wird angeordnet“) auch die Unbrauchbarmachung der Herstellungsvorrichtungen anzuordnen (§ 74d Abs 1 S 2 StGB). Das Gesetz nennt hier als Beispiele Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative oder Matrizen). Von der Einziehung ausgenommen sind allerdings diejenigen Schriften, die bereits in den Umlauf gelangt sind (§ 74 Abs 2 StGB). Aus praktischen Gründen werden also nur diejenigen Schriften eingezogen, die sich noch im Besitz des Täters (oder einer von ihm beauftragten Person) befinden oder jedenfalls dem Empfänger noch nicht zugestellt wurden. Erweitert wird der Kreis der Schriften nach § 74 Abs 3 StGB auf solche, die erst bei Hinzutreten weiterer Tatumstände einen Straftatbestand erfüllen (zB Schriften, die nur dann strafrechtlich relevant werden, wenn ihre Verbreitung in einer bestimmten Absicht vorgenommen wird, wie bei § 219a StGB, oder die nur an bestimmten Orten nicht verbreitet werden dürfen, wie bei § 184 Abs 1 Nr 5 StGB). Allerdings gilt hierbei die Einschränkung, dass sich diese Schriften (sowie die Herstellungsgegenstände) im Besitz des Täters oder deren Beauftragten befinden müssen und die Maßnahmen erforderlich sind, um ein gesetzeswidriges Verbreiten durch diese Personen zu verhindern. Eine nicht unerhebliche Erweiterung findet sich schließlich in § 74d Abs 4 StGB, wonach es dem Verbreiten einer Schrift gleichsteht, wenn wenigstens ein Exemplar durch Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder in anderer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
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Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Zu den Inhaltsdelikten vgl BGHSt 19, 63; BGH NJW 1969, 1818; BGH NJW 1970, 818. Vgl Fischer § 74 d Rn 2; Löffler/Ricker Kap 49 Rn 28.
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Dieses Beispiel findet sich bei Fischer § 74d Rn 7; Löffler/Ricker Kap 49 Rn 28; vgl auch RGSt 66, 145, 146. Löffler/Ricker Kap 49 Rn 31. OLG Düsseldorf AfP 1992, 280 f; Löffler/ Ricker Kap 49 Rn 30.
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Nach § 74d Abs 5 iVm § 74b Abs 2 und Abs 3 StGB ist jedoch bei der Frage, ob die Einziehung anzuordnen ist, trotz deren an sich obligatorischem Charakter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sind mildere Maßnahmen möglich (zB das Schwärzen eines Hakenkreuzes auf einer Schallplattenhülle,197 Einziehung nur eines Teils der Schrift 198) müssen diese ergriffen werden. Obwohl in § 74d Abs 5 StGB nicht ausdrücklich erwähnt, ist auch der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 74b Abs 1 StGB hier anwendbar.199
§3 Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB I. Die Verletzung von Individualrechten durch Medien 1. Die Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff StGB)
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Berichte in der Tagespresse, in Funk und Fernsehen, aber auch in anderen Medien, sind vielfach Meldungen, in denen es um das Leben und das Verhalten anderer Personen geht. Hierbei können auch Behauptungen aufgestellt oder Inhalte vermittelt werden, die den Betroffenen in seiner Ehre beeinträchtigen oder von ihm jedenfalls als ehrenrührig empfunden werden. In diesem Zusammenhang sind die Beleidigungsdelikte in vielen Fällen ein taugliches Mittel, um den Betroffenen auch strafrechtlich vor allzu „überspannter“ Berichterstattung zu schützen. Dass hier ein besonderes Schutzbedürfnis besteht, zeigen auch die Qualifikationen im Rahmen der Tatbestände der §§ 186, 187 StGB sowie die Vorschrift des § 188 StGB, die eine Strafschärfung für den Fall vorsehen, dass die Tat durch Verbreitung von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB begangen wurde.200 Andererseits wird oft ein auch Bedürfnis seitens der Medien bestehen, die Öffentlichkeit insbesondere bei Personen des öffentlichen Lebens über Vorgänge zu informieren, die für den Betreffenden nicht unbedingt vorteilhaft sind. Hier schützt die Vorschrift über die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) die Verantwortlichen im Wege eines speziellen Rechtfertigungsgrundes vor zu weitgehender Strafverfolgung. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang aber auch die Grundrechte, allen voran Art 5 Abs 1 und Abs 3 S 1 GG zu nennen, die einer allzu weit gehenden Strafbarkeit Grenzen setzen können.
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a) Das System des strafrechtlichen Ehrenschutzes. Das StGB kennt mit der Beleidigung (§ 185 StGB), der Üblen Nachrede (§ 186 StGB) und der Verleumdung (§ 187 StGB) drei Tatbestände, die den Einzelnen vor ehrenrührigen Behauptungen in unterschiedlicher Intensität schützen. Daneben tritt mit der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) eine Spezialregelung für den Fall, dass sich die Beleidigung auf eine nicht mehr lebende Person bezieht. 98 Geschütztes Rechtsgut ist bei sämtlichen Beleidigungsdelikten die Ehre.201 Insofern ist es jeweils Voraussetzung, dass der Täter eine ehrenrührige Aussage macht. Die Ehren-
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BGHSt 23, 64, 79. Ausdrücklich geregelt in § 74b Abs 3. BGHSt 23, 267, 269 zu §§ 40b, 41 StGB aF; Löffler/Ricker Kap 49 Rn 36. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff.
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Vgl nur Fischer Vor § 185 Rn 1; Lackner/ Kühl Vor § 185 Rn 1; Schönke/Schröder/ Lenckner Vorbem §§ 185 ff Rn 1.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
rührigkeit ist daher bei sämtlichen Beleidigungsdelikten ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal, auf welches sich auch der Vorsatz beziehen muss. Dazu führt der BGH aus: „Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern würden. Nur durch eine solche ‚Nachrede‘ […] wird der aus der Ehre fließende verdiente Achtungsanspruch verletzt. Sie stellt die Kundgabe der Mißachtung, Geringschätzung oder Nichtbeachtung dar, die den Tatbestand verwirklicht“.202 Somit liegt eine Ehrenrührigkeit vor, wenn ein unbefangener Dritter unter Beachtung der objektiven Rahmenbedingungen aus einer Äußerung auf sittliche Defizite des Betroffenen schließen muss. Die Abgrenzung der einzelnen Vorschriften vollzieht sich auf der Grundlage von drei 99 Unterscheidungskriterien, wobei stets zu beachten ist, dass die Beleidigung nach § 185 StGB als Auffangtatbestand fungiert. Dies bedeutet: Greift trotz Vorliegens einer der speziellen Voraussetzungen der §§ 186, 187 StGB der entsprechende Tatbestand einmal nicht (etwa weil es an den besonderen subjektiven Voraussetzungen fehlt), kann stets subsidiär auf § 185 StGB zurück gegriffen werden. Die Abgrenzung selbst orientiert sich an folgenden Fragestellungen: (1) Liegt eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vor? Nur dann, wenn eine Tatsachenbehauptung vorliegt, ist der Anwendungsbereich der §§ 186, 187 StGB eröffnet. Handelt es sich hingegen um ein Werturteil, kann nur § 185 StGB zur Anwendung kommen. (2) Richtet sich die Äußerung allein an den Beleidigten oder (auch) an einen Dritten? Nur dann, wenn die Äußerung (auch) an einen Dritten gerichtet ist, können §§ 186, 187 StGB einschlägig sein (das Gesetz umschreibt dies mit der Wendung „Wer […] in Beziehung auf einen anderen […]“). Ist hingegen ausschließlich der Beleidigte Adressat der Äußerung, kann wiederum nur § 185 StGB einschlägig sein.203 (3) Ist die getroffene Aussage wahr, unwahr oder lässt sich der Wahrheitsgehalt nicht ermitteln (das Gesetz umschreibt dies in § 186 StGB mit der Wendung „nicht erweislich wahr“). Bei Unwahrheit greift § 187 StGB, bei Nichterweislichkeit § 186 StGB. Ist die Äußerung hingegen wahr (aber dennoch ehrenrührig), verbleibt es bei § 185 StGB. Dass eine Bestrafung auch bei der Behauptung oder Verbreitung wahrer Tatsachen denkbar ist, stellt § 192 StGB ausdrücklich fest (sog „Formalbeleidigung“). b) Der geschützte Personenkreis. Durch die Beleidigungsdelikte geschützt sind in erster 100 Linie natürliche, lebende Personen. Tote genießen zwar einen postmortalen Ehrschutz, dieser ist aber ausschließlich über § 189 StGB, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, geschützt.204 Umstritten ist, ob neben den natürlichen Personen auch Personenmehrheiten als solche 101 geschützt sind (ob Ihnen also eine „Kollektivehre“ zukommt). Dies wird deswegen vertreten, weil in § 194 Abs 3 S 2 und S 3 sowie Abs 4 StGB explizit die Antragsberechtigung geregelt ist, wenn sich die Tat „gegen eine Behörde“ etc. richtet. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass auch andere Personenmehrheiten unter bestimmten Voraussetzungen beleidigungsfähig sind.205 Dies kann insbesondere bei reißerischen Schlagzeilen
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BGHSt 36, 145, 148. Auf diese Unterscheidung muss im Folgenden nicht näher eingegangen werden, da sich die Äußerung im Rahmen einer Verbreitung durch ein Medium stets an Dritte richtet. Schönke/Schröder/Lenckner Vorbem § 185 Rn 2; zur Irrtumsproblematik, wenn der
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Täter meint, die beleidigte Person sei noch am Leben bzw sei bereits verstorben, vgl nur Rengier BT II § 28 Rn 8. So BGHSt 6, 186, 191; Schönke/Schröder/ Lenckner Vorbem § 185 Rn 3 f; aA LK/ Herdegen 10. Aufl Vor § 185 Rn 19; SK/ Rudolphi/Rogall Vor § 185 Rn 35 f, 38 ff.
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wie „alle deutschen Ärzte sind Kurpfuscher“,206 „Alle Soldaten sind Mörder!“ 207 oder „Die Polizisten gingen bei Ihrem Einsatz wie gewohnt recht brutal vor“ 208 einmal eine Rolle spielen. Der Streit hat aber praktisch kaum Relevanz, da sich hinter einer der Beleidigung eines Kollektivs zumeist auch ein Angriff auf die Ehre der dahinter stehenden Einzelpersonen verbirgt (Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung).209 Von einer Ehrkränkung kann in diesem Fall allerdings nur dann gesprochen werden, wenn der Personenkreis klar umgrenzt und überschaubar ist und auch ein Bezug auf bestimmte, individualisierte Personen erkennbar wird.210
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c) Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil. Unter einer Tatsachenbehauptung versteht man eine Äußerung, die in ihrem Gehalt einer objektiven Klärung offen steht und daher dem Beweis zugänglich ist.211 Dagegen ist ein Werturteil dadurch gekennzeichnet, dass es durch Elemente der subjektiven Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und letztlich auf einer persönlichen Überzeugung beruht.212 Die Abgrenzung ist durchweg problematisch und letztlich eine Frage des Einzelfalles. Denn hinter offen ausgesprochenen Wertungen oder Fragen können sich ebenso Tatsachenbehauptungen verbergen wie sich hinter einer nach außen wie eine Tatsachenbehauptung wirkenden Mitteilung letztlich ein Werturteil verbergen kann. Die Frage ist aber entscheidend, da eine Bestrafung nach §§ 186, 187 StGB nur dann erfolgen kann, wenn es sich bei der Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handelt.213 Bei Äußerungen in Medien, insbesondere wenn es sich um Stellungnahmen zu politi103 schen Fragen handelt, ist allerdings eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennbar, im Zweifelsfalle ein Werturteil anzunehmen. So wurde zB die im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik in einer Druckschrift aufgestellte Behauptung: „Bundeskanzler und Bundesregierung bereiten aus Profitgier einen Krieg vor und wollen die deutsche Jugend als Kanonenfutter mißbrauchen“ als Werturteil angesehen.214
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d) Die Beleidigung (§ 185 StGB). Die Beleidigung kommt im Bereich der Medien in erster Linie bei Werturteilen in Frage, die ehrenrührigen Charakter haben. Bei Tatsachenbehauptungen kann sie dann einschlägig sein, wenn die Tatsache zwar wahr ist, das Vorhandensein einer Beleidigung aber aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen unter welchen sie erfolgte, hervorgeht (sog „Formalbeleidigung“). Dies kann bei einer groß angelegten Veröffentlichung dann vorliegen, wenn alltägliche Vorkommnisse, die sich zwar tatsächlich ereignet haben, aber eine bekannte Persönlich-
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BGHSt 36, 83, 87. BVerfGE 93, 266; hierzu Gounalakis NJW 1996, 481; Otto NStZ 1996, 127; zur Beleidigungsfähigkeit der Bundeswehr als Institution vgl BGHSt 36, 83, 88. Hierzu BayObLG NJW 1990, 921, 922; BayObLG NJW 1990, 1742; OLG Frankfurt NJW 1977, 1353. Hierzu Geppert Jura 2005, 244, 245 ff; ferner SK/Rudolphi/Rogall Vor § 185 Rn 38 ff. Vgl hierzu im Einzelnen BGHSt 14, 48 (angenommen für die Aussage: Zwei Mitglieder der X-Fraktion unterstützten eine terroristische Vereinigung); BGHSt 19, 235 (angenommen für die Aussage: Ein bayerischer Minister habe zu den Kunden eines
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Call-Girl-Rings gehört); BGHSt 36, 83, 85 ff – angenommen für die Aussage: Alle Berufssoldaten seien (wie) Folterknechte und Henker; BayObLG NJW 1990, 1742 (abgelehnt für die sinngemäße Aussage: Bullen seien Schweine); vgl auch BGHSt 11, 207, 208; BGHSt 16, 49, 57; BGHSt 40, 97, 103 – Annahme einer beleidigungsfähigen Personenmehrheit für die Gruppe der Juden als vom Nationalsozialismus verfolgte Menschen, die jetzt in Deutschland leben. Rengier BT II § 29 Rn 3. OLG Köln NJW 1993, 1486, 1487. Vgl hierzu bereits oben Rn 99. BGHSt 6, 357.
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keit bloßstellen, publiziert werden, um den Betreffenden lächerlich zu machen und in seiner Ehre zu kränken. e) Die üble Nachrede (§ 186 StGB). § 186 StGB ist nur anwendbar bei Tatsachen- 105 behauptungen in Bezug auf einen anderen. Die Tatsache muss behauptet oder verbreitet werden.215 Während es bei der Behauptung erforderlich ist, dass der Behauptende die Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellt, ist es für die Verbreitung kennzeichnend, dass der Täter eine (ehrenrührige) Tatsache als Gegenstand fremden Wissens weitergibt, ohne sich die Tatsache zu eigen zu machen.216 Dies kann auch dann vorliegen, wenn der Betreffende sich von der Aussage distanziert, sie aber gleichwohl verbreitet,217 nicht jedoch, wenn er ihr ernsthaft entgegentritt.218 Insoweit erfüllen auch Berichte in den Medien, in denen zB über nicht erwiesene ehrverletzende Aussagen Dritter im Rahmen eines Gerichtsverfahrens berichtet wird, den Tatbestand. Hier wird jedoch zumeist § 193 StGB eingreifen.219 Entscheidend für das Verständnis des § 186 StGB ist das Merkmal der Nichterweis- 106 lichkeit der Tatsache. Ist die Tatsache wahr, kommt lediglich § 185 StGB in Frage, ist sie unwahr, kann, bei einem Handeln wider besseren Wissens, § 187 StGB in Frage kommen. Bleibt der behauptete oder verbreitete Sachverhalt jedoch unaufklärbar, kann also das Gericht trotz (notwendiger!) intensiver Bemühungen den Wahrheitsgehalt der Äußerung nicht feststellen, greift für diese „non-liquet-Situation“ § 186 StGB ein. Der Gesetzgeber hat diese Situation – dem Grundsatz „in dubio pro reo“ an sich widersprechend – in § 186 StGB vor dem Hintergrund normiert, dass wegen der potentiellen Breitenwirkung von nach außen kund gemachten Sachverhalten, Situationen und Begebenheiten (und dies gilt besonders für den Medienbereich) ehrenrührige Tatsachen über Dritte nicht vorschnell und ungeprüft behauptet oder verbreitet werden sollen und dürfen. Dies soll gewährleisten, dass vor der Publikation oder Sendung einer Nachricht deren Wahrheitsgehalt ausreichend recherchiert wird. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass sich der Vorsatz nicht auf die Nichterweis- 107 lichkeit der Tatsache beziehen muss. Der Täter kann sich also nicht damit „herausreden“, er hätte an den Wahrheitsgehalt seiner Äußerung geglaubt. Die Nichterweislichkeit ist insoweit kein objektives Tatbestandsmerkmal, sondern eine objektive Bedingung der Strafbarkeit auf die sich weder der Vorsatz noch der Fahrlässigkeitsvorwurf zu erstrecken brauchen. f) Die Verleumdung (§ 187 StGB). § 187 StGB ist nur anwendbar bei Tatsachen- 108 behauptungen in Bezug auf einen anderen. Die Tatsache muss behauptet oder verbreitet werden.220 Im Gegensatz zu § 186 StGB muss die Tatsache im Rahmen des § 187 StGB allerdings unwahr sein. Hinzu kommt, dass im subjektiven Bereich der Täter nicht nur Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit der Tatsache besitzen, sondern darüber hinaus auch noch wider besseren Wissens gehandelt haben muss. Dies setzt voraus, dass er die Unwahrheit der Tatsache positiv kennt (bedingter Vorsatz reicht also nicht).221 215 216 217 218
Vgl zum Tatbestandsmerkmal der Verbreitung noch unten Rn 156 ff. Rengier BT II § 29 Rn 7. RGSt 22, 221, 223; RGSt 38, 368, 368 f; BGHSt 18, 182, 183. Für einen Tatbestandsausschluss in diesen Fällen NK/Zaczyk § 186 Rn 10; SK/Rudolphi/Rogall § 186 Rn 15; für die Annahme einer Rechtfertigung durch (mutmaßliche)
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Einwilligung Schönke/Schröder/Lenckner § 186 Rn 8. Vgl aber BGHSt 18, 182, 184 f; zu § 193 StGB vgl noch näher unter Rn 113 ff. Vgl zum Tatbestandsmerkmal der Verbreitung noch unten Rn 156 ff. Vgl zu den verschiedenen Vorsatzformen B Heinrich AT I Rn 275 ff.
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g) Qualifikationen. Sowohl die Üble Nachrede (§ 186 StGB) also auch die Verleumdung (§ 187 StGB) enthalten im letzten Halbsatz eine Qualifikation, wenn die Tat öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften (§ 11 Abs 3 StGB) 222 begangen wurde. In diesem Fall erhöht sich der jeweilige Strafrahmen: für die Üble Nachrede auf zwei Jahre, für die Verleumdung auf bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Eine spezielle Qualifikation enthält auch § 188 StGB, sofern sich die Üble Nachrede 110 (Abs 1) oder die Verleumdung (Abs 2) gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person richtet und die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder – medienrechtlich relevant – durch die Verbreitung von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 223 geschieht. Voraussetzung ist allerdings, dass die Tat aus Beweggründen begangen wird, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen und die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken der Person erheblich zu erschweren. Dem Täter droht bei einer Üblen Nachrede eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren unter Wegfall der Möglichkeit, nur auf eine Geldstrafe zu erkennen (es gilt jedoch ergänzend § 47 Abs 2 StGB), bei einer Verleumdung sogar eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Schließlich findet sich – an etwas versteckter Stelle – noch die Qualifikation des § 103 111 StGB, die sich auf die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten bezieht. Geschützt sind (1) ausländische Staatsoberhäupter, (2) ausländische Regierungsmitglieder, welche sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhalten, und (3) Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, wenn sie im Inland beglaubigt sind. Auch hier droht dem Täter eine Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren (im Falle der verleumderischen Beleidigung sogar eine solche von drei Monaten bis zu fünf Jahren unter Wegfall der Möglichkeit, nur auf eine Geldstrafe zu erkennen; es gilt jedoch auch hier ergänzend § 47 Abs 2 StGB).
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h) Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB). Richtet sich die Tat gegen eine verstorbene Person, ist ausschließlich § 189 StGB anwendbar. Tatbestandlich handelt hier, wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft.
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i) Die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB). Für den Bereich des Medienrechts in besonderer Weise einschlägig ist die Vorschrift des § 193 StGB: „[…] Äußerungen, welche […] zur Wahrnehmung berichtigter Interessen gemacht werden, […] sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht“. Nach hM handelt es sich hierbei um einen – sprachlich allerdings missglückten – speziellen Rechtfertigungsgrund, der ausschließlich auf die Beleidigungsdelikte zugeschnitten ist.224 In der Praxis kann er allerdings nur Fälle nach §§ 185, 186 StGB rechtfertigen, weil Verleumdungen (§ 187 StGB) und Verunglimpfungen (§ 189 StGB) niemals von einem „berechtigten Interesse“ gedeckt sein können.225 Der Rechtfertigungsgrund beruht letztlich auf dem Prinzip einer umfassenden Güter114 und Interessenabwägung, wobei zuerst festzustellen ist, ob überhaupt ein „berechtigtes Interesse“ des Äußernden vorliegt. Danach ist eine Abwägung mit dem beeinträchtigten Interesse des Verletzten, nämlichen dessen Ehre und dessen Achtungsanspruch, vorzunehmen. 222 223
Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff.
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OLG Stuttgart NStZ 1987, 121, 122; Rengier BT II § 29 Rn 36. Löffler/Ricker Kap 53 Rn 32.
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Ein berechtigtes Interesse kann nur dann vorliegen, wenn die Äußerung weder gegen ein Gesetz noch gegen die guten Sitten verstößt.226 Auch ein Handeln, welches ausschließlich dazu dient, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern, kann eine Ehrverletzung nicht rechtfertigen.227 Äußerungen vor Gericht können als berechtigtes Interesse anerkannt werden. Im „Kampf um das Recht“ darf demnach ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition geltend zu machen.228 Ferner wird ein berechtigtes Interesse insbesondere im Bereich von Presseveröffentlichungen regelmäßig anerkannt.229 Wer zB in einem Leserbrief seiner Kritik an bestimmten Zuständen in scharfer Form Ausdruck verleiht, kann sich auf ein berechtigtes Interesse berufen.230 Allerdings ist nicht jede Berichterstattung, die über ein Medium wie Presse, Funk, Fernsehen oder das Internet erfolgt schon allein deswegen von einem berechtigten Interesse des Handelnden erfasst. Äußerungen aus reiner Sensationsgier oder „Skandallust“ 231 stehen einem berechtigten Interesse ebenso entgegen, wie beleidigende Äußerungen, für die allein aus Gründen der größeren Verbreitung eines der genannten Medien gewählt wurde. Im Rahmen der Interessenabwägung gelten die allgemeinen Abwägungskriterien.232 Die Äußerung muss geeignet und erforderlich sein, den zuvor festgestellten berechtigten Interessen zu dienen und sie muss zudem ein angemessenes Mittel zur Interessenverfolgung darstellen.233 Die Erforderlichkeit, verstanden als „Grundsatz des mildesten Mittels“ scheidet zB dann aus, wenn die Form der Darstellung in einem für einen unbestimmten Personenkreis zugänglichen Medium gewählt wurde, obwohl die Interessen auch in kleinerem Kreise hätten wirksam verfolgt werden können (Unzulässigkeit der „Flucht in die Öffentlichkeit“), oder wenn eine konkrete Namensnennung zur Verfolgung der Interessen nicht notwendig war. Zentral – und insoweit auch am problematischsten – ist die Prüfung der Angemessenheit, die letztlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert: Es muss in jedem Einzelfall überprüft werden, ob auf der Grundlage der konkreten Umstände die Interessen des Handelnden (also des Beleidigenden) mit denen des Verletzten mindestens gleichwertig sind.234 In diesem Zusammenhang sind aber insbesondere im Medienrecht die verfassungsrechtlichen Ausstrahlungen der Meinungs- und Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 GG) 235
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Löffler/Ricker Kap 53 Rn 36; Schönke/ Schröder/Lenckner § 193 Rn 9. RGSt 38, 251. BVerfGE 76, 171, 192; BVerfG NJW 2000, 199, 200; BVerfG NJW 2007, 2839, 2840. BVerfGE 12, 113; BGHSt 12, 287, 293 f; BGHZ 45, 296, 306 ff; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1336; Löffler/Ricker Kap 53 Rn 29. BVerfG NJW 1992, 2815 zur Bezeichnung von Abschiebemaßnahmen als „GestapoMethoden“. BGHSt 18, 182, 187; hierzu Löffler/Ricker Kap 52 Rn 36; Rengier BT II § 29 Rn 40. Vgl hierzu OLG Frankfurt NJW 1989, 1367, 1368 f; Geppert Jura 1985, 25, 29 f; Lackner/Kühl § 193 Rn 10 ff mit weiteren Beispielen.
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Löffler/Ricker Kap 53 Rn 38. BVerfGE 7, 198 – Lüth; BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; BVerfG NJW 1999, 2262, 2263; BGHSt 18, 182, 184 f; OLG Frankfurt NJW 1989, 1367, 1368; OLG Frankfurt NJW 1991, 2032, 2034 ff; Lackner/Kühl § 193 Rn 10; Rengier BT II § 29 Rn 43; andere fordern hingegen, dass die Interessen des Handelnden „überwiegen“ müssen; so Schönke/Schröder/Lenckner § 193 Rn 12. Nach BGH NJW 1965, 1476, 1477 bildet § 193 StGB (der im Urteil allerdings nicht ausdrücklich genannt wird) zusammen mit Art 5 GG die „Magna Charta der Presse“, denn er gilt als praktische Ausprägung des Grundrechts der Meinungs- und Pressefreiheit auf dem Gebiet des Beleidigungsrechts; so auch Löffler/Ricker Kap 53 Rn 29.
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und der Kunstfreiheit (Art 5 Abs 3 S 1 GG) zu berücksichtigen,236 denen insbesondere das BVerfG tendenziell – und im Einzelfall oftmals zu Lasten des Ehrenschutzes – einen hohen Rang einräumt.237 Bei der Beurteilung ist auch die Form der Äußerung zu berücksichtigen. Daher sind Schmähkritik, reine Polemik und bloße Diffamierungen nicht zulässig.238 Allerdings gilt insbesondere im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen ein etwas abgeschwächter Maßstab. Hier können auch überzogene Kritik und polemische Überzeichnungen zulässig sein.239 Entscheidend ist aber insbesondere für Presseveröffentlichungen, dass den Betreffen119 den vor der Verbreitung eine Informationspflicht trifft, da von den Veröffentlichungen in modernen Massenmedien eine „unberechenbare und tiefgreifende Wirkung“ ausgeht.240 Insoweit trifft die Presse eine erhöhte Verantwortung. Die von ihr zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind höher als diejenigen im Bereich privater Veröffentlichungen.241 Wer ehrenrührige Mitteilungen veröffentlicht muss folglich zuvor (!) prüfen, ob diese Mitteilungen der Wahrheit entsprechen. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass insbesondere die Presse oft unter Zeitdruck arbeitet und eine detaillierte Prüfung aller eingehenden Meldungen nicht immer möglich sein wird.242 Dieser Umstand ist regelmäßig in die Interessenabwägung mit einzustellen, sodass vielfach eine wenigstens leichtfertige oder sogar wissentliche Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder haltloser Vermutungen gefordert werden muss, um den § 193 StGB auszuschließen.243 Man wird in diesem Zusammenhang freilich auch den Umfang der Ehrverletzung und die Bedeutung der Information für die Allgemeinheit in die Abwägung mit einstellen müssen. 2. Der Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§§ 201 ff StGB)
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Die allgemeine Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 GG) 244 umfasst nicht nur die Verbreitung von Informationen, sondern über das Recht auf Informationsfreiheit der Presse auch das Recht, sich Informationen zu verschaffen, die mitunter nicht allgemein zugänglich sind. Insoweit kann es jedoch im Zuge der Informationsbeschaffung zu Eingriffen in den persönlichen Lebens- und Geheimbereich kommen, der als Ausfluss des Rechts des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG) auch strafrechtlich gem §§ 201 ff StGB geschützt ist. Daher ist auch hier eine Abwägung der jeweils betroffenen Rechtsgüter geboten.245
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Hierzu BVerfGE 93, 266, 292 ff; BVerfG NJW 1992, 2815, 2816; BayObLG NStZRR 2002, 40, 41 ff; BayObLG NStZ 2005, 215, 216; BayObLG NJW 2005, 1291, 1292 ff; KG StV 1997, 485, 486; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1336; OLG Düsseldorf NJW 1998, 3214, 3215; Otto Jura 1997, 139. Dies ist vielfach auf Kritik gestoßen; vgl nur Buscher NVwZ 1997, 1057; Ehmann JuS 1997, 193, 198; Isensee AfP 1993, 619, 628; Scholz AfP 1996, 323; Stürner AfP 1998, 1, 6 f. BVerfGE 82, 272, 281; BVerfGE 93, 266, 294; BVerfG NJW 2003, 3760; BGHSt 36, 83, 85. Vgl zu politischen Auseinandersetzungen BVerfGE 66, 116, 150 f; BVerfG NJW 1984, 1741, 1746; BGHSt 36, 83, 85; BayObLG
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NStZ 1983, 265, 265 f; OLG Frankfurt JR 1996, 250. BGHZ 3, 270, 285; zu dieser Informationspflicht vgl Rengier BT II § 29 Rn 45 f. BVerfG NJW 2003, 1855, 1856; vgl auch BVerfGE 12, 113, 130; BGHZ 31, 308, 312 f. Vgl hierzu Löffler/Ricker Kap 53 Rn 31; gegen eine Überspannung der Sorgfaltspflichten auch BVerfG NJW 1980, 2072, 2073; BGH NJW 1998, 3047, 3049. BGHSt 14, 48, 51; BGH NJW 1998, 3047, 3049; KG JR 1988, 522, 523; OLG Celle NJW 1988, 353, 354; HansOLG Hamburg MDR 1980, 953; OLG Hamm NJW 1987, 1034, 1035. Vgl hierzu oben Rn 23 ff. BVerfG NJW 1973, 891.
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a) Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB). Durch § 201 StGB 121 wird die unbefugte Verletzung der Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes unter Strafe gestellt. Hierdurch soll in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über die Reichweite seiner Äußerung und insoweit die unbefangene zwischenmenschliche Kommunikation geschützt werden.246 Hieraus ergibt sich, dass das gesprochene Wort umfassend geschützt wird. Gleichgültig ist also, ob es sich um private, berufliche oder dienstliche Äußerungen handelt.247 Auch Selbstgespräche oder Telefongespräche 248 sind erfasst. Entscheidend ist jedoch, dass es sich dabei gerade um nichtöffentlich gesprochene Worte handelt. Da sich Äußerungen – mit Ausnahme von Selbstgesprächen – stets an andere Personen richten, ist die Abgrenzung mitunter problematisch. Entscheidend ist einerseits der Wille des sich Äußernden, die Äußerung nur einem begrenzten Adressatenkreis zugänglich machen zu wollen, der regelmäßig dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich um einen kleineren, durch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis handelt.249 Andererseits kann aber der Wille des sich Äußernden nicht allein entscheidend sein. Daher scheiden solche Äußerungen aus, die von ihrer Art her von Dritten problemlos wahrgenommen werden können, selbst wenn dies nicht dem Interesse des sich Äußernden entspricht.250 So erfüllt zB derjenige, der unbefugt eine Rede im Rahmen einer öffentlichen Versammlung mitschneidet,251 den Tatbestand ebenso wenig wie derjenige, dessen Wutausbruch in einer gut besuchten Gaststätte mitgeschnitten wird.252 Nach § 201 Abs 1 Nr 1 StGB macht sich strafbar, wer unbefugt das nichtöffentlich 122 gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Eine Einwilligung des Sprechenden lässt bereits den Tatbestand ausscheiden („unbefugt“). Fraglich ist aber, ob der Tatbestand auch dann ausgeschlossen ist, wenn der sich Äußernde zwar nicht in die Aufnahme einwilligt, aber Kenntnis von derselben hat. Eine Tatbestandserfüllung wird hier mitunter mit dem Argument abgelehnt, dass sich der Äußernde bei entsprechender Kenntnis in seiner Wortwahl darauf einstellen könne, dass die Äußerung mitgeschnitten wird.253 Dies ist mit der hM abzulehnen. Unbefugt – und damit tatbestandsmäßig – handelt auch derjenige, der mit Wissen des Sprechenden aber entgegen dessen ausdrücklichen Willen eine Aufnahme fertigt.254 Strafbar ist ferner derjenige, der eine nach § 201 Abs 1 Nr 1 StGB hergestellte Auf- 123 nahme unbefugt gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht (§ 201 Abs 1 Nr 2 StGB). Unter einem Gebrauchmachen ist hier insbesondere das Abspielen – gleichgültig,
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Fischer § 201 Rn 2; Schönke/Schröder/ Lenckner § 201 Rn 2; vgl ferner BVerfGE 34, 238, 245; BGHSt 14, 358, 359 f; BGHSt 31, 296, 299. OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513, 1514. So jedenfalls die hM; vgl OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513, 1514; Fischer § 201 Rn 3; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 6; aA Kohlhaas NJW 1972, 238, 239. OLG Nürnberg NJW 1995, 974, 974 f. Vgl BGHSt 31, 304, 306. Vgl Kramer NJW 1990, 1760, 1761; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 7; anders jedoch, wenn es sich gerade um eine nichtöffentliche Versammlung handelt, bei der durch effektive Zugangskontrollen sicher gestellt
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wurde, dass nur geladene Gäste den Raum betreten und die Rede mithören können; vgl OLG Brandenburg NJW-RR 2007, 1641 (1642) – Hassprediger; OLG Nürnberg NJW 1995, 974. OLG Celle MDR 1977, 596, 597; LK/Schünemann 11. Aufl § 201 Rn 7; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 7; vgl auch Arzt JR 1977, 339 (krit zu OLG Celle MDR 1977, 596). AG Hamburg NJW 1984, 2111; vgl auch Schönke/Schröder/Lenckner § 201 Rn 13. OLG Thüringen NStZ 1995, 502, 503; Fischer § 201 Rn 10; Lackner/Kühl § 201 Rn 11; LK/Schünemann 11. Aufl § 201 Rn 33; SK/Hoyer § 201 Rn 14 f.
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ob vor sich selbst oder vor einem Dritten – zu verstehen, während das Herstellen von Vervielfältigungsstücken unter § 201 Abs 1 Nr 1 StGB fällt.255 In § 201 Abs 2 S 1 Nr 1 StGB ist darüber hinaus das unbefugte Abhören eines nicht 124 zu seiner Kenntnis bestimmten nichtöffentlich gesprochenen Wortes eines anderen mittels eines Abhörgerätes unter Strafe gestellt. Ein Abhörgerät im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn es sich um eine verbotene technische Einrichtung handelt, die das gesprochene Wort über dessen normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar macht, wie zB Richtmikrophone, Minispione oder Stethoskope zum Abhören von Wänden.256 Wird ein Text abgehört, der an sich für den Abhörenden bestimmt ist, diesem aber erst später mitgeteilt werden soll, so ist der Tatbestand ebenfalls erfüllt, da es Sache des sich Äußernden ist, wann und wie er die Äußerung dem Adressaten mitteilt.257 Für Medienunternehmen besonders relevant ist schließlich der Straftatbestand des 125 § 201 Abs 2 S 1 Nr 2 StGB: Bestraft wird hiernach derjenige, der entweder das nach § 201 Abs 1 Nr 1 StGB unbefugt aufgenommene oder das nach § 201 Abs 2 S 1 Nr 1 StGB unbefugt abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt.258 Die Tat ist hier jedoch nur strafbar, „[…] wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen“ (§ 201 Abs 2 S 2 StGB). Durch diese „Bagatellklausel“ sollen offensichtlich belanglose Äußerungen aus der Strafbarkeit ausgenommen werden.259 Andererseits kommt es auf die Art des Interesses des sich Äußernden nicht an, es sind also sowohl private als auch ideelle Interessen erfasst. Schließlich enthält § 201 Abs 2 S 3 StGB noch eine weitere Einschränkung im Wege eines aus Art 5 Abs 1 GG abgeleiteten Rechtfertigungsgrundes. Die Tat ist dann nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.260 Diese Klausel soll insbesondere klar stellen, dass Mitteilungen über bevorstehende oder bereits stattgefundene schwerwiegende Straftaten oder sonstige rechtswidrige Verhaltensweisen im Interesse der Allgemeinheit zulässig sind.
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b) Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB). Nach einer längeren kriminalpolitischen Diskussion wurde die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen im Jahre 2004 durch § 201a StGB nun auch ausdrücklich strafrechtlich sanktioniert.261 Seitdem genießt das 255 256
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Vgl zum Tatbestandsmerkmal des „Zugänglichmachens“ unten Rn 158 ff. BGHSt 39, 335, 343: hier wird eine Strafbarkeit bei der Benutzung von „[…] übliche(n) und von der Post zugelassene(n) Mithöreinrichtungen […]“ abgelehnt; BGH NJW 1982, 1397, 1398; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 12; vgl andererseits Schönke/ Schröder/Lenckner § 201 Rn 19, der entgegen der hM auch die von der Post (offiziell) angeboten Zusatzdienste, welche das Mithören von Telefongesprächen ermöglichen, von der Strafnorm erfasst sieht. LK/Schünemann 11. Aufl § 201 Rn 19 f; differenzierend hinsichtlich des „Wie“ der Kenntnisnahme Schönke/Schröder/Lenckner § 201 Rn 21.
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Vgl zu diesem Tatbestandsmerkmal unten Rn 176. Vgl BT-Drucks 11/7414, 4. Vgl zur Motivation des Gesetzgebers zur Schaffung dieses Rechtfertigungsgrundes BT-Drucks 11/7414, 4 f. Eingefügt durch Gesetz vom 30.7.2004, BGBl 2004 I S 2012; Materialien: BT-Drucks 15/2466; frühere Entwürfe: BT-Drucks 15/361; BT-Drucks 15/533; BT-Drucks 15/1891; vgl zu diesem neuen Tatbestand Borgmann NJW 2004, 2133; Bosch JZ 2005, 377; Eisele JR 2005, 6; Ernst NJW 2004, 1277, 1278; Flechsig ZUM 2004, 605; Hesse ZUM 2005, 432; Kargl ZStW 117 (2005), 324, 329 ff; Kühl AfP 2004, 190; Obert/Gottschalck ZUM
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
Recht am eigenen Bild einen vergleichbaren Schutz wie das Recht am nichtöffentlich gesprochenen Wort (vgl hierzu § 201 StGB). Dies ist zu begrüßen, auch wenn allein durch die Existenz dieser Vorschrift eine Einschränkung der fotografischen Berichterstattung und damit der Presse verbunden sein wird.262 Allerdings ist die Strafe (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) im Vergleich zur Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) geringer. Neben § 201a StGB ist stets noch an eine Strafbarkeit nach § 33 KUG zu denken,263 welcher über einen identischen Strafrahmen verfügt. Während § 33 KUG die Verbreitung von Bildnissen unter Strafe stellt, sanktioniert § 201a StGB bereits die (unbefugte) Herstellung bzw. Übertragung derselben. Strafbar ist nach § 201a Abs 1 StGB das unbefugte Herstellen oder Übertragen von 127 Bildaufnahmen anderer Personen, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden. Einschränkend wird jedoch gefordert, dass die Aufnahmen den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ der betreffenden Person verletzen. Was hierunter fällt ist streitig.264 Oft wird auf den in der zivilrechtlichen Rechtsprechung ausgeformten Begriff der „Intimsphäre“ verwiesen, der jedenfalls die Bereiche Sexualität, Krankheit und Tod aber auch bestimmte Bereiche des „normalen“ Familienlebens umfasst.265 Nicht erfasst ist hingegen die bloße Sozialsphäre, also das Berufs- und Erwerbsleben.266 Bei den Personen selbst muss es sich um lebende Personen handeln, sodass Aufnahmen nach dem Tod der betreffenden Person nicht erfasst sind. Geschützt werden die Personen nur, wenn sie sich in den genannten Räumlichkeiten aufhalten, die dem Einzelnen gleichsam als „letzter Rückzugsbereich“ 267 verbleiben müssen.268 Während sich der Begriff der „Wohnung“ noch einigermaßen konkret bestimmen lässt (nicht erfasst sind Büro- und Geschäftsräume, die zumindest einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglich sind, ansonsten ist auf die Auslegung des Begriffs in § 123 StGB zurück zu greifen 269), ist der Bereich des „gegen Einblick besonders geschützten Raumes“ problematischer.270 Hierunter fallen in erster Linie Gärten, sofern sie von sichtundurchlässigen hohen Hecken umgeben sind. Der Sichtschutz muss gerade dazu dienen, einen höchstpersönlichen Lebensbereich abzugrenzen, sodass ein Büro oder das Wartezimmer einer Arztpraxis nicht dadurch zu geschützten Räumlichkeiten werden, dass man die Jalousien herunter lässt.271 Erfasst sind dagegen die Behandlungszimmer von Arztpraxen, Umkleidekabinen in Kaufhäusern und Badeanstalten oder Beichtstühle. Unter den Begriff des Herstellens fallen sämtliche Vorgänge, mit denen ein Bild (in analoger oder digitaler Form) auf einem
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2005, 436; Pollähne KritV 2003, 387, 405 ff – noch zum Zeitpunkt des Entwurfs der Norm; Wendt AfP 2004, 181; ferner ausf Kächele Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), 2006. Krit daher Löffler/Ricker Kap 54 Rn 24c; Obert/Gottschalck ZUM 2005, 436; zur Bedeutung des § 201a StGB für die Presse vgl auch Flechsig ZUM 2004, 605, 608, sowie den Bericht von Heymann AfP 2004, 240. Vgl zu § 33 KUG unten Rn 314. Krit zu diesem Begriff insbesondere Borgmann NJW 2004, 2133, 2134 f; Bosch JZ 2005, 377, 379 f; Kargl ZStW 117 (2005),
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324, 336 f; Lackner/Kühl § 201a Rn 1; Obert/Gottschalck ZUM 2005, 436, 438 f; vgl ferner Kühl AfP 2004, 190, 194. Vgl BR-Drucks 164/1/03, 7; BT-Drucks 15/2466, 4 f; hierzu auch Hesse ZUM 2005, 432, 434. Hesse ZUM 2005, 432, 434. BT-Drucks 15/2466, 5. Krit zu dieser Einschränkung Fischer § 201a Rn 2; vgl ferner Kargl ZStW 117 (2005), 324, 349. Für eine engere Auslegung allerdings Fischer § 201a Rn 7. Vgl hierzu insbesondere Obert/Gottschalck ZUM 2005, 436, 437. Fischer § 201a Rn 9.
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Bild- oder Datenträger abgespeichert wird.272 Allerdings muss es sich dabei um eine Erstaufzeichnung handeln, sodass die Fertigung von Vervielfältigungsstücken einer bereits vorliegenden Aufnahme nicht unter Abs 1, sondern unter Abs 2 („gebrauchen“) fällt.273 Das Merkmal des Übertragens wurde daneben aufgenommen, um auch die Herstellung einer Echtzeitübertragung („Live-Sendung“) zu erfassen, die nicht abgespeichert wird und insoweit kein „Herstellen“ darstellt. In beiden Tatvarianten sind insoweit technische Hilfsmittel erforderlich. Nicht erfasst ist das bloße Beobachten anderer Personen (das sog „Spannen“), welches aber vom ebenfalls neuen „Stalking“-Tatbestand (§ 238 StGB) erfasst sein kann. Schließlich muss die Bildaufnahme „unbefugt“ hergestellt worden sein. Dieses Merkmal, welches nicht den Tatbestand ausschließt, sondern auf Rechtswidrigkeitsebene angesiedelt ist,274 ist insbesondere bei einer Einwilligung der betroffenen Person nicht erfüllt. Darüber hinaus ist aber auch hier das Grundrecht der Informationsfreiheit der Medien und der Presse zu berücksichtigen, sodass im Einzelfall stets eine Interessenabwägung zu erfolgen hat.275 Dagegen ist § 193 StGB hier weder unmittelbar noch analog als Rechtfertigungsgrund anwendbar.276 Nach § 201a Abs 2 StGB wird die Strafbarkeit auf denjenigen ausgedehnt, der nach 128 Abs 1 unbefugt hergestellte oder übertragene Bildaufnahmen gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.277 Unter das Gebrauchen fällt jede Nutzung der Aufnahme zu privaten oder kommerziellen Zwecken. Umfasst sind daher bereits das Speichern, Archivieren und Kopien der entsprechenden Bilder oder Bilddateien.278 Insoweit können sich auch Redakteure und sonstige Medienschaffende bei der Veröffentlichung dieser Bildaufnahmen strafbar machen, wenn sie mit der Möglichkeit einer unbefugten Aufnahme rechnen und dies billigend in Kauf nehmen (bedingter Vorsatz genügt im Rahmen des § 201a Abs 2 StGB). Eine Erweiterung der Strafbarkeit auf ursprünglich befugt hergestellte Bildaufnahmen 129 macht § 201a Abs 3 StGB. Hiernach ist auch strafbar, wer eine Bildaufnahme einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, und die ursprünglich befugt – dh regelmäßig mit Einwilligung der betreffenden Person – hergestellt wurde, nunmehr unbefugt einem Dritten zugänglich macht.279 Bestraft wird hier also der „nachträgliche Vertrauensbruch“.280 Wiederum ist es hierbei allerdings erforderlich, dass die Aufnahme den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ des Opfers verletzt. Subjektiv muss noch hinzukommen, dass der Täter hinsichtlich seiner mangelnden Befugnis wissentlich handelt. Insoweit ist die „Unbefugtheit“ in Abs 3 ein Tatbestandsmerkmal.281
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c) Die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB). § 202 StGB stellt die Verletzung des Briefgeheimnisses sowie die unbefugte Einsichtnahme in sonstige geheim gehaltene Schriftstücke (Abs 2) sowie Abbildungen (Abs 3) unter Strafe. Medienstraf-
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BR-Drucks 164/1/03, 7. Fischer § 201a Rn 12. BT-Drucks 15/2466, 5 („Die Befugnis wird sich in den überwiegenden Fällen aus dem Einverständnis der abgebildeten Person ergeben.“); Eisele JR 2005, 6, 10; Fischer § 201a Rn 16; Kühl AfP 2004, 190, 196; Lackner/Kühl § 201a Rn 9. Löffler/Ricker Kap 43 Rn 24c; gegen die Heranziehung des Art 5 Abs 1 S 2 GG als allgemeinen Rechtfertigungsgrund Fischer § 201a Rn 27.
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Fischer § 201a Rn 16; SK/Hoyer § 201a Rn 24. Vgl ferner zum Tatbestandsmerkmal des „Zugänglichmachens“ unten Rn 158 ff. BT-Drucks 15/2466, 5; Fischer § 201a Rn 18. Vgl ferner zum Tatbestandsmerkmal des „Zugänglichmachens“ unten Rn 158 ff. Vgl Fischer § 201a Rn 22. Fischer § 201a Rn 24; Obert/Gottschalck ZUM 2005, 436, 439.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
rechtlich ist dieser Tatbestand insbesondere dann interessant, wenn Journalisten im Rahmen ihrer Recherchetätigkeit auf verschlossene Schriftstücke stoßen. Dabei stellt § 202 StGB allerdings lediglich das unbefugte Öffnen bzw die Kenntnisnahme des Inhalts unter Strafe. Vom Schutzbereich nicht erfasst ist hingegen die Veröffentlichung des entsprechenden Materials. Nach § 202 Abs 1 StGB ist es untersagt, einen verschlossenen Brief (oder ein anderes 131 verschlossenes Schriftstück), welches nicht zur eigenen Kenntnis bestimmt ist, zu öffnen (Nr 1). Nicht erforderlich ist, dass sich der Täter auch Kenntnis vom Inhalt des Schriftstückes verschafft. Ferner ist es untersagt, sich vom Inhalt eines Schriftstücks ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis zu verschaffen (Nr 2). Hier ist es also – im Gegensatz zu Nr 1 – erforderlich, dass der Täter wenigstens einen Teil des Schriftstückes gelesen hat. Dabei muss es sich beim Inhalt des entsprechenden Schriftstückes nicht um ein Geheimnis handeln. § 202 Abs 2 StGB bezieht (nicht verschlossene) Schriftstücke in den Schutzbereich 132 ein, die durch ein (anderes) verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sind. Strafbar macht sich hier derjenige, der sich Kenntnis vom Inhalt eines solchen Schriftstückes verschafft, nachdem er das entsprechende Behältnis geöffnet hat. Geschützt sind hierdurch also etwa Tagebücher und Abrechnungen, die in verschlossenen Aktentaschen oder Schubladen aufbewahrt werden. Da ein „Behältnis“ nur dann vorliegt, wenn es nicht von Menschen betreten werden kann, scheiden verschlossene Autos oder Räumlichkeiten aus. Durch § 202 Abs 3 StGB werden schließlich Abbildungen (also etwa Fotos) den 133 Schriftstücken der Abs 1 und 2 gleichgestellt. d) Das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB). Während § 202 StGB die (verschlosse- 134 nen) Schriftstücke betrifft, befasst sich § 202a StGB mit Daten, die „elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden“ (vgl die Legaldefinition in § 202a Abs 2 StGB). Strafbar macht sich dabei derjenige, der sich (oder einem Dritten) unbefugt Daten verschafft, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind. Ein solches „Ausspähen von Daten“, zB durch das Eindringen in fremde Computersysteme, kann insbesondere wiederum im Zusammenhang mit der Recherchetätigkeit von Journalisten relevant werden. So unterfällt es zB bereits dem Tatbestand, wenn man sich Zugang zu Web-Seiten im 135 Internet verschafft, die durch ein Passwort besonders gesichert sind. Dies kann allein durch bloßes Ausprobieren mehrerer möglicher Kombinationen geschehen. Hatte der Gesetzgeber lange Zeit bewusst davon abgesehen, das sog „Hacking“, dh das bloße Eindringen in fremde Computersysteme, unter Strafe zu stellen,282 sodass jedenfalls die Überwindung des ersten Passwortes beim Zugang zu einer EDV-Anlage nicht strafbar war,283 hat sich dies durch die Änderung des § 202a StGB durch das 41. StrÄndG 2007 284 inzwischen geändert. Bereits bisher von § 202a StGB erfasst war jedoch der Zugriff auf die konkreten Daten nach Überwindung des entsprechenden Passworts.285
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BT-Drucks 10/5058, 28 f; vgl hierzu Dannecker BB 1996, 1285, 1289; Schnabel wistra 2004, 211, 213; Tiedemann JZ 1986, 865, 870 f. Binder RDV 1995, 57, 60; Hilgendorf/ Frank/Valerius Rn 691; Lackner/Kühl § 202a Rn 5; MünchKommStGB/Graf
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§ 202a Rn 63; Schmitz JA 1995, 478, 483; Schönke/Schröder/Lenckner § 202a Rn 10; krit Bühler MDR 1987, 448, 453; abl Fischer § 202a Rn 10a; Jessen 181 ff. BGBl 2007 I S 1786. NK/Kargl § 202a Rn 1, 13.
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Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Täter die betreffenden Daten dauerhaft auf einem Speichermedium fixiert,286 ausreichend ist vielmehr die bloße Kenntnisnahme des durch das Passwort gesicherten Inhalts.287 Zuweilen wird allerdings eine Ausnahme für diejenigen Fälle gefordert, in denen das Passwort als „Allerweltsname“ leicht zu erraten ist und daher keine effektive Sicherung darstellt.288 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass auch in diesen Fällen der Berechtigte eine Zugangssperre gegen die unbefugte Benutzung errichtet hat, die bewusst überwunden wird. Ferner kann eine Abgrenzung dahingehend, welche Begriffe noch oder schon dem Bereich der „Allerweltsnamen“ angehören, kaum gefunden werden (mit den entsprechenden Konsequenzen im Bereich des Irrtums).289 Die vorgenannten Überlegungen gelten im Übrigen auch (und erst recht), wenn der 136 Täter das Passwort nicht mittels „Ausprobierens“ im Einzelfall, sondern mittels eines eigens dafür vorgesehenen (Wortlisten-)Programms ermittelt.290 Bei diesen sog „BruteForce-Attacks“ werden zur Überwindung von Passwörtern im Internet im „Trial-andError-Verfahren“ systematisch alle denkbaren Buchstaben und Zahlenkombinationen ausprobiert, bis die richtige Kombination gefunden wird. Schließlich ist noch an die Fälle zu denken, in denen der Täter das Passwort durch 137 Täuschung oder durch Diebstahl erlangt (im betrieblichen Bereich hat sich hierfür der Begriff des „social-engineering“ eingebürgert: Ein Informationsträger wird durch gezielte Manipulation zur Preisgabe von Kennwörtern veranlasst). Während die Erlangung durch Täuschung noch kein „Ausspähen“ darstellt und daher nicht nach § 202a StGB strafbar sein kann, ist bei der Erlangung der sensiblen Daten durch Diebstahl (zB durch die Wegnahme von Notizbüchern) oder Erpressung zwar der Bereich strafbaren Verhaltens erreicht, fraglich ist jedoch, ob hier neben § 242 StGB (bzw § 240 StGB oder §§ 253, 255 StGB) auch § 202a StGB anwendbar ist. Zwar gelangt der Täter auch hier unbefugt an Daten, die nicht für ihn bestimmt sind (und die auch möglicherweise gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind), er erlangt diese jedoch nicht durch die Überwindung der hierfür vorgesehenen Zugangssperre, sodass auch hier § 202a StGB ausscheidet.
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e) Die Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB). § 203 StGB sanktioniert die unbefugte Preisgabe von Privatgeheimnissen durch Amtsträger (vgl die Aufzählung in Abs 2) oder Angehörige bestimmter Berufsgruppen (vgl die Aufzählung in Abs 1) sowie deren Personal (vgl Abs 3 S 2). Genannt werden hier ua Ärzte, Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Sozialpädagogen. Angehörige von Medienunternehmen sind hier nicht aufgezählt, was zur Folge hat, dass sie nicht Täter dieses Sonderdelikts sein können. Relevant werden kann die Strafvorschrift für Angehörige von Medienunternehmen daher nur insoweit, als dass sie die in § 203 StGB genannten Personen zur Straftatbegehung anstiften oder dazu Beihilfe leisten. Im presserechtlichen Zusammenhang kann die Strafvorschrift insbesondere dann Rele139 vanz erlangen, wenn seitens einer Behörde eine Pressekonferenz einberufen wird, um über ein gerichtliches Verfahren oder über staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren zu berichten,291 da hier oftmals auch Dinge zur Sprache kommen können, die zum „per-
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289
So aber Hauptmann JurPC 1989, 215, 217 f. Binder RDV 1995, 57, 60. Von Gravenreuth NStZ 1989, 201, 206; Koch RDV 1996, 123, 126; LK/Schünemann 11. Aufl § 202a Rn 16. Ebenfalls abl im Hinblick auf die qualitative
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Anforderung an Passwörter Ernst NJW 2003, 3233, 3236. Malek Rn 159; MünchKommStGB/Graf § 202a Rn 63. Vgl zu dieser Problematik noch ausf unten Rn 394 f.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
sönlichen Lebensbereich“ eines Beteiligten zählen und daher als „fremdes Geheimnis“ zu werten sind. Hier ist aber Vorsicht geboten. Einerseits ergibt sich aus dem Informationsanspruch der Presse kein Recht auf vollständige Offenlegung von Informationen, die fremde Geheimnisse darstellen. Andererseits kann aber die Behörde auch nicht unter Berufung auf die Strafvorschrift des § 203 StGB eine Auskunft pauschal und grds ablehnen.292 Um dem Spannungsfeld zwischen der Wahrung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen (zB eines Angeklagten) nach § 203 StGB einerseits und dem Informationsund Auskunftsinteresse der Allgemeinheit (welches zB bei bedeutsamen Strafprozessen regelmäßig vorliegen wird) andererseits entgegenzuwirken, wird in der presserechtlichen Auskunftspflicht einer Behörde eine rechtfertigende Offenbarungsbefugnis gesehen.293 Unter einem Geheimnis iSd § 203 StGB ist eine Tatsache zu verstehen, die nur dem 140 Geschützten allein oder einem begrenzten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Geschützte ein sachlich begründetes Interesse hat.294 f) Die Verwertung fremder Geheimnisse (§ 204 StGB). In Anlehnung an § 203 StGB 141 stellt § 204 StGB denjenigen unter Strafe, der unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, zu dessen Geheimhaltung er nach § 203 StGB verpflichtet ist, verwertet. Hierunter ist das wirtschaftliche Ausnutzen zum Zwecke der Gewinnerzielung zu verstehen,295 wobei ein „Offenbaren“ nicht erforderlich ist.296 g) Die Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses (§ 206 StGB). § 206 StGB 142 schützt das Post- und Fernmeldegeheimnis und stellt – wie auch § 203 StGB – insofern ein Sonderdelikt dar, als hier nur Personen als Täter in Frage kommen, die als Inhaber oder Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, tätig sind. Dennoch kommt diesen Tatbeständen im vorliegenden Zusammenhang eine gewisse Relevanz zu, da Journalisten bzw sonstige Mitarbeiter von Medienunternehmen durchaus als Teilnehmer (also Anstifter oder Gehilfen) auftreten können. Dies ist dann der Fall, wenn sie entweder einen der genannten Täter zur Tatbegehung verleiten (Anstiftung) oder aber wenn sie Informationen veröffentlichen, die eine Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses darstellen (Beihilfe). Denn tatbestandsmäßig ist nach § 206 Abs 1 StGB die unbefugte Mitteilung von Tatsachen, die dem Postoder Fernmeldegeheimnis unterliegen. Erfolgt diese Mitteilung über ein Medium, so kann zwar weiterhin nur der Inhaber oder Beschäftigte des Post- oder Telekommunikationsunternehmens Täter sein, eine Teilnahme des Medienschaffenden (zB eines Journalisten) an dieser Tat ist jedoch möglich. 3. Die Nötigung (§ 240 StGB) – Medien als Täter Nötigende Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Erlangung und Verbreitung 143 von Informationen können in mehrfacher Hinsicht in Betracht kommen. Einerseits ist daran zu denken, dass Informationen im Rahmen einer (journalistischen) Recherche in der Weise erlangt werden, dass der Informant unter Druck gesetzt wird. Andererseits ist auch daran zu denken, dass den Tatopfern mit der Publikation bestimmter Informationen gedroht wird, wenn sie sich nicht in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Dies kann sowohl seitens der Medienunternehmen selbst, als auch durch Privatpersonen erfol-
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Vgl hierzu Löffler/Ricker Kap 54 Rn 25. Vgl Fischer § 203 Rn 44. Vgl Fischer § 203 Rn 4 ff. BayObLG NStZ 1984, 169, 169 f zum
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Begriff des „Verwertens“ im Fall des § 355 Abs 1 StGB; Fischer § 204 Rn 3. Fischer § 204 Rn 3.
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7. Teil
gen („Wenn Sie sich nicht in dieser Weise verhalten, werde ich entsprechende Informationen der Presse zuspielen“). Im letzteren Fall spricht man von „aktiver Pressenötigung“ (die „passive Pressenötigung“, dh die Nötigung von Presseorganen, wird an anderer Stelle behandelt 297). Nach § 240 StGB wird derjenige bestraft, der einen anderen mit Gewalt oder durch 144 Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wobei die Tat nur dann als rechtswidrig anzusehen ist, wenn die Anwendung des Nötigungsmittels (also die Gewaltanwendung oder die Drohung) im Verhältnis zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Erstrebt der Täter dabei einen Vermögensvorteil zu Lasten des Genötigten, kommt darüber hinaus auch der Tatbestand der Erpressung (§ 253 StGB) in Frage. Das Grundrecht der Presse- und Informationsfreiheit gibt dem recherchierenden Jour145 nalisten kein Recht, mittels Anwendung von Gewalt oder Androhung von empfindlichen Übeln von einer Person Informationen „abzupressen“. Zwar kann das Grundrecht des Art 5 Abs 1 S 2 GG Einfluss auf die Abwägung im Rahmen von § 240 Abs 2 StGB haben, es sind jedoch kaum Fälle denkbar, wo die Anwendung von Nötigungsmitteln zur Erlangung von Informationen einmal nicht als „verwerflich“ im Sinne dieser Norm angesehen werden kann. Dem „investigativen Journalismus“ sind also auch hier deutliche Grenzen gesetzt. Bei der Androhung der Veröffentlichung von Informationen ist zu beachten, dass 146 selbst die angedrohte Veröffentlichung wahrer Informationen eine strafbare Nötigung darstellen kann, wenn die Verknüpfung mit der erhobenen Forderung als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs 2 StGB).298 4. Sonstige individualrechtsschützende Delikte
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a) Die Beschimpfung von Bekenntnissen (§ 166 StGB). Nach § 166 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, „[…] wer öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs 3 StGB 299) den Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören […]“ (Abs 1). Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Weise „[…] eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft […]“ (Abs 2). Schutzgut der Norm ist insoweit der öffentliche Friede und nicht das religiöse Empfinden der betroffenen Gläubigen.300 Unter „Beschimpfen“ versteht man dabei eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende, rohe Kundgabe der Missachtung.301 Dies erfasst weder ein bloßes Verspotten 302 noch eine kritische Auseinandersetzung mit religiösen Bekenntnissen und Gebräuchen. Insoweit stellt die Vorschrift keine unzulässige Einschränkung
297 298
299 300
Vgl unten Rn 277. Vgl hierzu BGH NStZ 1992, 278; OLG Bremen NJW 1957, 151; OLG Hamm NJW 1957, 1081. Vgl zu § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. OLG Celle NJW 1986, 1275, 1276; OLG Karlsruhe NStZ 1986, 363, 364; OLG Köln NJW 1982, 657, 658; Steinbach JR 2006, 495, 496; aA noch RGSt 16, 245, 248; RGSt 23, 103, 103 f; RGSt 28, 403,
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407. Jeweils zu § 166 StGB aF („Gotteslästerung“). BGHSt 7, 110; BGH NStZ 2000, 643, 644 zu § 90a Abs 1 Nr 1 StGB; OLG Karlsruhe NStZ 1986, 363, 364 f; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 238, 239; Steinbach JR 2006, 495, 496; vgl auch OLG Celle NJW 1986, 1275. Fischer § 166 Rn 12; Schönke/Schröder/ Lenckner § 166 Rn 9.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 5 Abs 1 GG) sowie der Freiheit von Wissenschaft und Kunst (Art 5 Abs 3 GG) dar.303 Die Grundrechte sind hier allerdings nicht erst auf Rechtfertigungsebene zu beachten, vielmehr entfällt bereits der Tatbestand, da es an einer „Beschimpfung“ fehlt.304 Daher können auch Karikaturen nur im Ausnahmefall den entsprechenden Tatbestand erfüllen.305 Dies ist dann der Fall, wenn sie – auch unter Beachtung einer der Karikatur wesenseigenen Verfremdung – den Bereich sachlicher Kritik verlassen.306 b) Die falsche Verdächtigung (§ 164 StGB). Zu den journalistischen Aufgaben gehört 148 es auch, Missstände aufzudecken und im Wege der öffentlichen Verbreitung bekannt zu machen. Betreffen diese Missstände bestimmte Straftaten, so kann – stellt sich die verbreitete Tatsache später als unwahr heraus – neben den Beleidigungsdelikten 307 auch der Straftatbestand der Falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) erfüllt sein. Strafbar macht sich hiernach derjenige, der einen anderen bei einer amtlichen Stelle oder aber – für den Bereich der Medien von großer Bedeutung – öffentlich der Begehung einer rechtswidrigen Tat (dh einer Straftat iSd § 11 Nr 5 StGB) oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen (Abs 2). Hinzukommen muss aber, dass die Verdächtigung wider besseren Wissens geschieht. Die behauptete Tatsache muss also nicht nur unwahr sein, sondern der Täter muss die Unwahrheit positiv kennen, dh nicht nur für möglich halten und billigend in Kauf nehmen. Ein bedingter Vorsatz diesbezüglich scheidet also aus. Darüber hinaus macht sich nach § 164 Abs 2 StGB derjenige strafbar, der in gleicher 149 Absicht (also der Absicht, ein Verfahren etc. einzuleiten) bei einer amtlichen Stelle oder öffentlich über einen anderen wider besseren Wissens eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang noch die Vorschrift des § 165 StGB. So 150 heißt es in Abs 1 S 1: „Ist die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs 3 StGB) begangen und wird ihretwegen auf Strafe erkannt, so ist auf Antrag des Verletzten anzuordnen, daß die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung auf Verlangen öffentlich bekannt gemacht wird“. c) Der Hausfriedensbruch (§§ 123, 124 StGB). Insbesondere im Rahmen journalisti- 151 scher Tätigkeit stellt sich oftmals die Frage, inwieweit fremde Räumlichkeiten für Recherchetätigkeiten betreten werden dürfen. Dies gilt sowohl für Privatwohnungen als auch für Geschäftsräume oder Gebäude von Behörden. Ein Betreten oder Verweilen in den geschützten Räumlichkeiten gegen den Willen des Hausrechtsinhabers wird dabei durch §§ 123, 124 StGB umfassend unter Strafe gestellt. Nach § 123 StGB fallen in den Schutzbereich des Straftatbestandes des Hausfriedens- 152 bruchs Wohnungen, Geschäftsräume, sonstige befriedete Besitztümer sowie zum öffent-
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LG Bochum NJW 1989, 727, 728. Einschränkend bzw zwischen Wissenschaftsund Kunstfreiheit differenzierend Fischer § 166 Rn 16; Lackner/Kühl § 166 Rn 4; § 193 Rn 14. Vgl hierzu auch den Fall OLG Köln NJW 1982, 657; ferner OLG Karlsruhe NStZ 1986, 363; LG Bochum NJW 1989, 727,
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728; LG Düsseldorf NStZ 1982, 291: Steinbach JR 2006, 495. Zur Karikatur als Kunstform vgl BVerfGE 75, 369, 377 f; BGHSt 37, 55, 57 ff; Hillgruber/Schemmer JZ 1992, 946; LK/Dippel 11. Aufl, § 166 Rn 37; Steinbach JR 2006, 495, 497 f. Vgl hierzu oben Rn 96 ff.
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lichen Dienst oder Verkehr bestimmte Räumlichkeiten (also insbesondere auch Behördenräume, Schulen etc). Erforderlich ist stets eine räumliche Abgrenzbarkeit, welche allerdings regelmäßig auch bei Nebenräumen und Zubehörsflächen gegeben ist.308 Strafbar macht sich derjenige, der in die geschützten Räumlichkeiten entweder wider153 rechtlich eindringt oder sich, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten, nicht entfernt. Berechtigter ist jeweils der Hausrechtsinhaber, der nicht notwendigerweise mit dem Eigentümer identisch sein muss (zB der Mieter einer Wohnung). Sind mehrere Berechtigte vorhanden, genügt das Einverständnis eines Hausrechtsinhabers, sofern das Betreten für die übrigen Hausrechtsinhaber nicht unzumutbar ist. Bei öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen übt nach § 7 Abs 4 Ver154 sammlG der Leiter der Versammlung das Hausrecht aus. Zwar können nach § 6 Abs 1 VersammlG bestimmte Personen oder Personenkreise in der Einladung von der Teilnahme an der Versammlung ausgeschlossen werden. Für Pressevertreter gilt jedoch die Sondernorm des § 6 Abs 2 VersammlG,309 wonach sie nicht von der Versammlung ausgeschlossen werden können, sich jedoch dem Versammlungsleiter gegenüber ordnungsgemäß ausweisen müssen. Einen besonderen Rechtfertigungsgrund für Pressevertreter und Journalisten für das 155 Eindringen in fremde Räumlichkeiten gibt es nicht, insbesondere kann aus Art 5 Abs 1 S 2 GG kein solches Recht hergeleitet werden.310 Auch hier sind dem „investigativen Journalismus“ also Grenzen gesetzt.
II. Die Verbreitung gefährdender Inhalte durch die Medien 1. Die hauptsächlichen Tathandlungen
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a) Verbreiten. Unter dem Tatbestandsmerkmal des Verbreitens 311 versteht man die mit einer körperlichen Weitergabe einer Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen.312 Entscheidend ist hierbei, dass die Schrift ihrer Substanz nach, dh in körperlicher Form, weitergegeben wird.313 Wird sie in unkörperlicher Form weitergegeben, so kommt lediglich ein Zugänglichmachen in Frage.314 Ferner ist entscheidend, dass der Personenkreis nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er 308 309 310
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BayObLG MDR 1969, 778; LK/Lilie 11. Aufl § 123 Rn 11. LK/Lilie 11. Aufl § 123 Rn 69. Löffler/Ricker Kap 52 Rn 7; zum „Fall Barschel“ vgl auch Bericht in AfP 1990, 292 und Puttfarcken ZUM 1988, 133. Das Merkmal ist enthalten in § 80; § 80a; § 86 Abs 1; § 86a Abs 1 Nr 1; § 90; § 90a; § 90b; § 103 Abs 2; § 109d Abs 1; § 111; § 130 Abs 3 Nr 1 lit a, Nr 2; § 130a Abs 1; Abs 2 Nr 1; § 131 Abs 1 Nr 1; § 131 Abs 2; § 140 Nr 2; § 166 Abs 1; § 184a Nr 1; § 184b Abs 1 Nr 1; § 186; § 187; § 202c Abs 1; § 330a Abs 1 StGB; § 120 Abs 1 Nr 2; § 128 Abs 1 S 1 OWiG; § 29 Abs 1 Nr 12 BtMG. BGHSt 13, 257, 258; BGHSt 13, 375, 376 f;
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BGHSt 19, 63, 70 f; BayObLGSt 1 (1951), 417, 422; BayObLGSt 13 (1963), 37, 38; BayObLG NStZ 2002, 258, 259; Fischer § 74d Rn 4; vgl ferner BGHSt 31, 51, 55 f zum „Verbreiten“ im Zusammenhang mit dem presserechtlichen Begriff des „Erscheinens“. BGHSt 18, 63, 63 ff; BGH ZUM 2007, 846, 849 – eBay; BayObLG NJW 1979, 2162; BayObLG NStZ 1983, 120, 121; OLG Frankfurt NJW 1984, 1128; HansOLG Hamburg MDR 1963, 1027; OLG Hamburg NStZ 1983, 127, 127 f; Bottke JR 1983, 299, 300; Fischer § 74d Rn 4; Franke NStZ 1984, 126; ders GA 1984, 452, 456 f. Vgl hierzu noch unten Rn 158 ff.
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für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. Das Merkmal ist also nicht erfüllt, wenn auf einer Internet-Auktion eine Schrift zwar einer Mehrzahl von Personen angeboten, aber nur an eine dieser Personen versandt wird.315 Der klassische Begriff des Verbreitens kann auf die Übermittlung von Daten über das 157 Internet nicht unbesehen übertragen werden, sondern bedarf diesbezüglich einer Modifikation.316 Während das bloße Bereitstellen von Daten im Internet nicht unter den Begriff der Verbreitung fällt, sondern als öffentliches Zugänglichmachen anzusehen ist,317 kann die Versendung von Daten durchaus als Verbreitung angesehen werden. Diese ist vollendet, wenn die Daten auf dem Rechner des Empfängers angekommen sind.318 Insoweit wird hier keine körperliche Weitergabe mehr gefordert. b) Das Zugänglichmachen. Das Zugänglichmachen 319 umfasst sämtliche Tätigkeiten, 158 die Inhalte für eine andere Person in der Weise verfügbar machen, dass diese von ihnen durch sinnliche Wahrnehmung Kenntnis erlangen kann.320 Dabei reicht es aus, wenn einem anderen die konkrete Möglichkeit eröffnet wird, sich vom Inhalt – sei es entgeltlich oder unentgeltlich – Kenntnis zu verschaffen,321 auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an. Ebenso ist es nicht entscheidend, ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme für kürzere oder längere Zeit erfolgt. Im Internet reicht es für ein Zugänglichmachen aus, dass Daten auf einem Server 159 bereitgestellt werden und somit von anderen abgerufen werden können.322 Nicht erforderlich ist es, dass tatsächlich ein Zugriff seitens eines Internetnutzers erfolgt. In manchen Tatbeständen wird darüber hinaus ein öffentliches Zugänglichmachen 160 verlangt.323 Dies liegt dann vor, wenn unbestimmt viele Personen auf den jeweiligen Inhalt zugreifen können.324 Voraussetzung hierfür ist, dass der Zugriff einem größeren, individuell nicht feststellbaren oder durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis ermöglicht wird.325 Dies liegt im Bereich des Internet dann vor, wenn Inhalte auf einem Server bereitgestellt werden, ohne dass (wie etwa durch die Vergabe von Passwörtern an wenige bestimmte Personen) sicher gestellt wird, dass nur bestimmte Personen Zugriff erhalten. 315 316
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BGH ZUM 2007, 846, 849 – eBay. Insoweit wurde von BGHSt 47, 55 ein spezifischer Verbreitungsbegriff für Internettaten entwickelt; krit hierzu Kudlich JZ 2002, 310, 311. Vgl hierzu Fischer § 184 Rn 33; Lackner/ Kühl § 184 Rn 5; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 9. BGHSt 47, 55, 59 f; Lackner/Kühl § 184 Rn 5; aA Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rn 34, die den Verbreitungstatbestand nur bei Schriftstücken im engeren (dh körperlichen) Sinn anerkennen wollen. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 2 Nr 1 lit b und lit c; § 130a Abs 1, Abs 2 Nr 1; § 131 Abs 1 Nr 2 und Nr 3; § 184 Abs 1 Nr 1, Nr 2; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2; § 201 Abs 1 Nr 2; § 201a Abs 1 und Abs 3 StGB; § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG; § 119 Abs 3; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG.
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Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 96; Lackner/ Kühl § 184 Rn 5. Lackner/Kühl § 184 Rn 5; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 28. BGHSt 47, 55, 60; OLG Stuttgart MMR 2006, 387, 388; Beisel/B Heinrich CR 1997, 360, 362; Derksen NJW 1997, 1878, 1881 f; Lackner/Kühl § 184 Rn 5; vgl auch Stange CR 1996, 424, 426 der insbesondere den Vorsatz des Providerbetreibers problematisiert. Vgl ua § 86 Abs 1; § 130a Abs 1, Abs 2 Nr 1; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2 StGB; § 119 Abs 3; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG. BGHSt 10, 194, 195 ff. BT-Drucks VI/3521, 57; BT-Drucks 7/514, 3 unter Bezugnahme auf BT-Drucks VI/3521; Fischer § 74d Rn 6; Lackner/Kühl § 74d Rn 6.
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Problematisch ist das Zugänglichmachen dann, wenn das Medienunternehmen durch Sicherungsmittel, wie zB die Vergabe von Passwörtern oder die Codierung von Programmen 326 sicherstellen will, dass nur bestimmte Personen auf bestimmte Inhalte Zugriff nehmen können. Dies ist insbesondere in denjenigen Bereichen interessant, in denen lediglich das Zugänglichmachen von Inhalten gegenüber bestimmten Personen (insbesondere gegenüber Jugendlichen) mit Strafe bedroht ist.327 Während ein Zugänglichmachen gegenüber denjenigen, denen das Passwort gezielt übermittelt wurde, unproblematisch vorliegt, ist ein strafbares Zugänglichmachen gegenüber Unbefugten (zB den Jugendlichen) abzulehnen, wenn sich diese durch die Überwindung spezieller Sicherungsvorkehrungen Zugang zu den entsprechenden Inhalten verschaffen.328 Fraglich ist allerdings, welche Anforderungen hier an die entsprechenden Sicherungs162 maßnahmen zu stellen sind. Erforderlich sind effektive Zugangshindernisse, die einen Zugriff für Unbefugte nahezu ausschließen.329 Als nicht ausreichend wird es dabei angesehen, wenn über das Internet oder den Verkauf von Decodierkarten lediglich das Alter abgefragt oder die Eingabe der Identitätsnummer des Personalausweises gefordert wird.330 Ebenfalls nicht ausreichend ist die Zuteilung einer Geheimnummer, welche allein davon abhängig gemacht wird, dass eine Alterskontrolle dahingehend erfolgt, dass der Betreffende eine Ausweiskopie übersenden muss.331 Nicht genügen kann auch die bloße Kostenpflichtigkeit eines bestimmten Angebots, da dies lediglich ein – bei Jugendlichen zumal meist untaugliches – psychisches, nicht aber eine physisches Zugangshindernis darstellt.332 Im Hinblick auf die Verbreitung pornografischer Schriften ist dabei die Sondervorschrift des § 184c StGB zu beachten, deren S 2 klar stellt, dass eine Strafbarkeit der Verbreitung (einfacher) Pornografie durch Medien- und Teledienste dann entfällt, „[…] wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass die pornographische Darbietung Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich ist“.333
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c) Sonstige Tathandlungen. Über die genannten Tathandlungen des Verbreitens und des Zugänglichmachens hinaus findet sich noch eine Vielzahl weiterer Tathandlungen in diversen Straftatbeständen, die im Zusammenhang mit einzelnen Medienprodukten relevant werden können und die hier nur kurz angesprochen werden sollen. Unter dem Begriff des (öffentlichen) Ausstellens 334 einer Schrift versteht man, dass 164 deren gedanklicher oder bildlicher Inhalt optisch wahrnehmbar gemacht wird, ohne dass jedoch die Sache selbst an den Empfänger gelangt.335 Das Ausstellen stellt dabei eine besondere Form des Zugänglichmachens dar.336
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Vgl zum Zugänglichmachen verschlüsselter Filme insbesondere BVerwG AfP 2002, 257, 259 f; VG München ZUM 2003, 160, 162 f; Beisel/B Heinrich JR 1996, 95. Als Beispiel sei hier das Verbot der Verbreitung „weicher“ Pornografie an Jugendliche nach § 184 Abs 1 Nr 1 StGB genannt. Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 96 f; aA Ramberg ZUM 1994, 140, 141. KG ZUM 2004, 571; OLG Düsseldorf ZUM 2004, 480; Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 76; Löffler/Ricker Kap 59 Rn 15; vgl hierzu ausf auch Strömer 283 ff. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 15.
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Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 76; Hörnle NJW 2002, 1008, 1010. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 15. Vgl zu dieser Vorschrift noch ausf unten Rn 252 f. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 2 Nr 1 lit b; § 130a Abs 1, Abs 2 Nr 1; § 131 Abs 1 Nr 1; § 184 Abs 1 Nr 2; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2; § 243 Abs 1 Nr 5 StGB; § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG; § 119 Abs 3; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 15. Vgl hierzu oben Rn 158 ff.
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Teilweise wird verlangt, der Täter müsse eine Schrift „anschlagen“.337 Wie auch beim Ausstellen versteht man hierunter, dass der gedankliche oder bildliche Inhalt der Schrift optisch wahrnehmbar gemacht wird, ohne dass jedoch die Sache selbst an den Empfänger gelangt.338 Das Anschlagen stellt dabei ebenfalls eine besondere Form des Zugänglichmachens dar.339 Schließlich wird teilweise auf das Vorführen 340 einer Schrift abgestellt. Hierunter versteht man, wie schon bei den Merkmalen des Ausstellens oder Anschlagens, dass die Schrift ihrem gedanklichen oder bildlichen Inhalt nach wahrnehmbar gemacht wird, ohne dass jedoch die Sache wiederum selbst an den Empfänger gelangt.341 Im Gegensatz zum Ausstellen oder Anschlagen kann dies jedoch auch im Wege der akustischen Wiedergabe geschehen. Auch das Vorführen stellt eine besondere Form des Zugänglichmachens dar.342 Unter einem Überlassen 343 einer Schrift ist die Verschaffung des Besitzes an selbiger zur eigenen Verfügung oder zu eigenem, wenn auch nur vorübergehenden Gebrauch des Empfängers zu verstehen.344 Eine Leihe reicht daher aus. Ein Überlassen scheidet allerdings dann aus, wenn die betreffende Person die Sache nur als Bote entgegennimmt, um sie einem anderen zu übergeben.345 Unter dem Begriff des Herstellens 346 versteht man jedes von einem Menschen mittelbar oder unmittelbar bewirkte Geschehen, das ohne Weiteres oder in fortschreitender Entwicklung ein bestimmtes körperliches Ergebnis zustande bringt.347
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Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 2 Nr 1 lit b; § 130a Abs 2 Nr 1 lit b; § 131 Abs, 1 Nr 2; § 134; § 184 Abs 1 Nr 2; § 184a Nr 1; § 184b Abs 1 Nr 2 StGB; § 119 Abs 3; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG; § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 15. Vgl hierzu oben Rn 158 ff. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 3 S 1 lit b; § 130a Abs 1, Abs 2 Nr 1; § 131 Abs 1 Nr 1; § 184 Abs 1 Nr 2; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2 StGB; § 27 Abs 1 Nr 1; § 28 Abs 1 Nr 14 Buchst a JuSchG; § 119 Abs 3; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 15. Vgl hierzu oben Rn 158 ff. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 3 S 1 lit c; § 131 Abs 1 Nr 3; § 149 Abs 1; § 152a Abs 1 Nr 2; § 184 Abs 1 Nr 1, Nr 3, Nr 3a; § 202c Abs 1; § 263a Abs 3; § 265 Abs 1; § 275 Abs 1; § 276 Abs 1 Nr 2; § 281 Abs 1; § 310 Abs 1; § 316c Abs 4; § 323b; § 328 Abs 3 Nr 2 StGB; § 127 Abs 1; § 128 Abs 1 Nr 2 OWiG; § 29 Abs 1 Nr 6 lit b; § 29a Abs 1 Nr 1; § 30 Abs 1 Nr 3 BtMG; § 19 Abs 1 Nr 1; § 20 Abs 1 Nr 1; § 20a Abs 1 Nr 1 KWKG; § 40 Abs 2 Nr 3 lit a , lit b, lit c, lit d und lit e; § 41 Abs 1 Nr 1 lit a und lit b, Nr 2, Nr 3a,
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Nr 3b, Nr 10 und Nr 17 SprengG; § 51 Abs 1; § 52 Abs 1 Nr 1, Nr 2 lit a, Nr 3; § 52 Abs 3 Nr 1, Nr 6 und Nr 7; § 53 Abs 1 Nr 2, Nr 10, Nr 16 WaffG; § 27 Abs 1 Nr 1, § 28 Abs 1 Nr 6 JuSchG. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 8. RG GA 59, 314; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 8. Das Merkmal ist enthalten in § 86 Abs 1; § 86a Abs 1 Nr 2; § 87 Abs 1 Nr 3, Nr 6; § 100a Abs 2; § 109e Abs 2; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 149 Abs 1; § 184 Abs 1 Nr 8; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2; § 201a Abs 1; § 202c Abs 1; § 206 Abs 3 Nr 3; § 263a Abs 3; § 267 Abs 1; § 268 Abs 2, Abs 3; § 275 Abs 1; § 310 Abs 1; § 312 Abs 1; § 316c Abs 4 StGB; § 127 Abs 2; § 128 Abs 1 Nr 2 OWiG; § 95 Abs 1 Nr 3a; § 96 Nr 3 und Nr 4; § 97 Abs 2 Nr 18 AMG; § 29 Abs 1 Nr 1 und Nr 2; § 29a Abs 1 Nr 2; § 30 Abs 1 Nr 1; § 30a Abs 1 BtMG; § 29 Abs 1 Nr 1 und Nr 2; § 30 Abs 1 Nr 9 GÜG; § 18a; § 19 Abs 1 Nr 1; § 20 Abs 1 Nr 1; § 20a Abs 1 Nr 1; § 22a Abs 1 Nr 1 KWKG; § 1 Abs 3; § 51 Abs 1; § 52 Abs 1 Nr 1, 2 lit c, Nr 4; § 52 Abs 3 Nr 1 und Nr 3; § 53 Abs 1 Nr 2 WaffG; § 27 Abs 1 Nr 2 JuSchG; § 3 Nr 1, § 4 ZKDSG. RGSt 41, 205, 207.
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Liefern 348 stellt das Gegenstück zum Beziehen dar und erfasst den Übergang einer Sache zur eigenen Verfügungsgewalt in beiderseitigem Einvernehmen.349 Ein unaufgefordertes Gelangenlassen an einen anderen genügt also nicht. Nicht erforderlich ist es, dass der Gewahrsamswechsel auf Dauer erfolgt, sodass auch die Vermietung und der Verleih erfasst werden.350 Unter dem Begriff des Vorrätighaltens 351 versteht man das Besitzen einer Schrift zu 170 einem bestimmten Zweck, zumeist zum Zweck späterer Verbreitung.352 Dabei muss der Betreffende jedoch eigene Verfügungsgewalt über die Schrift besitzen, dh er muss über den späteren Absatz jedenfalls mitbestimmen können. Daher scheidet ein bloßes Verwahren eines Gegenstandes für einen anderen hier aus. Auch ist nicht erforderlich, dass der Täter mehrere Einzelstücke besitzt. So kann auch das Speichern nur einer Schrift auf der Festplatte des Computers ausreichen, wenn eine weitere Verbreitung (von Vervielfältigungsstücken) geplant ist. Unter dem Merkmal des Anbietens 353 versteht man ein konkretes Angebot an eine 171 Person im Sinne einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung der Bereitschaft zur Besitzübergabe, ohne dass dies jedoch ein Antrag zum Vertragsschuss nach den Vorschriften des BGB darstellen muss.354 Ein bloßes Zeitungsinserat oder das Auslegen einer Schrift im Schaufenster genügt allerdings nicht. Ankündigen 355 ist jede Kundgabe, durch die auf die Gelegenheit zum Bezug oder 172 zur Vorführung aufmerksam gemacht wird.356 Es muss also über Bezugsquellen oder Betrachtungsmöglichkeiten informiert werden. Dabei muss die Ankündigung werbenden Charakter besitzen. Es reicht daher nicht aus, wenn jemand sich kritisch mit einer bestimmten Schrift auseinandersetzt und dadurch bei anderen das Interesse für die jeweilige Schrift weckt.357 Eine Gewinnerzielungsabsicht ist jedoch nicht erforderlich.358
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Das Merkmal ist enthalten in § 99 Abs 2; § 109e Abs 2; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 8; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2; § 312 Abs 1 StGB; § 27 Abs 1 Nr 2 JuSchG; § 5 Abs 2 Nr 2 UWG. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 45. BGHSt 29, 68, 71 f zu § 184 Abs 1 Nr 7 StGB; Laubenthal Rn 843; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 93; aA Schönke/ Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 44. Das Merkmal ist enthalten in § 86 Abs 1; § 86a Abs 1 Nr 2; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 8; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2 StGB; § 27 Abs 1 Nr 2 JuSchG; vgl ferner § 65 Abs 1 Nr 3; § 65 Abs 3 Nr 3 BNatSchG. RGSt 42, 209, 210 f; Horn NJW 1977, 2329, 2331; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rn 46. Das Merkmal ist enthalten in § 108b Abs 1; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d, Abs 3 S 1 lit c; § 131 Abs 1 Nr 3, Nr 4; § 176 Abs 5; § 184 Abs 1 Nr 1, Nr 3; Nr 3a, Nr 5; § 184a Nr 2; § 184b Abs 1 Nr 2; § 219a Abs 1; § 287 Abs 1; § 333 Abs 1, Abs 2; § 334 Abs 1,
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Abs 2, Abs 3; § 337 StGB; § 119 Abs 1, Abs 2; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG; vgl ferner § 96 Nr 18 AMG; § 65 Abs 1 Nr 3; § 65 Abs 3 Nr 3 BNatSchG; § 27 Abs 1 Nr 1; § 28 Abs 1 Nr 11, Nr 13, Nr 16 JuSchG; § 4 Nr 9 UWG. BGHSt 34, 94, 98; HansOLG Hamburg NJW 1992, 1184, 1184 f; Horn NJW 1977, 2329, 2332; LK/Laufhütte 11. Aufl § 184 Rn 20; Schönke/Schroeder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 7. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 5; § 184a Nr 2; § 184 b Abs 1 Nr 2; § 219a Abs 1 StGB; § 27 Abs 1 Nr 1; § 28 Abs 1 Nr 4 JuSchG; § 119 Abs 1, Abs 2; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG. RGSt 37, 142; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 70; Schönke/Schröder/Lenckner/ Perron/Eisele § 184 Rn 30. BGHSt 34, 218: LK/Laufhütte 11. Aufl § 184 Rn 34; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 70; Schönke/Schröder/Lenckner/ Perron/Eisele § 184 Rn 31; SK/Wolters/Horn § 184 Rn 45 ff. BGHSt 34, 218; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 44.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
Unter dem Begriff des Anpreisens 359 versteht man eine lobende oder empfehlende Erwähnung und Beschreibung, welche die Vorzüge der jeweiligen Schrift hervorhebt.360 Insoweit reicht auch hier eine neutral gefasste Werbung oder kritische Auseinandersetzung nicht aus.361 Für ein Anpreisen iSd § 184 Abs 1 Nr 5 StGB ist es dabei unerheblich, ob auf mögliche Bezugsquellen hingewiesen wird oder ob der Anpreisende die Schrift dem Adressaten später auch wirklich zugänglich machen will oder nicht.362 Insoweit liegt eine Anpreisen auch dann vor, wenn auf einer Internetseite lobend über ein Produkt (zB ein Buch) berichtet wird, ohne darauf hinzuweisen, wo dieses konkret erworben werden kann.363 Unter Einführen 364 versteht man das Verbringen eines Gegenstandes aus einem fremden Hoheitsgebiet ins Bundesgebiet,365 wobei unter dem „Bundesgebiet“ gerade das Hoheitsgebiet (und nicht etwa das Zoll- oder Wirtschaftsgebiet) der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen ist. Ausführen 366 meint dagegen das Verbringen einer Schrift aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik über die Grenze in ein fremdes Hoheitsgebiet.367 Dabei reicht regelmäßig bereits die Durchfuhr durch das Hoheitsgebietes der Bundesrepublik aus.368 Ferner taucht als Tathandlungen noch vereinzelt die (öffentliche) Mitteilung auf.369 Hierunter versteht man bereits die (schlichte) Veröffentlichung von Inhalten.370
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Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 5; § 184a Nr 3; § 184b Abs 1 Nr 3; § 219a Abs 1 StGB; § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG; § 119 Abs 1, Abs 2; § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG. RGSt 37, 142; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 71; Schönke/Schröder/Lenckner/ Perron/Eisele § 184 Rn 30. MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 72; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 31. OLG Hamburg NStZ 2007, 487; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 71; aA Laubenthal Rn 807; LK/Laufhütte 11. Aufl § 184 Rn 34; SK/Wolters/Horn § 184 Rn 47. OLG Hamburg NStZ 2007, 487. Das Merkmal ist enthalten in § 86 Abs 1; § 86a Abs 1; § 87 Abs 1 Nr 3; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 4, Nr 8; § 184a Nr 3; § 184b Abs 1 Nr 2; § 275; § 276 Abs 1 Nr 1; § 328 Abs 1 StGB; § 127 Abs 1; § 128 Abs 1 Nr 2 OWiG; § 65 Abs 3 Nr 1 BNatSchG; § 29 Abs 1 Nr 1, Abs 5; § 30 Abs 1 Nr 4; § 30a Abs 1; § 30a Abs 2 Nr 2; § 31a, § 32 Abs 1 Nr 5 BtMG; § 29 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 GÜG; § 19 Abs 1 Nr 1; § 20 Abs 1 Nr 1; § 20a Abs 1 Nr 1; § 22a Abs 1 Nr 4 KWKG; § 40 Abs 2 Nr 1; § 41 Abs 1 Nr 2 und Nr 3 lit a SprengG; § 9 Abs 2 S 1 TFG; § 18 Abs 1 Nr 21 lit a TierschG;
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§ 27 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 JuSchG; § 4 ZKDSG. MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 67; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 27, 47. Das Merkmal ist enthalten in § 86; § 86a Abs 1 Nr 2; § 130 Abs 2 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 9; § 184a Nr 3; § 184b Abs 1 Nr 3; § 275 Abs 1; § 276 Abs 1 Nr 1; § 328 Abs 1 StGB; § 127 Abs 1 OWiG; § 65 Abs 3 Nr 1 BNatSchG; § 29 Abs 1 Nr 1, Abs 5; § 30a Abs 1; § 30a Abs 2 Nr 2; § 32 Abs 1 Nr 5 BtMG; § 29 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 GÜG; § 19 Abs 1 Nr 1; § 20 Abs 1 Nr 1; § 20a Abs 1 Nr 1; § 22a Abs 1 Nr 4 KWKG; § 372 Abs 1; § 373 Abs 2 Nr 3 AO. MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 97; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 49. OLG Schleswig NJW 1971, 2319, 2319 f; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 97; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 49. Das Merkmal ist enthalten in § 94 Abs 1 Nr 1; § 97a; § 98 Abs 1 Nr 1; § 99 Abs 2; § 201 Abs 2 S 1 Nr 2; § 206 Abs 1 und Abs 4; § 241 Abs 2 und Abs 4; § 265b Abs 1 Nr 2; § 353d Nr 1 und Nr 3 StGB Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 9.
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7. Teil
Der Täter offenbart 371 eine Sache, wenn er sie in irgendeiner Weise an einen Dritten gelangen lässt.372 Dabei ist bei einer mündlichen Mitteilung die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Dritten erforderlich, während es bei einer schriftlichen Mitteilung auf die Verschaffung des Gewahrsams und die damit verbundene Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Dritten ankommt.373 Unter dem Merkmal des Gelangenlassens 374 versteht man das Überführen einer Schrift 178 in den Verfügungsbereich eines anderen, sodass dieser davon Kenntnis nehmen kann.375 Das Merkmal entspricht dem Tatbestand des „Zugehens“ im BGB. Der Täter muss dabei weder aus kommerziellen Motiven handeln, noch muss das Opfer den Inhalt der Schrift auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen.376 Das Zeigen 377 einer Schrift meint das (zumeist öffentliche) filmische Vorführen der179 selben vor einem (oder mehreren) Adressaten. Neben diesen Merkmalen, die allesamt die „Anbieterseite“ der Informationen be180 treffen, gibt es auch einige wenige Tatbestände bzw Tatbestandsmerkmale, welche die „Empfängerseite“ im Blick haben. So erfasst das Tatbestandsmerkmal des Beziehens 378 das Erlangen tatsächlicher eigener Verfügungsgewalt durch einen abgeleiteten Erwerb von einem anderen (und erfasst daher gerade nicht das eigenmächtige Sich-Verschaffen, etwa durch einen Diebstahl).379 Gleichgültig ist, ob das Beziehen strafrechtlich relevanter Inhalte entgeltlich oder unentgeltlich geschieht. Nicht ausreichend ist dabei allerdings der bloße Abschluss eines (abstrakten) Kaufvertrages als reines Kausalgeschäft im zivilrechtlichen Sinne ohne entsprechendes Verfügungsgeschäft im Sinne einer tatsächlichen Verschaffung bzw Einräumung der relevanten Inhalte.380 Unter dem Sich-Verschaffen 381 (zumeist: von Besitz) ist dagegen die Herbeiführung eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses gemeint.382 Voraussetzung hierfür ist aber ein gewisses finales Element im Sinne eines aktiv-gezielten Ergreifens von Verfügungsgewalt,383 sodass das Wissen um die bloße Möglichkeit zB bei der Suche nach „legalen“ Schriften im Internet auch auf „illegale“ Schriften stoßen zu können, die man nicht haben will und nach Erhalt sofort vernichtet, nicht erfasst ist.384
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Das Merkmal ist enthalten in § 95; § 96 Abs 2; § 203 Abs 1 und Abs 2; § 205 Abs 2; § 353b Abs 1; § 353d Nr 2 StGB. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 203 Rn 19. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 203 Rn 19. Das Merkmal ist enthalten in § 94 Abs 1 Nr 2, § 95 Abs 1, § 97 Abs 1, § 100a Abs 1 und Abs 2, § 10g Abs 1, Abs 2, Abs 4, 184 Abs 1 Nr 6, § 353b Abs 2 StGB. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 36. BGH NStZ-RR 2005, 309; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 81; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 36. Das Merkmal ist enthalten in § 184 Abs 1 Nr 7 StGB. Das Merkmal ist enthalten in § 130 Abs 3 Nr 1 lit d; § 131 Abs 1 Nr 4; § 184 Abs 1 Nr 8; § 184a Nr 3; § 184b Abs 1 Nr 3 StGB; vgl ferner § 95 Abs 1 Nr 5; § 97
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Abs 2 Nr 12 AMG; § 27 Abs 1 Nr 2 JuSchG. RGSt 77, 113, 118; Laubenthal Rn 842; MünchKommStGB/Hörnle § 184 Rn 93; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 44. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 44. Das Merkmal ist enthalten in § 87 Abs 1 Nr 3, § 96 Abs 1 und Abs 2, § 100a Abs 2, § 107c, § 146 Abs 1 Nr 2 und Nr 3, § 148 Abs 1 Nr 2, § 149 Abs 1, § 152a Abs 1 Nr 2, 184b Abs 4, § 202 Abs 1 Nr 2, § 202a Abs 1, § 202b, § 202c Abs 1, § 206 Abs 1 Nr 1, § 259, § 261 Abs 2 Nr 1, § 275 Abs 1, § 276 Abs 1 Nr 2, § 310 Abs 1, § 316c Abs 4 StGB. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 44. LK/Laufhütte 11. Aufl § 184 Rn 48. M Heinrich NStZ 2005, 361, 366.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
2. Die Verbreitung staatsgefährdender Inhalte In §§ 80 ff StGB befinden sich Vorschriften über das Staatsschutzrecht. Diese – auch 181 als „politisches Strafrecht“ bezeichneten – Strafnormen schützen den Staat und seine Institutionen vor Angriffen, die zum Teil auch über und von Medien ausgeführt werden können. Im Folgenden sollen diejenigen Vorschriften gezielt herausgestellt werden, die besondere medienrechtliche Relevanz besitzen, obwohl sie nur teilweise daran anknüpfen, dass der Täter die Straftat gerade durch Verbreiten oder Zugänglichmachen von Schriften begeht. In prozessualer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass für die Aburteilung dieser 182 Staatsschutzdelikte in den leichteren Fällen nach § 74a GVG in jedem OLG-Bezirk eine Staatsschutzkammer als besondere Strafkammer an einem Landgericht zu errichten ist, vor der die entsprechenden Fälle erstinstanzlich verhandelt werden. In den schwereren Fällen (vgl den Straftatenkatalog in § 120 GVG) ist hingegen eine erstinstanzliche Zuständigkeit des OLG begründet. a) Der Friedensverrat (§§ 80, 80a StGB). Unter dem Titel des „Friedensverrats“ finden sich im StGB die Strafnormen der „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ in § 80 StGB und des „Aufstachelns zum Angriffskrieg“ in § 80a StGB. Während § 80 StGB insbesondere durch die Ausgestaltung als konkretes Gefährdungsdelikt (es muss die konkrete Gefahr eines Angriffskrieges herbeigeführt werden) im vorliegenden Zusammenhang kaum relevant werden dürfte, da eine solche Gefahr allein durch die Verbreitung von Inhalten durch Medien kaum geschaffen wird, hat § 80a StGB einen unmittelbaren medienrechtlichen Bezug. Strafbar macht sich nach § 80a StGB derjenige, der zum Angriffskrieg „aufstachelt“. Dies muss entweder öffentlich oder in einer Versammlung oder aber durch die Verbreitung von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB geschehen.385 Über die letzte Variante werden also alle Tathandlungen erfasst, die über ein Medium stattfinden. Hinzu kommen muss schließlich noch, dass die Tat im Inland begangen wird. Unter Aufstacheln versteht man ein gesteigertes, auf die Gefühle des Adressaten gemünztes propagandistisches Handeln.386 Im Gegensatz zu § 80 StGB ist hier keine konkrete Gefährdung erforderlich, § 80a StGB ist insoweit als abstraktes Gefährdungsdelikt zu begreifen. Der Verweis auf § 80 StGB stellt jedoch klar, dass Zielrichtung des Aufstachelns ein konkreter kriegerischer Angriff auf einen oder mehrere Staaten sein muss, die bloße Erzeugung einer allgemeinen „militaristischen Stimmung“ reicht nicht aus.387
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b) Die verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheits- 187 organe (§ 89 StGB). Nach § 89 StGB macht sich strafbar, wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren verfassungsgemäßen Auftrag zu untergraben. Da diese Einwirkung hauptsächlich mittels Schriften stattfinden wird, hat der Tatbestand medienrechtlichen Bezug. Unter die neben den Angehörigen der Bundeswehr genannten öffentlichen Sicher- 188 heitsorgane fallen der Grenzschutz, die Polizei, Verfassungsschutzämter und Nachrichtendienste.388 Die betroffenen Personen müssen diese besondere Amtsträgereigenschaft 385 386 387
Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. LG Köln NStZ 1981, 261; Fischer § 80a Rn 3; Klug FS Jescheck 583. LK/Laufhütte 11. Aufl § 80a Rn 2 f; Löffler/ Ricker Kap 50 Rn 9.
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Löffler/Ricker Kap 50 Rn 28; vgl auch Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 89 Rn 1; enger LK/Laufhütte 11. Aufl § 89 Rn 2 (bei Polizeibeamten Beschränkung auf die kasernierte Bereitschaftspolizei).
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zum Zeitpunkt der Einwirkung auf sie inne haben, sodass die Einwirkung auf Rekruten vor ihrem Dienstantritt nicht von § 89 StGB erfasst ist.389 Sollen diese Rekruten das empfangene Material jedoch an andere Soldaten weitergeben, ist das Merkmal erfüllt (Einwirkung in mittelbarer Täterschaft).390 Tathandlung ist das Einwirken auf den genannten Personenkreis. Hierunter ist jede Tätigkeit zu verstehen, durch die der Wille des Opfers in eine bestimmte Richtung gelenkt werden soll.391 Diese Einwirkung kann insbesondere durch eine Schrift iSd § 11 Abs 3 StGB erfolgen.392 Das Verhalten entspricht dabei der versuchten Anstiftung: Die Einwirkung muss weder Erfolg haben,393 noch muss sie objektiv geeignet sein, einen solchen Erfolg herbei zu führen, ausreichend ist schon eine diesbezügliche Absicht.394 Allerdings muss das Mittel der Einwirkung den Empfänger erreicht haben, ob er sie zur Kenntnis nimmt oder gar versteht ist dann wiederum unbeachtlich.395 Die Einwirkung muss planmäßig erfolgen. Sie muss also vom Täter oder einem Dritten vorbereitet worden sein. Dadurch sollen spontanes Handeln oder vereinzelte Äußerungen des Unwillens vom Tatbestand ausgenommen werden.396 Ziel der Einwirkung muss es sein, die pflichtmäßige Bereitschaft der betreffenden Personen zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben. Dies erfordert, dass die Einsatzbereitschaft des jeweiligen Sicherheitsorgans im Allgemeinen betroffen sein muss, was regelmäßig dann ausscheidet, wenn der Täter lediglich zu einer bestimmten Pflichtwidrigkeit oder Straftat auffordert.397 Der Täter muss schließlich in der Absicht handeln, sich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen. c) Die Verunglimpfungstatbestände der §§ 90, 90a und 90b StGB. In §§ 90 ff StGB ist die „Verunglimpfung“ verschiedener Staatsorgane oder Symbole unter Strafe gestellt. Die Tat muss entweder öffentlich oder in einer Versammlung oder aber durch die Verbreitung von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB geschehen.398 Über die letzte Variante werden also alle Tathandlungen erfasst, die über ein Medium erfolgen. Zielobjekt der Verunglimpfung muss entweder der Bundespräsident (§ 90 StGB), die Bundesrepublik Deutschland, eines ihrer Länder, ihre verfassungsmäßige Ordnung (§ 90a Abs 1 Nr 1 StGB), die Symbole derselben (Farben, Flagge, Wappen oder Hymne 399 – § 90a Abs 1
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BGHSt 36, 68, 69 ff; Schönke/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben § 89 Rn 4. BGHSt 36, 68, 73; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 38; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 89 Rn 4. BGHSt 4, 291, 292; Schönke/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben § 89 Rn 6; vgl auch BGH MDR 1985, 422. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. BGHSt 4, 291, 292; Schönke/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben § 89 Rn 6. LK/Laufhütte 11. Aufl § 89 Rn 3, 6 ff; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 89 Rn 6; aA SK/Rudolphi § 89 Rn 4. BGHSt 6, 64, 66; BGH MDR 1963, 326
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(jeweils zu § 91 StGB aF); LK/Laufhütte 11. Aufl § 90 Rn 3; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 38; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 89 Rn 7. Löffler/Ricker Kap 50 Rn 38; LK/Laufhütte 11. Aufl § 89 Rn 5; Schönke/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben § 89 Rn 8. BGHSt 6, 64, 66; Schönke/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben § 89 Rn 11; zum Merkmal des „Untergrabens“ vgl ferner BGHSt 4, 291, 292; BGH NStZ 1988, 215, 215. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Beim „Deutschlandlied“ zählt allerdings nur die dritte Strophe als Hoheitssymbol; vgl BVerfGE 81, 298, 309.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
Nr 2 StGB 400) oder eines ihrer Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane, Regierung, Verfassungsgericht oder eines seiner Mitglieder – § 90b StGB) sein. Verunglimpfen meint in diesem Zusammenhang eine nach Inhalt, Form oder Begleit- 194 umständen schwere Ehrkränkung iSd §§ 185 ff StGB.401 Die Äußerung muss allerdings über den Grad einer „normalen“ Beleidigung iSd § 185 StGB hinausgehen.402 Unwesentliche „Entgleisungen“ sind also nicht erfasst.403 Während in §§ 90, 90a Abs 1 Nr 2, 90b StGB die Verunglimpfung ausdrücklich als Tathandlung genannt ist, verlangt § 90a Abs 1 Nr 1 StGB, dass der Täter die hier genannten Objekte „beschimpft oder böswillig verächtlich macht“. Dabei versteht man unter Beschimpfen ebenfalls eine nach Inhalt und Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung,404 das böswillige Verächtlichmachen ist diesbezüglich lediglich eine Steigerungsform.405 Wie schon bei den Beleidigungsdelikten 406 ist auch hier eine restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale geboten, wenn es sich um Äußerungen im politischen Meinungskampf handelt. Harte Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen erfüllt das Tatbestandsmerkmal daher noch nicht, selbst wenn sie die Ebene der Sachlichkeit zuweilen verlässt.407 Auch ist – insbesondere bei satirischen Darstellungen – die Kunstfreiheit zu beachten (Art 5 Abs 3 GG).408 Für die Wiedergabe der tatbestandlichen Äußerungen Dritter in Medien ist allerdings zu beachten, dass darin nur dann eine eigene tatbestandlich relevante Verunglimpfung oder Verächtlichmachung zu sehen ist, wenn sich der Wiedergebende die Äußerung zu eigen macht.409 Setzt sich der Täter gleichzeitig absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der 195 Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze (vgl hierzu die Definition in § 92 Abs 2 StGB) ein, ist nach §§ 90 Abs 3, 90a Abs 3 StGB die jeweilige Qualifikationsvorschrift einschlägig, während diese Voraussetzung in § 90b Abs 1 StGB bereits zur Erfüllung des Grundtatbestandes erforderlich ist und hier zusätzlich noch festgestellt werden muss, dass die Verunglimpfung in einer „das Ansehen des Staates gefährdenden Weise“ geschah. d) Die Kundgabe von Staatsgeheimnissen (§§ 93 ff StGB). Die im zweiten Abschnitt 196 des Besonderen Teils des StGB geregelten Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit sind zwar keine „typischen“ Medienstraftaten, gleichwohl kann der Verbreitung insbesondere von Staatsgeheimnissen durch die Medien durchaus eine praktische Relevanz zukommen, weshalb die Tatbestände im Folgenden kurz skizziert werden sollen. 400
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Die Qualifikation in § 90a Abs 2 StGB: „Entfernen, Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen oder Unkenntlichmachen von Hoheitszeichen“ hat höchstens in der Variante „beschimpfenden Unfug daran verüben“ medienrechtlichen Bezug. BGHSt 16, 338, 339; OLG Hamm GA 1963, 28, 28 f; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 90 Rn 2. Ist die Äußerung darüber hinaus zugleich eine Verleumdung, stellt dies bei § 90 StGB eine Qualifikation dar (vgl § 90 Abs 3 Alt 1 StGB). BGHSt 12, 364, 366; BGHSt 16, 338, 339; OLG Hamm GA 1963, 28, 29; Schönke/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 90 Rn 2.
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BGHSt 7, 110, 110 f; BGH NStZ 2000, 643, 644; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 90a Rn 5. Vgl zu diesem Tatbestandsmerkmal auch BGHSt 7, 110, 111; BGH NStZ 2003, 145, 145 f. Vgl hierzu oben Rn 96 ff. BGHSt 16, 338, 340; BGHSt 19, 311, 317 f; BGH NStZ 2000, 643, 644; BGH JZ 1963, 402, 403; OLG Celle StV 1983, 284, 285; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 43. Vgl hierzu ua BVerfGE 81, 278, 294 ff. RGSt 61, 308; OLG Köln NJW 1979, 1562; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 90a Rn 5; Schroeder JR 1979, 89, 93.
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aa) Der Begriff des Staatsgeheimnisses (§ 93 StGB). Im Zentrum der Straftaten des zweiten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB steht der Begriff des Staatsgeheimnisses, der in § 93 StGB eine Legaldefinition erfährt. In Anlehnung an den Begriff des „Geheimnisses“ allgemein 410 versteht man demnach unter einem Staatsgeheimnis „[…] Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden“ (Abs 1),411 wobei § 93 Abs 2 StGB ausdrücklich klar stellt, dass „Tatsachen, die [lediglich] gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen“, keine Staatsgeheimnisse darstellen. Durch diesen Tatbestandsausschluss soll eine Bestrafung wegen Landesverrat verhindert werden, wie sie im „Fall Ossietzky“ in der Weimarer Zeit vorgekommen war. In jenem Fall gründete die Verurteilung auf der Veröffentlichung eines Artikels in der „Weltbühne“, welcher die heimlich durchgeführte – infolge der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung Deutschlands illegale – Aufrüstung der sog „Schwarzen Reichswehr“ öffentlich bekannt machte.412 Maßstab dafür, was unter einem Staatsgeheimnis zu verstehen ist, ist ein materieller 198 Geheimnisbegriff.413 Entscheidend ist die objektive Geheimhaltungsbedürftigkeit, nicht die subjektive Auffassung der Behörde (sog „formeller Geheimnisbegriff“). Allerdings verlangen manche Tatbestände (§§ 95, 96 Abs 2, 97 StGB) auf der Grundlage dieses materiellen Geheimnisbegriffes zusätzlich noch eine faktische Geheimhaltung durch die entsprechende Behörde. Für den publizistischen Bereich besonders interessant ist die Frage, ob die Zusammen199 stellung (und Publikation) von Tatsachen aus verschiedenen Quellen, die öffentlich zugänglich sind, dazu führen kann, dass als „Gesamtbild“ ein Staatsgeheimnis mitgeteilt wird (sog „Mosaiktheorie“).414 Dies soll jedenfalls dann der Fall sein, wenn über die bloße Zusammenstellung hinaus durch systematische und sachkundige Analyse eine neue Erkenntnis gewonnen wird, die den materiellen Geheimnisbegriff erfüllt.415 Obwohl der Wortlaut des § 93 StGB eine solche Auslegung insbesondere im Hinblick auf das Merkmal der „Erkenntnisse“ zulassen würde, ist diesem Ergebnis zu widersprechen. Was aus allgemein zugänglichen Quellen recherchiert wird, kann auch durch eine sinnvolle Analyse nicht zu einem Geheimnis werden.416
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bb) Der Landesverrat (§ 94 StGB). Der Landesverrat zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter ein Staatsgeheimnis entweder direkt oder indirekt über einen „Mittelsmann“ einer „fremden Macht“ mitteilt (Abs 1 Nr 1) oder aber an einen Unbefugten gelangen
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413 414
Fischer § 203 Rn 4 ff: Lackner/Kühl § 203 Rn 14. Vgl zum Begriff des Staatsgeheimnisses aus der Rechtsprechung BGH NJW 1971, 715. Zum „Fall Ossietzky“ vgl BGH MDR 1993, 167 (Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens). Löffler/Ricker Kap 50 Rn 55; Schönke/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 93 Rn 5. Vgl zu dieser „Mosaiktheorie“ Löffler/ Ricker Kap 50 Rn 56; SK/Rudolphi § 93 Rn 14 ff.
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RGSt 25, 45, 50; BGHSt 7, 234, 234 f; BGHSt 15, 17, 17 f; Fischer § 93 Rn 4; Jescheck JZ 1967, 6, 9 f; Lackner/Kühl § 93 Rn 2; LK/Träger 11. Aufl § 93 Rn 5; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 56. So auch Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 93 Rn 11 ff; vgl auch BVerfGE 20, 162, 180 f – zur Unanwendbarkeit der Mosaiktheorie im Bereich des publizistischen Landesverrats gem § 99 Abs 1 StGB.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
lässt (Abs 1 Nr 2 Alt 1) oder – für Medien bedeutsam – öffentlich bekannt macht (Abs 1 Nr 2 Alt 2), wobei der Täter in dieser Alternative – im Gegensatz zum bloßen Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 95 StGB) – gerade in der Absicht handeln muss, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder die fremde Macht zu begünstigen. Diese Absicht fehlt zB dann, wenn der Täter das Geheimnis „nur“ aus Profitgier – oder zur Auflagensteigerung – verbreitet.417 Das Delikt ist als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestaltet, dh durch das Verhalten muss die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt werden. Die Tat ist in ihrem Grundtatbestand ein Verbrechen iSd § 12 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) und kann nach Abs 2 sogar mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden, wenn der Täter eine verantwortliche Stellung missbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet (Abs 2 S 2 Nr 1) oder wenn er die Gefahr eines „besonders“ schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeiführt (Abs 2 S 2 Nr 2). cc) Das Offenbaren und die Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§§ 95, 97 StGB). 201 Handelt der Täter bei der Weitergabe eines Staatsgeheimnisses an einen Unbefugten oder – im vorliegenden Zusammenhang relevant – bei einer öffentlichen Bekanntgabe ohne die in § 94 Abs 1 Nr 2 StGB vorausgesetzte Absicht, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, dann liegt „lediglich“ eine Straftat nach § 95 StGB (Offenbaren von Staatsgeheimnissen) vor, deren Strafrahmen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vergleichsweise milde ist und die Tat – im Unterschied zu § 94 StGB – zu einem Vergehen iSd § 12 Abs 2 StGB macht. Entscheidend ist hierbei allerdings, dass das Staatsgeheimnis zudem noch von einer amtlichen Stelle selbst, oder auf deren Veranlassung hin, geheim gehalten wird 418 und der Täter durch sein Verhalten die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeiführt (konkretes Gefährdungsdelikt). Dabei muss diese Gefährdung vom (jedenfalls bedingten) Vorsatz des Täters umfasst sein. Hintergrund dieser Strafnorm ist, dass auch Fälle des sog „Publizistischen Landesverrats“ unter Strafe gestellt werden sollen, in denen der Täter aus dem subjektiv verstandenen Interesse heraus, dem Wohl der Bundesrepublik und dem öffentlichen Informationsbedürfnis zu dienen, Staatsgeheimnisse verrät, die von der Behörde geheim gehalten werden wollen.419 Handelt der Täter im Hinblick auf diese Gefahr nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig, 202 ist die Tat als „Preisgabe von Staatsgeheimnissen“ nach § 97 StGB strafbar (Strafrahmen: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Wenn die §§ 95, 97 StGB als Tathandlung vom „Gelangenlassen“ sprechen, so wird 203 hiervon sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen erfasst. Die Übergabe von geheimen Akten an die Presse stellt im Rahmen dieser Tatbestände eine Weitergabe an „Unbefugte“ dar, da Medienunternehmen keine generelle Befugnis zur Kenntnis von Staatsgeheimnissen zusteht.420 Dient die Weitgabe der Akten dazu, illegale Zustände aufzudecken, schließt dies daher nicht den Tatbestand aus, sondern kann allenfalls zu einer Rechtfertigung führen. Dabei stellt allerdings die Meinungs- und Pressefreiheit nicht per se einen solchen 417
418
Fischer § 94 Rn 5, 7; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 59; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 94 Rn 12; vgl aber auch LK/Träger 11. Aufl § 94 Rn 7. Vgl zu dieser Kombination von materiellem und formellen Geheimnisbegriff bereits oben Rn 198.
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420
Vgl hierzu aus der Rechtsprechung BVerfGE 20, 162 – Spiegel; BVerfGE 21, 239; BVerfG NJW 1970, 1498 – Pätsch. Löffler/Ricker Kap 50 Rn 61.
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Rechtfertigungsgrund dar. Allerdings kann hier aus dem allgemeinen Prinzip der Güterabwägung heraus – Abwägung zwischen den Erfordernissen des Staatsschutzes einerseits und der Informationsfreiheit andererseits – im Einzelfall ein übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund abgeleitet werden.421 Dieses Recht steht dann aber jedem Staatsbürger zu, die Medien nehmen diesbezüglich keine Sonderstellung oder privilegierte Stellung ein.422
204
dd) Das „Sich-Verschaffen“ von Staatsgeheimnissen (§ 96 StGB). Vorbereitungshandlungen zu den Straften der §§ 94, 95 StGB werden in § 96 StGB unter dem Titel „Landesverräterische Ausspähung“ (Abs 1 – Vorbereitung einer Tat nach § 94 StGB) und „Auskundschaften von Staatsgeheimnissen“ (Abs 2 – Vorbereitung einer Tat nach § 95 StGB) unter Strafe gestellt. Tathandlung ist hierbei das „Sich-Verschaffen“ solcher Geheimnisse in der Absicht, diese zu verraten bzw zu offenbaren. Dabei setzt ein Verschaffen ein aktives Tun, eine aktive Recherche voraus. Wem als Pressevertreter ein Geheimnis ohne sein Zutun zugespielt wird, „verschafft“ sich dieses folglich nicht, auch wenn er die Akten nicht sogleich zurückgibt. Sobald eines der Delikte der §§ 94, 95 StGB wenigstens versucht wurde, tritt § 96 StGB zurück.423
205
ee) Der Verrat illegaler Geheimnisse (§§ 97a, 97b StGB). Bei der Begriffsbestimmung des „Staatsgeheimnisses“ wurde darauf hingewiesen, dass auf Grund der Sondervorschrift des § 93 Abs 2 StGB „Tatsachen, die gegen die freiheitliche Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatliche Rüstungsbeschränkungen verstoßen […]“, keine Staatsgeheimnisse sind.424 Dennoch ist derjenige, der ein solches sog „illegales Geheimnis“ an eine fremde Macht oder einen Mittelsmann einer solchen mitteilt, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, nach § 97a StGB wie ein Landesverräter – dh mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr – zu bestrafen. Im Gegensatz zu § 94 StGB wird hier also ausschließlich die geheime Weitergabe, nicht aber (wie in § 94 Abs 1 Nr 2 StGB) die öffentliche Bekanntgabe unter Strafe gestellt. Hält der Täter ein „echtes“ Staatsgeheimnis (vgl § 93 Abs 1 StGB) lediglich für ein 206 „illegales“ Geheimnis iSd § 93 Abs 2 StGB, so enthält § 97b StGB einen eigenständigen Straftatbestand für diese Irrtumskonstellation, die einer weitergehenden Privilegierungswirkung dieses Irrtums entgegensteht.
207
ff) Die landesverräterische Fälschung (§ 100a StGB). Nicht nur die Weitergabe oder öffentliche Bekanntgabe tatsächlicher Staatsgeheimnisse, sondern auch diejenige unzutreffender Informationen kann die äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährden, weshalb § 100a StGB für diesen Fall einen eigenen Straftatbestand enthält.425 Voraussetzung ist, dass der Täter diese falschen Informationen „als echt“ in Umlauf setzt. Tatmittel müssen „gefälschte oder verfälschte Gegenstände, Nachrichten darüber oder unwahre Behauptungen tatsächlicher Art“ sein, also zB die Weitergabe eines angeblichen Geheimprotokolls, aus dem sich ergeben soll, dass die Regierung einen Angriffskrieg plane. Erfasst ist also nur die Weitergabe von Fakten, nicht von eigenen Einschätzungen und Bewertungen. Der Täter muss zudem wider besseren Wissens handeln, sodass zB die Publikation einer brisanten Nachricht, die der Betreffende in Abweichung von der Wirk421 422
Löffler/Ricker Kap 50 Rn 62; Schönke/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 95 Rn 12ff. Baumann JZ 1966, 329, 335; Jescheck JZ 1967, 6, 10; Löffler/Ricker Kap 50 Rn 62; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 95 Rn 16 f; Stree JZ 1963, 527, 531.
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423 424 425
BGHSt 6, 385, 390 – zu § 100 StGB aF. Vgl oben Rn 197. Zu einer solchen „Staatsverleumdung“ vgl BGHSt 10, 163, 172 f.
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lichkeit für echt bzw wahr hält, nicht erfasst ist. In § 100a Abs 2 StGB wird darüber hinaus auch die Vorbereitung einer solchen Tat (ua durch die bloße Herstellung oder Fälschung eines entsprechenden Tatgegenstandes) unter Strafe gestellt. e) Störpropaganda gegen die Bundeswehr (§ 109d StGB). Über § 109d StGB wird die 208 Bundeswehr gegen die Verbreitung sie betreffender verleumderischer Nachrichten geschützt. Verboten ist die Verbreitung von „unwahren oder gröblich entstellenden Behauptungen tatsächlicher Art“ sowie bereits das Aufstellen entsprechender Behauptungen. Es geht also auch hier um das Verbot der Verbreitung von unechten oder unwahren Fakten – Werturteile oder subjektive Einschätzungen sind wiederum nicht erfasst.426 Die Informationen müssen ferner geeignet sein, „die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören“. Liegt eine solche Eignung vor, dann ist nicht erst die Verbreitung, sondern bereits die Aufstellung einer solchen Behauptung zum Zweck der Verbreitung unter Strafe gestellt, wobei im Rahmen des § 109d StGB – im Gegensatz zu § 186 StGB – mit „Verbreitung“ hier die Weitergabe an einen größeren Personenkreis gemeint ist.427 Dabei wird der Tatbestand im subjektiven Bereich in zweierlei Hinsicht eingeschränkt. Zunächst muss der Täter hinsichtlich der Unwahrheit der aufgestellten oder verbreiteten Tatsache „wider besseres Wissen“ handeln, also positive Kenntnis ihrer Unwahrheit haben, sodass die Weitergabe einer Tatsache, die der Betreffende irrtümlich für echt hält, nicht erfasst ist. Ferner muss er in der Absicht handeln, „die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung zu behindern“. f) Sicherheitsgefährdendes Abbilden (§ 109g StGB). Nach § 109g StGB macht sich 209 strafbar, wer wissentlich die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe dadurch gefährdet (konkretes Gefährdungsdelikt), dass er entweder von militärischen Anlagen oder Vorgängen Abbildungen oder Beschreibungen (Abs 1) oder von einem Luftfahrzeug aus Fotos von einem inländischen Gebietsteil oder Gegenständen (Abs 2) anfertigt. Strafbar ist es ferner – und das ist für Medienunternehmen interessant – eine solche Abbildung oder Beschreibung an einen anderen gelangen zu lassen, also zB zu veröffentlichen. Insoweit ist es nicht nur verboten, Fotografien ohne Genehmigung zu veröffentlichen, 210 sondern es ist auch untersagt (Abs 1), Zeichnungen, Skizzen oder in Worten gefasste Beschreibungen von Wehrmitteln, militärischen Einrichtungen oder Anlagen oder militärischer Vorgänge an andere weiterzugeben. Nicht erfasst sind hingegen Anlagen, die nicht unmittelbar dem Zweck der Bundeswehr dienen oder deren Verfügungsgewalt unterstehen wie zB Abbildungen militärischer Zulieferungsbetriebe.428 Im Hinblick auf Abs 1 enthält Abs 4 noch eine Erweiterung der Strafbarkeit auf Personen, welche die beschriebene Gefahr nicht wissentlich, sondern lediglich (bedingt) vorsätzlich oder leichtfertig herbeiführen.429 Die Strafbarkeit entfällt hier allerdings, wenn der Täter mit Erlaubnis der zuständigen Dienststelle gehandelt hat. g) Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§ 353d StGB). Systematisch 211 an falscher Stelle – inmitten der in der Regel nur von Amtsträgern begehbaren Amtsdelikte der §§ 331ff StGB – befindet sich die für Medienunternehmen relevante, wenn auch in der Praxis nur selten zur Anwendung kommende 430 Strafvorschrift der „Verbotenen Mit426
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Fischer § 109d Rn 4; Löffler/Ricker Kap 51 Rn 4; vgl aus der Rechtsprechung BGH JR 1977, 28. Fischer § 109d Rn 3; Löffler/Ricker Kap 51 Rn 3.
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Fischer § 109g Rn 2; Löffler/Ricker Kap 51 Rn 6; Schönke/Schröder/Eser § 109g Rn 7. Vgl hierzu auch den Fall BGH bei Schmidt MDR 1994, 237, 238. BGHSt 23, 64, 70 f.
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teilungen über Gerichtsverhandlungen“ (§ 353d StGB) die insgesamt drei Tatvarianten (bei Strafdrohung von jeweils Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) beinhaltet. Nach § 353d Nr 1 StGB wird derjenige bestraft, der entgegen einem gesetzlichen Ver212 bot über eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder über den Inhalt eines diese Sache betreffenden amtlichen Schriftstückes öffentlich eine Mitteilung macht. Ein solches Verbot enthält derzeit (nur) § 174 Abs 2 GVG: „Soweit die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen wird, dürfen Presse, Rundfunk und Fernsehen keine Berichte über die Verhandlungen und den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstückes veröffentlichen.“ Eine generelle Ausdehnung auf Verfahren, bei denen die Öffentlichkeit kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 48 Abs 1 JGG, §§ 170, 171 Abs 2 GVG) ist somit nicht möglich. Die Vorschrift dient daher ausschließlich der Staatssicherheit. Insoweit sind auch nur solche Mitteilungen erfasst, die Gegenstände betreffen, weswegen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.431 Ist dies der Fall, dann muss eine konkrete Eignung, durch die Mitteilung die Staatssicherheit zu gefährden, nicht mehr festgestellt werden (abstraktes Gefährdungsdelikt 432). Da § 174 Abs 2 GVG nur die Berichterstattung durch Presse, Rundfunk und Fernsehen betrifft, sind auch nur solche Personen als Täter erfasst, die bei den genannten Medien tätig sind. § 353d Nr 1 StGB stellt damit faktisch ein Sonderdelikt dar, was zur Folge hat, dass sich Privatpersonen – zB in Leserbriefen oder Rundfunkinterviews – straffrei öffentlich äußern können.433 Nach der zweiten Tatvariante (§ 353d Nr 2 StGB) macht sich strafbar, wer entgegen 213 einer gesetzlich oder gerichtlich angeordneten Schweigepflicht (vgl § 174 Abs 3 GVG) Tatsachen unbefugt offenbart, die durch eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu seiner Kenntnis gelangt sind. Erfasst ist neben dem Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit (§ 172 Nr 1 GVG) auch ein solcher zum Schutz der Privatsphäre (§ 171b GVG) oder eines Geschäfts- oder privaten Geheimnisses (§ 172 Nr 2 und Nr 3 GVG). Zusätzlich zu dem angeordneten Ausschluss der Öffentlichkeit muss das Gericht auch die Schweigepflicht nach § 174 Abs 3 GVG konkret anordnen. Betroffen sind davon sämtliche im Gerichtssaal nach Ausschluss der Öffentlichkeit verbliebenen Personen. Die Vorschrift stellt also im Gegensatz zu § 353d Nr 1 StGB kein Sonderdelikt für Presse, Rundfunk und Fernsehen dar.434 Schließlich macht sich nach § 353d Nr 3 StGB strafbar, wer amtliche Schriftstücke 214 (insbesondere eine Anklageschrift), die ein Straf-, Bußgeld- oder Disziplinarverfahren betreffen, ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen worden ist. Dieses Publikationsverbot soll einerseits dazu dienen, die Unbefangenheit der am Verfahren beteiligten Personen zu schützen, was insbesondere im Hinblick auf die Laienrichter und die Zeugen relevant wird, die nicht durch eine (möglicherweise gezielte) Vorabinformation beeinflusst werden sollen.435 Andererseits sollen die Betroffenen vor einer Bloßstellung oder öffentlichen Vorverurteilung bereits vor Verfahrensbeginn bzw wäh-
431
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Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 10; aA RGSt 38, 303, 304 f; Fischer § 353d Rn 3; LK/Träger 11. Aufl § 353d Rn 13. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 3. Löffler/Ricker Kap 58 Rn 9; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 7.
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Vgl hierzu Löffler/Ricker Kap 58 Rn 10; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 26 f. BT-Drucks IV/650, 639 ff; hierzu auch BVerfGE 71, 206, 214 ff.
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rend des Verfahrens geschützt werden.436 Nach dem eindeutigen Wortlaut wird nur die unmittelbare vollständige oder auszugsweise wörtliche Wiedergabe des Schriftstückes von der Strafnorm erfasst, nicht aber die Mitteilung ihres Inhalts an sich. So kann schon eine geringfügige textliche Veränderung genügen, um die Strafbarkeit entfallen zu lassen.437 Dies erscheint durchaus problematisch, denn auch Letzteres läuft dem Schutzzweck der Vorschrift an sich zuwider. Insoweit wurde auch vielfach bezweifelt, ob die Einschränkung der Pressefreiheit im Hinblick auf den nur fragmentarisch erreichten Schutz überhaupt zulässig ist.438 Das BVerfG bestätigte jedoch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift.439 Bei einer auszugsweisen Wiedergabe des Inhalts muss geprüft werden, ob der Schriftsatz „in wesentlichen Teilen“ mitgeteilt wird. Dies scheidet jedenfalls dann aus, wenn Textpassagen oder Zitate aus dem Zusammenhang gerissen werden.440 Auch die bloße Mitteilung des Anklagesatzes unter Ausklammerung der wesentlichen Ermittlungsergebnisse soll noch nicht genügen,441 was jedoch zweifelhaft ist. Unter den Begriff der „amtlichen Schriftstücke“ fallen dabei nicht nur solche, die – wie zB eine Anklageschrift – staatlichen Ursprungs sind, sondern auch Urkunden privater Verfasser, die im Rahmen der genannten Verfahren in dienstliche Verwahrung genommen wurden.442 Dies ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut der Vorschrift, entspricht aber dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Schutz beginnt regelmäßig mit dem Beginn des (Ermittlungs-)Verfahrens und endet, wenn das amtliche Schriftstück in einer öffentlichen Verhandlung erörtert (dh jedoch nicht zwingend: wörtlich vorgelesen) wurde oder das Verfahren abgeschlossen ist. Mit dem Abschluss des Verfahrens ist der Zeitpunkt gemeint, in dem die jeweilige Entscheidung ergeht.443 Eine rechtskräftige Beendigung des Verfahrens ist nicht erforderlich.444 Dies wird einerseits vom Schutzzweck der Vorschrift nicht gefordert und würde andererseits auch dazu führen, dass bei einer Publikation und Erörterung von instanzgerichtlichen Entscheidungen in der Fachpresse nicht alle Erkenntnisquellen genutzt werden könnten. 3. Die Verbreitung rechtswidriger Inhalte a) Das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 215 StGB). § 86 StGB soll die Unterstützung verfassungswidriger Organisationen verhindern. Insoweit ist es verboten, rechtsstaatsgefährdende Propagandamittel dieser Organisationen 436 437
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BT-Drucks 7/1261, 23; BVerfGE 71, 206, 219; Wilhelm NJW 1994, 1520, 1521. Löffler/Ricker Kap 58 Rn 7; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 49; aA Fischer § 353d Rn 6; LK/Träger 11. Aufl § 353d Rn 58. OLG Köln JR 1980, 473, 474; Schomburg ZRP 1982, 142. BVerfGE 71, 206 mit zust Anm von Bottke NStZ 1987, 314; Hoffmann-Riem JZ 1986, 494; für eine Streichung der Vorschrift hingegen Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 2007, 249, 251. Löffler/Ricker Kap 58 Rn 7; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 50; aA Fischer § 353d Rn 6. OLG Hamm NJW 1977, 967, 968; OLG Köln JR 1980, 473; Löffler/Ricker Kap 58
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Rn 7; aA Fischer § 353d Rn 6a, welche den Schutz des Anklagesatzes uneingeschränkt bejahen. OLG Hamburg NStZ 1990, 283, 283 f; Löffler/Ricker Kap 58 Rn 6; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 353d Rn 13; aA AG Hamburg NStZ 1988, 411; Lackner/Kühl § 353d Rn 4. Bottke NStZ 1987, 314, 317; Löffler/Ricker Kap 58 Rn 8; Schönke/Schröder/Lenckner/ Perron § 353d Rn 57; vgl auch OVG Bremen NJW 1989, 926 zur Gleichbehandlung von Fachzeitschriften bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen. So aber OLG Köln JR 1980, 473; Fischer § 353d Rn 6a; Lackner/Kühl § 353d Rn 4.
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in Umlauf zu bringen. Die Vorschrift ist – obwohl sie die Grundrechte der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit einschränkt – mit dem Grundgesetz vereinbar.445 Was unter Propagandamittel zu verstehen ist, regelt § 86 Abs 2 StGB. Hiernach sind nur Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 446 erfasst, deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen. Einschränkend wird von der Rechtsprechung verlangt, dass die genannten Zwecke mit einer aktiv kämpferischen, aggressiven Tendenz verfolgt werden 447 und sich gerade gegen die Verwirklichung der angegriffenen Grundwerte in der Bundesrepublik richten, sodass vorkonstitutionelle Schriften ausscheiden.448 Erfasst sind nur Propagandamittel bestimmter, in § 86 Abs 1 StGB abschließend aufgezählter Organisationen. Dabei handelt es sich um verbotene Parteien oder Ersatzorganisationen (Nr 1), bestimmte verbotene Vereine (Nr 2), ausländische Organisationen, welche die vorgenannten Parteien oder Vereine unterstützen (Nr 3), sowie NS-Nachfolgeorganisationen (Nr 4). Tathandlung ist in erster Linie das Verbreiten solcher Schriften, wobei lediglich die Verbreitung im Inland erfasst ist. Darüber hinaus wird jedoch auch bestraft, wer die Schriften herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt, um sie im Inland oder Ausland zu verbreiten. Schließlich ist als Tathandlung auch noch das öffentliche Zugänglichmachen in Datenspeichern erfasst. Einen – insbesondere für Medienunternehmen relevanten – Ausschlusstatbestand regelt § 86 Abs 3 StGB (sog „Sozialadäquanzklausel“), der in gleicher Weise auch für die Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen (§ 86a StGB) 449 oder volksverhetzender Äußerungen (§ 130 StGB) 450 gilt, weshalb die Klausel an dieser Stelle umfassend erörtert werden soll. Hiernach entfällt der Tatbestand,451 wenn entweder das Propagandamittel selbst oder aber die Tathandlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlicher Zwecke dient. Leitgedanke dieser Ausnahmen ist, dass das Verbreiten der Propagandamittel in Umkehrung ihres ursprünglichen Sinngehaltes hier gerade dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung dient,452 weshalb § 86 Abs 3 StGB wiederum in all denjenigen Fällen ausscheidet, in denen – trotz Vorschiebens der genannten Gründe – das Verbreiten letztlich doch der Agitation und Propaganda (und sei es auch seitens der politischen Gegner) dienen soll.453 Als staatsbürgerliche Aufklärung sind alle Handlungen anzusehen, die der Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und dadurch der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen.454 Hiernach scheidet eine Strafbarkeit aus, wenn das (Propaganda-) Material in Aufklärungsfilmen, Ausstellungen, Geschichtsbüchern, als Schaubilder und Tonwiedergaben in politischen Seminaren oder sonst zu Unterrichtszwecken eingesetzt wird. 445 446 447 448 449 450 451
BGHSt 23, 64, 70 f. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben 48 ff. BGHSt 23, 64, 72. BGHSt 29, 73, 75 ff; krit hierzu Gotke JA 1980, 125; NK/Paeffgen § 86 Rn 16, 45. Vgl hierzu unten Rn 224 ff. Vgl hierzu unten Rn 228 f. Fischer § 86a Rn 20; Lackner/Kühl § 86a
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Rn 8; Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben § 86a Rn 10; aA Greiser NJW 1969, 1155, 1156; differenzierend NK/Paeffgen § 86 Rn 38 ff. Greiser NJW 1972, 1556, 1557. Vgl hierzu Greiser NJW 1972, 1556, 1557. BGHSt 23, 226, 227; OLG Stuttgart MMR 2006, 387, 389; LK/Laufhütte 11. Aufl § 86 Rn 20; hierzu auch Kohlmann JZ 1971, 681.
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Die staatsbürgerliche Aufklärung ist dabei kein Privileg von Schulen und sonstigen politischen Bildungsstätten, sondern kann auch durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und sogar durch Privatpersonen durchgeführt werden.455 Allerdings kann eine staatsbürgerliche Aufklärung nicht durch die verfassungswidrige Organisation selbst erfolgen.456 Zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen dürfen Propagandamittel insbeson- 221 dere dann verwendet werden, wenn das Verhalten dazu dient, bestimmte Behörden oder die Bevölkerung zur Mitwirkung bei der Aufdeckung dieser Bestrebungen aufzurufen. Als verfassungswidrige Bestrebungen sind dabei sämtliche politischen Erscheinungsformen anzusehen, die nach Ansicht eines größeren Bevölkerungsteils (bereits) den Verdacht grundgesetzwidriger Bestrebungen rechtfertigen können.457 Wiederum ist hier allerdings eine Tätigkeit durch die verfassungswidrige Organisation selbst ebenso ausgeschlossen wie eine Handlung, die in erster Linie der Propaganda, Agitation oder Werbung seitens des politischen Gegners dient.458 Zulässig ist ferner eine Verbreitung der Propagandamittel zu Zwecken der Kunst oder 222 der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte. Hierunter fällt insbesondere das Verwenden der Propagandamittel in Theaterstücken, Hörspielen, Filmen und kabarettistischen Darbietungen. Unter die „ähnlichen Zwecke“ fällt eine Verwendung oder Verbreitung des Propaganda- 223 materials bzw der Kennzeichen (vgl § 86a StGB), wenn dies sozial üblich oder nützlich ist und einer historisch überlieferten und sozialethisch gebilligten Gepflogenheit entspricht.459 Maßstab der Beurteilung muss letztlich aber auch hier stets sein, dass nur Verhaltensweisen erfasst werden, die den Schutzzweck der Vorschriften der §§ 86 ff StGB offensichtlich nicht beeinträchtigen.460 Erforderlich ist wiederum stets die konkrete Beurteilung des Einzelfalles. So fällt eine Verwendung von Propagandamitteln aus Übermut oder Scherz regelmäßig nicht in den Schutzbereich des § 86 Abs 3 StGB.461 Von § 86 Abs 3 StGB regelmäßig erfasst ist hingegen das Verwenden von Propagandamaterial oder Kennzeichen iSd § 86a StGB zum Zwecke der offenkundigen Warnung vor dem Wiederaufleben einer verfassungswidrigen Organisation 462 oder die Verwendung historischer Fotos (zB in einem Lexikon).463 Auch schützt § 86 Abs 3 StGB unter dem Merkmal der „anderen Zwecke“ den Strafverteidiger, sofern dieser gezwungen ist, zur Verteidigung seines Mandanten (zB bei einer Anklage wegen Volksverhetzung gem § 130 StGB) Handlungen vorzunehmen, welche tatbestandlich einen der §§ 86 ff StGB erfüllen (zB das wörtliche Zitieren oder sinngemäße Wiedergeben eines Ausspruchs mit verfassungsfeindlichem Inhalt in der öffentlichen Hauptverhandlung).464 Auszuscheiden ist dagegen die 455
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OLG Stuttgart MMR 2006, 387, 389; Fischer § 86 Rn 19; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 84 Rn 36. BGHSt 23, 226, 228 f; Fischer § 86 Rn 10; aA Kohlmann JZ 1971, 681, 682 f. Greiser NJW 1969, 1155, 1156; ders NJW 1972, 1556, 1557. Vgl hierzu Greiser NJW 1972, 1556, 1557. Greiser NJW 1972, 1556, 1557; Lüttger GA 1960, 129, 144. BGHSt 25, 30; BGHSt 25, 133, 136; BGHSt 28, 394, 396; OLG Köln NStZ 1984, 508; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 84a Rn 6; vgl auch OLG Celle NJW 1970, 2257; Greiser NJW 1972, 1556, 1557 f.
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Vgl BayObLG NJW 1962, 1878. OLG Stuttgart MDR 1982, 246; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 86a Rn 6; vgl aber auch OLG Frankfurt NStZ 1982, 333 wonach ein Tatbestandsausschluss nach § 86a Abs 3 iVm § 86 Abs 3 StGB nicht bereits dann vorliegt, wenn der Verwender eigentlich ein (politischer oder ideologischer) Gegner des Urhebers des verfassungsfeindlichen Kennzeichens ist. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 86a Rn 6. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 86 Rn 17.
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Verwendung und Verbreitung zu rein wirtschaftlichen Zwecken (zB die Vermarktung als Souvenirstücke oder der Einsatz zu „reißerischer“ Werbung).465
224
b) Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB). § 86a StGB bestraft das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Wiederum sind in Abs 1 Nr 1 und Nr 2 verschiedene Tatvarianten aufgezählt, die auch von Medienunternehmen verwirklicht werden können. Tatobjekt ist das Kennzeichen einer der in § 86 Abs 1 Nr 1, 2 und 4 StGB genannten 225 verfassungswidrigen Organisationen.466 Hierdurch werden sämtliche Gegenstände und Verhaltensweisen erfasst, die durch ihren Symbolwert auf die verfassungswidrige Organisation hinweisen, den Zusammenhalt der Mitglieder und Sympathisanten stärken und die Organisation von anderen unterscheiden. Erfasst werden dabei alle optisch und akustisch wahrnehmbaren Sinnesäußerungen, die nach der Verkehrsauffassung mit der Organisation in Verbindung gebracht werden, wobei das Kennzeichen nicht körperlich fixiert sein muss.467 Auch der „Hitlergruß“ (durchgestreckter rechter Arm) stellt somit ein Kennzeichen dar.468 In § 86a Abs 2 StGB werden als Beispiele (vgl „namentlich“) Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen genannt. Darüber hinaus können aber auch Lieder,469 Symbole, Abkürzungen, Firmennamen oder Bilder 470 unter Abs 2 fallen. Verboten ist auch die Verwendung von Kennzeichen, die lediglich geringfügig verändert wurden, sofern sie trotz der Veränderung dem unbefangenen Betrachter den Eindruck eines verbotenen Kennzeichens und zugleich dessen Symbolgehalt vermitteln.471 Dies ist nunmehr ausdrücklich in § 86a Abs 2 S 2 StGB geregelt, wonach auch Kennzeichen, die den in § 86a Abs 2 S 1 StGB umschriebenen Zeichen zum Verwechseln ähnlich sehen, erfasst sind. Es muss jedoch in seinem auf die verfassungswidrige Organisation hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein.472 Sofern ein (verbotenes) verfassungswidriges Kennzeichen allerdings durch die Veränderung die Gestalt eines Zeichens annimmt, das von legalen Vereinigungen oder Institutionen benutzt und vom unbefangenen Beobachter auch diesen zugeordnet wird, scheidet eine Strafbarkeit aus.473 Ebenso fällt eine karikaturistisch verzerrte Darstellung eines Kennzeichens, mit der die scharfe Ablehnung der Vereinigung, die dieses Kennzeichen üblicherweise verwendet (hat), zum Ausdruck gebracht werden soll, nicht unter den Kennzeichenbegriff.474 Strafbar macht sich, wer ein solches Kennzeichen entweder verbreitet 475 oder öffent226 lich in einer Versammlung oder in einer von ihm verbreiteten Schrift iSd § 11 Abs 3 StGB 476 verwendet (§ 86a Abs 1 Nr 1 StGB). Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass die Verbreitung oder Verwendung im Inland stattfinden muss.477 Ferner macht sich straf465 466 467 468
469
470 471
BGHSt 23, 64, 78 f. Vgl zu diesen Organisationen oben Rn 217. Stegbauer JR 2002, 182, 184. BGHSt 25, 30; BGHSt 25, 133, 136; OLG Celle NStZ 1994, 440; Greiser NJW 1969, 1155; B Heinrich NStZ 2000, 533; LK/Laufhütte 11. Aufl § 86a Rn 4; Schönke/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 86a Rn 3; Stegbauer JR 2002, 182, 185. BT-Drucks IV/430, 18; BGH MDR 1965, 923; BayObLG NJW 1962, 1878; OLG Oldenburg NStZ 1988, 74. BGH MDR 1965, 923; OLG Frankfurt NStZ 1998, 356. OLG Köln NStZ 1984, 508; OLG Hamburg
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472
473 474 475 476 477
NStZ 1981, 393; OLG Oldenburg NStZ 1988, 74; vgl aber auch BGHSt 25, 128, 130. BGH NJW 1999, 435; vgl zu dieser Problematik auch BayObLG NStZ 1999, 190 mit abl Anm Bartels/Kollorz NStZ 2000, 648. BGH NJW 1999, 435. BGHSt 25, 128. Vgl zur Tathandlung des Verbreitens oben Rn 156 ff. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Vgl zur Problematik des inländischen Tatorts oben Rn 32 ff.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
bar, wer Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt (§ 86a Abs 1 Nr 2 StGB). Wiederum ist auch hier die (Tatbestands-)Einschränkung der Sozialadäquanzklausel 227 zu beachten (§ 86a Abs 3 iVm § 86 Abs 3 StGB).478 c) Die Volksverhetzung (§ 130 StGB). Der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 228 StGB) kennt eine Vielzahl verschiedener Tatvarianten, die an unterschiedliche Tathandlungen anknüpfen. Gegenstand der Sanktionierung sind Äußerungen (Abs 1) oder Schriften (Abs 2 Nr 1) 479 bzw Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste (Abs 2 Nr 2), die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder eine bestimmte Gruppe aufstacheln oder zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern.480 Ferner sind Handlungen erfasst, welche die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder der genannten Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden. In Abs 3 ist die sog „Auschwitzlüge“ unter Strafe gestellt, dh die öffentliche Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes.481 Diese muss allerdings unter den hier genannten Voraussetzungen (Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören) getätigt werden. Wiederum ist auch hier die (Tatbestands-)Einschränkung der Sozialadäquanzklausel 229 zu beachten (§ 130 Abs 5 iVm § 86 Abs 3 StGB).482 d) Die Gewaltdarstellung (§ 131 StGB). Durch das abstrakte Gefährdungsdelikt 483 230 des § 131 StGB 484 soll den Gefahren entgegen gewirkt werden, die durch die Verbreitung von Gewalttätigkeiten insbesondere in Massenmedien (Fernsehen, Videos, DVDs) befürchtet werden. Problematisch ist die Vorschrift allerdings deswegen, weil die Wirkungen dieser Darstellungen empirisch noch nicht ausreichend erforscht sind. Allerdings wird vermutet, dass durch den Konsum von Gewaltdarstellungen die Gewaltbereitschaft insbesondere bei Jugendlichen wächst. Dadurch würde einerseits die Bereitschaft, Konflikte mittels Gewalt zu lösen ansteigen, da die Schwelle, selbst Gewalt anzuwenden, durch die permanente Konfrontation mit Gewalt deutlich herabgesetzt werde, andererseits nehme aber auch die Neugier, die dargestellte Gewalt selbst anzuwenden, zu. Erwiesen ist diese Vermutung jedoch nicht. Kennzeichnend für die Problematik ist allerdings der „Fall Jason“,485 wo ein Jugendlicher durch den Konsum von Gewaltvideos sich mit der Hauptfigur derart identifizierte, dass er selbst – als Jason „verkleidet“ – seine Schwester mit der Axt tötete. Da eine Gefährdung der Gesellschaft durch die häufige Darstellung von Gewalt aber jedenfalls nicht auszuschließen ist,486 wird der Gesetzgeber 478 479 480
481 482 483
Vgl hierzu oben Rn 219 ff. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Vgl zur Tatbestandsmäßigkeit der Verbreitung eines ausländerfeindlichen „politischen Programms“ im Internet BGH NStZ 2007, 216. Vgl hierzu Beisel NJW 1995, 997; Huster NJW 1996, 487; Stegbauer NStZ 2000, 281. Vgl hierzu oben Rn 219 ff. Fischer § 131 Rn 2; LK/von Bubnoff 11. Aufl § 131 Rn 10; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 131 Rn 1; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 Rn 3;
484
485 486
Rackow FS Maiwald 195, 201: „Risikodelikt“; SK/Rudolphi/Stein § 131 Rn 2. Vgl zu § 131 StGB Gerhardt NJW 1975, 375; von Hartlieb UFITA 86 (1980), 101; Meirowitz Gewaltdarstellungen auf Videokassetten, 1993, 345 ff mit einer sehr ausführlichen Auseinandersetzung zur Vereinbarkeit der Norm mit Art 103 Abs 2 GG; ders Jura 1993, 152; Rackow FS Maiwald 195; Weigend FS Herrmann 35, 40 ff. BayObLG NJW 1998, 3580; vgl hierzu Vahle DVP 1999, 345. Vgl Erdemir ZUM 2000, 699, 700 f; Hodel Kriminalistik 1986, 354.
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infolge des hohen Gefährdungspotenzials aber überwiegend als berechtigt angesehen, eine entsprechende Strafnorm zu erlassen. Die Problematik wird allerdings dadurch entschärft, dass die Vorschrift infolge ihrer missglückten Fassung als äußerst schwer praktikabel angesehen wird.487 Tatobjekt sind Schriften,488 „[…] die grausame oder sonst unmenschliche Gewalt231 tätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen (zB „Zombies“) in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame und Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt.“ § 131 Abs 1 StGB nennt insoweit also drei Varianten. Jeweils wird aber vorausgesetzt, dass grausame oder (sonst) unmenschliche Gewalttätigkeiten geschildert werden. Diese Merkmale sind inhaltlich kaum ausreichend definierbar. Unter einer grausamen Schilderung von Gewalttätigkeiten wird man eine solche zu verstehen haben, die bei einem normalen Betrachter Schrecken, Widerwillen und Abscheu hervorruft.489 Als Maßstab des „Unmenschlichen“ dienen die in der Charta der Vereinten Nationen umschrieben Rechte des Einzelnen als Standard.490 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gewaltanwendungen einen realistischen Hintergrund haben oder frei erfunden sind.491 Auch müssen sie nicht durch Menschen begangen werden.492 Zu diesen grausamen oder sonst unmenschlichen Schilderungen muss jedoch hinzu232 kommen, dass sie in einer Art geschildert werden, die entweder eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder aber die Menschenwürde verletzt. Die Anwendung von Gewalt darf also weder als etwas Heldenhaftes noch als etwas Alltägliches erscheinen. Allerdings lässt sich das Merkmal der die Menschenwürde verletzenden Darstellung kaum fassen.493 Denn die Verletzung der Menschenwürde kann nicht bereits in der betreffenden Gewalttätigkeit als solcher gesehen werden, obwohl grausame und unmenschliche Gewalttaten stets die Menschenwürde verletzen.494 Es müssen also noch weitere Merkmale hinzu kommen, die den Menschen zum bloßen Objekt degradieren. Als Tathandlungen sind in § 131 Abs 1 und Abs 2 StGB mehrere Varianten aufge233 führt. In § 131 Abs 1 Nr 1 StGB wird die Verbreitung 495 eines der genannten Tatobjekte unter Strafe gestellt. Nach § 131 Abs 1 Nr 2 StGB macht sich strafbar, wer ein solches Tatobjekt öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht.496 Die dem Jugendschutz dienende Vorschrift des § 131 Abs 1 Nr 3 StGB stellt es unter Strafe, wenn eines der genannten Tatobjekte einer Person unter 18 Jahren angeboten, überlassen oder öffentlich zugänglich gemacht wird.497 Ausreichend ist hier – im Gegensatz zu den übrigen Varianten – bereits die Übermittlung an einen Jugendlichen, ein Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit wird also nicht gefordert. Nach § 131 Abs 4 StGB sind jedoch die Personensorgeberechtigten von der Strafbarkeit ausgenommen, sofern sie nicht durch ihr Verhalten die Erziehungspflicht gröblich verletzen.498 § 131 Abs 1 Nr 4 StGB enthält dagegen ein typisches Vorbereitungsdelikt. Strafbar ist bereits, wer es
487
488 489 490 491
Vgl Erdemir ZUM 2000, 699, 699, 707 f; Fischer § 131 Rn 1; Lackner/Kühl § 131 Rn 1; Löffler/Ricker Kap 52 Rn 20. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Löffler/Ricker Kap 52 Rn 21; zu diesen Merkmalen vgl auch BT-Drucks 10/2546, 22 f. Löffler/Ricker Kap 52 Rn 21. BGH NStZ 2000, 307, 308 f.
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492 493 494 495 496 497 498
BGH NStZ 2000, 307. So auch Fischer § 131 Rn 12. OLG Koblenz NStZ 1998, 40, 41. Vgl zu diesem Merkmal oben Rn 156 f. Vgl zu diesen Merkmalen oben Rn 158 ff und 164 ff. Vgl zu diesen Merkmalen oben Rn 171 ff. Zu diesem „Erzieherprivileg“ vgl Schroeder FS Lange 391.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
„unternimmt“ (nach § 11 Abs 1 Nr 6 StGB fällt hierunter sowohl der Versuch als auch die Vollendung), eines der genannten Tatobjekte herzustellen, zu beziehen, zu liefern, vorrätig zu halten, anzubieten, anzupreisen, einzuführen oder auszuführen.499 Allerdings müssen diese Tathandlungen der Nr 4 von der Absicht getragen sein, die Schrift (oder aus ihr gewonnene Stücke, dh Vervielfältigungsstücke) im Sinne der übrigen Tatvarianten zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen. Durch dieses Erfordernis soll gewährleistet werden, dass der bloße Konsument selbst straffrei bleibt. Schließlich ist es nach § 131 Abs 2 StGB untersagt, eine Darbietung mit dem genannten Inhalt durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste zu verbreiten. Erfasst sind hier also Live-Darbietungen durch die genannten Medien. Nicht erfasst sind aber zB Theateraufführungen.500 Nach § 131 Abs 3 StGB werden jedoch Handlungen, die der Berichterstattung über 234 Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dienen, von der Strafbarkeit ausgenommen. Es entfällt dann bereits der Tatbestand.501 Diese „Sozialadäquanzklausel“ soll es ermöglichen, dem Betrachter ein Bild von der Wirklichkeit einst und jetzt zu geben. Liegt insoweit eine realistische Darstellung vor, wird jedoch in aller Regel bereits das Tatbestandsmerkmal der unmenschlichen Schilderung entfallen.502 Die Anwendung der Strafvorschrift des § 131 StGB wird oftmals in Konflikt mit der 235 durch Art 5 Abs 3 S 1 GG geschützten Kunstfreiheit geraten.503 Prozessual ist zu beachten, dass diejenigen, die mit den Gewaltdarstellungen konfrontiert werden, auf Grund des Charakters der Norm als abstraktem Gefährdungsdelikt, nicht als „Verletzte“ anzusehen sind (und insoweit zB auch kein Klageerzwingungsverfahren betreiben können).504 4. Verbreitung pornografischer Schriften (§§ 184 ff StGB) § 184 StGB stellt bestimmte Handlungen in Bezug auf die sog „einfache“ oder „wei- 236 che“ Pornografie unter Strafe, § 184a und § 184b StGB betreffen hingegen solche in Bezug auf die sog „harte“ Pornografie. Während einfache Pornografie nur unter engen Voraussetzungen (insbesondere im Zusammenhang mit dem Jugendschutz) strafrechtliche Relevanz aufweist, ist harte Pornografie grds verboten und ihre Verwendung umfassend unter Strafe gestellt. a) Die Schutzzwecke der Normen. Die Vorschriften der §§ 184 ff StGB sind von 237 unterschiedlichen Schutzzwecken gekennzeichnet.505 So dient § 184 Abs 1 Nr 1 bis Nr 5 StGB in erster Linie dem Jugendschutz. Dagegen schützt § 184 Abs 1 Nr 6 StGB das Interesse des Einzelnen, nicht gegen seinen Willen mit Pornografie konfrontiert zu werden. Dagegen werden in § 184 Abs 1 Nr 7 StGB die Schutzzwecke kombiniert. Es geht auch hier einerseits um den Jugendschutz, andererseits darum, den Einzelnen vor unerwünschter Konfrontation mit Pornografie zu bewahren. § 184 Abs 1 Nr 8 StGB betrifft Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf die Nr 1–7, sodass hierdurch dieselben 499 500
501
Vgl zu diesen Merkmalen oben Rn 168 ff. Vgl Fischer § 131 Rn 14, § 184c Rn 2; Schönke/Schröder/Lenckner/SternbergLieben § 131 Rn 12, § 184c Rn 4; SK/Rudolphi/Stein § 131 Rn 15, § 130 Rn 17; krit hierzu LK/von Bubnoff 11. Aufl § 131 Rn 12, 32. Fischer § 131 Rn 15; aA (Rechtfertigungsgrund) Löffler/Ricker Kap 52 Rn 23.
502 503
504 505
So auch Löffler/Ricker Kap 52 Rn 23. Vgl hierzu Beisel 268 ff; Emmerich/ Würkner NJW 1986, 1195, 1201 f; Erhardt 25. OLG Koblenz NStZ 1998, 40. Vgl dazu insbesondere Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 3.
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Rechtsgüter wie dort geschützt sind. Einen Fremdkörper stellt hingegen § 184 Abs 1 Nr 9 StGB dar, der (lediglich) Konflikten mit dem Ausland vorbeugen soll.
238
b) Der Begriff der „pornografischen Schrift“. Die Straftatbestände der §§ 184, 184a, 184b StGB setzen das Vorliegen einer „pornografischen Schrift“ voraus. Dabei wird jeweils auf den umfassenden strafrechtlichen Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB verwiesen, der auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen erfasst.506 Als pornografisch gelten nach Ansicht des Gesetzgebers Darstellungen sexueller Vor239 gänge, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit den allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten.507 Da diese Aneinanderreihung einer Vielzahl wertungsausfüllungsbedürftiger Begriffe jedoch bedenklich anmutet, wurden in der Literatur vielfach Versuche unternommen, trennschärfere Begriffe zu entwickeln. So wird teilweise darauf abgestellt, dass als Pornografie inhaltlich die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns und die Entmenschlichung der Sexualität kennzeichnend sein sollen. Der Mensch müsse also durch die Vergröberung des Sexuellen zum bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert werden.508 Ferner müsse als formales Element hinzukommen, dass Sexualität in vergröbernder, aufdringlicher, übersteigernder, „anreißerischer“ oder jedenfalls plump-vordergründiger Art dargestellt wird, die ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen bleibt,509 oder dass die Darstellung „unter Hintansetzung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher […] Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen abzielt“.510 Diese Definitionsversuche können allerdings kaum darüber hinweghelfen, dass eine aussagekräftige Bestimmung des Begriffs der Pornografie kaum gelingen kann.511 Ist man sich noch einig, dass jedenfalls das direkte und deutliche Zeigen der äußeren Geschlechtsorgane, vor allem im Zusammenhang mit einem Geschlechtsverkehr, dem Begriff der Pornografie unterfällt, sind darüber hinausgehende Einordnungen äußerst problematisch. Auch die immer wieder betonte Bewertung des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges 512 führt kaum weiter. Es darf aber letztlich nicht der Wert- und Moralvorstellung des einzelnen Richters überlassen bleiben, welche Darstellungen den §§ 184 ff StGB unterfallen und welche nicht. Auch der Spruch „Ich weiß nicht, wie man Pornografie beschreibt – aber ich erkenne sie sofort“ kann kaum darüber hinweghelfen, dass unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes, Art 103 Abs 2 GG, die derzeitigen Regelungen als problematisch angesehen werden müssen.
506 507
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Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. BT-Drucks VI/3521, 60; krit zu dieser Definition Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 69 ff; Fischer § 184 Rn 7 f; Lackner/Kühl § 184 Rn 2. OLG Düsseldorf NJW 1974, 1474, 1475; OLG Karlsruhe NJW 1987, 1957; Schönke/ Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 4. BGHSt 23, 40, 44 – Fanny Hill; Lackner/ Kühl § 184 Rn 2; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 4.
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511 512
BT-Drucks VI/3521, 60; vgl auch BGHSt 37, 55, 59 f = BGH NJW 1990, 3026, 3027 – Opus Pistorum. So auch Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 71. BVerfGE 83, 130 – Josephine Mutzenbacher; BGH UFITA 86, 203 – Das Reich der Sinne; BGH UFITA 80, 208 – Die 120 Tage von Sodom; BGHSt 37, 55 = BGH NJW 1990, 3026 – Opus Pistorum.
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c) Die Verbreitung pornografischer Schriften gem § 184 StGB. Die Strafnorm erfasst 240 unter der Überschrift „Verbreitung pornografischer Schriften“ unterschiedliche, im Gesetz abschließend aufgezählte Tathandlungen im Zusammenhang mit der einfachen Pornografie. So verbietet es § 184 Abs 1 Nr 1 StGB, eine pornografische Schrift einem Jugendlichen (dh einer Person unter 18 Jahren) anzubieten, zu überlassen oder zugänglich zu machen.513 Die Person muss insoweit individualisiert sein 514 und der Täter muss diesbezüglich auch mit wenigstens bedingtem Vorsatz handeln. Ein Zugänglichmachen kann unter anderem durch die Ausstrahlung von Pornografie über das Fernsehen oder den Rundfunk sowie über das Medium des Internet erfolgen.515 Nach § 184 Abs 1 Nr 2 StGB macht sich strafbar, wer pornografische Schriften an 241 einem Ort, der Jugendlichen zugänglich ist (oder von ihnen eingesehen werden kann) ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht.516 Hier ist es also – im Gegensatz zu § 184 Abs 1 Nr 1 StGB – nicht erforderlich, dass ein bestimmter Jugendlicher tatsächlich Zugang erlangt. Es genügt, wenn die Schrift in den potentiellen Wahrnehmungsbereich eines Jugendlichen gelangt.517 Zugänglich ist dabei jeder Ort, der ohne die Überwindung rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse betreten werden kann. Dabei reicht ein Hinweis „Betreten für Jugendliche unter 18 Jahren verboten“ nicht aus, wenn dieses Verbot nicht ausreichend kontrolliert wird.518 Dagegen entfällt die Strafbarkeit, wenn ein Jugendlicher die Darstellung zwar zur Kenntnis nimmt, er sich aber unter Übertretung eines rechtlichen Verbotes an einem Ort aufhält, der nur für Erwachsene zugänglich ist.519 Für Jugendliche zugänglich ist darüber hinaus auch das Internet.520 Einsehbar ist ein Ort, wenn jedenfalls die abstrakte Möglichkeit besteht, dass eine Person das jeweilige Tatobjekt ohne Zuhilfenahme besonderer Hilfsmittel (zB Ferngläser) erkennen kann.521 Auch diese Tatvariante ist durch die Ausstrahlung von Pornografie über das Fernsehen oder den Rundfunk sowie über das Medium des Internet erfüllt.522 § 184 Abs 1 Nr 3 StGB untersagt den gewerblichen Vertrieb pornografischer Schrif- 242 ten im Wege der hier im Einzelnen aufgezählten Vertriebsformen, die allesamt durch eine gewisse Anonymität gekennzeichnet sind. Untersagt ist das Anbieten oder Überlassen 523 pornografischer Schriften im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, die von Kunden persönlich betreten werden. Unzulässig ist also zB der Vertrieb an Straßenpassanten 524 sowie in Kiosken und anderen Verkaufsstellen, die der Kunde beim Kauf 513 514 515
516 517 518 519
Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 158 ff, 167, 171. Fischer § 184 Rn 10; MünchKommStGB/ Hörnle § 184 Rn 27. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 73; Hörnle NJW 2002, 1008, 1009; Sieber JZ 1996, 494, 496. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 158 ff, 164, 165, 166. OLG Celle MDR 1985, 693. BGH NJW 1988, 272; Löffler/Ricker Kap 59 Rn 16. Abweichend aber LK/Laufhütte 11. Aufl § 184 Rn 23; Schönke/Schröder/Lenckner/ Perron/Eisele § 184 Rn 11; SK/Wolters/Horn § 184 Rn 17, die jeweils darauf abstellen, dass der Ort nach Überwindung des rechtlichen Hindernisses jedenfalls faktisch zugänglich geworden sei.
520
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523 524
Löffler/Ricker Kap 59 Rn 16; Schönke/ Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rn 11, 32. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 16; SK/Wolters/ Horn § 184 Rn 29 – aA (abzustellen sei nicht auf das konkrete Tatobjekt, sondern darauf, dass das Ladengeschäft insgesamt nicht einsehbar sei) BayObLG MDR 1986, 696; OLG Hamburg NJW 1992, 1184; OLG Hamm NStZ 1988, 415. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 73; Gercke ZUM 2003, 349, 351; Hörnle NJW 2002, 1008, 1010; Sieber JZ 1996, 494, 496; speziell für das Internet KG ZUM 2004, 571; OLG Düsseldorf ZUM 2004, 480. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 167. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 17.
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nicht zu betreten pflegt. Hintergrund ist hier, dass in den genannten Fällen eine wirksame Zugangskontrolle (nur für Erwachsene) nicht gewährleistet werden kann. Dies ist bei der dritten Tatvariante, dem Vertrieb im Versandhandel ebenso der Fall.525 Hierunter versteht man jedes entgeltliche Geschäft, das im Wege der Bestellung und Übersendung einer Ware ohne persönlichen Kontakt zwischen Lieferant und Besteller vollzogen wird.526 Unter dieses Merkmal fällt neben dem normalen Vertrieb auf dem Postweg auch die gezielte Zusendung von Computerdaten über das Internet.527 Zweck dieser Vorschrift ist es, die durch solche Geschäfte bedingte Anonymität der Kunden zu beseitigen, damit Jugendliche nicht, wenn sie sich schriftlich oder telefonisch als Erwachsene ausgeben, problemlos über den Versandhandel an pornografisches Material gelangen können.528 Denn selbst wenn ein Altersnachweis erforderlich ist, kann eine entsprechende wirksame Kontrolle nicht stattfinden. Daher ist ein solches umfassendes Verbot hier zulässig.529 Auch bei den im Tatbestand genannten gewerblichen Leihbüchereien 530 und Lesezirkeln, die gegen Entgelt Schriften vermieten, wird infolge der außerordentlichen Breitenwirkung die Gefahr als besonders groß angesehen, dass die Schriften in die Hände von Jugendlichen gelangen.531 Auch der Versand von Decodiergeräten und -karten verschlüsselter Fernsehsender ohne vorherigen persönlichen Vertragsabschluss fällt hierunter.532 Nach § 184 Abs 1 Nr 3a StGB ist auch das Anbieten und Überlassen 533 pornografi243 scher Schriften im Wege der gewerblichen Vermietung oder der sonstigen gewerblichen Gebrauchsüberlassung strafbar. Erfasst sind hierbei insbesondere Videotheken. Ausgenommen sind hier jedoch Ladengeschäfte,534 die für Jugendliche nicht zugänglich sind und von ihnen auch nicht eingesehen werden können. Werden in einer Videothek (auch) pornografische Videos angeboten, so hat eine räumliche und organisatorische Trennung der Bereiche zu erfolgen.535 Nicht ausreichend ist die bloße Abtrennung eines bestimmten Bereichs innerhalb des Geschäftes mittels eines Vorhangs („shop-in-the-shop-System“).536 Ein „Ladengeschäft“ setzt nicht notwendig die Anwesenheit von Personal voraus, sodass auch „Automatenvideotheken“ zulässig sind,537 sofern durch umfassende technische Sicherungen gewährleistet ist, dass Jugendliche das Angebot nicht nutzen können.538 Nach § 184 Abs 2 S 2 StGB gilt das Verbot jedoch nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt. 525
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Vgl hierzu OLG Hamburg AfP 1987, 433; zum Begriff des Versandhandels auch OLG München NJW 2004, 3344, 3346, das hier die Legaldefinition des § 1 IV JuSchG anwenden möchte. BVerfG NJW 1982, 1512; BGH ZUM 2007, 846, 849. Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 97; Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 74; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rn 22. Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 97. BVerfGE 30, 336, 349; BVerfGE 77, 346, 356; BVerfG NJW 1982, 1512; Beisel/ B Heinrich JR 1996, 95, 97; von der Horst ZUM 1993, 227, 229. Ist das Unternehmen allerdings gerade auf den Verleih pornografischer Schriften spezialisiert, gilt § 184 Abs 1 Nr 3a StGB als Sondervorschrift.
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Vgl Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rn 23; krit hierzu Schroeder JR 1977, 231, 233 f, der die Vorschrift daher für verfassungswidrig hält. Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 97 f. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 167, 171. Zum Begriff des Ladengeschäfts vgl BGH NJW 1988, 272; BGH NJW 2003, 2838, 2839; Führich NJW 1986, 1156. Vgl hierzu Fischer § 184 Rn 14. BT-Drucks 10/8001; Löffler/Ricker Kap 59 Rn 18. BGHSt 48, 278, 281 ff – Automatenvideothek; Hörnle NStZ 2004, 150; Löffler/ Ricker Kap 59 Rn 18a; aA LG Stuttgart NStZ-RR 2003, 76, 77. Zu den erforderlichen Sicherungsmaßnahmen anschaulich BGHSt 48, 278, 282 ff; Löffler/Ricker Kap 59 Rn 18a.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
Mit der Strafbarkeit des Einführens pornografischer Schriften im Wege des Versandhandels, § 184 Abs 1 Nr 4 StGB, soll verhindert werden, dass ausländische Versandhäuser den deutschen Markt mit einfacher Pornografie überschwemmen. Daher ist hier auch nur der Versandhändler, nicht aber der Besteller strafbar.539 Strafbar ist hier auch der Versuch („einzuführen unternimmt“, vgl § 11 Abs 1 Nr 6 StGB). § 184 Abs 1 Nr 5 StGB enthält – wiederum im Hinblick auf den Schutz von Jugendlichen – ein umfassendes Werbeverbot für pornografische Schriften. Verboten ist das Anbieten, Ankündigen und Anpreisen 540 von Pornografie an Orten, die für Jugendliche zugänglich sind oder von ihnen eingesehen werden können.541 Darüber hinaus ist auch die öffentliche Werbung in Form der Verbreitung von Werbematerial (also etwa im Wege des Postversands) allgemein untersagt. Ausgenommen ist hiervon allerdings der Geschäftsverkehr mit dem „einschlägigen Handel“. Hintergrund der Regelung ist, dass Jugendliche nicht durch exzessive Werbemaßnahmen Interesse an pornografischem Material entwickeln und auf die entsprechenden Bezugsquellen aufmerksam gemacht werden sollen.542 Vor diesem Hintergrund sind auch Werbeanzeigen in allgemein zugänglichen Zeitschriften zu beurteilen. Wird hier allerdings in einer Art und Weise für pornografisches Material geworben, die (nur) für durchschnittlich interessierte und informierte Kreise als solche erkennbar ist (sog „neutrale“ Werbung), die aber beim unbefangenen Leser kein Interesse weckt, ist die Strafnorm nicht erfüllt.543 Nicht in erster Linie vom Gedanken des Jugendschutzes getragen ist die Strafnorm des § 184 Abs 1 Nr 6 StGB, welche die Allgemeinheit davor schützt, gegen den eigenen Willen mit Pornografie konfrontiert zu werden. Verboten ist es, eine Schrift an einen anderen gelangen zu lassen, ohne von diesem hierzu aufgefordert worden zu sein. Ausreichend ist es, wenn die Darstellung – entgeltlich oder unentgeltlich – in den Verfügungsbereich eines anderen gebracht wird, sodass dieser hiervon Kenntnis nehmen kann. Dies ist bei unverlangtem Zusenden von Briefen oder E-Mails stets der Fall. Eine Ausnahme ist aber dann zu machen, wenn der Empfänger selbst noch aktiv tätig werden muss, also etwa bei der unverlangten Zusendung einer E-Mail erst noch über einen Link eine Internet-Seite aufrufen muss.544 Untersagt ist nach § 184 Abs 1 Nr 7 StGB das Aufführen eines pornografischen Films im Rahmen einer öffentlichen Filmvorführung, sofern hierfür ein Entgelt zu entrichten ist, welches ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird.545 Aus einem Umkehrschluss ergibt sich, dass damit solche Fälle ausgenommen sind, in denen der Film lediglich im Hintergrund ausgestrahlt wird und das Hauptaugenmerk zB auf dem Verzehr
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LG Freiburg NStZ-RR 1998, 11; Löffler/ Ricker Kap 59 Rn 22. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 171ff. Vgl hierzu aus der Rechtsprechung BGHSt 34, 218; zu den Merkmalen „Zugänglich“ und „Einsehbar“ vgl oben Rn 241. BGHSt 34, 94, 98; BGHSt 34, 218, 219. BGHSt 34, 94, 99; BGH NJW 1977, 1695; BGH NJW 1989, 409; OLG Frankfurt NJW 1987, 454; OLG Karlsruhe NJW 1984, 1975, 1976 f; Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 98; Cramer AfP 1989, 611; Löffler/ Ricker Kap 59 Rn 17; Meier NJW 1987, 1610; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/
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Eisele § 184 Rn 31; SK/Wolters/Horn § 184 Rn 48; von der Horst ZUM 1993, 227, 228. Fischer § 184 Rn 17; vgl hierzu aber auch BGHSt 47, 55, 60, wo ausgeführt wird, dass für das Zugänglichmachen bereits das Eröffnen der Zugriffsmöglichkeit ausreiche, da der Anbieter bereits mit dem Einrichten des Links aktiv werde. Vgl zu dieser Vorschrift OLG Stuttgart NJW 1981, 999 (LS); zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 47, 109, 115; BGHSt 29, 68, 70; BGH NJW 1997, 2207; krit Schönke/Schröder/Lenkner/Perron/Eisele § 184 Rn 38a.
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(und der Bezahlung) von Getränken liegt.546 Entscheidend für das Kriterium der Öffentlichkeit ist die Möglichkeit, dass jedermann die Veranstaltung besuchen kann. Auf die Bezeichnung kommt es dabei nicht an, sodass auch eine für jedermann zugängliche „Club-Veranstaltung“ erfasst wird.547 § 184 Abs 1 Nr 8 StGB stellt schließlich eine Vorbereitungshandlung unter Strafe. Verboten ist das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten oder Einführen pornografischer Schriften zu dem Zweck, diese (oder hieraus gewonnene Vervielfältigungsstücke) im Sinne der sonstigen Tathandlungen entweder selbst zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu gestatten.548 Auch hier ist bereits der Versuch strafbar („unternimmt“; vgl § 11 Abs 1 Nr 6 StGB). Ein Herstellen ist zB auch dann anzunehmen, wenn pornografische Fotografien eingescannt werden und dadurch eine pornografische Bilddatei hergestellt wird, die ins Internet eingestellt werden soll.549 Schließlich stellt § 184 Abs 1 Nr 9 StGB die Ausfuhr von pornografischen Schriften unter Strafe, wenn diese dazu dienen soll, die Schriften (oder aus ihnen gewonnene Vervielfältigungsstücke) unter Verstoß gegen die entsprechenden ausländischen Strafvorschriften zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen 550 bzw eine solche Verwendung zu ermöglichen.551 Durch die Wendung „auszuführen unternimmt“ ist hier (vgl § 11 Abs 1 Nr 6 StGB) auch der Versuch unter (Vollendungs-)Strafe gestellt.552 Umstritten ist die bloße Durchfuhr, die sowohl unter dem Gesichtspunkt der Einfuhr (Nr 4) als auch der Ausfuhr (Nr 9) strafrechtliche Relevanz besitzen kann.553 Zu beachten ist schließlich noch das „Erzieherprivileg“ des § 184 Abs 2 StGB. Danach bleibt der Personensorgeberechtigte straflos, sofern er nicht durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Der Täter muss im Hinblick auf die Verwirklichung der einzelnen Varianten des § 184 Abs 1 StGB vorsätzlich handeln. Dazu muss er die einzelnen Tatumstände kennen, nicht erforderlich ist, dass er selbst die entsprechende Schrift für pornografisch hält. Hier ist lediglich ein – zumeist vermeidbarer – Verbotsirrtum möglich.554 d) Die Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste (§ 184c StGB). § 184c StGB stellt ausdrücklich klar, dass die Vorschrift des § 184 StGB (Gleiches gilt auch für § 184a und § 184b StGB) auch für die Verbreitung pornografischer Darbietungen durch den Rundfunk sowie durch Medien- oder Tele-
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Zur Abgrenzung vgl LK/Laufhütte 11. Aufl, § 184 Rn 39 ff; ferner OLG Koblenz MDR 1978, 776; vgl ferner zur Frage, ob auch (codierte) Fernsehsendungen hierunter fallen Beisel/B Heinrich JR 1996, 95, 98; von der Horst ZUM 1993, 227, 229. OLG Hamm NJW 1973, 817; Löffler/Ricker Kap 59 Rn 19. Vgl zu dieser Vorschrift BGHSt 29, 68. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 74; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rn 43. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 156 ff. Zweifelnd hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Norm Fischer § 184 Rn 22. Vgl zu der weitergehenden Frage, ob – und
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unter welchen Voraussetzungen – die Zollbehörden den Inhalt von Postsendungen im Hinblick auf ihren möglichen pornografischen Charakter prüfen und im Einzelfall eine Beschlagnahme bzw Einziehung vornehmen können Löffler/Ricker Kap 59 Rn 22; zur alten Rechtslage auch BGH NJW 1970, 2071. Vgl hierzu OLG Schleswig NJW 1971, 2319. So auch Löffler/Ricker Kap 59 Rn 24; allerdings lässt sich hier auch ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum diskutieren, sofern man bei einem Irrtum über normativ geprägte Tatbestandsmerkmale einen solchen grds auch bei einer falschen rechtlichen Bewertung von zutreffend erkannten Tatsachen als zulässig erachtet.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
dienste gilt. Die Vorschrift ist deswegen erforderlich, weil in den genannten Vorschriften über das Merkmal der „Schrift“ nur körperlich fixierte, nicht aber Live-Darbietungen erfasst sind.555 Diese Live-Darbietungen werden nun über § 184c StGB den Schriften gleichgestellt. Der Begriff des Rundfunks umfasst den gesamten Fernseh- und Hörfunk über Funk, Leitung oder Satellit, wobei sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich organisierte Sender erfasst sind.556 Das Gesetz enthält (noch) eine Unterscheidung zwischen Mediendiensten und Telediensten welche in unterschiedlichen Gesetzen, dem MDStV der Länder und dem TDG des Bundes, geregelt waren. Durch das Telemediengesetz (TMG) vom 26.02.2007,557 welches die genannten Rechtsnormen ablöste, ist die begriffliche Unterscheidung zwischen Medien- und Telediensten heute ohne rechtliche Bedeutung, da beide Begriffe nunmehr unter dem Oberbegriff „Telemedien“ zusammengefasst werden.558 Da mit der Schaffung des TMG aber keine inhaltliche Änderung bezweckt war, gehen die bisherigen Medien in dem neuen Begriff vollumfänglich auf. Damit sind als Mediendienste entsprechend § 2 Abs 1 MDStV aF. Angebote von an die Allgemeinheit gerichteten Informations- und Kommunikationsdiensten in Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektromagnetsicher Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder mittels eines Leiters verbreitet werden, umfasst. Hierunter fällt insbesondere auch das „Pay-TV“ (vgl § 2 Abs 2 Nr 4 MDStV aF).559 Schließlich wurden mit dem Begriff der Teledienste nach der Legaldefinition des § 2 Abs 1 TDG aF 2001 elektronische Informations- und Kommunikationsdienste umschrieben, die für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten wie Zeichen, Bilder oder Töne bestimmt sind und denen eine Übermittlung mittels Telekommunikation zu Grunde liegt. Hierunter fällt insbesondere auch das Internet (vgl § 2 Abs 2 Nr 3 TDG aF 2001). Entscheidend ist allerdings die in § 184c StGB aufgenommene Ausnahme: Eine Straf- 253 barkeit nach § 184 Abs 1 StGB entfällt, wenn die Verbreitung durch Medien- oder Teledienste (dh jetzt: Telemedien) erfolgt und durch technische Vorkehrungen sichergestellt ist, dass die pornografische Darbietung Jugendlichen nicht zugänglich ist (vgl hierzu auch § 4 Abs 2 S 2 JMStV). Fraglich ist dabei, welche Anforderungen hier an die entsprechenden Sicherungsmaßnahmen zu stellen sind. Erforderlich sind effektive Zugangshindernisse seitens des Anbieters, die einen Zugriff für Unbefugte nahezu ausschließen.560 Als nicht ausreichend wird es dabei angesehen, wenn über das Internet lediglich das Alter abgefragt oder die Eingabe der Identitätsnummer des Personalausweises gefordert wird.561 Ebenfalls nicht hinreichend ist die Zuteilung einer Geheimnummer, bei der eine Alterskontrolle lediglich dadurch erfolgt, dass der Betreffende eine Ausweiskopie übersenden muss.562 Nicht genügen kann auch die bloße Kostenpflichtigkeit eines bestimmten Angebots, da dies lediglich ein – bei Jugendlichen zumal meist untaugliches – psychisches, nicht aber eine physisches Zugangshindernis darstellt.563 Insbesondere bei Pay-TV-Sendungen wird auch die bloße Vergabe von PINs zur Freischaltung oder die Überlassung von Magnetkarten oder anderen Schlüsseln zur Decodierung als nicht ausreichend angesehen.564 Dagegen sind die derzeit von den Sendern angewandten Methoden der persön555 556 557 558 559 560
BVerwG NJW 2002, 2966, 2967; Fischer § 184c Rn 2. Fischer § 184c Rn 4. BGBl 2007 I S 179. BT-Drucks 16/3078, 11. Vgl zum Pay-TV insbesondere BVerwG JZ 2002, 1057. KG ZUM 2004, 571, 572 ff; OLG Düsseldorf ZUM 2004, 480, 481 f; Eberle/Rudolf/
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Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 76; Löffler/ Ricker Kap 59 Rn 15; vgl hierzu auch Hoeren/Sieber/Sieber Teil 19 Rn 612 ff; Strömer 284 ff. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 15. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Schmitt Kap XI Rn 76; Hörnle NJW 2002, 1008, 1010. Löffler/Ricker Kap 59 Rn 15. Fischer § 184c Rn 7.
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lichen Identifizierung des Nutzers und der Rückmeldung in Verbindung mit der Ausgabe von Zugangs-Codes den Anforderungen als ausreichend anzusehen.565
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e) Die Verbreitung gewalt- oder tierpornografischer Schriften (§ 184a StGB). In § 184a StGB ist ein strafrechtliches Totalverbot für die Verbreitung (nicht aber für den Erwerb und den Besitz!) von gewalt- und tierpornografischen Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 566 angeordnet. Hierunter fallen Schriften, die Gewalttätigkeiten (zB einen Sexualmord, eine Vergewaltigung oder eine Folterung aus sexuellen Motiven) oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben. Verboten sind sämtliche Formen der Verbreitung im weiteren Sinne, so die Verbrei255 tung (Nr 1) 567 und das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder sonstige Zugänglichmachen (Nr 2).568 Ferner werden von § 184a Nr 3 StGB auch das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Ankündigen, Anpreisen, Einführen oder Ausführen erfasst,569 sofern diese Handlungen dazu dienen sollen, die Schriften später für eine Verbreitung im Sinne der Nr 1 oder 2 zu verwenden oder einem Dritten eine solche Verwendung zu ermöglichen. Im Falle des Ein- und Ausführens reicht hier („unternimmt“; § 11 Abs 1 Nr 6 StGB) auch der Versuch.
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f) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften (§ 184b StGB). Noch umfassender als gewalt- oder tierpornografische Schriften werden pornografische Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB,570 die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben (kinderpornografische Schriften) unter ein strafrechtliches Verbot gestellt. Dabei versteht das Gesetz unter einem „Kind“ eine Person unter vierzehn Jahren.571 Bei der Frage, was unter einem „sexuellen Missbrauch“ eines Kindes zu verstehen ist, verweist § 184c StGB ausdrücklich auf die Tatbestände der §§ 176–176b StGB. Verboten sind nach § 184b Abs 1 StGB sämtliche Formen der Verbreitung im weite257 ren Sinne. Nr 1 nennt die Verbreitung kinderpornografischer Schriften,572 die insbesondere im Bereich des Internet bereits dann vollendet ist, wenn die Datei auf dem Rechner des Empfängers angekommen ist.573 In Nr 2 wird das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder sonstige Zugänglichmachen erfasst.574 Ferner werden von der Nr 3 auch das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Ankündigen, Anpreisen, Einführen oder Ausführen mit einbezogen,575 sofern diese Handlungen dazu dienen sollen, die Schriften später für eine Verbreitung im Sinne der Nr 1 oder 2 zu verwenden oder einem Dritten eine solche Verwendung zu ermöglichen. Im Falle des Ein- und Ausführens reicht hier („unternimmt“; § 11 Abs 1 Nr 6 StGB) auch der Versuch. Die angedrohte Strafe ist mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren dabei höher als bei § 184a StGB. Eine Erweiterung im Vergleich zu § 184a StGB ist auch durch die Aufnahme der 258 Regelung der Abs 2 bis 6 des § 184b StGB zu verzeichnen. So wird nach Abs 2 auch der565 566 567 568 569 570 571
Fischer § 184c Rn 7. Zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB vgl oben Rn 48 ff. Vgl zu dieser Tathandlung oben Rn 156 f. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 158 ff, 164, 165, 166. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 168 ff. Zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB vgl oben Rn 48 ff. Zur geplanten Erweiterung auf Schriften, die sexuelle Handlungen von, an und vor
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Personen unter 18 Jahren zum Gegenstand haben vgl BT-Drs. 16/3439; krit dazu Reinbacher/Wincierz ZRP 2007, 195, 196 ff. Vgl zu dieser Tathandlung oben Rn 168 ff. BGH NJW 2001, 3558, 3559: Es genügt bereits das „Ankommen“ im Arbeitsspeicher; krit hierzu Lindemann/Wachsmuth JR 2002, 206. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 158 ff; 164 ff. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 168 ff.
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jenige bestraft, der es unternimmt (vgl § 11 Abs 1 Nr 6) einem anderen den Besitz von kinderpornografischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. § 184b Abs 3 enthält eine Qualifikation für gewerbsmäßiges oder bandenmäßiges Handeln, sofern die Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Als Besonderheit im Vergleich zu den übrigen Strafvorschriften ist § 184b Abs 4 StGB anzusehen, der bereits den Besitz von kinderpornografischen Schriften, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, unter Strafe stellt.576 Die Strafdrohung ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe allerdings geringer. Strafbar ist hierbei bereits der Versuch („Wer es unternimmt“; vgl § 11 Abs 1 Nr 6 StGB). Insoweit macht sich bereits derjenige strafbar, der einen potentiellen Verkäufer nach kinderpornografischen Schriften fragt oder eine entsprechende Anzeige schaltet. Grund dieser extrem weit gehenden Bestrafung auch des Besitzes ist die den Konsumenten zugeschriebene mittelbare Verantwortlichkeit für das Vorhandensein eines entsprechenden Marktes, der durch eine extensive Bestrafung ausgetrocknet werden soll.577 Als „Besitz“ ist es dabei anzusehen, wenn eine Datei mit kinderpornografischem Inhalt auf einem eigenen Datenträger (Festplatte, CD-Rom, Diskette etc.) abgespeichert wird. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine E-Mail zwischengespeichert wird. Fraglich ist hingegen, ob auch das bloße Abrufen und Betrachten kinderpornografischer Dateien im Internet bereits als „Besitz“ anzusehen ist, da hierzu jedenfalls ein Laden in den Arbeitsspeicher bzw den Cache-Speicher der Festplatte erforderlich ist. Insbesondere was Letzteres angeht, bejaht die inzwischen wohl hM eine wenigstens vorübergehende Verkörperung und daher einen Besitz.578 Dem muss jedoch widersprochen werden, da diese Vorgänge rein technischer Art sind und vom InternetNutzer in den seltensten Fällen beeinflusst werden können. § 184b Abs 5 StGB stellt allerdings klar, dass die Strafdrohung nicht für Handlungen gilt, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. § 184b Abs 6 StGB enthält schließlich eine Sonderregelung über den erweiterten Verfall und die Voraussetzung einer erweiterten Einziehung.
III. Kommunikation im Hinblick auf Straftaten über die Medien 1. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) Nach § 111 Abs 1 StGB wird derjenige, der öffentlich, in einer Versammlung oder 259 durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs 3 StGB) 579 zu einer rechtswidrigen Tat (vgl § 11 Abs 1 Nr 5 StGB) 580 auffordert, wie ein Anstifter (§ 26 StGB) bestraft. Die Bestrafung „wie ein Anstifter“ setzt voraus, dass es tatsächlich zu einer Straftat kommt, dh ein anderer eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat begeht. Dabei reicht der Versuch einer solchen Straftat aus. Da eine Anstiftung nach § 26 StGB üblicherweise voraussetzt, dass
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Vgl zu dieser Vorschrift M. Heinrich NStZ 2005, 361. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004, 1065, 1070; M. Heinrich NStZ 2005, 361, 362; vgl hierzu auch BT-Drucks 12/3001, 5; BT-Drucks 12/4883, 8. Harms NStZ 2003, 647, 649 f; M. Heinrich NStZ 2005, 361, 363 f; Hoeren/Sieber/ Sieber Teil 19 Rn 627; Matzky ZRP 2003,
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167, 168; vgl hierzu auch LG Stuttgart NStZ 2003, 36, 36 f. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. Insoweit ist die Aufforderung zur Begehung einer Straftat erforderlich, die Aufforderung zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit reicht nicht aus, stellt aber nach § 116 OWiG selbst eine Ordnungswidrigkeit dar.
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der Anstifter eine bestimmte Person zur Begehung einer konkreten Tat auffordert, ist eine Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis hiervon gerade nicht erfasst, weshalb die (Gleichstellungs-)Vorschrift des § 111 StGB insoweit erforderlich ist, um auch diese Fälle strafrechtlich zu erfassen. Doch selbst dann, wenn die Aufforderung nicht zum Erfolg führt, dh sich niemand 260 dazu bereit erklärt, die Straftat zu begehen (bzw sich zwar dazu bereit erklärt, aber das Versuchsstadium nicht erreicht wird), sieht § 111 Abs 2 StGB eine Strafbarkeit vor, wobei die Strafe in diesem Falle milder ausfällt (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe; die Strafe darf nicht schwerer sein als diejenige, die für das konkrete Delikt selbst angedroht wird). Die Vorschrift entspricht insoweit der versuchten Anstiftung, die sonst nach § 30 Abs 1 StGB nur bei Verbrechen strafbar ist. Tathandlung ist das Auffordern zur Begehung einer rechtswidrigen Tat. Dies setzt – 261 ähnlich wie die Anstiftung – die erkennbare willentliche Einwirkung auf andere voraus, die mit dem Ziel verbunden ist, bei diesen den Entschluss hervorzurufen, eine strafbare Handlung zu begehen.581 Die Aufforderung muss nicht ausdrücklich erfolgen, vielmehr reicht eine solche durch schlüssiges Handeln oder in versteckter Form aus. Die Aufforderung ist allerdings abzugrenzen von der bloßen Billigung der Tat, die lediglich unter den Voraussetzungen des § 140 StGB strafbar ist. Dabei muss die Aufforderung nicht ernst gemeint sein, es reicht aus, wenn sie als ernstlich erscheint und der Täter diesbezüglich jedenfalls mit bedingtem Vorsatz handelt.582 Eine Verbreitung einer Schrift liegt vor, wenn diese nach außen weitergegeben wird mit dem Ziel, einen größeren Personenkreis zu erreichen.583 Sie ist öffentlich, wenn sie von einer unbestimmten Anzahl von Personen wahrgenommen werden kann. Dabei muss die Aufforderung eine eigene Erklärung des Verbreitenden enthalten. Die bloße Weitergabe fremder Äußerungen, die eine solche Aufforderung enthalten, genügt also nur dann, wenn der Handelnde zu erkennen gibt, dass er die Aufforderung als eigene übernimmt.584 Die Straftat selbst muss nicht konkret (nach Ort und Zeit) bestimmt, aber jedenfalls ihrem rechtlichen Wesen nach gekennzeichnet sein, wobei es ausreicht, wenn sie ihrer Handlungsbeschreibung nach umrissen wird.585 2. Anleitung zu Straftaten (§ 130a StGB)
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Während § 111 StGB eine unmittelbare Einwirkung auf den Entschluss eines anderen voraussetzt, eine Straftat zu begehen, reicht § 130a StGB noch weiter in das Vorfeld von Straftaten hinein und stellt auch eine von § 111 StGB nicht erfasste mittelbare Einwirkung unter Strafe. Diese besteht darin, mittels Handbüchern, Flugblättern oder Internetauftritten detaillierte Anweisungen zu geben, die für die Begehung von Gewalttaten benutzt werden können und sollen. So ist es nach § 130a Abs 1 StGB strafbar, eine Schrift iSd § 11 Abs 3 StGB 586 in Umlauf zu bringen, die geeignet ist, als Anleitung zu einer (in § 126 Abs 1 StGB genau umschriebenen 587) rechtswidrigen Tat zu dienen. Die 581
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KG StV 1981, 525, 526; LG Koblenz NJW 1988, 1609; Schönke/Schröder/Eser § 111 Rn 3. BGHSt 32, 310. OLG Frankfurt StV 1990, 209. OLG Frankfurt NJW 1983, 1207; Schönke/ Schröder/Eser § 111 Rn 3. Vgl hierzu aus der Rechtsprechung RGSt 65, 202; BGHSt 31, 16, 22; BGH MDR 1982,
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507, 508; BayObLG JR 1993, 117, 119; OLG Celle NJW 1988, 1101; OLG Köln NJW 1988, 1102; AG Tiergarten NStZ 2000, 651; vgl hierzu auch Herzberg JuS 1987, 617, 618. Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff. In § 126 StGB werden ua genannt: Mord, schwere Körperverletzung, erpresserischer
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Schrift muss darüber hinaus ihrem Inhalt nach objektiv dazu bestimmt sein, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine der genannten Taten zu begehen. Insoweit ist neben der objektiven Eignung eine besondere objektive Zweckbestimmung erforderlich. Tathandlung ist das Verbreiten sowie das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder das sonstige öffentliche Zugänglichmachen.588 § 130a Abs 2 Nr 1 StGB verzichtet dagegen – bei gleicher Bestimmung der Tathand- 263 lungen – auf die besondere objektive Zweckbestimmung und lässt es ausreichen, wenn die Schrift (objektiv) geeignet ist, als Anleitung zu einer der genannten Taten zu dienen, wie dies zB bei militärischem Schulungsmaterial der Fall sein kann. Hinzutreten muss hier aber eine besondere (subjektive) Absicht, durch das Verbreiten der Schrift die Bereitschaft anderer zu wecken, eine der betreffenden Taten zu begehen. § 130a Abs 2 Nr 2 StGB erfasst schließlich – bei gleicher subjektiver Zweckbestimmung – die (mündliche) Anleitung zur Begehung einer der genannten Straftaten, die öffentlich oder im Rahmen einer Versammlung stattfindet. 3. Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) Eine für das Medienrecht durchaus relevante Strafvorschrift enthält schließlich § 140 264 StGB, wonach das Belohnen und Billigen von (bestimmten) Straftaten unter Strafe gestellt ist. Erfasst sind hier die (schweren) Straftaten, die in § 138 Abs 1 Nr 1 bis Nr 5 StGB und in § 126 Abs 1 StGB aufgezählt sind.589 Neben der im vorliegenden Zusammenhang weniger relevanten Belohnung von Straftaten (§ 140 Nr 1 StGB) ist hier die Billigung dieser Straftaten (§ 140 Nr 2 StGB) von Interesse: Wer die Begehung einer der genannten Taten in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs 3 StGB) billigt,590 wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Entscheidend ist die nachträgliche Billigung, dh, die Straftat muss bereits begangen worden sein. Der Versuch reicht hierfür aus. Da § 140 StGB den öffentlichen Frieden schützen will, genügt auch die nachträgliche öffentliche Billigung einer eigenen Straftat.591 Billigung bedeutet hier Zustimmung. Der Billigende muss durch seine Äußerung deutlich machen, dass er der Tatbegehung zustimmt und sich insoweit moralisch hinter den Täter stellt.592 Dies muss für den „unbefangenen Durchschnittsleser“ erkennbar sein.593 Die Tat muss dabei geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, was bei lange zurückliegenden Gewalttaten regelmäßig ausscheidet. Die Billigung von Taten im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist jedoch vom Tatbestand (noch) erfasst, da dieses Verhalten weiterhin die Eignung zur Friedensstörung besitzt.594
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Menschenraub, Raub und Brandstiftungsdelikte. Vgl zu diesen Tathandlungen oben Rn 156 f; 158 ff; 164 ff. In § 138 StGB werden ua genannt: Hochverrat, Landesverrat, Geldfälschung und schwerer Menschenhandel, in § 126 StGB finden sich ua Mord, schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Raub und Brandstiftungsdelikte.
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591 592
593 594
Vgl zum Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB oben Rn 48 ff; zum Tatbestandsmerkmal des Verbreitens vgl oben Rn 156 ff. BGH NJW 1978, 58; krit zu dieser Entscheidung LK/Hanack 11. Aufl § 140 Rn 26. BGHSt 22, 282, 286 ff; BGH MDR 1990, 642, 643; OLG Braunschweig NJW 1978, 2044, 2045. BGH NJW 1961, 1364, 1365. BGH NJW 1978, 58, 59.
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
4. Exkurs: Verabredung von Straftaten über das Internet
265
Nicht selten kommt es vor, dass Personen das Internet als Kommunikationsmedium dafür nutzen, andere zur Begehung von Straftaten aufzufordern oder sich mit anderen zur Begehung von Straftaten zu verabreden. So fand auch die Kontaktaufnahme der Beteiligten im Fall des „Kannibalen von Rotenburg“ 595 über das Internet statt. Der Angeklagte beschäftigte sich, so die Sachverhaltsdarstellung im Urteil,596 ungefähr ab 1999 über das Internet immer stärker mit dem Thema Kannibalismus. Er stieß dabei auch auf eine Schlachtanleitung für den menschlichen Körper. Schließlich begann er, über Internetforen Männer zum Schlachten und Verspeisen zu suchen. Nach mehreren nicht zum Ziel führenden Kontakten stieß er schließlich im Internet auf sein späteres Opfer. Zuerst entwickelte sich zwischen ihnen eine Kommunikation durch E-Mails, bevor man sich persönlich traf und es schließlich zur – einverständlichen – Tötung des Opfers kam. 266 Vom strafrechtlichen Gesichtspunkt aus ist eine Vielzahl weiterer Konstellationen denkbar, wobei jeweils kennzeichnend ist, dass es sich bei den „Verabredungen“ im Internet um Vorstufen der Deliktsbegehung handelt, bei denen stets fraglich ist, ob die Schwelle zur Strafbarkeit bereits überschritten ist. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um internetspezifische Straftatbestände, vielmehr kommen auch hier die Regelungen des allgemeinen Strafrechts zur Anwendung. Das Internet wird dabei nur als „Medium“ benutzt, welches hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung im Vergleich zu Zeitungsinseraten bzw öffentlichen Aushängen oder brieflichen Kontakten kaum Unterschiede aufweist. Im Folgenden sollen einige Fallkonstellationen näher untersucht werden.
267
a) Sich-Bereit-Erklären zur Deliktsbegehung. Fraglich ist, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten bereits darin zu sehen ist, dass jemand sich – etwa über die eigene WebSeite oder in Diskussionsforen – allgemein dazu bereit erklärt, für einen anderen Delikte zu begehen, sei es in direkter Form („Erledige Tötungsaufträge sicher und zuverlässig“), sei es verschlüsselt und nur für Eingeweihte erkennbar („Erledige schwierige Aufgaben in sensiblen Bereichen“). Anknüpfungspunkt ist hier § 30 Abs 2 Alt 1 StGB. Hiernach muss sich der Täter dazu „bereit erklären“ ein Verbrechen zu begehen, wobei unter einem Verbrechen nach § 12 Abs 1 StGB rechtswidrige Taten zu verstehen sind, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Da der Täter in diesem Fall über den in § 30 Abs 2 StGB vorgenommenen Verweis auf § 30 Abs 1 StGB nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft wird und der Versuch nach § 23 Abs 2 StGB lediglich milder bestraft werden kann (aber nicht werden muss) als die vollendete Tat, wäre es daher möglich, denjenigen, der sich zB zur Begehung eines Mordes bereit erklärt, mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu bestrafen. Schon von daher (und im Hinblick darauf, dass allein von einer solchen Äußerung eine recht geringe objektive Gefährlichkeit ausgeht), muss die Vorschrift restriktiv ausgelegt werden.597
595
BGHSt 50, 80; vgl hierzu Kudlich JR 2005, 342; Otto JZ 2006, 799; Schiemann NJW 2005, 2350; medienrechtlich interessant ist hier auch die Frage, inwieweit sich der Täter gegen die Verfilmung seines Lebens und seiner Tat zur Wehr setzen darf; zutreffend hat das OLG Frankfurt in NJW 2007, 699 eine Verbreitung und den Vertrieb des Filmes untersagt; zu dieser Entscheidung
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596 597
von Becker AfP 2006, 124; Kaboth ZUM 2006, 412; krit hierzu allerdings Petersen § 2 Rn 31. BGHSt 50, 80, 81 f. Bloy JZ 1999, 157; MünchKommStGB/ Joecks § 30 Rn 2; Schönke/Schröder/ Cramer/Heine § 30 Rn 1; Schröder JuS 1967, 290, 290 f.
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§3
Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
Erforderlich ist erstens ein gewisser Bindungswille. Die Erklärung muss dahin gehen, 268 sich gegenüber dem Adressaten insoweit festzulegen, dass dieser ein späteres Abstandnehmen von der Tat als Wortbruch ansehen würde.598 Insoweit muss die Erklärung jedenfalls ernst gemeint sein 599 und der „Anbietende“ darf sich nicht vorbehalten, erst im Einzelfall zu entscheiden, ob er einen Auftrag annimmt oder nicht. Schon deshalb wird in den meisten Fällen die lediglich abstrakt gehaltene Bereitschaftserklärung im Internet die Voraussetzung des § 30 Abs 2 Alt 1 StGB nicht erfüllen. Fraglich ist ferner, ob und inwieweit sich das Bereit-Erklären auf eine konkrete Tat beziehen muss und ob die Erklärung gegenüber einer Mehrheit von Personen ausreichen kann, von denen man dann eine entsprechende Reaktion, dh ihrerseits ein entsprechendes Angebot erwartet. Da aber in den geschilderten Fällen (Sich-Bereit-Erklären über eine Web-Seite oder im Chat-Room) weder die entsprechende Tat noch derjenige feststeht, der dem Handelnden letztlich das Angebot zur Begehung eines Verbrechens unterbreiten soll, kann dies für ein Sich-Bereit-Erklären iSd § 30 StGB nicht ausreichen. Es handelt sich vielmehr lediglich um ein „Angebot“, vergleichbar einer „invitatio ad offerendum“ im Zivilrecht, bei dem der Handelnde nun seinerseits eine Reaktion seitens einer vorher für ihn noch nicht bestimmbaren Person erwartet. Unterbreitet ihm diese dann das konkrete Angebot, liegt hierin eine (versuchte) Anstiftung. Nimmt der zuvor „Werbende“ dieses (nunmehr konkrete) Angebot an, ist § 30 Abs 2 Alt 1 StGB erfüllt. b) Aufforderung zur Begehung von Straftaten. Problematisch ist die umgekehrte Kons- 269 tellation: Der Auftraggeber sucht über das Internet Personen, die gegen Entgelt für ihn tätig werden, wobei die „Angebote“ wiederum direkt und für alle verständlich („Suche zuverlässige Person, die gegen Bezahlung meine Ehefrau tötet“) oder aber verschlüsselt und nur für Eingeweihte erkennbar abgegeben werden können. Kommt es auf das Angebot hin zu einem entsprechenden Kontakt zwischen dem „Auftraggeber“ und dem Täter, liegt in der nachfolgenden konkreten Absprache unzweifelhaft eine Anstiftung, sofern die Tat später durchgeführt wird, bzw eine versuchte Anstiftung, wenn es nicht zu dieser Tat kommt. Diese ist allerdings nach § 30 Abs 1 Alt 1 StGB wiederum nur dann strafbar, wenn es sich bei der geplanten Tat um ein Verbrechen handelt. Fraglich ist aber, ob allein in dem ins Internet eingestellten „Angebot“ an eine Viel- 270 zahl von Personen bereits eine versuchte Anstiftung nach § 30 Abs 1 Alt 1 StGB zu sehen ist, sofern sich daraufhin niemand meldet oder es jedenfalls nicht zu einer weiteren konkreten Absprache kommt. Die erste Voraussetzung, an der eine Strafbarkeit hier regelmäßig scheitern wird, besteht darin, dass das „Angebot“ die für die Tatbegehung unentbehrlichen Angaben enthalten muss 600 (eine Aufforderung „Wer tötet meine Ehefrau“ reicht hierfür nicht aus). Allerdings ließen sich durchaus Fälle finden, in denen die Angaben hinsichtlich der konkret durchzuführenden Tat ausreichend sind (so kann der Täter zB dazu auffordern, an einem bestimmten Tag einen ganz bestimmten Politiker bei einer genau bezeichneten Veranstaltung zu töten und hierfür eine Belohnung in Aussicht stellen). Allerdings dürfte eine versuchte Anstiftung in diesen Fällen regelmäßig deswegen zu verneinen sein, da sich das „Angebot“ im Internet entweder an die Öffentlichkeit oder jedenfalls an eine größere, individuell nicht bestimmbare Personengruppe richtet. Denn 598
599
MünchKommStGB/Joecks § 30 Rn 40; SK/Hoyer § 30 Rn 37; krit NK/Zaczyk § 30 Rn 34. RGSt 57, 243, 245; RGSt 60, 23, 25; RGSt 63, 197, 199; BGHSt 6, 346, 347; MünchKommStGB/Joecks § 30 Rn 42; NK/Zaczyk
600
§ 30 Rn 37; Schönke/Schröder/Cramer/ Heine § 30 Rn 27; SK/Hoyer § 30 Rn 38. Bloy JR 1992, 493, 496; Geppert Jura 1997, 546, 551; Kühl § 20 Rn 249; Schönke/ Schröder/Cramer/Heine § 30 Rn 19.
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es ist anerkannt, dass der Adressat des Anstifters entweder eine bestimmte Person sein muss oder aber sich die (versuchte) Anstiftungshandlung an eine Mehrheit individuell feststellbarer Personen zu richten hat, aus der wenigstens eine sich zur Tatbegehung entschließen soll.601 Insofern kann zwar die Aufforderung an eine konkrete Person (zB durch Versendung einer E-Mail) oder an mehrere konkrete Personen (zB durch Versendung einer E-Mail an mehrere Personen, die für den Absender jedoch im Einzelnen individualisierbar sein müssen) als (versuchte) Anstiftung angesehen werden, nicht aber eine Aufforderung in einem Chat-Room, in welchem eine unbestimmte Zahl von Personen teilnehmen. Richtet sich insoweit das „Angebot“ des Handelnden an eine unbestimmte Personengruppe, so kommt allerdings eine Straftat nach § 111 StGB in Betracht.602
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c) Verabredung zur Deliktsbegehung. Keine Besonderheiten sind zu verzeichnen, wenn sich Personen zur Deliktsbegehung über das Internet verabreden. Handelt es sich bei der geplanten Tat um ein Verbrechen (vgl wiederum § 12 Abs 1 StGB), so ist der Straftatbestand des § 30 Abs 2 Alt 3 StGB einschlägig. Voraussetzung hierfür ist, dass sich mindestens zwei Personen zur gemeinsamen mittäterschaftlichen Ausführung eines Verbrechens verabreden.603 Dabei reicht es allerdings nicht aus, dass die gemeinsame Verabredung nur vage getroffen wird, vielmehr muss der Tatplan bereits rechtlich relevante Konturen angenommen haben.604
272
d) Anleitung zur Begehung von Straftaten. Eine weitere Möglichkeit strafbaren Verhaltens ist die ins Internet gestellte allgemein gehaltene Anleitung zur Begehung bestimmter Straftaten. Eine solche Anleitung kann wiederum verschiedene Formen annehmen. So ist es auch hier denkbar, dass lediglich Tipps dahingehend abgegeben werden, wie Straftaten leichter durchzuführen sind bzw das Entdeckungsrisiko bei bereits begangenen Straftaten gesenkt werden kann. Auf der anderen Seite sind aber auch konkrete Anleitungen zum Bau verbotener Gegenstände (zB Kriegswaffen oder „Molotow-Cocktails“ 605) oder von Tatwerkzeugen (zB „Virenbaukästen“ zur Zerstörung fremder Computeranlagen) denkbar. Neben einer möglichen Strafbarkeit wegen einer öffentlichen Aufforderung zu Straf273 taten, § 111 StGB,606 oder der Anleitung zu Straftaten nach § 130a StGB im Hinblick auf eine Katalogtat des § 126 Abs 1 StGB 607 kommt hier bei einer Anleitung zur Herstellung verbotener Gegenstände (zB „Molotow-Cocktails“, deren Herstellung und Besitz nach § 52 Abs 1 Nr 1 iVm § 2 Abs 3 sowie Anlage 2 Abschnitt 1 Nr 1.3.4 WaffG unter Strafe steht) oder von Tatwerkzeugen (zB „Virenbaukästen“) eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum jeweils vom Haupttäter begangenen Delikt in Frage. Problematisch ist 601
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BayObLG JR 1999, 81; LK/Schünemann 12. Aufl, § 30 Rn 25; MünchKommStGB/ Joecks § 30 Rn 28; Schönke/Schröder/ Cramer/Heine § 30 Rn 20; aA SK/Hoyer Vor § 26 Rn 54 f; § 30 Rn 27. MünchKommStGB/Joecks § 30 Rn 28; Schönke/Schröder/Cramer/Heine § 30 Rn 20; aA allerdings Dreher FS Gallas 307, 321. BGH NStZ 1988, 406; BGH NStZ 1993, 137; Jescheck/Weigend § 65 III 1; Kühl § 20 Rn 252; Roxin AT II § 28 Rn 43; Schönke/ Schröder/Cramer/Heine § 30 Rn 25; SK/Hoyer § 30 Rn 3, 46. Kühl § 20 Rn 263; LK/Schünemann
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12. Aufl § 30 Rn 67; NK/Zaczyk § 30 Rn 52; Schönke/Schröder/Cramer/Heine § 30 Rn 25; aA Jescheck/Weigend § 65 III 1; vgl auch Dessecker JA 2005, 549, 551 f. Bei diesen sog „Molotow-Cocktails“ handelt es sich um mit Benzin, Benzin-Ölgemisch oder anderen leicht brennbaren Flüssigkeiten gefüllte Glasflaschen, die vor allem nach einem Wurf beim Auftreffen auf einen Gegenstand zersplittern, wobei sich der dadurch frei gewordene Brennstoff ohne Zuhilfenahme einer weiteren Zündvorrichtung entzündet. Vgl hierzu oben Rn 259 ff. Vgl hierzu oben Rn 262 f.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
jedoch auch hier, dass die konkrete Tat, zu welcher der Betreffende Hilfe leistet, zum Zeitpunkt der Einstellung der Anleitung ins Internet weder hinsichtlich der die Tat begehenden Person, noch hinsichtlich Tatzeit und Tatort ausreichend konkretisiert ist, was einer Strafbarkeit regelmäßig entgegenstehen dürfte. Im Einzelnen ist im Hinblick auf die soeben angesprochenen Fälle jedoch zu differenzieren: Im Hinblick auf die genannten „Molotow-Cocktails“ ist zu beachten, dass die Anlei- 274 tung oder Aufforderung zur Herstellung solcher (waffenrechtlich verbotener) Gegenstände bereits eine selbstständige Strafbarkeit nach § 52 Abs 1 Nr 4 iVm § 40 WaffG begründet. Unter dem Begriff der Anleitung versteht man hierbei die Vermittlung von Informationen, die dem Empfänger die Möglichkeit geben, auf Grund der erworbenen Kenntnisse den entsprechenden Gegenstand selbst herzustellen. Unter einer Aufforderung 608 ist dagegen ein Verhalten zu verstehen, welches von einem anderen erkennbar die Herstellung der verbotenen Gegenstände (zB der angesprochenen „Molotow-Cocktails“) verlangt.609 Die Aufforderung muss sich nicht an einen individuellen Adressaten richten, sondern kann auch darin liegen, dass sie öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften iSd § 11 Abs 3 StGB 610 vor sich geht. Insoweit ist jedenfalls auch derjenige, der eine entsprechende Anleitung in eine Mailbox im Internet einstellt, die anderen Personen zugänglich ist, nach dieser Vorschrift strafbar. Bei einer bloßen Weiterleitung entsprechender Texte (per E-Mail oder Einstellung in eine Mailbox) ist jedoch einschränkend zu fordern, dass der Weiterleitende sich den Text zu eigen macht und daher auch selbst zur Herstellung des verbotenen Gegenstandes anleitet.611 Ist dies der Fall, so kommt Idealkonkurrenz mit der Strafvorschrift des § 111 StGB in Frage. Im Hinblick auf die Anbieter sog „Virus Construction Kits“ (Virenbaukästen), die 275 sich dadurch auszeichnen, dass mit ihrer Hilfe auch technisch weniger begabte Personen in der Lage sind, einen funktionierenden Computervirus zu erzeugen, den sie später ins Netz stellen oder durch Versendung an konkrete Personen verbreiten,612 ist dagegen eine Beihilfe zur jeweils durch den späteren „Virenkonstrukteur“ begangenen Haupttat zu prüfen. Bei dieser Haupttat handelt es sich regelmäßig um ein Delikt nach § 303a StGB bzw § 303b StGB.613 Fraglich ist allerdings auch hier, ob das bloße Zugänglichmachen solcher Informationen bzw das Zurverfügungstellen der Virenbausteine über das Internet als „Hilfeleistung“ iSd § 27 StGB angesehen werden kann. Problematisch erscheint auch hier die Bestimmtheit der Haupttat. Denn der Gehilfe muss nicht nur zu einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat eines anderen Hilfe leisten, er muss vielmehr diesbezüglich auch vorsätzlich handeln. Dabei muss der Gehilfenvorsatz im Hinblick auf die Haupttat zwar weniger konkret sein als bei der Anstiftung.614 Dennoch muss aber die jeweilige Tat für den Gehilfen bei Erbringung seiner Hilfeleistung in gewissen Umrissen bekannt sein.615 Dies ist in der vorliegenden Konstellation nicht anzunehmen, da demjenigen, der die Virenbaukästen im Internet zur Verfügung stellt, weder bekannt ist, welche Personen die entsprechende Seite aufrufen, noch wann dies geschieht. Auch weiß er nicht, wer sich wann welche Bausteine herunterlädt und vor allem wer wann und gegen wen einen entsprechenden Angriff richtet. Insofern erfüllt das Zurverfügungstellen von Virenbausteinen im Internet die Anforderung an eine strafbare Beihilfehandlung 608 609 610 611 612
Zum Begriff des „Aufforderns“ vgl auch § 28 Abs 1 Nr 12 BtMG, § 23 VersammlG. RGSt 63, 170, 173. Vgl zum Schriftenbegriff oben Rn 48 ff. BayObLG NJW 1998, 1087; krit hierzu auch Gänßle NStZ 1999, 50. Vgl hierzu Malek Rn 181.
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LG Ulm CR 1989, 825 – Killerprogramm; Eichelberger MMR 2004, 594, 595 f; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 201; Malek Rn 174. Vgl B Heinrich AT II Rn 1337. BGHSt 11, 66; vgl ferner BGHSt 42, 135, 138; BGHSt 46, 107, 109.
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nicht.616 Um eine Strafbarkeitslücke zu vermeiden und die genannten Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, hat der Gesetzgeber mit § 303a Abs 1 iVm § 202c StGB eine eigenständige Strafnorm geschaffen. Unter Strafe gestellt ist nunmehr auch die Vorbereitung einer Datenveränderung (Löschen, Unterdrücken, Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten) durch die in § 202c StGB genannten Tathandlungen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auf Pläne des Bundesministeriums 276 der Justiz, einen neuen § 91 StGB einzuführen, welcher das Verbreiten und Anpreisen von terroristischen „Anleitungen“ ua zur Herstellung von Sprengstoffen erfassen soll.617 Ausreichend für eine Strafbarkeit nach § 91 StGB soll es sein, dass die Anleitung nach den konkreten Umständen ihrer Verbreitung objektiv geeignet ist, die Bereitschaft Dritter zur Begehung von Gewalttaten zu wecken. Strafbar soll ferner auch das Sich-Verschaffen einer solchen Anleitung werden. Diese geplanten Regelungen sind ein weiterer Ausdruck der gesetzgeberischen Tendenz zur Vorverlagerung der Strafbarkeit auf eigentliche Vorbereitungshandlungen, wie sie seit geraumer Zeit zu beobachten ist. So beinhaltet das Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität vom 11.8.2007 618 vergleichbare Regelungen zur Vorfeldkriminalisierung im Bereich des Ausspähens (§ 202a StGB) und Abfangens (§ 202b StGB) von Daten. Neben der neu geschaffenen Strafbarkeit des sog „Hackings“ 619 (im Sinne eines bloßen Sich-Verschaffens eines Zugangs zu Daten, ohne dass eine Kenntnisnahme erforderlich wäre) wird hier durch den neu eingefügten § 202c StGB bereits das Vorbereiten der Tat durch Herstellen, Sich-Verschaffen, Verkaufen, Überlassen, Verbreiten oder sonstige Zugänglich-Machen von Passwörtern, Sicherheitscodes oder Computerprogrammen, deren Zweck die Begehung einer Tat nach den §§ 202a, 202b StGB ist (sog Hacker-Tools) unter Strafe gestellt.620 Im Hinblick auf den Ultima-ratio-Charkter des Strafrechts sind solche Vorfeldkriminalisierungen aber äußerst kritisch zu beurteilen.
IV. Medien(unternehmen) als Opfer von Straftaten 1. Die Nötigung (§ 240 StGB) – Medien als Opfer
277
Neben den oben genannten Fällen, in denen Pressevertreter Täter einer Nötigung sein können,621 sind auch Fälle denkbar, in denen die Medienunternehmer selbst Opfer einer Nötigung werden („passive Pressenötigung“). So ist zB an den Fall zu denken, dass ein großer Interessenverband mit einer entsprechenden Anzeigensperre droht, wenn ein Medienunternehmen nicht in einer bestimmten Art und Weise publiziert (also etwa: Kritik an den Machenschaften des Verbandes oder einzelner Verbandmitglieder unterlässt).622 Die Anzeigensperre (oder auch der Aufruf, ein bestimmtes Medienprodukt zu boykottieren oder das Unternehmen zu bestreiken) stellt für das Medienunternehmen ein empfindliches Übel dar. Bei der Frage der Rechtswidrigkeit (§ 240 Abs 2 StGB) ist zu beachten, dass selbst der Zwang, nur noch wahrheitsgemäß zu publizieren, unter Verwendung des entsprechenden Nötigungsmittels als verwerflich angesehen werden kann.623 616
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So auch Vetter 115; differenzierend Eichelberger MMR 2004, 594, 597; aA Malek Rn 7. Vgl den Bericht in NJW 2007, S VIII. BGBl I S 1786. Vgl hierzu oben Rn 135. Vgl hierzu Cornelius CR 2007, 682.
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Vgl hierzu oben Rn 143 ff. Vgl auch zum Fall eines Sitzstreiks, um einen Zeitungsverlag an der Auslieferung zu hindern OLG Stuttgart NJW 1969, 1543; vgl ferner BGHSt 35, 270 (Sitzstreik vor einem Munitionslager). Zutreffend Löffler/Ricker Kap 56 Rn 11.
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2. Sabotage Ein internetspezifisches Sonderproblem stellte sich in einem Fall, in dem der Täter 278 öffentlich dazu aufforderte, an einem bestimmten Tag den Server einer bestimmten Firma (im konkreten Fall: der Lufthansa) durch eine Vielzahl von E-Mail-Anfragen so zu überlasten, dass dieser zum Absturz gebracht werden und dadurch der Betrieb (hier: die Entgegennahme und Abbuchung elektronischer Flugbuchungen) jedenfalls kurzfristig nicht mehr möglich sein sollte.624 In diesem Fall kommt eine Strafbarkeit wegen einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB in Frage, was jedoch voraussetzt, dass die durch die Aufforderung Angesprochenen bei dem „Boykott“ der fremden Web-Seite selbst eine Straftat begehen. Das AG Frankfurt 625 sah in diesem Verhalten eine strafbare Nötigung nach § 240 StGB, was jedoch unter mehreren Gesichtspunkten bedenklich ist. So kann schon der „Mausklick“, mit welchem der Internetnutzer die entsprechende E-Mail absendet, nur schwerlich als „Gewaltanwendung“ iSd § 240 StGB angesehen werden. Abgesehen davon, ob eine derart geringe körperliche Kraftentfaltung (durch den Mausklick) bereits als „Gewalt“ gewertet werden kann, ist die Annahme, eine physische Zwangswirkung auf das Leitungsnetz stelle jedenfalls eine mittelbare physische Zwangswirkung im Hinblick auf die übrigen Internetnutzer dar, denen dadurch der Zugriff auf die betreffende Web-Seite verwehrt wird, kaum nachvollziehbar.626 Auch ist die Konstruktion einer Dreiecksnötigung – der Betreiber der Web-Seite werde durch die Gewalt gegenüber den ihm nahestehenden (potentiellen) Internetkunden selbst genötigt – fraglich. Insoweit scheidet eine Strafbarkeit nach § 240 StGB aus. Es kommt allerdings eine Strafbarkeit nach den §§ 303a, 303b StGB in Frage.627 279 Hinsichtlich der Strafbarkeit wegen Datenveränderung, § 303a StGB, muss geprüft werden, ob das Merkmal des „Unterdrückens“ von Daten bereits dann vorliegt, wenn dem Berechtigten die Daten lediglich vorübergehend und nicht auf Dauer entzogen werden (im konkreten Fall war die Benutzung der Web-Seite für etwa zwei Stunden nicht oder nur mit erheblichen Wartezeiten möglich). Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Unterdrückens ist jedoch anerkannt, dass eine dauerhafte Unterdrückung nicht erforderlich ist, sondern dass es ausreicht, wenn die Daten zeitweilig entzogen werden, sofern es sich nicht um einen ganz unerheblichen Zeitraum handelt.628 Bei der Frage der Erheblichkeit des Zeitraums ist allerdings auch die tatsächlich erlittene Beeinträchtigung von entscheidender Bedeutung.629 Jedenfalls dann, wenn der Verfügungsberechtigte, welcher in aller Regel der Betreiber der Web-Seite sein dürfte, nicht mehr auf seine eigenen Daten zugreifen kann, ist daher der Tatbestand erfüllt, sofern es sich nicht um einen ganz uner-
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Vgl AG Frankfurt NStZ 2006, 399; vgl hierzu die Anmerkungen bei Gercke MMR 2005, 868; Kraft/Meister K&R 2005, 458; zu dieser Problematik auch dies MMR 2003, 366. AG Frankfurt NStZ 2006, 399; zust Kraft/ Meister MMR 2003, 366, 370 f; dies K&R 2005, 458, 459; das Urteil des AG Frankfurt wurde durch die Revisionsentscheidung des OLG Frankfurt ZUM 2006, 749 aufgehoben; der Angeklagte wurde freigesprochen.
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Zust dagegen Kraft/Meister K&R 2005, 458, 459. So auch Gercke MMR 2005, 868; Kraft/ Meister MMR 2003, 366, 370 f; ferner Ernst NJW 2003, 3233, 3239. LK/Tolksdorf § 303a Rn 27; NK/Zaczyk § 303a Rn 8; Schönke/Schröder/Stree § 303a Rn 4; aA Altenhain JZ 1997, 752, 753 Fn 17. Vetter 66.
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heblichen Zeitraum handelt.630 Fraglich ist, ob dies auch im Hinblick auf Dritte gelten kann, die infolge der Überlastung nicht mehr auf die entsprechende Web-Seite zugreifen können. Da § 303a StGB jedoch lediglich den Verfügungsberechtigten vor der Veränderung seiner Daten schützen soll, ist diese Konstellation von der Strafnorm nicht erfasst.631 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Tathandlungen der einzelnen Internetnutzer für sich gesehen für ein Unterdrücken von Daten nicht ausreichen, sodass eine Strafbarkeit nur durch eine Annahme einer mittäterschaftlichen Zurechung (§ 25 Abs 2 StGB) der Tatbeiträge der übrigen „Boykotteure“ möglich ist. Diesbezüglich müsste dann aber ein gemeinsamer Tatplan nachgewiesen werden, was schwer möglich ist, da sich die „Boykotteure“ untereinander nicht kannten. Darüber hinaus können in den genannten Fällen aber die Voraussetzungen des 280 § 303b StGB nF erfüllt sein. Sofern die Voraussetzungen des § 303a Abs 1 StGB angenommen werden, liegt es einerseits nahe, dass hierdurch auch eine Datenverarbeitung, die für das betroffene Unternehmen von wesentlicher Bedeutung ist, gestört wird, sodass § 303b Abs 1 Nr 1 StGB erfüllt ist. Daneben ist aber seit der durch das am 11.8.2007 in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität 632 erfolgten Änderung des StGB insbesondere die neu eingefügte Nr 2 zu berücksichtigen.633 Hiernach werden als Computersabotage nun auch das Eingeben oder Übermitteln von Daten erfasst, sofern diese Handlung in der Absicht erfolgt, einem anderen einen Nachteil zuzufügen. Bei diesen Vorgängen handelt es sich jeweils um an sich neutrale Handlungen, die aber dann strafrechtlich relevant werden, wenn sie in rechtswidriger Absicht vorgenommen werden. Bei E-Protesten käme immerhin die Alternative der Übermittlung von Daten per E-Mail in Betracht.634 Bereits die Nachteilszufügungsabsicht ließe sich bei einer Internet-Demonstration aber bezweifeln,635 wenn es den Teilnehmern nicht um einen Nachteil des Betroffenen, sondern um eine politische Meinungsäußerung geht. Für den objektiven Tatbestand ist zudem sowohl für die Nr 1 als auch für die Nr 2 eine erhebliche Störung der Datenverarbeitung erforderlich. Die Bundesregierung geht davon aus, es handele sich bei der Einfügung des Merkmals der Erheblichkeit nur um eine Klarstellung.636 Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung nicht diesbezüglich auf die Maßstäbe des OLG Frankfurt zurückgreift und bei kurzzeitigen Blockaden (auch) eine Erheblichkeit verneint. Ferner kommt im angesprochenen Fall auch eine Strafbarkeit nach § 317 StGB in Frage, da die betroffenen Server Telekommunikationseinrichtungen in diesem Sinne darstellen (vgl auch die Definition in § 3 Nr 23 TKG). 3. DDoS-Attacken
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In Ihrer Wirkung mit den vorgenannten „E-Protesten“ vergleichbar sind die sog „DDoS-Attacken“ (Distributed-Denial-of-Service-Attacken), deren rechtliche Einordnung umstritten ist.637 Allgemein versteht man unter einer solchen DDoS-Attacke einen An630
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Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 197; Vetter 67 ff; anders aber wohl OLG Frankfurt ZUM 2006, 749, 753. Faßbender 61; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 197; Kraft/Meister MMR 2003, 366, 373; Vetter 66 f; aA Ernst NJW 2003, 3233, 3238. BGBl 2007 I S 1786. Vgl hierzu Ernst NJW 2007, 2661, 2664 f; Gröseling/Höfinger MMR 2007, 626.
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Vgl zu dem insgesamt problematischen Merkmal des „Eingebens“ von Daten iSd § 202a Gröseling/Höfinger MMR 2007, 626, 627. So etwa der Rechtsausschuss in BT-Drucks 16/5449, 5. BT-Drucks 16/3656, 13. Vgl hierzu Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 724 f; Möller DuD 2000, 292; Vetter 51 ff.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Straftatbestände aus dem StGB
griff, der darauf abzielt, bestimmte Dateien zu löschen oder Dienste (zB den WWW-Server) in einer Weise zu blockieren, dass sie nicht mehr im Rahmen ihrer Anforderungen nutzbar sind.638 So ist es möglich, dass sich der Angreifer zuerst Zugang zu einer Vielzahl von frem- 282 den Rechnern im Internet verschafft, auf denen er die Programme für den Angriff installiert. Von einem separaten Rechner aus synchronisiert er dann die Angriffsprogramme in der Weise, dass von diesen aus gleichzeitig ein Angriff auf den attackierten Rechner stattfindet. Die Wirkungen entsprechen denen der vorgenannten „E-Proteste“,639 wobei der Unterschied darin besteht, dass der Angriff nur von einer Person ausgeht, die sich dazu aber einer Vielzahl fremder Rechner bedient. Hier kommt zuerst eine Strafbarkeit nach § 303a StGB wegen Datenveränderung in Frage.640 Wird durch den massiven Zugriff auf eine Web-Seite deren Server überlastet, so kann dies dazu führen, dass die auf diesem Server verfügbaren Daten für einen gewissen Zeitraum nicht mehr erreichbar sind. Kann daher der Verfügungsberechtigte (dh der Betreiber der Web-Seite) nicht mehr auf seine eigenen Daten zugreifen, ist eine Datenunterdrückung gegeben,641 sofern es sich nicht um einen ganz unerheblichen Zeitraum handelt. Dass möglicherweise Dritte (andere Internet-Nutzer) infolge der Überlastung nicht mehr auf die entsprechende Web-Seite zugreifen können, ist auch in der vorliegenden Konstellation strafrechtlich unbeachtlich, da § 303a StGB nur den Verfügungsberechtigten vor der Veränderung seiner Daten schützen soll.642 Auch in den Fällen der „DDoS-Attacken“ ist aber wiederum an eine Strafbarkeit nach § 303b Abs 1 Nr 2 StGB nF wegen Computersabotage 643 zu denken. Die Nr 2 wurde – wie bereits dargestellt – im Zuge der Reform neu eingefügt. Die Begründung der Bundesregierung nennt als Beispiel explizit DDoS-Attacken.644 Auch hier dürfte eher das Tatbestandsmerkmal der Übermittlung von Daten in Betracht kommen, da die Daten nicht in den Zielcomputer, sondern vielmehr in den eigenen Rechner eingegeben werden. Weniger problematisch erscheint bei DDoS-Attacken die Nachteilszufügungsabsicht. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu den E-Protesten entsprechend, dh es ist insbesondere zu untersuchen, ob die Datenverarbeitung erheblich gestört wurde. Zudem kommt wiederum § 317 StGB in Betracht.645
V. Sonstige Rechtsverletzungen Mitunter finden sich Delikte und Deliktsgruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass 283 sie zwar auch im Zusammenhang mit „Medien“ begangen werden können, dass es sich aber im Wesentlichen um Straftaten der allgemeinen Kriminalität handelt, bei denen das Medium, insbesondere hier wiederum das Internet, nur ein besonderes Werkzeug darstellt. Sie sollen daher im Folgenden kurz dargestellt werden. 1. Die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB) Das deutsche Glücksspielstrafrecht führte lange Zeit ein Schattendasein, rückte dann 284 aber in den letzten Jahren vermehrt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Grund war die 638 639 640 641
Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 724. Vgl hierzu oben Rn 278 ff. Faßbender 49 ff; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 725; Vetter 55 ff. Faßbender 60; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 197; Vetter 67 ff.
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Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 197; Vetter 55 ff; aA Ernst NJW 2003, 3233, 3238. Faßbender 67 ff; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 725; Vetter 71 ff. BT-Drucks 16/3656, 13. Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 725.
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Zunahme von Glücksspielangeboten über das Medium Internet,646 insbesondere seitens ausländischer Anbieter, aber auch die Zulassung privater Glücksspielanbieter auf dem Gebiet der ehemaligen DDR kurz vor der Wiedervereinigung. Nicht zuletzt geriet das deutsche Glücksspielrecht auch auf Grund europarechtlicher Vorgaben in die Diskussion, eine Diskussion, die derzeit noch anhält. Ein Glücksspiel liegt vor, wenn die Beteiligten über den Gewinn oder Verlust eines 285 nicht ganz unbeträchtlichen Vermögenswertes nach Leistung eines Einsatzes ein ungewisses Ereignis entscheiden lassen, dessen Eintritt nicht von Aufmerksamkeit, Fähigkeiten und Kenntnissen der Spieler, sondern im Wesentlichen vom Zufall abhängt.647 Hierunter fallen nach hM auch Oddset-Wetten (= Sportwetten zu festen Gewinnquoten).648 Abzugrenzen sind die Glücksspiele von den Unterhaltungsspielen, denn dort ist kein oder ein nur unerheblicher Gewinn möglich. Als unerheblichen Einsatz sind Aufwendungen für Brief-/Postkartenporto und Telefongebühren anzusehen.649 Ferner scheiden Geschicklichkeitsspiele aus, bei denen in erster Linie Aufmerksamkeit, Fähigkeit und Kenntnisse der beteiligten Durchschnittsspieler über Gewinn und Verlust entscheiden.650 Auch Lotterien und Ausspielungen sind als Glücksspiele anzusehen, sie werden jedoch nach § 287 StGB gesondert erfasst.651 Abzugrenzen ist das Glücksspiel ferner von der Wette.652 Die Abgrenzung erfolgt nach dem Vertragszweck: Zweck des Spieles ist die Unterhaltung oder der Gewinn, der Zweck der Wette liegt hingegen in der Bekräftigung eines ernsthaften Meinungsstreites.653 Entgegen der Bezeichnung sind Sport„wetten“ daher zumeist Glücksspiele. Ferner muss das Glücksspiel öffentlich sein. Dies ist der Fall, wenn die Beteiligung 286 in erkennbarer Weise beliebigen Personen offen steht. Es darf also nicht auf einen geschlossenen, durch konkrete und außerhalb des Spielzwecks liegende Interessen verbundenen, Personenkreis beschränkt sein.654 Als Tathandlung gilt nicht das Spielen selbst (vgl § 285 StGB), sondern das Veranstalten, Halten oder Bereitstellen der Spieleinrichtung. Ein Glücksspiel veranstaltet, wer dem Publikum die Gelegenheit zum Spiel eröffnet.655 Dazu muss der Veranstalter verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Glücksspiels schaffen.656 Das Zustandekommen von Spielverträgen ist nicht erforderlich,657 genauso wenig, wie die Beteiligung des Veranstalters selbst am Spiel.658
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Vgl hierzu auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 44 Rn 4. BGHSt 34, 171, 175 f; BGHSt 36, 74, 80; LK/von Bubnoff § 284 Rn 7; MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 5 ff. So BGH JZ 2003, 858; Fischer § 284 Rn 10. Für ein Geschicklichkeitsspiel noch AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254; LG Bochum NStZ-RR 2002, 170. Zum Begriff der Oddset-Wette vgl Janz NJW 2003, 1694, 1695; Meyer JR 2004, 447. Fischer § 284 Rn 5. BGHSt 2, 274, 276; Lackner/Kühl § 284 Rn 5; MünchKommStGB/Groeschke/ Hohmann § 284 Rn 6 f. Vgl hierzu unten Rn 292 ff. Zwar werden Spiel und Wette im Zivilrecht einheitlich behandelt (beide begründen nur
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unvollkommene Verbindlichkeiten, § 762 BGB), strafbar ist aber nur das (unerlaubte) Glücksspiel (mit der zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB). RGSt 6, 172, 175 f; Schönke/Schröder/Eser/ Heine § 284 Rn 4; U Weber 39, 41 f. RGSt 63, 44, 45; BGHSt 9, 39, 42; NK/Wohlers § 284 Rn 15. MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 15; NK/Wohlers § 284 Rn 17; Schönke/Schröder/Eser/Heine § 284 Rn 12. BGH NStZ 2003, 372, 373; BayObLG NJW 1993, 2820; MünchKommStGB/Groeschke/ Hohmann § 284 Rn 15. Fischer § 284 Rn 18; SK/Hoyer § 284 Rn 18. MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 15; Schönke/Schröder/Eser/Heine § 284 Rn 12; SK/Hoyer § 284 Rn 18.
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Fraglich ist jedoch, wie das Vermitteln von Glücksspielen zu bewerten ist. Dies wird besonders im Bereich der Sportwetten relevant, wenn hinter dem deutschen Wettannahmebüro ein ausländischer Wettanbieter steht. Da die Übermittlung der Wettdaten und des Gewinnsaldos an den (ausländischen) Wettanbieter dem (deutschen) Publikum die Spielaufnahme erst ermöglichen, stellt auch die Vermittlung ein Veranstalten dar.659 Da in diesem Fall dann auch der Veranstaltungsort in Deutschland liegt, ist deutsches Strafrecht anwendbar.660 Das Halten eines Spieles setzt voraus, dass das Spiel tatsächlich begonnen hat.661 Der Halter muss das Spiel leiten und/oder den äußeren Ablauf des eigentlichen Spielverlaufs eigenverantwortlich überwachen.662 Das Bereitstellen von Einrichtungen zum Glücksspiel erfasst die Vorbereitungshandlung des Zur-Verfügung-Stellens von Spieleinrichtungen.663 § 284 Abs 4 StGB erweitert die Strafbarkeit auf das Werben für ein öffentliches Glücksspiel. Hier werden Verhaltensweisen im Vorfeld der Tathandlungen nach Abs 1 oder 2 erfasst und mit einer geringeren Strafe (Höchststrafe ist Freiheitsstrafe von einem Jahr) bedroht.664 Die Vorschrift soll vor allem ausländische Anbieter erfassen, die im Inland werben.665 Daher ist es nicht entscheidend, ob eine Spielbeteiligung vom Inland aus möglich ist, denn in diesem Fall wäre bereits Abs 1 einschlägig.666 Werben ist jede Aktivität, die darauf abzielt, einen anderen zur Beteiligung am Spiel zu verlocken, wobei die bloße informative Ankündigung einer Gelegenheit zum Glücksspiel genügt.667 Die Strafbarkeit ist von der tatsächlichen Durchführung des beworbenen Glückspieles unabhängig.668 Die Tathandlungen müssen ohne behördliche Erlaubnis vorgenommen werden. Das Fehlen der Erlaubnis ist (negatives) Tatbestandsmerkmal.669 Dabei kommt es nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit, sondern nur auf die formelle Wirksamkeit der Erlaubnis an.670 Hier gelten insbesondere die landesrechtlichen Sportwettengesetze, wobei die Sportwetten derzeit ausschließlich staatlichen Anbietern vorbehalten sind. Zu beachten ist allerdings, dass im Jahre 1990 einige Konzessionen auf Grund des DDR-Gewerbegesetzes in den neuen Bundesländern vor dem Beitritt erteilt wurden (insbesondere für
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So Fischer § 284 Rn 18a; Lackner/Kühl § 284 Rn 11; Wohlers JZ 2003, 858, 862; aA AG Karlsruhe-Durlach, NStZ 2001, 254; Wrage JR 2001, 405, 406; ferner Janz NJW 2003, 1694, 1700. Meyer JR 2004, 447, 450 f; Wohlers JZ 2003, 858, 862. MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 16; NK/Wohlers § 285 Rn 19; SK/Hoyer § 284 Rn 19. BayObLG NJW 1993, 2820; MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 16; NK/Wohlers § 285 Rn 19. MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 17; NK/Wohlers § 285 Rn 20. Vgl Kindhäuser BT 2 § 42 Rn 10; Mitsch BT II/2 § 5 Rn 175. BT-Drucks 13/8587, 67 f; Schönke/Schröder/ Heine § 284 Rn 25a; vgl zur Veranstaltung von Glücksspielen durch ausländische
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Anbieter per Internet Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321. So Schoene NStZ 1991, 469; SK/Hoyer § 284 Rn 27; aA LK/von Bubnoff § 287 Rn 26; MünchKommStGB/Groeschke/ Hohmann § 294 Rn 18; NK/Wohlers § 284 Rn 25. So LK/von Bubnoff § 287 Rn 27; SK/Hoyer § 284 Rn 26. Fischer § 284 Rn 24; MünchKommStGB/ Groeschke/Hohmann § 284 Rn 18. Fischer § 284 Rn 13; Lackner/Kühl § 284 Rn 12; NK/Wohlers § 285 Rn 21; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 44 Rn 9. Der Tatbestand ist somit verwaltungsakzessorisch ausgestaltet. So Kindhäuser BT 2 § 42 Rn 6; MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 21; SK/Hoyer § 284 Rn 21.
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Oddset-Wetten). Nach hM sind solche Genehmigungen als Verwaltungsakte der DDR nach Art 19 S 1 Einigungsvertrag auch nach dem Beitritt wirksam.671 Umstritten ist die Handhabung von Genehmigungen durch EU-Mitgliedsstaaten. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass diese keine Erlaubnisse iSd § 284 darstellen.672 Jedoch dürfte diese Sichtweise schwer mit der durch Art 49 EG gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit zu vereinbaren sein.673 So hat der EuGH in der Gambelli-Entscheidung 674 seine Rechtssprechung fortgeführt, dass derartige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit mitgliedstaatlicher Anbieter nur dann mit EU-Recht vereinbar sind, wenn sie auf Grund der in den Art 45, 46 EG ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmeregelungen (insbesondere Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit) zulässig oder nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Da nun aber Steuermindereinnahmen nicht zu den in Art 46 EG genannten Gründen gehören und keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses bilden, lassen sie sich nicht als Grund für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anführen. Als Allgemeininteressen kämen aber etwa „Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen“ in Betracht. Daher sind Beschränkungen bzgl. der Sportwetten nur dann zulässig, wenn sie „wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik“ sind. Genau dies dürfte aber fraglich sein, da der betriebene Kostenaufwand der staatlichen Glücksspielbetriebe für Werbung deutlich über dasjenige hinausgeht, „was gewöhnliche Unternehmen für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit aufzubringen pflegen“.675 Wenn die staatlichen Behörden die Bürger aber selbst zum Spielen ermutigen (durch Werbemaßnahmen etc.) so ist es äußerst fraglich, ob die geschilderten Maßnahmen dazu dienen „die Gelegenheiten zum Spiel zu verhindern“. Nach § 285 StGB ist auch die Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel strafbar. Am 291 Glücksspiel beteiligt sich, wer selbst daran als Spieler teilnimmt.676 Folglich muss das Spiel bereits begonnen haben.677 Beteiligter ist auch, wer in Vertretung oder als Beauftragter eines anderen auf dessen Rechnung spielt.678 2. Die unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung (§ 287 StGB)
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Aus historischen Gründen werden Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele in § 287 geregelt.679 Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich vom Glücksspiel da-
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So ThürOVG GewArch 2000, 118, 119; Heine wistra 2003, 441; Horn NJW 2004, 2047, 2049 f; Janz NJW 2003, 1694, 1698; aA OVG Münster NVwZ-RR 2003, 352, 353; MünchKommStGB/Groeschke/Hohmann § 284 Rn 23; Schmidt WRP 2004, 1145, 1155. Jedoch ist im August 2006 im Freistaat Sachsen die Konzession für den größten dieser Anbieter widerrufen worden, vgl dazu Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 284 Rn 14. BGH NJW 2002, 2175, 2176 – Sportwetten; BGH NJW 2004, 2158, 2160 – Schöner Wetten; MünchKommStGB/Groeschke/
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Hohmann § 284 Rn 22; Rüping JZ 2005, 234, 239; Wohlers JZ 2003, 860, 861. So Lackner/Kühl § 284 Rn 12; Lesch wistra 2005, 241, 243 ff; Wrage JR 2001, 405, 406. EuGH NJW 2004, 139, 140. Lesch wistra 2005, 241, 246. Fischer § 285 Rn 2; Otto BT § 55 Rn 13; Schönke/Schröder/Eser/Heine § 285 Rn 2. Schönke/Schröder/Eser/Heine § 285 Rn 2. So LK/von Bubnoff § 285 Rn 2; Schönke/ Schröder/Eser/Heine § 285 Rn 2; für eine Beihilfe in diesen Fällen Fischer § 285 Rn 3. Vgl Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 44 Rn 13; Otto BT § 55 Rn 14.
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durch, dass nach einem vom Unternehmer einseitig festgelegten Spielplan gespielt wird.680 Demnach zeichnen sich Lotterie und Ausspielung dadurch aus, dass einer Mehrzahl von Personen die Möglichkeit eröffnet wird, gegen einen bestimmten Einsatz und nach einem bestimmten Plan, ein vom Zufall abhängiges Recht auf Gewinn zu erwerben,681 wobei bei der Lotterie der Gewinn stets in Geld und bei Ausspielungen in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht.682 Wie bei § 284 muss es sich auch hier um öffentliche Lotterien und Ausspielungen 293 handeln. Auch hier ist das Verhalten nur strafbar, wenn keine behördliche Erlaubnis vorliegt. Die Zuständigkeit richtet sich nach der LotterieVO vom 6.3.1937 und den Landesgesetzen.683 Abs 1 nennt als Tathandlung das Veranstalten, also die Eröffnung der Möglichkeit 294 zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan.684 Der Spieler selbst wird nicht bestraft.685 Die genannten Beispiele des Anbietens des Abschlusses oder der Annahme von Angeboten zum Abschluss von Spielverträgen haben nur klarstellende Bedeutung.686 So unterfällt auch das Übersenden von Teilnahmebedingungen 687 oder der selbstständige Abschluss von Spielverträgen auf eigene Rechnung im Rahmen einer von einem anderen abgehaltenen Lotterie dem Veranstalten.688 Abs 2 stellt das Werben für Veranstaltungen nach Abs 1 unter Strafe.
§4 Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Tatbestände des Nebenstrafrechts I. Das Urheberstrafrecht Urheberrechtsverletzungen können in vielfacher Weise im Zusammenhang mit der 295 Tätigkeit eines Medienunternehmens begangen werden. Das UrhG enthält dabei neben den in §§ 97 ff UrhG vorgesehenen zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten in den §§ 106 ff UrhG auch einige Strafvorschriften, denen – nach langjähriger faktischer Bedeutungslosigkeit 689 – heute eine zunehmende praktische Relevanz zukommt.690 So führten insbesondere die sich ständig verbessernden technischen Möglichkeiten der Ver-
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Lackner/Kühl § 287 Rn 1; SK/Hoyer § 287 Rn 4. Fischer § 287 Rn 2; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 1 § 44 Rn 13; Otto BT § 55 Rn 15. Lackner/Kühl § 287 Rn 4; Otto BT § 55 Rn 15. Vgl dazu Schönke/Schröder/Eser/Heine § 287 Rn 18. Lackner/Kühl § 287 Rn 6; Schönke/Schröder/Eser/Heine § 287 Rn 15; aA SK/Hoyer § 287 Rn 8. Vgl Fischer § 287 Rn 11. Vgl BT-Drucks 13/9064, 21; Fischer § 287 Rn 11. Schönke/Schröder/Eser/Heine § 287 Rn 15.
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Fischer § 287 Rn 11; Schönke/Schröder/ Eser/Heine § 287 Rn 15. So endete die reichsgerichtliche Rechtsprechung zum Urheberstrafrecht im Jahre 1916 mit der Entscheidung RGSt 49, 432; vgl hierzu von Gravenreuth GRUR 1983, 349; Katzenberger GRUR 1982, 715, 715 f; allgemein zur Entwicklung des Urheberstrafrechts U Weber Urheberstrafrecht 1 ff; ferner Lampe UFITA 83 (1978), 15. Zur zunehmenden Bedeutung des Urheberstrafrechts vgl auch von Gravenreuth 3 f; Heghmanns NStZ 1991, 112; Katzenberger GRUR 1982, 715, 716; Lieben GRUR 1984, 572.
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vielfältigung verbunden mit der Aussicht, mit relativ geringem Aufwand erhebliche Gewinne zu erzielen, zu einer zunehmenden Verletzung von Urheberrechten. Dabei spielten vor allem auch die besonderen Möglichkeiten, das Internet als Medium zu benutzen, eine erhebliche Rolle.691 Da die zivilrechtlichen Sanktionen nicht als ausreichend angesehen werden, um diesem Verhalten Einhalt zu gebieten, wurde der Ruf nach dem Strafrecht laut. Dennoch spielt der strafrechtliche Schutz des Urheberrechts auch heute noch eine eher untergeordnete Rolle, was teilweise kritisiert, teilweise aber auch begrüßt wird.692 Rechtspolitisch ist der Einsatz des Strafrechts gegen Urheberrechtsverletzungen großen Stils, die zunehmend auch dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzuschlagen sind, sinnvoll und notwendig.693 Dagegen sollte der Einsatz des Strafrechts gegen den Endabnehmer, der Urheberrechtsverletzungen im privaten Bereich begeht, ebenso unterbleiben wie die Instrumentalisierung des Strafrechts zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.694 Insgesamt ist auffallend, dass der zivilrechtliche Schutz des Urheberrechts weiter geht 296 als der strafrechtliche. Während in § 97 UrhG umfassende zivilrechtliche Unterlassungsund Schadensersatzansprüche gegen jede Form der Verletzung vorgesehen sind,695 werden strafrechtlich in erster Linie die urheberrechtlichen Verwertungsrechte geschützt.696 Der Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts ist nur in Sonderfällen vorgesehen (vgl § 107 Abs 1 Nr 1 UrhG).697 Rein obligatorische Ansprüche schützt das Urheberstrafrecht nicht.698 Dies entspricht letztlich der Funktion des Strafrechts, nicht jede Rechtsverletzung zu sanktionieren, sondern nur diejenigen Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, die in besonders sozialschädlicher Weise Rechte anderer verletzen.699 Allgemein ist jedoch festzustellen, dass in den strafrechtlichen Vorschriften des UrhG weitestgehend auf die zivilrechtlichen Vorschriften Bezug genommen und verwiesen wird, sodass das „Primat des Zivilrechts“ hier deutlich zum Vorschein kommt.700 Die urheberstrafrechtlichen Vorschriften stellen allesamt Vergehen nach § 12 Abs 2 297 StGB dar. Durch § 106 UrhG werden die urheberrechtlich geschützte Werke strafrechtlich geschützt, während die Verletzung verwandter Schutzrechte über § 108 UrhG sanktioniert wird. Über § 106 UrhG werden dabei nur die Verwertungsrechte geschützt, eine Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten findet sich lediglich (sehr fragmentarisch) in § 107 UrhG, der jedoch für das Medienrecht keine Bedeutung hat. Die ge-
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Vgl hierzu Boßmanns Urheberrechtsverletzungen im Online-Bereich und strafrechtliche Verantwortlichkeit der Internet-Provider 2003; Büchele Urheberrecht im World Wide Web 2002; Ensthaler/Bosch/Völker Handbuch Urheberrecht und Internet 2002; Evert Anwendbares Urheberrecht im Internet 2005; Hilgendorf/Frank/Valerius Rn 591 ff; Malek Rn 241 ff; Rademacher Urheberrecht und gewerblicher Rechtsschutz im Internet 2003; Reinbacher Die Strafbarkeit der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zum privaten Gebrauch nach dem Urheberrechtsgesetz 2007; Sedlmeier Die Auslegung der urheberrechtlichen Straftatbestände bei InternetSachverhalten 2003.
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Dreier/Schulze/Dreier § 106 Rn 2. Vgl auch Mestmäcker/Schulze/Deumeland § 106 Rn 1. So auch Dreier/Schulze/Dreier § 106 Rn 2; Reinbacher 326 ff. Vgl hierzu nur Lampe UFITA 83 (1978), 15, 16; Rehbinder ZUM 1990, 462, 462 ff; U Weber Urheberstrafrecht 172. Vgl hierzu Dreier/Schulze/Dreier § 106 Rn 1. Zur Begründung vgl BT-Drucks IV/270, 108 zu § 16 = UFITA 45 (1965), 240, 326. B Heinrich Vervielfältigung 175 f; Schricker/Vassilaki § 106 Rn 1. Vgl B Heinrich Vervielfältigung 176. Vgl Lampe UFITA 78 (1983), 15; aA allerdings Etter CR 1989, 115, 117.
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nannten Vorschriften der §§ 106–108 UrhG sind ebenso wie die Vorschriften des § 108b Abs 1 und Abs 2 UrhG Privatklagedelikte (vgl § 374 Abs 1 Nr 8 StPO). Keine Privatklagedelikte stellen dagegen die Strafnormen des § 108a UrhG und des § 108b Abs 3 UrhG dar. Eine Nebenklage ist hingegen nach § 395 Abs 2 Nr 3 StPO bei sämtlichen Urheberrechtsstraftaten möglich. Dies ergibt sich einerseits aus dem dortigen Verweis auf § 374 Abs 1 Nr 8 StPO, andererseits aus der ausdrücklichen Nennung der §§ 108a, 108b Abs 3 UrhG. 1. Die unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke, § 106 UrhG Ausgangspunkt für die strafrechtliche Beurteilung ist § 106 UrhG, der die unerlaubte 298 Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke unter Strafe stellt. Ein solches Werk liegt nach den §§ 1, 2 Abs 2 UrhG dann vor, wenn es sich um eine persönliche geistige Schöpfung aus den Bereichen der Literatur, Wissenschaft oder Kunst handelt. Beispiele hierfür sind in § 2 Abs 1 UrhG aufgezählt. Im vorliegenden Zusammenhang relevant sind insbesondere die in den dortigen Nummern 1, 2 und 6 genannten Sprachwerke, Werke der Musik oder Filmwerke. Daneben können aber auch multimediale Internet-Produktionen urheberrechtlichen Schutz genießen,701 wobei man hier zwischen den einzelnen Beiträgen, der Gesamtproduktion und der Programmierleistung (dh dem zu Grunde liegenden Computerprogramm) unterscheiden muss.702 Wesentlich ist ferner, dass es sich auch bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen nur dann um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt, wenn eine persönliche geistige Schöpfung vorliegt (§ 1 Abs 2 UrhG). Dies ist dann gegeben, wenn es sich (1) um eine Schöpfung handelt, die (2) einen geistigen Gehalt aufweist, in der (3) die Individualität des Urhebers zum Ausdruck kommt, wobei (4) eine bestimmte Gestaltungshöhe erreicht werden und (5) eine Formgebung stattgefunden haben muss.703 Umstritten ist hierbei insbesondere die Gestaltungshöhe. Dabei wird allgemein ein nicht allzu hoher Maßstab angelegt, sodass auch die „Werke der kleinen Münze“,704 dh „Werke von geringem schöpferischem Wert“ 705 urheberrechtlichen Schutz genießen können.706 Tathandlungen sind die Vervielfältigung (§ 16 UrhG), die Verbreitung (§ 17 UrhG) 299 und die öffentliche Wiedergabe (§ 15 Abs 2 iVm §§ 19 ff UrhG). Unter einer Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes ist jede körperliche Festlegung eines Werkes zu verstehen, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise mittelbar oder unmittelbar wahrnehmbar zu machen.707 Nicht erfasst ist hingegen
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Härting/Kuon CR 2004, 527; Malek Rn 245; Sedlmeier 22 ff. Malek Rn 245. Vgl B Heinrich Vervielfältigung 110; Reinbacher 28 ff; vgl auch Schricker/Loewenheim § 2 Rn 9. Der Begriff geht zurück auf Elster 40; vgl zur „kleinen Münze im Urheberrecht Knöbl 129 ff, 336 ff; Köhn ZUM 1994, 278; Loewenheim GRUR 1987, 761; Schulze Die kleine Münze und ihre Abgrenzungsproblematik bei den Werkarten des Urheberrechts, 1983; ders GRUR 1987, 769; Schwenzer ZUM 1996, 584; Thoms Der urheberrechtliche Schutz der kleinen Münze, 1980.
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So die Regierungsbegründung in BT-Drucks IV/270, 38 = UFITA 45 (1965), 240, 252. BGHZ 116, 136, 144 – Leitsätze; vgl ferner BGH GRUR 1959, 251, 251 f – Einheitsfahrschein; BGH 1961, 85, 87 – Pfiffikus-Dose; BGH GRUR 1981, 267, 268 – Dirlada; BGH GRUR 1995, 581, 582 – Silberdistel; vgl zum strafrechtlichen Schutz der Werke der „kleinen Münze“ Reinbacher 64. BGHZ 17, 266, 269 f = GRUR 1955, 492, 494 – Grundig-Reporter; BGH GRUR 1982, 102, 103 – Masterbänder; BGH GRUR 1983, 28, 29 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; BGHZ 112, 264,
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die unkörperliche Verwertung, die allerdings eine öffentliche Wiedergabe iSd § 15 Abs 2 UrhG darstellen kann.708 Dagegen versteht man unter einer Verbreitung, dass der Täter das Vervielfältigungsstück der Öffentlichkeit anbietet oder in den Verkehr bringt, wobei auch hier ein körperliches Werk oder Vervielfältigungsstück erforderlich ist, eine unkörperliche Weitergabe (etwa durch Versenden einer Datei per E-Mail) scheidet dagegen aus.709 Die öffentliche Wiedergabe wird in § 15 Abs 2 UrhG näher umschrieben. Hierunter fallen das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19 UrhG), das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG), das Senderecht (§ 20 UrhG), das Recht der Wiedergabe durch Ton- und Bildträger (§ 21 UrhG) und das Recht der Wiedergabe von Funksendungen (§ 22 UrhG). Diese Vorschriften regeln die öffentliche Wiedergabe jedoch nicht abschließend, sondern stellen nur eine beispielhafte Aufzählung dar. Dies ergibt sich bereits aus der Wendung „insbesondere“ in § 15 Abs 2 UrhG. Das entscheidende Merkmal ist dabei die Unkörperlichkeit der Wiedergabe, die von den Tathandlungen der Vervielfältigung und der Verbreitung nicht erfasst wird. Der Tatbestand des § 106 UrhG ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn es sich um 300 einen „gesetzlich zugelassenen Fall“ der Verwertung handelt.710 Hierunter fallen sowohl die in §§ 44a ff UrhG normierten „Schranken des Urheberrechts“ als auch die Nutzung von Werken nach Ablauf der Schutzfrist (§ 64 ff UrhG) 711 sowie die Verbreitung eines Werkes nach Erschöpfung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts (§ 17 Abs 2 UrhG). Dagegen schließt die in § 106 UrhG genannte Einwilligung des Berechtigten nicht bereits den Tatbestand aus, sondern stellt lediglich einen Rechtfertigungsgrund dar.712 2. Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 108 UrhG
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§ 108 UrhG stellt unerlaubte Eingriffe in nahezu alle verwandten (Leistungs-)Schutzrechte unter Strafe, wobei regelmäßig nur die unerlaubte „Verwertung“ dieser Schutzrechte, nicht aber die Verletzung von Persönlichkeitsrechten (zB vor Entstellungen) geschützt wird. Rechtsgut des § 108 UrhG ist insoweit die unternehmerische Leistung des
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278 = NJW 1991, 1231, 1234 – Betriebssystem; Fromm/Nordemann/Nordemann § 16 Rn 1; Haberstumpf GRUR 1982, 142, 148; B Heinrich Vervielfältigung 185; Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 16 Rn 3; Rehbinder Rn 203; Reinbacher 82, 86; Schricker/Loewenheim § 16 Rn 6; U Weber Urheberstrafrecht 195. Malek Rn 247 BGH NJW 1963, 651, 652 – Fernsehwiedergabe von Sprachwerken; BT-Drucks IV/270, 47 = UFITA 45 (1965), 240, 262; Malek Rn 248; Schricker/Loewenheim § 16 Rn 4. Dass die „gesetzlich zugelassenen Fälle“ bereits den Tatbestand ausschließen, ist nahezu unstreitig; vgl Dreier/Schulze/Dreier § 106 Rn 6; Fromm/Nordemann/Vinck § 106 Rn 3; Hildebrandt 124; Schricker/ Vassilaki § 106 Rn 23; Reinbacher 174 ff; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 106 Rn 21; U Weber Urheberstrafrecht 225 ff, 230; aA Lampe UFITA 83 (1978), 15, 30 f.
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Hildebrandt 136 f; Möhring/Nicolini/ Spautz § 106 Rn 4; Wandtke/Bullinger/ Hildebrandt § 106 Rn 22; aA (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) Erbs/ Kohlhaas/Meurer § 106 Rn 2; Fromm/ Nordemann/Vinck § 106 Rn 2; vgl auch Reinbacher 69 f, der bei Ablauf der Schutzfrist bereits das Vorliegen eines „urheberrechtlich geschützten Werks“ ablehnt. Dreier/Schulze/Dreier § 106 Rn 8; Fromm/ Nordemann/Vinck § 106 Rn 5; Möhring/ Nicolini/Spautz § 106 Rn 5; Reinbacher 269 f; U Weber Urheberstrafrecht 266; aA Schricker/Vassilaki § 106 Rn 27 (Tatbestandsmerkmal); vgl auch Hildebrandt 149 ff; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 106 Rn 25, welcher der Einwilligung eine „Doppelnatur“ zuschreibt.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Tatbestände des Nebenstrafrechts
Leistungsschutzberechtigten.713 Insoweit sind die Schutzrechte in gleicher Weise strafrechtlich geschützt wie das Urheberrecht. Einzige Ausnahme ist das Leistungsschutzrecht des Veranstalters nach § 81 UrhG, welches keinen strafrechtlichen Schutz genießt.714 Wie schon im Rahmen des § 106 UrhG, so ist auch bei § 108 UrhG der strafrechtliche Schutz zivilrechtsakzessorisch ausgestaltet.715 Die Vorschrift führte lange Zeit ein Schattendasein, hat aber im Hinblick auf Nr 4 (Darbietung eines ausübenden Künstlers) und Nr 5 (Tonträger) durch die in den letzten Jahren zunehmende Musik-, Video- und Computerpiraterie eine gewisse Bedeutung erlangt.716 Dennoch ist es in der Literatur umstritten, ob es eines solchen detaillierten Strafrechtsschutzes überhaupt bedarf.717 Wegen des im Urheberrecht geltenden Territorialitätsprinzips sind – abweichend von § 7 StGB – auch im Rahmen des § 108 UrhG nur im Inland begangene Verletzungshandlungen erfasst.718 Die Tatobjekte sind jeweils in den einzelnen Nummern des Abs 1 aufgezählt. Es han- 302 delt sich hierbei um die einzelnen Leistungsschutzrechte (mit Ausnahme des nicht erfassten Leistungsschutzrechts des Veranstalters, § 81 UrhG). Darüber hinaus werden in Abs 1 Nr 1 bis Nr 3 auch die Bearbeitungen und Umgestaltungen genannt. Tathandlung ist entweder die (unerlaubte) Vervielfältigung, Verbreitung und öffent- 303 liche Wiedergabe (Nr 1 und Nr 3) oder die (unerlaubte) Verwertung (Nr 2, Nr 4 bis Nr 8). Die Verwendung dieser verschiedenen Begriffe ist problematisch, wird dadurch doch suggeriert, dass sie unterschiedliche Inhalte aufweisen, was jedoch nur in Randbereichen der Fall ist. Wie auch bei § 106 UrhG liegt bereits kein tatbestandsmäßiges Verhalten vor, wenn hinsichtlich der Verwertungshandlung ein gesetzlich zugelassener Fall eingreift.719 Als gesetzlich zugelassene Schrankenbestimmungen sind auch hier grds die §§ 44a ff UrhG anwendbar,720 wobei jedoch zu beachten ist, dass die einzelnen Schutzrechte darüber hinaus noch besonderen Schranken unterliegen können 721 (wie dies zB in § 87c UrhG für Datenbanken angeordnet wurde), bzw für sie sonstige Sonderregelungen gelten.722 Auch ist die Schutzfrist bei den Leistungsschutzrechten regelmäßig kürzer als die Dauer des Urheberrechts (vgl nur § 70 Abs 3, § 71 Abs 3 UrhG). Zu beachten ist schließlich, dass – im Gegensatz zum Urheberrecht – bei den verwandten Schutzrechten dem Inhaber von vornherein kein umfassendes Verwertungsrecht zukommt, sodass stets zu prüfen ist, ob das jeweilige Verhalten überhaupt ein Ausschließ-
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Vgl zum Rechtsgut des § 108 allgemein Hildebrandt 204 f. Ein solcher kann allenfalls mittelbar über die Antragsberechtigung ausübender Künstler nach § 108 Abs 1 Nr 4 erreicht werden; vgl Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 1. Hildebrandt 203. Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 1; Wandtke/ Bullinger/Hildebrandt § 108 Rn 1. Für eine Streichung Fromm/Nordemann/ Vinck § 108; Lampe UFITA 83 (1978), 15, 35 f, 61; Lampe UFITA 87 (1980), 107, 120 f; U Weber Urheberstrafrecht 382 ff; ders FS Sarstedt 379, 386 ff; ders FuR 1980, 335, 344; für eine Beibehaltung Flechsig GRUR 1978, 287, 290 f; ders UFITA 84 (1979), 356, 358; Loewenheim/Flechsig § 90
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Rn 92; Rochlitz 243 ff; ders UFITA 83 (1978), 69, 81 ff; ders FuR 1980, 351, 357; Spautz FuR 1978, 743, 748. BGHSt 49, 93. Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 3; Reinbacher 297; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108 Rn 6; Weber FS Stree/Wessels 613, 615. Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 3; Reinbacher 297. Hierzu Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 3; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108 Rn 6. So ist § 61 UrhG (Zwangslizenz zur Herstellung von Tonträgern) auf viele Leistungsschutzrechte nicht anwendbar (vgl § 84; § 85 Abs 3; § 87 Abs 3; § 94 Abs 4 UrhG).
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lichkeitsrecht des Leistungsschutzberechtigten betrifft.723 Dies ist zB dann nicht der Fall, wenn das Gesetz (wie in § 78 Abs 2, § 86 UrhG) dem Betreffenden ausschließlich einen Vergütungsanspruch zuweist.724 Letzteres entspricht dem Grundsatz, dass das Strafrecht regelmäßig nicht dazu dient, schuldrechtliche (Vergütungs-)Ansprüche zu schützen.725 In diesen Fällen ist jedoch bereits der Schutzbereich des § 108 UrhG nicht betroffen, es liegt daher nicht erst ein den Schutzbereich einschränkender gesetzlich zugelassener Fall vor. Hat der Rechtsinhaber eine Einwilligung erteilt, so scheidet nicht bereits der Tatbestand 304 aus, die Einwilligung stellt vielmehr einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund dar.726 Wer insoweit als Berechtigter anzusehen ist, ergibt sich jeweils aus der Vorschrift, auf die in § 108 UrhG verwiesen wird.727 So ist das einzelne Leistungsschutzrecht – im Gegensatz zum Urheberrecht – vielfach übertragbar (vgl § 71 Abs 2, § 79 Abs 1 S 1, § 85 Abs 2 S 1, § 87 Abs 2 S 1, § 94 Abs 2 S 1 UrhG), wodurch sich auch die Person des Berechtigten ändern kann. Grds ist als Einwilligungsberechtigter der Inhaber des verwandten Schutzrechts anzusehen,728 wobei dieses auch vererbt werden kann.729 Im Gegensatz zum Urheberrecht kann aber auch eine juristische Person oder eine Personenmehrheit Berechtigter sein.730 3. Gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung, § 108a UrhG
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Nach § 108a UrhG ist die gewerbsmäßige Begehung einer Tat nach §§ 106–108 UrhG als Qualifikation mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Auch hier ist der Versuch strafbar. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Urheberrechts vom 24.6.1985 731 eingeführt und durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 7.3.1990 732 erweitert. Sie soll in erster Linie dazu dienen, der organisierten Kriminalität sowie der Bandenkriminalität in den Bereichen der Videopiraterie und des Raubdrucks entgegenzuwirken.733 Zur Erfüllung des Tatbestandes des § 108a müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Es muss einerseits einer der Grundtatbestände der §§ 106, 107 oder 108 UrhG rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht sein, andererseits muss diesbezüglich ein gewerbsmäßiges Handeln vorliegen. Gewerbsmäßig handelt derjenige, der die Urheberrechtsverletzung in der Absicht vornimmt, sich durch eine wiederholte Begehung ähnlicher Taten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger (wenn auch möglicherweise begrenzter) Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.734 Diese Einnahmequelle braucht jedoch nicht den hauptsächlichen oder regelmäßigen Erwerb des Täters zu bilden.735 So reicht ein nicht ganz geringfügiger Nebenerwerb aus.736
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Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 3. Dreier/Schulze/Dreier § 108 Rn 3; ferner Schricker/Vassilaki § 108 Rn 6, 7. Schricker/Vassilaki § 108 Rn 6. Anders allerdings die hM, vgl Schricker/ Vassilaki § 108 Rn 13; differenzierend Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108 Rn 7. Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108 Rn 7. Hildebrandt 227; U Weber Urheberstrafrecht 268. Fromm/Nordemann/Hertin § 28 Rn 6.
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Hildebrandt 227. BGBl 1985 I S 1137. BGBl 1990 I S 422; vgl zu den Materialien BT-Drucks 11/4792, 15. BT-Drucks 10/3360, 20. RGSt 58, 19, 20; RGSt 64, 151, 154; BGHSt 1, 383; BGH NStZ 1985, 85. Dreier/Schulze/Dreier § 108a Rn 5. BGHSt 1, 383; BGH GA 1955, 212; Dreier/ Schulze/Dreier § 108a Rn 5; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108a Rn 1.
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4. Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen, § 108b UrhG Die erst im Jahre 2003 ins UrhG aufgenommene Strafvorschrift hat im Wesentlichen 306 das Ziel, die Umgehung von technischen Schutzmaßnahmen, die der Berechtigte zulässigerweise ergriffen hat, sowie die Entfernung oder Veränderung von zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen zu verhindern. Insofern werden durch diese Vorschriften in erster Linie die verwertungsrechtlichen Befugnisse geschützt.737 Zu beachten ist, dass die genannten Vorschriften auf Computerprogramme nicht anwendbar sind (§ 69a Abs 5 UrhG). Eine Verletzung der §§ 95a ff UrhG wird sowohl durch § 108b UrhG strafrechtlich als auch durch § 111 UrhG als Ordnungswidrigkeit geahndet. Dabei stellt § 108b Abs 1 Nr 1 UrhG einen Verstoß gegen § 95a Abs 1 UrhG (Umgehung technischer Schutzmaßnahmen), § 108b Abs 1 Nr 2 UrhG einen Verstoß gegen § 95c Abs 1 und Abs 3 UrhG (Entfernung oder Veränderung von zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen sowie Verbreitung eines insoweit veränderten Gegenstandes) und § 108b Abs 2 UrhG einen Verstoß gegen § 95a Abs 3 UrhG (Vertrieb von Gegenständen, die für eine Schutzrechtsverletzung erforderlich sind, sofern der Vertrieb gewerbsmäßig begangen wird) unter Strafe. Bei nichtgewerbsmäßigen Verstößen gegen § 95a Abs 3 UrhG greift hingegen lediglich die Ordnungswidrigkeit des § 111a UrhG ein. Dasselbe gilt bei einem Verstoß gegen § 95b Abs 1 S 1 UrhG und § 95d Abs 2 S 1 UrhG. 5. „Illegale“ Musiktauschbörsen im Internet Seit etlichen Jahren existieren sog „Musiktauschbörsen“ im Internet, bei denen Privat- 307 personen untereinander einzelne Musikstücke (die als Musikwerke nach § 2 Abs 1 Nr 2 UrhG urheberrechtlichen Schutz genießen) in digitaler Form tauschen.738 Diese Tauschbörsen beruhen im Wesentlichen auf zwei Modellen, die urheber(straf)rechtlich unterschiedlich zu beurteilen sind: das frühere Client-Server-Modell und das heutzutage zumeist verwendete Peer-to-Peer-Modell. Beim früher häufiger anzutreffenden Client-Server-Modell ist zwischen den Tausch- 308 partnern noch ein externer Server zwischengeschaltet. Die Beteiligten („Clients“; Kunden) legen die einzelnen Musikwerke als „Files“ in digitaler Form auf dem externen Server ab („Upload“). Sowohl auf diesem Server als auch auf den Rechnern der einzelnen Beteiligten ist dabei eine spezielle „Tauschbörsen-Software“ installiert. Auf dem Server werden die jeweiligen Dateien verwaltet und bereitgehalten. Hat nun ein weiterer Beteiligter, der selbst im Regelfall ebenfalls Musikwerke auf dem Server abgelegt und dadurch anderen zur Verfügung gestellt hat, Interesse an einem solchen Musikstück, kann er dieses abrufen und auf seinen eigenen Rechner herunterladen („Download“). Urheberrechtlich stellt sowohl der Upload als auch der Download eine „Vervielfältigung“ iSd § 16 UrhG dar. Der Upload selbst ist zudem eine „öffentliche Wiedergabe“ iSd § 15 Abs 2 Nr 2, § 19a UrhG, da das Werk hierdurch einer Vielzahl von im Einzelnen nicht bekannten Personen – und daher der „Öffentlichkeit“ – zugänglich gemacht wird. Dagegen scheidet eine „Verbreitung“ iSd § 17 UrhG aus, da eine solche voraussetzt, dass das Werk einem anderen in körperlicher Form zugänglich gemacht wird.739 737
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Vgl zum geschützten Rechtsgut des § 108b auch Schricker/Vassilaki § 108b Rn 2; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt § 108b Rn 2. Vgl zur strafrechtlichen Beurteilung solcher Musiktauschbörsen Heghmanns MMR 2004, 14; Reinbacher 120 ff, 199 ff, 283 ff, 314 ff, 332 f.
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BGH NJW 1963, 651, 652 – Fernsehwiedergabe von Sprachwerken; BT-Drucks IV/270, 47 = UFITA 45 (1965), 240, 262; Dreyer/ Kotthoff/Meckel/Dreyer § 17 Rn 2; Schricker/Loewenheim § 17 Rn 4.
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Da sowohl für die Vervielfältigungshandlungen als auch für das öffentliche Zugänglichmachen regelmäßig keine Erlaubnis des Urhebers oder des Nutzungsberechtigten vorliegt, sind diese Verhaltensweisen von § 106 UrhG tatbestandlich erfasst, sofern kein gesetzlich zugelassener Fall vorliegt. Ein solcher könnte aber im Hinblick auf die Vervielfältigung nach § 53 UrhG dann in Frage kommen, wenn es sich um eine solche zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch handelt.740 Unter privatem Gebrauch wird allgemein der Gebrauch in der Privatsphäre zur Befriedigung rein persönlicher Bedürfnisse durch die eigene Person oder durch mit ihr durch ein persönliches Band verbundene Personen verstanden.741 Umfasst sind neben dem Vervielfältigenden selbst auch der engste Freundes- und Familienkreis. Ein privater Gebrauch scheidet allerdings dann aus, wenn die Vervielfältigung unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dient. Betrachtet man die Tauschbörsen, so stellt zwar der Download regelmäßig eine solche private Vervielfältigung dar, sofern er ausschließlich dazu dient, die eigene Musiksammlung zu bereichern. Der Upload hingegen verlässt den Bereich des Privaten, da die Vervielfältigung nicht der Befriedigung eigener Bedürfnisse, sondern ausschließlich dazu dient, eine Kopie des Werkes der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick auf den Download ist aber zu beachten, dass der Betreffende nur einzelne Vervielfältigungsstücke, dh „einige wenige“ Exemplare 742 herstellen darf, wobei der BGH in einer Entscheidung die Grenze bei sieben Exemplaren zog.743 Letztere Voraussetzung dürfte bei den Musiktauschbörsen regelmäßig vorliegen, da eine Vervielfältigung zwar auf der Festplatte des Computers, einer externen Festpatte, einem MP3-Player oder weiteren Speichermedien denkbar ist, die Zahl von sieben im Normalfall aber kaum überschritten werden dürfte. Eine weitere einschränkende Voraussetzung besteht im Hinblick auf die private Vervielfältigung jedoch darin, dass gem § 53 Abs 1 UrhG keine „offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage“ für die private Vervielfältigung verwendet werden darf. Dieses – infolge mangelnder Bestimmtheit zumindest aus strafrechtlicher Sicht verfassungsrechtlich bedenkliche – Merkmal ist aber im vorliegenden Fall regelmäßig gegeben. Denn wie soeben festgestellt, bedeutet das Ablegen einer Kopie des Musikwerkes auf dem Server (Upload) in aller Regel die Herstellung einer Vorlage, deren Herstellungsakt (der Upload) gerade rechtswidrig war, da eine Einwilligung des Urhebers oder Nutzungsberechtigten in den seltensten Fällen vorlag und das Verhalten den Bereich des Privaten verlässt. Fraglich ist dann lediglich noch, ob es sich auch um eine „offensichtlich“ rechtswidrig hergestellte Vorlage handelte. Diese Offensichtlichkeit dürfte jedenfalls dann gegeben sein, wenn es ausgeschlossen ist, dass das Einstellen in die Tauschbörse dem Willen des Urhebers oder Nut-
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Allgemein zu § 53 UrhG Ahrens ZUM 2000, 1029; Collova UFITA 125, 53; Flechsig GRUR 1993, 532; Freiwald Die private Vervielfältigung im digitalen Kontext am Beispiel des Filesharing, 2003; Kreutzer GRUR 2001, 193, 307; Krüger GRUR 2004, 204; Leupold/Demisch ZUM 2000, 379; Loewenheim FS Dietz 415; Mönkemöller GRUR 2000, 663; Reinbacher 135 ff; Schack ZUM 2002, 497; Schaefer FS Nordemann 191; Schippan ZUM 2003, 678; Schwenzer ZUM 1997, 478; UlmerEilfort FS Nordemann 285. BGH GRUR 1978, 474, 475 – Vervielfälti-
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gungsstücke (in NJW 1978, 2596 nicht abgedruckt); Dreier/Schulze/Dreier § 53 Rn 7; B Heinrich Vervielfältigung 251; Reinbacher 180; Schricker/Loewenheim § 53 Rn 12. BGH NJW 1978, 2596, 2597 = GRUR 1978, 474, 476 – Vervielfältigungsstücke; Schack Rn 496; Schricker/Loewenheim § 53 Rn 14; Wandtke/Bullinger/Lüft § 53 Rn 10. BGH NJW 1978, 2596, 2597 = GRUR 1978, 474, 476 – Vervielfältigungsstücke; diese Grenzziehung war allerdings dem der Klage zu Grunde liegenden Klageantrag geschuldet.
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zungsberechtigten entsprach. Eine solche Einwilligung könnte höchstens dann einmal vorliegen, unbekannte Interpreten oder Gruppen ihre Werke als „Freeware“ in eine solche Tauschbörse einstellen, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Bis auf diese wenigen Fälle ist die Rechtswidrigkeit des Herstellungsaktes aber offensichtlich erkennbar, weshalb auch derjenige, der sich nach diesem Modell urheberrechtlich geschützte Musikwerke herunterlädt, eine strafbare unerlaubte Vervielfältigung begeht.744 Insoweit kommt es im Hinblick auf dieses Modell auf die vom Gesetzgeber inzwischen vorgenommene weitere Einschränkung – Herausnahme auch der offensichtlich rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Werke aus dem privilegierten privaten Gebrauch – nicht an.745 Das heute zumeist anzutreffende Peer-to-Peer Modell verzichtet hingegen auf das Da- 310 zwischenschalten eines externen Servers.746 Es werden ausschließlich die – zumeist privaten – Rechner der einzelnen Beteiligten benutzt, wobei auf jedem Rechner gleichrangig sowohl Daten zur Verfügung gestellt werden als auch Daten von anderen Rechnern heruntergeladen werden können. Jeder, der sich an dem Tausch-Netzwerk beteiligt, ermöglicht also den anderen Beteiligten einen Zugriff auf Teile der Festplatte seines eigenen Computers und die dort abgelegten Musikwerke. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn der betreffende Anbieter „online“ ist. Insoweit finden zumeist beide Vorgänge gleichzeitig statt: In der Zeit, in der ein Nutzer Werke von anderen Rechnern herunterlädt, stellt er gleichzeitig die bei ihm abgelegten Werke anderen zur Verfügung. Zwar existiert auch hier mitunter ein zentraler Server (zB bei „Napster“), der aber lediglich eine Indexfunktion erfüllt.747 Hier wird lediglich eine Übersicht der von den Benutzern zurzeit bereitgestellten Musiktitel erstellt und ferner die Möglichkeit geschaffen, sich durch das Anklicken des jeweils gewünschten Titels mit dem jeweiligen Anbieter bzw dem Rechner des Anbieters direkt in Verbindung zu setzen. Der Austausch der Musikwerke erfolgt dann jedoch nicht mehr über den vermittelnden Server, sondern direkt zwischen den Beteiligten. Teilweise wird aber sogar auf diesen zentralen (Index-)Server verzichtet (zB bei „Gnutella“ oder „KaZaA“) und bei einer Suchanfrage das gesamte Internet nach den gewünschten Musikfiles durchsucht.748 Insofern wird bei diesem Modell – in beiden Varianten – stets nur eine Vervielfältigung iSd § 16 UrhG vorgenommen, die nun in aller Regel „an sich“ dem Anwendungsbereich des § 53 Abs 1 UrhG unterfällt: Zum privaten Gebrauch wird eine digitale Vervielfältigung erstellt. Auch die Vorlage, dh die sich auf der Festplatte des Ausgangsrechners befindende Kopie des Musikwerkes muss nicht zwingend rechtswidrig hergestellt sein, da es vielfältige Möglichkeiten gibt, dass der Betreffende das Musikwerk in zulässiger Weise auf seiner Festplatte gespeichert hat.749 Dies kann bspw dann der Fall sein, wenn er das Musikwerk ordnungsgemäß, zB durch Kauf einer CD, erworben und anschließend auf seine Festplatte gespeichert hat, um es von dort aus abzuhören oder zu sichern. Insoweit stellt auch dieser Vorgang zwar eine Vervielfältigung iSd § 16 UrhG dar, jedoch ist diese regelmäßig von § 53 Abs 1 UrhG gedeckt, wenn sie nicht ausschließlich dazu dient, das Werk zu speichern, um es anderen zur Verfügung zu stellen. Kopiert nämlich der Betreffende
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Vgl ausf zur strafrechtlichen Beurteilung des Client-Server-Modells Reinbacher 200 ff. Vgl hierzu noch unten Rn 312. Vgl zu diesem Modell Abdallah/Gercke ZUM 2005, 368; Kress 13 ff; Kreutzer GRUR 2001, 193, 194; Reinbacher 121 ff, 204 ff; ferner AG Offenburg CR 2007, 676.
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Vgl Kreutzer GRUR 2001, 193, 195; Reinbacher 121. Vgl Kreutzer GRUR 2001, 193, 195; Reinbacher 122. Ausf dazu Reinbacher 215 ff.
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das Werk von der gekauften CD auf seine Festplatte, um es auf diese Weise später anzuhören, liegt ein „klassischer“ Fall der zulässigen Vervielfältigung zum privaten Gebrauch vor.750 Doch selbst dann, wenn dies im Einzelfall nicht festgestellt werden kann und der 311 Betreffende den Vervielfältigungsvorgang ausschließlich deswegen vorgenommen hat, um das Werk später anderen zur Verfügung zu stellen, so ist dieser Umstand jedenfalls nach außen nicht erkennbar. Es handelt sich somit nicht um eine „offensichtlich“ rechtswidrig hergestellte Vorlage, weshalb eine zu privaten Zwecken vorgenommene Vervielfältigung dieses Werkes bisher von § 53 UrhG gedeckt war – und da somit in der Regel die mittels Downloads aus einer Tauschbörse im Peer-to-Peer-Modell erlangten Musikstücke rechtmäßig hergestellte Privatkopien waren, konnten diese wiederum von anderen straflos zum privaten Gebrauch, da über § 53 UrhG zugelassen, vervielfältigt werden. Strafbar blieb allerdings das öffentliche Zugänglichmachen (als öffentliche Wiedergabe gem §§ 19a, 15 Abs 2 Nr 2 UrhG), indem der Benutzer die Werke auf seiner Festplatte anderen zur Verfügung stellt. Im Hinblick auf das öffentliche Zugänglichmachen ist jedoch fraglich, ob diese Tatsache dem Nutzer im Einzelfall überhaupt bekannt ist. Weiß er nicht, dass er beim Diebstahl gleichzeitig seine Daten anderen zur Verfügung stellt, fehlt es am Vorsatz.751 Durch das „Zweite Gesetz zur Regelung der Urheberrechts in der Informationsgesell312 schaft“,752 welches am 1.1.2008 in Kraft getreten ist, erfuhr die Rechtslage im Hinblick auf Downloads aus dem Internet allerdings eine entscheidende Änderung. In § 53 Abs 1 UrhG wurden nach dem Passus „offensichtlich rechtswidrig hergestellte“ die Wörter „oder öffentlich zugänglich gemachte“ eingefügt. Auf diese Weise ist die Privatkopie nunmehr auch dann illegal und strafbar, wenn ein auf rechtswidrige Weise im Internet angebotenes File als Vorlage verwendet wird.753 Da die Teilnehmer von Tauschbörsen regelmäßig nicht über ein entsprechendes Nutzungsrecht verfügen und die Files daher rechtswidrig öffentlich zugänglich machen (§ 19a UrhG), sind diese Downloads nunmehr in diesen Fällen strafbar. Fraglich ist schließlich, ob in diesen Fällen eine Verpflichtung des Internetproviders 313 zur Herausgabe von Kundendaten besteht, um den Täter einer solchen Urheberrechtsverletzung ermitteln zu können. Da ein entsprechender zivilrechtlicher Auskunftsanspruch nicht besteht,754 versuchen Rechteinhaber in jüngerer Zeit verstärkt durch eine Strafanzeige mit Hilfe der Staatsanwaltschaft an diese Kundendaten zu gelangen. Hierbei ist umstritten, ob ein Herausgabeersuchen seitens der Behörde auf § 113 TKG bzw § 14 TMG oder die §§ 100g, h StPO zu stützen ist. Nur in letzterem Fall ist eine richterliche Anordnung erforderlich. § 113 TKG bezieht sich auf die Herausgabe von „Bestandsdaten“, die §§ 100g, h StPO betreffen die Herausgabe von „Telekommunikationsverbindungsdaten“. Zu differenzieren ist zunächst zwischen der Herausgabe der IP-Adresse und den „dahinter stehenden“ Kundendaten. Bei IP-Adressen, welche grds unter den in § 100g Abs 3 StPO genannten Begriff der „Kennung“ fallen, kann zwischen statischen und
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Vgl Heghmanns MMR 2004, 14, 16; Reinbacher 216. Hierzu AG Offenburg CR 2007, 676, 677; ferner Heidrich CR 2007, 678, 679. BGBl 2007 I S 2513; vgl zu den Materialien BT-Drucks 16/1828 (Gesetzentwurf); BTDrucks 16/262 (Antrag der FDP-Fraktion);
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BT-Drucks 16/5939 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses). Vgl zu dieser Änderung Reinbacher 257 ff; Reinbacher GRUR 2008, 394. OLG Frankfurt CR 2005, 285; OLG Hamburg CR 2005, 512; Reinbacher 317 f.
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dynamischen Adressen unterschieden werden. Fraglich ist diesbezüglich, ob für die Bekanntgabe der sich hinter der IP-Adresse verbergenden Kundendaten ein richterlicher Beschluss erforderlich ist. Eine im Vordringen befindliche Auffassung nimmt dies an.755 Dabei wird zumeist aber unterteilt und nur die Auskunft über Kundendaten bei dynamischen IP-Adressen auf die §§ 100g, h StPO gestützt, während bei statischen IP-Adressen die Auskunft ohne richterlichen Beschluss nach § 113 TKG erfolgen könne.756 Die zutreffende Auffassung 757 erkennt jedoch an, dass der Gesetzgeber einerseits eine solche Unterscheidung gerade nicht treffen wollte, andererseits der abschließende Katalog des § 100g Abs 3 StPO die Kundendaten nicht erwähnt.
II. § 33 KUG (Kunst-Urhebergesetz) Nach § 33 KUG macht sich strafbar, wer entgegen den §§ 22, 23 KUG ein Bildnis 314 verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Die Tat muss vorsätzlich begangen werden, die Strafandrohung befindet sich mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe am unteren Rand. Nach § 22 KUG ist es untersagt, Bildnisse ohne Einwilligung des Abgebildeten zu verbreiten oder öffentlich zur Schau zu stellen. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete eine Entlohnung dafür erhält, dass er sich abbilden lässt. Eine Sonderregelung trifft § 22 S 3 KUG für Verstorbene: Nach deren Tod bedarf es bis zum Ablauf von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen (in erster Linie sind dies der überlebende Ehegatte, der Lebenspartner oder die Kinder des Abgebildeten, wenn solche nicht vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten). Ausnahmen von dieser strikten Regelung enthält § 23 KUG. Hiernach ist eine Einwilligung entbehrlich für (1) Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte, (2) Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen, (3) Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben 758 und (4) Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient. Dennoch gibt es auch hier eine Grenze, denn diese Privilegierung erstreckt sich nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird. Besonders umstritten und daher auch öfters Gegenstand gerichtlicher Auseinander- 315 setzungen ist die Frage, ob und wann Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte vorliegen. Hier ist als erstes darauf hinzuweisen, dass § 23 Abs 1 Nr 1 KUG nicht von „Personen der Zeitgeschichte“ schlechthin spricht, sondern von „Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte“. Die Aufnahme selbst muss also zeitgeschichtlichen Charakter
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LG Bonn DuD 2004, 628; LG Ulm MMR 2004, 187; AG Offenburg CR 2007, 676; Dietrich GRUR-RR 2006, 145, 147; Heidrich CR 2007, 678; Köbele DuD 2004, 609. Bär MMR 2002, 358, 359; Gercke StraFo 2005, 244; Hoeren wistra 2005, 1, 4; Schramm DuD 2006, 785, 786 f; ähnlich auch Abdallah/Gercke ZUM 2005, 368, die aber bezweifeln, dass dort eine Straftat „von erheblicher Bedeutung“ vorliegt; vgl auch
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Gnirck/Lichtenberg DuD 2004, 598, 601 f, die § 100g StPO jedoch als sprachlich nicht passend ansehen. LG Hamburg MMR 2005, 711, 712 f; LG Stuttgart ZUM 2005, 414, 415; Meyer-Goßner § 100g Rn 4; Reinbacher 321 f; Sankol MMR 2006, 361, 365; Wohlers/Demko StV 2003, 241, 243. Vgl hierzu aus der Rechtsprechung BGH JZ 1976, 31, 32 m Anm Schmidt.
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haben. Daher sind Aufnahmen aus dem privaten oder Intimbereich auch dann nicht zulässig, wenn es sich um eine sog „absolute Person der Zeitgeschichte“ handelt.759 Doch selbst wenn ein Ausnahmefall des § 23 Abs 1 KUG gegeben ist, kann die Ab316 wägung nach § 23 Abs 2 KUG immer noch dazu führen, dass eine Veröffentlichung untersagt wird, weil berechtigte Interessen des Abgebildeten entgegenstehen. So bewertete das BVerfG im Lehbachurteil 760 die (Resozialisierungs-)Interessen eines Inhaftierten, der kurz vor seiner Entlassung stand, höher als die Interessen einer Rundfunkanstalt, die unter Namensnennung und Verwendung von Bildnissen einen Fernsehfilm über die der Verurteilung zu Grunde liegende Straftat ausstrahlen wollte.761 Bei § 33 KUG handelt es sich um ein Privatklagedelikt nach § 374 Abs 1 Nr 8 StPO, dh 317 eine öffentliche Klage seitens der Staatsanwaltschaft wird nur dann erhoben, wenn sie das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung bejaht (§ 376 StPO). Dieses öffentliche Interesse wurde zB im Falle der Veröffentlichung von Fotoaufnahmen von der Taufe des Sohnes der berühmten Violinistin Anne Sophie Mutter seitens des OLG München 762 verneint. Sofern die verbreiteten Aufnahmen zugleich unbefugt hergestellte Bildaufnahmen iSd 318 § 201a StGB darstellen, sind beide Vorschriften nebeneinander anwendbar.763
III. Presserechtliche Sonderstraftatbestände und Ordnungswidrigkeiten 1. Geltung der allgemeinen Strafgesetze
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Grds bestimmt sich die Verantwortlichkeit für Straftaten, die mittels eines Druckwerkes begangen werden, nach den allgemeinen Strafgesetzen, insbesondere nach den Vorschriften des StGB.764 Für Presseangehörige gilt also weder eine durchgehende Privilegierung, noch eine Verschärfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Es sind allerdings spezifische Sondertatbestände zu beachten, die im Folgenden näher beschrieben werden. 759
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Vgl aber auch AG Ahrensböck DJZ 1920, 196. Hier wurde eine Strafbarkeit bei der Veröffentlichung eines Fotos abgelehnt, welches den damaligen Reichspräsidenten Ebert und den Reichswehrminister Noske in Badehose zeigte; krit hierzu Petersen 5. Teil Einleitung Rn 5; vgl weitere Fälle aus der Rechtsprechung: BVerfGE 101, 361 (Caroline von Monaco); OLG Hamburg ZUM 1991, 550; OLG Köln AfP 1982, 181 (Rudi Carrell); OLG Stuttgart AfP 1981, 362 (Rudi Carrell); KG NJW 2007, 703. BVerfGE 35, 202 – Lehbach I; hierzu Petersen § 2 Rn 29; vgl aber auch BVerfG NJWRR 2007, 1340, 1341, wo ausgeführt wird, dass eine Presseberichtserstattung über eine getilgte Vorstrafe zulässig sei, da die Meinungsfreiheit hier das Resozialisierungsinteresse überwiege; ferner LG Koblenz NW 2007, 695, 698. Vgl in diesem Zusammenhang auch OLG Frankfurt NJW 2007, 699: Auch ohne die Verwendung von Originalbildnissen kann die Verfilmung einer Straftat (hier: des
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„Kannibalen von Rotenburg“) dann, wenn der Film ohne ausreichende Verfremdung das Privatleben des Straftäters darstellt, gegen dessen Persönlichkeitsrecht verstoßen, selbst wenn es sich bei dem Täter um eine relative Person der Zeitgeschichte handelt; vgl hierzu von Becker AfP 2006, 124; Kaboth ZUM 2006, 412. OLG München NJW-RR 1996, 93; krit hierzu Petersen 5. Teil Rn 6 (da es sich auch hier um die Privatsphäre handelte und jedenfalls der getaufte Sohn keine absolute Person der Zeitgeschichte sei); vgl hierzu ferner Prinz/Peters Rn 784 mit Fn 17. Vgl Fischer § 201a Rn 30; Lackner/Kühl § 201a Rn 11 (Tatmehrheit); Löffler/Ricker Kap 54 Rn 24a. So ausdrücklich § 20 Abs 1 LPG BadenWürttemberg; Art 11 Abs 1 LPG Bayern; § 19 Abs 1 LPG Berlin; § 14 Abs 1 LPG Brandenburg; § 19 Abs 1 LPG Hamburg; § 19 Abs 1 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 Abs 1 LPG Nordrhein-Westfalen; § 12 Abs 2 LMG Saarland; § 12 Abs 1 LPG
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2. Privilegierung der Presse Auf die Privilegierung der Presse im Rahmen der Verjährung von Presseinhaltsdelik- 320 ten wurde bereits eingegangen.765 3. Sondertatbestände für verantwortliche Redakteure und Verleger Die meisten Landesgesetze enthalten über die genannte Pauschalverweisung auf die 321 allgemeinen Strafgesetze hinaus noch eine verschärfte strafrechtliche Sonderhaftung für den verantwortlichen Redakteur bei periodischen Druckwerken und für den Verleger bei sonstigen Druckwerken. Exemplarisch ist hierfür die Vorschrift des § 20 Abs 2 LPG Baden-Württemberg zu nennen: „Ist mittels eines Druckwerkes eine rechtswidrige Tat begangen worden, die einen Straftatbestand verwirklicht, so wird, soweit er nicht wegen dieser Handlung schon [nach den allgemeinen Strafgesetzen] als Täter oder Teilnehmer strafbar ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft 1. bei periodischen Druckwerken der verantwortliche Redakteur, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtung verletzt hat, Druckwerke von strafbarem Inhalt freizuhalten, 2. bei sonstigen Druckwerken der Verleger, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig seine Aufsichtspflicht verletzt hat und die rechtswidrige Tat hierauf beruht.“ 766 Teilweise findet sich darüber hinaus auch die Regelung, dass zu Lasten des verantwortlichen Redakteurs eines periodischen Druckwerks vermutet wird, dass er den Inhalt eines unter seiner Verantwortung erschienenen Textes gekannt und den Abdruck gebilligt hat.767 4. Presseordnungs-Vergehen Die meisten Landespressegesetze enthalten Sonderstraftatbestände, die die Verletzung 322 von Pflichten unter Strafe stellen, die sich an anderer Stelle des Gesetzes wiederfinden. Diese sollen im Folgenden kurz angesprochen werden. Ist ein solcher Straftatbestand in einem Landesgesetz normiert,768 so wird regelmäßig eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe als Sanktion angedroht.769
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Sachsen; § 14 Abs 1 LPG Schleswig-Holstein; keine ausdrückliche Regelung findet sich in Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Vgl hierzu oben Rn 83 ff. Eine wörtlich nahezu identische Regelung findet sich in § 19 Abs 2 LPG Berlin; § 14 Abs 2 LPG Brandenburg; § 20 LPG Bremen; § 19 Abs 2 LPG Hamburg; § 19 Abs 2 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 20 LPG Niedersachsen; § 21 Abs 2 LPG NordrheinWestfalen; § 63 LMG Saarland; § 12 Abs 2 LPG Sachsen; § 12 LPG Sachsen-Anhalt; § 14 Abs 2 LPG Schleswig-Holstein; eine jedenfalls vergleichbare Regelung findet sich in Art 20 Abs 3 LPG Bayern; keine ausdrückliche Regelung findet sich in Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Vgl § 12 LPG Hessen (mit dem Hinweis der
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Widerlegbarkeit der Vermutung) und Art 11 Abs 2 LPG Bayern. Vgl § 21 LPG Baden-Württemberg; Art 13 LPG Bayern; § 20 LPG Berlin; § 21 LPG Bremen; § 20 LPG Hamburg; § 14 LPG Hessen; § 20 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 LPG Niedersachsen; § 22 LPG Nordrhein-Westfalen; § 35 LPG RheinlandPfalz; § 63 LMG Saarland; § 13 LPG Sachsen-Anhalt; § 15 LPG Schleswig-Holstein; keine ausdrückliche Regelung findet sich in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Ausnahmen stellen Berlin (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen) und Hessen (differenzierter Strafrahmen: nach § 14 Abs 1 LPG Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe und nach § 14 Abs 2 LPG Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen) dar.
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In der überwiegenden Zahl der Landespresseordnungen findet sich eine Strafbarkeit desjenigen, der als Verleger eine Person zum verantwortlichen Redakteur bestellt, obwohl diese nicht den Anforderungen des Gesetzes entspricht,770 sowie desjenigen, der als verantwortlicher Redakteur zeichnet, obwohl er die Voraussetzungen, die das Gesetz hierfür aufstellt, nicht erfüllt.771 Strafbar macht sich ferner regelmäßig derjenige, der als verantwortlicher Redakteur oder Verleger – beim Selbstverlag als Verfasser oder Herausgeber – bei einem Druckwerk strafbaren Inhalts den Vorschriften über das Impressum zuwiderhandelt.772 Darüber hinaus findet sich teilweise eine Bestrafung desjenigen, der ein beschlagnahmtes Druckwerk verbreitet oder wieder abdruckt,773 oder wer über die Inhaber- und Beteiligtenrechte (wissentlich) falsche Angaben macht.774 5. Ordnungswidrigkeiten
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Die einzelnen Landespressegesetze enthalten darüber hinaus eine breite Palette an verschiedenen Ordnungswidrigkeiten,775 die im Folgenden nicht vollständig genannt werden können. Kennzeichnend ist nur, dass die Ordnungswidrigkeiten regelmäßig sowohl
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§ 21 Nr 1 LPG Baden-Württemberg; Art 13 Nr 1 LPG Bayern; § 20 Nr 1 LPG Berlin; § 21 Nr 1 LPG Bremen; § 20 Nr 1 LPG Hamburg; § 20 Nr 1 LPG MecklenburgVorpommern; § 21 Nr 1 LPG Niedersachsen; § 22 Nr 1 LPG Nordrhein-Westfalen; § 35 Nr 1 LPG Rheinland-Pfalz; § 63 Abs 2 Nr 1 LMG Saarland; § 13 Nr 1 LPG Sachsen-Anhalt; § 15 Nr 1 LPG SchleswigHolstein. – In Brandenburg (§ 15 Abs 1 Nr 1 LPG), Hessen (§ 15 Abs 1 Nr 2 LPG, beschränkt auf den Anzeigenteil), Sachsen (§ 13 Abs 1 Nr 1 LPG) und Thüringen (§ 13 Abs 1 Nr 1) ist hier lediglich eine Ordnungswidrigkeit vorgesehen. § 21 Nr 2 LPG Baden-Württemberg; Art 13 Nr 2 LPG Bayern; § 20 Nr 2 LPG Berlin; § 21 Nr 2 LPG Bremen; § 20 Nr 2 LPG Hamburg; § 20 Nr 2 LPG MecklenburgVorpommern; § 21 Nr 2 LPG Niedersachsen; § 22 Nr 2 LPG Nordrhein-Westfalen; § 35 Nr 2 LPG Rheinland-Pfalz; § 63 Abs 2 Nr 2 LMG Saarland; § 13 Nr 2 LPG Sachsen-Anhalt; § 15 Nr 2 LPG Schleswig-Holstein. – In Brandenburg (§ 15 Abs 1 Nr 2 LPG), Hessen (§ 15 Abs 1 Nr 5 LPG, beschränkt auf den Anzeigenteil), Sachsen (§ 13 Abs 1 Nr 2 LPG) und Thüringen (§ 13 Abs 1 Nr 2) ist hier lediglich eine Ordnungswidrigkeit vorgesehen. § 21 Nr 3 LPG Baden-Württemberg; Art 13 Nr 4 LPG Bayern (mit der Einschränkung, dass eine Kenntnis des strafbaren Inhalts der Druckschrift vorliegen muss); § 20 Nr 3
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LPG Berlin; § 21 Nr 3 LPG Bremen; § 20 Nr 3 LPG Hamburg; § 14 Abs 2 LPG Hessen; § 20 Nr 3 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 21 Nr 3 LPG Niedersachsen; § 22 Nr 3 LPG Nordrhein-Westfalen; § 35 Nr 3 LPG Rheinland-Pfalz; § 63 Abs 2 Nr 3 LMG Saarland; § 13 Nr 3 LPG SachsenAnhalt; § 15 Nr 3 LPG Schleswig-Holstein; keine ausdrückliche Regelung findet sich in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Hier liegt in diesen Fällen stets eine Ordnungswidrigkeit vor. § 21 Nr 4 LPG Baden-Württemberg; Art 13 Nr 3 LPG Bayern; § 20 Nr 4 LPG Berlin; § 21 Nr 4 LPG Bremen; § 35 Nr 4 LPG Rheinland-Pfalz; § 15 Nr 4 LPG SchleswigHolstein; keine ausdrückliche Regelung findet sich in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Art 13 Nr 5 LPG Bayern; § 14 Abs 1 LPG Hessen. § 22 LPG Baden-Württemberg; Art 12 LPG Bayern; § 21 LPG Berlin; § 15 LPG Brandenburg, § 22 LPG Bremen; § 21 LPG Hamburg; § 15 LPG Hessen; § 21 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 22 LPG Niedersachsen; § 23 LPG NordrheinWestfalen; § 36 Abs 3 LPG Rheinland-Pfalz; § 64 LMG Saarland, § 13 LPG Sachsen, § 14 LPG Sachsen-Anhalt, § 22 LPG Schleswig-Holstein und § 13 LPG Thüringen.
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vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden können.776 Exemplarisch erwähnt werden sollen jedoch die folgenden Verstöße: Ordnungswidrig handelt regelmäßig derjenige, der als verantwortlicher Redakteur oder Verleger – beim Selbstverlag als Verfasser oder Herausgeber – den Vorschriften über das Impressum zuwiderhandelt, sofern es sich dabei nicht um strafbare Inhalte handelt (in diesen Fällen ist regelmäßig die bereits oben genannte Strafnorm einschlägig 777) oder als Unternehmer Druckwerke verbreitet, in denen die vorgeschriebenen Angaben (Impressum) ganz oder teilweise fehlen.778 Ferner handelt nach den meisten Landespressegesetzen derjenige ordnungswidrig, der als Verleger oder als Verantwortlicher eine Veröffentlichung gegen Entgelt nicht als Anzeige kenntlich macht oder kenntlich machen lässt.779 Teilweise finden sich auch Ordnungswidrigkeiten, die an das Verbot der Glossierungsbeschränkung im Gegendarstellungsrecht 780 sowie an einen Verstoß gegen die Anbietungs- und Ablieferungspflicht von Bibliotheksexemplaren anknüpfen.
IV. Jugendschutzgesetz (§ 27 JuSchG) 1. Jugendschutz und Strafrecht Insbesondere um Kinder und Jugendliche vor dem schädlichen Einfluss von gewalt- 325 verherrlichenden, pornografischen oder sonst jugendgefährdenden Medien zu schützen, finden sich vielfach auch Strafnormen, die in diesem Bereich zu beachten sind. So wird der Jugendschutz ua im Rahmen des § 184 StGB deutlich, der die Verbreitung „weicher“ Pornografie nur im Hinblick auf Jugendliche verbietet und unter Strafe stellt.781 Weitere Spezialregelungen finden sich in den speziellen Jugendschutzgesetzen. Dabei 326 wurde der Jugendschutz früher schwerpunktmäßig durch das Gesetz über die Verbrei-
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Ausnahme ist Bayern, wo Art 12 LPG nur ein vorsätzliches Verhalten erfasst. Vgl hierzu oben Rn 323. § 22 Abs 1 Nr 1 LPG Baden-Württemberg; Art 12 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 LPG Bayern; § 21 Abs 1 Nr 1 LPG Berlin; § 15 Abs 1 Nr 3 LPG Brandenburg; § 22 Abs 1 Nr 1 LPG Bremen; § 21 Abs 1 Nr 1 LPG Hamburg; § 15 LPG Abs 1 Nr 2 Hessen (hier keine Strafbarkeit des Unternehmers); § 21 Abs 1 Nr 1 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 22 Abs 1 Nr 1 LPG Niedersachsen; § 23 Abs 1 Nr 1 LPG Nordrhein-Westfalen; § 36 Abs 3 Nr 1 und Nr 2 LPG RheinlandPfalz; § 64 Abs 1 Nr 1 LMG Saarland; § 13 Abs 1 Nr 3 LPG Sachsen; § 14 Abs 1 Nr 1 LPG Sachsen-Anhalt; § 22 Abs 1 Nr 1 LPG Schleswig-Holstein und § 13 Abs 1 Nr 3 LPG Thüringen. § 22 Abs 1 Nr 2 LPG Baden-Württemberg; § 21 Abs 1 Nr 3 LPG Berlin; § 15 Abs 1 Nr 4 LPG Brandenburg; § 22 Abs 1 Nr 2 LPG Bremen; § 21 Abs 1 Nr 2 LPG Ham-
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burg; § 15 Abs 1 Nr 3 LPG Hessen; § 21 Abs 1 Nr 2 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 22 Abs 1 Nr 2 LPG Niedersachsen; § 23 Abs 1 Nr 2 LPG Nordrhein-Westfalen; § 36 Abs 3 Nr 3 LPG Rheinland-Pfalz; § 64 Abs 1 Nr 2 LMG Saarland; § 13 Abs 1 Nr 5 LPG Sachsen; § 14 Abs 1 Nr 2 LPG Sachsen-Anhalt; § 22 Abs 1 Nr 2 LPG SchleswigHolstein und § 13 Abs 1 Nr 4 LPG Thüringen. Keine entsprechende Regelung findet sich in Bayern. § 22 Abs 1 Nr 3 LPG Baden-Württemberg; § 21 Abs 1 Nr 3 LPG Berlin; § 15 Abs 1 Nr 5 LPG Brandenburg; § 21 Abs 1 Nr 3 LPG Mecklenburg-Vorpommern; § 22 Abs 1 Nr 3 LPG Niedersachsen § 23 Abs 1 Nr 3 LPG Nordrhein-Westfalen; § 64 Abs 1 Nr 3 LMG Saarland; § 13 Abs 1 Nr 6 LPG Sachsen; § 14 Abs 1 Nr 3 LPG Sachsen-Anhalt; § 13 Abs 1 Nr 5 LPG Thüringen; keine entsprechende Regelung findet sich in Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz. Vgl hierzu ausf oben Rn 240 ff.
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tung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) 782 sowie durch das Gesetz zur Neuregelung des Schutzes der Jugend in der Öffentlichkeit geregelt.783 Beide Gesetze wurden durch das neue Jugendschutzgesetz (JuSchG) mit Wirkung zum 1.4.2003 außer Kraft gesetzt.784 Daneben enthält auch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder (JMStV) vom 10.9.2002 jugendschützende Vorschriften. Während die §§ 11 ff JuSchG das Recht der Trägermedien einschließlich der Kinofilme regeln, wurde der Jugendschutz in den Telemedien (vgl § 16 JuSchG) und im Rundfunk den Ländern und daher dem Regelungsbereich des JMStV überlassen. 2. Die Strafvorschrift des § 27 JuSchG
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§ 27 JuSchG sieht eine spezielle Strafvorschrift bei Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz vor. Die Strafe ist für die Vorsatzdelikte des § 27 Abs 1 und Abs 2 JuSchG relativ gering (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) und verringert sich beim Fahrlässigkeitstatbestand des § 27 Abs 3 JuSchG noch weiter auf Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu hundertachtzig Tagessätzen. Die Straftaten knüpfen dabei im Wesentlichen an Verstöße gegen die §§ 15, 28 Abs 1 Nr 4 JuSchG an. Strafbar ist dabei insbesondere die Konfrontation von Kindern und Jugendlichen mit 328 bestimmten Trägermedien, die jugendgefährdenden Charakter aufweisen. Trägermedien sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 JuSchG alle Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, die zur Weitergabe geeignet, zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt oder in einem Vorführ- oder Spielgerät eingebaut sind. Beispiele hierfür sind Audio- und Videokassetten, Disketten, CD-Roms oder DVDs. Nach § 1 Abs 2 S 2 JuSchG wird den körperlichen Trägern die unkörperliche elektronische Verbreitung gleichgestellt. Im Hinblick auf die jugendgefährdenden Trägermedien sind zwei Gruppen zu unterscheiden: Solche, die in die Liste der jugendgefährdenden Schriften nach § 24 Abs 3 S 1 JuSchG aufgenommen wurden und solche, die nach § 27 Abs 2 JuSchG auch ohne Aufnahme in die Liste als „schwer“ jugendgefährdend gelten. Die Liste der jugendgefährdenden Schriften wird von der gleichnamigen Bundesprüf329 stelle geführt. Das Verfahren ist in den §§ 17 ff JuSchG geregelt. In die Liste werden solche Träger- und Telemedien aufgenommen, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden (vgl § 18 Abs 1 JuSchG). Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien. Zu beachten ist zudem § 27 Abs 3 JuSchG, der versucht, Umgehungen dadurch zu vermeiden, dass er Trägermedien, die mit solchen, die bereits in die Liste aufgenommen und bekannt gemacht sind, ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind, in den Schutzbereich mit einbezieht, auch ohne dass es einer erneuten Aufnahme in die Liste bedarf. Bei den auch ohne Aufnahme in die Liste vom Tatbestand des § 27 JuschG iVm § 15 330 JuSchG erfassten Trägermedien handelt es sich nach § 27 Abs 2 JuSchG um solche, die
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Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.7.1985, BGBl I S 1502, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2001, BGBl I S 3762; das Gesetz wurde aufgehoben durch § 30 Abs 1 des Gesetzes vom 23.7.2002, BGBl I S 2730 und trat durch die Bekannt-
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machung vom 1.4.2003 an diesem Tage außer Kraft; vgl BGBl I S 476. Gesetz vom 25.2.1985, BGBl I S 425, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2001, BGBl I S 3762. Gesetz vom 23.7.2002, BGBl I S 2730, BGBl 2003 I S 476, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.7.2007, BGBl I S 1595.
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einen der in den §§ 86, 130, 130a, 131 und 184b StGB bezeichneten Inhalte haben (Nr 1), den Krieg verherrlichen (Nr 2), Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung vorliegt (Nr 3), Kinder oder Jugendliche in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen (Nr 4) oder offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden (Nr 5). Nach § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG ist im Hinblick auf diese Trägermedien ein Verstoß 331 gegen § 15 Abs 1 Nr 1 bis Nr 6 JuSchG strafbar. Die hier aufgenommenen Regelungen erinnern an die Verbote des § 184 Abs 1 StGB und sind – was pornografische Schriften angeht – mit § 184 StGB auch im Wesentlichen inhaltsgleich. Sie unterscheiden sich allerdings dadurch, dass § 184 StGB nur vorsätzliche Verstöße unter Strafe stellt, während § 27 JuSchG über Abs 3 auch die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsbestrafung in bestimmten Fällen vorsieht. Nach § 27 Abs 1 Nr 1 JuSchG ist es im Einzelnen verboten, das entsprechende Trägermedium einem Kind oder einer jugendlichen Person anzubieten, zu überlassen oder sonst zugänglich zu machen (§ 15 Abs 1 Nr 1 JuSchG),785 das Trägermedium an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, auszustellen, anzuschlagen, vorzuführen oder sonst zugänglich zu machen (§ 15 Abs 1 Nr 2 JuSchG),786 das Trägermedium im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die Kunden nicht zu betreten pflegen, im Versandhandel (vgl hierzu die Legaldefinition in § 1 Abs 4 JuSchG) oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einer anderen Person anzubieten oder zu überlassen (§ 15 Abs 1 Nr 3 JuSchG),787 das Trägermedium im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einer anderen Person anzubieten oder zu überlassen (§ 15 Abs 1 Nr 4 JuSchG),788 das Trägermedium im Wege des Versandhandels einzuführen (§ 15 Abs 1 Nr 5 JuSchG) 789 oder das Trägermedium öffentlich an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Träger- oder Telemedien außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen (§ 15 Abs 1 Nr 6 StGB).790 Nach § 27 Abs 1 Nr 2 JuSchG wird bestraft, wer ein Trägermedium der vorgenannten 332 Art herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einführt, um es oder daraus gewonnene Stücke iSd § 15 Abs 1 Nr 1 bis Nr 6 JuSchG zu verwenden oder anderen Personen eine solche Verwendung zu ermöglichen (vgl § 15 Abs 1 Nr 7 JuSchG).791 785
786
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Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 1 StGB; hierzu oben Rn 240; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 158 ff, 167, 171. Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 2 StGB; hierzu oben Rn 241; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 158 ff, 164, 165, 166. Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 3 StGB; hierzu oben Rn 242; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 167, 171. Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 3a StGB; hierzu oben Rn 243; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 167, 171.
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Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 4 StGB; hierzu oben Rn 244; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 174. Vgl aus der Rechtsprechung OLG Hamburg NStZ 2007, 487; vgl auch § 184 Abs 1 Nr 5 StGB; hierzu oben Rn 245; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 171, 172, 173. Vgl auch § 184 Abs 1 Nr 8 StGB; hierzu oben Rn 248; zu den Tathandlungen vgl auch oben Rn 168, 169, 170, 174, 180.
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
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7. Teil
Eine spezielle Strafnorm gegen die werbende Verbreitung der Liste jugendgefährdender Schriften enthält § 27 Abs 1 Nr 3 JuSchG. Hiernach wird bestraft, wer entgegen § 15 Abs 4 JuSchG die Liste der jugendgefährdenden Medien zum Zweck der gewerblichen Werbung abdruckt oder veröffentlicht. Nach § 27 Abs 1 Nr 4 JuSchG wird ferner bestraft, wer entgegen § 15 Abs 5 JuSchG im Rahmen einer geschäftlichen Werbung darauf hinweist, dass ein Verfahren zur Aufnahme des Trägermediums oder eines inhaltsgleichen Telemediums in die Liste der jugendgefährdenden Schriften anhängig ist oder gewesen ist. Nach § 27 Abs 1 Nr 5 JuSchG wird bestraft, wer einer vollziehbaren Entscheidung nach § 21 Abs 8 S 1 Nr 1 JuSchG zuwiderhandelt. § 27 Abs 2 JuSchG enthält eine Strafvorschrift, die Verstöße gegen Ordnungswidrigkeiten nach § 28 Abs 1 Nr 4–19 JuSchG, die von Veranstaltern oder Gewerbetreibenden begangen werden, zu einer Straftat hochstuft, wenn diese vorsätzlich begangen wurden und dabei entweder wenigstens leichtfertig ein Kind oder eine jugendliche Person in der körperlichen, geistigen oder sittlichen Entwicklung schwer gefährdet wurde (Nr 1) oder wenn der Veranstalter oder Gewerbetreibende bei der Begehung der Tat aus Gewinnsucht handelte oder den Verstoß beharrlich wiederholt. Da die Ordnungswidrigkeiten des § 28 Abs 1 Nr 14 bis Nr 19 JuSchG medienrechtliche Relevanz aufweisen, kommt auch dieser Strafvorschrift hier eine gewisse Bedeutung zu.792 Einen speziellen Fahrlässigkeitstatbestand enthält § 27 Abs 3 JuSchG im Hinblick auf die Taten nach § 27 Abs 1 Nr 1, Nr 3, Nr 4 und Nr 5 JuSchG (die Taten nach § 27 Abs 1 Nr 4 und § 27 Abs 2 JuSchG können hingegen nicht fahrlässig begangen werden. Wie schon § 184 Abs 2 StGB, so enthält auch § 27 Abs 4 JuSchG eine „Erzieherklausel“. Eine Strafbarkeit entfällt daher, wenn eine personensorgeberechtigte Person das Medium einem Kind oder einer jugendlichen Person anbietet, überlässt oder zugänglich macht. Dies gilt jedoch nicht, wenn die personensorgeberechtigte Person durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen ihre Erziehungspflicht gröblich verletzt. Zudem ist die Privilegierung auf die Tatbestände des § 27 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 sowie § 27 Abs 3 Nr 1 JuSchG beschränkt, erfasst also nicht alle Straftaten. 3. Der Bußgeldtatbestand des § 28 JuSchG
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In § 28 JuSchG sind ferner einige Ordnungswidrigkeiten aufgelistet, die hier nur kursorisch vorgestellt werden sollen. Ordnungswidrig handelt danach zB, wer einem Kind oder einer jugendlichen Person 340 die Anwesenheit bei einer öffentlichen Filmveranstaltung, einem Werbevorspann oder einem Beiprogramm gestattet und die hierbei getroffenen Beschränkungen nicht beachtet (Freigabe des Films, Begleitung von Erziehungsberechtigten, Uhrzeitbeschränkung; vgl § 28 Abs 1 Nr 14 iVm § 11 Abs 1, Abs 3, Abs 4 S 2 JuSchG), wer gegen das Verbot verstößt, Werbefilme oder Werbeprogramme, die für Tabakwaren oder alkoholische Getränke werben, nur nach 18 Uhr vorzuführen (§ 28 Abs 1 Nr 14a iVm § 11 Abs 5 JuSchG), wer einem Kind oder einer jugendlichen Person einen Bildträger in der Öffentlichkeit zugänglich macht, der für diese Altersgruppe nicht freigegeben ist (§ 28 Abs 1 Nr 15 iVm § 12 Abs 1 JuSchG), wer einen Bildträger, der nicht oder mit „Keine Jugendfreigabe“ gekennzeichnet ist, im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kios792
Zum Inhalt dieser Ordnungswidrigkeiten vgl unten Rn 340.
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Die wichtigsten medienstrafrechtlich relevanten Tatbestände des Nebenstrafrechts
ken oder anderen Verkaufsstellen, die Kunden nicht zu betreten pflegen, oder im Versandhandel anbietet oder anderen überlässt (§ 28 Abs 1 Nr 16 iVm § 12 Abs 3 Nr 2 JuSchG), wer einen Bildträger oder ein Bildschirmspielgerät auf Kindern oder Jugendlichen zugänglichen öffentlichen Verkehrsflächen, außerhalb von gewerblich oder in sonstiger Weise beruflich oder geschäftlich genutzten Räumen oder in deren unbeaufsichtigten Zugängen, Vorräumen oder Fluren unter Verstoß gegen die Altersfreigabe aufstellt (§ 28 Abs 1 Nr 17 iVm § 12 Abs 4, 13 Abs 2 JuSchG), wer einen Bildträger vertreibt, der Auszüge von Film- und Spielfilmprogrammen nicht aber den erforderlichen Prüfhinweis enthält (§ 28 Abs 1 Nr 18 iVm § 12 Abs 5 S 1 JuSchG), wer einem Kind oder einer jugendlichen Person das Spielen an einem nicht freigegebenen und entsprechend gekennzeichneten Bildschirmspielgerät gestattet (§ 28 Abs 1 Nr 19 iVm § 13 Abs 1 JuSchG), wer erlaubtermaßen ein jugendgefährdendes Trägermedium vertreibt, aber die erforderlichen Vertriebsbeschränkungen nicht anbringt (§ 28 Abs 1 Nr 20 iVm § 15 Abs 6 JuSchG). Ferner wird über § 28 Abs 2 und Abs 3 JuSchG der Verstoß gegen diverse Hinweis- oder Kennzeichnungspflichten oder Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen als Ordnungswidrigkeit geahndet.
V. § 44 StUG (Stasi-Unterlagen-Gesetz) Das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut- 341 schen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz; StUG) vom 20.12.1991 793 dient nach § 1 StUG dem Ziel, dem Betroffenen Zugang zu den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen zu ermöglichen, damit er die Einflussnahme des Staatssicherheitsdienstes auf sein persönliches Schicksal aufklären kann (§ 1 Abs 1 Nr 1 StUG). Ferner soll der Betroffene davor geschützt werden, dass er durch den Umgang mit den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird (§ 1 Abs 1 Nr 2 StUG). Schließlich soll das Gesetz aber auch dazu dienen, die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern (§ 1 Abs 1 Nr 3 StUG). In § 44 StUG findet sich eine insbesondere für die Presse relevante Strafvorschrift: 342 „Wer von diesem Gesetz geschützte Originalunterlagen oder Duplikate von Originalunterlagen mit personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht, wenn der Betroffene oder Dritte eingewilligt hat.“ Entscheidend ist dabei, dass der Täter die authentischen Unterlagen veröffentlicht. 343 Nimmt er hingegen Änderungen vor, fasst er den Inhalt in seinen eignen Worten zusammen oder berichtet er lediglich über den Inhalt der Unterlagen, ist die Strafvorschrift nicht erfüllt.794 Erforderlich ist ferner, dass die Unterlagen „ganz oder in wesentlichen Teilen“ mitgeteilt werden, sodass unwesentliche Teilveröffentlichungen ausscheiden. Ent-
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BGBl I S 2272; vgl hierzu Kloepfer; Löffler/ Ricker Kap 54 Rn 42 ff; Simitis NJW 1995, 639; Stoltenberg; ferner die interessanten Fälle aus der Rechtsprechung zum „Fall Kohl“ BVerwG NJW 2002, 1815; BVerwG NJW 2004, 2462; hierzu Arndt NJW 2004,
794
3157; Kirste JuS 2003, 336; Kleine-Cosack NJ 2002, 350. Eberle DtZ 1992, 263, 264; Gounalakis/ Vollmann AfP 1992, 36, 38; Kloepfer 84; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 46; Stoltenberg DtZ 1992, 65, 72.
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scheidend ist bei der Beurteilung – dem Zweck des Gesetzes entsprechend – aber nicht allein der quantitative Umfang, sondern der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.795 Im Gegensatz zu den §§ 22 ff KUG differenziert die Vorschrift nicht in zwischen dem normalen Bürger und den (relativen oder absoluten) Personen der Zeitgeschichte und verbietet eine Veröffentlichung pauschal, was ihr vielfach den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit einbrachte, da sie das Persönlichkeitsrecht zu einseitig gegenüber der Pressefreiheit bevorzuge.796 Hinzuweisen ist ferner auf die ebenfalls für die Presse relevanten Ordnungswidrig344 keiten nach § 45 StUG: Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 7 Abs 3 StUG der Behörde einen Besitz von Stasi-Unterlagen nicht anzeigt, entgegen § 9 Abs 1 S 1 und Abs 2 StUG Unterlagen oder Kopien und sonstige Duplikate von Unterlagen nicht oder nicht rechtzeitig auf Verlangen herausgibt oder entgegen § 9 Abs 3 StUG Unterlagen der Behörde nicht übermittelt. Voraussetzung ist aber jeweils, dass die Unterlagen nicht im Eigentum des Betreffenden stehen.797
§5 Besonderheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts I. Allgemeines zum Ordnungswidrigkeitenrecht 345
Ordnungswidrigkeiten stellen keine Straftaten dar, die mit einer Strafe zu ahnden sind, sondern stehen auf der Stufe des Verwaltungsunrechts, welches durch die zuständige Verwaltungsbehörde mit einem Bußgeld sanktioniert werden kann. Die Geld„buße“ ist von der Geld„strafe“ dabei allerdings nicht nur begrifflich, sondern auch qualitativ zu unterscheiden. Da es sich aber ebenfalls um staatliche Sanktionen handelt, die teilweise recht hohe Geldzahlungspflichten zur Folge haben und die auch – im Gegensatz zu strafrechtlichen Maßnahmen – gegen juristische Personen verhängt werden können, sollen einige Ordnungswidrigkeiten mit medienrechtlichem Bezug an dieser Stelle genannt werden.
II. Einzelne Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts 346
Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht, auf welches an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden soll, finden sich an einigen Stellen Bußgeldtatbestände, die das Verbreiten von Schriften mit bestimmten Inhalten sanktionieren. 1. Öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten, § 116 OWiG
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§ 116 OWiG ergänzt § 111 StGB, welcher sich nur auf die öffentliche Aufforderung zur Begehung von Straftaten beschränkt.798 Ordnungswidrig handelt hiernach, wer
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Kloepfer 83 f; Löffler/Ricker Kap 54 Rn 46; Stoltenberg § 44 Rn 8. Vgl Gounalakis/Vollmann DtZ 1992, 77, 78; dies AfP 1992, 36, 40; Kloepfer 82 f; aA Löffler/Ricker Kap 55 Rn 47; Stoltenberg § 44 Rn 13.
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Vgl hierzu näher Gounalakis/Vollmann AfP 1992, 36, 38 f. Zu § 111 StGB vgl oben Rn 259 ff.
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Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen oder Darstellungen799 zu einer mit einer Geldbuße bedrohten Handlung auffordert. 2. Grob anstößige und belästigende Handlungen, § 119 OWiG Nach § 119 Abs 1 Nr 2 OWiG handelt derjenige ordnungswidrig, der in grob an- 348 stößiger Weise durch das Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen oder durch das öffentliche Zugänglichmachen von Datenspeichern 800 Gelegenheit zu sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt oder anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt bzw (vgl § 119 Abs 2 OWiG) in gleicher Weise Mittel oder Gegenstände, die dem sexuellen Gebrauch dienen, anbietet, ankündigt oder anpreist. Ebenso handelt nach § 119 Abs 3 OWiG ordnungswidrig, wer öffentlich Schriften, Tonoder Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen oder Darstellungen sexuellen Inhalts an Orten ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, an denen dies grob anstößig wirkt. 3. Werbung für Prostitution, § 120 OWiG Nach § 120 Abs 1 Nr 2 OWiG handelt derjenige ordnungswidrig, der durch Ver- 349 breiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen oder Darstellungen 801 Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt. Dabei stehen dem Verbreiten das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder das sonstige öffentliche Zugänglichmachen gleich. 4. Landesrechtliche Pressegesetze Auf die Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit den landesrechtlichen Presse- 350 gesetzen wurde im Zusammenhang mit den besonderen Pressedelikten bereits eingegangen.802
§6 Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten Medien spielen im Strafprozess eine besondere Rolle, angefangen mit der Frage, ob 351 und inwieweit eine Medienberichterstattung von laufenden Strafverfahren zulässig sein soll und ob Medienvertretern der Zugang zum Gerichtssaal uneingeschränkt zu gewährleisten ist bis hin zur Frage, ob Medien im Strafverfahren eingesetzt werden dürfen (man denke nur an Videoaufzeichnungen oder Videoübertragungen von Vernehmungen, die außerhalb des Gerichtssaales stattfinden). Schließlich ist auch zu fragen, ob und 799
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Insoweit verweist § 116 OWiG nicht auf den Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB, sondern enthält eine eigenständige – allerdings inhaltsgleiche – Definition. Auch § 119 OWiG verweist nicht auf den Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB, son-
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802
dern enthält eine eigenständige – allerdings inhaltsgleiche – Definition. Auch § 120 OWiG verweist nicht auf den Schriftenbegriff des § 11 Abs 3 StGB, sondern enthält eine eigenständige – allerdings inhaltsgleiche – Definition. Vgl hierzu oben Rn 324.
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inwieweit die Presse ein Recht auf Information im Laufe des Ermittlungsverfahrens besitzt. Schließlich ist die Frage zu stellen, ob und inwieweit Medienmitarbeiter hinsichtlich der durch sie erlangten Informationen (sei es durch eigene Recherche, sei es durch eine gezielte Mitteilung) ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen bzw ob und in welchem Umfang man Redaktionsräume durchsuchen und Materialien beschlagnahmen darf. Im Vergleich zum materiellen Strafrecht, bei dem die Tatsache, dass der Täter Medien zur Straftatbegehung einsetzt, vielfach eine Strafe erst begründet oder verschärft, enthält das Strafprozessrecht überwiegend privilegierende Vorschriften für Pressevertreter.803
I. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter (§ 53 Abs 1 Nr 5 StPO) 1. Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts Unter dem Begriff des Zeugnisverweigerungsrechts versteht man das Recht eines Zeugen, in einem strafgerichtlichen Verfahren aus privaten oder beruflichen Gründen die Aussage zu verweigern. Regelungen finden sich in den §§ 52 ff StPO. Dabei dient das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 52 StPO) dazu, Personen, die sich auf Grund ihres engen persönlichen Kontaktes in einer potenziellen Konfliktlage befinden, die Möglichkeit zu geben, nicht gegen nahestehende Personen aussagen zu müssen. Dagegen dient das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger in § 53 StPO – worunter nach § 53 Abs 1 Nr 5 StPO auch Medienmitarbeiter fallen – dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen bestimmten Berufsgruppen einerseits und denjenigen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen andererseits.804 Im Gegensatz zu den sonstigen in § 53 StPO genannten Berufsgruppen, soll das Zeug353 nisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter jedoch weniger diese selbst 805 oder die Person des Informanten schützen, sondern es dient in erster Linie öffentlichen Interessen.806 Geschützt werden soll das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informanten, damit die Presse ihre verfassungsrechtlich geschützte Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren, erfüllen kann.807 Insoweit ist das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter als Ausprägung des durch Art 5 Abs 1 S 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Redaktionsgeheimnisses anzusehen.808 Hieraus ergibt sich auch, dass Medienmitarbeiter das Zeugnisverweigerungsrecht selbst dann noch besitzen, wenn der Informant kein Interesse an einer Zeugnisverweigerung hat oder eine Aussage sogar ausdrücklich wünscht. Im Gegensatz zu anderen Berufsgeheimnisträgern kann der Medienmitarbeiter also nicht von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden werden (§ 53 Abs 2 S 1 StPO). Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass sich an das Zeugnisverweigerungsrecht 354 einige weitere Privilegierungen anschließen wie zB das Beschlagnahmeverbot nach §§ 97 Abs 5, 111m StPO.809
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805 806
Vgl hierzu auch Fechner Rn 578. OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2616 zum ärztlichen Schweigerecht; MeyerGoßner § 53 Rn 1. BVerfGE 36, 193, 204. KK/Senge § 53 Rn 27.
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BVerfGE 36, 193, 204; BVerfG NStZ 1982, 253; BGHSt 28, 240, 254; Kunert MDR 1975, 885, 887. Groß Rn 690; Meyer-Goßner § 53 Rn 26. Vgl hierzu unten Rn 377 f.
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Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten
2. Der geschützte Personenkreis Nach § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO, der nunmehr eine abschließende Regelung für Medienmitarbeiter enthält,810 sind zeugnisverweigerungsberechtigt solche „Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben“. Erfasst sind demnach nur berufsmäßige Mitarbeiter bei den genannten Medienunternehmen. Dass die entsprechende Person hauptberuflich tätig ist, ist nicht erforderlich. In den Schutzbereich fallen sowohl nebenberuflich Tätige als auch freie Mitarbeiter, nicht jedoch der „Gelegenheitsjournalist.811 Entscheidend ist, dass die betreffende Person nicht nur einmalig, sondern in der Absicht mitarbeitet, hierdurch eine dauernde oder jedenfalls wiederkehrende Tätigkeit auszuüben.812 Der Bereich der geschützten Medien ist inzwischen über die klassische Presse („Druckwerke“) und den Rundfunk (worunter schon seit jeher auch das Fernsehen fiel) ausgedehnt worden auf Filmberichte und bestimmte Kommunikationsdienste. Schließlich erfasst das Zeugnisverweigerungsrecht nicht nur Personen, die bei der Verbreitung mitwirken, sondern auch diejenigen, die bei der Vorbereitung und Herstellung der Medienprodukte beteiligt sind. Im Gegensatz zu den sonstigen Zeugnisverweigerungsberechtigten des § 53 Abs 1 StPO erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht allerdings nicht auf Hilfspersonen (§ 53a StPO).
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3. Inhalt und Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts Der Inhalt des Zeugnisverweigerungsrechtes der Medienmitarbeiter ergibt sich einer- 360 seits aus dem Text des § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO, wird aber darüber hinaus in § 53 Abs 1 S 2 und S 3 StPO speziell geregelt. a) Der Inhalt des Zeugnisverweigerungsrechts. In § 53 Abs 1 S 2 StPO wird der 361 Inhalt des Zeugnisverweigerungsrechts besonders umrissen. Erfasst sind erstens Informationen über die Person des Informanten. Der Medienmitarbeiter muss also keine Auskünfte über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten machen. Dabei bezieht sich das Zeugnisverweigerungsrecht auf die den Medienmitarbeitern von 362 den aufgeführten Personen gemachten Mitteilungen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. b) Die Beschränkung auf den redaktionellen Teil. Nach § 53 Abs 1 S 3 StPO findet 363 das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter allerdings eine entscheidende Einschränkung: Es gilt nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Mate-
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811
So BGHSt 28, 240, 254 m abl Besprechung von Rengier JZ 1979, 797; ferner Rebmann AfP 1982, 189, 191; aA Löffler NJW 1978, 913, 915, der sich für ein weitergehendes Zeugnisverweigerungsrecht aus Art 5 Abs 1 GG ausspricht. KK/Senge § 53 Rn 31; Kunert MDR 1975, 885, 886.
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BT-Drucks 7/2539, 10; grds zu der Frage, wann ein nebenberufliches Mitwirken (hier: von Heilpraktikern) als berufsmäßige Tätigkeit angesehen werden kann BGHSt 7, 129, 130.
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rialien für den redaktionellen Teil oder aber um redaktionell aufbereitete Informationsund Kommunikationsdienste handelt.
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c) Die Beschränkung des § 53 Abs 2 S 2 StPO. Eine weitere erhebliche Einschränkung erfährt das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter zudem über § 53 Abs 2 S 2 StPO im Hinblick auf selbst recherchiertes Material. Dieses ist zwar nach § 53 Abs 1 S 2 StPO vom Schutzbereich des Zeugnisverweigerungsrechts grds erfasst, gilt aber im Hinblick auf „selbst erarbeitete Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen“ dann nicht, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens (Delikt mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr; vgl § 12 Abs 1 StGB) oder eines der in § 53 Abs 2 S 2 Nr 1 bis Nr 3 StPO ausdrücklich aufgelisteten Vergehens (Staatsschutzdelikte, Sexualdelikte, Geldwäsche) beitragen soll. Allerdings ist auch hier eine besonders strenge Prüfung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten notwendig: Ohne die Aussage muss die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Ferner bleibt das Zeugnisverweigerungsrecht bestehen, wenn die Aussage zur Offenbarung der Person des Informanten oder entsprechender Informationen führen würde.
II. Die strafprozessuale Durchsuchung, §§ 102 ff StPO 365
Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens besteht die Möglichkeit, sowohl zum Zwecke der Ergreifung des Täters als auch zur Auffindung von Beweismitteln (die anschließend beschlagnahmt werden können 813 Durchsuchungsmaßnahmen durchzuführen (§ 102 StPO). Diese können sich sowohl auf die Person des Verdächtigen als auch auf seine Wohnung oder andere Räumlichkeiten beziehen. Als Verdächtiger kommt sowohl der Beteiligte an einer Straftat (Täter oder Teilnehmer) als auch derjenige in Betracht, dem eine Anschlusstat (Begünstigung, Strafvereitelung, Hehlerei) vorgeworfen wird. In diesen Fällen reicht die bloße Vermutung aus, dass bei einer Durchsuchung die entsprechenden Gegenstände aufgefunden werden. Schließlich können Durchsuchungen – allerdings unter wesentlich strengeren Voraus366 setzungen – nach § 103 StPO auch bei nichtverdächtigen Personen durchgeführt werden. Diese sind aber nur zulässig (1) zur Ergreifung des Beschuldigten, (2) zur Verfolgung von Straftatspuren und (3) zur Beschlagnahme konkreter Gegenstände. Ferner ist es jeweils erforderlich, dass konkrete Tatsachen darauf hindeuten, dass sich die gesuchte Person, Spur oder Sache in der räumlichen Sphäre des Dritten befindet. Nach diesen Grundsätzen ist zu prüfen, inwieweit eine Durchsuchung von Mitarbeitern 367 eines Medienunternehmens sowie von Redaktionsräumen zulässig ist. Hierbei sind grds zwei Zielrichtungen der Durchsuchung zu unterscheiden: Entweder soll nach Redaktionsmaterial gesucht werden, welches als Beweismaterial in einem Strafverfahren gegen Dritte dienen kann (wobei auch eine strafbare Beteilung oder Anschlusstat eines Redaktionsmitglieds möglich ist) oder aber es sollen Schriften strafbaren Inhalts gefunden (und anschließend beschlagnahmt oder sichergestellt werden).814 813 814
Vgl zur Beschlagnahme näher unten Rn 371 ff. Vgl in diesem Zusammenhang den Hinweis von Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 2007, 249 auf Erhebungen des Deutschen Journalisten-Verbandes, wonach zwischen
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1987 und 2000 in ca 150 Fällen eine gerichtliche Genehmigung zur Durchsuchung von Redaktionsräumen und zur Beschlagnahme journalistischer Materialien erteilt wurde.
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Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten
1. Durchsuchung zur Auffindung von Beweismaterial Eine Durchsuchung zur Auffindung von Beweismaterial wird regelmäßig auf der 368 Grundlage von § 103 StPO erfolgen (Durchsuchung beim Unverdächtigen). Sie ist nur zulässig, sofern auch die Beschlagnahme der gesuchten Gegenstände zulässig wäre. Ist noch nicht geklärt, ob die möglicherweise aufgefundenen Gegenstände einem Beschlagnahmeverbot unterfallen, darf die Durchsuchung stattfinden. Steht aber von vornherein fest, dass die möglicherweise aufgefundenen Sachen einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, ist auch eine Durchsuchung unzulässig.815 Die Beschlagnahmeverbote sind in § 97 StPO geregelt 816 und orientieren sich im Wesentlichen daran, ob die betreffende Person ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzt.817 Insoweit besteht also ein weitgehendes Beschlagnahmeverbot (und somit auch Durchsuchungsverbot) von Redaktionsmaterial, welches dem Informanten- und Redaktionsgeheimnisschutz unterfällt. Dieses bezieht sich sowohl auf die Person des Informanten als auch auf den Inhalt der Mitteilung gegenüber den Medienmitarbeitern.818 Prozessual ist zu beachten, dass die Anordnung der Durchsuchung von Räumen einer 369 Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt analog § 98 Abs 1 S 2 StPO nur durch den Richter angeordnet werden darf. Bei der Anordnung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten und sowohl der jeweilige Tatvorwurf als auch das gesuchte Beweismaterial hinreichend zu bezeichnen.819 Unverhältnismäßig wäre eine Durchsuchung dann, wenn sie einen erheblichen Eingriff in den laufenden Betrieb eines Medienunternehmens darstellen würde, um einen nur wenig wahrscheinlichen Sachverhalt aufzuklären.820 Zudem ist auch hier dem Grundrecht der Pressefreiheit besondere Beachtung zu schenken. Die Pressefreiheit umfasst auch und gerade den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten.821 Insoweit stellt jede Durchsuchung von Presseräumen wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit der einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar.822 2. Durchsuchung zur Auffindung von Schriften mit strafbarem Inhalt Soll im Rahmen der Durchsuchung hingegen nach Schriften strafbaren Inhalts ge- 370 sucht werden, dann richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahme nach den Regeln, unter denen auch eine spätere Auflagenbeschlagnahme (§§ 111m, 111n StPO) zulässig wäre.
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BVerfGE 20, 162, 188 – Spiegel; LG Köln NJW 1981, 1746, 1747; vgl allgemein zur Unzulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen gegen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen § 160a StPO. Vgl hierzu noch ausf unten Rn 373. Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter vgl oben Rn 352 ff. Vgl zur alten Fassung auch BVerfGE 20, 162, 188 – Spiegel.
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BVerfGE 42, 212, 221; vgl auch BVerfGE 20, 162, 224 – Spiegel; LG Lüneburg JZ 1984, 343; Paschke Rn 1072. BVerfGE 20, 162, 204 – Spiegel. BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero. BVerfG NJW 2005, 965; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero.
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Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
III. Die strafprozessuale Beschlagnahme 371
Bei der Beschlagnahme von Gegenständen in Medienunternehmen sind zwei grundsätzliche Formen auseinander zu halten: die „allgemeine“ Beschlagnahme von Gegenständen, die für die strafrechtliche Ermittlung von Bedeutung sein können (§§ 94 ff StPO) sowie die sog „Aufnahmenbeschlagnahme“ (§§ 111m, 111n StPO), die sich auf Schriften strafbaren Inhalts bezieht, die nach § 74d StGB der Einziehung unterliegen. 1. Die strafprozessuale Beschlagnahme, §§ 94 ff StPO
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Gegenstände, die in einem Strafverfahren von Bedeutung sein können, sind nach § 94 Abs 1 StPO sicherzustellen. Werden die Gegenstände von der betreffenden Person nicht freiwillig herausgegeben, bedarf es der Beschlagnahme, § 94 Abs 2 StPO. Wenn das Gesetz von „Gegenständen“ spricht, meint es dabei nur körperliche Gegenstände, nicht aber gespeicherte Daten, sodass sich in diesen Fällen die Beschlagnahme auf das Trägermedium beziehen muss. Eine Beschlagnahme nach § 94 Abs 2 StPO ist jedoch nur zulässig, wenn ihr kein 373 Beschlagnahmeverbot entgegensteht. Beschlagnahmeverbote sind in § 97 StPO im Einzelnen geregelt. Im Bereich des Medienrechts relevant ist dabei vor allem das Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs 5 StPO: Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken, Ton-, Bild- und Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen, die sich im Gewahrsam der betreffenden Person oder in der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden, unzulässig. § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO normiert dabei das Zeugnisverweigerungsrecht von Medienmitarbeitern.823 Insoweit soll die Regelung des § 97 Abs 5 StPO dazu dienen, dass Zeugnisverweigerungsrecht der Medienmitarbeiter zu sichern, da sich sonst die Strafverfolgungsbehörden durch die Beschlagnahme von Redaktionsmaterial die entsprechenden Informationen verschaffen und das Zeugnisverweigerungsrecht dadurch umgehen könnten.824 Eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot besteht allerdings dann, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte in dem Verdacht steht, an der Tat beteiligt gewesen zu sein oder sich im Hinblick auf diese Tat wegen einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei strafbar gemacht zu haben (§ 97 Abs 5 S 2 iVm Abs 2 S 3 StPO),825 wobei das Gesetz hier eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung fordert: Die Beschlagnahme darf auch in diesem Fall nur erfolgen, wenn sie unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Art 5 Abs 1 S 2 GG nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Werden im Rahmen einer insoweit zulässigen Durchsuchung Gegenstände gefunden, die lediglich im Hinblick auf andere Straftaten als Beweismittel dienen können (Zufallsfunde), ist § 108 Abs 3 StPO zu beachten: Handelt es sich um zeugnisverweigerungsberechtigte Medienmitarbeiter, besteht ein Beweisverwertungsverbot: Die Zufallsfunde dürfen nur dann verwertet werden, wenn es sich um eine Straftat handelt, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, wobei Straf-
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Vgl hierzu ausf oben Rn 352 ff. BVerfGE 20, 162, 188 – Spiegel; Paschke Rn 1075. Vgl hierzu auch den Gesetzentwurf der FDP-Franktion vom 16.3.2006, BT-Drucks
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16/956, der eine Beschränkung de lege ferenda auf einen „dringenden“ Tatverdacht vorsieht; hierzu auch Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 2007, 249, 251 f.
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Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten
taten nach § 353b StGB von vorn herein ausscheiden. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 5 StPO dann nicht gilt, wenn der Medienmitarbeiter selbst Beschuldigter oder Mitbeschuldigter der Straftat ist (also nicht nur ein Beteiligungsverdacht iSd § 97 Abs 5 S 2 StPO besteht), da er in diesem Fall auch kein Zeugnisverweigerungsrecht hätte.826 In diesen Fällen ist jedoch zu beachten, dass eine Durchsuchung und Beschlagnahme dennoch unzulässig ist, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln, von dem der beschuldigte Medienmitarbeiter seine Informationen bezogen hat.827 Wird also zB durch einen Journalisten eine Mitteilung veröffentlicht, die ein Dienstgeheimnis iSd § 353b StGB darstellt, kann eine Durchsuchung von Redaktionsräumen und eine Beschlagnahme von recherchiertem Material zur Ermittlung des Amtsträgers, der dem Journalisten das Material überlassen hat (und dadurch einen Geheimnisverrat begangen hat) nicht dadurch erreicht werden, dass man den Journalisten kurzerhand zum Beschuldigten einer Beihilfe zu § 353b StGB erklärt und dadurch das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 5 StPO umgeht.828 Da das Beschlagnahmeverbot an das Zeugnisverweigerungsrecht anknüpft, stellt sich 374 auch hier das Problem des selbst recherchierten Materials. Soweit dieses nicht von § 53 Abs 1 S 1 Nr 5 StPO erfasst wird, scheidet auch ein Beschlagnahmeverbot aus.829 Ein solches besteht auch nicht, wenn sich das an sich der Beschlagnahme nicht unterliegende Material, zB nach einer Weitergabe an Dritte, nicht mehr in den geschützten (Redaktions-)Räumen befindet. Strafprozessual ist zu beachten, dass die Anordnung der Beschlagnahme in Räumen 375 einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt nach § 98 Abs 1 S 2 StPO nur durch den Richter angeordnet werden darf. Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungsbeamten bei Gefahr im Verzug nach § 98 Abs 1 S 1 StPO gilt hier also nicht. Auch bei der Anordnung der Beschlagnahme ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten. Von § 98 Abs 1 S 2 StPO nicht erfasst sind allerdings die Arbeitsräume freier Journalisten, sodass hier eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungsbeamten besteht.830 Wird gegen ein Beschlagnahmeverbot verstoßen, zieht dies regelmäßig ein Beweisver- 376 wertungsverbot im späteren Prozess nach sich.831 2. Die Beschlagnahme von Druckwerken gem §§ 111m, 111n StPO Gegenstände, bei denen eine begründete Annahme besteht, dass sie im späteren Ver- 377 fahren für verfallen erklärt oder eingezogen werden können, können nach den §§ 111b ff StPO durch Beschlagnahme sichergestellt werden. Für Schriften nach § 11 Abs 3 StGB ergibt sich die Zulässigkeit einer Einziehung nach § 74d StGB.832 Soll nun ein Druckwerk bzw eine sonstige Schrift mit strafbarem Inhalt zur Sicherstellung beschlagnahmt werden, gilt allerdings die Sonderregelung des § 111m StPO.833 Hiernach darf eine
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BVerfG NJW 2005, 965; BVerfG NJW 2007, 1117, 1118 – Cicero; BGHSt 19, 374; Löwe/ Rosenberg/Schäfer § 97 Rn 25, 137. BVerfGE 20, 162, 216 f – Spiegel; BVerfG NJW 2007, 1117, 1120 – Cicero. BVerfG NW 2007, 1117, 1120 – Cicero. BVerfGE 56, 247, 248; BVerfGE 77, 65, 80 ff. Kritisch hierzu Leutheusser-Schnarrenberger
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ZRP 2007, 249, 252; ferner der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion vom 16.3.2006, BT-Drucks 16/956. BGHSt 18, 227, 228; Meyer-Goßner § 97 Rn 46. Vgl zur Einziehung oben Rn 88 ff. Nahezu inhaltsgleiche Regelungen finden sich zumeist in den Landespressegesetzen;
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Beschlagnahme nicht angeordnet werden, wenn ihre nachteiligen Folgen, insbesondere die Gefährdung der öffentlichen Interessen an einer unverzögerten Verbreitung offenbar außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache stehen. Nach § 111m Abs 1 StPO sind zu trennende Teile der Schrift, die keinen strafbaren Inhalt enthalten, von der Beschlagnahme auszuschließen. Verfahrensrechtlich gelten hier besondere Anforderungen. Handelt es sich um ein 378 periodisches Druckwerk, ist die Anordnung der Beschlagnahme nach § 111n Abs 1 StPO nur durch den Richter möglich (bei nicht periodisch erscheinenden Schriften kann eine Anordnung bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgen). Nach § 111n Abs 2 StPO gelten besondere Fristen für die Dauer einer möglichen Beschlagnahme. Auch müssen in der Anordnung der Beschlagnahme die Stellen der Schrift, die zur Beschlagnahme Anlass gegeben haben, bezeichnet werden (§ 111m Abs 3 StPO), der Betroffene kann die Beschlagnahme ferner dadurch abwenden, dass er diejenigen Teile der Schrift, die zur Beschlagnahme Anlass geben, von der Vervielfältigung und der Verbreitung ausschließt (§ 111m Abs 4 StPO).
IV. Abhörmaßnahmen, Überwachung der Telekommunikation, Online-Durchsuchungen Im Rahmen strafprozessualer Ermittlungen sind unter (engen) Voraussetzungen auch Abhörmaßnahmen in Wohnungen (§ 100c StPO) und die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation (§ 100a StPO) zulässig. Im Hinblick auf Medienunternehmen und deren Mitarbeiter gelten hier die allgemeinen Regelungen, sodass eine Erörterung an dieser Stelle unterbleiben kann. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass nach § 100c Abs 6 StPO Abhörmaßnahmen 380 dann unzulässig sind, wenn ein Fall des § 53 StPO vorliegt, dh bei Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts aus beruflichen Gründen. Wie ausgeführt,834 ist ein solches Zeugnisverweigerungsrecht für Medienmitarbeiter in § 53 Abs 1 Nr 5 StPO geregelt. Was die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation angeht, so sind in 381 § 100a StPO deren Voraussetzungen geregelt, in § 100h StPO finden sich Regelungen über die Auskunftspflicht von Telekommunikationsanbietern im Hinblick auf Verbindungsdaten von Telekommunikationsvorgängen. Auch hier gibt es keine Ausnahmen für Medienmitarbeiter, eine analoge Anwendung von §§ 100c Abs 6, 53 StPO ist hier nicht möglich.835 Der Vorschlag von Presserat und Deutschem Journalistenverband, im Rahmen der Telefonüberwachung eine solche Ausnahmeregelung vorzusehen, da sonst die Recherchetätigkeit wesentlich erschwert würde,836 wurde nicht umgesetzt. Ob die Ermittlungsbehörden auch verdeckte Ermittlungen im Computerbereich vor382 nehmen dürfen, war bislang umstritten. Hier ist insbesondere an die Fälle zu denken, dass verdeckte Ermittler der Polizei auf einem Computer eines Verdächtigen ohne dessen
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das Verhältnis der beiden Regelungsmaterien ist ungeklärt, es ist jedoch von einem Vorrang der bundesgesetzlichen Regelung auszugehen; vgl hierzu OVG Brandenburg NJW 1997, 1387, 1388; Paschke Rn 1080; dagegen hält Meyer-Goßner § 111m Rn 2 die Landespressegesetze sogar für unwirksam, soweit sie die Beschlagnahme von
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Druckschriften enthalten, da es sich um Verfahrensrecht iSd Art 74 Nr 1 GG handle. Vgl oben Rn 352 ff. BVerfG AfP 2003, 138, 146 f; vgl hierzu auch Pöppelmann/Jehmlich AfP 2003, 218; kritisch hierzu Leutheusser-Schnarrenberger ZRP 2007, 249, 252. Vgl die Mitteilung in AfP 2003, 138.
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Wissen ein Programm installieren (sog „Trojanisches Pferd“), welches den Ermittlungsbehörden einen Zugriff auf die Festplatte des Betreffenden erlaubt bzw im Rahmen einer Internetbenutzung seitens des Betroffenen den Ermittlungsbehörden dessen Daten ohne sein Wissen übersendet. Erfreulicherweise hat der BGH in einer jüngst ergangenen Entscheidung diese „Online-Durchsuchungen“ für unzulässig erklärt, weil es jedenfalls an einer gesetzlichen Grundlage mangele.837 Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass derzeit verstärkt darüber nachgedacht wird, ob eine solche Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden und welchen Inhalt sie haben soll.
V. Die Medienöffentlichkeit im Strafverfahren 838 Die Problematik der Pressemitteilungen über gerichtliche Verfahren sowie der Ton- 383 und Bildberichterstattung über laufende Verfahren betrifft zwar nicht ausschließlich das Strafrecht, wird aber insbesondere in strafrechtlichen Verfahren in der Regel relevant, weil die Öffentlichkeit gerade an der Berichterstattung von Strafverfahren ein besonderes Interesse hat. 1. Der Öffentlichkeitsgrundsatz, § 169 S 1 GVG In § 169 S 1 GVG wird der Grundsatz der Öffentlichkeit für die Verhandlung vor 384 dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung von Urteilen und Beschlüssen normiert. Diente dieser Grundsatz früher dazu, den Einzelnen vor staatlicher Willkür zu schützen und die richterliche Gewalt zu kontrollieren, steht heute das Informationsinteresse der Allgemeinheit im Vordergrund. Der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Neben der sogleich noch näher zu untersuchenden Einschränkung für die Rundfunk- und Fernsehberichterstattung (§§ 169 S 2 GVG) sind in den §§ 170 ff GVG weitere Einschränkungen normiert. Für das Strafverfahren bedeutsam ist der grundsätzliche Ausschluss der Öffentlichkeit im Jugendstrafverfahren nach § 48 Abs 1 JGG, der fakultative Ausschluss bei Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109 Abs 1 S 4 JGG) sowie die speziellen Ausschlussgründe zB in § 58 StPO. Nach § 176 GVG kann der Vorsitzende allerdings zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung einschränkende Maßnahmen treffen, etwa die Zahl der Pressevertreter im Hinblick auf das vorhandene Sitzplatzkontingent limitieren und Regelungen erlassen, nach welchen Kriterien die zur Verfügung stehenden Plätze zu besetzen sind.839
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BGH NJW 2007, 930; hierzu Bär MMR 2007, 239; Cornelius JZ 2007, 798; Kemper ZRP 2007, 105; Kutscha NJW 2007, 1169; Valerius JR 2007, 275; Warntjen Jura 2007, 581. Vgl hierzu Alwart JZ 1990, 883, 887; Britz Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal 1999; Barbulla Fernsehöffentlichkeit als Bestandteil des Öffentlichkeitsgrundsatzes 1998; Ernst FS Herrmann 73; Finger/Baumanns JA 2005, 717; Gounalakis FS Kübler 173; Huff Justiz und Öffentlichkeit 1996; ders
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NJW 2001, 1622; ders NJW 2004, 403, 406; Kuß Öffentlichkeitsmaxime der Judikative und das Verbot von Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal 1999; Muckel JA 2007, 905; Pernice Öffentlichkeit und Medienöffentlichkeit 2000; Ranft Jura 1995, 573; Petersen § 20; Scheerer Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit, 1979; Sorth Rundfunkberichterstattung aus Gerichtsverfahren 1999; Widmaier NJW 2004, 399. BVerfG NJW 2003, 500.
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2. Die Beschränkung nach § 169 S 2 GVG
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Der Grundsatz der Medienöffentlichkeit, die zuweilen auch als „mittelbare Öffentlichkeit“ bezeichnet wird,840 erhält jedoch über § 169 S 2 GVG eine wesentliche Einschränkung: Unzulässig sind Ton- und Fernseh- bzw Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen von einer gerichtlichen Verhandlung zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts.841 Lediglich für das Verfahren vor dem BVerfG findet sich in § 17a BVerfGG eine partielle Ausnahme. Zulässig ist zudem eine durch das Gericht selbst vorgenommene Tonaufnahme von Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung, wenn dies zum Zwecke der Verfahrenssicherung geboten ist.842 Die Vorschrift des § 169 S 2 GVG stellt ein allgemeines Gesetz iSd Art 5 GG dar und ist – obwohl sie den Schutzbereich des Art 5 Abs 1 S 2 GG berührt – verfassungsgemäß.843 Eine Beschränkung auf die Saalöffentlichkeit ist auf Grund der sogleich noch näher zu erörternden Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, des Anspruchs auf ein faires Verfahren und zu Gunsten der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege demnach zulässig.844 Vom Verbot nicht erfasst sind reine Fotoaufnahmen.845 Ihre Zulässigkeit richtet sich 386 nach dem Recht am eigenen Bild (§§ 22 ff KUG). Auch das heimliche Ablichten des Angeklagten im Gerichtssaal ist davon erfasst.846 Sofern das Fotografieren nach § 23 KUG bei Personen der Zeitgeschichte zulässig ist, kann der Vorsitzende diese aber im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Gewalt nach § 176 GVG zumindest während der Verhandlung verbieten.847 Das Verbot des § 169 S 2 GVG erfasst nur die „Verhandlung“. Nicht erfasst und 387 daher zulässig sind Ton-, Film- und Fernsehaufnahmen davor und danach sowie in den Verhandlungspausen.848 Da insoweit das Grundrecht der Informationsfreiheit überwiegt, sind hier nur dann Einschränkungen zulässig, wenn sie sich aus anderen Rechten ergeben, insbesondere den Persönlichkeitsrechten der einzelnen Prozessbeteiligten 849 oder dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf ein faires Verfahren. Auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung kann hier eine Rolle spielen.850 Umstritten ist insbesondere, ob sich ein Recht der Bild-
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Vgl hierzu auch BT-Drucks 4/178, 45; Petersen § 20 Rn 2. Satz 2 wurde eingefügt durch Gesetz vom 19.12.1964, BGBl I S 1067. Vgl OLG Bremen NStZ 2007, 481; Löwe/ Rosenberg/Wickern § 169 GVG Rn 46; Meyer-Goßner § 169 GVG Rn 11. BVerfGE 103, 44 = NJW 2001, 1633; vgl hierzu auch die Entscheidungen im Rahmen der einstweiligen Anordnung, BVerfG NJW 1996, 581; BVerfG NJW 1999, 1951. Vgl zur Entscheidung des BVerfG Dieckmann NJW 2001, 2451; Gersdorf AfP 2001, 29; Hain DOV 2001, 589; Huff NJW 2001, 1622; Krausnick ZUM 2001, 230; Petersen § 20 Rn 3; Zuck NJW 2001, 1623; ferner zur Diskussion im Vorfeld Benda NJW 1999, 1524; Bamberger ZUM 2001, 373; Eberle NJW 1994, 1637; Enders NJW 1996, 2712; Gerhardt ZRP 1993, 377; Gounalakis FS Kübler 173, 175; Gründisch/Dany NJW
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1999, 256; Hamm NJW 1995, 760; Hofmann ZRP 1996, 399; Huff NJW 1996, 571; Kortz AfP 1997, 443; Lehr NStZ 2001, 63; Plate NStZ 1999, 391; Stürner JZ 1995, 297; Knothe/Wanckel ZRP 1996, 106; Wolf ZPR 1994, 187; ders NJW 1994, 681; ders JR 1997, 441; Wyss EuGRZ 1996, 1. BGH bei Dallinger MDR 1971, 188; MeyerGoßner § 169 GVG Rn 10. LG Berlin AfP 1994, 332. BGH NStZ 2004, 161; KK/Diemer § 169 GVG Rn 13. Vgl im Hinblick auf § 176 GVG BVerfG BVerfGE 103, 44, 62; BVerfG NJW 2000, 2890; BVerfG NJW 2008, 977; ferner Ernst NJW 2001, 1624, 1625; ders FS Herrmann 73, 76 ff. BVerfG NJW 2008, 977, 979; Huff NJW 2001, 1622, 1623; Petersen § 20 Rn 4. BVerfG NJW 2008, 977, 979 f.
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und Tonberichterstattung in den Verhandlungspausen aus Art 5 Abs 1 S 2 GG ergibt 851 bzw ob und inwieweit eine Einschränkung der Medienöffentlichkeit auch in den Verhandlungspausen auf der Grundlage des § 176 GVG zur Aufrechterhaltung der Ordnung der Sitzung durch den Vorsitzenden erfolgen kann. Nach der Rechtsprechung des BVerfG 852 hat der Vorsitzende diesbezüglich einen Ermessensspielraum, er hat jedoch sein Ermessen unter Beachtung der Bedeutung der Rundfunkberichterstattung für die Gewährleistung öffentlicher Wahrnehmung und Kontrolle von Gerichtsverhandlungen sowie der einer Berichterstattung entgegenstehenden Interessen auszuüben und dabei sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. § 176 GVG ist insoweit als allgemeines Gesetz iSd Art 5 Abs 2 GG anzusehen.853 So wurde es für zulässig angesehen, wenn der Vorsitzende lediglich am ersten Verhandlungstag eine entsprechende Möglichkeit der Bild- und Tonberichterstattung gewährt 854 oder wenn lediglich einem Kamerateam gestattet wird, während der Verhandlungspausen im Gerichtssaal Aufnahmen zu machen, dieses aber zu verpflichten, die Aufnahmen danach anderen Sendern zugänglich zu machen („Pool-Lösung“).855 Andererseits wurde eine auf § 176 GVG gestützte Beschränkung als unzulässig angesehen, die einem Kamerateam Ton-, Fotound Filmaufnahmen im Sitzungssaal und in dem Bereich vor dem Sitzungssaal lediglich bis 15 Minuten vor dem Beginn der Sitzung sowie zehn Minuten nach deren Beendigung gestattete.856 Denn von dem durch Art 5 Abs 1 S 2 GG geschützten Berichterstattungsinteresse sei auch die bildliche Dokumentation des Erscheinens und der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal umfasst.857 Allerdings kann dabei angeordnet werden, dass die Gesichter der Angeklagten (nicht aber der Richter, der Schöffen, des Staatsanwalts und der Verteidiger!) vor der Veröffentlichung oder Weitergabe der Aufnahmen an Fernsehveranstalter oder Massenmedien durch ein technisches Verfahren anonymisiert werden.858 Wird eine Berichterstattung vom Vorsitzenden zu Unrecht versagt, kann die Zulassung im Wege der einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden.859 Da das Verbot der Medienöffentlichkeit durch die im nächsten Abschnitt noch genauer 388 zu untersuchenden Gefahren und nicht ausschließlich durch den Schutz der einzelnen Beteiligten motiviert ist, steht es auch nicht zu deren Disposition.860
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So jedenfalls bei Prozessen gegen Personen der Zeitgeschichte (Fall Honecker, Mielke etc) BVerfGE 91, 125 = NJW 1995, 184; ferner BVerfGE 87, 334 = NJW 1992, 3288; BVerfG NJW 1998, 581, 583 – Mückenberger, Krenz etc; krit hierzu Ranft Jura 1995, 573, 580; vgl ferner allgemein BGH NJW 1998, 1420, BVerfG NJW 2000, 2890; BVerfG NJW 2002, 2021; BVerfG NJW 2003, 500; BVerfG NJW 2008, 977. Vgl hierzu BVerfG NJW 2008, 977, 979; ferner BVerfGE 103, 44, 62 (hier wird die grundsätzliche Möglichkeit der Einschränkung auf der Grundlage des § 176 GVG betont). So auch BVerfGE 91, 125, 126 ff. BVerfG NJW 2003, 2671; vgl auch BGHSt 23, 123. BVerfGE 87, 334, 340; BVerfGE 91, 125, 138; BVerfG NJW 2000, 2890, 2891;
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BVerfG NJW 2008, 977, 980 f; hierzu Petersen § 20 Rn 5; Prinz/Peters Rn 819; zum Inhalt einer solchen „Pool-Lösung“ vgl auch BVerfGE 103, 44, 46 f. BVerfG JR 2007, 390; bestätigt durch BVerfG NJW 2008, 977; hierzu Muckel JA 2007, 905; vgl aber auch BVerfG NJW 2003, 2523. BVerfG JR 2007, 390, 391; hierzu zutreffend krit Ernst JR 2007, 392, 393. BVerfG JR 2007, 390, 392; BVerfG NJW 2008, 977, 980; vgl zur Zulässigkeit einer Pflicht zur Anonymisierung auch BVerfG NJW 2003, 2523, 2523 f. Vgl hierzu die Fälle BVerfG NJW 2000, 2890; BVerfG JR 2007, 390; hierzu Ernst FS Herrmann 73, 77 f; Muckel JA 2007, 905. BVerfG NJW 1968, 804, 806; BGHSt 22, 83, 85; Ernst JR 2007, 392, 393; Petersen § 20 Rn 2.
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3. Die Gefahren der Medienberichterstattung für den Strafprozess
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Hintergrund der einschränkenden Regelung des § 169 S 2 GVG ist, dass das einzelne Verfahren nicht zum Spektakel für die Öffentlichkeit werden soll. Erfahrungen aus den USA, wo die Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren zulässig ist, zeigen die Gefahren, die sich aus einer uneingeschränkten Bild- und Tonberichterstattung aus den Gerichtssälen ergeben. Eine solche Gefahr besteht insbesondere in der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Prozessbeteiligten, insbesondere der Angeklagten und der Zeugen. So kann der Verbreitung von Aufnahmen aus einer – emotional nicht selten aufgeladenen – strafrechtlichen Hauptverhandlung nicht selten eine gewisse „Prangerwirkung“ zukommen, die über die Zeit des Verfahrens hinauswirkt, bei großen Teilen der Bevölkerung – und auf Grund möglicher Wiederholungen der Aufzeichnungen – in Erinnerung bleibt und dadurch auch eine spätere Resozialisierung des Betroffenen erschweren kann.861 Darüber hinaus besteht eine Gefährdung der Wahrheitsfindung.862 So steht zu vermuten, dass die Parteien, vor allem aber auch die Zeugen, vor „laufender Kamera“ anders reagieren, eher unangenehme Tatsachen zurückhalten und ihre Aussage auf die Wirkung in der Öffentlichkeit ausrichten.863 Des Weiteren steht zu befürchten, dass die Prozessbeteiligten dem Geschehen nicht mehr unbeeinflusst folgen und sich daran nicht mehr unbeeinflusst beteiligen können. Dies gilt insbesondere wiederum für die Zeugen, die durch die Medienpräsenz abgelenkt werden können. Auch ist an eine suggestive Beeinflussung der Zeugen durch die Medien zu denken.864 Schließlich könnten, insbesondere in politischen Strafprozessen, Angeklagte und Verteidiger die Medienöffentlichkeit zu propagandistischen Zwecken nutzen und dadurch den Ablauf eines geordneten Strafverfahrens empfindlich stören. Ein letzter Aspekt, der insbesondere in Strafverfahren Bedeutung erlangt, ist die mögliche Kollision von Medienöffentlichkeit und Unschuldsvermutung.865 Durch eine wirksame Medienkampagne kann es leicht zu einer Vorverurteilung des Angeklagten kommen, die einerseits die Entscheidung der Richter und Schöffen beeinflussen, andererseits den Angeklagten aber auch nach einem Freispruch noch belasten kann, weil immer „etwas hängen“ bleibt, auch wenn am Ende die Unschuld rechtskräftig festgestellt wird. Eine andere Frage ist, ob diese Gefahren außerhalb des Strafverfahrens in gleicher Weise bestehen. So wird insbesondere diskutiert, ob nicht eine vorsichtige Öffnung des Verbots zB im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, möglicherweise hier auch nur in der Revisionsinstanz, möglich oder sogar verfassungsrechtlich geboten erscheint.866 4. Die Verwendung von Medien im Strafverfahren
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Nur kurz soll darauf eingegangen werden, dass dem Strafverfahren durch den Einsatz von Medien nicht nur Gefahren drohen, sondern dass durch die Verwendung von Medien auch Erleichterungen möglich sind.
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862 863 864 865
BVerfGE 103, 44, 68; vgl auch BVerfGE 35, 202, 219 ff, 226 ff; BVerfG NJW 1996, 581, 583; BVerfG NJW 1999, 1951. BVerfGE 103, 44, 68 f; Ranft Jura 1995, 573, 576. BVerfGE 103, 44, 68 f. Eberle/Rudolf/Wasserburg/Wasserburg Kap IX Rn 166; Groß FS Hanack 39, 40. Petersen § 20 Rn 2; Prinz/Peters Rn 819; vgl
1888
866
hierzu auch BT-Drucks IV/178, 45; Stapper AfP 1996, 349. Instruktiv hierzu BVerfGE 103, 44, 68 f für eine solche Öffnung die abweichende Ansicht der Richter Kühling, HohmannDennhardt und Hoffmann-Riem, BVerfGE 103, 44, 78 ff; vgl ferner BVerfG NJW 1999, 1951, 1952.
Bernd Heinrich
§6
Strafverfahrensrechtliche Besonderheiten
Einerseits sind es oftmals die Medien, die durch sorgfältige Recherchen strafbares 391 Verhalten aufdecken und dadurch auch Verdachtsgründe und Informationen liefern, die ein Strafverfahren erst ermöglichen.867 Aber auch durch den Einsatz von Medien im konkreten Strafverfahren können Er- 392 leichterungen eintreten. Zu nennen ist hier nur die Möglichkeit des Einsatzes der Videotechnik im Rahmen von Vernehmungen. So ist es nach § 247a StPO aus Gründen des Zeugenschutzes möglich, dass sich ein Zeuge während der Vernehmung in der Hauptverhandlung an einem anderen Ort aufhält und die Aussage zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen wird. Unter diesen Voraussetzungen ist auch eine grenzüberschreitende Vernehmung eines Zeugen möglich, die einen besseren Erkenntniswert bietet als eine kommissarische Vernehmung des Zeugen durch einen ersuchten Richter.868 Schließlich ist daran zu erinnern, dass insbesondere über die Neuen Medien (Internet, 393 elektronische Datenbanken) vielfältige Recherchen seitens der Gerichte ermöglicht werden 869 und dass der Einsatz von Medien zur Fahndung von Verdächtigen und Zeugen genutzt werden kann. 5. Exkurs: Die Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren Rechtlich problematisch ist schließlich die Frage, ob und inwieweit eine Medien- 394 berichterstattung über Strafverfahren und Tatverdächtige erfolgen darf, wenn lediglich ein Ermittlungsverfahren läuft, dh noch keine Anklage seitens der Staatsanwaltschaft erhoben wurde und ob und inwieweit Justizbedienstete oder Staatsanwälte berechtigt oder gar verpflichtet sind, den Medien entsprechende Informationen zu erteilen.870 Denn einerseits wird aus Art 5 Abs 1 GG ein Recht der Medien und der Öffentlichkeit abgeleitet, insbesondere bei spektakulären Kriminalfällen oder Straftaten, an denen Personen der Zeitgeschichte – als Opfer oder potentielle Täter – beteiligt sind, über die Straftat und den Stand der Ermittlungen zu informieren und informiert zu werden. Andererseits können durch eine „aggressive“ Medienberichterstattung leicht Rechte des Tatverdächtigen beeinträchtigt werden: das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art 1 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 GG), welches insoweit ein Recht auf Bild- und Namensanonymität gewährt, die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein „faires“ Strafverfahren, welches aus Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 S 1 EMRK abgeleitet wird. Eine eindeutige rechtliche Regelung im Hinblick auf die Auskunftsrechte bzw das 395 Recht der Berichterstattung seitens der Medien fehlt. Teilweise wird § 475 Abs 4 Alt 2 StPO („[…] können […] sonstigen Stellen Auskünfte aus den Akten erteilt werden“)
867
868
869
Zu diesem Aspekt Eberle/Rudolf/Wasserburg/Wasserburg Kap IX Rn 166; Eisenberg Rn 20. Vgl hierzu Beulke ZStW 113 (2001), 709, 723 ff; Eberle/Rudolf/Wasserburg/Wasserburg Kap IX Rn 166; Weider StV 2000, 48, 52; dagegen allerdings Diemer NStZ 2001, 393, 396. Vgl hierzu BGHSt 44, 308, 312: Möglichkeit des Zugriffs auf Entscheidungen US-amerikanischer Gerichte via Internet.
870
Vgl hierzu Dalbkermeyer Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden 1994; Meier FS Schreiber 331; Neuling HRRS 2006, 94; ferner Hörisch StV 2005, 151; Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer, Alternativentwurf Strafjustiz und Medien, 2004.
Bernd Heinrich
1889
Kapitel 3 Medienstrafrecht
7. Teil
herangezogen,871 der jedoch an sich lediglich die Informationsübermittlung an Private betrifft, die ein berechtigtes Interesse darlegen können.872 Ein weiterer gesetzlicher Anknüpfungspunkt kann sich aus den Landespressegesetzen ergeben, die zumeist ein Informationsrecht der Presse normieren, welches aber vielen Einschränkungen unterliegt.873 Daher wird vielfach – de lege ferenda – eine gesetzliche Sonderregelung gefordert.874 Ein Ergebnis wird sich hier nur durch eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Beteiligten finden lassen, wobei stets zu beachten ist, dass die Ermittlung der Strafverfolgungsbehörden durch die Berichterstattung in den Medien nicht beeinträchtigt werden darf.
871
872
OVG Münster NJW 2001, 3803; LG Berlin NJW 2002, 838; aA VG Berlin NJW 2001, 3799 (es sei hier der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten, ein Anspruch könne sich aus § 4 LPG Berlin ergeben). Vgl BT-Drucks 14/1484, 26; Löwe/Rosenberg/Hilger § 475 Rn 2; vgl zum Ganzen auch Meier FS Schreiber 331, 334 f.
1890
873 874
Vgl exemplarisch § 4 LPG Berlin. Dalbkermeyer 183 ff (Einführung eines neuen § 169a GVG); Meier in: Alternativentwurf Strafjustiz und Medien, 2004, 89, 91 ff (Einführung eines neuen § 475a StPO); Neuling 315 (Einführung eines neuen § 160a StPO).
Bernd Heinrich
Stichwortverzeichnis Die fetten Zahlen verweisen auf die Kapitel, die mageren Zahlen verweisen auf die Randnummern Abbilden, sicherheitsgefährdendes 7.3. 209 Abbildungen 7.3. 49, 54 Abbildungen von Personen 2.5. 173 Abbildungen von Toten 6.3. 97 Abbildungserlaubnis 2.4. 250 Abbildungsfreiheit 2.4. 244; 6.3. 38 Abgabe von Presseerzeugnissen, kostenlose 3.1. 199 Abgabetermine 2.6. 275 Abgeschiedenheit, örtliche 6.1. 46 Abgrenzung 5.1. 147 Abgrenzung einfache/ausschließliche Lizenz 2.13. 33 Abgrenzung zur Rechtsübertragung 2.13. 27 Abgrenzung zwischen Rundfunk und ihm zugeordneten Diensten 4.1. 56 Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien 4.1. 59 Abgrenzungsvereinbarung 2.3. 93; 3.2. 144 Abhören 7.3. 124 Abhörgerät 7.3. 124 Abhörmaßnahmen 7.3. 380 Abhörmaßnahmen in Wohnungen 7.3. 379 Abkommen von Locarno über die internationale Klassifikation von gewerblichen Mustern und Modellen 2.11. 91 Ablauf des Urheberrechts 2.6. 291 Abmahnerfordernis 1.4. 42 Abmahngebühren 3.1. 324 Abmahnkosten 1.5. 17 Abmahnlast 1.5. 5 Abmahnung 1.5. 2, 4; 3.1. 198, 345 Abnahme des Drehbuches 2.2. 126 Abnehmerverwarnung 1.5. 45 Abonnement 2.5. 13, 134 Abrechnung 5.2. 134 Abrechnungsdaten 7.1. 25 Abrechnungsfehler 5.2. 134 Abrechnungsfrist 2.6. 260 Abruf, automatisch 5.2. 181 Abrufbarkeit 5.1. 111, 114 Abrufdienste 5.1. 17, 44; 7.2. 306 Absatzhelfer 3.1. 90 Absatzhonorar 2.6. 135, 136, 138, 221, 246, 254, 260 Absatzmitter 3.1. 91
Abschlusserklärung 1.5. 102; 3.1. 349; 4.2. 48 Abschlussprovision 2.6. 39, 42, 46 Abschlussschreiben 1.5. 103 Abschlussverfahren 1.5. 102 Abschöpfung 5.2. 160 Abschöpfung von Pioniergewinnen 3.2. 6 Abschrift, beglaubigte 1.5. 84 Abstracts 1.1. 118; 2.1. 85 Abstrakte Unterscheidungseignung 2.7. 30 Abstraktionsprinzip 2.1. 192; 2.2. 158 Abtretung 1.4. 7 Abtretung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 3.1. 327 Abwägung 6.3. 47, 71 Abwägungsklausel 3.2. 171 Abwägungskriterien 5.1. 290 Abwehr erheblicher Gefahren für die Öffentliche Sicherheit 5.2. 179 Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen 7.3. 221 Abwerben von Kunden 3.1. 200 Abwerbung von Mitarbeitern 3.1. 196 Abzeichen 2.7. 60 Access-Provider 1.4. 23; 7.3. 68 Access-Welt 1.1. 139 Account 2.5. 13, 139, 160 Achtungsanspruch, postmortaler 6.1. 23 Adäquanz 5.1. 280 Add-Ons 2.5. 122, 129 AdGames 2.5. 87 AdminC 5.1. 284 Adresshandel 7.1. 68 Adword 3.1. 211 Ad-Word-Werbung 3.1. 3 AGB 2.2. 128; 7.1. 100 AGB-Kontrolle 5.1. 238 Agentur, literarische 2.6. 34, 87, 91, 92, 277 Agenturvertrag 2.6. 36 Aggressionsbereitschaft 7.2. 38 aggressionshemmend 7.2. 46 Ähnlichkeit im Bedeutungsgehalt 2.7. 91 Ähnlichkeit, begriffliche 2.7. 91 Ähnlichkeit, bildliche 2.7. 88 Ähnlichkeit, klangliche 2.7. 86 Akkreditierung 5.3. 105 Aktivlegitimation 1.4. 5, 6; 2.1. 45; 2.2. 154
1891
Stichwortverzeichnis Aktualisierung 2.6. 269 Aktualisierungsrate 5.1. 244 Aktualität 4.1. 15, 17 Aktualitätsgrenze 4.2. 59 Alexandra von Hannover 4.2. 73 Alleinlizenz 2.13. 25 Alleinstellungswerbung 3.1. 247, 272 Alleintäterschaft 7.3. 57 Allgemeine Geschäftsbedingungen 2.5. 24 Allgemeingenehmigung 5.2. 32 Allgemeinverfügung 5.2. 39 Allgemeinzuteilung 5.2. 39, 50 Altersbeschränkungen 7.2. 103 Alterseinstufung 2.5. 101 Altersfreigabe 2.5. 100 Alterskategorien 7.2. 124 Altersverifikationssysteme 7.2. 225 Ambivalenz, urheberrechtliche 2.5. 76 amtliche Hoheitszeichen 2.7. 60 Amtsblatt 5.2. 101 Amtssprachen 2.7. 163 Amtsträger 7.3. 138 Anbieten 7.3. 171 Anbieter 5.1. 149, 169 Anbieter von E-Mail-Diensten 5.2. 175 Anbieter von Internetzugangsdiensten 5.2. 176 Anbieter von Mehrwertdiensten oder Call-byCall-Verbindungsleistungen 5.2. 87 Anbieter von Telefondiensten 5.2. 173 Anbieterbegriff 5.1. 71 Anbietereigenschaft 5.1. 72 Anbieterinformation 5.1. 165 Anbieterinformationspflichten 5.1. 77, 167 Anbieterkennzeichnung 5.1. 166, 167 Änderungen im Bestand der Schutzrechtsposition 2.13. 213 Änderungsbefugnisse, urheberpersönlichkeitsrechtliche 2.3. 64 Aneignungsprozess 1.1. 69, 97 Anerkannte Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel 2.7. 133 Anerkenntnis, sofortiges 3.1. 345 Anerkennung der Urheberschaft 2.4. 72 Anerkennungsbescheid 7.2. 236 Anfangsverdacht 4.2. 192, 201 Angaben, beschreibende 2.10. 47 Angaben, gesundheitsbezogene 3.4. 63, 64, 68, 70, 72, 73, 75, 76 Angaben, nährwertbezogene 3.4. 64, 67, 70, 73, 74 Angebot 5.2. 87 Angebote, illegale 5.1. 109 Angebotsumstellungsflexibilität 3.2. 25 Angehörige 6.1. 31 Angst 3.1. 102
1892
Angstkontrolle 7.2. 45 Angstlusterlebnis 7.2. 45 Angstverarbeitung 7.2. 43 Angstvermeidung 7.2. 45 Angstwerbung 3.1. 111; 3.4. 54 Ankündigen 7.3. 172 Anleitung 2.5. 39; 7.3. 272, 274 Anleitung zu Straftaten 7.3. 262 Anmaßung der Urheberschaft 2.4. 155 Anmeldegebühr 2.7. 163, 166 Anmeldung 2.11. 31 Anmeldung, rechtsmissbräuchliche 2.7. 59 Anmeldung, sittenwidrig 2.7. 59 Annahme 5.2. 87 Annahme eines R-Gesprächs 5.2. 91 Anonymisieren 7.1. 44 Anonymisierungsdienste 5.2. 177 Anonymität 5.1. 8 Anonymitätsschutz 6.3. 9 Anordnungen 5.2. 53 Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB 2.13. 219 Anpreisen 7.3. 173 Anrufmaschinen 3.1. 308 Anrufsperre 5.2. 103 Anrufversuche, erfolglose 5.2. 177 Anschlagen 7.3. 165 Anschlusskennung 5.2. 174 Anschlussleitung 5.2. 72 Anschrift, ladungsfähige 5.2. 100 Anschwärzung 3.1. 167 Anspruch auf Erteilung 5.2. 38 Anstifter 3.1. 329 Anstiftung 7.3. 58 Anstiftung, versuchte 7.3. 270 Antihelden 7.2. 50 Anti-Spam-Gesetz 5.1. 194 antithematisch 2.2. 256 Anton Piller Order 1.4. 85 Anträge 1.5. 57 Antragsprinzip 5.2. 105 Anwendbarkeit deutschen Strafrechts 7.3. 32 Anwendbarkeit, gewerbliche 2.12. 19, 51 Anwendungsbereich des TMG 5.1. 232 Anzeigen 3.1. 123, 125, 227 Anzeigengeschäft 1.4. 13; 3.1. 54 Anzeigenmärkte 3.2. 111 Anzeigenwerbung 3.1. 116 Anzeigepflicht der Weitervermittlung 5.1. 70 Appellation 7.2. 182 Appellationsausschuss 7.2. 152 Arbeit, geistige 1.1. 101 Arbeiterinformationen 5.1. 186 Arbeitgeber 6.1. 14 Arbeitsausschuss 7.2. 143
Stichwortverzeichnis Arbeitsspeicher 7.3. 53 Arbeitsteilung, globale 1.1. 84 Arbeitstitel 2.6. 101 Arcade-Spiele 2.5. 4 Architektur 2.1. 104 Archiv 2.1. 154; 4.2. 181 Archivfoto 6.3. 35 Archivierung 5.1. 244 Arrangement, künstlerisches 2.4. 54 Arrestvorschriften 1.4. 102 Arzneimittel 3.4. 15 Arzneimittel, homöopathische 3.4. 38 Aspekte, kartellrechtliche 2.13. 128 Audiokassetten 7.3. 328 Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen 7.2. 305 Audit 7.1. 169 Aufenthaltsort 7.3. 47 Auffordern 7.3. 261 Aufforderung 7.3. 269, 274 Aufforderung zu Straftaten 7.3. 278 Aufforderung, öffentliche 7.3. 259, 347 Aufführungsrecht 2.3. 62 Aufgabe und Einschränkung des lizenzierten Schutzrechts 2.13. 179 Aufhebung der einstweiligen Verfügung 1.5. 101 Aufhebungsanträge 1.5. 101 Aufklärung, staatsbürgerliche 7.3. 220 Aufklärungspflicht, prozessuale 3.1. 250 Aufklärungspflichten 2.13. 183 Auflage 2.6. 123; 5.2. 52 Auflagen-Anzeigen-Spirale 3.2. 95 Auflagenhöhe 2.6. 128, 206, 215 Auflagenhonorar 2.6. 136 Aufmerksamkeitswerbung 3.1. 94, 96 Aufnahmebeschlagnahme 7.3. 371 Aufnahmen, pornografische 2.4. 289 Aufnahmesoftware, intelligente 2.1. 147 Aufnahmestandort 2.4. 258, 260, 266 Aufrechterhaltung und Verteidigung der Schutzrechtsposition 2.13. 168 Aufrechterhaltungsgebühren 2.12. 40 Aufsicht durch die Landesmedienanstalten 4.1. 91 Aufsichtsbehörde 7.1. 147 Aufstacheln 7.3. 186 Aufstacheln zum Angriffskrieg 7.3. 183 Auftragsdatenverarbeitung 7.1. 39 Auftragsformular 5.2. 29 Auftragskomposition 2.2. 138 Auftragsproduktion 2.2. 57, 61, 221, 2.3. 84, 87, 88 Auftragsproduktion, echte 2.2. 61, 224 Auftragsproduktion, unechte 2.2. 62
Auftritte 6.1. 54 Aufwand, prozessualer 2.5. 77 Aufwendungsersatz 1.5. 17 Aufwendungsersatz bei Abmahnungen 3.1. 346 Aufzeichnung der Telekommunikation 7.3. 379, 381 Aufzüge 6.3. 60 Auktionshäuser 2.4. 32 Auktionsplattformen 2.5. 14 Ausbeutungsmissbrauch 2.13. 338; 3.2. 62 Auschwitzlüge 7.3. 228 Ausdrucksform 2.5. 37 Ausfertigung 1.5. 84, 89 Ausfertigungsvermerk 1.5. 85 Ausfuhr 7.3. 249 Ausführen 7.3. 175 Ausfuhrlizenz 2.13. 150 Ausgabe 6.2. 46 ausgabefähig 2.6. 184 Ausgabefähigkeit 2.6. 200 Ausgabenarten 2.6. 114 Ausgangswerte 2.5. 36 Ausgleichsanspruch 2.6. 43 Auskunft 2.12. 38; 7.1. 116 Auskunft und Rechnungslegung 2.13. 255 Auskünfte auf hoheitliche Zwecke beschränkt 5.2. 180 Auskunfteien 7.1. 69 Auskunftsanspruch 1.1. 125; 2.2. 209; 2.13. 256; 3.1. 336, 338 Auskunftsanspruch, unselbständiger 1.4. 64 Auskunftsanspruch, vorbereitender 1.4. 65 Auskunftsanspruch, zivilrechtlicher 1.1. 25 Auskunftsfeststellungsklage 1.5. 108 Auskunftsklage 1.5. 107, 108 Auskunftspflicht, presserechtliche 7.3. 139 Auslagen 5.2. 34 Auslandsbezug 2.3. 133 Auslandszustellungen 1.5. 78 Auslaufklausel 2.13. 141 Auslegung des Gemeinschaftsrechts 1.3. 134 Auslegung des TMG 5.1. 226 Ausnahmeanträge 7.2. 221 Ausnahmefälle 5.2. 50 Ausnahmegenehmigung 7.2. 217, 223, 231, 238 Ausnutzen eines Vertragsbruchs 3.1. 201 Ausnutzung der Wertschätzung 2.4. 166; 2.7. 117 Ausnutzung von Leichtgläubigkeit, Ängsten und Zwangslagen 3.1. 110 Ausnutzung von Rechtsunkenntnis 3.1. 109 Ausnutzung, missbräuchliche 2.13. 337 Aussagen Dritter 4.2. 209 Aussagen, krankheitsbezogene 3.4. 63 Aussagen, mehrdeutige 4.2. 129, 130
1893
Stichwortverzeichnis Ausschließlichkeitsrecht 1.1. 102, 107, 121; 3.2. 5; 6.2. 16 Ausschreibung 5.2. 41 Ausschreibungsverfahren 5.2. 41 Außenansicht 2.4. 221, 260, 262 Außenpluralismus 4.1. 23 Äußerungsfreiheit 1.1. 47 Äußerungsrecht 1.1. 26; 1.3. 318 Ausspähen 2.4. 269 Ausspähen von Daten 7.3. 134 Ausspielung 7.3. 285, 292 Ausstattung 2.11. 95 Ausstellen 7.3. 164 Ausstellung 2.1. 121 Ausstellungsverträge 2.4. 348 Ausstrahlungsort 7.3. 46 Ausübungspflicht 2.13. 283 Ausübungspflicht des Lizenznehmers 2.13. 275 Auswahlermessen 5.2. 24 Auswertungskaskade 2.2. 112 Auswertungspflicht 2.2. 16, 64, 65, 75, 115, 122, 205, 206, 212, 225, 226, 265 Auswertungsphase 2.2. 73 Auswirkungen innerhalb des dualen Systems 4.1. 31 Auswirkungen, zwischenstaatliche 2.13. 327 Auswirkungsprinzip 3.2. 71 Authentifizierungstechnologien 2.5. 138 Authentizität 5.3. 20, 30 Automaten ohne Gewinnmöglichkeiten 7.2. 186 Automatenvideotheken 7.3. 243 Autorenexemplare 2.6. 264 Avatare 2.5. 13, 83, 139, 158 AVMDR 1.3. 135 AVMS-Richtlinie 7.2. 305 B2B-Marktplätze 3.2. 240, 267, 271 B2B-Plattformen 3.2. 269, 272 Babycaust 4.2. 144, 156 bad faith 2.10. 91 Bagatell-Kartelle 2.13. 343 Bagatellklausel 3.1. 51, 64, 203, 261 Bagatellschwelle 3.1. 9, 28, 34, 41 Bagatellvereinbarung 2.13. 341 Bagatellverstöße 3.1. 76 Bandenkriminalität 7.3. 305 Bandübernahmevertrag 2.3. 16, 41, 54 Bankunterlagen 1.4. 102 Bankverbindungen 5.2. 182 Barrierefreiheit 5.1. 187 Basel II 5.3. 6 Basissoftware 2.5. 31 Bauwerke 2.1. 54 BDSG 2.5. 105
1894
Bearbeitung 2.1. 79; 2.3. 71, 120; 2.4. 81; 6.3. 26 Bearbeitungsbefugnis 2.2. 124 Bearbeitungsgebühr für Rücklastschriften 5.2. 132 Bearbeitungsrecht 2.3. 64, 124; 2.6. 118 Bedarfsmarktkonzept 3.2. 59, 106 Bedeutung privatrechtlicher Vertragsgestaltung 5.2. 13 Bedeutung, wirtschaftliche 2.5. 2 Bedingung der Strafbarkeit, objektive 7.3. 107 Beeinflussungsverbot 3.3. 113 Beendigung des Markenrechts 2.7. 156 Beerdigung 6.3. 64 Begehungsgefahr 3.1. 320 Begehungsort 7.3. 33, 38 Beginn der Ausübungspflicht 2.13. 282 Beglaubigung 1.5. 86 Beglaubigungsvermerk 1.5. 86 Begleiter 6.3. 44 Begrenzungssystem, zeitliches 2.5. 175 Begründungspflicht 5.2. 116 Behauptung 7.3. 105 Behinderung 1.5. 45; 2.10. 35 Behinderung, gezielte 3.1. 24, 160, 172, 193, 283 Behinderungsmissbrauch 2.13. 338; 3.2. 62 Behinderungswettbewerb 3.1. 196 Beibringungsgrundsatz 1.4. 101 Beihilfe 1.3. 76; 4.1. 106; 7.3. 58, 273 Beihilfekontrolle 1.3. 77 Beihilferecht 4.1. 109 Beiträge 5.2. 34 Beiträge, anzeigenunterstützende redaktionelle 3.1. 124 Beiträge, redaktionelle 3.1. 49; 3.4. 6 Beiwerk 2.4. 230; 6.3. 56 Beiwerk, unwesentliches 2.4. 208, 230 Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung 5.2. 92 Bekanntheit, notorische 2.7. 64 Bekanntheitsschutz 2.7. 67, 113 Belagerungen 6.3. 84 Belästigung 2.5. 96 Belästigung, unzumutbare 3.1. 289 Belegungsnorm 4.1. 89 Belegvorlage 1.4. 72 Beleidigung 7.3. 97, 104 Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung 7.3. 101 Beleidigungsdelikte 7.3. 96 beleidigungsfähig 7.3. 101 Belohnung von Straftaten 7.3. 264 Benachrichtigung 7.1. 122 Benetton 3.1. 96; 6.2. 61
Stichwortverzeichnis Benutzer, informierter 2.11. 24 Benutzergruppen, geschlossene 7.2. 225, 294 Benutzung im geschäftlichen Verkehr 2.7. 68; 2.10. 30 Benutzung, freie 2.1. 86; 2.4. 84 Benutzung, rechtserhaltende 2.7. 142 Benutzungsgestattung/Verschaffungspflicht 2.13. 159 Benutzungsrecht, positives 2.13. 21 Berechnung, anteilige 5.2. 116 Berechtigungsanfrage 1.5. 1, 2 Berechtigungsvertrag 2.3. 58 Bereicherung, ungerechtfertigte 1.4. 62 Bereicherungsausgleich 1.4. 62 Bereicherungshaftung 2.4. 153 Bereicherungsrecht 1.4. 62 Bereichskennzahl, nationale 5.2. 45 Bereitstellen von Einrichtungen 7.3. 288 Bereitstellung des Anschlusses 5.2. 100 Bereitstellung eines Festnetztelefonanschlusses 5.2. 156 Bereitstellungsentgelt 5.2. 109 Berichterstattung 7.2. 243 Berichterstattung über Tagesereignisse 2.4. 195, 226 berichtigen 5.2. 105 Berichtigung 7.1. 133 Beruf 5.2. 182 Berufsausübungsfreiheit 3.1. 326 Berufsfreiheit 2.5. 32 Berufsorganisationen der Landwirte 3.1. 326 Berufsverbot 7.3. 78 Berufung 1.5. 95, 100 Beschaffenheitsvereinbarung 2.5. 98 Beschimpfen 7.3. 194 Beschlagnahme 7.3. 371 Beschlagnahmeverbot 7.3. 368, 373 Beschleunigungsgebühr 2.7. 166 Beschluss 1.5. 77 Beschlussverfügung 1.5. 78 Beschränkung der Abbildungsfreiheit 2.4. 246 Beschränkung, territoriale 2.6. 124; 2.13. 128 Beschränkungen der Lizenz 2.13. 107 Beschränkungen des Geschmacksmusters 2.11. 44 Beschränkungen, quotenmäßige 2.13. 154 Beschuldigter 7.3. 373 Beschwerde 7.2. 286, 302 Beschwerdeausschuss 7.2. 287, 288 Beschwerdestelle 7.2. 235, 258, 287 Beseitigung 2.12. 38; 7.1. 131 Beseitigungsanspruch 1.4. 39; 3.1. 315, 333 Besichtigung 1.4. 85 Besitz kinderpornografischer Schriften 7.3. 256 Besitzrecht 1.1. 96
Besitzrechte 2.4. 243 Besondere Regelungen für Programmkategorien 4.1. 49 Bestandsdaten 1.4. 82; 5.2. 169; 7.1. 23; 7.3. 313 Bestandsgarantie 4.1. 28 Bestandteil der Daseinsvorsorge 5.2. 1 Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ideeller 6.2. 1 Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, kommerzieller 6.2. 3, 5 Bestandteile 2.5. 49 Bestandteile, ideelle 6.1. 31 Bestandteile, kommerzielle 6.1. 29 Bestandteile, prägende 2.7. 95 Besteller 2.4. 139 Bestellvertrag 2.6. 57, 98 Bestimmtheit 1.5. 58 Bestimmtheitsgebot 7.2. 84 Bestimmungsarzneimittel 3.4. 17 Bestsellerparagraf 2.2. 197; 2.6. 258 Betätigung, gewerbliche 6.1. 52 Betätigung, berufliche 6.1. 52 Betätigung, politische 6.1. 52 Beteiligte 7.3. 56 Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel 7.3. 291 Beteiligung an den Unterlizenzgebühreneinnahmen 2.13. 271 Beteiligungssystem, dualistisches 7.3. 56 Betreffzeilen 5.1. 199 Betreiber der Internetplattform 2.3. 131 Betreiber von Plattformen für Rundfunkprogramme 4.1. 35 Betriebsgeheimnis 1.4. 92; 3.1. 365; 7.3. 141 Betriebslizenz 2.13. 119 Betriebsspionage 3.1. 368, 371; 7.3. 12 Betroffenenrecht 7.1. 12 Beugemittel 1.5. 109 Beweiskraft einer E-Mail 5.3. 24 Beweislast 4.2. 97; 6.3. 33 Beweislastverteilung 5.2. 137 Beweismaterial 7.3. 368 Beweissicherungsverfahren 1.4. 96 Beweisverwertung 1.4. 97 Beweisverwertungsverbot 7.3. 376 Bewertungsfunktionen 2.5. 107 Bewertungskriterien 7.2. 16 Bezahlprogramme 7.2. 298 Bezeichnungen, geschäftliche 2.7. 171 Bezeichnungen, lateinische 2.10. 57 Beziehung, treuhänderische 2.3. 58 Beziehungsfähigkeit 7.2. 95, 97 Bezirks- bzw. Gebietslizenz 2.13. 126 Bezug, „technischer“ 2.13. 89
1895
Stichwortverzeichnis Bibliothek, digitale 1.1. 89 Bibliothek, virtuelle 1.1. 6 Bibliotheksexemplare 7.3. 324 Big Brother 1.1. 75; 7.2. 74 BILD 6.2. 47 Bildagenturen 2.4. 25, 333 Bildaufnahmen 7.3. 126 Bildausschnitte 2.4. 55 Bildbearbeiter 2.4. 24, 63 Bildberichterstatter 2.4. 14, 253 Bildberichterstattung 2.4. 130, 133 Bilddesign 2.11. 103 Bildformate 2.2. 285 Bildhonorarempfehlungen 2.4. 145 Bildideen 2.4. 49, 296 Bildjournalisten 2.4. 14, 252 Bildkomposition 2.4. 9, 10 Bildkonzeptionen 2.4. 49, 50 Bildmotive 2.4. 52 Bildnis, verbreitet 7.3. 314 Bildnisbegriff 1.1. 47 Bildnisschutz 1.1. 47; 6.3. 1 Bildquellennachweis 2.4. 68 Bildschirmanzeigen 7.3. 54 Bildschirmausgabe 2.5. 37, 40, 41, 43, 44, 46, 48, 55, 57, 58, 76 Bildschirmdarstellungen, grafische 2.11. 105 Bildschirminhalt 2.5. 55 Bildschirmlayouts 2.11. 100 Bildschirmspielgerät 7.3. 340 Bildschirmtext 5.1. 17 Bildsprache 2.4. 48 Bildstudien 6.3. 67 Bildträger 7.3. 49, 52 Bildung, außerschulische 7.2. 129 Bildzitate 2.4. 201 Billigkeit 2.4. 156 Billigung von Straftaten 7.3. 264 Blogs 1.1. 68, 73; 3.1. 12 Bluetooth 7.2. 229 Blu-ray Disc 2.5. 3 Bogsch-Theorie 2.1. 128 Bonusmaterial 2.2. 184 Bonusmeilen 2.6. 356 Book on Demand 2.6. 130, 163, 294 Booking Agenturen 2.3. 24 Book-on-Demand 1.1. 89; 2.6. 17, 212 Boris Becker 6.2. 52 Börsenblatt des Deutschen Buchhandels 2.6. 349 Bot-Netze 5.3. 2 Boykott 3.1. 196 Boykottaufruf 3.1. 198 Branchenübung 2.4. 75, 152 Branchenverschiedenheit 2.10. 34 Breitbandinternetanschluss 2.5. 13
1896
Breitband-Internetverbindungen 3.2. 99 Breitenwirkung 4.1. 15, 16; 7.3. 15, 106 Briefbögen 2.11. 96 Briefe 6.1. 37 Briefgeheimniss 7.3. 130 Briefing 2.4. 298 British Board of Filmclassification 7.2. 167 Browser 2.5. 16 Browsergames 2.5. 16 Brüssel I-VO 5.1. 83 Brute-Force-Attacks 7.3. 136 BSI 5.3. 107 BSI-Standards 5.3. 96 Buchausgaben 2.6. 111 Buchclubausgabe 2.6. 111, 114 Buchclubs 2.6. 346 Bucheinsicht 2.6. 261 Bücher 3.2. 109, 161 Bücher, gebrauchte 2.6. 333 Buchführung, elektronische 5.3. 6 Buchgemeinschaft 2.6. 117 Buchpreisbindung 3.2. 78 Buchpreisbindungsgesetz 2.6. 321; 3.1. 14 Buchungsreglement für Fotomodelle 2.4. 20 Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik 5.3. 94 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 5.2. 181 Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit 7.1. 146 Bundesländer 6.1. 22 Bundesnachrichtendienst 5.2. 179, 181 Bundesnetzagentur 5.2. 18, 53, 181, 188; 7.1. 152 Bundesprüfstelle 2.5. 177; 7.3. 329 Bundesregierung 6.3. 93 Bundesrepublik Deutschland 6.1. 22 Bundeszentrale für politische Bildung 7.2. 129 Bürgerportale 5.3. 44 Busenmacher-Witwe 4.2. 121 Business-to-Business 1.1. 95 Business-to-Consumer 1.1. 95 buy-out 2.2. 104, 208; 2.4. 38 Buy-out-Vertrag 2.1. 197, 242 Cableversion 7.2. 200 Cache-Provider 1.4. 23 Caching 5.1. 243, 244, 245, 246, 248 Call-by-Call 3.1. 323; 5.2. 79, 158 Calling Cards 5.2. 112 Caroline von Hannover 1.3. 68 Caroline von Monaco 4.2. 35, 73 Cartridge 2.5. 33 Casting-Shows 7.2. 268 CD-Handel 2.3. 127
Stichwortverzeichnis CD-ROM 2.6. 121, 326, 329; 7.3. 51, 53, 328 Charaktere 2.5. 13, 139 Charta der Grundrechte 1.1. 16 Chaträume 2.5. 14, 107 Chat-Room 1.1. 27, 78; 7.3. 270 Chats 2.5. 168; 7.3. 53 Cheater 2.5. 134 Cicero 4.2. 25 Client-Server-Modell 7.3. 308 Client-Software 2.5. 13 Code of Conduct 7.1. 188 Codex Alimentarius 3.4. 64 Codierung 7.3. 161 Cold Calls 3.1. 297 Co-Lichtbildner 2.4. 62 Collagen 2.2. 69 com-Adessen 2.10. 60 Comity 3.2. 71 Commission de classification des œuvres cinématographiques 7.2. 302 Common Criteria 5.3. 101 CompuServe 5.1. 23 Compuserve-Urteil 7.3. 64 Computerbild 2.4. 4, 8 Computerkunst 1.1. 60 Computerprogramme 2.1. 55, 80; 2.5. 80; 2.12. 10; 2.13. 83; 7.3. 306 Computersimulation 6.3. 8 Computersoftware 1.1. 133 Computerspiele 1.1. 73; 2.5. 3, 12, 168; 7.2. 174 Computerspiel-Industrie 2.5. 18 Computertechnik 1.1. 6 Conférence Européenne des Administrations des Postes et des Télecommunications (CEPT) 5.2. 37 Consideration 2.2. 90 Contentprovider 7.3. 63, 66 Cookies 7.1. 21 Copyleft 2.1. 249 Copyright-Vermerk 2.1. 37 Corporate Design 2.11. 88, 104, 109, 118, 119 Corporate Identity 2.11. 11, 96, 104, 110, 119, 121 Corporate Sound 2.11. 119 Coverversion 2.3. 71 Creative Commons 2.1. 249 Creative Commons-Projekt 1.1. 112 crossmediale Promotion 3.2. 182 cutting 2.2. 281 Cyberspace 1.1. 2 Darbietungsbegriff 2.3. 10 Darstellung 2.2. 315; 7.3. 49, 54 Data Mining 7.1. 55
Data Warehouse 7.1. 55 Daten 2.5. 36 Daten, personenbezogene 1.1. 125; 2.5. 105; 7.1. 17 Daten, reine 2.5. 73 Daten, schlichte 2.5. 150 Daten, sensitive 7.1. 17, 63 Datenbanken 1.1. 133; 2.1. 78; 3.2. 115 Datenbank-Richtlinie 2.1. 78 Datenbankwerk 2.1. 77 Datenbesitz, schlichter 2.5. 156 Datendienste 5.2. 74, 83, 156 Dateneigenschaft, schlichte 2.5. 160 Datenerhebung 3.1. 107 Datengeheimnis 7.1. 168 Datenschutz 1.1. 47, 74, 137; 3.1. 120; 5.1. 22, 31, 70, 209 Datenschutzbeauftragter 7.1. 153 Datenschutzbestimmungen, telekommunikationsrechtliche 5.2. 162 Datenschutzerklärung 7.1. 8 Datenschutz-Richtlinie 5.2. 4 Datensicherheit 5.1. 209, 212 Datensparsamkeit 7.1. 3 Datenspeicher 7.3. 49, 53 Datenspeicherung 5.1. 209 Datenträger 2.5. 176; 2.11. 113 Datenträger, jugendgefährdend 2.5. 91 Datenverarbeitungsanlage, elektronische 2.5. 5, 35 Datenvermeidung 7.1. 3 Dauerschuldverhältnis 2.13. 16; 5.2. 94 DDoS-Attacken 5.3. 2; 7.3. 281 DDR-Altverträge 2.2. 110 de facto-Standard 3.2. 300, 320 Deal of Memo 2.2. 74, 89 DEFA-Filme 2.2. 105, 120 Defekte, technische 2.5. 167 Definitionen, gesetzliche 3.3. 15 Dreiecksverhältnis 3.1. 90 Dekompilierung 2.5. 136 deleted scenes 2.2. 184 Deliktsrecht 1.1. 131 Demonstration 6.3. 63 DENIC 3.1. 330 Desensibilisierung 7.2. 24 Design 2.11. 4 Designer 2.11. 56 Designobjekte 2.4. 187 Designprodukte, geschützte 2.11. 85 Designschutz 1.1. 41 Designschutzrechte 2.11. 13 Designvertrag 2.11. 122 Desktop-Publishing 1.1. 90 Deutsche Telekom AG 5.2. 77, 78
1897
Stichwortverzeichnis Deutscher Presserat 7.2. 286 Deutscher Werberat 7.2. 286 Dialer 5.2. 55 Dias 7.3. 54 Dienste 5.1. 37 Dienste der Informationsgesellschaft 1.3. 170; 5.1. 47 Dienste, massenkommunikative 5.1. 52 Dienste, nicht-lineare 7.2. 306, 310 Dienste, telekommunikationsgestützte 5.1. 63 Diensteanbieter 5.1. 67, 73, 224 Dienstekennzahl 5.2. 46 Dienste-Richtlinie 5.2. 2 Dienstleistung 5.1. 47; 5.2. 91 Dienstleistungen, neuartige programmbezogene 4.1. 23 Dienstleistungsfreiheit 1.3. 36 Dienstvertrag 2.5. 26 Dienstvertragsrecht 5.2. 74 Diffamierungen 7.3. 118 Differenzierungsangebot 4.1. 37 Differenzierungsgebot 2.5. 35 Digital Rights Management 2.1. 22; 5.3. 81 Digitalisierung 1.1. 29; 4.1. 78; 5.1. 6 Digitalisierung analoger Bilder 2.4. 3 Direktmarketing 1.1. 73 Dirigent 2.3. 9 Disclaimer 2.10. 3; 5.1. 104 Disketten 7.3. 53, 328 Diskriminierung 3.1. 196; 3.2. 66 Diskriminierungsverbot 3.2. 69 Diskussionsboards 2.5. 14 Diskussionsforen 7.3. 267 Dissertationsdruck 2.6. 210 Dissertationsverlag 2.6. 18 Distanzdelikte 7.3. 37 Distanzgeschäfte 5.1. 28 Distanzierung 2.5. 119; 4.2. 210 Distributionsmärkte 3.2. 87 Distributionssphäre 1.1. 81 DMCA 2.5. 135 Dokumentarspiel 2.2. 311 Domain, generische 3.1. 214 Domainbesetzung 3.1. 212 Domain-grabbing 3.1. 213 Domainname 1.1. 47; 5.1. 288; 5.2. 44 Domain-Name-Sharing 2.10. 46 Domainproviders 2.10. 81 Domains 2.7. 212 Domains als Unternehmenskennzeichen 2.10. 20 Domains an Private zum Zwecke des Weiterverkaufs 2.10. 31 Domains, ähnlichlautende 2.10. 40 Doppelbestrafungsverbot 7.3. 41
1898
Doppelerfinder 2.12. 35 Doppelfunktionalität 5.1. 83, 90 Doppelgänger 6.3. 11 Doppelnatur des Computerspiels 2.5. 79 Doppelprüfungen 7.2. 280 Doppelschöpfung 2.1. 84; 2.4. 116 Download 1.1. 84; 7.3. 308, 309 Downloaden 1.1. 140 Downloading 2.3. 126, 132 Downloadmarkt 2.3. 17 Download-Recht 2.2. 194 Downloads 7.3. 313 Download-Shops 1.1. 3; 5.3. 25 Downloadvorgang 2.3. 129 DPMA 2.7. 166 Drehbuch 2.2. 32, 45, 123, 314 Drehbuchautor 2.2. 205 Dreieckskonstellationen 3.1. 90 Drei-Stufen-Plan 1.1. 12 Drei-Stufen-Test 2.1. 132 Dringlichkeit 1.5. 69 Dringlichkeitsvermutung 3.1. 347 Drittanbieter 2.5. 134 Drittanbieternetzwerk 2.5. 135 Drittauskunftsanspruch 1.4. 72 Drittunterwerfung 4.2. 50 Drittverwertung 2.3. 111 DRM 1.1. 128, 139, 140 DRM-Systeme 2.1. 16 DRM-Techniken 3.2. 320 Droit de non paternité 2.1. 90 Druck 3.1. 78 Druckbalken-Entscheidung 1.4. 100 Drucker 2.1. 176 Druckfehler 2.6. 317, 320 Druckkostenzuschuss 2.1. 228; 2.6. 18, 132, 244 Druckschriften 7.3. 49 Druckschriften, periodische 3.1. 29, 54, 362 Druckwerk, periodisches 7.3. 378 Druckwerke 4.2. 9 Dschungel-TV 7.2. 74 DSL-Diensteanbieter 5.2. 181 DT Control 7.2. 131 Due Diligence 2.1. 104 Dummy 6.2. 52 Durchfuhr 7.3. 249 Durchführungsverordnung zu GMV 2.7. 13 Durchleitung 5.1. 239, 243 Durchschnittszuschauer 2.2. 308 Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche 3.1. 344 Durchsetzungs-Richtlinie 1.1. 11; 2.1. 29 Durchsuchung 7.3. 365
Stichwortverzeichnis Düsseldorfer Kreis 7.1. 149 Düsseldorfer Praxis 1.4. 96 DVD 2.1. 218; 2.2. 181; 7.3. 328 DVD-Produktion 2.3. 91 Ebay-Bewertungssystem 2.5. 107 E-Book 2.6. 4, 121 Echtzeiterhebung 5.2. 179 EC-Karten 7.1. 47 E-Commerce 1.1. 95 E-Commerce-Richtlinie 1.1. 145; 5.1. 24 ECRL 5.1. 24, 221, 223, 224, 225, 258, 260, 277, 295 Edutainment-Software 2.5. 93 EGG 5.1. 27 Ehebruch 6.1. 43 Ehre 7.3. 98 Ehrenrührigkeit 7.3. 98 Ehrenschutz 7.3. 97 Eigenart 2.11. 21, 70 Eigenart, wettbewerbliche 2.4. 163 Eigenart/Neuheit 2.11. 20 Eigenproduktionen 2.3. 16, 84, 87, 88 Eigentum 2.4. 39, 347 Eigentum an analogen Bildträgern 2.4. 312 Eigentum, geistiges 1.1. 125; 2.1. 6 Eigentümer, virtuelle 2.5. 151 Eigentumsbegriff 1.1. 119 Eigentumsfähigkeit 1.1. 129 Eigentumsgarantie 2.5. 32 Eigentumsrecht 1.1. 69, 96; 2.4. 175, 243, 351 Eigentumsübertragung 2.4. 312 Eigenwerbung 3.3. 77 Eigenwerbung, publizistische 6.3. 77 Eilanspruch 4.2. 58 Eilbedürftigkeit 1.5. 69 Eilkompetenz 7.3. 375 Einbeziehungsverfahren, erleichtertes 5.2. 89 Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen 3.1. 199, 200 Einfluss auf die öffentliche Meinung 4.1. 12 Einfluss, unangemessener unsachlicher 3.1. 78 Einfluss, unsachlicher 3.1. 78 Einflussnahme, interaktive 2.3. 134 Einführen 7.3. 174, 244 Einfuhrlizenz 2.13. 151 Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 1.5. 45; 3.1. 313, 367 Eingriffsverbot 5.1. 140 Einigungsstellen 3.1. 358 Einigungsverfahren 3.1. 358 Einkaufsgemeinschaften 3.2. 274 Einkommensverhältnisse 6.1. 50 Einloggen 2.5. 137 Einordnung, vertragstypologische 5.2. 71
Einräumung von Nutzungsrechten 2.13. 85 Einreden 1.4. 107 Einrichtungen, militärische 2.4. 285 Einrichtungen, wesentliche 3.2. 66, 68, 297 Einsatz von Medien 7.3. 392 Einschieben in eine fremde Serie 3.1. 190 Einschränkung des Wettbewerbs 2.13. 324, 351 Einspeisemarkt 3.2. 167, 169 Einspruch 2.12. 25 Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung 1.5. 113 Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle 2.12. 52 Eintragungshindernis: Fehlen der Unterscheidungskraft 2.7. 48 Eintragungshindernis: Merkmalsbeschreibende Angaben 2.7. 43 Eintragungshindernis: Übliche Bezeichnungen 2.7. 46 Eintragungshindernisse hinsichtlich der Form der Ware 2.7. 58 Eintragungshindernisse, absolute 2.7. 31 Eintragungshindernisse, relative 2.7. 62 Eintragungshindernisse: Bösgläubige Markenanmeldung 2.7. 59 Eintragungsverfahren 2.7. 162 Einwendungen 1.4. 107 Einwendungen, kartellrechtliche 1.4. 111 Einwilligung 2.2. 341; 6.3. 22; 7.1. 51; 7.3. 300, 304 Einwilligungsfähigkeit 7.1. 114 Einwirken 7.3. 189 Einwirkung auf Bundeswehr, verfassungsfeindliche 7.3. 187 Einzelbestandteil 2.5. 48 Einzelelement 2.5. 49 Einzelfall 5.2. 66 Einzelfreistellung 2.13. 346 Einzelprüfer 7.2. 278 Einzelprüfung 7.2. 161 Einzelumstände 2.10. 69 Einzelverbindungsnachweise 7.1. 85 Einzelzuständigkeiten 5.2. 18 Einzelzuteilung 5.2. 40 Einziehung 7.3. 88, 58, 377 Electronic Publishing 2.6. 121 elektronische Programmführer 4.1. 34 Elemente, dienstvertragliche 5.2. 71 Elemente, mietvertragliche 5.2. 71 Elemente, werkvertragliche 5.2. 71 ElGVG 5.1. 30 Eltern 6.1. 10 E-Mail 3.1. 290, 311; 5.1. 195, 196, 199; 7.3. 53, 258, 270, 274, 278, E-Mail-Diensteanbieter 5.2. 181
1899
Stichwortverzeichnis E-Mail-Übertragung 5.1. 40 E-Mail-Werbung 3.1. 43, 68, 119, 308; 5.1. 191 Embleme 2.7. 60 empfangsbedürftige Willenserklärung 5.2. 104 Empfangsbekenntnis 1.5. 90 Empfehlungsverbot 3.4. 77 Endabnehmer 7.3. 295 Endgeräte-Richtlinie 5.2. 2 Endkunden 5.2. 172 Endkundenentgelte 5.2. 129 Endkundenmarkt 3.2. 167, 168 Endleistungsbereich 5.2. 26 Enforcement-Richtlinie 1.4. 2; 5.1. 33 Entfernung 5.1. 277 Entfernungsanspruch 1.4. 50 Entgelt 5.2. 95, 103, 105, 146 Entgeltforderungen, überhöhte 5.2. 93 Entgeltregulierung 5.2. 24 Enthaltungspflicht 2.1. 200; 2.6. 230, 306 Enthaltungspflicht des Verfassers 2.6. 228 Enthemmung 7.2. 72 Entlohnung 6.3. 27 Entpersönlichung 7.2. 203 Entschädigungsanspruch 2.12. 42 Entschädigungslizenz 2.4. 144 Entscheidungs- und Erstattungsregelungen 5.2. 100 Entscheidungsfreiheit 3.1. 78 Entstehung des Markenrechts 2.7. 20 Entstehung des Titelschutzes 2.7. 183 Entstehung des Unternehmenskennzeichens 2.7. 172 Entstellung 2.1. 104 Entstellungsverbot 2.4. 76 Entwerfer 2.11. 56 Entwicklung der Medienmärkte 4.1. 23 Entwicklungsaufgaben 7.2. 49 Entwicklungsbeeinträchtigung 7.2. 13 Entwicklungsgarantie 4.1. 28 Entwicklungsgefährdung 7.2. 13 Entwicklungspsychologie 7.2. 18 Entwicklungsstand 7.2. 47 Entwürfe 2.1. 57 Entwurfstätigkeit, gemeinsame 2.11. 58 Enzyklopädien 2.6. 66 E-Proteste 7.3. 280, 282 Erben 6.2. 2 Ereignis, schädigendes 5.1. 88 Erfindung 1.1. 115; 2.12. 2; 2.13. 50 Erfindungen, technische 1.1. 44 Erfindungsgeheimnis 1.4. 92 Erfolgsdelikte 7.3. 38 Erfolgsort 2.5. 111; 3.1. 357; 5.1. 89, 91, 98, 101, 105; 7.3. 33, 37, 38 Erfordernisse für Titelschutz 2.8. 34
1900
Ergreifungsort 7.3. 47 Erinnerungswerbung 3.4. 35 Erkennbarkeit 6.3. 5 Erkennbarkeitsgebot 3.3. 33 Erkennungsmelodien 2.3. 114 Erlaubnisvorbehalt 5.2. 36 Ermächtigung 1.4. 8 Ermittlung des Durchschnittsbetrages 5.2. 138 Ermittlungsverfahren 4.2. 190, 192 Erniedrigung 7.2. 69 Erotikfilme 7.2. 199, 200 Erpressung 7.3. 144 Erreichbarkeit, unmittelbare 5.1. 184 Errichtung eigener Netzinfrastrukturen 5.2. 60 Ersatz des immateriellen Schadens 2.4. 154 Ersatzteil 2.7. 131 Erscheinungsform 2.13. 104; 7.3. 1 Erscheinungsort 7.3. 45 Erscheinungstermin 2.6. 161, 162, 206, 207, 224, 345 Erschöpfung 1.3. 208; 2.4. 189, 238; 2.5. 23, 157; 2.7. 135; 3.1. 191; 3.2. 140 Erschöpfungsgrundsatz 2.1. 112 Erstausgabe 2.6. 115, 153, 206 Erstbegehung 4.2. 49 Erstbegehungsgefahr 1.4. 37; 1.5. 37; 3.1. 318, 320; 5.1. 269 Erstveröffentlichung 2.4. 70 Erstveröffentlichungsrecht 2.4. 155 Erstverwertungsrecht 2.3. 110 Erteilungsverfahren 2.12. 20 Erweiterungspakete 2.5. 13 Erwerb kinderpornografischer Schriften 7.3. 256 Erwerb von Nutzungsrechten, gutgläubiger 2.1. 201 Erzeugnispatent 2.12. 8 Erzeugnisse 2.11. 16 Erzeugnisse, lichtbildähnliche 2.4. 5, 40 Erzieherklausel 7.3. 338 Erzieherprivileg 7.2. 101; 7.3. 250 Erziehungsbild 7.2. 20 Erziehungsrecht, elterliches 7.2. 4 Erziehungsverantwortung 7.2. 125 E-Sport 2.5. 1 E-Sportler 2.5. 1 essential facility-Doktrin 3.2. 7, 9, 68, 192, 204, 207, 208, 209, 218, 297, 301 essential facility-Rechtsprechung 3.2. 306 Etiketten 2.11. 94, 95 EULA 2.5. 24 Europäische Fernseh-Richtlinie 7.2. 305 Europäische Kommission 5.2. 2 Evergreen-Klausel 2.13. 136
Stichwortverzeichnis executive producer 2.2. 60, 224 Exemplare, remittierte 2.6. 248 Exemplare, verramschte 2.6. 248 Existenzgründer 3.1. 102 Exklusivlizenz 2.13. 25 Exklusivrecht 2.2. 336 Exklusivverhältnis 2.3. 22 Exklusivvertrag 2.2. 336; 6.3. 82 Exportbeschränkung, mittelbare 2.13. 130 Exposé 2.2. 32, 128, 206; 2.6. 34, 47, 52, 60, 78, 102, 181 Fabel 2.6. 76 Fahndungsfotos 2.4. 128 Fahrlässigkeit 3.1. 335; 7.3. 337 Fairnessausgleich 2.1. 230 Fakturierung 5.2. 117 Fall Jason 7.3. 230 Fall Ossietzky 7.3. 197 Fall, gesetzlich zugelassener 7.3. 300, 303 Fallgruppe 3.1. 7 Fälligkeit 2.13. 247 Fälschung, landesverräterische 7.3. 207 Familie 6.1. 11, 49 Faxgeräte 3.1. 290 Faxkarten-Entscheidung 1.4. 86, 100 Faxwerbung 3.1. 289, 308 Fehlverhalten anderer Teilnehmer 2.5. 167 Fernabsatz 2.5. 28; 5.1. 28, 188, 204 Fernabsatzgeschäfte 5.2. 90 Fernkommunikationsmittel 3.1. 119 Fernmeldegeheimnis 1.4. 82; 5.2. 162; 7.3. 142 Fernsehanstalten 2.3. 84 Fernsehdesign 2.11. 104 Fernsehen 3.2. 166 Fernsehen, mobiles 7.2. 306 Fernsehen, öffentlich-rechtliches 7.2. 220 Fernsehfilme 2.2. 269 Fernsehindustrie 1.1. 63 Fernsehproduktionen 2.3. 84 Fernsehprogramm 2.2. 23 Fernsehrichtlinie(FsRi) 1.3. 41, 135; 4.1. 116 Fernsehsender 2.2. 131 Fernsehserien 7.2. 161, 212, 280, 282 Fernsehshowformate 2.3. 1, 138 Fernsehwerbung 1.1. 31 Festplatten 7.3. 53 Festpreisproduktion 2.2. 62 Feststellungsinteresse 1.5. 48 Feststellungsklage 1.5. 108 Feststellungsklage, negative 1.5. 46, 47 Feststellungsurteil 1.5. 108 Figuren 2.5. 67, 158 Fiktivfilme 2.2. 310
Filesharing 1.1. 110 Filmberichte 7.3. 358 Filmdesign 2.11. 106 Filme, fremdsprachige 7.2. 155 Filmfonds 2.2. 57, 63 Filmförderung 1.3. 8, 84, 201 Filmfreiheit 7.3. 29 Filmherstellerschutz 2.5. 40 Filmherstellungsrecht 2.3. 57, 83 Filmindustrie 1.1. 63 Filmmusik 2.2. 46; 2.3. 79 Filmmusiklizenzverträge 2.2. 143 Filmmusikverträge 2.3. 57 Filmproduzenten 2.1. 32 Filmsequenzen 2.5. 41 Filmurheber 2.2. 43 Filmverleih 2.2. 167 Filmverleiher 7.2. 136 Filmvertrieb 2.2. 167 Filmvorführung, öffentliche 7.2. 117 Filmvorführungen in Flugzeugen 7.2. 118 Filmwerk 2.1. 182; 2.5. 42; 7.3. 298 Filmwerkschutz 2.5. 40, 45 Filmwirtschaft 7.2. 141 Filsharing-Software 1.1. 25 Filter 5.1. 229, 230 Filtersoftware 1.4. 16; 2.5. 117 Filterverfahren 5.1. 284 Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 4.1. 106 Fingerabdruck, digitaler 5.3. 83 first come, first served 2.10. 44 Flat Rates 7.1. 25 Fliegender Gerichtsstand 3.1. 357 Flyer 2.11. 96 Folgerechtsvergütung 2.4. 121 Food-Stylisten 2.4. 22 Foren 2.5. 107, 168; 5.1. 219 Form des Zugangs 5.2. 68 Formalbeleidigung 3.1. 163; 4.2. 104; 7.3. 99, 104 Formate 2.11. 79, 81 Formenschatz, vorbekannter 2.11. 21 Formenschutz 2.1. 61 Formgebungen 1.1. 101 Formularklausel 2.2. 128 Formularverträge 2.2. 104; 2.6. 116, 122, 179, 226 Forschungsaufträge 2.13. 105 Fortsetzung 2.1. 83 Foto 6.3. 4 Fotoagenten 2.4. 16 Fotoapparat 2.5. 55 Fotoassistent 2.4. 21, 62 Fotoaufnahmen 7.3. 386
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Stichwortverzeichnis Fotodesigner 2.4. 13 Fotografen 2.4. 11 Fotografie 2.4. 1; 6.3. 67 Fotografie, analoge 2.4. 1 Fotografie, digitale 2.4. 2 Fotografie, gemeinfreie 2.4. 44 Fotografieren 2.5. 57 Fotografierverbote, gesetzliche 2.4. 284 Fotografieverbot 2.4. 251 Fotografische Abbildung geschützter Werke 2.4. 188 Fotomarkt 2.4. 11 Fotomodell 2.4. 18, 64, 313 Fotomontage 4.2. 57 Fotoproduktionsverträge 2.4. 293 Fotoproduzenten 2.4. 11 Fotorecht 2.4. Fotos 7.3. 54 Frauenrolle 7.2. 12 Freakshow 7.2. 54 Free Culture 1.1. 112 Free-TV 2.2. 187 Freeware 7.3. 309 Freiexemplare 2.6. 134, 262 Freigabeerklärung 2.4. 20 Freigabekarte 7.2. 146 Freigabeverfahren 2.5. 102 Freihaltebedürfnis 2.11. 107 Freihaltebedürfnis der Mitbewerber 2.10. 39 Freiheit der Bildberichterstattung 2.4. 270 Freilizenz 2.13. 44 Freischaltung gesperrter Rufnummernbereiche 5.2. 103 Freistellungsklausel 2.1. 245; 2.2. 219 Freistellungsregelung 2.2. 228 Frequenzbereichszuweisungsplan 5.2. 37 Frequenzhandel 5.2. 42 Frequenzharmonisierung 4.1. 114 Frequenznutzungsplan 5.2. 37 Frequenzoberverwaltung 4.1. 79 Frequenzzuteilungsakt 5.2. 36 Freunde 6.1. 49 Friedensverrat 7.3. 183 Fristen 4.2. 179 Fristverlängerungen 5.2. 91 FSK 2.2. 282 FTP-Dienst 7.3. 53 Führerscheinprinzip 1.3. 145 Fundamentalkonzeption 2.2. 261 Funktion des Designs 2.11. 8 Funktion von Kennzeichenrechten 2.7. 2 Funktionsarzneimittel 3.4. 18 Funktionsauftrag 4.1. 28 Fusion 3.2. 46 Fusionskontrolle 3.2. 18, 39, 40, 266
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Fusionskontrolle, europäische 3.2. 158, 159 Fusionskontrollverordnung 3.2. 39 Galerie 1.1. 79; 2.4. 31, 349 Gameboy 2.5. 7 Gamecube 2.5. 7 Game-Engine 2.5. 31 Gamepad 2.5. 5 Garantenpflicht 7.3. 72 Garantie, institutionelle 7.3. 20, 23 Garantieerklärung 2.13. 233 Garantiefunktion 2.7. 3 Garantiehonorar 2.6. 145 Garantienpflicht 7.3. 60 Garantieübernahme 2.13. 167 Gastspielvertrag 2.3. 39 GATS-Abkommen 1.3. 105 GATT-Abkommen 1.3. 105 Gattungsbegriffe 2.10. 47 Gattungsbezeichnung 2.7. 158 Gebietsbezeichnungen 2.10. 9 Gebrauch, markenmäßiger 2.4. 234 Gebrauch, privater 2.1. 142; 2.4. 138; 7.3. 309 Gebrauchsmuster 2.13. 59 Gebrauchsmusterrecht 3.1. 14 Gebrauchswert 1.1. 26 Gebrauchswertsteigerung 2.5. 123 Gebühren 5.2. 34, 50 Gebührenfinanzierung 1.3. 82 Geeignetheit 5.1. 288 Gefährdungsdelikte, abstrakte 7.3. 38 Gefährdungsdelikte, konkrete 7.3. 38 Gefährdungsdelikte, potenzielle 7.3. 38 Gefährdungshaftung 2.6. 318 Gefahrenquelle 5.1. 263, 264, 265 Gefühle 4.2. 95 Gefühlsmanagement 7.2. 46 Gegenabmahnung 1.5. 45 Gegendarstellung 4.2. 55; 5.1. 214; 7.1. 133 Gegendarstellungsanspruch 1.4. 1 Gegendarstellungsrecht 7.3. 324 Gegenstand des Gebrauchsmusters 2.12. 43 Gegenstand des Lizenzvertrages 2.13. 47 Gegenstände 2.5. 31 Gegenstände, virtuelle 2.5. 146 Gegenstandswert 1.5. 56; 3.1. 351 Geheimhaltungsvereinbarungen 2.13. 305 Geheimnis 7.3. 140 Geheimnisbegriff, formeller 7.3. 198 Geheimnisbegriff, materieller 7.3. 198 Geheimnishehlerei 3.1. 372 Geheimnisschutz 1.1. 121, 133 Geheimnisse 7.3. 205 Geheimnisverrat 3.1. 368, 369 Geheimnisverwertung 3.1. 368
Stichwortverzeichnis Geheimsphäre 6.1. 37 Geheimwettbewerb 3.2. 271, 273 Gehilfe 2.1. 74; 3.1. 329; 7.3. 275 Gehilfenhaftung 5.1. 270 Gelangenlassen 7.3. 178, 203 Geldentschädigung 1.4. 52, 61; 6.2. 6 Geldentschädigungsanspruch, immaterieller 6.2. 6 Geldentschädigungsbeträge für immaterielle Schäden 4.2. 71 Geld-zurück-Garantie 3.1. 132 Geltendmachung von Ansprüchen, missbräuchliche 3.1. 334 Geltungsbereich 5.1. 31 GEMA 2.2. 139, 141, 173, 183; 2.3. 8, 29, 58, 115, 129, 135 GEMA freie Musik 2.3. 8 GEMA-Ausschüttung 2.3. 18 Gemälde 7.3. 54 GEMA-Lizenz 2.3. 74 GEMA-Rechte 2.3. 43 GEMA-Vermutung 2.3. 62 GEMA-Wahrnehmung 2.3. 63 GEMA-Zuschlag 1.4. 58 Gemeineigentum 1.1. 132 Gemeinfreiheit 1.1. 123; 2.5. 58 Gemeinkostenanteil 1.4. 55 Gemeinschaftsgeschmacksmuster, eingetragene 2.11. 53 Gemeinschaftsgeschmacksmuster, nicht eingetragene 2.11. 54 Gemeinschaftsliste 3.4. 75 Gemeinschaftsmarken 2.7. 163 Gemeinschaftsmarkenverordnung 2.7. 13 Gemeinschaftsverlag 2.6. 33 Genehmigungs-Richtlinie 5.2. 3, 4 Generalklausel 3.1. 7, 28, 314 Generalklausel, wettbewerbsrechtliche 3.1. 32 Genrekenntnis 7.2. 45 Geolocation 5.1. 8 Geräteabgabe 2.1. 171 Geräuscheffekte 2.5. 31 Gerechtigkeitstheorie 1.1. 128 Gerichtshows 7.2. 79, 268 Gerichtssiegel 1.5. 85 Gerichtsstand 7.3. 43 Gerichtsstand des Begehungsortes 3.1. 357 Gerichtsstand, fliegender 5.1. 112 Gerichtsstände, besondere 5.1. 85 Gerichtsstandklausel 2.5. 112 Gerichtsverfahren 4.2. 107, 190; 5.1. 84 Gerichtsverhandlungen 2.4. 284; 7.3. 211 Gerichtsvollzieherverteilerstelle 1.5. 89 Gerichtszuständigkeit 1.5. 50
Gerüchte 4.2. 85 Gesamtausgabe 2.6. 231 Gesamteindruck des informierten Benutzers 2.11. 26 Gesamteindruck des Musters 2.11. 21 Gesamtkontext 7.2. 36 Gesamtrechnung 5.2. 116 Geschäft, gewagtes 2.13. 205 Geschäfte 2.5. 14 Geschäftsanmaßung 1.4. 63 Geschäftsbedingungen, allgemeine 2.6. 88, 120, 171; 5.2. 29 Geschäftsbriefe 5.1. 188, 201 Geschäftsehrverletzung 3.1. 160 Geschäftsführung ohne Auftrag 1.5. 21; 3.1. 346 Geschäftsgeheimnis 1.4. 92; 3.1. 365; 7.3. 141 Geschäftskunden 5.2. 172 Geschäftsmäßigkeit (§ 5 Abs 1 TMG) 5.1. 174 Geschäftsmodell 1.1. 69 Geschäftspraktik 3.1. 63 Geschäftsverkehr, elektronischer 5.1. 24 Geschäftsverweigerung 3.2. 201 Geschehensabläufe 2.5. 43 Geschenke 3.1. 131 Geschichte 2.5. 12, 70; 7.3. 234 Geschicklichkeitsspiele 7.3. 285 Geschlechterbild 7.2. 58, 61 Geschlechteridentität 7.2. 62 Geschlechterrolle 7.2. 51, 52 Geschlechterverhältnis 7.2. 69 Geschlechtsorgane 7.2. 93 geschlechtsreif 7.2. 51 Geschmacksmuster 2.11. 47; 2.13. 79 Geschmacksmusterrecht 1.1. 115; 2.4. 224; 2.5. 157; 3.1. 14 Geschmacksmusterschutz, europäischer 2.11. 53 Geschmacksmusterschutz, internationaler 2.11. 55 Gesetzgebungskompetenz 1.2. 20; 1.3. 121; 5.1. 12 Gestaltungselemente, funktionsgebundene 2.11. 74 Gestaltungsfreiheit 2.4. 298, 326 Gestaltungsfreiheit, künstlerische 2.4. 298, 326 Gestaltungshinweis 5.1. 207 Gestaltungshöhe 2.1. 49; 2.5. 38; 2.6. 74, 78; 7.3. 298 Gestaltungskonzept 2.4. 162 Gestattungsvertrag 2.2. 335 Gewährleistung für Mängel 2.13. 202 Gewährleistungsrecht 2.5. 27
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Stichwortverzeichnis Gewährzeichen 2.7. 60 Gewalt 3.1. 99 Gewalt, grundlose 7.2. 309 Gewalt, sitzungspolizeiliche 7.3. 386 Gewaltbereitschaft 7.2. 27, 38 Gewaltdarstellung 7.2. 11; 7.3. 230 Gewaltmonopol 7.2. 41 Gewaltmuster 7.2. 24 Gewaltpornografie 7.2. 69, 70 Gewerbefreiheit 3.1. 7 Gewinn, entgangener 1.4. 52; 3.1. 336 Gewinnabschöpfung 2.13. 3 Gewinnabschöpfungsanspruch 1.4. 1; 3.1. 29, 340 Gewinnspiel 3.1. 88, 93, 144, 155, 301 Gewinnung von Lesern, Abonnenten, Hörern oder Zuschauern 3.1. 54 Gewöhnungseffekt 7.2. 24 Ghostwriting 2.1. 91 Glaubhaftmachung 1.5. 72 Glaubhaftmachungsmittel 1.5. 74 Gläubiger wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche 3.1. 322 Gleichberechtigung 7.2. 58 Globalisierung 1.1. 2 Globalisierung von Medienunternehmen 3.2. 72 Glücksspiel 3.1. 147; 7.3. 13, 284 GnuPG 5.3. 30 Gnutella 7.3. 310 Goldfarmen 2.5. 142 Google 1.1. 43; 2.1. 56 Google Earth 2.4. 269 Graffiti 2.1. 92 Grafikdateien 2.5. 31, 73, 76 Grafikeffekte 2.5. 10 Grafiken 2.5. 36, 129 Grafik-Engine 2.5. 31 Grafikleistung 2.5. 19 Grafische Darstellbarkeit 2.7. 27 Gratisexemplare 2.6. 355 Gratiszeitung 3.1. 216 Grenze, zeitliche 4.2. 178 Grenzen 5.2. 145 Grenzen, gesetzliche 5.2. 30 Grenzen, zusätzliche 5.2. 30 Großkundenentgelt 5.2. 129 Grund- sowie Verbindungsentgelte 5.2. 109 Grundfreiheiten 1.3. 17 Grundgesetz 7.3. 14 Grundprinzipien des Medienrechts 1.2. 8 Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit 1.4. 84 Grundrechte 1.3. 33; 3.1. 94; 7.3. 14 Grundrechtecharta (GRC) 4.1. 98
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Grundrechtseinschränkung 4.1. 25 Grundrechtsschutz 4.2. 81 Grundrechtsschutz, prozeduraler 4.1. 26 Grundsatz der Formfreiheit 2.1. 34 Grundsatz der Privatautonomie 5.2. 30, 75 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1.1. 137 Grundsatz des bestimmungsgemäßen Abrufs 2.10. 2 Grundsatzkommission 7.2. 141 Grundstücke, private 5.2. 63 Grundversorgung 1.1. 146; 4.1. 28 Gruppenfreistellungsverordnung 2.13. 332, 346, 362; 3.2. 34, 276, 133 Gruppierungen 6.1. 11 Guilds, amerikanische 2.2. 202 Gutachtenwerbung 3.4. 30 Güter, immaterielle 1.1. 59, 99 Güteräbwägung 6.2. 69 Gütesiegel 7.1. 169 Guthabenkarte 5.2. 112 GVL 2.3. 12, 35, 39, 109, 129, 135 GVO-Vertikal 3.2. 37, 264 H.I.V. POSITIVE 3.1. 96 Habitualisierungsthese 7.2. 24 HABM 2.7. 163, 164 Hacking 7.3. 135, 276 Haftentlassung 4.2. 178 Haftung 5.1. 22 Haftung der Medienverantwortlichen und Dienstebetreiber 3.1. 331 Haftung des Internetforumbetreibers 1.1. 73 Haftung für Mängel 2.13. 202 Haftung für wirtschaftliche Verwertbarkeit 2.13. 232 Haftung, täterschaftliche 5.1. 264 Haftungsprivileg der Diensteanbieter 3.1. 332 Haftungsprivileg für den Herausgeber periodischer Druckschriften 3.1. 332 Haftungsprivilegien 5.1. 72, 280 Haftungsprivilegierung 5.1. 227 Haftungsregelungen 1.1. 70 Haftungsrisiko 2.5. 113 Halten 7.3. 288 Hamburger Brauch 1.5. 12 Handbücher 2.5. 39 Handel mit UMTS-Lizenzen 5.2. 42 Handel, elektronischer 5.1. 28 Handelsauskunfteien 7.1. 53 Handelsnamen 2.7. 128 Handelsunterlagen 1.4. 102 Handelsvertretervertrag 2.6. 41 Handlungen, alltägliche 6.3. 53 Handlungen, belästigende 7.3. 348
Stichwortverzeichnis Handlungen, grob anstößige 7.3. 348 Handlungen, unerlaubte 5.1. 87, 121 Handlungsort 2.5. 110; 3.1. 357; 5.1. 89, 91, 93, 122; 7.3. 33, 35, 37 Handshake-SMS 5.2. 95 Handwerkskammern 3.1. 322, 326, 338 Handy 7.2. 228 Handy-Klingelton 2.1. 218; 3.1. 105 Handylautsprecher 2.3. 120 Handymarkt 1.1. 31 Handy-Spiele 2.5. 4 Handy-TV 7.2. 306 Happy Slapping 7.2. 229 Hardcore-Beschränkung 3.2. 29 Hardcover 2.6. 111, 140, 154, 233 Hardcoverprogramm 2.6. 138 Hardwarehersteller 2.5. 19 Harmonisierung 1.1. 2; 5.1. 221, 223 Harmonisierung der Rechtsdurchsetzung 1.3. 285 Harmonisierung des Rechts 1.1. 140 Harmonisierung des Urheberrechts 1.3. 209 Harmonisierung gewerblicher Schutzrechte 1.3. 271 Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt 2.7. 163 Hash-Wert 5.3. 27 Hauptleistungspflichten 5.2. 96, 97 Hauptpflicht des Anbieters 5.2. 98 Hauptrecht 2.6. 109, 113 Hauptsacheverfahren 1.5. 106 Hauptverhandlung 4.2. 201 Hausfriedensbruch 7.3. 151 Hausordnung 2.5. 169 Hausrecht 1.1. 131; 2.5. 168 Hausrecht, virtuelles 1.1. 96 HDR-Fotografie 2.4. 14 Heidelberg-Entscheidung 2.10. 76 Heiratsabsichten 6.1. 49 Hemmung der Verjährung 2.13. 262; 3.1. 358 Herabsetzung 3.1. 162, 286 Herabsetzung von Mitbewerbern 3.1. 158 Herausgabe des Verletzergewinns 1.4. 52 Herausgabe von Kundendaten 7.3. 313 Herausgabeanspruch gegen die Wettbewerbsverbände 3.1. 338 Herausgebervertrag 2.6. 9 Herkunftsangaben mit besonderem Ruf, einfache 2.7. 226 Herkunftsangaben mit besonderem Ruf, qualifizierte 2.7. 226 Herkunftsangaben, geografische 2.7. 224 Herkunftsfunktion 2.7. 3 Herkunftslandprinzip 1.3. 207; 5.1. 27, 80, 134; 7.2. 306
Herkunftstäuschung 2.4. 165; 3.1. 185 Herstellen 7.3. 127, 168, 248 Herstellung 7.3. 358 Herstellungslizenz 2.13. 147 Herstellungsvorrichtungen 7.3. 91 Hilfspersonen 7.3. 359 Hintergrundmusik 2.3. 102 Hinweispflicht 1.5. 76 Hirnforschung 7.2. 18 Hitlergruß 7.3. 35, 225 Höchstmenge 2.13. 157 Hochzeit 6.3. 64 Homepage 1.1. 96; 2.4. 205; 6.3. 20 Homeshopping-Angebote 1.1. 77 Hörbuch 2.6. 3, 121, 255, 329 Hörfunkmärkte 3.2. 132 Hörmarke 2.3. 121 Horrorfilme 7.2. 45 Hosting 5.1. 249 Host-Provider 1.4. 23; 7.3. 63, 70 Hotelfernsehen 2.1. 123 Hufeland 2.10. 45 Hyperlink 1.4. 17; 2.1. 159; 3.1. 125, 330; 5.1. 287, 290, 294; 7.3. 72 Ich-Gefühl 7.2. 51 Icons 2.11. 113 Ideen 2.5. 50; 2.6. 75, 78 Ideenschutz 2.4. 51 Identifikationsangebote 7.2. 30 Identifikationsfiguren 7.2. 75 Identifikationspflichten 5.1. 205 Identifizierbarkeit 4.2. 164 Identität der Muster 2.11. 29 Identitätsentwicklung 7.2. 49, 55 Identitätsmanagement-Systeme 5.3. 44 Identitätsschutz 2.7. 67, 74 Imagemaßnahmen 3.1. 131 Imagewerbung 3.4. 5; 6.2. 51 Immaterialgüterrecht 1.1. 102, 119; 3.2. 134, 191, 192, 196, 307, 308 Impressum 5.1. 181; 7.3. 323, 324 Impressumpflicht 3.1. 11, 231 IMS Health 3.2. 6, 7, 9, 191, 297, 298, 306 In-camera-Verfahren 1.4. 93 Index 7.2. 105 Individualisierungssystem, computergesteuertes 1.1. 7 Individualität 1.1. 131; 2.5. 40 Individualkommunikation 1.1. 38, 77; 4.1. 60 Individualsoftware 5.3. 72 indiziert 2.5. 102 Indizierung 2.5. 177; 7.2. 106 Industrie- und Handelskammern 3.1. 322, 326, 338, 358
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Stichwortverzeichnis Industriedesign 2.11. 14 Industriestandard 1.4. 111 Informanten 4.2. 204; 7.3. 361 Information als Zeichen 1.1. 138 Informationen 2.1. 61; 5.2. 56 Informationen zur Rechtewahrnehmung 2.4. 159 Informationen, eigene 5.1. 260, 261, 262 Informationen, fremde 5.1. 227, 261, 262 Informationen, zu eigen gemachte 5.1. 257 Informations- und Kommunikationstechnologie 1.1. 3 Informationsangebote 5.1. 39 Informationsaustausch 3.2. 271 Informationsdienste, elektronische 5.1. 34 Informationsfreiheit 1.1. 140; 1.3. 57, 108; 5.1. 219, 288; 7.3. 19 Informationsfreiheitsgesetz 1.1. 126 Informationsfunktion 2.11. 11 Informationsgehalt, meinungsbildender 6.2. 63 Informationsgesellschaft 1.1. 84, 122; 2.1. 1 Informationsgesellschafts-Richtlinie 2.1. 9, 28 Informationsgewinnung 7.3. 21 Informationsindustrie 1.1. 87 Informationsinteresse 2.2. 319; 6.3. 40, 51 Informationsinteresse, allgemeines 2.2. 337 Informationsinteresse, öffentliches 1.1. 49 Informationspflicht 2.13. 175; 5.1. 22, 24, 31, 69, 159, 160, 167, 202, 203, 204, 205; 7.3. 119 Informationspflichten iSd § 312c Abs 2 S 1 Nr 2 5.2. 90 Informationsrecht 1.1. 123, 127 Informationsrecht der Presse 7.3. 395 Informations-Sicherheits-Management 5.3. 6, 99 Informationsträger 1.1. 140 Informationswert 2.4. 272 Informationszugang 5.1. 219 In-Game-Advertising 2.5. 84 Ingebrauchnahme, titelmäßige 2.7. 187 Inhalt 5.2. 52 Inhalt der Lizenz 2.13. 21 Inhalt des Zeugnisverweigerungsrechts 7.3. 361 Inhalte Dritter 5.1. 217 Inhalte im Internet, kostenpflichtige 3.2. 283 Inhalte, dynamische 2.5. 102 Inhalte, eigene 5.1. 256 Inhalte, fremde 5.1. 256, 259 Inhalte, rechtswidrige 2.5. 117 Inhaltsanbieter 2.3. 130 Inhaltsdaten 7.1. 28 Inhaltsdelikte 7.3. 10, 89 Inhaltsgleichheit 7.2. 183 Inhaltskontrolle 2.1. 241
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Ini-Dateien 2.5. 130 Inkasso 5.2. 117 Inkassoprovision 2.6. 42 Inlandsrelevanz 5.1. 101 Innovation 1.1. 119; 3.2. 3, 191 Innovationsschutz 1.1. 129 Insolvenz des Lizenzgebers 2.13. 381 Insolvenz des Lizenznehmers 2.13. 391 Installationsanleitung 2.5. 27 Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) 7.2. 129 Institutionsökonomik 1.1. 128 Instrumentalisten 2.3. 9 Integrität 5.3. 30 Integrität informationstechnischer Systeme 1.4. 84 Interaktivität 2.5. 3 Interesse der Kunst, höheres 6.3. 67 Interessen, berechtigte 6.3. 71 Interessenabwägung 6.2. 69; 6.3. 37 Interessenkonflikt 3.1. 90 International Telecommunication Union (ITU) 5.2. 37 Internationale Dimension 2.5. 141 Internationalisierung des Wettbewerbsrechts 3.2. 70, 71 Internet 4.2. 11; 6.3. 107; 7.3. 8, 157, 159, 242, 247, 252, 257, 258, 265, 284, 295, 307 Internet als Informationskanal 1.1. 94 Internet als Werbemedium 1.1. 42 Internet Telefonie 5.1. 41 Internet-Access-Provider 7.1. 80 Internetauktionshäuser 1.4. 10 Internetbereich 3.2. 263 Internetbuchhandel 2.6. 214 Internet-by-Call 5.2. 74 Internet-Café 2.5. 178; 5.1. 242 Internetdesign 2.11. 111 Internetdirektvertrieb 2.6. 315 Internetdomains 1.1. 129 Internetforum 1.4. 10; 4.2. 222 Internetfreiheit 7.3. 27 Internetindustrie 1.1. 62 Internetmärkte 3.2. 229 Internetökonomie 3.2. 219, 220, 228, 229, 263, 291, 297, 302, 309 Internetprovider 1.4. 14 Internetradio 1.1. 73, 136; 2.1. 127; 2.3. 134; 4.1. 73 Internetseiten 7.3. 53 Internetshop 1.1. 96 Internet-TV 2.2. 192 Internetwerbung 3.2. 264 Internet-Zugang 5.1. 40 Internetzugangsmärkte 3.2. 235, 251
Stichwortverzeichnis Interoperabilität 2.1. 24; 3.2. 300 Interoperabilität elektronischer Kommunikationsdienste 5.2. 65 Interpretation 2.3. 73 Interviews 4.2. 218 Intimsphäre 2.2. 319; 2.4. 255; 6.1. 39; 6.3. 83; 7.3. 127 Intranet, passwortgeschütztes 4.1. 66 Intro 2.5. 41 Inverkehrbringen der Ware 2.7. 138 Inverwahrungnahme 1.5. 8 Investition 1.1. 119; 3.2. 3 Investitionenschutz 2.11. 119 Investitionsschutz 1.1. 132; 2.1. 31 IP-Adresse 5.2. 182; 7.1. 20; 7.3. 313 IPTV 2.1. 16; 3.2. 103, 131; 4.1. 63 Irreführung 2.5. 126; 3.1. 234 Irreführungsverbot 3.1. 133, 234 Irrtum 7.3. 206, 251 Items 2.5. 139 IT-Grundschutzhandbuch 5.3. 94 IT-Grundschutzkataloge 5.3. 94 IT-Sicherheit 1.1. 44; 5.3. 16 ITunes 2.3. 127 IuKDG 5.1. 19 IuK-Dienste 5.1. 34 Jack Ass 7.2. 54 Jazzmusiker 2.3. 12 Jingles 2.3. 114 Joschka Fischer 6.2. 54 Journalismus, investigativer 7.3. 21, 75, 145, 155 Joystick 2.5. 5 Jugendamt 7.2. 108 Jugendforschung 7.2. 60 Jugendfreigabe 7.2. 148 Jugendgefährdung 7.2. 111 Jugendgefährdung, schwere 7.2. 133 Jugendkriminalität 7.2. 27 Jugendliche 3.1. 102; 7.3. 233, 240, 241, 242, 243, 244, 253, 325 Jugendliche, gefährdungsgeneigte 7.2. 47 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag 5.1. 29 Jugendschutz 1.1. 47; 2.5. 28; 7.3. 237, 325 Jugendschutz, erzieherischer 7.2. 6 Jugendschutzbeauftragte 7.2. 218, 221, 264 Jugendschutzgesetz 5.1. 29 Jugendschutz-PIN 7.2. 211 Jugendschutzprogramm 7.2. 224, 231, 295 jugendschutzrelevant 7.2. 10 Jugendschutzsachverständiger 7.2. 143 Juristenkommission 7.2. 150, 206 Juristische Personen des öffentlichen Rechts 6.1. 21
Kabelfernsehen 4.1. 63 Kabelnetzbetreiber 1.1. 12 Kabelweitersendung 2.1. 123 Kaffeefahrt 3.1. 118 Kammer für Handelssachen 1.5. 96; 3.1. 355 Kampfpreisunterbietung 3.2. 199 Kapazitätszuweisungen, länderübergreifende 4.1. 93 Kapitalverkehrsfreiheit 1.3. 44 Kartellgesetzgebung 3.1. 7 Kartellrecht 2.13. 313; 3.1. 12 Kartellrecht, deutsches 2.13. 347 Kartellrecht, europäisches 2.13. 347 Kartellrechtsverletzungen 3.2. 19 Katalog von Erlaubnistatbeständen 5.2. 169 Katalogbildfreiheit 2.1. 166; 2.4. 212, 231 Katharsistheorie 7.2. 24 Kaufappelle an Kinder 7.2. 219 Kaufmotivatoren 3.1. 107 Kaufrecht 2.5. 22 Kaufzwang, psychischer 3.1. 89 Kausalität, adäquate 5.1. 280 KaZaA 7.3. 310 KEK 3.2. 15, 156, 157, 181, 185, 187 Kennenmüssen 5.1. 253 Kenntnis 5.1. 247, 251, 253 Kenntnis, positive 5.1. 241, 252 Kenntniserlangung 1.5. 71 Kennung 5.2. 174 Kennzeichen 2.7. 19; 3.1. 165; 7.3. 225 Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 7.3. 224 Kennzeichen, täuschendes 2.7. 159 Kennzeichenbegriff, Bedeutung 2.7. 2 Kennzeichenbesetzung 3.1. 212 Kennzeichenrecht 2.7. 1; 3.1. 14 Kennzeichenverwirrung 3.1. 282 Kennzeichnung, akustische 7.2. 248 Kennzeichnungsgebot 3.3. 33 Kennzeichnungskraft 2.7. 80, 82 Kennzeichnungsschutz, namensrechtlicher 2.10. 5 Kernbeschränkung 2.13. 367; 3.2. 29 Kerntheorie 1.5. 64, 111; 4.2. 51 Kettenbriefsysteme 3.1. 359 Kettenoption 2.6. 178 Key 2.5. 134 key escrow 5.3. 51 key recovery 5.3. 51 Killerspiele 1.1. 73; 2.5. 1, 175; 7.2. 32 Kinder 3.1. 102; 6.1. 9; 7.3. 325, 340 Kinderpornografie 7.2. 70 Kinoauswertung 2.2. 173 Kinobesitzer 7.2. 136, 147
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Stichwortverzeichnis Kinofilm 3.1. 127 Kinotheater 2.2. 177 Kioske 7.2. 91, 106, 169 Klage 1.5. 106; 5.1. 84 Klageerhebung 4.2. 201 Klagehäufung, subjektive 3.1. 334 Klageverfahren 1.5. 106 Klammerteilauswertung 2.2. 118 Klammerteilrechte 2.2. 103 Klarheit 5.1. 182 Klassifikationssystem, positives 7.2. 296 Klaus Kinski 6.2. 31 Kleinanzeige 3.1. 1 Kleine Münze 2.1. 49; 2.2. 19 Kleines Recht 2.3. 94 Kleinkriminalität 4.2. 175 Klingeltöne 1.1. 117; 2.3. 115 Klingeltöne, monophone 2.3. 122 Klingeltöne, polyphone 2.3. 122 Klingeltonnutzung 2.3. 17, 63 Klingeltonnutzung, monophone 2.3. 116 Klingeltonnutzung, polyphone 2.3. 116 Klingeltonwerbung 2.3. 116 Klinik-Geschäftsführer 4.2. 168 Knipsbilder 2.4. 42 Know-how 2.13. 61 Know-how, vorzeitig offenkundig 2.13. 224 Know-how-Lizenzvertrag 2.13. 269 Know-how-Schutz 1.1. 133 Know-how-Vertrag 1.1. 133 Kollektivbeleidigung 6.1. 11 Kollektivehre 7.3. 101 Kollision zwischen den Inhabern ausländischer und deutscher Kennzeichnungen 2.10. 61 Kollosionsrecht 5.1. 117 Kolorierung 2.2. 284 Kommerzialisierbarkeit 6.3. 92 Kommerzialisierung des Sports 1.1. 80 Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) 7.2. 192, 230 Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) 3.2. 92 Kommissionsverträge 2.4. 350 Kommunikation von Teilnehmern verschiedener Netzbetreiber 5.2. 68 Kommunikation, kommerzielle 3.1. 116; 5.1. 167, 188, 191 Kommunikationsdienste, elektronische 5.1. 34 Kommunikationsgrundrechte 1.1. 1, 137 Kommunikationsplattform 1.1. 94 Kommunikationsprozess Kunst 2.2. 325 Kompatibilität 3.2. 8, 320 Komplementärprodukte 3.2. 224 Komponist 2.3. 7 Kompositionsvertrag 2.2. 138
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Konditionenmissbrauch 3.2. 63, 194 Konformitätsbewertung 5.3. 105 Konfrontationsschutz 7.2. 8, 97, 204 Konkordanz, praktische 7.3. 30 Konsolenspiele 2.5. 4, 21 Konsolidierungsverfahren 5.2. 22 Konsultationsverfahren 5.2. 22 Kontext 6.3. 26 Kontext, dramaturgischer 7.2. 30 Kontext, politischer 4.2. 171 Kontrahierungszwang 3.2. 201 Kontrolle 5.1. 270 Kontrolle, stichprobenartige 7.2. 292 Kontrollerwerb 3.2. 46 Kontrollpflichten 2.5. 118 Kontrollrechte 2.13. 279 Konventionen, kulturelle 7.2. 72 Konvergenz 3.2. 8, 102, 103; 5.1. 2 Konvergenz der Medien 1.1. 112; 2.1. 15 Konvergenz, inhaltliche 5.1. 3 Konvergenz, technische 5.1. 2 Konzentration von Marktmacht 3.2. 226 Konzentration, horizontale 3.2. 94 Konzentration, vertikale 3.2. 97 Konzept 2.5. 51; 2.6. 75; 2.11. 79, 80, 107 Konzept der asymmetrischen ex-ante Regulierung 5.2. 20 Konzeption der Persönlichkeitsrechte 1.1. 54 Konzeption einer Bildserie 2.4. 50, 162 Konzeptschutz 2.5. 51; 2.6. 74, 77 Konzernlizenz 2.13. 120 Konzertagentur 2.3. 24 Konzerte 2.3. 28 Konzertveranstalter 1.1. 79; 2.3. 26 Kooperationsverträge 2.13. 105 Kopie, private 2.3. 128 Kopienversand 2.1. 151 Kopierschutz 2.1. 22 Kopierschutzsysteme 5.3. 82 Kopierschutzverfahren 2.5. 18, 81 Koppelung 3.1. 87 Koppelung der Teilnahmemöglichkeit 3.1. 144 Koppelung von Preisausschreiben und Gewinnspielen 3.1. 152 Koppelungsangebote 3.1. 85, 104, 244 Kopplung 3.2. 63, 197, 295 Kopplungsverbot 7.1. 101 Koproduktion 2.2. 57, 58, 223; 2.3. 87 Koproduzent 2.2. 169 Korrekturabzug 2.6. 202, 204 Korrekturen 2.6. 194, 201, 317 Kosten des Abschlussschreibens 1.5. 104 Kosten einer Schutzschrift 1.5. 44 Kosten, abzugsfähige 1.4. 55 Kostenerstattung 2.10. 84
Stichwortverzeichnis Kostenfestsetzungsverfahren 1.5. 17 Kostenwiderspruch 1.5. 98 Kostümierung 2.2. 46 Krankheiten 6.1. 40, 51 Kreativität 1.1. 112 Kreditkartenzahlung 5.3. 41 Kriminalität, organisierte 7.3. 305 Kritik 4.2. 103 Kryptobeschluss 5.3. 52 Kryptodebatte 5.3. 50 Kryptographie 5.3. 48 Kryptorecht 5.3. 48 KUG 2.2. 308; 2.5. 173 Kultivierungshypothese 7.2. 24 Kultur 2.5. 12 Kulturerbe, immaterielles 1.1. 14 Kultur-Flatrate 1.1. 69; 2.1. 253 Kulturhoheit der Länder 7.2. 120 Kulturindustrie 1.1. 27, 61 Kulturindustrien, neue 1.1. 9 Kulturstufe 1.1. 134 Kundenbindungssysteme 2.6. 357; 3.1. 134 Kundendaten 7.3. 313 Kundenfang 3.1. 80 Kundenprofile 7.1. 55 Kundenschutz 5.2. 142 Kundenwerbung, progressive 3.1. 363 Kundenzeitschrift 3.1. 123; 6.2. 43 Kundgabe 7.3. 196 Kündigung 5.2. 148 Kündigungserklärung 5.2. 104, 149 Kündigungshilfe 3.1. 97, 200 Kündigungsrecht 2.13. 254 Kündigungsrecht, außerordentliches 2.6. 301 Kündigungsrecht, jederzeitiges 5.2. 95 Kündigungsschreiben, vorformulierte 3.1. 97 Kunst 2.1. 46; 6.3. 68 Kunst, aufgedrängte 2.1. 92 Kunst, bildende 2.5. 66 Kunstfreiheit 1.1. 47; 2.2. 325; 2.4. 206, 237; 2.5. 32; 3.1. 161, 165; 7.3. 30, 118, 235; Kunsthandel 2.4. 29, 39, 181, 121 Kunsthändler 2.4. 350 Künstler, ausübender 2.1. 98; 2.3. 9, 41, 35, 109 Künstlerexklusivvertrag 2.3. 47, 139 Künstlersozialabgabe 2.4. 314 Künstlervermittlung 2.4. 18 Künstlervertrag 2.3. 54 Kunstobjekte, fotografische 2.4. 348 Kunstzitat 2.4. 205, 228 kurt-biedenkopf.de 2.10. 77 Kurzberichterstattung 4.1. 50 Kurznachrichten 5.2. 174 Kurzwahl-Datendienste 5.2. 94
Kurzwahldienste 5.2. 130 Kurzwahl-Sprachdienste 5.2. 94 Labeling 2.4. 160 Ladengeschäfte 7.2. 91, 106, 171 Ladenpreis 2.6. 164, 165, 167, 216, 217, 247, 288, 355 Ladenschlussgesetz 3.1. 11 Ladenverkaufspreis 2.6. 135 Laienwerber 3.1. 90 Laienwerbung 3.1. 363 LAN 2.5. 72 Ländervereinbarung 7.2. 136 Landesbildstellen 7.2. 129 Landeskennzahl 5.2. 45 Landesmedienanstalt 3.2. 15, 156; 7.2. 141, 230 Landespressegesetz 4.2. 5 Landesverrat 7.3. 196, 200 Landesverrat, publizistischer 7.3. 201 Landkarten 2.5. 31 Längstlaufklausel 2.13. 136 LAN-Party 2.5. 15, 178 Lastschriftklausel 5.2. 132 Laufbilder 2.2. 253 Laufbildhersteller 2.2. 268 Laufbildschutz 2.5. 40, 44, 45 Lauffähigkeit 2.5. 81 Laufzeit des Gebrauchsmusters 2.12. 58 Laufzeit des Patents 2.12. 39 Laufzeitveränderung 2.2. 280 Lauterkeitsrecht 3.1. 12 Lauterkeitsschutz 2.7. 117 Layout 2.11. 90 Lebach I 4.2. 185 Lebensbereich, höchstpersönlicher 2.4. 288; 7.3. 127, 129 Lebensgeschichte 2.2. 310 Lebensmittel 3.4. 15, 65 Legaldefinition des § 3 Nr 3 TKG 5.2. 169 legitimate interests 2.10. 89 Lehre vom Doppelcharakter 2.2. 44, 51 Lehre von der Unmittelbarkeit 2.2. 45, 51 Lehrprogramme 7.2. 128 Leihbücherei 7.3. 242, 331 Leistung, einmalige 5.2. 79 Leistung, künstlerische 1.1. 58 Leistungsbegriff 1.1. 119 Leistungsbeschreibung 5.2. 28, 98 Leistungsdaten 5.2. 100 Leistungsgegenstand 5.1. 62 Leistungsschutz, ergänzende 2.4. 161; 2.10. 69 Leistungsschutz, ergänzender wettbewerbsrechtlicher 3.1. 182
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Stichwortverzeichnis Leistungsschutz, wettbewerbsrechtlicher 1.1. 132; 3.1. 180 Leistungsschutzberechtigter 1.4. 6 Leistungsschutzrecht 1.1. 119, 132; 2.1. 78; 2.5. 31, 47, 48 Leistungsschutzrecht, allgemeines 2.5. 47 Leistungsschutzrechtsinhaber 2.5. 78 Leistungsstörungen 2.6. 271 Leistungsstörungsrecht 2.13. 208; 5.2. 156 Leistungsstörungsrecht keinerlei Anwendung 5.2. 158 Leistungsübernahme 2.4. 168 Leistungsverweigerungsrechte 5.2. 145 Leistungswettbewerb 3.2. 3, 191 Leitlinien, normative 1.1. 49 Lernspiele 2.5. 93 Lerntheorie, sozial-kognitive 7.2. 24 Leseplätze, elektronische 2.1. 158 Leseproben 2.6. 223 Leserbrief 7.3. 115 Lesermärkte 3.2. 111 Lesezirkel 7.3. 242, 331 Letter of Intent 2.2. 74, 189 leveling 2.5. 142 Levels 2.5. 123 leverage 3.2. 207 leveraging 3.2. 232 Liberalisierung 7.2. 60 Lichtbilder 2.2. 20, 24; 2.4. 5, 40, 42 Lichtbildner 2.4. 58 Lichtbildschutz 2.5. 56, 68 Lichtbildwerk 2.2. 20, 21, 22, 24; 2.4. 5, 40, 41 Lichtbildwerkschutz 2.5. 56 Lichtpistole 2.5. 5 Liefern 7.3. 169 likelihood of confusion 2.10. 88 Links 5.1. 266, 297, 298 Linux-Klausel 2.1. 249 Liste der jugendgefährdenden Medien 7.3. 333 Liste der jugendgefährdenden Schriften 7.3. 328, 329 Liste der öffentlichen Hand 7.2. 143 Liste qualifizierter Einrichtungen 3.1. 325 Listenprivileg 7.1. 61 Listenstreichung 7.2. 114 Literaturen.de 2.10. 53 Litfasssäule 2.11. 98 Live-Darbietungen 7.3. 233, 252 Live-Diskussion 4.2. 221 Live-Sendung 2.2. 71; 7.2. 243; 7.3. 127 Live-Streaming 5.1. 41 Live-Übertragung 7.3. 54 Lizenz, ausschließliche 2.13. 24, 35 Lizenz, einfache, nicht ausschließliche 2.13. 29
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Lizenz, fiktive 6.2. 6 Lizenz, inhaltliche Beschränkung der 2.13. 143 Lizenz, negative 2.13. 22, 40 Lizenz, persönliche Grenzen der 2.13. 117 Lizenz, territoriale Beschränkung der 2.13. 122 Lizenz, zeitliche Beschränkung der 2.13. 132 Lizenzanalogie 3.1. 336; 6.2. 12; 6.3. 90 Lizenzanalogiemethode 1.4. 57 Lizenzanspruch 6.2. 6 Lizenzausgabe 2.6. 346 Lizenzaustauschvertrag 2.13. 3 Lizenzbereitschaft 6.3. 91 Lizenzen 2.6. 225, 226; 2.13. 80 Lizenzen in der Insolvenz 2.13. 374 Lizenzgeber 2.13. 159, 230 Lizenzgebühr 1.1. 54; 1.4. 52, 57 Lizenzgebühr, fiktive 3.1. 336; 4.2. 70; 6.2. 12, 51 Lizenzgebühren 2.13. 247; 3.2. 196 Lizenzgebühren für Nutzungshandlungen des Unterlizenznehmers 2.13. 271 Lizenzgebührenpflicht 2.13. 265 Lizenzgegenstand frei von Rechten Dritter zur Verfügung zu stellen 2.13. 160 Lizenzierung 2.6. 117 Lizenzierung begleitender Schutzrechte 2.13. 182 Lizenzierungssystem, doppeltes 2.3. 65 Lizenznehmer 1.4. 6; 2.13. 238 Lizenzsystem, doppeltes 2.3. 63, 115, 123 Lizenzvergabe 2.6. 124, 141 Lizenzvertrag 2.4. 332; 2.5. 137; 2.6. 15, 303; 3.2. 135 Lizenzvertrag als „gewagtes Geschäft“ 2.13. 7 Lizenzvertrag im engeren Sinne 2.13. 19 Lizenzvertrag im weiteren Sinne 2.13. 19 Lizenzvertragsgestaltung 2.13. 106 Locarno-Warenklassifikation 2.11. 52 Locationscout 2.4. 23 Lockangebot 3.1. 89 Lockanruf 3.1. 308, 323 Lock-In-Effekt 3.2. 222, 291, 320 Logfiles 7.1. 59 Logos 2.2. 289; 2.9. 1 Lohnkiller 4.2. 214 Löschung 7.1. 134 Löschungspflicht 4.2. 180 Lösungen, virtualisierte 2.5. 112 Lotterie 7.3. 285, 292 Lücke, analoge 2.1. 143 Luftaufnahmen 2.4. 249 Luftbildaufnahmen 2.4. 268, 287 Luftbilder 2.4. 42 Luganer Übereinkommen 5.1. 83 Lustobjekt 7.2. 58
Stichwortverzeichnis Madrider Markenabkommen 2.7. 9 Magill 3.2. 6, 111, 306 Magna Charta 1.1. 3, 122 Magnetbänder 7.3. 53 Mahnungen 5.2. 182 Mailbox 7.3. 274 Mainstraming 7.2. 24 Making 2.2. 184 Maklerdienstvertrag 2.6. 46 Makulierung 2.6. 164, 165, 166 Managementvertrag 2.3. 22 Manager 2.3. 21 Mängel 2.5. 27 Mängelexemplare 2.6. 335 Mängelgewährleistung 2.5. 24, 98 Mängelrügen des Verlegers 2.6. 42, 277 Manuskript, vertragsmäßiges 2.6. 96 Manuskriptabgabe 2.6. 275 Manuskriptablieferung 2.6. 20, 24, 159, 180 Manuskripte, unverlangt eingesandte 2.6. 83, 240 Manuskriptgestaltung 2.6. 106 Manuskriptrückgabe 2.6. 238 maps 2.5. 74 Marke, begleitende 2.13. 182 Marke, bekannte 2.7. 114 Markenabbildung für redaktionelle Zwecke 2.4. 234 Markenabbildung für werbliche Zwecke 2.4. 235 Markenanmeldung zu Spekulationszwecken 2.7. 59 Markenfähigkeit 2.7. 23 Markengesetz 2.7. 14 Markenlizenz 2.13. 67 Markenlizenzvertrag 2.13. 10 Markenmanagement 1.1. 32 Markennennung 2.5. 172 Markenparodie 2.4. 237; 3.1. 165 Markenrecht 1.1. 106; 2.4. 172, 233; 2.5. 157; 3.1. 14 Markenrechts-Richtlinie 2.7. 12 Markenschutz 2.4. 233 Markenschutz durch Eintragung 2.7. 22 Markenschutz ohne Eintragung 2.7. 64 Markenverordnung 2.7. 14 Markenwörter, fremdsprachige 2.7. 38 Marketingfunktion 2.11. 10 Marketinginstrumente 2.10. 24 Marketingstrategie 1.1. 27 Markt 3.2. 23, 84 Markt der Meinungen 4.2. 210, 221 Markt der PC-Betriebssysteme 3.2. 300 Markt für Bildbearbeitungssoftware 3.2. 288
Markt für die Bereitstellung von Top-Level-Verbindungen 3.2. 238 Markt für Fernsehwerbung 3.2. 173 Markt für Free-TV 3.2. 129 Markt für Internetportal 3.2. 245 Markt für Internetwerbung 3.2. 244 Markt für Internetzugangsdienste 3.2. 281, 283 Markt für Internetzugangsdienstleistungen 3.2. 237 Markt für Online-Computer-Spiele 3.2. 248 Markt für Online-Lizenzen 3.2. 179 Markt für Online-Musik 3.2. 261 Markt für Sportveranstaltungen 3.2. 151 Markt für Vektorgrafiksoftware 3.2. 289 Markt für Webdesign-Software 3.2. 287 Markt, räumlich relevanter 3.2. 26 Markt, regionaler 3.2. 254 Markt, relevanter 2.13. 336 Markt, sachlich relevanter 3.2. 24 Markt, virtueller 1.1. 2 Marktabgrenzung 3.2. 4, 22, 84, 229, 257; 5.2. 21 Marktabgrenzung, räumliche 3.2. 250 Marktabgrenzung, sachliche 3.2. 231 Marktanalyse 3.2. 84, 126; 5.2. 21 Marktanteil 3.2. 61 Marktbeherrschung 3.2. 58, 291 Marktbehinderung, allgemeine 3.1. 216 Marktdefinition 3.2. 14, 84, 125 Marktdefinitionsverfahren 5.2. 21 Märkte für B2B-Marktplätze 3.2. 253 Märkte für bespielte Tonträger 3.2. 179 Märkte für Internetinhalte 3.2. 243, 255 Märkte, hybride 3.2. 219 Märkte, medienrelevante verwandte 3.2. 188 Marktforschung 7.1. 62 Marktgesetze 1.1. 8 Markthindernisse 1.1. 147 Marktinformationssysteme 3.2. 272 Marktmacht 3.2. 4, 84, 291 Marktmachtkonzept 3.2. 59 Marktöffnung 3.2. 6 Marktortprinzip 5.1. 125, 132 Marktplätze, virtuelle 2.5. 107 Marktpotenzial 2.5. 18 Marktstrukturmissbrauch 3.2. 62 Marktteilnehmer 3.1. 27 Marktversagen 4.1. 19 Marlene Dietrich 6.1. 29; 6.2. 17, 47 Marlene-Entscheidungen 6.2. 5 Masseabmahnungen 3.1. 334 Massenkommunikation 1.1. 23 Massenmedien 1.1. 71 Massenmedien, klassische 1.1. 136 Maßnahmen 5.2. 53
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Stichwortverzeichnis Maßnahmen, produktpolitische 2.11. 86 Maßnahmen, vorläufig notwendige 5.2. 23 Masterband 2.3. 41 Mastertonnutzung 2.3. 116 Material, selbst recherchiertes 7.3. 364, 374 Material, urheberrechtlich geschützt 2.5. 171 Maulkorbparagraphen 7.3. 58 Maus 2.5. 5 Medien, stofflich nicht verkörperte 2.11. 100 Medien, stofflich verkörperte 2.11. 88 Medien, tertiäre 1.1. 24 Medienbegriff 1.1. 3 Medienbegriff, institutioneller 1.1. 3 Medienbegriff, technischer 1.1. 3 Medienberichterstattung 7.3. 22 Medienbruch 5.3. 46 Mediendienste 5.1. 42; 7.3. 252 Mediendienste, audiovisuelle 1.3. 170; 4.1. 117 Mediendiensteanbieter 7.3. 61 Mediendienststaatsvertrag (MDStV) 5.1. 19 Medienerlass 2.2. 72 Medienethik 1.1. 27 Medienfreiheit 7.3. 27 Medienindustrie 1.1. 139; 2.5. 18 Medienkanäle 1.1. 33 Medienkartellrecht 1.1. 65 Medienkompetenz 4.1. 22 Medienkonvergenz 1.2. 19; 5.1. 1 Medienkonzentration 1.1. 65 Medienkonzentrationskontrolle 3.2. 10, 11, 160 Medienkonzerne 3.2. 70, 72 Medienkonzerne, globale 3.2. 15 Medienkriminalität 7.3. 5 Medienkritik 7.2. 11 Medienkultur 1.1. 76 Medienmacht, ökonomische 3.2. 11, 14 Medienmanagement 1.1. 3, 101 Medienmärkte 1.1. 3, 11 Medienöffentlichkeit 7.3. 385 Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren 7.3. 394 Medienöffentlichkeit im Strafverfahren 7.3. 383 Medienökonomie 1.1. 9 Medienpolitik 1.1. 72 Medienprivileg 5.1. 216; 7.1. 49 Medienprodukte 1.1. 18; 2.5. 1; 3.1. 5 Medienrecht als eigenständige Rechtsmaterie 1.2. 8 Medienrechtsgesetzbuch, einheitliches 1.2. 20 Medienstaatsvertrag 7.3. 71 Mediensucht 7.2. 33 Medientheorie, subjektive 7.2. 32 Medienunternehmen 1.1. 112; 2.11. 117
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Medienwirkungsforschung 7.2. 17 Medizinprodukte 3.4. 22 Mehrspieler-Spiele 2.5. 72 Mehrwertdienste 3.1. 156, 242, 245, 323; 5.2. 158 Mehrwertdiensteanbieter 5.2. 85, 102 Mehrwertdienstenummer 3.1. 104; 5.2. 91 Mehrwertdiensterufnummern 5.2. 54 Mehrwertsteuer 2.6. 252; 3.1. 92 Meinung 4.2. 100 Meinungsäußerung 4.2. 77 Meinungsäußerung, politische, 6.2. 66 Meinungsbildung 1.1. 137; 6.3. 40 Meinungsbildung, freie 3.2. 10 Meinungsbildungsprozesse 1.1. 73 Meinungsforen 1.1. 27 Meinungsform 5.1. 293 Meinungsforschung 7.1. 62 Meinungsforum im Internet 4.2. 222 Meinungsforum, kritisches 2.10. 12 Meinungsfreiheit 1.1. 12; 1.3. 57, 108; 3.1. 94, 161; 4.2. 79, 101; 7.3. 16, 118 Meinungskampf, politischer 4.2. 108 Meinungsmacht, publizistische 3.2. 11 Meinungspluralismus 3.2. 72 Meinungsumfragen 3.1. 120 Meistbegünstigungsklausel 2.13. 190, 191 Meldepflicht 7.1. 163 Melodienklau 2.1. 89 Menschenwürde 2.3. 139; 3.1. 96; 6.1. 25; 6.3. 71; 7.3. 232 Menschenwürdeverletzung 7.2. 197 Menüs 2.5. 31 Menusteuerung 5.1. 157 Merchandising 2.1. 166; 2.2. 271; 2.13. 98 Merchandising-Effekt 2.3. 120 Merchandisingindustrie 1.1. 62 Merchandisingobjekte 1.1. 42 Merchandising-Recht 2.6. 121 Merkmalsangaben 2.7. 129 Metaanalyse 7.2. 25 Methode 2.4. 47 Methoden der Schadensberechnung 1.4. 52 MFM-Bildhonorarempfehlungen 2.4. 145 MFM-Bildhonorarliste 2.4. 323 Micro-Payment 3.2. 283 Microsoft 3.2. 6, 9, 71, 297, 306 Mietleitungs-Richtlinie 5.2. 3 Militärischer Abschirmdienst 5.2. 179, 181 Militärzensur 7.2. 135 Minderjährige 1.1. 48; 6.3. 28 Mindestlizenzgebühr 2.13. 278 Mindestlizenzgebührenpflicht 2.13. 285 Mindestquote 2.13. 155 Mindestvertragslaufzeiten 5.2. 150
Stichwortverzeichnis Mischformate 7.2. 74 Mischformen 2.5. 15 Missbrauch der Nachfragemacht 3.1. 196 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung 1.4. 111 Missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung 2.13. 366 Missbrauchsaufsicht 2.13. 349; 3.2. 57, 291; 7.2. 240 Missbrauchsaufsicht, allgemeine 5.2. 19 Missbrauchstatbestand, allgemeiner (§ 42 TKG) 5.2. 19 Missbrauchsverbot 3.2. 65 Mitbewerber 3.1. 27, 322 Mittäterschaft 7.3. 57 Mitteilung 7.3. 142, 176, 211 Mitteilungen, kommerzielle 3.4. 65 Mitteilungs- und Hinweispflichten 5.2. 147 Mittelstandgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) 2.4. 28 Miturheber 2.1. 72; 2.4. 62 Miturheberschaft 2.6. 28, 32 mitwohnzentrale.de 2.10. 52, 56 MMORPG 2.5. 139 MMS-Dienste 5.2. 94 Mobile Bullying 7.2. 229 Mobilfunk 5.2. 129 Mobilfunkanbieter 5.2. 181 Mobilfunkdiensteanbieter 5.2. 177 Mobilfunktelefonie 5.2. 73 Mobilfunkverträge 5.2. 156 Mobiltelefon 7.2. 228 Mobiltelefone 2.5. 7 Model Release 2.4. 20 Modellagenturen 2.4. 18 Modeneuschöpfungen 3.1. 190 Modern Prints 2.4. 30 Molotow-Cocktails 7.3. 272, 273, 274 Mondpreise 3.1. 257 Mosaiktheorie 7.3. 199 Motive 4.2. 95 Motivschutz 2.4. 52 mp3 2.3. 2 MP3-Format 1.1. 3, 65 MP3-Player 2.1. 176 Multimedia 1.1. 29; 2.5. 1 Multimediadienste 1.1. 71 Multimediagesetz 5.1. 20 Multimedianachrichten 5.2. 174 Multimediaprodukt 2.1. 52 Multimediawerk 2.5. 47, 48 Multiplikationsregel 3.2. 75 Multiplikatoreffekt 7.3. 10 Münze, kleine 1.1. 131; 2.5. 38, 44; 7.3. 298 Music-on-Demand 2.3. 126, 134
Musik 2.3. 1; 2.5. 31, 60 Musik, elektronische 2.3. 10 Musikbusiness 2.3. 38 Musikindustrie 2.3. 5 Musikkonzerne 1.1. 65 Musiklizenz 2.2. 183 Musikmarkt 1.1. 128 Musikportale 1.1. 3 Musikproduktion 3.2. 118, 177 Musikproduktionsverträge 2.2. 138 Musiktauschbörse 7.3. 307, 309 Musikverlag 2.3. 18, 115; 3.2. 121 Musikverlagsvertrag 2.3. 43; 2.6. 10 Musikvermarktungsformen 2.3. 2 Musikvertrieb 3.2. 118 Musikvertriebsformen 2.3. 2 Musikwerk 1.1. 79; 2.3. 113; 7.3. 307 Muss-Vorgaben 5.2. 66 Must-Carry-Verpflichtung 4.1. 89 Muster 2.11. 16; 5.1. 206 Musterverträge 2.6. 90 MySpace 1.1. 68 Myspace.de 2.3. 131 Nachahmung 2.4. 161; 3.1. 184; 7.2. 88 Nachahmungsfreiheit 2.13. 101 Nachkolorierung 2.2. 68 Nachrede, üble 7.3. 97, 105 Nachricht 3.1. 27 Nachrichten, ähnliche 5.2. 174 Nachrichtensprecher 6.3. 93 Nachteile, erhebliche 5.2. 91 Nachweis 5.2. 140 Nährwertkennzeichnung 3.4. 73 Nährwertprofil 3.4. 70, 71, 72, 74 Namen 2.7. 205; 5.2. 100 Namen juristischer Personen 2.7. 128 Namen natürlicher Personen 2.7. 128 Namen sonstiger, vergleichbarer Werke 2.7. 171 Namen von Bühnenwerken 2.7. 171 Namen von Druckschriften 2.7. 171 Namen von Filmwerken 2.7. 171 Namen von Tonwerken 2.7. 171 Namensanmaßung 2.10. 10 Namensleugnung 2.10. 10 Namensnennung 2.2. 297 Namensrecht 2.5. 158 Napster 1.1. 69; 7.3. 310 Naturalrestitution 1.4. 52 Naturrecht 1.1. 102 Navigatoren 4.1. 34 ne bis in idem 7.3. 41 Near-on-demand 2.3. 134 Near-video-on-demand 1.1. 10; 7.2. 227
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Stichwortverzeichnis Nebenbestimmungen 5.2. 52 Nebenklage 7.3. 297 Nebenleistungspflichten 5.2. 96, 97 Nebenpflichten, kundenschutzspezifische 5.2. 96 Nebenrechte 2.6. 120, 141, 255, 295, 307, 308 Nebentäterschaft 7.3. 57 Negativlisten 2.10. 80 Negativtesttat 5.1. 147 Neigungen, sadistische 7.2. 100 Nena-Entscheidung 6.2. 16, 19 Netz für Kinder 7.2. 301 Netzeffekt 3.2. 7, 221, 224, 291, 302, 308, 313 Netzmonopol der Deutschen Telekom AG 5.2. 60 Netzneutralität 3.2. 323, 325, 326, 327, 328, 329 Netzöffentlichkeit 1.1. 35 Netzzugang 5.2. 140 Neuauflage 2.6. 198, 265, 266, 267, 270, 305 Neue Medien 3.1. 1 Neuheit 2.1. 84; 2.11. 28; 2.12. 16, 48 Neuheitsschonfrist 2.11. 50 Neuverfilmungen 2.2. 68 Newsgroups 2.5. 107; 7.3. 66 Newsletter 7.1. 110 NICAM 7.2. 302 Nichtangriffsabreden 2.13. 292 Nichtbenutzung 2.7. 158 Nichterweislichkeit 7.3. 106 Nichtigkeit eines Künstlervertrages 2.3. 49 Nichtigkeitsklage 2.12. 26 Nichtmitglieder einer Selbstkontrolleinrichtung 7.2. 238 Nicht-Rundfunkdienste 4.1. 83 Nichtverlängerung 2.7. 156 Nichtvermögensrecht 1.1. 53 Niederlassungsfreiheit 1.3. 39 Nintendo Wii 2.5. 5 Nizzaer Klassifikation 2.7. 10 Normadressat 5.2. 106 Normalitätskonzept 7.2. 57, 61 Normseite 2.6. 108 Normvertrag 2.6. 119 Normvertrag für den Abschluss von Übersetzungsverträgen 2.6. 90 Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen 2.6. 90 Normverträge 2.6. 90 Notice and take down-Verfahren 5.1. 255 Nötigung 7.3. 12, 143, 277, 278 Notrufabfragestellen 5.2. 181 Notstand, rechtfertigender 7.3. 75 Notwehr 7.2. 40, 73 Nullkopie 2.2. 65, 314
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Nummer 5.2. 44 Nummern nicht geographisch gebundene 5.2. 58 Nummern, geographisch gebundene 5.2. 58 Nummernart 5.2. 47 Nummernbereich 5.2. 48 Nummernraum 5.2. 46 Nummernverwaltung zum Gegenstand hoheitlicher Regulierung 5.2. 43 Nutzeffekte 3.2. 9 Nutzer 5.1. 67; 5.2. 165 Nutzerprofile 7.1. 19 Nutzung, nichtgewerbliche 7.2. 120, 162 Nutzungsart 2.6. 111, 114 Nutzungsart, neue 2.2. 240 Nutzungsart, unbekannte 2.1. 203; 2.2. 197; 2.6. 84, 120, 134, 227, 253, 296 Nutzungsarten 2.1. 189 Nutzungsbedingungen 2.5. 164; 5.2. 51 Nutzungsdaten 7.1. 24 Nutzungskontrolle 2.4. 158 Nutzungsrecht 2.1. 188; 2.5. 137; 2.13. 84 Nutzungsrecht, beschränktes 5.2. 49 Nutzungsvertrag 2.1. 186 Oberflächenstrukturen 2.11. 99 Oberste Landesjugendbehörden 7.2. 108, 115, 120, 136, 149, 174, 234, Objekte 2.5. 67 Oddset-Wetten 7.3. 285 Offenbaren 7.3. 201 Offenbarung 2.11. 32, 50 öffentlich 7.3. 261 öffentliche Aufgabe der Presse 3.1. 49 Öffentlichkeit 2.1. 121 Öffentlichkeit, mittelbare 7.3. 385 Öffentlichkeitsgrundsatz 7.3. 384 Offlineprodukte 1.1. 30 Offline-Spiele 2.5. 12 On-Air Design 2.11. 104 On-demand-Verfahren 2.2. 185 One-Stop-Shop 3.2. 45 Online 2.5. 72 Online Advertising 1.1. 33 Online Spiele 2.5. 12, 26, 108, 139 Online-Abonnement 5.3. 25 Online-Archive 4.2. 180 Online-Auktion 1.4. 19; 3.1. 1; 7.3. 66 Onlineausgabe eines Buchs 2.6. 327 Onlinedienste 5.1. 39 Online-Durchsuchung 1.1. 1, 74; 7.3. 382 Online-Handel 5.3. 25 Online-Handelsplattformen 3.2. 225 Online-Musik 3.2. 279 Onlineprodukte 1.1. 30; 3.2. 258
Stichwortverzeichnis Onlinepublikationen 4.2. 11 Online-Recording 2.3. 137 Online-Shop 3.1. 2 Online-Shopping 5.2. 90 Online-Spiel-Server 2.5. 107 Online-Vermarktung 1.1. 96; 2.3. 17 Online-Vertragsschluss 5.3. 25 Online-Vertriebswege 1.1. 67 Online-Videorecorder 1.1. 23; 2.1. 145 ONP-Richtlinie 5.2. 3 Open Access 2.1. 251 Open Access-Bewegung 1.1. 69 Open Source 2.1. 248 Open Source-Bewegung 1.1. 9, 69 OpenPGP 5.3. 30 Opfer 4.2. 171 Opt in 3.1. 299 Option, einfache 2.2. 77 Optionsklausel 2.6. 174 Optionsrechte 2.3. 42 Optionsvergütung 2.2. 83 Optionsvertrag 2.2. 74 Optionsvertrag, qualifizierter 2.2. 77 Optionsverträge 2.2. 204 Opt-out 3.1. 299 Ordnung des Rundfunks, positive 4.1. 25 Ordnung, öffentliche 2.11. 35, 49 Ordnungsbehörden 7.2. 168 Ordnungsgeld 1.5. 110 Ordnungshaft 1.5. 110 Ordnungsmittel 1.5. 109 Ordnungsmittelandrohung 1.5. 109 Ordnungsmittelverfahren 1.5. 110 Ordnungswidrigkeit 7.1. 5; 7.3. 324, 339, 344, 345 Ordnungswidrigkeitstatbestand 5.1. 198 Organ der Rechtspflege 4.2. 176 Organisationsverschulden 1.5. 110 Original 2.4. 121 Original-Datenträger 2.5. 161 Oscar Bronner/Mediaprint 3.2. 215 Oskar Lafontaine 6.2. 8, 63, 64, 70 output-agreements 2.2. 171 Outsourcing 7.1. 41 Overspill 4.1. 93 Packungsbeilagen 3.4. 10 PAngV 3.1. 70, 71 Panorama-Entscheidung 4.2. 212 Panoramafreiheit 2.1. 167; 2.4. 215, 232, 248 Paperback 2.6. 155 Parallelwelten 2.5. 13 Pariser Verbandübereinkunft 2.7. 8 Parlamentsberichterstattung 7.3. 77 Parodie 2.4. 117
Parodiefreiheit 2.4. 117 Parteibetrieb 1.5. 79 Parteien des Verlagsvertrags 2.6. 13 Parteizustellung 1.5. 89 Passbilder 2.4. 42 Passivlegitimation 1.4. 5, 9 Passwort 2.4. 158; 5.2. 182; 7.3. 135, 161, 276 Patches 2.5. 27 Patent(verletzungs)recht 2.12. 37 Patent, europäisches 2.12. 34 Patentanmeldung 2.13. 50 Patente 2.13. 50 Patentgesetz 1.1. 44 Patentkostengesetz 2.7. 14 Patentmusterrecht 3.1. 14 Patentrecht 2.5. 33 Paternalismus 2.2. 240 Pauschalhonorar 2.1. 224, 229; 2.6. 69, 126, 134, 142, 259 Pauschallizenz 2.13. 243 Pauschallizenzgebühr 2.13. 272 Pauschalvergütung 1.1. 140 Pay-TV 2.2. 187; 7.3. 252, 253 PC 2.1. 176 PC-Spiele 2.5. 4 PDA 2.5. 8 Peer-to-Peer-Filesharing 2.3. 126 Peer-to-Peer-Fileshering-Software 1.1. 136 Peer-to-Peer-Modell 7.3. 310 Performance 1.1. 75 Period Prints 2.4. 30 Person der Zeitgeschichte, absolute 7.3. 315 Person, jugendliche 7.3. 340 Person, juristische 7.3. 55 Person, natürliche 6.1. 9 Person, personensorgeberechtigte 7.2. 125 personalisiert 2.5. 90 Personalitätsprinzip, aktives 7.3. 40 Personalitätsprinzip, passives 7.3. 40 Personen 2.5. 31 Personen der Zeitgeschichte 2.2. 317; 7.3. 386, 394 Personen der Zeitgeschichte, absolute 2.2. 323; 6.3. 43; 7.3. 343 Personen der Zeitgeschichte, relative 2.2. 323; 6.3. 44; 7.3. 343 Personen, absolute 2.2. 318 Personen, besonderer Autorität oder besonderer Vertrauensstellung 3.1. 91 Personen, juristische 5.1. 178 Personen, nichtverdächtige 7.3. 366 Personen, relative 2.2. 318 Personenmehrheit 2.6. 22 Personenvereinigungen, nichtrechtsfähige 6.1. 13
1915
Stichwortverzeichnis Persönlichkeitsrecht 1.1. 47; 6.3. 71 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 2.2. 307; 2.5. 158, 173; 6.1. 3 Persönlichkeitsrecht, besonderes 6.1. 4 Persönlichkeitsrecht, kommerzialisiertes 1.1. 54 Persönlichkeitsrecht, postmortales 2.2. 333 Persönlichkeitsrechte 1.1. 103; 2.4. 254; 2.13. 98 Persönlichkeitsrechtsverletzung, schwerwiegende 6.2. 7 Persönlichkeitsrechtsverletzungen, schwere 4.2. 71 Persönlichkeitsverletzungen 2.6. 104, 281 Pflicht 2.13. 238 Pflichtangaben 3.4. 14, 31; 5.1. 159 Pflichtangaben, journalistische 5.1. 167 Pflichten 2.13. 159 Pflichten, zusätzliche 5.2. 90 Pflichtinformationen 5.1. 180 Pflichtverletzung, vorvertragliche 2.6. 82 Phantasiewelten 7.2. 71 Physik, realistische 2.5. 10 Physik-Beschleuniger-Chips 2.5. 10 Pianist 2.3. 9 PIN 5.2. 98, 182 Pinganruf 3.1. 308, 323 Piratensender 7.3. 40 Piraterie 2.5. 18 Piraterieplattformen 2.3. 127 Plagiat 2.1. 88 Plakate 2.11. 91 Plattenfirma 2.3. 14, 17, 41 Plattform 1.4. 22; 2.5. 7, 33, 107 Plattformbetreiber 2.3. 37 Plattformen, elektronische 3.2. 115 Playstation 2.5. 7 Podcasting 3.1. 12 Point-to-multipoint 1.1. 31 Point-to-point 1.1. 31 Polemik 7.3. 118 Polizeibeamte 6.3. 63 Polizeivollzugsbehörden 5.2. 181 Pool-Lösung 7.3. 387 Pornografie 7.2. 62; 7.3. 10 Pornografie, einfache 7.3. 236 Pornografie, harte 7.3. 236 Pornografie, weiche 7.3. 236, 325 Porträtfoto eines Prominenten 2.4. 172 Posen 2.4. 55 Post, elektronische 5.1. 39, 194 Postadoleszenz 7.2. 52 Poster 2.11. 91 Postgeheimnis 7.3. 142 Posthumous Prints 2.4. 30 PostIdent 5.3. 47
1916
Postidentverfahren 7.2. 225 Postpaid-Vertrag 5.2. 110, 111 Postproduktion 2.4. 24, 299 Postreform, dritte 5.2. 6 Postreform, erste 5.2. 5 Postreform, zweite 5.2. 5 Prägelehre 2.7. 96 Prämien 3.1. 90 Prämieninteresse 3.1. 90 Prämienpunkte 3.1. 104 Präsentation 2.4. 51, 171 Präsentationsarzneimittel 3.4. 17 Präsentationsmappe 2.11. 98 Präsenzprüfung 7.2. 234 Praxisgebühr 3.1. 92 Preis 2.5. 94 Preis, gerechter 2.1. 223 Preisabstandsklauseln 2.13. 200 Preisangabepflicht 5.2. 128 Preisanzeigepflicht 5.2. 128 Preisausschreiben 3.1. 93, 144, 155 Preisbindung 2.6. 321; 2.13. 200 Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften 3.2. 77 Preisbindung von digitalen Büchern 3.2. 79 Preisbindungstreuhänder 2.6. 360 Preise 5.2. 100 Preisempfehlungen, unverbindliche 3.1. 246 Preisgabe 7.3. 201, 202 Preisherabsetzung 3.1. 234, 257 Preishöchstgrenzen 5.2. 126 Preis-Kosten-Schere 3.2. 200 Preismissbrauch 3.2. 63, 194, 292 Preisnachlässe 3.1. 131 Preisrätsel 3.1. 147 Preissuchmaschine 3.1. 2 Preisunterbietung 3.1. 196 Preisverzeichnisse 5.2. 100 Premium-SMS 5.2. 87 Premium-SMS-Dienste 5.2. 94 Prepaid-Karte 5.2. 109 Prepaid-Systeme 7.1. 45 Prepaid-Vertrag 5.2. 110, 112 pre-sale-Vertrag 2.2. 171 Preselection 5.2. 80, 149 Pre-Selection-Vertrag 3.1. 296 Presse 3.2. 164; 4.2. 8 Pressebegriff, einfachgesetzlicher 4.2. 9 Pressebegriff, verfassungsrechtlicher 4.2. 14 Presseerzeugnis 5.1. 105 Pressefreiheit 3.1. 49, 94, 161, 216, 331, 374; 4.1. 8; 4.2. 1 Pressefreiheit 6.3. 50, 77; 7.1. 50; 7.3. 23, 118 Pressefreiheit, äußere 7.3. 24 Pressefreiheit, innere 7.3. 25
Stichwortverzeichnis Pressegesetze 1.1. 144 Presseinhaltsdelikt 7.3. 10, 45, 84, 320 Pressenötigung, aktive 7.3. 143 Pressenötigung, passive 7.3. 277 Presseprivileg 3.1. 29, 265, 331, 337 Presserecht im engen Sinne 4.2. 4 Presserecht im weiten Sinne 4.2. 3 Pressespiegel 2.1. 161 Pressespiegel, elektronische 2.1. 165 Presseunternehmen 1.4. 12 Presseverlag 1.4. 13 pretrial discovery 1.4. 85 Printmedien 2.11. 88, 89, 90 Prinz Ernst August von Hannover 6.2. 63, 67, 72 Prinzip der Einzelermächtigung 4.1. 100 Prinzip der kleinen Münze 2.3. 114, 121 Prioritätsprinzip 2.7. 15 Privacy Policies 7.1. 8 Privatautonomie 2.5. 160 private investor test 1.3. 91 Privatgeheimnisse 7.3. 138 Privatklagedelikt 7.3. 297, 317 Privatkopie 2.1. 134; 2.3. 126 Privatkopie, digitale 2.3. 126 Privatpersonen 1.1. 49 Privatrecht, internationales (IPR) 5.1. 117 Privatsphäre 2.2. 319; 2.4. 255; 6.1. 44; 6.3. 80 Privilegierung 7.2. 240 Privilegierungstatbestände 5.1. 239 Privilegtatbestand 5.1. 230 Probeabonnement 3.1. 87 Product Placement 1.1. 42; 2.5. 88; 3.1. 127; 6.3. 76 Produktähnlichkeit 2.7. 109 Produktdesign 1.1. 41; 2.11. 14 Produkte, digitalisierte 3.2. 233 Produkte, hybride 3.2. 257, 260 Produkte, standardisierte 3.2. 225 Produkthaftung des Lizenzgebers 2.13. 229 Produktidentität 2.7. 76 Produktpiraterieindustrie 1.1. 65 Produktplazierung 1.3. 182 Produktserien 2.5. 131 Produkttest 3.1. 121 Produktvergleiche 3.1. 121 Produzent, ausscheidender 2.2. 67 Programm, ausführbares 2.5. 36 Programmankündigung 7.2. 134, 247 Programmbegrenzungen der Anstalten 4.1. 30 Programmbeobachtung 7.2. 238, 258 Programmcode 2.5. 129 Programmdefinition 2.5. 36 Programmfreiheit 4.1. 30
Programmierer 2.5. 43 Programminhalte, nichtvorlagefähige 7.2. 243 Programmroutinen 2.5. 73 Programmvorschau des Verlags 2.6. 219 Programmzeitschriften 2.2. 23 Propagandamittel 7.3. 215, 216 Propagandaspiele 2.5. 17 Property rights 1.1. 129 Prostitution 7.3. 349 Protection Profiles 5.3. 101 Protection Targets 5.3. 101 Protokoll zum Madrider Markenabkommen 2.7. 9 Provider 1.1. 125; 1.4. 15; 5.1. 228, 239 Providerhaftung 7.3. 62 Proxy-Cache-Privileg 7.3. 63, 69 Prozensur-Feministin 7.2. 69 Prozesskosten 1.5. 17 Prozessleitung 1.5. 76 Prozessrisiko 2.6. 186 Prozessstandschaft 3.1. 327 Prozessstandschaft, gewillkürte 1.4. 8 Prüfer, hauptamtlicher 7.2. 262, 270 Prüfordnung 7.2. 263 Prüfpflichten 5.1. 281 Prüfung für Erwachsene 7.2. 148 Prüfung in der Originalsprache 7.2. 155 Prüfung, technische 5.2. 135 Prüfungsablauf 2.13. 365 Prüfungspflicht 1.4. 11, 24, 26; 3.1. 227, 330, 331; 5.1. 263 Prüfverfahren, vereinfachte 7.2. 159 Prüfzeichen 2.7. 60 Pseudonym 2.1. 38, 102; 5.1. 8 Pseudonymisieren 7.1. 46 Pubertät 7.2. 49 Public Relation 1.1. 35, 66 public value test 4.1. 108 Publikation, elektronische 2.6. 326 Publikationen, presseähnliche 2.5. 14 Publikum, maßgebliches 2.7. 35 Publikumsverlag 2.6. 244 Publishingverträge 2.5. 20 Publizieren, elektronisches 2.6. 4, 5 PUK 5.2. 98, 182 P-Vermerk 2.1. 39 Pyramidensysteme 3.1. 359, 363 Qualitätsfunktion 2.7. 3 Quasihersteller 2.13. 230 Quellen, allgemein zugängliche 4.2. 181 Quelltext 2.5. 35, 37 Quengelware 3.1. 107 Querverbindungen, ökonomische 3.2. 14 Querverbindungen, publizistische 3.2. 14
1917
Stichwortverzeichnis Quizmaster 2.3. 11 Quotenvorgaben 1.3. 156 Quwellcodes 2.5. 47 Rabattaktion 3.1. 137 Rabatte 3.1. 85, 104 Rabattgesetz 3.1. 85 Rabattwürfel 3.1. 93 Radarbilder 2.4. 42 RAF 4.2. 183 Rahmen-Richtlinie 5.2. 4 Rahmenverträge 2.2. 146 Rätselzeitschrift 6.2. 44 Raubdruck 7.3. 305 Raubkopien 2.5. 134 Raum, persönlichkeitsverletzungsfreier 2.2. 314 Raum, rechtsfreier 5.1. 10 Realakt 2.1. 34 Reality-Shows 7.2. 75, 268 Realofferte 5.2. 86 Realtonnutzung 2.3. 116 Recherchepflicht 4.2. 208 Rechnungen, überhöhte 5.2. 94 Rechnungslegung 1.4. 67; 2.6. 261 Recht am eigenen Bild 2.2. 307; 2.4. 182; 2.5. 158; 6.2. 16 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 2.4. 242, 281 Recht am gesprochenen Wort 6.1. 18 Recht auf Anonymität 4.2. 162 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 1.1. 74; 6.1. 37 Recht auf Privatkopie 1.1. 112 Recht der Medien 1.1. 127, 136 Recht der Namensgleichen 2.10. 42 Recht der öffentlichen Zugänglichmachung 2.1. 125 Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung 5.2. 161 Recht, absolutes 1.1. 133 Recht, anwendbares 5.1. 78 Recht, europäisches 2.13. 314 Recht, öffentliches 5.1. 235 Rechte am Aufnahmegegenstand 2.4. 182 Rechte an abgebildeten Objekten 2.4. 184 Rechte an der Fotografie 2.4. 40 Rechte aus dem Geschmacksmuster 2.11. 37 Rechte, derivate 1.1. 102 Rechtegarantie 2.1. 244 Rechteinhaber, private 5.2. 180 Rechtekette 1.5. 74; 2.1. 202 Rechterückruf 2.6. 286, 296 Rechtfertigungsgrund 7.3. 73, 113, 300, 304
1918
Rechtfertigungsgrund, übergesetzlicher 7.3. 203 Rechtsbeeinträchtigung 5.1. 100 Rechtsbruch 3.1. 220 Rechtscharakter des Lizenzvertrages 2.13. 9 Rechtseinräumung 2.1. 185; 2.6. 27, 67, 68, 69, 109, 110, 142, 191 Rechtseinräumung, bedingte 2.3. 80 Rechtsform 5.2. 100 Rechtsgrundlagen 2.13. 313 Rechtsgrundsätze, einheitliche 5.1. 10 Rechtsgut, vererbliches 6.2. 17 Rechtsinhaberschaft, fehlende 2.13. 163 Rechtsmacht 3.2. 4 Rechtsmängel 2.4. 328 Rechtsnachfolger 1.4. 6 Rechtsnatur des Lizenzvertrages 2.13. 17 Rechtspflege 2.4. 128, 194 Rechtspositivismus 1.1. 102 Rechtsrahmen 5.1. 24 Rechtsschutz sui generis 1.1. 132 Rechtsschutz, doppelter 1.1. 41; 2.1. 70 Rechtsstaatlichkeit 7.2. 41 Rechtsverletzer 1.4. 5 Rechtsverletzungen, bekannte 2.5. 117 Rechtsverletzungen, unbekannte 2.5. 118 Rechtsverstoß, offenkundig 2.10. 79 Rechtswidrigkeit 5.1. 253 Rechtswirkungen des Geschmacksmusters 2.11. 46 Rechtwahrnehmung, kollektive 1.1. 16 Recording-Software 1.1. 23, 25, 136; 2.3. 136 Redakteur, verantwortlicher 7.3. 323, 324 Redakteure 7.3. 321 Redaktionsmaterial 7.3. 373 Redaktionsräume 7.3. 367 Regeländerungen 2.5. 167 Regelbeispiele 5.1. 38 Regeln der Technik 5.3. 92 Regeln, allgemeine 3.3. 10 Regelungen, kundenschützende 5.2. 54 Regelungsdichte, abgestufte 4.1. 117 Regelungsfunktion 5.1. 59 Regelungskompetenz 5.1. 12 Regelwerke, technische 5.3. 10 Regisseur 2.2. 131, 205 Registergericht 5.2. 100 Registrierung von Markenlizenzen 2.13. 76 Registrierungsdatenbankeinträge 2.5. 130 Registrierungspflichtigkeit von Dialern 5.2. 128 Registrierungsverfahren 2.12. 52 Regulierung, allgemeine wettbewerbsrechtliche 4.1. 111 Regulierung, sektorspezifische 4.1. 111 Regulierungsansatz, asymmetrischer 5.2. 20
Stichwortverzeichnis Regulierungsmechanismen, hoheitliche 5.2. 8 Regulierungsverfügung 5.2. 24 Reichsgewerbeordnung 3.1. 7 Reichweite des Titelschutzes 2.10. 28, 192 Reize, aleatorische 3.1. 93 Relevanz, wettbewerbliche 3.1. 261 Remake 2.2. 111 Remastering 2.3. 11, 15 Remix 2.3. 10, 15 Repräsentanten 2.4. 16 Reproduktion, technische 2.5. 57; 3.1. 184 Reproduzierbarkeit des Kunstwerks 1.1. 56 Reprokamera 2.4. 43 Reservierung einer Domain 2.10. 13 Resozialisierung 4.2. 178 Resozialisierungs-Interessen 7.3. 316 Ressource „Frequenz“ ist knapp 5.2. 35 Restematerialverwertung 2.2. 103 Reverse Engineering 2.5. 135, 136 Revisionsabzug 2.6. 204 Rezensionen 2.6. 220 Rezensionsexemplare 2.6. 220, 333 Rezipientenmärkte 3.2. 87 RFID 7.1. 47 R-Gespräch 5.2. 54, 56, 128 Richtervorbehalt 1.4. 82 Richtlinie 94/46/EG 5.2. 2 Richtlinie 95/51/EG 5.2. 2 Richtlinie 96/2/EG 5.2. 2 Richtlinie 96/19/EG 5.2. 2 Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 1.3. 135 Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 3.1. 63 Richtlinien des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft 3.1. 50, 117 Richtlinien zur Anwendung der Prüfordnung 7.2. 263 Richtlinien, technische 5.3. 97 Risikogruppen 7.2. 27 Risikomanagement 5.3. 6 Roaming 3.2. 293 Roamingdienste 5.2. 98 Roaming-Verordnung 5.2. 129 Robinson-Liste 7.1. 64 Rom II 1.3. 166 Rom II-VO 5.1. 120, 128 Root-Kits 5.3. 90 Royalty-Free-Lizenz 2.4. 340 RStV 5.1. 77 Rückgabepflicht des Optionsberechtigten 2.2. 88 Rückgabevorbehalt 2.6. 189 Rückrufanspruch 1.4. 49 Rückrufsrecht 2.1. 194; 2.2. 95, 156
Rufausbeutung 2.10. 37; 3.1. 188 Rufausnutzung 2.4. 241; 3.1. 283 Rufbeeinträchtigung 3.1. 283 Rufnummer 5.2. 45, 55, 98 Rufnummernübertragbarkeit 5.2. 58 Rügerecht des Verlegers 2.6. 184 Rundfunk 3.2. 127; 5.1. 41, 52; 7.1. 16; 7.3. 252 Rundfunk, linearer 1.1. 73 Rundfunkanstalten 1.3. 8 Rundfunkbegriff 1.1. 10, 31 Rundfunkbestandteile 5.1. 147 Rundfunkdefinition 4.1. 40 Rundfunkdienst 4.1. 43 Rundfunkfreiheit 3.1. 49, 230; 7.3. 27 Rundfunkgebühr 3.1. 92 Rundfunkgebühr als gerechtfertigte Beihilfe 4.1. 106 Rundfunkmedien 2.11. 109 Rundfunkplattform 1.1. 12 Rundfunkrecht 3.2. 85 Rundfunkstaatsvertrag 3.2. 85 Rundfunksystem, duales 1.1. 146; 3.2. 12 Rundfunktrecht 3.2. 82 Sabotage 7.3. 12, 278 Sachbuch 2.6. 49, 76, 102, 184, 312 Sachkauf 2.5. 22, 26 Sachlichkeitsgebot 3.1. 276 Sachmangel 2.6. 316 Sachmängelgewährleistungsrecht 2.5. 91 Sachverhalte, selbstrechtliche 4.2. 203 Sachverständige, juristische 7.2. 278 Safe Harbor 7.1. 189 Sammelaktion 3.1. 98 Sammelanmeldungen/Setanmeldungen 2.11. 42 Sammelbesteller 2.6. 352 Sammelrevers 2.6. 321, 323 Sammelwerk 2.1. 76; 2.6. 66, 231, 276, 299 Samples 2.3. 15 Sampling 2.1. 60 Sänger 2.3. 9 Sanktionen 5.2. 53 Sarbanes-Oxley Act 5.3. 6 Satellitenbilder 2.4. 268 Satellitenfernsehen 4.1. 63 Satellitenfotos 2.4. 42 Satellitentechnik 7.2. 305 Satire 6.2. 66, 71 Satzkorrektur 2.6. 317, 320 Satzreife 2.6. 185 Scannen analoger Fotografien 2.4. 80 Scanner 2.1. 176 Schadensberechnung, dreifache 3.1. 336, 339 Schadenseintrittsort 5.1. 128
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Stichwortverzeichnis Schadensersatz 1.5. 20; 2.4. 143; 5.1. 293; 5.2. 104; 7.1. 141 Schadensersatzanspruch 1.4. 51; 2.1. 244; 2.12. 37; 3.1. 29, 335; 6.2. 6 Schadensersatzanspruch, materieller 4.2. 76 Schadensersatzfeststellungsklage 1.5. 108 Schadensersatzpflicht 1.4. 98 Schadensersatzpflicht des Buchhändlers 2.6. 314 Schadensersatzsicherungsvorschrift 1.4. 102 Scheidungsabsichten 6.1. 49 Scheinveröffentlichung 7.3. 87 Schengener Durchführungsübereinkommen 7.3. 41 Schiedsstelle 2.1. 180 Schleichwerbung 3.1. 50, 115, 124, 374 Schleichwerbungsverbot 2.5. 93 Schlichterin 5.2. 188 Schlichtungskosten 2.10. 85 Schlüssel, öffentlicher 5.3. 27 Schlüssel, privater 5.3. 27 Schmähkritik 3.1. 163; 4.2. 103; 7.3. 118 Schmerzensgeldanspruch 6.3. 86, 98 Schneeballsysteme 3.1. 359; 363 Schnittauflagen 2.2. 282; 7.2. 146, 273 Schnittstelleninformationen 3.2. 319 Schockwerbung 3.1. 94, 96; 7.3. 16 Schöpferprinzip 2.1. 32 Schöpfung, eigene 2.5. 38 Schöpfung, persönliche geistige 2.1. 46; 7.3. 298 Schöpfungshöhe 2.5. 56 Schranken 2.1. 100, 185 Schranken des Markenrechts 2.7. 125 Schranken des Urheberrechts 7.3. 300 Schriften 7.3. 48 Schriften, digitalisierte 2.11. 116 Schriften, gewaltpornografische 7.3. 254 Schriften, pornografische 7.3. 162, 238, 331 Schriften, tierpornografische 7.3. 254 Schriften, unzüchtige 7.2. 97 Schriftform 5.2. 134 Schriftformerfordernis 5.3. 34 Schrifttypen 2.11. 114 Schriftzeichen, typografische 2.11. 114 Schritt, erfinderischer 2.12. 47 Schubladenverfügung 1.5. 42 Schuldanerkenntnis, abstraktes 1.5. 27 Schuldprinzip 7.3. 55 Schuldverhältnisse, vertragliche 5.1. 119 Schulung 5.1. 242 Schulunterricht 7.2. 117 Schutz der Entscheidungsfreiheit 3.1. 78 Schutz der informationellen Selbstbestimmung 3.1. 120 Schutz des § 12 BGB 2.10. 6
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Schutz des geistigen Eigentums 1.1. 7 Schutz des Werktitels 2.8. 1 Schutz, urheberrechtlicher 2.5. 66, 159 Schutz, wettbewerbsrechtlicher 2.4. 161 Schutzausschluss, geschmacksmusterrechtlicher 2.11. 33 Schutzbereich des Werktitelschutzes 2.8. 60 Schutzbereich/Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes 2.11. 16 Schutzdauer 1.1. 54; 2.1. 49; 2.2. 313; 6.2. 29 Schutzdauer-Richtlinie 2.1. 67 Schutzfähigkeit 1.1. 36, 114 Schutzfrist 2.1. 65; 2.4. 44; 7.3. 300, 303 Schutzgut 5.1. 59 Schutzkonzept, abgestuftes 6.3. 47 Schutzland 5.1. 126 Schutzmaßnahmen, technische 2.1. 25, 177; 2.4. 157; 2.5. 80; 7.3. 306 Schutzprinzip 7.3. 40 Schutzrecht, abhängig 2.13. 211 Schutzrecht, bloß vernichtbar 2.13. 225 Schutzrecht, lizenziertes 2.13. 211 Schutzrechte 1.1. 105, 112 Schutzrechte, „spezifischer Gegenstand“ des 2.13. 315 Schutzrechte, gewerbliche 3.2. 317 Schutzrechte, verwandte 7.3. 297, 300 Schutzrechtseingriff 1.5. 23 Schutzrechtsübertragungen 3.2. 143 Schutzrechtsverwarnung 1.5. 2; 3.1. 198 Schutzschrift 1.5. 38 Schutzumfang 1.1. 130; 2.5. 39 Schutzzertifikate, 2.13. 57 Schutzzertifikate, ergänzende 2.13. 50, 57 Schutzzwecktrias 3.1. 18 Schwellenwerte 3.2. 50, 74 Schwerpunkt des Schutzes 2.5. 80 Scorewerte 7.1. 19 Screenshots 2.2. 23, 55 SD-Karte 2.11. 98 Second life 1.1. 27, 69 Sekundärmedien 1.1. 24 Sekundärrecht 1.1. 46; 1.3. 206 Sekundärvermarktung 1.1. 42 Selbstbestimmung 6.3. 23; 7.2. 58, 61 Selbstbestimmung, informationelle 2.5. 105 Selbstbestimmung, sexuelle 7.2. 203 Selbstbestimmungsrecht, informationelles 2.4. 255; 5.1. 162 Selbstjustiz 7.2. 41, 53 Selbstregulierung 1.1. 69 Selbstregulierung, regulierte 4.1. 26; 7.2. 191, 310 Selbstständigkeitspostulat 3.2. 28 Selbstwertprobleme 7.2. 71
Stichwortverzeichnis Sendelandsprinzip 1.3. 144 Sendeprivileg 2.1. 148 Sender 2.3. 19 Senderecht 2.3. 62 Senderprivileg 2.3. 92 Sendestaatsprinzip 7.2. 311 Sendeunternehmen 2.2. 68; 2.3. 20 Sendezeitbeschränkung 7.2. 9, 212, 211, 247, 279, 310 Senkung der Schutzschwelle 1.1. 119 Sequestration 1.4. 42; 1.5. 8 Sequestrationsantrag 1.5. 8 Serien 7.2. 267, 277 Server 2.5. 139 Serverbetreiber 2.5. 107 Serversysteme, skalierte 2.5. 112 Service-Level-Agreement 5.3. 78 Service-Provider 2.3. 130; 7.3. 63, 70 Setanmeldung 2.11. 43 Sexualbereich 6.1. 40 Sexualmoral 7.2. 94 Sexualobjekt 7.2. 69 Sexualwissenschaft 7.2. 60 Sharehoster 1.4. 22 Shevill-Entscheidung 5.1. 105 Shooting 2.4. 299 Shop-in-the-Shop 7.2. 173 Showformate 2.3. 19 Sicherheit in der Informationstechnik 5.3. 16 Sicherheit, öffentliche 2.4. 128, 194 Sicherheitsleistung 1.5. 39 Sicherheitslücke 5.3. 63, 66 Sicherung der Meinungsvielfalt 3.2. 14, 85, 154 Sicherung der Schadensersatzansprüche 1.4. 102 Sicherungskopien 2.1. 136 Sich-Verschaffen 7.3. 180, 204 SIEC-Test 3.2. 52 Signalfunktion 2.11. 11 Signallieferungsmarkt 3.2. 167, 170 Signalton 2.3. 120 Signatur 2.4. 122 Signatur, einfache elektronische 5.3. 29 Signatur, fortgeschrittene elektronische 5.3. 30 Signatur, qualifizierte elektronische 5.3. 31 Signaturbündnis 5.3. 37 Signaturgesetz 5.1. 26; 5.3. 26 Signaturprüfschlüssel 5.3. 27 Signaturrecht 5.3. 23 Signatur-Richtlinie 5.3. 26 Signaturschlüssel 5.3. 27 Signaturverordnung 5.3. 26 Signets 2.9. 1 SIM-Karte 5.2. 87, 98; 7.1. 47 Simulcasting 2.1. 127
Simultancasting 2.3. 134 Single Sign On 5.3. 44 Sitten, gute 2.11. 35, 49 sittenwidrig 2.7. 60 Sitz 5.2. 100 Sitz des Beklagten 5.1. 84 Skaleneffekte 3.2. 223 Slogan 2.11. 92 SMS 3.1. 311 SMS-Dienstenummer 5.2. 91 SMS-Werbung 3.1. 68 Social-engineering 7.3. 137 Software 1.1. 45; 2.5. 33, 35, 46, 48, 73, 79; 2.13. 88 Softwareentwickler 2.3. 131 Softwareerwerb durch Download 2.5. 25 Softwarekauf 2.5. 164 Softwarelizenzen, gebrauchte 2.1. 118 Softwarepatente 2.5. 33 Softwareschutz 2.5. 37, 47 Softwarewerk 2.5. 35 Solange-Entscheidung 1.3. 14 Sollbeschaffenheit 2.5. 99 Soll-Vorgaben 5.2. 66 Sonderkartellrecht für Telekommunikationsdienste 3.2. 82 Sonderpreise 2.6. 347 Sonderregelungen 5.1. 10 Sonderschutz 2.5. 160 Sondersituation 4.1. 10 Sonderveröffentlichung 3.1. 125 Songtexte 2.1. 141 Sorgfaltsmaßstab 4.2. 193 Sorgfaltspflicht 4.2. 193, 208; 5.2. 143; 5.3. 92; 6.3. 33 Sounddesign 2.11. 108 Soundeffekte 2.5. 10, 60 Sound-Engine 2.5. 31 Sounds 2.5. 129 Soundsamples 2.5. 36 Soundtrack 1.1. 62 Sozialadäquanzklausel 7.3. 219, 227, 229, 234 Sozialbindung 1.1. 110 Sozialsphäre 6.1. 52 Sozialsponsoring 3.1. 95 Spam 3.1. 171; 5.1. 164 Spamming 3.1. 72, 119 Spannung 3.1. 43 Spartenprogramme 4.1. 49 Special-Interest-Magazin 3.1. 122 Speicherfrist 7.1. 112 Speicherstruktur 2.5. 130 Speicherung 2.5. 55 Speicherung von digitalen Bildern 2.4. 80 Speicherung von Informationen 5.1. 249
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Stichwortverzeichnis Sperrlisten 5.2. 56 Sperrung 5.1. 277; 7.1. 134 Sperrungsverfügungen 5.1. 236 Sperrverfügungen 7.2. 306 Spezifizierungslast 2.6. 112, 114, 127 Sphäre 6.1. 36; 6.3. 79 Spiegelung 5.1. 248 Spielaufgaben 2.5. 52 Spielbetrüger 2.5. 134 Spieldesign 2.5. 53 Spieleentwickler 2.5. 19 Spieleplattformbetreiber 2.5. 121 Spieleproduktion 2.5. 20 Spielergänzung 2.5. 122, 129 Spieleserver 2.5. 112 Spielfiguren 2.5. 13, 65, 139 Spielidee 2.5. 52 Spielkonsolen 2.5. 7 Spielkonzept 2.5. 51 Spielplattform 2.5. 13 Spielprinzipien 2.5. 52 Spielregeln 2.5. 155 Spielstände 2.5. 123 Spielwelt 2.5. 73 Spielzugang 2.5. 139 Spiraltheorie 7.2. 70 Spitzenstellungswerbungen 3.1. 247 Sponsored Games 2.5. 87 Sponsoring 3.3. 14 Sport 6.3. 65 Sportwetten 7.3. 13, 285 Sprachausgabe 2.5. 31, 61 Sprachbarrieren 3.2. 26, 259 Sprachtelefonie-Richtlinie 5.2. 3 Sprachwerk 2.5. 35, 37, 61, 64; 7.3. 298 Spürbarkeitsschwelle 5.1. 101 Spyware 5.3. 88 Staatsfreiheit 4.1. 4 Staatsgeheimnisse 7.3. 196, 197, 201 Staatshaftungsanspruch 1.3. 11 Staatsschutzdelikte 7.3. 182 Staatsschutzrecht 7.3. 181 Staatssicherheit 7.3. 212 Stadtplan 2.1. 59 Stalking 7.3. 127 Stammbestandteil einer Zeichenserie 2.7. 107 Stand der Technik 5.3. 68, 91 stand still 1.3. 11 Standard 3.2. 8, 279, 280, 295, 298, 319 Standard, offener 3.2. 232 Standard, proprietärer 3.2. 232 Standard, unilateraler 3.2. 9 Standardisierung 3.2. 192, 302, 312, 317 Standardisierung, multilaterale 3.2. 314 Standardisierung, unilaterale 3.2. 314
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Standards, internationale 5.1. 109 Standards, offene 3.2. 312 Standards, proprietäre 3.2. 312 Standardsetzung 3.2. 9 Standardsoftware 2.5. 22; 5.3. 72 Standardverträge 2.3. 41 Standardvertragsklauseln 7.1. 184 Standbilder 2.4. 42 Ständige Vertreter 7.2. 178 Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörde 7.2. 143, 145 Standort des Servers 7.3. 46 Standortdaten 5.2. 169; 7.1. 27 Startauflage 2.6. 128 Stasi-Unterlagen-Gesetz 7.3. 341 Stellung, marktbeherrschende 3.2. 54 Stellvertretungsprinzip 7.3. 40 Sternchen-Hinweise 3.1. 240 SternTV-Entscheidung 4.2. 213 Steuergeheimnis 1.4. 92 Steuersoftware 2.5. 76 Stilmittel 2.4. 48 Stimulationstheorie 7.2. 24 Stoffentwicklung 2.6. 47, 49, 51, 54, 62 Stoffentwicklungsvertrag 2.6. 55 Stoffschutz 2.6. 73 Stoffumsetzung 2.6. 47 Stolpe 4.2. 132, 156 Stop-Codes 5.2. 95 Störer 1.4. 10; 5.1. 277, 278 Störerauswahl 5.1. 292 Störerhaftung 1.4. 10; 2.3. 131; 3.1. 330; 5.1. 278 Störpropaganda gegen die Bundeswehr 7.3. 208 Störung der Geschäftsgrundlage 2.3. 38 Strafanzeige 4.2. 191 Strafausschließungsgrund 7.3. 77 Strafprozess 7.3. 351 Strafrecht 5.1. 234 Straftatbestände des UWG 3.1. 359 Straftaten 5.2. 179 Straftäter 4.2. 174 Straftäter, jugendliche 4.2. 175 Strafverfahren 7.3. 392 Strafverfolgungsbehörden 5.2. 181 Straßenbildfreiheit 2.4. 215, 232, 248 Streaming 1.1. 73; 2.2. 192 Streicher 2.3. 9 Streitgegenstand 1.5. 60 Streitgegenstandsbegriff 1.5. 60 Streitgenossenschaft, notwendige 2.2. 231 Streitschlichtung 2.10. 82 Streitwert 3.1. 351 Stücklizenz 2.13. 242
Stichwortverzeichnis Stufenklage 1.5. 107 Stylist 2.4. 22, 64, 313 Sublizenz 2.2. 148; 2.6. 308 Sublizenznehmer 2.2. 162 Substituierbarkeit 3.2. 24 Substitutionskonkurrenz 2.2. 252 Suchmaschine Google 1.1. 3 Suchmaschinen 1.1. 68; 3.2. 243, 307, 322; 5.1. 219, 248, 294; 7.3. 72 Suchmaschinenanbieter 7.2. 300 Suchmaschinenhaftung 5.1. 297 Suggestivkraft 4.1. 15, 18 Sukzessionsschutz 2.13. 32, 39, 73 Sweepstake 3.1. 147 Synchronisationsrecht 2.2. 108 Synchronproduzent 2.2. 68 Syndication 2.4. 26 System des geistigen Eigentums 1.1. 97 Szenenbilder 2.2. 46 Tabuüberschreitungen 7.2. 70 Tagebuchinhalte 6.1. 37 Tagesereignis 2.4. 131, 196 Tageszeitungen 4.1. 70 Talkshows 7.2. 74, 77, 231, 268 Tarif VR-OD 1 2.3. 67 Tarif VR-T-H 1 2.3. 77 Tarif VR-TH-F 1 2.3. 83 Tarife der VG Bild-Kunst 2.4. 146 Tarifvertrag 2.2. 202 Taschenbuch 2.6. 154, 255; 3.2. 110 Taschenbuchausgabe 2.6. 111 Taschenbuchprogramm 2.6. 138 Tastatur 2.5. 5 Täter 1.4. 9; 4.2. 171 Täterschaft 7.3. 55 Täterschaft, mittelbare 7.3. 57 Tätervolk 4.2. 124 Tathandlungen 7.3. 156 Tatherrschaft 7.3. 59 Tätigkeit, erfinderische 2.12. 12 Tatooing 2.4. 160 Tatort 5.1. 88; 7.2. 89; 7.3. 44 Tatortprinzip 5.1. 122 Tatsachen, innere 4.2. 95 Tatsachen, wahre 4.2. 81 Tatsachenbehauptung 4.2. 77; 7.3. 99, 102 tauchschule-dortmund.de 2.10. 53 Tauschbörsen 2.1. 141; 2.3. 2, 126 Tauschbörsennutzer 2.3. 132 Täuschung 3.1. 90, 100 Tauschwert 1.1. 26 Technik 2.4. 47 Technikbegriff 1.1. 45 Techniken, unterschwellige 3.1. 116
Technikförderung 4.1. 109 Technologieneutralität 3.2. 328 Technologietransfer-Vereinbarungen 3.2. 37, 73, 138, 139 Teil, redaktioneller 7.3. 363 Teilnahme 7.3. 55 Teilnahmebedingungen 3.1. 149 Teilnehmer 1.4. 9; 5.2. 164; 7.3. 33 Teilnehmerhaftung 3.1. 329 Teilnehmernetzbetreiber 5.2. 77 Teilnehmernetzbetreiber, alternative 5.2. 77 Teilnehmernetzbetreiber, konkurrierende 5.2. 77 Teilnehmerrufnummer 5.2. 45 Teilzahlungen 5.2. 116 Teledienste 5.1. 42; 7.3. 252 Telediensteanbieter 7.3. 61 Telefonanschluss 5.2. 77 Telefonat 6.1. 37, 50 Telefonbücher 2.1. 62 Telefonkarte, traditionelle 5.2. 112 Telefonverbindung 5.2. 72 Telefonverbindungen, einzelne 5.2. 78 Telefonwarteschleifen 2.3. 102 Telefonwerbung 3.1. 68, 119, 290, 297 Telekommunikation 1.1. 44; 3.2. 124; 7.1. 15 Telekommunikationsbereich 1.4. 111 Telekommunikationsdienste 5.1. 62 Telekommunikationsgesetz (TKG) 5.2. 16 Telekommunikationsnetz, digitales 1.1. 78 Telekommunikationsrecht 3.2. 82; 4.1. 7 Telekommunikationsverbindungsdaten 7.3. 313 Telemedien 2.5. 102; 2.11. 109, 110; 5.1. 29, 36, 40; 7.1. 14, 78; 7.2. 103; 7.3. 252 Telemedien für persönliche oder familiäre Zwecke 4.1. 52 Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten 4.1. 53 Telemedien, allgemein 4.1. 54 Telemedien, geschäftsmäßige 5.1. 167 Telemedien, journalistisch-redaktionelle 5.1. 179, 213 Telemedien, länderübergreifende 5.1. 81 Telemedienanbieter 5.1. 73 Telemediengesetz 1.1. 73, 145; 1.4. 15 Telemedium an die Allgemeinheit 4.1. 60 Teleshopping 1.1. 31; 3.1. 1, 106, 116, 229, 328; 3.3. 14; 7.2. 219 Teleshopping-Angebote 1.1. 77 Tele-Spiele 2.5. 4 Teletext 1.1. 45; 5.1. 18 Tenor 1.5. 64 Territorialisierung 5.1. 8 Territorialitätsgrundsatz 2.7. 18
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Stichwortverzeichnis Territorialitätsprinzip 2.7. 15; 2.10. 1; 7.3. 33, 301 Territorialprinzip 5.1. 126; 7.1. 177 Tester 7.2. 177, 185 Testergebnis 3.1. 260 Texter 2.3. 7 Textform 5.1. 206, 208; 5.2. 90 Textprobe 2.6. 103, 181 Texturen 2.5. 31, 36, 68 Theater 1.1. 79 Theaterproduktionen 1.1. 79 Therapien 3.4. 22 Thumbnails 2.1. 109; 2.4. 80 Titel des Werks 2.6. 208 Titel von Zeitschriften oder Büchern 2.10. 26 Titelschutz 2.8. 2, 54 Titelschutzanzeige 2.7. 188; 2.8. 20 Titelseite 6.2. 42 TKG 5.2. 11, 12, 15, 30 TK-Review 4.1. 112 TK-Unternehmer 5.2. 91 Tonbänder 7.3. 51 Tondesign 2.11. 103 Töne 2.5. 36 Tonmeister 2.3. 10 Tonspeicher 7.3. 49 Tonträger 7.3. 51 Tonträgerhersteller 2.2. 70; 2.3. 14, 35, 109 Tonträgerherstellerschutz 2.5. 60 Torrent-Systeme 2.3. 132 TOS 2.5. 24 total buyout 2.6. 69 Trackball 2.5. 5 trademark or service mark 2.10. 87 Träger von Medien 1.1. 21 Trägermedien 2.5. 103; 5.1. 29; 7.2. 103; 7.3. 328 Trailer 2.2. 103, 184; 2.5. 41 Transaktionen auf Märkten 1.1. 5 Transaktionskosten 1.1. 7, 119, 131 Transaktionsplattform 1.1. 94 Transparenz 5.1. 191 Transparenz bei Preisausschreiben und Gewinnspielen 3.1. 142 Transparenz bei Verkaufsförderungsmaßnahmen 3.1. 128 Transparenzangebot 3.1. 255 Transparenzgebot 3.1. 133; 5.2. 114 Transparenzpflichten 7.1. 110 Transportkosten 3.2. 26, 258 Treatment 2.2. 32, 33, 34, 206; 2.6. 47, 52, 61, 202 Treiberprogramme 2.5. 31 Trennungsangebote 3.1. 123 Trennungsgebot 2.5. 92, 93
1924
Trennungsgrundsatz 3.1. 115 Trennungsprinzip 1.3. 179; 3.3. 52 Treue 7.2. 60 Treuegrundsatz, verlagsrechtlicher 2.6. 162 Treuepflicht 2.4. 329; 2.6. 232, 263 Treuepflicht des Verfassers 2.6. 232 Treuepflichten, besondere 5.2. 143 TRIPs 1.1. 103 TRIPs-Abkommen 2.7. 7 TRIPs-Plus 1.1. 11 Trusted Computing Group 3.2. 317 TT-GVO 3.2. 73 Tumble 1.1. 68 TV, mobiles 7.2. 228 TV-Design 2.11. 104 TV-Formate 2.11. 79 TV-Movies 7.2. 266 TV-Werbung 6.2. 46 Typenzwang, kein 2.5. 156 Typenzwang, sachenrechtlicher 2.5. 151 Übergangsphase 7.2. 51 Überlassen 7.3. 167, 331 Übermittler 5.1. 70 Übermittlung, beschleunigte 5.1. 243 Übermittlung, telekommunikative 5.2. 134 Übernahme, nachschaffende 3.1. 184 Übernahmeverfahren 7.2. 154 Überschriften 4.2. 220 Übersetzerverlagsvertrag 2.6. 270 Übersetzervertrag 2.6. 9, 64, 108 Übersetzervertrag mit Auswertungspflicht 2.6. 270 Übertragbarkeit 6.2. 16, 18 Übertragbarkeit des Titelschutzes 2.8. 63 Übertragen 7.3. 127 Übertragung 7.2. 18 Übertragung der Lizenz 2.13. 189 Übertragung des Urheberrechts 2.1. 41, 44 Übertragung von Nutzungsrechten, geschmacksmusterrechtliche 2.11. 41 Übertragungsfiktion 2.1. 210 Übertragungsrechte 3.2. 149 Überwachung 5.2. 53; 7.3. 379, 381 Überwachungspflichten 5.1. 290 Überweisungsmodelle 5.2. 112 Überzeugungen, religiöse 6.1. 42, 51 Ubiquität 3.2. 220 Ubiquität immaterieller Güter 1.1. 7 Ubiquitätsprinzip 5.1. 101, 107; 7.3. 33 ultima ratio-Prinzip 5.2. 123 Umfang 2.6. 107, 183 Umfang der Lizenz 2.13. 103 Umgebung, virtuelle 2.5. 36 Umgebungsgeräusche 2.5. 60
Stichwortverzeichnis Umgehung 2.4. 157 Umgehungsverbot 5.2. 57 Umgestaltungen, andere 2.4. 81 Umlaufverfahren 7.2. 234 Umleitung von Kunden 3.1. 210 Umsatzlizenz 2.13. 241 Umsatzsteuer 2.6. 147 Umsatzsteuerzahlung 2.6. 143 Umschlaggestaltung 2.6. 158, 209 Umsetzungspflichten 5.1. 51 Unbrauchbarmachung 7.3. 89 Unerfahrenheit, geschäftliche 3.1. 102, 105 UNESCO-Übereinkommen 1.1. 16 Uniform Dispute Resolution Policy 2.10. 82 Unikate 2.4. 122 Universaldienst-Richtlinie 5.2. 4 Unkörperlichkeit 7.3. 299 unrichtige Einträge 5.2. 105 Unrichtigkeitsvermutung 5.2. 137 Unschuldsvermutung 7.3. 389 Unterbrecherwerbung 3.3. 12, 113 Untergang des Titelschutzes 2.7. 204 Unterhaltungsmedien 2.5. 93 Unterhaltungsspiele 7.3. 285 Unterlassen 7.3. 72, 203 Unterlassung 2.10. 32; 4.2. 46; 5.1. 293; 7.1. 131; 7.3. 60 Unterlassungsanspruch 1.4. 33; 2.12. 37; 3.1. 29, 315; 5.1. 268, 271, 279 Unterlassungsanspruch, vorbeugender 5.1. 271; 6.3. 88 Unterlassungserklärung 1.5. 10, 23; 3.1. 320 Unterlassungserklärung, einfache 1.5. 23 Unterlassungserklärung, strafbewehrte 1.5. 23 Unterlassungstitel 1.5. 64, 109 Unterlassungsverpflichtung 3.1. 345 Unterlassungsverpflichtungserklärung 1.5. 33 Unterlizenz 2.13. 45, 189, 257 Unternehmenskennzeichen 2.7. 128, 171 Unternehmenspersönlichkeitsrecht 2.2. 312, 344; 6.1. 13 Unternehmensrecht 1.1. 137 Unternehmensstrategien 1.1. 94 Unternehmer 2.6. 89; 3.1. 27 Unternehmerpersönlichkeitsrecht 2.4. 257 Unterrichtungspflicht 2.13. 177 unterscheiden 5.2. 107, 110 Unterscheidungseignung 2.7. 24 Unterscheidungsfunktion 2.7. 2, 3 Unterscheidungskraft 2.5. 63 Unterscheidungskraft bei Bildmarken 2.7. 50, 51 Unterscheidungskraft bei Wortmarken 2.7. 50 Unterscheidungskraft, abstrakte 2.7. 30 Unterscheidungskraft, Begriff 2.7. 48
Unterscheidungskraft, namensmäßige 2.7. 173 Unterschiedlichkeit des Musters 2.11. 27 Untersuchungen, ärztliche 6.1. 40 Unterweltkönig 4.2. 177 Unterwerfung 3.1. 320 Unterwerfungsvertrag 1.5. 30 Unterwerfungswiderspruch 1.5. 99 Unversehrtheit 5.3. 19 Updates 2.5. 27 Upload 7.3. 308, 309 Uploading 2.3. 126 Uploadvorgang 2.3. 129 Urheber 1.4. 6; 2.4. 58 Urheberbenennung 2.4. 75, 151, 152; 2.6. 211 Urheberbezeichnung 2.4. 67, 72, 74; 2.6. 208 Urhebernachfolgevergütung 2.1. 69 Urhebernennung 1.4. 59 Urheberpersönlichkeitsrecht 1.4. 6; 2.1. 101; 2.2. 298; 2.4. 70; 2.6. 269; 7.3. 296, 297 Urheberrecht 1.1. 112; 2.5. 31, 157; 2.13. 81; 5.1. 106 Urheberrechtsvermerk 2.1. 37 Urheberstrafrecht 7.3. 295 Urhebervertragsrecht 2.1. 181 Urkunden 1.4. 101 Urkundenvorlage 1.4. 85, 101 Urschrift 1.5. 85 Urteilsverfügung 1.5. 78 Urteilsveröffentlichung 1.4. 103; 3.1. 166, 333, 350 USB-Sticks 7.3. 53 Usenet 1.4. 23 Usenet-News 7.3. 53 User Generated Content 1.1. 68 USK 2.5. 176, 177 UWG-Lizenz 2.13. 100 Verabredung 7.3. 271 Verabredung von Straftaten 7.3. 265 Verächtlichmachen 7.3. 194 Veranstalter 2.3. 27 Veranstalterrecht 1.1. 131 Veranstaltung 7.3. 292 Veranstaltungen in Jugendklubs 7.2. 118 Verantwortlichkeit 5.1. 24, 217, 218, 277 Verantwortlichkeit im Internet 7.3. 61 Verantwortlichkeit von Telemedienanbietern 5.1. 256 Verantwortlichkeitsregeln 5.1. 27 Verband der Filmtheaterbesitzer 7.2. 116 Verbände 3.1. 322 Verbandsrichtlinien 3.1. 117 Verbindungsdaten 5.2. 135 Verbindungsleistungen 5.2. 73 Verbindungsnetzbetreiber 5.2. 78, 86
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Stichwortverzeichnis Verbindungsnetzbetreiber, alternative 5.2. 78, 79 Verbindungsnetzbetreiberkennzahl 5.2. 79 Verbindungstrennungspflichten 5.2. 57 Verbot der Vorlagenverwertung 3.1. 375 Verbot des Machtmissbrauchs 3.2. 18 Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung 2.13. 335 Verbraucher 3.1. 19, 27, 102; 5.2. 91 Verbraucherleitbild 3.1. 80, 90, 110, 237 Verbrauchersachen 5.1. 86 Verbraucherschutzverbände 3.1. 322 Verbraucherverbände 3.1. 338 Verbrechen 7.3. 267, 364 Verbreiten 6.3. 17; 7.3. 156, 215, 218 Verbreiten von Schriften 7.3. 346 Verbreitung 2.6. 214; 7.3. 105, 233, 252, 255, 261, 298, 299, 358 Verbreitung kinderpornografischer Schriften 7.3. 256 Verbreitung pornografischer Schriften 7.3. 236, 240 Verbreitung staatsgefährdender Inhalte 7.3. 181 Verbreitungsort 1.5. 55 Verbreitungsrecht 2.1. 112 Verbreitungsrecht, erschöpft 2.6. 236 Verdächtigung, falsche 7.3. 148 Verdachtsberichterstattung 4.2. 187 Verdachtsmomente 5.2. 144 vereinbarte Entgelte 5.2. 109 Vereinbarung 2.13. 326, 355 Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung 3.2. 37 Vereinbarungen, wettbewerbsbeschränkende 3.2. 18, 268 Vererbbarkeit 2.1. 42; 6.3. 96 Verfahren 2.7. 163 Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt 2.7. 166 Verfahren, betriebsgeheimes 2.13. 55 Verfahrensgrundsätze, allgemeine 2.7. 164 Verfahrenspatent 2.12. 8 Verfall 2.7. 157; 7.3. 88, 258 Verfallsklauseln 5.2. 114 Verfälschung des Wettbewerbs 2.13. 324, 351 Verfasser 2.6. 14 Verfassermehrheit 2.6. 22 Verfassungsmäßigkeit der FSK 7.2. 139 Verfassungsschutzbehörden 5.2. 179, 181 Verfilmungspflicht 2.2. 94 Verfilmungsphase 2.2. 73 Verflechtung von Medienmärkten, globale 3.2. 71 Verflechtungen, intermediäre 3.2. 93 Verflechtungen, multimediale 3.2. 97
1926
Verfolgungszwang 7.3. 41 Verfrühung 7.2. 57 Verfügbarkeit 5.3. 17 Verfügbarmachung 5.1. 94 Verfügung, einstweilige 1.5. 49 Verfügungsanspruch 1.5. 49, 68; 3.1. 348 Verfügungsgrund 1.5. 49, 69; 3.1. 347 Verfügungsrecht 1.1. 132 Verfügungsverfahren 1.5. 68 Verfügungsverfahren, einstweiliges 3.1. 30, 347 Vergewaltigungen 7.2. 100 Vergriffensein 2.6. 130, 292, 294 Vergütung 2.6. 52, 70, 241, 253 Vergütung, angemessene 2.1. 7, 31, 219 Vergütung, übliche 2.4. 317 Vergütungsanspruch 2.6. 32, 54 Vergütungsansprüche, gesetzliche 2.1. 239; 2.3. 62 Vergütungspflicht 2.6. 132 Vergütungsregel, gemeinsame 2.1. 232; 2.2. 202; 2.6. 253 Verhaltenskodex 7.2. 285, 294, 299 Verhaltensregeln des deutschen Werberats 3.1. 106 Verhältnis von deutschem und europäischem Kartellrecht 2.13. 319 Verhältnismäßigkeit 7.3. 118 Verhandlung 7.3. 387 Verhandlung, mündliche 1.5. 75 Verhandlungspausen 7.3. 387 Verharmlosung 7.2. 83 Verherrlichung 7.2. 83 Verhinderung des Wettbewerbs 2.13. 324, 351 Verifizierung 2.5. 81 Verjährung 1.4. 107; 1.5. 108; 2.13. 259; 3.1. 341, 358; 7.3. 83, 320 Verjährung des Markenrechts 2.7. 121 Verjährungsbeginn 3.1. 342 Verjährungsfrist 3.1. 29 Verjährungsfrist, absolute 3.1. 343 Verjährungshemmende Wirkung 1.4. 107 Verjährungshemmung 3.1. 349 Verkauf von Werbezeiten 3.2. 202 Verkäufe, grenzüberschreitende 2.6. 338 Verkaufsförderungsmaßnahmen 3.1. 129 Verkaufsgemeinschaften 3.2. 274 Verkaufsveranstaltung 3.1. 118 Verkaufsverlosung 3.1. 93, 155 Verkehrauffassung, geteilte 2.7. 38 Verkehrsdaten 1.4. 82; 5.2. 169; 7.1. 26 Verkehrsgeltung 2.10. 18 Verkehrspflicht 5.1. 263 Verkehrspflichten, wettbewerbsrechtlichen 3.1. 330 Verkehrssicherungspflicht 5.1. 265
Stichwortverzeichnis Verkehrswege, öffentliche 5.2. 62 Verlagsfähigkeit 2.6. 12 Verlagsrecht, negatives 2.6. 228; 230, 231 Verlagsrecht, positives 2.6. 230 Verlagsvertrag 2.1. 182; 2.3. 54; 2.6. 59, 88 Verlängerung und Beendigung des Bezuges 5.2. 100 Verlängerungsoption 2.2. 85 Verleger 1.1. 132; 2.6. 16; 7.3. 321, 323, 324 Verleiten und Erbieten zum Verrat 3.1. 365 Verleiten zum Vertragsbruch 3.1. 201 Verletzergewinn 1.4. 55; 6.2. 12 Verletzerzuschlag 1.4. 58, 60; 2.4. 150 Verletzung der Ausübungspflicht 2.13. 286 Verletzung des Deinstgeheimnisses 7.3. 58 Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten 2.4. 155 Verletzungsform 1.5. 10 Verleumdung 7.3. 97, 108 Verlosung 3.1. 147 Vermarkter 2.4. 25 Vermarktungsbereitschaft 6.2. 24 Vermarktungsstrategien 1.1. 20, 42 Vermietung 2.1. 112; 7.2. 106 Vermitteln 7.3. 287 Vermögensrecht des Unternehmens 1.1. 133 Vermögensverhältnisse 6.1. 50 Vermutung der Rechtsinhaberschaft 2.5. 78 Vermutung der Urheberschaft 2.1. 38; 2.4. 66 Vernichtbarkeit des Schutzrechts 2.13. 267 Vernichtung 2.12. 38; 7.1. 140 Vernichtungsanspruch 1.4. 42; 1.5. 8 veröffentlichen 5.2. 101 Veröffentlichungsrecht 2.1. 36 Verpackung 2.5. 106; 2.11. 94 Verpflichtungen in Form sog Regulierungsverfügungen 5.2. 24 Verpflichtungen zur Bereitstellung von Mietleistungen 5.2. 24 Verpflichtungserklärung, strafbewehrte 1.5. 23 Verramschung 2.6. 164, 165, 167, 217, 288, 303 Verrat 7.3. 205 Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen 3.1. 365 Verrechnungsklausel 2.6. 152 Versammlungen 6.3. 60 Versammlungen, öffentliche 7.3. 154 Versandhandel 7.2. 91, 106, 169; 7.3. 242, 244, 331 Verschaffungspflicht 2.13. 206 Verschenken von Ware 3.1. 216 Verschleiern 5.1. 198 Verschleierung werblicher Kontakte 3.1. 118 Verschleierungsverbot 5.1. 194 Verschlüsselung, asymmetrische 5.3. 27
Verschlüsselungsverfahren 2.4. 158 Verschmelzungen 5.1. 1 Verschulden 3.1. 321, 329, 335 Verschuldenserfordernis bei wettbewerbsrechtlichem Schadensersatzanspruch 3.1. 335 Verschuldensmaßstab 1.5. 27 Verschweigen 4.2. 83 Versteigerer 2.4. 121 Versteigerung 5.2. 41 Versteigerungsverfahren 5.2. 41 Versteigerungsverfahren genießt Anwendungsvorrang 5.2. 41 Verstorbener 6.1. 23 Verstoß gegen europäisches oder deutsches Kartellrecht 2.13. 367 Verteidigung des lizenzierten Schutzrechts 2.13. 174 Verteildienst 5.1. 18, 44, 153 Verteilungsgerechtigkeit 2.3. 112 Verteilungsprinzip 2.3. 112 Vertrag über die dauerhafte Erbringung von Verbindungsleistungen 5.2. 80 Vertrag, gegenseitiger 2.13. 15 Verträge, volumenabhängige 5.2. 74 Vertragsabschlussklauseln 5.2. 88 Vertragsanpassung 2.6. 257 Vertragsdauer 2.13. 265 Vertragsfreiheit 2.13. 6, 106 Vertragsgegenstand 2.6. 96, 98 Vertragsgemäßheit eines Buchs 2.6. 316 Vertragsinhalt 2.6. 181 Vertragslaufzeit 5.2. 100 Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke 2.6. 22, 90 Vertragsofferten, getarnte 3.1. 100 Vertragsschluss 2.6. 84 Vertragsstrafe 1.5. 11, 28; 3.1. 354, 367 Vertragsstrafeansprüche 3.1. 354 Vertragsstrafen 3.1. 324 Vertragsstrafeversprechen 1.5. 11, 31 Vertragstypen 2.3. 6, 38 Vertragsübernahme 2.5. 160 Vertragsverhältnis 5.1. 238 Vertragsverhandlung 2.6. 56, 94, 1114 Vertragsverhandlungen, individuelle 5.2. 67 Vertragsverletzungen 2.13. 112 Vertraulichkeit 5.3. 21, 48 Vertraulichkeit des Wortes 7.3. 121 Vertraulichkeitsvereinbarungen 2.13. 305 Vertreterkonferenzen 2.6. 219 Vertriebsform 5.2. 87 Vertriebskanal 1.1. 69 Vertriebslizenz 2.13. 149 Vertriebspartner 5.2. 181 Verunglimpfung 3.1. 162, 286; 7.3. 193
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Stichwortverzeichnis Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 7.3. 97, 100, 112 Verurteilung 4.2. 202 Vervielfältigung 2.3. 72; 2.5. 61; 7.3. 295, 298, 299, 303, 308, 310 Vervielfältigung und Verbreitung 2.6. 31 Vervielfältigung, elektronische 2.6. 119 Vervielfältigung, mechanische 2.3. 62 Vervielfältigungen, flüchtige 2.1. 149 Vervielfältigungsbegriff 2.6. 113 Vervielfältigungsbegriff, verlagstypischer 2.6. 113 Vervielfältigungsrecht 2.1. 107 Vervielfältigungsstücke 1.4. 43 Verwaltungsakt 5.2. 40 Verwaltungsakt, begünstigender 5.2. 49; 7.2. 140 Verwaltungsgerichte 5.2. 186 Verwechslungsgefahr 2.5. 63; 2.7. 78; 2.10. 32, 40 Verwechslungsschutz 2.7. 67, 77 Verweigerung einer Lizenzerteilung 2.13. 339 Verwenden 7.3. 35, 224 Verwendung eines fiktiven Namens 2.10. 7 Verwendungsbeschränkungen 2.13. 97 Verwerterindustrie 1.1. 69 Verwertung 7.3. 141, 301, 303 Verwertung von Vorlagen 3.1. 365 Verwertung von Vorlagen, unbefugte 3.1. 375 Verwertungsgesellschaft 2.1. 214; 2.3. 29, 61 Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst 2.4. 33 Verwertungsgesellschaften 1.1. 16, 140; 3.2. 80, 195 Verwertungslizenzen 2.13. 3 Verwertungsmöglichkeiten von Design 2.11. 78 Verwertungsprozess 1.1. 2, 97 Verwertungsrechte 2.1. 106, 188; 7.3. 296 Verwertungsverbote, gesetzliche 2.4. 284 Verwirkung 1.4. 110; 2.13. 259, 263 Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) 2.6. 214, 349 Verzicht 2.7. 156 Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung 3.1. 349 Verzichtserklärung 2.10. 71 Verzug des Lizenznehmers 2.13. 247 Vetorecht 2.2. 155 Video auf Abruf 5.1. 39 Video-/DVD-Auswertung 2.2. 183 Videoclips 1.1. 62 Videodateien 2.5. 31 Videodesign 2.11. 106 Videogrammverwertung 2.2. 190 Videokassetten 7.3. 52, 328 Video-on-demand 2.2. 191, 194
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Videopiraterie 7.3. 305 Video-Podcasting 3.1. 12 Videos 2.5. 36 Video-Spiele 2.5. 4 Videotheken 7.3. 243 Videoüberwachung 2.4. 259 Vielfalt, kulturelle 1.1. 16 Vier-Fenster-Modell 5.2. 90 Vintage Prints 2.4. 30 Virenbaukästen 7.3. 272, 273, 275 Virus Construction Kits 7.3. 275 Visagisten 2.4. 22, 313 Visitenkarten 2.11. 96 Vodcasting 3.1. 12 Volksverhetzung 7.3. 228 Vollharmonisierung 5.1. 224 Vollmacht 1.4. 8 Vollmachtsvorlage 1.5. 14 Vollprogramme 4.1. 49 Vollstreckung 1.5. 77, 109 Vollziehung 1.5. 77 Vollziehungsfrist 1.5. 81 Vorabkontrolle 7.1. 166 Voraussetzungen der Markenfähigkeit 2.7. 24 Voraussetzungen der rechtserhaltenden Benutzung 2.7. 144 Voraussetzungen eines Gebrauchsmusters 2.12. 46 Voraussetzungen eines Patents 2.12. 11 Voraussetzungen, geschmacksmusterrechtliche, formelle 2.11. 48 Voraussetzungen, materielle 2.11. 20 Vorauszahlungsbasis 5.2. 131 Vorbenutzungsrecht 2.11. 45; 2.12. 36 Vorbereitung eines Angriffskrieges 7.3. 183 Vorbereitung gefährdender Inhalte 7.3. 10 Vorbereitungshandlungen 5.1. 94 Vorbildfunktion 7.2. 77 Vorfeldkriminalisierungen 7.3. 276 Vorführen 7.3. 166 Vorführung, öffentliche 7.2. 115, 117, 118 Vorführungen in Hotelzimmern 7.2. 119 Vorgaben für die Ausgestaltung des öffentlichrechtlichen Rundfunks 4.1. 28 Vorgaben für die Ausgestaltung des privaten Rundfunks 4.1. 32 Vorgaben für die Ausgestaltung neuer Marktbeteiligter 4.1. 34 Vorgehen gegen Schutzrechtsverletzungen 2.13. 178 Vorlage 2.3. 132 Vorlage, erneute 7.2. 158 Vorlagegesetz der FSF 7.2. 264 Vorlagenfreibeuterei 2.4. 169; 2.6. 77 Vorleistungsbereich 5.2. 26
Stichwortverzeichnis Vorleistungsmärkte 3.2. 87 Vorrang des europäischen vor dem deutschen Kartellrecht 3.2. 18 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 1.3. 13 Vorrangthese 3.1. 182 Vorrätighalten 7.3. 170 Vorratsdatenspeicherung 7.1. 10 Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie (2006/24/EG) 5.1. 33, 211 Vorratsverfügung 1.5. 42 Vorrichtungen 1.4. 44 Vorsatz 3.1. 335 Vorschuss 2.6. 145 Vorsperre, technische 7.2. 211 Vortrag 6.3. 31 Vorverurteilung 4.2. 196 Wahlkampfbehauptung 6.1. 27 Wahlrecht 1.4. 52 Wahrheit 7.3. 99 Wahrheitsgehalt 4.2. 56 Wahrnehmung berechtigter Interessen 7.3. 74, 113 Wahrnehmungsgrundsätze 2.3. 33 Wahrnehmungsrichtungen 2.7. 85, 92 Wahrnehmungsvertrag 2.3. 109, 110 Wahrnehmungszwang 2.3. 34 Währungsklausel 2.13. 273 Wappen 2.7. 60 Waren, nicht bestellte 3.1. 295 Warenbezugspflichten 2.13. 289 Warengesellschaft 1.1. 124 Warenverkehrsfreiheit 1.3. 20 Warenzeichengesetz 3.1. 7 Warnauskunfteien 7.1. 69 Wartungs- und Entstördienste 5.2. 100 Wasserzeichen 2.4. 69, 158, 159; 5.3. 83 Wasserzeichen, digitale 2.4. 158 Web 2.0 1.1. 3, 68, 69 Web 3.0 1.1. 3 Web-Adressbücher 2.11. 81 Webcaster 1.1. 73 Webcasting 2.1. 127; 2.3. 134; 5.1. 41 Webhosting-Diensteanbieter 1.4. 20 Weblogs 3.1. 12 Webradios 4.1. 73 Web-Seite 2.1. 56; 2.5. 47; 2.11. 112; 6.3. 107; 7.1. 178; 7.3. 66, 72, 135, 267, 278, 282 Website mit aktueller Berichterstattung 4.1. 69 Website, private 4.1. 68 Websitedesign 2.11. 111 Wechselwirkungslehre 7.3. 18 Wegfall der Entgeltzahlungspflicht 5.2. 128 Wegfall des Entgeltanspruchs 5.2. 57 Weideglück 2.10. 63
Welt, virtuelle 2.5. 72 Welten, persistente 2.5. 73 weltonline.de 2.10. 66 Weltrechtsprinzip 7.3. 40 Weltverfilmungsrechte 2.2. 105 Werbeanzeigen 1.4. 12 Werbeaussagen, blickfangmäßig herausgestellte 3.1. 240 Werbebeschränkungen, inhaltliche 3.3. 113 Werbeblocker 3.1. 323 Werbefilm 2.2. 142 Werbefinanzierung 3.2. 12 Werbefreiheit 1.1. 127 Werbegaben 3.4. 39 Werbegeschenke 3.1. 89 Werbegrenzen, inhaltliche 3.3. 11 Werbehinweisrecht 2.4. 191, 225, 239 Werbehöchstmengen 3.3. 12, 113 Werbemails 5.1. 39 Werbemarkt 3.2. 13, 87, 128 Werbemaßnahmen 6.2. 9 Werbemengenbegrenzungen 1.3. 177 Werben 7.3. 289, 294 Werberecht 1.3. 297 Werbeschrift 3.1. 123 Werbesendungen 3.1. 294 Werbespots 3.1. 227 Werbetexte 2.11. 92 Werbeunterbrechungen 2.2. 286 Werbeverbot 7.2. 9, 245 Werbeverkaufsveranstaltungen 3.1. 118 Werbevorschriften 4.1. 50 Werbewirtschaft 6.2. 4 Werbezwecke 6.3. 72 Werbung 1.1. 60, 117; 2.3. 105; 2.5. 31, 84; 2.6. 218, 288; 2.11. 92; 3.1. 42, 236, 264; 3.3. 78; 5.1. 191; 6.2. 63; 6.3. 73; 7.1. 71; 7.2. 134, 219, 298; 7.3. 333, 334, 349 Werbung für alkoholische Getränke 3.1. 106; 7.2. 134 Werbung für ein Presseerzeugnis 6.2. 38 Werbung für Heilmittel und Heilbehandlungen 2.4. 290 Werbung für Tabakerzeugnisse 3.1. 106 Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen 3.1. 104 Werbung im klassischen Sinne 2.5. 89 Werbung in Rundfunk und Telemedien 3.1. 106 Werbung mit Anrufmaschinen 3.1. 290, 308 Werbung mit Preisausschreiben 3.4. 57 Werbung, belästigende 2.5. 91; 3.1. 127 Werbung, crossmediale 3.2. 97 Werbung, gefühlsbezogene 3.1. 94 Werbung, getarnte 3.1. 50, 113; 3.4. 6, 27
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Stichwortverzeichnis Werbung, inhaltsneutrale 7.2. 91 Werbung, irreführende 3.1. 361 Werbung, redaktionelle 3.1. 121 Werbung, strafbare 3.1. 361 Werbung, unerbetene 3.1. 1 68 Werbung, vergleichende 3.1. 234, 262; 3.4. 57, 74 Werbung, verschleiert 2.5. 91 Werbung, zielgruppenorientierte 7.1. 58 Werk 2.1. 36, 46; 2.5. 60, 74; 7.3. 297, 298 Werk, künftiges 2.6. 84 Werkart 2.5. 34 Werkbank, verlängerte 2.13. 148, 280 Werkbegriff 1.1. 36; 2.5. 34 Werkbeschaffenheit 2.6. 101 Werke an öffentlichen Plätzen 2.4. 214 Werke der Musik 7.3. 298 Werke, amtliche 2.1. 62; 2.4. 124 Werke, bleibende 2.4. 219 Werke, künftige 2.1. 187 Werke, verbundene 2.1. 75 Werke, vergängliche 2.4. 219 Werkfälschung 2.1. 90 Werkkatalog 2.5. 34, 66 Werkkategorien 2.5. 47 Werkkonzeption 2.2. 261 Werkpräsentation 2.4. 220 Werkschöpfungskette 1.1. 127 Werkteile 2.1. 59 Werktitel 2.1. 58; 2.7. 171, 182 Werktitelschutz 2.5. 63 Werktitelschutz kraft Verkehrsgeltung 2.8. 42 Werkverbindung 2.6. 29 Werkvertrag 2.1. 246 Wert, ökonomischer 1.1. 25 Wertekonsens, allgemeiner 7.2. 22 Wertentwicklung 7.2. 55 Wertewandel 7.2. 56 Wertsicherungsklauseln 2.13. 274 Werturteil 7.3. 99, 102 Wesen, menschenähnliche 7.2. 85 Wesentlichkeit 3.2. 7 Wettbewerb, nachhaltiger 5.2. 65 Wettbewerb, ökonomischer 3.2. 86, 87 Wettbewerb, publizistischer 3.2. 86, 89 Wettbewerbsabrede 2.6. 234 Wettbewerbsbehandlung 3.1. 27 Wettbewerbsbeschränkung 2.13. 352; 3.2. 28 Wettbewerbsförderungsabsicht 3.1. 121, 267 Wettbewerbsfreiheit 3.2. 5, 6 Wettbewerbsgesetze, allgemeine 5.2. 12 Wettbewerbshandlungen 3.1. 34, 37 Wettbewerbsklausel 2.6. 170; 2.13. 198 Wettbewerbsrecht 1.1. 106, 129, 133 Wettbewerbsrecht, allgemeines 5.2. 11
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Wettbewerbs-Richtlinie 5.2. 4 Wettbewerbsverbände 3.1. 338 Wettbewerbsverbot 2.6. 93; 3.1. 367; 3.2. 144 Wettbewerbsverbot für den Lizenznehmer 2.13. 303 Wettbewerbsverstoß von einem Mitarbeiter oder Beauftragten 3.1. 328 Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch 3.1. 218 Wette 7.3. 285 Widerruf 4.2. 61; 6.3. 37; 7.1. 131 widerrufen 5.2. 91 Widerruflichkeit 7.1. 113 Widerrufsanspruch 3.1. 333 Widerrufsbelehrung 5.1. 206 Widerrufsbelehrungen, fehlerhafte 3.1. 68 Widerrufsfrist 5.1. 206 Widerrufsrecht 2.1. 207 Widerrufsrecht des Urhebers 2.6. 227 Widerrufsrecht, gesetzliches 3.1. 109 Widerspruch 1.5. 95, 96; 7.1. 127 Widerspruchsrecht 2.1. 213 Widerspruchsverfahren 2.7. 162 Wiedereinfuhr 2.6. 341 Wiedererkennungseffekt 2.11. 90 Wiedergabe, öffentliche 7.3. 298, 299, 303, 308 Wiederherstellung der Originalsache 2.5. 166 Wiederholung 4.2. 49 Wiederholung, hartnäckige 4.2. 75 Wiederholungsgefahr 1.4. 35; 1.5. 10; 3.1. 317, 320, 328; 5.1. 268 Wiederkennungseffekt 2.11. 91 Wiener Klassifikation 2.7. 10 Wikis 1.1. 68 Willensbildungsprozesse 1.1. 73 Willenserklärung 5.2. 91 WIPO 2.11. 55 Wirkung, befreiende 5.2. 116 Wirkung, dringliche 2.13. 35 Wirkungen des Gebrauchsmusters 2.12. 57 Wirkungen des Patents 2.12. 28 Wirkungsprognosen 7.2. 31 Wirkungsrisiko 7.2. 25 Wirtschaftsauskunfteien 7.1. 53 Wirtschaftskonzeption 1.1. 139 Wirtschaftsleben 4.2. 168 Wirtschaftsprüfervorbehalt 1.4. 66 Wirtschaftssysteme, virtuelle 2.5. 2 Wirtschaftsverbände 3.1. 322 Wirtschaftswerbung 6.2. 6; 7.3. 16 Wirtschaftswerbung, allgemeine 6.2. 60 Wissenschaftsfreiheit 3.1. 54 Wissenschaftskommunikation 1.1. 9 Wissenschaftsverlag 2.6. 244 Wissensgesellschaft 1.1. 83
Stichwortverzeichnis Wohnsitz 7.3. 47 Work in progress 2.4. 219 Work made for hire 2.1. 43 World Copyright Treaty 2.1. 125 World Wide Web 1.1. 96 Wortberichterstattung 6.3. 52 Worte, nichtöffentlich gesprochene 7.3. 121 XBox 2.5. 7 YouTube 1.1. 68; 2.3. 131 Zahlung 5.2. 109 Zahlung der Lizenzgebühr 2.13. 238 Zahlungsklage 1.5. 107 Zahlungsverzug des Lizenznehmers 2.13. 250 Zedenten 1.4. 7 Zeichen 2.7. 26, 60 Zeichen, mehrdeutiges 2.7. 44 Zeichenähnlichkeit 2.7. 84 Zeichenfunktion 2.11. 10 Zeichenidentität 2.7. 75 Zeigen 7.3. 179 Zeitgeschehen 7.3. 234 Zeitgeschichte 6.3. 39; 7.3. 315 Zeitlizenz 2.13. 134 Zeitschriften 3.2. 111 Zeitschriften, kostenlose 3.1. 123 Zeitschriften, werbefinanzierte 3.1. 123 Zeitschriftengewerbe 1.4. 12 Zeitungen 3.2. 111 Zeitungsgewerbe 1.4. 12 Zensur 7.2. 1 Zensurverbot 7.2. 2, 238 Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs 3.1. 338 Zerstörung, schöpferische 3.2. 9 Zertifikat 5.3. 31, 106 Zertifizierung 5.3. 105 Zertifizierungsdienst 5.3. 33 Zertifizierungsdienstanbieter, akkreditierter 5.3. 35 Zertifizierungsstelle 5.3. 32 Zessionar 1.4. 7 Zeugen 4.2. 171 Zeugnisverweigerungsrecht 1.4. 77; 7.3. 352, 368, 373 Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger 7.3. 352 Zielgruppenkommunikation, interaktive 1.1. 33 Zitat 2.1. 159; 2.4. 134, 201; 4.2. 92 Zitatrecht 2.4. 227 Zitattreue 4.2. 93 Zitatzweck 2.4. 136, 203
Zivilrechtsweg 5.2. 187 Zollfahndungsämter 5.2. 181 Zollkriminalamt 5.2. 181 Zollkriminalität 5.2. 181 Zollverwaltung 5.2. 181 Zombies 7.3. 231 Zoning 5.1. 8 Zubehör 2.7. 131 Zueigenmachen 4.2. 210 Zufallsfunde 7.3. 373 Zugaben 2.6. 357; 3.1. 85, 104, 131 Zugabeverordnung 3.1. 85 Zugang 5.1. 239 Zugang über Breitbandkabel 3.2. 236 Zugang über Schmalbandkabel 3.2. 236 Zugang zu wesentlichen Einrichtungen (essential facility-Doktrin) 3.2. 203 Zugang zum Netz 5.2. 73 Zugang, diskriminierungsfreier 5.1. 154 Zugänglichmachen, öffentliches 7.3. 160, 218, 311 Zugänglichmachung 5.1. 106; 7.3. 123, 128, 129, 158, 233, 240, 331 Zugangsansprüche zu Infrastruktureinrichtungen 3.2. 67 Zugangsbeschränkungen, technische 1.1. 96 Zugangsdaten 2.5. 156 Zugangshindernisse 7.3. 162, 253 Zugangskontrolle 2.4. 158 Zugangsprovider 5.1. 66 Zugangs-Richtlinie 5.2. 4 Zugangssperre 7.3. 135 Zugangsverpflichtung 5.2. 67 Zulassung 5.1. 147 Zulassung als Rundfunkveranstalter 4.1. 47 Zulassung als Veranstalter 4.1. 46 Zulassung, anzumelden 5.1. 145 Zumutbarkeit 5.1. 267, 285 Zur Schau stellen 7.3. 314 Zurechenbarkeit 5.1. 265 Zurschaustellen, öffentliches 6.3. 20 Zusammenführung der Märkte 3.2. 181 Zusammenschaltungs-Richtlinie 5.2. 3 Zusammenschluss 3.2. 40, 41, 46, 52, 55, 56 Zuschaueranteile 3.2. 13 Zuschaueranteilsmodell 3.2. 155; 4.1. 47 Zuschauermärkte 3.2. 128 Zuständigkeit 5.1. 81 Zuständigkeit, gerichtliche 3.1. 30, 351, 353 Zuständigkeit, internationale 1.5. 51; 2.10. 4; 5.1. 78 Zuständigkeit, örtliche 1.5. 55; 2.10. 4; 3.1. 353; 5.1. 83 Zuständigkeit, sachliche 1.5. 56; 3.1. 353 Zuständigkeitskonzentration 3.1. 356
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Stichwortverzeichnis Zuständigkeitsnormen 5.1. 81 Zustandsregulierung 5.2. 24 Zustellung des Titels 1.5. 109 Zustellung im Ausland 1.5. 91 Zustellung von Anwalt zu Anwalt 1.5. 90 Zustellungsadressat 1.5. 88 Zustimmungsrechte 2.2. 99 Zustimmungsvorbehalt 2.2. 155 Zuteilung 5.2. 48 Zuteilung, originäre 5.2. 50 Zuteilung, rechtsgeschäftlich abgeleitete 5.2. 50 Zuteilungsbedingungen 5.2. 52 Zuteilungsverfahren, einstufiges 5.2. 50 Zuteilungsverfahren, zweistufiges 5.2. 50 Zutrittsrecht 2.4. 250 Zuverlässigkeit 7.2. 60 Zuweisung von Übertragungskapazität zur Verbreitung eines Angebots 4.1. 46 Zuzahlung, gesetzliche 3.1. 92 Zwangskommerzialisierung 6.2. 10 Zwangslizenz 2.1. 64 Zwangslizenzierung 3.2. 5 Zwangsmittel 1.5. 109 Zwangsmittelverfahren 1.5. 109
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Zwangsvollstreckung 1.4. 102 Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO 2.10. 75 Zweck der Lizenzpolitik 2.13. 1 Zweck des Lizenzvertrages 2.13. 1 Zwecke, familiäre 5.1. 171 Zwecke, persönliche 5.1. 171 Zwecke, wirtschaftliche 6.3. 70 Zweckübertragungsgedanke 2.6. 69, 308 Zweckübertragungslehre 2.4. 177, 301, 304, 312; 2.6. 36, 110, 113, 120, 230; 2.13. 28, 85; 6.3. 35; Zweckübertragungsregelung 2.2. 239 Zweckübertragungstheorie 2.1. 196 Zwei-Stufen-Lehre 2.2. 327 Zwei-Tages-Regel 3.1. 258 Zweiter Korb 2.1. 69 Zweitmarke bei zusammengesetzten Zeichen 2.7. 106 Zweitverwertung 2.3. 111 Zwischengrafiken 2.5. 31 Zwischensequenzen 2.5. 31, 41, 42 Zwischenspeicherung 5.1. 243, 244; 7.3. 69 Zwischenstaatlichkeitsklausel 3.2. 31 Zwischenüberschriften 4.2. 220