Margareta Kreimer Ökonomie der Geschlechterdifferenz
Margareta Kreimer
Ökonomie der Geschlechterdifferenz Zur Persis...
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Margareta Kreimer Ökonomie der Geschlechterdifferenz
Margareta Kreimer
Ökonomie der Geschlechterdifferenz Zur Persistenz von Gender Gaps
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Karl-Franzens Universität Graz und des Landes Steiermark, Abteilung Wissenschaft und Forschung.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Tilmann Ziegenhain VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16106-8
Inhaltsverzeichnis 3.1
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz .................................... 9
1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 1.4 1.5 1.6
Der Gender Gap als Ausdruck von Diskriminierung ................................................11 Gender Gap und Arbeitsteilung ................................................................................14 Irreversibilität und verfestigte Strukturen: Arbeitsteilung „wirkt“ ...........................15 Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus I .................................................18 Geschlechterkonstruktion im Medium der Arbeitsteilung ........................................19 Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus II ................................................21 Gender Gap und Care................................................................................................23 Macht, Hierarchie und Gestaltungsspielräume .........................................................25 Gender Gap und ökonomische Analyse....................................................................27 Aufbau der Arbeit .....................................................................................................30
2.
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich ............................................ 33
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit..............................................34 Beschäftigungsquote und Gender Gap Beschäftigung..............................................34 Arbeitslosenquote und Gender Gap Arbeitslosigkeit................................................37 Nichterwerbstätigkeit und die Kategorie der „im Haushalt Tätigen“ .......................39 Teilzeitbeschäftigung und Gender Gap Arbeitszeit ..................................................41 Gender Pay Gap ........................................................................................................46 Arbeitsmarktsegregation ...........................................................................................48 Gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung: Gender Gap Care ......................................50 Fazit: Existenz und Stabilität des Gender Gap..........................................................53
3.
Gender Gap und Arbeitsmarkt Die endlose Varietät der Differenz ........................................................... 55
3.1
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik ................57
3.1.1 Gender Gap in der Beschäftigung und die Arbeitsangebotsentscheidung ................58 3.1.2 Gender Pay Gap und die ökonomische Analyse von Diskriminierung .....................67 3.1.3 Gender Gap Arbeitszeit: Theoretische Aspekte der Teilzeitbeschäftigung...............75
6
3.2
Inhaltsverzeichnis
Gender Gap Beschäftigung Bestimmungsgründe der Nichterwerbstätigkeit ..................................................82
3.2.1 Ursachen der Nichterwerbstätigkeit – familiäre oder arbeitsmarktbezogene Gründe?.....................................................................................................................83 3.2.2 Determinanten der Nichterwerbstätigkeit von Frauen – der objektive Rahmen .......86 3.2.3 Nichterwerbstätigkeit im Zusammenspiel objektiver und subjektiver Faktoren.......93 3.2.4 Fazit: Bestimmungsgründe der Nichterwerbstätigkeit in Österreich ........................96 3.3
Gender Gap Einkommen Konstellationen und Mechanismen geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede ....................................................................................100
3.3.1 Der „unerklärte Rest“ beim Gender Gap Einkommen ............................................102 3.3.2 Erweiterter theoretischer Rahmen: Konzepte aus der Gender-Forschung ..............105 3.3.3 „Towards a Closing of the Gender Pay Gap“: Grundlagen, Methodik und Design der Studie....................................................................................................108 3.3.4 Konstellationen und Mechanismen des Gender Pay Gap in Österreich..................112 3.3.5 Fazit: Einkommensdiskriminierung als Herausforderung für Theorie und Politik......................................................................................................................119 3.4
Gender Gap Berufskarriere Segregation, die Gläserne Decke und Berufsunterbrechungen als Stolpersteine weiblicher Erwerbskarrieren........................................................125
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4
Vertikale Segregation und Gläserne Decke ............................................................126 Karrierehindernis Frauenberufe? ............................................................................135 Stolperstein: familiär bedingte Berufsunterbrechungen..........................................142 Schlussfolgerungen: Karrieren im segregierten Arbeitsmarkt ................................147
3.5
Gender Gap Arbeitszeit Chancen und Risken der Teilzeitarbeit...............................................................149
3.5.1 Teilzeit als Motor der Arbeitsmarktintegration von Frauen....................................150 3.5.2 Teilzeit als Barriere für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt .................................156 3.5.3 Perspektiven zum Gender Gap Arbeitszeit .............................................................163 3.6
Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt.................................................................168
3.6.1 Gender Gap und Arbeitsteilung ..............................................................................169 3.6.2 Spezialisierung auf Care als Aspekt horizontaler Arbeitsteilung? ..........................175 3.6.3 Macht, Hierarchie und Gestaltungsspielräume: Der lange Weg zur Gleichstellung der Geschlechter .............................................................................177
Inhaltsverzeichnis
7
4.
Gender Gap und Care Zur Analyse lebensweltlicher Arrangements und ihrer Alternativen............................................................................................... 179
4.1
Beiträge zu einer Theory of Care .........................................................................182
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6
Aspekte einer Theory of Care I: Ansätze aus der Familienökonomik.....................183 Aspekte einer Theory of Care II: The Economics of (Child) Care..........................188 Zum besonderen Charakter von Care......................................................................190 Gender und Care im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Forschung .......................193 Care und Citizenship...............................................................................................201 Fazit: Aspekte einer Theory of Care III ..................................................................205
4.2
Reorganisation von Care in Österreich Widersprüchliche Entwicklungen .......................................................................207
4.2.1 Kinderbetreuung und Langzeitbetreuung in Österreich: Status Quo und jüngste Reformen ....................................................................................................208 4.2.2 Aufwertung und Bewertung informeller Betreuungsarbeit: Caregiving Parity.......218 4.2.3 Paradigmatischer Wandel in Österreich? Entwicklungstendenzen im CareArrangement I .........................................................................................................222 4.2.4 Erhöhung der Wahlfreiheit? Entwicklungstendenzen im Care-Arrangement II .....225 4.2.5 Fazit: Weder Caregiving Parity noch Verbesserung der Wahlfreiheit....................229 4.3
Gender Gap und Elternkarenz Anfang oder Ende egalitärer Arbeitsteilung? ....................................................231
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Elternkarenz in Österreich ......................................................................................232 Theoretische Überlegungen zur Elternkarenz .........................................................239 Gender Gap und Elternkarenz I: Karenz und weibliche Erwerbskarrieren .............244 Gender Gap und Elternkarenz II: Arbeitsteilung und Väterkarenz .........................247 Fazit: Elternkarenz und Gleichstellung der Geschlechter .......................................254
4.4
Fazit: Gender Gap und Care ...............................................................................256
4.4.1 Aspekte einer ökonomischen Theory of Care .........................................................257 4.4.2 Gender Gap Care und Arbeitsteilung......................................................................258 4.4.3 Gender Gap Care und gleichstellungspolitische Perspektiven................................263
8
Inhaltsverzeichnis
5.
Gender Gap und Gleichheit Der lange Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ............................. 265
5.1
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik.........................................268
5.1.1 Gleichheit – Ungleichheit – Differenz: Rechtliche Dimensionen und theoretische Dilemmata ..........................................................................................268 5.1.2 Gleichstellungspolitiken .........................................................................................275 5.1.3 Gleichstellungspolitik in Österreich........................................................................283 5.1.4 Gender Gap und Gleichstellungspolitik ..................................................................289 5.2
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming Geschlechtergleichstellung, Arbeitsmarktpolitik und Organisationenwandel .................................................................................................................... 294
5.2.1 Arbeitsmarktpolitik und Chancengleichheit: Grundlegende Zusammenhänge.......294 5.2.2 Fragestellungen einer chancengleichheitsorientierten Arbeitsmarktpolitik ............298 5.2.3 Fallstudie: „Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming – Chancengleichheitskonzeptionen in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik“...................308 5.2.4 Fazit: Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming – und zurück?..................320 5.3
Gleichstellung und Care Perspektiven einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter........................324
5.3.1 Konzeptionen einer umfassenden gleichstellungspolitischen Perspektive..............325 5.3.2 Care als Politikfeld für die Gleichstellung der Geschlechter ..................................334 5.3.3 Die Organisation von Care als Teil der Gleichstellungspolitik: Zwei Fallbeispiele...................................................................................................341 5.3.4 Fazit: Zum gleichstellungspolitischen Potenzial von Care .....................................349 5.4
Fazit: Gender Gap und Gleichheit ......................................................................351
5.4.1 Gleichstellungspolitik in erweiterter Perspektive ...................................................352 5.4.2 Integration von Care in die Gleichstellungspolitik: Gleichheit und/oder Differenz? ...............................................................................................................358 5.4.3 Gleichstellungspolitik und Organisationenwandel: Konsequenzen aus der Organisationsforschung zur Gendered Organization..............................................360 5.4.4 Gleichstellungspolitik auf der Makroebene: Gender Budgeting .............................362
6.
Resümee und Ausblick ............................................................................. 365
Literaturverzeichnis.........................................................................................................371 Verzeichnis der Tabellen, Abbildungen und Übersichten ............................................405 Danksagung ......................................................................................................................407
1
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
Dieses Buch beinhaltet eine mit empirischen Arbeiten zur österreichischen Situation unterlegte Analyse ökonomisch relevanter Geschlechterdifferenzierungen – im Folgenden mit Gender Gap bezeichnet – sowie deren Veränderungsmöglichkeiten aus einer ökonomischfeministischen Perspektive. Empirischer Ausgangspunkt ist der Gender Gap am Arbeitsmarkt: Wir treffen auf ein vielfältiges und heterogenes Bild der Geschlechterunterschiede auf unterschiedlichen Ebenen. Der bekannteste Gender Gap ist der Gender Pay Gap, aber der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern ist nur die Spitze des Eisberges. Das Fundament bilden Unterschiede in der Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit, bei der Aufstiegsmobilität, in Führungspositionen, in der Arbeitszeit, bei unterschiedlichen Beschäftigungsformen, bei der Übernahme von Betreuungsarbeit; der Gap findet seine Fortsetzung in den Systemen sozialer Sicherung, sichtbar beispielsweise bei der Höhe der Pensionen in Abhängigkeit von Beitragsjahren, Beschäftigungsausmaß und Einkommenshöhe. Dass es sich dabei um kein auf Österreich beschränktes Phänomen handelt, zeigt die deutliche Präsenz der Thematik auf EU-Ebene1 und darüber hinaus auf globaler Ebene.2 Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Existenz des Gender Gap, sondern ebenfalls als empirische Tatsache dessen relative Stabilität über die Zeit: Trotz essentieller Reduktion des Gender Gap Bildung, trotz Annäherung der Erwerbsverläufe zwischen den Geschlechtern, und nicht zuletzt trotz politischer Strategien (Gleichbehandlungsgesetze, Gleichstellungspolitik) ist die Ungleichheit der Geschlechter mit dem eindeutigen Hierarchisierungsmuster der Benachteiligung von Frauen in vielen Dimensionen des Arbeitsmarktes weiterhin festgeschrieben und setzt sich über den Arbeitsmarkt hinaus fort.3 Beides zusammengenommen, die Existenz und die Dauerhaftigkeit des Gender Gap, bilden Ausgangspunkt und Problemstellung des Buches: Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern und des darin festgehaltenen Aspekts der Diskriminierung. Die Analyse des Gender Gap erfolgt theoretisch-konzeptionell aus einer ökonomischfeministischen Perspektive. Gegenüber dem ökonomischen mainstream bedeutet dies in mehrfacher Hinsicht eine Erweiterung der Vorgangsweise: 1 Zu finden ist die Analyse der Ausprägungen des Gender Gap vor allem im Bereich der Beschäftigungspolitik (siehe Kap. 5 für Details); vgl. z.B. Europäische Kommission 2007, Rubery et al. 2002; 2004; 2006. 2 Das World Economic Forum erhebt für 128 Länder auf der Basis von 14 Indikatoren in den Bereichen economic participation and opportunity, political empowerment, educational attainment und health and wellbeing das jeweilige Ausmaß der Geschlechtergleichstellung (vgl. World Economic Forum 2007). Die ersten drei Ränge nehmen skandinavische Länder ein (Schweden, Norwegen, Finnland). Österreich kommt nur auf den enttäuschenden 27. Platz insgesamt, im Bereich economic participation and opportunity gar nur auf den 89. Platz, was insbesondere durch jene Indikatoren verursacht wird, die sich auf die Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern beziehen. 3 In den erwerbsarbeitsmarktbezogenen Systemen sozialer Sicherheit, wie sie für Österreich vorliegen, ergeben sich insbesondere Effekte auf die soziale Mindestsicherung bei Arbeitslosigkeit und in der Pension, sichtbar in einer überproportionalen Betroffenheit der Frauen von Armut (vgl. z.B. Heitzmann/Schmidt 2004, Mairhuber 2000a).
10
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz Der Gender Gap verweist auf Diskriminierungsprozesse, doch unterliegen gerade die ökonomischen Diskriminierungsansätze vielfältiger Kritik ob ihres Erklärungswertes, insbesondere hinsichtlich dessen, welche Formen der Diskriminierung und welche damit verbundenen Effekte überhaupt in die theoretische Analyse aufgenommen werden. Der Gender Gap ist jedenfalls ein Ausdruck von Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Dies allerdings auf den Aspekt der Spezialisierung aufgrund individueller Präferenzen und/oder rationaler Entscheidungen zu reduzieren, greift zu kurz. Wir begegnen der Arbeitsteilung in der Form verfestigter Strukturen vergangener Prozesse der Ausschließung, Abgrenzung oder Diskriminierung. Das Resultat dieser Prozesse, vertikale, hierarchische Differenzierung, wird im ökonomischen mainstream kaum behandelt. Der Gender Gap ist direkt oder indirekt mit der Aufteilung von unbezahlter bzw. informeller Betreuungsarbeit verknüpft, deren analytische Behandlung in der Ökonomik aber bislang sporadisch ist. Der Gender Gap widerspricht den meisten modernen Vorstellungen ergebnisorientierter Gleichheitskonzepte, womit Gleichstellungspolitik begründet werden kann. Die ökonomische Fundierung von Gleichstellungspolitik ist jedoch im mainstream ein klares Randthema: Es finden sich einige Analysen zur Frauenförderung und affirmative action, sowie jüngst in der Makroökonomik Bemühungen, das öffentliche Budget als Quelle der Geschlechterungleichbehandlung zu identifizieren, aber bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich um Beiträge feministischer oder in die Gleichstellungspolitik involvierte ÖkonomInnen.
Diese erweiterte Vorgangsweise bedingt nicht nur ein Hinausgehen über den mainstream in der Ökonomik (d.h. vor allem über die Neoklassik4 hinaus) durch die Einbeziehung alternativer, heterodoxer ökonomischer Ansätze und Methoden, sondern auch interdisziplinäre Kooperationen in Theorie und Methodik. In dieser erweiterten Perspektive wird weniger das Ziel verfolgt, neue Theorien zu entwickeln bzw. anders ausgedrückt Warum-Fragen zu beantworten, es geht vielmehr um Wie-Fragen:5 Wie wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung immer wieder hergestellt und gefestigt, wie kann sich der Gender Gap auf Dauer halten, wie kann Betreuungsarbeit adäquat in die ökonomische Analyse integriert werden, wie kann Gleichstellungspolitik eingreifen, u.a.m. Diese Wie-Fragen erfordern weniger programmatisch-theoretische als vielmehr empirische Antworten, die sich ihrerseits auf unterschiedliche Konzepte und Modelle innerhalb und außerhalb der ökonomischen Wis4 Die Abgrenzung neoklassischer Ökonomik liegt nicht ganz auf der Hand, denn die oft verwendete Definition von Lionel Robbins als Wissenschaft, die das menschliche Verhalten als Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten analysiert, trifft auch auf andere ökonomische Theorien zu, die die Allokation von Ressourcen untersuchen. Ich folge hier der Überlegung von Woolley (1993, 486), die in Anlehnung an Mark Blaug neoklassische Ökonomik als “mainstream, orthodox economics” definiert, “which is presented in intermediate text books.” 5 Vgl. Teubner/Wetterer 1999, die in ihrer Einleitung zur deutschen Übersetzung der Gender-Paradoxien von Judith Lorber (Lorber 1999) einen ähnlichen Fokus in Lorbers Arbeit in Hinblick auf den konstruktivistischen Ansatz in der sozialwissenschaftlichen Gender-Forschung identifizieren. Es geht nicht darum, die Relevanz eines solchen Ansatzes einmal mehr zu begründen, sondern zu zeigen, wie Geschlecht konstruiert wird. Analog geht es in der vorliegenden Arbeit nicht darum, den Abbau von Diskriminierung theoretisch zu begründen, sondern um das Wie hinter der Existenz, Stabilität und schließlich entscheidend auch um die Veränderung diskriminierender Aspekte im Geschlechterverhältnis.
Der Gender Gap als Ausdruck von Diskriminierung
11
senschaft stützen können. Basierend auf der Feststellung, dass die Gender-Forschung in den Sozialwissenschaften eine deutlich längere Tradition hat als in den Wirtschaftswissenschaften, wird insbesondere nach Konzepten im interdisziplinären Kontext gesucht. Das Ziel ist eine integrierende Perspektive, die auch zur Weiterentwicklung der Ökonomik beitragen kann.
1.1
Der Gender Gap als Ausdruck von Diskriminierung
Ökonometrische Zerlegungen des Einkommensunterschieds zwischen den Geschlechtern zeigen, dass nur ein Teil der Differenz durch produktivitätsrelevante Unterschiede zwischen den Geschlechtern (wie Berufserfahrung, Ausbildung, Beschäftigungsausmaß) erklärt werden kann. Ein Teil bleibt als unerklärter Rest übrig, der in der Ökonomik in der Regel der Diskriminierung zugeordnet wird (siehe Kap. 3.3). Auch die deskriptive Übersicht über die Ausprägungen des Gender Gap in Österreich verweist in der Quantität und Stabilität der Differenz auf das Moment der Diskriminierung (siehe im Detail Kap. 2).6 Aufgrund dieser empirischen Befunde lässt sich die Ausgangsthese folgendermaßen formulieren: Die Existenz des Gender Gap verweist auf Diskriminierung bzw. Diskriminierungsmechanismen. Die beobachtete Differenz zwischen den Geschlechtern ist nicht vollständig in Präferenzen oder produktivitätsrelevante Unterschiede aufzulösen. Der Gender Gap berührt für alle Individuen zentrale Rahmenbedingungen des ökonomischen und sozialen Handelns, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen bzw. Konsequenzen. Daraus lassen sich sowohl die Notwendigkeit als auch die Sinnhaftigkeit einer ökonomischen Analyse des Gender Gap sowie egalisierender Politiken ableiten. Folgende Ausprägungen des Gap werden untersucht: Gender Gap Beschäftigung, Berufskarriere und Arbeitszeit sowie der Gender Pay Gap (alle Kapitel 3) und der Gender Gap Betreuungsarbeit bzw. Care (Kapitel 4). Kapitel 5 widmet sich der Gleichstellungspolitik. Zu Beginn bedarf es einiger begrifflicher Klärungen: Der Gender Gap umfasst ökonomisch relevante Differenzen zwischen Frauen und Männern, die sich über Daten messen und beschreiben lassen. Häufig ist der Ausgangspunkt der empirischen Analyse des Gender Gap die Differenz zweier Verteilungen, z.B. fungiert die Differenz zwischen der Beschäftigungsquote der Männer und jener der Frauen als Gender Gap Beschäftigung. Wenn im Folgenden vom Gender Gap im Singular gesprochen wird, soll dies weder die vielfältigen und heterogenen Erscheinungsformen ge6
Es sei hier darauf verwiesen, dass Diskriminierung nicht nur im Verhältnis der Geschlechter relevant ist, sondern sich gegen eine Reihe anderer, quantitativ ebenfalls bedeutender Gruppen richten kann (Diskriminierung aufgrund von Ethnizität, Nationalität, sexueller Orientierung, Behinderung). Auch eine mehrfache Betroffenheit durch Diskriminierung (z.B. schwarze Frauen) ist vielfach Realität. Im Jahr 2004 wurden die österreichischen Gleichbehandlungsgesetze (siehe Kap. 3.3 bzw. 5.1) um Antidiskriminierungsbestimmungen erweitert, d.h. Gleichbehandlung ist ohne Unterschied der Sprache, ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung geboten. Im Folgenden geht es dennoch um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ohne damit andere Formen der Diskriminierung auszuschließen.
12
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
schlechtsspezifischer Differenz unkenntlich machen, noch soll damit postuliert werden, es gäbe nur einen Erklärungsstrang, ein eindeutiges Muster hinter den Ausprägungen des Gap in verschiedenen Bereichen. Der Gender Gap zeigt eine "endlose Varietät und monotone Ähnlichkeit" in Analogie zur Charakterisierung der Reproduktion der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis (vgl. Wetterer 2002, 59ff).7 Der Begriff Gender Gap wird in diesem Sinne verwendet: geschlechtsspezifische Differenzen finden wir in nahezu allen Bereichen ökonomischen und sozialen Lebens mit großer Varietät nicht nur was die Größe und Entwicklung des Gap betrifft, sondern auch die Wandlungsfähigkeit des Gap und die Vielfalt der verwendeten Erklärungen. Gleichzeitig finden wir das Muster der monotonen Ähnlichkeit insofern, als sich der Gap immer als Nachteil der Frauen zeigt: sie verdienen weniger, zeigen eine geringer Karrieremobilität, eine geringere Arbeitsmarktpartizipation, eine höhere Belastung durch Gesamtarbeit, ein höheres Armutsrisiko etc. Die Annahme, dass dieser „Nachteil“ von Frauen in einem relevanten Ausmaß tatsächlich auch „benachteiligend“ im Sinn von diskriminierend ist, führt uns zum zweiten vorab zu klärenden Begriff, den der Diskriminierung. Ökonomische Diskriminierung liegt vor, wenn die Entlohnungsmuster von für Individuen nicht veränderbaren persönlichen Merkmalen (Ethnizität, Geschlecht, etc.) abhängen, die für die individuelle Leistung irrelevant sind. Je nachdem, ob diese unterschiedliche Gegenleistung in direktem Bezug zur Leistung steht oder ob marktmäßige oder außermarktliche Mechanismen und Prozesse die Möglichkeiten der Leistungserbringung beeinflussen, wird zwischen direkter (bzw. unmittelbarer) und indirekter (bzw. mittelbarer) Diskriminierung unterschieden. Der Großteil der ökonomischen Diskriminierungsanalyse befasst sich mit ersterer, es geht in der Regel um die Identifikation ungleicher Behandlung gleich qualifizierter Frauen und Männer, sichtbar im Ergebnis (Einkommen, Aufstiegschancen).8 Was dieser Zugang jedoch ausblendet, sind Feedbackeffekte, die sich aus der fortgesetzten direkten Diskriminierung ergeben können: „Even a relatively small amount of initial labor market discrimination can have greatly magnified effects if it discourages women from making human capital investments, weakens their attachment to the labor force, and provides economic incentives for the family to place priority on the husband’s career“ (Blau et al. 2002, 234). Diese Feedbackeffekte sind fundamental mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie verbunden, der Gesamteffekt ist der sogenannte "Teufelskreis ökonomischer Rationalität“ (z.B. Ott 1993 und 1997): „Discrimination against women in the labor market reinforces traditional gender roles in the family, while adherence to traditional roles by women provides a rationale for labour market discrimination“ (Blau et al. 2002, 234). In der Definition der mittelbaren oder indirekten Diskrimininierung können diese Effekte berücksichtigt werden.9 Im Folgenden wird Diskriminierung in der wesentlich weiter gefassten zweiten Definition der indirekten oder mittelbaren Diskriminierung verstanden, wobei nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Prozesse der Diskriminierung betrachtet werden. Dies impliziert eine erweiterte Sicht auf den Erwerbsarbeitsmarkt: „The labor market does not stand alone, 7 Diese Charakterisierung geht auf Gayle Rubin zurück, die in den 1970er Jahren die Aufgabe der feministischen Theorie darin beschrieb, die Reproduktion der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis in eben dieser endlosen Varietät und zugleich monotonen Ähnlichkeit zu analysieren (Rubin 1975). Wetterer (2002) untersucht diese Gleichzeitigkeit monotoner Ähnlichkeit und endloser Varietät in Bezug auf die geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung im Berufsbereich. 8 Vgl. die kompakte Übersicht zur ökonomischen Befassung mit Diskriminierung in Blau et al. 2002, 201ff. 9 Vgl. auch den Abschnitt zur Diskriminierung in Jacobsen 1994, 310ff.
Der Gender Gap als Ausdruck von Diskriminierung
13
insulated from the society at large. Rather, these markets are nestled into society, processing and filtering the prevailing customs and political and social arrangements and translating these into particular, tangible economic outcomes.... Market outcomes reflect social relations and feed back on them, and nowhere is the importance of this interaction more pronounced than in the dynamics of discrimination“ (D’Amico 1987, 313). Es wird davon ausgegangen, dass bei allen Varianten des Gender Gap diskriminierendes Verhalten und/oder diskriminierende Strukturen als das verfestigte Ergebnis vergangenen diskriminierenden Verhaltens entscheidend beteiligt sind. Wesentlich ist dabei weniger eine allfällig vorhandene Diskriminierungsabsicht oder ein unmittelbarer Vorteil für den Diskriminierenden, sondern Diskriminierungsprozesse, die sich unabhängig von der Ausgangssituation fortsetzen, d.h. andauernd reproduziert werden. Als zentrale Vermittlungsinstanz von Diskriminierung fungiert die Arbeitsteilung (siehe Kap. 1.2). Die über die Ausprägungen des Gender Gap feststellbare Diskriminierung verletzt nach verbreiteter Auffassung den Gleichheitsgrundsatz – Gleiches wird ungleich behandelt – und ist aus dieser Perspektive „unfair“. Dies liefert die grundrechtsbezogene Begründung für Gleichstellungspolitik zum Abbau des Gender Gap und damit von Diskriminierung. Diskriminierung kann aber auch eine ineffiziente Allokation von Ressourcen nach sich ziehen (z.B. eine Unternutzung des vorhandenen Humankapitals), dies verletzt das ökonomische Kriterium der Effizienz und führt zur allokationstheoretischen Begründung von Gleichstellungspolitik (siehe Kap. 5.4). Unabhängig davon, ob wir beiden Begründungen folgen oder nur einer, ist Diskriminierung ein abzulehnender und daher zu bekämpfender Tatbestand. Der Fokus der ökonomischen Diskriminierungsanalyse kann dabei nicht auf der Feststellung des exakten Anteils des unerklärten Rests am Pay Gap oder auf ähnlichen Engführungen liegen, sondern in der Identifikation potentiell diskriminierender Prozesse, Strukturen und Mechanismen, in der Analyse ihrer Ursachen und in der darauf abgestimmten Entwicklung von ökonomischen und rechtlich-politischen Maßnahmen zum Abbau von Gender Gap und Diskriminierung. Weiters soll der Begriff Care expliziert werden, zumal sich der Gender Gap Care im Verlauf der Arbeit als besonders gewichtige Ausprägung des Gender Gap herausstellen wird. Care wird als Kurzform von care work oder caring labour eingesetzt. Im Deutschen wird meist der Begriff „Betreuungsarbeit“ verwendet, der allerdings eher enger als der englische Begriff care aufgefasst wird, der neben „betreuen“ auch „pflegen“, „sich sorgen“, „für einander da sein“, „aufpassen“ beinhalten kann (zu den Begriffen siehe Kap. 4.1). Care umfasst im Folgenden auf längere Zeit angelegte Betreuungsleistungen für Betreuungsbedürftige, die diese Arbeit selbst nicht leisten können (Kinder, dauerhaft Kranke, ältere Pflegebedürftige). Diese Arbeit kann bezahlt oder unbezahlt geleistet werden, formell oder informell, im Privathaushalt oder im marktvermittelten Bereich, die Abgrenzung erfolgt demnach weniger über den Ort oder die Rechtsform der Erbringung, sondern primär inhaltlich. Vom Gegenstandsbereich her kann Care als ökonomisch relevantes Gegenbild zu (Arbeits-) Marktbeziehungen analysiert werden, weil sich nur ein Teil der Betreuungsarbeit als Marktarbeit organisieren lässt – und sich sogar dort Probleme auftun, die mit dem besonderen Charakter von Care zu tun haben und zur relativen Abwertung bezahlter Betreuungsdienstleistungen gegenüber anderen Dienstleistungen führen. Zuletzt noch einige Anmerkungen zum Begriff Gender: Gender stammt vom lateinischen Verb „generare“ ab, die Entsprechung für Gender ist daher „Genus“. Was im Deutschen lange Zeit einheitlich mit „Geschlecht“ bezeichnet wurde, hat im Englischen zwei
14
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
Ausdrücke: sex und gender. Ersterer bezeichnet das biologische Geschlecht, zweiterer das soziale, kulturelle oder psychische Geschlecht. Weil es im Deutschen keine adäquate Übersetzung für den vielschichtigen Begriff gender gibt, in dem auch schon der Konstruktionscharakter von Geschlecht mitschwingt und der ebenso auf die Geschlechterverhältnisse bezogen werden kann, hat sich in der deutschsprachigen Geschlechterforschung tendenziell der englische Begriff durchgesetzt (vgl. Stephan 2000).10 Die Verwendung von „Gender“ impliziert, dass Unterschiede in den Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Präferenzen von Männern und Frauen nicht primär biologisch bedingt sind, sondern das Ergebnis des soziokulturellen Einflusses einer Gesellschaft sind – und in der Folge, dass Benachteiligungen gegenüber Frauen auf ein gesellschaftlich konstruiertes Rollenverhalten und daraus abgeleitete Machtkonstellationen zurückführbar sind (Hoppe 2002, 18f).
1.2
Gender Gap und Arbeitsteilung
Die Existenz von Frauenberufen und Männerberufen, d.h. die berufliche Segregation des Arbeitsmarktes, ist der unmittelbare Anknüpfungspunkt für die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Der Bezug zum Gender Gap stellt sich her, wenn z.B. durchgängig das Muster zu finden ist, dass das Lohnniveau in Frauenberufen niedriger ist als das in Männerberufen (vertikale Segregation), oder wenn innerhalb der Berufe Frauen und Männer Positionen mit unterschiedlichen Karriereperspektiven einnehmen, wiederum mit systematisch schlechteren Positionen für Frauen. Der Gender Gap Care verweist ebenfalls direkt auf ein differentes Arbeitsteilungsmuster. Häufiger noch haben wir es mit einem indirekten Zusammenhang zu tun: Der Gender Gap Beschäftigung und der Gender Gap Arbeitszeit werden durch die Arbeitsteilung zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit beeinflusst. Auch beim Gender Pay Gap treffen wir auf arbeitsteilige Strukturen, wenn Frauen und Männer zwar nebeneinander, aber in fein abgegrenzten Tätigkeitsfeldern mit unterschiedlichen Entlohnungssystemen arbeiten (siehe Kap. 3.3 für Fallbeispiele). Dieser Zusammenhang von Arbeitsteilung, Diskriminierung und Geschlecht wird in allen primär auf den Erwerbsarbeitsmarkt bezogenen Analysen des Gender Gap in Kapitel 3 sichtbar – allerdings in unterschiedlichen Facetten und Richtungen. Im Folgenden wird daher versucht, diesen Zusammenhang der Analyse zugänglich zu machen, indem er in vier Thesen zerlegt wird.
10
Dementsprechend löst beispielsweise der Begriff „Gender Studies“ zunehmend die „Frauen- und Geschlechterforschung“ ab (siehe auch die Einträge zu Gender und Gender Studies in Kroll 2002). Aus der Entwicklung der „Gender“-Forschung heraus haben sich eine Reihe von Begriffen rund um „Gender“ etabliert, unter anderem der „Gender Gap“, aber auch „doing gender“ und „undoing gender“ oder der Begriff des „engendering“ im Sinne der Durchdringen eines Gegenstandsbereichs durch eine Geschlechterperspektive. Weitere Ausführungen zum Begriff Gender und insbesondere auch zur theoretischen Bedeutungsgeschichte (die innerhalb der feministischen Theorie durchaus vielfältig ist) finden sich in Stephan (2000), Lorber (1999), Gaster (2004), Frey (2003), Hoppe (2002); ausführlich im Kontext der feministischen Theorie Becker-Schmidt/Knapp (2000).
Gender Gap und Arbeitsteilung
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1.2.1 Irreversibilität und verfestigte Strukturen: Arbeitsteilung „wirkt“ Arbeitsteilige Prozesse haben ganz generell weitreichende Folgen: Wenn Arbeitsteilung als das wahrgenommen wird, was sie – auch11 – ist, nämlich als eine ganze Abfolge von Prozessen der Institutionalisierung von Grenzen zwischen Arbeitsbereichen, von Hierarchien, von Ausschließungs- und Abgrenzungsmechanismen, wird sehr schnell klar, dass diese Prozesse zumindest kurzfristig irreversible Folgen haben können, dass sich Strukturen herausbilden, die kaum überwindbar scheinen und sich einmal etablierte Muster der Arbeitsteilung auf Dauer fortsetzen und schließlich als "natürlich" aufgefasst werden.12 Die These „Arbeitsteilung wirkt“ lässt sich dann folgendermaßen umschreiben: These 1: Prozesse der Arbeitsteilung führen zu Strukturen, die sich relativ unabhängig von den Präferenzen der Individuen verfestigen können und dann u.a. als Diskriminierungsmechanismen wirken, ohne der jeweiligen aktuellen individuellen Verantwortlichkeit zugeordnet werden zu können. Diese Wirkungsweise von Arbeitsteilung hat unabhängig vom Geschlecht der Betroffenen Gültigkeit, d.h. wir haben es mit einer grundlegenden Eigenschaft der Arbeitsteilung zu tun. Angesichts dieser potentiell weitreichenden Konsequenzen stellt sich unmittelbar die Frage nach einer Theorie der Arbeitsteilung. Letztere ist zwar seit Adam Smith ein präsentes Thema in der Ökonomik, dennoch werden wir nicht fündig: Im ökonomischen mainstream bleibt Arbeitsteilung exogen, oder wir begegnen ihr in der Form ökonomisch vorteilhafter und ansonsten unproblematischer horizontaler Spezialisierung von Individuen (Berufen) und von Wirtschaftsbereichen (Sektoren, Branchen). Worin liegen die Gründe für diese reduktionistische Sicht auf Arbeitsteilung? Sturn (2000, 32) sieht die „Konzentration des Hauptstroms der Ökonomik auf die Ebene der mechanischen Grundgesetze von Marktgleichgewicht und Wachstum“ (Hervorhebungen im Original) als Ursache dafür, dass in der Folge der Grad der Spezialisierung und die Arbeitsteilung selbst zu exogenen Größen wurden. „Es geht nicht mehr um die Bestimmung dessen, was wer herstellt, sondern wie viel wer von etwas herstellt“ (ebd., 32). In der Folge werden in der Neoklassik jene Phänomene, die in der Klassik noch mit den deskriptiv reichhaltigeren Konzepten der Arbeitsteilung und Spezialisierung beschrieben wurden, über das abstrakte, leicht formalisierbare Konzept der „steigenden Skalenerträge“ erfasst (ebd., 32f). Adam Smith muss jedenfalls die Verantwortung für diese defizitäre Bearbeitung der Arbeitsteilung durch seine NachfolgerInnen in den Wirtschaftswissenschaften nicht übernehmen: Er hat zwar mit dem berühmten Stecknadelbeispiel einen Idealtypus für die Vorteilhaftigkeit horizontaler Spezialisierung (allerdings innerhalb einer Industrie) geliefert, er war aber eigentlich am Prozess der Arbeitsteilung interessiert. Dessen Besonderheiten sind die kumulative Verursachung (z.B. jede Zunahme des Angebots einer Ware vergrößert den Markt für andere Güter, produzierte Inputs oder Komplementärgüter, wodurch neue Ar11
Zu den vielen Facetten der Arbeitsteilung vgl. die Beiträge in Nutzinger/Held 2000. Diese Wirkungsweise lässt sich auch im Kontext des evolutionären Konzepts der Pfadabhängigkeit beschreiben: „Path dependent systems […] may thus become locked in to attractors that are optimal, or that are just as good as any others in the feasible set, or that take paths leading to places everyone would wish to have been able to avoid, once they have arrived there“ (David 2001, 26).
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beitsteilung angeregt wird) und in der Folge die Irreversibilität der Prozesse, die wiederum zur Verfestigung von Strukturen führen können, ohne dass dies von Individuen explizit so verfolgt wurde. Dennoch muss festgestellt werden: „Die Arbeitsteilung ist wahrscheinlich die weitestreichende, die am meisten Aspekte durchdringende und zugleich die am schlechtesten verstandene Grundtatsache des sozialen Lebens moderner menschlicher Gesellschaften“ (Sturn 2000, 29). Die mittlerweile vorhandenen Aufarbeitungen einzelner Aspekte der Arbeitsteilung in der politischen Ökonomie, der Soziologie und der Sozialphilosophie sowie einige theoretische Innovationen in den Wirtschaftswissenschaften13 liefern profunde Erkenntnisse zur Arbeitsteilung, aber bislang keine „unified theory“ der Arbeitsteilung (ebd., 31). Drei Aspekte aus den vorliegenden Erkenntnissen zur Arbeitsteilung erscheinen für die Analyse des Gender Gap besonders bedeutsam: Erstens muss festgehalten werden, dass, wenn Arbeitsteilung analysiert wird, dies mit einem deutlichen Fokus auf den Erwerbsarbeitsmarkt und damit über die Ausblendung von nicht marktvermittelter Reproduktionsarbeit geschieht. Anzuführen sind hier die Segmentierungsansätze, die die oben beschriebenen Prozesse der Arbeitsteilung zumindest in ihrem Ergebnis – Barrieren zwischen Teilarbeitsmärkten – klar aufgenommen haben. Weniger deutlich wird der Prozess der Spezialisierung selbst als mögliche Ursache verfestigter Strukturen identifiziert.14 Auch in der neueren Institutionenökonomik wird Arbeitsteilung thematisiert, insbesondere wie unternehmensinterne und marktbezogene Transaktionen sowie deren Kosten gestaltet werden. Über den Erwerbsarbeitsmarkt hinausgehende arbeitsteilige Prozesse bleiben aber fast immer ausgeblendet – obwohl diese für die Entwicklung der Marktgesellschaft bedeutsam waren und hinsichtlich aktueller Veränderungen auf den Arbeitsmärkten bedeutsam sind (Held/Nutzinger 2000, 17). Da Haus- und Subsistenzarbeit zum überwiegenden Teil nicht marktvermittelt angeboten und nachgefragt wurde, wurde sie auch nicht einbezogen, ebenso wenig wurde die damit einhergehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung expliziert.15 Dass letztere implizit in den Annahmen vieler arbeitsmarktökonomischer und auch segmentationstheoretischer Ansätze zu finden ist, zeigen Aufarbeitungen aus einer Gender-Perspektive (vgl. Kleber 1998, Kreimer 1999). Diese Ausblendung beruht nach Held/Nutzinger (2000) auch auf dem individualistischen Akteursmodell (möglichst „sparsame“ und generalisierende Annahmen über die Arbeitsanbietenden und –nachfragenden) und der Konstruktion der Arbeitsmotivation als „Arbeitsleid“, der zu Folge Menschen zur Einkommenserzielung arbeiten, nicht jedoch aus Interesse oder Identifikation mit der Arbeit. Individuen reagieren relativ mechanisch auf Anreize und ändern ihr Arbeitsangebot in Abhängigkeit von relativen Preisen. „Die außerhalb der marktvermittelten Sphäre liegenden, realwirtschaftlich bis heute enorm wichtigen
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Zu den Endogenisierungsversuchen der Arbeitsteilung beispielsweise in der Außenhandelstheorie vgl. die in Sturn 2000 angegebene Literatur. In den Segmentierungsansätzen wird in der Regel von besonderen Segmentierungsursachen ausgegangen, wie Machtaspekte in den radikalökonomischen Ansätzen, technische Faktoren oder Kontrollstrategien (Minimierung von Monitoringkosten) u.a.m. Für einen Überblick zu den Segmentierungsansätzen vgl. Kreimer 1999. 15 Pfau-Effinger (2001, 288) stellt für die Soziologie fest, dass „das Konzept der gesellschaftlichen Arbeitsteilung weitgehend in der Versenkung verschwunden [ist] seit die Zeiten vorbei sind, in denen marxistische Ansätze in den theoretischen Diskursen der Soziologie einen relevanten Stellenwert hatten“ (Hervorhebung im Original). Überlebt hat es nach Pfau-Effinger in der „Nische der Frauen- und Genderforschung, wo es eine wichtige theoretische Grundlage dafür hergibt, die ungleiche soziale Stellung von Frauen und Männern zu erklären“ (ebd.). 14
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anderen Austauschbeziehungen bleiben damit weitgehend aus der Betrachtung ausgeklammert“ (ebd., 18). Dennoch kann zweitens festgestellt werden, dass arbeitsmarktökonomische Ansätze abseits des mainstream ein durchaus reichhaltiges Bild arbeitsteiliger Prozesse nachzeichnen, wenn sie die Rolle von Zeit, Irreversibilität oder die Rolle sozialer Institutionen thematisieren. Als Beispiel kann die Arbeitsmarktanalyse von Solow (1990) angeführt werden. Ähnlich wie dieser es für die Situation der Unterbeschäftigung analysiert hat, lässt sich für Diskriminierung folgern, dass Faktoren wie die Fairness der Entlohnung oder der relative Status der Tätigkeit im Vergleich zu jener der KollegInnen in das Kalkül der Beschäftigten eingehen, was zu Wechselwirkungen mit der Produktivität führen kann. Anpassungen in der Produktivität beispielsweise infolge einer erfahrenen unfairen Behandlung sind nicht nur mit Unsicherheit verbunden, sondern sie sind auch nicht beliebig reversibel und veränderbar. Unter der Voraussetzung arbeitsteiliger Prozesse ist Zeit für die ArbeitsmarktakteurInnen nicht homogen, beliebig teilbar, reversibel und transaktionskostenfrei nutzbar. „Sie leben vielmehr ganz eindeutig in einer einmalig verlaufenden Lebenszeit unter Unsicherheit“ (Held/Nutzinger 2000, 23). Wir haben es mit pfadabhängigen Entwicklungen zu tun, die keine beliebige Gestaltung in Anpassung an geänderte Optimalitätsbedingungen erlauben. „Für die Wirtschaftsakteure und dabei insbesondere für die arbeitenden Menschen ist das Ganze nicht eine bloße Mechanik sich beliebig schnell anpassender Preise, sondern ein in der realen Zeit mit ihren Unwägbarkeiten und ihrer Irreversibilität stattfindendes – im Zeitpfeil gerichtetes – Geschehen“ (ebd.).16 Als dritter Aspekt sei die Verbindung von Mikroaspekten und Makrodynamik angeführt und damit auch die Konsequenzen für die Beschäftigungspolitik bzw. für die Politik allgemein. Wie Sturn (2000, 39ff) ausführt, besteht die Tendenz, Arbeitsteilung nur als einfaches Mikromodell zu denken, wie es das Paradebeispiel der Smithschen Nadelproduktion nahe legt. Wäre Arbeitsteilung tatsächlich auf Mikroaspekte zu reduzieren, wäre es einfach, eine Theorie der Arbeitsteilung zu entwerfen – sie gliche einer technischen Anleitung (ebd., 45). Aber Arbeitsteilung ist eben nicht ausschließlich in ihren Mikroaspekten zu begreifen. Allerdings werden häufig Makroeffekte miteinbezogen (z.B. der schon von Smith eingebrachte Anreiz für weitere Erfindungen), ohne auf die analytischen Unterschiede der beiden Kategorien Mikro und Makro einzugehen. Mit der Kategorie Makro kommt aber ein ganzer Cluster von Eigenschaften ins Spiel, die Arbeitsteilung zu jenem komplexen Gebilde machen, das theoretisch so schwer fassbar ist: Arbeitsteilung ist dynamisch und irreversibel, sie entwickelt sich spontan in Prozessen kumulativer Verursachung, durch spezialisierende Ausdifferenzierung steigt die Komplexität u.a.m. (ebd., 39). Diese Makrodynamik zu verstehen, birgt noch einige theoretische Herausforderungen, aber auch Gestaltungsoptionen in sich (siehe Kap. 1.4).
16 Wie Held/Nutzinger (2003, 24) anführen, hat Adam Smith die möglichen Auswirkungen der Spezialisierung der Berufe und anderer Arbeitsteilungsformen auf die Menschen und deren potentielle Folgen für die Produktivität sehr wohl erkannt.
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1.2.2 Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus I: „Endlose Varietät“ beruflicher Arbeitsteilung Mit der Feststellung, dass Arbeitsteilung „wirkt“, ist noch nicht geklärt, wie sich horizontale arbeitsteilige Strukturen offenbar immer wieder aufs Neue für bestimmte Individuen nachteilig auswirken, und damit, wie Arbeitsteilung zu ihren diskriminierenden Wirkungen kommt. Aus den Erkenntnissen der Segregationsforschung lässt sich als zweite These formulieren: These 2: Arbeitsteilung fungiert als Diskriminierungsmechanismus in dem Sinn, als durch die Arbeitsteilung in der Erwerbsphäre vielfältige Mechanismen wie die der sozialen Schließung, der Abgrenzung und der differenten Bewertung zum Einsatz kommen, über welche gleichzeitig Differenz und Hierarchie und damit Diskriminierung reproduziert und stabilisiert werden. Anders ausgedrückt: Diskriminierung ist kein der Arbeitsteilung selbst immanentes Muster. Zumindest gilt dies für die horizontale Arbeitsteilung auf Berufs- oder Branchenebene, die mit dem Begriff der horizontalen Arbeitsmarktsegregation bezeichnet wird. Dass der Arbeitsmarkt segregiert ist, lässt sich als Ergebnis arbeitsteiliger Spezialisierungsprozesse verstehen und analysieren, verweist selbst aber noch nicht auf Diskriminierung. Allerdings ist diese horizontale Segregation immer auch mit vertikaler Segregation verbunden, d.h. mit Bewertungsmustern, die systematisch einzelne Arbeitsbereiche gegenüber anderen aufbzw. abwerten, die also eine Hierarchisierung nach sich ziehen. Die segregierte Arbeitsmarktstruktur verhindert bzw. erschwert den Ausgleich über die einzelnen Arbeitsmarktsegmente hinweg – hier tritt die Wirkungsweise der Arbeitsteilung, wie sie zuvor beschrieben wurde, hervor.17 Erst damit wird erklärbar, wie immer wieder neue Segregationslinien am Arbeitsmarkt trotz enormer Dynamik im Berufssystem, in der Wirtschafts- und Branchenstruktur, bei den Beschäftigten selbst entstehen: Arbeitsteilige Strukturen bieten eine „optimale“ Ausgangsbasis für Ausschließungs- und Abgrenzungsmechanismen, wie sie in der Segregationsforschung allgemein18 und in Hinblick auf die geschlechtsspezifische Segregation19 im Besonderen untersucht und nachgewiesen wurden. 17
Segregierte Strukturen erleichtern unterschiedliche Bewertungen von Tätigkeiten, weil deren Gleichwertigkeit schwer geprüft werden kann; sie erschweren die Identifikation ungleicher Behandlung und damit auch die Entwicklung von Strategien gegen eine Ungleichbehandlung oder –bewertung; die Konzentration in bestimmten Arbeitsbereichen führt zu sehr spezifischem Humankapital, was den Wechsel in andere Berufe oder Branchen erschwert. 18 Vgl. Kreimer 1999 für einen Überblick zu den unterschiedlichen Segregationstheorien. Besonders relevant sind soziale Schließungsstrategien, wie sie beispielsweise von Kreckel (1992) systematisiert und von Cyba (1998 und 2000) in Verbindung mit der Arbeitsmarktsegregation gebracht wurden. 19 Über direkte Ausschließungsprozesse wurde beispielsweise versucht, den Zugang zu hochqualifizierten Dienstleistungsberufen (Professionen) zu limitieren. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte der Medizin (vgl. Wetterer 1993). Berufsverbote für verheiratete Frauen, sogenannte marriage bars, schlossen Frauen überhaupt vom Arbeitsmarkt aus, Arbeitsschutzregelungen für Frauen hatten neben ihrer Schutzfunktion immer auch ausschließende Wirkungen (für Details vgl. Kreimer 1999). Interne Arbeitsmärkte und damit verbundene betriebliche Diskriminierungsprozesse, die Definition und Legitimation weiblicher Arbeitsbereiche oder Arbeitsbewertungssysteme sind Beispiele für Abgrenzungsstrategien (Rabe-Kleberg 1987, Kreimer 1999). Eine ganz besondere Rolle spielt die Definition des „normalen” Arbeitsverhältnisses, eines komplexen Systems von Normen und Regeln, von Anforderungen und Ansprüchen an die Erwerbsarbeit insbesondere in Bezug auf Kontinuität und zeitlicher Verfügbarkeit.
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Auch die Dynamik der Arbeitsteilung in Form der historischen und kulturellen Veränderung der Geschlechtszuordnung von Berufen – dem „Geschlechtswechsel“ von Arbeit (vgl. Teubner 2004) – bestätigt diese These: Frauenberufe wurden zu Männerberufen und umgekehrt,20 ohne dass sich dies an spezifischen Bedingungen der Arbeitsteilung selbst festmachen lässt. Mit diesem Wandel geht ein „Deutungsprozess einher, in dem symbolisch die neue, je spezifische Passung von Berufsarbeit und Geschlechtszugehörigkeit hergestellt wird. Ganz offensichtlich verläuft dieser Prozess hoch selektiv und willkürlich und gewinnt seine Plausibilität häufig erst nachträglich nach vollzogener Resegregation“ (ebd., 433). Die relative Wertigkeit einzelner Berufe in unterschiedlichen Ländern kann als Beleg dafür dienen, dass das Ergebnis des Gender Gap letztlich nicht aus der Spezialisierung selbst folgt. Bei aller Variabilität von Berufen und Tätigkeiten ist das einheitliche Muster die Herstellung der Geschlechterdifferenz in der Form der Geschlechterhierarchie, d.h. der vertikalen Segregation (Teubner 1989, 37; Wetterer 2002, 81ff). Hier ist der Gender Gap festzumachen, und nicht an der Arbeitsteilung als Prozess der Spezialisierung selbst. Wie diese Zuweisung erfolgt, wie die Arbeit ihr Geschlecht bekommt, ist Thema im folgenden Abschnitt.
1.2.3 Geschlechterkonstruktion im Medium der Arbeitsteilung An die vorige These schließt sich die Frage an, wie die „endlose Varietät“ in die „monotone Ähnlichkeit“ der Diskriminierung gegenüber Frauen mündet. Die sozialwissenschaftliche Gender-Forschung hat diese Prozesse des doing gender while doing work21 unter die Lupe genommen und die Hintergründe der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Zusammenspiel von Berufskonstruktion und Geschlechterkonstruktion untersucht (vgl. ausführlich Wetterer 2002). Aus deren Ergebnissen folgt die dritte These: These 3: In der Durchsetzung ökonomischer Interessen durch Prozesse der Arbeitsteilung kommt es zur Instrumentalisierung der Geschlechterklassifikation, weil diese als stabile und alltagsweltlich selbstverständliche Ressource der Strukturierung und Hierarchisierung von Tätigkeitsfeldern verwendet werden kann. Dieser Zusammenhang ist nur ein Teilaspekt des komplexen Zusammenhangs von Berufsund Geschlechterkonstruktion, dessen Ergebnis letztlich die soziale Reproduktion und fort20
Beispiele für den Wechsel vom Männer- zum Frauenberuf sind relativ häufiger als die umgekehrte Variante, Berufe wie Kellner, Friseur, Apotheker, (Grundschul-)Lehrer, Sekretär, oder die Leder-, Textil- und Bekleidungsindustrie können angeführt werden (vgl. Teubner 1989). Ausführliche Untersuchungen gibt es für einzelne Berufe wie die Röntgenassistenz (Wetterer 2002, 87ff). 21 So der Titel von Gottschall (1998), die darin die Vorstellung, dass nicht nur die Arbeitenden ein Geschlecht haben, sondern auch die Arbeit geschlechtlich geprägt ist, anhand der sozialhistorischen und ethnomethodologischen Literatur aufarbeitet und im Kontext der Arbeitssoziologie analysiert. Im Zentrum steht die social construction of gender, die im englischsprachigen Raum bereits in den 1980er Jahren entwickelt und empirisch untersucht wurde, im deutschen Sprachraum aber erst in den 1990er Jahren Fuß fassen konnte (vgl. auch Wetterers Aufsatz „Das Geschlecht (bei) der Arbeit“ (Wetterer 2001) der in der ersten Auflage bereits 1995 erschienen ist und die darin festhält, dass ihr damaliger Vorschlag, den Titel ihres Aufsatzes als Titel eines Buches zu nehmen, nur „schallendes Gelächter“ hervorgerufen habe). Fast ein Jahrzehnt danach ist die konstruktivistische Wende in der Geschlechtersoziologie (Wetterer 2002, 20ff) allgemein anerkannt.
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gesetzte Naturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit – und damit die Konstituierung von Gender – ist. Um diese Diskussion nachvollziehen zu können, ist es zielführend, die Entwicklung der Konzeptionen zur Arbeitsteilung in der Gender-Forschung kurz darzustellen. Diese begann mit dem differenztheoretischen Konzept der Arbeitsteilung: Weil Geschlechter verschieden sind, unterscheiden sich folgerichtig auch die Arbeitsbereiche, für die sie sich eignen, interessieren und für die sie von Seiten der ArbeitgeberInnen rekrutiert werden. In dieser Phase (Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre) entstanden Konzepte wie das des „weiblichen Arbeitsvermögens“ oder das der „weiblichen Aneignung von Technik“ (vgl. Kreimer 1999, 76ff). Kritikerinnen wie Rabe-Kleberg (1987 und 1993), Teubner (1989) oder Wetterer (1992) zeigten anhand von Studien zur Arbeitsteilung in verschiedenen Berufsfeldern oder Arbeitsmarktbereichen, wie durch stereotype Zuweisung von Eigenschaften und „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1978) ein Schein des Natürlichen erzeugt wird, der überdeckt, dass gerade damit erst soziale Ungleichheit erzeugt wird. Grundlage der durch Ungleichheit bestimmten Organisation des Geschlechterverhältnisses ist eine „kulturell gut fundierte gesellschaftliche Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit“ (Rabe-Kleberg 1993, 39). Aus der Kritik an dem differenztheoretischen Ansatz entstand Ende der 1980er Jahre das Konzept der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung. Die Prozesse der Arbeitsteilung stellen einen Reproduktionsmodus der Geschlechterhierarchie dar und beruhen nicht auf Präferenzen von Frauen für Arbeitsgebiete, die immer schon vorab als besonders geschlechtskompatibel ausgewiesen waren und von den Frauen nur noch „gefunden“ werden mussten (Wetterer 1999, 232). Frauenberufe sind deshalb Frauenberufe, weil sie eher statusniedrig sind und weil es Arbeit ist, die die Männer den Frauen übriggelassen haben (Rabe-Kleberg 1993, 135). Die berufliche Arbeitsteilung wird als „Reproduktionsmechanismus der Geschlechterhierarchie“ begriffen, „in dessen Rahmen dem Rekurs auf vorgebliche Übereinstimmungen zwischen Arbeitsinhalten und geschlechtsspezifischen Eigenschaften, Fähigkeiten und Orientierungen primär die Funktion zukommt, geschlechtshierarchische Verteilungsasymmetrien nachträglich zu plausibilisieren und legitimieren“ (Wetterer 1999a, 26). Das dritte, jüngste und mittlerweile weithin akzeptierte Konzept ist das an sozialkonstruktivistische Überlegungen anknüpfende Konzept der geschlechterkonstituierenden Arbeitsteilung: Nicht nur Geschlecht fungiert als Ressource der Strukturierung und Hierarchisierung arbeitsteiliger Zuständigkeiten und Zugangschancen, sondern umgekehrt fungiert auch Arbeitsteilung als Ressource der Geschlechterkonstruktion (Wetterer 1999a, 27). Arbeitsteilung wird zum Medium der Geschlechterkonstruktion: „Hier erweist sich die Etablierung von Frauenberufen und Männerberufen rsp. von Frauen- und Männerterrains innerhalb der Berufe als Institutionalisierung eines sameness taboos (Rubin), das die Geschlechter überhaupt erst zu verschiedenen macht. Der Entwicklung der Krankenpflege zum bürgerlichen Frauenberuf korrespondiert deshalb nicht zufällig ein Prozess der Verweiblichung von Frauen, der im Nachhinein die Plausibilität der Analogiebildung zu beweisen scheint“ (Wetterer 2004, 128; Hervorhebungen im Original). Es ist daher adäquat, von geschlechterkonstituierender Arbeitsteilung zu sprechen, nicht von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, um zu verdeutlichen, „dass die Arbeitsteilung eine der wichtigsten und grundlegendsten Ressourcen in der Herstellung von zwei Geschlechtern ist und nicht umgekehrt“ (Gildemeister 2004, 137). Differenztheoretische Konzepte (die zumeist angesprochen sind, wenn von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung die Rede ist) gehen davon
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aus, dass die Unterschiedlichkeit der Geschlechter als etwas eingeht, was der Arbeitsteilung immer schon vorausliegt, und sie verkennen damit, dass diese Unterschiedlichkeit durch die Arbeitsteilung in der einen oder anderen Weise erst hervorgebracht und befördert wird. (Wetterer 1999a). In der aktuellen Gender-Forschung zur beruflichen Arbeitsteilung geht es dementsprechend darum, zu erkennen, wie die Geschlechter zu Verschiedenen und die Geschlechterverhältnisse zu hierarchisch Strukturierten gemacht werden. Damit tritt die Handlungsebene in den Vordergrund, aber auch soziale Strukturen gewinnen neue Bedeutung, weil es um die Erfassung von Strukturbildungsprozessen in Institutionen und Professionen geht.22
1.2.4 Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus II: Separated Spheres und deren Nachwirkungen Die bisherigen Analysen und Thesen haben ihren Fokus eindeutig im Erwerbsarbeitsmarkt, was angesichts der Verankerung des Gender Gap in am Arbeitsmarkt wirksamen Mechanismen und Prozessen auch seine Berechtigung hat. Zudem zeigen die Überlegungen zur These „Arbeitsteilung wirkt“ und zur sozialen Konstruktion von Geschlecht, dass hier noch viel zu tun ist, um die ablaufenden Prozesse der Reproduktion des Gap zu verstehen.23 Für eine vollständige Analyse des Gender Gap ist es dennoch notwendig, über den Arbeitsmarkt hinauszugehen und den privaten Bereich bzw. die dort geleistete Arbeit einzubeziehen. Wir wenden uns damit einem weiteren Aspekt des komplexen Feldes der Arbeitsteilung zu: jener zwischen formaler, bezahlter Arbeit in Erwerbsarbeitsmärkten und unbezahlter, informeller Arbeit im Reproduktionsbereich.24 Die Arbeitsteilung in der Form der Trennung von Familien- und Erwerbsleben ist eine historisch verhältnismäßig neue Tatsache, die sich mit der Entwicklung marktwirtschaftlicher Systeme durchgesetzt hat. Die Lebenswelten von Frauen und Männern wurden getrennt, eine geschlechtliche Arbeitsteilung im Sinne einer “ursprünglichen Segregation” (Maier 1991) wurde installiert. Reskin/Padavic (1994) sprechen von der doctrine of separated spheres, in der vor dem Hintergrund des bürgerlichen Ideals der oberen Mittelschichten den Frauen der Haushalt und den Männern die Berufsarbeit zugeordnet wurde. Das male 22
Auf die vielfältigen Diskurse rund um die These der geschlechterkonstituierenden Arbeitsteilung kann hier nicht in voller Länge eingegangen werden (vgl. Wetterer 2004, 128f und Teubner 2004, 433f für jeweils eine kurze Zusammenfassung aktueller Forschungsfragen). 23 Dieses „viel zu tun“ bezieht sich insbesondere auf die ökonomische Analyse der Arbeitsteilung. Was die sozialwissenschaftliche Forschung zur Segregation betrifft, liegen bereits viele Ergebnisse vor. Aber auch diese verweisen auf ein ganz schön großes Stück Arbeit, wenn wir berücksichtigen, dass es sich in der Regel um Fallstudien handelt, deren Verallgemeinerung nicht nur theoretische Ansprüche stellt (vgl. die ausführliche Studie von Wetterer 2002), sondern auch immer wieder aufs Neue überprüft werden muss (vgl. z.B. die aktuelle Diskussion zur Frage einer De-Institutionalisierung der Differenz bei Wetterer 2002, 147ff; Heintz/Nadai 1998, Hirschauer 1994). 24 Diese Charakterisierung ist idealtypisch zu verstehen. Natürlich gibt es im Erwerbsarbeitsmarkt unbezahlte Formen der Arbeit, wenn auch meist nur in Teilen von Beschäftigungsverhältnissen (z.B. unbezahlte Überstunden), und es gibt jedenfalls bezahlte Arbeit im Reproduktionsbereich. Das Kriterium ist weniger die Bezahlung, sondern vielmehr die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis im jeweils primär durch Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht vorgegebenen Rahmen vorliegt und somit einen öffentlichen Charakter hat. Diese Unterscheidung wird durch das Paar formell/informell zum Ausdruck gebracht. Allerdings ist auch diese Differenzierung nicht wirklich trennscharf, wenn wir Tendenzen der Formalisierung von Haushaltsdienstleistungen oder jene der geringfügigen Beschäftigung berücksichtigen.
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breadwinner – female homemaker Modell wurde zur gesellschaftlichen Norm, ohne dass es jemals zu einer vollständigen Umsetzung kam.25 Ohne die Zuweisung der Reproduktionsarbeit an AkteurInnen (de facto an Frauen) außerhalb des Marktes hätte sich die Erwerbsgesellschaft nicht in dieser Weise entwickeln können, der Reproduktionsbereich war und ist funktional für den Erwerbsarbeitsbereich. Die vierte und letzte These im Arbeitsteilungskontext lautet daher: These 4: Mit der Etablierung der separated spheres ging eine Abwertung jener Arbeit einher, die nicht über den Markt vermittelt wird und die bis heute wirksam ist. Der Gender Gap Care ist somit nicht nur das Ergebnis der zuvor beschriebenen Mechanismen der Arbeitsteilung in der Erwerbssphäre, sondern auch der funktionalen Hierarchie zwischen marktvermittelter und privater Arbeit. In der Ökonomik wurde diese Form der Arbeitsteilung in der Regel ignoriert oder trickreich in die Marktanalyse aufgesogen. Indem Becker beispielsweise den „Wert“ der Hausarbeit über den Lohnsatz der Erwerbsarbeit definiert, bleibt seine Analyse auf monetär bewertete relative Preise beschränkt. Erst damit ist es möglich, auch für die Entscheidung zur Aufteilung von Reproduktionsarbeit die üblichen Verfahren der Optimierung unter Nebenbedingungen anzuwenden. Alles was sonst für die „Bewertung“ der Arbeit durch AkteurInnen (neben der Entlohnung) von Relevanz sein könnte, wie Status, soziale Kontakte, Motive wie Fürsorge, Liebe, bleibt häufig ausgeklammert. Wir haben es mit einem reduktionistischen Ansatz der Integration sozialer Reproduktion (Humphries/Rubery 1984) zu tun.26 Die Konsequenzen dieser Ausblendung bzw. reduktionstisch-einseitigen Integration bildeten eines der wesentlichen Kritikfelder feministischer ÖkonomInnen am neoklassischen Akteursmodell des homo oeconomicus (siehe Kap. 3.1 und 4.1). Eine adäquate Einbeziehung der im Privaten geleisteten Arbeit macht die dort erbrachten „Vorleistungen“ für die „fertigen“ (im Sinne von arbeitsfähigen) AkteurInnen im Arbeitsmarkt sichtbar. Das ist nicht nur deswegen relevant, um diesen ausgesparten, nicht marktvermittelten Arbeitsbereichen und Arbeitsformen27 ihren adäquaten Stellenwert in der ökonomischen Analyse zu gewähren, sondern auch, weil diese außermarktlichen Aktivitäten die Fähigkeiten, Motivationen und Präferenzen der AkteurInnen beeinflussen, wenn diese im Erwerbsarbeitsmarkt 25
Eine ausführliche Analyse der „ursprünglichen Segregation“ und der separated spheres findet sich in Kreimer (1999). Das male breadwinner – female caretaker Modell (auch abgekürzt male breadwinner model oder „Ernährermodell“) beschreibt die traditionelle Arbeitsteilung, wonach der Mann sich auf die Erwerbsarbeit spezialisiert, die Familie "ernährt", die Frau sich auf Hausarbeit und Kinderbetreuung spezialisiert und am Arbeitsmarkt höchstens als „Dazuverdienerin“ in Erscheinung tritt. Aus ökonomischer Sicht ist die Verbindung mit dem family wage besonders bedeutsam, denn dadurch wird der Zusammenhang zwischen der Arbeitsteilung und dem sozialen Sicherungssystem hergestellt (MacDonald 1998, 2). Auf das male breadwinner model wird im Kapitel 4 genauer eingegangen werden. 26 Humphries/Rubery (1984) unterscheiden zwei Analysemethoden, wie die ökonomischen Theorien den Bereich sozialer Reproduktion als wesentlichen Entscheidungsfaktor integriert haben: Den Ansatz der absoluten Autonomie, in dem die soziale Reproduktion getrennt vom Produktionssystem gesehen wird (z.B. Humankapitalansatz), und den reduktionistisch-funktionalistischen Ansatz, in dem soziale Reproduktion als integrierter und anpassungsfähiger Teil des Produktionssystems betrachtet wird (z.B. New Home Economics bzw. marxistischfeministische Ansätze für die funktionale Sicht). Humphries/Rubery (1984) stellen diesen unbefriedigenden Varianten der Behandlung des Reproduktionsbereichs den Ansatz einer relativen Autonomie gegenüber (vgl. auch Kreimer 1999). 27 Zu denen zählt nicht nur die Betreuungsarbeit im engeren Sinn, sondern z.B. auch bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche Arbeit.
Gender Gap und Care
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tätig sind. Den Gender Gap Care können wir nur verstehen und in der Folge verändern, wenn diese funktionale Arbeitsteilung in ihrer Verschränkung mit dem Geschlechterverhältnis in die Analyse von Arbeit einbezogen wird. Dies hat wiederum zur Voraussetzung, dass wir den in der ökonomischen Analyse ausgeblendeten Arbeitsbereich der Betreuungsarbeit selbst unter die Lupe nehmen, wie dies ausführlich im Kapitel 4 erfolgen wird.
1.3
Gender Gap und Care Ist die Verteilung von Care ein weiterer Aspekt horizontaler Arbeitsteilung?
Die unterschiedliche Präsenz der Geschlechter in der Ausübung von Betreuungsarbeit ist ein Aspekt von Arbeitsteilung und als solcher nicht neu. Dennoch geht Care über die bisher thematisierten Aspekte der Arbeitsteilung hinaus, was sich als fünfte These formulieren lässt: These 5: Care ist mehr als ein im ökonomischen mainstream vernachlässigter Arbeitsbereich im Kontext der arbeitsteiligen Ökonomie. Care kann mit Konzepten der Arbeitsteilung und Spezialisierung allein nicht adäquat erfasst werden, dasselbe gilt folglich für den Gender Gap Care. Es gilt, eine Theory of Care zu entwickeln, die den Besonderheiten dieses Arbeitsbereichs Rechnung trägt. Care steht im Mittelpunkt des 4. Kapitels und wird dort ausführlich analysiert werden. An dieser Stelle sollen einige zentrale Gründe angeführt werden, die die obige These belegen können und die im Titel gestellte Frage verneinen lassen: Die Verteilung von Care lässt sich auf der Ebene horizontaler Arbeitsteilung nicht ausreichend erfassen. Care wurde zu einem beträchtlichen Teil bereits in den Markt transferiert, d.h. kommodifiziert. Dieser Prozess verläuft in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlicher Dynamik (siehe Kap. 4.1), er ist in Ländern wie Österreich mit einem hohen Anteil informeller Betreuungsarbeit noch lange nicht abgeschlossen (siehe Kap. 4.2 für Details). Die Besonderheit von Care zeigt sich darin, dass auch kommodifizierte CareTätigkeiten Arbeitsbereiche mit nachteiligen Bedingungen in Bezug auf Einkommen, soziale Absicherung und/oder Status sind, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden. Der marktmäßig organisierte Care-Sektor erweist sich als leicht zugängliches Arbeitsmarktsegment für Frauen, insbesondere für Wiedereinsteigerinnen nach familiär bedingten Berufsunterbrechungen. Was sich somit potentiell vorteilhaft auf den Gender Gap Beschäftigung auswirkt, ist gleichzeitig aber ein Beitrag zur sozialen Konstruktion von Geschlecht (unabhängig davon, was diese Frauen vorher gemacht haben, wird ihnen durch die Familienphase eine besondere Eignung für den Care-Bereich zugeschrieben) und Hierarchie (die im Privaten erworbenen Fähigkeiten des „Haushaltsmanagements“ und des Betreuens werden im Markt nicht als solche honoriert). Die Ausübung von Care ist fast immer mit ökonomischer Abhängigkeit auf Seiten der diese Arbeit leistenden AkteurInnen verbunden, sei es direkt durch die fehlende Absi-
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Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz cherung und Bezahlung im informellen Bereich, oder sei es durch schwierige Angebotsbedingungen im Erwerbsarbeitsmarkt zwischen steigenden Anforderungen (z.B. Betreuung älterer Pflegebedürftiger) und knappen Ressourcen. Das Anbieten einer Dienstleistung, die den LeistungsempfängerInnen zur Selbständigkeit verhelfen soll, versagt diese den Leistenden selbst – jedenfalls im Vergleich zur Erbringung anderer Dienstleistungen. Care-Dienstleistungen werden in aller Regel (wenn auch auf sehr unterschiedlichem Niveau) öffentlich subventioniert. Die Diskurse dazu sind von Finanzierungsproblemen einerseits und Befürchtungen über ein zu geringes Angebot („Pflegenotstand“) andererseits geprägt, was darauf verweist, dass wir es mit keinem einfachen Marktgut zu tun haben. Care betrifft Frauen auch dann, wenn sie aktuell gar keine Betreuungsverpflichtungen haben oder planen – die Auswirkungen der Arbeitsteilung in Bezug auf Care haben quasi universelle Gültigkeit für das Geschlechterverhältnis. Allein die Tatsache, im gebärfähigen Alter zu sein, reicht aus, um Mechanismen der statistischen Diskriminierung in Gang zu setzen, denen auch mit ökonomischen Mitteln wie Signalen von Seiten der Frauen kaum beizukommen ist – die gläserne Decke stützt sich u.a. auch auf Care (siehe auch Kap. 3.4).
Ähnlich wie für die Arbeitsteilung muss für Care konstatiert werden, dass wir es zwar mit einem faktisch enorm wichtigen ökonomischen Tatbestand zu tun haben (schließlich durchlebt jedes Individuum Phasen der Inanspruchnahme von Care), dass es aber keine ökonomische Theorie der Betreuungsarbeit gibt, höchstens Aspekte davon. Letztere wurden vor allem von feministischen ÖkonomInnen eingebracht und weiterentwickelt (siehe Kap. 4.1). Daraus, dass sich im Gender Gap Care mehrere Linien der Arbeitsteilung kreuzen, ergeben sich auch einige Anknüpfungspunkte für eine Veränderung der Arbeitsteilung. Dass diese nicht gleichermaßen Erfolg versprechend sind, besagt die sechste These: These 6: Eine effektive gleichstellungspolitische Perspektive zum Abbau des Gender Gap Care muss die Veränderung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern einbeziehen. Die Chancen, über die Veränderung der funktionalen Arbeitsteilung den Gap zu beseitigen, sind begrenzt. Zum einen kann die Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Familie zum Ausgangspunkt gleichstellungspolitischer Bemühungen werden. Maßnahmen wie die Verbesserung des institutionellen Kinderbetreuungsangebots oder der Absicherung von Betreuungsphasen in den Systemen sozialer Sicherung würden in diese Kategorie fallen. Zum anderen kann die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern selbst Fokus egalisierender Politik sein, beispielsweise über die Förderung der Väterkarenz oder der Teilzeitarbeit von Männern. Der Beitrag zur Reduktion des Gender Gap Care ist im ersten Fall indirekt gegeben, als die in Bezug auf Erwerbseinkommen oder soziale Absicherung benachteiligenden Auswirkungen der Übernahme von Betreuungsarbeit durch Frauen deutlich gemildert werden können. In der zweiten Variante wird die Reduktion des Gender Gap Care direkt angezielt. Analysen zu den Care-Arrangements in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten zeigen, dass auch eine umfassend definierte Gleichstellungspolitik auf der ersten Dimension, wie sie beispielsweise in Schweden vorzufinden ist, nicht ausreicht, um den Gender Gap Care zu beseitigen (siehe
Macht, Hierarchie und Gestaltungsspielräume
25
dazu Kap. 4.3 und 5.3). Die asymmetrische Arbeitsteilung der Geschlechter im CareBereich erweist sich gegenüber gleichstellungspolitischen Bemühungen als äußerst resistent, was uns zu Prozessen der Arbeitsteilung zurückführt, aber auch die Frage aufwirft, ob nicht die Gleichstellungspolitik hier neue Strategien entwickeln und einsetzen müsste. Denn grundsätzlich wissen wir aus der Analyse der Arbeitsteilung: „Wenn Differenz und Hierarchie der Geschlechter nun durchweg als Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse begriffen werden und nicht als letztlich irgendwo doch vorsoziale Vorgabe sozialen Handelns, so heißt das …… dass sie allesamt zum Gegenstand politischer Veränderungsstrategien werden können“ (Wetterer 1999a, 29).
1.4
Macht, Hierarchie und Gestaltungsspielräume Der lange Weg zur Gleichstellung der Geschlechter
Die als Gender Gap charakterisierten Unterschiede im Erwerbsleben sind Indizien für Diskriminierungsprozesse gegenüber Frauen und somit auf der Handlungsebene angesiedelt. Sie sind gleichzeitig aber auch das Ergebnis von Arbeitsteilungsprozessen sowohl innerhalb des Arbeitsmarktes (z.B. Segregation) als auch zwischen dem Erwerbsarbeitsmarkt und außermarktlichen Bereichen (insbesondere der Betreuungsarbeit). Da sich die Arbeitsteilung als komplexer, kumulativ dynamischer Prozess nicht allein über Mikroaspekte festmachen lässt (Sturn 2000, 45), bleibt die neoklassische Befassung mit Diskriminierungsprozessen und Arbeitsteilung defizitär: Zu sehr ist Arbeitsteilung als dynamischer Prozess bereits „gelaufen“, irreversibel, „Struktur geworden“, ohne dass rationale Individuen dies wollen bzw. über rationale Entscheidungen erzeugt haben. Angesichts arbeitsteiliger Strukturen, die verfestigt sind, können weder Individuen noch Märkte alleine jene Anpassungsmechanismen in Gang setzen, die Diskriminierung bekämpfen und eine egalitäre Arbeitsteilung herstellen sollten. Das führt uns auf die Ebenen der Politik, der Gestaltungsspielräume, und zur These sieben: These 7: Macht und Benachteiligung sind im Kontext der Arbeitsteilung diagnostizierbar und in der Folge auch gestaltbar. Es ist möglich, Macht und Hierarchie in Teilbereichen (z.B. in Bezug auf die Arbeitsteilung der Geschlechter) zu neutralisieren, ohne jeweils den Gesamtzusammenhang (d.h. die Marktökonomie als Ganzes) betrachten zu müssen. Um eine egalitäre Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern anzustreben, bedarf es keines Gegenentwurfs zur arbeitsteiligen Marktökonomie, auch keiner Ablehnung von Spezialisierung (vgl. Sturn 2000). Es geht um den Abbau der diskriminierenden Effekte der Arbeitsteilung auf das Geschlechterverhältnis, um einen Gegenwurf im Sinne einer geschlechtergerechten Gestaltung der Arbeitsteilung im Erwerbsarbeitsmarkt und darüber hinaus um eine Neugestaltung des Angebots von Care zwischen Staat, Markt, Familie und den Geschlechtern. Dass dabei auch die Arbeitsteilung selbst bzw. arbeitsteilige Strukturen Veränderungen unterliegen müssen, ist mit dem letzten Punkt direkt angesprochen worden, aber wie bei der Verursachung des Gender Gap ist Arbeitsteilung auch bei dessen Veränderung ein
26
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
Medium, über das die Geschlechtergleichstellung befördert oder eben behindert werden kann. Mit der Thematisierung von Gestaltungsoptionen betreten wir das Feld der Gleichstellungspolitik. Deren unmittelbarer Beitrag zum Abbau des Gender Gap liegt im rechtlich-formalen Bereich, in der Gleichbehandlungsgesetzgebung und den damit im Zusammenhang stehenden Maßnahmen und Institutionen (z.B. Frauenförderungspläne, Quotenregelungen, Gleichbehandlungsanwaltschaften). Dass dieser rechtlich-formale Zugang in seiner Wirksamkeit begrenzt ist, lässt sich nicht nur aus seiner Reichweite heraus begründen, die in der Regel auf den öffentlichen Sektor beschränkt ist, sondern insbesondere aus den Wirkungen der Arbeitsteilung, wie sie zuvor skizziert wurden. Rechtlich-formale Gleichstellungspolitik zielt primär auf Mikroaspekte, aber um die Makrodynamik der Arbeitsteilung zu erfassen, bedarf es einer umfassend definierten, materiell/substanziellen Gleichstellungspolitik (siehe Kap. 5.1). Damit lässt sich die letzte These formulieren: These 8: Zum Abbau des Gender Gap bedarf es eines breiten, ökonomisch fundierten gleichstellungspolitischen Ansatzes, der insbesondere auch die Wirtschaftspolitik bzw. Makropolitik einschließt. Wenn Gleichstellungspolitik als Policy Mix aus Anti-Diskriminierungspolitik (Gleichbehandlung, Frauenförderung), Beschäftigungspolitik (z.B. Lohnsubventionen), Arbeitsmarktpolitik (z.B. Arbeitsmarktförderungen), Lohnpolitik (z.B. Mindestlohnvorschriften), und insbesondere auch aus Sozial- und Familienpolitik verstanden wird, das Ziel der Geschlechtergleichstellung somit zur Querschnittsmaterie wird, stellt dies Anforderungen, die über jene rechtlich-formaler Gleichstellungspolitik weit hinausgehen. Mit den Ansätzen des Gender Mainstreaming bzw. des Managing Diversity wird bereits versucht, diesen Ansprüchen gerecht zu werden (siehe Kap. 5.1). Hinsichtlich der ökonomischen Fundierung eines solchen breiten Ansatzes der Gleichstellungspolitik hinken die Wirtschaftswissenschaften hinter den Rechts- und Politikwissenschaften deutlich nach. Wir finden zwar Analysen zur Frauenförderung bzw. affirmative action, aber wenig darüber hinaus und gar nichts zu den neueren Entwicklungen in der Gleichstellungspolitik, zu Gender Mainstreaming. Es bedarf einer ökonomischen Fundierung von Gleichstellungspolitik, die bestehende Diskurse aufnehmen und bearbeiten muss (siehe Kap. 5.1 und 5.2). Dies betrifft die - Frage der Definition von Gleichheit und damit die Zielsetzung der Gleichstellungspolitik (formaler vs. materieller Gleichheitsansatz); - Aufarbeitung von Dilemmata zu Gleichheit und Differenz und der damit verbundenen Konstruktion von Geschlecht; - Weiterentwicklung von Gleichstellungsstrategien, insbesondere von Frauenförderung und jüngst Gender Mainstreaming.
Gender Gap und ökonomische Analyse
1.5
27
Gender Gap und ökonomische Analyse Beiträge zum Projekt des Engendering Economics
Gender Gap und Diskriminierung sind bedeutende ökonomische Fragestellungen, betreffen sie doch keine „Minderheit“ innerhalb der Bevölkerung. Dennoch dauerte es bis in die 1970er Jahre, bis Diskriminierung im ökonomischen mainstream thematisiert wurde.28 Auch wenn in der Folge Diskriminierung zum Gegenstand theoretischer und empirischer Arbeiten wurde, bleibt doch festzuhalten, dass deren Beitrag in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend blieb: Defizite bestehen in Bezug auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Diskriminierungsursachen auf der Angebots- und Nachfrageseite, auf die Frage der Dauerhaftigkeit von Diskriminierung, auf die Reichweite der vorhandenen Erklärungsansätze (Einbeziehung unbezahlter Arbeit), auf die Begründung und Wirksamkeit von Strategien gegen Diskriminierung. Wenn wir nun nach dem bisherigen Beitrag der Wirtschaftswissenschaften zur Analyse des Gender Gap fragen, könnte die Antwort folgendermaßen lauten: Der anhaltende Gender Gap gibt Grund für die Annahme, dass das Instrumentarium des ökonomischen mainstream (v.a. das der Neoklassik) zur Analyse des Gender Gap bzw. der damit verbundenen Aspekte der Diskriminierung unzureichend ist oder zumindest bislang ungenügend eingesetzt wurde. Abgesehen von der empirischen Evidenz, die als Hinweis auf den bisher relativ erfolglosen Einsatz des wirtschaftswissenschaftlichen Wissens bzw. der Analyse gedeutet werden kann, sind vor allem die beiden folgenden Begründungen für die Notwendigkeit einer erweiterten ökonomischen Perspektive auf Diskriminierung ausschlaggebend:
28
Generell hat die Ökonomik bislang ihren Fokus auf Marktprozesse und damit auf Formen bezahlter Arbeit im Erwerbsarbeitsmarkt. Unbezahlte Arbeit im Privaten wird ausgeblendet. Da sich die Frauenerwerbstätigkeit im Vieleck von Arbeitsmarkt bzw. Betrieb, Staat und Familie bewegt, können arbeitsmarktökonomische Ansätze nicht ausreichen, um den Gender Gap in seiner Verankerung in allen Bereichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebens zu erfassen. Wir haben es hier mit einer inhaltlichen Engführung zu tun, die sich auch schon innerhalb der einzelnen Bereiche identifizieren lässt, wenn beispielsweise nur Prozesse direkter Diskriminierung untersucht werden, nicht jedoch die viel gewichtigeren Feedbackprozesse rund um indirekte bzw. mittelbare Diskriminierung. Neben dieser inhaltlichen Verkürzung wird vor allem von Seiten der feministischen Ökonomik Kritik am male bias im ökonomischen mainstream eingebracht (siehe Kap. 3.1). Das vorgeblich geschlechtsneutrale ökonomische Individuum ist demnach ein-
Gary S. Beckers Theory of Discrimination erschien in erster Auflage 1957, die am häufigsten zitierte 2. Auflage im Jahr 1971. Die meisten Arbeiten entstanden ab den 1970er Jahren, beispielsweise Barbara Bergmanns crowding Theorie (zitiert nach Figart 1999, 109). Für einen Überblick vgl. Figart 1999, Albelda et al. 1997; weitere Hinweise finden sich in den Kapiteln 3.1 und 3.3.
28
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz deutig in Richtung einer männlichen Person im Haupterwerbsalter verzerrt.29 Die Fokussierung der Theorie auf ein explizit geschlechtsneutrales, aber implizit männliches Individuum führt zu einer unzureichenden theoretischen und teilweise auch empirischen Erfassung der Situation von Frauen am Arbeitsmarkt; die vorherrschenden Theorien sind in vielerlei Hinsicht zu eng und zu einseitig, als dass der Gender Gap in seiner ganzen Komplexität verstanden werden könnte.
Das Aufzeigen von Lücken im mainstream und die Kritik an dessen Engführung sind daher beständig Thema dieses Buches. Das Ziel dieser vornehmlich kritischen Auseinandersetzung vor allem mit der Neoklassik ist jedoch nicht die Ablehnung des neoklassischen Instrumentariums als solchem, sondern vielmehr das Aufzeigen der Leerstellen und damit Erweiterungsnotwendigkeiten, und in der Folge der Erweiterungsmöglichkeiten von Modellen und der Anwendungsmöglichkeiten des Instrumentariums.30 Dabei gilt es nicht nur, über paradigmatische Grenzen innerhalb der Ökonomik hinwegzuschauen, sondern vor allem auch über disziplinäre Grenzen, insbesondere zur Soziologie, zur Sozialpolitik und politikwissenschaftlichen Wohlfahrtsstaatenforschung, zur Rechtswissenschaft, und in allen Erweiterungen auch und insbesondere zu den jeweiligen Ansätzen der Gender-Forschung. Letzteres betrifft die Wirtschaftswissenschaften selbst ebenso: Startpunkt der kritischen Analyse und Ausgangspunkt für diesbezügliche Erweiterungen sind die Arbeiten im Kontext der feministischen Ökonomik. Dass gerade die Wirtschaftswissenschaften zu den Fragestellungen dieser Arbeit einiges beizutragen haben bzw. Bedarf nach deren Beitrag besteht, ergibt sich aus den bisherigen Ausführungen: Diskriminierung ist ein vielschichtiges Phänomen, an dem ökonomische Diskriminierungsmechanismen entscheidend beteiligt sind. Elemente einer erweiterten Perspektive … Das Ziel dieses Buches liegt darin, den Gender Gap aus einer erweiterten ökonomischen Perspektive zu analysieren, um Bedingungen einer geschlechtergerechteren Arbeitsteilung, einer Gesellschaft ohne benachteiligende Gender Gaps identifizieren zu können sowie um zur Entwicklung einer ökonomisch fundierten Gleichstellungspolitik zur Herstellung dieser Bedingungen beizutragen. Diese Zielsetzung bedingt ob der angeführten Defizite und Lücken im Hauptstrom der Wirtschaftswissenschaften eine kreative Erweiterung der ökonomischen Herangehensweise, die sich folgendermaßen konkretisieren lässt:
29
Im US-amerikanischen Kontext kommt in der Regel der bias der ethnischen Zugehörigkeit hinzu, d.h. es geht um männliche, weiße Individuen der Mittelschicht, die auf Märkten agieren. 30 Insofern ist die vorliegende Arbeit wissenschaftstheoretisch im feministischen Empirismus verortet. Kritisiert werden vor allem die unvollkommene Praxis der wissenschaftlichen Methode und weniger die wissenschaftlichen Normen selbst (Harding 1994, 129). Dieser erkenntnistheoretische Zugang ist zwar im Vergleich zur feministischen Standpunkttheorie und zum postmodernen Ansatz tatsächlich konservativ, aber darin liegen nach Harding (1994, 127ff) nicht nur Schwächen, sondern auch einige Stärken. „Das Anliegen einer Erkenntnistheorie sollte nicht sein, dass sie ungewöhnlichen Standards genügt, die die meisten Menschen nicht akzeptieren, sondern dass sie vernünftige, aufmerksame und informierte ZuhörerInnen überzeugt“ (ebd., 130). Harding attestiert gerade den Natur- und Sozialwissenschaften (und es ist anzunehmen, dass sie damit auch die Wirtschaftswissenschaften meint), dass dieses Kriterium durch die Methodologie des feministischen Empirismus erfüllt werden kann.
Gender Gap und ökonomische Analyse 1.
2.
3.
4.
29
Im methodologischen Kontext ist es das Ziel, die Engführung der neoklassischen Mikroökonomik zu Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Ungleichheit zu explizieren, die der Diskriminierung zugrunde liegenden Prozesse der Arbeitsteilung zu reflektieren und entsprechende Erklärungsbeiträge ansatzweise einzubauen. In der Frage des Gegenstandsbereichs der Ökonomik geht es um die Erweiterung um Care, also um nicht-marktvermittelte Arbeit im Betreuungsbereich. Das ist ein mehrfach anspruchsvolles Unterfangen, geht es doch nicht nur um die Überwindung der bisherigen Ausblendung dieses Arbeitsbereichs, sondern auch um die Erfassung der Besonderheiten von Care, um die Entwicklung einer Theory of Care. Die Notwendigkeit methodischer Erweiterungen zeigt sich insbesondere über die Analyse des Gender Pay Gap: Die ökonometrischen Methoden zur Zerlegung dieses Gap können zwar Aufschluss über das jeweilige Ausmaß der erklärbaren Anteils geben, aber sie bieten keine Möglichkeit, innerhalb des „unerklärten Rests“ nach Ursachen zu suchen und die Verbindungen und Wechselwirkungen mit den beobachtbaren ökonomischen Variablen aufzudecken. Hierzu sind Methoden der empirischen Sozialforschung hilfreich, insbesondere die qualitativen Methoden. Und schließlich stellt das Ziel einer ökonomischen Fundierung der Gleichstellungspolitik angesichts der Dominanz von Mikroanalysen im ökonomischen mainstream eine Öffnung in Richtung einer Makroperspektive dar.
… als Beitrag zum Projekt des Engendering Economics Der zentrale Aspekt hinter den angeführten Erweiterungen ist es, ökonomische Fragestellungen durch gender lenses zu betrachten. Was bedeutet dies konkret? Der Gender Gap ist der messbare Ausdruck einer Differenz zwischen den Frauen und Männern, die nicht vollständig in Präferenzen oder produktivitätsrelevante Unterschiede aufgelöst werden kann. Seine Analyse macht daher nur Sinn, wenn beide Geschlechter in den Blick genommen werden, wenn wir das Geschlechterverhältnis zum Ausgangspunkt und Fokus der Analyse nehmen. Auch wenn mittlerweile in der Gender-Forschung allgemein anerkannt wird, dass es die Frauen und die Männer als Gruppen so nicht gibt, dass die Unterschiede innerhalb der Geschlechter zwischen verschiedenen Gruppen zunehmen und dass sich Geschlechterunterschiede mit Diskriminierungen aufgrund der Nationalität, des Alters, der Ethnizität, Religion oder sexuellen Orientierung überlagern bzw. komplex verknüpfen können, bleibt die Verteilung unterschiedlicher Erwerbschancen oder Einkommenschancen auf die Gruppe der Männer bzw. die der Frauen die zentrale Fragestellung dieser Arbeit. Gerade die Universalität des Gender Gap Care kann als Begründung dafür eingesetzt werden, dass sich in den hier untersuchten ökonomischen Feldern Benachteiligungsmuster generell gegen Frauen immer noch halten können und dass es nicht obsolet geworden ist, diese Muster zu untersuchen. Während diese erste gender lense somit den Untersuchungsgegenstand – das Geschlechterverhältnis – betrifft, bezieht sich die zweite auf die wissenschaftliche Herangehensweise im Kontext der Ökonomik, auf die feministische Ökonomik. Das übereinstimmende Ziel feministischer Ökonomik liegt in der Veränderung diskriminierender Strukturen im Geschlechterverhältnis,31 und in der Wissenschaftsfrage (vgl. Hoppe 2002) zielt sie 31 „Feministische Ökonomie muss die Mechanismen der Produktion und Reproduktion von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sichtbar machen und dazu beitragen, Ansatzpunkte für Veränderungen zu entwickeln.
30
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
jedenfalls auf eine Bereicherung und Ausweitung bestehender Theorien und die Nutzung bisher ausgeblendeter Methoden. Es gibt derzeit noch keinen geschlossenen Theoriekomplex, kein Paradigma feministischer Ökonomik (Woolley 1993, 485). „Vielmehr konstituiert sich aus der Kritik an herrschenden Theorien schrittweise ein selbständiges feministisch-ökonomisches Paradigma“ (Hoppe 2002, 11). Was derzeit existiert, sind heterogene Ansätze, die teilweise interdisziplinär angelegt sind und ihren Ausgang in mehreren ökonomischen Strömungen bzw. vor allem in der Kritik derselben nehmen.32 Auch in der Sicht auf die anzuwendenden Methoden zur Verbesserung der Situation der Frau in der Gesellschaft gibt es Unterschiede, und was die Wissenschaftsfrage betrifft, so ist die Haltung nicht einheitlich, wie weit die Prämissen und Methoden der ökonomischen Wissenschaft selbst in Frage gestellt werden sollen. Mit der feministischen Ökonomik ist die dritte gender lense bereits vorgegeben: jene der Interdisziplinarität. Es ist kennzeichnend für die Arbeiten feministischer ÖkonomInnen, sich zwischen den Disziplinen zu bewegen und deren Konzepte und Methoden aufzunehmen, gerade weil diese dem Erkenntnisgegenstand angemessener erscheinen als jene des ökonomischen mainstream. Besonders naheliegend und häufig sind Kooperationen mit den Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie, aber auch die Zusammenarbeit mit den Politikwissenschaften (im Rahmen dieser Arbeit vor allem im Kontext der Wohlfahrtsstaatenforschung, siehe Kap. 4) und den Rechtswissenschaften (siehe Kap. 5) erweist sich als notwendig und zielführend. Diese interdisziplinäre Ausrichtung kommt auch dem vergleichsweise hohen Problem- und Anwendungsbezug in der Forschung feministischer ÖkonomInnen entgegen bzw. ermöglicht überhaupt erst dessen Umsetzung.
1.6
Aufbau der Arbeit
Das Buch gliedert sich in drei zentrale Teile: In Kapitel 3 liegt der Fokus auf dem Erwerbsarbeitsmarkt, in Kapitel 4 auf Care, und Kapitel 5 widmet sich der ökonomischen Fundierung von Gleichstellungspolitik und damit auch den Perspektiven einer Veränderung des Gender Gap. In Kapitel 2 wird eine empirische Einführung in die Thematik gegeben, insofern die untersuchten Ausprägungen des Gender Gap anhand von Daten zur österreichischen Situation aufgezeigt werden. Nach der Darstellung der Empirie des Gender Gap in Österreich in Kapitel 2 drängen sich unmittelbar Fragen auf: Wie „funktioniert“ Diskriminierung? Was sind die Bestimmungsgründe des Gender Gap aus arbeitsmarktökonomischer Sicht? Wie wird der Gender Gap immer wieder reproduziert? Welche Antworten sich in der Arbeitsmarktökonomik finden und inwiefern diese – aus einer feministisch-ökonomischen Perspektive – ergänzungsbedürftig sind, sind die zentralen Fragestellungen im dritten Kapitel. Zu Beginn wird in einem theoretisch angelegten Kapitel die Befassung mit dem Gender Gap im ökonomischen mainstream analysiert und kritisiert (3.1). Die genannten Fragestellungen werden In diesem Sinne fühlen sich feministische Ökonominnen der Emanzipation der Frauen und der Frauenbewegung verpflichtet“ (Maier 1994, 35). 32 Dieses heterogene Bild zeigt sich auch regelmäßig in den Beiträgen der Konferenzen der International Association for Feminist Economics (IAFFE; vgl. www.iaffe.org).
Aufbau der Arbeit
31
im Detail anhand von vier Ausprägungen des Gender Gap verfolgt: Gender Gap Beschäftigung (3.2), Gender Pay Gap (3.3), Gender Gap Erwerbskarriere (3.4) und Gender Gap Arbeitszeit (3.5). Das letzte Teilkapitel 3.6 nimmt die übergeordneten Thesen auf und stellt Verbindungslinien zu den weiteren Teilen her. Während der Bearbeitung der Bestimmungsgründe des erwerbsarbeitsbezogenen Gender Gap in Kapitel 3 wird der Zusammenhang mit asymmetrisch verteilten familiären Verpflichtungen immer wieder sichtbar. Kapitel 4 befasst sich daran anschließend mit dem Arbeitsbereich Care. Ausgehend von der These, dass es nicht reicht, im Sinne eines einfachen Konzepts von Arbeitsteilung einen weiteren Arbeitsbereich einzubeziehen, werden im Kapitel 4.1 Aspekte einer Theory of Care gesammelt, um die Besonderheiten dieses Arbeitsbereiches adäquat zu erfassen und in die Ökonomik zu integrieren, sowie um die bisherigen Beiträge zu einer solchen Theorie (Familienökonomik, Economics of Child Care, Ansätze aus der New Institutionalist Economics) auf ihre Anschlussfähigkeit hin zu prüfen. Betreuungsarbeit ist im Dreieck von Staat, Markt und Familie angesiedelt, wobei sich hier zwischen den jeweiligen nationalstaatlichen Anteilen und Organisationsformen große Unterschiede zeigen. Dies verlangt die Einbeziehung wohlfahrtsstaatlicher, d.h. makrosoziologischer und politikwissenschaftlicher Konzepte in die ökonomische Analyse und somit einen interdisziplinären Brückenschlag zur Wohlfahrtsstaatenforschung und zur Sozialpolitik. Care kann nur im jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Kontext analysiert werden, und die Ergebnisse dieser Analysen sind nicht in derselben Weise verallgemeinerbar wie die anderer Arbeitsbereiche. Dass die beiden folgenden anwendungsorientierten Kapitel 4.2 und 4.3 den Fokus auf Österreich legen, erweist sich daher als zielführend. Am Beispiel des Care Arrangements in Österreich soll ein Einblick in dieses komplexe Wechselspiel zwischen Markt, Staat und Familie gegeben werden (4.2). Am Beispiel der Elternkarenz wird im Kapitel 4.3 gezeigt, wie Care in den Erwerbsarbeitsmarkt integriert werden kann und welche Potentiale für eine veränderte Arbeitsteilung darin liegen. Die Dauerhaftigkeit von Benachteiligungsstrukturen wirft die Frage nach dem gleichstellungspolitischen Veränderungspotential auf, aber auch nach dem Inhalt gleichstellungspolitischer Zielsetzungen. Dass es eine Angleichung der Lebensläufe von Frauen an jene der Männer nicht sein kann, haben Frauenforschung und –bewegung über die Differenzdebatte herausgearbeitet, genauso wenig dürfte die umgekehrte Angleichung eine erfolgversprechende Zielsetzung darstellen. Fragestellungen im fünften Kapitel sind daher: Welche zentralen Kategorien sind zur Fundierung von Gleichstellungspolitik erforderlich, wie hat sich die Gleichstellungspolitik bislang entwickelt, wie könnte sie die identifizierten Gender Gaps beeinflussen? Zusätzlich zu dieser theoretischen Aufarbeitung wird in Kapitel 5.1 auch eine kurze Auseinandersetzung mit der österreichischen Gleichstellungspolitik geboten. Daran anschließend wird das gleichstellungspolitische Potenzial anhand zweier Fallstudien analysiert. In Kapitel 5.2 liegt der Fokus auf der Arbeitsmarktpolitik, untersucht werden die Umsetzungsmöglichkeiten von gleichstellungspolitischen Zielsetzungen in der Praxis von Institutionen, in diesem Fall dem österreichischen Arbeitsmarktservice. In Kapitel 5.3 steht das gleichstellungspolitische Potenzial von Care vor dem Hintergrund eines breiten gleichstellungspolitischen Ansatzes im Mittelpunkt. Welche Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik können aus den Untersuchungen zur Rolle von Care gewonnen werden? Was wären adäquate politische Konzepte und Modelle, in denen
32
Einleitung: Ökonomie und Geschlechterdifferenz
die Geschlechtergleichstellung einen zentralen Stellenwert hat und die daher das Ziel gleichstellungspolitischer Initiativen sein sollten? In Kapitel 5.4 geht es um die Konkretisierung einer erweiterten gleichstellungspolitischen Perspektive in Anknüpfung an die in der Arbeit aufgeworfene Problemstellung des Gender Gap. Beiträge dazu liefern die ökonomisch-theoretische Begründung von Anti-Diskriminierungspolitik, die Auseinandersetzung mit Gleichheit und Differenz im Kontext von Care, Erkenntnisse aus der Organisationsforschung zur Gendered Organization und das makroökonomische Konzept des Gender Budgeting. Diese Fragestellungen werden in der Arbeit zwar schrittweise in den drei skizzierten zentralen Kapiteln und im Detail in den jeweiligen Unterkapiteln behandelt, sind aber nicht als für sich abgetrennte Fragestellungen zu verstehen. Die Herausforderung liegt gerade darin, einen umfassenden Bezugsrahmen für die relative Position von Frauen am Arbeitsmarkt unter Einschluss anderer Arbeitsbereiche und Wechselwirkungen mit relevanten Politikbereichen zu erarbeiten – also Diskriminierungsmuster am Arbeitsmarkt, den Gender Gap Care und Gleichstellungspolitik in ihrer Verbindung zu sehen. Dieser Bezugsrahmen wird insbesondere in den jeweils resümierenden Kapiteln (3.6, 4.4 und 5.4) sichtbar, insofern die im vorliegenden Kapitel aufgestellten Thesen aufgegriffen und mit den Erkenntnissen aus den Detailanalysen zusammengeführt werden. Kapitel 6 rundet die Arbeit durch die Bezugnahme auf das Projekt des Engendering Economics ab und liefert Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen.
2
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Österreich zeigte in den vergangenen Jahrzehnten Muster, wie sie in allen industrialisierten Ländern zu finden waren:1 Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist kontinuierlich gestiegen, Frauen sind in neue und mittlerweile wohl auch alle Berufsfelder mehr oder weniger eingedrungen, sie sind im Management und in Führungspositionen tätig, und sie teilen auch die Schattenseiten der Arbeitsmarktentwicklung wie Arbeitslosigkeit und atypische Beschäftigungsverhältnisse mit ihren männlichen Kollegen. Auf der Ausbildungsebene haben Frauen in den jüngeren Kohorten mit den Männern gleichgezogen, sie teilweise sogar überholt, die Mehrheit der StudienanfängerInnen in Österreich ist weiblich.2 Weniger Frauen bekommen relativ weniger Kinder, was zur Folge hat, dass in der Gesamtbetrachtung Berufsunterbrechungen aufgrund familiärer Verpflichtungen seltener und kürzer werden. Die gesetzlich verankerte Gleichbehandlungspolitik und, wenn auch noch zögerlich, betriebliche Frauenfördermaßnahmen unterstützen diese Eroberung aller Bereiche des Arbeitsmarktes durch Frauen. Doch trotz der Annäherung weiblicher und männlicher Beschäftigungsmuster bleibt der Gender Gap aufrecht und die über den Gender Gap zum Ausdruck kommenden Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt werden nur sehr langsam abgebaut. Besonders deutlich wird dies beim Gender Pay Gap, den äußerst veränderungsresistenten geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen. Aber auch in der Beschäftigung generell, in der Arbeitslosigkeit und in Bezug auf bestimmte atypische Beschäftigungsverhältnisse ist der Gender Gap keineswegs bedeutungslos geworden. Was die Übernahme von Betreuungsarbeit durch die Männer respektive Väter betrifft, zeichnet sich noch weniger Veränderung ab als bei den ausschließlich arbeitsmarktbezogenen Differenzen. In diesem Kapitel wird die quantitative Existenz des Gender Gap in Österreich mittels sekundärstatistischer Daten für die jüngere Vergangenheit dokumentiert.3 Der Gender Gap wird empirisch über den Abstand des jeweiligen Indikators bei den Frauen in Relation zu den Männern gemessen. Die empirische Darstellung des Gender Gap ist allerdings nicht einheitlich, insofern sowohl die Differenz, also der eigentliche Gap, als auch die Relation Frauen-Männer unter der Bezeichnung Gender Gap firmieren. Der Gender Gap Beschäftigung wird meist in der ersten Form dargestellt, beim Gender Pay Gap findet sich häufig auch die Darstellung Fraueneinkommen in Prozent der Männereinkommen. Im Folgenden wird die jeweils übliche Darstellungsform gewählt und gegebenenfalls erläutert, um Verwirrungen zu vermeiden. 1
Zur Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit im europäischen Kontext vgl. z.B. Maier 1998 und 2002, Beckmann/Engelbrech 1994, eironline 2001; 2002; 2007, Pfau-Effinger 1998, Rubery/Fagan 1998. 2 Im Wintersemester 2006 waren bereits 56,7% der StudienanfängerInnen weiblich; 53,9% aller Studienabschlüsse erfolgten durch Frauen (vgl. Daten auf www.bmwf.gv.at). 3 Eine konsistente Darstellung von Arbeitsmarktindikatoren ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Beispielsweise ist eine einheitliche Frauenerwerbsquote in unterschiedlichen Statistiken sogar beim gleichen Konzept (Labor Force oder Lebensunterhalt) nicht garantiert (vgl. Kapeller et al. 1999, 59ff; Beckmann 2003, Haataja 2005). Das Ziel dieser Darstellungen ist es, den Gender Gap in verschiedenen Dimensionen sichtbar zu machen.
34
2.1
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
Unterschiede im Ausmaß der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen und Männern geben in unserer erwerbarbeitszentrierten Gesellschaft erste und zugleich zentrale Hinweise auf unterschiedliche Karriere- und Einkommensverläufe der Geschlechter und damit auf mögliche Benachteiligungsmuster.
2.1.1 Beschäftigungsquote und Gender Gap Beschäftigung Durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen wurde der Gender Gap Beschäftigung in den letzten 25 Jahren mehr als halbiert: er sank von 29,5 Prozentpunkten 1980 auf 13,4 Prozentpunkte 2006. Der Großteil dieses Rückganges erfolgte bereits in den 1980er Jahren, während sich die Annäherung der Beschäftigungsquoten zwischen den Geschlechtern in den 1990er Jahren verlangsamte (Abbildung 2.1). In den Jahren ab 2000 hat sich die Annäherung der Quoten wiederum etwas verstärkt, wofür insbesondere der Anstieg der Teilzeitarbeit bei Frauen verantwortlich gemacht werden kann - diese Situation wird uns im Detail noch später beschäftigen. Abbildung 2.1:
Entwicklung der Beschäftigungsquote von Männern und Frauen (15 bis 64 Jahre) und des Gender Gap 1980 bis 2006, in %
Beschäftigungsquote, Gender Gapxx Beschäftigung (in Prozentpunkten)xx
90 80 70 60 50 40
Gender Gap
30
Männer
Frauen
20 10
2006
2004
2003
2001
1999
1997
1995
1994
1992
1990
1988
1986
1984
1982
1980
0
Anmerkung: Die Auslassungen kennzeichnen Brüche in den Datenreihen infolge des EUBeitritts Österreichs (1995) bzw. der Neukonzeption des Mikrozensus (2004). Quellen: 1980 bis 1994: WIFO-Datenbank; 1995 bis 2006: Arbeitskräfteerhebung: www. statistik-austria.at.
Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
35
Parallel zur Beschäftigungsquote wird über die Arbeitskräfteerhebung die Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten ausgewiesen (Tabelle 2.1).4 Der Gender Gap Beschäftigung erhöht sich in dieser Betrachtung auf fast 23 Prozentpunkte. Tabelle 2.1: Beschäftigungsquote und Gender Gap Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten
Frauen Beschäftigungsquote gesamt in Vollzeitäquivalenten Männer Beschäftigungsquote gesamt in Vollzeitäquivalenten Gender Gap Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten
1999
2001
2003
2006
59,6 51,0
60,7 50,9
61,7 51,7
63,5 49,9
77,6 76,9
76,4 76,0
76,4 74,9
76,9 72,6
18,0 25,9
15,7 25,1
14,7 23,2
13,4 22,7
Quelle: European Commission 2007. Aus Tabelle 2.1 ist ersichtlich, dass sich bei den Männern durch die Berechnung der Vollzeitäquivalente kaum Unterschiede ergeben, erst in jüngster Zeit ist ein gewisser Einfluss der Teilzeitbeschäftigung merkbar. Bei den Frauen liegt der Unterschied zwischen den beiden Beschäftigungsquoten mittlerweile bei mehr als 13 Prozentpunkten, mit steigender Tendenz. Wiederum wird die Bedeutung der Teilzeitbeschäftigung für die weibliche Arbeitsmarktteilnahme sichtbar. 2006 betrug die Teilzeitquote bei den männlichen Beschäftigten 6,5%, bei den Frauen 40,2% (zu den Details siehe Kapitel 2.2). Der Anstieg weiblicher Erwerbstätigkeit geht überwiegend auf die Arbeitsmarktintegration von Müttern im Haupterwerbsalter zurück (Tabelle 2.2).5 Allein in den fünf Jahren von 1997 bis 2002 stieg der Anteil der Erwerbstätigen an allen Frauen mit Kindern in der Altersgruppe von 24 bis 44 Jahren um 8 Prozentpunkte an, während der Anteil bei den kinderlosen Frauen annähernd gleich blieb. Die Daten in der Tabelle 2.2 zeigen aber auch die nach wie vor großen Unterschiede zwischen der Arbeitsmarktpartizipation von Müttern und kinderlosen Frauen: Im Jahr 2006 waren 85% der Frauen im Alter von 25 bis 44 Jahren ohne Kind(er) erwerbstätig, 63% der Frauen dieser Altersgruppen waren vollerwerbstätig. Unter den Müttern waren 67% erwerbstätig und nur 20% vollerwerbstätig. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter den 25- bis 44-jährigen Frauen mit Kind(ern) stieg von 23% auf 39%, wobei dieser Anstieg in der ersten Hälfte des betrachteten Zeitraums in etwa dem Anstieg in der Erwerbstätigkeit von Müttern entspricht, in der zweiten Hälfte jedoch klar zu Lasten der Vollzeitbeschäftigung ging. Eine gewisse Verlagerung von Vollzeit zu Teilzeit ist auch bei den kinderlosen Frauen bemerkbar, allerdings auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Noch immer sind 22% der Frauen im Erwerbsalter mit Betreuungspflichten nicht erwerbstätig. Diese Quote wie auch der hohe Anteil von Müttern in Teilzeitjobs zeigen die 4 Die Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten wird folgendermaßen berechnet: Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden, dividiert durch die durchschnittliche Zahl der im Rahmen von Vollzeitbeschäftigten geleisteten jährlichen Arbeitsstunden, ausgedrückt in Relation zur Gesamtbevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren (European Commission 2007). 5 Vgl. Gerhard et al. 2003 für die Situation in verschiedenen europäischen Ländern.
36
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Schwierigkeiten, die Frauen nach einer Kinderpause beim Wiedereinstieg in einen „normalen“ Berufsverlauf haben.6 Tabelle 2.2: Arbeitsmarktpartizipation und Betreuungspflichten unter Frauen (25 bis 44 Jahre) in den Jahren 1997, 2002 und 2006, in % Frauen mit Kind(ern) Erwerbstätige Frauen Beschäftigte in Vollzeit Beschäftigte in Teilzeit Selbständige Frauen in Elternkarenz Arbeitslose Frauen Nichterwerbstätige Frauen Personen gesamt
1997 59 27 23 9 11 3 27 868.000
Frauen ohne Kind(er)
2002 2006 1997 2002 2006 67 67 83 84 85 25 20 68 66 63 33 39 10 12 17 9 8 5 6 5 9 7 3 4 3 3 4 22 22 14 13 11 845.000 809.400 407.000 401.200 420.500
Quellen: 1997: Wörister 1999; 2002: Mikrozensus 2002, Tabellen 138 und 139; 2006: Mikrozensus 2006, Familien und Haushaltsstatistik, Tabellen 39 und 40. Die Analyse der Arbeitsmarktsituation von Müttern verweist auf die Verknüpfungen, die zwischen den arbeitsmarktbezogenen Ausprägungen des Gender Gap und dem Gender Gap Care bestehen dürften. Zugleich wird sichtbar, dass diese Verknüpfungen keineswegs eindeutig sind: Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Müttern reduziert den Gender Gap Beschäftigung, erhöht aber gleichzeitig den Gender Gap Arbeitszeit und – wie sich in weiterer Folge noch zeigen wird – karrierebezogene Ausprägungen des Gap. Wenn innerhalb der Gruppe der erwerbstätigen Mütter differenziert wird, werden weitere Hinweise auf die vielfältigen und widersprüchlichen Verbindungen zwischen Erwerbsarbeit und der familiären Situation von Frauen sichtbar.7 Unter den Frauen zwischen 15 und 59 Jahren stehen Alleinerzieherinnen mit 82% deutlich häufiger im Erwerbsleben als Frauen in Partnerschaften mit 75%. Dies gilt für alle Altersgruppen und unabhängig von der
6
Vgl. Kreimer/Leitner 2002, Neyer 1996, Neyer et al. 1999, Schweitzer 2000, Lutz 2003 und 2004. Ein statistisches Detail, das die vergleichende Analyse in der Regel erheblich erschwert, ist die Frage der Einbeziehung von Personen in Elternkarenz. Wird die Zahl der erwerbstätigen Mütter um jene korrigiert, die sich in Elternkarenz befinden, sinkt die Quote der Mütter drastisch ab. In der üblichen Praxis der Zählung von in Elternkarenz befindlichen Personen als erwerbstätig wird die Beschäftigungsquote von Müttern mit Kleinkindern systematisch überschätzt (vgl. Haataja 2005). Lutz/Walterskirchen (2004) haben beispielsweise berechnet, dass der Anstieg der Beschäftigung von 2000 bis 2003 um 51.000 Personen zu 90% durch KindergeldbezieherInnen verursacht wurde (Verlängerung der Bezugsdauer ab 2002, siehe Kap. 4.2), der Rest geht auf die Zunahme der Altersteilzeit und auf Personen in Schulungen zurück, die durch bestimmte Regeländerungen als erwerbstätig gezählt wurden. Diese Effekte gilt es bei internationalen Vergleichen ebenso wie bei nationalen Langzeitvergleichen zu berücksichtigen. Zudem ist dieses Ergebnis ein weiterer Hinweis darauf, wie komplex sich die Interpretation der Erwerbsquotenentwicklung von Frauen gestaltet, wirken sich doch institutionelle Änderungen auch auf die statistische Erfassung der Erwerbstätigen aus. 7
Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
37
Anzahl der Kinder (Statistik Austria 2007, 21ff).8 Die hohe Erwerbsquote wird allerdings durch einen höheren Anteil an arbeitslosen Frauen unter den Alleinerzieherinnen relativiert, was auf die schwierige Situation in Bezug auf die tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung hindeutet. Der relativ zu Müttern in Partnerschaften deutlich geringere Teilzeitanteil bei den Alleinerzieherinnen verweist auf die Problematik der Erzielung eines existenzsichernden Einkommens.9 Für alle Gruppen von Müttern gilt, dass die Erwerbsbeteiligung mit zunehmender Kinderanzahl zurückgeht: 2006 waren 82% der Frauen mit einem Kind unter 15 Jahren erwerbstätig, aber nur 54% der Frauen mit drei oder mehr Kindern (Statistik Austria 2007, 21). Dass beide Gruppen von Müttern von institutionellen Faktoren ähnlich betroffen sein dürften, zeigt folgender Umstand: Für beide Gruppen ist die Teilzeitrate am höchsten, wenn ihr jüngstes Kind zwischen 3 und 6 Jahre alt und somit im Kindergartenalter ist.10 Dies sind weitere Indizien dafür, dass der Gender Gap Beschäftigung nicht nur eine Folge der individuellen Entscheidung zwischen Kinderbetreuung bzw. Reproduktionsarbeit und Erwerbsarbeit ist, sondern von den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen abhängt.
2.1.2 Arbeitslosenquote und Gender Gap Arbeitslosigkeit Die entsprechend der internationalen Definition berechnete Arbeitslosenquote11 der Frauen ist parallel zur zunehmenden Frauenerwerbsbeteiligung seit den 1980er Jahren deutlich gestiegen und ist kontinuierlich höher als jene der Männer (Abbildung 2.2). 2006 betrug der Gender Gap 0,8 Prozentpunkte. Ende der 1990er Jahre konnten die Frauen etwas stärker als die Männer von der Arbeitsmarktentwicklung profitieren, der Gender Gap Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück, seit 2002 steigt er allerdings wieder an, was in den vergangenen Jahren vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sich im Zuge des letzten Wirtschaftsaufschwungs die Arbeitsmarktchancen der Männer stärker verbessert haben.
8
In einer komparativen Analyse von AlleinerzieherInnen in 15 EU-Ländern auf der Grundlage des Haushaltspanels der Europäischen Gemeinschaft (ECHP) gehört Österreich zu den wenigen Ländern, in denen deren Partizipationsrate höher als die allgemeine Partizipationsrate ist (Lehmann/Wirtz 2004, 4). 9 Die Situation alleinerziehender Frauen hat in der sozialwissenschaftlichen Forschung in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit bekommen (vgl. Lewis 1997, Albelda et al. 2004, Giddings et al. 2004, Strell/Duncan 2001), zum einen, weil diese Gruppe aufgrund des fehlenden breadwinners besonders von den Umstrukturierungen und Kürzungen im sozialpolitischen Bereich betroffen ist, zum anderen, weil sich für diese Frauen gänzlich andere Anforderungen an die Gleichstellungspolitik ergeben – eine partnerschaftliche Aufteilung von Care stellt hier keinen Lösungsansatz dar. Für die Analyse des Gender Gap, ist diese Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gruppen von Frauen insofern relevant, als sie in die arbeitsmarktbezogenen Ausprägungen des Gap hineinspielen und im Fall des Gender Gap Care direkt angesprochen werden. In der Analyse des Care Arrangements in Österreich im Kapitel 4.2 wird daher auch auf die Situation der Alleinerzieherinnen eingegangen werden. 10 Dass hier ein Zusammenhang mit den Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen bestehen dürfte, wird in Kapitel 4.2 gezeigt. 11 Die internationale Quote ergibt sich aus der Befragung im Rahmen der Arbeitskräfteerhebung. Die nationale Arbeitslosenquote stellt die beim Arbeitsmarktservice vorgemerkten Arbeitslosen dem Arbeitskräftepotential bestehend aus den unselbständig Beschäftigten laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger und den vorgemerkten Arbeitslosen gegenüber. Die Unterschiede zwischen den beiden Quoten resultieren aus den unterschiedlichen Erhebungsformen, der Definition der Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit und der Berücksichtigung bzw. Bereinigung um die Saisonarbeitslosigkeit.
38
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Abbildung 2.2:
Entwicklung der Arbeitslosenquote von Frauen und Männern (internationale Quote) und des Gender Gap 1993 bis 2006, in %
Arbeitslosenquote xx
5
4
4 3
Gender Gap
3
Männer
2
Frauen
2
1
1 0
Gender Gap Arbeitslosigkeit in (in Prozentpunkten)
5
6
0 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Anmerkung: Die Daten sind ab 2004 mit jenen der Vorjahre aufgrund der Neukonzeption des Mikrozensus nur bedingt vergleichbar. Quelle: Eurostat: epp.eurostat.ec.europa.eu. In der vom Arbeitsmarktservice ausgewiesenen Registerquote spiegelt sich die höhere Arbeitslosigkeit von Frauen gegenüber Männern nicht so klar wider: 2007 betrug die Arbeitslosenquote der Frauen 6,0%, die der Männer 6,5%, der Gender Gap in der üblichen Darstellung betrug daher -0,5 Prozentpunkte zuungunsten der Männer (Abbildung 2.3). Abbildung 2.3:
Entwicklung der Arbeitslosenquote von Frauen und Männern (nationale (Register-)Quote) und des Gender Gap 1980 bis 2007, in %
9
4 Männer
Frauen 3
7 6
2
5 4
1
3 2
0
1
Quelle: Arbeitsmarktservice: www.ams.or.at.
2004
2002
2000
1998
1996
1994
1992
1990
1988
1986
1984
1982
-1 1980
0
Gender Gap Arbeitslosigkeit in (in Prozentpunkten)
Nationale Arbeitslosenquotein
Gender Gap 8
Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
39
Teilweise in den 1980er Jahren und insbesondere in den 1990er Jahren war die Arbeitslosigkeit der Frauen durchwegs höher als die der Männer. Es ist derzeit noch nicht abschätzbar, ob die 2000 eingetretene Trendumkehr längerfristig anhalten wird. Was sich in der internationalen Quote nur leicht abzeichnete, kommt in der nationalen Berechnung der Arbeitslosigkeit deutlich hervor: Frauen konnten von der Arbeitsmarktentwicklung der vergangenen Jahre profitieren. In absoluten Zahlen waren im Jahresdurchschnitt 2007 knapp 98.000 Frauen und 124.000 Männer als arbeitslos gemeldet. Bis 2004 war die durchschnittliche Verbleibsdauer von Frauen in der Arbeitslosigkeit höher als die von Männern, mittlerweile beträgt die Dauer rund 92 Tage für beide Geschlechter. Langzeitarbeitslosigkeit ist stärker ein Problem der Männer, unter denen 2004 21,3% über 6 Monate arbeitslos waren, bei den Frauen waren es 20,6%. Hier dürfte jedoch das Ausmaß der versteckten Arbeitslosigkeit eine Rolle spielen, welches bei Frauen jedenfalls höher sein dürfte als bei Männern (vgl. Leitner 2007, 28ff).
2.1.3 Nichterwerbstätigkeit und die Kategorie der „im Haushalt Tätigen“ Die Nichterwerbstätigkeitsquote ergibt sich grundsätzlich als Spiegel der Erwerbsquote. Allerdings wäre es falsch, den „Rest“ aus der Erwerbsquote in eine einheitliche Kategorie der Nichterwerbstätigen zu stecken. Insbesondere muss an den „Rändern“ des Erwerbsalters differenziert werden, weil sowohl die Ausbildungsphase als auch die Pensionsphase immer stärker in die Altersabgrenzung der Erwerbsquote hinein reichen. Die Verlängerung der Ausbildungszeiten sowie der gestiegene Anteil an Frühpensionen sind auch Hintergrund langfristig sinkender Männererwerbsquoten. Die Aufschlüsselung der nicht erwerbstätigen Personen nach ihren Angaben zum Lebensunterhalt kann hier erste Hinweise geben. 2006 gaben im Mikrozensus 445.700 Personen den Status „im Haushalt tätig“ an, darunter 9.300 Männer. Wenn nur jene Personen berücksichtigt werden, die sich im erwerbsfähigen Alter befinden, also die über 65-Jährigen ausgeschlossen werden, sind es 354.500 Frauen bzw. 12,8% der weiblichen Wohnbevölkerung dieser Altersgruppe. Ein Blick auf die Verteilung von Männern und Frauen auf die einzelnen Kategorien des Lebensunterhalts (Abbildung 2.4) zeigt deutlich, dass der zentrale Gender Gap in der Nichterwerbstätigkeit bei den Haushaltsführenden besteht, während die Unterschiede bei den anderen derzeit erwerbsfernen Kategorien quantitativ kaum ins Gewicht fallen.12 Personen in Elternkarenz werden üblicherweise den Erwerbstätigen zugeordnet.13
12
Das effektive Pensionsantrittsalter der Frauen liegt noch unter dem der Männer, was die etwas höhere Zahl der Pensionistinnen erklärt. Junge Frauen besuchen häufiger berufsbildende mittlere Schulen, während junge Männer öfter eine Lehrausbildung absolvieren und damit bereits zu den Erwerbstätigen zählen. Der Unterschied in der Mikrozensus-Arbeitslosenquote ist vermutlich auf einen gewissen Alternativrolleneffekt zurückzuführen, d.h. dass ein Teil der Frauen, die „haushaltsführend“ als Status angeben, eigentlich arbeitslos sind, aber die gemeinhin akzeptablere Antwort auf die Lebensunterhaltsfrage geben. Zur Kategorie der „Sonstigen“ gibt es im Mikrozensus keine näheren Angaben. 13 Der Anteil der Männer in Elternkarenz kann quantitativ nicht ausgewiesen werden, daher fehlt diese Angabe in der Abbildung.
40
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Abbildung 2.4:
Lebensunterhalt der 15- bis 64-jährigen Frauen und Männer 2006, in %
Frauen
Karenz
4,6
56,8
12,8
11,5 4,2 9,3
Erwerbstätig im Haushalt tätig in Pension
Männer
Arbeitslos 75,6
0,310,4 5,3 7,7
SchülerIn, Studierende
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Anmerkungen: Erwerbstätige Männer inklusive Präsenz-/Zivildienst; PensionistInnen inkl. arbeitsunfähige Personen; Differenz auf 100%: Sonstige (Männer: 0,7%, Frauen: 0,9%). Quelle: Statistik Austria 2007a, Tabelle G2. Gegenüber 1995 ist die Zahl der haushaltsführenden Frauen um rund 8 Prozentpunkte zurückgegangen (Kapeller et al. 1999a, 3ff). Noch deutlicher sichtbar werden die Veränderungen im Lebenslauf von Frauen aus den Daten des Sozialen Survey Österreich: 1986 gaben noch 35% den Status „haushaltsführend“ an, 1993 waren es 26% und 2003 17% (vgl. Friedl/Kreimer 2005 sowie Kap. 3.4). Über diese Momentaufnahme der Lebensunterhaltsfrage hinaus liegen kaum Informationen zu den Nichterwerbstätigen vor.14 Zwar zeigen die Daten eine gewisse Bewegung bei diesem Gender Gap, die fast ausschließlich auf den Rückgang bei den haushaltsführenden Frauen in der Querschnittsbetrachtung zurückzuführen ist. Aber welche Dynamik sich in den Lebensläufen der einzelnen Frauen abspielt, ob und inwieweit Frauen dauerhaft diesen Status innehaben und welche Veränderungen sich auf dieser Ebene abzeichnen, darüber liegen keine Informationen vor. Im Kapitel 3.2 wird dieser Aspekt des Gender Gap Beschäftigung genauer untersucht werden.
14 Aus dem Grundprogramm des Mikrozensus kann noch die Verteilung der im Haushalt tätigen Frauen in Bezug auf Alter, Ausbildung und Familienstand erhoben werden.
Teilzeitbeschäftigung und Gender Gap Arbeitszeit
2.2
41
Teilzeitbeschäftigung und Gender Gap Arbeitszeit
Der Gender Gap Arbeitszeit15 lässt sich zum einen über die unterschiedliche Präsenz von Frauen und Männern in der Teilzeitbeschäftigung darstellen, zum anderen im Unterschied der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit. Beide Indikatoren beziehen sich auf das Arbeitsvolumen, also das Ausmaß, in dem beide Geschlechter ihre Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen. Ein hoher Gender Gap Arbeitszeit relativiert nicht nur die Zahlen zur Beschäftigung, die in der Regel keinen Bezug zum Beschäftigungsausmaß haben, sondern lässt darüber hinaus Rückschlüsse darauf zu, wie weit es beiden Geschlechtern möglich ist, durch eigene Erwerbsarbeit ökonomische und soziale Absicherung zu erlangen. Der Gender Gap Arbeitszeit bezogen auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit betrug 2006 rund 9,8 Stunden: Frauen arbeiteten im Schnitt 33,9 Wochenstunden, Männer dagegen 43,7 Wochenstunden. Bei den unselbständig Erwerbstätigen ist der Gap mit 9,1 Stunden etwas geringer.16 Wird zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung differenziert, wird sichtbar, dass dieser Gap hauptsächlich auf die weibliche Teilzeitarbeit zurückzuführen ist: Der Gender Gap Arbeitszeit beträgt bei unselbständig Erwerbstätigen mit Vollzeittätigkeiten (ab 36 Wochenstunden) 2 Stunden, bei Teilzeiterwerbstätigen liegt ein negativer Gap vor: Männer arbeiteten im Schnitt 1,2 Stunden pro Woche weniger als Frauen.17 1997 betrug die durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen noch 35,1 Stunden und die der Männer 41,0 Stunden. Der Gender Gap Arbeitszeit hat sich somit in den letzten Jahren deutlich vergrößert, wobei auch hier wiederum der Effekt der zunehmenden Teilzeitarbeit bei Frauen deutlich hervortritt.18 Dies führt uns zum zweiten Indikator, zur Präsenz beider Geschlechter in der Teilzeitbeschäftigung sowie deren Entwicklung. Teilzeitarbeit hat in Österreich seit den 1980er Jahren überproportional zugenommen, die Teilzeitquote stieg von rund 7% Mitte der 1980er Jahre auf 22,5% im Jahr 2006.19 1988 betrug die Zahl der unselbständig Teilzeitbeschäftigten knapp 200.000 Personen (Bergmann et al. 2003, 40), 2006 waren es bereits 764.100 Teilzeitbeschäftigte. Der Gender Gap Arbeitszeit wird sichtbar, wenn der Frauenanteil in der Teilzeitbeschäftigung berücksichtigt wird (Tabelle 2.3): Knapp 86% der Teil15 In diesem Abschnitt wird nur auf den Gender Gap in der Erwerbsarbeitszeit Bezug genommen, weil es um mögliche Benachteiligungsmuster im Erwerbsarbeitsmarkt geht. Dass sich bei einer Gesamtbetrachtung der geleisteten Arbeitszeit der Gender Gap ausgleicht bzw. sogar umdreht (siehe Kap. 2.5), wird implizit in den Kapiteln 4.3 und 5.3 aufgegriffen. 16 Daten aus der Arbeitskräfteerhebung (Statistik Austria 2007a, Tabelle E10). Die durchschnittliche Arbeitszeit unselbständig beschäftigter Frauen betrug 32,7 Stunden, die der Männer 41,8 Stunden. 17 Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt bei unselbständig vollzeitbeschäftigten Männern (Frauen) 43,3 (41,3) Stunden, bei teilzeitbeschäftigten 20,2 (21,4) Stunden. Die Arbeitszeit der Selbständigen ist bei Vollzeitbeschäftigung deutlich höher als die der Unselbständigen, der Gender Gap ist aber überall ähnlich groß (vgl. Statistik Austria 2007a, Tabelle E10). Die Differenz bei den Vollzeitbeschäftigten ist eine Folge der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Inanspruchnahme von Überstunden und weist daher ebenfalls Aspekte geschlechtsspezifischer Ungleichheitsstrukturen auf. Auf den Gender Gap Arbeitszeit innerhalb der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten kann in diesem Abschnitt nicht eingegangen werden. 18 Daten aus der Arbeitskräfteerhebung 1997, Eurostat. 19 Daten und weiterführende Analysen zur Entwicklung der Teilzeitarbeit in Österreich finden sich in Finder et al. (1995), Wroblewski (2000), Mühlberger (2000), Bergmann et al. (2003).
42
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
zeitbeschäftigten sind weiblich. 2006 betrug die Teilzeitquote bei den männlichen Unselbständigen 5,9%, bei den Frauen dagegen 41,6%. Tabelle 2.3: Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung in Österreich 1974 bis 2006 1974* TZ-Beschäftigte insgesamt Frauen Männer Teilzeitquote Frauen Männer Unselbständig TZ-Beschäftigte Frauen Männer Teilzeitquote der Unselbständigen Frauen Männer
1988*
1996*
2001*
2001** 2003**
2006**
155.300 213.100 336.000 436.000 526.000 576.800 715.400 15.800 21.500 50.000 64.800 94.100 98.400 139.300 14,6 (0,9)
17,2 1,1
24,2 2,4
29,6 3,1
33,5 4,4
35,9 4,7
40,2 6,5
135.800 182.700 (8.900) 15.800
295.400 396.100 472.100 526.200 656.900 36.800 48.900 66.100 69.400 107.200
17,0 (0,6)
24,8 2.0
18,0 1,0
30,8 2,7
34,5 3,6
38,6 3,9
41,6 5,9
Anmerkungen: * Lebensunterhaltskonzept; ** Labour Force Konzept. Werte in ( ): hoher Stichprobenfehler aufgrund geringer Besetzung Quellen: 1974 bis 1996: Bergmann et al. 2003, 38ff; 2001 bis 2003: Mikrozensus, Tabellen 47 und 48, eigene Berechnungen. 2006: Statistik Austria 2007a, Tabelle E3. Die häufigere Selbständigkeit männlicher Teilzeitbeschäftigter im Vergleich zu den Frauen ist ein Hinweis auf die nicht nur quantitativ unterschiedlichen Rahmenbedingungen weiblicher und männlicher Teilzeitarbeit. Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus der Altersverteilung der Teilzeitbeschäftigten (Abbildung 2.5). Männer sind an den Rändern ihres Erwerbslebens teilzeitbeschäftigt, d.h. häufig in der Form eines Zuverdiensts während des Studiums oder im Übergang zur Pension.20 Während letzteres auch für Frauen zutrifft, verläuft die Verteilung der Teilzeitbeschäftigung im Haupterwerbsalter genau gegenläufig zu den Männern: Frauen weisen die höchste Teilzeitquote im Alter zwischen 35 und 39 auf, Männer zwischen 20 und 24 Jahren.
20
Für letzteres gibt es eine institutionalisierte Variante: die Altersteilzeit (vgl. Dörfler 2004).
Teilzeitbeschäftigung und Gender Gap Arbeitszeit
Teilzeitquote hh
Abbildung 2.5:
43
Teilzeitquoten von Frauen und Männern nach Altersgruppen 2006
60 50 40 30 20 10 0
Männer Frauen
20 - 24 25 - 29 30 - 34 35 - 39 40 - 44 45 - 49 50 - 54 55 - 59 Alter
Quelle: Statistik Austria 2007a, Tabelle E4. Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der höchsten abgeschlossenen Ausbildung der Teilzeitbeschäftigten (Tabelle 2.4): Bei den Frauen sinkt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten mit dem Ausbildungsniveau, bei den Männern ist Teilzeit im höher qualifizierten Bereich deutlich stärker vertreten. Dieses Muster hat sich bei den Frauen zwischen 1997 und 2006 wenig verändert, während bei den Männern die Teilzeitbeschäftigung bei den Pflichtschulabsolventen zugenommen hat. Es ist zu vermuten, dass dies mit dem Anstieg der Altersteilzeit bei Männern konform geht. Bei beiden Geschlechtern arbeiten AbsolventInnen einer höheren Schule 2006 häufiger in Teilzeit als 1997, was auf die zunehmende Tendenz einer Teilzeitbeschäftigung neben dem Studium verweist.21 Tabelle 2.4: Teilzeitquote nach höchster abgeschlossener Ausbildung und Geschlecht 1997 und 2006, in %
Pflichtschule Lehre, berufsbild. Mittlere Schule Höhere Schule (AHS, BHS) Universität, Hochschule Gesamt
1997 Männer Frauen 4,0 30,6 2,0 29,4 7,1 23,6 7,6 19,3 3,6 27,9
2006 Männer Frauen 5,8 42,8 3,6 44,2 13,5 41,6 7,7 31,0 5,9 41,6
Quellen: 1997: Wroblewski 2000, Tabelle 3; 2006: Statistik Austria 2007a, Tabelle E4. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich bei Männern Teilzeitbeschäftigung auf die Phasen des Berufseinstiegs und vor allem des –ausstiegs konzentriert, während bei den Frauen Teilzeit in den mittleren Altersklassen dominiert. Das geschlechtsspezifische Muster ist nicht zu übersehen: Frauen arbeiten Teilzeit, um Familie und Beruf zu vereinbaren, Männer arbeiten Teilzeit während der Ausbildungsphase und beim Übergang zur Pension 21
Dies wird dadurch gestützt, dass die Teilzeitquote bei Frauen und Männern bei AbsolventInnen einer Allgemeinbildenden Höheren Schule wesentlich höher ist als bei jenen einer Berufsbildenden Höheren Schule, da letztere häufiger gleich in das Berufssystem einsteigen.
44
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
(Wroblewski 2000, 8). Dies impliziert, dass momentan die Teilzeit nur in Ausnahmefällen die Grundlage einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter darstellt (siehe dazu Kap. 3.5 und 5.3). Die Bedeutung der asymmetrischen Verteilung der Geschlechter auf den Teilzeitsektor wird erst dann ersichtlich, wenn die Rahmenbedingungen der Teilzeitarbeit in den Blick genommen werden. Die Analyse der Verteilung von Teilzeit nach Branchen, Qualifikation und Lohnniveau zeigt sehr rasch, dass das Teilzeitsegment eher nachteilige Bedingungen aufweist. Daher ist es zulässig, von einem Gender Gap Teilzeit (bzw. Gender Gap Arbeitszeit, siehe Kap. 3.5) im Sinne der im Kapitel 1 vorgebrachten Definition zu sprechen: Die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter auf Teilzeitarbeit verweist auf Diskriminierung. Zwei empirische Kennzeichen aktueller Teilzeitarbeit seien angeführt:22
Teilzeitarbeit ist besonders stark auf einzelne Branchen und Berufe konzentriert: 2006 arbeiteten 60% der unselbständig teilzeitbeschäftigten Frauen in den Wirtschaftsklassen Handel, Realitätenwesen, Gesundheit und Sozialwesen, Öffentliche und personenbezogene Dienstleistungen sowie Private Haushalte, die allesamt überdurchschnittliche Teilzeitquoten aufweisen.23 Alle genannten Wirtschaftsklassen sind in der branchenspezifischen Einkommenshierarchie unter dem Durchschnitt angesiedelt. Hierbei handelt es sich zudem um Wirtschaftsklassen, die seit 1995 überdurchschnittlich stark an Teilzeitbeschäftigten zunahmen: der Bereich Gesundheit und Soziales um 55%, der Bereich Realitätenwesen um 51% sowie Handel um 45% (Bergmann et al. 2003, 45f). Es gibt kaum qualifizierte Teilzeitarbeit: Der Arbeitsmarkt für Teilzeitbeschäftigte zeigt deutliche qualitative Diskrepanzen. Angeboten werden großteils Stellen für Bedienerinnen und Küchengehilfinnen, nachgefragt werden Stellen im Bürobereich. Für Frauen, die im gehobenen Dienstleistungssegment Teilzeitarbeit suchen, gibt es praktisch kein Angebot. Frauen mit mittleren und gehobenen Qualifikationen müssen beim Wechsel auf Teilzeit fast immer den Arbeitgeber wechseln und zudem vielfach eine Dequalifizierung hinnehmen (Finder et al. 1995, 242; Bergmann et al. 2003, 45f).
Eine aufgrund eigener sozialrechtlicher Bestimmungen besondere Form der Teilzeitbeschäftigung ist die geringfügige Beschäftigung. Diese Beschäftigten erzielen ein Einkommen unter der sogenannten „Geringfügigkeitsgrenze“ (2008: 349,01 Euro), sodass ihr Arbeitsverhältnis nicht sozialversicherungspflichtig24 ist. Im Jahresdurchschnitt 2007 waren 75.251 Männer und 170.581 Frauen geringfügig beschäftigt, der Frauenanteil betrug fast 70%. Seit der Erfassung dieser Beschäftigungsform 1995 ist ein stetiger Anstieg zu verzeichnen, 1996 waren rund 41.000 Männer und 107.000 Frauen in dieser Beschäftigungsform tätig.25 Die in „regulärer“ Teilzeitarbeit beobachtbaren Trends gelten auch für die geringfügige Beschäftigung:
22
Für weitere Informationen vgl. insbesondere Bergmann et al. 2003. Vgl. Statistik Austria 2007a, Tabelle E8. 24 Diese Beschäftigungsform unterliegt nicht der Kranken-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung, nur der Unfallversicherung. Ein „opting-in“, d.h. ein freiwilliger Beitritt zur Kranken- und Pensionsversicherung ist möglich, nicht jedoch zur Arbeitslosenversicherung. 25 Daten vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger: www.hauptverband.at. 23
Teilzeitbeschäftigung und Gender Gap Arbeitszeit
45
Die meisten Beschäftigungsverhältnisse dieser Art sind in typischen Frauenbranchen zu finden: Haushalt, Körperpflege und Reinigung, Gesundheits- und Fürsorgewesen, Gastgewerbe (vgl. Fink et al. 2001, 85). Unter den geringfügig Beschäftigten sind zwar Personen mit einem überdurchschnittlichen Bildungsgrad zu finden, die Arbeitsplätze sind jedoch auf deutlich unterdurchschnittlichem Niveau: Nur etwa 9% aller geringfügig beschäftigten Personen gingen einer höheren oder hochqualifizierten Tätigkeit nach, Frauen sind mit einem Anteil von rund 7% unterproportional vertreten.26 Hinsichtlich der möglichen Prekarität dieser Beschäftigungsform ist es notwendig, Mehrfachdienstverhältnisse und -versicherungen zu berücksichtigen (vgl. ebd., 89ff): Rund die Hälfte der geringfügig Beschäftigten übt diese Beschäftigung neben einem Versicherungsverhältnis (Erwerbstätigkeit, Eigenpension, Arbeitslosengeld) aus, die andere Hälfte ist nur geringfügig beschäftigt. Während der Frauenanteil insgesamt rund 70% ausmacht, ist er in der Gruppe der nur geringfügig Beschäftigten mit 80% deutlich höher.27 Die Altersverteilung zeigt ein ähnliches Muster wie bei der Teilzeitbeschäftigung allgemein. Insbesondere für jene Personen, die nur geringfügig beschäftigt sind, gilt: Bei Männern ist dieser Arbeitsmarktstatus häufiger ein Phänomen des Einstiegs in den Arbeitsmarkt und des begleitenden Einkommens neben einer Ausbildung, bei Frauen liegen die Schwerpunkte im mittleren und oberen Haupterwerbsalter (Fink et al. 2001, 91; Biehl 2004, 546f).
Inwieweit geringfügige Beschäftigungen für Frauen beim Wiedereinstieg nach familiären Unterbrechungen jene „Brückenfunktion“ ausüben, die gerade auch von den Frauen selbst erwartet werden dürfte, kann mit den vorliegenden Daten nicht geklärt werden, da es nicht möglich ist, die Beschäftigungsintegration über mehrere Perioden zu verfolgen. Biehl (2004) hat festgestellt, dass die Gruppe der nur geringfügig Beschäftigten die mit Abstand größte Beschäftigungsdauer aufweisen (190 Tage bei den Männern, 245 Tage bei den Frauen). Das ist zumindest ein Indiz dafür, dass diese Beschäftigungsform nur bedingt eine „Brücke“ in den regulären Arbeitsmarkt darstellt, oder, wie Biehl (ebd., 549) zusammenfasst, dass sich Zustände mit geringen Erwerbsintensitäten unter Umständen sehr bald verfestigen können. Inwiefern der Gender Gap Arbeitszeit tatsächlich auf Diskriminierung gegenüber Frauen verweist, anders ausgedrückt: inwiefern Teilzeitarbeit eine Barriere für die Gleichstellung der Geschlechter darstellt, wird in Kapitel 3.5 näher untersucht.
26
Bezogen auf alle Beschäftigungsverhältnisse fallen 19% in die Kategorie höherer oder hochqualifizierter Tätigkeiten (vgl. Fink et al. 2001, 84). 27 Der Frauenanteil ist auch bei jenen, die eine Leistung aus einer Arbeitslosenversicherung beziehen, mit 76% deutlich höher. Nur wenige Personen haben mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse inne; der Frauenanteil beläuft sich hier auf fast 90% (Fink et al. 2001, 63).
46
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
2.3
Gender Pay Gap
Für Österreich liegen Angaben zu den Individualeinkommen aus unterschiedlichen Quellen und mit verschiedenen Einkommensdefinitionen vor.28 Ihnen gemeinsam ist der deutliche Einkommensunterschied29 zwischen den Geschlechtern, der auf der Basis der Bruttojahreseinkommen unselbständig Beschäftigter rund 40% ausmacht (Rechnungshofbericht 2006). Werden nur ganzjährig Vollzeitbeschäftigte betrachtet, beträgt der Gap immer noch rund 22%, oder anders ausgedrückt: Frauen erreichen rund 78% des durchschnittlichen Männereinkommens. In absoluten Zahlen verdienten ganzjährig und vollzeitbeschäftigte Frauen im Mittel 2005 brutto 26.348 Euro im Jahr, Männer 33.771 Euro (ebd., 58). In den 1980er Jahren ist die Einkommensdifferenz zwar kontinuierlich gesunken, hat sich aber während der 1990er Jahre kaum verändert (Stadler 2003, 596) und ist in den letzten Jahren sogar wieder leicht angestiegen (Abbildung 2.6). Abbildung 2.6:
Entwicklung der Bruttomedianeinkommen 1980 bis 2007
Gender Gap
Männer
38,0
Frauen
37,0 2.000 36,0 35,0
1.500
34,0 1.000
33,0 32,0
500
Gender Pay Gap (in Prozentpunkten)
Bruttomonatseinkommen in Euro xx
2.500
31,0 2007
2006
2005
2004
2003
2001
2000
1998
1996
1994
1992
1990
1987
1986
1983
30,0 1980
0
Anmerkungen: Beitragspflichtiges Arbeitseinkommen entsprechend der Daten des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, ohne Lehrlinge und ohne Beamte; Bruch in der Datenreihe: bis 2001 inklusive Sonderzahlung, ab 2003 ohne Sonderzahlungen. Quellen: 1980 bis 2001: Leitner 2004, 38; 2003 bis 2007: Hauptverband der Sozialversicherungsträger: www.hauptverband.at. 28 Eindeutige Aussagen über den Gender Pay Gap zu treffen ist angesichts der unzureichenden Datenlage schwierig – alle potentiellen Quellen weisen Defizite auf, eine zusammenfassende Darstellung gibt es erst in Ansätzen. Diese Datenprobleme betreffen jegliche Quellen zu den Einkommen in Österreich, nicht nur die Frage geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede. 29 Der Gender Pay Gap wird meist folgendermaßen dargestellt: Differenz zwischen Frauen- und Männereinkommen in Relation zu den Männereinkommen.
Gender Pay Gap
47
Dass ein Teil dieses Gap auf die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen ist, wird daraus ersichtlich, dass der Gap in den untersten Einkommensgruppen (unter den niedrigsten 20% der EinkommensbezieherInnen) angestiegen ist. Dass es allerdings nicht nur der Teilzeiteffekt ist, zeigen die Daten auf der anderen Seite der Einkommenshierarchie: Auch im obersten Dezil hat der Einkommensunterschied wieder zugenommen (Leitner 2004, 36f). Böheim et al. (2007), Geisberger (2007) und Gregoritsch et al. (2000) haben mit unterschiedlichen Datenquellen den arbeitszeitbereinigten Gender Pay Gap berechnet und kommen auf Einkommensdifferenzen zwischen 23% und knapp 26%, d.h. Frauen verdienen rund ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. Auf EU-Ebene wird für Österreich auch ein Wert knapp über 20% ausgewiesen (Basis ist das Europäische Haushaltspanel, vgl. Leitner 2004, 39). Damit liegt Österreich jedenfalls im unteren, d.h. schlechteren Drittel.30 Der geringste Gap ist mit rund 7% im öffentlichen Sektor zu verzeichnen, bei Angestellten und Arbeiterinnen liegt auch in der ganzjährigen Vollzeitbeschäftigung der Gap bei 37% bzw. 31% (Tabelle 2.5). Frauen sind überproportional in Branchen mit niedrigem Einkommensniveau tätig, dazu kommen deutliche Einkommensnachteile innerhalb aller Branchen. Den geringsten Unterschied weisen die öffentliche Verwaltung, Verkehr- und Nachrichtenübermittlung und die Tourismusbranche auf, hier beträgt der Gap bezogen auf ganzjährig Vollzeitbeschäftigte aber immer noch rund 15%. Im Unterrichtswesen (40%), im Kredit- und Versicherungswesen (33%) und bei den sonstigen Dienstleistungen (35%) zeigen sich anhaltend hohe Einkommensunterschiede (Rechnungshofbericht 2006, 57ff). Tabelle 2.5: Bruttojahreseinkommen und Gender Pay Gap der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten nach Funktionen und Geschlecht 2005 Funktionen
Bruttojahreseinkommen in Euro Frauen Männer
Gender Pay Gap
Arbeiterinnen, Arbeiter Angestellte Öffentlich Bedienstete
19.250 25.952 34.296
28.084 41.370 36.854
31 37 7
Insgesamt
24.993
33.584
26
Quelle: Rechnungshofbericht 2006, 65. In der Berufsgruppe mit dem höchsten Einkommensniveau31 kommen vollzeitbeschäftigte Frauen nur auf 67% des Einkommens ihrer männlichen Kollegen (ebd. 72ff). Und selbst für die Teilzeitbeschäftigten gilt, dass Männer mit einer Ausnahme (Dienstleistungsberufe) ein höheres Einkommen erzielen als Frauen.
30 In der jährlichen Darstellung der Lohn- und Gehaltsentwicklungen auf EU-Ebene liegt Österreich mit einem Gender Pay Gap von rund 18% auf dem 20. Rang unter 28 Ländern (EU-27 und Norwegen; vgl. eironline 2007). 31 Gruppe 1: Angehörige gesetzgebender Körperschaften, leitende Verwaltungsbedienstete und Führungskräfte in der Privatwirtschaft. Die Berufsgruppe mit dem zweithöchsten Einkommensniveau sind die akademischen Berufe, hier beträgt der Gap 21% - immer bezogen auf ganzjährig Vollzeitbeschäftigte.
48
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Dass Frauen auch bei gleicher Ausbildung weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ist insofern von Interesse, als sich an ein höheres Ausbildungsniveau Hoffnungen an die Chancengleichheit der Geschlechter knüpfen. Bei Personen mit Pflichtschul- oder Lehrabschluss liegt der Unterschied in den verschiedenen Altersgruppen auf etwa gleichem, relativ hohem Niveau. Bei den AbsolventInnen berufsbildender mittlerer Schulen, allgemeinbildender höherer Schulen und Universitäten steigen die Einkommensunterschiede von einem eher niedrigen Ausgangspunkt in den unteren Altersgruppen in den mittleren Altersgruppen an. Der deutlichste Anstieg des Einkommensnachteils der Frauen findet sich bei den ehemaligen Schülern und Schülerinnen berufsbildender höherer Schulen. Der niedrigste Einkommensnachteil findet sich bei jenen Personen, die ein Kolleg oder eine hochschulähnliche Lehranstalt abgeschlossen haben. Es ist zu vermuten, dass dies im hohen Anteil der Lehrerinnen und Lehrer in dieser Gruppe begründet ist (vgl. Stadler 2003, 600). Welcher Anteil des Gender Pay Gap nicht durch produktivitätsrelevante Unterschiede erklärbar ist und daher der Diskriminierung zugeordnet werden kann, lässt sich aus den Daten selbst nicht ablesen. Böheim et al. (2007) kommen aufgrund ökonometrischer Zerlegungen des Lohnunterschiedes je nach Spezifikation des Modells auf einen unerklärten „Rest“ zwischen 61% und 86% (siehe genauer Kap. 3.3). Der Gender Pay Gap ist damit noch immer das stärkste Indiz dafür, dass Diskriminierungsmechanismen gegenüber Frauen am Arbeitsmarkt trotz aller Gegentendenzen wirksam sind. Im Kapitel 3.3 wird dieser Gap genauer untersucht.
2.4
Arbeitsmarktsegregation
Trotz steigender Frauenerwerbstätigkeit und den sektoralen Veränderungen von der Industrie in den Dienstleistungsbereich ist der Arbeitsmarkt noch immer in „Frauenbereiche“ und „Männerbereiche“ gespalten. Die horizontale Segregation des Arbeitsmarktes erweist sich als äußerst dauerhaftes Phänomen.32 Die Daten des Sozialen Survey 2003 ermöglichen eine detaillierte Untersuchung dieser horizontalen Segregation auf der Ebene der Berufe. Die Berufsdaten wurden entsprechend des von Kreimer (1999) und Leitner (2001) verwendeten Schemas ausgewertet: Je nach dem Frauenanteil im Beruf wurden diese zu Frauen-, Männer- und integrierten Berufen zusammengefasst. Ausgehend vom durchschnittlichen Frauenanteil von 44% wurden die integrierten Berufe im Bereich plus/minus 10% definiert, daran schließen auf beiden Seiten die segregierten Frauen- und Männerberufe ebenfalls mit einem Spektrum von 20% beim Frauenanteil an. Die entsprechenden hoch segregierten Frauenberufe beginnen folglich bei einem Frauenanteil von über 74%, die hoch segregierten Männerberufe weisen einen Frauenanteil von unter 14% auf.33 Die beiden in den meisten Segregationsstudien identifizierten Tendenzen zeigen sich auch in diesem Survey: 32
Vgl. z. B. Kreimer 1995 und 1999, Leitner 2001, Wroblewski 2000, Finder/Blaschke 1999; für Deutschland Engelbrech 1991, Falk 2002. Einen Überblick über theoretische Segregationserklärungen gibt Anker (1997). 33 Zu den Details vgl. Friedl/Kreimer 2005. Die verwendete Berufsklassifikation ist ISCO-88, die Angaben wurden zu Zweistellern (24 Berufe) zusammengefasst.
Arbeitsmarktsegregation
49
Männerberufe sind stärker segregiert als Frauenberufe: 5 von 24 Berufen weisen einen Männeranteil zwischen 90 und 100% auf, aber nur ein Frauenberuf liegt über 90% Frauenanteil, der nächste hoch segregierte Frauenberuf bereits unter 80%. Männer sind in den Männerberufen deutlich stärker vertreten als Frauen in den Frauenberufen: 35% der Männer arbeiten in hoch segregierten Männerberufen und treffen dort kaum auf Frauen, aber nur 11% der Frauen arbeiten in hoch segregierten Frauenberufen.
Tabelle 2.6: Segregation auf Berufsebene 2003, in % …% der Männer / Frauen arbeiten in diesen Gruppen Männer Frauen Frauenanteil Stark segregierte Männerberufe Frauenanteil < 14%, 5 Berufe nach ISCO-88 Segregierte Männerberufe Frauenanteil 14 bis 35%, 7 Berufe Integrierte Berufe Frauenanteil 34 bis 54%, 2 Berufe Segregierte Frauenberufe Frauenanteil 54 bis 74%, 8 Berufe Stark segregierte Frauenberufe Frauenanteil > 74%, 2 Berufe
35
1
3
25
11
25
12
10
39
26
66
66
1
11
88
Quelle: Friedl/Kreimer 2005. Zwei Drittel aller Frauen arbeiten in Berufen mit einem Frauenanteil zwischen 54 und 74%. Sie stellen in diesen segregierten Frauenberufen zwar die Mehrheit der Erwerbstätigen, allerdings sind männliche Kollegen keine Seltenheit. Umgekehrt finden sich in den Männerberufen mit einem Frauenteil von weniger als 35% rund 60% der Männer (35% in hoch segregierten, 25% in segregierten Männerberufen). Anders ausgedrückt: Für die überwiegende Mehrheit dieser Männer sind Frauen in ihrem Beruf eine klare Minderheit. Für Frauen sind offenbar Männerberufe weniger zugänglich als umgekehrt Frauenberufe für Männer. Daraus folgt, dass Frauen in einer stärkeren Außenseiterinnenposition sind, wenn sie sich für einen für Frauen „untypischen“ Beruf entschieden haben. Mit Konzentration wird die Verteilung über das gesamte Spektrum der Berufe bezeichnet. Wiederum wird in Anlehnung an Kreimer (1999) und Leitner (2001) die Grenze bei 75% gezogen: Drei Viertel aller männlichen Erwerbstätigen befinden sich in 12 Berufsgruppen, im Vergleich dazu ist derselbe Anteil von weiblichen Erwerbstätigen in nur 8 Berufen anzutreffen. Folglich sind Frauenberufe konzentrierter als Männerberufe bzw. Männer verteilen sich besser über das berufliche Spektrum.34 An dieser Konzentration hat sich im vergangenen Jahrzehnt nichts geändert (vgl. Kreimer 1999, Leitner 2001).
34
Bei der Konzentrationsbetrachtung muss allerdings berücksichtigt werden, dass das Ergebnis wesentlich vom Klassifikationssystem abhängt. So sind beispielsweise die Männerberufe im Produktionsbereich sehr viel differenzierter als die von Frauen dominierten Dienstleistungsberufe. Als Tendenz kann diese asymmetrische
50
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
Dieses Faktum der horizontalen Segregation ist als solches noch nicht benachteiligend. Allerdings zeigen alle Studien, dass horizontale Segregation immer auch vertikale Segregation nach sich zieht. Diese wiederum wird im geringeren Einkommensniveau in Frauenberufen sichtbar, in unterschiedlichen Aufstiegsmustern der Geschlechter in segregierten Berufen, in unterschiedlichen Verwertungschancen von Qualifikation oder unterschiedlichen Weiterbildungsmöglichkeiten. Horizontale Segregation trägt zum Gender Pay Gap und insbesondere zum Gender Gap Berufskarriere bei. Letzterer wird in Kapitel 3.4 genauer analysiert.
2.5
Gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung: Gender Gap Care
Alle bisher präsentierten Daten legen den Fokus auf den Erwerbsarbeitsmarkt und auf die Rahmenbedingungen weiblicher Arbeitsmarktpartizipation. Um den Gender Gap Care erfassen zu können, ist es notwendig, die im Privaten informell und unbezahlt geleistete Arbeit einzubeziehen. Dieser Arbeitsbereich wird von den üblichen erwerbsarbeitsmarktbezogenen Datenquellen nicht erfasst, daher liegen nur vereinzelt Informationen insbesondere aus Mikrozensuserhebungen vor. 1981 und 1992 wurden im österreichischen Mikrozensus Zeitbudgets erhoben, eine neuerliche Erfassung der Zeitverwendung erfolgt 2008/2009.35 1995 und 2002 wurde jeweils ein Mikrozensussonderprogramm zur Haushaltsführung und Kinderbetreuung durchgeführt.36 Als dritte Quelle kann der Fertility and Family Survey 1996 (FFS '96)37 herangezogen werden, bei dem Arbeitsteilungsmuster in den Familien erhoben wurden. Alle Erhebungen zeigen die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern in der innerfamiliären Arbeitsteilung: Frauen sind die Hauptzuständigen für die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung, relativ unabhängig davon, ob sie selbst im Erwerbsarbeitsmarkt tätig sind oder nicht. Für den Zeitraum von 1981 bis 2002 kann zudem festgestellt werden, dass sich diese Asymmetrie zuungunsten der Gesamtarbeitsbelastung von Frauen nur sehr langsam verbessert. Frauen haben über ihre gestiegene Arbeitsmarktpartizipation ihr Arbeitspensum deutlich erhöht, ohne dass Männer in einem entsprechenden Ausmaß Arbeitsleistungen im Bereich des Haushalts und der Kinderbetreuung übernommen hätten. Für 2002 ergibt sich daher folgende Verteilung der Gesamtarbeitsbelastung nach Alter und Geschlecht (Abbildung 2.7):
Konzentration auf das Berufsspektrum trotzdem herangezogen werden, da sich dasselbe Muster bei ganz unterschiedlichen Klassifikationen zeigt. 35 Die Erhebung 1981 erfolgte retrospektiv, 1992 mittels Tagebuchaufzeichnungen. Letzteres gilt auch für die Erhebung 2008/2009, deren Ergebnisse für Herbst 2009 zu erwarten sind. Ausführliche Ergebnisse für 1981 und 1992 finden sich in BMUJF 1999, Band 1, 50ff; sowie in Östat 1995, Faßmann 1995. 36 Zur Erhebung 1995 vgl. Statistik Austria 2002, die Ergebnisse der Erhebung aus dem Jahr 2002 werden in BMSGK 2003 dargestellt. 37 Die Stichprobe umfasst ca. 4.500 Frauen und 1.500 Männer im Alter von 20 bis 54 Jahren, die erhobenen Daten sind repräsentativ für die 20- bis 54-jährige Wohnbevölkerung (vgl. BMUJF 1999, Band 2, 124ff).
Gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung: Gender Gap Care
51
Abbildung 2.7: Durchschnittlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit von Frauen und Männern nach Alter 2002
80-84
80-84
70-74
70-74
60-64
60-64
50-54
50-54
40-44
40-44
30-34
30-34
18-24
18-24
Arbeitszeit im Haushalt
Altersgruppen
Kinderbetreuung
0
10
20
30
40
50
60
70
Stunden - Frauen
Erwerbsarbeitszeit
0
10
20
30
40
50
60
70
S tunden - Männer
Quelle: BMSGK 2003, Datenquelle: Mikrozensus 2002. Im Schnitt beträgt die wöchentliche Gesamtarbeitszeit bei Frauen 45,2 Stunden, davon werden mit 61,8% fast zwei Drittel für Haushalt und Kinderbetreuung eingesetzt. Männer leisten im Schnitt nur 35,1 Stunden, davon nur ein Fünftel (20,5%) für Haushalt und Kinderbetreuung (alle Daten: BMSGK 2003). Erwerbstätige Frauen kommen auf eine wöchentliche Gesamtbelastung von 64 Stunden. Davon entfallen 18,3 Stunden auf Hausarbeit und 11,2 Stunden auf die Kinderbetreuung, 34,5 Stunden auf die bezahlte Erwerbsarbeit. Männer verbringen zwar mehr Zeit in der bezahlten Arbeit, nämlich 41,0 Stunden, dafür wenden sie nur 4,1 Stunden für die Hausarbeit und 3,3 Stunden für die Kinderbetreuung auf. Insgesamt liegt die Gesamtarbeitsbelastung bei erwerbstätigen Männern mit 48,4 Stunden um 15,6 Stunden unter jener der Frauen. Diese Asymmetrie in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung findet ihre Entsprechung in der Verantwortlichkeit für die privaten und unbezahlten Arbeitsbereiche. 57% der erwachsenen Frauen führen ganz oder überwiegend allein einen Haushalt, aber nur knapp 14% der erwachsenen Männer, letztere sind fast ausschließlich Singles. Werden Einpersonenhaushalte ausgeklammert, zeigt sich, dass nur 2% der Männer, aber die Hälfte der Frauen, die zumindest in einem Zweipersonenhaushalt leben, auch den Haushalt führen. Im Fall des Haushaltstyps Paare mit Kind(ern) reduziert sich der Anteil haushaltsführender Männer auf 0,6%. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ändert kaum etwas an den Zuständigkeiten: Der Anteil der zumindest überwiegend allein für den Haushalt zuständigen erwerbstätigen Frau-
52
Zur Empirie des Gender Gap in Österreich
en liegt bei 54%. Wenn Frauen in der Haushaltsführung zumindest Mithilfe bekommen, dann sind es nicht unbedingt ihre Partner, die helfen, bzw. wenn sie helfen, dann eher sporadisch: 29% der Frauen geben an, dass ihr Partner „nahezu täglich“ mithilft, bei 23% „mindestens 1x wöchentlich“, 27% „seltener“ und 21% „nie“. Die anderen mithelfenden Personen zeigen klar geschlechtsspezifische Muster: Töchter helfen öfter mit als Söhne, (Schwieger-)Mütter öfter als (Schwieger-)Väter. Die Kinderbetreuung erfolgt etwas arbeitsteiliger und partnerschaftlicher. Dennoch müssen 33% der mit Kind(ern) und Partner lebenden Frauen die Kinderbetreuung ganz oder überwiegend alleine übernehmen, was für nur 1% der Männer zutrifft. Nur 9% der Frauen, die in Haushalten mit Kindern unter 15 Jahren leben, sind in der Betreuung kaum beteiligt (häufig sind dies noch im Haushalt lebende erwachsene Töchter), dagegen beteiligen sich 38% der Männer in solchen Haushalten nicht an der Kinderbetreuung. Eine partnerschaftliche Haushaltsführung ist bei jüngeren Paaren häufiger zu finden als bei älteren: Sind beide Partner erwerbstätig, führen 44% der 18- bis 24-Jährigen den Haushalt gemeinsam, aber nur 27% der 50- bis 54-Jährigen. Dies deutet zumindest auf eine langsame Veränderung des Arbeitsteilungsmusters hin. Allzu große Hoffnungen sind jedoch nicht angebracht, denn sobald Kinder im Haushalt vorhanden sind, sinkt die gemeinsame Haushaltsführung wieder ab, auch wenn beide Partner erwerbstätig sind (BMSGK 2003, 27ff). Sobald Frauen wegen der Geburt von Kindern die Erwerbskarriere unterbrechen, ändert sich auch die bis dahin partnerschaftliche Aufteilung der Haushaltsarbeit. Die Verantwortung für die Haushaltsführung liegt bei nichterwerbstätigen Frauen mit Kinderbetreuungspflichten vorwiegend bei den Frauen. Die zuvor präsentierten Ergebnisse zeigen, dass sie häufig diese Verantwortung auch dann nicht mehr teilen können, wenn sie in den Beruf zurückkehren. Die Daten des Fertility and Family Survey 1996 ermöglichen einen detaillierten Blick auf die Arbeitsteilung sowie eine getrennte Betrachtung der Männer- und Fraueneinschätzung und zeigen, dass Männer ihren Anteil an der Hausarbeit zu überschätzen scheinen. In jeder Alterskohorte sind rund 15% mehr Frauen der Auffassung, überwiegend alleine für die Hausarbeit zu sorgen, als ihnen dies von den Männern zugeschrieben wird. Gleichzeitig geben ältere Männer eher an, dass vorwiegend Frauen die Hausarbeit machen. Beispielsweise geben je nach Alter 50% bis 75% der Männer an, dass überwiegend die Partnerin kocht, wiederum je nach Alter geben 70% bis 90% der Frauen an, überwiegend für das Kochen verantwortlich zu sein. Beim Einkaufen zeigen sich leichte „Erosionen“ der traditionellen Arbeitsteilung, insofern dies immer mehr zu gleichen Teilen erfolgt - zumindest bei den jüngeren Paaren. Staubsaugen und Geschirrspülen wird auch bei den jüngeren Paaren immer häufiger gemeinsam erledigt - oder es macht die Frau. Eine Zuständigkeit von Männern kommt praktisch nicht vor. Bei älteren Paaren steigt wiederum die Alleinzuständigkeit der Frauen. Im Fall der Kinderbetreuung war und ist „Kinder anziehen“ Frauensache, ebenso die „Kinderpflege“. Allerdings sind auch hier Änderungstendenzen bei den jüngeren Kohorten sichtbar. Nur beim „Spielen“ sind alle Männer nennenswert beteiligt, immerhin teilen sich von den befragten Männern 80% diese Beschäftigung mit der Partnerin. Insgesamt bestätigen alle Ergebnisse die klare Zuständigkeitsverteilung (vgl. Kreimer 2002b): Frauen sind relativ unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit für die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung „zuständig“, Männer „helfen mit“. Diese Zuständigkeit bedeutet natürlich nicht in jedem Fall, dass Frauen die Arbeiten alleine leisten, aber es obliegt ihnen,
Fazit: Existenz und Stabilität des Gender Gap
53
sich Hilfe und „Ausfallshaftungen“ für unvorhersehbare Krankheitsfälle etc. zu organisieren. Der Aufbau eines mehrschichtigen sozialen Netzes und die Kommunikation mit allen Beteiligten darf hinsichtlich des dahinter steckenden Arbeitsaufwandes keinesfalls unterschätzt werden. Eine annähernd egalitäre Arbeitsteilung ist relativ selten zu finden, und wenn, dann am ehesten bei den jungen Frauen und Männern. Dies gibt immerhin Anlass zur Hoffnung auf Veränderung. Auf den Gender Gap Care wird im gesamten Kapitel 4 näher eingegangen, die asymmetrische Arbeitsteilung der Geschlechter steht insbesondere in den Kapiteln 4.3 und 5.3 im Mittelpunkt.
2.6
Fazit: Existenz und Stabilität des Gender Gap
Das Ziel dieses Überblicks über geschlechtsspezifische Differenzen in den zentralen Arbeitsmarktindikatoren für Österreich war es, die Ausgangsthese empirisch zu untermauern: Die Existenz des Gender Gap verweist auf Diskriminierung bzw. Diskriminierungsmechanismen (siehe Kap. 1.1). Deskriptive Darstellungen sekundärstatistischer Daten können diese These nicht eindeutig belegen, dazu bedarf es tiefergehender Methoden (siehe insbesondere Kap. 3.3). Aber die in den Daten ersichtliche Quantität und die Stabilität der Differenz sind deutliche Hinweise auf benachteiligende Prozesse gegenüber Frauen. Wir treffen auf ein vielfältiges und heterogenes Bild der Geschlechterunterschiede in allen präsentierten Bereichen, welches während der vergangenen Jahrzehnte zwar nicht unverändert geblieben ist, aber als Muster der Benachteiligung gegenüber Frauen nicht verschwunden ist. In den Analysen zu den Ausprägungen des Gender Gap in den Kapiteln 3 und 4 wird an die hier präsentierten Daten angeknüpft werden. Abschließend ist zur Empirie des Gender Gap in Österreich anzumerken, dass eine umfassende konsistente Darstellung derzeit fehlt. Mitte der 1990er Jahre wurde vom damaligen Frauenministerium eine umfangreiche und vielschichtige Bearbeitung der Situation von Frauen in Österreich präsentiert (vgl. Frauenbericht 1995), diese PionierInnenarbeit hat bis dato keine Fortsetzung auf einem ähnlich hohen Niveau gefunden. Der Blick auf das Ganze, auf den Gender Gap, fällt angesichts der fragmentierten Datenlage nicht leicht.38 Anzustreben wäre ein kontinuierliches Berichtssystem zu den Ausprägungen des Gender Gap, zumindest in mehrjährigem Abstand. Auch empirische Aufarbeitungen, wie sie Bothfeld et al. (2005) für Deutschland oder mit einem etwas engeren Fokus auf die Arbeitsmarktpartizipation Buchmann et al. (2002) für die Schweiz vorgelegt haben, könnten diese Lücke füllen.
38
Arbeitstechnisch erleichternd, doch konzeptionell eher erschwerend kommt hinzu, dass es sich immer öfter anbietet, die im internationalen bzw. europäischen Kontext für Österreich bereitgestellten Daten zu verwenden. Diese sind per Internet in der Regel leicht zugänglich und für Ländervergleiche und dergleichen verwendbar; aber oft ist nicht mehr unmittelbar ersichtlich, um welche Datenquellen es sich handelt und vor allem, welche Anpassungen vorgenommen wurden.
3
Gender Gap und Arbeitsmarkt Die endlose Varietät der Differenz
Der Gender Gap in seinen verschiedenen Ausprägungen wird in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in der Wirtschaftspolitik mittlerweile relativ häufig thematisiert. Das beginnt mit methodischen Verbesserungen: Erwerbsstatistiken werden geschlechtsspezifisch ausgewiesen, die Qualität von Einkommensdaten wird nicht zuletzt deshalb zu verbessern gesucht, weil nur dann die Analyse geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede gezielt erfolgen kann. Die Befassung mit der Gender-Thematik setzt sich fort über eine Vielzahl empirischer Analysen zu geschlechtsspezifischen Differenzen in anerkannten wissenschaftlichen Journalen und hat auch die Wirtschaftspolitik erreicht: Die Europäische Union geht in ihren Zielformulierungen zur Beschäftigungspolitik auch auf die Chancengleichheit der Geschlechter ein und verfolgt insbesondere das Ziel der Reduktion des Gender Gap in der Beschäftigung (Rubery et al. 2004). Was allerdings bislang fehlt, ist eine über die Einzelaspekte hinausgehende übergreifende Aufarbeitung der Ursachen und Folgen des Gender Gap sowie seine Verankerung in der ökonomischen Theorie. Zwar finden sich in den Lehrbüchern zur Arbeitsmarktökonomik Abschnitte zur Diskriminierung oder zu Unterschieden im Beschäftigungsverhalten (z.B. Franz 1999, Ehrenberg/Smith 2000).1 Auch innerhalb des arbeitsmarktökonomischen mainstream gehören Theorien zum Arbeitsangebotsverhalten von Frauen, zur Diskriminierung oder zur Erklärung von Segregation mittlerweile doch zum Standard (z.B. Altonji/Blank 1999). Allerdings unterliegt gerade dieser vornehmlich neoklassische Zugang zur Erklärung des Gender Gap massiver Kritik von Seiten der Genderforschung in der Ökonomik, was im Kapitel 3.1 gezeigt werden soll.2 Die empirische Aufbereitung zentraler Daten zur Arbeits- und Lebenssituation von Frauen und Männern in Kapitel 2 zeigt die Vielfalt und die Stabilität vorhandener geschlechtsspezifischer Differenzen als Ausprägungen des Gender Gap in Österreich auf. Vier Ausprägungen des Gender Gap werden in diesem Kapitel im Detail aus der arbeitsmarktökonomischen Perspektive untersucht:3
1
Ausnahmen gibt es auch hier, beispielsweise Zerche et al. 2000. Die kritische Auseinandersetzung mit der Neoklassik stellt bislang einen zentralen Topos feministischer Ökonomik dar (vgl. Ferber/Nelson 1993, Maier 1993, Kuiper/Sap 1995, Hewitson 1999, Hoppe 2002, Ferber/Nelson 2003, sowie einen großen Teil der Artikel in der Zeitschrift Feminist Economics). 3 Dass es gerade diese vier sind, ergab sich aus dem Forschungsprozess der vergangenen Jahre. Die in diesem Kapitel analysierten Ebenen der Geschlechterdifferenz und überwiegend auch die Fragestellungen in den Kapiteln 4 und 5 bezogen wesentlichen Input aus Forschungsprojekten, Beiträgen zu Konferenzen und wissenschaftlichen Netzwerken. Damit spiegelt die Auswahl der Fragestellungen zwar in gewissem Sinne gesellschaftliche Prioritäten wider, ist aber nicht als absolute Prioritätenliste zu verstehen. Beispielsweise wäre es angesichts steigender Armutszahlen bei bestimmten Gruppen von Frauen angebracht, den Gender Gap Armut zu untersuchen; oder beim Gender Gap Berufskarriere bietet sich gerade die Wissenschaft selbst als Untersuchungsgegenstand an, auf den in dieser Arbeit nicht eingegangen wird. Insofern bleibt dieses Kapitel 3 zwangsläufig unvollständig. Gleichzeitig 2
56
Gender Gap und Arbeitsmarkt Den Beginn in Kapitel 3.2 macht der Gender Gap Beschäftigung, der sich in vielerlei Hinsicht als zentral für die Gesamtanalyse erweist: Solange individuelle Lebenschancen in essentieller Weise über die Partizipation im Erwerbsarbeitsmarkt bestimmt werden und der Arbeitsmarkt im Dreieck von Markt – Staat – Familie die dominante Stellung einnimmt, ist die geschlechtsspezifische Differenz beim Zugang zur Beschäftigung von grundlegender Bedeutung. Die in der empirischen Arbeitsmarktökonomik höchste Präsenz hat der Gender Gap Einkommen oder Gender Pay Gap, weil hier die Frage der Diskriminierung unmittelbar relevant ist, aber auch, weil diese Differenz gängigen ökonomischen Methoden am besten zugänglich ist. Letzteres führt jedoch zu einer verengten Perspektive auf den Gender Pay Gap, da die vielen Aspekte indirekter oder mittelbarer Diskriminierung eben nicht mit den üblichen ökonometrischen Methoden erfassbar sind. Hier bieten sich Anschlussstellen für methodische und inhaltliche Erweiterungen aus der Frauenund Geschlechterforschung, was in Kapitel 3.3 gezeigt wird. In Verbindung mit dem Gender Pay Gap steht der Gender Gap Berufskarriere, weil sich die hier auftretenden Differenzen allesamt in Einkommensdifferenzen manifestieren. Angesprochen sind damit letztlich alle möglichen Ursachen für den unterschiedlichen Arbeitsmarkterfolg der Geschlechter, was nach Fokussierungen in der Fragestellung verlangt. In Kapitel 3.4 werden drei solcher „Stolpersteine“ weiblicher Erwerbskarrieren untersucht: die horizontale Segregation, die „Gläserne Decke“ und Berufsunterbrechungen. Die enorme Bedeutung von Teilzeitarbeit für die weibliche Erwerbstätigkeit liefert die Basis für den Gender Gap Arbeitszeit in Kapitel 3.5. Im Gegensatz zu den vorherigen Ausprägungen des Gender Gap ist es hier ungleich schwieriger, den Aspekt der Benachteiligung hinter diesem angeblich neutralen Gender Gap Arbeitszeit herauszuarbeiten. Dies ist nicht nur eine Folge der ungeheuren Dynamik am Arbeitsmarkt, in die Teilzeit sich in unterschiedlicher Weise einordnen lässt (z.B. als numerische Flexibilisierungsstrategie oder als Signal für Zeitsouveränität), sondern auch der Verschränkung der Teilzeitentscheidung mit Arbeitsleistungen außerhalb des Erwerbsarbeitsmarktes, mit Betreuungsarbeit oder Care.
Der Gender Gap ist mit der Arbeitsteilung untrennbar verbunden, daher kann er nur in Zusammenhang mit arbeitsteiligen Prozessen umfassend analysiert werden. In Kapitel 1.2 wurden Thesen zum Zusammenhang von Arbeitsteilung und Gender Gap aufgestellt, die im abschließenden Kapitel 3.6 wieder aufgegriffen und mit den Erkenntnissen aus der Analyse der vier Ausprägungen des Gender Gap belegt werden.
liefert aber die Aufarbeitung der vier hier besprochenen Ausprägungen des Gender Gap eine Reihe von Erkenntnissen, die auf weitere Fragestellungen anwendbar sind – und das ist eines der Ziele dieser Arbeit.
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
3.1
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Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
Die grundlegende Frage für die Analyse des Gender Gap am Arbeitsmarkt ist die der Partizipation am Erwerbssystem. Diese ist Gegenstand der mikroökonomischen Arbeitsangebotsentscheidung bzw. –theorie und wird als individuelle rationale Entscheidung vor dem Hintergrund ebenfalls individueller Merkmale (Bildung, Familieneinkommen, potenziell erzielbares Erwerbseinkommen) modelliert. Das folgende Kapitel 3.1.1 setzt sich mit dieser im Rahmen des ökonomischen mainstream zentralen Entscheidung auseinander. Die praktische Anwendung erfolgt in Kapitel 3.2, wenn nach den Hintergründen der Nichterwerbstätigkeit von Frauen in Österreich gefragt wird. Einige Aspekte der Arbeitsangebotsentscheidung spielen auch in der gesamten weiteren Berufskarriere eine Rolle, worauf im Kapitel 3.4 zu Berufskarrieren und Auswirkungen von Unterbrechungen eingegangen wird. Ökonomische Diskriminierung in der Form des Gender Pay Gap hat von allen Ausprägungen des Gender Gap am meisten Beachtung in der Arbeitsmarktökonomik erlangt – wohl auch, weil es sich um ein Anwendungsgebiet für ökonometrische Untersuchungen handelt. In Kapitel 3.1.2 werden ökonomische Diskriminierungserklärungen und die feministische Kritik an diesen Ansätzen skizziert. Über die Präferenzdiskriminierung hinausgehende Ansätze, wie die Konzeption eines Marktes für Diskriminierung und Diskriminierungsprozesse im institutionellen bzw. organisationalen Kontext, liefern die Basis für empirische Untersuchungen zur Einkommensdiskriminierung. Anhand der Ergebnisse einer Fallstudie werden im Abschnitt 3.3 Mechanismen und Konstellationen des Gender Pay Gap in Österreich dargestellt. Arbeitsmärkte sind seit den 1970ern und 1980ern einer massiven Dynamik unterworfen, die u.a. durch Restrukturierungsprozesse (z.B. Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft) und Flexibilisierungsmechanismen (z.B. Anstieg atypischer Beschäftigung) zum Ausdruck kommt.4 Das Geschehen am Arbeitsmarkt differenziert sich immer mehr aus, die Ränder werden brüchiger (z.B. Entwicklung neuer Beschäftigungsformen wie Telearbeit oder „Neue Selbständigkeit“) und die Abgrenzung hin zur Nicht-Erwerbstätigkeit unschärfer (z.B. informelle Arbeit im Dienstleistungssektor). Überlegungen zum theoretischen Hintergrund dieser Prozesse finden sich in Kapitel 3.1.3, die empirische Anwendung erfolgt anhand des für die Frauenbeschäftigung quantitativ und qualitativ bedeutenden Anstiegs der Teilzeitbeschäftigung im Kapitel 3.5.
4 Die Abgrenzung mit den 1970er bzw. für Österreich 1980er Jahren zeigt auf das Ende der sogenannten "Vollbeschäftigungsära" der 1960er Jahre. In Österreich lag die Arbeitslosenquote von 1960 bis 1980 bei rund 2%, bis Mitte der 1980er Jahre stieg sie bereits auf 5% und konnte seitdem trotz Phasen guter Wirtschaftsentwicklung nicht wesentlich gesenkt werden (zu den aktuellen Werten siehe Kap. 2). Inwiefern dieser Anstieg der sogenannten "Sockelarbeitslosigkeit" eine Folge veränderter Politik und/oder veränderter Rahmenbedingungen auf Makroebene bzw. Mikroebene (gestiegenes Arbeitsangebot) ist, kann hier nicht ausgeführt werden (vgl. z.B. Schmid 2002). Es geht um die Verdeutlichung des Umstandes, dass angesichts anhaltend hoher Arbeitslosigkeit die Dynamik am Erwerbsarbeitsmarkt in jeder Hinsicht deutlich zugenommen hat und damit auch der Druck auf die beteiligten AkteurInnen.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
3.1.1 Gender Gap in der Beschäftigung und die Arbeitsangebotsentscheidung Die neoklassische Arbeitsangebotstheorie kannte vor den 1960er Jahren keine explizite Differenzierung nach dem Geschlecht, implizit waren Männer die Norm und Frauen entsprechend einem traditionellen Frauenbild nicht oder nur im „ledigen Zustand“ erwerbstätig. Diese Ausblendung betrifft nicht nur die Arbeitsmarkttheorie, sondern die ökonomische Wissenschaft als Ganzes, was Bakker (1994) als „strategic silence“ bezeichnet hat.5 Dies änderte sich, als die steigende Frauenerwerbsquote immer mehr nicht nur auf die Berufstätigkeit (schwarzer) Arbeiterfrauen und alleinstehender Frauen und Mütter zurückzuführen war, sondern auch auf den Zustrom weißer verheirateter Frauen der Mittelschicht auf den Arbeitsmarkt (vgl. Brown 1994 für den Fall der USA). Die Befassung mit der weiblichen Erwerbsentscheidung begann mit dem mittlerweile klassischen Artikel von Jacob Mincer (1962) und wurde dann insbesondere von Gary S. Becker im Kontext der New Home Economics und der Humankapitaltheorie Teil des ökonomischen mainstream (Becker 1964 und 1965). „It is interesting to note that it was a number of well-known, white, male, Chicagobased economists who have been responsible for enlarging the domain of economic research to incorporate areas of traditional interest of women, including family, married women’s labour supply and labour market discrimination“ (Hewitson 1999, 53). Das Erwerbsverhalten von Frauen wird in diesem angebotsorientierten Erklärungsansatz aus einer Rational-Choice-Perspektive abgeleitet, wobei die Entscheidung gegen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nur unter Rückgriff auf Annahmen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erklärt werden kann. In Erwartung von Berufsunterbrechungen infolge der Kindererziehung investieren Frauen weniger in ihr Humankapital, sind dann, wenn der Fall eintritt, mit geringeren Opportunitätskosten eines Ausstiegs im Vergleich zu den Männern konfrontiert und werden aus einem haushaltsbezogenen Optimierungskalkül heraus ihre Berufstätigkeit unterbrechen. Mit der Adaption der Humankapitaltheorie auf die Haushalte in der New Home Economics ging Becker (1965) noch weiter, insofern hier das abweichende Partizipationsverhalten von Frauen aus der gemeinsamen Entscheidung über das Arbeitsangebot der Haushaltsmitglieder heraus erklärt und zudem noch durch ökonomische Argumente untermauert wird. Die Familienmitglieder maximieren eine gemeinsame Haushaltsnutzenfunktion (die von Becker schließlich als Nutzenfunktion des altruistischen Haushaltsvorstands definiert wird) unter Einhaltung von Budget- und Zeitrestriktionen. Die Mitglieder der "ZweiPersonen-Firma" Familie entscheiden dabei nicht nur zwischen Arbeit und Freizeit wie in der traditionellen Mikroökonomik, sondern auch noch zwischen Haus- und Marktarbeit. Da Frauen komparative Vorteile6 in der Haushaltsproduktion haben, ist es daher für die Familienmitglieder rational, sich vollständig auf dem Markt- (Männer) bzw. auf Hausarbeit (Frauen) zu spezialisieren. Diese Entscheidung erfolgt selbst bei gleichen Marktbedingungen für Männer und Frauen, d.h. ohne Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Die Einbeziehung de
5 Die Beiträge in Bakker (1994) arbeiten dies im Detail für die Makropolitik heraus, und stoßen dabei auf conceptual silences auf der Mikro- und Mesoebene (vgl. z.B. Elson 1994). Mit Bakker (1994) beginnt explizit das feministische Ökonomieprojekt des Engendering der Makroökonomik, siehe dazu Kap. 5. 6 D.h. Frauen benötigen zur Erstellung einer Haushaltsaktivität bei sonst gleichen Bedingungen weniger Haushaltszeit als Männer. In der formalen Darstellung haben Männer und Frauen eine unterschiedliche Grenzrate der Transformation zwischen Familienarbeit und Marktarbeit.
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
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facto bestehender Lohndiskriminierung von Frauen erhöht deren komparativen Vorteil bei der Hausarbeit und verstärkt damit die Spezialisierung.7 Warum ist nun die Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt geringer als die der Männer, warum gibt es einen Gender Gap Beschäftigung? Die Becker’sche Antwort lautet kurz zusammengefasst: Frauen entscheiden sich im humankapitaltheoretisch fundierten Fall vor exogen angenommenem familiären Hintergrund oder in der New Home Economics vor dem Hintergrund endogener Familiennutzenmaximierung und komparativer Vorteile letztlich selbst für eine geringere Arbeitsmarktbeteiligung, weniger Ausbildung, etc. Der Gender Gap Beschäftigung ist das Ergebnis ihrer eigenen bzw. der familiären Rationalentscheidung und somit besteht keine Notwendigkeit eines wirtschafts- oder gleichstellungspolitischen Eingriffs. Die sichtbare Reduktion des Gender Gap Beschäftigung durch den Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten ist entweder die Folge geänderter Restriktionen (Löhne, Familieneinkommen) und/oder exogen geänderter Präferenzen (Typ der „emanzipierten Frau“). Dass geänderte Präferenzen ihrerseits Reaktionen auf bestehende Marktbedingungen sein können, ist in dieser Modellierung nicht vorgesehen.
A
Kritik I: Kritische Analyse der neoklassischen Arbeitsangebotsmodellierung
In der ersten Phase der kritischen Auseinandersetzung mit dem neoklassischen Entscheidungsmodell ging es vor allem darum, die begrenzte Erklärungskraft der humankapitaltheoretischen Arbeitsangebotsanalyse sowie die der New Home Economics aufzuzeigen und Frauen explizit zu berücksichtigen. Hewitson (1999, 62) bezeichnet diese (erste) Phase der feministischen Kritik an der Neoklassik als „add women and stir“.8 Hervorgehoben sei dabei die rein angebotsseitige und auf individuelle Charakteristika zurückgeführte Bestimmung des Arbeitsangebots und in der Konsequenz die Rückführung von Ungleichheiten im Erwerbsleben auf die Struktur des Arbeitskräfteangebots. Obwohl Becker mit der New Home Economics die blackbox Familie öffnet und damit die Angebotsentscheidung von Frauen nicht nur von den herrschenden Löhnen (sowohl den eigenen als auch jenen des Partners) abhängt, sondern auch von der Bewertung der Hausarbeit, der Arbeitsteilung im Haushalt und der Anzahl bzw. dem Alter der Kinder, kann hier nicht wirklich von einer integrierenden Perspektive im Sinne einer Berücksichtigung beider Arbeitsbereiche, Erwerbsarbeit und Hausarbeit, gesprochen werden. Ott (1998) sieht als einen der Schwachpunkte des familienökonomischen Ansatzes von Becker, dass er kein geschlossenes Theoriegebäude entwickelt hat, sondern in einer Reihe von Einzelmodellen familiäre Entscheidungen wie Heirat, Scheidung, zeitliche Planung von Kindern, Zeitverwendung im Haushalt, Humankapitalbildung etc. erklärt. Ein in gewissem Sinn übergreifendes Phänomen ist dabei das des „Altruismus“, genau dieses bleibt aber in Beckers Modellierung vage.9 Stattdessen wird die gesellschaftliche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern theoretisch gerechtfertigt. 7 Ausführliche Darstellungen der mikroökonomischen Arbeitsangebotstheorie mit dem Schwerpunkt auf Frauen finden sich in Killingsworth/Heckmann 1986, Franz 1999, Blau et al. 2002. 8 Vgl. z. B. Gustafsson 1991; Bergmann 1995, Ott 1993, 1995, 1998; Beblo/Soete 1999. 9 Ott sieht einen auf Altruismus aufbauenden Modellierungsrahmen als nicht zielführend und arbeitet selbst an der Weiterentwicklung des vertragstheoretischen Ansatzes auf der Basis der Spieltheorie und der neueren Institutionenökonomik (z.B. Ott 1995). Siehe dazu genauer Kap. 4.1.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Die Hauptkritikpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:10 Die Argumentation führt zu einem Zirkelschluss, den Ott (1993) als „Teufelskreis ökonomischer Rationalität“ umschreibt: Frauen können am Markt nur ein geringeres Einkommen erzielen, spezialisieren sich auf Hausarbeit, investieren wenig in ihr Humankapital und können nur ein geringeres Markteinkommen erzielen. Die bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird verwendet, um die Differenzen im Angebotsverhalten der Geschlechter zu erklären, das eben diese Arbeitsteilung rational erscheinen lässt. Die traditionelle Arbeitsteilung des male breadwinner - female caretaker Modells erscheint damit nicht nur erklärbar, sondern auch dauerhaft,11 da sie das Ergebnis rationalen Verhaltens darstellt (Beblo/Soete 1999). Um zu erklären, warum sich gerade die Frauen auf die Haus- und die Männer auf die Marktarbeit spezialisieren, bedarf es des Rückgriffs auf quasi naturgesetzliche Gegebenheiten, kritisiert als biologischer Reduktionismus: Frauen sind von Natur aus besser geeignet für Hausarbeit, sie haben komparative Vorteile bei der Kindererziehung.12 Die traditionelle Arbeitsteilung wird mit dem Verweis auf biologische Ursachen „erklärt“ (vgl. Ben-Porath 1982, Hewitson 2002). Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Kosten der kompletten Spezialisierung: Die vollständige Spezialisierung auf Markt- bzw. Hausarbeit erweist sich unter den Annahmen der New Home Economics nur scheinbar als effiziente Lösung. Kinderbetreuung ist in der Regel eine zeitlich begrenzte Aktivität, die nicht die gesamte Erwerbsspanne einnimmt. Somit erfolgt die Spezialisierung auf Haus- und Betreuungsarbeit für einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die effiziente Zeitallokationsentscheidung im Sinne von Becker setzt jedoch voraus, dass bereits bei der Haushaltsbildung auf Lebenszeit bindende Verträge bezüglich der Verteilung des Zugewinns in der Ehe geschlossen werden und dass die Präferenzen der Partner über die Zeit konstant bleiben und nicht von sich verändernden äußeren Umständen beeinflusst werden (Beblo/Soete 1999).13 Wenn geänderte Präferenzen beispielsweise zur Scheidung führen, kommt es zu negativen Auswirkungen der Spezialisierung sowohl für Frauen (die die Spezialisierung zumindest teilweise aufgeben müssen) als auch für Männer (sie müssen zumindest für sich selbst sorgen). Dieser Aspekt der asymmetrischen Situation hinter der Spezialisierungsentscheidung steht im Mittelpunkt von bargaining-Modellen zur Haushaltsentscheidung (vgl. Ott 1995 und Kap. 4.1). Die Arbeiten aus dieser ersten Phase der Kritik an der mainstream Ökonomik widerlegen viele der Annahmen und Aussagen der Humankapitaltheorie und der New Home Economics. Gender als Untersuchungskategorie wurde eingeführt, auch die für die Analyse der 10
Die folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dauerhaft deswegen, weil die Haushaltsmitglieder unter den Annahmen der vollständigen Information und rationaler Erwartungen bei der Haushaltsgründung bindende Verträge auf Lebenszeit bezüglich der Verteilung des Ehegewinnes abschließen. Spätere Verteilungsfragen sind damit obsolet (Beblo/Soete 1999, 17ff). 12 Konservative Familienideologen gehen sogar von absoluten Vorteilen der Frauen in der Erziehung von Kindern aus, damit hat die Entscheidung über die innerfamiliäre Arbeitsteilung ein eindeutiges Ergebnis. Woher die komparativen Vorteile der Frauen in der Hausarbeit kommen, ist nach dieser Ideologie eine biologische Frage (bzw. der darauf aufbauenden Sozialisationsprozesse). Oder, wie Franz (1986, 26) es ausdrückt: „Anatomy is destiny“. 13 Empirische Studien zeigen, dass Familienmitglieder in der Regel die langfristigen kumulativen Auswirkungen ihrer Arbeitsteilungsentscheidungen, z.B. bei der Geburt des ersten Kindes, nicht berücksichtigen (van Doorne-Huiskes 1997, 209). 11
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Arbeitsteilung so wichtige Unterscheidung von „privat“ und „öffentlich“, von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Betreuungsarbeit findet zunehmend Beachtung (Beblo/Soete 1999). Aber diese Analysen fordern die neoklassische Theorie selbst nicht wirklich heraus, bleiben beim „add women and stir“ und häufig im neoklassischen Rahmen, ohne dessen tief verwurzelte androzentristische Struktur zu hinterfragen (Pujol 1992). Dennoch soll hervorgehoben werden, dass mit diesen Gender-Analysen innerhalb oder am Rande des mainstreams viele Grundsteine für die weiterführende feministische Kritik an den zentralen Annahmen der Neoklassik und deren Methodologie gelegt wurden.14
B
Kritik II: Feministische Kritik an den Kernannahmen der Neoklassik
Im Mittelpunkt der feministischen Kritik steht die Reflexion der ökonomisch-theoretischen Herangehensweise: Was wird in die Analyse einbezogen und welche Sichtweise wird angewendet? Damit werden die Grundlagen der neoklassischen Ökonomik in Frage gestellt, insbesondere die These von der Geschlechtsneutralität des homo oeconomicus und der ökonomischen Theorie. Feministische Ökonominnen konstatieren einen eindeutigen "männlichen Bias" in den wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinungen und analysieren dessen Ursachen.15 Die Kritikpunkte beziehen sich auf den „rugged individualism of rational economic man: his inability to make interpersonal utility comparisons; the exogenity and stability of his preferences; the independence of his utility function in the market sphere; and the interdependence of his utility function in the non-market sphere“ (Hewitson 1999, 78). Kritik am Individualismus des „rational economic man“ Der homo oeconomicus der Neoklassik agiert als auf sich selbst reduziertes, autonomes Individuum, das geschichts- und traditions-, kultur- und körperlos ohne soziale Verortung auskommt und keiner sozialen Gruppe angehört (Nelson 1995, Strassmann 1993, Michalitsch 2003). Dieses Individuum durchlebt keine Phasen der Abhängigkeit (Kindheit, Alter, Krankheit) und ist für niemanden als für sich selbst verantwortlich. Nelson (1995, 135) verwendet in Anlehnung an Thomas Hobbes das Bild des mushroom man, der wie ein Pilz „fully formed, with preferences fully developed“ aus der Erde springt und sogleich voll aktiv und eigenständig agiert. Das Problem liegt nicht darin, dass ÖkonomInnen Wirtschaftssubjekte als nicht reichhaltiger als den homo eoconomicus begreifen – dies tun die meisten sehr wohl - , sondern dass „this model of human behaviour is perceived as being the most useful and most rigorously objective starting point for economic analysis“ (Nelson 1995, 135). Die Ökonomik braucht als Ausgangspunkt ein Modell menschlichen Verhaltens, das beide Seiten abbilden kann: „autonomy and dependence, individuation and relation, reason and emotion, as they are manifested in economic agents of either sex“ (ebd., 136). 14 Zu den feministischen Ökonominnen, die innerhalb des neoklassischen Modells an dessen Weiterentwicklung arbeiten, zählen Notburga Ott und Åsa Rosén. Letztere zeigt in ihrem Diskriminierungsmodell, dass Diskriminierung ein stabiles Gleichgewicht darstellen kann (vgl. Gustafsson 1997). Kritisch zu den „feministischen Erweiterungen der Neoklassik“ äußert sich Maier (1999), die eine intensivere Befassung mit dem Begriff der Effizienz einfordert. Sie sieht die Grenzen der Versuche eine „bessere neoklassische Theorie“ zu entwickeln u.a. in der Nichtthematisierung von Macht, insbesondere der Dominanz der Männer als sozialer Gruppe. 15 Vgl. z.B. Ferber/Nelson 1993, England 1993, Maier 1994, Kuiper/Sap 1995, Hewitson 1999.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Für die vorliegende Arbeit sind vor allem die Konsequenzen für die Konstruktion von caring labour von Bedeutung: Die systematische Ausblendung von Phasen, in denen alle Individuen diese Arbeit in Anspruch nehmen müssen (und die daher auch von Individuen geleistet werden muss), aus der ökonomischen Analyse, sowie die Unmöglichkeit, caring labour im individualistischen Modell als eben diese individualistischen Grenzen massiv überschreitende Dienstleistung zu erfassen (siehe Kap. 4.1), machen im Wesentlichen jenen Bias aus, der für die Nicht- bzw. Unterbewertung von Care verantwortlich gemacht werden kann (siehe Kap. 1.2). Im Kontext der Arbeitsangebotsentscheidung tritt uns der Bias dergestalt entgegen, dass Individuen sich zwischen zwei Alternativen (Erwerbs- oder Reproduktionsarbeit) entscheiden sollen, die de facto weder unabhängig voneinander16 noch in ihren Konsequenzen auf die weitere (Erwerbs-)Karriere vergleichbar sind. In Kapitel 3.2 wird dieser Kritikpunkt aufgegriffen werden. Exogenität und Stabilität der Präferenzen Präferenzen sind – wie generell in der Neoklassik – exogen gegeben17 und stabil.18 Verhaltensänderungen sind die Folge veränderter Restriktionen wie Preisänderungen und einer Änderung der Zeitallokation (von Zameck 1993). Die Annahme stabiler und exogener Präferenzen negiert die Formung und Überformung von Präferenzen durch Normen, Traditionen, Leitbilder und vor allem die Rückkoppellungen zwischen Präferenzbildung und Marktprozessen. Normen und Werte verändern sich in einem komplexen und lange dauernden Prozess, was die erste Negation ansatzweise erklärt und nahe legt, die Analyse dieses Präferenzbildungsprozesses anderen Disziplinen wie der Sozialpsychologie zuzuordnen. Aber wenn Frauen ihr Erwerbsverhalten an ihrer familiären Situation orientieren, greift es zu kurz, dies als exogene und letztlich biologisch begründete Präferenz anzunehmen und daraus eine effiziente Arbeitsteilung abzuleiten. Schließlich stecken hinter der Ausbildung einer solchen Präferenz sowohl normative und kulturelle Ursachen wie auch konkrete aktuelle Handlungsanreize, beispielsweise aus der Familienpolitik oder aus Rückkoppelungen mit Marktprozessen, z.B. Diskriminierungserfahrungen in der Erwerbsarbeit (England 2003). Kritik an der Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche Individuelle Nutzenfunktionen basieren auf der Ordnung exogener und stabiler Präferenzen. Nutzen ist dabei nicht kardinal, sondern nur ordinal messbar, mit der Folge, dass nicht vergleichbar ist, welche Person beispielsweise aus einem Austausch mehr gewinnt als die andere Person. Konsequenterweise gilt dies auch für Gruppen von Individuen, beispielsweise Frauen und Männer. England (1993) verweist auf die Bedeutung der Annahme der Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche für die Frage der Einkommens- und Vermögensverteilung bzw. der Möglichkeit der Umverteilung. In Bezug auf die Geschlech16 In der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung hat sich der Begriff der „Ein-Einhalb-PersonenBeschäftigungsverhältnisse“ eingebürgert, der einen Aspekt dieser Abhängigkeit zum Ausdruck bringt: Die volle Erwerbstätigkeit setzt die Zuarbeit einer zweiten, im Privaten tätigen Person voraus (vgl. z.B. Beck-Gernsheim 1980). 17 Boulding (1973, 104) sieht die Exogenität der Präferenzen als “eine der befremdlichsten Illusionen der Ökonomen” und bezeichnet diese als “Unbefleckte Empfängnis der Indifferenzkurve”. Geschmack ist gegeben, der Prozess seiner Bildung ist kein Untersuchungsgegenstand der Ökonomik. 18 Präferenzen müssen nicht auf Dauer unveränderbar modelliert werden, aber sie müssen im Modellrahmen zumindest stabiler sein als die Restriktionen.
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terfrage: „it denies us a theoretical basis for saying existing arrangements benefit men more than women“ (ebd., 43).Wenn wir davon ausgehen, dass der Gender Gap die generelle Benachteiligung von Frauen als sozialer Gruppe gegenüber Männern als sozialer Gruppe zum Ausdruck bringt, und daraus folgern, dass es zum Abbau des Gap einer Umverteilung von Ressourcen bedarf, finden wir für dieses Vorhaben im ökonomischen mainstream keine theoretische Basis.19 Für England ist diese Annahme des neoklassischen Modells Teil des androzentrischen Bias, da das Individuum zu einem vollständig eigennützigen separative self reduziert wird, dem es beispielsweise unmöglich ist sich vorzustellen, wie sich ein anderes Individuum in einer gegebenen Situation fühlt. Damit ist es einmal mehr kaum möglich, jene Tätigkeiten im ökonomischen Modellrahmen adäquat zu analysieren, die Beziehungen zwischen den Individuen als zentrale Eigenschaft beinhalten: Betreuungsarbeit, caring labour. Aggregierte Nutzenfunktion im Haushalt Mit der Verwendung einer gemeinsamen Haushaltsnutzenfunktion verlässt die New Home Economics den Grundsatz des methodologischen Individualismus. Allerdings gibt es keinen einfachen Weg, konsistente individuelle Präferenzordnungen zu transitiven kollektiven Gruppenentscheidungen (wie sie in einem Haushalt erforderlich sind) zu führen.20 Becker löst diese Frage durch die Annahme des altruistischen Haushaltsvorstands, der die Präferenzordnungen uneigennützig in eine Rangfolge bringt. Mit dieser Altruismusannahme entsteht jedoch das Problem, wie sich altruistisches Verhalten in der Familie und eigennutzorientiertes Verhalten außerhalb des Haushaltes im Individuum dieses Vorstands vereinbaren lassen (vgl. Beblo/Soete 1999, Bergmann 1995, Hoppe 2002).21 Des weiteren muss der altruistische Haushaltsvorstand Familienmitglieder sanktionieren können, die Handlungen setzen, die der Gesamtnutzenmaximierung widersprechen, d.h. er muss die Macht besitzen, Ressourcen zu kontrollieren und zu transferieren.22 Dass dies nicht zwangsläufig harmonisch ablaufen muss, wird von Becker durch die Annahme eines vollkommenen Altruisten ausgeblendet. Innerfamiliäre Konflikte und ungleiche Machtverhältnisse sind jedoch Realität, die zu ignorieren einen Teil des androzentrischen Bias der Neoklassik darstellt. „The New Home Economics ignores issues of power when considering consequences of the traditional division of labor and the attendant loss of equity, and instead emphasizes only the efficiency gains from specialization according to comparative advantage…. It also obscures the fact that market discrimination 19
Den Hintergrund bilden die Annahmen zur ökonomischen Effizienz, d.h. zur Pareto-Effizienz, die die Möglichkeit beispielsweise einer egalitären Umverteilung zwischen den Geschlechtern bei gegebener und theoretisch außer Streit gestellter Anfangsausstattung als ineffizient im Sinne der Verletzung der Pareto-Optimalität erscheinen lassen (vgl. England 2003; siehe auch Kap. 5.4, wo der Effizienzbegriff im Zusammenhang mit Diskriminierung erörtert wird). 20 Den Hintergrund bildet das Arrow-Paradoxon, demzufolge es keinen zufriedenstellenden demokratischen Weg gibt, aus individuellen Präferenzordnungen eine Rangordnung der Präferenzen eines Kollektivs abzuleiten (vgl. Humphries/Rubery 1994, 73). Trotz eindeutiger individueller Präferenzordnungen kann die kollektive Präferenzordnung beispielsweise eines Mehrpersonenhaushalts intransitiv sein, weil das Ergebnis von der Reihenfolge der Abstimmung abhängt (Hoppe 2002, 70). 21 Dies widerspricht auch der Neoklassik selbst, insofern Individuen ja auch die Ehe als Mittel zur Nutzenmaximierung betrachten müssten. 22 Hier kommt das sogenannte „Rotten-Kid-Theorem“ ins Spiel: Der Nutzen des Rotten Kid ist abhängig vom Gesamtnutzen der Familie, und wenn es diesen durch sein Verhalten beeinträchtig, wird der altruistische Haushaltsvorstand durch eine Reduktion der Ressourcen an den Störenfried dessen Nutzen senken (England 1993, 47; Hoppe 2002).
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against women results in women’s inferior bargaining power within the family” (England 1993, 49).23 Die feministische Kritik an der mainstream Ökonomik geht über die bisher angeführten Punkte noch deutlich hinaus, beispielsweise mit dem poststrukturalistischen Ansatz (z.B. Hewitson 1999), mit Arbeiten zur Rhetorik in der Ökonomik (z.B. Strassmann/Polanyi 1995, Weichselbaumer/Winter-Ebmer 2006), mit dem Value-CompassApproach (Nelson 1996, vgl. auch Hoppe 2002, 105ff).24 Eine Vertiefung der angeführten Kritikpunkte soll hier nicht erbracht werden, auch diese ist nach wie vor Gegenstand der feministischen Ökonomik.25 Zentral für die vorliegende Analyse ist die mit der Dichotomie in Markt und Familie einhergehende Dichotomie individueller Identitäten, die England (1993 und 2003) mit separative and soluble selves umschrieben hat. Sie brachte die Engführung des rational economic man jenseits aller Phasen der Abhängigkeit und eines Lebens in Beziehung mit der Bezeichnung des „separative self“ auf den Punkt: „I call the model ‚separative’ because it presumes that humans are autonomous, impervious to social influences, and lack sufficient emotional connection to each other to make empathy possible“ (England 1993, 37) Im Gegensatz dazu steht die Konstruktion des Selbst in der Familie: „When economists talk about the family, they seem to have an image of selves so soluble that they have no independent will or interest“ (England 2003, 34). Diese Dichotomie gilt es zu überwinden, um den Gender Gap in seiner tiefen Verankerung in ökonomischen Prozessen und Mechanismen verstehen und ihn in der Folge verändern zu können. Dieses gleichstellungspolitische und damit emanzipatorische Projekt geht Hand in Hand mit dem theoretischen Projekt, das England (2003, 54) beschreibt als: „We should not give up stretching toward a comprehensive theory of human behavior and wellbeing even while giving up false dichotomies that have kept models simpler but also distorted them. These new models will show us both the dangers and the value in connections and in separation. They will help us understand a world where both self-interested and otherregarding motives permeate markets and families. They will help us understand the sources of inequalities and the determinants of the happiness or misery of nations, firms, and families. In my view, this is the challenge for the coming decade of work in feminist economics.”
C
Neuere Entwicklungen in der Modellierung des Arbeitsangebots
Zum ökonomischen Ansatz der Arbeitsangebotsentscheidung gibt es eine Reihe von Weiterentwicklungen, die über den Beckerschen Ansatz deutlich hinausgehen.26 Besondere Bedeutung haben verhandlungstheoretische Ansätze, in denen die Annahme einer gemeinsamen Haushaltsnutzenfunktion aufgehoben wird. Es kann gezeigt werden, dass auch unter Beibehaltung wesentlicher neoklassischer Prämissen es für Frauen langfristig von Nachteil 23
Umgekehrt ist nicht jedes Markthandeln strikt eigennützig. Dass Altruismus in Marktbeziehungen, in Netzwerken und Teams eine Rolle spielt, ist weithin akzeptiert, und zwar nicht nur bei der Lösung diverser Problemstellungen in Analogie zum Gefangenendilemma. 24 Für eine Übersicht vgl. Hewitson 1999, Hoppe 2002, Strassmann 1999. 25 Vgl. z.B. England 2003 für eine Übersicht sowie umfangreiche Literaturhinweise; sowie alle anderen Beiträge in Ferber/Nelson 2003; Hewitson 1999, Hoppe 2002. 26 Hewitson (1999, 58) stellt fest, dass „the Becker-style new home economics is becoming increasingly outdated as a theoretical framework“, insbesondere aufgrund der spieltheoretischen Weiterentwicklungen.
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sein kann, sich vollständig auf Hausarbeit zu spezialisieren (Ott 1995, 1997, 1998). Wenn anstelle des altruistischen Familienoberhaupts und der vollständigen Vorhersehbarkeit aller Entscheidungsparameter bereits bei der Familiengründung angenommen wird, dass die Familienmitglieder über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Zeit, die Aufteilung der Aufgaben, die Verteilung der Ressourcen (Einkommen, Konsum) und über die Bildung von Humankapital verhandeln und ihre Verhandlungsmacht von ihren Alternativen außerhalb des Familienverbunds abhängen, ergibt sich ein wesentlich reichhaltigeres Modell familiärer Entscheidungen und damit auch der Partizipationsentscheidung. In den rein neoklassisch orientierten spieltheoretischen Ansätzen werden geschlechtsspezifische Unterschiede weiterhin als exogen angenommen. In der Verbindung mit institutionalistischen Ansätzen können geschlechtsspezifische Unterschiede auch endogenisiert werden (beispielsweise im Ansatz der Kooperativen Konflikte).27 Damit ist nachvollziehbar, wie Familienmitglieder nicht nur auf Lohn- und Preisänderungen reagieren, sondern auch auf die Entwicklung von Normen und auf Veränderungen im wirtschafts- und sozialpolitischen Umfeld (Beblo/Soete 1999). Auch in Institutionen und Normen verankerte gesellschaftliche Machtverhältnisse (z.B. Positionen von Interessensgruppen) können einbezogen werden, haushaltsinterne Entscheidungen hängen damit vom Ergebnis haushaltsexterner Verhandlungen ab (siehe auch Kap. 4.1). Parallel zur arbeitsmarktbezogenen Erklärung der Erwerbsentscheidung von Frauen entwickelten sich soziologische Ansätze, die diese Entscheidung primär aus der Perspektive der Einbettung in den familiären Zusammenhang analysierten. Beispiele sind das DreiPhasen-Modell, in dem Frauen in ihrer Erwerbsentscheidung dem Familienzyklus folgen (Myrdal/Klein 1956), oder Theorien zum Lebenslauf, in denen ein endogener Kausalzusammenhang zwischen den einzelnen Entscheidungen im Lebenslauf angenommen wird und in die auch Normen und soziale Einstellungen als Bestimmungsfaktoren aufgenommen werden (z.B. Kohli 1985; Tölke 1989; Lauterbach 1994). Diese Ansätze haben den Vorteil, dass sie die vielfältigen Bestimmungsgründe der Erwerbsentscheidung berücksichtigen können. Ihr Nachteil liegt darin, dass sie sich letztlich auf eine deskriptive Beschreibung beschränken, ohne erklären zu können, wie diese Lebensmuster zustande kommen und wie sie sich verändern.28 Der Kritik einer fehlenden Handlungstheorie konnte zwar teilweise durch die Verknüpfung mit dem mikroökonomischen Rationalverhaltensansatz begegnet werden (Kurz 1998), die Dominanz des familiären Bezugsrahmens ist aber nach wie vor gegeben.29 Arbeitsmarktstrukturen werden vor allem in den segmentationstheoretischen Ansätzen thematisiert (vgl. ausführlich Kreimer 1999). Eine aus der Gender-Perspektive sehr interessante Weiterentwicklung stellen Forschungen zur Geschlechtlichkeit von Organisationen dar (vgl. Acker 1990, Wilz 2002), in denen Prozesse innerhalb des Erwerbsarbeitsmarktes, 27
Der Ansatz der Kooperativen Konflikte beruht wesentlich auf Arbeiten von Amartya Sen (Sen 1990, vgl. auch Peter 2003) und Bina Agarwal (Agarwal 1997). In diesem in der Regel nicht mehr mathematisch-formal darstellbaren Ansatz wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Familienmitglieder von Kooperation profitieren, weil sie damit die zu verteilende Masse vergrößern können. 28 Zum Drei-Phasen-Modell ist zudem anzumerken, dass es auch empirisch immer nur für eine Minderheit von Frauen tatsächlich relevant war (Kirner/Schulz 1992). 29 Den Aspekt, dass es bei der partnerschaftlichen Aushandlung der Arbeitsteilung jedenfalls auch um Macht geht, können ressourcentheoretische Ansätze abbilden (vgl. z.B. Künzler 1995; Streckeisen 1991). Diese berücksichtigen Aspekte wie Berufsprestige und betonen die Eingebundenheit der Handelnden in soziale Strukturen und Ungleichheitsverhältnisse.
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wie Aufstiegsbarrieren infolge sozialer Schließungsprozesse, Diskriminierung infolge von gendered substructures u.ä.m. analysiert werden können (siehe Kap. 3.1.2). Im Kontext der Partizipationsentscheidung sind diese Prozesse insofern relevant, als sie über Erfahrungen und Sozialisationsprozesse auf Neu- und Wiedereinsteigerinnen in den Erwerbsarbeitsmarkt zurückwirken. Eine Modifikation des mikroökonomischen Entscheidungsansatzes präsentiert Kurz (1998) mit dem auf Esser (1990) basierenden „erweiterten SEU-Modell“ (Subjectively Expected Utility). Darin wird sowohl die Rational Choice-Annahme in Richtung bounded rationality modifiziert, als auch ein zweistufige Entscheidungsprozess angenommen, in dem habits (Handlungsroutinen) und frames (Leitbilder) eine Rolle spielen. Ersteres führt zum Abgehen von der maximizing Alternative im Maximierungsprozess, AkteurInnen geben sich auch bereits mit einer satisficing Alternative zufrieden.30 Über die Integration von habits und frames in das Handlungsmodell ist es möglich, den institutionellen und kulturellen Bedingungen von Handlungen Rechnung zu tragen (Kurz 1998, 81). Im Hinblick auf das übergeordnete Ziel der Handlung (frame) wird in einem ersten Schritt entschieden, welches Leitbild in der aktuellen Situation dominant ist (z.B. Leitbilder in Bezug auf die Art der Ausübung von Mutterschaft). Erst dann werden Handlungsmöglichkeiten erfasst, evaluiert und darüber entschieden. In diesem Prozess können habits zum Zug kommen, quasi automatisch ablaufende Handlungsroutinen, bei denen der Bezug zum Ziel der Handlung schon verloren gegangen ist. Habits stellen eine Alternative zur wesentlich „teureren“ Kosten-Nutzenkalkulation dar. „Zunächst führt der Handelnde eine Einschätzung des Framings der Handlungssituation durch und fällt danach die Entscheidung, ob er einer gängigen Handlungsroutine folgt oder aber eine „ausführliche“ Kosten-Nutzen-Abwägung anstrengt“ (Kurz 1998, 81). Solche habits können sehr zählebig sein und wirken im Entscheidungsprozess wie ein Filter, bei dem entschieden wird, ob sich die Suche nach Alternativen lohnt (Kosten der Informationsbeschaffung) oder ob die Handlungsroutine beibehalten wird. Die im ersten Entscheidungsschritt ausgeschlossenen frames verschwinden auch nicht aus dem Prozess, sondern bleiben als weniger dominante frames im Hintergrund und können bei geänderten Rahmenbedingungen auch zu dominanten frames werden und zu Entscheidungsänderungen führen. Kurz (1998) wendet dieses Modell für die Frage der Erwerbsentscheidung von Frauen in der „intensiven Familienphase“ an, also für die Erwerbsentscheidung rund um die Geburt und die ersten Jahres des Kindes. Gerade bei der Frage der Kinderbetreuung handelt es sich nicht um ein relativ klar abgrenzbares und insbesondere durch zeitliche Arrangements regelbares Vereinbarkeitsproblem (wie beispielsweise Hausarbeit), sondern um einen stark normativ geprägten Bereich. Gesellschaftliche Leitbilder oder frames, wie im konkreten Fall das Leitbild „gute Mutter sein“, haben daher einen großen Einfluss. Diese Leitbilder können jedoch verschiedene Ausprägungen haben („ausschließlich Mutter sein“ versus „berufstätige Mutter sein“ etc.) und können sich daher auf die Partizipationsentscheidung von Frauen auswirken. Habits können beispielsweise in der Form institutioneller Regelungen (verpflichtende Nichterwerbstätigkeit infolge des Mutterschutzes; Karenzregelungen) vorliegen und ein bestimmtes Erwerbsverhalten nahe legen oder teilweise sogar vorschreiben. Damit wird wiederum das framing für die Situation verstärkt, wenn über die institutio-
30 Diese auf Herbert Simon zurückgehende Überlegung beruht auf der Annahme unvollständiger Information, die eine Nutzenmaximierung im strengen Sinn nicht mehr zulässt (vgl. Esser 1990, 236).
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nellen Regeln vermittelt wird, dass sich Mutterschaft im Kleinkindalter nicht mit Erwerbsarbeit vereinbaren lässt. Mit dieser Vorgangsweise wird die Dominanz eines Einflussbereichs (Arbeitsmarktoder familiäre Faktoren, individuell rationales Verhalten oder strukturelle Vorgaben, Angebots- oder Nachfragefaktoren) überwunden und somit versucht, der Komplexität der Arbeitsangebotsentscheidung von Frauen ebenso Rechnung zu tragen wie der (in den meisten Ansätzen vernachlässigten) Heterogenität unter den Frauen.31 In der Analyse der Hintergründe der Nichterwerbstätigkeit von Frauen in Österreich im Kapitel 3.2 werden erste Schritte in die Richtung eines solchen SEU-Modells gemacht.
3.1.2 Gender Pay Gap und die ökonomische Analyse von Diskriminierung Die ersten Versuche, innerhalb der Neoklassik den Gender Pay Gap zu erklären, knüpfen an die Überlegungen zum weiblichen Arbeitsangebot und der Humankapitaltheorie an. Mincer und Polachek (1978) gehen von der üblichen weiblichen Berufsbiographie aus: Frauen unterbrechen ihre Berufstätigkeit zugunsten einer Familienphase und haben generell eine losere Arbeitsmarktbindung als Männer. Ersteres führt zur Entwertung von Humankapital (z.B. weniger Erfahrung, Wissen veraltet und wird dadurch obsolet), Letzteres zu geringeren Investitionen in das Humankapital (z.B. in Weiterbildung). Der beobachtbare Gender Pay Gap ist somit humankapitaltheoretisch ebenso das Ergebnis rationalen Verhaltens wie die geringere Arbeitsmarktpartizipation.32 Allerdings kann damit jener Teil des Gender Pay Gap nicht erklärt werden, der sich nicht auf Unterschiede auf der Angebotsseite zurückführen lässt und der damit in der allgemeinen Definition Diskriminierung darstellt: Gleiches (im Sinne produktivitätsrelevanter Faktoren) wird ungleich behandelt.
A
Was ist Diskriminierung?
Ökonomische Diskriminierung liegt vor, wenn Individuen für ihre Leistung Gegenleistungen erhalten, die sich nicht ausschließlich an ihrer Leistung orientieren, sondern auch an von den Individuen nicht veränderbaren persönlichen Merkmalen (Ethnizität, Geschlecht, etc.), die allerdings für die individuelle Leistung irrelevant sind. Am häufigsten wird Diskriminierung mit der Gegenleistung des Einkommens in Verbindung gebracht, obwohl auch andere Formen praktisch relevant sind wie Zuweisung auf qualitativ unterschiedliche Arbeitsplätze, beschränkte Aufstiegsmöglichkeiten, unterschiedlicher Zugang zu Ausbildungswegen. In Bezug auf die Diskriminierung im Erwerbsarbeitsmarkt ist jedoch der Fokus auf das Einkommen berechtigt, da sich letztlich alle Diskriminierungsmechanismen im Einkommen, d.h. in Einkommensunterschieden, niederschlagen. Gravierend und daher zu bekämpfen ist dies deshalb, weil die individuellen Lebenschancen in unserer auf Er31 Allerdings stellt die empirische Umsetzung dieses Modells hohe Anforderungen an die zu untersuchenden Daten. Kurz verwendet für Deutschland Daten aus dem Sozioökonomischen Panel, ein Datensatz, der in dieser Weise für Österreich nicht vorliegt. 32 Zur Kritik an der humankapitaltheoretischen Erklärung geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede und der Arbeitsmarktsegregation vgl. England 1982, Regenhard/Fiedler 1994, Jacobsen 2003.
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werbsarbeit zentrierten Gesellschaft ganz wesentlich von den realisierbaren Arbeitsmarktchancen abhängen. Direkte oder unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn gleichwertige Leistung explizit unterschiedlich entlohnt wird, wenn beispielsweise Frauen und Männer mit gleichwertigen Tätigkeiten in "Frauen-" bzw. "Männerlohngruppen" mit unterschiedlicher Lohnhöhe eingeteilt werden. Über die Ablehnung dieser Diskriminierungsform dürfte ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens bestehen, direkte Diskriminierung ist daher auch in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.33 Wesentlich relevanter sind marktmäßig vermittelte Diskriminierungsmechanismen, die ebenfalls zu Verdienstdifferenzen zwischen den Geschlechtern führen und die als indirekte, mittelbare oder zum Teil auch als strukturelle Diskriminierung bezeichnet werden. Diese Form basiert auf ungleichem Zugang zu bestimmten Arbeitsplätzen oder Aufstiegsmöglichkeiten oder auf unterschiedlichen Bewertungsverfahren hinsichtlich der Leistung (job discrimination, vgl. Fiedler/Regenhard 1987). Verdienstdifferenzen sind somit das monetäre Ergebnis von Arbeitsmarktprozessen und –mechanismen, in denen Frauen systematisch ungünstigere Bedingungen hinsichtlich des Erwerbs und der Verwendung arbeitsmarktrelevanter Charakteristika vorfinden. Auch für die in Relation zur direkten Diskriminierung relativ weit gefasste Arbeitsplatzdiskriminierung gilt noch, dass am Arbeitsmarkt tendenziell gleich produktive Individuen unterschiedlich behandelt werden. Zusätzlich sind Diskriminierungsmechanismen außerhalb des Arbeitsmarktes (Ausbildungsbereich, Sozialisation, Präferenzbildung) identifizierbar, die in den Arbeitsmarkt hineinwirken. Hier werden außerhalb der Erwerbssphäre Unterschiede zwischen Individuen erzeugt, die zu - aus Arbeitsmarktsicht - berechtigten Differenzen innerhalb des Arbeitsmarktes führen. Diese Form der Diskriminierung ist dann nicht als solche erkennbar, wenn nur das Geschehen am Arbeitsmarkt selbst betrachtet wird. Da sich gerade im Lebenszusammenhang von Frauen sehr vieles im Einflussbereich des Arbeitsmarktes, aber nicht auf diesem abspielt, ist es für eine vollständige Analyse der Benachteiligung von Frauen letztlich unabdingbar, die enge Arbeitsmarktsicht der traditionellen Ökonomik zu verlassen.
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Ökonomische Diskriminierungserklärungen – was können sie leisten?
Es gibt zwei Kategorien ökonomischer Diskriminierungstheorien: Diskriminierung kann die Folge von diskriminierenden Präferenzen, basierend auf Vorurteilen, sein oder aus unvollkommenen Märkten (Marktmacht, unvollkommene Information) resultieren. Die gängigen Theorien im Bereich der Präferenzdiskriminierung beruhen meist auf den Arbeiten von Gary Becker (1957/1971), das erste auf Monopsonüberlegungen basierende Diskriminierungsmodell wurde von Joan Robinson bereits 1933 formuliert und 1973 von Janice Madden wieder aufgegriffen (vgl. Walch 1980). Das Konzept der statistischen Diskriminierung 33 Beispielsweise wurden in der Bundesrepublik Deutschland bis 1955 noch Tarifverträge vereinbart, die bei gleicher Arbeit bei Arbeiterinnen Lohnabschläge von 10% bis 30% vorsahen. Diese Praxis wurde zwar dann für verfassungswidrig erklärt, die danach eingeführten „Leichtlohngruppen“ haben aber an der Praxis selbst wenig verändert (Wenger et al. 1995). Zwar fanden sich Ende der 1990er Jahre nur mehr in wenigen Tarifverträgen explizite „Leichtlohngruppen“, was aber nicht gleichbedeutend ist mit diskriminierungsfreien Tarifverträgen – direkte Diskriminierung ist hinter indirekten Benachteiligungsprozessen verschwunden. Zur Frage diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung und ebensolcher Tarifverträge vgl. Ranftl et al. 2002, Ranftl et al. 2004.
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(Phelps 1972) beruht ebenfalls auf Marktunvollkommenheiten, in diesem Fall auf unvollständiger Information. Auf eine ausführliche Darstellung muss hier verzichtet werden,34 es geht im Folgenden um eine kritische Hinterfragung dieser Ansätze. Becker (1957/1971) wendet sich in seiner Diskriminierungserklärung der Nachfrageseite zu: Unternehmer, aber auch Arbeitskollegen und Konsumenten könnten Präferenzen für die Beschäftigung von bzw. die Zusammenarbeit mit Männern bzw. für von Männern hergestellten Produkten haben, d.h. "tastes for discrimination" (vgl. Walch 1980) bzw. distastes für Farbige bzw. Frauen (Hewitson 1999, 50f). Unternehmer, die eine Diskriminierungspräferenz haben, bezahlen Männern mehr, damit es für diese attraktiv ist, in dieser Firma zu arbeiten. Unternehmer verhalten sich ihren Präferenzen entsprechend rational, das resultierende Marktergebnis ist allerdings ineffizient, da gleich produktive Arbeitnehmer unterschiedlich bezahlt werden. Der Beitrag dieses Ansatzes zur Erklärung von Diskriminierung wird allerdings in mehrfacher Hinsicht als gering eingeschätzt: Der erste Einwand setzt an den exogen angenommenen Diskriminierungsneigungen an, die dazu führen, dass die Ursachen der Diskriminierung nicht erklärt werden können (Walch 1980). Beckers Präferenzmodell folgt hierbei dem Paradigma der Neoklassik, wonach Präferenzen gegeben und stabil sind – auf diesbezügliche Kritikpunkte wurde bereits hingewiesen. Damit in Zusammenhang steht die enge Sicht auf den Arbeitsmarkt, die zum Ausschluss aller nicht zum neoklassischen Marktmodell passenden Aspekte führt. Strukturelle Diskriminierung, die durch ökonomische (z.B. Tarifverhandlungen) oder soziale (z.B. Bildungschancen) Institutionen entsteht, kann nicht erfasst werden. Und schließlich sei auf den am häufigsten vorgebrachten Kritikpunkt verwiesen, wonach die Beckersche Präferenzdiskriminierung unter Konkurrenzbedingung nicht von Dauer sein dürfte. Langfristig müsste diskriminierendes Verhalten vom Markt beseitigt werden, d.h. der Markt müsste als great equalizer (Hoppe 2002, 98) agieren und ineffiziente Allokationen unterbinden. Das gilt insbesondere für die diskriminierenden Arbeitgeber: Unter den Bedingungen eines perfekten Marktes entstehen nicht diskriminierenden Unternehmen Kostenvorteile und damit Wettbewerbsvorteile, die auf lange Sicht die diskriminierenden Arbeitgeber verdrängen sollten.35. Im Fall diskriminierender Präferenzen von Arbeitskollegen hat theoretisch der Marktmechanismus weniger Angriffsfläche, weil Unternehmen unter Berücksichtigung der gegebenen Präferenzen der Arbeitnehmer ihren Gewinn maximieren. Allerdings ist auch hier einzuwenden, dass es nicht diskriminierende Kollegen geben dürfte, die von Firmen auf Dauer bevorzugt eingestellt werden würden, weil sie die produktivsten Arbeitskräfte bekämen, ohne auf das Geschlecht Rücksicht nehmen zu müssen. Auf lange Sicht haben also auch diskriminierende Präferenzen der Kollegen im Marktprozess keinen Bestand, in Bezug auf diskriminierende Präferenzen von Kunden lässt sich dies ebenfalls ableiten (vgl. Powell 2003). 34
Zur Darstellung und Kritik der Diskriminierungstheorien vgl. England 1992, Jacobsen 1994, Cain 1986, Walch 1980, Polachek/Siebert 1993. 35 In einer auf Firmendaten beruhenden Studie zu Wachstum und Marktmacht von Firmen stellen Hellerstein et al. (2002) fest, dass sich kurzfristig klare Diskriminierungstendenzen finden lassen (Firmen mit Marktmacht, die relativ mehr Frauen beschäftigten, erzielen höhere Gewinne, als Firmen ohne Marktmacht; erstere können somit ihre diskriminierenden Präferenzen „realisieren“), während die These, wonach diskriminierende Arbeitgeber langfristig durch geringeres Wachstum für ihr diskriminierendes Verhalten „bestraft“ werden oder durch nicht diskriminierende Firmen verdrängt werden, keine Bestätigung findet.
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Arrow (1972, 192) folgert: „Becker’s model predicts the absence of the phenomenon it was designed to explain.“36 Jüngere Studien zeigen, dass steigender Wettbewerb einen positiven, d.h. reduzierenden Effekt auf den Gender Pay Gap hat (vgl. z.B. Weichselbaumer/Winter-Ebmer 2007, Black/Brainerd 2004). Insofern trifft die Beckersche Prognose zu, ohne dass in den jeweiligen Studien eine direkte Verbindung mit diskriminierenden Präferenzen hergestellt werden kann, was methodisch-technisch auch schwer vorstellbar ist. Aber die Evidenz des in vielen Ländern stagnierenden Gender Pay Gap angesichts steigender Konkurrenz weist jedenfalls darauf hin, dass die equalizer-Funktion des Marktes nicht in der erwarteten Weise wirkt. Dass diskriminierende Präferenzen auch anders ins neoklassische Arbeitsmarktmodell eingebaut werden können, zeigt Åsa Rosén. Sie geht wie Becker von diskriminierenden Präferenzen aus, die sich allerdings nicht in Lohndifferenzen zeigen, sondern im Zugang zu Arbeitsplätzen (Gustafsson 1997): Frauen werden aufgrund von Diskriminierung weniger Arbeitsplätze angeboten, was sich negativ auf ihre Einschätzung einen bestimmten Job zu erhalten, auswirkt – ihre „cut-off rate“, d.h. jene Produktivität, die nach Selbsteinschätzung der Person minimal akzeptabel ist, sinkt. Parallel dazu steigt die „cut-off rate“ der Männer. Folglich werden sich Männer nicht mehr für jene Tätigkeiten bewerben, die von Frauen aufgrund ihrer gesunkenen „cut-off rate“ akzeptiert werden. Im Endergebnis ist die Allokation der Arbeitskräfte nicht optimal, aber dauerhaft (Hoppe 2002, 99). Im Unterschied zu Becker hat dann auch Anti-Diskriminierungspolitik nicht nur Sinn, sondern ist sogar notwendig, um zu einem optimalen Ressourceneinsatz zu kommen. Die analytische Gruppe der auf Marktunvollkommenheiten beruhenden Diskriminierungstheorien (statistische Diskriminierung, crowding-Ansatz, das Warteschlangenmodell von Thurow, monopolistische Arbeitmarktstrukturen) kommt zwar ohne die Annahme diskriminierender Präferenzen aus, und diese Ansätze liefern wichtige Beiträge zur Erklärung der Persistenz von Diskriminierung. Aber auch hier wird der Grund für Diskriminierung per Annahme in das jeweilige Modell eingeführt, d.h. die Diskriminierungsursachen bleiben exogen. Warum Diskriminierungsneigungen existieren, die beispielsweise Frauen den Zugang zu Männerberufen verwehren, bleibt offen, ebenso woher produktivitätsbezogene Vorurteile und Rollenerwartungen kommen (Achatz et al. 2004). Hier handelt es sich, so der Tenor der ÖkonomInnen, um dem Arbeitsmarkt vorgelagerte Prozesse, die im Rahmen der ökonomischen Theorien nicht untersucht und erklärt werden können.37 Dies falle in den Zuständigkeitsbereich der Soziologie und Sozialpsychologie. Die gegen das Präfe36 Becker selbst hat gegenüber dem Vertrauen auf den Marktmechanismus das Argument eingebracht, dass die Unvollkommenheit der Märkte den Abbau diskriminierender Präferenzen verhindert bzw. verzögert (Powell 2003). 37 In einer extrem engen ökonomischen Betrachtungsweise kann damit sogar die gesamtwirtschaftliche Effizienz der Präferenzdiskriminierung gezeigt werden, wie dies Allinger (2003, 99) tut: „Solange man Präferenzen als gegeben und berechtigt ansieht, wie dies in der Wohlfahrtsökonomie üblicherweise der Fall ist, geht unabhängig von der Aufteilung der Kosten auf Arbeitgeber und Diskriminierte marginal keinerlei Wirkung auf die aggregierte Wohlfahrt aus. Mehr noch: bei gegebenen Frauen ablehnenden Präferenzen können Wohlfahrtsverluste erwartet werden, wenn nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß diskriminiert wird.“ Die Legitimität diskriminierender Präferenzen kann nach Allinger ökonomisch nicht in Frage gestellt werden, denn Präferenzen sind gegeben. Diese Interpretation zeigt einmal mehr auf, dass die Kritik an den Kernannahmen der Neoklassik seine Berechtigung hat. Allinger (2003, 99ff) gesteht in weiterer Folge doch die Möglichkeit von Effizienzverlusten durch Diskriminierung zu, und zwar wenn wir es mit "Zusatzkosten der Diskriminierung" zu tun haben. Diese "Zusatzkosten" entstehen, wenn die Diskriminierten nicht nur unter dem Gehaltsabschlag leiden, sondern auch unter dem Bewusstsein, diskriminiert zu werden.
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renzmodell vorgebrachten Kritikpunkte bzgl. exogener Präferenzen und die Ausblendung von nicht unmittelbar am Arbeitsmarkt angesiedelten Prozessen haben auch für diese Gruppe von Erklärungsansätzen Gültigkeit.38 Damit wird die Sicht auf ein Bedingungsgefüge verstellt, aus dem Frauen nur schwer ausbrechen können: Die Zuweisung an schlecht bezahlte Jobs erzeugt eine „Präferenz“ für Berufsunterbrechungen, diese signalisiert dem Arbeitgeber die geringe Berufsorientierung der Arbeitskraft, und er verzichtet auf Qualifizierungsmaßnahmen, was wiederum tatsächlich zur Senkung der Arbeitsmotivation beiträgt etc. Auch die von der Neoklassik ebenfalls ausgeblendete Prägung der Präferenzen außerhalb des Arbeitsmarktes fungiert als Verstärker: Wenn es keine passenden Kinderbetreuungsplätze gibt, erzeugt dies eine „Präferenz“ für Unterbrechungen und/oder Teilzeitarbeit. Angesichts der Qualität der vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze ist die Arbeitsmotivation der Teilzeitarbeitskräfte eher niedrig, was Arbeitgeber wiederum dazu bewegt, auf eine Attraktivierung von Teilzeitstellen zu verzichten etc. Die Liste der Beispiele solcherart zusammenwirkender und sich verstärkender Mechanismen lässt sich beliebig fortsetzen.39 Diese Mechanismen und Prozesse manifestieren sich in Strukturen, die als Nebenbedingungen in die Entscheidungen der Individuen einfließen und in enger Sichtweise deren Verhalten als rational erscheinen lassen. Marktprozesse schaffen es nicht, diese verfestigten Strukturen als Ursachen für Diskriminierung zu identifizieren und sie aufzulösen. Hier bedarf es einer erweiterten Perspektive: “From institutional and radical analyses, a feminist theory of discrimination recognizes that the structure of labor markets and other economic and social institutions influences individual economic actors… Gender theory focuses on the process by which gender shapes social institutions, including economic institutions” (Figart 1997, 6). Es ist daher unerlässlich, den ökonomischen Ansatz in einen interdisziplinären Kontext zu stellen und insbesondere mit den sozialwissenschaftlichen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Hier gibt es auch eine Reihe von Ansätzen, z.B. makrosoziologische Untersuchungen zum in einer Gesellschaft institutionalisierten Geschlechterverhältnis und die darin verankerte asymmetrische Verteilung von Status, Macht und Arbeit (vgl. ausführlich Gottschall 2000). Weitere Konzeptionen finden sich in der industrieökonomischen Forschungstradition, sowie jüngst in der Organisationssoziologie, wenn Lohnstrukturen mit Verfahrensweisen in Betrieben, Regeln und Praktiken der Lohnsetzung begründet werden (vgl. Achatz et al. 2004 für einen Überblick). Diese Erklärungsansätze werden auch von ökonomischer Seite aufgegriffen, z.B. von Francine Blau, die gemeinsam mit Lawrence Kahn eine Reihe von bekannten Analysen des Gender Pay Gap erstellt hat und dabei insbesondere die Bedeutung der Lohnstruktur hervorhebt (Blau 1998, Blau/Kahn 2000).40 38 Ausnahmen gibt es auch innerhalb der ökonomischen Theorie. So geben beispielsweise die von John Stuart Mill und Harriet Taylor Mitte des 19. Jahrhunderts verfassten Schriften, insbesondere der Essay "Die Hörigkeit der Frau" (The Subjection of Women, im Original erschienen 1869) eindrückliche und stellenweise erschreckend aktuelle Beschreibungen und Analysen von gesellschaftlichen Diskriminierungsmechanismen und deren Auswirkungen auf die ökonomische Position der Frauen. Mill und Taylor sahen vor allem in den Frauen und Männern jeweils zugänglichen Handlungsfeldern und den ihnen zugewiesenen und gesellschaftlich abgestützten Rollen Ursachen der Diskriminierung (Mill et al. 1976). 39 Ott (1993) spricht daher auch vom „Teufelskreis ökonomischer Rationalität“ (siehe Kap. 3.1.1). 40 Blau und Kahn haben sich sowohl mit Einkommensdifferenzen im internationalen Vergleich als auch mit den Entwicklungen in den USA ausführlich auseinandergesetzt. Insbesondere für die USA gilt, dass die Lohnstruktur selbst einen sehr großen Einfluss auf die Einkommensdifferenz zwischen den Geschlechtern hat, und zwar wenn der Gap im Vergleich zu anderen Ländern betrachtet wird. Wenn jedoch die Entwicklung des Gap in den USA analysiert wird, kommen die Wirkungen geschlechtsspezifischer Einflussfaktoren zum Tragen. Auch wenn
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Gender Gap und Arbeitsmarkt Der Markt für Diskriminierung: Ist diskriminierendes Verhalten rational?
Die Frage, warum diskriminierende Strukturen überleben können, kann vor dem Hintergrund bestehender Marktunvollkommenheiten im Rahmen eines Rational Choice-Ansatzes untersucht werden, indem ein Markt für Diskriminierung modelliert wird (Krug 1993 und 1997). Ein positives Angebot an Diskriminierung kann insbesondere aus der Existenz interner Arbeitsmärkte41 abgeleitet werden, auf denen im Gegensatz zu externen Arbeitsmärkten Marktmechanismen nicht zum Verschwinden von Diskriminierung führen können. Krug (1993) zeigt, welche Anreize Vorgesetzte, Gewerkschaften und Kollegen für diskriminierendes Verhalten haben. Die spezifische Umgebung interner Arbeitsmärkte ist geprägt durch die Probleme beim Abschluss von Arbeitsverträgen, durch die Aneignung betriebsspezifischen Know-hows, das hohe Kosten beim Arbeitsplatzwechsel verursachen würde und durch die besonderen Spielregeln, die Aufstiege in der betrieblichen Hierarchie bestimmen.42 Diese Faktoren setzen zumindest partiell den Lohnmechanismus außer Kraft, die erzielten Einkommen stehen nicht mehr in unmittelbarer Beziehung zur Produktivität, und Vorgesetzte, Gewerkschafter oder Kollegen können beispielsweise zusätzliche Renten abschöpfen, indem sie Frauen auf schlecht bezahlte und gering qualifizierte Arbeitsplätze verweisen und ihnen besondere Aufstiegsbarrieren in den Weg legen. Solcherart diskriminierendes Verhalten kann für einen Manager durchaus rational sein, wobei Renten nicht nur in monetärer Form anfallen können, sondern beispielsweise auch in der Zahl der Untergebenen begründet sein können. Die mit diskriminierendem Verhalten verbundene Ineffizienz – Frauen werden nicht ihrer Produktivität entsprechend eingesetzt und entlohnt – trägt in der Regel nicht der Manager, sondern das Unternehmen oder die Gesellschaft als ganzes, die die Ausbildung der Frauen finanzierte. Gibt es eine „Nachfrage nach Diskriminierung“ auf diesem Markt? Entsprechend dem ökonomischen Kalkül wird Diskriminierung dann nachgefragt, d.h. akzeptiert werden, wenn die nicht-diskriminierende Alternative mit hohen Opportunitätskosten verbunden ist. Es verursacht Kosten, nicht-diskriminierende Unternehmen zu finden, den Arbeitsplatz zu wechseln, den diskriminierenden Ehemann loszuwerden. Diese Kostenkomponenten addieren sich zu Transaktionskosten, die Wechsel aller Art teuer machen, und zwar teurer für Frauen als für Männer (Krug 1997, 69). Als weitere Aspekte, die zu einer Nachfrage nach Diskriminierung beitragen können, können angeführt werden:
der aus der Lohnstruktur resultierende Gap per se nicht geschlechtsspezifisch ist, sind die Auswirkungen von Veränderungsprozessen auf Frauen und Männer sehr wohl unterschiedlich (und führen beispielsweise in den USA tendenziell eher zu einer Verringerung des Gap, vgl. Blau/Kahn 2000, 91ff). Als eine Konsequenz ihrer Analyse leiten Blau und Kahn ab, dass es sehr wohl geschlechtsspezifischer politischer Maßnahmen bedarf, um den Gender Pay Gap zu beseitigen. 41 Die Unterscheidung interner und externer Arbeitsmärkte stammt ursprünglich aus dem Arbeitsmarktsegmentierungsansatz. Auf internen Arbeitsmärkten kommen im Gegensatz zu externen Arbeitsmärkten, auf denen Wettbewerbsbedingungen herrschen, die üblichen Marktmechanismen bezüglich der Entscheidung über Beschäftigung und Lohnhöhe nicht zum Tragen. Stattdessen gelten eigene Gratifikations- und Allokationsregeln, die beispielsweise die Aufstiegsmodalitäten in betrieblichen Hierarchien definieren (vgl. als Überblick Sesselmeier/Blauermel 1990, Sengenberger 1987). Die Unterscheidung wird heute allerdings auch unabhängig von der Segmentierungstheorie verwendet, um die Besonderheiten betrieblicher Arbeitsmärkte zu untersuchen. 42 Diese Besonderheiten von Arbeitsbeziehungen sind Gegenstand neuerer Arbeitsmarkttheorien, insbesondere der Effizienzlohntheorie oder der Theorie impliziter Kontrakte (vgl. Kreimer 1999 für einen Überblick).
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Wenn vom Steuersystem bestimmte Arbeitsteilungsmuster privilegiert werden (z.B. die Dazuverdienerinnen-Ehe durch das deutsche Splittingsystem), entstehen hohe Kosten der Veränderung (vgl. von Zameck 1993, Dingeldey 2000); Krug (1993) führt im Bereich des Familienrechts das Scheidungsrecht an: die Austrittsoption aus einer Ehe ist in den meisten Staaten für Frauen und Männer nicht mit denselben Konsequenzen verbunden (für Österreich vgl. ausführlich Flossmann 2000); Feedbackeffekte als Folge von Diskriminierungserfahrungen könnten darin bestehen, dass Frauen ihre Weiterbildungsaktivitäten infolge erfahrener Diskriminierung beim Aufstieg einschränken, was wiederum ihre Aufstiegschancen vermindert.
Nicht mehr exogene Diskriminierungspräferenzen verursachen Diskriminierung, sondern das rationale Kalkül verschiedener Arbeitsmarktparteien in Kombination mit Marktunvollkommenheiten: Werden soziale Phänomene wie betriebliche Hierarchien, Machtausübung durch Vorgesetzte, Vorgaben durch das Rechtssystem oder Abhängigkeiten in der Familie mit einbezogen, kann das real äußerst stabile Phänomen der Diskriminierung als eine Art Gleichgewicht individuell rationaler Strategien in dem Sinne erklärt werden, dass unilaterales Abweichen individuell unvorteilhaft wäre. Zusätzlich ist es noch notwendig, die Rolle des Staates und der Interessensverbände zu untersuchen, auch hier kann es ein immanentes Interesse an Diskriminierung geben.43
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Die Meso-Ebene des Betriebs: Das Konzept der Gendered Organizations
Statistische Diskriminierung ist ebenso wie der Einsatz diskriminierender Präferenzen auf der Mikroebene angesiedelt, was der ökonomischen Diskriminierungsforschung die Kritik eingebracht hat, Makrostrukturen und –prozesse zu vernachlässigen. Konzepte rund um den "Markt für Diskriminierung" versuchen dieses Defizit zu beseitigen. Was jedoch nach wie vor fehlt, ist die Mesoebene des Betriebes. Nun ist bekanntermaßen die Firma immer noch eine kaum geöffnete blackbox im ökonomischen mainstream,44 was unter anderem auch darin begründet ist, dass auch die hier geforderte Organisationsforschung selbst lange nicht wahrhaben wollte, dass Organisationen mehr sind als bürokratische Mechanismen, geprägt durch instrumentelle Rationalität.45 Während sich in der Organisationsforschung zunehmend die Perspektive durchsetzte, wonach Organisationen nicht mehr autonome Apparate mit einer objektiv rationalen Struktur sind, sondern "lebensweltlich konstituierte Sozialsysteme mit spezifischen Kulturen und Subkulturen" (Jüngling 1999, 22), blieb die Geschlechtsblindheit der Organisationsforschung noch einige Zeit erhalten.
43 Dies wird schon allein sichtbar, wenn man die Verteilung von Frauen in der innergewerkschaftlichen Hierarchie betrachtet (Wenger et al. 1995). 44 Das gilt nicht für die neuere Institutionenökonomik, in deren arbeitsmarktökonomischen Umsetzung u.a. Transaktionskosten, Informationsasymmetrien und Anreizprobleme thematisiert werden (für einen kurzen Überblick vgl. Kreimer 1999, 92ff). Eine explizite Verknüpfung mit der feministischen Ökonomik steht aber noch aus. 45 Diese Charakterisierung baut auf dem von Max Weber entworfenen "Bürokratiemodell" auf. Die Idee, dass eine perfekte Organisation wie eine Maschine funktionieren müsse, war bis in die 1950er und 1960 Jahre hinein vorherrschend. Die arbeitenden Individuen sollen den Zielen der effizienten Organisation angepasst werden, vom Geschlecht oder jedweden anderen individuellen und soziokulturellen Merkmalen wurde abstrahiert (vgl. Jüngling 1999, Wilz 2002 und 2004).
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Mittlerweile hat sich jedoch ein Forschungsprogramm etabliert, das zumeist unter dem Titel "Gendered Organizations" läuft (z.B. Wilz 2004, Achatz et al. 2002, Wharton 2002). Das Ziel ist die Analyse sozialer Ungleichheit auf Organisationsebene über die Verknüpfung makro- und mikrosoziologischer Ansätze. "Organisationen und deren Strukturen werden per se als Arenen männlicher Hegemonie, Handlungskontexte in Organisationen als immer schon in ungleiche gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse eingebettet und von diesen durchdrungen verstanden" (Achatz et al. 2002, 295). Im angloamerikanischen Raum begann die Befassung mit Gendered Organizations bereits in den 1970 Jahren, wobei insbesondere die Studie von Kanter (1977) als Meilenstein hervorgehoben wird (Wilz 2004, Jüngling 1999; siehe auch Kap. 3.4). Mit Acker (1990) verlagerte sich der Fokus hin zur Herstellung und Hierarchisierung von Geschlechterdifferenzen auf der Ebene von Arbeitspraxen, d.h. zum doing gender while doing the job (Wilz 2004, 446; Gottschall 1998, Wetterer 2002). Organisationen sind vergeschlechtlicht, weil die unterschiedliche Verteilung von Einkommen, Aufgaben und Positionen zwischen Frauen und Männern systematisch und nicht zufällig oder beliebig ist. Annahmen über die gesellschaftliche Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit sind in Organisationen "inkorporiert" und in der vergeschlechtlichten "Substruktur" von Organisationen verankert. Auf mehreren Ebenen dieser Substruktur laufen Prozesse ab, über die sich die Differenzierung und Hierarchisierung nach Geschlecht reproduziert.46 Ein zentrales Ergebnis dieser geschlechterbezogenen Organisationsanalyse lautet dann, dass die Vorstellung einer entkörperlichten Arbeitskraft, wie sie in den meisten Organisationsstudien zu finden ist, ebenso wenig haltbar ist, wie die Vorstellung geschlechtsneutraler bürokratischer Strukturen in Organisationen (Wilz 2004). Organisationales Handeln fokussiert auf das Modell der "Normalarbeitskraft", und dieses ist geschlechtlich geprägt, ein "männliches" Modell. Empirische Studien zu diesen Prozesse des gendering in Organisationen zeigen aber auch Auflösungserscheinungen, verweisen auf Prozesse des de-gendering (Heintz et al. 1997, Heintz/Nadai 1998) oder zumindest auf vermehrte Prozesse der Minimierung der Geschlechterdifferenz (vgl. Wetterer 2002, 129ff, Gildemeister 2004). Letzteres ist für die Zielsetzung des Abbaus des Gender Gap von besonderer Bedeutung. Obgleich eine explizite Einbindung des Ansatzes der Gendered Organizations in die Organisationsforschung noch am Beginn steht und von beiden Seiten einiges an konzeptioneller Aufarbeitung erfolgen muss,47 zeigen die vorhandenen empirischen Umsetzungen, wie die geschlechtsspezifisch ungleiche Allokation von Frauen und Männern auf Einkommens- und/oder Karrierepositionen durch das komplexe Zusammenspiel von mikrosozialen und strukturellen Faktoren im Kontext der Organisationen hergestellt, vermittelt und festgeschrieben wird (Achatz et al. 2002, 284). In der Fallstudie zum Gender Pay Gap in Österreich werden diese Erkenntnisse angewendet (siehe Kap. 3.3).
46 Vgl. Wilz 2002 für eine ausführliche Darstellung. Umsetzungen in der Form von Fallstudien finden sich auch in Halford et al. 1997, Heintz et al. 1997, Hofbauer 2002. 47 Von Seiten der Genderforschung bedarf es einer stärkeren Auseinandersetzung mit der Organisation selbst (Definition von Organisationen, Anbindung an die Organisationssoziologie, vgl. Wilz 2004, 448); von Seiten der Organisationsforschung ist noch immer eine Auseinandersetzung mit Grundlagen der Genderforschung, beginnend beim Begriff Gender selbst, ausständig (vgl. Wharton 2002, 197ff).
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
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3.1.3 Gender Gap Arbeitszeit: Theoretische Aspekte der Teilzeitbeschäftigung Individuen entscheiden nicht nur darüber, ob sie Erwerbsarbeit anbieten wollen, sondern auch in welchem Ausmaß sie dies tun. Theoretisch ist das Ausmaß beliebig wählbar (begrenzt durch die Tages- bzw. Wochenlänge). Empirisch-praktisch treffen wir auf zwei markante Ausprägungen: Vollzeitarbeit (knapp um bzw. unter 40 Wochenstunden) und Teilzeitarbeit. Was ist Teilzeitarbeit? Diese Frage lässt sich nur mit Rekurs auf die realen Arbeitsmarktprozesse beantworten: Eine Teilzeitbeschäftigung liegt vor, wenn die wöchentliche Arbeitszeit unter der gesetzlich definierten oder kollektivvertraglich geregelten Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung liegt. In Österreich fallen beispielsweise Beschäftigungsverhältnisse mit weniger als 36 Wochenstunden unter die Kategorie Teilzeit, wobei eine deutliche Häufung bei rund 20 Wochenstunden zu finden ist. Innerhalb dieses Spektrums von 1 bis 35 Stunden sind in der Empirie klare Spitzen zu finden, die im Vergleich unterschiedlicher Arbeitsmärkte kein einheitliches Muster bilden. In Österreich dominiert „kurze“ Teilzeit, eine typische Teilzeitstelle ist eine halbe Vollzeitstelle mit rund 20 Wochenstunden und dem ebenfalls typischen Muster einer täglichen Arbeitszeit von 4 bis 5 Stunden. Die vorhandenen Unterschiede zwischen den Teilzeitmustern verweisen darauf, wie sehr Teilzeitarbeit vom jeweiligen institutionellen Gestaltungsrahmen abhängt. Teilzeitarbeit weicht von der Norm der vollzeitigen und unbefristeten „Standard“Beschäftigung ab und zählt daher zu den sogenannten „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen, unter denen sie in Österreich zugleich die quantitativ bedeutendste Kategorie ausmacht.48 Teilzeitarbeit ist ein zentraler Aspekt weiblicher Erwerbsbeteiligung und in der Folge des Gender Gap Arbeitszeit (siehe Kap. 2). Zudem spielt sich ein großer Teil der aktuellen Arbeitsmarktdynamik im Bereich der Teilzeitbeschäftigung ab. Angesichts dieser Bedeutung von Teilzeitarbeit im Rahmen der Arbeitsmarktökonomik soll zuerst die Frage gestellt werden, ob es eine Theorie der Teilzeitarbeit gibt.
A
Die Teilzeitentscheidung in der Arbeitsmarktökonomik
Im Kontext der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie ist die Frage nach den Bestimmungsgründen des Teilzeitangebots nicht explizit beantwortbar. Die angebotene Arbeitszeit ist Teil des Nutzenmaximierungsprozesses, wobei in der Regel ein kontinuierliches Spektrum wählbarer Arbeitszeiten vorausgesetzt wird (vgl. Stephan 1995). Eine spezifische Entscheidung für Teilzeit (im Sinne einer Entscheidung für einen „Halbtagsjobs“ oder für 30 Wochenstunden) ist daher nicht ableitbar. Allerdings gibt es nach Stephan (1995, 81f.) eine Reihe von Argumenten, die für eine diskrete Formulierung der Arbeitsangebotsentscheidung sprechen.49 Diese diskreten Ausprägungen werden in der Literatur aber eher aus ökonometrisch-statistischer denn aus theoretischer Sicht analysiert (ebd., 86). 48
Andere atypische Beschäftigungsformen sind die befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Formen sogenannter „neuer“ Selbständigkeit (in Österreich z.B. freie Dienstverträge, Werkverträge) und als Sonderform der Teilzeitarbeit die geringfügige Beschäftigung. Die Thematik der atypischen Beschäftigung wurde in den vergangen Jahren in Österreich mehrfach empirisch bearbeitet (vgl. u.a. Tálos 1999a, Mühlberger 2000, Holzinger 2001, Fink et al. 2001, Kirisits 2002). Explizit mit Teilzeitarbeit befasst sich die Studie von Bergmann et al. 2003; die umfassende Aufarbeitung zur Teilzeitarbeit von Finder et al. 1995 ist leider schon veraltet. 49 Nachfrageseitige Restriktionen und kollektive Vereinbarungen reduzieren beispielsweise die Wahl auf wenige verfügbare Arbeitszeiten.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Studien zur Teilzeiterwerbstätigkeit in einzelnen Ländern und/oder Bereichen liefern ein sehr heterogenes Bild in (fast) jeder Hinsicht:50 Der Anteil der Teilzeitarbeit variiert ebenso wie die Verteilung über Sektoren, Berufe und Qualifikationen. Es gibt Länder mit überwiegend „langer“ Teilzeit (an die 30 Wochenstunden, z.B. Schweden) und solche mit „kurzer“ Teilzeit (bis ca. 20 Stunden, z.B. Niederlande). Es gibt Teilzeit als vorübergehende Erscheinung in den Erwerbskarrieren ebenso wie permanente Teilzeit, mit und ohne Karriereperspektiven. Nur ein Faktum variiert nicht und rechtfertigt diesen Abschnitt: Teilzeitarbeit ist dominant weiblich.51 Das Resultat dieser asymmetrischen Verteilung der Geschlechter in der Teilzeit ist der Gender Gap Arbeitszeit. Warum ist Teilzeit ein prägendes Merkmal weiblicher Erwerbskarrieren und findet sich kaum bei Männern? Haben nur bzw. primär Frauen Präferenzen für Teilzeitarbeit, die sie am Markt realisieren können? Empirische Erhebungen zu Teilzeitpräferenzen scheinen dies zu bestätigen: Wenn festgestellt wird, dass männliche Beschäftigte im Schnitt gerne 37 Wochenstunden arbeiten würden, also etwas kürzere Vollzeit, und weibliche Beschäftigte im Schnitt 30 Wochenstunden, also lange Teilzeit, scheint hier ein deutlicher Präferenzunterschied vorhanden zu sein, der sich auch in allen Details der Arbeitszeitbefragungen zeigt.52 Gibt es daher überhaupt einen Grund, den Gender Gap Arbeitszeit zu untersuchen und in der Folge ihn gegebenenfalls durch entsprechende Maßnahmen zu verändern? Offenbar nicht, wenn wir innerhalb der Grenzen des neoklassischen Arbeitsmarktmodells verharren, denn wie bestimmte beobachtbare Präferenzen zustande gekommen sein mögen bzw. wie sie sich anpassen und verändern, ist nicht Gegenstand des ökonomischen Modells. Warum Frauen eine geringere Arbeitszeit als Männer wollen, ist irrelevant. Dabei liefern die vorhandenen Daten zu Arbeitszeitwünschen genug Materialien, um die Hintergründe dieser Präferenzen aufzudecken, die – wenig überraschend – eng mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung verknüpft sind und daher auch im Kontext familiärer Verpflichtungen variieren.53
50 Vgl. z.B. Beckmann 1997 und 1998 für Deutschland, die Beiträge in den Sammelbänden Klein 1997 und O’Reilly/Fagan 1998, Finder et al. 1995 und Bergmann et al. 2003 für Österreich. 51 Im Schnitt der EU-Länder sind rund 80% der Teilzeitarbeitenden Frauen. Dieser Anteil ist relativ unabhängig von der sonst gegebenen großen Bandbreite des Gesamtanteils von Teilzeitarbeit zu finden (unter den EU-15 Ländern weist beispielsweise Griechenland eine Teilzeitquote von weniger als 6% aus, die Niederlande kommen auf gut 46% Teilzeitbeschäftigung). Auch im führenden Teilzeitland, den Niederlanden, besteht die geschlechtsspezifische Differenz: 2006 arbeiteten 75% der Frauen und 23% der Männer in Teilzeit (Quelle: Eurostat, Arbeitskräfteerhebung). Die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung (unabhängig vom jeweiligen Qualifikationsniveau) stellt grundsätzlich ein einheitliches Faktum dar, allerdings durchaus zeitverschoben und mit unterschiedlicher Dynamik. Beispielsweise sank in Schweden und Dänemark die Teilzeit in den 1990er Jahren bereits wieder, während sie in Mitteleuropa erst zu steigen begann (Lehndorff 1998). Finnland hingegen weicht vom skandinavischen Trend einer hohen Teilzeitquote deutlich ab, insofern Teilzeitarbeit nicht in derselben Weise funktional für die Arbeitsmarktintegration von Frauen war (Pfau-Effinger 1998 und 1998a). Eine weitere Dynamik im Teilzeitmarkt ist in den neuen EU-Ländern zu erwarten, in denen bislang die Teilzeitbeschäftigung keine große Rolle spielte. 52 Verglichen mit den Männern ist der Anteil der Frauen, die lieber in Teilzeit arbeiten würden bzw. in Teilzeit bleiben wollen, immer deutlich höher, vgl. Fagan/Warren 2001 (Daten für die EU-15 Staaten, Untersuchungszeitraum 1998; aber ähnliche Muster finden sich in allen vergleichbaren Studien). 53 Dass auch ohne aktuelle familiäre Verpflichtungen ein gewisser Geschlechtsunterschied in der gewünschten Arbeitszeit besteht, sei hier angemerkt: die bevorzugte Wochenarbeitszeit kinderloser Frauen ist geringer als die kinderloser Männer. Allerdings besteht die asymmetrische Arbeitsteilung ja nicht nur in Bezug auf die Kinderbetreuung, sondern auch auf sonstige Pflegeleistungen (z.B. älterer Angehöriger) und natürlich auch auf die Hausarbeit.
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
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Ein weiteres Defizit der mainstream Ökonomik betrifft die Dynamik der Teilzeitarbeit (Blank 1989). Die statische Analyse der Erwerbsentscheidung in der Neoklassik kann die Dynamik im Erwerbsverlauf der Frauen nicht adäquat erfassen: Ist Teilzeit ein Übergangsstadium oder eine permanente Beschäftigungsform für die Teilzeitarbeitenden? Unterscheidet sich Teilzeit in dieser Dynamik von jener der Vollzeitarbeit? Warum und wann wollen Frauen zwischen Vollzeit und Teilzeit, aber auch zwischen Teilzeit und Nichterwerbstätigkeit wechseln?54 Welche Rolle spielt der Wunsch nach Zeitsouveränität in dynamischer Perspektive? Ähnliches gilt für den strukturellen Rahmen: Die Entscheidung über die Annahme einer Teilzeitarbeit ist nicht nur im Kontext von Einkommensmaximierung und Vermeidung von Arbeitsleid zu sehen. Es bedarf eines umfassenden Modells der Erklärung der Erwerbsentscheidung inklusive der Arbeitszeit, der Berufswahl, der Branchenwahl, der regionalen Rahmenbedingungen bzw. der Bedingungen regionaler und nationaler Mobilität, und dies unter Einbeziehung von Normen und Leitbildern. Warum wird Teilzeitarbeit seitens der Unternehmen nachgefragt? Im Vergleich zur Angebotsseite gibt es hier grundsätzlich durchaus vielfältigere Argumentationen und Begründungen, die insbesondere in engem Zusammenhang mit Restrukturierungsprozessen am Arbeitsmarkt stehen. Insbesondere wird Teilzeit im Kontext numerischer Flexibilisierung, als Strategie zur Umverteilung von Arbeit und als Segmentierungsstrategie analysiert. Die theoretische Modellierung ist aufgrund der notwendigen Trennung von Arbeitskräften und Arbeitsstunden sowie der nicht eindeutig bestimmbaren Frage der Arbeitskosten relativ komplex (für einen Überblick vgl. Koch 2001). Bislang wurden eher Fragen zur Nachfrage nach Überstunden untersucht, zur Teilzeitarbeit aus Unternehmenssicht gibt es kaum theoretische Analysen (ebd., 34). Der Anstieg atypischer Beschäftigungsverhältnisse inklusive der Teilzeit wird primär mit der Arbeitsmarktflexibilisierung in Verbindung gebracht.55 Teilzeit spielt eine zentrale Rolle bei der numerischen oder quantitativen Flexibilisierung, d.h. sie dient der Anpassung an Schwankungen der Auslastung, Anpassung an Leerzeiten, und damit zugleich Kostendämpfung u.a.m. (vgl. Mühlberger 2000). Produktivitätssteigerungen sind vor allem bei personen- und kundenbezogenen Dienstleistungen weniger über Technologieeinsatz als durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen zu erreichen. Flexibler Personaleinsatz ist eine kostengünstige Strategie, um saisonale Schwankungen auszugleichen und Öffnungs- und Arbeitszeiten aneinander anzupassen. Dementsprechend ist Teilzeit besonders häufig im Handel zu finden, aber auch in vielen Dienstleistungsbereichen. Wenn Teilzeit im Kontext der Umverteilung des Arbeitsvolumens diskutiert wird, kann dies aus einer makro- oder mikroökonomischen Perspektive erfolgen, die sich am Beispiel 54 Blank (1989) untersucht diese Fragestellung empirisch mittels Daten für die USA und kann die Dynamik der Teilzeitarbeit für den Untersuchungszeitraum beschreiben, allerdings zieht sie keine Rückschlüsse auf die theoretische Arbeitsangebotsentscheidung. 55 Die Verwendung des Flexibilisierungsbegriffs ist so allgegenwärtig, dass Arbeitsmarktflexibilisierung zu einem letztlich nichtssagenden Schlagwort verkommt, mit dem generell sozialer Wandel bzw. Veränderung zwar benannt, aber keinesfalls erklärt wird. Eine umfassende Theorie der Flexibilisierung auf Arbeitsmärkten steht bis dato noch aus. Was existiert, ist die zumeist empirisch geleitete Identifizierung und Beschreibung einer Vielzahl von Flexibilisierungsprozessen, die teilweise in arbeitsmarkttheoretischen Ansätzen aufgegriffen wurden. Beispiele dafür sind der Einbau von Flexibilisierung in die Effizienzlohntheorie oder in den Insider-Outsider-Ansatz, wo es jeweils um ein Abwägen zwischen Rigidität (Effizienzlöhne, Bedingungen der Insider) und Flexibilität (Position der Outsider) geht; flexible Arbeitsverhältnisse als Arbeitskräftepuffer oder das flexible Agieren mit Stammund Randbelegschaften u.a.m. (vgl. Mühlberger 2000 für einen Überblick).
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
betrieblicher Arbeitszeitverkürzung (z.B. 28,8 Stundenwoche bei VW in Deutschland, vgl. Seifert/Trinczek 2000) auch treffen können. Aus betrieblicher Sicht geht es hierbei zumeist um einen Abtausch von Arbeitszeit mit Beschäftigungssicherheit, aus makroökonomischer Sicht um die bessere Verteilung von Arbeit, d.h. um die Bekämpfung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit (vgl. Bosch 1996).56 Die Positionierung von Teilzeit in wenig attraktiven Arbeitsmarktsegmenten hat zur These der Arbeitsmarktsegmentierung über Beschäftigungsformen geführt hat (Kreimer 1999, Bergmann et al. 2003, 33ff). Die Spaltung in ein flexibilisiertes Segment mit risikoreicheren und tendenziell prekären atypischen Beschäftigungsverhältnissen einerseits und in ein Segment mit Normalarbeitsverhältnissen andererseits scheint dabei insbesondere den Frauenarbeitsmarkt zu betreffen und beruht neben den beschriebenen Flexibilisierungsprozessen auch auf Verstärkermechanismen unter Frauen: Gut qualifizierte Frauen mit hohen Einkommenskapazitäten können und müssen Hilfeleistungen für die Reproduktionsarbeit zukaufen und tragen damit zur Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse bei. Frauen am unteren Ende der Qualifikations- und Einkommensverteilung sind von den Flexibilisierungsprozessen doppelt betroffen: Sie können mangels umfassender Verfügbarkeit in räumlicher und zeitlicher Hinsicht um die attraktiven Teile des Arbeitsmarktes nicht konkurrieren, sind aber gleichzeitig „verfügbar“ für atypische Beschäftigungsverhältnisse (vgl. auch Holst/Maier 1998, Young 2001). Lässt sich auf der Basis vorhandener empirischer und theoretischer Analysen eine Theorie der Teilzeitarbeit identifizieren? Meines Erachtens muss diese Frage verneint werden. Die Vielfalt von Teilzeitstrategien in der industrialisierten Welt zeigt klar, dass Art und Ausmaß des Teilzeitsegments einer Volkswirtschaft nur im jeweiligen Kontext analysiert werden können. Dazu gehören nicht nur die wirtschaftlichen und arbeitsmarktrelevanten Rahmenbedingungen, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Organisation aller Formen von Arbeit – inklusive der unbezahlten Betreuungsarbeit. Damit ist das komplexe Wechselspiel zwischen Arbeitsmarktstrukturen, Sozialpolitik und institutionellen Bedingungen sowie auch dominanter Normen und Leitbilder57 zu berücksichtigen.
B
Teilzeitarbeit, Flexibilisierung und Geschlechterverhältnis
Teilzeitarbeit ist mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von rund 80% in der EU bzw. 86% bei den unselbständig Beschäftigten in Österreich ein hoch segregierter Frauenarbeitsbereich. Daraus resultiert der Gender Gap Arbeitszeit: Frauen sind im Schnitt deutlich weniger Stunden in bezahlten Beschäftigungsverhältnissen tätig als Männer. Konkret auf Österreich bezogen beträgt dieser Gender Gap Arbeitszeit gut acht Wochenstunden (siehe Kap. 3.5). Teilzeitbeschäftigung stellt allerdings zu einem gewissen Grad eine Alternative zur Nichterwerbstätigkeit dar, denn durch diese Beschäftigungsform wurde vielen Frauen erst ein Arbeitsmarktzugang eröffnet, der ihnen unter Vollzeitbedingungen nur schwer zugänglich gewesen wäre (vgl. die Beiträge in Klein 1997 und O’Reilly/Fagan 1998). Der Anstieg weiblicher Teilzeitbeschäftigung hat daher zum Rückgang des Gender Gap Be56 Die Argumentation läuft auch in die Gegenrichtung: 2006 wurde die Arbeitszeit bei VW wieder auf 33 Wochenstunden verlängert, um die Beschäftigung über Kosteneinsparungen sichern zu können. 57 Vgl. dazu beispielsweise die Gegenüberstellung von Deutschland und Finnland bei Pfau-Effinger 1998 und 1998a: Finnland hat aufgrund einer anderen Geschichte des Geschlechterarrangements keine Teilzeittradition.
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schäftigung deutlich beigetragen (sofern nicht der Beschäftigungsgap in Vollzeitäquivalenten betrachtet wird). Allein diese beiden empirischen Fakten zum Gender Gap – Teilzeitarbeit ist die zentrale Ursache des Gender Gap Arbeitszeit und zugleich ein wesentlicher Faktor für die Reduktion des Gender Gap Beschäftigung – zeigen die ambivalenten Aspekte von Teilzeitarbeit auf. Wenn wir als weiteren Faktor die Flexibilisierung als Ursache der Teilzeitarbeit hinzunehmen, wird die Analyse noch komplexer, ist doch Flexibilisierung selbst nicht als Strategie bzw. Prozess mit eindeutigen Ergebnissen oder Wirkungen einzuordnen.58 Versuchen wir vorerst zwei Fragestellungen zu isolieren, die sich der Thematik Teilzeitarbeit und Geschlechterverhältnis zuordnen lassen: Die erste Frage betrifft den Zusammenhang zwischen der Flexibilisierung und der Feminisierung des Arbeitsmarktes über Teilzeitarbeit; die zweite den Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Teilzeitarbeit und dem Geschlechterverhältnis. Rubery und Fagan (1994) stellen die Frage, ob die Feminisierung des Arbeitsmarktes (sichtbar in der gestiegenen Frauenerwerbstätigkeit) und die zunehmende Flexibilisierung in direkter Verbindung stehen, ob also Frauenerwerbsarbeit überwiegend flexible Arbeit in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen darstellt. Sie entwickeln einen Analyserahmen, der die vier relevanten Gruppen von Systemen enthält, die über vielfältige und komplexe Wege miteinander kommunizieren (Übersicht 3.1).59 Diese Interaktion der vier Systeme wirkt sich auf die Ausprägungen und Intensität der jeweiligen Arbeitsmarktflexibilisierung aus. Da Männer und Frauen in der Regel unterschiedliche Bedingungen in dem System vorfinden, sind sie auch von den Veränderungen in den Systemen bzw. der daraus resultierenden Dynamik unterschiedlich betroffen.60 Rubery und Fagan untersuchten mit diesem Analyserahmen für die damaligen 12 EULänder, ob die Feminisierung des Arbeitsmarktes direkt mit der Arbeitsflexibilisierung, insbesondere der atypischen Beschäftigung, verbunden ist. Sie stellen fest, dass zwar in allen Aspekten der Arbeitsmarktentwicklung in Europa Geschlecht eine zentrale Dimension darstellt und dass die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt eng mit neuen Beschäftigungsformen und –verhältnissen verbunden ist. Aber das sei kein einfacher Zusammenhang im dem Sinne, dass Frauen nur mehr als flexible und prekäre Arbeitsmarktreserve in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen Arbeitsmarktzugang hätten. Hier spielen auch sektorale Änderungen, die institutionellen Rahmenbedingungen, die spezifischen Regulierungen etc. mit: „the societal system shapes the form of integration of women into the economy“ (ebd., 163), und das in durchaus unterschiedlicher Weise in einzelnen Ländern. Daraus folgt unmittelbar: „policy matters“ (ebd., 163).
58
Einen ausführlichen Überblick liefert Kress 1998. Mühlberger (2000, 115ff) hat diesen Rahmen auf Österreich hin modifiziert und untersucht, was getan werden müsste, um eine „frauengerechte“ Regulierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse zu erreichen. 60 Ein Beispiel wäre der Zusammenhang von Mindestlohnvorschriften und Flexibilisierung: Wenn letztere stark über die Zielsetzung der Arbeitskosteneinsparung operiert, betrifft dies Arbeitskräfte mit geringen Arbeitsmarktressourcen besonders stark. Da nun gerade Frauen in Niedriglohnbranchen überproportional vertreten sind, sie aufgrund der Arbeitsmarktsegregation und sonstiger Barrieren schwer ausweichen können und aufgrund der niedrigen Löhne und aufgrund von Unterbrechungen in den sozialen Sicherungssystemen auf geringerem Niveau abgesichert sind, sind jene Faktoren in den vier Systemen, die die Minimalabsicherung im Arbeitsmarkt regulieren, von besonderer Bedeutung. Wenn es beispielsweise, wie in Österreich, keine Minimalabsicherung in der Arbeitslosenversicherung gibt, betrifft die Flexibilisierungsstrategie Teilzeit Frauen in Niedriglohnjobs mit hoher Fluktuation besonders stark. 59
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Übersicht 3.1: Institutioneller Analyserahmen der Beschäftigung
System der Arbeitsmarktregulierung
Industrielles System
Arbeitsmarktsystem
System der sozialen Reproduktion
Rechtliche Regulierung (Arbeitsrecht, Kollektivverträge, Fiskalsystem) Vertragliche Regulierung (Regulierung auf individueller bzw. Branchen- bzw. gesamtwirtschaftlicher Ebene, Regulierung auf Betriebsebene) Sektorale Rahmenbedingungen (Anteile der Sektoren, Betriebsgrößenverhältnisse, vertikale und horizontale Strukturen) Organisationspraktiken (ArbeitgeberInnenpolitik, Wettbewerbsstrategien, Beschäftigungsorganisation) Ströme zwischen unterschiedlichen Teilarbeitsmärkten sowie zwischen dem Erwerbsarbeitsmarkt und den angrenzenden Systemen wie dem Bildungssystem Familiäres und öffentliches Unterstützungssystem für Kinderbetreuung und bei Arbeitslosigkeit/Inaktivität Arbeitsteilung im Haushalt Normen in Bezug auf Partizipation
Quellen: Rubery/Fagan 1994, Mühlberger 2000. Ob die über den Gender Gap Arbeitszeit erwirkte Reduktion des Gender Gap Beschäftigung somit insgesamt eher positive Effekte auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen hat, Teilzeitarbeit also primär als Chance gesehen werden sollte, oder ob doch die Risken überwiegen, kann nicht allgemein beantwortet werden. So kommt beispielsweise Bollé (1997, 578) nach der Analyse der Frage, ob Teilzeitarbeit als solution or trap gesehen werden muss, zum offenen (und insofern wenig aussagekräftigen) Fazit: „If it is freely chosen and protected by law, part-time employment no doubt offers workers a good way of striking a balance between the time they must spend earning a living and the time they wish to devote to other activities.” Es ist nicht zielführend, Teilzeitbeschäftigung als abstraktes Ganzes hinsichtlich ihrer Auswirkungen bewerten zu wollen: Zum einen ist zwischen verschiedenen Formen der Teilzeit zu unterscheiden,61 zum anderen muss die Verankerung von Teilzeit in den skizzierten Systemen des Arbeitsmarktes (siehe Übersicht 3.1) verfolgt werden. Die Frage solution or trap lässt sich daher auch nur für einen spezifischen Kontext bzw. eine spezifische Problemstellung klären. In Kapitel 3.5 wird der Fokus auf die Gleichstellung der Geschlechter gelegt: Es wird untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen Teilzeit als beschäftigungspolitische Strategie unter den gegebenen Rahmenbedingungen in Österreich eine Chance für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt darstellen könnte. Die zweite Frage nach dem Zusammenhang von Teilzeitarbeit und Geschlechterverhältnis eröffnet ein komplexes Analysefeld. Innerhalb des arbeitsmarktökonomischen Kontextes kommt hier die bisherige Ausgestaltung von Teilzeit zum Tragen: Bedingt durch die Defizite im Bereich qualifizierter Teilzeitarbeit und vor allem im Bereich von Führungspo61
Für Österreich sei beispielsweise auf die geringfügig Beschäftigten verwiesen (siehe Kap. 2.2).
Der Gender Gap im ökonomischen mainstream: Theorie und Kritik
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sitionen in Teilzeit trägt diese Beschäftigungsform zur vertikalen Segregation am Arbeitsmarkt bei. Führungspositionen sind Machtpositionen, in denen der Gestaltungsspielraum über Faktoren wie Zeitsouveränität, Karrierechancen und Einkommensentwicklung definiert und gefüllt wird. Wenn diese Positionen gegenüber Teilzeitarbeitenden verschlossen bleiben, bleiben auch die Barrieren gegenüber qualifizierter Teilzeitarbeit aufrecht und gleichzeitig der über Teilzeit strukturierte Zugang zu Führungspositionen (siehe Kap. 3.5.2 für Hinweise). Um den Zusammenhang von Teilzeit und Geschlechterverhältnis in seiner ganzen Tragweite verstehen zu können, müssen wir die übliche arbeitsmarktökonomische Perspektive verlassen und den Zusammenhang zwischen Teilzeitarbeit und einer strukturell ungleichen Verteilung von Produktions- und Reproduktionsarbeit in die Analyse einbeziehen (Bergmann et al. 2003, 28ff). Erst unter Berücksichtigung der eingeschränkten Verfügbarkeit von Betreuungsarbeit leistenden Frauen für die Erwerbsarbeit kann jene scheinbar optimale „Passgenauigkeit“ vom Teilzeitangebot der Frauen und die Teilzeitnachfrage als Folgewirkung der asymmetrischen Arbeitsteilung, d.h. des Gender Gap Care, identifiziert werden. Und erst unter Berücksichtigung der von Betreuungsarbeit freigespielten, vornehmlich von Männern geleisteten Normalarbeit wird erkennbar, dass Teilzeitarbeit als davon abweichende atypische Beschäftigungsform das Kunststück zuwege gebracht hat, die Modernisierung des weiblichen Lebenslaufs62 bei gleichzeitiger Bewahrung der traditionellen Arbeitsteilung im Geschlechterverhältnis zu ermöglichen. Daraus zu schließen, dass der Anstieg weiblicher Teilzeitarbeit keine Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis gehabt hätte bzw. haben kann, wäre nicht korrekt. Die Norm am Arbeitsmarkt, das mehrheitlich den Männern vorbehaltene Normalarbeitsverhältnis, fungierte innerhalb eines geschlechtsspezifisch gespaltenen Arbeitsmarkts als Ausschlussmechanismus gegen Frauen (vgl. Kreimer 1999, Kreimer 2004a, Holst/Maier 1998). Die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen betraf demnach in der ersten Phase vornehmlich männliche Erwerbstätige, die sich mit der „Erosion“ des Normalarbeitsverhältnisses konfrontiert sahen. Dementsprechend gab und gibt es vorsichtig optimistische Stimmen von ArbeitsmarktökonomInnen, die sich von der zunehmenden Flexibilisierung ein Aufbrechen starrer Insider-Outsider-Strukturen erwarten und darin nicht nur Chancen für weibliche Erwerbstätige sehen, sondern ganz generell Chancen für die Neugestaltung von Arbeitsverhältnissen (im Sinne von mehr Zeitsouveränität, work-life-balance, etc.) – und dies insbesondere auch für Männer (vgl. z.B. Puchert et al. 2005). Daraus eröffnen sich Chancen für eine veränderte Arbeitsteilung der Geschlechter, Chancen auf eine Neuverteilung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit. Diesbezügliche Perspektiven zum Gender Gap Arbeitszeit werden im Kapitel 3.5 angesprochen, die Frage der Rolle von Teilzeit in einem langfristigen Szenario einer veränderten Arbeitsteilung der Geschlechter wird in Kapitel 5.3 erneut aufgegriffen.
62 Diese ist natürlich nicht nur über die Teilzeitarbeit erfolgt, sondern in entscheidendem Ausmaß über die Verlagerung unbezahlter Reproduktionsarbeit in den Markt bzw. in den Bereich öffentlich angebotener und/oder finanzierter Dienstleistungen (z.B. institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen). Auf diese Aspekte wird in Kapitel 4 näher eingegangen werden.
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3.2
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Gender Gap Beschäftigung Bestimmungsgründe der Nichterwerbstätigkeit63
Die Daten der Arbeitskräfteerhebung, die entsprechend dem Lebensunterhaltskonzept64 erhoben werden und daher auch eine minimale Präzisierung der Nichterwerbstätigkeit erlauben (siehe Kap. 2.1.3), zeigen, dass der Gender Gap Beschäftigung nur in einem minimalen Ausmaß durch unterschiedliche Muster an den Rändern des Erwerbslebens (Pension, Ausbildung) bedingt ist. Der zentrale Unterschied liegt in der Anzahl der haushaltsführenden Personen: 9.300 Männern (0,3% der männlichen Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter) stehen 354.500 Frauen oder 12,8% der Frauen im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Die Zuordnung zum Status „im Haushalt tätig“ lässt die Vermutung zu, es handle sich um ein Ergebnis im Sinne der mikroökonomischen Arbeitsangebotsentscheidung: Diese Frauen haben sich für die Spezialisierung auf Reproduktionsarbeit und gegen eine Erwerbsarbeit entschieden. Beruht der Gender Gap Beschäftigung daher auf der Präferenz der Frauen und ihrer Partner? Angesichts der auch in Österreich vorzufindenden Modernisierungstendenzen in Bezug auf die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen ist die quantitativ hohe Anzahl haushaltsführender Frauen doch verwunderlich: Gemäß der steigenden Berufsorientierung von Frauen (Cyba 1998; Auer 2000; Bosch 1998), der zunehmenden Bedeutung der Erwerbstätigkeit für den Zugang zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Cyba 2000) und dem finanziellen Druck in Richtung Doppelverdiener-Haushalte (Badelt 1998) müsste die neoklassische Präferenzannahme mehr an Bedeutung verloren haben, als dies aus dem Rückgang der Nichterwerbstätigkeit ersichtlich ist.65 Dazu kommt, dass nachfrageseitige Faktoren wie die sektorale und regionale Nachfrage nach Arbeitskräften, Arbeitslosigkeit, sowie institutionelle Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuungsangebot und öffentlicher Verkehr für die Arbeitsmarktchancen von Frauen sehr viel entscheidender geworden sein dürften (Kapeller et al. 1999).66 Gleichzeitig aber scheinen sekundärstatistische Daten die dominant weibliche Präferenz für eine zumindest phasenweise Nichterwerbstätigkeit klar zu bestätigen. So zeigen die 63 Dieser Abschnitt fasst die Ergebnisse mehrerer Arbeiten zusammen, die 1996 mit dem Projekt „Hemmnisse der Frauenerwerbstätigkeit“ ihren Ausgang nahmen: Kapeller et al. 1999 und 1999a, Kreimer/Leitner 2002, Kreimer/Leitner 2002a. Besonders hervorheben möchte ich den gemeinsam mit Andrea Leitner erstellten Artikel „Zwischen Wahlfreiheit und Problemdruck – Gründe für die Nichterwerbstätigkeit von Frauen“ (Kreimer/Leitner 2002). 64 Im Rahmen der Arbeitskräfteerhebung geben die Befragten selbst an, welcher sozialen Gruppe sie angehören: Erwerbstätig, Präsenz- bzw. Zivildiener, in Elternkarenz, arbeitslos, in Pension, haushaltsführend, SchülerIn bzw. Studierende, dauerhaft arbeitsunfähig, sonstiges. Die Zuordnung erfolgt nach dem Überwiegensprinzip. 65 Den Daten des Sozialen Survey entsprechend (siehe Kap. 3.4) sank der Anteil der im Haushalt tätigen Frauen an allen Frauen im erwerbsfähigen Alter von rund 35% 1986 auf 26% 1993 und weiter auf rund 17% 2003. Im Mikrozensus sank der Anteil von knapp 21% 1995 (vgl. Kapeller et al. 1999a) auf 15,5% 2003, bezogen hier auf die 15- bis 60-jährigen Frauen. 2006 betrug der Anteil knapp 13%. Dieser Rückgang ist allerdings nicht nur eine Folge steigender Erwerbstätigkeit, sondern auch gestiegener Inanspruchnahme von (Früh-)Pensionierungen und Ausbildung. 66 Für Österreich fehlt bis dato noch eine ausführliche ökonomisch-sozialwissenschaftliche Analyse der weiblichen Erwerbsentscheidungen, wie sie beispielsweise von Buchmann et al. 2002 für die Schweiz oder von Kurz 1998 für Deutschland mit Schwerpunkt auf die intensive Familienphase vorliegt.
Gender Gap Beschäftigung
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Antworten auf Einstellungsfragen zur Kinderbetreuung und Arbeitsteilung in der Familie weiterhin eine deutliche Präferenz für die Betreuung der Kinder durch die Mutter – und zwar stärker als dies in anderen europäischen Ländern gegeben ist (Beham/Haller 2005). Auch bei der Frage nach den Gründen der Nichterwerbstätigkeit des MikrozensusSonderprogramms „Haushaltführung – Kinderbetreuung“ dominierten familiäre Begründungen als ursächliche Motive für den Berufsausstieg (Kapeller et al. 1999a). In diesem Abschnitt geht es darum, auf der Basis eigener empirischer Erhebungen sowie durch Auswertungen sekundärstatistischer Daten des Mikrozensus die Hintergründe der Nichterwerbstätigkeit von Frauen in Österreich zu identifizieren. Zentrales Anliegen ist es, die der neoklassischen Arbeitsmarktökonomik folgende Begründung über die Familienpräferenz der Frauen aufzubrechen und die komplexen Interdependenzen arbeitsmarktbezogener und familiärer Einflussfaktoren auf die Erwerbsentscheidung darzustellen. Diesbezüglich sind in der Arbeitsmarktforschung Defizite vorhanden, weil der Einfluss der Familiensituation auf die Erwerbsbeteiligung sehr gut erforscht ist,67 zur Bedeutung arbeitsmarktspezifischer Faktoren im deutschsprachigen Raum jedoch erst wenige Befunde vorliegen. Mit diesem Abschnitt soll ein Beitrag zur Füllung dieser Lücke geleistet werden. Ergänzend werden im abschließenden Teil einige Überlegungen zu einer Theorie der Nichterwerbstätigkeit angestellt.
3.2.1 Ursachen der Nichterwerbstätigkeit – familiäre oder arbeitsmarktbezogene Gründe? Im Rahmen des Projekts „Hemmnisse der Frauenerwerbstätigkeit“ haben wir unter anderem nicht erwerbstätige Frauen nach den Gründen ihrer aktuellen Nichtteilnahme am Erwerbsarbeitsmarkt befragt (Kapeller et al. 1999), wobei wir uns am Mikrozensus-Sonderprogramm „Haushaltsführung – Kinderbetreuung“ vom September 1995 orientierten (Kapeller et al. 1999a). Die Frage nach den Motiven, also die vorgegebene Liste der möglichen Begründungen der Nichterwerbstätigkeit aus dem Mikrozensus, war lang und breit gestreut. Unsere Erwartung war, dass die von uns durchwegs als arbeitsmarktnah eingestuften Frauen in deutlichem Ausmaß arbeitsmarktbezogene Barrieren als Gründe angeben würden und wir damit zeigen könnten, welch breites Spektrum an Bestimmungsgründen hinter dem Status „Nichterwerbstätigkeit“ steckt. Für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ergeben sich schließlich ganz andere Schlussfolgerungen, je nachdem, ob eher objektive Arbeitsmarktbarrieren oder die objektiven oder subjektiven Bedingungen der Familienarbeit die zentralen Barrieren für eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen sind. Diese Erwartung wurde jedoch nicht erfüllt, im familiären Umfeld liegende Gründe dominierten bei weitem auch in unserer Untersuchung: 52% der Befragten gaben familiäre Gründe an, 20% Arbeitsmarktgründe, 6% gesundheitliche und 22% sonstige Gründe inklusive Ausbildung (Kapeller et al. 1999, 280).68 67
Für einen Überblick vgl. Buchmann et al. 2002. Die entsprechenden Werte aus der Mikrozensuserhebung betrugen: 44% familiäre Gründe, knapp 10% Arbeitsmarktgründe, je 23% gesundheitliche und sonstige Gründe inkl. Ausbildung. (vgl. Kapeller et al. 1999, 280). Befragt wurden nichterwerbstätige Frauen zwischen 15 und 60 Jahren. Insgesamt haben die meisten der befragten Frauen nur einen Grund angegeben (nur 24% gaben einen zweiten, 6% noch einen dritten Grund an), so dass leider auch nur dieser Hauptgrund zur Auswertung herangezogen werden kann. 68
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Neben der Dominanz der familiären Gründe insgesamt überraschte uns die hohe Angabe der „Präferenz“ für Kinderbetreuung und Haushalt insbesondere in unserer eigenen Erhebung: Fast ein Drittel der befragten Frauen ist aus „Freude und Interesse an der familiären Tätigkeit“ nicht erwerbstätig. Im Mikrozensus ist dieser Präferenzhintergrund zwar geringer, dafür schlagen die Präferenzen „der Familie“ durch, immerhin 10% der Frauen gaben den Wunsch des Gatten bzw. der Familie als Grund für ihre Nichterwerbstätigkeit an. Arbeitsmarktbezogene Gründe haben die von uns selbst befragten Frauen mit knapp 20% zwar öfters genannt als die Nichterwerbstätigen im Mikrozensus (knapp 10%), dennoch blieb der Wert weit hinter dem zurück, was wir erwartet hatten. Auf die Details der Auswertungen zur Frage nach den Motiven in beiden Erhebungen kann hier nicht eingegangen werden.69 Wir untersuchten folgende Thesen zur Erklärung der Dominanz familiärer Gründe: Konstruktion der Frage nach den Motiven: Es gab zwar je sechs Antwortmöglichkeiten zu familiären und arbeitsmarktbedingten Gründen, durch die Erstreihung der familiären Gründe mag deren Angabe naheliegender gewesen sein. „Leistbarkeit familiärer Gründe“ als Voraussetzung: Die Daten zeigten einen positiven Zusammenhang zwischen finanzieller Absicherung (z.B. Partner vorhanden und in höherer beruflicher Position) und der Angabe familiärer Gründe. Große reale Belastung durch Reproduktionsarbeit, sodass keine Erwerbsarbeit möglich ist: Diese Vermutung konnte nicht bestätigt werden, weil nicht erwerbstätige und erwerbstätige Frauen beispielsweise ähnlich viele Kinder haben.70 Wir stellten uns schließlich die Frage, ob sich für Frauen die Entscheidung zwischen arbeitsmarktbezogenen und familiären Gründen der Nichterwerbstätigkeit überhaupt in dieser Form stellt – handelt es sich um relevante Alternativen? Vor dem Hintergrund der ausgeprägten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (siehe Kap. 2.5), der dominierenden gesellschaftlichen Normen und Leitbilder, die Frauen noch immer den überwiegenden Teil der Reproduktionsarbeit zuschreiben, sowie der Internalisierungsprozesse im Verlauf der Sozialisation, in denen Frauen diese Normen und Leitbilder ganz oder teilweise verinnerlichen, ist diese „Wahl“ zwischen den angeblich gleichwertigen Alternativen „Beruf“ und „Familie“ zu hinterfragen. Zudem weisen sowohl die Vereinbarkeitsdebatten der jüngeren Vergangenheit als auch diverse Studien darauf hin, dass Frauen beides wollen: Beruf und Familie.71 Für die Beantwortung der Frage nach den Motiven mussten sie sich jedoch für einen Hauptgrund für ihre derzeitige Abwesenheit vom Arbeitsmarkt entscheiden. Unseres Erachtens ist es nicht zulässig, hier von Alternativen im Entscheidungsprozess zu sprechen. Wie könnte eine alternative Modellierung der Entscheidung aussehen? Wir kamen zum Schluss, dass Frauen ihre Erwerbsentscheidung tendenziell immer durch einen ”Filter” zu treffen scheinen, der in der Überlegung besteht, inwiefern eine Erwerbsarbeit auch mit ihren familiären Verpflichtungen vereinbar ist, und in der Folge tendenziell bei der Erwerbsarbeit zurück stecken oder gar keine Familie gründen. Männer haben im Unterschied zu Frauen diese doppelte Orientierung in der Regel nicht, und müssen daher auch in ihren 69
Vgl. Kapeller et al. 1999, 266ff und Kapeller et al. 1999a. Eine weitere These wäre folgende: Die Angabe familiärer Gründe ist für Frauen gesellschaftlich opportuner als die arbeitsmarkbezogener Gründe. Diese These konnten wir im Rahmen der vorliegenden Daten nicht ausreichend untersuchen. 71 Für eine Zusammenfassung der Debatte, die mit Studien wie „Eines ist zuwenig – beides ist zuviel“ von Becker-Schmidt et al. 1984 begann, vgl. Kortendiek 2004. 70
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Entscheidungen keine Widersprüche ausgleichen.72 Dieser Filter ist allerdings keine ausschließlich „familiäre Brille“: Obwohl die nicht erwerbstätigen Frauen zu allererst und zum größten Teil familiäre Hemmnisse für ihre Nichterwerbstätigkeit angeben, spielt auch hier die „Gelegenheitsstruktur“ (Merton 1996) des Arbeitsmarktes eine wesentliche Rolle. Frauen, die die Vereinbarkeitsproblematik soweit gelöst haben, dass sie wieder ins Berufsleben einsteigen wollen, werden mit der Arbeitsmarktlage und mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, erleben den Beruf als „Strukturgeber“ des weiblichen Lebenslaufs (Born 1994, Born et al. 1996). Wenn sich dann diese Arbeitsmarktfaktoren als hemmend bzw. unüberwindbar für den (Wieder-)Einstieg erweisen, kommt es zu Rückwirkungen auf den vorangegangenen Entscheidungsprozeß. Diese Überlegungen waren mit den uns vorliegenden Daten nur schwer zu überprüfen. Im Rahmen der Mikrozensusauswertung wurden einige Indizien gesammelt, die belegen, dass die Entscheidung zwischen Reproduktions- und Erwerbsarbeit keine Entscheidung zwischen gleichwertigen Alternativen darstellt. Zum einen haben Variablen, die eindeutig die familiären Gründe bestimmen, eher Einfluss auf die arbeitsmarktbedingten Gründe. Das offensichtlichste Beispiel ist die Zuständigkeit von Frauen für die Kindererziehung. Gerade Frauen, die am stärksten durch Kinderbetreuung belastet sind, nennen am ehesten Arbeitsmarktbarrieren für ihre Nichterwerbstätigkeit und im Verhältnis zu denjenigen, die sich die Kinderbetreuung mit anderen teilen können, relativ selten familiäre Gründe. Eine ähnliche Tendenz hat sich auch bei der Zuständigkeit für die Hausarbeit gezeigt. Die Zuständigkeit für den Haushalt hat keinen Einfluss auf die Angabe von arbeitsmarktbedingten Gründen, trotzdem konnte gezeigt werden, dass nicht diejenigen Frauen, die ganz allein für den Haushalt zuständig sind, am häufigsten familiäre Gründe nennen, sondern diejenigen, die überwiegend allein den Haushalt führen, eher familiäre Gründe für die Nichterwerbstätigkeit nennen. Auch die umgekehrte Tendenz lässt sich feststellen: Variablen, die erwartungsgemäß die Arbeitsmarktchancen beeinflussen müssten, wirken stärker auf die Angabe von familiären Gründen. Variablen, die im engsten Sinn die Arbeitsmarktchancen bestimmen müssten, wie Qualifikation oder frühere berufliche Stellung, beeinflussen stärker die Angabe von familiären Gründen. Diese gegenseitige Beeinflussung von arbeitsmarktbedingten und familiären Gründen kann als Indiz dafür gewertet werden, dass sich für Frauen in der Realität die Entscheidung zwischen primär arbeitsmarktbedingten oder primär familiären Gründen nicht in dieser Form stellt. Im Sinne des von Kurz (1998) vorgestellten erweiterten Entscheidungsmodells (siehe Kap. 3.1) könnte die Beantwortung der Frage nach den Motiven auch als Ausdruck entsprechender frames interpretiert werden. Insbesondere dürfte das Leitbild, wonach eine „gute Mutter“ in den ersten Lebensjahren des Kindes eine „nicht erwerbstätige Mutter“ ist, relativ unabhängig von den sonstigen Rahmenbedingungen wirken.73 Habits, Handlungsroutinen vor dem Hintergrund institutioneller Regeln und Rahmenbedingungen, ersetzen bzw. verdrängen fundierte Kosten-Nutzen-Überlegungen, wenn beispielsweise über die Ausgestal72
Zum Konzept der „Doppelten Vergesellschaftung“ von Frauen vgl. Becker-Schmidt 1987 und 2004. Vgl. Kurz 1998 für Deutschland. Für Österreich liegen Auswertungen aus dem Sozialen Survey 1986, 1993 und 2003 vor, die zeigen, dass die Ablehnung der Erwerbstätigkeit von Müttern bzw. die Zustimmung zum traditionellen Rollenmodell zwar kontinuierlich sinkt, aber immer noch recht hoch ist (Beham/Haller 2005). Zwar ergeben sich in Abhängigkeit von soziodemographischen Merkmalen Unterschiede in den Einstellungen, die ebenfalls auf eine Auflösungstendenz traditioneller Leitbilder schließen lassen. Allerdings ging es bei diesen Befragungen um die grundsätzliche Einstellung der Erwerbstätigkeit von Müttern, das Leitbild der innerfamiliären Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren dürfte noch deutlich veränderungsresistenter sein.
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tung des Mutterschutzes bzw. der Karenzzeit Phasen der Nichterwerbstätigkeit zum Teil vorgeschrieben, zum Teil insbesondere über Förderungen nahegelegt werden. Das geringe Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren stützt das framing der nicht berufstätigen Mutter.74 Andere frames, wie der einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch im Kleinkindalter oder der einer erfolgreichen Berufskarriere trotz Mutterschaft sind in der gegenwärtigen Situation nicht dominant und kommen daher in der Beantwortung auch nicht zum Ausdruck. Leider liegt bis dato kein Datensatz vergleichbar dem Sozioökonomischen Panel in Deutschland für Österreich vor, um ein solches erweitertes Entscheidungsmodell empirisch zu überprüfen. Für uns waren die Ergebnisse der Frage nach den Motiven der Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit den Bestimmungsgründen der Nichterwerbstätigkeit von Frauen, die mit dem gemeinsam mit Andrea Leitner verfassten Artikel „Zwischen Wahlfreiheit und Problemdruck – Gründe für die Nichterwerbstätigkeit von Frauen“ ihren vorläufigen Abschluss fand und in den folgenden Abschnitten zusammengefasst wird.
3.2.2 Determinanten der Nichterwerbstätigkeit von Frauen – der objektive Rahmen Im Projekt „Hemmnisse der Frauenerwerbstätigkeit“ stand uns auf der Basis von drei Erhebungen75 reichhaltiges Material zur Verfügung, um objektive Determinanten der Nichterwerbstätigkeit zu identifizieren. Auffallend war die Fülle unterschiedlicher Einschränkungen der Arbeitsmarktteilnahme: Bei kaum einer Frau ließ sich ein Hemmnis als das entscheidende Hemmnis identifizieren, immer waren es mehrere Faktoren, die ineinander griffen und sich oft noch gegenseitig verstärkten. Je nach Region und spezifischer Lebenslage der Frauen ergaben sich Konstellationen von Hindernissen, deren Komplexität es kaum erlaubt, die aktuelle Nichterwerbstätigkeit als das Ergebnis eines einfachen, rationalen Entscheidungsprozesses für oder gegen die Arbeitsmarktpartizipation interpretieren zu können. Die Geschichte der Frau K. (Kapeller et al. 1999, 287ff) zeigt diese Komplexität weiblicher Erwerbsentscheidungen in eindrucksvoller Weise als Reflexion der betroffenen Frauen: Im Rahmen von Gruppendiskussionen haben Frauen den fiktiven Lebenslauf der Frau K. konstruiert. Die Muster in den einzelnen Diskussionen waren durchaus vielfältig, aber die Fallen und objektiven wie auch subjektiven Barrieren waren sehr ähnlich. Zwei Aspekte sind aus einer entscheidungstheoretischen Perspektive bemerkenswert: Die Diskutantinnen waren sich darin einig, dass es Frauen in ihrer Lebensgestaltung nicht leicht haben. Die immer wieder auftretenden Widersprüche zwischen beruflichen und familiären Wünschen und Anforderungen führten in allen Geschichten zu einem unbefriedigenden Ergebnis in dem Sinn, als sich die Pläne der Frau K. nicht erfüllten und etwas im Leben zu kurz kam. Dies wies auf die Vielzahl von Barrieren und Restriktionen hin, die zudem zueinander in Beziehung stehen. Frau K. traf nicht am Beginn ihrer Karriere die Erwerbsentscheidung, die sie dann durch ihre Erwerbs- oder auch familiäre Karriere hindurch verfolgte, sondern sie musste immer wieder neue Entscheidungen treffen, unter jeweils geänderten Rahmen74
Daten zum Kinderbetreuungsangebot in Österreich finden sich in Kapitel 4.2. Im Rahmen des Projekts wurden Tiefeninterviews gemacht, eine quantitative Erhebung durchgeführt und Gruppendiskussionen begleitet.
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bedingungen und auch unter geänderten eigenen Präferenzen. Es gab nicht die Erwerbsentscheidung, sondern eine ganze Sequenz davon. Insbesondere Letzteres verweist auf die Defizite der statischen Analyse weiblicher (und nicht nur dieser) Erwerbsentscheidungen in der neoklassischen Arbeitsmarktökonomik.
A
Probleme mit Mobilität - Ein Stück aus dem Hemmnisse-Puzzle
Mobilität ist als mögliches Hemmnis in unterschiedlichen Kontexten immer wieder aufgetaucht. Alle Individuen sehen sich steigenden Anforderungen diesbezüglich gegenüber, und zwar sowohl im örtlichen Kontext (geographische Mobilität, Arbeitsort, Arbeitswege) als auch im zeitlichen Kontext (Flexibilisierung der Arbeitszeit). Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen bedingen ein zunehmendes Maß an individuell umfassender Verfügbarkeit für den Arbeitsprozess, Anforderungen, denen nur von Betreuungspflichten weitgehend „freie“ ArbeitnehmerInnen relativ leicht nachkommen können (Kreimer 1998).76 Aus der Sicht des Arbeitsmarktes sind Betreuungspflichten ein klares Mobilitätshemmnis, das durch die Einstellung von Personen mit geringem Risiko der Belastung durch Betreuungspflichten umgangen werden kann. Im Kontext arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen führen Betreuungspflichten unter bestimmten Bedingungen zur Einstufung in die Kategorie „schwer vermittelbar“: 1998 waren 45% der arbeitslosen Frauen und knapp 24% der Männer als schwer vermittelbar eingestuft. Knapp 64% der weiblichen, aber nur 8% der männlichen schwer vermittelbaren Arbeitslosen hatten Mobilitätsbeschränkungen. In Relation zu allen Arbeitslosen waren dies 29% der Frauen und 2% der Männer.77 Anhand der Studienergebnisse lässt sich zeigen, was diese Mobilitätsbeschränkung ganz konkret bedeutet und dass Kinderbetreuung bzw. allgemeiner die Zuschreibung der Verantwortung für die familiäre Betreuungsarbeit an Frauen generell zwar ein wesentlicher, aber eben nicht der einzige Faktor ist, der die Mobilität von Frauen beeinflusst. Wir fanden folgende Rahmenbedingungen von Mobilitätsproblemen: Das fehlende Mobilitätsmittel: „Ohne Auto bist erschossen“ In den beiden ländlichen Regionen Jennersdorf und Voitsberg78 trafen wir häufig auf folgende Konstellation: Frauen haben kein eigenes Auto zur Verfügung, das vorhandene Auto braucht der Mann für die Fahrt zur Arbeit. Der Grundtenor der Frauen in diesen Regionen lautet daher: „Ohne Auto bist erschossen. Vor allem, wenn’st ein Kind hast“ (Kapeller et al. 1999, 206). Für erwerbstätige Frauen ergeben sich aus der notwendigen gemeinsamen Nutzung des einen Autos komplexe Tagesabläufe mit genauen Plänen, wer wen wohin bringt und wieder abholt. Meistens funktionieren diese Abläufe nur in Kombination mit einer Teilzeitbeschäftigung, ganztags wäre ein Zweitauto notwendig. Nach Meinung der Wirt76
Erwerbstätige mit betreuungsbedürftigen Kindern müssen nicht nur für beide Lebensbereiche, Beruf und Familie, verfügbar sein, sondern auch noch die teilweise widersprüchlichen Anforderungen an ihre Verfügbarkeit (Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen vs. Betriebs- und Arbeitszeiten; Schulferien vs. Betriebsferien etc.) koordinieren. 77 Vgl. Leitner/Wroblewski 2000, 28. Die Daten werden in der Arbeitsmarktstatistik nicht mehr ausgewiesen. 78 Im Rahmen des Projekts wurden vier Regionen untersucht: Neben Jennersdorf im Burgenland und Voitsberg in der Weststeiermark waren dies ein Bezirk in Wien und Bludenz in Vorarlberg. Zur Regionsauswahl und zur Beschreibung der regionalen Rahmenbedingungen vgl. Kapeller et al. 1999.
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schaftsexpertInnen wäre schon für die Arbeitssuche ein Zweitauto notwendig – ArbeitnehmerexpertInnen halten dem entgegen, dass die Anschaffung eines solchen gerade für arbeitslose Frauen nicht möglich ist (ebd., 163). Dieses Mobilitätsmittelproblem besteht auch unabhängig vom Vorhandensein von Kindern. Es folgt aus der im Verhältnis zur Ernährerposition des Partners tendenziell nachrangigen Position von Frauen bzw. aus der schwachen Einkommensposition von Frauen, die den Erwerb und den Betrieb eines Zweitautos in der familiären Kosten-Nutzen-Relation als unrentabel erscheinen lassen. Die regionalen Gegebenheiten, insbesondere Defizite des öffentlichen Verkehrs, können diese Problemlage verschärfen.79 Zu viele Wege: „ Zwei Kinder und drei Wege zweimal täglich“ Auch wenn den Frauen ein Auto zur Verfügung steht, ist die Mobilität nicht immer einfach zu bewältigen, wenn zwei Kinder in unterschiedliche Betreuungseinrichtungen (Kindergarten, Schule) gebracht werden müssen, die Arbeitsstelle in einem anderen Ort liegt und das Ganze auch wieder retour durchgeführt werden muss (ebd., 206). Hier liegt die Begrenzung letztlich in der Zeit: Die vielen Wege sind nur mit einer Teilzeitarbeit – nach Möglichkeit am Vormittag - vereinbar. Zu lange Wege: „Der Preis des Pendelns“ Frauen im Burgenland haben Erfahrungen mit allen Arten des Pendelns, insbesondere auch mit dem Wochenpendeln. Sie erleben die lange Abwesenheit des Partners als soziales Problem, als Ausgangspunkt für Konflikte: „Pendeln hat schlimme Folgen für die Kinder und Frauen. Aber auch für die Männer, sie sind am Wochenende fix und fertig, die Kinder müssen ruhig sein, und die Frauen müssen in einem Tag alles waschen und bügeln, die Ehen scheitern. Der Lohn der Männer ist hoch, die Frauen müssen nicht arbeiten gehen, aber für die Frauen ist der Preis zu hoch“ (ebd., 312). Wenn Frauen selbst in dieser Art pendeln, schadet das der Beziehung: „Eine solche Beziehung ist nicht möglich” (ebd., 300). Auf die Frage, was die Chancen der Frauen auf einen gewünschten Arbeitsplatz einschränken könnte, wird am häufigsten „es gibt keinen geeigneten Arbeitsplatz in der Nähe“ genannt (ebd., 236). Nicht nur das begrenzte regionale Arbeitsplatzangebot, auch das Angebot an höheren Ausbildungsgängen verlangt nach Mobilität und damit nach Pendeln. Wenn Mädchen weder wegziehen noch pendeln wollen, bleibt ihnen nur der Verzicht auf eine höhere Ausbildung. Aus einer unkritischen Anwendung der Humankapitaltheorie heraus könnte diese Anpassungsleistung der Mädchen als rationale Entscheidung vor dem Hintergrund ihrer Präferenz, in der Region bleiben zu wollen, gesehen werden. Tatsächlich ist jedoch das begrenzte regionale Ausbildungsangebot Teil der Restriktionen, unter denen die Entscheidungen getroffen werden – Restriktionen, denen sich Mädchen in größeren Städten nicht ausgesetzt sehen. Ähnliches gilt für Weiterbildungs- und Umschulungsangebote: „Bei uns direkt gibt es sowieso keine Kurse. Müsste ich wieder weiter weg, und da müsste ich die Kinder wieder alleine lassen“ (ebd., 200). In der quantitativen Erhebung gaben jeweils ein rundes Viertel der Frauen an, sie hätten ihre Ausbildungsentscheidung anders getroffen, wenn es mehr 79
Dies betraf vor allem Jennersdorf und Voitsberg. Das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel stellt in Wien im Allgemeinen kein Mobilitätsproblem dar. Bludenz ist eine einkommensstärkere Region, so dass sowohl die Zweitauto-Frage weniger problematisch ist als auch das öffentliche Verkehrssystem besser ausgebaut wurde. Dies zeigt einmal mehr die Multidimensionalität weiblicher Erwerbsbarrieren.
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Schulen in der näheren Umgebung gegeben hätte bzw. wenn eine bessere Verkehrsanbindung vorhanden gewesen wäre. Mobilität und flexible Arbeitsverhältnisse: „Am besten immer verfügbar sein....“ Gerade die in ländlichen Regionen für Frauen verfügbaren Arbeitsplätze im Gastgewerbe und im Handel sind von Flexibilisierungstendenzen besonders betroffen und erfordern ein hohes Ausmaß an Mobilität: „Sie hat mich immer erst in der Früh angerufen um neun oder halb zehn und gesagt, kommst heut zu Mittag“ (ebd., 203). Angesichts solcher Arbeitsbedingungen ist es nicht verwunderlich, wenn diese Jobs aufgegeben werden: „Ich habe um fünf am Nachmittag angefangen und bin um drei, vier heimgekommen. Die Wochenenden waren so, dass ich am Samstag wieder angefangen habe um drei Uhr Nachmittag, habe durchgearbeitet wieder bis vier, fünf in der früh und habe am Sonntag wieder um zehn am Vormittag angefangen“ (ebd., 187). In diesem Kontext müssen nicht nur die Frauen selbst höchst flexibel und mobil sein und – sofern sie eine Familie haben - über Organisationstalent verfügen, sie treffen auch noch in besonderem Maße auf die inflexiblen Strukturen außerhalb des Arbeitsmarktes, beispielsweise bei der institutionellen Kinderbetreuung. Zudem bringen diese Beispiele sehr klar zum Ausdruck, dass Arbeitsverhältnisse von Frauen in einigen frauendominierten Bereichen am absolut untersten Rand der Arbeitsmarkthierarchie angesiedelt sind, ohne individuelle Verhandlungsmacht, aber oft auch ohne kollektive Vertretungsmacht (vgl. Wenger et al. 1995). Wenn Frauen die hohen Mobilitätsanforderungen in „frauentypischen“ Berufen nicht erfüllen können, haben sie kaum eine Alternative zur Nichterwerbstätigkeit. Die Interviews mit den Arbeitsmarktexpertinnen brachten zu Tage, dass gerade Frauen in typischen „Frauenberufen“ (Gastgewerbe, Handel) wenig Chancen haben im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik umgeschult zu werden – schließlich gibt es in diesen Sektoren eine entsprechende Arbeitsnachfrage. Umschulungen auf eigene Kosten scheitern nicht nur am Geld, sondern auch am regionalen Bildungsangebot, das auf die "offiziellen" Anforderungen der Arbeitsmarktpolitik hin ausgerichtet ist und vor allem von dieser beschickt wird. Die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten in den städtischen Zentren setzt wieder ein hohes Ausmaß an Mobilität – Pendeln - voraus. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Mobilität ist ein potenzielles Hemmnis, das erst unter bestimmten Rahmenbedingungen zu realen Beschränkungen führt. Frauen sind darin häufiger zu finden und haben daher häufiger als Männer Mobilitätsprobleme. Zu diesen Konstellationen zählen die asymmetrische Arbeitsteilung, die Frauen die Kinderbetreuung zentral zuweist, die „Dazuverdienerinnen“-Position von Frauen, die Investitionen in weibliche Karrieren und notwendige Rahmenbedingungen (z.B. Zweitauto) kaum rentabel erscheinen lässt, flexible Arbeitsverhältnisse in „frauentypischen“ Bereichen und nicht zuletzt der Gender Pay Gap, der Mobilität für Frauen relativ teurer macht als für Männer.
B
Welche Einflussfaktoren bestimmen das „Risiko der Nichterwerbstätigkeit“?
Die Studie „Hemmnisse der Frauenerwerbstätigkeit“ liefert ein umfangreiches Bild von Arbeitsmarktbarrieren. Gerade aber auch angesichts dieser Vielzahl von Faktoren erschien es uns letztendlich nicht zielführend, diese Komplexität auf einige wenige Faktoren zu
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komprimieren. Aus einer ökonomisch-theoretischen Perspektive heraus bleibt allerdings diese deskriptive Darstellung unbefriedigend. Wir haben daher in einem nächsten Schritt (Kreimer/Leitner 2002) auf der Basis von Mikrozensusdaten versucht, über die Berechnung des „Risikos der Nichterwerbstätigkeit“ jene Einflussfaktoren zu identifizieren, die den Gender Gap Beschäftigung mit verursachen. Es sei angemerkt, dass mit einer solchen Quantifizierung der Preis des Informationsverlusts verbunden ist (z.B. sind obige Erkenntnisse zur Mobilität aus dem Risikoindex der Nichterwerbstätigkeit nicht mehr ableitbar), dafür erleichtert die Komprimierung Verbindungen sowohl zur Politik (was müsste geschehen...) als auch zu den theoretischen Ansätzen herzustellen.80 Das Mikrozensus-Sonderprogramm „Haushaltsführung – Kinderbetreuung“ vom September 1995 liefert in Kombination mit dem Grundprogramm des betreffenden Mikrozensus sowohl für nicht erwerbstätige als auch für erwerbstätige Frauen eine Reihe von Informationen zu ihren arbeitsmarktrelevanten und familiären Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, den Einfluss der Lebenssituation auf die Erwerbsentscheidung einzuschätzen. Um möglichst arbeitsmarktnahe Nichterwerbstätige zu untersuchen, haben wir nur Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren einbezogen, die bei der Lebensunterhaltsfrage im Mikrozensus angegeben haben, im Haushalt tätig, arbeitslos oder aus einem sonstigen Grund nicht erwerbstätig zu sein.81 Wir untersuchten zwei Fragestellungen: Wieweit unterscheiden sich erwerbstätige Frauen von den nichterwerbstätigen Frauen in ihrer Lebenssituation? Lassen sich daraus Schlussfolgerungen über den Einfluss von familiären und arbeitsmarktspezifischen Hemmnissen der Erwerbstätigkeit ziehen? Kommen die objektiven Erwerbsbarrieren der Frauen in ihren eigenen Begründungen ihrer Nichterwerbstätigkeit zum Ausdruck, oder sind die Begründungen durch andere Faktoren überlagert (siehe Kap. 3.2.4)? Die arbeitsmarktrelevanten Einflussfaktoren wurden über die Indikatoren82 höchste abgeschlossene Ausbildung, Bundesland, Gemeindegröße, regionale Frauenarbeitslosenquote, Alter und Nationalität abgebildet, sowie familiäre Einflussfaktoren über die Kinderzahl jünger als sechs Jahre, die Kinderanzahl jünger als 15 Jahre, die Kinderanzahl gesamt, Mithilfe bei Hausarbeit und Mithilfe bei Kinderbetreuung, Zuständigkeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung, Familienstand und die berufliche Stellung des Partners abgebildet. Bei
80 Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig methodischer Pluralismus (nicht nur) in der Geschlechterforschung ist. Erst die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden, von Sekundärstatistiken und Primärerhebungen ergibt ein annähernd realistisches Bild der zu untersuchenden ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. 81 Um den Fokus der Fragestellung tatsächlich auf die Partizipationsentscheidung zu legen, wurden neben Schülerinnen, Studentinnen und Pensionistinnen alle nicht erwerbstätigen Frauen über 49 Jahre aus der Analyse ausgeschlossen. Von den 996.100 nicht erwerbstätigen Frauen waren 1995 knapp 210.000 Schülerinnen und Studentinnen und rund 165.000 Pensionistinnen. Durch die Altersbegrenzung fielen nochmals rund 177.000 Frauen aus der Auswertung heraus, sodass insgesamt 445.000 nicht erwerbstätige Frauen in die Untersuchung eingingen. Zur Gesamtauswertung vgl. Kapeller et al. 1999a, Hammer 1997b. Frauen in Karenz konnten aufgrund der Fragestellung des Mikrozensus nicht in die Untersuchung einbezogen werden. 82 Die Verwendung der Mikrozensusdaten legt den theoretischen Ansprüchen einige Beschränkungen hinsichtlich der arbeitsmarktrelevanten und familiären Einflussfaktoren auf. Insbesondere bestehen Defizite bei der Abbildung der Arbeitsmarktchancen. So stehen uns keine adäquaten Daten zur Berufslaufbahn bzw. zur früheren Stellung im Beruf und zum Einkommen zur Verfügung.
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allen Indikatoren wurden die erwerbstätigen Frauen den Nichterwerbstätigen gegenübergestellt und aus der jeweiligen Differenz Risikowerte der Nichterwerbstätigkeit berechnet.83 Die nicht erwerbstätigen Frauen sind in einem wesentlich höheren Ausmaß als die erwerbstätigen in einer schwierigen Arbeitsmarktsituation:84 65% gegenüber 47% weisen hohe Risikowerte bei den Arbeitsmarktfaktoren auf. Bei den familiären Faktoren kommt der Unterschied zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen noch deutlicher heraus (67% gegenüber 32% bei den hohen Belastungen). Anders ausgedrückt: Jeweils rund zwei Drittel der Nichterwerbstätigen sind mit erhöhten Problemen am Arbeitsmarkt bzw. einem hohen Ausmaß familiärer Arbeit konfrontiert. Dieses Ergebnis ist in zweifacher Hinsicht interessant: Es ist zum einen ein klares Indiz dafür, dass die Nichterwerbstätigkeit von Frauen nicht (nur) auf ihren Wünschen beruht, sondern auch in der objektiven Situation am Arbeitsmarkt und in den Familien begründet ist. Zum anderen ist es keinesfalls zulässig, weibliche Nichterwerbstätigkeit nur als Folge familiärer Rahmenbedingungen zu sehen. Bei den erwerbstätigen Frauen zeigt sich ein überraschend kleiner Unterschied zwischen jenen mit hohen arbeitsmarktspezifischen Risikowerten (47%) und jenen mit niedrigen Belastungen (53%), während die familiäre Dimension erwartungsgemäß eine geringere Rolle spielt: nur 32% der erwerbstätigen Frauen weisen hohe familiäre Belastungen auf. Insgesamt zeigt sich somit eine höhere Reagibilität der Erwerbsbeteiligung auf familiäre Faktoren als auf arbeitsmarktspezifische Einflüsse. Diese Asymmetrie der familiären und arbeitsmarktspezifischen Einflussfaktoren verstärkt das Interesse für die Frage, wie diese beiden Dimensionen zusammenhängen.
C
Verknüpfung der arbeitsmarktspezifischen und familiären Einflussfaktoren
Die gemeinsame Berücksichtigung von arbeitsmarktrelevanten und familiär bedingten Risikowerten lässt sich anhand eines Vier-Felder-Rasters darstellen (Abbildung 3.1), das auf Basis der normierten Risikowerte entwickelt wurde.85 Demnach bilden die Felder 1 und 4 mit geringen bzw. hohen familiären und arbeitsmarktrelevanten Erwerbsrisiken die zwei Gegenpole, die in unterschiedlicher Weise von den erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen dominiert werden: Deutlich mehr erwerbstätige als nicht erwerbstätige Frauen sind beidseitig gering belastet, deutlich weniger haben auf beiden Dimensionen hohe Risikowerte. Nur ein sehr kleiner Anteil der nicht erwerbstätigen Frauen (12% oder 54.000 Frauen) weist geringe arbeitsmarktrelevante oder familiär bedingte Risiken auf. Knapp die Hälfte ist
83
Vgl. Kreimer/Leitner 2002 für die Details. In dem Artikel werden auch alle Indikatoren aufgelistet, in denen die Unterschiede zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen zur Zuweisung eines Risikowertes geführt haben. Zudem wird die jeweilige Stärke des Einflusses kommentiert. 84 Da die Einflussfaktoren sehr unterschiedlich skaliert sind, werden die Messgrößen zu 0-1-skalierten Merkmalen zusammengefasst. Die Dichotomisierung der Variablen erfolgt in der Weise, dass bei einer relativen Differenz von mehr als 20% dem Indikator ein Risikowert (RW) von 1 zugewiesen wird, bei einer negativen Differenz von mindestens –20% der RW 0; besteht ein geringerer Unterschied zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen, bleibt der RW indifferent mit 0,5. 85 Um Frauen hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Gesamtbelastung bei arbeitsmarktbezogenen und familiären Faktoren unterscheiden zu können, werden alle Risikowerte der jeweiligen Dimensionen addiert und nach der Anzahl der betrachteten Indikatoren normiert. Für jede der untersuchten Frauen kann somit ein Risikowert zwischen 0 und 1 auf der Arbeitsmarktdimension und auf der familiären Dimension ermittelt werden, der bis inklusive einem Wert von 0,5 als niedrige, darüber als hohe Belastung klassifiziert wird.
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hingegen „doppelt belastet“, d.h. zeigt in beiden Dimensionen hohe Belastungen (45% oder über 200.000 Frauen). Abbildung 3.1:
Kategorien arbeitsmarktspezifischer und familiärer Erwerbshemmnisse
gering hoch
Familiär bedingte Risikowerte der NET
Arbeitsmarktrelevante Risikowerte der Nichterwerbstätigkeit (NET) gering
hoch
Feld 1: Geringe Einschränkungen der Erwerbschancen durch Familie bzw. durch schlechte Beschäftigungschancen
Feld 2: Arbeitsmarktprobleme (individuell bedingte Berufsbarrieren, regionale Gegebenheiten) verhindern oder beschränken Erwerbstätigkeit
NET: 12%
NET: 20%
ET: 36%
ET: 32%
Feld 3: Familiäre Situation bzw. die innerfamiliäre Arbeitsteilung erschweren oder verhindern Erwerbstätigkeit
Feld 4: Sowohl familiäre Belastungen als auch Arbeitsmarktprobleme erschweren oder verhindern Erwerbstätigkeit
NET: 23%
NET: 45%
ET: 17%
ET: 15%
Anmerkungen: Risikowerte (RW) der Nichterwerbstätigkeit „gering“: RW <= 0,5 bzw. „hoch“: RW > 0,5. NET: Nichterwerbstätige Frauen; ET: Erwerbstätige Frauen. Quellen: Mikrozensus September 1995, Kreimer/Leitner 2002, 17. Die Verknüpfung von arbeitsmarktrelevanten und familiären Faktoren bringt zwei interessante Erkenntnisse für die Nichterwerbstätigkeit. Jeweils zwei Drittel der Nichterwerbstätigen weisen auf den einzelnen Dimensionen hohe Risikowerte auf. Die Verschränkung der beiden Bereiche zeigt, dass für wiederum rund zwei Drittel dieser Frauen die hohen Belastungen auf beiden Dimensionen gleichzeitig auftreten. Die weibliche Nichterwerbstätigkeit ist daher häufig von einer Kumulation schwieriger Bedingungen gekennzeichnet (Kapeller et al. 1999). Bei der getrennten Betrachtung der beiden Bereiche wurde eine stärkere Reagibilität der Erwerbsbeteiligung auf familiäre Faktoren festgestellt, sichtbar im deutlich größeren Unterschied zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen bei familiären Risikowerten. Diese Unterschiede verringern sich bei der gemeinsamen Analyse deutlich in jenen Fällen, in denen ein Problembereich als dominant gesehen wird (Feld 2 und 3). Dies deutet darauf hin, dass Frauen mit guten Beschäftigungsvoraussetzungen (chancenreiche Ausbildung und Arbeitsmarktlage) die Vereinbarkeitsprobleme von Beruf und Familie eher bewältigen bzw. bei Unterstützung in der Familienarbeit eher Arbeitsmarktdefizite ausgleichen können.
Gender Gap Beschäftigung
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3.2.3 Nichterwerbstätigkeit im Zusammenspiel objektiver und subjektiver Faktoren Sowohl im Mikrozensus 1995 als auch im Projekt „Hemmnisse der Frauenerwerbstätigkeit“ wurden Frauen nach den Gründen ihrer Nichterwerbstätigkeit befragt. Die Berechnung der Risikowerte der Nichterwerbstätigkeit sowie die Kategorisierung unterschiedlicher objektiver Belastungen der Frauen in den vier Feldern kann nun im Kontext mit dieser subjektiven Dimension der Begründungen der Nichterwerbstätigkeit Aufschluss über das Zusammenspiel objektiver Faktoren und subjektiver Begründungen geben.
A
Begründungen der Nichterwerbstätigkeit
In der Tabelle 3.1 werden die Antworten der untersuchten Teilpopulation der nicht erwerbstätigen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren (ohne Pensionistinnen und ohne Schülerinnen/Studentinnen) auf die Frage nach den Motiven für Nichterwerbstätigkeit angegeben. Tabelle 3.1: Begründung der Nichterwerbstätigkeit (Mikrozensus 1995-3) absolut Familiäre Gründe - eigener Wunsch Freude, Interesse an Kinderbetreuung / Haushaltsarbeit Um genug Zeit für mich selbst u. meine Interessen zu haben Familiäre Gründe - Wunsch anderer Wunsch des Gatten bzw. der Gattin, der Familie Familiäre Gründe – Notwendigkeit Zuviel Arbeit im Haushalt / mit den Kindern Keine geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für Kinder Pflege von kranken u. betreuungsbedürftigen Erwachsenen (z.B. Eltern, Ehegatte/-gattin, andere Verwandte) Arbeitsmarktgründe Kein Arbeitsplatz in meiner Region, obwohl ich fast jede Arbeit annehmen würde Arbeitsplatz entspricht nicht meiner Ausbildung bzw. Qualifikation Arbeitsplatz wäre zu gering bezahlt Keinen Arbeitsplatz mit einer Arbeitszeit gefunden, die mit der Zeit der institutionellen Kinderbetreuung vereinbar ist Arbeit würde sich finanziell durch Verlust von Beihilfen, Steuervorteilen, staatlichen Zuschüssen usw. nicht lohnen Sonstige berufliche Gründe Andere Gründe Gesundheitliche Gründe, Alter, (vorzeitiger) Ruhestand Sonstige Gründe (z.B. Ausbildung, Weiterbildung; nur vorübergehend nicht berufstätig usw.) Gesamt
Quellen: Mikrozensus September 1995, Kreimer/Leitner 2002, 12.
in %
116.960 6.067
26,3 1,4
54.630
12,3
98.915 22.377
22,2 5,0
11.687
2,6
24.925 9.715 1.933
5,6 2,2 0,4
13.757
3,1
2.106 16.365
0,5 3,7
31.790
7,1
34.206
7,7
445.433
100
94
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Rund 28% der im familiären Umfeld liegenden Begründungen können als Ausdruck des „eigenen Wunsches“ der Frauen interpretiert werden, 12% beruhen auf dem „Wunsch anderer“ und rund 30% sprechen „familiäre Notwendigkeiten“ an. Letztere bringen das Vereinbarkeitsproblem, das tendenziell bei den meisten Frauen mit familiären Gründen bestehen dürfte, direkt zum Ausdruck. Hinter jenen Gründen, die einen „Wunsch“ andeuten, können unterschiedliche Deutungen der Frauen liegen: Präferenzen (entsprechend den Annahmen der traditionellen ökonomischen Theorie), verinnerlichte Normen, Ausreden bzw. Suche nach dem Weg des geringsten Widerstands (annahmegemäß allgemein akzeptierte Antwort), Resignation, Abschieben der Entscheidung auf andere, Entgehen der Stigmatisierung als erfolglose Arbeitsuchende, und ähnliches mehr. Im Gegensatz zu allen anderen Gründen wird hier zum Befragungszeitpunkt ein aktives Bekenntnis zur eigenen Nichterwerbstätigkeit zum Ausdruck gebracht. Alle anderen Gründe haben mit Problemen, mit realen Hemmnissen des (Wieder-)Einstiegs zu tun.
B
Verbindung von objektiven und subjektiven Faktoren
Die Mehrdimensionalität der objektiven Problemstellungen erfordert auch auf der Ebene der Interpretation der subjektiven Begründungen eine entsprechende Differenzierung. Wir haben daher die Angaben zu den Gründen der Frauen unter Berücksichtigung der arbeitsmarktrelevanten und familiären Risikowerte neu zusammengestellt (Abbildung 3.2). Abbildung 3.2:
Gründe der Nichterwerbstätigkeit vor dem Hintergrund arbeitsmarktrelevanter bzw. familiärer Einflussfaktoren
gering hoch
Familiär bedingte Risikowerte der NET
Arbeitsmarktrelevante Risikowerte der Nichterwerbstätigkeit (NET) gering
hoch
Feld 1 Gründe der NET: Familiäre Gründe ges. Fam-eigener Wunsch Fam-Wunsch anderer Fam-Notwendigkeit
Arbeitsmarktgründe Andere Gründe
26,0% 41,8%
Arbeitsmarktgründe Andere Gründe
21,6% 21,9%
Feld 3 Gründe der NET: Familiäre Gründe ges.
76,4%
Feld 4 Gründe der NET: Familiäre Gründe ges.
82,0%
Fam-eigener Wunsch Fam-Wunsch anderer Fam-Notwendigkeit
33,8% 12,4% 30,2%
Arbeitsmarktgründe Andere Gründe
14,3% 9,4%
32,2%
Feld 2 Gründe der NET: Familiäre Gründe ges.
56,4%
10,9% 13,1% 8,2%
Fam-eigener Wunsch Fam-Wunsch anderer Fam-Notwendigkeit
16,2% 16,3% 23,9%
Fam-eigener Wunsch Fam-Wunsch anderer 10,1% Fam-Notwendigkeit
Arbeitsmarktgründe Andere Gründe
Quellen: Mikrozensus September 1995, Kreimer/Leitner 2002, 19.
33,9% 16,3% 38,0%
10,5% 7,5%
Gender Gap Beschäftigung
95
Wir erwarten, dass Frauen nur dann, wenn sie von keiner Seite mit einem erhöhten Problemdruck konfrontiert sind (Feld 1), mit ihrer Antwort eine Präferenz zum Ausdruck bringen können und wollen. Sobald jedoch in einem oder in beiden Bereichen hohe Belastungen vorliegen, sollte sich dies in den Gründen auch widerspiegeln. Feld 1: Geringe Belastungen in beiden Bereichen In Feld 1 geben rund zwei Fünftel der Frauen sonstige Gründe bzw. gesundheitliche und altersbedingte Gründe an, d.h. von uns nicht erfasste und im gegebenen Rahmen nicht interpretierbare Dimensionen. Drei Fünftel der Frauen, das sind zugleich rund 7% aller nicht erwerbstätigen Frauen, sind entsprechend ihrer objektiven Merkmale gering belastet und geben in etwa gleich stark familiäre Gründe und Arbeitsmarktgründe an. Besonders auffallend ist die relativ häufige Nennung „Wunsch anderer“, auch der eigene Wunsch ist in Relation zu familiären Notwendigkeiten stärker vertreten. Hier handelt es sich um jene Gruppe von Frauen, die Kinderbetreuung und Haushaltsführung tatsächlich einer Erwerbstätigkeit vorziehen – allerdings sei darauf verwiesen, dass diese Gruppe mit knapp 17.000 Frauen bzw. 3,7% aller weiblichen Nichterwerbstätigen verhältnismäßig klein ist. Felder 2 und 3: Hohe Belastungen in jeweils einem Bereich In den Feldern 2 und 3 dominiert jeweils ein Problembereich, die Angabe der Gründe sollte daher entsprechend eindeutig sein. Die Ergebnisse zeigen jedoch ein etwas anderes Bild. Im Feld 2, in dem Frauen entsprechend ihrer persönlichen Merkmale geringe familiär bedingte Risikowerte der Nichterwerbstätigkeit, aber hohe arbeitsmarktrelevante Risikowerte zeigen, werden „Arbeitsmarktgründe“ zwar überdurchschnittlich angegeben (knapp 22% im Vergleich zu 15% gesamt), aber auch hier dominieren eindeutig „familiäre Gründe“ (56% insgesamt). Innerhalb der familiären Gründe ist der „eigene Wunsch“ relativ schwach vertreten, während „familiäre Notwendigkeiten“ deutlich häufiger als in Feld 1 auftreten, das ebenfalls geringe Familieneinschränkungen aufweist. Relativ hoch ist auch die Angabe von „anderen Gründen“ mit 22%. Beide Tendenzen deuten darauf hin, dass arbeitsmarktrelevante Faktoren indirekt wirksam sein könnten: zum einen als Nichterwerbstätigkeit aufgrund von altersbedingten und gesundheitlichen Gegebenheiten, zum anderen über die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Gleichzeitig mit dieser möglichen impliziten Angabe von Arbeitsmarktgründen sind jedoch auch die präferenzbasierten familiären Gründe in Relation zu Feld 1 deutlich höher, was als Hinweis auf die Asymmetrie der beiden Einflussbereiche gesehen werden kann. In Feld 3 zeigt sich zwar erwartungsgemäß eine deutlich höhere Angabe familiärer Gründe, insbesondere bei den eigenen Wünschen, die hier die eher Vereinbarkeitsprobleme widerspiegelnden familiären Notwendigkeiten sogar übertreffen. Wirklich überraschend ist die im Durchschnitt angesiedelte Angabe der Arbeitsmarktgründe. Dies weist darauf hin, dass Arbeitsmarktgründe relativ unabhängig von der Familiensituation angegeben werden. Feld 4: Hohe Belastungen in beiden Bereichen Im Feld 4 befindet sich knapp die Hälfte der untersuchten Frauen. Das Ergebnis zeigt klar die Dominanz familiärer Begründungen: 82% der Frauen in diesem Feld (das sind 167.000 Frauen oder knapp 37% aller untersuchten nicht Erwerbstätigen) geben familiäre Gründe an. Dass dabei die familiären Notwendigkeiten die größte Gruppe ausmachen, könnte wiederum als Indiz für die Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie und damit für
96
Gender Gap und Arbeitsmarkt
eine Sichtbarmachung von Arbeitsmarktproblemen gewertet werden. Allerdings geben insgesamt 44% der Frauen in diesem Feld Präferenzgründe an. Ebenso wie der Umstand, dass Arbeitsmarktgründe nur unterdurchschnittlich angegeben wurden, zeigt dies sehr deutlich, dass bei gleichzeitigem Vorhandensein von Arbeitsmarkt- und familiären Hemmnissen eindeutig letztere stärker zum Ausdruck gebracht werden.
C
Schlussfolgerungen
Mit der Frage nach den Gründen wurden Frauen dazu aufgefordert, zwischen unterschiedlichen Begründungen ihrer aktuellen Nichterwerbstätigkeit zu wählen. Eine unkritische Interpretation ihrer Antworten würde lauten: Die Frauen hätten sich zwischen eher familiären bzw. eher arbeitsmarktbezogenen Gründen entschieden und in hohem Ausmaß familiäre Gründe gewählt. Durch die Verbindung der subjektiven Begründungen mit der objektiven Situation der nicht erwerbstätigen Frauen lässt sich die Dominanz familiärer Gründe zwar nicht auflösen, aber es zeigen sich doch Differenzierungen, die weitere Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Beispielsweise kann vermutet werden, dass Arbeitsmarktfaktoren indirekt über „familiäre Notwendigkeiten“ und „sonstige Gründe“ wirksam sind. Das mag auch zu der unerwarteten Verteilung der Arbeitsmarktgründe beigetragen haben. Allerdings können dazu auf der Basis der vorliegenden Informationen nur Vermutungen angestellt werden, für weitergehende Interpretationen sind diese nicht hinreichend. Ein anderes, für uns allerdings unerwartetes Ergebnis zeigt die Verteilung der drei Kategorien der familiären Gründe. Wir sind davon ausgegangen, dass eine Differenzierung nach „Präferenz-“ und „Notwendigkeitsgründen“ zusätzliche Interpretationen erlaubt. Im Ergebnis zeigen sich aber kaum Unterschiede zwischen den Frauen mit „eigenem Wunsch“ und jenen mit „Notwendigkeiten“, d.h. die Verteilung dieser beiden Gruppen von nicht erwerbstätigen Frauen auf die vier Felder ist sehr ähnlich.86 Die Ergebnisse könnten in Anlehnung an die Überlegungen von Kurz (1998) im Sinne eines erweiterten Entscheidungsmodells interpretiert werden. Gerade in dieser komplexen Entscheidungssituation werden Leitbilder oder frames besonders relevant. Angesichts der Komplexität des Problems ist es für einen großen Teil der nicht erwerbstätigen Frauen nicht verwunderlich, wenn sie die eigenen Gründe der Nichterwerbstätigkeit eher mit dem diesbezüglich dominanten Leitbild als mit der realen Situation in Beziehung bringen.
3.2.4 Fazit: Bestimmungsgründe der Nichterwerbstätigkeit in Österreich Die Analyse der Nichterwerbstätigkeit ist sowohl theoretisch im Sinne eines Beitrags zur Verbesserung der Arbeitsangebotstheorie von Interesse, als auch für wirtschafts- und insbesondere beschäftigungspolitische Fragestellungen. Beginnen wir mit Letzteren: Die Nichterwerbstätigkeit betrifft einen erheblichen Anteil der Frauen im erwerbsfähigen Alter. Das Wissen über die Gründe ihrer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt kann über bestehende Problemlagen der Frauen und über unterschiedliche Lebenschancen der Geschlechter Auf86 Von allen Frauen, die „eigenen Wunsch“ (bzw. „Notwendigkeiten“) angegeben haben, verteilen sich 5% (bzw. 3%) auf Feld 1, 12% (bzw. 16%) auf Feld 2, 28% (bzw. 24%) auf Feld 3 und 55% (bzw. 57%) auf Feld 4.
Gender Gap Beschäftigung
97
schluss geben. Mit Hilfe der Daten aus dem Mikrozensus wird sichtbar, dass es sich nicht um ein einseitig auf die Präferenzen von Frauen zurückführbares Phänomen handelt, sondern um das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und individueller Faktoren am Arbeitsmarkt und in der Familie. Allerdings wissen wir über dieses Zusammenspiel noch relativ wenig, da die Nichterwerbstätigkeit bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen für Österreich war und kaum relevantes Datenmaterial vorliegt.87 Das Ziel der in diesem Kapitel zusammengefassten Studien war es, einen Beitrag zum Abbau dieses Defizits zu liefern. Die Analyse der Risikofaktoren hat gezeigt, dass Einflussfaktoren aus dem Arbeitsmarktbereich jedenfalls eine Rolle spielen und die Nichterwerbstätigkeit von Frauen nicht nur eine Frage familiärer Rahmenbedingungen ist. Fast neun von zehn nicht erwerbstätigen Frauen sind zumindest in einem der beiden untersuchten Bereiche mit höheren Belastungen konfrontiert, 45% – immerhin fast die Hälfte dieser Frauen – sind mit schwierigen Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt und in der Familie konfrontiert. Für die große Mehrheit der nicht erwerbstätigen Frauen ist das primäre Hindernis einer Arbeitsmarktteilnahme sehr viel mehr im „klassischen“ Vereinbarkeitsproblem als in ihren Präferenzen für den momentanen Zustand zu suchen. Aus der empirischen Analyse lassen sich mehrere Rückschlüsse für die Weiterentwicklung der Theorie des Arbeitsangebots ziehen. Erstens lässt sich die Nichterwerbstätigkeit von Frauen weder aus arbeitsmarktbezogenen Faktoren allein noch aus nur familiären Zusammenhängen heraus verstehen und erklären, eine Verbindung individueller Ansätze auf der Angebotsseite mit strukturellen Ansätzen der Arbeitsnachfrage liefert daher differenziertere Resultate. Bislang stehen die vorhandenen Erklärungsansätze, die über die Humankapitaltheorie, die New Home Economics oder auch die soziologisch fundierte Ressourcentheorie ableitbare individualistische Perspektive einerseits und die auf Arbeitsmarktgegebenheiten, Segmentation, Segregation, Organisationsstrukturen, regionale Differenzierungen etc. aufbauende strukturalistische Perspektive andererseits noch immer relativ unverbunden gegenüber. Hier wäre es notwendig, diese Ansätze nicht nur empirisch als Gesamtheit zur Analyse der (Nicht-)Erwerbstätigkeit zu verwenden,88 sondern auch an theoretischen Verbindungslinien verstärkt zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit von Rüther (2001), die das ökonomische Kalkül der Unternehmer im Rahmen von Personalentscheidungen in ein Verhaltensmodell integriert und damit die Auswirkungen institutioneller und sozialer Rahmenbedingungen auf das Entscheidungsverhalten der Personalverantwortlichen untersuchen kann.
87
Dieses Defizit ist darin begründet, dass der Großteil der Primärstatistiken im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit erhoben wird. Das geringe Interesse dürfte auch damit zu tun haben, dass verschiedene Tendenzen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels ohnehin einen kontinuierlichen Rückgang der Nichterwerbstätigkeit erwarten lassen. Zudem war und ist die politische Zielsetzung in Bezug auf die Nichterwerbstätigkeit in Österreich unklar und stark normativ geprägt. Zwar besteht allgemeiner Konsens dahingehend, dass finanzielle Unabhängigkeit erheblich dazu beiträgt, den eigenen Entscheidungsspielraum über die Lebensweise zu erhöhen, damit ist in unserer Gesellschaft bezahlte Erwerbsarbeit eine wesentliche Voraussetzung für die Emanzipation der Frauen. Doch zugleich stellt die Verbindung von Familie und Erwerbstätigkeit eine für viele Frauen schwierige Mehrfachbelastung dar, woran politische Argumentationen in Richtung „Wahlfreiheit für die Familie“ anknüpfen. 88 Dies haben Buchmann et al. 2002 ausführlich für die Schweiz gemacht: Sie haben für alle genannten Ansätze Thesen aufgestellt und empirisch überprüft. Die Ergebnisse sind zu ausführlich, um hier dargestellt zu werden. Erwähnt werden soll, dass sich die Thesen der subjektiven Ansätze nur teilweise bestätigen lassen, während der Erklärungsgehalt der strukturalistischen Theorieansätze als außerordentlich hoch zu bezeichnen ist (ebd., 238).
98
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Zweitens bedarf es angesichts der empirisch zu beobachtenden und über weite Strecken auch widersprüchlichen Dynamik in den Erwerbsverläufen von Frauen einer adäquaten Befassung mit Präferenzen und mit den Wechselwirkungen zwischen Restriktionen und Präferenzen, die insbesondere eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der „freien Wahl“ erfordern. Und drittens sei auf den (in dieser empirischen Analyse nur am Rande angesprochenen) Aspekt der Arbeitsteilung verwiesen, sowohl was die gesamtgesellschaftliche Dimension betrifft als auch jene zwischen den Geschlechtern.89 Auf beide Punkte wird in Kapitel 3.6 näher eingegangen werden. Zum Schluss sei noch auf die wirtschaftspolitische, also makroökonomische Bedeutung verwiesen. Die Gruppe der Nichterwerbstätigen ist mehrfach ins Blickfeld politischer und gesellschaftlicher Debatten geraten, allerdings mit unterschiedlichen Signalen. Aus ökonomischen und sozialpolitischen Zielsetzungen heraus wird eine Erhöhung des Erwerbspotenzials gefordert, um Europa gegenüber den USA oder Japan wettbewerbsfähiger zu machen90 bzw. die Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherungssysteme zu reduzieren. Die Europäische Beschäftigungsstrategie zählt zu ihren Prioritäten sowohl die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit wie auch die Erhöhung des Kinderbetreuungsangebots als notwendige Rahmenbedingung für ersteres (siehe Kap. 5). Eine deutliche Reduktion des Gender Gap Beschäftigung scheint dafür die geeignete Strategie zu sein. Andererseits gibt es gerade in Österreich Signale in Richtung einer „Erleichterung der Nichterwerbstätigkeit“, in deren Zentrum Frauen mit Kleinkindern stehen: Durch monetäre Leistungen des Staates sollen die Opportunitätskosten der Nichterwerbstätigkeit verringert und damit die (temporäre) Entscheidung gegen eine Arbeitsmarktpartizipation erleichtert werden.91 Diese zumindest für Österreich zu konstatierende ambivalente Haltung der Politik zur Steigerung der weiblichen Arbeitsmarktpartizipation liefert eine weitere Begründung für die Notwendigkeit, weibliche Nichterwerbstätigkeit als eigenständige Fragestellung innerhalb der Arbeitsmarktökonomik umfassend – d.h. über die Präferenzannahme hinaus – zu untersuchen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote nur unter Einbeziehung beider Einflussbereiche erreichbar ist. Familienleistungen ohne Arbeitsmarktbezug sind daher für diese Zielsetzung wenig geeignet;92 dass Frauen Unterstützung dabei brauchen, am Wandel des Leitbildes „eine gute Mutter sein“ aktiv mitwirken zu können. Ein Leitbildwandel zur „berufstätigen Mutter“
89
Die Gründe der Nichterwerbstätigkeit konnten aufgrund der geringen Besetzungen für Männer nicht ausgewertet werden; in der Hemmnisstudie waren explizit nur Frauen Zielgruppe der Studie. Insofern handelt es sich bei den präsentierten Projekten um ausschließliche „Frauenforschung“, ohne direkte Einbeziehung von GenderAspekten. Zwar finden wir in den Erhebungen zur Zeitverwendung von Männern und Frauen Hinweise, wonach die Arbeitsteilung für einen großen Teil der Paare immer noch traditionellen Mustern folgt (siehe Kap. 2.5). Allerdings wissen wir zu wenig über die Dynamik der zugrunde liegenden Entscheidungen, und vor allem nichts über die Aushandlungsprozesse in den kritischen Phasen rund um den Ausstieg und den Wiedereinstieg der Frauen. 90 Zur Europäischen Beschäftigungsstrategie und den darin enthaltenen Vorhaben zum Abbau des Gender Gap vgl. Rubery et al. 2004, Maier 2002; sowie Kap. 5.2. 91 Siehe Kap. 4.2 für eine detaillierte Analyse. 92 Vgl. dazu auch die jüngst erstellte Analyse von Wroblewski/Leitner (2005), die über einen Vergleich zwischen Dänemark und Finnland einerseits und Österreich und Deutschland andererseits erarbeiten, durch welchen Mix an politischen Maßnahmen die hohe Erwerbsintegration von Frauen in nordischen Ländern unterstützt wurde und wie sich dieser Policy-Mix von jenem in Österreich und Deutschland unterscheidet.
Gender Gap Beschäftigung
99
und/oder zu „gute Eltern sein“ ist eine der Voraussetzungen für die Realisierung einer veränderten Arbeitsteilung (siehe dazu Kap. 4.3 und 5.3); dass die relativ hohe Angabe familiärer Gründe im Mikrozensus 1995 nicht als Präferenz für Nichterwerbstätigkeit und Familienbetreuung interpretiert werden darf, sondern der Ausdruck einer wesentlich komplexeren Problemstellung ist.
Eine deutliche Reduktion des Gender Gap Beschäftigung erfordert demnach ein koordiniertes Zusammenspiel der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik mit der Familien- und Sozialpolitik unter der Voraussetzung einer eindeutigen gleichstellungspolitischen Zielsetzung (siehe Kap. 5).
100
3.3
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Gender Gap Einkommen Konstellationen und Mechanismen geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede93
Der Einkommensbericht des Rechnungshofs weist einen Gender Pay Gap beim Bruttoeinkommen aller unselbständig Beschäftigten von rund 40% aus, werden nur ganzjährig Vollzeitbeschäftigte betrachtet, beträgt der Gap immer noch rund 22% (Rechnungshofbericht 2006). Böheim et al. (2007), Geisberger (2007) und Gregoritsch et al. (2000) haben mit unterschiedlichen Datenquellen den arbeitszeitbereinigten Gender Pay Gap berechnet und kommen auf eine Einkommensdifferenz zwischen 23% und knapp 26%, d.h. Frauen verdienen rund ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. In der jährlichen Darstellung der Lohn- und Gehaltsentwicklungen auf EU-Ebene liegt Österreich mit einem Gender Pay Gap von rund 18% auf dem 20. Rang unter 28 Ländern (EU-27 und Norwegen; vgl. eironline 2007). In den 1980er Jahren ist die Einkommensdifferenz zwar kontinuierlich gesunken, hat sich aber während der 1990er Jahre kaum verändert (Stadler 2003, 596) und ist Anfang des Jahrzehnts sogar wieder leicht angestiegen (siehe im Detail Kap. 2.3). Studien zum geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied in Österreich belegen, dass sich das Muster des Einkommensrückstands der Frauen auf allen ökonomischen Untersuchungsdimensionen mehr oder weniger stark ausgeprägt, aber immer als „Nachteil“ zeigt.94 Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass der Gender Pay Gap ein umfassendes Phänomen ist und sich nicht auf eine Ursache oder nur auf Defizite der Frauen zurückführen lässt. Jener Teil des Einkommensunterschieds, der nicht durch beobachtbare und messbare Produktivitätsunterschiede zwischen den Geschlechtern erklärt werden kann, wird in der ökonomischen Forschung Diskriminierung diagnostiziert. Handelt es sich beim gesamten Gender Pay Gap in Österreich um das Ergebnis von Diskriminierung? Oder ist der Gap eine Folge der tatsächlich existierenden Unterschiede zwischen Frauen und Männern und somit durch diese Unterschiede gerechtfertigt? Anders ausgedrückt: Bekommen Frauen gleich viel bezahlt wie ihre männlichen Kollegen, wenn sie mit gleicher Ausbildung und Berufserfahrung in vergleichbaren Jobs und Firmen arbeiten? Hinweise darauf, dass das nicht so ist und es dementsprechend einen Diskriminierungsanteil beim Gender Pay Gap gibt, lassen sich bereits in deskriptiven Daten finden - wenn beispielsweise das Einkommen vollzeitbeschäftigter Frauen unter jenem der Männer mit gleicher Ausbildungsstufe liegt. Geisberger (2007) vergleicht für Österreich die Verdienste von Männern und Frauen innerhalb der gleichen Branche, des gleichen Berufs, der gleichen Bildungsschicht sowie mit gleicher 93
Dieses Kapitel knüpft theoretisch an meine Arbeiten zur vertikalen Arbeitsmarktsegregation an (Kreimer 1999), empirisch am Projekt „Towards a Closing of the Gender Pay Gap“. Der empirische Teil (Kap. 3.3.4) und dessen theoretische Einbettung (Kap. 3.3.2) entstanden in Zusammenarbeit mit Barbara Hönig, der ich an dieser Stelle für die fruchtbare Einbringung neuerer Ansätze aus der Geschlechterforschung herzlich danken möchte, und decken sich weitgehend mit Hönig/Kreimer 2005. 94 Frauen verdienen in allen Branchen und in allen Berufsklassen weniger als Männer; sie verdienen arbeitszeitbereinigt weniger als ihre männlichen Kollegen; sie verdienen bei gleicher beruflicher Stellung weniger als Männer, und sie verdienen bei gleicher Ausbildung weniger als Männer. Die Unterschiede in den Dimensionen des Erwerbsarbeitsmarktes übertragen sich auch in das erwerbszentrierte Sozialversicherungssystem (Arbeitslosengeld, Pension). Analysen zum Gender Pay Gap in Österreich finden sich in Gregoritsch et al. 2000 und 2002, Statistik Austria 2002, Stadler 2003, Leitner 2004, Mairhuber 2006, Böheim et al. 2007, Geisberger 2007.
Gender Gap Einkommen
101
Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen und gleichem Alter, und kommt je nach Berechnungsmethode auf einen Gap von 18,9% bis 15%.95 Die übliche Methodik in der Ökonomik, Diskriminierung zu messen, besteht nun darin, diese Merkmalsunterschiede zwischen den Geschlechtern zu erfassen bzw. festzustellen, welcher Unterschied bestehen bleibt, dem keine Merkmalsunterschiede gegenüber stehen. Diese Methode der Zerlegung des Lohnunterschieds in einen durch Merkmalsunterschiede erklärbaren Teil und einen nicht erklärbaren Rest hat einen festen Platz in der empirischen Wirtschaftsforschung. Diskriminierung wird dann diagnostiziert, wenn der Einkommensunterschied nicht durch beobachtbare und messbare Produktivitätsunterschiede zwischen den Geschlechtern erklärt werden kann. Böheim et al. (2007, 224) errechnen einen „unerklärten“ Anteil der Lohndifferenz – und somit im weitesten Sinn Diskriminierung – von rund 61% für 1997.96 Zudem stellten die AutorInnen fest, dass sich dieser Diskriminierungsanteil gegenüber 1983 kaum verändert hat, die Lohndifferenzen sind ebenso konstant geblieben wie der nicht durch beobachtbare Merkmalsunterschiede erklärbare „Rest“. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass in diesem „unerklärten Rest“ Teile enthalten sind, die nicht auf diskriminierendes Verhalten, sondern auf nicht beobachtbare Unterschiede zurückgehen und der Anteil der Diskriminierung somit überschätzt wird, bleibt ein erheblicher Anteil an Diskriminierung bestehen, der sich zudem in den vergangen zwei Jahrzehnten kaum verändert hat.97 Wenn weiters berücksichtigt wird, dass das deutlich gestiegene Bildungsniveau der Frauen deren Produktivitätsrückstand und somit die beobachtbaren Merkmalsunterschiede verringert haben müsste, ist dies nochmals ein Indiz für die Stabilität von Diskriminierungsprozessen. Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2005) haben mehr als 260 veröffentliche Artikel, in denen der Gender Pay Gap zerlegt wurde, einer Meta-Analyse unterzogen und festgestellt, dass zwar der gesamte Pay Gap von durchschnittlich 65% in den 1960er Jahren auf rund 30% in den 1990er Jahren gefallen ist, dies aber überwiegend auf die verbesserte Produktivität der Frauen zurückgeführt werden muss. Die in den untersuchten Artikeln publizierte Diskriminierungskomponente des Pay Gap ist im Untersuchungszeitraum nicht weniger geworden (ebd., 16).98
95 Für Deutschland liegen Studien vor, die Frauen und Männer unter noch ähnlicheren Hintergrundbedingungen – nämlich dem gleichen Betrieb – vergleichen: Hinz/Gartner 2005 finden einen Einkommensnachteil von 12% bei Frauen, die bei gleicher Humankapitalausstattung und Vollzeitbeschäftigung in den gleichen Berufen und Betrieben, d.h. in der gleichen „Jobzelle“ wie die Männer arbeiten. 96 Dieser Diskriminierungsanteil ergibt sich bei der male-based decomposition, werden die Frauenlöhne als Referenzgröße verwendet, beträgt der Diskriminierungsteil 1997 sogar 86% und liegt damit 20 Prozentpunkte über dem Wert von 1983 (66% Diskriminierung bei der female-based gegenüber 67% bei der male-based decomposition). Dieser große Unterschied als Folge der Wahl der Referenzgröße verweist darauf, dass Frauen 1997 trotz der Verbesserung ihrer Ausstattung gegenüber 1983 nur deutlich geringere Erträge für ihr Humankapital erzielen können als Männer. 97 Es gibt auch Tendenzen den Gender Gap im Einkommen zu unterschätzen. Einkommensunterschiede infolge beruflicher oder branchenmäßiger Segregation zählen beispielsweise zu den beobachtbaren Merkmalsunterschieden, ohne Berücksichtung der Ursachen der Segregation selbst – es ist anzunehmen, dass auch hier zu einem Teil Diskriminierungsprozesse am Werk sind bzw. waren, die zur Abwertung von Frauenberufen, zu Schließungsprozessen bei Männerberufen etc. führen (vgl. z.B. Kreimer 1999, Wetterer 1992). 98 Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2005) haben die Ergebnisse der Artikel einer Meta-Regression unterworfen und daraus ein etwas optimistischeres Bild erhalten: Immerhin sinkt der nicht auf Merkmalsunterschiede zurückführbare Teil des Gender Pay Gap in dieser Modellspezifikation mit einer Rate von 0,17 log points pro Jahr. „This indicates that a continuous, even if moderate, equalization between the sexes is taking place“ (ebd., 508).
102
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Das Ziel dieses Kapitels ist es, einige der Hintergründe dieser Diskriminierungsprozesse aufzuspüren und darzustellen. Dies geschieht empirisch anhand der Ergebnisse eines überwiegend qualitativen Forschungsprojekts, in dem unter dem Titel „Towards a Closing of the Gender Pay Gap“ in sechs europäischen Ländern nach den Barrieren, die einen Abbau des Einkommensunterschieds zwischen den Geschlechtern verhindern, gesucht wurde (siehe Kap. 3.3.3 und 3.3.4).99 Zu Beginn knüpfen Überlegungen zur Methodik der ökonomischen Analyse des Gender Gap Einkommen an den in Kapitel 3.1 präsentierten ökonomischen Erklärungsansätzen zur Diskriminierung an. Aus den Defiziten der ökonomischen Herangehensweise lassen sich Anknüpfungspunkte für Konzepte und Methoden aus der Genderforschung ableiten, von denen einige in unserer Analyse der Empirie Anwendung finden. Dieser erweiterte theoretische Rahmen wird in Kapitel 3.3.2, Anknüpfungspunkte zur Theorie und zur Gleichstellungspolitik in Kapitel 3.3.5 vorgestellt.
3.3.1 Der „unerklärte Rest“ beim Gender Gap Einkommen Die Methode der Zerlegung des Lohnunterschieds in einen durch Merkmalsunterschiede erklärbaren Teil und einen nicht erklärbaren Rest hat einen festen Platz in der empirischen Wirtschaftsforschung – insofern gehört der Gender Pay Gap zu den zentralen ökonometrischen Analysefeldern. Dabei wird ermittelt, welcher Anteil des Einkommensunterschieds sich durch individuelle oder arbeitsmarktbezogene Faktoren erklären lässt (in der Regel Berufserfahrung, Ausbildungsniveau, Branchen und Berufe, Arbeitszeit u.a.m.). Der unerklärte Rest kann diskriminierendem Verhalten zugeschrieben werden. Bislang ergibt sich aus der Vielzahl der Studien kein einheitliches Bild, je nach Datengrundlage, Messmethode und Modellspezifikation unterscheiden sich die Gewichtungen für die als Ursache des Gender Pay Gap identifizierten Faktoren einschließlich des unerklärbaren Diskriminierungsanteils (Achatz et al. 2004, Jarrell/Stanley 1998, Kunze 2000). Auf die umfangreiche Literatur zur Methodik der Lohnregressionen und der Ergebnisse derselben kann und soll hier nicht eingegangen werden (vgl. z.B. Kunze 2000), da es nicht darum geht, diese Methode selbst in Frage zu stellen. Als erste Annäherung zur Analyse von Lohnunterschieden ist die Zerlegung derselben hilfreich, auch Empfehlungen für die Politik zum Abbau des Gap lassen sich anhand der identifizierten Einflussfaktoren ableiten (Grimshaw/Rubery 2002).100 Für wirkliche Erklärungen greift sie jedoch zu kurz.101 Das lässt sich in mehrfacher Hinsicht argumentieren:
99
Dieses Projekt wurde durch das Rahmenprogramm zur Chancengleichheit (2001 - 2005) der Europäischen Kommission und durch nationale Stellen finanziert. Neben Österreich waren Norwegen (Koordination), Island, Dänemark, England und Griechenland beteiligt. Der österreichische Teil wurde von Peripherie – Institut für praxisorientierte Gender-Forschung durchgeführt und in nationalen Berichten festgehalten (Egger deCampo et al. 2002, Hönig/Kreimer 2003, Kreimer 2003b). Ich danke Marianne Egger deCampo und Barbara Hönig für die Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts. 100 Wenn sich beispielsweise berufliche Segregation als Hauptfaktor ergibt oder es doch die Kinderzahl ist, die das höchste Gewicht hat, resultieren daraus jeweils unterschiedliche Handlungsanweisungen für die Gleichstellungspolitik. Dennoch werden auch hier nicht die Ursachen sichtbar gemacht, sondern nur die Symptome. 101 Oder wie Nancy Folbre (1998, 65) es ausdrückt: „We have now learned just about all there is to learn from such models.“
Gender Gap Einkommen
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Datenebene: Wie Kunze (2000) in ihrem Review-Artikel zur empirischen Literatur zum Gender Pay Gap feststellt, scheint die praktische Anwendung der Theorie immer noch nachzuhinken: Während die ökonometrischen Methoden der Zerlegung des Gap ständig weiterentwickelt werden, müssen bei deren Anwendung massive Abstriche gemacht werden, weil die Daten und Variablen den Anforderungen nicht entsprechen. „The survey shows that econometric methods are still more advanced than their applications and that in applications consistency often is only achieved at the expense of restrictive assumptions that are dubious from an economic perspective.” (Kunze 2000, abstract). Dies deckt sich auch mit dem Ergebnis von Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2005), die in ihrer Meta-Analyse des Pay Gap feststellen, dass Datenrestriktionen den größten Einfluss auf die Größe des Gap haben, während die Wahl der konkreten ökonometrischen Methode von geringer Bedeutung ist. Der „erklärbare“ Teil des Pay Gap: Der Gender Pay Gap wird zerlegt in angebotsseitige Faktoren, die humankapitaltheoretisch argumentiert werden können (Investitionen in Ausbildung), in nachfrageseitige Faktoren (unterschiedliche Lohnniveaus aufgrund unterschiedlicher Bedingungen in einzelnen Sektoren, Regionen, z.B. aufgrund von Technologien), die entsprechend dem neoklassischen Modell der Firmen mehr oder weniger gegeben sind (black box Firma), und in ökonomisch nicht erklärbare Faktoren, hinter denen diskriminierende Präferenzen vermutet werden können. Dass sich Frauen und Männer tendenziell sowohl im Ausmaß als auch in der Art ihres Humankapitals unterscheiden, lässt sich vielfach zeigen.102 Die Frage, warum sich die Geschlechter in ihren strategischen Humankapitalentscheidungen unterscheiden, wird im mainstream über die bekannten humankapitaltheoretischen Argumente beantwortet, die uns regelmäßig in den argumentativen Zirkel führen: „Frauen antizipieren Unterbrechungen und entscheiden sich daher…..“ bis hin zu „Frauen antizipieren Diskriminierung und investieren gleich weniger in ihr Humankapital“ (vgl. z.B. Ott 2002). Was damit ausgespart bleibt, sind diskriminierende Strukturen in- und außerhalb des Arbeitsmarktes, die zu diesen Entscheidungen führen, und die in sozialen Normen, Geschlechterstereotypen und in der traditionellen Praxis der Zuweisung von Reproduktionsarbeit an Frauen verankert sind. „If there are social norms and customs governing choice, then free choice is an oxymoron“ (Jacobsen 2003, 172). Der „erklärbare” Teil der Einkommensdifferenz spiegelt diskriminierende Normen und indirekte Diskriminierungsmechanismen wider. Jacobsen (2003) führt eine Reihe von Kritikpunkten an der humankapitaltheoretischen Rechtfertigung des „erklärbaren“ Teils des Gender Pay Gap an und befasst sich insbesondere mit „the nature of the feedback mechanisms from discrimination in the labor market to human capital investment decisions“ (ebd., 174). Abgrenzung zwischen dem „erklärbaren“ Teil und dem „Rest“: Anknüpfend an die obige Kritik an der humankapitaltheoretischen Interpretation des „erklärbaren“ Teils ergibt sich unmittelbar, dass die Grenzen zwischen „erklärbaren“ und „unerklärlichen“ Anteilen des Lohnunterschieds nicht exakt bestimmbar sind. Was in herkömmlichen Analysen als nicht erklärbarer Anteil der Einkommensdifferenz bestehen 102
Unterschiede im Ausmaß des Humankapitals nehmen angesichts der Bildungsexpansion bei Frauen massiv ab, finden sich aber noch bei den älteren Kohorten im Arbeitsmarkt. Unterschiede der zweiten Art, also beispielsweise die Studienwahl und die Berufwahl, sind nach wie vor massiv präsent (siehe dazu auch Kap. 3.4).
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bleibt, weil nicht mit Charakteristiken wie z.B. Produktivität von Arbeitskräften unmittelbar verknüpft, bildet häufig einen Bestandteil eben derjenigen Lohndiskriminierung, die untersucht werden soll. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der als erklärbar behandelte Anteil an der Einkommensdifferenz sich nicht neutral zu jenem Anteil verhält, den wir mit Diskriminierung assoziieren. So können Berufswahl und Teilzeitarbeit als diskriminatorische Elemente auf die Einkommensdifferenz sowohl als individuelle Entscheidung wie auch als Indiz für Lohndiskriminierung gedeutet werden (vgl. Rubery et al. 2002). Diese Schwierigkeiten einer korrekten Erfassung und Bestimmung des Diskriminierungsanteils beim Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern machen eine umfassende methodische Erweiterung von Untersuchungsdesigns notwendig. Fallstudien können hierbei insofern einen wichtigen Beitrag liefern, als sie es ermöglichen, gerade diese höchst unscharfe Grenzziehung zwischen dem „Erklärbaren“ und dem „Rest“ genauer zu untersuchen und zu hinterfragen.103 Der „unerklärte Rest“: Figart (1997) kritisiert diese Methode, wonach Diskriminierung das „Andere“ ist und folglich „we know discrimination only by what it is not“ (ebd., 3). Das führt zur inhärenten Tendenz in der ökonometrischen Forschung, das Modell soweit „besser“ zu spezifizieren, „that the residual would be small or zero“ (ebd., 3f). Wiewohl dies bislang kaum gelingt und der unerklärte Rest in der Regel unübersehbar erhalten bleibt, weist diese Herangehensweise Diskriminierung einen amorphen Status zu, der selbst nicht wirklich untersucht werden kann. Die möglicherweise dahinter liegenden Prozesse, Strukturen und Institutionen, zu denen Macht und Hierarchie in den Betrieben ebenso zählen wie die traditionelle Arbeitsteilung, verfestigte Strukturen infolge vergangener direkter Diskriminierung oder diskriminierende Präferenzen, werden in andere Disziplinen verwiesen, ohne dass es Versuche gäbe, die dortigen Ergebnisse in die Ökonomik zurückzuholen, um gemeinsam an Strategien zum Abbau des Gender Pay Gap zu arbeiten.104 Die vorhergehenden Überlegungen haben bereits deutlich gemacht, dass Diskriminierung mehr ist als das unerklärte Residual, und für eine Gender-Analyse reicht es keinesfalls aus, deskriptive Charakteristika in Lohngleichungen einzubauen (Figart 1997). Diskriminierung ist „a multidimensional interaction of economic, social, political, and cultural forces in both the workplace and the family, resulting in differential outcomes involving pay, employment, and status“ (ebd., 7). Um dieser wesentlich erweiterten Definition von Diskriminierung gerecht werden zu können, bedarf es eines inhaltlich und methodisch breiten Ansatzes, für den Figart zentrale Grundlagen aus einer feministischen Perspektive aufzeigt. Demnach hat eine solche erweiterte Analyse „the relationship between research and praxis; the importance of methodological pluralism for a complex understanding of economic outcomes; the significance of power dynamics within firms; 103
Fallstudien sind eine Möglichkeit der methodischen Erweiterung (vgl. Kannonier-Finster et al. 2000). MetaAnalysen (Weichselbaumer/Winter-Ebmer 2005), qualitative Interviews (vgl. Lamnek 1995, Bogner et al. 2002), und die Auswertung von Lebenslaufdaten (Streckeisen 1991) sind hier auch zu nennen. 104 Das mag auch für andere Disziplinen gelten, die ihrerseits Berührungsängste mit der Ökonomik haben. Anknüpfungspunkte für Kooperationen im interdisziplinären Bereich gibt es jedenfalls, siehe z.B. das Plädoyer von Lips (2003) an ihre Disziplin der Psychologie, sich vermehrt mit dem Gender Pay Gap zu beschäftigten.
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the impact of economic, social, and political institutions on the process of discrimination; and the intersection of gender, race, class, and other social constructs” (ebd., 24) einzubeziehen. Eine erweiterte Analyse des Gender Pay Gap aus der Gender-Perspektive muss daher das Bewusstsein über die Begrenztheit der Aussagekraft ökonometrischen Studien einfordern und daraus sowohl die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit diesen Methoden als auch die Notwendigkeit ergänzender und insbesondere qualitativer Analysen ableiten. In unserer empirischen Arbeit haben wir die Methode der Fallstudien gewählt. Diese liefern zwar keine repräsentativen Ergebnisse, aber sie können die Konstellationen und Mechanismen, die den Gender Pay Gap in den untersuchten Bereichen verursachen und stabilisieren, gezielt aufzeigen und Anhaltspunkte für deren Abbau liefern (siehe Kap. 3.3.3).
3.3.2 Erweiterter theoretischer Rahmen: Konzepte aus der Gender-Forschung Erweiterungen sind auch in Bezug auf die Erklärungsansätze zum Diskriminierungsbestandteil der Einkommensdifferenz erforderlich. Zwar liefert die Arbeitsmarktökonomik einige Ansätze (statistische Diskriminierung, diskriminierende Präferenzen; siehe Kap. 3.1), die diesen einmal in Gang gesetzten Diskriminierungskreislauf (mehr oder weniger) adäquat erfassen und beschreiben können. Die eigentlichen Ursachen der Diskriminierung bleiben jedoch exogen, die Vielschichtigkeit der Faktoren ihrer Stabilität kann nicht erfasst werden. In den folgenden Abschnitten sollen jene Konzepte aus der Gender-Forschung dargestellt werden, die zu einem erweiterten Analyserahmen beitragen können und die für unsere Untersuchung forschungsleitend waren.
A
Grundlegende Kategorien: Konstellationen und Mechanismen
Geschlechtsspezifische Einkommensdiskriminierung ist ein Spezialfall sozialer Ungleichheit, und damit stellt sich die Frage, wie diese zustande kommt, was soziale Ungleichheit erzeugt und perpetuiert und insbesondere wer und was soziale Ungleichheit zum Nachteil von Frauen verursacht und stabilisiert. In Anlehnung an Cyba (2000, 76ff) wird ein Bezugsrahmen zur Analyse sozialer Ungleichheit gewählt, der auf der Annahme beruht, dass sich Ungleichheit nicht von selbst durchsetzt, sondern von Gruppen von AkteurInnen produziert und reproduziert wird. Ein querschnittsartig erfassbarer Zustand – Konstellationen sozialer Ungleichheit – wird als „ein kontinuierlicher Ablauf von handlungs- und Interaktionssituationen aufgefasst [wird], die durch aktive und passive Beteiligung unterschiedlicher Akteursgruppen bestimmt werden“ (Cyba 2000, 77).105 Der anhaltende Gender Pay Gap ist Zeugnis einer ständigen Reproduktion sozialer Ungleichheit.
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Diese Konstellationen sozialer Ungleichheit umfassen nicht nur die AkteurInnen auf der Seite der aktiven oder passiven Erzeugung von Ungleichheit für andere, sondern auch die Situation und die Orientierung der Betroffenen, die auf unterschiedliche Weise zur Reproduktion ihrer eigenen Benachteiligung beitragen können. Cyba führt das Beispiel der geschlechtsspezifischen Zugangswege zu Bildungsinstitutionen an (ebd., 78).
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Von Mechanismen der Diskriminierung kann gesprochen werden, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen dem interdependenten strategischen Handeln von AkteurInnen und dessen Ergebnissen vorausgesetzt oder angenommen wird. Zu explizieren sind dabei weniger die diskriminierenden Präferenzen der AkteurInnen, die z.B. Arbeitgeber gegenüber Frauen hegen und die letztlich zur Lohndiskriminierung führen können. Vielmehr geht es um das Zusammenwirken der Dimensionen der Ungleichheitserzeugung in Hinblick auf die Reproduktion von Diskriminierung, und in der Folge um die Veränderung dieser Reproduktionsmechanismen der Diskriminierung.106 Konstellationen und Mechanismen können nur in ihren empirischen Realisierungen analysiert werden.107
B
Relevante Konzepte: Relationalität, Konstruktivität und geschlechtliche Substruktur von Organisationen
Die stillschweigende Annahme hinter der sich als geschlechtsneutral verstehenden Arbeitsmarktökonomik ist häufig immer noch die einer (männlichen) Genusgruppe als Maßstab, an dem gemessen sich das „andere“ Geschlecht nur als defizitär erweisen kann. In Bezug auf den Gender Pay Gap kommt dies bereits in der üblichen Darstellung zum Ausdruck: „Frauen verdienen 75% des durchschnittlichen Männereinkommens“, anders interpretiert: Frauen verdienen drei Viertel der „Norm“. Zwar verdienen Frauen tatsächlich weniger als Männer. Bei der geschlechtlichen Lohndiskriminierung von Frauen handelt es sich jedoch um ein Phänomen sozialer Ungleichheit, dessen Komplexität nicht nur von einer Seite her analysiert werden kann. Wenn der Gender Pay Gap aus der Perspektive der Relationalität (Becker-Schmidt/Knapp 2000) untersucht wird, geht es gerade darum, die Beziehungsstruktur von Frauen und Männern als soziale Gruppen als ein geschichts- und gesellschaftsabhängiges Verhältnis aufzufassen, in dem die Verteilung von Einkommen und Arbeitsformen, Positionen und Macht geregelt ist: Relationalität ist in diesem Kontext auch „ein Medium von Herrschaft, das Konstellationen der gesellschaftlichen Abhängigkeit stiftet“ (BeckerSchmidt/Knapp 2000, 47). Da im Erzeugen und Perpetuieren des Gender Gap Frauen und Männer involviert sind, ist der Beitrag beider Gruppen zu untersuchen. In der von uns durchgeführten Fallstudie waren es beispielsweise Personalverantwortliche oder Betriebsratvorsitzende, die für die Umsetzung bestehender rechtlicher Vorgaben zur Lohnverteilung mitverantwortlich sind. Aus dem Blickwinkel der sozialen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen werden Arbeit und Organisationen nicht nur als strukturelle Positionen oder Institutionen, sondern insbesondere auch als interaktiv erzeugte Prozesse des Aushandelns der Beteiligten begriffen und deren Verschränkungen mit der Kategorie Geschlecht untersucht (vgl. Hofbauer 2002, Wilz 2002; sowie Kap. 3.1.2). Der Perspektivenwechsel auf mikrosoziale Prozesse der gleichzeitigen Konstruktion von Geschlecht, Arbeit und Organisation befasst sich 106
Cyba (2000) entwirft einen Bezugsrahmen zur Erklärung geschlechtsspezifischer Ungleichheit und unterscheidet sechs zentrale Reproduktionsmechanismen der Diskriminierung: Schließung, Ausbeutung, Öffentlicher Traditionalismus, Privater Traditionalismus, Asymmetrische Aushandlungsprozesse und Abwertung in Interaktion und Kommunikation. 107 Die gewählte Methode der Fallstudie ermöglicht es, die spezifischen Konstellationen in den untersuchten Berufen und Betrieben zu erheben (vgl. Hönig/Kreimer 2003, Egger deCampo et al. 2002). Das ergibt vorerst ein vielfältiges, berufs- bzw. branchenspezifisches Bild geschlechtlicher Differenzierungen, aus dem sich ähnliche Muster herauskristallisieren, die sich zu Mechanismen der Diskriminierung zusammenfassen lassen.
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damit, wie diese in unterschiedlichen Kontexten erzeugt werden und welche Veränderungen und Kontinuitäten dabei festzustellen sind. Konzeptuell hat das den Vorteil, jenen circulus vitiosus zumindest partiell zu durchbrechen, der sich in der Erklärung einstellt, sobald ein Kausalzusammenhang von Geschlechtszugehörigkeit und Lohndiskriminierung vorausgesetzt wird, der ja erst untersucht werden soll. Empirische Arbeiten zeigen beispielsweise die Konstruktion von Qualifikationen und Kompetenzen (vgl. Maruani 1997, Cockburn/Ormrod 1997, Lorber 1999) u.a. durch Personalverantwortliche (vgl. Cockburn 1991, Dackweiler 2002), und die Professionsforschung (Wetterer 1995, 1999, 2002) verdeutlicht Prozesse der Entstehung und Abgrenzung von Berufsfeldern, dessen zentraler Gedanke ist, „dass die Geschlechter durch Prozesse der Arbeitsteilung zu Verschiedenen werden (und nicht umgekehrt)“ (Wetterer 1999, 244). Selten jedoch manifestiert sich der Zusammenhang von Arbeit, Beruf, Lohn und Geschlecht auf der direkten Ebene der Organisationsstruktur; vielmehr handelt es sich um darin eingelassene, scheinbar „natürliche“ Prozesse. Joan Acker (1990 und 1999) geht in ihrem Konzept einer „gendered substructure“ davon aus, dass organisationsinterne Segregationsprozesse von stillschweigenden Hintergrundannahmen der AkteurInnen geleitet sind, die diese zum Zusammenhang von Geschlecht, Arbeitsteilung, Sexualität und Körperlichkeit haben. Diese in Organisationen inkorporierten grundlegenden Annahmen etwa zur Trennung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit unterliegen geschlechtlichen Differenzierungsprozessen auf verschiedenen Stufen der Arbeitsorganisation, symbolischer Repräsentation, alltäglicher Interaktion und auf der Ebene des Subjekts. Die Ergebnisse dieser Praktiken werden von Organisationsmitgliedern ihrerseits herangezogen, um die institutionelle Geschlechter-Substruktur abzustützen und zu legitimieren. Der Vorteil von Ackers Konzept besteht u.a. darin, Geschlecht als nicht explizierten Baustein von Organisationen theoretisch zu erfassen und subtile Formen „indirekter“ Diskriminierung, etwa im beruflichen Aufstieg von Frauen, zu erklären.108
C
Analyseebenen geschlechtlicher Lohndiskriminierung: Mikrostrukturen, Normen, kollektive Verfahren und Prozesse
Einkommensdifferenzen sind nicht nur ein Phänomen auf der Mikroebene, wovon die ökonomische Analyse zumeist ausgeht, sondern auf mehreren Ebenen angesiedelt. Im folgenden werden Analysedimensionen skizziert, auf denen sich die empirische Untersuchung geschlechtsspezifischer Einkommensdifferenzen in verschiedenen Berufsgruppen (siehe Kap. 3.3.4) bewegt. Normative Muster der Interpretation und des Handelns: Diskriminierungsprozesse finden auf dem Hintergrund von Deutungsmustern sozialer Ungleichheit (Nollmann/Strasser 2002) statt, unter ihnen finden wir auch alltagspraktische Begründungen für Arbeitsbewertungen und Klassifikationen mit beträchtlichen Folgen (Ranftl et al. 2002). Beschreiben AkteurInnen die übliche Entlohnungspraxis, tun sie dies vermittels Bilder, Vorstellungen und Normen zum Zusammenhang von Arbeitslohn und Geschlecht. Solche weitgehend impliziten
108
Zur Kritik an Acker vgl. etwa Wilz 2002, 84ff. Für eine Anwendung von Ackers Konzept am Beispiel der Zeitkonkurrenz im Management vgl. Hofbauer 2002.
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Muster sind den AkteurInnen vorgegeben und in Lohnstrukturen als vergeschlechtlichte Normen verfestigt. Mikrostrukturen des Gender Pay Gap: Fallstudien zum Gender Pay Gap vermitteln einen Eindruck, wie auf der Mikroebene sozialen Handelns Strukturen von Einkommensungleichheit zwischen AkteurInnen innerbetrieblich erzeugt und reproduziert, verhandelt und perpetuiert werden. In Anlehnung an mikropolitische Zugänge in der Organisationssoziologie (Gottschall 1998, Gildemeister/Robert 1999) wird untersucht, wie Frauen und Männer in ihren Interaktionen die vergeschlechtlichte Substruktur von Organisationen konstituieren und reproduzieren. Erst wenn wir die wirksamen Mechanismen untersuchen, die in fortgesetzter Entgelt-Diskriminierung von Frauen resultieren, sind wir imstande, deren geschlechtliche Effekte zu verstehen und Handlungsoptionen zur Reduzierung der Ungleichheit zu entwerfen. Regelungsverfahren kollektiver AkteurInnen im System der Lohnverhandlungen: Innerbetriebliche Praktiken sind in ein umfassendes System von Lohnstrukturen eingebettet, in dem institutionalisierte geschlechtliche Konstellationen ebenso eine Rolle spielen wie etwa kollektive Verhandlungsprozesse durch Gewerkschaften und ArbeitgeberInnen. Gewerkschaften thematisieren Entlohnungspraktiken, soziale Normen und Mechanismen der Lohnungleichheit zwar schon seit langem; seltener sind bislang deren geschlechtsspezifische Effekte untersucht worden (vgl. Rubery et al. 2002). Dabei geht es auch um Kontextbedingungen des Handelns wie institutionalisierte Regelungsmechanismen der Machtdistribution, formelle und informelle Zugangsregelungen zum Arbeitsmarkt und Verflechtungen der Segregationsprozesse.
3.3.3 „Towards a Closing of the Gender Pay Gap“: Grundlagen, Methodik und Design der Studie Die qualitative Erhebung war zentraler Bestandteil des Projekts, ihre Methodik wird im Abschnitt B vorgestellt. Begleitend wurden die gesetzlichen, arbeitsrechtlichen und arbeitspolitischen Rahmenbedingungen in allen Projektländern erhoben, eine Zusammenfassung wesentlicher Bedingungen in Österreich wird zu Beginn präsentiert. Zusätzlich zu den Erhebungen wurden Daten zu den drei Berufsgruppen im Mikrozensus analysiert, deren Ergebnisse abschließend dargestellt werden.
A
„Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ - Rahmenbedingungen in Österreich
Die gesetzlichen Grundlagen der Gleichbehandlung der Geschlechter sind in Österreich für die Privatwirtschaft im Gleichbehandlungsgesetz (1979)109 und für den öffentlichen Bereich 109
Das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (GleichbG) trat am 1. Juli 1979 in Kraft, gleichzeitig wurde die sozialpartnerschaftlich zusammengesetzte Gleichbehandlungskommission gebildet und die Unterscheidung in Frauen- und Männerlöhne in den Kollektivverträgen abgeschafft. Über Novellierungen wurde der Geltungsbereich des Gesetzes in der Folge ausgeweitet. Eine Zusammenstellung der rechtlichen Grundlagen findet sich auf der Homepage der Frauenministerin: www.frauen.bka.gv.at/site/ 5564/default.aspx (August 2008).
Gender Gap Einkommen
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im Bundsgleichbehandlungsgesetz (1993)110 geregelt. Beide verbieten jegliche Form der direkten oder unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Diskriminierung bei der Einstellung, beim Einkommen, beim Aufstieg usw. Gemäß BundesGleichbehandlungsgesetz sind Maßnahmen der Frauenförderung anzuwenden, solange der Frauenanteil in den betreffenden Bereichen weniger als 40% beträgt. In der Privatwirtschaft ist die Frauenförderung vergleichsweise schwach verankert, nämlich bloß in der Verpflichtung der Arbeitgeber zu Absprachen mit dem Betriebsrat über positive Maßnahmen für Frauen auf betrieblicher Ebene.111 Im Fall der Diskriminierung können sich die Betroffenen an die Gleichbehandlungskommission bzw. an die Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen wenden, die es mittlerweile auch auf regionaler Ebene gibt.112 Unter den arbeitsrechtlichen und arbeitspolitischen Rahmenbedingungen werden vor allem jene hervorgehoben, die im Umfeld der untersuchten Berufsgruppen relevant sein dürften. Im Bereich des Arbeitsrechts ist das Nachtarbeitsverbot für Frauen zu nennen, das mittlerweile zwar als notwendige Anpassung an EU-Recht aufgehoben wurde, aber noch in den bestehenden Strukturen nachwirkt.113 Im Bereich der Lohnverhandlungen bleibt anzumerken, dass Tarifverträge den Abbau der Lohndiskriminierung sowohl fördern, indem sie darin angesprochen und bekämpft werden, als auch hemmen und damit bestehende Unterschiede festschreiben können. Generell ist das österreichische System der Lohnverhandlungen stark zentralisiert, branchenorientiert und wird über die Sozialpartner abgewickelt. Die Lohngleichstellung der Geschlechter wird erst zögerlich in Tarifverträgen thematisiert.114 Bislang sind die hemmenden Faktoren des zentralistischen, männerdominierten Systems sicher deutlicher spürbar als gleichstellungsfördernde Wirkungen der Lohnpolitik (Blaschke 2003).115 Zwei zentrale Merkmale des österreichischen Systems dürften jedenfalls zum geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied beitragen: 1. Einkommensunterschiede sind generell hoch, nicht nur zwischen den Geschlechtern. Österreich weist sowohl in Bezug auf Branchen als auch auf berufliche Stellung (ArbeiterInnen - Angestellte) eine der höchsten Unterschiede unter allen OECD Ländern auf.116 110
Zum Bundesgleichbehandlungsgesetz und die Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst vgl. Holzleithner 2002, Ulrich 2003. 111 Arbeitsverfassungsgesetz 1999, für Details und weiterführende Hinweise vgl. Ulrich 2003. 112 Auf europäischer Ebene existieren ebenfalls rechtliche Normen und Erkenntnisse des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die geschlechterdiskriminierende Entlohnung verbieten und das Prinzip der Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern („gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“) fordern (vgl. Pirstner 2003). 113 Im Juli 2002 wurde das EU-Nachtarbeits-Anpassungsgesetz beschlossen, das die Bedingungen, unter denen Nachtarbeit unabhängig vom Geschlecht geleistet werden kann, festlegt. Zum vorherigen Nacharbeitsverbot vgl. Kapeller et al. 1999, 107ff. 114 Vorreiterin war die Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung, die 2003 eine Broschüre „Mit gutem Beispiel voran. Gender Mainstreaming in Kollektivverträgen“ mit einer zugehörigen Check-Liste für die Prüfung von Kollektivverträgen herausgegeben hat (zu finden auf www.gmtn.at, August 2008). Mittlerweile gibt es auch in anderen Teilgewerkschaften Initiativen in Richtung eines Gendering von Kollektivverträgen. 115 Die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) hat 2005 eine bundesweite Kampagne zum Thema Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern gestartet, mittlerweile haben sich alle Teilgewerkschaften mehr oder weniger intensiv der Thematik angenommen. Dass dies noch nicht für die Sozialpartner in Österreich generell gilt, zeigt beispielsweise die Ablehnung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der voraussichtlich Frauen zugute kommen würde (vgl. Blau 1998), durch die Arbeitgeberseite. 116 Österreich weist damit ein Muster ähnlich wie die USA auf: Der Gender Pay Gap existiert parallel zu hohen Branchenlohnunterschieden. Dies führt zur Frage, ob es überhaupt notwendig ist, den geschlechtsspezifischen Gap zu bekämpfen. In Kapitel 3.1 wurde diesbezüglich bereits auf die Arbeiten von Blau und Kahn verwiesen (Blau
110 2.
Gender Gap und Arbeitsmarkt Frauen sind im Österreichischen Gewerkschaftsbund unterrepräsentiert, 2001 waren nur rund 32% der Gewerkschaftsmitglieder Frauen.117 1980 machte der Frauenanteil bereits 30% aus und trotz des beachtlichen Anstiegs der Frauenerwerbstätigkeit seither hat sich wenig an der gewerkschaftlichen Organisation geändert. Frauen sind auch in den Betriebsräten und in den höheren Gremien der Gewerkschaften unterrepräsentiert. Dass es sich dabei nicht nur um einen quantitativen Aspekt handelt, sondern dadurch frauenpolitische bzw. gleichstellungspolitische Zielsetzungen in der Politik des ÖGB mühsamer durchsetzbar sind, liegt auf der Hand.
Explizite Gleichstellungspolitik findet sich in Österreich am ehesten in der Arbeitsmarktpolitik: Im Zielsystem des österreichischen Arbeitsmarktservice ist die Gleichstellung der Geschlechter ebenso wie Gender Mainstreaming verankert (siehe ausführlich Kap. 5.2). Auf der Seite der Beschäftigungspolitik wird die Geschlechtergleichstellung über die Umsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie thematisiert. In den bis 2004 erarbeiteten Nationalen Aktionsplänen für Beschäftigung wurden gleichstellungspolitische Ziele zwar angesprochen, deren Konkretisierung blieb allerdings sehr vage (Pastner 2000, Mairhuber 2003). Für die seit 2005 zu erstellenden Nationalen Reformprogramme gilt dies in ähnlicher Weise (Mairhuber 2006, Rubery et al. 2006).118 Der öffentliche Diskurs zu den Einkommensunterschieden zwischen den Geschlechtern ist nur schwach ausgeprägt, der Abbau des geschlechtsspezifischen Pay Gap ist als politisches Anliegen nicht erkennbar.119 Gerade die vergleichenden Studien auf europäischer Ebene zeigen, dass nationale Anstrengungen sowohl auf gesetzlicher und tarifvertraglicher Ebene als auch Kampagnen notwendig sind, um die Entgeltdiskriminierung von Frauen abbauen zu können.120 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Schwerpunkt der österreichischen Gleichstellungspolitik auf der Bekämpfung direkter Diskriminierung bzw. auf der formalen 1998, Blau/Kahn 2000), die aus der Perspektive der USA eine klar positive Antworten geben: Es bedarf expliziter gleichstellungspolitischer Maßnahmen, um Einkommensdiskriminierung zu beseitigen. 117 Rund 48% der männlichen Erwerbstätigen, aber nur 29% der Arbeitnehmerinnen sind gewerkschaftlich organisiert (zu den Angaben vgl. eironline 2001). Eine ausführliche Analyse der Geschlechterpolitik des Österreichischen Gewerkschaftsbundes findet sich in Blaschke (2003). 118 In der Evaluierung des Reformprogramms 2006 durch die ExpertInnengruppe "Geschlechtergleichstellung, soziale Integration und Beschäftigung" heißt es zu Österreich: „Although the present report – unlike the previous NRP – mentions measures addressing the gender pay gap and measures regarding childcare (facilities) both in the „strategic approach“ and in the chapter on employment, this cannot be seen as an adequate gender mainstreaming approach, since the NRP hardly presents any other gender-sensitive or women-specific policies…..Furthermore, measures to improve the reconciliation of care […] and employment as well as policies to change the gendered division of labour (one of the main reasons for the persistent gender pay gap not adjusted by working time) are completely absent“ (Rubery et al. 2006, 270). 119 Seit Jahren wiederholt sich dasselbe Bild: Neue Statistiken werden veröffentlicht, die den anhaltend hohen Gender Pay Gap beinhalten – nach dem Bericht verschwindet das Thema wieder von der politischen wie auch sozialpartnerschaftlichen Tagesordnung bzw. wird den jeweiligen Frauenorganisationen überlassen. Zwar gibt es mittlerweile eine kleine Anzahl von Studien zum Gender Pay Gap, die Aufbereitung statistischer Materialien und interessante Projekte, aber keinen über einen engen Kreis hinausgehenden Diskurs über die Ergebnisse derselben. Auf bundespolitischer Ebene hat zudem die starke Betonung der Familienpolitik seit 2000 dazu beigetragen, das Thema der Geschlechtergleichstellung am Arbeitsmarkt noch mehr in den Hintergrund bzw. in die individuelle Verantwortung zu rücken. 120 Vgl. die Publikationen zu Gender Equality im Rahmen der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chencengleichheit (http://ec.europa.eu/employment_social/gender_equality/index_de.html), z.B. Europäische Kommission 2007.
Gender Gap Einkommen
111
Gleichbehandlung der Geschlechter liegt (siehe genauer Kap. 5.1). Diese Strategie ist jedoch zur Bekämpfung des komplexen Phänomens der Diskriminierung unzureichend, weil die verschiedenen Formen versteckter bzw. mittelbarer Diskriminierung nicht ausreichend erfasst werden. Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass die vorhandenen rechtlichen Grundlagen und Institutionen eine gute Ausgangsbasis für verstärkte Bemühungen der Gleichstellungspolitik darstellen.
B
Methode und Design der Fallstudie
Ökonometrische Methoden zur Untersuchung des Pay Gap liefern wichtige Erkenntnisse zum erklärbaren Teil des Einkommensunterschieds, aber sie können keinen Beitrag zur Erklärung des „nicht erklärbaren“ Teils des Lohnunterschieds beisteuern. Zudem ist die Datenlage in Bezug auf Einkommensdaten im Vergleich zu den verwendeten Methoden klar im Rückstand. Aus diesen Erklärungsdefiziten und Messproblemen lässt sich ableiten, dass eine Ergänzung der herkömmlichen Lohnregressionen durch primär qualitativ orientierte Fallstudien sinnvoll und notwendig ist. Diese liefern zwar keine quantitativen Ergebnisse zum Gender Pay Gap, dafür kann in den Fallstudien das Zusammenwirken einer Vielfalt von Faktoren zum Gender Pay Gap untersucht werden, wobei eine Rekonstruktion typischer Handlungsmuster interessiert (Lamnek 1995, 2, 4-34). Sie illustrieren exemplarisch, wie die in den Betrieben tätigen Frauen und Männer alltäglich mit dem Gender Pay Gap konfrontiert sind, welche Vorstellungen sie davon haben und wie sie die Einkommensschere beeinflussen können. Im Rahmen des Projekts Towards a Closing of the Gender Pay Gap wurden drei Berufsgruppen untersucht: ungelernte ArbeiterInnen der nahrungsverarbeitenden Industrie, LehrerInnen der Sekundarstufe an Allgemeinbildenden Höheren Schulen und TechnikerInnen mit Hochschulabschluss. ArbeiterInnen wurden in privatwirtschaftlichen Betrieben befragt, während bei den weiteren Gruppen öffentliche und private Institutionen vergleichend untersucht wurden. Im Frühjahr 2002 besuchten wir zehn Betriebe bzw. Schulen in verschiedenen Regionen der Steiermark und führten Interviews mit 28 Personen: mit ArbeitnehmerInnen der untersuchten Berufsgruppen, mit Personalverantwortlichen und BetriebsrätInnen.121 Das Forschungsdesign122 bestand in einer Kombination standardisierter schriftlicher Fragebögen an die Geschäftsführung, um Beschreibungen institutioneller Rahmenbedingungen der Unternehmen zu erhalten, Leitfaden-Interviews mit mindestens drei Betriebsmitgliedern, die im Betrieb stattfanden, Dokumentenanalysen von Jahresberichten, PR-Material und Internet-Recherchen. Bei der Unternehmensauswahl waren wir an transnationale Vorgaben im Kontext der europäischen vergleichenden Studie gebunden, denn die Erhebung wurde zeitgleich in allen sechs Partnerländern durchgeführt. Wir erhielten in dieser Phase der Untersuchung entscheidende Unterstützung seitens unserer Referenzgruppe, die sich aus ExpertInnen in den Berufsfeldern zusammensetzte und die die Erhebung und die Berichterstellung begleitete (Hönig/Kreimer 2003, Kreimer 2003b).
121 Die Einzelinterviews wurden auf Grundlage vorgegebener Leitfäden geführt, dauerten durchschnittlich 50 Minuten, in manchen Fällen eineinhalb Stunden, und wurden auf Band aufgenommen oder mitprotokolliert. 122 Für detaillierte Angaben zum Forschungsdesign und Methoden sowie ausführlich zur deskriptiven Darstellung und Auswertung der Fallstudie vgl. Hönig/Kreimer 2003.
112 C
Gender Gap und Arbeitsmarkt Ergebnisse der quantitativen Begleitanalyse
In der Fallstudie selbst haben wir keine Einkommensdaten erhoben. Allerdings wurde begleitend zum Projekt über Daten aus dem Mikrozensus 1999 versucht, für die drei Berufsgruppen den jeweiligen Gender Pay Gap festzustellen und Daten zur Beschäftigung, Arbeitszeit und zum Einkommen berechnet. Demnach war der Gender Pay Gap mit 82,8% bei den LehrerInnen am höchsten, gefolgt von den TechnikerInnen mit 83,4%. Den geringsten Gender Pay Gap hatten die HilfsarbeiterInnen mit 88,3% zu verzeichnen. Bezogen auf alle unselbständig Beschäftigen erreichten die Fraueneinkommen 84,2% der Männereinkommen.123 Im Vergleich zum eingangs zitierten Einkommensnachteil der Frauen von 66% bzw. arbeitszeitbereinigt 79% erscheint der hier errechnete Gender Pay Gap mit rund 84% als recht gering. Das dürfte mehrere Ursachen haben: Zum einen wurde der Stundensatz auf der Basis der individuellen und aktuellen Arbeitszeitangaben errechnet, es handelt sich also um eine korrekte Arbeitszeitbereinigung. Zum anderen werden im Mikrozensus nur Nettolöhne erhoben, bei denen Steuereffekte den Einkommensunterschied etwas verringern dürften. Die generellen Schwierigkeiten bezüglich Einkommensdaten aus dem Mikrozensus124 lassen es jedoch geboten erscheinen, die berechneten Werte vorsichtig zu interpretieren. Wenig überraschend ist der Gender Pay Gap im öffentlichen Sektor geringer als im privaten Sektor. Unter den LehrerInnen und TechnikerInnen sind die geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede tendenziell größer als unter HilfsarbeiterInnen, was insbesondere in den flacheren Hierarchien der ArbeiterInnen begründet sein dürfte. Bei LehrerInnen dürfte neben den innerschulischen Hierarchien (Unterrepräsentanz von Frauen bei Leitungspositionen) die Segregation zwischen unterschiedlichen Schulformen eine Rolle spielen: Die Berufsgruppe umfasst LehrerInnen in AHS ebenso wie HochschullehrerInnen, auch zwischen den AHS und den BHS gibt es beträchtliche Unterschiede bei der Einkommenshöhe wie bei der Geschlechterverteilung. In der Berufsgruppe der hochqualifizierten TechnikerInnen trägt vermutlich die starke innerbetriebliche vertikale Segregation zum hohen Einkommensunterschied bei.
3.3.4 Konstellationen und Mechanismen des Gender Pay Gap in Österreich Die Positionen zur geschlechtlichen Einkommensdiskriminierung sowie die Erklärungsansätze, auf die wir in der Untersuchung gestoßen sind, sind vielfältig, berufs- bzw. branchenspezifisch. Bei genauerem Hinsehen entdeckten wir hinter den spezifischen Ursachen und Rahmenbedingungen ähnliche Muster, die sich zu Diskriminierungsmechanismen zusammenfassen lassen. Diese Mechanismen und Konstellationen125 der Reproduktion geschlechtsspezifischer Ungleichheit werden im folgenden Kapitel erörtert und vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen analysiert. Im Mittelpunkt unserer Darstellung stehen dabei normative Muster, die von den Beteiligten in mikrosozialen Interaktionen und 123
Berechnet wurden Nettostundenlöhne, vgl. Hönig/Kreimer 2003, 7ff. Zur Einkommensfrage besteht keine Auskunftspflicht, die Verweigerungsrate ist daher sehr hoch, und die Einkommensdaten müssen mit statistischen Verfahren hochgerechnet werden. 125 Eine ausführliche Beschreibung der spezifischen Konstellationen in den drei Berufsgruppen findet sich in den Projektberichten und Arbeitspapieren (vgl. Hönig/Kreimer 2003, Egger deCampo et al. 2002). 124
Gender Gap Einkommen
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Regelungsstrukturen aktualisiert werden und damit geschlechtliche Lohndiskriminierung perpetuieren.
A
Klassifikation und Bewertung von Arbeit im blue-collar-Bereich
Im Kontext einer in Österreich noch weit verbreiteten traditionellen Geschlechtsstereotypik ist die Arbeit von Frauen und Männern im blue-collar-Bereich einer massiven geschlechtlichen Klassifizierung und Bewertung (Ranftl et al. 2002) unterworfen, die sich deutlich in der Einstufung in unterschiedliche Lohngruppen widerspiegelt. Männlich dominierte Aufgaben wie die Maschinenbedienung werden gewöhnlich höher entlohnt als die den Frauen zugewiesenen Tätigkeiten. Arbeitnehmer, Betriebsräte und Arbeitgeber rechtfertigen die Einkommensdifferenz üblicherweise mit der Konstruktion angeblich geschlechtsdifferenter Fähigkeiten. In den Interviews tendierten Männer dazu, ihre Arbeit in Abhängigkeit von „männlich“ konnotierten Fähigkeiten wie dem Einsatz von Körperkraft, technischem Wissen und Bereitschaft zu Verantwortung zu konstruieren: „Die Frau, die macht immer dieselbe Bewegung am Bandl, aber er, er muss die sensible Maschine betreuen, und die Verantwortung, dass das passt, dass das läuft, da würde er nicht verstehen, wenn sie das gleiche Geld kriegt wie er“ (U 13),126 meinte der langjährige Betriebsrat einer Molkerei. Das „Betreuen sensibler Maschinen" und das „Heben schwerer Säcke" (U 13) sind aus seiner Sicht spezifisch „männliche“ Qualifikationen. Auch bei der Relation zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen handelt es sich um ein hochgradig nach Geschlecht differenziertes Verhältnis. So formulierte ein Arbeitgeber drastisch: „Frauen können bei Fließbandarbeit das Richtige tun und vollkommen abschalten dabei. Also, die machen keine Fehler, aber die denken an ganz was anderes. ... Die Männer werden Ihnen aggressiv und drehen durch, die Frauen können das unwahrscheinlich. Ich glaube, nur so können Frauen Kinder erziehen“ (U 10) Die für die Betriebserhaltung erforderlichen Aktivitäten werden vom Generaldirektor entlang einer nicht zufälligen Phänomenologie geschlechtsspezifisch konstruierter „Fertigkeiten“ den Arbeiterinnen und Arbeitern zugeteilt und diese Zuteilung legitimiert. Um die Bedingungen der Fließbandarbeit wissend, antizipiert der Arbeitgeber Unzufriedenheit und bedrohliche „Aggressivität“ der Arbeiter; den Arbeiterinnen wird kompensatorisch Geduld zugeschrieben, die sie zum Familiengründen disponiere.127 Die zentrale Denkfigur dürfte hier in einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen, dass der Arbeiter nicht „aggressiv“ werde, solange seine Arbeit nicht durch Fließband-Automatismen von Entwertung bedroht erscheint; Fließbandarbeit kann man in dieser Konstruktion also getrost den Frauen und Migranten überlassen. Wie uns in zahlreichen Gesprächen vermittelt wurde, werden diese normativen Übereinkünfte mikrosozial regelmäßig erneuert und perpetuiert. In Anlehnung an Robert W. Connell könnte man auf Ebene kollektiver AkteurInnen von einer „Patriarchatsdividende“ (Connell 1999) der in Österreich massiv männerdominierten Sozialpartnerschaft sprechen, die sich die Beteiligten wechselseitig als vermehrtes Ansehen, Prestige und Einkommen 126
Die Verweise in ( ) kennzeichnen die Interviews; für Hinweise zu den interviewten Personen vgl. Hönig/Kreimer 2003. 127 In den Gesprächen artikulieren Arbeiterinnen Unzufriedenheit aufgrund ihrer diskriminierenden Einstufung und BetriebsrätInnen ihre Veränderungswünsche. Diese Frauen pauschal in einer „Opferrolle“ zu sehen, wie dies in der Sozialforschung gelegentlich vorkommt (vgl. Weyrather 2003), ist nicht unsere Intention.
114
Gender Gap und Arbeitsmarkt
realisieren; Einkommensdiskriminierung als ein Bestandteil „hegemonialer Männlichkeit“ (ebd.) wird damit auch betriebsübergreifend stabilisiert. Es kann hier nicht restlos geklärt werden, ob Frauen tatsächlich eine höhere Disposition zur Fleißbandarbeit aufweisen oder ob Verantwortungsträger ihnen diese zuschreiben, wodurch implizit eine Rechtfertigung der herrschenden Arbeitsteilung erfolgt.128 Der Zugang zu als „männlich“ konstruierter, höherqualifizierter Arbeit und entsprechenden Aufstiegschancen, und dies ist hier relevant, bleibt für Frauen fast immer versperrt. Frauen werden offen benachteiligt, wenn sie in niedrige Lohngruppen eingestuft und von qualifizierter Arbeit faktisch ausgeschlossen bleiben. Die „verdeckte“ Substruktur der Lohn-Diskriminierung besteht für uns in der Intransparenz eines Zulagensystems, das Zulagen für männlich konnotierte Tätigkeiten systematisch präferiert. In Kombination mit einem gruppenspezifischen Leistungslohn (vgl. Buchinger/Gschwandtner 1997, Krell/ Tondorf 2001) trägt das stark diskriminierende Zulagensystem zur weiteren Individualisierung des Lohnsystems und damit zur Verschärfung der Einkommensdifferenz bei. Dass das Lohnsystem speziell in Österreich auch durch Zulagen geschlechtlich strukturiert ist, hat die Forschung bislang weitgehend vernachlässigt. Von kollektiven AkteurInnen wie den Gewerkschaften werden geschlechtsspezifische Effekten noch zu selten reflektiert: So ist der „männliche Normalarbeiter“ in Restrukturierungsphasen weniger von Dequalifizierung bedroht als seine dann „zuverdienende“ Kollegin. Selbst wenn die Realität für viele Frauen eine andere ist, funktioniert dieses Ideal noch immer bemerkenswert durchgängig als normativer Bestandteil einer typischen Konstellation, die den Gender Pay Gap über Klassengrenzen hinweg perpetuiert.129
B
Unvereinbarkeits-Mythos im white-collar-Bereich
Mit dem Unvereinbarkeits-Mythos bezeichnen wir im Folgenden ein gedankliches Konstrukt, das eine spezifische Form der Rechtfertigung von Einkommensungleichheit im white-collar-Bereich ermöglicht: Beim „Unvereinbarkeits-Mythos“ handelt es sich um eine Rechtfertigungsstrategie, die bei Personalverantwortlichen berufsübergreifend und von Organisationsformen unabhängig konstatiert worden ist (Dackweiler 2002, 2003).130 Beruf, Familie und Privatleben in Einklang zu bringen ist u.E. eine Aufgabe, vor die sich Frauen und Männer aller Berufssparten gestellt sehen. Tatsächlich sind es in Österreich fast ausschließlich Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um reproduktiven Arbeiten der Versorgung, Betreuung und Erziehung nachzukommen. Die aufgrund von Reproduktionsaufgaben 128
Diese Erzählungen strukturiert eine historisch gewachsene "Polarisation von Geschlechtscharakteren" (Hausen 1978), auf dessen komplexe Struktur Personalverantwortliche und auch Arbeitnehmer bei Bedarf schnell rekurrieren und damit Legitimationen von Ungleichheit fortschreiben. Wie wir noch sehen werden, tun sie dies im white-collar-Bereich meist in subtilerer Form. 129 Zum klassenübergreifenden male breadwinner-Modell durch fraternisierende Bündnisse in der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik vgl. z.B. Hausen 1978, Becker-Schmidt 1987 und 2004; Dackweiler 2003 für die österreichische Situation. 130 Dackweiler spricht von einer "Re-Dramatisierung der Geschlechterdifferenz" in den Argumentationsstrategien von Personalverantwortlichen, aus denen hervorgehe, dass erwerbstätige Frauen als "Dienerinnen zweier Herren" wahrgenommen würden und "die Pluralität weiblicher Lebensentwürfe ... hinter der Versämtlichung der weiblichen Genusgruppe als 'Mütter-Sein'" verschwinde (Dackweiler 2002, 124) Nicht wahrgenommen bleibe, dass die entscheidende Differenz der Männer in der Erwerbssphäre die Tatsache darstellt, von Sorgearbeit freigestellt zu sein (ebd., 134).
Gender Gap Einkommen
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antizipierte mangelnde „Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit“ von Frauen im gebärfähigen Alter wird als zentrales Argument herangezogen, sie von höheren Positionen auszuschließen. Personalverantwortliche im white-collar-Bereich behaupteten häufig, der Beruf sei so zeitintensiv, dass er mit reproduktiven Arbeiten grundsätzlich unvereinbar sei. Gegenüber jeder Frau als potenzieller Mutter werden zu allererst Flexibilitäts-Defizite behauptet und als Instrument ihrer möglichen De-Qualifizierung bei Bedarf dann auch angewandt. Dieses gedankliche Konstrukt legt Handlungen zugrunde, die Frauen bei ihrem beruflichen Aufstieg faktisch diskriminieren; die erzeugte vertikale Segregation verschärft wiederum die Einkommensdifferenz. Dieser diskriminierende Mechanismus funktioniert relativ unabhängig vom tatsächlichen familiären Status der Frauen. Auch bei Lehrern und Lehrerinnen selbst fanden wir eine starke Antizipation der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Parallel zum gestiegenen Frauenanteil in den vergangenen Jahrzehnten betrachten sie ihren Beruf häufig als ideale Möglichkeit, Berufstätigkeit und Familienleben zu vereinbaren. Allerdings tragen sie damit selbst dazu bei, Beschränkungen in Karriereperspektiven zu erzeugen und zu stabilisieren. Karriereentscheidungen und Direktoren-Ernennungen sind von informeller Kommunikation und außerberuflichen Engagements in politischen Parteien massiv beeinflusst, für die Frauen neben der Sorgearbeit schlicht weniger Zeit aufbringen. Während jüngere Frauen den erschwerten beruflichen Aufstieg eher als individuell zu bewältigendes Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie interpretieren, führen ältere Frauen Karrierehemmnisse eher auf männerdominierte Strukturen ihres Berufsumfeldes zurück. Frauen beobachten, dass ihre Autorität im Lehrerkollegium weniger zählt oder dass sie ihre Stimme schlicht zaghafter erheben (U2). Diese Abwertung von Frauen in Interaktion und Kommunikation steht in engem Zusammenhang damit, welche Sichtbarkeit131 Frauen sich und ihrer Arbeit zugestehen und welche Folgen dies auf ihre Einkommenschancen hat. Hohe Sichtbarkeit in einem frauendominierten Berufsumfeld kommt dem beruflichen Aufstieg von Männern gewöhnlich eher zugute.132 LehrerInnen interpretieren Einkommensunterschiede häufig als Ausdruck spezifischer „Frauen“-Interessen, jene Reproduktionsarbeiten in der Familie und im Beruf zu übernehmen, die traditionell sämtlichen Frauen qua Geschlechtszugehörigkeit zugeschrieben wird. Nun ist uns bewusst, dass die gesellschaftlich erforderliche Sorgearbeit tatsächlich weitgehend von Frauen geleistet wird. Doch kann ihnen nicht schon deshalb ein besonderes „Interesse“ am Betreuen von Kindern, am unentgeltlichen Coachen des Direktors und am Kaffeekochen fürs Lehrerkollegium unterstellt werden. Vielmehr möchten wir das Phänomen im Kontext der „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ verorten, eines Konzeptes, das Regina Becker-Schmidt (1987) für das Interdependenzgefüge des weiblichen Lebenszusammenhangs geprägt hat. Über die in Produktion und Reproduktion geleistete Arbeit sind Frauen doppelt und widersprüchlich vergesellschaftet. Nach Becker-Schmidt verweist das hierüber konstituierte Geschlechterverhältnis, durch Über- und Unterordnung strukturiert, zugleich auf gesamtgesellschaftliche Hegemonien: In den sozial einflussreichen Bereichen von Beruf, Öffentlichkeit und Politik dominieren Männer und profitieren in ihrem Prestige und Machtanspruch zugleich von der Geltung der sozial dominanten Sphären. Einer Ähnlichkeit in der Gestaltung der Strukturen entsprechend folgt die Rangordnung der Ge-
131
Vgl. Kanter 1977 als klassische Studie, die die Visibilität von Frauen als quasi funktionelle Minderheit in einem männerdominierten Umfeld zur Erklärung beruflicher Diskriminierung heranzog. Heintz et al. 1997 haben dies am Beispiel von Krankenpflegern gezeigt.
132
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
schlechter der Rangordnung der sozialen Teilbereiche und umgekehrt (BeckerSchmidt/Knapp 2000, 56ff). Der Mythos von der Unvereinbarkeit kommt speziell bei hochqualifizierter technischer Tätigkeit zum Tragen. Die Aussagen von Personalverantwortlichen entsprachen dem Konzept der statistischen Diskriminierung. Demzufolge investieren risikoscheue Unternehmen in Frauen(-Ausbildungen) weniger, weil sie glauben, dass dies aufgrund der erwarteten Produktivität weniger rentabel ist. Frauendiskriminierung scheint in dieser Perspektive nichts mit innerbetrieblichen Hierarchien oder Rekrutierungsverfahren zu tun zu haben. Dieser durch Maßnahmen des Unternehmens entgegenzuwirken, wird als Möglichkeit nicht in Betracht gezogen. Im Folgenden widmen wir uns einem Muster, das eine speziell in technischen Berufen herrschende Zugangsweise zu geschlechtsspezifischen Hierarchien und Einkommenschancen dokumentiert.
C
Vertikale Segregation und Mythos des Frauenmangels in der Technik
Von IngenieurInnen wurde im Gespräch bald festgestellt, dass alle höheren beruflichen Positionen mit Männern besetzt werden, was meist auf den geringen Technikerinnen-Anteil zurückgeführt wurde. Doch mit dem Hinweis auf die zweifellos reale geringe Frauenpräsenz in technischen Berufen ist man nicht davor gefeit, schon als scheinbare „Erklärung“ praktisch zu behandeln, was erklärungsbedürftig bleibt: warum Frauen nicht einmal im Verhältnis ihres geringen Anteils von durchschnittlich 10% in den höheren Berufshierarchien präsent sind und warum sich das kaum geändert hat.133 Der diagnostizierte Frauenmangel in der Technik wird von den Befragten auf relativ wahllos herbeizitierte Faktoren zurückgeführt, die einfachen Stereotypen ähneln: So vermutet ein Ingenieur, es sei das Ausmaß an Mathematikstunden, das Frauen von einer technischen Ausbildung abhalte (U 22). Die Personalleitung begründet die männerdominierte Hierarchie häufiger auch damit, dass am Arbeitsmarkt kein ausgewogenes Geschlechter-Verhältnis qualifizierter Fachkräfte vorhanden sei (U 24) oder die Unternehmenseigentümer „jetzt vom Alter her so geschichtet (sind), dass es seinerzeit oder dass es da unüblich ist, Frauen im technischen Bereich zu haben“ (U 21) Dass Frauen und Männer aufgrund sehr unterschiedlicher Motive, Interessenslagen und Rahmenbedingungen einen technischen Beruf wählen, bleibt meist unbedacht. Mit einem ingenieurwissenschaftlichen Studiengang entscheiden sich Frauen noch immer für eine nicht-traditionelle Berufsbiographie, wobei ihre Studienwahl meist Folge eines fördernden familiären Umfeldes ist (vgl. Anguelova 2001). Diese Frauen beschreiten in ihrem Handeln mehr oder weniger bewusst einen Weg der Veränderung der Geschlechterordnung. Demgegenüber ist eine technische Fachwahl für Männer höchstwahrscheinlich mit dem Wunsch verknüpft, damit ein traditionelles Selbstbild von „Männlichkeit“ zu bestätigen (vgl. Erlemann 2001). Weiters wurde uns versichert, mit mehr Studentinnen als angehenden Maschinenbauund Elektro-Ingenieurinnen werde sich auch ihre Repräsentanz in den höheren Etagen erheblich verbessern. Allerdings sei „der Boom“ der Frauen in die Technik „seit sechs, sieben Jahren“ rückläufig (U 21). Allzu optimistische Einschätzungen, der Frauenmangel in 133
Die Rhetorik vom Frauenmangel kann dem Anliegen jener Frauen, die in diesen Bereichen tätig sind, nur begrenzt dienen; im schlechtesten Fall verschleiert sie ihre Realität. Zur Situation von Frauen in der Technik vgl. etwa Anguelova 2001, Cockburn/Ormrod 1997, Erlemann 2001, Klostermann 1999, Wächter 2000.
Gender Gap Einkommen
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der Technik werde sich schon von selbst erledigen, können anhand eines Vergleichs mit der Situation von LehrerInnen entkräftet werden: Trotz eines überdurchschnittlichen Anteils von annähernd 70%134 hat sich die berufliche Position der Frauen im Schuldienst in den vergangenen Jahrzehnten keineswegs verbessert, was Entscheidungen zu Schulleitungsbesetzungen leider wiederholt bestätigen.
D
Gender und die Konstruktion technischer Kompetenz
Wie beeinflussen Technologieverhältnisse die Verhältnisse der Geschlechter und umgekehrt? Wie werden Männer und Frauen mit technischer Autorität ausgestattet? Auch Cockburn/Ormrod (1997) untersuchten, wie Technologie in Geschlechteridentitäten eingeht und an deren Konstruktion beteiligt ist.135 Sie kamen zum Schluss, dass die gegebene Geschlechterstruktur bestimmte Identitäten im Verhältnis zur Technologie vorgibt; die Geschlechtersymbolik stellt Bilder und Modelle für entsprechende Konstruktionen bereit. Die mit symbolischen Grenzziehungen verknüpfte Darstellungsarbeit136 wird selbst dann abrufbar, wenn Frauen und Männer im selben technischen Berufsfeld zusammenarbeiten: „Männlich“ zu sein heißt dann „technisch kompetent“ zu sein und umgekehrt. „An und für sich teilen wir uns die Technik, er hat das große Wissen und ich bin das ausführende Organ“ (U 23), beschreibt eine EDV-Technikerin die Kompetenzenteilung zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten, ebenfalls einem EDV-Techniker. Auf dem Hintergrund einer angenommenen Komplementarität stellt sie sich und ihre Arbeit in einer abgeleiteten Position dar. Zwar erleben Technikerinnen noch immer einen eklatanten Mangel an weiblichen Rollenmodellen und beruflichen Vorbildern, doch können sie existierende Geschlechtsstereotype zumindest teilweise relativieren und sich als Frauen behaupten, die Weiblichkeit und technische Versiertheit integrieren. In den Rekrutierungsmustern spielen Definitionsprozesse und Definitionsmacht über technisches Spezialwissen eine entscheidende Rolle. In einer von Projektarbeiten geprägten Arbeitskultur sind leitende Positionen üblich; geschlechtsspezifische Trennungen bestehen hier in der unterschiedlich zugeschriebenen Kompetenz für technische Spezialaufgaben und für Projektleitungen. Frauen in Führungspositionen137 arbeiten selten im technischen Bereich im engeren Sinn, sondern im Marketing und Verkauf. Männer nehmen häufiger als Frauen berufliche Positionen ein, in denen technisches und wissenschaftliches Wissen akkumuliert wird. Der stillschweigende Androzentrismus in der Definition technischer Kompetenz setzt sich in anderen Bereichen fort: So gibt es bei der häufigen Betonung von „soft skills“ keinerlei Diskussion darüber, was „Teamorientierung“ für eine MaschinenbauStudentin unter 150 Studenten bedeutet und was ihre Kollegen darunter verstehen.
134
Aktuelle Angaben zu den Frauenanteilen in unterschiedlichen Schulformen liefert www.bmukk.gv.at. 2005/2006 betrug der Frauenanteil unter den LehrerInnen im Pflichtschulbereich 79,5%, in der AHS 60,5%. 135 Cockburn/Ormrod (1997) untersuchen am Beispiel der Mikrowellentechnologie vergeschlechtlichte Arbeitsprozesse von der Produktion bis zur Marketingstrategie und die darin konstruierte Ordnung der Geschlechter. 136 Mit dem Erzeugen struktureller Differenz durch interaktives "boundary work" der Geschlechter, das auf Distinktionszwängen beruht und in wechselnden Berufskontexten unterschiedliche Formen annimmt, befassten sich Heintz et al. 1997, 36ff. 137 Im technischen Privatunternehmen handelte es sich um zwei Frauen unter 30 Mitarbeitern auf innerbetrieblicher Top-Ebene und um zwei Frauen unter 400 Mitarbeitern bundesweit.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
„Uns hat noch keine Dame verlassen, die sind alle noch da. Die, die gegangen sind, das waren Männer“ (U 24), bemerkt der Personalchef einer Technologiefirma, und geht dazu über, die derzeit karenzierten Mitarbeiterinnen zu zählen. Die darauffolgende Frage der Interviewerin, ob auch Männer Karenzurlaub in Anspruch nehmen würden, wirkte auf ihn offenkundig lächerlich. Der hier angedeutete Zusammenhang von Geschlecht und Fluktuation dürfte auch für Aufstiegschancen der Technikerinnen eine Rolle spielen: Frauen mit Betreuungspflichten sind aufgrund beschränkter geographischer Mobilität und Kinderbetreuungsmöglichkeit weniger in der Lage, den Arbeitsplatz zu wechseln bzw. Druck geltend zu machen, um höhere Einkommen zu erzielen. Wo der Druck des Marktes das Einkommen beeinflusst, nimmt Einkommensdiskriminierung mit größerer Wahrscheinlichkeit zu. Im Unterschied zum blue-collar-Bereich besteht unter TechnerikerInnen mit Hochschulabschluss eine fast vollständige Intransparenz über das Einkommen der Kollegen. Frauen sind im Fortschreiten ihrer beruflichen Laufbahn zudem meist mit dem Phänomen der „Gläsernen Decke“ konfrontiert, wie wir es auch aus allen anderen Bereichen kennen. Die wenigen Technikerinnen sind auf den höheren Stufen der beruflichen Hierarchie nicht annähernd entsprechend ihres Anteiles an Erwerbstätigen repräsentiert. Statistisch betrachtet handelt es sich bei hochqualifizierten technischen Berufen um den Bereich mit dem am stärksten ausgeprägten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied. Er steigt bei höherer Qualifikation in den mittleren Altersgruppen deutlich an, vor allem bei den ehemaligen SchülerInnen berufsbildender höherer Schulen (Stadler 2003). Dennoch fühlte sich keine der Technikerinnen diskriminiert, obwohl sie sehr aktiv für Frauenförderung eintraten. Dieses nur undeutliche Bewusstsein der eigenen Benachteiligung dürfte u.a. auch daran liegen, dass wir es mit einem komplexen Muster der Diskriminierung zu tun haben. Einerseits werden geschlechtsneutrale Kriterien der Leistungsbewertung betont und eine vom Geist des neoliberalen Individualismus inspirierte Gleichstellungsrhetorik bekräftigt. Deutlich trat dabei die Tendenz der Personalverantwortlichen zutage, die Bedingungen ihrer subjektiven Perspektive zum Maßstab von als überflüssig erachteten Gleichstellungsinitiativen zu machen: „Gleichstellungsmaßnahmen brauchen wir nicht, weil ich den Unterschied nicht sehe,“ (U 21) bekräftigt der Personalverantwortliche seine autokratische Sichtweise. Und sein Kollege meint, Gleichstellungsmaßnahmen gäbe es in seinem Unternehmen nicht, „und zu Recht nicht, weil wir das Problem nicht haben“ (U 24). Andererseits werden von den Befragten die männerdominierten Konnotationen einer „asymmetrischen Geschlechterkultur“ (Müller 1999) konsequent ignoriert. Wie schon in den Untersuchungen von Dackweiler (2002, 2003) und Cockburn (1991) waren auch in unserer Fallstudie männliche Entscheidungsträger mehrheitlich nicht bereit, eine Veränderung der bestehenden Lohndiskriminierung zu unterstützen. Die Grenzziehungen zwischen geschlechtlich getrennten Lebenswelten werden von ihnen vielmehr aktiv erhalten und bekräftigt. Zwar zeigten manche der Befragten Verständnis für „Frauenförderung“, reduzierten diese jedoch auf die Vereinbarkeitsfrage und meinten keineswegs verbesserte Aufstiegschancen von Frauen in der betrieblichen Hierarchie. Hinsichtlich der Wirksamkeit gelegentlich propagierter Gleichstellungsinitiativen in einzelnen Betrieben und Branchen sollte uns dies nicht allzu optimistisch stimmen.138
138
Zur betrieblichen Frauenförderung und bisherigen Ergebnissen zu deren Wirksamkeit siehe Kap. 5.1.3.
Gender Gap Einkommen
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3.3.5 Fazit: Einkommensdiskriminierung als Herausforderung für Theorie und Politik In der präsentierten Fallstudie zur geschlechtlichen Lohndiskriminierung setzten wir uns mit dem Zusammenspiel von Lohnsystemen einerseits und Aspekten der arbeitsplatzbezogenen Praktiken andererseits auseinander. Unser Ziel war es, einen Beitrag zur Erklärung der Ursachen und der Stabilität der Lohndiskriminierung zu leisten, indem wir normative Muster, mikrosoziale Mechanismen und kollektive Konstellationen perpetuierter Diskriminierung untersuchten. In der Übersicht 3.2 werden die Ergebnisse innerhalb eines Orientierungsrahmens zusammengefasst, um die komplexen Prozesse auf eine zweidimensionale Ebene herunterzubrechen. Dies bringt zwar die Gefahr einer Übersimplifizierung mit sich, andererseits aber auch die Chance, die Anknüpfungsmöglichkeiten für Strategien zum Abbau der Einkommensdiskriminierung zu finden und diese zu entwickeln. Bei den ArbeiterInnen finden wir unmittelbare Mikroprozesse der Klassifizierung und Bewertung der Arbeit von Frauen als Frauenarbeit im Unterschied zu Männerarbeit. Polarisierte Gender-Charaktere führen zur Abwertung ersterer, wobei die Substruktur eines Männerarbeit bevorzugenden Zulagensystems eine Rolle spielt. Technische Qualifikation ist männlich konnotiert und höher entlohnt, Frauen bezahlen dies mit dem fast durchgängigen Ausschluss von qualifizierter Arbeit und Aufstiegschancen. Das Geschlecht verweist als symbolischer Arbeits-Platzanweiser (Gildemeister/Wetterer 1992, 221) Frauen direkt in eine niedrige Entlohnungsgruppe, die auf Arbeiter keine Anwendung mehr findet und die damit eine Art „Patriachatsdividende“ (Connell 1999) männlich dominierter Sozialpartnerschaft beziehen können. Bei hochqualifizierten TechnikerInnen ist die vertikale Segregation mit einem fest verankerten intransparenten und individualisierten Lohnsystem gepaart, das viele Formen der Diskriminierung zulässt. Die männerdominierte Fachkultur reproduziert sich in vielschichtigen Dynamiken der Konstruktion von Gender und wahrgenommener wie zugeschriebener Technik-Kompetenz, die für den beruflichen Aufstieg entscheidend sind. Die Norm der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit wird unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten gegen Frauen verwendet und durch die Reduktion von Gleichstellungsmaßnahmen (sofern diese nicht gänzlich abgelehnt werden) auf Familienförderung gestützt. Auch unter LehrerInnen ist die Lohndiskriminierung von Frauen auf die Hierarchie beruflicher Positionen zurückzuführen, über die in informellen und häufig auch noch politischen Netzwerken entschieden wird, zu denen Frauen schwer Zugang finden. Der Mythos einer Unvereinbarkeit erfüllten beruflichen und familiären Lebens festigt die GenderSubstruktur in diesem Beruf, wird jedoch nur Frauen gegenüber als Diskriminierungsmechanismus angewendet.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Übersicht 3.2: Ergebnisse im Überblick Arbeitsbereich Diskriminierungsmechanismus MikroProzesse
GenderNormen
Regelungsstrukturen
Blue-collar
White-collar
Konstruktion techn. Kompetenz
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Geschlechtliche Differenzierung von Arbeit Abwertung von Frauen(arbeit) Fraternisierte Übereinkünfte von Arbeitgebern u. Arbeitnehmern
Abwertung von Frauen in Kommunikation/ Interaktion Erwartete Flexibilitätsdefizite aufgrund stereotyper Assoziation von „Frau“ u. potenzieller Mutterschaft
Male breadwinner Polarisierte „GenderCharaktere“ keine Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen als Norm und Produkt der Selektionspraxis
Arbeitsanforderung hinsichtlich „Rund-umdie UhrVerfügbarkeit“, deren Rechtfertigung durch „Unvereinbarkeit“ der Sphären
GewerkschaftsStrategien Patriarchatsdividende männlich dominierter Sozialpartnerschaft
„Frauenmangel“ als Reduktion von Ablehnung der Rechtfertigung vertika- GleichstelGleichstellungsler Segregation lungsmaßnahmaßnahmen men auf Rhetorik u. „Familienförderung“
Zuweisung verschie-
Doppelte Vergesellschaftung von Frauen
„Gläserne Decke“, vertikale Segregation bzw. strikte Definition technischer Kompetenz in horizontaler Segregation
(Un-)Sichtbarkeit von Frauenarbeit Bedeutung politischen Engagements für Aufstieg
Netzwerke, informelle Kommunikation beeinflussen beruflichen Aufstieg
Frauen und Männer Klassifizierung und Gendering von differenten Tätigkeiten als „Frauen- bzw. Männerarbeit“, entsprechende Lohngruppen
Mythos vom Frauenmangel
Technik II
Klassifizierung u. Bewertung von Arbeit
Relationalität dener Arbeiten an
GenderKonstruktion
Technik I
Differenzierung in geschlechtlich konnotierte Tätigkeiten des „Leitens“ und des „Ausführens“
AndrozentrisGeschlechtermus in Definiti- symbolik on technischer Kompetenz
Androzentrismus in der Intransparenz individualisierter Gender-Sub- Zulagensystem, das „Männerarbeit“ bevorDefinition technischer Lohnsysteme struktur zugt
Kompetenz
Quelle: Eigene Darstellung (Hönig/Kreimer 2005, 60).
Gender Gap Einkommen
121
Zusammenfassend sollen für jede Berufsgruppe besonders herausragende Muster der Erzeugung und Erklärung geschlechtsspezifischer Ungleichheit angeführt werden.
A
Was tun? Anknüpfungspunkte für „Equal Pay“
Im Gegensatz zu den „erklärbaren“ Anteilen des Lohnunterschieds zwischen den Geschlechtern stecken annahmegemäß hinter dem nicht erklärten „Rest“ keine objektiven Merkmale, die eine unterschiedliche Bewertung der Leistungen von Männern und Frauen rechtfertigen würden.139 Insofern es sich um Präferenzdiskriminierung handelt, wäre steigender Wettbewerb bzw. eine Unterstützung der Marktkräfte die entsprechende Strategie zum Abbau des Gender Pay Gap. Abgesehen davon, dass dieser Diskriminierungserklärung keine allzu große Bedeutung zukommen dürfte (siehe Kap. 3.1), kann dieser Aspekt mit dem vorliegenden Material nicht näher untersucht werden.140 Sofern es sich um unhinterfragte Mechanismen der Benachteiligung von Frauen geht, um gendered substructures, die tief in die Organisationen eingeschrieben sind, ist davon auszugehen, dass es externer, d.h. gleichstellungspolitischer Unterstützung bedarf, um diese Mechanismen aufzubrechen, dass die Marktkräfte alleine nichts ausrichten können. Die große Bandbreite des empirisch zu beobachtenden Gender Pay Gap über die Industrieländer hinweg ist ein Indiz für die relative Wirksamkeit von Gleichstellungspolitik. So wird beispielsweise der verhältnismäßig geringe Einkommensunterschied in den skandinavischen Staaten auf die explizite, egalitär ausgerichtete und umfassend definierte Gleichstellungspolitik dieser Staaten zurückgeführt (vgl. z.B. Wroblewski/Leitner 2005).141 Unterschiedliche „Gleichstellungsregimes“ lassen sich identifizieren und in ihren Auswirkungen verfolgen (von Wahl 1999; siehe Kap. 5.1). Auch Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2005) finden empirische Bestätigung für die relative Wirksamkeit der Gleichstellungsgesetzgebung bzw. der Ratifizierung entsprechender Abkommen und Richtlinien.142 Die Ergebnisse unserer Fallstudie weisen auf zahlreiche Anknüpfungspunkte hin, an denen – sofern ein entsprechender politischer Wille besteht – Maßnahmen zum Abbau geschlechtlicher Lohndiskriminierung ansetzen können. Einige der im Zuge des Projekts abgeleiteten Punkte seien hier genannt (für eine gesamte Darstellung vgl. Hönig/Kreimer 2003, 37ff und Kreimer 2003b): 139
Diese Aussage ist insofern eine Annahme, als mit den vorhanden Daten und Methoden nicht völlig sichergestellt werden kann, dass alle produktivitätsrelevanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern tatsächlich identifiziert werden. Es sei aber nochmals darauf verwiesen, dass angesichts des Ausmaßes des „unerklärten Rests“ in den empirischen Studien jedenfalls ein erheblicher Anteil an tatsächlicher Diskriminierung, also ungerechtfertigter Ungleichbehandlung von gleichen Leistungen, gegeben sein muss. 140 Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2005) haben auf der Basis einer Meta-Analyse mit vorhandenen Studien zum Gender Pay Gap versucht, den Effekt steigender Konkurrenz auf den Gender Pay Gap festzustellen und kommen zum Ergebnis, dass die Beckersche Annahme tendenziell zutrifft. Dabei wird Wettbewerb über den Index of Economic Freedom gemessen. 141 Das Beispiel der skandinavischen Staaten zeigt die Möglichkeiten, zugleich aber auch die Grenzen auf: Trotz einer im Vergleich zu Österreich wesentlich umfassender definierten und implementierten Politik zum Abbau geschlechtsspezifischer Unterschiede existiert auch dort noch immer ein zwar kleinerer, aber in seinen Wirkungen genauso resistenter Gender Gap Einkommen. Dies verweist einmal mehr auf die tiefe Verankerung und Stabilität jener Mechanismen, die sich bei der Bewertung der Arbeitsleistung systematisch benachteiligend für Frauen auswirken. 142 Sie beziehen sich insbesondere auf die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen (CEDAW), die von Österreich 1982 ratifiziert wurde, sowie auf Richtlinien der ILO.
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143
Gender Gap und Arbeitsmarkt Angesichts des anhaltend hohen Gender Pay Gap in Österreich könnte erwartet werden, dass es sich um ein in der breiten Öffentlichkeit vieldiskutiertes Thema handelte. Dies ist keineswegs der Fall. Die Studie zeigte, dass die Wahrnehmung der Lohndiskriminierung von Frauen bei den Befragten ebenso schwach ausgeprägt war wie sie bei verantwortlichen AkteurInnen politischer Parteien oder Interessensvertretungen selten zur Sprache kommt. Hier besteht Bedarf nach einem klaren öffentlichen Bekenntnis zum Abbau diskriminierender Einkommensunterschiede143 und letztlich zu einem egalitären Geschlechterleitbild.144 Der defizitäre öffentliche Diskussionsstand zum Gender Pay Gap dürfte auch mit Besonderheiten des österreichischen Lohnsystems zusammenhängen, das als eines von hochgradiger Intransparenz charakterisiert werden muss. Dessen Undurchsichtigkeit ist einerseits eine Folge eines weit verzweigten Systems diverser Zulagen sowie des Umstandes, dass die Höherbewertung vorangegangener Berufserfahrung sowohl für ArbeitnehmerInnen wie für ArbeitgeberInnen den Überblick relativ verkompliziert. Hinzu kommt, dass wir es beim Thema Einkommen mit einem gesellschaftlich tabuisierten Phänomen zu tun haben, von dem noch immer hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Beides könnte durch entsprechende Sensibilisierungsmaßnahmen verbessert werden. Nun handelt es sich bei der österreichischen Variante auch im internationalen Vergleich um ein Lohnsystem, das dem Muster von Verhandlungen auf starker „kollektiver“ Grundlage folgt.145 Allgemein wird davon ausgegangen, dass ein solches kollektives zentralisiertes System der Geschlechtergleichstellung eher förderlich ist.146 Andererseits haben wir es in Österreich mit sehr hohen Lohndifferenzialen zwischen Branchen zu tun, die durch das kollektive Lohnsystem auch eher gestützt denn geschwächt werden (vgl. Hofer 1992). Auf der beruflichen Ebene dürfte zudem das duale Ausbildungssystem der Lehre, das überproportional von Männern in Anspruch genommen wird, in Kombination mit den Branchenlohnunterschieden zu einer stark segmentierten Lohnstruktur für Männer und Frauen geführt haben (vgl. auch Rubery 1998, 26). Da in der vergleichenden Studie über die sechs beteiligten Länder jedoch auch zur Feststellung kam, dass die steigende Tendenz individueller Lohnvereinbarungen sich eher negativ auf die Fraueneinkommen auswirken dürfte (vgl. Barth et al. 2002), bleibt festzuhalten, dass kollektive Verhandlungssysteme in Kombination mit verbesserter Lohntransparenz dennoch die beste Grundlage für eine Reduktion des Gender Pay Gap bilden dürften (vgl. auch Gartner/Stephan 2004). Was gewerkschaftliche Strategien anbelangt, fällt im Ländervergleich jedenfalls auf, dass hierzulande bei einem relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad bei-
Vgl. beispielsweise die englische Kampagne zur Sichtbarmachung des Gender Pay Gap durch die Equal Pay Commission (Kreimer 2003b, 14f). 144 Ein egalitäres Geschlechterleitbild kann beispielsweise über die Einführung eines Equal Pay Day vermittelt werden: das wäre jener Tag im Jahr, an dem statistisch gesehen die Frauen ihr Einkommen relativ zu den Männern bereits erzielt haben und den Rest des Jahres quasi gratis bzw. „diskriminiert“ arbeiten (vgl. Kreimer 2003b, 16). 145 Wenngleich in Zweifel gezogen werden kann, ob diese Praxis angesichts der vielfachen Zersplitterung der angewandten Kollektivverträge über diverse Branchen hinweg überhaupt noch als idealtypisch "Kollektives" einem idealtypisch "Individuellen" gegenübergestellt werden kann. 146 Vgl. z.B. Achatz et al. (2004) für Deutschland, die feststellen, dass in tarifgebundenen Betrieben das Lohnniveau generell höher ist (Mindeststandards) und dass Frauen leicht davon profitieren, also sich der Gap reduziert. Den größten Effekt hat Achatz et al. zufolge die Existenz eines Betriebsrates. Ähnlich argumentieren auch Blau/Kahn (2000) und Rubery (1998).
Gender Gap Einkommen
B
123
spielsweise in der Industrie dennoch ein beträchtlich hoher Gender Pay Gap besteht. Daraus folgt, dass die Gewerkschaften selbst Gender-Themen und insbesondere geschlechtliche Lohndifferenzen stärker zu ihrem Thema machen sollten.147 Von gewerkschaftlicher Seite ist eine systematische inhaltliche Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Effekten von Lohnverhandlungsfragen zu fordern.148 Aber auch von der Arbeitgeber-Seite ist die Einhaltung gewisser Standards viel stärker einzufordern. Wie in unseren Untersuchungen deutlich wurde, handelt es sich bei geschlechtsspezifischen ArbeitnehmerInnen-ArbeitgeberInnen-Beziehungen um ein sehr weites Feld, auf dem die Stereotype und Legitimationen der Benachteiligung von Frauen vergleichsweise unreflektiert und unkontrolliert existieren und nicht selten drastisch frauenfeindliche Züge annehmen. Folgt man in anderen Ländern schon positiven staatlichen Anreizsystemen, um innerbetriebliche Prüfungen zur Einkommensgleichheit von Frauen und Männern zu forcieren,149 so ist dieser Trend in Österreich gegenwärtig noch sehr unterentwickelt. Im verschärften Wettbewerb um KundInnen wie auch ArbeitnehmerInnen könnte diese Strategie durch den Ausbau von Anreizsystemen langfristig deutlich verstärkt werden.
Konsequenzen für die ökonomische Diskriminierungsforschung
Die Einkommensdiskriminierung von Frauen ist ein komplexes Phänomen, das über das Zusammenspiel vieler Mechanismen am Arbeitsmarkt erhalten wird. Dies macht zugleich auch die Verortung der Ursachen – warum wird gegenüber Frauen diskriminiert – so mühsam, weil sie hinter einer Menge von alltäglichen und individuell verständlichen Begründungen verborgen sind. Der Gender Gap Einkommen ist auch kein einheitliches Phänomen in dem Sinne, dass er in unterschiedlichen Arbeitsmarktsegmenten und/oder Ländern ähnlich ausgeprägt wäre. Die Ähnlichkeit besteht nur in der Geschlechterzuordnung der Diskriminierten, ansonsten sehen wir uns einer relativ großen Bandbreite gegenüber, wie viel weniger Frauen in annähernd vergleichbaren Situationen relativ zu Männern verdienen. Dies verweist auf die Kontextabhängigkeit geschlechtsspezifischer Einkommensdiskriminierung im Detail, aber auch auf die Möglichkeiten zu ihrer Veränderung. Die ökonomischen Diskriminierungsansätze haben angesichts der Vielschichtigkeit und Kontextgebundenheit des Problems nur begrenzte Erklärungskraft. Dies gilt insbesondere für den Präferenzansatz. Aber auch die statistische Diskriminierung und die diversen auf Marktunvollkommenheiten beruhenden Konzepte können den Kreislauf diskriminierenden Verhaltens, wenn es denn einmal praktiziert wird, nicht mehr durchbrechen. Die Gender-Forschung, die in der Erforschung und Bekämpfung der sozialen Ungleichheit der Geschlechter einen zentralen Ausgangspunkt hat, liefert hierzu wertvolle Beiträge. Die Untersuchung in den drei Berufsgruppen hat dies eindrucksvoll gezeigt. Allerdings steht ein 147
Im Betrieb könnte durch Verankerung in die Betriebsvereinbarung eine Frauenquote an Betriebsrätinnen eingeführt werden; überbetrieblich sind vor allem die institutionellen Verflechtungen der Sozialpartnerschaft als massiv männerdominierte Tradition in Österreich stärker geschlechtskritisch zu untersuchen wie auch praktisch in ihrer Männerdominanz aufzubrechen. 148 Auf diesbezügliche Bemühungen im österreichischen Gewerkschaftsbund wurde bereits in Kapitel 3.3.3 verwiesen. Es bleibt zu hoffen, dass die gestarteten Initiativen auch ihren Weg in die realen Verhandlungen zu Löhnen und Positionen finden werden. 149 Zu den best practice Beispielen vgl. Europäische Kommission 2007 sowie Kreimer 2003b.
124
Gender Gap und Arbeitsmarkt
integrativer Ansatz zur Theorie des Gender Pay Gap erst am Anfang: Feministische ÖkonomInnen haben sich bislang viel intensiver mit der Kritik der traditionellen neoklassischen Diskriminierungsansätze auseinandergesetzt als mit der Entwicklung neuer Konzepte und Theorien. Gender-ForscherInnen andererseits haben wohl noch immer Berührungsängste mit der Ökonomik. Hier bleibt noch viel zu tun, um einen breiten Ansatz zur Analyse der Diskriminierung im Sinne von Figart (1997) zu entwickeln. In Bezug auf die empirische Forschung zum Gender Gap Einkommen ist Methodenvielfalt unbedingt erforderlich. Lohnregressionen liefern – bei aller Kritik – wichtige Hinweise auf das Ausmaß des diskriminierenden Einkommensunterschieds, aber auch auf Einflussfaktoren. In Hinblick auf die jeweiligen spezifischen Mechanismen sind sie jedoch nur sehr begrenzt anwendbar, hier ist das große Instrumentarium der empirischen Sozialforschung in seiner ganzen Breite einsetzbar: von quantitativen Analysen anhand von Fragebögen, die im Vergleich zu ökonometrischen Datensätzen eine Vielzahl von möglichen Einflussfaktoren beinhalten können, bis hin zu Fallstudien und ExpertInneninterviews als sehr spezifische Erhebungsformen, die ein maximales Erfassen des jeweiligen Kontextes ermöglichen. Defizite bestehen jedenfalls in der Arbeitsmarktforschung in Bezug auf die Politik. Der Gender Pay Gap ist beeinflussbar und reduzierbar, aber welche Maßnahmen in welchen Kontexten wirksam sein könnten, darüber wissen wir noch zu wenig. Die zuvor genannten Anknüpfungspunkte für einen Abbau des Gap liefern zwar wichtige Hinweise für Maßnahmen in den untersuchten Feldern, sind aber nicht ohne weiteres verallgemeinerbar. Es wäre daher notwendig, die vorhandenen Erfahrungen mit Maßnahmen und Strategien zur Reduktion des Gap nicht nur zu sammeln (was beispielsweise im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie ansatzweise bereits geschieht, siehe auch Kap. 5.1), sondern diese systematisch zu ordnen und einen Raster möglicher Maßnahmen zu entwickeln, der auch Informationen über die jeweiligen Rahmenbedingungen, Erfolgs- und Misserfolgshinweise enthalten müsste.
Gender Gap Berufskarriere
3.4
125
Gender Gap Berufskarriere Segregation, die Gläserne Decke und Berufsunterbrechungen als Stolpersteine weiblicher Erwerbskarrieren150
Der Gender Gap Beschäftigung weist auf die Schwierigkeiten von Frauen hin, analog zu den Männern Zutritt zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Die Ursachen für diese Schwierigkeiten wurden bislang sowohl in der Ökonomik als auch in Teilen der Soziologie primär angebotsseitig lokalisiert und in unterschiedlicher Weise mit den familiären Hintergründen nicht erwerbstätiger Frauen verknüpft (siehe Kap. 3.2). Nachfrageseitige Bestimmungsgründe kommen erst langsam ins Blickfeld der Arbeitsmarktforschung. In diesem Abschnitt geht es nun nicht um diese getting-in Phase der Frauen, sondern um den Prozess des getting-on innerhalb des Erwerbsarbeitsmarktes. Im Blick sind somit erwerbstätige Frauen und Männer, und die zentrale Frage ist jene nach den Unterschieden in der Karriereentwicklung. Dass diese Unterschiede nicht nur das Ergebnis angebotsseitiger Faktoren sein können, sondern Unterschiede in den Karrieren von Frauen und Männern entscheidend von der Nachfrageseite – Personalverantwortliche, Unternehmensführung (siehe Kap. 3.3) – mitgestaltet werden, liegt auf der Hand. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Frage der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen bzw. genereller die Personalpolitik im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung in der Betriebswirtschaftslehre einen zentralen Raum einnimmt (vgl. Krell 2001, Peters/Bensel 2002). Basierend auf dem Sozialen Survey Österreich 2003151 werden in diesem Kapitel drei Fragestellungen untersucht: 1. Lässt sich das Muster der vertikalen Segregation, wonach Frauen in Relation zu formal gleich qualifizierten Männern seltener aufsteigen, nachweisen? Insbesondere: Gibt es die Gläserne Decke, die Frauen in Relation zu Männern am Aufstieg in höhere Arbeitsmarktpositionen und Führungspositionen hindert? Welchen Erklärungsbeitrag liefert die Arbeitsmarktökonomik für dieses Phänomen, welche Erkenntnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung können hier weiterhelfen? 2. Erweisen sich „Frauenberufe“ als Karrierenachteil? Ausgehend vom Tatbestand der anhaltend hohen horizontalen Segregation arbeitet ein Großteil der Erwerbstätigen in segregierten Arbeitsmarktstrukturen. Worin unterscheiden sich die Bedingungen in „Frauenberufen“ und „Männerberufen“, welche Konsequenzen hat die segregierte Berufswelt auch über die Berufe hinaus? Worin liegen die Ursachen für diese Benachteiligung von „Frauenberufen“? 3. Frauen unterbrechen weitaus häufiger als Männer ihre Berufskarriere zu Zwecken familiäre Betreuungsarbeit. Da es unter den gegebenen strukturellen Bedingungen für einen großen Teil der Betroffenen noch nicht möglich scheint, Beruf und Familie tatsächlich zu vereinbaren, sind Berufsunterbrechungen zur Leistung familiärer Arbeit 150
Dieses Kapitel beruht zum einen auf den eigenen Arbeiten zur Arbeitsmarktsegregation (vgl. Kreimer 1995, 1999, 2002a, 2004a), zum anderen auf Auswertungen aus dem Sozialen Survey Österreich 2003 mit Birgit Friedl (vgl. Friedl/Kreimer 2005), der ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. 151 Der Soziale Survey Österreich liegt für 3 Jahre vor: 1986, 1993 (vgl. Haller et al. 1996) und 2003 (vgl. Schulz et al. 2005).
126
Gender Gap und Arbeitsmarkt notwendig. Infolge der verfestigten Strukturen traditioneller Arbeitsteilung betrifft dies primär Frauen, deren Karrieren daher immer noch in weit höherem Maße als die der Männer von Diskontinuitäten infolge familiärer Verpflichtungen geprägt sind. Zu fragen ist, inwieweit die Übernahme familiärer Betreuungs- und Pflegearbeit geschlechtsspezifische Disparitäten im Erwerbsarbeitsmarkt erzeugt und stabilisiert, und in der Folge, wie Berufsunterbrechungen ohne diese negativen Auswirkungen gestaltet werden könnten.152
3.4.1 Vertikale Segregation und Gläserne Decke Für das empirisch zu beobachtende Faktum, dass Frauen zwar ihre Präsenz im Management bzw. allgemein in hochqualifizierten Positionen ständig erhöhen, aber dennoch nicht „ganz nach oben“ gelangen können, wurde der Begriff des glass ceiling, der Gläsernen Decke kreiert. Frauen haben die entsprechenden Qualifikationen erworben, sie erreichen auch Positionen mit Karriereperspektiven, aber eine unsichtbare Barriere scheint diese Karrieren zu stoppen. Im Ergebnis erhalten wir vertikale Segregation: die hierarchisch unterschiedliche Verteilung der Geschlechter auf Karrierepositionen bei gleicher Qualifikation, verbunden mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die relativen Einkommenspositionen für Frauen. Die Gläserne Decke wirkt daher am Gender Gap Karriere ebenso mit wie am Gender Pay Gap, und sie „sichert“ eine extrem asymmetrische Arbeitsteilung im TopManagement im privaten wie im öffentlichen Sektor. Der Frauenanteil in den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen im Wissenschaftssystem ist ein Paradebeispiel für Letzteres.
A
Empirie: Die berufliche Stellung als Indikator vertikaler Segregation
Mit der Stellung im Beruf liegt ein Indikator vor, der ansatzweise Auskunft über die vertikale Segregation, d.h. die geschlechtsspezifische Verteilung über verschiedene hierarchische Ebenen am Arbeitsmarkt, geben kann (Tabelle 3.2).153 Männer dominieren den Fachund Vorarbeiterbereich sowie den Bereich der hochqualifizierten und führenden Stellungen. Frauen sind in den Angestelltenpositionen (mit Ausnahme der hochqualifizierten Positionen) stärker vertreten, rund ein Fünftel sind einfache Angestellte, fast ein Viertel mittlere Angestellte und immerhin knapp 18% höhere Angestellte. Im Bereich der Hilfs- und angelernten ArbeiterInnen entspricht der Frauenanteil ebenso wie bei den Selbständigen in etwa dem Gesamtschnitt.
152
Langfristig stellt sich die Frage nach der Veränderung der gegebenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, nach einer Neuverteilung der Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen Familie, Markt und Staat. Kurz- und mittelfristig können bestehende Instrumente auf ihre Verbesserungs- und Ausbaumöglichkeiten hin untersucht werden, wie dies am Beispiel der Übergangsarbeitsmärkte gezeigt werden wird (siehe Kap. 4.3 und 5.3). 153 Die Erwerbstätigen (n=982) wurden nach ihrer Stellung im Beruf befragt, die Angaben wurden für die Auswertung wiederum zusammengefasst zu acht Gruppen. Rückschlüsse auf die vertikale Segregation können dabei nur innerhalb der ArbeiterInnen- bzw. Angestelltentätigkeiten gezogenen werden (einfache, mittlere, höhere Tätigkeiten), nicht jedoch im Vergleich der drei großen Positionen „Selbständige“, „ArbeiterInnen“ und „Angestellte inkl. Beamte und Vertragsbedienstete“.
Gender Gap Berufskarriere
127
Tabelle 3.2: Berufliche Stellung nach Geschlecht, in % Stellung im Beruf
Männer Frauen Gesamt Frauenn=552 n=429 n=981 anteil in % I Selbständige u. MH. in der Landwirtschaft 5 3 4 32 II Selbständige u. MH. (ohne Landwirtschaft) 9 10 10 47 III Hilfs- und angelernte ArbeiterInnen 17 18 17 45 IV Fach- und VorarbeiterInnen, Meister 25 3 16 8 V Einfache Angestellte, VB, B. 12 21 16 58 VI Mittlere Angestellte, VB., B. 12 24 17 61 VII Höhere Angestellte, VB., B. 10 18 13 59 11 4 8 21 VIII Hochqual. u. führende Angestellte, VB.,B MH. = MithelfendeVB. = Vertragsbedienstete, B. = BeamtInnen. Quelle: Sozialer Survey 2003, eigene Berechnungen. Die vertikale Segregation wird insbesondere dann sichtbar, wenn die höchste abgeschlossene Ausbildung berücksichtigt wird (Tabelle 3.3). Tabelle 3.3: Berufliche Stellung nach höchster abgeschlossener Ausbildung, in % Von den Personen mit höchster abgeschlossener Ausbildung…. Nur Pflichschule M F Pflichtschule M mit Lehre F BMS M F AHS M F BHS M F Hochschule M F
n=40 n=51 n=313 n=137 n=56 n=83 n=27 n=40 n=56 n=57 n=59 n=61
sind …. % in der beruflichen Stellung I 3 8 5 4 14 5 2 0 0
II 10 8 6 9 13 5 19 13 16 12 10 16
III 60 51 20 29 5 5 2 5 5 3
IV 41 7 13 1 2 5 2 3 -
V 25 33 14 31 11 27 4 8 4 12 2 -
VI 3 11 1 34 49 11 45 13 30 2 3
VII 2 2 9 7 48 25 23 37 27 59
VIII 1 1 2 1 19 5 32 2 56 18
I = Selbständige u. Mithelfende i.d. Landwirtschaft; II =Selbst. u. Mithelfende sonst III = Hilfs- u. angelernte ArbeiterInnen; IV = Fach-/VorarbeiterInnen u. MeisterInnen V = einfache Angestellte/Beamte/Vertragsbedienstete; VI = mittlere Angestellte/ B. /VB. VII = höhere Angestellte/ B./VB.; VIII = Hochqual./führende Ang./B./VB. BMS = Berufsbildende Mittlere Schule; AHS = Allgemeinbildende Höhere Schule; BHS = Berufsbildende Höhere Schule.
Quelle: Sozialer Survey 2003, eigene Berechnungen.
128
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Während 56% der männlichen Hochschulabsolventen eine hochqualifizierte oder führende Position einnehmen, trifft dies nur auf 18% der weiblichen Hochschulabgängerinnen zu. Frauen mit abgeschlossenem Studium erreichen zwar sehr häufig höhere Angestelltenpositionen, stoßen dann aber an die „Decke“. Bei den AbsolventInnen von BHS ist die Gläserne Decke noch ausgeprägter: Nur 2% der BHS-Absolventinnen, aber 32% der Absolventen konnten bis zu einer hochqualifizierten Stellung vordringen. Bei den AHSAbsolventInnen wiederholt sich das Bild, aber um eine Stufe nach unten verschoben: Männer finden sich in höheren Positionen wieder, Frauen erreichen nur mittlere Positionen. Frauen, die Berufsbildende Mittlere Schulen absolviert haben, nehmen viel häufiger als Männer mittlere und einfache Angestelltenpositionen ein, bei Männern mündet diese Ausbildung in Facharbeiterpositionen und Selbständigentätigkeiten. Bei der bei beiden Geschlechtern quantitativ größten Gruppe der Erwerbstätigen mit abgeschlossener Lehrausbildung zeigt sich eine deutliche Asymmetrie: 41% der männlichen Lehrabsolventen können ihre Ausbildung direkt umsetzen (Facharbeiter/Vorarbeiter), 20% erreichen nur eine Hilfs- oder angelernte Position. Bei den Frauen ist es umgekehrt: Gar nur 7% sind als Facharbeiterinnen tätig, 29% als Hilfs- und angelernte Arbeiterinnen. Allerdings können Frauen dies durch den Eintritt in Angestellten-Positionen kompensieren, was darin begründet sein mag, dass die typischen Frauen-Lehrberufe in Angestelltenpositionen münden (Verkäuferin, Bürokauffrau). Die vertikale Differenzierung in Bezug auf Hilfs- und FacharbeiterInnenpositionen ist dennoch ein Hinweis auf Mobilitätsbarrieren bei Frauen. In einem weiteren Schritt wurde zwischen öffentlichen und privaten Dienstverhältnissen differenziert. BeamtInnenpositionen sind von Männern dominiert (13% der Männer, 10% der Frauen, Männeranteil 63%), Frauen dominieren die Vertragsbedienstetenpositionen (12% zu 7%, Frauenanteil 58%). Das könnte auch ein Indiz für vertikale Segregation sein: Männer erreichen offenbar leichter die extrem „geschützten“ Beamtenpositionen, Frauen finden Zugang zum öffentlichen Dienst als Vertragsbedienstete. Im Rahmen des SSÖ wurden die Erwerbstätigen auch nach ihrem ersten Beruf bzw. ihrer ersten beruflichen Stellung befragt. In Anlehnung an Leitner (1996) wurde die berufliche Stellung beim Berufseinstieg der aktuellen Stellung gegenübergestellt und die entsprechenden Abstromquoten berechnet (Tabelle 3.4). Bei den Männern dominiert die berufliche Stellung der Facharbeiter mit 41% als Einstiegsposition sehr klar, während nur 7% der Frauen als Facharbeiterinnen eingestiegen sind.154 Allerdings fungiert die Facharbeiterposition bei einem großen Teil der Männer nur als Übergang, nur 57% bleiben in dieser Position. Es gibt kein klares Muster des Wechsels, immerhin 13% der als Facharbeiter eingestiegenen Männer befindet sich aktuell in Hilfsarbeiterpositionen, 13% in einfachen Angestelltenpositionen und 9% in mittleren Angestelltenpositionen. Dies mag als Hinweis dafür gelten, dass die „Normalkarriere“ auch für Männer flexibler geworden ist. Bei den Frauen übernehmen einfache Angestelltenpositionen die dominante Einstiegsstelle in die Berufskarriere, wenn auch deutlich schwächer mit 28%. Der Abstrom ist ähnlich hoch, 53% bleiben in diesen Positionen, rund ein Fünftel schafft 154
Dass dieser Unterschied im Berufseinstieg nicht diskriminierungsfrei vor sich geht, zeigen Palamidis/Schwarze (1989) in einer empirischen Untersuchung für Deutschland, das ein ähnliches duales Ausbildungssystem wie Österreich aufweist. Sie stellen fest, dass Frauen es viel schwerer haben, ihre Präferenzen für eine Lehre umzusetzen, dabei in hohem Maß auf „frauentypische“ Bereiche beschränkt sind und sich häufiger mit weniger anspruchsvollen Ausbildungswegen begnügen müssen. Es erfolgt demnach eine „diskriminierende Selektion der Ausbildungsplatzinteressenten“ (ebd., 123), die neben dem Kriterium Geschlecht auch das der Nationalität betrifft.
Gender Gap Berufskarriere
129
einen Aufstieg in mittlere oder höhere Angestelltenpositionen, immerhin 17% sind auch hier in Hilfsarbeiterinnenpositionen gewechselt.155 Tabelle 3.4: Karrieremobilität von Männern und Frauen (Abstromquoten), in % Jetzige berufliche Stellung Erste berufl. Stellung I II III IV V VI VII VIII M F
LandwirtInnen u. Mithelfende Selbständige und Mithelfende
I
79 56 1 HilfsarbeiterInnen 6 FacharbeiterInnen u. 1 Meister 7 Einfache Angestellte, Vertragsbed., Beamte 1 Mittlere Angestellte, Vertragsbed., Beamte Höhere Angestellte, Vertragsbed., Beamte Führende Angestellte, Vertragsbed., Beamte Spalten5 summen in % 3
II
III
7
7 -
76 70 3 2 3 7 17 8 4 3 4 10 6 9 9 11
IV 7
22 3 3 69 65 13 25 14 17 2 1 1 17 17
V -
-
VI -
22 -
3
-
10 13
9
9
2 57 36 2 4 2 25 3
18 13 14 50 53 4 ´1 3 12 21
VII
3
3 5
3 3
3 9 7 10 13 65 81 3 3 18 12 24
5 3 4 2 6 10 7 72 79 18 10 18
VIII Zeilensum. % 5 2 7 5 3 7 0 14 0 15 2 41 7 5 11 2 28 14 9 3 22 22 10 6 17 88 6 55 3 11 n=551 4 n=430
Anmerkung: In den Feldern stehen oben links die Männer, unten rechts die Frauen. Lesehilfe: Die Abstromquote 79 für Männer im ersten Feld bedeutet, dass 79% der Männer, die als Landwirte oder Mithelfende in der Landwirtschaft eingestiegen sind, diese Positionen auch noch immer einnehmen, je 7% sind in die Selbständigkeit in anderen Bereichen, in Hilfsarbeiter- oder Facharbeiterpositionen gewechselt.
Quelle: Sozialer Survey 2003, eigene Berechnungen. Direkte Rückschlüsse auf die Richtung der Erwerbskarriere können aus dem Vergleich der Angestelltenpositionen untereinander gezogen werden. Hier zeigt sich ein deutlicher geschlechtsspezifischer Unterschied ab den mittleren Positionen. Frauen verbleiben relativ häufiger auf mittleren und höheren Angestelltenpositionen als Männer, diese steigen relativ häufiger auf. Für Frauen scheint in höheren Angestelltenpositionen Schluss zu sein – die Gläserne Decke behindert einen weiteren Aufstieg. Selbst wenn sie in führenden Positionen eingestiegen sind (was auf gerade 3% der erwerbstätigen Frauen zutrifft), können sie darin nicht bleiben: Nur 55% bleiben längerfristig an der Spitze (= Stufe VIII), je 18% verlieren um eine Hierarchiestufe (auf VII) bzw. um zwei Hierarchiestufen (auf VI). Im Vergleich dazu verbleiben 88% der Männer in führenden Jobs (Stufe VIII). Sowohl die Verteilung der beruflichen Stellung nach höchster abgeschlossener Ausbildung (Tabelle 3.3) als auch die Mobilitätsanalyse in Tabelle 3.4 geben deutliche Hinwei155
Dieser Unterschied im Einstieg in das Berufsleben korrespondiert mit dem Unterschied auf Ausbildungsebene, die Lehre ist männerdominiert, während Frauen häufiger eine Berufsbildende Mittlere Schule absolvieren.
130
Gender Gap und Arbeitsmarkt
se auf die Existenz einer Gläserne Decke für Frauen: Eine unsichtbare Barriere scheint zu verhindern, dass qualifizierte Frauen in ähnlicher Weise wie ihre männlichen Kollegen hochqualifizierte und führende Positionen einnehmen können. Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass es sich nur um eine Querschnittsbetrachtung handelt und somit die Karriereverläufe nicht beobachtet werden konnten.156 Deskriptive Daten zum Anteil von Frauen in Führungspositionen aus unterschiedlichen Quellen bestätigen alle das Bild der Unterrepräsentanz (vgl. Dienel 1996, 2002). Für eine Reihe von Ländern liegen bereits ökonometrische Untersuchungen zum glass ceiling Phänomen vor (Arulampalam et al. 2004, Gang et al. 2003, Albrecht et al. 2003), die dessen Existenz allesamt klar bestätigen: „There is a glass ceiling over Europe“ (Arulampalam et al. 2004, 12).157 In der Untersuchung von Arulampalam et al. 2004 wird die Existenz der Gläsernen Decke im privaten Sektor auch für Österreich nachgewiesen.158
B
Erklärungsansätze zum glass ceiling Phänomen
Was konstituiert die Gläserne Decke, welche Barrieren sind dafür verantwortlich, dass Frauenkarrieren an ihr stoppen? Für die USA gibt es eine Reihe sehr detaillierter Studien zum glass ceiling Phänomen,159 die in großer Übereinstimmung zur Feststellung kommen, „that the foremost barrier to the advancement of women and minorities into the executive ranks is male prejudice. ..... male stereotyping and preconceptions of women; exclusion from informal networks of communication; lack of opportunities for general management/line experience; inhospitable corporate culture; lack of mentoring; too little time in the pipeline; lack of awareness of organizational policies; commitment to family responsibilities; lack of personal initiative or ability; ineffectual leadership style“ (Chamberlain 1999, 398f). In einer deutschen Längsschnittstudie wurde der Karriereverlauf von HochschulabsolventInnen untersucht (Abele 2002). Interessant ist insbesondere der Vergleich des Karriereerfolgs von kinderlosen Frauen und Männern, hier ist der Geschlechtsunterschied zwar 156
Diesbezüglich gibt es in Österreich immer noch ein Datendefizit; es gibt keine dem deutschen Sozioökonomischen Panel vergleichbare Datenquelle mit Verlaufsdaten. Fitzenberger/Wunderlich (2004) untersuchen beispielsweise die Verdienstentwicklung in Deutschland mit Hilfe dieser Verlaufsdaten und finden einige Evidenz für die Existenz von glass ceiling Effekten für die Gruppe der hochqualifizierten Frauen, deren Einkommensposition sich im Vergleich zu Männern trotz starker Zunahme des Ausbildungsniveaus und der Beschäftigung nicht verbessert hat. 157 Bei den angegebenen Studien handelt es sich um Lohnregressionen, in denen der glass ceiling über einen größeren wage gap am oberen Ende der Lohnverteilung festgestellt wird. Gang et al. (2003) schätzten die Einkommensmobilität von Frauen und Männern: „The existence of a glass ceiling implies that the upper level of the employment distribution – and by implication the upper end of the labor income distribution – remains less diverse than the entry level“ (ebd., 19). 158 Sie verwenden Daten des Europäischen Haushaltspanels. Für den öffentlichen Sektor in Österreich konnten keine Hinweise auf eine Gläserne Decke gefunden werden. Abgesehen von dieser Studie liegt meines Wissens keine ökonometrisch-empirische Studie zum glass ceiling in Österreich vor. Auf der politischen Ebene wird die Thematik immer wieder thematisiert, jüngst im Zusammenhang mit der Bestellung der RektorInnen an den österreichischen Universitäten (2008: erstmalig eine Rektorin gegenüber 20 Rektoren). 159 1991 wurde vom amerikanischen Kongress die Glass Ceiling Commission gegründet, um Aufstiegsbarrieren zu identifizieren und Empfehlungen für die Überwindung der Barrieren zu entwickeln. Die Arbeit der Kommission wurde 1996 mit dem Abschlussbericht Good for Business: Making Full Use of the Nation’s Human Capital abgeschlossen (vgl. Franck/Jungwirth 1998, Chamberlain 1999).
Gender Gap Berufskarriere
131
klein, aber signifikant (ebd., 60). Die Studie brachte zutage, dass der geringe Karriereerfolg von Frauen nicht an der Studienfachwahl, nicht an den Leistungen der Frauen und auch nicht an deren Selbstvertrauen liegt. Die StudienautorInnen konnten allerdings nicht identifizieren, was diesen Unterschied tatsächlich verursacht, sondern nur vermuten, dass es „nicht die (Hervorhebung im Original) Ursache für unterschiedliche Karriereverläufe von Frauen und Männern gibt, sondern dass viele für sich genommen sehr kleine Aspekte sich über die Zeit summieren, um dann die Geschlechterdifferenz in Führungspositionen zu bewirken“ (Abele 2002, 61). Der durch die Gläserne Decke verursachte Promotion Gap wird in der Arbeitsmarktökonomik über drei Stränge erklärt: Humankapitaltheoretische Erklärungen: Unterschiede im Humankapital bewirken eine geringere Produktivität von Frauen und dementsprechend werden Frauen weniger befördert. Humankapital bezieht sich hier nicht nur auf Ausbildungsunterschiede (die ohnehin zumindest in den jüngeren Kohorten kaum mehr existieren), sondern auf die Berufsorientierung und Einstellung zur Arbeit (commitment) und die Berufserfahrung im weiteren Sinn (experience). Dass hoch qualifizierte Frauen aufgrund ihrer Familienorientierung eine geringere Karriereorientierung haben als ihre männlichen Kollegen, dürfte kaum zutreffen (Reskin/Padavic 1994, 40f; Marsden et al. 1993, Wiegand 1995, 177ff).160 Dass Frauen über weniger unmittelbar für Top-Jobs und Führungsaufgaben relevante Erfahrung verfügen, ist eine Tatsache, die allerdings wohl kaum das Ergebnis freiwilligen Verzichts sein dürfte. Die von der ILO zusammengetragene Evidenz zum glass ceiling (Wirth 2001) dokumentiert die Probleme, denen sich Frauen im Management gegenübersehen, wenn sie für die weitere Karriere relevante Auslandserfahrungen etc. sammeln wollen. Was als Unterschied im Humankapital erscheint, ist in Wirklichkeit bereits das Ergebnis diskriminierender Praktiken (siehe auch Hofbauer 2002). Segregationsbasierte Erklärungen: Diese bauen auf den Konzepten der internen Arbeitsmärkte auf, in denen Karrierepfade (job ladders) sehr rigide gestaltet sind, insbesondere was den Einstieg in diese Aufstiegswege betrifft. Frauen haben geringere Chancen, in diese entry positions zu kommen (Reskin/Padavic 1994, 88).161 Wirth (2001, 45ff) verwendet das Bild der glass walls, wo160
Dienel (1996) setzt sich ausführlich mit der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Frauen in Führungspositionen auseinander und kommt zum Schluss, dass für Frauen, die Führungspositionen anstreben, Kinderbetreuung keinen Einfluss auf die Karrierewege hat. Diese Frauen können sich den Zukauf von Hilfen bei der Betreuung und im Haushalt leisten und tun dies auch. Was aber sehr wohl eine Rolle spielt ist die Vereinbarkeit der Mutterrolle mit der Karriererolle. Allerdings ist dieser Einfluss im Vorfeld der Entscheidung für Karrieren im Führungsbereich wirksam, d.h. die als soziale Norm vorhandene Unvereinbarkeit von Mutterrolle mit Topkarriere mag mit dafür verantwortlich sein, warum trotz hohem Ausbildungsniveau weniger Frauen als Männer um den Einstieg in Management-Positionen konkurrieren. Frauen, die diese Hürde übersprungen haben, dürften sich dann aber von dieser Unvereinbarkeitsnorm nicht mehr in ihren Karriereplänen beeinflussen lassen. Bis dato hat ein großer Teil der Managerinnen dieses potenzielle Karrierehindernis durch den Verzicht auf Kinder und häufig auch auf Partnerschaften vermieden (Dienel 2002; Nerge 1993). 161 Der von Reskin (1994) vorgestellte „queueing approach to sex segregation“ hat seine Wurzeln in dem Warteschlangenkonzept von Thurow (1978). Thurow verlagert den Wettbewerb am Arbeitsmarkt von der Ebene der Löhne auf die der Arbeitsplätze. Reskin (1994) ergänzt die Thurowsche labor queue um eine zweite Warteschlange, die job queue, die die Reihung von Jobs durch die Arbeitskräfte beinhaltet. Die Arbeitskräfteschlange wird von den von Unternehmen bevorzugten Arbeitskräften angeführt, an den vordersten Stellen der Arbeitsplatzschlange stehen die attraktivsten Jobs. Diese sind gekennzeichnet durch die Entlohnung, Arbeitsbedingungen
132
Gender Gap und Arbeitsmarkt
nach Frauen zwar immer häufiger Zugang zu Management-Positionen finden und darin auch aufsteigen, aber wie durch Gläserne Wände von jenen Karrierepfaden getrennt sind, die strategisch so gestaltet sind, dass sie „ganz nach oben“ führen können. In großen Firmen sind das häufig Management-Positionen im Bereich der Produktentwicklung und der Finanzen.162 Die Frauen auf der anderen Seite der glass walls klettern zwar auch die Karriereleiter hinauf, aber eben nur bis zum glass ceiling. Karriereunterschiede können sich auch einfach dadurch ergeben, dass Positionen von vornherein mit einer kurzen job ladder verbunden sind oder gar keine nennenswerten Aufstiege in der betrieblichen Hierarchie zugeordnet bekommen haben (Sackgassenpositionen). Die Verteilung von Frauen und Männern auf „lange“ und „kurze“ Karriereleitern erweist sich als klar asymmetrisch, und verweist damit wiederum auf diskriminierende Praktiken. Diskriminierung: Diskriminierende Chefs oder Personalverantwortliche bewerten die Qualifikationen von Männern höher als jene von Frauen.163 Die Ursache für dieses Verhalten kann in Präferenzen liegen: „Top-level management is a male environment, and some men feel uncomfortable with women. The result is discrimination“ (Reskin/Padavic 1994, 91). Oder die Verantwortlichen gehen von Stereotypen über die Karriereorientierung, Belastbarkeit etc. von Frauen aus und praktizieren in Ermangelung einfacher Prüfungsverfahren statistische Diskriminierung. Eine Variante statistischer Diskriminierung bei Führungspositionen ist der Rückgriff auf „bewährte“ Personengruppen (Kanter 1977): Da objektive Kriterien zur Beurteilung von Managementleistungen fehlen, werden zur Risikominimierung bisherige Rekrutierungsmuster für Führungskräfte beibehalten. Franck/Jungwirth (1998) haben sich mit jenen Ansätzen auseinandergesetzt, die von höheren Kosten für Frauen ausgehen, die diese für die „Signalproduktion“ aufbringen müssen, wenn sie der statistischen Diskriminierung entgehen wollen.164 Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert, weil sie diese höheren Kosten nicht tragen können oder wollen. Allerdings erklärt dies nach Franck und Jungwirth nicht, warum auch jene Frauen, die es in Führungspositionen geschafft haben, nicht in die höchsten Ebenen vordringen können, also doch bei der Gläsernen Decke gestoppt werden. Diese Frauen haben bereits Vorleistungen in der Form höherer Signalkosten erbracht, gezeigt, dass sie beispielsweise ihre berufliche Produktivität nicht zugunsten der Familienproduktion einschränken wollen. Franck/Jungwirth (1998) erklären den glass ceiling über Vorurteile – somit direkte Diskri(Autonomie, Autorität, Qualifizierungsmöglichkeiten etc.), potenzielle Aufstiegsmöglichkeiten und schließlich auch Macht und Prestige. Im folgenden matching Prozess finden einander die höchstgereihten Arbeitskräfte und die attraktivsten Jobs. Unter der Annahme, dass es sich bei der labor queue zugleich um eine gender queue handelt, d.h. dass (weiße) Männer ganz vorne gereiht werden, kann damit die andauernde Benachteiligung der Frauen erklärt werden (Kreimer 1999). 162 Mittlerweile wurden die Metaphern für die unsichtbaren Barrieren, die Frauen im Vergleich zu Männern in ihrer Karriere behindern nochmals erweitert: Bendl/Schmidt 2004 beschreiben neben dem glass ceiling und den glass walls auch noch sogenannte firewalls (siehe auch Kap. 5.1). 163 Ein schon klassischer Fall einer solchen Diskriminierung ist jener von Ann Hopkins gegen Price Waterhouse in den USA: Obwohl sie vergleichsweise mehr für das Unternehmen geleistet hatte als ihre männlichen Kollegen, wurde ihr der Aufstieg in den PartnerInnenstatus verweigert. Sie klagte – und bekam 1990 beim Supreme Court recht (vgl. Reskin/Padavic 1994, 81). 164 Franck/Jungwirth (1998) führen drei Ansätze an, warum es zu statistischer Diskriminierung gegenüber Frauen kommt: Höheres Entzugsrisiko bei spezifischem Humankapital bei Frauen, niedrigere Kontraktrenten für Frauen aufgrund der Alternative „Familienproduktion“ und Produktionsbegrenzungen bei bestimmten Informationssurrogaten wie z.B. lange Arbeitszeiten.
Gender Gap Berufskarriere
133
minierung – auf der den Personalentscheidungen im Unternehmen übergeordneten Kapitalmarktebene: Das Management muss sich gegenüber Kapitaleignern legitimieren, sobald auf dieser Ebene auch nur geringe Vorurteile über die Leistungsfähigkeit von Frauen in Top-Führungspositionen (z.B. Vorstandspositionen) bestehen, werden Frauen von diesen Positionen ausgeschlossen bleiben. Diese Form diskriminierender Präferenzen erodiert auch nicht durch Wettbewerb, weil der Kapitalmarkt dem Arbeitsmarkt für TopmanagerInnen vorgelagert ist (ebd., 1093). Osterloh/Littmann-Wernli (2002) haben untersucht, ob die Annahmen, die zur statistischen Diskriminierung von weiblichen Führungskräften führen und damit eine Gläserne Decke ökonomisch legitimieren, einer empirischen Überprüfung standhalten – sie tun es nicht. Die Autorinnen stützen sich insbesondere auf das Ergebnis eigener Untersuchungen, die zeigten, dass gerade Frauen, die es in Führungspositionen geschafft haben, keine systematisch höhere Fluktuationsquote haben als männliche Kollegen. Die Unternehmen scheinen sich aber der Richtigkeit ihrer geschlechtsspezifischen Annahmen so sicher zu sein, dass in den untersuchten Betrieben gar keine Versuche unternommen wurden, entsprechende Daten zu sichten und die Annahmen zu prüfen (ebd., 273). Beide Formen, direkte diskriminierende Präferenzen und statistische Diskriminierung, werfen die Frage auf, woher diese Abwertungen Frauen gegenüber, diese Stereotype kommen? ArbeitsmarktökonomInnen verweisen diese Frage in die Soziologie und Sozialpsychologie, wo es mittlerweile eine Reihe von Analysen gibt, die auch zur Entwicklung der Diskurse um Gender und Organisationen beigetragen haben.
C
Erkenntnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung: Gendering Organizations
Karriereverläufe sind die Folge des Aushandelns von Arbeitsverträgen, des Zuweisens von Tätigkeiten, des Eröffnens und Wahrnehmens von Aufstiegsmöglichkeiten – all das spielt sind in Organisationen ab. „Organisationen eröffnen und begrenzen Chancen der beruflichen Platzierung, sind also an der Herstellung und Fortschreibung sozialer Ungleichheit wesentlich beteiligt“ (Achatz et al. 2002, 284). Das betrifft auch die Herstellung, Fortschreibung und Legitimation ungleicher Arbeitsmarkterträge von Frauen und Männern. Erkenntnisse aus der Organisationsforschung sollten daher zur Erklärung von geschlechtsspezifischen Benachteiligungsstrukturen wesentlich beitragen können. Der Ausgangspunkt von Gendering Organizations ist nicht die Organisation als Ort, an denen sich geschlechtsspezifische Eigenschaften und Verhaltensweisen treffen, sondern die Eigenschaften, Praktiken, Politiken und Strukturen der Organisation selbst stehen im Mittelpunkt. „Institutionen stellen sich selbst auf Dauer und entwickeln eine Art Eigenleben“ (Wharton 2002, 190). Eine bereits klassische Untersuchung stammt von Kanter (1977), die die These aufstellte, dass Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen besser durch die Merkmale ihrer Positionen, die sie innehaben, als durch die Merkmale der Personen selbst erklärt werden können. „Insofern sich Männer und Frauen am Arbeitsplatz also unterschiedlich verhalten, werden diese Unterschiede von Zwängen innerhalb der Organisation geschaffen, nicht von Veranlagungen, die Frauen und Männer außerhalb der Organisation erworben bzw. gebildet haben“ (Wharton 2002, 191; Hervorhebung im Original). Kanter setzt sich
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
deutlich dafür ein, das Verhalten von Individuen im jeweiligen Kontext zu sehen, das Umfeld in Betracht zu ziehen. Kanter (1977) untersuchte die spezifischen Bedingungen von Frauen in männerdominierten Bereichen, d.h. mit einem Frauenanteil unter 15%. Frauen sind als Minderheit in männlich dominierten Bereichen oft sozial isoliert, insbesondere sind sie von den männlich dominierten sozialen Beziehungsnetzen, den old-boys-networks, in denen unter anderem die beruflichen Karrieremöglichkeiten entschieden werden, ausgeschlossen. Die von Kanter untersuchten sogenannten token women hatten drei Erfahrungen gemeinsam: Sie waren besonders sichtbar, d.h. ständig erhöhter Aufmerksamkeit ausgesetzt und damit dem Druck, besonders gut zu sein; sie waren aus informellen sozialen und beruflichen Netzwerken relativ ausgegrenzt, und schließlich wurden Unterschiede zwischen ihnen und den männlichen Kollegen ständig überbetont und übertrieben. In der Kombination führen diese Faktoren dazu, dass gleichwertige Leistungen von Frauen tendenziell unsichtbar werden und die Frauen es daher scheinbar nie schaffen, eine den Männern gleichwertige Leistung zu erbringen. Kanters tokenism-Konzept hat den Grundstein für eine Reihe von empirischen Untersuchungen gelegt, ist allerdings auch auf Kritik gestoßen, weil sie letztlich aus einer geschlechtsneutralen Position heraus argumentiert: Frauenprobleme sind Minderheitenprobleme. Die empirischen Forschungen zeigten jedoch recht bald, dass Männer in Minderheitenpositionen (unter 15% Männeranteil) andere Erfahrungen machen als Frauen (vgl. Heintz et al. 1997, Williams 1993). Das Geschlecht prägt den Charakter von Organisationen; nicht Individuen, sondern Organisationen selbst sind gendered. Das Konzept der vergeschlechtlichten Organisation beruht wesentlich auf den Arbeiten von Acker (1990), deren zentrale These besagt, dass Zweigeschlechtlichkeit ein konstitutives Element jeder Organisation bildet und in alle Organisationsstrukturen und –prozesse eingebettet ist (vgl. auch Achatz et al. 2002). „To say that an organization, or any other analytic unit is gendered means that advantage and disadvantage, exploitation and control, action and emotion, meaning and identity, are patterned through and in terms of a distinction between male and female, masculine and feminine. Gender is not an addition to ongoing processes, conceived as gender neutral. Rather, it is an integral part of those processes, which cannot properly be understood without an analysis of gender“ (Acker 1990, 146).165 In der Fortführung und empirischen Umsetzung dieses Ansatzes wird die darin enthaltene „Omnirelevanz und Omnipräsenz von Geschlecht in jeder Organisation, in allen Praktiken, Prozessen und Strukturen zu jeder Zeit“ (Funken 2004, 23) kritisiert. Organisationen seien als „situierte Praxis“ zu verstehen, die kontextabhängig sind und sich wandeln können (Halford et al. 1997, Heintz et al. 1997, Wilz 2002). Im Moment scheint die Gendered Organization zwar mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten, Wilz (2004) konstatiert eine gewisse Unübersichtlichkeit angesichts der vorhandenen theoretischen Stränge und empirischen Umsetzungen. Dies verweist darauf, dass hier noch einiges an theoretischer Aufarbeitung und Begriffsklärung (z.B. zum oft nur vage definierten Organisationsbegriff) notwendig ist. Trotz dieser Unübersichtlichkeit und dem daraus resultierenden Forschungsbedarf geben die bereits existenten empirischen Befunde Einblick in die komplexen Me-
165
Ackers Konzept wurde bereits im vorangehenden Kapitel 3.3 verwendet, und zwar in der Form der in Organisationen eingeschriebenen gendered substructures als einen Erklärungsansatz für den Gender Pay Gap.
Gender Gap Berufskarriere
135
chanismen der Herstellung, Perpetuierung und ansatzweise auch Lockerung der Gläsernen Decke und Gläsernen Wände in Organisationen.166
3.4.2 Karrierehindernis Frauenberufe? Die Erwerbstätigkeit erfolgt für einen großen Teil von Frauen und Männern immer noch in „getrennten Welten“, die Arbeitswelt ist in hohem Ausmaß nach dem Geschlecht segregiert (siehe Kap. 2.4). Die beiden wesentlichen Aspekte vertikaler Segregation, die Verteilung auf Einkommens- und Karrierepositionen, wurden bereits analysiert, im folgenden geht es um die horizontale Segregation,167 insbesondere um das Phänomen der „Frauen-„ und „Männerberufe“.
A
Worin unterscheiden sich „Frauen-“ und „Männerberufe“?
Die horizontale Segregation könnte durchaus der Ausdruck von Berufspräferenzen und einer effizienten Arbeitsteilung sein. Allerdings ist die horizontale Segregation immer mit einer vertikalen Differenzierung – und somit mit vertikaler Segregation – verbunden. Wie stark dieser Zusammenhang ist, kann variieren, aber er ist immer nachweisbar.168 Erst über diese vertikale Dimension wird berufliche Segregation zu einem zentralen Faktor geschlechtsspezifischer Disparitäten, da sie immer mit einer Hierarchisierung zuungunsten von Frauen verbunden ist (Teubner 1998). Wir sind mittels der Daten des SSÖ der Frage nachgegangen, ob „Frauenberufe“ tatsächlich eine schlechtere Performance aufweisen als „Männerberufe“. Zuerst werden die Ausbildungsniveaus von Frauen und Männern in den einzelnen Berufstypen verglichen (Tabelle 3.7).169 In „Männerberufen“ weisen Frauen überdurchschnittlich häufig eine sehr geringe Qualifikation auf, während die Männer in diesen Berufen zu über 70% über eine mittlere Bildung verfügen. Konträr dazu ist der Anteil hochqualifizierter Frauen sogar höher als bei den Männern. Frauen scheinen Zugang zu „Männerberufen“ zu haben, wenn sie niedrig oder sehr hoch qualifiziert sind. Dies ist die unmittelbare Folge davon, dass Männer sehr viel häufiger als Frauen eine Lehrausbildung machen. In den „Frauenberufen“ dagegen 166
Vgl. z.B. Wilz 2002 zu einer Untersuchung zu Personalentscheidungen für Führungspositionen in einer Krankenversicherung und in der Polizei. 167 Entsprechend dem Dissimilaritätsindex müssten mehr als 60% aller Erwerbstätigen in Österreich ihren Beruf wechseln, um eine Gleichverteilung über alle Berufe zu erzielen (Anker 1998). Zwar ist dieser Index in seiner Aussagekraft begrenzt (vgl. Kreimer 1999, Charles 2003), als erste Annäherung an das Ausmaß horizontaler Segregation ist er aufschlussreich. In den (auf der Volkszählung 1991 basierenden) Berechnungen von Anker 1998 hat Österreich einen der höchsten Indexwerte Europas. 168 Ein Beispiel für Systeme, in denen eine relativ hohe horizontale Segregation mit einer relativ geringen vertikalen Segregation einhergeht, sind die skandinavischen Staaten: Diese weisen hochgradig horizontal segregierte Arbeitsmärkte auf, aber der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern als Ausdruck vertikaler Segregation ist viel geringer als im restlichen Europa (vgl. Melkas/Anker 1997). 169 Da es nicht möglich ist, diesen Vergleich für die jeweils hoch segregierten Berufe anzustellen, da das jeweilige unterrepräsentierte Geschlecht praktisch fehlt, wurden diese mit den segregierten Berufen zusammengeführt. Auch die Ausbildungskategorien (höchste abgeschlossene Schulbildung) haben wir zu drei Gruppen zusammengefasst: Nur Pflichtschule; Pflichtschule mit Lehre und BMS („mittlere Bildung“); AHS, BHS und Universität („höhere Bildung“).
136
Gender Gap und Arbeitsmarkt
haben Frauen häufiger ein höheres Bildungsniveau. Ähnliches gilt für die integrierten Berufe, die sich zudem durch ein besonders hohes Bildungsniveau auszeichnen. Tabelle 3.5: Ausbildungsniveaus in Frauen- und Männerberufen, in % Höchste abgeschlossene Ausbildung Pflichtschule Mittlere Bildung Höhere Bildung M F M F M F Segregierte Männerberufe (Frauenanteil unter 34%) Integrierte Berufe (Frauenanteil 34 – 54%) Segregierte Frauenberufe (Frauenanteil über 54%) Alle Erwerbstätigen
8
28
71
49
22
24
3
5
61
52
36
43
7
10
61
52
32
38
7
12
67
52
26
37
Anmerkungen: M = Männer, F = Frauen; Mittlere Bildung = Pflichtschule mit Lehre und berufsbildende mittlere Schule; Höhere Bildung = Allgemeinbildende bzw. Berufsbildende Höhere Schule und Hochschule/Universität. Quelle: Sozialer Survey 2003, eigene Berechnungen. Insgesamt arbeiten 40% der Frauen und 6,5% der Männer in Teilzeit, d.h. sie haben eine Wochenarbeitszeit unter 36 Stunden.170 54% der Männer und 42% der Frauen arbeiten Vollzeit zwischen 36 und 40 Wochenstunden, immerhin 39% der Männer und 18% der Frauen sind (teilweise deutlich) mehr als 40 Stunden in der Woche tätig. Betrachten wir die Arbeitszeitverteilung in den einzelnen Berufsgruppen, sind die Ergebnisse wenig überraschend: In den segregierten „Männerberufen“ sind lange Arbeitszeiten überproportional vertreten, vor allem für Frauen (32% der hier tätigen Frauen), in Teilzeit arbeiten nur 2% der Männer und auch nur 23% der Frauen. „Männerberufe“ sind offenbar keine ausgeprägten Teilzeitberufe. In den segregierten „Frauenberufen“ ist das Bild umgekehrt, hier ist Teilzeit bei beiden Geschlechtern überproportional vertreten (12% der Männer, 44% der Frauen), lange Arbeitszeiten sind verhältnismäßig seltener. Integrierte Berufe zeichnen sich durch lange Arbeitszeiten bei beiden Geschlechtern aus. Wroblewski (2000) hat mit Daten aus dem Mikrozensus 1997 ähnliche Analysen durchgeführt, die die obigen Ergebnisse bestätigen. Für die segregierten Berufsbereiche stellt sie ebenfalls fest: „Frauen sind flexibel, indem sie ihre Arbeitszeit reduzieren, Männer indem sie Überstunden leisten“ (Wroblewski 2000, 11). Interessant ist, dass die jeweiligen Arbeitszeitmuster in den Berufstypen für beide Geschlechter sehr ähnlich ausfallen. Dies weist darauf hin, dass Arbeitszeiterfordernisse stärker von den beruflichen Rahmenbedingungen her geprägt werden und eher weniger von den individuellen Wünschen. Anders 170
Das ist in Relation zu den Gesamtdaten etwas überdurchschnittlich: Im Mikrozensus 2003 betrug die Teilzeitquote der Frauen rund 36%, die der Männer knapp 5% (siehe Kap. 2.2).
Gender Gap Berufskarriere
137
ausgedrückt: Weil ein Beruf als Teilzeitberuf (Beruf mit langen Arbeitszeiten) angeboten wird, wird er zum Frauenberuf (Männerberuf). Der „Strukturgeber Beruf“ (Born 1994, Born et al. 1996) hat auf männliche wie auch weibliche Erwerbskarrieren entscheidenden – allerdings unterschiedlichen – Einfluss.171 Die Erwerbstätigen wurden nach ihrem persönlichen Nettoeinkommen befragt. Daraus wurden für die unterschiedlichen Gruppen von Berufen die jeweiligen Gruppenmittelwerte berechnet (Tabelle 3.6). Der Einkommensnachteil der Frauen, der insgesamt mit 31% mit sonstigen Ergebnissen für Österreich vergleichbar ist (vgl. z.B. Stadler 2003), ist durchwegs in allen Berufsgruppen zu finden, was nicht überrascht. Interessant – und auch nicht überraschend – ist das Ergebnis, dass das Einkommensniveau in „Männerberufen“ höher ist als das in „Frauenberufen“. Es ist schon bezeichnend, dass das Einkommensniveau im Kernbereich der Frauenbeschäftigung, den segregierten Frauenberufen mit einem Frauenanteil zwischen 54 und 73% am niedrigsten ist. Dass integrierte Berufe ein zielführender Anknüpfungspunkt für einen Abbau des Gender Pay Gap wären, zeigt sich auch in diesen Daten – leider befinden sich nur wenige Berufe und wenige Erwerbstätige in dieser Kategorie. Tabelle 3.6: Durchschnittseinkommen in „Frauen-“ und „Männerberufen“, in Euro Durchschnitts-Monatseinkommen
Hoch segregierte Männerberufe Segregierte Männerberufe Integrierte Berufe Segregierte Frauenberufe Hoch segregierte Frauenberufe Alle Erwerbstätigen
Frauen
Männer
Gesamt
n
(1.369) 970 1.273 1.012 1.355 1.075
1.561 1.632 1.655 1.497 (1.263) 1.569
1.554 1.475 1.510 1.168 1.343 1.353
164 147 69 330 42 754
Gender Pay Gap (%) (12) 40 23 32 (-7) 31
Anmerkungen: Gender Gap = Fraueneinkommen in Prozent des Männereinkommens. Rund 230 Erwerbstätige haben die Antwort auf die Einkommensfrage verweigert. Angaben in ( ): Die Besetzungen beim jeweils nicht dominierenden Geschlecht sind hier so gering (einstellig), dass diese Zahlen nur als grobe Tendenz gesehen werden können. Quelle: Sozialer Survey Österreich 2003, eigene Berechnungen. In segregierten „Männerberufen“ ist der Gender Pay Gap mit 40% besonders hoch, das durchschnittliche Einkommen der Frauen eindeutig am niedrigsten von allen Gruppen. Wenn wir berücksichtigen, dass auch der Teilzeitanteil hier unterdurchschnittlich ist, lässt dies den Einkommensnachteil der Frauen noch deutlicher hervortreten. Ein Teil dieser 171
Diese unterschiedlichen Auswirkungen auf die Geschlechter können nur über die Verschränkung mit dem zweiten „Strukturgeber“ Familie erklärt werden, die ebenfalls für Frauen und Männer unterschiedlich angelegt ist: Während sich im männlichen Erwerbsverlauf in der Regel eine „strukturelle Deckungsgleichheit“ (Krüger 1995, 201) ergibt und sich auch die Familie als „Support-Institution“ für den Arbeitsmarkterfolg herausstellt, ist diese Verschränkung für Frauen nach wie vor höchst widersprüchlich angelegt. Ein Beleg dafür findet sich auch in den Daten des Sozialen Survey: In der Analyse des Einkommens (vgl. Hadler 2005) zeigt sich, dass die Existenz von Kindern das Einkommen der Männer über den Durchschnitt hebt, das der Frauen jedoch unter den Durchschnitt (der ohnehin schon deutlich unter dem Männer-Durchschnitt liegt) drückt.
138
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Differenz ist allerdings im Arbeitsangebot begründet und daher kein Ergebnis (direkter) Diskriminierung: Frauen in segregierten „Männerberufen“ sind im Schnitt schlechter qualifiziert als ihre männlichen Kollegen. In segregierten „Frauenberufen“ ist der Gender Pay Gap mit 32% im Gesamtschnitt. Da hier die Frauen allerdings überdurchschnittlich gut qualifiziert sind, kann der Einkommensnachteil kaum mit Qualifikationsdefiziten der Frauen erklärt werden. Teilzeit ist überproportional häufig anzutreffen, aber für beide Geschlechter, was den Erklärungsbeitrag der geringeren Arbeitszeit auf den Gender Pay Gap abschwächt. In integrierten Berufen ist bei relativ ausgeglichenem Geschlechterverhältnis und geringem Teilzeitanteil der Gender Gap am geringsten, liegt aber immer noch bei mehr als einem Fünftel. Dies eröffnet zum einen Perspektiven für den Abbau geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede, sofern es gelingt, den Anteil integrierter Berufe zu erhöhen. Andererseits ist der auch hier vorhandene Gender Pay Gap ein deutlicher Hinweis darauf, dass Arbeitsmarktdiskriminierung abseits der Segregation am Arbeitsmarkt existiert – geschlechtsspezifische Diskriminierung also soziale Realität ist (siehe 3.3). Als letzte Variable haben wir die Häufigkeit von Berufsunterbrechungen für die Berufstypen analysiert. Es gibt keine großen Abweichungen in den Gruppen hinsichtlich der Angabe von Unterbrechungen, weder bei Männern noch bei Frauen. Die Verteilung der Unterbrechungen folgt in etwa der Verteilung der Personen auf die Gruppen. Dies weist darauf hin, dass der segregierte Arbeitsmarkt keinen direkten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Berufsunterbrechungen aus familiären Gründen hat. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass wir hier nur Erwerbstätige mit erfolgreichem Wiedereinstieg im Blickfeld haben, da ausschließlich derzeit Erwerbstätige nach Berufsunterbrechungen gefragt wurden. Inwiefern der segregierte Arbeitsmarkt bzw. genereller die Arbeitsmarktstrukturierung auf Dauer und Häufigkeit von Berufsunterbrechungen, auf Wiedereinstiege oder dauerhafte Ausstiege insgesamt einwirken, könnte nur dann analysiert werden, wenn auch Informationen zu den „erfolglosen“ RückkehrerInnen und jenen, die gar keinen Wiedereinstieg versucht haben, vorliegen würden.172
B
Warum sind die Bedingungen in „Frauenberufen“ schlechter als in „Männerberufen“?
Die horizontale Teilung des Arbeitsmarktes in Frauen- und Männerbereiche ist nicht von vornherein mit negativen Konsequenzen für die Arbeitsmarktchancen von Frauen verbunden, sondern könnte durchaus individuelle Präferenzen zum Ausdruck bringen. Zudem könnten Frauenberufe Nischen für Frauen darstellen, in denen sie nicht mit Männern konkurrieren müssen. Allerdings ist horizontale Segregation fast immer mit einer hierarchischen Differenzierung – und somit mit vertikaler Segregation – verbunden. Aus empirischer Sicht bieten sich dafür folgende Erklärungen an: 172
Born et al. (1996) weisen anhand der um 1930 geborenen Frauen nach, dass der wesentliche Bestimmungsfaktor für den realisierten Erwerbsverlauf von Frauen nicht die Familienereignisse waren, sondern der Erstberuf dieser Frauen (ebd., 283). Diskontinuitäten sind in hohem Ausmaß berufsbedingt, mit besonderer Bedeutung der Berufseinstiegsphase, weil hier bereits kompetenzstiftende oder eben kompetenzreduzierende Mechanismen in Gang gesetzt werden, die die Einschätzung des Machbaren und das Selbstwertgefühl der Frauen beeinflussen (Born 1994, 221f.).
Gender Gap Berufskarriere
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Die wesentlichste Ursache liegt in der Verhinderung oder Verschleierung von Vergleichsmöglichkeiten: Die Konzentration in „Frauenberufen“ oder –branchen erleichtert die “frauenspezifische” Definition und Bewertung von Tätigkeiten (z.B. geringere Einstufungen). Je mehr Männer und Frauen nebeneinander ähnliche Tätigkeiten ausführen, desto schwieriger werden solche geschlechtsspezifischen Bewertungsverfahren. Dies führt unmittelbar dazu, dass die daraus resultierende Ungleichbehandlung nicht oder nur schwer sichtbar ist und daher auch nur schwer bekämpft werden kann. Dies gibt vor allem in sehr stark berufsständisch verankerten Systemen wie Österreich. Den Frauen in „Frauenbranchen“ fehlt – neben anderen Faktoren – die Vergleichsbasis, um eine Besserstellung verlangen zu können. Eine hohe Konzentration in spezifischen Bereichen führt zudem zu sehr spezifischem Humankapital, was ein Wechseln in andere Berufe und auch Branchen erschwert. Auch hier steht im Hintergrund wieder ein relativ starres berufliches System (starkes Senioritätsprinzip, inflexible Ausbildungsanerkennungen etc.). Frauen, die mit den Bedingungen in ihrer „Frauenbranche“ nicht zufrieden sind, können schwer ausweichen. Und schließlich sind „Frauenberufe“ häufiger als „Männerberufe“ nicht mit entsprechenden Karriereleitern verbunden, d.h. es gibt auch real weniger Aufstiegsmöglichkeiten. „Frauenberufe“ sind somit häufiger Sackgassenberufe (vgl. z.B. Finder/Blaschke 1999, Engelbrech 1991). Flexibilisierung und Globalisierung bedingen zunehmenden Konkurrenzdruck am Arbeitsmarkt mit vielfach negativen Folgen für die ArbeitnehmerInnen (Zilian/Flecker 1998). Allerdings liegt in der Konkurrenz grundsätzlich auch ein Potenzial für Frauen: Unter Konkurrenzbedingungen sollten sie zeigen können, dass sie mit den Männern gleichgezogen haben und daher auch um die “guten” Jobs konkurrieren können. Segregierte Arbeitsmarktstrukturen jedoch behindern Konkurrenz durch eine Vielzahl von strukturellen und institutionellen Barrieren zwischen Frauen- und Männerbereichen. Konkurrenz findet innerhalb, aber kaum zwischen geschlechterdifferenten Arbeitsmarktsegmenten statt. Der segregierte Arbeitsmarkt ist somit ein entscheidender Faktor für die unterschiedlichen Karrieremöglichkeiten der Geschlechter, woran bisher auch die zunehmende Konkurrenz auf Arbeitsmärkten wenig ändern konnte. Wie die ökonomischen Arbeitsmarkttheorien mit dieser Herausforderung umgehen, soll im nächsten Abschnitt gezeigt werden.
C
Erklärungsansätze zur horizontalen Segregation
Die horizontale Segregation ist ein Aspekt gesamtwirtschaftlicher Arbeitsteilung. Diese ist in der ökonomischen Wissenschaft seit Adam Smith positiv besetzt. Smith selbst hat sich nicht explizit mit der Arbeitsteilung der Geschlechter beschäftigt – implizit findet sich das sich damals bereits abzeichnende traditionelle Arbeitsteilungsmodell, das Frauen und Männern vor dem Hintergrund biologischer Argumente ihre adäquaten Rollen zuweist (Pujol 1992). Eine explizite Umsetzung des Prinzips der Arbeitsteilung auf das Geschlechterverhältnis in der Arbeitsmarktökonomik erfolgte erst mit der New Home Economics in Verbindung mit humankapitaltheoretischen Argumenten (vgl. Kap. 3.1) In der Anwendung auf die segregierte Berufsstruktur bedeutet dies beispielsweise, dass Frauen „Frauenberufe“ mit flachen Lohnprofilen wählen, in denen die Verluste infolge einer Berufsunterbrechung nicht so groß sind. Die empirische Evidenz spricht deutlich gegen diese Segregationserklärung (vgl. England 1982 und 1992, Kreimer 1999).
140
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Zudem hat der neoklassische Ansatz ähnlich wie bei der Frage der Diskriminierung Schwierigkeiten, dauerhafte Segregation zu erklären. Unter Konkurrenzbedingungen sollte eine ineffiziente Allokation - wenn beispielsweise Frauen in „Frauenberufe“ gedrängt werden, obwohl sie Männerberufe sogar besser als diese oder aber billiger als diese ausüben könnten – keinen Bestand haben. Segregierte Arbeitsmarktstrukturen, die nicht den Präferenzen der Individuen am Arbeitsmarkt und nicht ihren Qualifikationen entsprechen, müssten durch das Wirken der kompetitiven Marktkräfte verschwinden. Mobilität spielt dabei eine zentrale Rolle (räumliche Mobilität, Qualifizierung). Diese Ausgleichsmechanismen sind jedoch in einem segregierten Arbeitsmarkt nur begrenzt wirksam: Die Investitionen in Qualifikation ermöglichen zwar die Überwindung möglicher Arbeitsmarktbarrieren. Allerdings erzeugt ein Angebot an Qualifikation noch nicht zwangsläufig die entsprechende Nachfrage. Die vertikale Segregation zeigt, dass gerade Frauen nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden, d.h. dass sie bei der Verwertbarkeit ihrer Qualifikation an wesentlich engere Grenzen stoßen als Männer. Der räumlichen Mobilität (v.a. Arbeitsplatzwechsel) sind im segregierten Arbeitsmarkt ebenfalls klare Grenzen gesetzt (RabeKleberg 1990, Heintz et al. 1997, Teubner 1989, 2004).173 Eine andere Gruppe von Arbeitsmarkttheorien, die Segmentierungsansätze, gehen im Gegensatz zur neoklassischen Theorie explizit von der Annahme eines nicht-kompetitiven Arbeitsmarktes aus (Kreimer 1999, 113 ff.). Da Arbeit kein Gut wie jedes andere ist, ist die von der Neoklassik vorausgesetzte Anpassungsfähigkeit von Angebot und Nachfrage daher nicht oder nur eingeschränkt vorhanden. Zudem sind die Beziehungen zwischen den Produktionsfaktoren keine des freien Austausches, sondern durch Macht gekennzeichnete soziale Beziehungen. Sichtbar wird dies z.B. in den unterschiedlichen Alternativen, die den MarktteilnehmerInnen zur Verfügung stehen (z.B. Verkauf des Kapitals, Wahlmöglichkeiten bzgl. Lohnarbeit). Der Lohnsatz hat keine bzw. keine ausschließliche Markträumungsfunktion, damit ist der wesentliche Anpassungsmechanismus der neoklassischen Theorie unwirksam. Segmentationstheoretische Ansätze können zwar die Wirkungsweise segregierter Strukturen aufzeigen (vgl. z.B. Lappe 1981), die Versuche, geschlechtsspezifische Segmentierung zu erklären, bleiben aber auch hier unbefriedigend (Kleber 1988, Maier 1991). Frauen werden als eine der Problemgruppen am Arbeitsmarkt betrachtet,174 warum Unternehmen ein spezifisches Interesse an der Abspaltung von Frauenarbeitsplätzen zusätzlich zur Segmentierung haben sollten, d.h. warum es auch in schlechteren Arbeitsmarktbereichen nochmals eine Trennung in Frauen- und Männerbereiche mit unterschiedlichen Bedingungen gibt, bleibt offen. Anker (1997, 324) plädiert für eine Ergänzung der üblichen humankapital- und segmentationstheoretischen Ansätze um gender theories, denn diese „provide the most com173
Eine weitere Erklärung für die Persistenz der Segregation könnte darin liegen, dass die genannten Konkurrenzmechanismen nicht zur Anwendung kommen können, weil der Arbeitsmarkt zu stark reguliert ist (Arbeitsschutz, Mindestlöhne, etc.). Nun kann über das Ausmaß der notwendigen Regulierungen sicher diskutiert werden – klar ist jedoch, dass mittlerweile kaum mehr geschlechtsspezifisch unterschiedliche Regulierungen existieren, und nur solche könnten den geschlechtsspezifisch gespaltenen Arbeitsmarkt erklären. Neoklassische Segregationserklärungen bleiben daher unbefriedigend. 174 Wenn Frauen explizit von Männern unterschieden werden, dann vor dem Hintergrund exogener Differenzen und mit humankapitaltheoretischen Argumentationen: Frauen haben eine geringere Erwerbsorientierung und/oder höhere turn-over-Raten, investieren daher weniger in betriebsspezifisches Humankapital und landen in sekundären Arbeitsmarktsegmenten.
Gender Gap Berufskarriere
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pelling explanations for the sex segregation of occupations“ (ebd., 336), weil diese „are mainly concerned with non-labour market variables which economists take as given. A basic premise of gender theories is that women’s disadvantaged position in the labour market is caused by, and is a reflection of, patriarchy and women’s subordinate position in society and the family.” Zur Erklärung der Mechanismen, die für die Entstehung und Reproduktion horizontaler Segregation verantwortlich gemacht werden können, gibt es mittlerweile eine umfangreiche Literatur aus dem Überschneidungsbereich der Professionensoziologie mit dem Ansatz der sozialen Konstruktion von Geschlecht (vgl. z.B. die Beiträge im Sammelband Wetterer 1995, Heintz et al. 1997, Wetterer 2002). Sie weisen die „Transformation hierarchisch strukturierter Prozesse der Statusdistribution in (wie es dann ebenso schön wie regelmäßig heißt: „horizontale“) Segregationsprozesse, die quasi naturwüchsig und unter einverständlicher Mitarbeit aller Beteiligten einzig und allein der Verschiedenheit der Geschlechter Rechnung tragen“ (Wetterer 1995a, 22) nach. Anders ausgedrückt: Segregation war und ist das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzung um die attraktiven Teile des Arbeitsmarktes,175 was zur Folge hat, dass Segregation kein ausschließlich horizontal zu verstehendes Phänomen ist. Um diese Transformation vorgeblich neutraler produktivitätssteigernder Differenzierung der Arbeit in hierarchische Beziehungen nachvollziehen zu können, bedarf es historischer Analysen, die die Dynamik der Segregation sichtbar machen können: Vormals männliche Arbeitsbereiche wurden zu weiblichen und umgekehrt, neue und zuerst nicht geschlechtsspezifisch geprägte Berufe erhalten eine solche Prägung. Bei all diesen Prozessen bleibt eine Konstante aufrecht: die Hierarchisierung in der Form der Ab- und Entwertung von „Frauenberufen“.176 Es ist einer der Erfolge der Gleichbehandlungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, dass Ausschließungs- und direkte Abgrenzungsprozesse gegen Frauen praktisch verschwunden sind. Dennoch wirken Segregationsprozesse weiterhin, was darauf verweist, dass aktuelle Prozesse der Abgrenzung wesentlich subtiler und indirekter sind als die explizit codifizierte geschlechtsexklusive Schließung von Berufen in den Anfängen ihrer Professionalisierung. Die Reproduktion der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern war und ist legitimationsbedürftig, dieser Legitimationsbedarf ist erheblich angewachsen, was sich auf die Art von Segregationsprozessen deutlich ausgewirkt hat. „Da kollektive Akteure und codifizierte Regelungen allerdings weitgehend von der Bildfläche verschwunden sind, funktionieren die gegenwärtigen Prozesse der Vergeschlechtlichung scheinbar ‚wie von selbst’ – was den Erfolg des Unterfangens keineswegs mindert, im Gegenteil“ (Wetterer 2001, 215).177 175
Falk 2002 hat das Phänomen der ansteigenden Segregation in Ostdeutschland untersucht und festgestellt, dass die Ursachen dafür primär in einem quantitativen Verdrängungsprozess liegen: Männerdominierte Berufe werden für Frauen noch schwerer zugänglich, während frauendominierte Berufe für Männer geöffnet werden. Dazu kommt ein qualitativer Verdrängungsprozess: Frauen können nicht in gleicher Weise wie Männer in qualifizierten Dienstleistungsberufen Fuß fassen. 176 Zum Thema Geschlechtswechsel von Berufen vlg. Cockburn 1988 und 1991; Wetterer 2002, 79ff und ausführlich für das Beispiel der Medizin 248ff; Teubner 1989 und zusammenfassend 2004, Rabe-Kleberg 1993; Willms-Herget 1985; zusammenfassend auch Regenhard 1997. Eine der ersten historischen Aufarbeitungen der Thematik lieferte Hausen 1978. Zur Geschichte der Funktionsweisen von Ausschließungs- und Abgrenzungsprozessen vgl. zusammenfassend Kreimer 1999; ausführlich zur Geschichte der Medizin Wetterer 1993 und 2002; am Beispiel der Dienstleistungsberufe Teubner 1989, Rabe-Kleberg 1987 und 1993. 177 Wetterer (1992 und 2001) zeigt am Beispiel der Juristenschaft, wie die modernen Varianten der alten Schließungsverfahren funktionieren. Die juristischen Berufe sind in Deutschland seit 1922 für Frauen geöffnet, trotzdem wurden Frauen in der Folge vornehmlich in Berufen und Rechtsgebieten tätig, „die zuvor als für sie
142
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Wenn Frauen alle Berufe grundsätzlich offen stehen, stellt sich für die GenderForschung umso dringlicher die Frage nach den AkteurInnen und KonstrukteurInnen der Segregation abseits der Berufswahl der Frauen selbst infolge ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation oder ihrer vorauseilenden Vereinbarkeitsplanung oder ihres Karriereverzichts infolge ihrer Familienorientierung.178 Da die Prozesse der Vergeschlechtlichung von Berufen immer subtiler geworden sind, trifft dies auch auf ihre wissenschaftliche Rekonstruktion zu. Empirische Studien verlagern sich auf die mikropolitische Ebene einzelner Unternehmen und Organisationen, wo sie sich mit dem Forschungsansatz zu „Gender und Organisation“ treffen. Und sie nehmen auch die Frauen selbst ins Blickfeld, denn „Konstrukteurinnen und Konstrukteure des Geschlechts der Arbeit sind letztlich immer alle, die dabei sind“ (Wetterer 2001, 218). Diese Beteiligung aller an der sozialen Konstruktion von Geschlecht (nicht nur auf der Ebene der Berufe) verweist zugleich auch auf Potenziale ihrer Veränderung, denn soziales Handeln ist veränderbar. Weitere Anknüpfungspunkte für die Geschlechterforschung zur Erklärung der Segregation bieten Theorien sozialer Ungleichheit (z.B. Gottschall 2000, Cyba 1998), Untersuchungen zur Verknüpfung der Institutionen Beruf, Familie und Sozialpolitik oder das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu (für Hinweise siehe Teubner 2004). Die sozialhistorische und interkulturelle Berufsforschung hat bereits viele Erkenntnisse zur Entwicklung der Segregation und der Erklärung der Differenzen geliefert, ein eher offenes Forschungsfeld stellt die Verbindung zwischen aktuellen Entwicklungen der Reorganisation und Restrukturierung von Arbeit und Beruf und erneuerten oder veränderten Schließungsprozessen dar. Ähnliches gilt für die quantitativen Aspekte der Messung und Vergleichbarkeit von Segregation.179
3.4.3 Stolperstein: familiär bedingte Berufsunterbrechungen Ein Teil der Disparitäten kann nur erklärt werden, wenn über den Arbeitsmarkt hinausgeschaut wird. Dies zeigt sich insbesondere bei der Betrachtung der Arbeitszeit, die unterschiedliche Präsenz von Frauen und Männern in Teilzeitbeschäftigungen einerseits und in sehr langen Arbeitszeiten andererseits liegt nicht nur im Arbeitsmarktgeschehen begründet. Daher wird der Fokus der Untersuchung erweitert, indem Berufsunterbrechungen infolge der Übernahme familiärer Verpflichtungen analysiert werden. Diese Berufsunterbrechungen dienen als Schnittstelle zwischen Erwerbsarbeit und Familie und sind damit ein Spiegelbild der realen Vereinbarkeitssituation, aber auch der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. besonders geschlechtskompatibel ausgewiesen worden waren – und die, so ist zu ergänzen, in einer professionsinternen Prestigeskala durchwegs auf den untersten Rängen zu finden waren“ (Wetterer 2001, 214f). Die Schließungsverfahren haben sich in die Berufe hineinverlagert und funktionieren ohne explizite Regelungen und ohne öffentlich in Erscheinung tretende AkteurInnen. 178 Dass die Zuordnung der Segregation zu den Präferenzen der Frauen als alleinige Erklärung nicht ausreichen kann, zeigt die Variabilität der Segregation ebenso wie die relative Unabhängigkeit von den tatsächlichen Lebenssituationen von Frauen in segregierten Berufen. 179 Dieses Forschungsfeld ist ambivalenten Anforderungen ausgesetzt: Zum einen besteht verständlicher Bedarf nach eindeutigen Maßzahlen für die Segregation (z.B. Indizes wie den Dissimilaritätsindex oder den Segregationsindex, vgl. Kreimer 1999), zum anderen können hoch aggregierte Indikatoren die Komplexität des Problems der Segregation keinesfalls abbilden. Hier gilt es einen Mittelweg zu finden, sich nur auf die Mikro- bzw. Mesoanalyse von einzelnen Berufen oder Berufsgruppen zu beschränken, stellt auch keine befriedigende Lösung dar.
Gender Gap Berufskarriere A
143
Empirie: Auswirkungen von Berufsunterbrechungen auf die Karriere
Die Daten des Sozialen Survey 2003 belegen das geschlechtsspezifische Muster der Unterbrechungen: Ein Fünftel der männlichen und fast 60% der weiblichen Erwerbstätigen haben ihre bisherige berufliche Karriere zumindest einmal unterbrochen. Während die Mehrheit der von Erwerbsunterbrechungen betroffenen Männer maximal ein Jahr nicht erwerbstätig war, sind dies die Frauen im Schnitt zwischen zwei und drei Jahren.180 Männer mit Kindern unterbrechen ihre Erwerbskarriere etwas seltener als Männer ohne Kinder, während fast alle Frauen, die bislang unterbrochen haben, auch Kinder haben.181 Dauer und Häufigkeit von Erwerbsunterbrechungen nehmen bei Frauen mit der Anzahl der Kinder zu. Frauen mit einem Kind haben zu 62% zumindest eine Erwerbsunterbrechung hinter sich, mit zwei Kindern haben 36% einmal, 47% mehrere Male unterbrochen. Erwerbsunterbrechungen durch Kinderbetreuungspflichten, vor allem in Kombination mit anschließenden Erwerbsperioden mit reduziertem Beschäftigungsumfang, führen zu Einkommenslücken, die die betroffenen Frauen im Laufe ihres Erwerbslebens kaum wett machen können.182 Die Begründungen sind einerseits reduzierte Wochenarbeitszeit, andererseits Qualifikationsrückstände, wobei aber auch unter Berücksichtigung dieser Faktoren ein, je nach Studie unterschiedlich hoher, unerklärter Einkommensrückstand der Frauen festgestellt wurde (siehe Kap. 3.3). Welche Auswirkungen hat die zunehmende Inanspruchnahme von Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen auf die Einkommensperspektiven von Frauen mit Kindern? Tabelle 3.7: Mittleres Einkommen nach momentanem und früherem Beschäftigungsausmaß, in Euro
Beschäftigungsausmaß 2003 Teilzeit (1-35 Std./Woche) Vollzeit (> 35 Std./Woche) N
gesamt 732 1.263 176
Erwerbstätigkeit, nachdem auch jüngstes Kind in der Schule ganztags halbtags nicht berufstätig berufstätig berufstätig n 930 692 (547) 91 1.303 1.348 (853) 85 81 78 17 176
Quelle: Sozialer Survey 2003, Friedl/Kreimer 2005 180
Eine Schwierigkeit ergibt sich aus der unpräzisen Fragestellung „Haben Sie Ihr bisheriges Berufsleben bzw. Ihre Erwerbstätigkeit schon einmal längere Zeit unterbrechen müssen, z.B. wegen Erziehung von Kindern, Betreuung von kranken und behinderten Angehörigen?“. Bei den Antworten ist nicht klar, ob die Befragten nicht auch andere Gründe (außer Betreuungspflichten), z.B. Arbeitslosigkeit, mitgezählt haben. Die ebenfalls erhobenen Angaben zu allfälligen Arbeitslosigkeitsphasen bestätig dies tendenziell: Bei Männern mit einer Erwerbsunterbrechung geben 45% an, dass sie (auch) arbeitslos waren, bei den mehrmaligen Unterbrechern beträgt dieser Anteil sogar 77%. 181 Von den Männern ohne Unterbrechung haben 64% Kinder, bei den Unterbrechern 58 bzw. 60%. 96 (bzw. 97%) der ein- (oder mehr-)maligen Unterbrecherinnen haben Kinder, wohingegen die Frauen, die noch nicht unterbrochen haben, nur zu 39% Kinder haben. 182 Zur Analyse von Einkommensunterschieden im Kontext von familienbedingten Unterbrechungen vgl. Baum (2002), Kunze/Ejranaes (2004), Kurz (1998), Lauterbach (1994), Lutz (2003a). Die Auswirkungen von der Inanspruchnahme von flexibleren Arbeitszeitarrangements nach der Geburt von Kindern werden z.B. von Estes et al. (1996) oder Dörfler (2003) beschrieben.
144
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Vollzeiterwerbstätige Frauen erzielen aktuell ein durchschnittliches monatliches Einkommen in der Höhe von 1.263 Euro, teilzeiterwerbstätige Frauen von 732 Euro.183 Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang längere Erwerbsunterbrechungen in der Vergangenheit? Zur Beantwortung dieser Frage werden die Antworten auf die Fragen nach der „Erwerbstätigkeit: als das jüngstes Kind in der Schule“ und nach der „Erwerbstätigkeit: als zumindest ein Kind in der Schule“ herangezogen. Ein t-Test über die Mittelwertgleichheit des monatlichen verfügbaren Einkommens zeigt, dass unter den aktuell vollzeitbeschäftigten Frauen jene Frauen, die (zumindest) ab dem Schuleintritt ihres jüngsten Kindes erwerbstätig waren, über ein signifikant höheres Einkommen verfügen als Frauen, die zu diesem Zeitpunkt nicht erwerbstätig waren.184 Eine über den Schuleintritt des jüngsten Kindes hinausgehende Karriereunterbrechung führt daher zu einer Einkommenslücke, die im Lauf der Jahre kaum mehr wett gemacht werden kann, wie dies auch Beblo und Wolf (2002) für Deutschland bestätigen. Bemerkenswert ist jedoch innerhalb der Gruppe der momentan Vollzeiterwerbstätigen, dass das Einkommensniveau von Frauen, die zum Zeitpunkt des Schuleintritts ihres jüngsten Kindes ganztags erwerbstätig waren, nicht signifikant unterschiedlich ist von Frauen, die damals einer Halbtagsbeschäftigung nachgingen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass nicht der Beschäftigungsumfang, sehr wohl aber die Kontinuität der Beschäftigung die Einkommenshöhe von Frauen (mit Kindern) beeinflussen. Bei zum Befragungszeitpunkt teilzeiterwerbstätigen Frauen (bis 35 Wochenstunden) zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch hier schlägt sich eine über den Schuleintritt des jüngsten Kindes hinausgehende Erwerbsunterbrechung in Einkommenseinbußen nieder. Im Unterschied zur Gruppe der (zum Befragungszeitpunkt) vollzeiterwerbstätigen Frauen, besteht bei teilzeiterwerbstätigen Frauen jedoch ein signifikanter Einkommensunterschied zwischen jenen Frauen, die bei Schuleintritt ihres jüngsten Kindes ganztags erwerbstätig waren, und jenen, die halbtags erwerbstätig waren (siehe Abbildung 3.3 linker Teil). Die zum Schuleintritt ganztags Erwerbstätigen verfügen (aktuell) über ein mittleres Einkommen von 930 Euro, die (zum Schuleintritt) halbtags Erwerbstätigen haben ein aktuelles Einkommen von rund 690 Euro. Abbildung 3.3 zeigt das Medianeinkommen (umrahmt von den 25%und 75%-Perzentilen) für unterschiedliche Kombinationen von momentanen und früheren Beschäftigungsausmaßen, wobei die Abgrenzung zwischen Teil- und Vollzeit bei 35 Stunden gezogen wurde.185
183
Ein angemessener Vergleich von Teilzeit- und Vollzeiteinkommen ist nur unter Berücksichtigung des Beschäftigungsumfangs zulässig. Der SSÖ-Datensatz erlaubt aber keine korrekte Berechnung von Stundenlöhnen. Daher werden nur Unterschiede innerhalb der Teilgruppen der Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigten beleuchtet. 184 Irrtumswahrscheinlichkeit unter 1%; vgl. auch Abbildung 3.3 rechter Teil. 185 Das Medianeinkommen gleicht in etwa dem mittleren Einkommen. Die ausgewiesenen Werte wurden auf Basis der Klassenmittelpunkte (das Einkommen wurde in 150 €-Schritten abgefragt) umgerechnet.
Gender Gap Berufskarriere
persönliches monatliches Einkommen
Abbildung 3.3:
145
Vergleich der Einkommensmediane in Abhängigkeit des Beschäftigungsausmaßes zum Schuleintritt des jüngsten Kindes innerhalb der zum Befragungszeitpunkt Teilzeitbeschäftigten (links) und der Vollzeitbeschäftigten (rechts)
Teilzeit
Vollzeit
ganztags berufstätig nicht berufstätig halbtags berufstätig berufstätig nachdem auch jüngstes Kind in der Schule
ganztags berufstätig nicht berufstätig halbtags berufstätig berufstätig nachdem auch jüngstes Kind in der Schule
4000
3000
2000
1000
0
Quellen: Sozialer Survey 2003, Friedl/Kreimer 2005. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass bei den Vollzeitbeschäftigten eine betreuungsbedingte vorübergehende Arbeitszeitreduktion keine statistisch signifikanten Einkommenseinbußen zur Folge hat, während sich bei den Teilzeitbeschäftigten eine andauernde Teilzeitbeschäftigung auf das aktuell erzielbare Einkommen eindeutig negativ auswirkt.
B
Karriere trotz Unterbrechungen?
Berufsunterbrechungen zum Zweck der Übernahme familiärer Betreuungsarbeit haben in der Arbeitsmarktökonomik keinen eigenen Stellenwert: Im ökonomischen mainstream fallen sie unter humankapitaltheoretische Überlegungen, die New Home Economics steuert die Erklärung der Arbeitsteilung bei. Unter gegebenen Nebenbedingungen (wie Kinderbetreuungsangebot, Einkommensnachteil der Frauen, soziale Normen bzgl. der Kleinkindbetreuung) lassen sich die empirisch zu beobachtenden Tendenzen rational erklären. Dass diese Unterbrechungen dann Auswirkungen auf die zukünftige Einkommensentwicklung haben und zum Gender Pay Gap beitragen, ist ebenfalls humankapitaltheoretisch begründbar. Dass diese Erklärung aus gleichstellungspolitischer Perspektive unbefriedigend ist, wurde in den vorigen Kapiteln schon angesprochen, im vierten Kapitel wird darauf ausführlich eingegangen werden.
146
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Zu den Auswirkungen familiär bedingter Berufsunterbrechungen auf Erwerbskarrieren liegen primär empirische Befunde vor.186 Aus diesen Befunden ließen sich im einzelnen Schlussfolgerungen ziehen, was aber wenig zur Weiterentwicklung der Arbeitsmarktökonomik in Bezug auf Unterbrechungen beitragen kann, da es immer um spezifische, kontextabhängige Ergebnisse geht. Ein anderer Ansatz läge darin, Unterbrechungen explizit in Erwerbskarrieren theoretisch unterlegt einzubauen und nach den optimalen Rahmenbedingungen für Unterbrechungen zu fragen. Unterbrechungen zur Übernahme familiärer Betreuungsarbeit sind nicht die einzige Form der Abweichung von der idealtypischen lebenslangen vollzeitigen „Normkarriere“ – dem sogenannten „Normalarbeitsverhältnis“, das für immer weniger Erwerbstätige wirklich Realität ist. Schmid (1998) hat das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte entwickelt, über deren Ausgestaltung flexible Übergangsmöglichkeiten zwischen Erwerbsarbeit und nicht-marktlichen Aktivitäten derart in Berufskarrieren eingebaut werden sollen, dass die Beschäftigungsfähigkeit der Individuen (employability) erhalten bleibt und sogar gestärkt wird.187 Schmid (1998) unterscheidet fünf Formen der Übergangsarbeitsmärkte: im Erwerbsarbeitsmarkt zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen, insbesondere zwischen Teilzeit und Vollzeit; Übergang zur und aus dem Bildungssystem, zur Pension, zur und aus der Arbeitslosigkeit, zu und aus unbezahlten Tätigkeiten im familiären Bereich. Übergangsformen für den uns betreffenden letztgenannten Übergangsarbeitsmarkt wären beispielsweise Karenzregelungen, das Recht auf Teilzeit aus familiären Gründen oder auch sabbaticals, also generelle Auszeiten vom Erwerbsarbeitsmarkt. Über die Ausgestaltung von Teilzeitarbeit können zwei Übergangsarbeitsmärkte miteinander verknüpft werden. Die Bedingungen für einen „erfolgreichen“ Übergangsarbeitsmarkt zur und aus familiärer Betreuungsarbeit sind in Österreich nur ansatzweise erfüllt (siehe dazu ausführlich Kap. 4.3). In der Praxis weist das System klare Defizite auf, die insbesondere den Übergang in die Erwerbsarbeit betreffen. Es gibt massive Anreize für den Ausstieg aus dem Erwerbsarbeitsmarkt, aber es bietet kaum Rahmenbedingungen für den Wiedereinstieg. Trotzdem bietet dieses Modell für Österreich eine sinnvolle Ausgangskonzeption, weil Übergänge nicht nur im Familienarbeitsbereich, sondern auch in Bezug auf Bildung und Ruhestand verankert sind: Die im EU-Vergleich relativ niedrige österreichische Arbeitslosenquote beruht unter anderem auf dem flexiblen Arbeitsangebot von Jüngeren, Älteren und Frauen.
186
Mehrfach bestätigt wurde die These, dass die negativen Auswirkungen umso größer sind, je länger die Unterbrechung dauert (vgl. z.B. Engelbrech/Jungkunst 2001 und 2001a; Beckmann/Kurtz 2001). Zu den Einkommenseffekten der Unterbrechung vgl. Beblo/Wolf 2002; zu den Einflüssen, die von den einzelnen Berufen bzw. den Bedingungen in den Berufen ausgehen, vgl. Born 1994, Born et al. 1996. 187 Die grundlegende Idee ist eine Neu-Definition von „Vollbeschäftigung“: Arbeitszeitverkürzung auf ca. 30 Stunden mit Flexibilität im Lebenszyklus soll höhere soziale Integration ermöglichen; die Strategie kann sich prinzipiell selbst tragen, da die Arbeitszeitverkürzung zu Produktivitätssteigerungen führen sollte, aufgrund der höheren Anzahl von Beschäftigten mehr Beiträge zum sozialen System gezahlt werden, mehr Lebensqualität generiert wird und sich neue „Haushaltsgleichgewichte“ einstellen können (Frauen tragen mehr Einkommen, Männer weniger bei). Im Gegensatz zu Konzepten mit zweiten oder sonstigen Arbeitsmärkten soll hier jedoch die Segmentierung vermieden werden, d.h. Mobilität zwischen unterschiedlichen Arbeitsmärkten bei durchgehender sozialrechtlicher Absicherung üblich und möglich sein (im Sinne von flexicurity, vgl. Klammer 2000, Pfarr 2000, Keller/Seifert 2002).
Gender Gap Berufskarriere
147
3.4.4 Schlussfolgerungen: Karrieren im segregierten Arbeitsmarkt Frauen sehen sich nach wie vor einem segregierten Erwerbsarbeitsmarkt gegenüber, der sich einerseits in der Persistenz von typischen „Frauen-“ und „Männerberufen“ mit unterschiedlichen Bedingungen, andererseits in einer Gläsernen Decke bezüglich Aufstiegsmöglichkeiten und in einer gegenüber Männern niedrigeren Entlohnung auswirkt. Die Daten des Sozialen Survey 2003 bestätigen damit einmal mehr die Existenz Frauen benachteiligender Arbeitsmarktstrukturen in Österreich, wobei sich insbesondere der Einkommensnachteil der Frauen und die Gläserne Decke als äußerst resistent gegenüber die in anderen Bereichen doch zu beobachtende Annäherung weiblicher und männlicher Erwerbskarrieren (Anstieg der Frauenerwerbsquote, Bildungsexpansion der Frauen) erweisen. Was beim Anstieg der Erwerbsquote relativ leicht erklärlich ist (Anstieg der Teilzeitarbeit, der geringfügigen Beschäftigung und anderer prekärer Beschäftigungsformen), ist im Bildungsbereich durchaus verwunderlich – gerade dieser Umstand verweist auf die tiefe Verankerung von benachteiligenden Strukturen und diskriminierenden Praktiken.188 Die Daten des Sozialen Survey geben einige Hinweise darauf, dass ein Teil der sichtbaren Disparitäten auf Diskriminierung zurückzuführen ist und nicht durch individuelle Merkmale (Alter, Qualifikation u.a.m.) oder arbeitsplatzbezogene Faktoren (Branche, sozialrechtlicher Status u.a.m.) erklärt werden kann. Allerdings gibt es keine monokausale Erklärung der Arbeitsmarktsegregation oder der Gläsernen Decke, es handelt sich offenbar um komplexe Phänomene, bei denen Vorurteile, also diskriminierende Präferenzen gegenüber Frauen, ebenso eine Rolle spielen wie Strukturvariablen der Berufswelt, wie soziale Normen zur (Un-)Vereinbarkeit von Frau (bzw. Mutter) und Karriere (wobei sich dieser Spezialfall über statistische Diskriminierung auf alle Frauen auswirkt), und wie in Organisationen eingelassene Strukturen und Substrukturen. Der entscheidende Beitrag der Gender-Forschung liegt hier in der Sichtbarmachung und Diskussion von informellen Praktiken und in den Substrukturen von Organisationen wirksamen Mechanismen. Dass Frauen auf ihrem Karriereweg in Relation zu Männern benachteiligt sind, liegt weder auf der individuellen Ebene (z.B. etwaiger Unterschiede in der Karriereorientierung) noch auf der strukturellen Ebene (z.B. Kriterium der Rund-umdie-Uhr-Verfügbarkeit für Führungskräfte) allein begründet, sondern auch darin, dass es in Organisationen unter Mitwirkung aller Beteiligten nach wie vor Prozesse der Geschlechterdifferenzierung ablaufen und eine gegen Frauen gerichtete Geschlechterhierarchie erzeugen oder stabilisieren (siehe Kap. 3.6). Häufigkeit und Dauer von Erwerbsunterbrechungen sind weitere Einflussgrößen insbesondere auf die Einkommensdisparitäten zwischen den Geschlechtern, aber auch auf die Karriereperspektiven. Zwar zeigen die Daten des Sozialen Survey, dass die Chancen von Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen am Erwerbsarbeitsmarkt im Anschluss an die Unterbrechungen durchaus divergieren, was den Wiedereinstieg auch nach mehreren 188
Dass vermehrte Bildung nicht automatisch zu verbesserten Arbeitsmarktchancen führt, hat bereits RabeKleberg (1990) nachgewiesen. Allerdings zeigt sich doch eine hohe Bedeutung von Bildung für die Arbeitsmarktchancen von Frauen sowohl in der Analyse der intergenerationalen Mobilität (Leitner/Wroblewski 2005) als auch in der Einkommensentwicklung von 1986 bis 2003 (Hadler 2005). Es besteht daher Hoffnung, dass sich die Bildungsinvestitionen von Frauen mit einiger Verzögerung doch in einem deutlichen Rückgang geschlechtsspezifischer Benachteiligungen auswirken werden.
148
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Unterbrechungen betrifft.189 Der relativ hohe Anteil der nicht erwerbstätigen Hausfrauen weist darauf hin, dass der Wiedereinstieg nach Berufsunterbrechungen häufig nicht gelungen ist bzw. unter den gegebenen Rahmenbedingungen gar nicht versucht wurde (siehe auch Kap. 3.2). Aber auch „erfolgreiche“ Wiedereinsteigerinnen können diesen „Erfolg“ in der Regel nicht auf ihre weitere Karriere übertragen: Unterbrechungszeiten gepaart mit (anschließenden) Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen beeinträchtigen Frauen in ihren Berufslaufbahnen beträchtlich. Die Übernahme familiärer Betreuungs- und Pflegearbeit erzeugt und stabilisiert geschlechtsspezifische Disparitäten im Erwerbsarbeitsmarkt. Wie oft und wie lange Mütter ihre Erwerbskarriere unterbrechen oder gar aufgeben, wie weit sie Diskontinuitäten in Kauf nehmen, lässt sich nur aus der Verschränkung von Strukturkomponenten des Arbeitsmarktes (z.B. Bedingungen in einzelnen Berufen), den Anforderungen des familiären Bereichs inklusive der damit verbundenen Normen (Born 1994, Born et al. 1996) und der Arbeitsteilung der Geschlechter in Bezug auf die Betreuungsarbeit erklären. Alle drei Faktoren finden sich im Gender Gap Care wieder, der im Kapitel 4 ausführlich untersucht werden wird.
189
Vgl. dazu den Abschnitt zu „Hausfrauen – potenzielle Wiedereinsteigerinnen?“ in Friedl/Kreimer 2005.
Gender Gap Arbeitszeit
3.5
149
Gender Gap Arbeitszeit Chancen und Risken der Teilzeitarbeit
Die von erwerbstätigen Frauen im Jahr 2006 durchschnittlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit betrug 33,9 Stunden, die der erwerbstätigen Männer 43,7 Stunden. Dies ergibt einen Gender Gap Arbeitszeit von 9,8 Stunden. Gegenüber 1997, als die durchschnittliche Erwerbsarbeitszeit der Frauen rund 6 Stunden unter der der Männer lag, hat der Gender Gap Arbeitszeit deutlich zugenommen (zu den Daten siehe Kap. 2.2). Wie ist dieser Gender Gap Arbeitszeit nun einzuschätzen? Diese Frage ist keinesfalls einfach zu beantworten, weil Teilzeitarbeit vielfältige und durchaus widersprüchliche Aspekte aufweist. In der allgemeinen Diskussion werden die mit Teilzeit verbundenen Potenziale für die Beschäftigungsentwicklung und –flexibilisierung hervorgehoben: Teilzeitarbeit bietet noch enorme Potenziale für eine quantitative Beschäftigungsausweitung und damit auch zur Reduktion von Arbeitslosigkeit.190 Die meisten empirischen Untersuchungen zur Teilzeitarbeit gibt es im Konnex mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse und mit Teilzeitarbeit als Teil des Flexibilisierungsprozesses am Arbeitsmarkt, insbesondere in der Form numerischer Flexibilisierung (siehe Kap. 3.1.3).191 Der Übergangsarbeitsmarkt von und zur Teilzeit wurde gerade in jüngerer Zeit in der Politik nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt (Altersteilzeit und Elternteilzeit in Österreich, Teilzeitkarenz, Teilzeitstudium).192 In der Geschlechterforschung überwiegen eher kritische Analysen: Teilzeitarbeit weicht als „atypische“ Form der Beschäftigung von der „Norm“ am Erwerbsarbeitsmarkt und im sozialen Sicherungssystem ab. Teilzeitarbeit wurde daher in der Frauen- und Geschlechterforschung von Anfang an unter dem Aspekt der Prekarität kritisch betrachtet, weil sich in erwerbszentrierten Sicherungssystemen (wie Österreich) Teilzeitarbeit auf die Sicherung in Zeiten der Arbeitslosigkeit und in der Pension massiv auswirkt. Prekär ist auch die aktive Ausübung von Teilzeitarbeit für einen großen Teil der Beschäftigten, da diese zumeist im unteren Lohnsegment angesiedelt ist. Daher ist die Ausübung der Teilzeit fast immer mit Abhängigkeit (vom Partner, von Sozialleistungen) verbunden, weil sie selbst keine Existenzsicherung gewährleisten kann (vgl. Holst/Meier 1998, Bauer 2001, Wörister 2001). Das Defizit an gut bezahlten Teilzeitstellen ist eine Folge des Defizits an qualifizierten Teilzeitstellen (vgl. Bergmann et al. 2003). Die Konzentration von Teilzeitstellen auf gering bezahlte Tätigkeiten mit geringen Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten leistet einen Beitrag zum Gender Gap Einkommen, ohne als direkte Diskriminierung sichtbar zu sein.
190
Als Beispiel gelten in der Regel die Niederlande, die in den 1980er Jahren Teilzeit gezielt zur Restrukturierung des Arbeitsmarktes und zur Reduktion von Arbeitslosigkeit eingesetzt haben (vgl. Plantenga 1997 und 2000). 191 Zur Entwicklung und Analyse atypischer Beschäftigung im europäischen Kontext vgl. z.B. Tálos 1999, Klein 1997, Meulders et al. 1997; zu Österreich vgl. die Hinweise in Kap. 3.1.3. 192 Zum Konzept des Übergangsarbeitsmarktes siehe Kap. 3.4.3 sowie ausführlich 4.3.
150
Gender Gap und Arbeitsmarkt Teilzeitarbeit steht in einem engen Verhältnis zum Wohlfahrtsstaat, der Anreize in Richtung Teilzeit setzen kann oder aufgrund der gegebenen Strukturen diese Beschäftigungsform voraussetzt. Ausmaß und Struktur der Teilzeitarbeit sind in den Industriestaaten sehr heterogen, was unter anderem auch mit der jeweiligen Rolle des Wohlfahrtsstaates zusammenhängt (vgl. O’Reilly/Fagan 1998). Der Wohlfahrtsstaat ist über die direkte oder indirekte Förderung von Teilzeitarbeit an der Ausgestaltung sozialer Ungleichheit beteiligt. Parallel zu diesen eher kritischen Einschätzungen wird Teilzeitarbeit auch in der Genderforschung als Chance zur Partizipation gesehen.193 Ein Teilaspekt des Partizipationsarguments ist die Nutzung von Teilzeitarbeit zur Ausgestaltung von Arbeitsmarktübergängen (vgl. O’Reilly et al. 2000; Anxo/O’Reilly 2000).
Diese Aufzählung möglicher Diskussionspunkte und Fragestellungen rund um Teilzeitarbeit zeigt die Tiefe und Komplexität der Thematik hinter dem Gender Gap Arbeitszeit. In diesem Abschnitt können nur einige Aspekte aufgegriffen und mit Bezug auf Österreich vertieft werden: x Teilzeitarbeit als Motor der Arbeitsmarktintegration von Frauen: Wie weit lässt sich diese Tendenz feststellen, insbesondere in Hinblick auf die Integration von Müttern? Wie weit handelt es sich um eine angebots- und/oder nachfragegeleitete Beschäftigungsstrategie? x Teilzeitarbeit als Barriere für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt: Warum führt Teilzeitarbeit zu benachteiligenden Effekten am Arbeitsmarkt? Welche Rolle spielt Teilzeit in der Gestaltung des Geschlechterverhältnisses? x Perspektiven zum Gender Gap Arbeitszeit: Unter welchen Bedingungen könnte Teilzeitarbeit von der Falle oder Sackgasse zur Chance werden und damit zu einer Alternative zur Vollzeiterwerbstätigkeit für Frauen und Männer? Welchen Gestaltungsspielraum hat die Politik? Was wäre eine umfassende langfristige Perspektive?
3.5.1 Teilzeit als Motor der Arbeitsmarktintegration von Frauen Der Erwerbsquotenanstieg bei den Frauen in den vergangenen Jahrzehnten ist eine Folge der Arbeitsmarktintegration von Müttern. Teilzeitarbeit spielte dabei insofern eine Rolle, als sie diese Integration erleichterte, teilweise hat sie sie überhaupt erst möglich gemacht. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, angesichts der in Österreich noch immer hohen Anzahl von nicht erwerbstätigen Frauen (siehe Kap. 3.2) fungiert Teilzeit weiterhin als Hoffnungsträger für die weibliche Arbeitsmarktintegration (vgl. Rosenberger 2000, 428).194
193
Vgl. z.B. Fagan et al. 1999; Winker 1998; Fagan/O'Reilly 1998; Bollé 1997. Diese optimistischeren Einschätzungen beruhen unter anderem darauf, dass es in der EU merkbare Bemühungen gibt, im Rahmen der europäischen Beschäftigungspolitik Diskriminierung von Teilzeit gegenüber regulären Beschäftigungsverhältnissen zu vermeiden (vgl. Bergmann et al. 2003, 11ff). 194 Seit einigen Jahren wird auch der Förderung der Selbständigkeit von Frauen Integrationspotenzial zugeschrieben. Die Suche nach „Gründerinnen“ im Internet ergibt eine Vielzahl von bereits existenten Gründerinnenzentren und Gründungsförderungen für Frauen in Österreich, auch erste Studien zur Thematik wurden bereits erstellt (z.B. Schwarz et al. 2004).
Gender Gap Arbeitszeit A
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Empirie: Anstieg der weiblichen Teilzeitarbeit in Österreich
2006 arbeiteten mehr als 40% aller erwerbstätigen Frauen und knapp 6% der erwerbstätigen Männer in Teilzeit, der Anteil der Teilzeitbeschäftigung an allen Beschäftigungsverhältnissen lag bei 22,5%. 715.400 Frauen und 139.300 Männer waren teilzeitbeschäftigt (siehe Kap. 2.2). Dass der Anstieg der Beschäftigungsquote der Frauen in den vergangenen beiden Jahrzehnten vor allem auf die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung zurückgeführt werden kann, wird sowohl durch die Mikrozensusdaten (siehe Kap. 2.1) als auch durch den Sozialen Survey bestätigt: Von 1986 bis 2003 ist die Beschäftigungsquote der Frauen von 32% auf 41% gestiegen.195 1986 waren 30% der erwerbstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt, 2003 waren es bereits 41%. Dem Beschäftigungsanstieg bei den weiblichen Erwerbstätigen von 28% steht somit ein Anstieg der Teilzeitbeschäftigung von 38% gegenüber. Anders ausgedrückt: Der gesamte Anstieg der Erwerbstätigkeit von 1986 bis 2003 ist auf die Zunahme von Teilzeitarbeitsplätzen zurückzuführen. Da sich der Teilzeitanteil bei erwerbstätigen kinderlosen Frauen im Betrachtungszeitraum nicht verändert hat, dürfte dieser Anstieg ausschließlich auf das Konto von Müttern gehen – ein Ergebnis, das sich auch in den Mikrozensusdaten findet (siehe Kap. 2.1). Interessant ist das Ergebnis bei männlichen Erwerbstätigen: Während 1986 fast nur Männer mit Kindern teilzeitbeschäftigt waren, war 1993 und 2003 Teilzeitarbeit mehrheitlich eine Beschäftigungsform von kinderlosen Männern.196 Dies deutet darauf hin, dass Teilzeitbeschäftigung bei Männern keinen familiären Hintergrund hat, sondern Übergangsphasen aus dem Bildungssystem und in die Pension gestaltet werden. Der Integrationsaspekt von Teilzeitarbeit für Frauen und insbesondere für Mütter lässt sich klar nachweisen. Dieses Ergebnis wird durch die gegenläufigen Trends in südeuropäischen Ländern indirekt gestützt: In Italien, Griechenland und Spanien geht eine niedrige Teilzeitquote mit einer niedrigen Erwerbsquote der Frauen einher, anders ausgedrückt: Teilzeit ist in diesen Ländern keine Alternative zur Nichterwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern (Dörfler 2004, 18). Eine Voraussetzung für dieses „Teilzeitintegration“ von Müttern ist die Existenz eines Partners, Alleinerzieherinnen können sich Teilzeit häufig nicht leisten.197 Die Kombination Mann-Vollzeit und Frau-Teilzeit verweist somit auf ein Arbeitsteilungsmuster, das nicht nur am Arbeitsmarkt wirkt, sondern Teil der wohlfahrtsstaatlichen Organisation ist (siehe Kap. 4).198
195
Die Beschäftigungsquote der Männer ist im selben Zeitraum von 63% auf 58% gesunken. Diese Daten beziehen sich nur auf erwerbstätige Personen ab 16 Jahre, da für arbeitslose Personen und Lehrlinge im Sozialen Survey keine Arbeitszeitdaten vorliegen. 196 Die Angaben zur Teilzeitbeschäftigung von Männern wurden darauf kontrolliert, ob sich der relativ hohe Anteil auf eine Häufung an der Abgrenzung bei 35 Stunden ergibt – dies ist nicht der Fall. In etwa dieselbe Anzahl kinderloser Männer arbeitet weniger als 20 Stunden sowie zwischen 20 und 35 Stunden. Allerdings sind die Daten der männlichen Teilzeitbeschäftigung aufgrund der geringen Besetzung nur als grobe Tendenz zu interpretieren . 197 Zur Situation der Alleinerzieherinnen in Österreich vgl. Kreimer/Schiffbänker 2005; generell vgl. Lewis 1997. Österreich zählt zu den Ländern innerhalb der EU mit einer der höchsten Erwerbsquote unter den Alleinerziehenden, während die Teilzeitquote bei den alleinerziehenden Frauen deutlich geringer ist als bei allen Frauen (Lehmann/Wirtz 2004). 198 Ansonsten wären die Unterschiede in den Arbeitsteilungsmustern in den Staaten der EU kaum erklärbar (vgl. Franco/Winqvist 2002). Die Variante "Mann arbeitet Vollzeit und Frau arbeitet Teilzeit" in Haushalten mit Kindern streut von knapp 5% aller Paarhaushalte in Griechenland und fast 53% in den Niederlanden.
152
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Langfristig stieg die Teilzeitquote laut Mikrozensus von 1975 bis 2006 zwar von 16% auf 40%, allerdings blieb sie bis 1985 konstant, der tatsächliche Anstieg begann erst Mitte der 1980er Jahre. Dies deutet darauf hin, dass die Nachfrageseite bzw. die Makrosituation auf den Arbeitsmärkten die Teilzeitentwicklung zumindest mitbeeinflusst hat. Die regionale Verteilung der Teilzeitbeschäftigung unterstützt dieses Argument und bringt neben der Makrosituation auch die Frage der institutionellen Kinderbetreuung ins Spiel (siehe Kap. 4.2): Beispielsweise schwankte die Teilzeitquote von Frauen mit Kindern unter 15 Jahren zwischen 54% in Wien und 79% in Oberösterreich, wobei Wien mit Abstand die niedrigste Teilzeitquote aufweist.199
B
Die Angebotsseite: Der Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung
Da mit der Übernahme einer Teilzeitbeschäftigung in Österreich derzeit eine Reihe benachteiligender Effekte in Hinblick auf Einkommen und Aufstiegschancen verbunden sind (siehe Kap. 2.2 und Bergmann et al. 2003), ist die Frage nach der Freiwilligkeit von Teilzeitarbeit relevant: Tun Frauen bzw. Mütter dies in Ermangelung von Alternativen oder entspricht Teilzeit ihren Präferenzen? Im Rahmen der Arbeitskräfteerhebung werden Arbeitszeitwünsche abgefragt. In etwa 50% der teilzeitbeschäftigten Frauen geben an, keine Vollzeittätigkeit zu wünschen und sind daher in gängiger Interpretation „freiwillig“ teilzeitbeschäftigt (Holzinger 2001, 11ff). Allerdings lässt sich diese Zahl ohne Kenntnis der Befragung und ohne ökonomischen Kontext und Analyse der Arbeitsmarktbedingungen nur schwer interpretieren (O’Reilly/Fagan 1998). Rubery (1998, 294) verweist auf die methodischen Schwierigkeiten, den Aspekt der Freiwilligkeit in dieser Frage überhaupt erfassen und damit erheben zu können. Ein Indiz der möglichen Freiwilligkeit ergibt sich aus der Analyse der ebenfalls abgefragten Gründe für die Teilzeitarbeit. Rund 60% der teilzeitarbeitenden Frauen geben familiäre Gründe für ihre geringere Arbeitszeit an, was als Präferenz für Familienarbeit interpretiert werden kann. Allerdings ist die Freiwilligkeit dieser Entscheidung für eine familienbedingte Arbeitszeitreduktion wiederum zu hinterfragen: Inwieweit kann die Entscheidung für eine Arbeitsteilung, die Frauen die Hauptverantwortung für Reproduktionsarbeit zuweist, wirklich freiwillig sein? Eine emanzipatorische Auseinandersetzung geht davon aus, „dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bereits einer Freiwilligkeit der Entscheidung über Lebensentwürfe entbehrt und daher die freie Wahl der Teilzeitbeschäftigung nicht nur nicht gegeben ist, sondern als gesellschaftliche Normierung bezeichnet werden muss“ (Angelo/Grisold 1999, 76). Walby (2001, 359) fasst dies kurz zusammen: „Die Frauen treffen eine Wahl, aber unter Umständen, die nicht von ihnen abhängen.“ Die andere Extremposition, d.h. die Teilzeitentscheidung der Frauen primär als Ergebnis struktureller Zwänge und gesellschaftlicher Normierungen zu interpretieren, ist allerdings ebenso wenig zielführend. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit dem Entscheidungsprozess und den zugrundeliegenden Motiven der Frauen. Bothfeld (1997) schlägt eine Differenzierung nach funktionalen, traditionellen und postmodernen Teilzeitpräferenzen vor und überprüft dies empirisch anhand eines Vergleichs der Teilzeitbeschäftigung in 199
Daten aus dem Mikrozensus 2006, Tabelle 44. Durch durchschnittliche Teilzeitquote der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren betrug 66,6%.
Gender Gap Arbeitszeit
153
Deutschland und England. Demnach gibt es „traditionelle Motive“, also die Vereinbarkeit (53% der Untersuchten), „funktionale Motive“, d.h. vorübergehende Vereinbarkeit von Beruf mit anderen Bedürfnissen (45%), und „postmoderne Motive“, also die Erhöhung von Unabhängigkeit, die sie bei nur 2% der untersuchten Personen identifiziert. Nur letztere sind im eigentlichen Sinn als freiwillig aufzufassen, denn nur diese treffen die Teilzeitentscheidung unter minimalen Handlungszwängen. Bothfeld (1997) verwendet das Konzept endogener adaptiver Präferenzen200 und weicht daher von der Vorgabe exogener Präferenzen, die in der jeweiligen Entscheidungssituation abgerufen werden können, ab. Stattdessen können sich Präferenzen unter dem Einfluss der Entscheidungssituation verändern oder bilden. „Die Anpassung von Präferenzen in einer Entscheidungssituation hat grundsätzlich zum Ziel, ‚kognitive Dissonanzen’, d. h. eine Nicht-Übereinstimmung zwischen den eigenen Wünschen und den gegebenen Möglichkeiten, zu verringern“ (Ebd., 33). Frauen müssen den Zwiespalt zwischen allgemeinem Nutzen der Spezialisierung auf Hausarbeit und dem individuellen Risiko, das sie damit eingehen, verarbeiten (vgl. dazu Ott 1995). Sie passen ihre Präferenzen an die eingeschränkte Menge der Möglichkeiten infolge gesellschaftlicher Erwartungen, Arbeitsmarktsegregation, Diskriminierung etc. an. „Dieses Verhalten, das in der Tat die Segregation aufrechterhält oder weiter verstärkt, liegt jedoch in den ‚constraints’ und nicht in den sich an die ‚constraints’ anpassenden Frauen begründet“ (Bothfeld 1997, 37). An der Natur dieses adaptiven Präferenzbildungsprozesses lässt sich weiters zeigen, dass dieser Prozess nicht bei allen einheitlich abläuft und daher adaptiv gebildete Teilzeitpräferenzen nicht einheitlich und auch nicht stabil und irreversibel sind – was einen Teil der zu beobachtenden Heterogenität im Teilzeitarbeitsmarkt erklären mag. Die Befragungen zu den Gründen für die Teilzeitarbeit, wie sie beispielsweise in der Arbeitskräfteerhebung erfolgen, können zudem der Vielschichtigkeit dieser Beschäftigungsform nicht gerecht werden: Es geht nicht nur um die Entscheidung für Teilzeitarbeit an und für sich, sondern auch darum, wie viele Stunden gewünscht werden, also welche Form der Teilzeitarbeit. Studien in Deutschland zeigen, dass Arbeitszeiten oberhalb der Halbtagsschwelle gewünscht werden (zwei Drittel oder drei Viertel einer vollen Stelle, vgl. Bauer 2001), angeboten werden Halbtagsstellen und nach wie vor mit steigender Tendenz geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Beckmann 1997; 1998).201 Auch ob Frauen die Teilzeitbeschäftigung ursprünglich als Übergangslösung angestrebt haben, aber sich nun mangels Alternativen an die Dauerlösung angepasst haben, wird nicht ersichtlich. Eine Alternative zur Befragung nach den Gründen und dem direkten Rückschluss auf die Präferenzen ist die Analyse der Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume der Individuen: Wenn Beschäftigte auf die Ausübung einer bezahlten Erwerbstätigkeit angewiesen sind, aber für den aktuellen Arbeitsmarkt ungünstige Merkmale aufweisen (Einsteigerinnen und daher keine Berufserfahrung; Niedrigqualifizierte; Alleinerziehende und äl200
Bothfeld folgt hier einem Konzept von Jon Elster, vgl. Bothfeld 1997, 32ff. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind auch in Österreich weiter im Steigen begriffen, siehe Kap. 2.2. In diesem Kapitel wird nicht explizit auf diese besonders prekären Teilzeitbeschäftigungen eingegangen. Zum einen gilt vieles des hier für „normale“ Teilzeit Angeführten in verschärfter Weise für geringfügige Beschäftigungen, zum anderen ergibt sich durch die völlig fehlende soziale Absicherung eine spezifische Problematik, die einer vertiefenden Analyse bedarf (vgl. z.B. Fink et al. 2001). Die Fragestellung des Gender Gap Arbeitszeit betrifft dies nicht unmittelbar, abgesehen davon, dass er noch größer ist, wenn geringfügig Beschäftigte mitberücksichtigt werden.
201
154
C
Gender Gap und Arbeitsmarkt tere Arbeitskräfte), gilt häufig das Prinzip „Nehmen, was da ist“ anstelle freier Wahl. „Unter Bedingungen von – vor allem struktureller – Arbeitslosigkeit ist für diese Gruppen, aber auch für alle anderen potenziellen Beschäftigten, das Maß an Freiwilligkeit, was die Wahl der Beschäftigungsverhältnisse betrifft, reduziert“ (Holzinger 2001, 13).202 Da Teilzeit in der Regel kein existenzsicherndes Einkommen garantiert, müssen Frauen sich Teilzeit „leisten“ können, d.h. das Haushaltseinkommen hängt nicht primär von ihrem Einkommensbeitrag ab. Wo dies der Fall ist, z.B. bei Alleinerzieherinnen, ist die Teilzeitquote von Müttern deutlich niedriger (siehe oben). Da Teilzeitbeschäftigung gerade in den Phasen der intensiveren Kinderbetreuung (oder auch in der Langzeitpflege) auftritt und zwar bei jenen, die diese Tätigkeiten überwiegend ausführen, ist die mögliche Interpretation des Wunsches nach Teilzeitarbeit als Präferenz für weniger Arbeit (und in dem Sinn als „Aufbegehren gegen die Dominanz der Erwerbsarbeit“) zu hinterfragen. Und schließlich sei auf das unterrepräsentierte Geschlecht in der Teilzeit verwiesen: Obwohl eine steigende Anzahl von männlichen Erwerbstätigen eine Präferenz für (befristete und lange) Teilzeit äußert,203 können sie dies nicht entsprechend realisieren. Hier ist der Druck von Seiten des Arbeitsmarktes, an der Norm der voll verfügbaren männlichen Arbeitskraft festzuhalten, ebenso eine Barriere wie soziale Normen der Männlichkeit (Puchert et al. 2005).
Die Nachfrageseite: Teilzeitarbeitsplätze für Mütter?
Von den in Kapitel 3.1 genannten Gründen für die Nachfrage nach Teilzeitarbeit ist auf betrieblicher Seite Flexibilisierung von zentraler Bedeutung. In Österreich ist Teilzeit vor allem im niedrig qualifizierten Bereich und im Dienstleistungssektor verbreitet, was insbesondere auf numerische Flexibilisierung hinweist. Dörfler (2004) nennt Kostenersparnis (keine Überstundenabgeltung bis zum Erreichen der Vollzeit), Abdeckung ungünstiger Arbeitszeiten und Belastungsspitzen, Erhöhung der Ausfallssicherheit durch mehr Personal, mehr Spielraum in der betrieblichen Planung bei Nachfrageschwankungen. In der Studie von Finder et al. (1995) wurde von den befragten Unternehmen primär die Abdeckung von Arbeitszeiten außerhalb des gängigen Rahmens genannt, dazu kamen auch Argumente wie „Teilzeitkräfte sind produktiver in der kurzen Zeit“, „weniger Krankenstände“, „sind zufriedener“.204 Diese Produktivitäts- und Kostenvorteile müssen die teilzeitbedingten Mehrkosten, die vor allem in organisatorischer Hinsicht anfallen können (Arbeitsplatz, Abstimmungserfordernisse, Verwaltungsaufwand, u.a.m.) übersteigen (Mühlberger 2000, 44ff). 202
Ähnlich argumentiert auch Bollé (1997): Teilzeit ist nur dann eine Alternative zur Arbeitslosigkeit, wenn keine Vollbeschäftigung gewünscht wird. Bei den Alternativen Teilzeit (d.h. Unterbeschäftigung) und Arbeitslosigkeit kann nicht von "Wahl" gesprochen werden, beide Formen bringen Kosten für die Betroffenen mit sich. 203 In einer europaweiten Befragung zu Arbeitszeitpräferenzen gaben 57% der Männer und 44% der Frauen an, dass sie ihre Wochenarbeitszeit reduzieren möchten. 9% der Männer und 16% der Frauen möchten sie verlängern, der Rest (34% bzw. 40%) will die aktuelle Arbeitszeit beibehalten (Fagan/Warren 2001). 204 Finder et al. (1995, 211) stellen eine Differenzierung zwischen „normalen“ Teilzeitbeschäftigten und geringfügig Beschäftigten fest: Bei ersteren werden „integrierte“ Kräfte geschätzt, die Teilzeitbeschäftigten sollen im Betrieb gehalten, hohe Fluktuationsraten vermieden werden. Geringfügig Beschäftige wurden in dieser Erhebung primär als billige Arbeitskräfte nachgefragt, die in Bereichen eingesetzt werden, in denen häufige Betriebswechsel als nicht problematisch gesehen werden.
Gender Gap Arbeitszeit
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Eine wirkliche Erhebung und Quantifizierung der mit Teilzeit verbundenen Kosten sowie der Vorteile für Betriebe liegt meines Wissens nicht vor, wie überhaupt zu vermerken ist, dass die vorhandenen Studien zur Teilzeitarbeit sich schwerpunktmäßig auf die Angebotsseite konzentrieren (vgl. Koch 2001). Die Nachfrage nach Teilzeitarbeit ist jedenfalls in Umstrukturierungsprozesse am Arbeitsmarkt eingebettet und durch diese wesentlich bestimmt. Daraus folgt, dass die Teilzeitnachfrage nicht von vornherein auf die Arbeitsmarktteilnahme von Müttern gerichtet gewesen sein dürfte. Wie weit letztlich die Teilzeitentwicklung auf betriebliche Ansprüche und Wünsche zurückgeht, kann nicht generell beantwortet werden. In einzelnen Sektoren, insbesondere dem Handel und der Reinigung, ist mittlerweile die Angebotsseite nicht (mehr) von Bedeutung - es werden kaum mehr Vollzeitkräfte von Seiten der Betriebe nachgefragt. Fallbeispiele und Projekte belegen über diese flexibilisierungsbestimmte Teilzeitnachfrage hinaus auch die Existenz einer tendenziell kooperativen Teilzeitstrategie von Seiten der Betriebe, insbesondere wenn es um sogenannte frauen- und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle geht. So ist beispielsweise Teilzeitarbeit ein wichtiges Kriterium für die Prämierungen zum „frauen- und familienfreundlichsten“ Betrieb, das von den sich bewerbenden Betrieben in der Regel auch zentral positioniert wird.205 Inwieweit es sich hierbei tatsächlich um eine über die Flexibilisierungsbedürfnisse der Betriebe hinausgehende Strategie handelt, kann ohne nähere Analyse nicht geklärt werden.206 Klar ist aber allein durch die Benennung des Wettbewerbs, dass einmal mehr die Konstruktion „Frau – Familie – Teilzeit“ im Vordergrund steht, es geht nicht um die Ausgestaltung echter Alternativen zum vollzeitigen bzw. überstundenbelasteten „Normalarbeitsverhältnis“. Aufgrund der starken Konzentration von Teilzeitarbeit auf wenige Sektoren und Berufsfelder sind die Potenziale auf der Nachfrageseite sicher noch nicht erschöpft. Allerdings gibt es sowohl bezüglich neuer innovativer Teilzeitmodelle im qualifizierten Segment und im Führungsbereich als auch bezüglich des Einsatzes in bislang von Vollzeit geprägten Segmenten von betrieblicher Seite große Skepsis (Bergmann et al. 2003, Dackweiler/Rosenberger 2002, Mühlberger 2000), so dass sich dieses Potenzial vermutlich nicht von selbst erschließen wird.
D
Teilzeit im internationalen Vergleich
Im internationalen Vergleich zeigt sich bei den Teilzeitquoten, dem Teilzeitvolumen („kurze“ oder „lange“ Teilzeit) wie auch der Verteilung der Teilzeit auf Sektoren ein recht heterogenes Bild (Pfau-Effinger 1996 und 1998, Maier 1998, Klein 1997, O'Reilly/Fagan 1998), das darauf verweist, dass die Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung jedenfalls im jeweiligen historischen und regulativen Kontext gesehen werden muss. Das Ausmaß, in dem die Ausübung von Teilzeitarbeit benachteiligende Effekte in Bezug auf die Arbeits205
Informationen zur österreichischen Initiative „Taten statt Worte“ können der Homepage entnommen werden: www.taten-statt-worte.at. 206 In der Beschreibung der Kriterien zum Wettbewerb wird zwar betont, dass bei Teilzeitmodellen auf die Attraktivität der Tätigkeitsbereiche, auf Aufstiegschancen und den Zugang zur Weiterbildung geachtet werden soll, auch die Teilzeitarbeit in Führungspositionen wird hervorgehoben, sowie die Freiwilligkeit der Teilzeit und die Rückkehrmöglichkeit. Wenn diese Kriterien im Einzelfall erfüllt werden, kann sicherlich von kooperativen Strategien gesprochen werden. Die Studie von Bergmann et al. (2003) belegt jedoch, dass solche Einzelfälle noch nicht verallgemeinert werden können.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
marktkarriere bzw. die soziale Absicherung hat, variiert deutlich (wobei die benachteiligenden Effekte nirgendwo ganz verschwunden sind). Diese Differenzen verweisen auf die komplexen Einflussfaktoren, die das jeweils konkrete Ausmaß und die Verteilung von Teilzeitarbeit bestimmen: Arbeitsmarktfaktoren, sektorale Entwicklung, Beschäftigungspolitik und Interessenspolitik (wird Teilzeit von den Gewerkschaften gefördert?), direkte Förderungen und indirekte Einflussnahme auf die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung, Auswirkungen des jeweiligen Wohlfahrtsstaats, u.a.m. (vgl. O’Reilly/Fagan 1998, Haas/Wroblewski 2000). Auch die dominanten Triebkräfte der Teilzeitentwicklung sind nicht einheitlich gegeben. Stephan (1995, 79) zitiert eine US-amerikanische Studie, in der festgestellt wurde, dass die Arbeitszeit weniger durch die Präferenzen der Beschäftigten als durch die Art des Arbeitsplatzes festgelegt ist.207 Demnach wäre die Entwicklung der Teilzeit in den USA zu einem großen Teil nachfrageseitig bestimmt, ein Ergebnis, das keinesfalls direkt auf andere Arbeitsmärkte übertragen werden kann. Das Beispiel der Niederlande zeigt, welche Dynamik Teilzeit als von allen Sozialpartnern vertretene beschäftigungspolitische Strategie entwickeln kann, hier waren und sind kollektive ArbeitsmarktakteurInnen die treibenden Kräfte. Die niedrige Teilzeitquote in südeuropäischen Ländern hat seine Wurzeln zum einen im niedrigen Lohnniveau, aber auch in arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen, die Teilzeit für die Betriebe relativ teuer machen (vgl. die Länderbeiträge in O’Reilly/Fagan 1998, Lehndorff 1998, Haas/Wroblewski 2000). Die einzigen Konstanten in diesem heterogenen Bild sind die Konzentration auf eher unattraktive Arbeitsmarktsegmente und die Frauendominanz in dieser Beschäftigungsform. Dies führt uns zur Frage des Geschlechterverhältnisses: Wenn Teilzeit offenbar negative Auswirkungen auf die Erwerbskarrieren der beschäftigten Frauen hat und, wie zuvor begründet, nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Teilzeitentscheidung eine vollständig freie Wahl im Sinne des ökonomischen mainstream darstellt, ist der Gender Gap Arbeitszeit als problematisch zu beurteilen bzw. Teilzeit als Gleichstellungsbarriere zu betrachten.
3.5.2 Teilzeit als Barriere für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt Teilzeitbeschäftigung stellt tendenziell eine Alternative zur Nichterwerbstätigkeit dar, der Anstieg weiblicher Teilzeitbeschäftigung hat daher zum Rückgang des Gender Gap Beschäftigung deutlich beigetragen. Die Zunahme bei der Ausprägung des Gender Gap Arbeitszeit ist gleichzeitig verantwortlich für die Reduktion bei einer anderen Ausprägung, der Arbeitsmarktpartizipation. Diese Gleichzeitigkeit von differenzerhöhenden und differenzreduzierenden Effekten verlangt nach einer sorgfältigen Analyse der Auswirkungen der Teilzeitarbeit auf die Geschlechtergleichstellung – eine simple Rechnung wie bei den zuvor präsentierten Ausprägungen des Gap im Sinne von „weniger ist besser“ funktioniert nicht bei der Teilzeit.
207
In der zitierten Studie wurde festgestellt, dass die Arbeitszeitänderungen bei Arbeitsplatzwechsel bis zu viermal so variabel waren wie bei einem Verbleib auf dem Arbeitsplatz (Stephan 1995, 79).
Gender Gap Arbeitszeit
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In einer europäischen Studie zu den Erwerbswünschen für die Zukunft wurde auch die Thematik der Arbeitszeit angesprochen.208 Fast die Hälfte der Befragten (47%) glaubt, dass sich Teilzeitarbeit nachteilig auf ihre Aufstiegschancen auswirken würde. Auch in zwei österreichischen Erhebungen berichten Frauen von deutlichen Verschlechterungen infolge der Teilzeitbeschäftigung (Dörfler 2004, 21f). Dass Teilzeitbeschäftigte Aufstiegsbarrieren kaum überwinden können, deckt sich mit der in Führungsleitbildern verankerten Norm, wonach qualifizierte und leitende Positionen inkompatibel mit Teilzeit seien (vgl. Dackweiler/Rosenberger 2002). Die tatsächliche Verteilung der Teilzeitbeschäftigung auf Branchen und Berufe zeigt die Konzentration auf Arbeitsmarktsegmente mit niedrigem Lohnniveau, geringen Aufstiegschancen und hohen Fluktuationen (siehe Kap. 2.2). Dass Teilzeitbeschäftigung ein Karrierehemmnis ist, ist offenbar nicht nur in den gegenwärtigen Strukturen des Arbeitsmarktes angelegt und in der Wahrnehmung der Erwerbstätigen verankert, sondern wird auch über die Leitbilder und Vorstellungen der Personalverantwortlichen insbesondere für qualifizierte und leitende Positionen ständig reproduziert. Zu einer Barriere für die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt wird Teilzeit aber erst durch die asymmetrische Zuordnung von Frauen zu dieser Beschäftigungsform: Teilzeitarbeit wird als einseitige „Lösung für Frauen“ betrachtet, die für männliche Erwerbstätige generell und für Führungskräfte im Besonderen nicht in Betracht kommt (Dackweiler/Rosenberger 2002, 14). Teilzeit als Gleichstellungsbarriere hat somit zwei Wurzeln: Zum einen die tendenzielle Beschränkung auf gering qualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitsmarktsegmente ohne (über ein Mindestmaß hinausgehende) Aufstiegsperspektiven, und zum anderen die Konstruktion als Beschäftigungsform für Frauen, die auf diese Weise am Arbeitsmarkt teilhaben können, ohne dass eine Neuorganisation der Familienarbeit erforderlich ist. Wenn Teilzeit in Bezug auf die Gleichstellung am Arbeitsmarkt neutral wirken soll oder – im Sinne von Teilzeit als Chance – diese fördern soll, ist an beiden Wurzeln anzusetzen. A
Defizit und Potenziale qualifizierter Teilzeitarbeit
Dörfler (2004) hat eine Bewertung der Teilzeitarbeit unter dem Blickwinkel der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorgenommen und kommt zum Schluss, dass außer einer quantitativen und qualitativen Steigerung an Familienzeit die Auswirkungen von Teilzeitbeschäftigungen negativ zu beurteilen sind. Dies betrifft sowohl die Chancen auf ein zufriedenstellendes Erwerbsleben (Aufstiegschancen, existenzsicherndes Einkommen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten) als auch das Ausmaß an sozialer Sicherheit. Die vorhandenen Unterschiede zwischen Ländern und Sektoren bezüglich der tatsächlichen Verteilung und Verbreitung von Teilzeitarbeit ändern nichts an ihrer Funktion bei der Verfestigung von Benachteiligungsstrukturen (wohl aber an der relativen Bedeutung dieser Funktion209). 208
Die Studie wurde 1998 von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durchgeführt, die Berichte sind auf www.eurofound.ie zu finden. 209 So ist, wie bereits mehrfach erwähnt, Finnland ein Land mit einem historisch gewachsenen niedrigen Teilzeitsektor. In Ländern wie Schweden hat die Teilzeitarbeit aufgrund des universellen Sozialsystems sowie der egalitär ausgerichteten Geschlechterpolitik weniger nachteilige Wirkungen auf die Arbeitsmarktkarrieren von Frauen als in erwerbszentrierten und breadwinner- orientierten Ländern wie Österreich.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Neben dem Umstand, dass das Teilzeitsegment stärker horizontal segregiert ist als der Gesamtarbeitsmarkt, hat vor allem das Fehlen eines Angebots an qualifizierten Teilzeitstellen Auswirkungen auf Einkommens- und Karriereperspektiven. Für Österreich liegen zwei aktuelle Studien zu dieser Thematik vor: Bergmann et al. (2003) beschäftigen sich mit den Potenzialen für qualifizierte Teilzeitarbeit, Dackweiler/Rosenberger (2002) untersuchen den Teilzeitdiskurs in Bezug auf Führungspositionen. Bergmann et al. (2003) stellen auf der Angebotsseite ein deutliches Interesse an Teilzeitbeschäftigungen fest, bei Männern und Frauen zeigt sich tendenziell eine höhere Bereitschaft bei höherem Ausbildungsniveau und höherer beruflicher Tätigkeit. Diesem potenziellen Angebot an qualifizierter Teilzeitarbeit steht wenig überraschend die Skepsis der befragten UnternehmensvertreterInnen gegenüber, die zwar eine prinzipielle Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung unter bestimmten Rahmenbedingungen positiv bewerten, aber nicht im qualifizierten Bereich. Die AutorInnen leiten aus den Befragungsergebnissen förderliche Rahmenbedingungen qualifizierter Teilzeitarbeit ab, die auf der Angebotsseite das Arbeitszeitausmaß (eher „lange“ Teilzeit über 20 Wochenstunden), die Arbeitszeitlage (eher Vormittags), das Einkommen (insbesondere die Überstundenabgeltungen betreffend) und die Weiterbildungsmöglichkeiten umfassen. Auf der Nachfrageseite sehen die AutorInnen einen wesentlichen Ansatzpunkt zur Attraktivierung von qualifizierter Teilzeitarbeit bei Organisations- und Einstellungsfragen: Es besteht ein deutlicher Bedarf an Informationen zu den Vorteilen von Teilzeitarbeit und an der Beratung zur Entwicklung und Umsetzbarkeit innovativer Arbeits(teil)zeitmodelle. Finanzielle Förderungen und steuerliche Anreizsysteme sind klarerweise ebenfalls Teil eines teilzeitförderlichen Umfeldes. Jedenfalls sind Potenziale für qualifizierte Teilzeitarbeit in Österreich vorhanden, zu deren Erschließung Bergmann et al. (2003) auch einer Reihe von politischen Steuerungsmaßnahmen identifizieren. Eine dieser Steuerungsmaßnahmen in Bergmann et al. (2003) ist der Ausbau qualitativ hochwertiger Teilzeitarbeit im öffentlichen Sektor. In diesem Segment ist die Untersuchung von Dackweiler/Rosenberger (2002) angesiedelt, die sich mit dem politischen Diskurs zur Teilzeit in Führungspositionen auseinandersetzen und dabei eine interessante Ausnahme von der in parlamentarischen Diskussionen anzutreffenden Inkompatibilität von Teilzeit und Führung ausmachen: bei der Regelung zur Dienstfreistellung von PolitikerInnen. Etwa 60% der im Nationalrat vertretenen Abgeordneten mit einem Dienstverhältnis im öffentlichen Sektor wurden für ihre politische Tätigkeit teilweise freigestellt, d.h. sie übten ihre eigentliche Tätigkeit in Teilzeit aus. Die Verringerung der Arbeitszeit betrug zwischen 25 und 75%, Männer reduzierten tendenziell etwas weniger als Frauen. Die Auswertung von Nationalratsdebatten brachte zu Tage, dass die durch die Ausübung der politischen Funktion vorgeschriebene Teilzeitarbeit von BeamtInnen auch in Führungspositionen „in den Augen der Mehrheit der Abgeordneten in keiner Weise die effiziente Ausübung einer Führungsposition des verbeamteten Mandatsträgers in Frage stellt“ (ebd., 73). Dieses Beispiel illustriert: „Es geht auch anders! Nämlich anders als die herkömmliche Rede über Teilzeit und Führung es hervorstreicht, anders als die Gesetzgeber selbst dies in Debatten zu Teilzeit und Führung es bekunden, nämlich dass eine Leitungsfunktion nur in Form einer Vollzeitbeschäftigung ‚ordentlich’ zu erfüllen sei“ (ebd., 63).210 Der mögliche Widerspruch zur 210
Die Autorinnen befassen sich weiters mit dem Thema Teilzeit und Führung in den Diskursen der Printmedien und bei der Diskussion verschiedener Gesetze in diesem Kontext. Das BeamtInnenbeispiel bleibt die einzige Ausnahme, die zeigt, dass es auch anders geht. Generell orten die Autorinnen eher eine Verstärkung des ge-
Gender Gap Arbeitszeit
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Unvereinbarkeit von Teilzeit und Führung wird vermieden, indem diese Arbeitszeitreduktion, die de facto einer Teilzeitarbeit entspricht, von BeamtInnen nicht als Teilzeit diskutiert und wahrgenommen und daher auch gesondert – als Dienstfreistellung – geregelt wird. Das Geschlecht der BeamtInnen spielte in den Debatten explizit keine Rolle, implizit stellten die Autorinnen fest, dass Geschlechterdifferenzen auch in diesem Kontext transportiert werden, weil das Modell einer Teilzeitführungsposition in Kombination mit einer politischen Position nur auf der Basis eines männlichen Lebenszusammenhanges realisierbar sei: „Denn betroffene Subjekte können diesen Ansprüchen nur genügen, also an zwei Erwerbsarbeitsplätzen gleichzeitig tätig sein, wenn im Privaten Zuarbeit erfolgt bzw. keine Verantwortung für die Familie wahrgenommen werden muss“ (ebd., 74). Wenn die Notwendigkeit einer Arbeitszeitreduktion in einer Führungsposition nicht aus der familiären Vereinbarkeitsproblematik resultiert, sondern aus beruflichen211 und/oder politischen Anforderungen heraus, dann bleiben tradierte Geschlechterleitbilder offenbar gewahrt und Teilzeit und Führung sind vereinbar – abseits der Beruf-und-Familie-Thematik. Wenn jedoch die zweite Hälfte der Arbeitszeit explizit der Vereinbarkeit gewidmet sein soll, dann sind die Diskurse im Bereich der BeamtInnen jenen in der Privatwirtschaft sehr ähnlich: Eine Führungsposition erfordert Individuen, die vollständig souverän und flexibel über ihre Zeit verfügen können, was sich mit objektiven Bedingungen wie Kindergartenöffnungszeiten oder Bedürfnissen von Pflegebedürftigen nicht verträgt.
B
Zur Rolle von Teilzeit bei der Modernisierung des Geschlechterverhältnisses
Das Defizit an qualifizierten Teilzeitstellen und an Führungspositionen in Teilzeit wird in der Regel aus Arbeitsmarktgegebenheiten heraus begründet: Arbeitskosten, Unteilbarkeiten, Organisationsfragen, Kommunikation am Arbeitsplatz, Flexibilität u.a.m. werden ins Treffen geführt. Diese Faktoren sind – zumindest auf den ersten Blick – geschlechtsneutral, erklären nicht den hohen Frauenanteil im relativ unattraktiven Teilzeitsegment. Dieser ist eine Folge des Angebotsverhaltens: Viele Frauen wollen, oder, bei kritischeren Betrachtungen in der Arbeitsmarktökonomik, können infolge familiärer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nur in Teilzeit arbeiten. Nachfrage trifft Angebot, so scheint es, in optimaler, aber von einander unabhängiger Weise. Aus der Perspektive der Geschlechterforschung wird versucht, dieses vorgeblich neutrale Verhältnis zwischen dem Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen und dem Angebot an Teilzeitkräften zu hinterfragen und die diskriminierenden Aspekte des derzeitigen Teilzeitsegments herauszuarbeiten. In einer Analyse eines Gesetzes zur Regelung der Teilzeitarbeit in Deutschland stellt Bauer (2001, 509) fest: „Die Tatsache, dass Frauen im Rahmen der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung – spätestens mit der Ankunft eines Kindes – überwiegend für die Familienarbeit zuständig sind, ist ein manifester Ausdruck von Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern. Versteht man den Arbeitsmarkt als das zentrale Instrument gesellschaftlicher Chancenzuweisung, ist eine diskontinuierliche, schlechterdifferenzierenden Diskurses, weil Flexibilität und Verfügbarkeit alles entscheidende Kriterien werden und diesen Kriterien nur allein lebende Frauen oder Männer mit Zuarbeiterinnen genügen können. 211 Das Pendant zu den teilzeitbeschäftigten beamteten PolitikerInnen sind Führungskräfte in der Wirtschaft, die beispielsweise ihre Arbeitszeit zwischen unterschiedlichen Vorstands- und Aufsichtsratspositionen aufteilen und auf diese Weise ebenfalls mehrere Teilzeitjobs vereinbaren können.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
zeitlich geminderte und qualifikatorisch abgewertete Teilnahme der Familienarbeit leistenden Frauen daran Ausdruck von Geschlechterdiskriminierung.“ Die Funktion von Teilzeitbeschäftigung als Ausdruck einer strukturell ungleichen Verteilung von Produktions- und Reproduktionsarbeit geht über den Erwerbsarbeitsmarkt hinaus, wirkt aber auf diesen zurück (Kreimer 1998). Die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten in Österreich übt diese Beschäftigungsform aus, weil dies die unter gegebenen Bedingungen für sie realisierbare Strategie ist, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Zu diesen Bedingungen zählen nicht nur Anforderungen von Seiten des Arbeitsmarktes, sondern auch das vorrangig in Teilzeit organisierte öffentliche Betreuungs- und Schulsystem (siehe Kap. 4.2). Der Diskurs über Teilzeitbeschäftigung wird, wie Dackweiler/Rosenberger (2002) zeigten, immer im Kontext des Geschlechterverhältnisses geführt, indem eine Verknüpfung mit Frauen bzw. Familie hergestellt wird.212 Damit ist Teilzeitarbeit das zentrale Element der Modifikation des traditionellen Modells geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, des male breadwinner – female caretaker Modells (siehe im Detail Kap. 4). Österreich zählt zu jenen Staaten, in denen das breadwinner-Modell in den Grundzügen erhalten blieb (siehe Kap. 4.2), und in diesem Kontext spielt Teilzeitarbeit eine spezifische Rolle. Die gegebenen sozialstaatlichen Rahmenbedingungen stützen ein Arbeitsteilungsmuster, das die Rollen zwischen den Geschlechtern klar verteilt: Männer bleiben die primären "Ernährer", Frauen die "Dazuverdienerinnen". Über Teilzeitarbeit kann das Potenzial der Frauen für den Erwerbsarbeitsmarkt erschlossen werden, ohne an den Zuständigkeiten für Haushalt und Familie zu rütteln. Anhand der strukturellen Gegebenheiten der Teilzeit können der Zusammenhang von familiärer und beruflicher Arbeitsteilung sowie die Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis gezeigt werden: In Folge der Beschränkung auf wenig qualifizierte Arbeitsmarktbereiche erzielen viele Teilbeschäftigte trotz Erwerbsarbeit kein existenzsicherndes Einkommen (Wörister 2001, Mühlberger 2000). Dass Teilzeitarbeit überwiegend auf Niedriglohnbereiche konzentriert ist, verschärft diesen Aspekt. Da Teilzeitbeschäftigte zudem häufig ihre Qualifikationen nicht einsetzen können, sondern Dequalifizierungsprozesse beim Übergang zur Teilzeit hinnehmen mussten, verbessert sich diese Einkommensposition auch langfristig kaum (siehe auch die Ergebnisse in Kap. 3.4). Teilzeit bedeutet für die betroffenen Frauen keine veränderte Gesamtarbeitsbelastung und kann somit bei den geltenden Bedingungen auch nicht als Präferenz für "weniger Arbeit" interpretiert werden, sondern nur als teilweiser Verzicht auf bezahlte Arbeit zugunsten unbezahlter Arbeit.213 Vollzeitarbeitende Männer können sich weiterhin für die Anforderungen des Erwerbslebens von Familienarbeit freispielen, die bestehende geschlechtliche Arbeitsteilung wird unauffällig verfestigt. Teilzeit scheint aus der "weiblichen Lebensverlaufsperspektive" heraus besonders gut geeignet zu sein, nach dem Karenzurlaub teilweise wiedereinzusteigen, sozusagen als zwischenzeitliche Lösung zu fungieren. Tatsächlich ermöglichen die mit dem Übergang zur Teilzeit verbundenen Dequalifizierungsprozesse in den meisten Fällen keine Rückkehr auf die ursprünglichen Vollzeitarbeitsplätze. Teilzeit als Dauerlösung bringt
212
Wenn diese Verknüpfung fehlt – wie im Beispiel der dienstfreigestellten Nationalratsabgeordneten – ist konsequenterweise auch nicht von Teilzeitbeschäftigung die Rede (siehe oben). 213 Die Partner teilzeitarbeitender Frauen arbeiten in der Regel noch weniger im Haushalt mit als die Partner von Hausfrauen, vgl. Künzler 1995, Kreimer 2002b, Statistik Austria 2002, 87ff.
Gender Gap Arbeitszeit
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jedoch beträchtliche soziale Risken mit sich, weil weder im Fall von Arbeitslosigkeit noch im Alter eine eigene Absicherung möglich ist (Wörister 2001). Teilzeit setzt somit die Familiensubsidiarität und deren Stabilität voraus, weil durch die Abweichung vom Arbeitsmarktstandard in erwerbszentrierten Systemen elementare Schutz- und Existenzsicherungsfunktionen entfallen. Die Stabilität der Versorgungsinstanz Ehe ist jedoch in zunehmendem Ausmaß nicht mehr gegeben, so dass sich die scheinbar sozial verträgliche Strategie der Teilzeitarbeit als soziales Risiko herausstellt, das überwiegend Frauen zu tragen haben und in den Berichten über weibliche Armut zum Ausdruck kommt (vgl. die Analysen in Heitzmann/Schmidt 2004).214
Mit dieser Positionierung von Teilzeitarbeit im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung wird die vorgebliche Neutralität im Verhältnis von Teilzeitangebot und – nachfrage von sozial- und gesellschaftspolitischer Seite her in Frage gestellt. Das reicht jedoch noch nicht aus, um die Diskriminierung durch Teilzeit als Beschäftigungsform, also von der Arbeitsmarktseite her zu belegen. M.E. ist dies allein aufgrund des Status Quo und des Wandels am Arbeitsmarkt auch nicht möglich: In Analogie zum „Normalarbeitsverhältnis“, das auch erst in der politischen Kontextualisierung als Teil des male breadwinnerModells seine androzentristische Prägung erhalten hat (vgl. Holst/Maier 1998), gilt auch für Teilzeitarbeit, dass ihre marginalisierenden und prekären Auswirkungen auf Frauen erst aus dem Zusammenspiel von Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen einerseits und der Arbeitsteilung der Geschlechter sowie der Flexibilitätswünsche der Frauen aufgrund von vereinbarkeitsorganisatorischer Notwendigkeiten andererseits resultieren (vgl. Rosenberger 2000). Dies gilt auch für die anderen Formen flexibilisierter Beschäftigungsverhältnisse: „In particular, the construction of a contingent labor market perpetuates a material basis for gender inequality in both paid and household work. If the opportunities of a flexibly organized workplace are increasingly of a part-time or temporary nature, and are ideologically typed as women’s job, the possibilities for women’s economic independence, for personal autonomy and for career advancement will be greatly diminished“ (Smith/Gottfried 1998, 119).
C
Zwischenresümee: Teilzeit als Falle oder Chance für die Gleichstellung der Geschlechter?
Die Zunahme der Teilzeitarbeit ist Teil des Wandels der Organisation von Erwerbsarbeit und als solcher mit den Prozessen der Flexibilisierung, der Segmentierung und der Umverteilung des Arbeitsvolumens nach der Ära der Vollbeschäftigung verbunden (zu den Prozessen siehe Kap. 3.1). Diese Prozesse sind jedoch weder per se benachteiligend für die Erwerbstätigen, noch führen sie automatisch zur Schlechterstellung von Frauen (Rubery/Fagan 1994). Smith/Gottfried (1998) zeigen dies am Beispiel der Flexibilisierung: Flexibilität kann Arbeitsprozesse aufwerten, langfristige Beziehungen mit der Kernbelegschaft 214
Hinsichtlich der Armutsgefährdung ist auch die fehlende Mindestsicherung in der österreichischen Arbeitslosenversicherung anzuführen, die sich in den deutlich niedrigeren Bezügen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe von Frauen gegenüber Männern ausdrückt. Ähnlich wie in der Pension ist der Einkommensunterschied in der Arbeitslosigkeit noch größer als im Erwerbsleben, weil das lebensunterhaltsfixierte Versicherungssystem geschlechtsspezifische Ungleichheit perpetuiert und verstärkt.
162
Gender Gap und Arbeitsmarkt
absichern, über flexible Spezialisierungen, neue Schichtmodelle, zielorientierte Systeme etc. Motivation und auch Einkommen der Beschäftigten erhöhen (funktionale Flexibilisierung). Sie kann aber auch im Sinne einer restriktiven Strategie genau das Gegenteil bewirken, nämlich über die Betonung der Arbeitskostenminimierung, die Abwertung von Arbeitsprozessen in Verbindung mit Dequalifizierungsprozessen, über outsourcing und die zunehmende Nutzung atypischer Beschäftigungsverhältnisse eine flexible, d.h. jederzeit austauschbare Randbelegschaft schaffen (numerische Flexibilisierung). Teilzeitbeschäftigung ist ein Instrument zur Umsetzung dieser Flexibilisierungsstrategien, sie ist von der Tendenz her Bestandteil numerischer Flexibilisierung, kann allerdings auch Teil förderlicher Strategien sein (z.B. über neue Schichtmodelle).215 In Kapitel 3.4 wurde empirisch gezeigt, dass eine Teilzeitbeschäftigung in den Jahren bis zum Schuleintritt des Kindes jedenfalls einer vollständigen Unterbrechung der Karriere vorzuziehen ist, weil Kontinuität – auch in der arbeitszeitmäßig reduzierten Form – am Arbeitsmarkt positiv bewertet wird. Teilzeitbeschäftigung ist als Teilaspekt der Restrukturierungsprozesse am Arbeitsmarkt nicht per se benachteiligend und auch nicht per se eine Barriere für die Gleichstellung der Geschlechter. Alle empirischen Studien zeigen jedoch, dass Teilzeitarbeit real eine Gleichstellungsbarriere darstellt und der mit dieser Beschäftigungsform verbundene Gender Gap Arbeitszeit somit einen Beitrag zum Gender Gap Karriere und zum Gender Gap Einkommen liefert. Diese empirische Evidenz wirft die Frage auf, worauf diese geschlechtsspezifischen Effekte beruhen, was sie stabilisiert? Zwei Antworten wurden skizziert: Erstens sind Segmentierungstendenzen, aufbauend beispielsweise auf dem Defizit qualifizierter Teilzeitarbeit, auszumachen. In diesem Kontext ist Teilzeitarbeit für die Umsetzung bestimmter Restrukturierungsprozesse funktional. Allerdings erklärt das nicht die geschlechtsspezifischen Wirkungen. Zweitens ist Teilzeitarbeit essentieller Teil des in Österreich noch immer vorherrschenden wohlfahrtsstaatlichen Systems des modernisierten male breadwinnerModells. Erst unter Einbeziehung der Gesamtorganisation von Arbeit und der sozialpolitischen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für beide Tätigkeitsbereiche lassen sich die geschlechtsspezifischen Auswirkungen erklären – was einmal mehr auf die Notwendigkeit einer erweiterten Perspektive verweist, sollen die auf Arbeitsmärkten auftretenden Prozesse und Probleme in befriedigender Weise untersucht und erklärt werden (siehe Kap. 4). Die Untersuchung von (Frauen-)Arbeit im Spannungsfeld von Erwerbsarbeit, Betreuungsarbeit und Hausarbeit unter den Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes (wie z.B. Flexibilisierungsprozesse), des Wohlfahrtsstaates (wie z.B. soziale Absicherung von Teilzeitarbeit, Organisation von Care), der Kultur (z.B. Normen zur außerhäuslichen Kinderbetreuung oder zur Geschlechtergleichstellung) würde bedeuten, die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung zumindest ein Stück weit wieder zu überwinden, die verschiedenen Formen von Arbeit als Ganzes zu betrachten.
215
Smith/Gottfried (1998) bieten eine arbeitssoziologische Aufarbeitung des Flexibilisierungsthemas und identifizieren zwei Ansätze, die sie als enabling und restrictive strategies zusammenfassen. Letzteres umfasst auch die numerische Flexibilisierung, bei den ersteren und selteneren Strategien geht es um Elemente funktionaler Flexibilisierung, aber auch um eine neue Arbeitskultur, um damit die Produktivität zu steigern. Einzelne Länder lassen sich der einen oder anderen Strategie zuordnen (z.B. Schweden zur förderlichen und USA, UK, Japan zur restriktiven Strategie), womit sich aber insgesamt keine einheitliche Tendenz abzeichnet.
Gender Gap Arbeitszeit
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3.5.3 Perspektiven zum Gender Gap Arbeitszeit Teilzeitarbeit ist eine von der Norm am Arbeitsmarkt abweichende Beschäftigungsform. Sie ist gerade durch diese Abweichung ein Bindeglied zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit. Sie ist – unter geänderten Bedingungen – auch ein Instrument für eine Neuorganisation der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung.216 Ob diese Neuorganisation den Gender Gap Arbeitszeit selbst angreift, d.h. zu einer deutlichen Annäherung der Erwerbsarbeitszeiten von Frauen und Männern führt, oder ob der Gap zwar bleibt, aber seine negativen Konsequenzen auf Frauenkarrieren verliert, bleibt vorerst offen.
A
Von der Falle zur Chance
Teilzeitbeschäftigung ist in sich stark strukturiert und relativ heterogen ausgestaltet, sodass die pauschale Sichtweise von Teilzeit als Problem bzw. als Falle zu stark generalisierend wäre. Dennoch weisen die zu den Arbeitsbedingungen von Teilzeit vorhandenen empirischen Befunde darauf hin, dass diese Beschäftigungsform für Frauen bislang eher den Charakter einer karrieremäßigen „Falle“ hat. Die auch im internationalen Vergleich gegebene Heterogenität der Teilzeitstrukturen und ihrer Auswirkungen zeigt zugleich Gestaltungsspielräume auf, die für eine Reorganisation der Teilzeitbeschäftigung in Richtung Chance nutzbar sein sollten. Teilzeitarbeit erscheint vor allem dann als zukunftsträchtige Alternative, wenn Erwerbsarbeit als ein Lebensbereich gesehen wird, der in die prägenden Zeitsphären anderer Lebensbereiche eingebettet ist und eine Rückkehrmöglichkeit in ein Vollzeitarbeitsverhältnis besteht. Ob Teilzeit primär mit Chancen oder Risiken in Verbindung gebracht wird, hängt wesentlich von Form und Inhalt der Teilzeitbeschäftigung, den Umständen und Lebensbedingungen der Teilzeitbeschäftigten und nicht zuletzt den Zielsetzungen für die Einführung von Teilzeitarrangements auf betrieblicher Ebene ab. Österreich kann als ein Land klassifiziert werden, in dem zwar der Wiedereinstieg von Frauen nach familiär bedingten Unterbrechungen überwiegend über Teilzeitarbeit stattfindet, aber wo ohne diesen familiären Anlass derzeit selten eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen wird,217 was zu einem Abbau bestehender Stereotype und ihrer benachteiligenden Implikationen führen würde.218 Auch Fagan et al. (1999, 58) sehen das Kernproblem im Zusammenhang mit der Entwicklung der Teilzeit in deren Qualität: „Bleibt Teilzeitarbeit eine marginalisierte Beschäftigungsform, und damit der vollzeitigen Beschäftigungsform nachgeordnet, wird die Zunahme der Teilzeit die Geschlechtersegregation noch verstärken. Sollte sie sich jedoch zu einer qualitativ gleichwertigen Alternative zur Vollzeitbeschäftigung entwickeln, wird sie dazu beitragen, die Ungleichheit der Geschlechter zu verringern.“
216
Diese Überlegungen bauen auf den Arbeiten zum Segregationsabbau auf, vgl. Kreimer 1999, 2002a, 2004a. Die Altersverteilung bei den männlichen Teilzeitbeschäftigten lässt darauf schließen, dass hier ein Muster abseits familiärer Anlässe vorliegt: Bei Männern dient Teilzeit häufig dem Nebenerwerb während des Studiums oder in der Pension (Wroblewski 2000, 8). 218 Winker (1998) und Fagan et al. (1999) argumentieren, dass Teilzeit dann zur Chance wird, wenn die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungen zu Erosion der bestehenden, an der Vollzeitarbeit orientierten und männlich geprägten Beschäftigungsnorm führt. 217
164
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Wenn dieses Qualitätsproblem entschärft bzw. im Idealfall eliminiert wird, bietet die Diversifizierung der Arbeitszeit die Möglichkeit, das am männlichen Lebenszusammenhang orientierte Modell der Erwerbsarbeit zu ändern und neue Standards zu setzen, die den familiären Verpflichtungen von Erwerbstätigen Rechnung tragen. Wenn Teilzeit attraktiver ist, kann dies die Gleichstellung der Geschlechter somit auf zweifache Weise unterstützen: Teilzeitarbeitende Frauen tun dies unter besseren Bedingungen, und Männer finden größere bzw. überhaupt Anreize vor, für bestimmte Phasen ebenfalls eine Teilzeitbeschäftigung zu wählen, weil sich die Kosten deutlich verringern würden.219 Der Gender Gap Arbeitszeit würde damit nicht eliminiert werden, aber er würde langfristig seine Bedeutung verlieren, er würde sozusagen neutralisiert werden. Dabei stellt sich die Frage des Potenzials, also wie und wieweit Teilzeitarbeit als Beschäftigungsform in andere Bereiche ausgedehnt werden kann, ohne auf die Rahmenbedingungen von Vollzeitjobs zu verzichten bzw. die Frage, wie diese Rahmenbedingungen im Hinblick auf Chancengleichheit zu modifizieren sind.220 Denn auch die unterschiedlichen Formen bestehender Teilzeitarbeit und der unerfüllte Teilzeitwunsch weisen darauf hin, dass Teilzeitbeschäftigung in sehr viel mehr Berufen und Beschäftigungsbereichen als derzeit ausgeübt werden könnte. Diese „qualifizierte Teilzeit“ soll einer möglichst großen Gruppe erwerbstätiger Personen zugute kommen, denn derzeit können „ ...Potenziale bezüglich der Erweiterung von Handlungsspielräumen, die Erhöhung der Zeitsouveränität und eines kreativen Umgangs mit Arbeits- und Lebenszeit (...) nur von einer kleinen Gruppe ausgeschöpft werden“ (Holzinger 2001, 53).
B
Übergangsarbeitsmarkt Teilzeit
Auch wenn die Etablierung qualifizierter Teilzeitbeschäftigung sowie die Streuung auf ein möglichst großes Spektrum von Berufen und Branchen gelingen, bleibt der Umstand, dass Teilzeit auf Dauer nur in Abhängigkeit von einem zweiten Einkommen möglich ist. Da zugleich auf Seiten der TeilzeitanbieterInnen der Teilzeitwunsch meist nicht auf Dauer angelegt ist, sondern mit bestimmten Phasen familiärer Verpflichtungen einhergeht, stellt sich die Frage nach der Etablierung und dem Ausbau eines Übergangsarbeitsmarktes zur Teilzeit. Ziel eines solchen Übergangsarbeitsmarktes ist es, jenes Politikbündel zu finden,
219
Realistischerweise muss angemerkt werden, dass auch nach der Beseitigung von Karrierehemmnissen und monetären Nachteilen bei der Ausübung von Teilzeitarbeit Individuen mit betreuungsbedingten Teilzeitphasen Nachteile gegenüber solchen, die dauerhaft in Vollzeit arbeiten, hinnehmen müssen – zumindest erzielen sie nur das halbe (bzw. aliquote) Einkommen. Die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern würde sich zu einer Asymmetrie zwischen Individuen mit und ohne Betreuungspflichten verlagern (vgl. Kreimer 1999). Um auch diese Ungleichheit zu eliminieren, bedarf es einer umfassenden Reorganisation der gesamten Arbeitsteilung (siehe weiter unten). 220 Fagan et al. (1999) zeigen die Bedeutung der besseren Verteilung auf die Sektoren von Teilzeitarbeit anhand des Vergleichs von Großbritannien und den Niederlanden: In den letzteren ist Teilzeitarbeit in fast allen Wirtschaftsbereichen gegeben, in ersterem auf wenige Sektoren konzentriert. Zudem gibt es in den Niederlanden Mindestlohnregelungen, in Großbritannien nicht. Unter diesen Bedingungen trägt Teilzeitarbeit in den Niederlanden in geringerem Maß zum Gender Gap Einkommen bei und ist daher auch für Männer attraktiver.
Gender Gap Arbeitszeit
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das Übergänge ohne negative Folgen am Arbeitsmarkt (bis hin zur Ausschließung) ermöglicht und mit einer Erhöhung der Wahlmöglichkeiten einhergeht.221 Das quantitativ bedeutendste Beispiel eines bereits institutionalisierten Teilzeitübergangsarbeitsmarktes in Österreich ist die Altersteilzeit (Dörfler 2004), die einen sanften Übergang „ohne Rückkehr“ in die Pension ermöglichen soll. In Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist das Recht auf Elternteilzeit zu nennen, das in Österreich seit Mitte 2004 in Anspruch genommen werden kann (vgl. Dörfler 2004, 13f sowie Kap. 4.2 und 4.3). Hinsichtlich der möglichen Effekte der Elternteilzeit herrschte bereits bei der Einführung einige Skepsis (Dörfler 2004a), die in den eher restriktiven Bedingungen zur Inanspruchnahme dieses Rechts begründet liegt.222 Ein nachahmenswertes Beispiel ist Schweden: Dort besteht das Recht auf Elternteilzeit seit 1979, bis zum 8. Geburtstag des Kindes kann die Arbeitszeit um 25% reduziert werden. Dies kann sowohl in der Form des 6-Stunden-Tags geschehen als auch in der Reduktion um einen Arbeitstag pro Woche. Mit 25% ist die Arbeitszeitreduktion aus österreichischer Perspektive eher gering, aber gerade dadurch ist es möglich, eine enge Bindung zum Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten, ohne große finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen und ohne die Karrierechancen allzu sehr zu reduzieren (Dörfler 2004, 11). Wenn zudem beide Elternteile dieses Recht in Anspruch nehmen, ergeben sich gesamt 1,5 volle Arbeitsverhältnisse – anlog zum vorherrschenden Mann-Vollzeit und Frau-50%-Teilzeit Modell in Österreich, nur ohne dieselben geschlechtsspezifischen Konsequenzen. Auch über die Elternteilzeit hinaus wirkt Teilzeitarbeit in Schweden weniger marginalisierend, ist als Beschäftigungsform für viele Übergänge anerkannt und daher dominiert die integrative Funktion einer befristeten Arbeitszeitreduktion (Fagan/Lallement 2000). Der wesentliche Aspekt des Teilzeit-Übergangsarbeitsmarktes ist die temporäre Arbeitszeitreduktion. Durch entsprechende Regelungen können Anreize für zeitliche begrenzte bzw. phasenbezogene Teilzeitbeschäftigungen gesetzt werden: Die Begrenzung des Rechts auf Teilzeit mit dem Alter eines zu betreuenden Kindes ist eine spezifische Möglichkeit für die Elternteilzeit, allgemeinerer Natur wären befristete Teilzeitsubventionen direkter Art (Lohnsubventionen für Teilzeit zum teilweisen Ausgleich des Einkommensausfalls) oder indirekter Art (z.B. Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Pension für Teilzeitphasen223).
221
Das Konzept des Übergangsarbeitsmarktes wurde in Kapitel 3.4 bereits kurz vorgestellt, eine ausführliche Darstellung erfolgt in Kapitel 4.3. Eine vergleichende Analyse zum Teilzeit-Übergangsarbeitsmarkt findet sich in Anxo/O’Reilly 2000. 222 Das Recht gilt in Betrieben ab 20 MitarbeiterInnen sowie ab einer dreijährigen Betriebszugehörigkeitsdauer. 223 Als Beispiel kann die Regelung der Kindererziehungszeiten in der deutschen Rentenform dienen (Informationen aus dem Rentenratgeber für Frauen auf www.bmas.de): Bis zum 10. Lebensjahr des Kindes werden unterdurchschnittliche Verdienste der Erziehenden subventioniert, beispielsweise bei Teilzeitarbeit. Die Messgröße ist wiederum das Durchschnittseinkommen, im günstigsten Fall können dieselben Rentenansprüche erworben werden wie von Personen, die in Vollzeit arbeiten und durchschnittlich verdienen. Zwar kann dies auch nur ein erster Schritt sein (für eine kritische Analyse vgl. Lepperhoff et al. 2001 und Bauer 2001), aber angesichts der mittlerweile in Österreich geltenden lebenslangen Durchrechnung für die Pension wäre eine solche befristete Aufwertung von Teilzeitphasen für die Höhe der Frauenpensionen essentiell.
166 C
Gender Gap und Arbeitsmarkt Teilzeit als Teil eines egalitären Arbeitsteilungs-Szenarios
Teilzeitarbeit fungiert derzeit als individuelle Arbeitszeitverkürzung. In der Verallgemeinerung, d.h. als generelle Arbeitszeitverkürzung, hätte sie das Potenzial zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt und darüber hinaus zu einem egalitären Geschlechterverhältnis beizutragen. Das Kombinationsszenario zielt beispielsweise auf eine Reduktion der Erwerbsarbeit für Männer und (zumeist) Steigerung für Frauen (in Abhängigkeit vom jeweiligen Gender Gap Arbeitszeit) bei gleichzeitiger Verlagerung eines Teils der unbezahlten Arbeit in bezahlte Arbeit ab. Im Endeffekt sollten beide Bereiche, Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit, in etwa gleich groß sein und beide Geschlechter sollten jeweils den gleichen Anteil übernehmen. Ob dieser umfassenden Perspektive auf bezahlte und unbezahlte Arbeit kann ein solches Szenario nicht auf den Arbeitsmarkt beschränkt bleiben, sondern muss im wohlfahrtsstaatlichen System zentral verankert und gefördert werden (siehe dazu Kap. 5.3). Väisänen/Nätti (2002) analysieren die Ergebnisse einer Befragung zu Arbeitszeitpräferenzen in der EU in DoppelverdienerInnen-Haushalten: Diese wollen im Durchschnitt ihre wöchentliche Arbeitszeit um 11 Stunden reduzieren (bei einer Spannbreite von minus 8 Stunden in Luxemburg und minus 15 Stunden im Vereinigten Königreich). Gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer ausgeglicheneren Beteiligung von Frauen und Männern in der bezahlten Arbeit deutlich geäußert (wenn auch abhängig von der aktuellen Verteilung: je egalitärer diese bereits war, desto egalitärer waren auch die geäußerten Präferenzen). PionierInnen auf dem Weg zu einem egalitären Szenario sind bereits jetzt Paare, die eine parallele Arbeitszeitreduktion praktizieren. Bürgisser (1998) hat Paare mit einem egalitären Rollenbild, definiert als annähernd symmetrische Arbeitsteilung auf Teilzeitbasis, in der Schweiz untersucht. Bei den befragten Paaren variiert die Erwerbsarbeit zwischen 50 und 70% bezogen auf Vollzeitarbeit. Daher nimmt Erwerbsarbeit bei den Frauen im Durchschnitt einen höheren Wert ein als bei traditioneller Rollenteilung, Männer beschränken ihr berufliches Engagement zugunsten ihrer Beteiligung bei der familiären Arbeit.224 Bei Betrachtung der konkreten Lebenssituation der untersuchten Paare tritt klar zu Tage, dass eine Verallgemeinerung dieses egalitären Modells ohne Änderung wesentlicher Rahmenbedingungen nicht möglich ist: Die befragten Personen gehören, gemessen an Ausbildung, Beruf und beruflichem Status, mehrheitlich der mittleren und oberen Mittelschicht an, haben in der Regel ein ähnliches Einkommensniveau und nicht selten auch eine gemeinsame Ausbildung durchlaufen und/oder teilen sich jetzt einen Job (job-sharing). Die untersuchten Paare sind keine "typischen" Paare, sondern solche in einer privilegierten Situation, in der sie mit zwei Teilzeiteinkommen finanziell ebenso gut leben wie eine Familie mit einem gutverdienenden Alleinverdiener. "Es ist unbestritten, dass das egalitäre Rollenmodell sich schlecht für Familien eignet, in denen die Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau ein gewisses Maß überschreiten“ (Bürgisser 1998, 36). Es ist auch unbestritten, dass Paare sich eine solche egalitäre Rollenverteilung leisten können müssen und dass die dazugehörige Teilzeitbeschäftigung im jeweiligen Berufsfeld durchsetzbar sein muss. Tatsächlich arbeiteten nur wenige der 28 befragten Männer in Berufsfeldern, in denen Teilzeit eher atypisch ist.
224
Bürgisser (1998) untersucht in ihrer Studie insbesondere den Zusammenhang zwischen diesem partnerschaftlichen Modell der Arbeitsteilung und dem allgemeinen Wertewandel („postmaterialistische Strategien“), auf den hier nicht näher eingegangen werden soll.
Gender Gap Arbeitszeit
167
Nichts desto trotz soll hier betont werden, dass eine solche egalitäre Rollenverteilung jene Form der Arbeitsteilung wäre, die im angeführten Kombinationsszenario angelegt ist. Ein verallgemeinerbares Arbeitsteilungsmodell erfordert jedoch unterstützende Rahmenbedingungen. Im Kapitel 5.3 werden diese Überlegungen weitergeführt.
168
3.6
Gender Gap und Arbeitsmarkt
Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt
In diesem Kapitel wurden vier Ausprägungen des Gender Gap dargestellt und analysiert. Dabei wurden entsprechend dem Entstehungskontext der einzelnen Analysen jeweils Schwerpunkte gesetzt, Erklärungsansätze gesucht und ergänzt, methodische Fragen aufgeworfen und Zusammenhänge hergestellt. Dies zeigt, dass jeder Gap für sich genommen genügend Anlass für vertiefende arbeitsmarktökonomische Analysen bietet. Unser Wissen über die Bestimmungsgründe der Lohndiskriminierung oder der Nichterwerbstätigkeit, über die Gläserne Decke, über die Herstellung segregierter Strukturen oder über Chancen und Risken der Teilzeitarbeit ist immer noch begrenzt. Darüber hinaus deutet aber die empirische Allgegenwart des Gender Gap darauf hin, dass seine unterschiedlichen Ausprägungen gemeinsame Wurzeln haben, die nicht in einer partialanalytischen Untersuchung erkannt und bearbeitet werden können. Der Ausgangspunkt einer übergreifenden Analyse ist die auf der Basis des neoklassischen Entscheidungsmodells argumentierende Arbeitsmarktökonomik: Der Zugang zum und das Verhalten am Arbeitsmarkt werden im Wesentlichen im mikroökonomischen Marktmodell erklärt. Gerade in der Arbeitsmarktökonomik war das neoklassische Erklärungsmodell bereits recht früh massiver Kritik ausgesetzt, was u.a. von den institutionalistischen Ansätzen zu den Segmentierungstheorien geführt und insofern "Erfolge" gezeitigt hat, als neuere neoklassische Arbeitsmarktheorien viele der Kritikpunkte aufgegriffen haben und mittlerweile ein realitätsnäheres Bild des Arbeitsmarktes zeichnen.225 Aus der Gender-Perspektive ist das nicht genug, denn worauf der Gender Gap in seinen Ausprägungen gründet und warum er beständig reproduziert wird, bleibt in vielerlei Hinsicht offen bzw. unbefriedigend.226 Dies liegt zum einen in der trotz der erwähnten Erweiterungen in den Arbeitsmarkttheorien immer noch gegebenen Engführung des mainstream-Ansatzes in Bezug auf die Behandlung unbezahlter, informeller Arbeit und in Bezug auf den male bias in der Neoklassik (siehe auch Kap. 1.5), die den Blick auf die komplexen Hintergründe der Diskriminierung verstellt. Die Sichtbarmachung und Hinterfragung dieser Ausblendungen und Verzerrungen ist bislang Hauptgegenstand der Arbeit feministischer ÖkonomInnen (siehe Kap. 3.1), einige Aspekte dieser Kritik werden im Folgenden aufgegriffen. Zum anderen geht die ungenügende Erklärungskraft ökonomischer Theorien zum Gender Gap über die feministische Kritik an der Neoklassik hinaus, insofern die Arbeitsteilung mit ihren stabilisierenden und reproduzierenden Effekten auf Diskriminierung berücksichtigt wird (siehe Kap. 1.2). Die in Kapitel 1 entwickelten Thesen zum Zusammenhang von Arbeitsteilung, Diskriminierung und Geschlecht werden im Lichte der Ergebnisse zu den vier analysierten Ausprägungen des Gender Gap nun aufgegriffen.
225
Für einen zusammenfassenden Überblick vgl. Kreimer 1999, 92ff; sowie Sesselmeier/Blauermel 1990. Obwohl es mehrfach Bemühungen gibt, den neoklassischen Arbeitsmarkansatz zu verbessern, die Modelle realitätsnäher zu gestalten und die empirischen Methoden zu erweitern (vgl. auch Knapp 2002), bleibt dies auf der Ebene von „add women and stir“ stehen (siehe Kap. 3.1.1). Wie insbesondere bei der Analyse des Gender Pay Gap sichtbar wird, sind methodische Verbesserungen allein kontraproduktiv (im Sinne des impliziten Ziels, den Gender Pay Gap „wegzuerklären“), wenn nicht am Modell und an seinen Annahmen Erweiterungen vorgenommen werden. 226
Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt
169
3.6.1 Gender Gap und Arbeitsteilung Die erste These zur Arbeitsteilung lautete: Arbeitsteilung „wirkt“: Prozesse der Arbeitsteilung laufen unter Beteiligung vieler AkteurInnen ab, sind nur im jeweiligen Kontext sinnvoll zu erfassen, schlagen sich in Institutionen und Organisationen (Mesoebene) und in der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung (Makroebene) nieder. Sie sind häufig irreversibel in dem Sinn, als Prozesse nicht einfach rückgängig gemacht oder massiv verändert werden können. Eine Ausdrucksform arbeitsteiliger Prozesse ist die Pfadabhängigkeit technologischer Entwicklung (Held/Nutzinger 2000, 10f), die nicht im Sinne eines Determinismus zu verstehen ist, sondern im Sinne nicht bzw. nur kostenintensiv und/oder ressourcenintensiv veränderbarer Prozessabläufe.227 Über diese Wirkungsweise fungiert Arbeitsteilung als zentraler Reproduktionsmechanismus der Diskriminierung, d.h. Prozesse der Arbeitsteilung führen zu Strukturen, die sich relativ unabhängig vom Wollen bzw. den Präferenzen der Individuen verfestigen können und dann u.a. als Diskriminierungsmechanismen wirken, ohne der jeweiligen aktuellen individuellen Verantwortlichkeit zugeordnet zu werden. Daraus folgt, dass Strukturen weitaus größere Auswirkungen auf den individuellen Arbeitsmarkterfolg haben, als das ihre Rolle als Nebenbedingung im individuellen Optimierungsprozess impliziert. Gerade die außerordentliche Stabilität von diskriminierenden Strukturen verweist darauf, dass diese sich verselbständigen können. An reale Diskriminierungsprozesse angepasste und diese vorwegnehmende individuelle Präferenzen sind nicht mehr als das identifizierbar, was sie tatsächlich sind: Feedback-Effekte infolge von (vergangener) Diskriminierung in arbeitsteiligen Prozessen (z.B. Ausschließungs- und Abgrenzungsprozesse bei der Entstehung und Entwicklung von Berufen). Als drittes wurde die These der sozialen Konstruktion von Geschlecht im Kontext der Arbeitsteilung aufgegriffen, was mit doing gender while doing work auf den Punkt gebracht werden kann. Wetterer (2001, 200f) führt drei Aspekte dieses sozialen Konstruktionsprozesses an, die in theoretischen und empirischen Studien bereits vielfach rezipiert und nachgewiesen wurden: Prozesse der Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit wie von Arbeit generell führen immer neu dazu, dass so gut wie jede Arbeit ein bestimmtes Geschlecht hat; diese Herstellung des Geschlechts der Arbeit erfordert selbst ein nicht unbeträchtliches Stück „Arbeit“; die Vergeschlechtlichung von Arbeit bleibt nicht auf die Ebene horizontaler Segregation beschränkt, sondern ist hierarchisch strukturiert, doing gender bedeutet immer auch doing male dominance und doing female submission. Mit der sogenannten „ursprünglichen Segregation“ (vgl. Kreimer 1999, 170ff), d.h. der Aufteilung der gesamten Arbeit in fortan getrennte Sphären der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit und der Zuweisung letzterer ins Aufgabenfeld der Frauen, wurde auf der Makroebene eine entscheidende Weiche gestellt, die die Segregation auf der Mesoebene der Berufe verstärkte. Um die separated spheres zu stützen, wurden Institutionen wie der Familienlohn entwickelt, Normen und Leitbilder kreiert und in der noch jungen neoklassischen The227
Vgl. dazu die Arbeiten zu steigenden Skalenerträgen und positiven Feedback-Prozessen in der Ökonomie, z.B. Arthur 1989 und 1990; sowie zu pfadabhängigen Prozessen und deren Bedeutung in ökonomischen Kontexten David 2001 (siehe auch Kap. 6).
170
Gender Gap und Arbeitsmarkt
orie als unhinterfragte exogene Faktoren in die Modellbildung integriert. Auch wenn die Arbeitsteilung entsprechend den separated spheres in vielerlei Hinsicht hinfällig und in jedem Fall brüchig geworden ist, sie wirkt über diese Institutionen, Normen und Leitbilder nach. Insbesondere wurde damit der Prozess der Abwertung jener Arbeit, die nicht über Märkte vermittelt wird, in Gang gesetzt, die funktionale Hierarchie zwischen marktvermittelter und privater Arbeit konnte fortan systematisch zur Diskriminierung gegenüber Frauen beitragen. Aus den vorliegenden Analysen zum Gender Gap lassen sich die Thesen zum Zusammenhang von Arbeitsteilung, Diskriminierung und Geschlecht folgendermaßen belegen: Die Konstellationen und Mechanismen des Pay Gap sowie die Arbeitsmarktsegregation sind prägnante Beispiele verfestigter Strukturen u.a. infolge arbeitsteiliger Prozesse. Die Art und Weise, wie Teilzeitarbeit gleichzeitig seine Prägung als typische Frauenarbeit und als Hauptstrategie numerischer Flexibilisierung mit den entsprechenden Effekten auf Entlohnung und Aufstiegschancen bekommt, kann als Beispiel geschlechterkonstituierender Arbeitsteilung interpretiert werden. Die Behandlung des weiblichen Arbeitsangebots bzw. in Analogie dazu der Nichterwerbstätigkeitsentscheidung ist ein klassisches Beispiel der Anwendung einer Mikrologik auf einen Zusammenhang, der nicht ohne den Makrokontext analysiert werden kann. Diese Entscheidungen stellen sich in einem anderen Licht dar, wenn die Bedeutungsrelation von Präferenzen und Restriktionen in der angenommenen "freien Wahl" hinter den Entscheidungen zugunsten letzterer modifiziert wird, wenn also die Makrodynamik einbezogen wird.
A
Diskriminierung und verfestigte Strukturen: Arbeitsteilung „wirkt“
Obwohl der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" seit mehr als 100 Jahren zur Diskussion steht, in der EU bereits im Gründungsvertrag verankert war228 und in Österreich seit 1979 in Gesetzesform vorliegt,229 und obwohl ungleiche Entlohnung vergleichbarer Tätigkeiten vergleichbarer Männer und Frauen gesellschaftlich als ungerecht beurteilt wird, bleibt Lohndiskriminierung gegenüber Frauen aufrecht. Warum können sich nicht wünschenswerte Ergebnisse oder Tatbestände so festsetzen, dass sie sich durch formale Gleichbehandlungspolitik nicht ändern lassen? Warum wird statistische Diskriminierung immer weiter angewendet, obwohl doch Signale von Seiten der Frauen gegeben werden, die ihre Produktivität unter Beweis stellen sollen? Warum bleibt Diskriminierung bestehen, obwohl nahezu alle arbeitsmarktrelevanten Variablen enorme Dynamik zeigen? Im Kapitel 3.3 sind wir diesen Fragen nachgegangen und haben im Wesentlichen vier Mechanismen in den untersuchten Berufsgruppen identifiziert (siehe Übersicht 3.2): die Bewertung und Klassifizierung von Arbeit, den Unvereinbarkeitsmythos und den Mythos vom Frauenmangel, und die Konstruktion technischer Kompetenz. Insbesondere bei ersterem und letzterem trifft zu, dass sich Bewertungsverfahren weiblicher und männlicher Arbeitsleistungen in Rechtfertigungsstrategien bewegen, die einem althergebrachten, traditio228
Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, für gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit zu sorgen, war bereits im Artikel 119 des EWG-Vertrages von 1957 enthalten (siehe Kap. 5.1 bzw. Berghahn 2002). 1979 wurde das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft erlassen (siehe Kap. 3.3 bzw. 5.1).
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Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt
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nellen und aus heutiger Sicht als überholt geltenden Muster folgen. Überspitzt formuliert: Frauen verstehen nichts von Technik (diese ist aber im Produktionsprozess als höherwertig einzustufen als beispielsweise Dienstleistungen, und daher auch besser bezahlt), Frauen ertragen eintönige Arbeiten besser (aber die sind nicht so viel wert, weil technisch nicht anspruchsvoll). Die beiden anderen Rationalisierungen, wiederum überspitzt formuliert: Es gibt keine geeigneten Frauen (und deshalb können sie auch nicht in Top-Positionen vertreten sein), und die Frauen, die es gibt, sind nicht voll verfügbar (weswegen sie weniger verdienen als ihre voll verfügbaren Kollegen), verweisen ebenfalls auf eine Logik, die angesichts der Bildungsexpansion, veränderter Erwerbsorientierung, Vielfalt der Lebensmuster etc. in die Vergangenheit weist. Kurz zusammengefasst: Wir haben es mit Legitimationsmustern zu tun, wie sie sich auch schon (wenn auch direkter und häufiger) in den Equal Pay Debatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden lassen. Das verweist allerdings vorerst nur auf verfestigte Rechtfertigungsmuster, auf Stereotype und Vorurteile, aber nicht auf ökonomische Prozesse, auf die Arbeitsteilung. Um diese Verbindung herzustellen, müssen wir historisch ebenfalls zurückgehen und die Prozesse der Verberuflichung, der Professionalisierung betrachten: Diese sind untrennbar mit der Arbeitsteilung der Geschlechter verbunden, und zwar in der Form des sogenannten samenessTabus.230 Um Frauenarbeit von Männerarbeit zu unterscheiden, u.a. um letztere höher bewerten zu können, wurden von den Anfängen der Industrialisierung bis heute vermittelt über die Arbeitsteilung Prozesse der Ausschließung und Abwertung von Frauen in Gang gesetzt, die in vielfältigen Forschungen nachgewiesen wurden.231 Die ökonomischen Auswirkungen dieser arbeitsteiligen Prozesse finden wir in der Segregation von Tätigkeitsfeldern und Arbeitsbereichen: Dass Fließbandarbeit Frauen und die Maschinenbedienung Männern zugeordnet wurde, und dass erstere in Relation zu letzterer schlechter bewertet wurde, führte zu verfestigten arbeitsteiligen Strukturen (Frauen machen Fließbandtätigkeiten, Männer fahren mit dem Stapler), in denen diese ursprüngliche direkte Diskriminierung gegenüber Frauen indirekt und mittelbar verfestigt fortlebt, immer wieder mit stereotypen Rationalisierungen und mit in die Organisationen eingelassenen gendered substructures (Acker 1990 sowie Kap. 3.3) legitimiert wird, die von den beteiligten AkteurInnen allein nicht überwunden werden können. Direkt ersichtlich ist die Wirkungsweise der Arbeitsteilung als Diskriminierungsmechanismus, wenn sie über die einzelnen Berufe hinweg analysiert wird, also die horizontale Segregation auf der Berufsebene ins Blickfeld gerät (siehe Kap. 3.4). Innerhalb einer dauerhaft segregierten – d.h. arbeitsteiligen – Struktur von Berufen können jene Mechanismen nicht arbeiten, die in der mikroökonomischen Marktlogik arbeiten sollten, um ungerechtfertigte ungleiche Behandlung auszugleichen: Die Konkurrenz ist eingeschränkt, es gibt weniger Vergleichsmöglichkeiten, Ungleichbehandlung ist schwer sichtbar, Entlohnungssysteme sind intransparent etc. Dass es mittlerweile nicht nur die Gläserne Decke, sondern auch glass walls und firewalls gibt (vgl. Bendl/Schmidt 2004), zeigt die Vielfalt von Prozessen der Erzeugung nun gläserner, aber deswegen um nichts weniger fester Strukturen. 230
Gayle Rubin (1975, 178) hat das sameness taboo folgendermaßen definiert: „The division of labor by sex can therefore be seen as a „taboo“: a taboo against the sameness of men and women, a taboo dividing the sexes into two mutually exclusive categories, a taboo which exacerbates the biological differences between the sexes and thereby creates gender“ (Hervorhebungen im Original). 231 Vgl. Wetterer 2002 für die Professionalisierung in der Medizin und der Krankenpflege; Rabe-Kleberg 1987 und 1993 für Dienstleistungsberufe; zusammenfassend Teubner 2004 und Gildemeister 2004.
172 B
Gender Gap und Arbeitsmarkt Geschlechterkonstruktion im Medium der Arbeitsteilung
Wenn wir es mit verfestigten Strukturen infolge arbeitsteiliger Prozesse zu tun haben, warum finden wir durchgehend das Muster, dass Frauen auf der weniger attraktiven Seite der Segmentierung festsitzen? Wie erhält beispielsweise die arbeitsteilige Segmentierungstendenz in Voll- und Teilzeitstellen ihre dominant geschlechtsspezifische Prägung? Die Wirkungsweise verfestigter Strukturen in Arbeitsmärkten steht im Mittelpunkt der Ansätze zur Arbeitsmarktsegmentierung und ist daher kein neues Thema in der Arbeitsmarktforschung (vgl. z.B. Sengenberger 1987). Wie und warum allerdings innerhalb der vielfältigen Segmentierungsprozesse die Kategorie Geschlecht noch einmal und quer zu anderen Faktoren als Element der Differenzierung und vor allem der Hierarchisierung eingesetzt wird, blieb in den Segmentierungstheorien nur ein Randthema und ging über die Annahme exogener Unterschiede kaum hinaus.232 Die ökonomischen Erklärungsansätze sowohl auf der Angebotsseite (Humankapitaltheorie) als auch der Nachfrageseite (Segmentierungsansätze) sind alle im Modell der differenztheoretischen Arbeitsteilung verhaften geblieben. Insofern hat die Neoklassik bzw. der arbeitsmarktökonomische mainstream die Entwicklungen in der Gender-Forschung noch keinesfalls aufgenommen. Das beschränkt die Aussagekraft der Analyse, weil wir immer wieder auf den biologistischen Zirkelschluss zurückgeworfen werden bzw. etwas als exogen betrachten, was es nicht ist. Ähnlich wie für die statistische Diskriminierung oder andere Erklärungsbeiträge aus den neueren Arbeitsmarkttheorien gilt auch für die Arbeitsmarktsegmentierung: „Was wir in derartigen theoretischen Konzepten vor uns haben, ist zwar auf der deskriptiven Ebene eine teilweise recht brauchbare Beschreibung der sozialen Konstruktion von Geschlecht im Berufsbereich – aber eine Beschreibung, die blind ist für das, was da eigentlich beschrieben wird; die den Konstruktionsprozess, den sie implizit darstellt, nicht aufschlüsselt, sondern nachvollzieht; ihn nicht aufklärt, sondern fortsetzt“ (Wetterer 2002, 191). Die Gender-Forschung zeigt die Geschlechterkonstruktion dieser Prozesse und die ständige Reproduktion der hierarchischen Differenz auf. Wie die Teilzeitarbeit ihr – weibliches – Geschlecht bei gleichzeitiger Beschränkung auf unattraktive Arbeitsmarktsegmente erhalten hat, lässt sich nur verstehen, wenn wir in unserer Analyse über die Mikroperspektive der Arbeitsmarktökonomik hinausgehen. Dann erweist sich die Teilzeitentscheidung als komplexes Ergebnis und zugleich selbst als Bestimmungsgrund einer in vielen Bereichen „teilzeitig“ organisierten Gesellschaft (v.a. Kinderbetreuungs- und Schulsystem, siehe Kap. 4), eines auf dem modifizierten male breadwinner-Modell aufgebauten Wohlfahrtsstaates, in dem das Arbeitsteilungsmodell „MannVollzeit“, „Frau-Teilzeit“ in vielfältiger Weise gestützt oder zumindest ermöglicht wird, und eines normativen Bezugsrahmens, der die Gleichzeitigkeit von Vollzeiterwerbstätigkeit und Familie als letztlich unzulässiges Lebensmodell erscheinen lässt.233 Teilzeitarbeit wird
232
Für kritische Auseinandersetzungen mit dem Erklärungsgehalt der Segmentierungsansätze in Bezug auf die geschlechtsspezifische Segregation vgl. Willms-Herget 1985, Kleber 1988, Pfau-Effinger 1990, Maier 1991, Kreimer 1999. 233 Der Fokus dieser Analyse sind das Geschlechterregime und die wohlfahrtsstaatliche Organisation, wie wir sie in Wohlfahrtsstaaten des konservativen Typs wie Österreich oder Deutschland vorfinden (siehe Kap. 4.1). Dass es auch davon abweichende Länder gibt, in denen sich beispielsweise Teilzeitbeschäftigung nie durchsetzen konnte (wie Finnland) oder aber die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern nicht kritisch hinterfragt wurde (wie in Frankreich), verweist auf die enormen Schwierigkeiten, die Makrodynamik der Arbeitsteilung länderübergreifend
Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt
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zur „idealen“ Frauenarbeit, als sie die Arbeitsmarktintegration der Frauen ermöglicht, ohne am wohlfahrtsstaatlichen System und, vermutlich noch entscheidender, an der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wesentliche Änderungen vornehmen zu müssen. Die Daten zur Entwicklung der Teilzeitarbeit zeigen die Dynamik dieser Beschäftigungsform bei gleichzeitiger Statik der Verteilung auf die Geschlechter. Die Dauerhaftigkeit des Gender Gap Arbeitszeit tritt umso mehr hervor, je schneller die Arbeitsmarktentwicklung insgesamt voranschreitet, je dynamischer sich in Teilbereichen Tätigkeitsfelder und insgesamt Organisationsstrukturen etc. verändern. Insoweit Teilzeitbeschäftigung als Flexibilisierungsinstrument eingesetzt wird, treffen wir auf das Faktum verfestigter Strukturen: Teilzeitbeschäftigung ist in einem noch stärkeren Ausmaß segregiert, was die horizontale Mobilität beschränkt; die Durchlässigkeit zu Vollzeitstellen ist gering, was vertikale Segregation nach sich zieht, denn Teilzeitstellen sind in der Regel nicht mit Karriereleitern verbunden. Die Rückkehr auf Vollzeitstellen gelingt kaum, insofern erweisen sich Teilzeitjobs als Korsett, das die Teilzeitbeschäftigten nur schwer wieder ablegen können. Und damit schließt sich der Kreis zur geschlechterkonstituierenden Arbeitsteilung: Aus dem Korsett der Vollzeiterwerbstätigkeit für Männer und der Teilzeiterwerbstätigkeit für Frauen können auch Vollzeitbeschäftigte kaum ausbrechen: Ihnen werden Arbeitszeitverkürzungen verwehrt. Immerhin würde ein großer Anteil männlicher Arbeitskräfte gerne einige Stunden weniger arbeiten bzw. gibt es eine (potenzielle) Bereitschaft von Vätern in Teilzeitkarenz zu gehen (siehe Kap. 4.3). Über die Geschlechterkonstruktion von Teilzeit als Frauenarbeit wird es Männern extrem schwer gemacht, dieses Arbeitszeitmodell zu wählen – obwohl wir parallel Diskurse vorfinden, die Arbeitszeitverkürzungen aus verschiedenen Gründen als attraktiv erscheinen lassen (Frage des „Zeitwohlstandes“, partnerschaftliche Arbeitsteilung). Wenn sich allerdings Teilzeitbeschäftigungen im hochqualifizierten PolitikerInnenberuf quasi als „politische Notwendigkeit“ ohne Bezug zur Vereinbarkeitsthematik ergeben, dann ist der Zugang auch für Männer möglich, aber dann ist auch nicht mehr die Rede von Teilzeit, sondern von Dienstfreistellung (vgl. Dackweiler/Rosenberger 2002 bzw. 3.5.2). Auch hier wird die Konstruktion von Geschlecht in ihrer Verschränkung mit der Konstruktion von Arbeit sichtbar.
C
Handlung und Struktur: Arbeitsteilung und Wahlfreiheit
Der Gender Gap Beschäftigung ist der zentrale Indikator für die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und zugleich für die funktionale Arbeitsteilung zwischen marktvermittelter und privater Arbeit. Er resultiert aus der Übernahme von Betreuungs- und Haushaltstätigkeiten durch Frauen und stützt sich daher auch auf das entsprechende wohlfahrtsstaatliche Sicherungsmodell, das die male-breadwinner – female-caretaker Organisation von Berufs- und Familienarbeit erlaubt und teilweise noch immer fördert. Vieles ist hier im Fluss, dieser Gap sinkt kontinuierlich, was mit der Modifikation des Arbeitsteilungsmodells einhergeht. Wie die beiden Systeme – Beschäftigungssystem und Wohlfahrtsstaat – konkret zusammenwirken, wird im nächsten Kapitel analysiert werden. Eine arbeitsmarktökonomische Analyse weiblicher Erwerbsbeteiligung ohne explizite Einbeziehung von Care muss
verstehen zu wollen. Die Konzipierung verschiedener Typen von Wohlfahrtsstaaten und Typen von Geschlechterregimes versucht, diese Schwierigkeiten bearbeitbar zu machen (siehe Kap. 4.1).
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
zwangsläufig unvollständig bleiben, auf dieses Defizit neoklassischer Ökonomik kann gar nicht oft genug hingewiesen werden. Das bedeutet nun nicht, dass Teilaspekte des Gender Gap Beschäftigung nicht auch aus einer Arbeitsmarktperspektive heraus untersucht werden könnten, wie dies in Kapitel 3.2 mit dem Fokus auf die Nichterwerbstätigkeit geschehen ist. Ausgangspunkt ist die Frage, wie weit diese (bezogen auf den Erwerbsarbeitsmarkt) „Inaktivität“ von Frauen von den Individuen gewünscht wird und ihren Präferenzen entspricht. Die hohe Angabe familiärer Gründe lässt oberflächlich betrachtet darauf schließen, dass dieses Arbeitsteilungsmuster zu einem großen Teil den Präferenzen der Frauen entspricht und daher wenig Handlungsbedarf hinsichtlich eines Abbaus des Gap aus der Gleichstellungsperspektive besteht.234 Im neoklassischen Analyserahmen ist die Nichterwerbstätigkeit das Ergebnis der „freien Wahl“, eine rationale Entscheidung zwischen (Erwerbs-)Arbeit und damit Einkommen und Freizeit. Peter (2002, 154) weist darauf hin, dass in der Theorie rationaler Wahl zwei grundlegende Kategorien im Spiel sind: die Restriktionen, welche die Menge von Alternativen beschreiben, und die individuelle Nutzenfunktion, welche die Präferenzen und damit die Auswahlkriterien abbildet. Die Gewichtung von Restriktionen und Wahl – und damit von Zwang und Freiheit – ist eine entscheidende Frage hinsichtlich der Interpretation von Wahlfreiheit. In der mainstream-Ökonomik scheint nach Peter (2002) die auf Milton Friedman zurückgehende Extremposition vorzuherrschen, wonach jedes Handeln ohne unmittelbaren Zwang eben als „freiwillig und frei“ zu interpretieren ist.235 Die ungleiche Arbeitsmarktpartizipation von Müttern und Vätern beispielsweise ist demnach Ausdruck freiwilliger Entscheidungen innerhalb der Familie – und nicht direktes Resultat der Restriktionen infolge der traditionellen Rollenteilung, mit denen Frauen und Männer konfrontiert sind. Nun ist ein Wahlentscheid zwar eine Beurteilung der gegebenen Alternativen, sagt aber nicht unbedingt etwas über die Bewertung der Restriktionen aus, welche die zur Auswahl stehenden Alternativen definieren (ebd., 161). Es mag nun nach Peter zu Wahlentscheiden ohne Einwilligung kommen, womit Fälle beschränkter Freiwilligkeit angesprochen sind: Es gibt zwar keinen direkten Zwang (wie beispielsweise bei einem Überfall), aber auch keine Einwilligung im Sinne des Übereinstimmens von Handeln und Willen. Damit stellt sich die Frage, wie Zwang definiert wird. Ein möglicher Ansatz definiert Zwang über die Qualität der zur Wahl stehenden Alternativen (ebd., 163), in dem gefragt wird, ob eine Alternative akzeptabel ist oder nicht. Die Wahlfreiheit der neoklassischen Theorie resultiert auch aus der Alternative des exit, d.h. der Möglichkeit ein Angebot abzulehnen, aus einem Vertrag auszusteigen. Wer drinnen bleibt, tut dies freiwillig und mit Einwilligung. Diese Interpretation setzt akzeptable und vergleichbare Alternativen voraus, wenn beispielsweise zwischen der Annahme eines Arbeitsangebots und der exit-option der Arbeitslosigkeit mit den entsprechenden Risken gewählt werden muss, liegt nach Peter ein zwangsausübendes Angebot vor. Für die Analyse der Nichterwerbstätigkeit ist die Möglichkeit zwangsausübender Angebote infolge gesellschaftlicher Strukturen von großer Bedeutung. Strukturen wie die 234
Diese Argumentation gilt nicht für allfällige andere Motive zum Abbau des Gender Gap Beschäftigung, z.B. die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit zur Sicherung des Pensionssystems. 235 Die Gegenposition, wonach der Preismechanismus als Ausdruck von Ressourcenknappheit den Individuen Beschränkungen auferlegt und sie zu Entscheidungen „zwingt“, war nach Peter (2002, 154) den frühen Grenznutzentheoretikern klar und findet sich beispielsweise auch bei Samuelson, der feststellt: „Libertarians fail to realize that the price system is, and ought to be, a method of coercion“ (Samuelson 1966, 1415).
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materielle und immaterielle Ressourcenausstattung (öffentliche Kinderbetreuung), Regeln (Mutterschutz und Karenz) oder soziale Normen (Leitbild der „guten“ Mutter) können individuelles Handeln so beschränken, „dass Marktangebote für gewisse Personen den Charakter von zwangsausübenden Angeboten haben. Betroffene Personen haben dann nur die Wahl zwischen Angebot annehmen und ablehnen, ohne aber die Möglichkeit zu haben, zu den Restriktionen, welche die gesellschaftlichen Strukturen ihnen auferlegen, ihren Widerspruch kund zu tun“ (Peter 2002, 165). Die Alternative zu dieser mikroökonomischen Sicht auf die Wahlfreiheit der Individuen kann nicht im anderen Extrem, der Annahme eines Strukturdeterminismus, liegen. Individuen treffen Wahlentscheidungen, insofern ist das Akteursmodell der Neoklassik auch für die Arbeitsangebotsentscheidung relevant und darauf anwendbar. Aber es genügt nicht, Strukturen in der Form von Restriktionen als Nebenbedingungen des Optimierungsprozesses zu sehen, es ist notwendig, gesellschaftliche Strukturen selbst zu endogenisieren, aus dem derzeitigen und vergangenen Verhalten aller beteiligten AkteurInnen zu erklären sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Individuen bei der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Arrangements einzubeziehen. Da die Nichterwerbstätigkeit von Frauen in hohem Ausmaß mit der „Alternative“ Betreuungsarbeit begründet wird, sind insbesondere die Rahmenbedingungen des caring zu untersuchen. Die exit-Alternative, die Vermeidung von Betreuungsarbeit, steht Frauen ohne Zwang nur solange zur Verfügung, als es um die Entscheidung für oder gegen Kinder geht. Wurde eine Entscheidung für Kinder getroffen, ändern sich die Entscheidungsgrundlagen, weil die Ausübung der exit-Option im Sinne eines Rechts „nicht zu betreuen“ nicht mehr in derselben Weise möglich ist. Diese Thematik wird im vierten Kapitel weiter verfolgt.
3.6.2 Spezialisierung auf Care als Aspekt horizontaler Arbeitsteilung? In Kapitel 1.3 wurde die These aufgestellt, dass Care mehr ist als ein im ökonomischen mainstream vernachlässigter Arbeitsbereich und es aufgrund der Besonderheiten von Care nicht ausreichen kann, diesen Arbeitsbereich als einen weiteren unter vielen in die arbeitsmarktökonomische Analyse zu integrieren. Es wurden mehrere Gründe genannt, warum sich die Verteilung von Care – der Gender Gap Care – auf der Ebene horizontaler Arbeitsteilung nicht ausreichend erfassen lässt. Im Kontext der Analysen zu den Ausprägungen des Gender Gap im formellen Arbeitsmarkt tritt vor allem der Zusammenhang zwischen realen oder auch nur potenziellen Betreuungspflichten und der Karriere- und Einkommensposition der Frauen zu Tage. Care betrifft Frauen, unabhängig davon, ob sie Personen betreuen oder nicht. Wenn sie betreuen bzw. betreut haben und ihre Erwerbskarriere zu diesem Zweck unterbrochen haben, erleben sie diese Unterbrechung als „Stolperstein“ für die weitere Karriere (Kap. 3.4). Der „Mythos der Unvereinbarkeit“ (Kap. 3.3) entwickelt sich zum Karrierehemmnis und damit zu einem Bestimmungsgrund für den Gender Pay Gap, unabhängig von aktuellen Betreuungspflichten. Betrachten wir die beiden Beispiele erneut etwas genauer unter der Perspektive der Arbeitsteilung:
176 A
Gender Gap und Arbeitsmarkt Stolperstein Berufsunterbrechungen: Berechtigte Differenzen?
In Kapitel 3.4 wurde einmal mehr bestätigt, dass Frauen weitaus häufiger als Männer ihre Berufskarriere zu Zwecken familiärer Betreuungsarbeit unterbrechen. Dass sich das als Stolperstein für die weitere Karriere- bzw. Einkommensentwicklung im Vergleich zu kontinuierlich erwerbstätigen Männern erweist, ist ökonomisch nachvollziehbar – an diesem Punkt würde eine Analyse direkter Diskriminierung stehen bleiben. Aus einer erweiterten Perspektive stellen sich zwei Fragen: Erstens, warum unterbrechen soviel mehr Frauen als Männer die Karriere zwecks (Kinder-)Betreuung? Zweitens, gibt es Unterschiede zwischen den Folgen von Erwerbsunterbrechungen (die auch aus anderen Ursachen herrühren können, z.B. Arbeitslosigkeit) zwischen Männern und Frauen? Zur zweiten Frage liegt im Sozialen Survey kein auswertbares Material vor, aber eine interessante Studie aus Deutschland: Beblo/Wolf (2003) vergleichen die Effekte von Berufsunterbrechungen von Männern und Frauen auf die weitere Einkommensentwicklung und stellen fest, dass negative Lohneffekte von Erwerbsunterbrechungen bei weiblichen Beschäftigten größer sind als bei Männern.236 Frauen müssen beim Wiedereinstieg größere Abschläge hinnehmen und zudem „verjähren“ die Folgen ihrer Auszeiten nicht, während beispielsweise fünf Jahre nach einer Arbeitslosigkeitsphase bei Männern diese Unterbrechung kaum mehr Auswirkungen auf die aktuelle Situation hat (ebd., 566). Somit zerlegt sich der Gender Gap Berufskarriere infolge von Berufsunterbrechungen in einen humankapitaltheoretisch erklärbaren Teil, der auch andere Formen der Unterbrechung als die einer familiären Auszeit betrifft, und einen nicht erklärbaren – diskriminierenden – Teil, der offenbar mit der Tatsache zusammenhängt, dass Frauen Care-Arbeit leisten. Ob eine veränderte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern im Sinne einer egalitären Verteilung von Care an der Unterbewertung dieser Arbeitsform etwas ändern würde, d.h. der diskriminierende Anteil an den Unterbrechungsfolgen verschwindet, kann nicht geklärt werden. Klar ist jedoch, dass eine solche veränderte Arbeitsteilung den Gender Gap Berufskarriere reduzieren würde (siehe Kap. 4.3 und 5.3). Die erste Frage, warum denn fast ausschließlich Frauen Auszeiten zur Kinderbetreuung nehmen, führt uns theoretisch zur Arbeitsteilungsentscheidung im Haushalt, d.h. zur New Home Economics bzw. in der Folge zu den Bargaining-Ansätzen. Darauf wird im anschließenden Kapitel 4.1 eingegangen werden. Der Zusammenhang mit der beruflichen Arbeitsteilung lässt sich vorerst empirisch herstellen, und zwar sowohl in Bezug auf die Situation vor als auch nach der Unterbrechung. Vorher sind es nicht nur individuelle Präferenzen, komparative Vorteile oder ein traditionelles Rollenverständnis, sondern auch die Strukturkomponenten des Arbeitsmarktes, z.B. die Bedingungen in einzelnen Berufen (Born 1994, Born et al. 1996), die die Art und vor allem die Dauer der Unterbrechung mitbestimmen. Und danach kommen vielfach nachgewiesene Faktoren wie vermehrte Jobwechsel, verstärkte Inanspruchnahme von flexibleren Arbeitszeitarrangements oder der Wechsel in den stark segregierten Teilzeitmarkt zum Tragen, die ihrerseits Teil der arbeitsteiligen Strukturen im Arbeitsmarkt und darüber hinaus der Ausgestaltung des Kinderbetreuungsangebots sind. Die in Kapitel 3.4 getroffene Feststellung, dass die Übernahme familiärer Betreuungs- und Pflegearbeit geschlechtsspezifische Disparitäten im Erwerbsarbeitsmarkt erzeugt und stabilisiert, kann erst im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung vollständig belegt werden. 236
Die unterschiedliche Bewertung von Unterbrechungen ist für 20 Prozent des Lohndifferenzials verantwortlich (Beblo/Wolf 2003, 569).
Fazit: Gender Gap und Arbeitsmarkt B
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Der „Unvereinbarkeitsmythos“ und statistische Diskriminierung
Mit dem Unvereinbarkeits-Mythos bezeichneten wir im Kapitel 3.3 jene Rechtfertigungsstrategie für geringere Einkommens- oder Aufstiegschancen von Frauen, die auf der von Personalverantwortlichen generell angenommenen mangelnden "Rund-um-die-UhrVerfügbarkeit" von Frauen im gebärfähigen Alter aufbaut. Diese Rechtfertigung erfährt in unterschiedlichen Berufen Variationen: Vor allem im Segment qualifizierter technischer Berufe ist statistische Diskriminierung die Folge: Risikoscheue Unternehmen investieren weniger in Frauen(Ausbildungen), weil sie glauben, dass dies aufgrund der erwarteten Produktivität weniger rentabel ist. Frauendiskriminierung scheint nichts mit innerbetrieblichen Hierarchien oder Rekrutierungsverfahren zu tun zu haben, und schon gar nichts mit direkter Diskriminierung. Konsequenterweise ist die Motivation, dieser Diskriminierung durch Maßnahmen des Unternehmens entgegenzuwirken, gering – es ist ja die „Unvereinbarkeit“ und nicht Diskriminierung. Dieser Mechanismus funktioniert relativ unabhängig vom tatsächlichen familiären Status der Frauen. Unter LehrerInnen erfährt der Unvereinbarkeitsmythos auf den ersten Blick eine im Sinne der Frauen positive Umdeutung, insofern dieser Beruf für die Vereinbarkeit mit dem Familienleben ideale Bedingungen aufzuweisen scheint. Das ist objektiv unter gegebenen Rahmenbedingungen des Schulsystems in Österreich auch der Fall: Eltern und Kinder haben sozusagen dieselben „Arbeitszeiten“. Gleichzeitig treffen wir auf ein Beispiel von doing gender, das dann doch wieder die üblichen Folgen auf die Karrieren hat: Aus den idealen Bedingungen der Vereinbarkeit folgt der Schluss auf spezifische „Fraueninteressen“ im Kontext der Reproduktionsarbeit (wozu das Unterrichten von Kindern eine selbstverständliche Affinität zu haben scheint), die im Berufssystem im Sinne kompensierender Lohndifferenziale oder ebensolcher Differenziale im Aufstieg zu Recht ausgeglichen wird. Dass nicht alle Frauen dasselbe „Interesse“ an der Übernahme von Betreuungsarbeit haben, und dass im Fall der LehrerInnen diese ihre Tätigkeit gar nicht als Teil des Reproduktionsfeldes sehen, wird ignoriert. Die Nähe zur Betreuungsarbeit, sei es direkt über Inhalte oder indirekt über „optimale“ Vereinbarkeitsbedingungen, hat weitreichende Folgen.
3.6.3 Macht, Hierarchie und Gestaltungsspielräume: Der lange Weg zur Gleichstellung der Geschlechter In Kapitel 1.4 wurde festgehalten, dass Benachteiligung im Kontext der Arbeitsteilung diagnostizierbar und gestaltbar ist, ohne die arbeitsteilige Marktökonomie als Ganzes verändern zu müssen. Empirisch erhält diese These Bestätigungen aus der Dynamik des Gap über die Zeit (z.B. Abbau des Gender Pay Gap parallel zur Entwicklung der Gleichbehandlungsgesetzgebung) und aus der Variabilität des Gap über Länder und Regionen hinweg (vgl. z.B. Barth et a. 2002 für die Ergebnisse in den Partnerländern der in Kapitel 3.3 präsentierten Studie). Dass diese Gestaltungsoptionen sich nicht auf den rechtlich-formalen Bereich beschränken dürfen, sondern eine breite Konzeption von Gleichstellungspolitik angestrebt werden muss, wurde ebenfalls in Kapitel 1.4 festgehalten und wird im Kapitel 5 ausgeführt.
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Gender Gap und Arbeitsmarkt
Anknüpfungspunkte für gleichstellungspolitische Maßnahmen wurden in den Untersuchungen zum Gender Gap mehrfach genannt, insbesondere beim Gender Pay Gap. Dies liegt nicht nur daran, dass das dem Kapitel 3.3 zugrunde liegende Projekt explizit die Suche nach Strategien „towards a closing of the gender pay gap“ zum Ziel hatte, sondern auch am möglichen Rückschluss vom Gender Pay Gap auf direkte Diskriminierung. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ war für die Entwicklung der Gleichstellungspolitik daher auch von zentraler Bedeutung (siehe Kap. 3.3 und 5.1). Dennoch zeigen die Ergebnisse der Fallstudien in den drei untersuchten Berufsgruppen deutlich, dass eine auf direkte Diskriminierung gerichtete formale Gleichbehandlungspolitik nicht ausreichen kann, um die tief verankerten, intransparenten und komplexen Konstellationen und Mechanismen der Lohndiskriminierung zu bekämpfen. Die mit Hilfe der ExpertInnen aus der Referenzgruppe (vgl. Hönig/Kreimer 2003) erstellte Liste möglicher Strategien zum Abbau des Gap (vgl. Kreimer 2003b) gibt einen ersten Eindruck davon, wie eine breit definierte Gleichstellungspolitik aussehen könnte. Strategien zum Abbau des Gender Pay Gap wie auch zu allen anderen Ausprägungen des Gap zielen auf die Eliminierung von Diskriminierung, nicht auf ein Ende der Arbeitsteilung oder auf eine Beschränkung weiterer Spezialisierung. Da aber Diskriminierungsmechanismen über arbeitsteilige Strukturen wirksam geworden sind, kann die Arbeitsteilung selbst nicht von der Gleichstellungspolitik ausgenommen werden. Dies betrifft jedenfalls die Arbeitsteilung auf der Ebene der Geschlechter (siehe Kap. 4.3 und 5.3) und die funktionale Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Familie (siehe Kap. 4 und 5.3), also jene Konstellationen, in denen es auch um die Verteilung von Care geht. Auf der Ebene der Berufe müssen Gestaltungsoptionen zur Veränderung der geschlechterkonstituierenden Arbeitsteilung gefunden werden, um das Ziel einer „neutralen“ Differenz im Sinne einer Arbeitsteilung mit geschlechtsneutralen Wirkungen zu realisieren.237
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Dass dazu auch noch theoretische Vorarbeiten in der Geschlechterforschung notwendig sind, zeigen die Debatten um undoing gender (Hirschauer 1994), die „De-Institutionalisierung“ der Differenz (Heintz/Nadai 1998) oder um die „Ent-Geschlechtlichung“ und die „Re-Vergeschlechtlichung“ in Professionalisierungsprozessen (Gildemeister/Robert 1999). Zu diesen Debatten vgl. z.B. Wetterer 2002, 147ff, Wetterer 2004, Gildemeister 2004.
4
Gender Gap und Care Zur Analyse lebensweltlicher Arrangements und ihrer Alternativen
„Wie teuer ist es eine Frau zu sein?“ lautet der Titel einer deutschen Studie, in der Gender Gaps und „Mother Gaps“ errechnet wurden. Der durchschnittliche Lebenseinkommensverlust einer verheirateten, vollzeiterwerbstätigen und angestellten Mutter mit zwei Kindern und fünf Jahren Berufsunterbrechung gegenüber einer vergleichbaren Frau ohne Kinder betrug demnach rund 195.000 Euro. Wird dieser Gap mit dem arbeitsmarktbezogenen Einkommensunterschied kombiniert, als Vergleichsbasis also ein ähnlich qualifizierter Mann gewählt, erhöht sich der Gap auf 365.000 Euro, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Mann Kinder hat oder nicht.1 Diese Berechnung illustriert den Ausgangspunkt für das vorliegende Kapitel: Die Ausübung von Betreuungsarbeit reduziert die Erwerbseinkommensperspektiven von Frauen und trägt deutlich zum Gender Gap bei. Die Einkommensperspektiven von Männern werden hingegen durch die Existenz von Kindern oder betreuungsbedürftigen Angehörigen nicht berührt.2 Aus einer ökonomischen mainstream Perspektive ist daran allerdings nichts verwunderlich, schließlich sind sowohl der direkte Einkommensausfall aufgrund der Unterbrechung als auch die Reduktion infolge der verminderten Berufserfahrung humankapitaltheoretisch begründbar; die Aufteilung der familiären Arbeit auf die Geschlechter ist eine Folge der innerfamiliären Zeitallokation, deren Asymmetrie sich angesichts unterschiedlicher Erwerbseinkommenskapazitäten neben komparativen Vorteilen als rational erweist. In ähnlicher Weise lassen sich der Gender Gap Beschäftigung oder der Gender Gap Arbeitszeit als Effekt von Phasen der Nichterwerbstätigkeit oder Teilzeitbeschäftigung wegen Kinderbetreuung erklären. Dass Mütter erwerbsarbeitsbezogene Entwicklungspotenziale (z.B. Weiterbildung, Flexibilität) nicht in derselben Weise wahrnehmen können wie „betreuungsarbeitsfreie“ Individuen, trägt angebotsseitig zum Gender Pay Gap und zum Gender Gap Erwerbskarriere bei, nachfrageseitig manifestieren sich entsprechende Erwartungen an weibliche Arbeitskräfte als zentrale Faktoren von Mechanismen statistischer Diskriminierung.
1 Die Berechnungen erfolgten auf der Basis des deutschen sozioökonomischen Panels für verschiedene Lebenssituationen, Qualifikationsniveaus und Karrieretypen von Frauen (zitiert nach Klammer 2001). In die Berechnung wurde nur Erwerbseinkommen einbezogen, allfällige Transfers nicht berücksichtigt. Der „Mother Gap“ entsteht durch den Ausfall des Erwerbseinkommens für fünf Jahre (220.000 DM bzw. 112.000 Euro) und einem Humankapital-Abwertungseffekt von 166.000 DM (rund 84.000 Euro), insgesamt 386.000 DM (rund 196.000 Euro). Abgesehen von der Berufsunterbrechung arbeitet die Mutter im Beispiel immer in Vollzeit. 2 Teilweise können Männer ihre Einkommenskapazität durch die Existenz einer Familie sogar erhöhen: Waldfogel (1998) fasst Studienergebnisse für die USA zusammen, wonach Frauen mit Kindern eine family penalty gegenüber Frauen ohne Kindern von 10 bis 15 Prozent beim Einkommen aufweisen, während Männer mit Familie gegenüber solchen ohne Familie eine marriage premium von ebenfalls 10 bis 15 Prozent erzielen können.
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Gender Gap und Care
Im Kapitel 3 ging es um die Bestimmungsgründe des erwerbsarbeitsbezogenen Gender Gap, um die Identifizierung vielfältiger Diskriminierungsmechanismen und benachteiligender Strukturen. Dass diese indirekt oder direkt, materiell oder auf der Ebene von Zuschreibungen mit asymmetrisch verteilten familiären Verpflichtungen zu tun haben, war immer mit ein Thema, ohne diesen Arbeitsbereich zu explizieren. Genau dies geschieht im vorliegenden Kapitel. Die Ausgangsthese dazu lautet, dass es nicht reicht, im Sinne eines einfachen Konzepts von Arbeitsteilung einen weiteren Arbeitsbereich einzubeziehen, sondern dass sich Betreuungsarbeit durch Besonderheiten auszeichnet, die sie von vergleichbaren Dienstleistungen unterscheidet und die es zu analysieren gilt, um die geschlechtspezifische Arbeitsteilung verstehen und verändern zu können. Insofern ist es notwendig, über die angeführten mainstream-Erklärungen zu betreuungsbedingten geschlechtsspezifischen Differenzen am Arbeitsmarkt hinauszugehen und Betreuungsarbeit in seiner ganzen Komplexität einzubeziehen. Dies erfordert mehrere Perspektivenwechsel für die vorherrschende neoklassische Arbeitsmarktökonomik:3 Als Gegenstandsbereich kann Care (zum Begriff siehe Kap. 1 und 4.1) als ökonomisch relevantes Gegenbild zu (Arbeits-)Marktbeziehungen analysiert werden. Gegenbild deshalb, weil sich nur ein Teil der Betreuungsarbeit als marktvermittelte Arbeit organisieren lässt – und sich sogar dort Probleme stellen, die mit dem besonderen Charakter von Care zu tun haben und zur relativen Abwertung bezahlter Betreuungsdienstleistungen gegenüber anderen Dienstleistungen führen (vgl. England et al. 2002). Die Familienökonomik wie auch die Economics of Child Care haben diesbezüglich bereits viele Beiträge geliefert, die helfen, die Ursachen dieser relativen Abwertung zu identifizieren (siehe Kap. 4.1.1 und 4.1.2), aber sie bleiben eine vollständige Erklärung schuldig (England/Folbre 2003). Viele Fragen müssen erst beantwortet werden: wie sinnvoll sind formale Modelle für diese Fragestellungen, wie entstehen Gender-Normen und –Ideologien und wie verfestigen sie sich, welche Rolle spielt Individualismus wirklich, wie entstehen Institutionen und wie verändern sie sich, u.a.m. „Answering these questions will lead not just to a better understanding of the family, but also to better economic thought“ (Woolley 1999, 335). Die Besonderheiten dieses Tätigkeitsbereichs begründen die Herausbildung spezifischer Institutionen. England/Folbre (2003) zeigen, wie mit Ansätzen der new Institutionalist Economics4 Kontrakte im Care Bereich adäquater erfasst werden können, wie endogene Präferenzen oder die Überwachung der Qualität von Care eingebaut werden können. Gerade weil sich die Organisation von Care von überwiegend impliziten Kontrakten im familiären Bereich hin zu deutlich mehr expliziten Kontrakten im Erwerbsarbeitsbereich verschiebt, werden die Kosten der Betreuungsarbeit sichtbar, und auch, wer diese trägt. Die Frage „Who pays for the kids?“ (Folbre 1994) kann nur im Ge3 Dieser mehrfache Perspektivenwechsel bedingt die Komplexität der Thematik und dementsprechend ist auch die Feministische Ökonomik trotz bereits umfangreicher Arbeiten zu caring labour noch weit entfernt „from an adequate theory of care“ (England 2003, 52). Die meisten der bisherigen Arbeiten in diesem Gebiet sind kritische Auseinandersetzungen mit den Erklärungsdefiziten der Neoklassik zu Care (England/Folbre 2003, 62), die Entwicklung eigener Konzepte zur Economics of Care ist verhältnismäßig jung (siehe z.B. Jochimsen 2003, Folbre 2004). 4 England/Folbre (2003, 62) beziehen sich dabei auf die Arbeiten von Williamson, Stiglitz oder Akerlof. „Though still largely based on traditional assumptions, new institutionalist approaches generally emphasize the ways that values, norms, and preferences help coordinate individual decisions. They often use the term contract as a metaphor to help explain the evolution of nonmarket institutions and long-term relationships.”
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samtkontext der Positionierung von caring labor im wohlfahrtsstaatlichen System inklusive der dafür notwendigen kollektiven Organisation beantwortet werden (siehe Kap 4.1.2 und 4.1.3). Betreuungsarbeit ist im Dreieck von Staat, Markt und Familie angesiedelt, wobei sich in den einzelnen Staaten zwischen den jeweiligen Anteilen und Organisationsformen große Unterschiede zeigen. Dies verlangt die Einbeziehung wohlfahrtsstaatlicher, d.h. makrosoziologischer und politikwissenschaftlicher Konzepte in die ökonomische Analyse und somit einen interdisziplinären Brückenschlag zur Wohlfahrtsstaatenforschung und zur Sozialpolitik (siehe Kap 4.1.4 und 4.1.5). Care kann nur im jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Kontext analysiert werden, und die Ergebnisse dieser Analysen sind nicht in derselben Weise verallgemeinerbar wie die anderer Arbeitsbereiche. Dass die beiden folgenden anwendungsorientierten Kapitel 4.2 und 4.3 den Fokus auf Österreich legen, erweist sich daher als zielführend.5 Am Beispiel des Care Arrangements in Österreich soll ein Einblick in dieses komplexe Wechselspiel zwischen Markt, Staat und Familie gegeben werden (Kap. 4.2). Am Beispiel der Elternkarenz wird in Kapitel 4.3 gezeigt, wie Care in den Erwerbsarbeitsmarkt integriert werden kann und welche Potenziale für eine veränderte Arbeitsteilung darin liegen.
In der Frage der Organisation von Care treffen wir auf mehrere Dimensionen der Arbeitsteilung: auf die mikroökonomische Arbeitsteilung im Familienkontext, auf die Mesoebene der informellen Netzwerke auf lokaler Ebene und der Familienfreundlichkeit von Betrieben, auf die Makroebene der Aufteilung zwischen Markt, Familie und Staat und der jeweiligen Institutionen. Um dem Ziel einer diskriminierungsfreien Gesellschaft näher zu kommen, müssen Veränderungen auf allen Ebenen der Arbeitsteilung ansetzen, ineinander greifen, sich gegenseitig stärken. Nur so können makropolitische Impulse wie beispielsweise die Väterkarenz in das Set der mikroökonomischen Entscheidungsfindung als relevante Alternativen Aufnahme finden, zu Anpassungen im individuellen Verhalten führen und auf die Mesoebene und die Makroebene zurückwirken (siehe Kap. 5). „The study of care work .... is an excellent example of a topic that challenges all the usual dichotomies – male/female, separative/connected, selfish/altruistic, family/market“ (England 2003, 52). Die Analyse von Care erfordert einen Perspektivenwechsel innerhalb der Ökonomik auf nicht-marktlich vermittelte Arbeit und auf die Nutzung alternativer Ansätze zur Neoklassik, über die Ökonomik hinaus auf eine interdisziplinäre Analyse von Care und einen Wechsel von zeitlosen allgemeinen Betrachtungen zu kontextbezogenen empirischen Analysen. Einige Aspekte dieses großen und in seiner Gesamtheit bislang nicht aufgearbeiteten Forschungsbereichs werden im vorliegenden Abschnitt zusammengestellt, um zu zeigen, wie Care im ökonomischen Theoriegebäude bereits integriert ist, welche Defizite bestehen und wo Anknüpfungspunkte für Erweiterungen zu finden sind.
5 Das spricht nicht gegen die steigende Beliebtheit der komparativen Wohlfahrtsstaatenforschung, aber auch dort wird kontextbezogen vorgegangen, d.h. es werden zwei oder mehrere Systeme konkret analysiert und verglichen.
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4.1
Gender Gap und Care
Beiträge zu einer Theory of Care
„Care“ wird als Kurzform von care work oder caring labour eingesetzt. Im Deutschen wird häufig der Begriff „Betreuungsarbeit“ verwendet, der allerdings eher enger aufgefasst wird als der englische Begriff care, der neben „betreuen“ auch „pflegen“, „sich sorgen“, „für einander da sein“, „aufpassen“ beinhalten kann (Knijn/Ungerson 1997, 330). Dies ergibt sich u. a. aus der Heterogenität der betreuten Personen: Kinder, dauerhaft kranke und behinderte Menschen, ältere Menschen mit Pflegebedarf. Teilweise findet sich der Begriff der „Fürsorgearbeit“ (z.B. Eckart/Senghaas-Knobloch 2000, Tronto 2000), allerdings ist der Begriff „Fürsorge“ im österreichischen Sozialsystem historisch auf einen bestimmten Teilbereich sozialer Arbeit definiert. Jochimsen (2003a) verwendet den Begriff „Sorgetätigkeiten“, der dem caring labour vermutlich näher kommt, aber im deutschen Sprachraum auch noch nicht üblich ist. In der feministischen Ökonomie-Literatur hat caring labour zwei zentrale Bedeutungen (Hewitson 2003): Zum einen geht es um die Motivation to care about others, die Motive hinter diesen Tätigkeiten (Verpflichtung, Altruismus, Reziprozität u.a., vgl. Folbre 1995) und damit um die Identität der Betreuenden. Zum anderen bezeichnet caring labour die Tätigkeit (to care for others), ins Blickfeld gerät hier, was caring labour von anderen Tätigkeiten unterscheidet. Ein zentraler Faktor sind die Bedürfnisse der betreuten Personen. Diese beiden Bedeutungen sind jedenfalls komplementär zu verstehen, die Differenzierung ist nur eine Hilfestellung, um den jeweiligen Fokus der Analyse hervor streichen zu können. Im Folgenden werden die Begriffe „Care“ und „Betreuungsarbeit“ parallel als Überbegriffe für Arbeit „which is caring about and/or for others“ (Hewitson 2003, 286) verwendet, wobei für beide Begriffe gilt, dass sie analog zum Gender Gap kontextabhängig zu konkretisieren sind. Care umfasst auf längere Zeit angelegte Betreuungsleistungen für Betreuungsbedürftige, die diese Arbeit selbst nicht leisten können (Kinder, dauerhaft Kranke, ältere Pflegebedürftige). Diese Arbeit kann bezahlt oder unbezahlt geleistet werden, formell oder informell, im Privathaushalt oder im marktvermittelten Bereich, die Abgrenzung erfolgt demnach weniger über den Ort oder die Rechtsform der Erbringung, sondern primär inhaltlich.6 Ausgeschlossen sind Betreuungsleistungen für die eigene Person (die in einem sehr weiten Care-Begriff auch integriert sein könnten) und Hausarbeit im engeren Sinn (weil keine Subjekte betreut werden).7 Ausgeschlossen sind auch der Bereich der „sozialen Arbeit“ (wie Bewährungshilfe, Sozialarbeit mit Jugendlichen) und der Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen im eigentlichen Sinn (health care). Beide werden primär über Märkte bzw. 6 Damit beziehe ich mich auf jene Dimensionen von Care, für die Daly/Lewis 2000 den Begriff social care eingeführt haben, um eine Abgrenzung zu sozialpolitischen Detailanalysen ziehen zu können. 7 Hausarbeit im engeren Sinn (Reinigung, Kochen, Einkaufen, Waschen, Bügeln…) unterscheidet sich von den Betreuungsdienstleistungen nicht nur im „Gegenstand“ der Tätigkeit, sondern auch in der Dringlichkeit ihrer Erledigung. Zudem ist die Auslagerung von Hausarbeit hauptsächlich eine Kostenfrage, keine Frage der Motivation, nicht primär eine Frage der Qualität. Und Hausarbeit lässt sich zeitlich nahezu beliebig einteilen, sodass es in der Regel keine Probleme macht, sie mit den Erfordernissen anderer Arbeitsbereiche abzustimmen und dies auch noch an zwei unterschiedliche Karrieren anzupassen. Die Asymmetrie der geschlechtsspezifischen Verteilung der Hausarbeit ist allerdings noch veränderungsresistenter als die der Care-Tätigkeiten (siehe Kap. 2.5), obgleich diese Asymmetrie immer mehr hinter moderner Rhetorik der Gleichheit zu verschwinden scheint (Wetterer 2003).
Beiträge zu einer Theory of Care
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den öffentlichen Sektor angeboten, es gibt wenig informelles unbezahltes Angebot, was sich auch aus der Natur dieser Dienstleistungen ergibt.8 Allerdings ist die Abgrenzung fließend (z.B. bei der Altenpflege), was einmal mehr darauf verweist, dass konkrete Analysen nur im jeweiligen Kontext sinnvoll durchgeführt werden können. Die Verbindung zwischen Care und Gender ergibt sich nicht nur aus der faktischen Überrepräsentanz von Frauen im Betreuungsbereich, sei es im Markt oder im Privaten. Helfen und Sorgen erschien immer schon als frei verfügbare, mühelose und quasi „natürliche“ Fähigkeit, über die Frauen jedenfalls verfügen, und daher „nicht als gesellschaftlich bedingtes, ressourcenabhängiges Handeln auf der Basis politisch durchgesetzter, historisch wechselnder Bedürfnisinterpretation“ (Brückner 2004, 8). In der Ökonomik wurde Care lange Zeit überhaupt ausgeblendet (siehe Kap. 3.1). Mit der seit Mitte der 1990er Jahre geführten Debatte um Care vor allem im angloamerikanischen und skandinavischen Raum wird versucht, die Dichotomien in Abhängigkeit und Unabhängigkeit, in privat und öffentlich, und die damit verbundene Abwertung von Care selbst dann, wenn sie in verberuflichter Form in der öffentlichen Sphäre geleistet wird, aufzulösen und die Bedeutung und Anerkennung von Care auf eine neue Basis zu stellen (z.B. Brückner 2004, Tronto 2000, Wærness 2000, Eckart 2000).
4.1.1 Aspekte einer Theory of Care I: Ansätze aus der Familienökonomik Beginnen wir mit der Frage: Wo und wie wird entschieden, who cares about or for somebody? Wer übernimmt die Betreuungstätigkeiten? Die Familienökonomik siedelt diese Frage mikroökonomisch im Haushalt an: Die Haushaltsmitglieder entscheiden in der ersten Generation von Modellen (siehe A.) vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Nutzenfunktion und komparativer Vorteile über die Aufteilung ihrer Zeit, in der zweiten Generation der bargaining-Modelle (siehe B.) wird dieser Entscheidungsprozess umfassender und realitätsnäher modelliert.
A
New Home Economics: Der Haushalt im ökonomischen mainstream
Wer unter welchen Rahmenbedingungen familiäre, d.h. nicht marktlich organisierte Betreuungsarbeit übernimmt, wurde in der Ökonomik lange nicht explizit thematisiert, implizite Annahmen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sind schon bei den „Klassikern“ zu identifizieren (vgl. Pujol 1992 und 1995, Gardiner 1997, 21ff). Das Geschlechterbild und die daraus folgende Rollenverteilung waren durchweg traditionell, d.h. letztlich explizit oder implizit biologistisch fundiert, und gesellschaftspolitisch relevant: Alfred Marshall sprach sich gegen die Zulassung von Studentinnen an der Universität Cambridge aus, weil dies zur Vernachlässigung ihrer familiären Pflichten führen könnte; Stanley Jevons befürwortete ein Gesetz, das die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter drei Jahren verbieten sollte (Folbre 2004, 20).
8 Allerdings gibt es in diesen Bereichen auch einen relativ großen Teil ehrenamtlicher Arbeit, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann.
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Gender Gap und Care
Die explizite Befassung mit der geschlechtsspezifischen Aufteilung von Care und Erwerbsarbeit kam mit Gary S. Becker in den ökonomischen mainstream.9 Dieser hat nichts am latenten Biologismus verändert, aber er hat die Entscheidung darüber, wer welche Arbeit macht, ins ökonomische Theoriegebäude geholt und mit ökonomischer Rationalität versehen, hinter der sich die traditionellen biologistischen Argumente leicht verstecken lassen. Auf die vielfältige Kritik an Beckers Ansatz zur Familie soll hier nicht eingegangen werden.10 Es sei jener Aspekt herausgegriffen, der für die Fragestellung von besonderem Interesse ist: die völlige Ignoranz gegenüber dem Charakter von Care-Tätigkeiten und damit einhergehend die einseitige Modellierung des Individuums. Abgesehen von der ArbeitFreizeit-Haushalt-Entscheidung gibt es keine Befassung mit der besonderen Natur von Care-Tätigkeiten, insbesondere nicht mit Phasen der Abhängigkeit bei Individuen, die den Bedarf an Care auslösen. Familienmitglieder sind entweder unabhängige, autonome Individuen, oder sie sind „passive nonpersons who can be subsumed into someone else’s preferences or into the contraints“ (Nelson 1996, 68f). Kinder, die keine direkte Gegenleistung für die ihnen zukommende Betreuungsarbeit geben können, werden als langlebige Konsumbzw. Produktionsgüter „modelliert“: „Ein besseres Beispiel für die Schwierigkeit, ja Unfähigkeit der traditionellen ökonomischen Theorie, mit beschränkt autonomen Personen umzugehen, lässt sich kaum finden: nicht-autonome Personen werden in dieser Theorie gleich gar nicht als Personen verstanden, sondern als .... Güter“ (Jochimsen 2003a, 43). Feministische ÖkonomInnen wie Julie Nelson setzen dem ein Identitätskonzept gegenüber, das Personen sowohl als Individuen als auch als persons-in-relation definiert. Erst damit wird es möglich, für das Verständnis von Care essentielle Konzepte in die ökonomische Betrachtung einzubauen: Verantwortlichkeit (responsibility) und Abhängigkeit (dependence) (Nelson 1996, 69).
B
Bargaining-Modelle
Auch bei Becker findet sich eine „Beziehung“ zwischen den Haushaltsmitgliedern, und zwar in der Form der vielkritisierten Altruismusannahme (vgl. Ott 1998). Dem wird in der zweiten Generation (Beblo/Soete 1999, 22) der Familienökonomik ein vertragstheoretischer Ansatz gegenübergestellt, mit dem Haushalte als Ort der Verhandlungen der Mitglieder spieltheoretisch modelliert werden. Die SpielerInnen verhandeln über die Verwendung der Zeit, über die Aufteilung von Aufgaben und die Verteilung von Ressourcen und über die Bildung von Humankapital. Das individuelle Ziel bleibt die Nutzenmaximierung, jedoch sind unterschiedliche Rahmenbedingungen von Frauen und Männern beispielsweise am Arbeitsmarkt integrierbar, wenn auch bei den neoklassisch orientierten spieltheoretischen Modellen weiterhin exogen gegeben. Unterschieden wird zwischen kooperativen und nicht9 Familienökonomische Ansätze gab es bereits vor Becker. Ferber (2003) weist auf die Arbeiten von Margaret Reid und Hasel Kyrk in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin. Reid hat bereits 1934 ein Buch zur „Economics of Household Production“ veröffentlicht (zitiert nach Ferber 2003), in dem sie den Haushalt als Ort der Produktion und nicht nur des Konsums konzipierte (vgl. auch das Schwerpunktheft Feminist Economics Vol. 2 (3), 1996). 10 Einige Kritikpunkte wurden in Kapitel 3.1 zusammengefasst. Exemplarisch für viele kritische Auseinandersetzungen seien genannt: Bergmann (1995) liefert eine fundierte Kritik am Altruismuskonzept Beckers; Ferber (2003) präsentiert eine kompakte Zusammenstellung der feministischen Kritik; Ott (1998) stellt sowohl die Kritik an Becker als auch die spieltheoretischen Weiterentwicklungen seines Ansatzes dar; Hoppe (2002) diskutiert die Kritik an Beckers Ansatz im wissenschaftstheoretischen Kontext.
Beiträge zu einer Theory of Care
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kooperativen Verhandlungen, wobei letztere den Vorteil haben, dass auch der eigentliche Verhandlungsprozess explizit betrachtet und damit strategisches Verhalten modelliert werden kann (Beblo/Soete 1999, 23f).11 Mit nicht-kooperativen Ansätzen können intrafamiliäre Machtverhältnisse modelliert werden, geschlechtsspezifisch unterschiedliche Handlungsspielräume explizit berücksichtigt werden. In dynamischen Modellen kann die Humankapitalentwicklung endogenisiert werden, ebenso die sogenannten „Drohpunkte“, der individuelle Nutzen, der im Konfliktfall ohne Kooperation mit dem Partner erreicht werden kann.12 Kooperative wie nicht-kooperative Verhandlungsmodelle liefern deutlich bessere Erklärungen zur Ressourcenverteilung im Haushalt, zur Arbeitsteilung, zum Arbeitsangebotsverhalten u.a.m. als die familienökonomischen Modelle der ersten Generation. Insofern sind sie „better models“ im Sinne eines „feminist empiricism“ (Woolley 1999, 331). Allerdings führt auch gerade diese gute Performance der Modelle zu einer Vereinnahmung jenseits jeglicher feministisch-ökonomischer Ansprüche (Hoppe 2002, 87ff). Aus dieser Kritik heraus wandten sich feministische ÖkonomInnen dem institutionellen Ansatz der Kooperativen Konflikte zu. Deren HauptvertreterInnen Amartya Sen und Bina Argarwal gehen vom kooperativen Potenzial der Haushaltsmitglieder aus, gemeinsam können sie den „Kuchen“ vergrößern. Aber die Aufteilung des Kuchens ruft Konflikte hervor, die nicht nur von der individuellen Verhandlungsposition im Spiel („Drohpunkt“) und dem Grad der Kooperation abhängen, sondern auch von der Wahrnehmung eigener Interessen, von der gesellschaftlichen Wertschätzung für individuelle Leistungen etc. (vgl. Agarwal 1997, zusammenfassend Beblo/Soete 1999). Eine Stärkung der Stellung der Frau am Arbeitsmarkt verbessert nicht nur ihren „Drohpunkt“ in den Verhandlungen, sondern kann zu einer klareren Eigenwahrnehmung ihrer Identität und ihrer Interessen führen sowie zu einer steigenden gesellschaftlichen Wertschätzung ihres Haushaltsbeitrages.13 Agarwal (1997) hat sich vor allem mit der Frage der Landrechte von Frauen in Südasien auseinandergesetzt und festgestellt, dass die effektivste Methode, die Position von Frauen im Haushalt zu stärken, diejenige ist, ihnen Rechte auf Besitz von Land zu gewähren – was andererseits wiederum mit alten Normen und Traditionen in Widerspruch stehen kann. Der (nicht formale) Ansatz der Kooperativen Konflikte ermöglicht die Aufnahme solcher Werte, Normen und Konventionen als haushaltsexterne Verhandlungsergebnisse der Gesellschaft (Beblo/Soete 1999). Damit lassen sich Verbindungen zu soziologischen und politikwissenschaftlichen Konzepten zu GenderArrangements und Geschlechterkontrakten herstellen (siehe Kap. 4.1.4). Beblo/Soete (1999) plädieren für eine Kombination verhandlungstheoretischer und institutioneller Ansätze als Analyserahmen für haushaltsinterne Allokations- und Verteilungsentscheidungen, denn in einem solchen erweiterten Rahmen können geschlechtsspezifische Unterschiede endogen einbezogen und zielgerichtete Politikempfehlungen abgeleitet wer11 Allerdings wird allgemein davon ausgegangen, dass kooperative Spiele familiäre Prozesse angemessener abbilden können als nicht-kooperative Spiele, schließlich geht es um die Realisierung von Nutzengewinnen aus einer gemeinsamen Haushaltsführung (Seiz 1991). Die Ablehnung gegenüber der Thematisierung von Konflikten in der Familie mag (neben der männlichen Dominanzausübung, vgl. Bergmann 1995) eine der Begründungen für die Annahme einer gemeinsamen Haushaltsnutzenfunktion darstellen (Woolley 1996). Von feministischer Seite wird allerdings auch betont, dass Machtunterschiede der Haushaltsmitglieder nur in nicht-kooperativen Modellen erfasst werden können (z.B. Katz 1997). 12 Einen Überblick über kooperative und nicht-kooperative Bargaining-Modelle liefern Hoppe 2002, 74ff; Seiz 1999; Katz 1997. Zu nennen sind auch die Beiträge von Notburga Ott (z.B. Ott 1995 und 1998). 13 Radke (1997) analysiert die familiäre Arbeitsteilung unter Einbeziehung haushaltsinterner sozialer Anerkennung und kann damit den Trend der Despezialisierung (und zwar beider Partner) und somit die „Erosion“ der traditionellen Arbeitsteilung erklären.
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Gender Gap und Care
den. Wenn es das politische Ziel ist, Väter stärker in die Betreuungsarbeit einzubinden, kann in einem solchen Rahmen analysiert werden, wie ein entsprechendes Instrument (Väterkarenz) auf die Verhandlungsparameter wirkt, wie sich die Drohpunkte der beteiligten Individuen verändern bzw. wie sie sich verändern müssten, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
C
Forschungsfragen aus feministisch-ökonomischer Perspektive
Die Frage, ob und wie sehr sich die Familienmitglieder in der Erwerbs- und Betreuungsarbeit engagieren, stellt sich auf der Mikroebene der Haushalte und muss dort entschieden werden. Die neueren ökonomischen Verhandlungsmodelle können diesen Prozess immer besser abbilden. Im Gegensatz dazu sind zu den Rahmenbedingungen des Entscheidungsprozesses noch viele Fragen offen (Woolley 1999). Einige seien hier genannt (siehe auch Ferber 2003, MacDonald 1998). Selten wird die Frage gestellt, was denn überhaupt eine Familie sei? Die Reduktion auf die sogenannte Kernfamilie oder allenfalls die Erweiterung um Alleinerziehende („EinEltern-Familien“) sind normative Festlegungen, die der Realität zunehmend weniger gerecht werden.14 Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, welche Familienform sozialpolitisch gefördert wird, und, aus der Kritik an der derzeitigen Fixierung auf die traditionelle Familie, wie eine in Bezug auf die Familienform neutrale Sozialpolitik aussehen könnte (MacDonald 1998). Jede Form der Politik, die die Ressourcen oder Optionen außerhalb der Familie einzelner Familienmitglieder berührt, verändert die bargaining power dieser Personen und greift damit in die Machtverteilung im Haushalt ein, beeinflusst die familiäre Arbeitsteilung (Doss 2003). Politik kann diesbezüglich nicht neutral sein. Hier bedarf es einer Zusammenarbeit zwischen Politik und Forschung, um diese Wirkungen bewusst und sichtbar zu machen, und es bedarf theoretischen Inputs für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen zum Umgang mit der asymmetrischen Machtverteilung und deren Veränderung.15 Welche Rolle verfestigte Normen in Verhandlungsprozessen spielen16 bzw. wie sie in diese Modelle integriert werden können, bedarf ebenfalls noch weiterer Forschung. Eine grundlegende Frage stellt Himmelweit (2000): Why do economists become parents? Im Gegensatz zur Erwerbsarbeit bringt die Betreuung von Kindern keinen unmittelbaren monetären Ertrag. Himmelweit setzt sich mit den verschiedenen Motiven Kinder zu bekommen in den ökonomischen Theorien auseinander: Kinder finden sich als Investitionsgüter, als Konsumgüter (the pleasure of parenthood), als Ergebnis altruistischer Motive oder eines 14 Die Entscheidungssituation in „Patchwork“-Familien ist mit der einer „Norm“-Familie kaum zu vergleichen. Allerdings ließen sich solche Situationen vermutlich in Bargaining-Modelle einbauen. Eine wirkliche Herausforderung für den traditionellen familienökonomischen Ansatz stellen homosexuelle Partnerschaften dar, denn hier können die tradierten Geschlechterzuschreibungen nicht so einfach übernommen werden (vgl. Giddings 2003). 15 Dies berührt ein politisch schwieriges Feld (zumindest in Österreich), weil der Eingriff in die Familie als verpönt gilt, als Störung einer reinen „Privatsache“. Mit dem Slogan der zweiten Frauenbewegung, „Das Private ist Politisch“, wurde die Unmöglichkeit einer in Bezug auf das Private „neutralen“ Politik auf den Punkt gebracht. 16 Das Hinterfragen verfestigter Normen ist jedenfalls konfliktreich, dementsprechend ist das bargaining um veränderte Arbeitsteilungsmuster konfliktgeladen und in Relation zu den Konflikten relativ erfolglos. Wenn Frauen die Minimierung von Konflikten in ihre Nutzenfunktion aufnehmen, werden sie unter Umständen traditionelle Arbeitsteilungsmuster akzeptieren, ohne diese tatsächlich zu befürworten (vgl. van Doorne-Huiskes 1997).
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tastes for childcare oder als Produkt normenkonformen Verhaltens. Kein Ansatz kann nach Himmelweit befriedigend erklären, warum sich rationale Individuen überhaupt der Betreuungsarbeit aussetzen. Sie verwirft letztlich alle auf individuellem Rationalverhalten basierenden Motive und plädiert für ein Modell des caring, „that looks at it [caring] as the fulfilment of responsibilities that individuals feel are theirs because of their identification as members of a group subject to particular social norms“ (Himmelweit 2000, 2). Wenn Präferenzen solcherart als soziale Normen geformt werden, wird erklärbar, warum beispielsweise Mütter ihr Betreuungsverhalten nicht ändern, obwohl sich Rahmenbedingungen verändert haben und sie unter der Annahme stabiler Präferenzen dies eigentlich tun müssten. Es können positive Feedbackprozesse entstehen, die nicht die Anpassung hin zu einem Marktgleichgewicht transportieren, sondern sozialen Wandel z.B. hin zu einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung im Care-Bereich vorantreiben können (ebd., 17ff). Warum sind Gender-Normen teilweise so verfestigt und veränderungsresistent, obwohl sich entscheidende Rahmenbedingungen geändert haben?17 Hier gilt es, die ökonomische Forschung (z.B. McCrate 1988) mit der feministischen Theorie zu verknüpfen, insbesondere mit dem Diskurs um doing gender (Gildemeister/Wetterer 1992). Beispielsweise zeigen nach Wetterer (2002, 132f) soziologische Studien die „joint production of household labor and gender“. Beim Aushandeln um „wer macht was“ geht es nicht nur um die Verteilung von Zuständigkeiten in Abhängigkeit von den jeweiligen Zeitbudgets und Präferenzen, sondern um einen Produktionsprozess mit zwei Komponenten: die Produktion von Güter und Dienstleistungen und die Produktion von Gender. „In den Verhandlungen über die häusliche Arbeitsteilung wird immer auch darüber entschieden, wie die Geschlechterbeziehung konzipiert wird, was die Zugehörigkeit zum einen oder anderen Geschlecht für ein Paar bedeutet, was und wie Männer und Frauen 'sind'„ (ebd., 132).18 Das oftmals irrationale Ergebnis aus alltagspraktischer Sicht – Frauen übernehmen mehr anfallende Arbeit auch dann, wenn sie selbst ohnehin schon ähnlich ausgelastet sind wie ihre Partner – wird von den Beteiligten nicht automatisch als unfair empfunden und daher neu verhandelt, obwohl die objektive Belastung dies nahe legen würde. Die Gleichzeitigkeit von doing gender und doing housework bewirkt, dass die geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung von den Beteiligten nach einem eigenen Maßstab als fair oder unfair wahrgenommen wird, der mit der Logik beispielsweise von Zeitbudgetmessungen nicht erfasst werden kann. „Die Fairness bemisst sich an der Kongruenz mit den Konzepten von Frau-Sein und Mann-Sein, von Weiblichkeit und Männlichkeit, die in die ‚production of gender via housework’ immer eingelagert sind, ihr teils vorausgehen, durch sie jedoch auch neu realisiert oder modifiziert werden“ (Wetterer 2002, 133).
17
Beispielsweise hat sich durch den massiven Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in Europa die Verhandlungsposition der Frauen deutlich verändert – ohne jedoch Auswirkungen auf die Allokationsentscheidungen bei den Männern zu zeigen. Wie ist die Stagnation der Beteiligung der Männer in der Familientätigkeit erklärbar? Offenbar sind einige Normen zu geschlechtsspezifischen Tätigkeiten äußerst veränderungsresistent, im Sinne von „taken for granted and not negotiable“ (Woolley 1999, 334). 18 Wetterer (2002) bezieht sich hier zwar auf Studien, die tendenziell den gesamten Bereich der Hausarbeit abdecken und nicht nur die Verteilung von Care. Allerdings lässt sich letztere im Kontext der häuslichen Arbeitsteilung kaum isoliert untersuchen, weil sowohl praktisch (z.B. zeitliche Parallelität von Hausarbeitstätigkeiten und Kinderbetreuung) als auch in der Wahrnehmung der Individuen keine tatsächlich getrennten Verhandlungen über die Verteilung der Hausarbeit und die Verteilung der Betreuungsarbeit stattfinden dürften. Auch in den Bargaining-Modellen wird in der Regel nicht zwischen den beiden Tätigkeitsfeldern im Haushalt unterschieden.
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Gender Gap und Care
Die Thematisierung der Rahmenbedingungen von Care führt uns auf die Makroebene der Arbeitsteilung: Wie ist die Kinderbetreuung bzw. wie sind andere Arten der Betreuung organisiert, welche Rolle spielen der Markt, der Staat, die Familie?
4.1.2 Aspekte einer Theory of Care II: The Economics of (Child) Care Die Economics of (Child) Care19 wird und wurde lange als Teil der Familienökonomik betrachtet, geht aber deutlich über diese hinaus, da bereits ein großer Teil der Betreuungsarbeit außerhalb der Familie geleistet wird, es Märkte für Kinderbetreuung und Märkte für soziale Dienstleistungen gibt (wiewohl es sich um Märkte mit besonderen Bedingungen handelt). Märkte für Kinderbetreuung und ihre Regulierung sind bislang die verbreitetsten Forschungsthemen der ÖkonomInnen im Gebiet der Economics of Care. Hauptsächlich geht es um die Frage der Art und des Ausmaßes der Subventionierung von Kinderbetreuung, um den Zusammenhang zwischen Subventionierung der außerhäuslichen Betreuung mit dem Arbeitsangebot von Frauen (Fagan/Rubery 1996), um den Zusammenhang zwischen Subventionierung und Qualität, um die optimale Größe des subventionierten Sektors (vgl. Helburn 1999, Spieß 1998, Aslaksen et al. 2000, Graafland 1999).20 Auch der Zusammenhang zwischen der Subventionierung von Kinderbetreuung und dem Armutsrisiko für Frauen und Kinder wird untersucht (z.B. Bergmann 1994, Sørensen 1992), häufig mit dem Focus auf Alleinerzieherinnen (Schwerpunktheft Feminist Economics Vol. 10 (2) 2004). Ein beträchtlicher Teil der bezahlten, im formalen Arbeitsmarkt angebotenen Kinderbetreuung, aber auch anderer sozialer Dienstleistungen im Care-Bereich, wird durch öffentliche Gelder subventioniert (oder direkt über die öffentliche Hand angeboten).21 Märkte alleine würden kein ausreichendes bzw. kein adäquates Angebot bereitstellen.22 Damit stellt sich die Frage, wer die Kosten und Nutzen der Kinderbetreuung trägt: Who pays for the Kids? (Folbre 1994). 19
In der theoretischen Bearbeitung werden unter Care in der Regel alle Formen der Betreuung von betreuungsbedürftigen Personen subsumiert. Bislang gibt es jedoch großteils Analysen zu child care. Analysen zu longterm care sind außerhalb der Gesundheitsökonomik noch selten zu finden. Dies mag damit zusammenhängen, dass Kinderbetreuung mit dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten virulent geworden ist, während die Langzeitpflege noch länger von der Müttergeneration übernommen wurde. Mittlerweile werden auch die Grenzen der informellen Langzeitpflege sichtbar (siehe Kap. 4.2), sodass mit vermehrten Beiträgen zur Ökonomik der Langzeitpflege zu rechnen sein wird. 20 Graafland (1999) errechnet beispielsweise die makroökonomischen Effekte von Subventionen für Kinderbetreuungseinrichtungen am Beispiel der Niederlande und stellt fest, dass die zusätzlichen Staatsausgaben durch das erhöhte Steueraufkommen infolge der gestiegenen Frauenerwerbstätigkeit kompensiert werden können. Für Deutschland liegen dazu bereits ausführliche empirisch-ökonometrische Analysen vor (z.B. Büchel/Spieß 2002), für Österreich gibt es nur Detailstudien mit spezifischen Fragestellungen (z.B. Leichsenring et al. 1997) oder primär deskriptive Abschätzungen (z.B. Alteneder et al. 2003). 21 Das Ausmaß der Subventionen variiert ebenso wie das Ausmaß von Betreuungseinrichtungen und sozialen Dienstleistungen (siehe z.B. Bettio/Prechal 1998 für die Länder der EU), was auf unterschiedliche Care-Regimes verweist. 22 Diese sind u.a. das Resultat des jeweiligen Zusammenspiels von Sozialpolitik und Arbeitsmarkt: Beispielsweise ermöglicht erst das große Angebot an gering qualifizierten Arbeitskräften und Niedriglohnjobs in den USA die Entwicklung eines kaum subventionierten Betreuungsmarktes (Bergmann 1994, Helburn 1999), während die deutlich höheren Arbeitskosten infolge der besseren Regulierung in den meisten Ländern Europas Marktlösungen erschweren. Dementsprechend muss sich die Politik in Europa, will sie die Erwerbstätigkeit von Müttern erhöhen, mit dem Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen auseinandersetzen und in dieses investieren.
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Folbre (1994) untersucht die Organisation der sozialen Reproduktion und die Aufteilung der Kosten von Kindern auf die Gesellschaft und verknüpft dies mit der Verteilung von Care auf die Geschlechter. Sie geht grundsätzlich davon aus, dass Produktion und soziale Reproduktion durch kollektives Handeln geformt werden, Familie also nicht Privatsache ist. Allerdings führen Modernisierung und ökonomische Entwicklung dazu, dass Familienarbeit unterbewertet wird (siehe auch Ott 2002). Mit der kapitalistischen Entwicklung sinken grundsätzlich die Anreize für Frauen und Männer, in Kinder zu investieren, weil der „Nutzen“ der Kindererziehung zunehmend sozialisiert ist. Männer scheinen aber, so Folbre, in einer stärkeren Position zu sein, wenn es darum geht, sich Kinderbetreuungsverpflichtungen zu verweigern – sie führt dies auf „patriarchal structures of contraints“ zurück. Structures of constraints sind “sets of asset distributions, rules, norms, and preferences that empower given social groups” (ebd., 51). Die Kosten der Kindererziehung steigen aus verschiedenen Gründen, Frauen tragen diese Kosten in weit höherem Ausmaß als Männer, letztere wie auch generell Kinderlose üben sich im free-riding on parental labor (Folbre 1994a, 86). Gleichzeitig ändert sich die Verteilung des Nutzens der Kindererziehung in Richtung Allgemeinheit, denn die Betreuungsleistungen für Kinder stellen öffentliche Güter dar. Elternschaft wird damit verstärkt zu einer öffentlichen Dienstleistung (ebd., 86), die jedoch nicht entsprechend abgegolten wird. Aus dieser Konstellation lässt sich ableiten, dass zunehmend zu wenig in Kinder investiert wird. Worin liegt die Lösung aus diesem Dilemma? Folbre tritt für die verstärkte Sozialisierung der Kosten der Kindererziehung ein, also für öffentliche Kinderbetreuung, Steuerkredite für Familien mit Kindern u.ä.m. Folbre zeigt mit ihren Arbeiten die makroökonomische Bedeutung der Familienpolitik auf – es geht nicht nur um individuelle Verhandlungen auf Haushaltsebene und deren Beeinflussung, sondern um essentielle makroökonomische Zusammenhänge, beispielsweise in den Pensionssystemen. Da der Markt positive externe Effekte nicht von selbst monetär vergütet, bedarf es korrigierender Institutionen, also staatlicher Familienpolitik.23 Ohne eine solche kommt es zur „social misallocation of time“ (Folbre 2004). Bittman (1999) vergleicht die bisherigen Wirkungen der von ihm identifizierten drei Lösungsstrategien für eine Elternschaft ohne Nachteile. Strategie eins, die Neuverhandlung der innerfamiliären Arbeitsteilung, hat bisher praktisch nur zu Anpassungsleistungen bei den Frauen geführt: „... twenty-five years of exhortations and demands have not substantially increased the contribution made by men to the total unpaid work performed. ... Equity between men and women is improving only because the time women spend in domestic labor is coming down, not because that of men is rising“ (Bittman 1999, 32). Letzteres ist auf die zweite Strategie zurückzuführen, auf die Auslagerung von Reproduktionsarbeit in den Markt, auf outsourcing. Diese Marktstrategie stößt jedoch im Fall der Kinderbetreuung an ihre Grenzen, denn analog zu Folbre argumentiert Bittman mit Betreuungsleistungen als öffentliche Güter und „the market will never remunarate mothers for child-rearing labor“ (ebd., 37). Daher bedarf es der dritten Strategie: staatlicher Sozialpolitik.24 23 Aus neoklassischer Sicht gibt es natürlich Mechanismen, um Externalitäten in Kontrakte einzubeziehen. Folbre (2004, 15f) sieht aber eine zentrale Voraussetzung im Fall der Kinderbetreuung nicht gegeben: Es gibt keine Eigentumsrechte an Kindern (bzw. generell an Personen), zudem sind die Beteiligten nicht in derselben Weise verhandlungsfähig (Kinder, abhängige Personen). 24 Bittman (1999) unterlegt seine Argumentation mit Zeitverwendungsstudien und Daten zu Haushaltsausgaben im Vergleich von Australien und Finnland. Hinsichtlich der dritten Strategie erweist sich dann auch Finnland
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Folbre und Bittman argumentieren von der Ergebnisseite her: Kinder sind öffentliche Güter, ihre „Bereitstellung“, also Betreuung und Erziehung durch die Eltern (und hier vorrangig durch die Mütter infolge patriarchaler Vermeidungsstrategien der Männer) erzeugt positive externe Effekte, die über den Markt nicht bewertet werden. Daher bedarf es kollektiver Strategien, um zu vermeiden, dass Kinder langfristig zu einem unleistbaren Luxusgut werden (Folbre 2004, 18). Dass Kinder die Charakteristika öffentlicher Güter zeigen, hat zum einen mit der Entwicklung der sozialen Reproduktion zu tun und muss im historischen Kontext gesehen werden (z.B. Wandel der Altersversorgung). Zum anderen liegt es in den Besonderheiten von caring labour, die es nicht zulassen, elterliche Kinderbetreuung als Dienstleistung vollständig über Marktkontrakte abzuwickeln. Um diese Besonderheiten von Care geht es im nächsten Abschnitt.
4.1.3 Zum besonderen Charakter von Care „Holding hands at midnight”: The paradox of caring labor (Folbre 1995), Of Markets and Martyrs: Is it ok to pay well for care? (Nelson 1999), For Love or Money – or Both? (Folbre/Nelson 2000): Die Titel dieser Artikel bringen zum Ausdruck, dass es hier nicht um ein Gut geht, das mit üblichen ökonomisch-theoretischen Konzepten erfassbar ist. Zentral ist die Dualität von care as an activity und care as a motivation (Folbre/Nelson 2000, 129): Ersteres umfasst die konkrete Pflege und Betreuung, den instrumentellen Aspekt (z.B. Windelwechseln), zweiteres die ideelle Betreuung oder den kommunikativen Aspekt (z.B. Lächeln, Zuhören), der wesentlich über die adäquate Motivation zu betreuen auf Seite der Betreuenden bestimmt ist (Jochimsen 2003a, 44). An den Motivationsaspekt knüpfen sich eine Reihe von Fragen zur Bewertung und Bezahlung von Care: Folbre (1995) stellte mit dem paradox of caring labor zur Diskussion, dass der einzige Weg die Qualität von Care-Tätigkeiten im Sinne der Motivation, der care feelings, zu erhalten, darin bestehen könnte, sie nicht zu bezahlen. Nelson (1999) wandte sich gegen eine solche Auffassung, wonach die Bezahlung per se Motivation im Betreuungsprozess zerstört. Sie plädiert für eine differenzierte Sicht auf monetäre Gegenleistungen für Betreuungstätigkeiten – wie sie beispielsweise von Ungerson (1997) vertreten wird, die unterschiedliche Formen von payments for care unterscheidet. Tendenziell wird jedenfalls ein immer größerer Teil der Care-Tätigkeiten bezahlt und über Märkte vermittelt. Folbre/Nelson (2000) analysieren die Vor- und Nachteile dieser Verlagerung, die einen enormen sozialen Wandel darstellt, jenseits einer Idealisierung von unbezahlter Betreuungsarbeit. Ihre Schlussfolgerung, dass „markets on their own are unlikely to provide the particular volume and quality of „real“ care that society desires for children, the sick, and the elderly“ (ebd., 138) führt uns zur Frage nach den Ursachen für den schwierigen und widersprüchlichen family-to-market move von Care und damit zu den Besonderheiten der CareTätigkeiten selbst. Diese sind nur dann vollständig zu erfassen, wenn der Beziehungsaspekt von Care eingefangen wird, der diese Leistungen von klassischen ökonomischen Tauschsi-
als das Vorbild in Bezug auf das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung, Elternfreistellungs- und Arbeitszeitregelungen.
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tuationen unterscheidet.25 Jochimsen (2003a, 40) nennt drei Kennzeichen klassischer „Sorgesituationen“: beschränkte oder gänzlich fehlende Handlungsfähigkeit der umsorgten Person; asymmetrische Ausgangsposition der beteiligten Personen sowie daraus resultierende tatsächliche oder potenzielle wechselseitige Abhängigkeiten. Jochimsen (2003a, 40ff und 2003, 85ff) setzt sich ausführlich mit verschiedenen Arten der auftretenden Asymmetrien26 und daraus folgenden Abhängigkeiten auseinander. CareTätigkeiten können mit der traditionellen ökonomischen Tauschtheorie, die von den Annahmen vollständiger Autonomie, symmetrischer Kräfteverhältnisse zwischen den Beteiligten und deren wechselseitigen Unabhängigkeit ausgeht, nur schwer adäquat analysiert werden.27 Die zentrale Herausforderung liegt für Jochimsen in der beschränkten Handlungsfähigkeit der Betreuten, in der Konzeptualisierung beschränkter bzw. nicht vorhandener Autonomie – womit sich der Kreis der Argumentation schließt: Becker umgeht dieses Problem, indem er nicht autonome Kinder nicht als Personen, sondern als Güter auffasst. Die spezielle Situation der betreuten Person bedingt, dass die betreuende Person deren Bedürfnisse zum Ausgangspunkt ihres eigenen Handelns nehmen muss – Bedürfnisse, die häufig existenziell sind. Dieser Perspektivenwechsel ist für einen Ansatz, der die Maximierung der eigenen Bedürfnisse zum Ziel hat, eine enorme Herausforderung. Dazu kommt, dass die betreute Person häufig keine entsprechende Gegenleistung – im ökonomischen Sinn – erbringen kann. Die Frage von Himmelweit (2000), warum ÖkonomInnen überhaupt Eltern werden, verweist auf diese Besonderheit in Care-Beziehungen. Aus diesen Charakteristika von Sorgesituationen ergeben sich Konsequenzen für die theoretische Behandlung derselben (Jochimsen 2003a, 42ff): Beispielsweise kommt es häufig zur Funktionstrennung zwischen den Nachfragenden nach Care und den zu Betreuenden; oder es handelt sich um „Einwegtransfers“ anstelle eines Tausches, der immer einen Transfer in beide Richtungen umfasst. Letzteres führt zur Frage der Motivation, die Jochimsen als Schlüsselkonzept bezeichnet (siehe oben). Eine weitere Darstellung der Besonderheiten von Care würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es sollte bereits deutlich geworden sein, dass die Integration von Care ins ökonomische Theoriegebäude kein einfaches Unterfangen darstellt und jedenfalls auch neue Theoriebildung erfordert, wie sie beispielsweise Jochimsen (2003) mit ihrem Ansatz einer Careful Economics präsentiert. Kehren wir zurück zur Arbeitsteilung, zum Gender Gap Care. Die Besonderheiten von Sorgetätigkeiten und deren Folgen bedingen, dass die Entscheidung, wer sie ausübt, für die betroffenen Individuen umfassendere Konsequenzen hat, als sich dies aus elaborierten Ver25
Vgl. Eckart 2000, die auf den zeitlichen Aspekt verweist: Das menschliche Leben in Beziehung (Hervorhebung M.K.) geht dem eigenständigen Leben voraus, jedes Individuum hat diese Erfahrung gemacht und die Erinnerung daran, versorgt worden zu sein, gespeichert. Diese Erfahrung legt es nahe, dem „affektiven Element menschlicher Existenz die angemessene Aufmerksamkeit zu widmen“ (ebd., 19). 26 Asymmetrien in den Ressourcen (z.B. infolge asymmetrischer Effekte der jeweiligen Spezialisierung) und damit in der Verhandlungsmacht der Familienmitglieder werden auch in den neueren verhandlungstheoretischen Modellen untersucht. Aber die Asymmetrien zwischen Betreuenden und Betreuten sind kein Bestandteil dieser Modelle. 27 Natürlich gibt es auch Care-Tätigkeiten, die sich im tendenziell symmetrischen Bereich abspielen oder zumindest sich diesem nähern, beispielsweise bei Beziehungen zwischen Pflegenden und erwachsenen körperbehinderten Personen. Aber in vielen Fällen ist die Reziprozität in Care-Beziehungen nicht wie im Vertragsmodell die Folge einer eingegangenen Verpflichtung, kein Versprechen auf Gegenseitigkeit (Eckart 2000, 19).
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handlungsmodellen ohnehin schon ergibt.28 Caring labour unterscheidet sich von allen anderen Arten von (Erwerbs-)Arbeit weit stärker, als dies bisher modelliert wurde. Einen dieser Aspekte haben England/Folbre (2003) aufgegriffen: Betreuungsbeziehungen erfordern langfristige Kontrakte, die deren Besonderheiten – emotional connection, moral obligation, intrinsic motivation – adäquat aufnehmen müssen. Diese Kontrakte sind schwer zu spezifizieren und in Kraft zu setzen, unabhängig davon, ob es sich um informelle Kontrakte, also unbezahlte Betreuungsbeziehungen in der Familie auf der Basis sozialer Normen, oder um explizite Kontrakte, also formelle Beschäftigungsverhältnisse handelt. Die Dynamik im Care-Bereich beruht auf einer sich tendenziell beschleunigenden Tendenz der Kommodifizierung von Care, d.h. der Überführung in marktmäßig angebotenen und nachgefragten Dienstleistungen. Da wir davon ausgehen, dass „care is not a market good because it too closely concerns the most intimate needs of human beings“ (Bettio/Prechal 1998, 43), wirft dieser Prozess der Kommodifizierung von Care die Frage auf, wie die Qualität dieses besonderen Gutes sichergestellt werden kann bzw. wie sich dessen Qualität überhaupt fassen lässt. Zwei Trends seien angeführt, beide liefern Anknüpfungspunkte für ökonomische Analysen: Zum einen sollen Professionalisierungsprozesse auf der Seite der Betreuenden Qualität sicherstellen.29 Das berührt die soeben angesprochene Frage der Kontrakte, neue Organisationsformen sind notwendig, um die Qualität von Care auf Dauer zu garantieren und vor allem um diese zu finanzieren (vgl. Daly 2001a, Lewis 2001, Standing 2001). Dies führt uns zum zweiten Trend, der Einführung von payments for care, vor allem in der Form von Pflegebeihilfen oder personal budgets zu Handen der CareBezieherInnen (siehe auch Kap. 4.2). Im Sinne von Wahlfreiheit und der Souveränität der KonsumentInnen liegt es in ihren Händen, mit ihrer Nachfrage die Qualität der auf dem Markt und/oder im informellen Bereich angebotenen Dienstleistungen zu steuern. Dass dies gerade beim Gut Care ein gewaltiger Anspruch ist, sei hier festgehalten, in Kapitel 4.2 wird am Beispiel des österreichischen Pflegegeldes gezeigt werden, welche Probleme und Risken damit verbunden sein können.30 Jedenfalls stellt der Prozess der Kommodifizierung von Care noch eine enorme Herausforderung dar, zu der die ökonomische Analyse einiges beitragen könnte, vorausgesetzt, sie berücksichtigt die Besonderheiten dieses speziellen Gutes. In jedem Fall werden Care-Beziehungen und die resultierenden Kontrakte durch sozialpolitische Arrangements gestaltet, was uns wiederum auf die Makroebene der Sozialpolitik führt: Was ist das optimale Verhältnis von familiärer Betreuung, Marktangebot und öffentlichen Angeboten? Wie weit kann und soll staatliche Politik regulierend eingreifen, um beispielsweise die Kompensation für Betreuungsarbeit oder die Qualität derselben zu 28 Zudem hat dies Rückwirkungen auf die Verhandlung zur Arbeitsteilung, denn „die emotionale Beziehung der Partner muss als eine eigene Austauschbeziehung betrachtet werden, die sich von üblichen ökonomischen Tauschbeziehungen unterscheidet“ (Ott 2002, 54). 29 Beispiele sind Förderung von Ausbildungsgängen für Tagesmütter und Heimhelferinnen bis hin zur Entwicklung und Einführung von Studiengängen zu den Pflegewissenschaften. 30 Diese Risken betreffen die individuelle Ebene (z.B. Absicherung der Betreuenden) ebenso wie die Wirksamkeit sozialpolitischer Strategien insgesamt: Wenn beispielsweise über Pflegebeihilfen die Überführung informeller Betreuung in offizielle Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden soll, dies aber grundsätzlichen familiären Werten über Betreuungsbeziehungen widerspricht, können solche Strategien wirkungslos bleiben. Jacobs (2003) zeigt am Beispiel der Einführung von payments for care im Bereich der Langzeitpflege in Flandern die Schwierigkeit der Bezahlung informeller Betreuungsarbeit im Haushalt auf: Eine solche offizielle Bezahlung von Pflegeleistungen der Angehörigen passt nicht zu familiären Werten – obwohl im allgemeinen Kontext die Betroffenen die Bezahlung informeller Pflege für wichtig und notwendig halten.
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regulieren, oder um Betreuenden Alternativen bereitzustellen, damit sie sich anderen Arbeitsformen widmen können? Wie beeinflussen die jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements zu Care das Geschlechterverhältnis und die Arbeitsteilung?
4.1.4 Gender und Care im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Forschung Die Einbeziehung von Care in allen Facetten und der damit verbundenen Arbeitsteilung der Geschlechter in die Sozialpolitikforschung begann zwar etwas früher als in der allgemeinen Ökonomik, allerdings verlief auch diese Integration nicht mit der Intensität, die die gerade angeführten Fragestellungen erwarten hätten lassen. Das lag zu einem großen Teil darin begründet, dass auch in diesem Forschungsfeld unbezahlte Familienarbeit ebenso wenig für untersuchenswert angesehen wurde wie das zugrunde liegende Geschlechterverhältnis. Frauen als Akteurinnen in diesem Arbeitsbereich blieben in der Wohlfahrtsstaatenforschung verhältnismäßig lange unsichtbar, bis von engagierten Forscherinnen wie beispielsweise Jane Lewis, Ann Orloff oder Trudi Knijn massive Kritik vorgebracht wurde. Anknüpfungspunkt dieser Kritik waren Ergebnisse der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung, die insbesondere mit den Arbeiten von Gøsta Esping-Andersen verbunden sind. Die Genese dieser Entwicklung wird im Folgenden zusammengefasst.
A
„Three worlds of Welfare Capitalism“
Esping-Andersen (1990, 1998) entwickelt drei Kriterien, nach denen Wohlfahrtsstaaten typisiert werden können: Das Dekommodifizierungs-Kriterium setzt die soziale Staatsbürgerschaft (citizenship) und die damit verbundenen sozialen Rechte ins Zentrum eines Wohlfahrtsstaats.31 Die Dekommodifizierung bezeichnet das Ausmaß in dem die Individuen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse davon unabhängig sind, ihre Arbeitskraft am Markt verkaufen zu müssen, anders ausgedrückt, in welchem Ausmaß ein Ausstieg aus dem Markt bzw. der Erwerbsarbeit möglich ist.32 Das Stratifizierungs-Kriterium bezieht sich auf das Ausmaß, in dem in einer Gesellschaft Ungleichheit reduziert wird. Wohlfahrtsstaaten können Gleichheit fördern, ökonomische Unterschiede minimieren, sie können aber auch bestehende Unterschiede zwischen Klassen, „Rassen“, Berufsständen, Status betonen. Esping-Andersen unterscheidet zwischen sozialdemokratischen (bauen auf Solidarität, Reduzierung von Klassenunterschieden, Umverteilung), konservativ-korporatistischen (verstärken Statusunterschiede) und liberalen (Differenzierung in eine arme Minderheit, die rudimentär ge31 Dieser Vorschlag stammt ursprünglich von Thomas H. Marshall (1950, zitiert nach Esping-Andersen 1998); siehe auch Orloff 1993, O’Connor 1993, Lister 1990. 32 Die ausschließliche Existenz einer Sozialversicherung oder von Sozialhilfe reicht dafür nicht aus, solange trotzdem ein Zwang zur Marktteilnahme (aufgrund des niedrigen Niveaus von Sozialhilfe oder der Stigmatisierung derselben) vorhanden ist. Dekommodifizierte Rechte gibt es einerseits über Systeme der Sozialfürsorge (vorherrschend in angelsächsischen Nationen mit Bedarfsprüfung und geringen Leistungen), andererseits über PflichtSozialversicherungen (z.B. Deutschland, Österreich mit starker Bindung an Erwerbsarbeit). Eine weitere Möglichkeit wären gleiche Grundsicherungsleistungen für alle, allerdings nur bei entsprechender Höhe, sodass wirklich eine Alternative zur Erwerbsarbeit besteht.
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Gender Gap und Care sichert wird, und die Mehrheit, die sich über Marktkräfte selbst sichern kann) Systemen. Die Staat-Markt-Familien-Dimension bezieht sich auf das Zusammenwirken der zentralen Institutionen. Esping-Andersen ist primär an der Frage der Eingriffe des Staates in den Markt bzw. die Beziehung zwischen den beiden interessiert, das Bezugssystem Familie wurde von ihm eher vernachlässigt.33 Im liberalen Modell fördert der Staat den Markt, indem er nur minimale Leistungen bietet oder private Sicherungsformen subventioniert. Im korporatistischen System sieht sich der Staat als zentraler Wohlfahrtsproduzent, private Versicherungen etc. spielen eine geringere Rolle, zudem besteht oft eine der Kirche geschuldete Verpflichtung zur Aufrechterhaltung traditioneller Familienformen. Für die Reproduktionsarbeit gilt das Subsidiaritätsprinzip: Staatliche Sozialpolitik kommt erst zum Einsatz, wenn private bzw. über Wohlfahrtsverbände organisierte Kräfte die Aufgaben nicht mehr bewältigen können.34 Im sozialdemokratischen Modell drängt der Staat den Markt zurück und sorgt für eine universalistische Solidarität in und mit dem Wohlfahrtsstaat; der Staat übernimmt eine große Verantwortung für soziale Dienste. Er wartet daher nicht wie im korporatistischen Modell mit Eingriffen solange, bis die Kapazität der Familie erschöpft ist, sondern betreibt in gewissem Sinn eine vorauseilende „Vergesellschaftung familialer Kosten“ (EspingAndersen 1998, 45). Dieser Aspekt macht den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat zum Ausgangspunkt von Konzeptionen eines women-friendly welfare state (vgl. Leira 1994).
Aufgrund dieser Kriterien ergeben sich die drei Welten des welfare capitalism:35 der liberale, der kooperativ-konservative und der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat.36 Gemessen am Ausmaß des Dekommodifizierungseffekts steht der liberale Wohlfahrtsstaat am unteren Ende der Skala, weil hier soziale Anspruchsrechte gering angesetzt sind. Dominant sind die Rolle des Marktes und der Familie. Bedarfsgeprüfte Sozialfürsorge, niedrige universelle Transferleistungen und bescheidene Sozialversicherungsprogramme sind charakteristisch, Sozialleistungen sind zudem oft mit Stigmatisierungen behaftet. Der korporatistischkonservative Typ des Wohlfahrtsstaates interveniert zwar stärker, aber vorrangig mit dem Ziel des Erhalts von Statusunterschieden. Er ist stark lohnarbeits- und sozialversicherungszentriert, soziale Rechte sind an Klasse und Status gebunden. Der Dekommodifizierungsgrad ist auf mittlerem Niveau. Die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten sind da33 Dies trifft zumindest für seine älteren Publikationen zu, in aktuellen Publikationen spielt die Familie nicht zuletzt aufgrund massiver feministischer Kritik sogar eine ausgesprochen große Rolle (z.B. Esping-Andersen 2003a, 2003b); siehe Abschnitt D. 34 Damit bleibt die Grenzziehung vage, wie viel der Staat leistet, ist abhängig vom politischen Willen und von öffentlichen Budgets (zum Subsidiaritätsprinzip vgl. Schmid 1996). 35 Leibfried (1993) hat die drei Welten um eine vierte erweitert: den rudimentären Wohlfahrtsstaat. Diesem Typus, auch mit „Latin Rim Countries“ bezeichnet, würden insbesondere die südeuropäischen Länder Spanien, Portugal, Griechenland und (Süd)Italien entsprechen. Die Systeme sozialer Sicherheit sind rudimentär entwickelt, insbesondere ist noch kein Anspruch auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen rechtlich verankert. Dafür existieren nicht-staatliche, traditionelle Sicherungsformen (Kirchen, Familie). Zudem unterscheiden sich diese Staaten aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur deutlich von Rest-Europa, als der Anteil der Landwirtschaft noch wesentlich größer ist und damit auch Subsistenzwirtschaft noch eine Basis individueller Versorgung darstellt. 36 Zentrale Vertreter des liberalen Modells sind die USA, Kanada, Australien, Großbritannien; im korporatistisch-konservativen Modell finden sich Staaten wie Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland; das sozialdemokratische Modell ist kennzeichnend für die skandinavischen Staaten Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland.
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gegen universalistisch ausgerichtet, Gleichheit ist ein generelles Ziel. Der Dekommodifizierungsgrad ist hier am höchsten.37
B
Kritik an Esping-Andersens Typologie und Erweiterungen aus der GenderPerspektive
Massive Einwände auf der konzeptionellen Ebene gibt es gegen das Dekommodifizierungskriterium (Orloff 1993, O’Connor 1993, Lessenich/Ostner 1995): Wohlfahrtsstaatliche Regulierungen ermöglichen es Personen oder Personengruppen, sich zeitweilig oder dauerhaft dem Zwang zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zu entziehen, sie bieten somit exit-Optionen aus dem Arbeitsmarkt an. Diese Dekommodifizierung setzt jedoch einen vorher erfolgten Markteintritt voraus, der ebenfalls wohlfahrtsstaatlicher Regulierung unterliegt, als die Verfügbarkeit jedes einzelnen Individuums für die Teilnahme am Arbeitsmarktgeschehen politisch hergestellt wird. Wenn der gleiche Marktzugang für alle unterstellt wird und somit individuell gleiche Chancen auf Kommodifizierung angenommen werden, verschwindet die Selektivität der Zugangsregulierung. „Vor dem ‚Himmelreich’ der Dekommodifizierung steht das ‚Nadelöhr’ der Kommodifizierung“ (Lessenich/Ostner 1995, 783) – bekanntlich kommen nicht alle durch das Nadelöhr. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die Fixierung auf die Frage der „Klassenallianzen“ als Grundlage wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung und die damit einhergehende Vernachlässigung von Geschlechterleitbildern. Die Individuen haben differenziertere Beziehungen zum Wohlfahrtsstaat als nur jene als workers (Sainsbury 1994). Erst unter Einbeziehung derselben ist es möglich, differente Familiensysteme zu identifizieren, die in Interaktion mit gesellschaftlichen Institutionen und spezifischen GeschlechterArrangements stehen und „geschlechterkulturelle Wohlfahrtsstaatsmodelle“ generieren (Dackweiler 2004, 454). Ohne eine solche Geschlechterdimension können beispielsweise die vorhandenen Unterschiede bei den Frauenerwerbsquoten innerhalb eines Regimetyps (z.B. Deutschland und Frankreich) nicht erklärt werden (Pfau-Effinger 1996; 1998). In den 90er Jahren wurden eine Reihe von Vorschlägen für eine feministische Rekonzeptualisierung der Typologie Esping-Andersens unterbreitet (O’Connor 1993, Orloff 1993, Sainsbury 1994, Crompton 1998). Im Fall der Stratifizierung ist dies über die Differenzierung nach Geschlecht relativ einfach möglich. Voraussetzung ist die Sichtbarmachung der unterschiedlichen Einbindung der Geschlechter in die sozialen Sicherungssysteme, um die unterschiedlichen Auswirkungen sehen zu können.38 Auch die State-Market-Family Dimension ist für ein gendering offen. Neben der Frage der Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt muss jene in Bezug auf die Familie berücksichtigt werden: welche Arbeit wird in der 37 Sowohl zur Frage der Zuordnung der Länder zu den Regimetypen als auch zur weiteren Differenzierung der Typen gibt es eine umfangreiche Literatur in der Wohlfahrtsstaatenforschung. Castles und Mitchell beispielsweise plädieren für eine Differenzierung innerhalb des liberalen Modells, um der besonderen Rolle von Großbritannien, das ihrer Ansicht nach näher beim korportistisch-konservativen Typ liegt, gerecht zu werden (zitiert nach Schmid 1996, 58 und Bradshaw 1993, 59). Zu weiteren Ergänzungen der Typologie vgl. den Überblick in Arts/Gelissen 2002. 38 Beispielsweise sind in den liberalen Staaten, v.a. in den USA, die Systeme, von denen Männer überwiegend betroffen sind (social security), ganz anders besetzt als jene, die vor allem Frauen betreffen (welfare): bei letzteren sind die Leistungen niedriger, die Kontrolle höher, die Legitimität wird ständig aufs Neue hinterfragt (vgl. Rosenberger 1993), die Ausgaben insgesamt niedrig etc.
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Familie geleistet, wie viel davon wird dem Markt bzw. dem Staat übertragen, wie beeinflusst das die Frauenerwerbstätigkeit. Es reicht nicht, Frauen als Wählende zwischen Beruf und Familie vor dem Hintergrund staatlicher Unterstützung zu sehen, denn Frauen wählen zwischen „to be stay-at-home wives and mothers only or combine paid work with their domestic work“ (Orloff 1993, 313).39 Ein frauenfreundlicher Wohlfahrtsstaat würde die Asymmetrie der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung durch eine Änderung der sozialen Organisation der Betreuungsarbeit reduzieren, und zwar durch die Umschichtung der „Last“ auf Männer und/oder den Staat. Zentral ist die Ergänzung der Schlüsselkategorie der Dekommodifizierung, weil die Kommodifizierung der Arbeitskraft für die Geschlechter unterschiedlichen Bedingungen unterliegt. Die Forderung nach einer den Männern analogen Kommodifizierung von Frauen greift zu kurz, solange diese unterschiedliche Integration der Geschlechter in bezahlte und unbezahlte Arbeit nicht berücksichtigt wird. Orloff (1993) plädiert für eine Erweiterung der Wohlfahrtsstaaten-Kriterien um zwei Dimensionen: Zugang zum Arbeitsmarkt und die Möglichkeit von Frauen, einen autonomen Haushalt zu führen. Access to paid work setzt an der Machtverteilung im Haushalt an: Unbezahlte Betreuungsarbeit reduziert die Verhandlungsposition im familieninternen Entscheidungsprozess mit entsprechenden Auswirkungen auf zukünftige Humankapitalinvestitionen, Erwerbsbeteiligung, in der Folge auf den Zugang zu Sozialleistungen, d.h. sie reduziert die Möglichkeiten zur Dekommodifizierung. Unbezahlte Betreuungsarbeit leistende Frauen brauchen „the right to be commodified“ (ebd., 318), ein Recht, dass in der Geschichte den Frauen sehr oft abgesprochen bzw. zumindest bezweifelt wurde.40 Das Ziel dieses Kriteriums ist daher Autonomie vis-a-vis der Ehe bzw. sonstiger familiärer Abhängigkeiten.41 Das zweite Kriterium, die capacity to form and maintain an autonomous household, setzt an der Familienarbeit selbst an. Durch die Abhängigkeit in der Familie bzw. vom Familienlohn entsteht die Situation, „that women are a husband away from poverty“ (ebd., 319). Es ist daher parallel zur Dekommodifizierungsoption der wage-earners eine Option für jene notwendig, die die Familienarbeit machen. Orloff unterscheidet zwei (sich nicht ausschließende) Strategien: Bezahlung der Familienarbeit bzw. Steigerung der Beschäftigungsmöglichkeiten und Neuverteilung der Arbeit in der Familie. Während access to paid work den Grad der Unabhängigkeit von Frauen von einer Versorgerehe bemisst, geht es beim autonomen Haushalt auch um den Grad der Unabhängigkeit von marktvermittelter Erwerbsarbeit (Dackweiler 2004). Eine ähnliche Kriterienerweiterung schlägt Crompton (1998) mit dem Konzept personeller Autonomie vor, das auf Einkommen aus Arbeit beruht, das entweder aus bezahlter Erwerbsarbeit stammen kann oder im Kontext der bislang unbezahlten Betreuungsarbeit zuerkannt wird (Grundeinkommen, Mindestsicherung, Karenzgeld als Kompensation für 39 Die Wahl, die Betreuungsarbeit gar nicht zu machen, haben Betroffene in der Regel nicht. Selbst wenn sie ein Recht nicht zu betreuen (siehe Kap. 4.1.5.B) vorfinden, ist das mit Arbeit verbunden: Zur Auslagerung von Betreuungsarbeit bedarf es Organisationsarbeit, Suchprozesse, um die geeigneten Angebote zu finden, Monitoringprozesse, um die Qualität zu prüfen etc. 40 Berufsverbote für verheiratete Frauen, marriage bars, Doppelverdienerdiskussionen; vgl. Kreimer 1999. 41 Empirische Studien zeigen, dass die Prozesse und Mechanismen innerhalb der Familien durchaus nicht nur harmonisch verlaufen. Entscheidungsmacht und Ressourcenverteilung sind mit der Höhe der Beiträge zum Familieneinkommen verbunden, Männer haben auch dann, wenn Frauen die finanziellen Angelegenheiten managen, ein Vetorecht etc. Das Erreichen von Unabhängigkeit in der Familie ist ein mögliches Motiv für die Arbeitsmarktpartizipation, unabhängig vom Einkommen des Mannes (Hobson 1990).
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Einkommensausfall, aber auch Kinderbetreuungskosten etc.). Das Ziel ist eine positive Bewertung und Bezahlung von Care-Tätigkeiten „within the policy context of an equality agenda“.42 Aber auch mit dieser expliziten Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bleibt dieses gender welfare modelling (Duncan 1998) unbefriedigend: „Gender remains essentially an optional add on“ (ebd., 200). Die Kriterien sind eher deskriptiv und können nichts zur Erklärung der Unterschiede zwischen Regimetypen beitragen, auch die bestehenden Unterschiede hinsichtlich geschlechtlicher Ungleichheit innerhalb einzelner Typen bleiben unerklärt.43 „Gender inequality is more than just simply the result of state policy towards women in families and paid work“ (ebd., 202).44 Auch die in späteren Arbeiten von Esping-Andersen (1996; 2003a) selbst eingebrachte explizite Berücksichtigung der Familiendimension bleibt unbefriedigend, wenn die Leistungen von Familien und Haushalten (d.h. de facto mehrheitlich von Frauen) immer nur im Konnex mit der staatlichen oder marktlichen Wohlfahrtsproduktion gesehen werden, aber nicht als eigenständige Dimension erfasst und vor allem bewertet werden (Opielka 2004). Anstelle einer Erweiterung der Kriterien oder der Diskussion über die Zuordnung einzelner Staaten zu den Regime-Typen wurden in der feministischen Sozialpolitikforschung eigene Typologien entwickelt, sozusagen „from women in the welfare state to gendering welfare state regimes“.45
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Gendering Welfare State Regimes
Aus der umfangreichen Literatur seien zwei Ansätze herausgegriffen:46 Die BreadwinnerTypologie von Lewis/Ostner (1994) ist nicht nur der „Klassiker“ der feministischen Wohlfahrtsstaatenforschung, sondern sie identifizierte auch das zentrale Element im Kontext von Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis: die familiäre Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Die Geschlechterarrangements von Pfau-Effinger (1998) sind für die Zielsetzung dieser Arbeit vor allem deswegen interessant, weil sie die Verbindung der Erwerbstätigkeit von Frauen mit dem Wohlfahrtsstaat zum Ausgangspunkt haben.
42 Im Gegensatz dazu stehen Konzepte, die Karenz und Kinderbetreuung als Teil einer Strategie zur Erhöhung bzw. Erhaltung der Geburtenrate und traditioneller Familien sehen (pronatalist strategy) und eher in Richtung Ausschluss der Frauen aus dem Erwerbsarbeitsmarkt wirken. 43 Vgl. z.B. zu den Unterschieden zwischen Norwegen und Schweden Leira 1994; zwischen Irland und England Duncan 1998. 44 Die Versuche, die Dekommodifizierungs-Kategorie zu „vergeschlechtlichen“, sind jedenfalls ungenügend, weil weiterhin Klassenbeziehungen den wesentlichen Bezugspunkt für die Dynamik der Veränderungen darstellen und somit auch den Schlüssel für die Kategorisierung, auch bleibt der Nationalstaat die zentrale Differenzierungslinie. 45 Titel eines Artikels von Julia O’Connor (zitiert nach Dackweiler 2003, 55). Für eine ausführliche Darstellung der Kritikpunkte und feministischen Revisionen siehe Dackweiler 2003, 54ff. 46 Für eine Übersicht verschiedener Typologien vgl. Duncan 1998. Österreich fällt mit unterschiedlichen Bezeichnungen (bismarkian, housewife contract, private partriarchy with lower inequalities, bourgeois model) immer in die Kategorie des konservativen Typs und teilt dies in allen Typologien mit Deutschland (West), Luxemburg und der Schweiz und mit je einer Ausnahme mit den Niederlanden und Belgien.
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Gender Gap und Care
Die Breadwinner-Typologie Lewis/Ostner (1994) gehen von der Feststellung aus, dass die modernen Wohlfahrtsstaaten durchgängig von einer spezifischen Form familiärer Arbeitsteilung geprägt sind, dem male breadwinner – female caretaker Modell. Diese Norm geschlechtlicher Arbeitsteilung ging weit über die Familie hinaus, insofern sie sowohl in die Arbeitsteilung am Arbeitsmarkt als auch in die Konstituierung und Dynamik der Wohlfahrtsstaaten hineinwirkt. In seiner reinen Form setzt das Modell die Vollbeschäftigung der Männer mit entsprechendem Einkommen (Ernährerlohn, family wage) voraus, weiters ein Sozialversicherungssystem, das Männer gegen allfällige Arbeitsmarktrisken absichert und Frauen abgeleitete Ansprüche gewährt (z.B. Mitversicherung von Ehefrauen, Absicherung von Witwen) und das Anreize zur Eheschließung und deren Aufrechterhaltung enthält (z. B. durch Bevorzugung im Steuersystem) und schließlich einen Arbeitsmarkt, der so gestaltet ist, dass er für einen Großteil der Frauen keine klar überzeugend besseren Perspektiven bietet als die Position in einer Ernährer/Hausfrauen-Ehe. Je nachdem, wie stark dieses Arbeitsteilungsmuster nach wie vor die zentrale Norm ist, unterscheiden Lewis und Ostner starke, moderate und schwache breadwinnerWohlfahrtsstaaten. Großbritannien, die Niederlande und Deutschland sind Beispiele für den Typ des starken Ernährer-Wohlfahrtsstaats, insofern sie am stärksten die soziale Abhängigkeit von Frauen aufrechterhalten. Frankreich, das auf eine Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt und damit auf eine Aufweichung familiärer Abhängigkeiten setzt, zählt als moderater Typ, Schweden und Dänemark sind schwache Ernährer-Wohlfahrtsstaaten, da sie seit den 70er Jahren Frauen primär als Arbeitnehmerinnen denn als Ehefrauen und Mütter behandeln (Lewis/Ostner 1994, 17ff.).47 Der „schwache“ breadwinner Typ wird auch als universal breadwinner Typ bezeichnet (MacDonald 1998). Die breadwinner-Typologie „remains the most influental typology in the genderfocused welfare state literature“ (Daly 2000, 30), aber sie bedarf einer Weiterentwicklung. Obwohl sie mit dem Fokus auf unbezahlte Betreuungsarbeit und familiäre Abhängigkeitsverhältnisse wesentliche Defizite des Ansatzes von Esping-Andersen behebt, bleibt sie doch auf der deskriptiven Ebene stehen und kann nicht erklären, warum welche Ausprägungen des Ernährermodells in welchen Staaten vorherrschen und wie sich diese verändern (Duncan 1998). Kritisiert wird die eindimensionale Ausrichtung auf die sozialpolitische Regulierung, die das von Esping-Andersen eingebrachte Zusammenspiel von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik als Konstruktionsprinzip wohlfahrtsstaatlicher Regulierung wieder aus den Augen verliert (Dackweiler 2003, 68). Auch ist es schwierig, innerhalb der Typologie mit den wachsenden Differenzen zwischen Frauen (Alleinerzieherinnen, kinderlose Frauen etc.)
47
Die Notwendigkeit, die familiären Orientierungen innerhalb der Wohlfahrtsstaaten zu berücksichtigen, hat sich vor allem an der Gegenüberstellung von Deutschland und Frankreich gezeigt. Beiden Ländern sind traditionelle bzw. kulturelle Wurzeln in der katholischen Soziallehre gemeinsam, als deren Rest bei beiden eine starke Familienzentrierung vorhanden ist, die sich jedoch bezüglich der sozialpolitischen Verortung der Frauen in den sozialen Sicherungssystemen bzw. am Arbeitsmarkt deutlich unterscheidet (vgl. Lessenich/Ostner 1995). In Frankreich sind Frauen Mütter und Erwerbstätige, gefördert wird die Elternfamilie (Parentalismus, arbeitende Familie, Leitbild des „alle für eine“, d.h. alle sind zum Wohl der Familie erwerbstätig). In Deutschland wird dagegen stärker die traditionelle Ehefamilie (Ernährervater und häusliche Mutter, d.h. Leitbild „einer für alle“) gefördert.
Beiträge zu einer Theory of Care
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umzugehen. Es fehlt die explizite Berücksichtigung der Handlungsebene, womit u.a. kulturelle Leitbilder ausgeblendet bleiben (Pfau-Effinger 1998).48 Geschlechterarrangements und Geschlechterkontrakt Basis für dieses Modell sind Ansätze skandinavischer Sozialpolitikerinnnen zum womenfriendly welfare state.49 Sie plädieren für eine stärkere Einbeziehung kultureller Dimensionen (woher kommen alternative Vorstellungen über Geschlechterrollen, wie werden diese umgesetzt, verändert etc.) und für einen offenen historischen und geografischen Zugang (vgl. Duncan 1998). Pfau-Effinger (1998) versucht, die kulturelle Dimension explizit einzubauen. Auf einer ersten Ebene berücksichtigt sie kulturelle Leitbilder zur Familie und zur geschlechtlichen Arbeitsteilung, d.h. geschlechterkulturelle Modelle oder „Familienmodelle“. Diese stehen auf der zweiten Ebene in Wechselwirkung mit „Institutionen“ wie dem Wohlfahrtsstaat, Betrieben, der Familie, dem System industrieller Beziehungen. Das Handeln der Individuen in diesen Institutionen bezieht sich auf kulturelle Leitbilder, die damit stabilisiert bzw. potenziell auch verändert werden können. Auf der dritten Ebene, der Ebene der sozialen AkteurInnen, bildet das „Geschlechterarrangement“ die „Klammer um die kulturellen Leitbilder zur Familie und zum Geschlechterverhältnis und die Politik und Entwicklung der Institutionen“ (ebd., 184). Aushandlungsprozesse zwischen den AkteurInnen bilden die Grundlage dafür, dass bestimmte gesellschaftskulturelle Leitbilder und eine bestimmte wohlfahrtsstaatliche Politik zu einem bestimmten Zeitpunkt dominieren (die beteiligten Männer und Frauen schließen damit einen „Geschlechtervertrag“ ab), aber auch, dass diese sich wandeln, wobei Widersprüche und lags möglich sind. Pfau-Effinger unterscheidet institutional lags, wenn beispielsweise die kulturelle Orientierung der Frauen auf Erwerbstätigkeit fortgeschritten ist, der Wohlfahrtsstaat aber noch dem traditionellen Familienbild folgt; die umgekehrte Konstellation stellt einen cultural lag dar. Auf der Grundlage der jeweils vorherrschenden kulturellen Leitbilder klassifiziert Pfau-Effinger die Geschlechter-Arrangements in Europa in ein „familienökonomisches“ Modell (in Agrargesellschaften), das „Hausfrauenmodell der Versorgerehe“ und dessen modernisierte Variante, das „Vereinbarkeitsmodell der Versorgerehe“ mit Teilzeitarbeit der Frauen in der Phase nach der aktiven Mutterschaft, das „Doppelversorgermodell mit staatlicher Kinderbetreuung“ und das „Doppelversorgermodell mit partnerschaftlicher Kinderbetreuung“. Auf der Basis ihrer komparativen Wohlfahrtsstaatenforschung kann PfauEffinger sodann die „Modernisierungspfade in europäischen Geschlechter-Arrangements“ verfolgen und damit Differenzen im Wandel der Frauen-Erwerbsbeteiligung relativ gut erklären (vgl. Pfau-Effinger 1998 und 2001). Was jedoch aus der Sicht der feministischen Wohlfahrtsstaatenforschung zu klären bleibt, ist, wo diese Leitbilder ihren Ursprung haben. Das Aufspüren des Ortes und der ideologischen Grundfiguren der Konstruktion der Leitbilder ist eine mühevolle Aufgabe, wie Dackweiler (2003) am Beispiel des österreichischen Wohlfahrtsstaates zeigt. 48
Die Literatur zur Weiterentwicklung der breadwinner-Typologie bzw. zu ihrer Anwendung auf spezifische Fragestellungen ist kaum mehr überschaubar. Genannt seien beispielsweise Sainsbury 1996, Daly 2000, Crompton 1999. 49 Die von Helga Hernes und Yvonne Hirdmann Ende der 80er Jahre erstellten Arbeiten wurden von vielen ForscherInnen als Ausgangspunkt gewählt (vgl. Lewis 1992, Pfau-Effinger 1998, Duncan 1998, Dackweiler 2004), ohne von den Autorinnen selbst weiterentwickelt worden zu sein.
200 D
Gender Gap und Care Esping-Andersens Revision: familialisierende und defamilialisierende Wohlfahrtsstaaten
Esping-Andersen (1999) hat auf die umfangreiche Kritik an seiner Typologie aus der Gender-Forschung reagiert und versucht, der Familie in der Staat-Markt-Familie-Dimension den ihr entsprechenden Stellenwert zu geben. Er unterscheidet zwischen Wohlfahrtsstaaten, die „familialisieren“, d.h. einen hohen Anteil wohlfahrtsstaatlicher Arbeit in die Familie verlagern, und solchen mit „defamilialisierenden“ Wirkungen, die die Abhängigkeit der Individuen von den Familien reduzieren. Defamilialisierung steht somit parallel zur Dekommodifizierung als Konzept; zugleich ist die Defamilialisierung die Voraussetzung für die Kommodifizierung der Frauen – damit begegnet Esping-Andersen der feministischen Kritik am Dekommodifizierungskriterium. Esping-Andersen (1999) nimmt hinsichtlich der beiden neu eingeführten Konzepte der (De-)Familialisierung auch eine Bewertung vor, insofern sich die familialisierende Wohlfahrtsstaatspolitik als „Achillesferse“ (Dackweiler 2003, 71) der Wohlfahrtsstaatlichkeit erweist: Sie senkt die Frauenerwerbsquote, ebenso die Geburtenrate, damit die Steuerbasis, und gefährdet massiv den Wohlfahrtsstaat der Zukunft. Die Lösung liegt nach EspingAndersen in der dual breadwinner family in einem defamilialisierenden Wohlfahrtsstaat. Allerdings, so die Kritik von Dackweiler (2003), gelingt es Esping-Andersen mit dieser (De-)Familialisierungsunterscheidung zwar, Defizite seiner ursprünglichen Typologie anzusprechen, aber es geht ihm nicht um eine geschlechtersensible Neufassung. „Die wohlfahrtsstaatlich generierte soziale Ungleichstellung der Geschlechter und die Frage der Enthierarchisierung des Geschlechterverhältnisses als eines gesellschaftlich organisierten Herrschaftsverhältnisses interessiert ihn nicht“ (ebd., 70). Das wird in seinem Plädoyer für die Doppelverdiener-Familie deutlich sichtbar, die ohne weitgreifende Änderungen im Geschlechterverhältnis, insbesondere in der Arbeitsteilung, ohne eine massive Veränderung der männlichen Rolle in Beruf und Familie zu keinem Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheit führen wird (vgl. Fraser 1994 bzw. Kap. 4.2 und 5.3). Leitner (2003) hat Esping-Andersens Konzept erweitert und schlägt vier Formen des „Familialismus“ vor: „optionaler Familialismus“ mit einem gut ausgebauten öffentlichen Betreuungsnetz und zugleich Transferleistungen an die Familie (z.B. Schweden); „expliziter Familialismus“ mit geringem öffentlichen Betreuungsangebot, aber relativ hohen Transferleistungen (wie z.B. Österreich); „impliziter Familialismus“ mit geringem Betreuungsangebot und geringen Transferleistungen (z.B. Griechenland); „De-Familialismus“ mit verbreiteter öffentlicher Kinderbetreuung, aber ohne Zahlungen für die familiäre Kindererziehung (z.B. Großbritannien). Diese Typologie ermöglicht über die Trennung von services und money, also dem Dienstleistungsangebot für (Kinder-)Betreuung und Geldleistungen an die Familie, nicht nur eine deutlich adäquatere Einordnung der bestehenden Wohlfahrtsstaaten,50 sondern sie erlaubt es 50 Leitner (2003) verwendet eine Reihe von Indikatoren zu den Karenzsystemen und zum Ausmaß und Reichweite der Langzeitbetreuung, um die 15 EU-Länder zu clustern. In einem weiteren Schritt inkludiert sie die Gender-Dimension, um gendered und de-gendered Varianten des Familialismus zu identifizieren. Allerdings sind einer solchen Typologie insofern Grenzen gesetzt, als sich für verschiedene Care-Bereiche verschiedene Cluster
Beiträge zu einer Theory of Care
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auch, eine geschlechtssensible Konzeptualisierung für die Sozial- und Familienpolitik zu entwickeln: Wie wirken scheinbar geschlechtsneutrale Rechte (wie das Recht auf Karenz) bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Geschlechter und unterschiedlichem „Familialismus“ tatsächlich auf das Geschlechterverhältnis? Was wäre eine geschlechtsneutrale Familienpolitik? Auf diese Fragen wird in den Kapiteln 4.3 und 5.3 näher eingegangen.
4.1.5 Care und Citizenship Citizenship ist implizit oder explizit Teil der gesamten Wohlfahrtsstaaten-Debatte, die gerade durch die Umstrukturierungen in Europa massiv an Bedeutung gewonnen hat. Dementsprechend vielseitig und auch multi-disziplinär sind die Beiträge zur Kritik am Citizenship-Konzept aus der feministischen Perspektive sowie zu möglichen Erweiterungen oder Alternativen. Eine ausführliche Erörterung aus feministischer Sicht findet sich in Lister 1997 und in Siim 2000; Hobson/Lister 2002 fassen die Debatte zu Rechten und Pflichten zusammen, Kessler-Harris 2003 präsentiert Überlegungen zu economic citizenship, allerdings, wie Lewis 2003 feststellt, aus einer auf europäische Verhältnisse nur schwer übertragbare us-amerikanischen Perspektive. Da gerade diese Debatten für die Frage der Integration von Care eine besondere Bedeutung haben, sollen die relevanten Konzepte nun vorgestellt werden.
A
Citizenship
Citizenship (Staatsbürgerschaft)51 umschreibt ein Rechts-, Schutz- und Zuordnungsverhältnis zwischen einer Person und dem Staat, aus dem sich Rechte, wie das Wahlrecht und Pflichten, wie die Steuerpflicht, ergeben (Rosenberger/Sauer 2004, 253). Das Konzept geht auf den britischen Soziologen Thomas Humphrey Marshall (1893-1982) zurück, der sich mit der historischen Entwicklung der BürgerInnenrechte befasste und eine Systematisierung der Rechte des Staatsbürgers lieferte.52 Er unterschied zwischen ziviler, politischer und sozialer Staatsbürgerschaft. In der feministischen Diskussion wurde zum einen der historische Ausschluss von Frauen von Citizenship festgestellt, zum anderen gefragt, ob und wie Frauen in das Konzept integriert werden können - integriert in ein Konzept des Staatsbürgers, dessen Prototyp eindeutig männlich war (vgl. ausführlich Lister 1997, Hobson/Lister 2002). ergeben, was jedenfalls weiteren Forschungsbedarf nach sich zieht. Eine integrierende Perspektive auf alle Arten von Care stellt noch eine große Herausforderung dar. 51 Ähnlich wie bei „Gender“ und „Care“ ist auch „Citizenship“ ein Begriff, der sich der Übersetzung ins Deutsche tendenziell entzieht, da der Begriff im Englischen weiter gefasst ist als „Staatsbürgerschaft“. Citizenship bezeichnet nicht nur die passive Mitgliedschaft in einem Staat, sondern auch die aktive Rolle der BürgerInnen bei der Gestaltung desselben. Dazu kommt noch das besondere Element der geschlechtsneutralen Sprache. Im Folgenden wird daher vorrangig der Begriff Citizenship verwendet. 52 Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die staatlichen Leistungen, die für Erwerbsarbeiter und Familienerhalter von Bedeutung sind, also vor allem Leistungen, die in Verbindung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes stehen (z. B. Pensionen und Arbeitslosenversicherungen). Die sozialen Rechte der female caretakers wurden erst in der feministischen Sozialpolitikdebatte thematisiert. Ähnlich wie in der Neoklassik sind BürgerInnen auch bei Marschall „entkörperte Individuen..... die keine Kinder gebären und nicht für Familienangehörige sorgen“ (Gerhard 1997, 25).
202
Gender Gap und Care
Die Entwicklung des Staatsbürgerstatus vollzog sich für Frauen in grundsätzlich anderer Weise als für Männer. „Citizenship has always been gendered in the sense that women and men have stood in a different relationship to it, to the disadvantage of women“ (Lister 1995, 24). Beispielsweise war die Einführung des allgemeinen Wahlrechts nirgendwo mit der Institutionalisierung von Frauenmacht verbunden (Appelt 1999). Der rechtliche Status von Frauen unterschied sich in einigen europäischen Ländern bis in die 70er Jahre von jenem der Männer, erst mit den Eherechtsreformen wurde die formale Gleichstellung erreicht.53 Neben diesen Aspekten des Ausschlusses von einzelnen Staatsbürgerrechten geht es in der neueren feministischen Forschung auch um den Aspekt von Citizenship als (politische) Aktivität, also um politische Partizipation und deren sozialen Voraussetzungen, um die Mitgestaltung von Citizenship. Kessler-Harris (2003) plädiert für die Ergänzung um economic citizenship, die sie im Wesentlichen als ökonomische Autonomie für Frauen konzipiert54 und wohlfahrtsstaatliche Unterstützung weiblicher Erwerbstätigkeit einfordert.55
B
„Inclusive Citizenship“ und Betreuungsrechte
Die Debatte um Rechte spielte in der Entwicklung des Feminismus eine zentrale Rolle. Im Kontext von Citizenship, das selbst auf Rechte und Pflichten rekurriert, geht es in der feministischen Bearbeitung um eine Ausweitung des Rahmens sozialer Rechte „to include family and domestic rights and responsibilties, which address exclusion as a result of economic dependency in the family and posit a recasting of unpaid care work as work, which should be included in the calculus of social benefits“ (Hobson/Lister 2002, 47). Im von Knijn/Kremer (1997) entwickelten Konzept des inclusive citizenship bleiben die zentralen Rechte und Pflichten an die Erwerbsarbeit angebunden, aber zusätzlich wird die Bedeutung von Care anerkannt und aufgewertet. „Paid work remains important, but care is just as important. Only when care becomes a vital dimension of citizenship can both care (giving and receiving) and citizenship be degendered“ (ebd., 332).
53 Beispielsweise wurde die Bestimmung, wonach der Ehemann „Haupt der Familie“ war und seine Frau in allen Angelegenheiten zu vertreten hatte (u.a. auch bei Arbeitsverträgen), in Österreich erst 1975 im Zuge der Eheund Familienrechtsreform durch eine Verpflichtung zur einvernehmlichen Lebensgestaltung ersetzt (vgl. Holzleithner 2003, 94ff). Dass mit dieser Gesetzesänderung die Umstellung vom „patriarchalischen“ auf das „partnerschaftliche“ Familienmodell erst begonnen wurde, dies aber noch lange nicht bedeutete, dass es in der Folge durch die Judikatur (insbesondere des Verfassungsgerichtshofs) zu keiner Zementierung überkommener Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern mehr gekommen wäre, zeigen Holzleithner (2003, 99ff) ebenso wie Sporrer (1997). 54 Economic citizenship inkludiert nach Kessler-Harris (2003, 158f) „the right to work at the occupation of one’s choice (where work includes childrearing and household maintenance); to earn wages adequate to the support of self and family; to a non-discriminatory job market; to the education and training that facilitate access to it; to the social benefits necessary to sustain and support labor force participation; and to the social environment required for effective choice, including adequate housing, safe streets, accessible public transport, and universal health care.” 55 Lewis (2003) verweist auf den US-amerikanischen Kontext der Argumentation von Kessler-Harris, der für die europäischen Wohlfahrtsstaaten nicht unmittelbar zutreffend ist. In den USA fehlt wohlfahrtsstaatliche Unterstützung für Care fast vollständig, während in Europa gerade diese Unterstützung partiell die Erwerbstätigkeit von Frauen reduziert. Des Weiteren führt Lewis an, dass ein auf Erwerbstätigkeit fokussiertes Konzept von Citizenship die Frage der Geschlechtergleichstellung nicht lösen kann (siehe dazu Kap. 5.3).
Beiträge zu einer Theory of Care
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Inclusive citizenship soll der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder Bürger und jede Bürgerin irgendwann im Leben Betreuender bzw. Betreuende ist und dass alle Individuen einer Betreuung in einzelnen Lebensphasen bedürfen. Derzeit kann Care nur auf Kosten der Berufstätigkeit umgesetzt werden, was den zentral an Erwerbsarbeit angehängten Citizenship-Status reduziert. Ein neues care-Modell würde Bedingungen erfordern, das right to care ausüben zu können, ohne die derzeitigen oft damit verbundenen negativen Konsequenzen auf andere soziale Rechte (Partizipation, Absicherung). Grundsätzlich soll es allen BürgerInnen möglich sein, sowohl im Betreuungsbereich als auch am Arbeitsmarkt tätig zu sein. Knijn und Kremer (1997) sehen ein umfassendes right to give care als Beitrag zu einem inclusive citizenship Konzept, in dem auch ein right to receive care klar verankert ist (Geissler 2002). Das Recht zu betreuen (right to give care bzw. right to time for care) muss in Abstimmung mit den anderen Aspekten von Citizenship ausgeübt werden können, beispielsweise über arbeitsmarktbezogene Eltern- oder Pflegekarenz. Diese ermöglichen es den StaatsbürgerInnen trotz Betreuungsleistung am Arbeitsmarkt weiterhin teilzunehmen (siehe genauer Kap. 4.3). Das Recht betreut zu werden (right to receive care, right to be cared for) ist nicht in wechselseitiger Abhängigkeit mit dem Recht zu betreuen zu sehen, der/die Betreuungsbedürftige kann dieses Recht nicht erzwingen. Gleichzeitig impliziert dieses Recht jedoch, dass jemand die Verpflichtung hat, diese Betreuung zu leisten. Wie diese Verpflichtung innerhalb einer Gesellschaft zwischen dem privaten Bereich und dem öffentlichen Bereich bzw. zwischen Familie und Staat aufgeteilt wird, variiert in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten deutlich und variiert auch für einzelne Gruppen von betreuungsbedürftigen Personen.56 Leira/Saraceno (2002, 75) sprechen daher von einem häufig unvollständigen Recht betreut zu werden oder von einem “supply-conditioned right, expressing the intention of government, but not necessarily establishing an entitlement to be claimed here and now. To a considerable extent, the needs of the care dependent remain to be met outside public budgets, by non-public bodies or private individuals, who by necessity or choice accept the responsibility for care provision.” Das Recht betreut zu werden führt, wenn es in der geschilderten Weise unvollständig etabliert ist, unmittelbar zur Frage, ob die dem/der Betreuungsbedürftigen nahestehende Gesellschaftsmitglieder diese Verpflichtung auch ablehnen dürfen – ob sie ein Recht nicht zu betreuen (right not to care) haben, ob sie die Wahl haben zu betreuen oder nicht. Anders ausgedrückt: ob sie eine exit-Option in Bezug auf die Betreuungsarbeit haben, ohne gegen moralische Grundsätze der Gesellschaft zu verstoßen57 und ohne Einschnitte in die eigenen Präferenzen, die damit zusammenhängen. Augenscheinlich wird dies bei der Kinderbetreuung: Müssen potenzielle Eltern, die jenen Teil der Betreuungsarbeit, der unmittelbar mit 56
Das Recht Betreuung zu erhalten setzt die Verfügbarkeit qualitativ guter institutioneller Betreuung voraus, um die Nachfrage der verschiedenen Gruppen von StaatsbürgerInnen, die sie brauchen, zu befriedigen. Dieses Recht betreut zu werden, wird explizit pflegebedürftigen älteren und dauerhaft kranken Menschen eher zugesprochen als kleinen Kindern (mit der Ausnahme von Waisenkindern oder Pflegekindern, d.h. bei Abwesenheit oder „Unfähigkeit“ der Eltern), bei denen dieses Recht infolge der Selbstverständlichkeit familiärer Betreuung gar nicht expliziert wird. 57 Die exit-Option wird auch im Kontext der Arbeitsmarktteilnahme thematisiert, sie steckt hinter dem Dekommodifizierungskriterium in der Wohlfahrtsstaatenanalyse (siehe Kap. 4.1.4). Das Wahrnehmen einer exitOption berührt immer auch moralische Fragen (sichtbar z.B. in der Grundeinkommensdebatte), aber in der Frage der Verweigerung von Care dürfte die moralische Dimension von besonderer Bedeutung sein – was einmal mehr auf den Beziehungsaspekt von Care verweist.
204
Gender Gap und Care
ihrer Erwerbstätigkeit konkurriert, nicht selbst übernehmen wollen, auf Kinder verzichten, oder können sie das Recht nicht zu betreuen, in Anspruch nehmen?58 In der genderorientierten Wohlfahrtsstaatenforschung ist dieses Recht eine entscheidende Voraussetzung für die individuelle Autonomie aller Individuen (Hobson 1990, Orloff 1993, Crompton 1998). Der Wohlfahrtsstaat ist aufgefordert, Bedingungen herzustellen, in denen Männer und Frauen Beruf und Familie leben können, ohne dass spezifisch Frauen in die nahezu alleinige Haushalts- und Familienarbeitsverantwortung gezwungen werden – sie brauchen die Option to exit out of family (Antonnen/Sipilä 1996, 89 bzw. Hobson 1990). Diese Wahrung dieses Rechts nicht zu betreuen steht in zweifachem Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt: Es liefert die Grundlage für eine Politik der Arbeitsmarktintegration von Frauen (Antonnen/Sipilä 1996, 93), und es hat unmittelbar Auswirkungen auf das Arbeitsplatzangebot, weil es eine Ausweitung der formellen Infrastruktur im Betreuungsbereich erfordert. Letzteres scheint im ersten Moment insofern widersprüchlich zu sein, als die Realisierung des Rechts nicht zu betreuen durch ein Individuum voraussetzt, dass ein anderes Individuum mit dieser Tätigkeit betraut wird. Hier zeigt sich einmal mehr die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Organisation von Care, um zu gewährleisten, dass hier nicht neue Formen der Abhängigkeit bis hin zur Ausbeutung zu Tage treten,59 sondern dass das Arbeitsmarktsegment Care entsprechend gestaltet wird: Professionalisierung, adäquate Löhne und Arbeitsbedingungen, Entwicklung einer „Fürsorgerationalität“ (Wærness 2000), die den Anforderungen dieser Tätigkeiten gerecht wird u.a.m.
C
Defamilialisierung oder Dedomestizierung?
Da im Dekommodifizierungskonzept geschlechtsspezifische Unterschiede im Zugang zu Kommodifizierung nicht berücksichtigt werden, schlägt Lister (1997, 173) eine Ergänzung vor: „Welfare regimes might then also be characterised according to the degree to which individual adults can uphold a socially acceptable standard of living, independently of family relationships, either through paid work or through social security provisions.“ Sie nennt dieses Kriterium defamilialisation. Lister sieht in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit den Schlüssel zur Chancengleichheit, diese Unabhängigkeit muss auch gegenüber familiären Beziehungen gewährleistet sein. Dieses Konzept kommt dem Vorschlag Orloffs, Dekommodifizierung um die Kriterien Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt und Möglichkeit einen autonomen Haushalt zu erhalten zu erweitern, recht nahe (siehe oben bzw. Orloff 1993). Wohlfahrtssysteme sollen danach bewertet werden, inwieweit sie Individuen ein akzeptables unabhängiges Leben ermöglichen, unabhängig vom Markt und von der Familie.
58
Diese Frage bezieht sich nur auf jenen zeitlich eingrenzbaren Bereich von Care, der mit der Erwerbsarbeit in unmittelbarer Konkurrenz steht. Natürlich können sich beispielsweise Eltern einer Betreuung ihrer Kinder außerhalb des Kindergartens oder der Ganztagsschule nicht verweigern, ebenso gilt dies auch für andere Bereiche der Betreuung. 59 Vgl. dazu vor allem die Situation in den USA, wie sie Hochschild (2003) beschreibt: Qualifizierte Frauen lagern Betreuungsarbeit in Ermangelung anderer Alternativen an Migrantinnen aus, die ihrerseits ihre Kinder in ihren Herkunftsländern zurücklassen müssen, die dort in der Obhut von Großmüttern und Verwandten aufwachsen. Hochschild spricht vom globalen care drain, mit hohen Kosten für alle Beteiligten. Quantitativ mag diese Tendenz in Europa noch nicht so drastisch sein wie in den USA, existent ist sie jedenfalls auch (z.B. Lutz 2002).
Beiträge zu einer Theory of Care
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Kröger (1999) bringt zwei Einwände gegen das Konzept der Defamilialisierung: Zum einen stellt es ähnlich wie die Dekommodifizierung zu einseitig auf finanzielle Leistungen und finanzielle Absicherung ab, also auf das Sozialversicherungssystem, das Unabhängigkeit von Marktzwängen und familiären Zwängen ermöglichen soll. Gerade im Bereich der Betreuungsarbeit sind aber auch andere sozialpolitische Instrumente entscheidend, vor allem Betreuungseinrichtungen, die service-Dimension. Zum anderen impliziert der Begriff „Defamilialisierung“, dass die Familie die eigentliche Problemursache darstellt, dass die Familie der individuellen Unabhängigkeit entgegensteht. Dies verstellt ein Stück weit den Blick darauf, dass es ja gerade um eine integrative Perspektive geht: um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es geht nicht um die Befreiung von der Familie, sondern um die Befreiung von Arbeit im familialen Kontext. Das Hauptproblem sei somit nicht mehr die Familie an sich, sondern „the gendered practice to domesticate women by burdening them with overwhelming responsibilities for unpaid informal care“ (ebd., 4). Kröger entwickelt das Konzept der dedomestication, zu verstehen als „the degree to which individual family members can participate in society outside their families“. (ebd., 4). Dedomestikation ist analog zur Dekommodifizierung als Anspruch an den Wohlfahrtsstaat zu sehen, der situationsabhängig und in Abhängigkeit von den Bedürfnissen einzelner Gruppen erfüllt werden sollte. Meines Wissens ist Krögers Konzept in der Wohlfahrtsstaatenforschung nicht aufgegriffen worden, obwohl es im Vergleich zur Defamilialisierung drei Vorteile aufweist: Es lässt erstens eine positiv besetzte Diskussion über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu, stellt die Familie nicht als zentrales Problem dar. Zweitens erlangen die sozialen Dienstleistungen bzw. deren Ausgestaltung im Betreuungssektor eine zentrale Bedeutung; sie sind das Herz der Dedomestizierung. Und schließlich ist das Konzept der Dedomestizierung auf beide Seiten eines Betreuungsverhältnisses, für BetreuerInnen und Betreute anwendbar, da es auch deren Wahlmöglichkeiten, Qualitätsansprüchen etc. entgegenkommt, wenn Care nicht allein oder primär im Familienverbund angesiedelt ist.
4.1.6 Fazit: Aspekte einer Theory of Care III Die vorgestellten Konzepte aus der Sozialpolitik- und Wohlfahrtsstaatenforschung liefern die Grundlagen für die empirische Forschung zur gesamtgesellschaftlichen Organisation von Care und deren Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. Damit lassen sich beispielsweise Eckpunkte eines women-friendly welfare state identifizieren (z.B. Leira 1997), Care-Regimes erarbeiten (z.B. Bettio/Plantenga 2004) oder der Grad der Erfüllung der einzelnen Betreuungsrechte erheben und vergleichen (Behning/Leitner 1998, Bothfeld 2004). In den folgenden anwendungsbezogenen Kapiteln wird auf einige der Konzepte zurückgegriffen. Darüber hinaus zeigen sich Anknüpfungspunkte für den ökonomischen Ansatz, für eine Weiterentwicklung der Theory of Care: 1. Die ökonomische Entscheidungstheorie beruht auf dem Konzept der Wahlfreiheit, d.h. auf individuelle Entscheidungen zwischen mehreren Alternativen inklusive der exitOption. Die Betreuungsrechte könnten in den ökonomischen Ansatz eingebaut werden, gerade unter diesem Aspekt der Gewährleistung von Wahlfreiheit.
206 2.
3.
4.
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Gender Gap und Care Die Frage ‚Geldleistung an die Individuen’ oder ‚Bereitstellung von Dienstleistungen durch den Staat’ lässt sich im finanzwissenschaftlichen Forschungsfeld weiter untersuchen. Die Frage, warum Märkte nur ein unvollständiges Angebot an sozialen Dienstleistungen bereitstellen, lässt sich mit ökonomischen Konzepten zu den Externalitäten von Care erklären. Allerdings sind hier noch viele Fragen rund um die Besonderheit von Care offen, um das Ausmaß dieser positiven externen Effekte feststellen zu können und damit Empfehlungen für die Sozialpolitik abzuleiten.60 Schließlich sei auf den Arbeitsmarktaspekt verwiesen: Nichterwerbstätigkeit, Karrierehemmnisse und Einkommensnachteile von Frauen sind ursächlich mit ihrem Engagement in der Betreuungsarbeit verbunden, dieses wiederum ist eingebettet in die gesellschaftliche Organisation von Arbeit, reguliert, gefördert oder auch ignoriert vom jeweiligen Wohlfahrtsstaat. Wie kann Care in Erwerbsverläufe von Frauen (und Männern) eingebaut werden, ohne benachteiligende Effekte auf dieselben? Das etwas schamhaft in Klammern gesetzte und Männern im letzten Satz führt uns einmal mehr zur Arbeitsteilung: Wo liegen die sozialpolitischen Potenziale zur Veränderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung? Wie weit ist dies mit der Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung verknüpft? Wie muss Care gestaltet sein, um dem Ziel einer egalitären, geschlechtergerechten Arbeitsteilung näher zu kommen?
Die beiden letzten Fragen sind der Ausgangspunkt für die folgenden Kapitel 4.2 und 4.3, mit dem Fokus auf Österreich. Betreuungsarbeit ist de facto primär Frauenarbeit, sowohl im formellen als auch im informellen Bereich. Die gesellschaftliche Organisation der Betreuungsarbeit berührt daher die Frauenerwerbstätigkeit und ist an der Ausgestaltung des Gender Gap beteiligt. Im nächsten Kapitel geht es um die makropolitische Perspektive auf Care, um die Frage der gesellschaftlichen Organisation von Care in Österreich. Dabei werden auch die beiden ersten oben abgeführten Fragen angesprochen. Im anschließenden Kapitel 4.3 steht eine spezifische Makroinstitution – die Elternkarenz – im Mittelpunkt, die aus der Mikroperspektive, der Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern, analysiert wird. Das Ziel ist es, diese Trennung zu überwinden, beide Dimensionen von Care in ihrer Verschränktheit zu erfassen und gleichstellungspolitische Perspektiven anzulegen, die im 5. Kapitel weitergeführt werden.
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Auf diese Fragestellung kann im Weiteren nicht näher eingegangen werden. Aus der ökonomischen Perspektive ist gerade diese Fragestellung von großer Bedeutung, sodass sich zukünftige Forschungsprojekte damit befassen werden.
Reorganisation von Care in Österreich: Widersprüchliche Entwicklungen
4.2
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Reorganisation von Care in Österreich: Widersprüchliche Entwicklungen
Dieses Kapitel knüpft an die auf Österreich bezogenen empirischen Erkenntnisse zum Gender Gap im Kapitel 3 an: Nichterwerbstätigkeit, Karrierehemmnisse und Einkommensnachteile von Frauen sind ursächlich mit ihrem Engagement in der Betreuungsarbeit verbunden, dieses wiederum ist eingebettet in die gesellschaftliche Organisation von Arbeit, reguliert, gefördert oder auch ignoriert vom jeweiligen Wohlfahrtsstaat. Wie Care auf der Makroebene organisiert ist und welchem Wandel diese Organisation unterliegt, wird im Folgenden aufbauend auf den theoretischen Überlegungen zu Care in Kapitel 4.1 für Österreich untersucht. 61 Die Analyse von Care bedingt eine Ausweitung des Untersuchungsfeldes, weil CareTätigkeiten zu einem erheblichen Teil im „Privaten“, nicht am formellen Arbeitsmarkt geleistet werden. Das Verhältnis zwischen informeller und formeller Arbeit ist dabei keineswegs fixiert. Der Angebot an sozialen und betreuungsbezogenen Dienstleistungen im Erwerbsarbeitsmarkt in Österreich ist im internationalen Trend in den vergangenen Jahrzehnten in nennenswertem Maß gewachsen, was dem sozialen, kulturellen und demografischen Wandel in der Gesellschaft Rechnung trägt. Dass eine weitere und unter Umständen sogar verstärkte Dynamik zugunsten des formellen Betreuungsangebots erforderlich ist, zeigt sich in öffentlichen Debatten ebenso wie in der Forschung. Beispielhaft seien genannt: Zur Erreichung des Ziels einer höheren Frauenerwerbsquote wurde der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen mit quantitativen Zielvorgaben in die Europäische Beschäftigungsstrategie aufgenommen. 62 Die Anzahl der informell arbeitenden PflegerInnen insbesondere aus den östlichen Nachbarländern Österreichs hat in den letzten Jahren ebenso zugenommen wie die kritischen Stimmen gegenüber diesen informellen Arrangements. 2007 fand der drohende „Pflegenotstand“ sogar Eingang in die öffentliche Debatte und resultierte schließlich in neuen Modellen zur sogenannten 24-Stunden-Pflege (siehe 4.2.1). Die in der Wohlfahrtsstaatenforschung herausgearbeitete Bedeutung des Zugangs zum Erwerbsarbeitsmarkt für Frauen, um Autonomie über die eigene Lebensführung zu erreichen und um im erwerbszentrierten Sozialsystem umfassende Teilhabechancen wahren zu können (siehe Kap. 4.1), erfährt durch jüngste Erkenntnisse aus der Armutsforschung eine klare Bestätigung (vgl. z.B. Heitzmann/Schmidt 2004). 61 Die Arbeit zu diesem Kapitel entstand teilweise im Zusammenhang mit dem Cost-A13 Netzwerk „Changing Labour Markets, Welfare Policies and Citizenship“, dem ich als Mitglied der Arbeitsgruppe Gender Issues angehörte (1998 bis 2003). In der 2005 erscheinenden Buchpublikation der Arbeitsgruppe (Pfau-Effinger/Geissler 2005) ist der mit Helene Schiffbänker verfasste Beitrag zur informellen Betreuungsarbeit in Österreich enthalten, auf dem dieses Kapitel aufbaut (Kreimer/Schiffbänker 2005). Ich danke Helene Schiffbänker für die Zusammenarbeit und den Mitgliedern des Netzwerkes für den interessanten Wissensaustausch auf europäischer Ebene und für wertvolle Einsichten in die Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaatenforschung. Teile der Argumentationen in diesem Kapitel finden sich weiters in Kreimer 2003a, Kreimer 2004c, Kreimer/Schiffbänker 2003. 62 In der geltenden Fassung der beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Beschäftigungsstrategie ist folgende Zielvorgabe enthalten: "Bis 2010 werden für mindestens 90% der Kinder zwischen 3 Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33% der Kinder unter 3 Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung gestellt werden“ (Rat der Europäischen Union 2005; 2007).
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Gender Gap und Care
Care hat in der Reorganisation des österreichischen Wohlfahrtsstaates in der vergangenen Dekade eine relativ bedeutende Rolle gespielt, wobei der Schwerpunkt der Reformen auf der Einführung sogenannter payments for care (Ungerson 1997) lag: 1993 wurde das Pflegegeld eingeführt, 2002 das Kinderbetreuungsgeld. Unter Berücksichtigung einer Reihe weiterer Maßnahmen (wie Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Pension, Anspruch der Eltern auf Teilzeit, Familienhospizkarenz) könnte der Schluss gezogen werden, dass Betreuungsarbeit nicht nur einen höheren Stellenwert in der sozialpolitischen Agenda bekommen, sondern auch eine effektive Höherbewertung erfahren hat. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch Widersprüche und Defizite, zu deren Aufarbeitung dieses Kapitel einen Beitrag leistet. Ausgehend von einer Darstellung des Status Quo der Organisation von Betreuungsarbeit wird herausgearbeitet, wie die sozialpolitischen Reformen und Veränderungen des vergangenen Jahrzehnts aus der Sicht der Wohlfahrtsstaatenforschung zu werten sind, insbesondere wie sich die verstärkte Verwendung von Geldleistungen im Care-Bereich auswirkt. Folgende Fragestellungen werden verfolgt: Können die payments for care als eine Aufwertung informeller Betreuung im Sinne von Caregiving Parity (Fraser 1994) interpretiert werden, oder handelt es sich doch nur um die modifizierte Variante des traditionellen breadwinner-Modells? Geldleistungen sollen Individuen die Möglichkeit geben selbst zu wählen, wie und von wem sie (bzw. ihre Kinder) betreut werden. Hat sich die Wahlfreiheit der Betreuenden bzw. Betreuten tatsächlich verbessert? Die Analyse wird ergeben, dass beide Fragen zwar derzeit nicht positiv beantwortet werden können und das österreichische Care-Arrangement das traditionelle bzw. modernisierte male breadwinner Modell noch nicht hinter sich gelassen hat. Die Analyse verweist aber auch auf Potenziale, die bei Vorhandensein eines entsprechenden (sozial-)politischen Willens für eine Restrukturierung des österreichischen Betreuungssystems genutzt werden könnten, um den Abbau des Gender Gap von der Care-Seite her voranzutreiben. Auf einige dieser Potenziale wird anschließend in Kapitel 4.3 eingegangen werden.
4.2.1 Kinderbetreuung und Langzeitbetreuung in Österreich: Status Quo und jüngste Reformen Care ist in Österreich wie in allen industrialisierten Staaten in zwei unterschiedlichen Systemen institutionalisiert und organisiert. Zum einen werden Betreuungsleistungen innerhalb der Familie erbracht, was im sozialpolitischen Arrangement in besonderer Weise Berücksichtigung findet (z.B. Witwenpensionen, Karenzregelungen).63 Zum anderen existiert ein tendenziell wachsender professioneller Care-Sektor, in dem Care-Leistungen über den formellen Arbeitsmarkt angeboten werden, wobei in unterschiedlichem Ausmaß private und öffentliche Angebote64 bestehen. "Through a combination of various financial ar63
Ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Geschlechterverhältnis im österreichischen Sozialstaat finden sich in Mairhuber 2000 sowie in Dackweiler 2003. 64 Private und öffentliche Angebote unterscheiden sich zwar im Träger, allerdings unterliegen auch private Angebote (z.B. Betreuungseinrichtungen) öffentlicher Regulierung und werden fast immer durch die öffentliche Hand subventioniert. Eine ausführliche Darstellung der Grundlagen der österreichischen Sozialpolitik findet sich Badelt/Österle (2001, Spezieller Teil).
Reorganisation von Care in Österreich: Widersprüchliche Entwicklungen
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rangements offering women time for care and specific forms of professional and subsidised care, welfare states achieved their national and unique character“ (Knijn/Kremer 1997, 329). Beide Care-Systeme sind frauendominierte und daher hoch segregierte Arbeitsbereiche. Der informelle und großteils unbezahlte Anteil,65 d.h. die Betreuung und Pflege von Kindern und pflegebedürftigen Erwachsenen im Rahmen der Familie und lokaler bzw. nachbarschaftlicher Netze, ist in Österreich nach wie vor sehr groß. In den vergleichenden Studien zu Care findet sich die Charakterisierung Österreichs als nuclear family type (Millar/Warman 1995), als publicly facilitated private care model (Bettio/Plantenga 2004) oder als family-centered care model (Haas B. 2003). Diese Zuordnungen beruhen auf dem großen Anteil in der Familie geleisteter informeller Betreuungsarbeit, der Wohlfahrtsstaat unterstützt die Familie bei der Wahrnehmung dieser Verpflichtungen hauptsächlich durch finanzielle Transfers. Auch die bereits angeführte Typisierung Österreichs als strong male breadwinner state (Lewis/Ostner 1994, Duncan 1998) beruht u.a. auf dem geringen Niveau sozialer Dienstleistungen. Wie dieses Zusammenspiel zwischen familiärer Betreuung und Wohlfahrtsstaat aussieht, wird im Folgenden anhand der im Care-Report (Bettio/Prechal 1998) verwendeten Kategorien time-off, money und services erläutert.
A
Time-off and money: Das Recht zu betreuen
Im Bereich der Kinderbetreuung steht die Möglichkeit der Elternkarenz im Mittelpunkt. Arbeitsrechtlich besteht seit 1990 das Recht auf eine maximal zweijährige Freistellung von der Erwerbsarbeit für beide Elternteile, mit Kündigungsschutz während der Karenz, einem Wiedereinstiegsrecht und einer Behaltefrist von vier Wochen im Anschluss an die Karenz.66 Vor 2002 war die zeitliche Karenzierung mit dem Karenzgeld verknüpft, einer einkommensunabhängigen Transferleistung von rund 407 Euro im Monat, wovon ein Elternteil ab 1996 maximal 1,5 Jahre beziehen konnte. 2002 wurde das Karenzgeld durch das Kinderbetreuungsgeld (436 Euro pro Monat) abgelöst, das unabhängig vom Erwerbsstatus an alle Eltern für maximal drei Jahre bezahlt wird, wiederum sind sechs Monate an die Beteiligung des zweiten Elternteils gebunden. 2008 wurden Wahlmöglichkeiten eingeführt: Das Kinderbetreuungsgeld kann nun für einen kürzeren Zeitraum bezogen werden, dafür erhöht sich der Betrag.67 Zum Kinderbetreuungsgeld darf bis zur Dazuverdienstgrenze von
65 Informelle Arbeit wird teilweise mit unbezahlter Arbeit gleichgesetzt (z.B. in Bettio/Prechal 1998), was insofern nicht korrekt ist, als informelle Arbeit durchaus bezahlt werden kann. Ungerson (1997) unterscheidet mehrere Formen der payments for care, die das ganze Spektrum zwischen einem „Taschengeld“ bis zum Gehalt in regulären Beschäftigungsverhältnissen abdecken. Als Beispiel für diese Vielfalt können Tageseltern angeführt werden, bei denen es alle Formen vom Nachbarschaftsdienst mit gelegentlichen Gegenleistungen bis hin zu offiziellen Beschäftigungsverhältnissen gibt. Auch in der Langzeitbetreuung sind bezahlte informelle Formen durchwegs keine Seltenheit. Die Unterscheidung zwischen formeller und informeller Betreuung beruht daher weniger auf der Frage der Bezahlung, sondern auf der Regulierung dieser Betreuungsbeziehungen und dem sozialrechtlichen Status der Betreuenden. 66 Zu den Details der Elternkarenz in Österreich siehe Kap. 4.3. 67 Möglich sind die Variante 20 plus 4: 624 Euro pro Monat für maximal 20 Monate (1 Elternteil) bzw. 24 Monate (beide Elternteile); sowie die Variante 15 plus 3: 800 Euro pro Monat für maximal 15 Monate (1 Elternteil) bzw. 18 Monate (beide Elternteile).
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Gender Gap und Care
rund 14.500 Euro pro Jahr (16.200 Euro ab 2008) Erwerbseinkommen erzielt werden.68 Es besteht die Möglichkeit zur Teilzeitkarenz in aliquoter Weise.69 Seit 2004 haben Eltern unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf Teilzeitarbeit bis zum siebten Geburtstag des Kindes.70 Rund 97% aller karenzierten unselbständig Beschäftigten sind Frauen. Während mit 96% fast alle Frauen in der Altersgruppe von 20 bis 54 Jahren mit einem Karenzanspruch diesen auch in Anspruch nehmen, macht nur 1% der Väter von ihrem Recht Gebrauch (Bruning/Plantenga 1999, 200). Die Dauer der in Anspruch genommenen Karenz liegt bei den Müttern nahe bei der maximal möglichen Dauer, bei Vätern ist sie deutlich kürzer. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde die Karenzregelung mit Hinblick auf die Beteiligung der Väter zu verbessern versucht, was zwar deren Anteil an allen Karenzierten von rund 1% 1996 auf rund 3% 2007 verdreifachte, aber am geringen Niveau nichts änderte (zu den Details der Väterkarenz siehe Kap. 4.3). Gemeinsam mit weiteren Barleistungen an Familien (Familienbeihilfe, Kinderabsatzbeträge, Leistungen an Alleinerziehende u.a.m.) weist Österreich nach Luxemburg das zweithöchste Niveau dieser Leistungen in Europa auf (Bettio/Prechal 1998, 23; Abramovici 2003).71 Im Bereich der Langzeitpflege gibt es keine vergleichbaren Freistellungsrechte. Erwerbstätige Personen haben das Recht auf eine Woche bezahlten Pflegeurlaub jährlich,72 um Angehörige im selben Haushalt zu pflegen. Dieses Recht ermöglicht das Abdecken akuter Krankheitsfälle, jedoch keine dauerhafte Pflege. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein erheblicher Teil von Betreuungspersonen die eigene Erwerbstätigkeit aufgegeben oder massiv eingeschränkt hat, um die familiäre Pflege durchführen zu können (Badelt et al. 1997). 2002 wurde die Familienhospizkarenz eingeführt, eine auf maximal sechs Monate befristete unbezahlte Freistellung von Erwerbstätigkeit, die die Pflege und Begleitung von Sterbenden ermöglichen soll. Erste Daten zeigen eine eher geringe Inanspruchnahme.73 1993 wurde das Pflegegeld eingeführt. Diese in sieben Stufen in Abhängigkeit vom Pflegebedarf an die pflegebedürftigen Personen ausbezahlte Leistung ist nicht Teil des Sozialversicherungssystems und wird unabhängig von der Ursache der Pflegebedürftigkeit gewährt. Auch gibt es keine Einkommensprüfung. 2007 bezogen insgesamt rund 400.000 Personen Pflegegeld, von denen allerdings nur 12% ein Pflegegeld in den drei höchsten 68
Beim Karenzgeld galt die wesentlich niedrigere Geringfügigkeitsgrenze von rund 290 Euro pro Monat (2001). Allerdings sind die Regelungen zur Dazuverdienstgrenze im Fall einer parallelen Karenzierung deutlich restriktiver (siehe Kap. 4.3). 69 Der Kinderbetreuungsgeldbezug wird allerdings nicht aliquot verlängert, d.h. hier gelten in jedem Fall die 2,5 bzw. drei Jahre, während ein Elternteil arbeitsrechtlich vier Jahre Teilzeitkarenz beanspruchen kann. Vor 2002 wurde bei einer Teilzeitkarenz das halbe Karenzgeld ausgezahlt. 70 Das Recht gilt in Betrieben ab 20 MitarbeiterInnen und bei mindestens drei Jahren Betriebszugehörigkeit, vgl. Dörfler 2004a für Details. 71 In einer internationalen Studie zu child benefit packages, in der 22 OECD Länder untersucht wurden, erreicht Österreich sogar mit Abstand den ersten Platz (Wintersberger/Wörister 2003). In der von Eurostat publizierten Statistik nimmt Österreich den fünften Platz ein. Diese unterschiedlichen Rankings verdeutlichen die Schwierigkeit, auf der Makroebene Kosten und Leistungen zuzurechnen und dies auch noch vergleichbar zu machen (vgl. dazu genauer Wintersberger/Wörister 2003, 141ff). In jedem Fall befindet sich Österreich hinsichtlich der öffentlichen Leistungen für Kinder im Spitzenfeld. 72 Bei Kindern unter 12 Jahren besteht Anspruch auf zwei Wochen Pflegeurlaub. 73 Von Mitte 2002 bis Ende 2004 nahmen 1159 Personen die Hospizkarenz in Anspruch. Bei der Einführung 2002 wurden Schätzungen präsentiert, wonach bis zu 15.000 Personen pro Jahr diese Regelung in Anspruch nehmen würden.
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Stufen bezogen haben. 56% beziehen Pflegegeld in den beiden untersten Stufen, d.h. heißt nicht mehr als 273 Euro pro Monat.74 Seit 1998 besteht die Möglichkeit der begünstigten Weiterversicherung in der Pensionsversicherung für Personen, die einen nahen Angehörigen mit Pflegebedarf ab der Stufe 3 betreuen und aus diesem Grunde ihre Erwerbstätigkeit aufgeben mussten.75 Diese Maßnahme sollte dazu beitragen, Versicherungslücken in der Pensionsversicherung von Frauen zu schließen. Sie anerkennt erstmals, dass die pflegerische Tätigkeit von Angehörigen eine gesellschaftlich wertvolle Tätigkeit ist und daher öffentlich unterstützt werden soll – allerdings nur für eine kleine Gruppe der Betreuenden.
B
Services: Alternativen und Ergänzung zur informellen Betreuung und Pflege
Das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich ist immer noch begrenzt. Nicht einmal 12% der Kinder unter drei Jahren wurden 2007 in institutionellen Einrichtungen betreut. Ein signifikanter Anstieg der betreuten Kinder erfolgt mit der Altersgruppe der 3- bis 4-Jährigen und rund 93% der 5- bis 6-jährigen Kinder besuchen Kindergärten. Bei den Volksschulkindern (sechs bis neun Jahre) werden nur knapp 14% nach der Schule in öffentlichen Einrichtungen betreut. Ein Vergleich mit der Betreuungssituation 1995 zeigt immerhin deutliche Verbesserungen. Tabelle 4.1: Kinderbetreuungsquoten in den Jahren 1995, 2002 und 2007, in %
0-2 Jahre 3-5 Jahre 6-9 Jahre
... % der jeweiligen Altersgruppe waren im Jahr…. in Betreuungseinrichtungen 1995 2002 2007 4,6 8,7 11,8 70,6 80,7 84,9 7,0 9,4 13,8
Quelle: Statistik Austria, Kindertagesheimstatistik: www.statistik.at. Die konkrete Betreuungssituation ist stark vom jeweiligen Bundesland abhängig, sowohl hinsichtlich des Angebots an Kindertagesstätten76 als auch bei den Öffnungszeiten.77 Be74 Die Daten beziehen sich auf die PflegegeldbezieherInnen des Bundes (rund 335.000) und der Länder (rund 60.000). Stufe 1 bzw. 2: 148 bzw. 273 Euro; Stufe 5 bzw. 6 bzw. 7: 859 bzw. 1172 bzw. 1562 Euro (Informationen von der Homepage des Sozialministeriums: www.bmsk.gv.at). 75 Die Begünstigung besteht darin, dass der Bund den fiktiven Dienstgeberbeitrag übernimmt. Die Pflegeperson hat für die Weiterversicherung statt 22,8% nur 10,25% der Bemessungsgrundlage zu tragen (BMSGK 2004). 76 Vor allem beim Angebot für jüngere Kinder: Von den insgesamt rund 17.000 in Krippen betreuten Kindern besuchten 2007 rund 7.600 (45 %) Wiener Betreuungseinrichtungen. Von allen in Österreich 2007/08 existierenden Krippen (956) befanden sich 46,5 % (445) in Wien (Statistik Austria 2008). 77 Während in Wien 81% der Krippen und 74% der Kindergärten ganztägig geöffnet sind, gilt dies nur für 18% der Krippen und 46% der Kindergärten in Tirol. Schlusslicht bei den Kindergärten ist die Steiermark mit 18% ganztägigen Kindergärten, d.h. mehr als 80% der steirischen Kindergartenkinder müssen in der Regel um 12 Uhr abgeholt werden. 49% der ganztägigen Kindergärten in Vorarlberg schließt zu Mittag, d.h. die Kinder müssen das
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Gender Gap und Care
sondere Probleme sind zudem lange Ferienschließzeiten der Betreuungseinrichtungen und im Bereich der Volksschulkinder kurze Schultage ohne Mittagsessen und Nachmittagsbetreuung. Eine wichtige Ergänzung insbesondere in der Kleinkinderbetreuung sind Tageseltern (de facto fast ausschließlich Tagesmütter), die im eigenen Haushalt meist zwei bis vier Kinder betreuen. Inwieweit Tageseltern öffentlich gefördert werden und inwieweit sie in formalen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, ist bundesländerspezifisch geregelt. Österreichweit wurden 2007 rund 13.300 Kinder von knapp 3.600 Tageseltern betreut (Statistik Austria 2008, 21). Über das Ausmaß des Graubereichs, also informell arbeitende Tagesmütter, Nachbarinnen etc. gibt es keine Informationen. Der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen wurde 1995 und 2002 im Mikrozensus erhoben. 2002 fehlten demnach in Österreich Betreuungseinrichtungen für rund 48.000 Kinder im Alter bis 14 Jahren, für weitere 42.000 Kinder wurden qualitative Defizite (vor allem Öffnungszeiten) festgestellt (BMSGK 2003). Gegenüber 1995 (140.000 fehlende bzw. nicht adäquate Plätze) hat sich die Situation somit verbessert, was auch auf öffentliche Subventionen zurückzuführen ist: 1998 und 1999 wurde über die sogenannte „Kindergartenmilliarde“ der Ausbau der Kindergartenplätze (drei bis sechs Jahre) gefördert. Der größte Bedarf besteht aber immer noch bei jüngeren Kindern und Schulkindern sowie bei der Verbesserung von Öffnungszeiten – diesbezügliche Initiativen wurden erst wieder 2008 gestartet. Wird der Bedarf an europäischen Benchmarks gemessen, ist die Lücke im Betreuungsbereich deutlich größer: Fuchs (2006) zieht zum Vergleich Schweden heran und berechnet, dass bezogen auf schwedische Betreuungsquoten mehr als 650.000 Plätze fehlen, was insbesondere auf die Defizite bei der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern zurückzuführen ist. Im OECD Vergleich liegt Österreich bei den unter 3-Jährigen im unteren Drittel, auf das in der europäischen Beschäftigungsstrategie festgehaltene Ziel einer Betreuungsquote von 33% fehlen rund 50.000 Plätze, rund 10.000 Plätze fehlen auf das Ziel einer Betreuungsquote von 90% bei den Kindergartenkindern (Fuchs 2006). Zum Angebot an sozialen Dienstleistungen für pflegebedürftige ältere, behinderte und dauerhaft kranke Personen gibt es keine aussagekräftigen und das gesamte Feld abdeckenden Statistiken, was die Darstellung deutlich erschwert. Institutionelle Pflege ist auf einem im europäischen Vergleich niedrigen Niveau, etwa 4-5% der über 65-Jährigen leben in Altenwohn- und Pflegeheimen (Österle/Hammer 2004),78 von den PflegegeldbezieherInnen sind es rund 17% (Quantum 2007). Rund 5% aller Personen über 65 Jahre nutzen soziale Dienstleistungen von zuhause aus, im Fall der PflegegeldbezieherInnen sind es je nach Dienstleistung 12% bis 20% (Riedel 1999, Quantum 2007). Im internationalen Vergleich des Angebots an Dienstleistungen für Ältere befindet sich Österreich im unteren Mittelfeld (Bettio/Plantenga 2004). Vor der Einführung des Pflegegeldes 1993 zeigte sich das Angebot vorhandener sozialer Dienstleistungen im Bundesländervergleich sehr heterogen, teilweise waren die Leistungen (z.B. in der Hauskrankenpflege) sehr gut ausgebaut. Was fehlte, war ein einheitliches Ziel, eine übergreifende Ausbaustrategie, um eine Vereinheitlichung auf einem hohen Niveau zu erreichen. Mit der Einführung des Pflegegeldes wurde zwischen Bund und Ländern vereinbart diese Vereinheitlichung anzustreben, und die Bundesländer wurden für den Mittagessen zuhause einnehmen. Auch die Anzahl der durchschnittlichen Schließtage im Jahr ist breit gestreut, von 11,6 Tagen in Wiener Kindergärten bis zu 61,2 Tagen in den steirischen Kindergärten (Statistik Austria 2008). 78 Der Wert in den Niederlanden liegt im Vergleich dazu bei etwa 9% (Österle/Hammer 2004).
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weiteren Ausbau verantwortlich gemacht. Das Ziel der Reform der Pflegevorsorge, die privaten Pflegepersonen durch den Auf- und Ausbau ambulanter Dienste mehr zu unterstützen, wurde allerdings bisher in nur geringem Ausmaß – und dazu noch regional sehr unterschiedlich – umgesetzt. Die vorhandenen sozialen Dienstleistungen sind in der Regel nur ein Zusatz zur andauernden Betreuung, ihre Inanspruchnahme setzt das Vorhandensein einer Grundversorgung voraus, die durch überwiegend informell pflegende Angehörige gewährleistet wird: 90% der PflegegeldbezieherInnen geben an, eine sogenannte Hauptbetreuungsperson zu haben, von denen wiederum rund 90% mit den Betreuten verwandt sind (Badelt et al. 1997). Dies unterstreicht die zumindest in absehbarer Zeit nicht substituierbare Rolle der Familie im Bereich der Pflege von älteren und behinderten Personen. Die geschlechtsspezifische Dimension in diesem Betreuungsbereich ist jedenfalls eindeutig: 80% der Pflegepersonen sind Frauen, Männer sind vor allem dann als Betreuer tätig, wenn sie ihre Partnerin pflegen und selbst bereits in Pension sind. Bei den pflegenden Frauen ist dagegen nur rund ein Drittel über 60 Jahre alt (Holzmann-Jenkins 1999). Innerhalb dieser informellen Pflege in den Haushalten kam es in den vergangenen Jahren zu einer partiellen Verlagerung von familiärer Pflege durch Angehörige zu bezahlter, informeller Pflege durch im Haushalt lebende Pflegekräfte, die großteils aus den östlichen Nachbarländern Tschechien, Slowakei und Ungarn kommen. Es gibt keine offiziellen Schätzungen zur Größe dieses Bereichs der sogenannten 24-Stunden-Pflege, inoffizielle Schätzungen gehen von mindestens 10.000 bis zu 40.000 Pflegekräften aus (vgl. z.B. Streissler 2004, 254). Diese Praxis eines gut organisierten Pflege-Schwarzmarktes wurde erst kritisch hinterfragt, als sich im Zuge der Nationalratswahlen 2006 herausstellte, dass auch hochrangige Politiker informelle Pflegekräfte zur Betreuung von Angehörigen einsetzten. Die folgende Debatte zum „Pflegenotstand“ führte schließlich zu einem neuen Fördermodell im Bereich der Pflege in Privathaushalten: Die Anstellung von Pflegekräften in den Haushalten kann derzeit (August 2008) mit bis zu 800 Euro monatlich gefördert werden, was in etwa die entstehenden Kosten der Sozialversicherung decken soll. Dieses Modell der Förderung der 24-Stunden-Pflege ist seit 2008 in Kraft, aber noch in der Umsetzungsphase, sodass noch keine Bewertung vorgenommen werden kann (vgl. Kreimer 2008).
C
Zum aktuellen Stand der Betreuungsrechte
Mit den beiden monetären Instrumenten, dem Pflegegeld und dem Kinderbetreuungsgeld, wurde die Transferintensität im österreichischen Wohlfahrtssystem deutlich ausgebaut. Im Fokus der Politik stand dabei jeweils eine Abgeltung für Betreuungsleistungen, d.h. die Einführung oder Stärkung von payments for care. Inwiefern werden dadurch die in Kapitel 4.1 beschriebenen Betreuungsrechte berührt? Im Fall des Kinderbetreuungsgeldes soll das Recht zu betreuen gestärkt werden, indem Eltern die Möglichkeit gewährt wird, die Betreuung eines Kindes unter drei Jahren selbst zu übernehmen. Das Kinderbetreuungsgeld ist in diesen Fällen eine Art von „Entlohnung“ für die Betreuenden, die unabhängig von ihrem Arbeitsmarktstatus gebührt. Im Vergleich zum vorherigen Karenzgeld hat sich für unselbständig beschäftigte Eltern nur die Dauer wesentlich verändert, bei der Höhe kann angesichts der nicht erfolgten Anpassungen des Karenzgeldes in den Jahren zuvor kaum von einer Verbesserung gesprochen werden. Aber Eltern
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können nun länger ihr Recht zu betreuen in Anspruch nehmen, wenn sie arbeitsteilig vorgehen, sogar um ein Jahr mehr. Im Fall des Pflegegeldes wurde durch die Auszahlung an die Pflegebedürftigen auf das Recht betreut zu werden Bezug genommen, während das Recht zu betreuen kaum gefördert wird. Parallel zu den Reformen auf monetärer Ebene wurde das Recht zu betreuen durch einzelne Maßnahmen bzw. Adaptionen derselben zu stärken versucht. Neben den bereits angeführten Maßnahmen der Subventionierung der Pensionsversicherung für Langzeitpflegende unter bestimmten Bedingungen; der Hospizkarenz und der Elternteilzeit sind die Anerkennung von Betreuungsarbeit im Pensionsversicherungsrecht durch Kindererziehungszeiten79 und die Aufrechterhaltung der kostenlosen Mitversicherung in der Krankenversicherung für Betreuende zu nennen.80 Das Recht nicht zu betreuen wurde in der zweiten Hälfte der 90er Jahre über die Kindergartenmilliarde angesprochen und gestützt, zumindest für Eltern von Kindern im Kindergartenalter von drei bis sechs Jahren haben sich Verbesserungen ergeben – sie können in vermehrtem Ausmaß auf eine Infrastruktur zurückgreifen und Betreuungstätigkeiten auslagern. Für jüngere Kinder und Kinder im Volksschulalter bestehen aber, wie zuvor gezeigt, noch immer große Defizite, die das Recht nicht zu betreuen klar begrenzen. Im Fall der Langzeitpflege sind keine generellen und auch keine quantitativ bedeutsamen Verbesserungen des Rechts nicht zu betreuen zu konstatieren. Zwar gab es Angebotsausweitungen in diesbezüglich aktiven Gemeinden, aber auch in deren Mittelpunkt stand weniger die Entlastung der Pflegepersonen als eine verbesserte Ausgestaltung des Angebots sozialer Dienstleistungen an und für sich. Auch die neue Förderung für offizielle 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten stellt keine Entlastung dar, da es dabei primär um die Umwandlung informeller in formelle Beschäftigungsverhältnisse geht.
79
Seit 1993 werden Müttern, die einen eigenen Pensionsanspruch erwerben, pro Kind maximal vier Jahre als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung angerechnet (vgl. Mairhuber 2000 und 2000a). Diese Ersatzzeiten werden auf der Basis einer eigenen Bemessungsgrundlage zusätzlich zu einer allfälligen Erwerbstätigkeit angerechnet, wirken also in jedem Fall pensionssteigernd. Allerdings ist der Effekt bislang gering (siehe die Berechnungen in Mairhuber 2000a, 11). Ab 2005 wurde die Bemessungsgrundlage deutlich erhöht, die Anrechnung somit verbessert. Da gleichzeitig der Durchrechnungszeitraum für die Pension generell auf die gesamte Erwerbsphase verlängert wird und sich Teilzeitphasen und längere Unterbrechungen auf die Frauenpensionen massiv auswirken werden, wird auch diese höhere Anrechnung der Kindererziehungszeiten keine Annäherung der niedrigen Frauenpensionen an die der Männer bewirken können. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass die in Österreich von Anfang an praktizierte additive Anrechnung der Kindererziehungszeiten keinen Anreiz gegen eine Erwerbstätigkeit darstellt, sondern Versorgungsarbeit bei erwerbstätigen und in dieser Phase nicht erwerbstätigen Müttern in gleicher Weise bewertet. 80 Die kostenlose Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Angehörigen in der Krankenversicherung ist ein typischer Bestandteil des male breadwinner-Modells. 2000 wurde der kostenlose Zugang auf EhegattInnen (und auf Antrag auch LebensgefährtInnen), die Betreuungsaktivitäten nachweisen können, beschränkt. Diese Betreuungstätigkeiten müssen aber nicht aktuell ausgeübt werden, es reicht, wenn sie sich in der Vergangenheit mindestens vier Jahre hindurch der Erziehung eines oder mehrerer im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder gewidmet haben.
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Betreuungsarbeit und Arbeitsmarktpartizipation
Die Übernahme und Ausübung von Care beeinflusst weibliche Erwerbskarrieren81 und trägt zum Gender Gap bei. Allerdings ist die Beziehung zwischen Care und Erwerbsarbeit keinesfalls so eindeutig und eindimensional, wie auf den ersten Blick erwartet werden könnte. Die Identifizierung unterschiedlicher Care-Regimes (siehe Kap. 4.1) verweist darauf, dass die Sozialpolitik mit der Art und Weise, ob und wie Care reguliert und gefördert wird, auch die Arbeitsmarktchancen der hier Tätigen mitgestaltet. Werfen wir einen kurzen theoretischen Blick auf die Kategorien services, money und time-off. Der formelle Betreuungssektor bietet Beschäftigungsmöglichkeiten, die bislang vor allem von Frauen genutzt werden. Daraus folgt ein doppelt positiver Effekt der Überführung von Care-Tätigkeiten in den Erwerbsarbeitsmarkt auf die weibliche Arbeitsmarktpartizipation: Sie ermöglicht Frauen die Aufnahme einer Beschäftigung, und sie schafft selbst Jobs.82 Von services gehen daher überwiegend positive Effekte auf die weibliche Arbeitsmarktpartizipation aus.83 In Bezug auf die zeitlichen Freistellungen für Eltern oder Pflegepersonen hängen die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von den konkreten Bedingungen ab, d.h. insbesondere von den Wiedereinstiegsoptionen. Regelungen, die zwar den Ausstieg bzw. die Unterbrechung unterstützen, aber kein bzw. wenig Augenmerk auf die Ausgestaltung der Unterbrechungsphase (Kontakte mit Betrieb, Informationen, Aushilfen etc.) und insbesondere auf den Wiedereinstieg (Behaltefrist, Wiedereinstiegshilfen) legen, können zu langen Unterbrechungen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Frauenerwerbsbeteiligung führen. Transferleistungen sind schließlich zu einem gewissen Grad substitutiv zu Dienstleistungen. Die Auswirkungen auf die Frauenerwerbstätigkeit sind trotzdem nicht einfach prognostizierbar, da es auch hier wesentlich auf die Rahmenbedingungen ankommt, insbesondere darauf, ob diese Transferleistungen arbeitsmarktbezogen sind (z. B. Karenzgeld als Versicherungsleistung) oder damit anteilsmäßig Betreuungsleistungen unabhängig von der Arbeitsmarktpartizipation der Betreuungsperson „bezahlt“ werden. Die empirische Evidenz zum Zusammenhang von (Kinder-)Betreuung und Frauenerwerbsarbeit ist folglich auch nicht eindeutig. Zwar kann von einem ausreichenden Betreuungsangebot auf eine hohe Frauenerwerbsbeteiligung geschlossen werden – die skandinavischen Staaten zeigen dies deutlich (Bettio/Prechal 1998, Maier 1998, Gerhard et al. 2003). Die umgekehrte Schlussfolgerung, dass ein geringes Betreuungsangebot mit einer niedrigen Erwerbsquote einhergeht, wird durch Länder wie Großbritannien, Portugal oder die Nieder81
Auf den in der Langzeitpflege quantitativ nicht unwesentlichen Anteil der Frauen im Pensionsalter, die ihre Partner betreuen, wird hier nicht näher eingegangen, weil sich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Gender Gap ergeben. Dennoch sei auf die wachsende Problematik in diesem Segment verwiesen (vgl. z.B. Theobald 2004). 82 Dieser positive Zusammenhang zwischen den services und der Frauenerwerbstätigkeit hat auch im Umkehrschluss eine bestimmte Relevanz und wird in der Diskussion des sogenannten service gap sichtbar (vgl. Bosch 2002 für Deutschland). Esping-Anderson (1996) sieht im niedrigen Ausmaß öffentlich angebotener oder geförderter sozialer Dienstleistungen eines der zentralen Probleme des konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaates (Deutschland, Österreich). 83 Dies ist nicht gleichbedeutend mit positiven Effekten auf den Gender Gap Einkommen: Auch die im formellen Arbeitmarkt angebotenen Care-Tätigkeiten werden im Vergleich zu anderen Dienstleistungen relativ schlecht bezahlt, d.h. unterbewertet (vgl. England et al. 2002).
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Gender Gap und Care
lande widerlegt (Gerhard et al. 2003). Selbst für die skandinavischen Staaten gilt, dass sich die konkrete Erwerbssituation von Frauen zwischen den einzelnen Staaten bei ähnlichem Betreuungsangebot deutlich unterscheidet (z.B. Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung).84 Daraus kann geschlossen werden, dass das jeweilige wohlfahrtsstaatliche Regime die Frauenerwerbstätigkeit beeinflusst und dass dieser Einfluss tendenziell zugenommen haben dürfte (Pfau-Effinger 1998 und 2001). Aber es ist nicht möglich, verallgemeinerte Aussagen über die Art dieses Zusammenhangs abzuleiten, zu sehr dürften die jeweils spezifischen Bedingungen im Gefüge von Staat, Markt und Familie ausschlaggebend sein. Für Österreich lässt sich jedenfalls aus den vorhergehenden Ausführungen ableiten, dass das Schwergewicht der öffentlichen Unterstützung von Betreuungsleistungen auf Transferleistungen und – mittlerweile abgeschwächt – auf Freistellungen liegt, während der entsprechende Dienstleistungsbereich relativ gering dimensioniert ist. Sowohl das frühere als auch das aktuelle Karenz- bzw. Kindergeldsystem beinhalten Anreize in Richtung einer langen und vollständigen Unterbrechung, die ihrem Charakter nach eher einem Ausstieg gleichkommt.85 Insbesondere für gering qualifizierte Frauen mit geringen Einkommenskapazitäten am Erwerbsarbeitsmarkt dürfte sich der Wiedereinstieg verschieben, weil für diese Gruppe der Anreiz der monetären Leistung stärker wirken dürfte als die arbeitsrechtliche Vorgabe der maximal zweijährigen Karenzzeit, während der sie Kündigungsschutz und das Wiedereinstiegsrecht haben (siehe Kap. 4.3). In der Beschäftigungsentwicklung bei den Müttern werden Unterbrechungen sowie der Übergang zur Teilzeitbeschäftigung im Anschluss an Unterbrechungen sichtbar (siehe Kap. 2.1). Dass durch lange Ausstiege und teure Wiedereinstiege86 volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, darüber gibt es in Österreich bis dato keine Diskussion und keine wissenschaftliche Aufarbeitung im Sinne mikro-ökonometrischer Studien. Alteneder et al. (2003) erstellten eine erste Abschätzung der Beschäftigungseffekte einer umfassenden Kinderbetreuung. Sie berechneten auf der Basis der im Mikrozensus 2002 festgestellten fehlenden Kinderbetreuungsplätze, wie viele Arbeitsplätze durch die Aufhebung dieses Defizits entstehen würden, sowie wie viele Mütter infolge des vermehrten Angebots eine Beschäftigung aufnehmen könnten. Insgesamt kommen die AutorInnen auf ein zusätzliches Arbeitsangebot von rund 25.000 Personen und zusätzliche Arbeitsplätze von rund 12.700 Stellen (teilweise Teilzeitstellen). Diese im Grunde sehr simple Rechnung zeigt zumindest einmal mögliche Potenziale auf, an die weitere Berechnungen anknüpfen könnten.87 Für Deutschland können 84 Dies erklärt zum Teil die Schwierigkeiten, eindeutige Aussagen zu unterschiedlichen Typen von CareModellen ableiten zu können (vgl. Antonnen/Sipilä 1996). Es wäre notwendig, die europäischen Staaten nicht nur hinsichtlich ihrer spezifischen Betreuungsmodelle zu untersuchen, sondern die jeweilige Verknüpfung mit dem Erwerbsarbeitsmarkt konkret einzubeziehen. 85 Wie sehr die neuen Wahlmöglichkeiten beim Kinderbetreuungsgeld – kürzerer Bezug bei höherer Geldleistung – diesen Anreizen entgegenwirken, ist derzeit noch nicht absehbar. Im Juni 2008 befanden sich immer noch mehr als 150.000 KinderbetreuungsgeldbezieherInnen im alten Modell (30 + 6 Monate), nur 11.000 haben sich für die Variante 20 + 4 Monate entschieden, nur rund 4.500 für die kürzeste Variante (15 + 3 Monate mit 800 Euro Kinderbetreuungsgeld monatlich, vgl. www.bmgfj.gv.at). Wenn allerdings die Defizite bei den Betreuungseinrichtungen für unter 3-Jährige in die Analyse einbezogen werden, ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich. 86 Wenn der Wiedereinstieg nicht unmittelbar nach der Karenz erfolgt, ist häufig eine Requalifizierungs- oder zumindest Orientierungsmaßnahme im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik erforderlich. 87 Insbesondere müssten die Kosten- und Einsparungseffekte berechnet werden. Auch die Errichtung der Infrastruktur für die zusätzlichen Betreuungsplätze ist mit Kosten und Arbeitsmarkteffekten verbunden. Alteneder et al. 2003 geben auch nur eine grobe Abschätzung an, ob der Arbeitsmarkt für das zusätzliche Arbeitsangebot aufnahmefähig wäre. Die allerdings im Forschungsfeld der aktiven Arbeitsmarktpolitik angesiedelte Studie für
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Büchel und Spieß (2002 und 2002a) belegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Vollzeiterwerbsarbeit oder einer reduzierten Erwerbsarbeit von dem Angebot in Kindertageseinrichtungen signifikant beeinflusst wird.88 Spieß et al. (2002) zeigen anhand der Einnahmenund Einspareffekte der öffentlichen Haushalte volkswirtschaftliche Potenziale auf.89 Daten zur Arbeitsmarktpartizipation von in der Langzeitpflege engagierten Personen sind nur auf der Basis einzelner Studien vorhanden (Österle et al. 2001, Nemeth/Pochobradsky 2004). Rund 80% dieser informell Pflegenden sind Frauen, knapp 60% sind im erwerbsfähigen Alter, aber nur ein knappes Drittel ist tatsächlich erwerbstätig, überproportional in Teilzeitbeschäftigungen. Die Pflegepersonen, die PflegegeldbezieherInnen in den Stufen 6 oder 7 betreuen, sind faktisch kaum erwerbstätig. 13% der Pflegenden haben ihre Berufstätigkeit aufgrund ihrer Betreuungstätigkeit reduziert bzw. mehrheitlich sogar ganz aufgegeben. Blumberger/Dornmayr (1998) haben vorgeschlagen, einen Teil des Pflegegeldes in der Form von Gutscheinen auszugeben, deren Einlösung an sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und andere Bedingungen geknüpft ist. Auf diese Weise könnte ein Teil der bisher informell erbrachten Dienstleistungen in den Erwerbsarbeitsmarkt verlagert und formelle Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese teilweise Umwandlung von Geld- in Sachleistungen wurde jedoch bislang in der öffentlichen Diskussion deutlich abgelehnt.
E
Zwischenresümee
Die vorliegenden Daten lassen den Schluss zu, dass die bisherige wohlfahrtsstaatliche Ausgestaltung von Care in Österreich die Erwerbstätigkeit von Frauen eher behindert denn unterstützt oder gar fördert. Die Daten zur Frauenerwerbstätigkeit (siehe Kap. 2) weisen darauf hin, dass diese „Behinderung“ weniger quantitativ zum Ausdruck kommt (Erwerbsquotenanstieg durch Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung und freie Dienstverträge, durch Zählung der Kindergeldbezieherinnen) als sich vielmehr qualitativ manifestiert – d.h. den Gender Gap Einkommen, Berufskarriere, Arbeitszeit mitverursacht. Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zum skandinavischen Care-Regime, das explizit sowohl die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen als auch eine egalitäre Gleichstellungspolitik verfolgt, werden die Arbeitsmarktpotenziale des Betreuungssektors in Österreich wenig genutzt und eine gleichstellungspolitische Perspektive auf Care fehlt nahezu zur Gänze (siehe dazu Kap. Wien von Leichsenring et al. 1997 enthält eine finanzwissenschaftlich orientierte Kosten-Nutzenrechnung für mehrere Maßnahmen des Arbeitsmarktservice zur Förderung der Kinderbetreuungseinrichtungen. 88 Vorhandene Studien zu den Auswirkungen von Kinderbetreuungseinrichtungen berücksichtigen häufig die Verfügbarkeit derselben nicht: „Die Ergebnisse (einer Studie, die Verfügbarkeit berücksichtigt, M.K.) zeigen u.a., dass eine bessere Verfügbarkeit die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit erhöht und auch zu einer höheren Zufriedenheit mit der Erwerbstätigkeit führt.“ Für Studien zum Thema gilt generell: „Sofern die Verfügbarkeit von nicht elterlichen Betreuungsformen erfasst worden ist, wirkt diese sich positiv auf eine Erwerbstätigkeit aus“ (Büchel/Spieß 2002a, 21). 89 Die potenziellen Einnahmen- und Einspareffekte, die resultieren, wenn derzeit arbeitslose Mütter arbeiten gingen, sind „erheblich“ und resultieren aus der erhöhten Erwerbstätigkeit erwerbswilliger Mütter infolge einer verbesserten Kinderbetreuungsinfrastruktur, der Nachfrage nach Fachkräften aus den Betreuungseinrichtungen und der Arbeitsaufnahme von zuvor transferbeziehenden Müttern und Alleinerziehenden. Dieser volkswirtschaftliche Nutzen müsse in der Diskussion um den Ausbau der Betreuungseinrichtungen den Kosten gegenübergestellt werden.
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4.3). Auch die institutionellen Änderungen in Österreich im vergangenen Jahrzehnt deuten weniger darauf hin, die Arbeitsmarktpotenziale des Betreuungssektors zu entwickeln und zu nutzen, als in die Richtung einer Stärkung von Betreuungsrechten und Wahlmöglichkeiten zur Ausübung von familiärer Betreuungsarbeit.90 Wie eine solche Aufwertung theoretisch konzipiert werden kann, und wie weit dies für Österreich tatsächlich der Fall ist, soll im Folgenden untersucht werden.
4.2.2 Aufwertung und Bewertung informeller Betreuungsarbeit: Caregiving Parity Die betreuungsbezogenen Reformen des vergangenen Jahrzehnts führen zur Frage, ob Österreich den Weg in Richtung eines neuen Care-Arrangements betreten hat. Um diese Frage beantworten zu können, soll ein Modell dargestellt werden, das sich als Referenzpunkt für ein solches „neues“ Arrangement zu eignen scheint. Die Politologin Nancy Fraser (1994, dt. 1996) hat ein „postindustrielles Gedankenexperiment“ unternommen, um von der alten Geschlechterordnung, d.h. dem breadwinner-Modell als Ursache der aktuellen Krise des Wohlfahrtsstaates zu einer neuen Geschlechterordnung im postindustriellen Wohlfahrtsstaat zu gelangen. Diese neue Ordnung soll dem von ihr umfassend definierten Kriterium der Geschlechtergleichheit Rechnung tragen. Die emanzipatorische Vision Frasers dient als Ausgangspunkt für die folgenden konzeptionellen Überlegungen zur Entwicklung eines „neuen“ Betreuungsmodells.
A
Caregiving Parity nach Nancy Fraser
Fraser (1994) unterscheidet zwei mögliche Wege hin zum postindustriellen Wohlfahrtsstaat: das Modell der allgemeinen Erwerbstätigkeit (Universal Breadwinner Model), in dem die Geschlechtergleichheit über eine nachholende Arbeitsmarktintegration der Frauen in Analogie zu den Männern hergestellt werden soll, und das Betreuungsmodell oder Caregiving Parity Model, in dem Frauen verstärkt soziale Rechte auf der Basis der Pflege- und Betreuungsarbeit in der Familie und am informellen Arbeitsmarkt zugestanden werden sollen. Frauen würden ohne Umweg über den formellen Arbeitsmarkt direkten Zugang zum sozialen Sicherungssystem finden, dieser Arbeitsbereich würde eine Auf- bzw. Neubewertung erfahren.91 Das grundlegende Ziel von Caregiving Parity ist nicht wie bei der Arbeitsmarktintegration die Angleichung der Frauen an die jeweilige (männliche) Norm der Erwerbsarbeit, sondern die Verringerung der Kosten der Differenz (im Idealfall wären die Kosten Null) über die Gleichstellung von Betreuungsarbeit mit Erwerbsarbeit. Frauen, die Betreuungsarbeit zu bewältigen haben, sollen befähigt werden, sich selbst und ihre Familie auch tatsächlich auf der Basis der Betreuungsarbeit zu erhalten. Da Betreuungsarbeit relativ selten die gesamte Erwerbsphase ausfüllt, bedarf es als Ergänzung einer Durchlässigkeit zum Ar90 Die einzige merkbare Initiative in Richtung Nutzung der Arbeitsmarktpotenziale war die sogenannte „Kindergartenmilliarde“ in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. 91 Auf das Arbeitsmarktintegrationsmodell kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. z.B. Kreimer 2000). Die Politik einer forcierten Arbeitsmarktintegration müsste insbesondere bei der Frage der Müttererwerbstätigkeit ansetzen (vgl. z.B. Gornick et al. 1997, Fagan/Rubery 1996, Klammer 2001, Gerhard et al. 2003).
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beitsmarkt, insbesondere in der Form von Teilzeitjobs. Die in gewissem Sinn einfachste Maßnahme, mit der nicht nur Betreuungsarbeit abgesichert werden könnte, wäre ein Grundeinkommen, aber auch ein Erziehungsgehalt oder eine Pflichtversicherung für im Haushalt Tätige sind hier anzuführen. Entscheidend ist zum einen die Kontinuität aller grundlegenden Versicherungsleistungen und Transfers trotz flexibler Karrieren. Zum anderen müssen diese Leistungen eine entsprechende Höhe aufweisen, um tatsächlich dem Anspruch, die Kosten der Differenz zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit deutlich zu verringern, gerecht zu werden. Eine Umsetzung dieses Modells würde das Sozialsystem merkbar verändern, denn dem erwerbszentrierten System müsste ein zweites, betreuungszentriertes System beigestellt werden.92 Fraser (1994) entwirft zur Bewertung der Modelle eine umfassende Definition der Geschlechtergleichheit über deren Beitrag zur Bekämpfung von Armut und Ausbeutung, zur Gleichstellung beim Einkommen, der Freizeit und der Achtung bzw. Anerkennung der Arbeitsleistung sowie zur Bekämpfung der Marginalisierung und des Androzentrismus. 93 (siehe Kap. 5.3.1 für Details). Caregiving Parity ermöglicht eine bessere eigenständige soziale Absicherung von Frauen im Vergleich zur derzeitigen Situation, somit auch einen gewissen Schutz vor Ausbeutung und geringere Abhängigkeit vom „Ernährer“. Zudem wird das Kriterium der gleichen Achtung gestärkt, weil die Arbeit von Frauen eine erhöhte Anerkennung findet.94 Die zentralen Vorteile von Caregiving Parity liegen in der vergleichsweise geringeren Gesamtarbeitsbelastung für Frauen, d.h. mehr Gleichheit der Geschlechter bei der Freizeit, und in einem Abrücken von einer überhöhten männlichen Norm (Androzentrismus), weil die von Frauen geleistete Arbeit im informellen Sektor der Ökonomie mehr ins Zentrum gerückt wird. Wenn Frauen auf der Basis von Betreuungsarbeit über eigene Ressourcen verfügen können, bedeutet dies jedenfalls einen Machtgewinn für Frauen im Haushaltszusammenhang. Die wesentlichen Nachteile dieser Strategie liegen in der damit verbundenen Festschreibung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung: Es könnte eine Art mommy track im Erwerbsarbeitsbereich (Fraser 1994) geben, der vor allem für Mütter relevant ist, die neben der Betreuungsarbeit bzw. in bestimmten Lebensphasen erwerbstätig sind, aber nicht der Norm des vollzeitigen, kontinuierlichen Typs (breadwinner-track jobs) entsprechen. Das Eindringen von Frauen in die qualifizierten Arbeitsmarktsegmente ist schwierig, weil ökonomisch klare Anreize in Richtung Spezialisierung eines Partners auf Erwerbsarbeit im breadwinner-track statt partnerschaftlicher Teilung beider Arbeitsbereiche bestehen. Auch nach der Aufwertung bleibt die Betreuungsarbeit voraussichtlich Frauenarbeit und schränkt daher ihre Partizipation am allgemeinen Erwerbsarbeitsmarkt ein. Damit dürfte die vorhandene Marginalisierung von Frauen in Politik und Gesellschaft verstärkt werden. Die Gefahr besteht letztlich darin, dass damit nicht eine ausreichende und annähernd der Erwerbsarbeit entsprechende Absicherung von Betreuungsarbeit erreicht wird, sondern vielmehr eine (verbesserte) Neuauflage des breadwinner-Modells, in dem die individuelle Abhängigkeit teilweise durch eine politisch-prekäre Abhängigkeit vom Sozialstaat ersetzt wird (Mairhuber 2000a). Selbst wenn es zu einer Ergänzung des erwerbszentrierten Systems um eine 92 Noch massiver wären die Änderungen im Fall eines Grundeinkommens, das auch die Erwerbszentrierung weitgehend auflösen würde. 93 Für eine ausführliche Darstellung der Kriterien Frasers siehe Kap. 5.3.1; zu den Vor- und Nachteilen der beiden Modelle vgl. Kreimer 2000 und Mairhuber 2000a. 94 Diese beiden Argumente gelten für Universal Breadwinner analog, bei allen anderen Kriterien unterscheiden sich die beiden Modelle, vgl. Fraser 1994, Kreimer 2000a.
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betreuungszentrierte Schiene in ausreichender und existenzsichernder Form kommt, bleibt das Faktum bestehen, dass dieses Modell die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf Dauer zementiert. Fraser (1994) kommt zum Schluss, dass weder Caregiving Parity noch Universal Breadwinner die vollständige, gleichberechtigte Teilnahme von Frauen am wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Leben fördert und keines der Modelle Veränderungen von den Männern im Sinne der Übernahme bisher traditionell weiblicher Tätigkeiten verlangt. Sie stellt darauf aufbauend Überlegungen an, wie ein Integrationsmodell aussehen könnte, das die Nachteile der beiden Modelle vermeidet: das Modell der universellen Betreuungsarbeit oder Universal Caregiving. „A third possibility is to induce men to become more like most women are now – that is, people who do primary care work. …. The key… is to make women’s current life patterns the norm“ (ebd., 611). Entscheidend sind Maßnahmen „that discourage free riding“ und zwar von „men of all classes who shirk care work and domestic labor, and especially corporations who free ride on the labor of working people, both underpaid and unpaid“ (ebd., 613).95 Dennoch bleiben Caregiving Parity und Universal Breadwinner für die kurz- und mittelfristige Wohlfahrtsstaatenreform relevante Modelle. Kehren wir zur Thematik der Arbeitsteilung zurück und betrachten ersteres unter dieser Perspektive: Unter den Rahmenbedingungen eher kleiner Gestaltungsspielräume der Sozialpolitik ist es sehr wahrscheinlich, dass Caregiving Parity zu keiner essentiellen Veränderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung führen dürfte, sondern dass sich diese im Zusammenspiel mit Flexibilisierungstendenzen im Erwerbsarbeitsmarkt eher asymmetrisch verfestigt. Bei aller Skepsis hinsichtlich der Potenziale zur Änderung der Arbeitsteilung kann Caregiving Parity dennoch einiges in Bewegung bringen: eine Reduktion des Gender Gap über die Besserstellung betreuender Frauen und damit einen Schritt in Richtung eines umfassenderen Konzepts von inclusive citizenship (Knijn/Kremer 1997, Lewis 2002). Schließlich bringt Caregiving Parity mit einiger Wahrscheinlichkeit Verbesserungen in fünf der von Fraser entwickelten Dimensionen von gender equity mit sich (Fraser 1994, 612). Insofern ist dieses Modell ein Fortschritt gegenüber der male breadwinnerOrganisation und seiner modernisierten Varianten, und es trifft sich mit Forderungen aus der Frauenbewegung nach Anerkennung und Aufwertung von Reproduktionsarbeit. Auch die kulturellen Normen und Werte rund um „Mutterschaft“ eines Teils der österreichischen Bevölkerung würden mit Caregiving Parity vermutlich gut übereinstimmen.96
B
Parent/Worker Model und Caregiver Social Wage Model
Lewis/Hobson (1997) haben Frasers Modelle als Ausgangspunkt gewählt und ihre Überlegungen auf die Situation Alleinerziehender hin spezifiziert. Sie schlagen einen Rahmen für 95
Ein ähnliches Szenario wurde von niederländischen SozialwissenschaftlerInnen entwickelt, vgl. Advisory Council 1996, Kreimer 1999, 247ff, sowie Kap. 5.3. 96 Das Leitbild der Kleinkindbetreuung durch die Mutter und ebenso das der nachmittäglichen Betreuung von Schulkindern in der Familie kommt in diesbezüglichen Befragungen deutlich stärker hervor als das Leitbild der berufstätigen Mutter oder das einer egalitären Arbeitsteilung im Haushalt (siehe auch Kap. 3.2). Ohne diese Meinungsäußerungen jetzt als stabile Präferenzen zu interpretieren (siehe Kap. 3.5 und 4.1) muss dennoch beachtet werden, dass ein eher traditionelles Bild von Mutterschaft noch immer häufiger zu finden sein dürfte als ein Selbstverständnis gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern.
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Betreuungsregimes vor, an dessen Enden ebenfalls zwei Modelle stehen: das Parent/Worker Model und das Caregiver Social Wage Model. Diese bezeichnen die Bandbreite, innerhalb der der Wohlfahrtsstaat Betreuungsaktivitäten anerkennen und im Sinne eines Social Wage unterstützen kann, und beide stellen somit mögliche Strategien für die Organisation bezahlter und unbezahlter Arbeit dar. "The caregiver social wage model assumes that all mothers will be carers and that lone mothers are entitled to care benefits equivalent to an adequate wage for the duration of the childrearing years“ (Lewis/Hobson 1997, 15). Das Caregiver Social Wage Modell würde in Analogie zu Caregiving Parity die Wahl einer ausschließlichen Betreuungsperiode ohne Zwang zur Arbeitsmarktpartizipation ermöglichen, d.h. in der Ablösung des male breadwinner-Modells den fehlenden „Ernährer“ durch Sozialpolitik ersetzen.97 Ob das auch für eine gleichstellungspolitische Perspektive Gültigkeit haben kann, ob also staatliche Sozialpolitik den fehlenden Partner in einem egalitär angelegten Arbeitsteilungsmodell zu Care ersetzen kann und soll, bleibt offen.98 Im Kontrast dazu sieht das Parent/Worker Model Mütter als Erwerbstätige, denen über Betreuungseinrichtungen und Freistellungsregelungen diese Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie ermöglicht und leistbar gemacht wird. Insbesondere alleinerziehende Mütter bedürfen einer Förderung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, d.h. "social wage to make labour market participation possible“ (ebd., 16). Die Qualität der beiden idealtypischen Care-Regimes lässt sich an drei Kriterien festmachen: dem Armutsrisiko alleinerziehender Mütter, der Möglichkeit der individuellen Hausstandsgründung und dem Ausmaß der Stigmatisierung.
C
Caregiving Parity für alle? Überlegungen zur Wahlfreiheitsdebatte
Die von Fraser (1994) entworfenen Entwicklungsperspektiven des post-fordistischen Wohlfahrtsstaates sind als Referenzsysteme zu sehen, die sich in keinem Staat ausschließlich finden lassen. Jeder Wohlfahrtsstaat weist Elemente des allgemeinen Erwerbsarbeitsmodells ebenso auf wie Aspekte von Caregiving Parity und selbst solche des Universal Caregiving Modells. Allerdings treten diese Elemente ganz unterschiedlich stark zum Vorschein, und der jeweilige Mix kann sich durch sozialpolitische Reformen deutlich verändern.99 Diese Gleichzeitigkeit mehrerer Betreuungsregimes (bzw. von Ansätzen, die auf diese schließen lassen) trägt der zunehmenden Heterogenität von Erwerbs- und Betreuungssituationen Rechnung. Caregiving Parity setzt unmittelbar am Recht zu betreuen an. Aber es ist klar, dass dieses Modell nicht für alle Individuen, die Betreuungsaufgaben übernehmen, gleichermaßen Gültigkeit haben kann. Das Recht nicht zu betreuen bringt diesen Aspekt zum Aus97
Die Konzeption von Lewis/Hobson (1997) ist klar auf Alleinerzieherinnen hin ausgerichtet, die durch die Auflösungstendenzen des Ernährermodells einerseits, aber auch durch Tendenzen hin zum liberalen Wohlfahrtsregime andererseits besonders unter Druck kommen. Für Mütter in Partnerschaften liest sich die Charakterisierung des Caregiver Modells wie eine Neuauflage des modernisierten Ernährermodells (siehe Table 0.2 in Lewis/Hobson 1997). Dies verweist auf theoretische Probleme die soziale Integration von Müttern in Partnerschaften adäquat zu konzipieren, ohne mehr oder weniger stark auf breadwinner-Elemente zurückgreifen zu müssen (Lewis 2002, Kreimer/Schiffbänker 2005). 98 Diese Frage verdeutlicht die Herausforderung, die die spezifische Situation Alleinerziehender für die Konzeption einer neuen, geschlechtergerechten Arbeitsteilung darstellen: Wer soll tatsächlich den zweiten Part in einem "Halbe-Halbe" Arrangement übernehmen? Vgl. dazu Lewis 1997, Albelda et al. 2004. 99 Vgl. z.B. Bothfeld 2004 für eine Analyse von Frankreich und Deutschland mit der Typologie von Fraser.
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druck – beispielsweise wollen nicht alle Mütter eine „Betreuungskarriere“. Im Sinne eines umfassend definierten citizenship-Konzepts dürften vom Wohlfahrtsstaat keine Anreize in die Richtung nur eines Care-Modells ausgehen. Ein neues Care-Arrangement für Österreich könnte zwar infolge der großen Bedeutung informeller Betreuungsarbeit einen Schwerpunkt auf Caregiving Parity legen, um insbesondere die mangelnde soziale Absicherung und die knappe Einkommenssituation derzeit Betreuender deutlich zu verbessern. Aber es kann sich nicht darauf beschränken, sondern müsste auch Rahmenbedingungen für jene verbessern, die das Recht nicht zu betreuen in Anspruch nehmen wollen. Der Wohlfahrtsstaat sieht sich einer doppelten Herausforderung gegenüber, als er zum einen den Individuen nicht ein bestimmtes Care-Modell aufzwingen soll, zum anderen adäquate Bedingungen für mehrere Modelle sicherstellen soll.
4.2.3 Paradigmatischer Wandel in Österreich? Entwickungstendenzen im CareArrangement I Caregiving Parity basiert auf sozialen Rechten der Betreuenden und auf deren Zugang zu Einkommen, Freizeit und Achtung in ähnlicher Weise, wie dies durch Erwerbsarbeit gewährt wird. Da Betreuungsphasen in der Regel befristet sind und vollständige Betreuungskarrieren aus verschiedenen Gründen kaum mehr angestrebt werden, bedarf es weiters Brücken zur und Kombinationsmöglichkeiten mit Erwerbsarbeit. Angesprochen sind informell Betreuende, also Individuen, die über längeren Zeitraum keine Erwerbsarbeit ausüben, um die Betreuungsaufgaben übernehmen zu können.100 Werden diese informell Betreuenden durch die Politik der vergangenen Jahre zum einen in der Betreuungsphase selbst, zum anderen in Hinblick auf ihre Arbeitsmarktchancen nach intensiven Betreuungsphasen besser gestellt? Die Konzeption der payments for care spricht vorerst dafür: Beide Instrumente haben in gewissem Sinn universellen Charakter, sie hängen nur vom Betreuungsbedarf ab; und beide Leistungen sind im europäischen Vergleich durchaus großzügig bemessen. Der erste Einwand betrifft den Zugang zum sozialen Sicherungssystem und betrifft beide Care-Bereiche: Die Geldleistungen ändern nichts an der mangelnden Einbindung informell betreuender im Sozialversicherungssystem. Die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung und die Altersversorgung hängen an der Existenz eines Ernährers. Die hohe Anzahl von Frauen ohne eigenen Pensionsanspruch verdeutlicht die Problematik einer fehlenden eigenständigen Absicherung für Frauen.101 100
Die Gruppe der informell Betreuenden lässt sich nur schwer fassen. Unselbständig Beschäftigte, die Elternkarenz in Anspruch nehmen, bleiben prinzipiell im Erwerbssystem integriert und sind daher keine informell Betreuenden im eigentlichen Sinn. Wenn jedoch über diesen Zeitraum hinaus die Erwerbstätigkeit unterbrochen wird und auch keine Arbeitssuche erfolgt, verlieren diese Personen den individuellen Zugang zur sozialen Absicherung. Die laut Mikrozensus rund 356.000 ausschließlich im Haushalt tätigen Frauen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) geben einen maximalen Referenzwert ab, der jedoch um jene Frauen bereinigt werden müsste, die keine Betreuungsaufgaben (mehr) ausüben, worüber allerdings keine genauen Daten vorliegen (vgl. Ausführungen zur Nichterwerbstätigkeit in Kap. 3.2). Die Mikrozensusangaben zum Lebensunterhalt sind nur eine Querschnittaufnahme und geben keinen Aufschluss darüber, ob diese Frauen (wieder) in den Erwerbsarbeitsmarkt einsteigen oder dies zumindest versuchen werden. Lebenslaufdaten, die über das Wechselspiel zwischen informellen Betreuungsphasen und formellen Erwerbsarbeitsphasen Auskunft geben könnten, liegen für Österreich nicht vor. 101 Im Jahr 2000 hatte fast jede vierte Frau über 60 Jahre (rund 380.000 Frauen) keinen eigenständigen Pensionsanspruch, sondern bezog allenfalls eine Witwenpension (Mairhuber 2000a, Wörister 2001, Schmid 2003).
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Caregiving Parity in der Kinderbetreuung?
Das Kinderbetreuungsgeld hat die Einkommensposition betreuender Frauen nicht verbessert: Es ist in der Höhe nicht existenzsichernd.102 Mit den neuen Wahlmöglichkeiten ab 2008 (kürzerer Bezug, höhere Leistung) kann sich diese Situation zwar verbessern, die maximal möglichen 800 Euro Kinderbetreuungsgeld pro Monat (bei der Variante 15 + 3 Monate) liegen aber immer noch unter der Armutsgefährdungsschwelle.103 Die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung setzt schon per Definition eine hauptversicherte Person voraus, die Anrechnung der Kindererziehungszeiten im Pensionssystem führt allein noch zu keiner ausreichenden Pension (Wörister 2001, Mairhuber 2000a, Schmid 2003). Für Teilzeitphasen infolge der Kinderbetreuung ist auch in der aktuellen Pensionsreform kein Ausgleich vorgesehen, sodass sich die Verlängerung des Durchrechnungszeitraums infolge laufender Pensionsreformen massiv auf die Pensionshöhen von Frauen mit diskontinuierlichen und durch Teilzeit geprägten Berufskarrieren auswirken wird. Auch die überproportionale Armutsgefährdung von Frauen wird dadurch kaum gemildert werden (Heitzmann/Schmidt 2004).104 Die Zuverdienstgrenze zum Kinderbetreuungsgeld schwächt dessen Charakter als universelle Leistung (Stelzer-Orthofer 2001) ebenso wie die relativ komplexe Verknüpfung mit der arbeitsrechtlichen Karenz. Was die Durchlässigkeit zwischen Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit betrifft, wird diese mit der Neuregelung der Karenz durch die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes verkompliziert: Die Abkoppelung der Geldleistung vom arbeitsrechtlichen Karenzierungsanspruch schafft massive Unsicherheit und erschwert den Wiedereinstieg (Lutz 2003), die Anreize zur Inanspruchnahme von Teilzeitkarenz wurden weiter reduziert. Lutz (2004) weist nach, dass die Unterbrechungsdauer in Anpassung an die Maximaldauer des Kinderbetreuungsgeldbezugs steigt und dass die Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Unterbrechung zunimmt.105 Lange Unterbrechungszeiträume unterstützen die Entwicklung marginalisierter Arbeitsmarktsegmente, in denen Teilzeitjobs zu relativ ungünstigen Arbeitsbedingungen (insbesondere Bezahlung, vgl. Lutz 2003a) angeboten werden, die jedoch den zweifelhaften Vorteil haben, mit Kinderbetreuungsaufgaben relativ gut vereinbar zu sein (Bettio/Plantenga 2004).106 Durch die Entkoppelung von Arbeitsmarktpartizipation und Betreuungsphase wird letztere tendenziell zu einem Substitut für Erwerbsarbeit für dazuverdienende Frauen in Partnerschaften (OECD 2003). Wenn diese Frauen jedoch über längere Zeit aus dem Beruf 102
Mit 436 Euro pro Monat liegt das Kinderbetreuungsgeld deutlich unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende von 747 Euro pro Monat (2008): liegt die Pension unter diesem Betrag, gebührt Alleinstehenden eine „Ausgleichszulage“ in der Höhe des Differenzbetrags; bei Ehepartnern liegt die Grenze höher, allerdings wird das Einkommen bzw. die Pension des Partners berücksichtigt. 103 Die Armutsgefährdungsschwelle, wie sie von der EU ausgewiesen wird, liegt bei rund 900 Euro pro Monat (www.statistik.at). 104 Für nicht erwerbstätige Mütter bzw. für einkommensschwache Familien verringert das Kinderbetreuungsgeld unmittelbar die Armutsgefährdung. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, zwischen kurzfristigen Effekten von Maßnahmen und den langfristigen Effekten der durch sie ausgelösten Anreize zu unterscheiden. 105 Basierend auf den Erfahrungen mit der Karenzverlängerung von einem auf zwei Jahre 1990 ist zu erwarten, dass die Probleme, in Vollzeitbeschäftigungen bzw. in Beschäftigungsverhältnisse mit Karriereperspektiven einzusteigen, massiv zunehmen werden (Neyer 1996). Ein Einstieg unmittelbar nach der zweijährigen Karenz gelang auch bisher nur rund einem Drittel der Frauen, ein Viertel dieser Frauen schaffte keinen stabilen Wiedereinstieg, sondern verlor den Job binnen eines Jahres (Neyer et al. 1999). 106 Als österreichisches Beispiel können geringfügige Beschäftigungen im Handel angeführt werden.
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ausscheiden oder nur geringfügig, d.h. ohne Sozialversicherung beschäftigt sind, gilt nach wie vor: Das System funktioniert solange, solange es einen „Ernährer“ gibt. Diese Entwicklung entspricht eher einer Modernisierung des breadwinner-Modells als einer Neuorientierung in Richtung Caregiving Parity. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Alleinerziehende selten über längere Zeit informelle Betreuungsarbeit leisten. Die wachsende Zahl der AlleinerzieherInnen hat weder die Wahlfreiheit sich für die Familialisierung (Rosenberger 2001) zu entscheiden, noch gewährt ihnen der österreichische Sozialstaat Rahmenbedingungen zur Erlangung individueller Autonomie (Strell/Duncan 2001, Kreimer/Schiffbänker 2005). Die Beschäftigungssituation alleinerziehender Mütter spiegelt ein Parent/Worker Model im Sinne von Lewis/Hobson (1997) wider, aber ohne social wage.107 Strell und Duncan (2001, 156) stellen zur Situation Alleinerziehender in Österreich fest: "They are forced into the labour market rather than enabled to take part in it, and their participation does not ensure social integration or an escape from poverty. Perhaps this can best be conceptualised as the ‘negative’ version of the Parent/Worker model, as opposed to the Lewis-Hobson ideal type which assumes positive outcomes for lone mothers."
B
Caregiving Parity in der Langzeitpflege?
Die Umsetzung von Caregiving Parity stellt im Bereich der Langzeitpflege eine weitaus größere Herausforderung dar, weil es keinen unmittelbaren Zugang informell Betreuender zu Geldleistungen und sozialer Absicherung gibt. Mit dem Pflegegeld anerkennt der Staat zwar die Kosten der familiären Pflege in einem bestimmten Ausmaß. Daher könnte auch dieses Instrument als Schritt in Richtung Caregiving Parity gesehen werden. Aber die Betreuenden selbst werden in der Konzeption des Pflegegeldes und auch der sonstigen Ausgestaltung der Langzeitpflege als mögliche AdressatInnen wohlfahrtsstaatlicher Gegenleistungen für ihre Tätigkeit weitgehend ignoriert. Die wenigen vorhandenen Daten geben Einblick in die schwierigen Konstellationen: Rund ein Viertel der Pflegepersonen hat sich aus Anlass des Pflegegeldes zumindest teilweise aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen. Mit nur 1,2% der Pflegenden in Privathaushalten wurden formale Arbeitskontrakte abgeschlossen, rund 40% erhielten regelmäßig informelle Zahlungen, großteils auf niedrigem Niveau. 40% der pflegenden Frauen waren über den Partner krankenversichert, mehr als 50% über den Partner im Alter abgesichert, 8% der Frauen verfügten über gar keine Pensionsversicherung108 (Holzmann-Jenkins 1999). 72% der Pflegepersonen fühlen sich zumindest ab und zu überlastet. Nur 14% der Betreuungspersonen geben an, von professionellen Diensten unterstützt zu werden (Badelt et al. 1997). Das Pflegegeld hätte zwar das Potenzial, als routed wages (Ungerson 1997) zu fungieren: Die Nachfragenden nach Betreuungsleistungen sollten die Mittel erhalten, um die Dienste der Betreuenden im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen zu bezahlen. Tatsächlich erhalten die Pflegenden meist nur ein symbolisches Taschengeld (Österle et al. 2001), nur ganz selten werden formale Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Diese Geld107
Sie sind mit Nachteilen im Karenzsystem (kein Partner für die für den zweiten Elternteil reservierten sechs Monate) und beim Pflegeurlaub (beide Eltern haben Anspruch auf diesen) konfrontiert. 108 Diese Erhebung wurde noch vor der Einführung der begünstigten Weiterversicherung für informell Pflegende durchgeführt.
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leistungen tragen eher zur Erhöhung sozialer Ungleichheit bei, weil sie aufgrund der fehlenden Bindung an Sachleistungen die inhärente Tendenz mit sich bringen, Pflege möglichst billig zu kaufen. Entsprechend steigt die Anzahl der besonders “billig” arbeitenden MigrantInnen und „GrenzgängerInnen“ aus den Nachbarländern Österreichs, die die 24Stunden-Pfelge in den Haushalten übernehmen. Die Annahmen, die hinter dem mit dem Pflegegeld abzudeckenden Pflegebedarf stehen, sind insofern problematisch, als sie dieses Lohndumping vorwegnehmen: In der Pflegestufe 4 werden 632,70 Euro monatlich ausgezahlt, dies entspricht nach den Einstufungsregeln des Gesetzes einem Betreuungsaufwand von 180 Stunden. Selbst wenn die betreuende Person das gesamte Pflegegeld erhalten sollte und nicht mehr als 180 Stunden leistet, kommt sie auf einen Bruttolohn von ca. 3,5 Euro, ohne sozialrechtliche Absicherung oder arbeitsrechtliche Ansprüche (wie ein Recht auf Urlaub). Betreuende in der Langzeitpflege sind in jenen Fällen, in denen ihre Tätigkeit mit einer Erwerbsarbeit nicht vereinbar ist, auf einen „Ernährer“ und/oder den Staat angewiesen. Die aus dem Pflegegeld resultierenden symbolic payments (Ungerson 1997) verstärken diese Abhängigkeit noch. Caregiving Parity ist hier keineswegs zu sehen, das Pflegegeld fügt sich aus der Sicht der informell Betreuenden in die Logik des male breadwinnerModells (vgl. Hammer 2002).
4.2.4 Erhöhung der Wahlfreiheit? Entwicklungstendenzen im Care-Arrangement II Wahlfreiheit wurde bei der Einführung der beiden monetären Leistungen für Pflege und Betreuung als zentrales politisches Argument verwendet. Im Fall des Pflegegeldes sollte die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen sichergestellt werden, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sie betreut werden, welche Leistungen sie zukaufen. Im Fall des Kinderbetreuungsgeldes sollte es Eltern freigestellt werden, Kleinkinder selbst zu betreuen oder das Geld für Betreuungseinrichtungen zu verwenden. Im Kontext der ökonomischen Entscheidungstheorie ist Wahlfreiheit eine Voraussetzung für rationale Entscheidungen: Individuen wählen aus einer Menge gegebener Alternativen (Betreuungsformen) diejenige aus, die ihre ebenfalls gegebenen Präferenzen maximieren. In einer sehr engen ökonomischtheoretischen Interpretation kann jedoch jedes Handeln ohne unmittelbaren Zwang als freiwillig und frei definiert werden (vgl. Peter 2002 und Kap. 3.6). Die Entscheidung, Kleinkinder durch die Mütter innerhalb der Familie zu betreuen, erscheint dann als Ergebnis der durch das Kinderbetreuungsgeld gewährleisteten Wahlfreiheit, nicht als Ergebnis indirekten Zwanges infolge fehlender Alternativen.
A
Wie reagiert der Markt auf payments for care?
Die massive Betonung von Wahlfreiheit von konservativer Seite hat aber auch eine über die individuelle Entscheidung hinausgehende Bedeutung: Mit der Geldleistung an Individuen statt der Investition in öffentliche Dienstleistungen wird dem neoliberalen Prinzip Ausdruck verliehen, wonach rationale Wahl am Markt jedenfalls leichter möglich ist als über den Staat. Während der Staat unter zunehmendem Legitimationsdruck steht und insbesondere die Effizienz seines Handelns nachweisen muss, wird unterstellt, dass der Markt einen
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Gender Gap und Care
Mechanismus gefunden hat, dezentral und ohne Zwang die Entscheidungen der Individuen zu koordinieren (Peter 2002, 155). Wenn Pflegebedürftige bzw. Eltern Dienstleistungen zukaufen wollen, werden sie dies als Nachfrage am Markt artikulieren, und der Markt wird entsprechend reagieren. Hammer/Österle (2001a) sprechen von „neoliberaler Gouvernementalität“, wonach über die Erhöhung von Kaufkraft durch staatliche Geldleistungen Wahlfreiheit hergestellt werden soll. Dies setzt einen vollkommenen Markt voraus, der alle Güter und Dienstleistungen in der gewünschten Qualität und Menge produziert. Der Staat delegiert damit auch seine Verantwortung für die Ausgestaltung des CareSektors an die Geldleistungen beziehenden Individuen (Daly 1997). Diese gestalten den Betreuungssektor über ihre Nachfrage, je nachdem, ob sie private Leistungen nachfragen, für informelle Betreuung bezahlen oder die Leistungen von Wohlfahrtsverbänden oder Kommunen kaufen, wird sich ein spezifischer Mix aus privaten und öffentlichen sowie formellen und informellen Dienstleistungen einstellen. Wenn, wie im Fall des Pflegegeldes, keine Bedingungen an dessen Verwendung geknüpft sind, sind die Nachfragenden völlig flexibel in der Verfolgung ihrer Betreuungswünsche (Ungerson 2003). Wie hat nun der österreichische Markt für soziale Dienstleistungen auf die payments for care reagiert? 1993 gab es ein regional stark differenziertes,109 insgesamt aber deutlich zu niedriges Angebot sozialer Dienstleistungen. Parallel zur Einführung des Pflegegeldes wurde daher auch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geschlossen, wonach die Länder für den weiteren Ausbau der Dienstleistungen verantwortlich sein sollten (Holzmann-Jenkins 1999). Diese Ausbaupläne wurden jedoch bei weitem nicht realisiert, es besteht nach wie vor ein klares Defizit an sozialen Dienstleistungen für den Bereich der Pflege in Privathaushalten. Diese Lücke tritt umso stärker hervor, wenn der potentiell ansteigende Bedarf an solchen ambulanten Diensten aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch der aus Kostengründen angestrebten Verlagerung von stationärer Pflege und Betreuung zur Pflege zu Hause miteinbezogen wird. Warum hat der „Markt“, d.h. in diesem Fall die bisherigen Anbieter (Wohlfahrtsverbände, Kommunen, private Anbieter), nicht entsprechend reagiert? Eine Begründung liegt in Preisreaktionen (Hammer/Österle 2001a): Durch das Pflegegeld erhöhten sich die pflegebezogenen Leistungen des Bundes immerhin um 64%, was als massive Aufwertung der gesellschaftlichen Verantwortung für die Langzeitpflege gesehen werden kann. Gleichzeitig erhöhten jedoch die AnbieterInnen sozialer Dienstleistungen die Preise bzw. erhöhten die die Dienstleistungen subventionierenden Länder die von den Nachfragenden zu leistenden Kostenbeiträge. Die Kaufkrafterhöhung bei den PflegegeldempfängerInnen wurde damit von den sozialen Diensten zur Aufrechterhaltung des Angebots, zur Erhöhung des Kostendeckungsgrades und damit zur Verringerung der Subventionierung auf Länderebene abgeschöpft. Wir haben es mit einem intergouvernementalen Transfer (ebd., 65) zu tun, der aber nach außen kaum sichtbar ist, weil das Geld durch die Hände der Betroffenen geht. Dazu kommt die Kaufkraftentwertung beim Pflegegeld selbst: Seit der Einführung 1993 wurde das Pflegegeld einmalig 2005 um 2% erhöht. Hintergrund dieses fehlgeschlagenen Versuchs, den Markt für soziale Dienstleistungen über die Kaufkraft der Nachfragenden auszubauen, ist u.a. die Kostenstruktur dieser Dienstleistungen, die nur in wenigen Bereichen ein Angebot ohne Subventionierungen ermöglicht (bzw. ohne Subventionierungen nur einer kleinen Schicht einkommensstarker Nachfragen109
Das Angebot sozialer Dienstleistungen fällt in die Kompetenz der Länder, ebenso das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen.
Reorganisation von Care in Österreich: Widersprüchliche Entwicklungen
227
den zugänglich wäre). Dass soziale Dienstleistungen im Pflege- und Betreuungsbereich „teuer“ sind, kann ökonomisch mit der fehlenden Substitutionsmöglichkeit von teurer Arbeit durch Kapital erklärt werden (Baumol’s disease, vgl. Rosner 2003, 177), was wiederum in den Besonderheiten dieser Tätigkeiten (siehe Kap. 4.1) begründet liegt. Es ist daher nicht überraschend, dass die Nachfrage infolge der schwierigen Bedingungen in diesem Marktsegment zu einem großen Teil außerhalb des Marktes landet. Dies gilt für die Kleinkinderbetreuung (informelle Tagesmütter) ebenso wie für den langfristigen Pflegebereich. Die Tendenz, wonach die „Befreiung über den Markt“ nur für einen Teil der Gesellschaft funktioniert (nämlich den relativ finanzstarken), während sich eine neue „Dienstbotinnengesellschaft für die anderen“ einstellt (vgl. Hammer/Österle 2001a, Odierna 2000, Lutz 2002), zeigt die Nichtneutralität des Wahlfreiheitarguments gegenüber Klassen- und Geschlechterverhältnissen. Die fehlende bzw. eingeschränkte Expansion sozialer Dienstleistungen beeinträchtigt die ursprünglich mit der Geldleistung angestrebte Wahlfreiheit massiv: Wahlfreiheit setzt die Existenz von Alternativen voraus, zwischen denen gewählt werden kann. Haben Betreuende bzw. Betreute eine Wahl?
B
Wahl wovon? Zur Frage der Alternativen
Die geschilderten Preiserhöhungen für soziale Dienstleistungen nach der Einführung des Pflegegeldes haben den Anreiz für PflegegeldbezieherInnen, informelle Pflege nachzufragen, deutlich erhöht. „Das Muster, soziale Dienste zu bezahlen, während von Angehörigen Gratisarbeit erwartet wird, zog sich durch eine ganze Reihe von Betreuungssituationen“ (Badelt et al. 1997, 137). Um diese Betreuungspersonen jedoch angemessen bezahlen zu können, ist das Pflegegeld für die überwiegende Mehrzeit der BezieherInnen zu niedrig, die Alternative der Überführung informeller Pflege über routed wages (Ungerson 1997) in formelle Beschäftigung blieb aus. Dies zeigt die grundlegende Werthaltung gegenüber Pflege deutlich auf. Für manche Dienstleistungen, wie Pflege in der Nacht oder generell 24Stunden-Versorgung, gibt es infolge von Regulierungen kein reguläres Angebot.110 Somit legen eine Reihe von Rahmenbedingungen es nahe, informelle Pflege zu „wählen“, was wohl einem eingeschränkten Verständnis von Wahlfreiheit entspricht.111 Dennoch, das right to be cared for wurde durch das Pflegegeld sicherlich gestärkt. Massiv eingeschränkt ist dagegen die Wahlfreiheit der Betreuungspersonen. Diese arbeiten in der Regel weit unter dem Marktpreis und, wenn sie zur Übernahme der Pflege ihre eigene Erwerbsarbeit aufgegeben haben, weit unter ihren eigenen Opportunitätskosten. Natürlich ist auch die Ablehnung eines Angebots eine Alternative, also die Wahl der exitOption.112 Dem würde im Kontext der Pflege- und Betreuungsarbeit das right not to care entsprechen (siehe Kap. 4.1). Ein solches Recht nicht zu betreuen kann nur realisiert wer110
Im Rahmen eines Projekts zu haushaltsnahen Dienstleistungen wurde dieses Defizit herausgearbeitet (Kreimer/Hartl 2004). Wohlfahrtsverbände sehen sich hier mit einer Nachfrage konfrontiert, die sie bei gegebenen Regulierungen und Kostenstrukturen nicht befriedigen können. 111 Das Pflegegeld dürfte am ehesten in den obersten Pflegestufen tatsächlich Handlungsfreiheit gewähren. Insbesondere dürfte dies auf jüngere schwer behinderte Menschen zutreffen (Millar/Warman 1995, 33f.). 112 Die mainstream-Neoklassik geht davon aus, dass Entscheidungen freiwillig sind in dem Sinn, insofern immer die Möglichkeit besteht ein Angebot abzulehnen, einen Vertrag zu kündigen, also eine exit-Option zu wählen (Peter 2002, 159).
228
Gender Gap und Care
den, wenn es entsprechende Alternativen gibt, d.h. hochwertige und leistbare soziale Dienstleistungen. Angesichts der Defizite im sozialen Dienstleistungsangebot in Österreich ist diese exit-Option nur für einen Teil der Betreuenden tatsächlich gegeben. Wahlfreiheit reduziert sich in der österreichischen Sozialpolitik auf eine leere Worthülse, die keinesfalls in die Richtung einer neuen sozialpolitischen Orientierung weist. Hammer/Österle (2001) verwenden das in Kapitel 4.1 eingeführte Konzept der Defamilialisierung, um die Situation in der Langzeitpflege in Österreich zu beschreiben. In ihrer Definition erfasst das Konzept „the potential of social policies to offer freedom of choice either to provide unpaid work within the family under conditions which secure an acceptable standard of living or not to provide unpaid care work and to secure an acceptable standard of living via labour force participation“ (ebd., 3). Defamilialisierung ist als Prozess aufzufassen, jedes Land nimmt eine spezifische Position ein. Für Österreich konstatieren sie erwartungsgemäß ein sehr niedriges Ausmaß an defamilialisierenden Maßnahmen, begründet in der mangelnden Absicherung für Betreuungspersonen. "As social service provision is not adequate and female access to paid work often hindered, freedom of choice not to provide informal care is still a long way to go“ (Hammer/Österle 2001, 12). Die Wahlfreiheit der Eltern in der Kleinkindphase, in der sie Kinderbetreuungsgeld beziehen können, ist angesichts der zuvor präsentierten Daten zum Angebot von Krabbelstuben und Kinderkrippen für Kinder bis drei Jahren klar beschränkt. Hinsichtlich der Realisierung von Alternativen durch die Nachfrage der Eltern kommt in diesem Betreuungsbereich den sozialen Normen in Bezug auf die Kinderbetreuung relativ große Bedeutung zu: Für Kinder bis drei Jahren gilt eine möglichst familiennahe Betreuung als Norm, die von den externen Formen am ehesten noch durch Tageseltern erfüllt werden kann. Das Kinderbetreuungsgeld selbst bzw. die politische Rhetorik seiner Einführung stützt und stabilisiert diese Norm.113 Für die Nachfragenden nach Betreuungsdienstleistungen würde ein Konzept von Wahlfreiheit, das ihnen die Wahl zwischen Geld- und Sachleistungen lässt, weitaus eher die Möglichkeit geben, mit ihrer Nachfrage den Markt zu gestalten. Ein Beispiel dafür ist Finnland, wo Eltern von Kindern unter drei Jahren Child Home Care Allowance beziehen können, bei gleichzeitiger Garantie eines Betreuungsplatzes (Daly 1997). Die Eltern haben das Recht auf einen Betreuungsplatz, verfügen also über das right not to care, das alleine auch noch keine Wahlfreiheit herstellt, denn es unterstützt jene nicht, die selbst betreuen wollen. Daher wurde in diesen Staaten für jene, die keine öffentliche Kinderbetreuung in Anspruch nehmen wollen, eine Geldleistung eingeführt. Beide Rechte sind somit gewährleistet: the right to care und the right not to care.114 In Deutschland gibt es in der Pflegeversicherung
113
Das mag mit ein Grund sein, warum die Nachfrage von Eltern nach Betreuungsplätzen in Krippen und Krabbelstuben nicht öffentlichkeitswirksam ist – dass sie besteht, zeigen zumindest die Wartelisten für die wenigen Krabbelstuben in städtischen Regionen. 114 Interessant ist das Beispiel Norwegen: Hier wurde 1998 nach heftigen Debatten ebenfalls ein cash-for-careSchema eingeführt, ohne dass es allerdings ein mit Finnland vergleichbares Angebot für Kinder unter zwei Jahren gegeben hätte. Dennoch hat diese Reform zu keiner merkbaren Arbeitszeit- oder gar Erwerbstätigkeitsreduktion von Müttern geführt, obwohl dies von den KritikerInnen der Reform befürchtet worden war. Ellingsæter (2003) führt dies darauf zurück, dass zum Zeitpunkt der Reform die Erwerbsquote der Frauen in Norwegen enorm hoch war und daher "to be employed thus was a real choice“ (ebd., 438). Sie folgert weiter: "There is a particular need to move beyond a simplistic model of economic rationality, the outdated opposition between ‘stay-at-homemothers’ and ‘working mothers’, and to better integrate labour market concerns“ (ebd., 439). Allerdings ist diese Schlussfolgerung insofern noch nicht auf Österreich übertragbar, als die Frauenerwerbstätigkeit noch deutlich
Reorganisation von Care in Österreich: Widersprüchliche Entwicklungen
229
die Wahlmöglichkeit zwischen Geld- und Sachleistungen (vgl. Theobald 2004). Die schon angeführten Vorschläge von Blumberger/Dornmayr (1998), einen Teil des österreichischen Pflegegeldes in der Form von Gutscheinen auszugeben, die gegen Sachleistungen eingetauscht werden würden, würden zwar keine Wahl zwischen Geld- und Sachleistungen ermöglichen, aber immer noch eine freie Wahl, wo und wie die Gutscheine eingelöst werden. In jedem Fall wären die Nachfragenden von der Aufgabe entlastet, mit ihrer Kaufkraft im Markt so starke Signale zu setzen, dass das entsprechende Angebot geschaffen wird bzw. werden muss.
4.2.5 Fazit: Weder Caregiving Parity noch Verbesserung der Wahlfreiheit Die beiden zu Beginn gestellten Fragen sind mit Nein zu beantworten: Durch die den Pflege- und Betreuungsbereich betreffenden Reformen der vergangenen Jahre in Österreich ist weder die Wahlfreiheit der Betreuenden bzw. der Betreuten deutlich gestiegen, noch haben sich im Sinne von Caregiving Parity ihre sozialrechtliche Absicherung und ihre Einkommenssituation verbessert. Der österreichische Wohlfahrtsstaat setzt nach wie vor Anreize in Richtung informeller Pflege- und Betreuungsarbeit, die unter gegebenen Bedingungen primär von Frauen geleistet wird und die zur Aufrechterhaltung geschlechtsspezifischer Benachteiligungsstrukturen beiträgt. „So most of the family support available is more a help for breadwinner husbands who are thereby better enabled to afford a home-making wife“ (Strell/Duncan 2001, 157). Bothfeld (2004) hat Veränderungen in den Care-Arrangements Frankreichs und Deutschland ebenfalls vor dem Hintergrund von Frasers Modellen untersucht und ist zur Feststellung gekommen, dass die Ausgangslage entscheidend ist: In Frankreich, in dem die Arbeitsmarktintegration von Frauen grundsätzlich außer Zweifel steht und daher ein Universal Breadwinner-Modell im Sinne von Fraser (1994) verfolgt wird, stellen auch einzelne Maßnahmen im Sinne von Caregiving Parity die Frauenerwerbstätigkeit nicht in Frage, sie stellen keinen Rückschritt in Richtung male breadwinner dar. In Deutschland, das ähnlich wie Österreich viel näher bei Caregiving Parity liegen dürfte, bewirken weitere Förderungen im Sinne von Caregiving Parity trotz paralleler Maßnahmen in Richtung des Integrationsmodells eher eine Schwächung der Arbeitsmarktintegration von Frauen.115 Die Sozialpolitik weist ein klares Modernisierungsdefizit auf: Sie baut über weite Teile noch immer auf dem „Ernährer“-Modell auf, obwohl gleichzeitig ökonomische, soziale und kulturelle Trends dieses Arbeitsteilungsmodell immer mehr auflösen, und die nuclear family-Orientierung der österreichischen Care-Politik zunehmend mit der Realität sich verändernder Familienstrukturen, Arbeitsmarktanforderungen und Finanzierungsproblemen
unter der norwegischen liegt und das norwegische Betreuungsangebot zwar hinter dem finnischen zurückliegt, aber mit rund 40% Betreuungsquote für Kinder unter zwei Jahren die österreichische Quote weit hinter sich lässt. 115 Bothfeld (2004) nennt als Maßnahme zur Stärkung von Caregiving Parity in Deutschland die Anpassung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld und die Anerkennung von Erziehungsphasen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Dem stehen Maßnahmen im Sinne von Universal Caregiving gegenüber wie die Anrechnung von Teilzeitphasen in der Rentenversicherung, eine Väterkampagne, Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und die schon erwähnte Budgetregelung beim Erziehungsgeld. Bothfeld sieht in Deutschland prinzipiell mehr Ansätze in Richtung Universal Caregiving als in Frankreich, die aber in ihren Wirkungen u.a. deshalb begrenzt bleiben müssen, weil die materiellen Anreize für eine Änderung der Arbeitsteilung nicht gegeben sind.
230
Gender Gap und Care
des sozialen Sicherungssystems in Konflikt gerät (z.B. Wörister 2001, Mairhuber 2000 und 2000a, Mühlberger 2000a). Potenziale für eine Neuorientierung wären vorhanden: Das Karenzsystem und sonstige Freistellungsregelungen weisen bereits Brückenfunktion zwischen Care und Erwerbsarbeit auf, die neuen Wahlmöglichkeiten beim Kinderbetreuungsgeld in Richtung kürzerer Bezug bei höherer Leistung stärken tendenziell sowohl Arbeitsmarktbezug als auch Existenzsicherung, ein öffentlich subventioniertes Angebot an Betreuungseinrichtungen und sozialen Dienstleistungen ist prinzipiell existent und ausbaufähig, über die Transferorientierung fließt zudem viel Geld in den Betreuungssektor. Anders eingesetzt könnte Österreich auch dem Bild eines women-friendly welfare state116 entsprechen. Generell gilt: „Staatliche Regulierung kann emanzipatorische Wirkungen nach sich ziehen, wohlfahrtsstaatliche Regelungen können gesellschaftlichen Wandel einleiten und vorantreiben“ (Leitner 1997, 143).
116 Die Bezeichnung women friendly welfare state wird vor allem zur Beschreibung der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten verwendet, siehe dazu genauer Kap. 5.3.
Gender Gap und Elternkarenz
4.3
231
Gender Gap und Elternkarenz Anfang oder Ende egalitärer Arbeitsteilung?117
Freistellungen118 von der Erwerbsarbeit zur Betreuung eines Kleinkindes nehmen innerhalb der Care-Debatte einen besonderen Stellenwert ein: Sie sind bislang die am weitesten entwickelten und institutionalisierten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sie anerkennen und ermöglichen die Ausübung des Rechts zu betreuen, im Fall der (im Folgenden unterstellten) bezahlten Freistellung erfolgt damit auch eine positive Bewertung dieser Tätigkeiten. Der Fokus liegt jedoch grundsätzlich auf der Erwerbsarbeitsmarktseite, d.h. das Ziel ist eine Unterbrechung der beruflichen Karriere von Eltern ohne Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses.119 Über die Brückenfunktion zwischen Erwerbsarbeit und Betreuungsarbeit hat die Elternfreistellung Potenziale in Richtung Abbau des Gender Gap in zweifacher Form aufzuweisen: Über eine entsprechende Ausgestaltung der Regelungen können einerseits Berufsunterbrechungen von Frauen deutlich abgefedert werden, sodass sich der Karriere-Gap verringern kann; andererseits können Väter für die Inanspruchnahme einer Freistellung gewonnen werden, was sich nicht nur auf den Karriere-Gap, sondern auch auf die asymmetrische Verteilung der Betreuungsarbeit und damit auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung deutlich egalisierend auswirken würde. Elternfreistellungen sind im europäischen Vergleich120 sehr heterogen verankert, die 1996 eingeführte diesbezügliche EU-Richtlinie gibt nur einen Mindeststandard vor.121 Einheitlich ist einmal mehr der Gender Gap: Fast ausschließlich Mütter nehmen die Regelungen in Anspruch, Väter finden sich trotz der Betonung der „Elternzeit“ oder „Elternkarenz“ 117
Dieses Kapitel basiert auf der Mitarbeit als volkswirtschaftliche Expertin im Projekt Work changes Gender (Kreimer 2002b und 2002c; Projekthomepage: www.work-changes-gender.org) und der Teilnahme als österreichische Expertin im Peer Review-Verfahren zur schwedischen Elternkarenzpolitik im April 2004 in Stockholm (Kreimer 2004b). 118 Freistellung bezieht sich im Folgenden immer auf jene zum Zweck der Kinderbetreuung. Auf Freistellungen zu anderen Zwecken (z.B. Bildungskarenz; sogenannte sabbaticals) wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. In Österreich werden Freistellungen mit dem Begriff der „Karenzierung“ benannt, was außerhalb Österreichs meiner Erfahrung nach durchwegs erstauntes Nachfragen auslöst. Ich verwende im Folgenden beide Begriffe sowie auch den in Deutschland mittlerweile üblichen Begriff der „Elternzeit“. Zur österreichischen Handhabung des Karenzbegriffs sei noch angemerkt, dass es bis vor wenigen Jahren üblich war, von Karenzurlaub zu sprechen, was zumindest den vorsichtigen Schluss zulässt, dass es hinsichtlich der Tätigkeiten während dieses Urlaubs von Seiten der Gesetzgebung und der Interessensvertretungen wenig „realen Bezug“ gab. 119 Elternfreistellungen (Parental Leave Arrangements) sind grundsätzlich von Mutterschutzregelungen zu unterscheiden: Letztere werden im Folgenden nicht berücksichtigt, weil es sich um einen nicht übertragbaren, primär medizinisch begründbaren Schutz der Mutter rund um die Phase der Geburt handelt. In Österreich besteht beispielsweise in der Mutterschutzfrist acht Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt ein Beschäftigungsverbot bei vollem Lohnersatz. Auf EU-Ebene gibt es seit 1992 eine Richtlinie, die das Recht auf 14 Tage bezahlten Mutterschaftsurlaub in den Mitgliedsstaaten vorsieht (Bruning/Plantenga 1999, ILO 1997). 120 Trotz aller Unterschiede in den europäischen Staaten hebt sich die USA nochmals ab, was die geringe Verankerung von Elternfreistellungsrechten betrifft (Hartmann 1999). 121 Nach den Bestimmungen der Richtlinie 96/34/EG vom 3. Juni 1996, die auf einer EU-weiten Rahmenvereinbarung zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen beruht, haben Männer und Frauen Anspruch auf mindestens drei Monate Elternzeit zur Versorgung eines Babys, eines adoptierten Kindes oder eines Kindes im Alter von bis zu acht Jahren. Ausführliche Darstellungen für viele europäische Länder finden sich in Moss/Deven 1999, eine zusammenfassende Analyse in Haas 2003.
232
Gender Gap und Care
kaum. In Österreich erreichte der Väteranteil beim Karenzgeldbezug 2002 knapp 2%, derzeit sind rund 4% aller bzw. 3% der unselbständig beschäftigten KindergeldbezieherInnen Väter. Den mit Abstand höchsten Väteranteil weist Schweden auf: Väter machen 43% aller Karenzierten aus, immerhin 17% aller Karenztage werden von Vätern genommen. Die „väterfreundliche“ Ausgestaltung der Elternkarenz ist Teil der schwedischen Politik zur Gleichstellung der Geschlechter, die sich im internationalen Vergleich als eine der erfolgreichsten – im Sinne des Abbaus des Gender Gap – erwiesen hat. Das Beispiel Schweden zeigt, dass Freistellungsregelungen gleichstellungspolitisch genutzt werden können, um den Gender Gap zu reduzieren. Die Ausgestaltung der Elternzeit liegt im Einflussbereich mehrerer Politikfelder (jedenfalls Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht, Familienpolitik, Arbeitsmarktpolitik), was die Bedeutung einer einheitlichen nationalen Zielsetzung hinter den jeweiligen Regelungen unmittelbar hervorhebt. Darin liegen Potenziale, wenn, wie im Fall Schweden, eine egalitäre, auf den Arbeitsmarkt hin ausgerichtete Gleichstellungspolitik verfolgt wird, aber auch Beschränkungen, wenn beispielsweise die Gleichstellungsperspektive einer traditionell ausgerichteten Familienpolitik untergeordnet wird, wie es lange Zeit in Österreich der Fall war (Rosenberger 2000). In diesem Kapitel wird zuerst der Status Quo der Elternkarenz in Österreich dargestellt, anschließend folgen theoretische Überlegungen zur Frage der Ausgestaltung der Karenz aus einer gleichstellungspolitischen Perspektive. Welche Gestaltungsoptionen in Österreich genutzt werden bzw. genutzt werden könnten, wird dann mit Blick auf weibliche Erwerbskarrieren und auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung untersucht. Dabei bestätigt sich die Ausgangsthese dieses Abschnitts: Elternfreistellungen spielen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung eine zentrale Rolle. Für eine Veränderung der gegebenen asymmetrischen in Richtung einer egalitären Arbeitsteilung reicht es jedoch nicht aus, Freistellungen geschlechtsneutral zu konzipieren bzw. sie an weibliche Erwerbsverläufe anzupassen. Es bedarf, sozusagen als Gegenfolie zur betrieblichen Frauenförderung, einer klaren Väter- und damit Männerförderung in Richtung Inanspruchnahme der Elternkarenz sowie einer „väterfreundlichen“ Ausgestaltung derselben.
4.3.1 Elternkarenz in Österreich Die Elternkarenz, d.h. die Ausweitung der Karenzregelung auf Mütter und Väter, wurde in Österreich 1990 eingeführt.122 Im Folgenden werden die geltenden Regelungen, die teilweise in Kapitel 4.2 bereits präsentiert wurden, zusammengefasst und insoweit ergänzt, als es für die Thematik der Arbeitsteilung, also die Einbeziehung beider Elternteile in die Betreuung von Kleinkindern, erforderlich ist. Anschließend zeigen die Daten zur Inanspruchnahme, wie es derzeit mit der Arbeitsteilung konkret bestellt ist, was zur Frage führt, warum der Väteranteil so gering ist.
122
Die Ursprünge der Elternkarenz in Österreich liegen in einem unbezahlten sechsmonatigen Karenzurlaub für unselbständig erwerbstätige Mütter ab dem Jahr 1957, ab 1974 konnten Mütter bis zum ersten Geburtstag des Kindes Karenzgeld beziehen (vgl. Städtner 2002, Schweitzer 2000).
Gender Gap und Elternkarenz A
233
Arbeits- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen
In der folgenden Übersicht 4.1 sind die wesentlichen Regelungen zur Elternkarenz zusammengefasst.123 Übersicht 4.1: Regelungen zur Elternkarenz und zum Kinderbetreuungsgeld Dauer der Freistellung Voraussetzung
Leistung
Voraussetzung Dauer der Leistung
Neuregelung ab 2008
Dazuverdienst während der Karenz
Teilzeitkarenz
Gestaltungsmöglichkeiten
Mindestens drei Monate und maximal zwei Jahre arbeitsrechtlicher Anspruch auf Karenzzeit mit Kündigungsschutz und vierwöchiger Behaltefrist nach Ablauf der Karenzzeit. 52 arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungswochen innerhalb der letzten 24 Monate bei erstmaliger Inanspruchnahme, 20 Wochen innerhalb der vergangenen 12 Monate bei neuerlicher Inanspruchnahme bzw. bei Müttern unter 20 Jahren; Ab 2000: eigenständiger Anspruch der Väter auf Karenz; Einhaltung der Meldefristen (verschärfte Bedingungen seit 2002 für Väter). Seit 2002: Kinderbetreuungsgeld, ca. 436 Euro pro Monat. Zuschüsse für Alleinstehende und Familien mit niedrigem Einkommen: 6,06 Euro täglich; muss im Nachhinein bei Überschreitung der Einkommensgrenze zurückbezahlt werden. Kind unter drei Jahren, für das Familienbeihilfe bezogen wird. Ab 1990: Zwei Jahre analog zur Karenzzeit; Ab 1.7.1997: Maximaler Karenzgeldbezug von zwei Jahren nur bei Aufteilung der Karenz auf beide Elternteile, ein Elternteil max. 1,5 Jahre; Ab 2002: Maximaler Kinderbetreuungsgeldbezug 3 Jahre, wobei der zweite Elternteil mindestens sechs Monate in Anspruch nehmen muss. Flexibilisierung des Kinderbetreuungsgeldbezuges: Variante 30 + 6: wie bisher; ca. 436 Euro pro Monat für 30 bzw. 36 Monate; Variante 20 + 4: ca. 624 Euro pro Monat für 20 bzw. 24 Monate; Variante 15 + 3: ca. 798 Euro pro Monat für 15 bzw. 18 Monate. Bis 2002: Begrenzt mit der Geringfügigkeitsgrenze zur Sozialversicherung (2001 ca. 290 Euro); Ab 2002: ca. 14.600 Euro pro Jahr; Sonderregelungen bei Kombination mit arbeitsrechtlicher Karenz; Ab 2008: Dazuverdienstgrenze ca. 16.200 Euro pro Jahr. Bis 2002: mit halbem Karenzgeld und aliquoter Dauer möglich; Ab 2002: arbeitsrechtliche Teilzeitkarenz unverändert möglich, Kinderbetreuungsgeld wenn Einkommen unter der Dazuverdienstgrenze liegt. Die Karenz kann zweimal zwischen den Elternteilen gewechselt werden, die Mindestkarenzzeit beträgt drei Monate. Ein Monat parallele Karenzzeit ist arbeitsrechtlich möglich, nicht jedoch beim Kindergeldbezug.
Quellen: Kreimer 2002c; Neuerungen 2008: www.akwien.at. 123
Eine detaillierte Darstellung wäre im Kontext dieser Arbeit wenig zweckmäßig, da die Regelungen komplex sind und Änderungen unterliegen. Für den Stand im Zuge der Umstellung auf das Kinderbetreuungsgeld vgl. Städtner 2002, Lutz 2003, der aktuellste Stand kann Informationsbroschüren entnommen werden, z.B. der Arbeiterkammer Wien (www.akwien.at).
234
Gender Gap und Care
Im Zuge der in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre beginnenden politischen Diskussion um die mögliche Umgestaltung der Elternfreistellung wurden einige Maßnahmen gesetzt, die eine Flexibilisierung der Karenz sowie eine Aufwertung der Väterkarenz zum Ziel hatten.124 Zudem gab es einige Projekte zur Überbrückung der Karenzzeit, die vor allem über Weiterbildungsangebote den Karenzierten eine „erwerbsarbeitsbezogenere Nutzung“ der Karenzzeit ermöglichen sollten.125 Da nach dem Regierungswechsel 2000 die Planungen für das Kinderbetreuungsgeld begannen, wurden diese Neuerungen nicht beworben und haben daher kaum Wirkung zeigen können. Zudem konterkariert das Kinderbetreuungsgeld teilweise diese Bemühungen.126 Flexibilität soll nun die deutlich höhere Zuverdienstgrenze ermöglichen, insbesondere eine gewisse Gleichzeitigkeit von Beruf und Kinderbetreuung. Jedoch gibt es hier ebenso wie bei der nach wie vor möglichen Teilzeitkarenz effektiv eine Reihe von Beschränkungen durch Detailregelungen, die in Summe die Anreize eher in Richtung vollständiger Unterbrechungen lenken.127 Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll insbesondere durch das 2004 eingeführte Recht auf Teilzeitbeschäftigung für Eltern gefördert werden. Dieses Teilzeit-Freistellungsrecht gilt für Eltern bis zum siebten Geburtstag des Kindes, sofern sie die Anspruchsvoraussetzung einer Betriebszugehörigkeitsdauer von mindestens drei Jahren erfüllen und in einem Betrieb mit mindestens 20 MitarbeiterInnen arbeiten. Das Recht beinhaltet die Rückkehr zur Vollbeschäftigung, Kündigungsschutz bis zum vierten Geburtstag des Kindes und einen abgeschwächten Motivkündigungsschutz bis zum siebten Geburtstag. Beide Elternteile können, sofern sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, gleichzeitig dieses Recht in Anspruch nehmen. Beginn, Dauer, Ausmaß und Lage der Teilzeitbeschäftigung sind mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, was grundsätzlich eine hohe Flexibilität erlauben sollte. Werden die Anspruchsvoraussetzungen (Betriebszugehörigkeitsdauer und Betriebsgröße) nicht erfüllt, besteht nach wie vor die Möglichkeit, Teilkarenz zu vereinbaren, allerdings besteht darauf kein Rechtsanspruch, dies muss mit dem Arbeitgeber verhandelt werden.128
B
Daten zur Inanspruchnahme
Detaillierte Analysen zur Inanspruchnahme der Karenz und den Auswirkungen auf den weiteren Erwerbsverlauf liegen nur für die 1990er Jahre vor (Gisser et al. 1995, Neyer et al. 1999).129 Sie zeigten, dass fast alle anspruchsberechtigten Frauen die Karenzierungsmöglichkeit auch tatsächlich wahrgenommen haben, dies überwiegend in Vollzeitkarenz130 124
Einführung eines „Karenzzeit-Kontos“, d.h. Möglichkeit des Aufschubs von drei Monaten der Karenzzeit bis zum sechsten Geburtstag des Kindes; Lockerung der Dazuverdienstgrenze; seit Anfang 2000 haben Väter einen eigenständigen, von den Ansprüchen der Mutter unabhängigen Karenzanspruch. 125 Z.B. Maßnahmen wie „karenzplus“ oder „karenzworks“ in Wien, vgl. Enzenhofer/Kaupa 2002. 126 Z.B.: Das Karenzzeitkonto, also das Aufschieben von drei Monaten Karenzzeit bis zum Schulbeginn des Kindes, ist zwar nach wie vor möglich, aber das Kinderbetreuungsgeld kann nicht „aufgeschoben“ werden. 127 Vgl. dazu die Informationen auf der Homepage der Arbeiterkammer, z.B. unter www.akwien.at. 128 Zu den Details siehe das Informationsblatt zur Elternteilzeit auf www.bmwa.gv.at und Dörfler 2004a. 129 Die empirische Analyse wird durch häufige Systemänderungen (Dauer, Flexibilität) und Wechsel der Zuständigkeit für die Transferleistung erschwert. Tatsächlich liegen weder über die Dauerverteilung noch über die Wiedereinstiegsphase interpretierbare Gesamtdaten vor. Durch die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes kam es zu einem Systembruch, der eine Vergleichbarkeit mit Daten vor 2002 nur mehr sehr grob zulässt. 130 Der Anteil der Teilzeitkarenzen kam kaum über 4% der Karenzierten hinaus, vgl. Schweitzer 2000, 35.
Gender Gap und Elternkarenz
235
und für die volle jeweils mögliche Dauer.131 Obwohl Väter seit 1990 Elternkarenz in Anspruch nehmen können und seit 1997 ein halbes Jahr bezahlte Karenz de facto für sie reserviert ist, bleibt der Anteil der Väter in Karenz sehr gering. Tabelle 4.2: Karenzgeld- bzw. KinderbetreuungsgeldbezieherInnen 1990 bis 2008 Jahr
gesamt
KarenzgeldbezieherInnen 1990 46.328 1992 106.195 1994 121.268 1996 118.254 1997 112.243 1998 89.264 1999 79.409 2000 78.278 2001 78.074
Männer
Männeranteil (%)
Frauen
83 781 1.014 1.070 1.069 1.317 1.339 1.453 1.598
0,18 0,74 0,84 0,90 0,95 1,48 1,69 1,86 2.07
46.245 105.414 120.255 117.184 111.174 87.947 78.070 76.825 75.594
Karenzgeld- und KinderbetreuungsgeldbezieherInnen (Übergangsphase) 2002 134.908 2.379 1,76 132.529 2003 153.972 3.496 2,27 150.476 KinderbetreuungsgeldbezieherInnen 2004 163.969 4.843 2005 164.408 5.209 08-2006 170.209 6.056 06-2007 168.473 6.398 06-2008 166.973 6.752
2,95 3,17 3,56 3,80 4,04
159.126 159.199 164.153 162.075 160.221
Quellen: 1990 - 1998: Schweitzer 2000, 30; 1999 -2005: Statistik Austria, Familienleistungen; 2006 – 2008: Bundesministerium für Familie, Gesundheit und Jugend, Monatsstatistiken zum Kinderbetreuungsgeld. Aufgrund der Ausweitung des BezieherInnenkreises und der Verlängerung der Bezugsdauer ist die Zahl der KinderbetreuungsgeldbezieherInnen mittlerweile wesentlich höher als die der früheren KarenzgeldbezieherInnen, der Väteranteil hat sich verdoppelt. Die Aufschlüsselung der KindergeldbezieherInnen nach ihrer sozialrechtlichen Stellung zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: 67% der Kindergeldbezieherinnen, aber nur 52% der Kindergeldbezieher befinden sich in einem unselbständigen Beschäftigungs131
Vgl. Neyer 1996, Schweitzer 2000, Städtner 2002. Mit dem Kinderbetreuungsgeld haben sich die Muster insofern verändert, als der Anteil der während der Karenz bzw. dem Kinderbetreuungsgeldbezug erwerbstätigen Frauen infolge der höheren Zuverdienstgrenze angestiegen ist (vgl. Rille-Pfeiffer/Kapella 2007).
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Gender Gap und Care
verhältnis und können daher eine arbeitsrechtliche Karenz in Anspruch genommen haben (oder sie beziehen darin ein Einkommen unter der Zuverdienstgrenze). Erwartungsgemäß ist der Männeranteil bei karenzierten BeamtInnen höher. Dies bestätigt den international häufig zu findenden Trend, wonach insbesondere Beamte oder Angestellte mit höherer Ausbildung und gut verdienender Partnerin Karenzansprüche wahrnehmen (vgl. Städtner 2002, 11). Tabelle 4.3: KinderbetreuungsgeldbezieherInnen nach sozialrechtlicher Stellung im Juni 2008, in %
Angestellte ArbeiterInnen Vertragsbedienstete Beamte/Beamtinnen Unselbständig Beschäftigte gesamt Selbständige Bauern/Bäuerinnen Hausfrau/Hausmann StudentInnen SchülerInnen ArbeitslosengeldbezieherInnen NotstandshilfebezieherInnen Insgesamt absolut
Frauen 43,5 14,9 7,0 1,8 67,2 2,0 1,2 17,0 1,4 0,7 7,0 3,6 160.221
Männer 21,0 24,8 3,5 3,1 52,4 12,3 5,8 8,1 2,9 0,2 10,8 7,4 6.752
Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend: www.bmgfj.gv.at. Männliche Kindergeldbezieher sind deutlich häufiger Selbständige, was sich daraus erklärt, dass diese in der österreichischen Praxis höhere Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich ihres Einkommens haben. Sie sind auch häufiger arbeitslos, in Notstand oder Studenten – ebenfalls sozialrechtliche Positionen, die mit einem Einkommen unter der Zuverdienstgrenze verbunden sind. In all diesen Fällen gibt es keine Information darüber, ob diese Väter tatsächlich Betreuungsarbeit im Sinne einer Karenzierung von ihrer sonstigen Tätigkeit übernommen haben – oder ob sie als ökonomisch rationale Individuen handeln und den Zugang zu einem öffentlichen Transfer nutzen, ohne (vollständig) im Sinne einer Elternfreistellung zu agieren. Väter nutzen weitaus häufiger die Möglichkeit zur Teilzeitkarenz als Mütter,132 sind häufiger im zweiten bzw. jetzt dritten Karenzjahr (Kinderbetreuungsgeldbezugsjahr) aktiv, beziehen häufiger einen Zuschuss zum Karenzgeld und sind innerhalb der Gruppe der Zu132 Beispielsweise waren im Jahresschnitt 2000 1.453 Väter in Karenz, 289 (20%) davon in Teilzeitkarenz. Von den 76.825 Müttern in Karenz waren nur 2.639 in Teilzeitkarenz (Daten aus AK-Wien 2001, Tabelle 14). Aktuell werden keine Daten zur Teilzeitkarenz ausgewiesen, was an den neuen Regelungen liegen dürfte, wonach Teilzeitkarenz mit keinen direkten Leistungen verbunden ist.
Gender Gap und Elternkarenz
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schussbezieherInnen seltener alleinstehend als Frauen.133 Die seit 2008 geltende Flexibilisierung beim Kinderbetreuungsgeld kommt Vätern entgegen: Bei der kürzesten Bezugsvariante (15+3 Monate, siehe Übersicht 4.1) beträgt der Väteranteil 6%.134 Karenzierungen sind grundsätzlich befristet, der Gegenpart zur Inanspruchnahme einer Freistellung ist der Wiedereinstieg in den Erwerbsmarkt nach Ablauf der Karenz. In den 90er Jahren (alte Karenzregelung) zeigte sich in Österreich ein ausgeprägtes „Drittelphänomen“ (Schweitzer 2000, 94f): Nur rund ein Drittel der Frauen ging nach Ablauf der Karenz wieder einer voll versicherten unselbständigen Beschäftigung nach, ein weiteres Drittel wechselte in die Arbeitslosigkeit oder in eine neuerliche Karenz, das letzte Drittel wechselte in arbeitsmarktferne Positionen und verschwand aus der Statistik. Lehner/PrammerWaldhör (2002) stellen für den Zeitraum ab 1998 sogar noch einen höheren Anteil von Abgängerinnen in eine erwerbsferne Position fest, 2001 waren es immerhin 41%.135 Ab 2004 zeigt sich auf der Basis der Kinderbetreuungsgeldregelung ein differenziertes Bild: Zum einen ist der Abgang aus der Karenz in Beschäftigung deutlich gestiegen (2006: 46%) und jener in erwerbsferne Positionen gesunken (2006: 37%), zugleich hat sich jedoch das gesamte entgeltliche Arbeitsvolumen der Mütter im Zeitraum von drei Jahren nach der Geburt des Kindes gegenüber der alten Karenzgeldregelung verringert (BMWA 2007). Mütter arbeiten zwar infolge der höheren Dazuverdienstgrenze während des Kinderbetreuungsgeldbezugs vergleichsweise häufiger als früher, aber in hohem Ausmaß in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und/oder temporär. Die Dauer der Erwerbsunterbrechung hat sich zwar deutlich verlängert,136 die Unterbrechung selbst wird aber im Vergleich zur alten Regelung weniger arbeitsmarktfern gestaltet. Ein Vergleich der Beschäftigungsquoten drei Jahre nach der Geburt zwischen Karenzgeld- und Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen zeigt kaum Unterschiede (BMWA 2007), was darauf schließen lässt, dass sich die Verlängerung der Erwerbsunterbrechung in Kombination mit der arbeitsmarktnäheren Gestaltung derselben nicht in einer grundsätzlichen Verschlechterung der Wiedereinstiegschancen ausgewirkt hat. Eine qualitative Betrachtung des Wiedereinstiegs sowie des weiteren Erwerbsverlaufs liegt allerdings nicht vor. Zur Inanspruchnahme des Rechts auf Elternteilzeit liegen keine Verwaltungsdaten vor. Dörfler et al. (2008) haben anhand einer repräsentativen Befragung von Eltern mit mindestens einem Kind unter vier Jahren festgestellt, dass Väter mit 70% in deutlich höherem Ausmaß die rechtlichen Bedingungen zur Inanspruchnahme (Betriebsgröße über 20 Personen, mindestens drei Jahre Betriebszugehörigkeit) erfüllen als Mütter (54%). Anhand der Befragung wurde hochgerechnet, dass insgesamt 13% Elternteilzeit entweder gerade beanspruchen, beansprucht haben oder in Verhandlungen mit dem/der ArbeitgeberIn über eine Inanspruchnahme stehen. Wieweit dieses Befragungsergebnis tatsächlich verallgemeinerbar ist, kann derzeit nicht festgestellt werden. Interessant ist jedenfalls der deutlich höhere 133
Alleinstehende Elternteile und Familien mit niedrigem Einkommen erhalten zusätzlich zum Karenzgeld bzw. ab 2002 zum Kinderbetreuungsgeld einen Zuschuss (6,06 Euro täglich). Der Zuschuss muss bei Überschreiten einer bestimmten Einkommensgrenze im Nachhinein zurückbezahlt werden. 134 Daten vom Juni 2008, Kinderbetreuungsgeldstatistik, download unter www.bmgfj.gv.at. 135 Die Aufnahme einer Standardbeschäftigung (d.h. versicherungspflichtigen Beschäftigung) sank dagegen auf 28%, bereits ein gutes Fünftel konnte nur mehr in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse einsteigen (21%). Knapp 1% wechselte in die Selbständigkeit, 8% in die Arbeitslosigkeit und 1% in eine neuerliche Karenz (Lehner/Prammer-Waldhör 2002). 136 Eine personenbezogene Auswertung der Karenzdaten zeigt, dass im Jahr 2006 84% der Personen, die die Karenz beendet haben, den Leistungsbezug voll ausgeschöpft hatten – d.h. sie hatten ihre Erwerbskarriere für 2,5 Jahre unterbrochen (BMWA 2007).
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Gender Gap und Care
Väteranteil in Elternteilzeit im Vergleich zum Kinderbetreuungsgeldbezug: Immerhin 14% aller erhobenen Elternteilzeitfälle können Vätern zugeordnet werden. Im Detail zeigen sich zwar immer noch traditionelle Muster: Väter in Elternteilzeit arbeiten mehrheitlich über 25 Wochenstunden, drei Viertel der Frauen in Elternteilzeit sind weniger als 20 Wochenstunden beschäftigt. Die Hemmnisse für eine höhere Inanspruchnahme der Elternteilzeit sind zum einen fehlende, mit der Teilzeit abstimmbare Kinderbetreuungseinrichtungen (vor allem Öffnungszeiten am Nachmittag), zum anderen der Einkommensverlust infolge der Arbeitszeitreduktion und Befürchtungen über Nachteile in der Karriereentwicklung im Betrieb.
C
Warum ist der Väteranteil trotz Quotierung so gering?
Bis 1990 folgte die Karenzregelung formal dem traditionellen Arbeitsteilungsmuster des male breadwinner-Modells, Väter waren von der Karenzierung ausgeschlossen. Die Debatte um die Einführung der Elternkarenz in den 80er Jahren verlief sehr kontrovers zwischen normativem Beharren auf dem mütterlichen Betreuungsmonopol für die ersten Jahre, der Verteidigung eines erkämpften Rechtes von Frauen, der sich ändernden Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern und gleichstellungspolitischen Zielsetzungen (vgl. Mairhuber 2000). Als Kompromiss wurde im Familienpaket 1990 die wahlweise Inanspruchnahme durch Mutter oder Vater ermöglicht. Die Diskussion war damit aber nicht beendet, weil die zögerliche Inanspruchnahme durch Väter deutlich auf die vorhandenen Barrieren hinwies. Allerdings zielten alle in den 90er Jahren erfolgten Maßnahmen (siehe vorne) nur auf die Karenzzeit ab und ließen die entscheidende Barriere für eine höhere Beteiligung der Väter unberührt – nämlich die Höhe des Karenzgeldes. Mit einer in der Höhe fixierten Geldleistung während der Kinderkarenz ist unweigerlich verbunden, dass der Verlust an Erwerbseinkommen individuell sehr unterschiedlich ist. Vor dem Hintergrund hoher geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede in Österreich sind die Auswirkungen auf die Arbeitsteilung der Geschlechter eindeutig: Elternkarenz wird überwiegend von Frauen in Anspruch genommen. Das finanzielle Argument wird auf die Frage, was Väter von der Inanspruchnahme von Elternkarenz abhält, in aller Regel am häufigsten genannt.137 Zu diesem finanziellen Argument kommen noch weitere ökonomische Motive contra Väterkarenz (vgl. Hausegger et al. 2003): zu niedrige Zuverdienstgrenze, Unattraktivität von Teilzeit für Männer, Angst vor Karriereknick, fehlende Unterstützung bzw. Widerstände im Unternehmen, zu geringe Bewertung der Kinderbetreuungszeiten in der Pension, Risiko der Kündigung138 u.a.m. Auch das gesellschaftliche Argument, wonach die Betreuung von Kleinkindern durch Väter noch nicht akzeptiert werden würde, wird eingebracht. Interessant an der Liste der ökonomischen Nachteile infolge einer Karenzierung ist der Umstand, dass ein Großteil davon auch auf die Mütter zutrifft – hier liegen eindeutig ge137
Vgl. z.B. European Commission 2004a für eine Studie auf EU-Ebene, Beckmann 2001 für Deutschland, Hausegger et al. 2003 für eine Zusammenfassung von Studienergebnissen, Puchert et al. 2005. Dieses Risiko ist mit der Kinderbetreuungsregelung größer geworden: Väter müssen ihre geplante Karenz innerhalb von acht Wochen nach der Geburt dem Arbeitgeber bekannt geben, der Kündigungsschutz beginnt jedoch seit 1.1.2002 frühestens vier Monate vor Beginn der Karenz. Bis Ende 2001 begann der Kündigungsschutz für den Vater bei Bekanntgabe der Karenz zu laufen. Väter, die erst im zweiten oder dritten Lebensjahr des Kindes in Karenz gehen wollen, setzen sich somit direkt einem Kündigungsrisiko aus.
138
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schlechtsspezifisch gefärbte Bewertungen vor. Dies verweist auf einen zentralen Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Frage, ob Freistellungen in Anspruch genommen werden: „Fathers can choose whether or not to take parental leave in a way that mothers cannot“ (Nyberg 2004, 50).
4.3.2 Theoretische Überlegungen zur Elternkarenz „The schemes for paid parental leave provide perhaps the most striking restructuring of the public/private responsibility for caring obligations.” (Leira 1997, 229). Bezahlte Elternfreistellungen stellen nicht nur hohe Ansprüche an die Wohlfahrtsstaatenforschung, sondern auch an die ökonomische Theorie: Neben der Trennung zwischen individueller und kollektiver Verantwortlichkeit muss auch jene zwischen marktvermittelter Arbeit und nichtmarktvermittelter Arbeit überwunden werden, dazu kommen Umverteilungsaspekte, Ungewissheit über die Wirkung von Anreizen, widersprüchliche Zielsetzungen in Bezug auf die obligation to work vs. obligation to care u.a.m. Selbst innerhalb der feministischen Ökonomik gibt es keine einheitliche Position zu Freistellungsregelungen, die Positionen bewegen sich zwischen der Forderung nach mehr family-friendly benefits (z.B. Folbre 1994) und der Ablehnung von Maßnahmen, die ein Zuhausebleiben von Müttern fördern (z.B. Bergmann 2000). Dazu kommt, dass Elternfreistellungen in den USA als dem in der ökonomischen Wissenschaft vielfach tonangebenden Land bislang nicht institutionalisiert und auch praktisch nicht relevant sind.139 Insgesamt ist es daher wenig überraschend, dass es zwar viele empirisch motivierte Gegenüberstellungen von Elternfreistellungsarrangements gibt, aber keine ökonomische Theorie der Elternfreistellung im eigentlichen Sinn.
A
Parental leave im ökonomischen mainstream
Elternfreistellungen berühren unmittelbar die Thematik der New Home Economics: Es geht um die Frage: „Wer macht was?“ Da über die Elternkarenz die Phase der familiären Arbeit explizit befristet und zudem noch für beide Geschlechter zugänglich gemacht wird, ist das Prinzip der dauerhaften Spezialisierung auf Haus- oder Erwerbsarbeit nur mehr begrenzt anwendbar. Die New Home Economics kann daher zur Frage der Gestaltung von Elternkarenzen nichts unmittelbar beitragen.140 Im humankapitaltheoretischen Kontext ist eine Annäherung leichter möglich: Wenn Individuen ihre Erwerbskarriere zur Betreuung eines Kindes unterbrechen, kommt es in Abhängigkeit von der Dauer der Unterbrechung zur Entwertung ihres zuvor akkumulierten Humankapitals. Die Dauer der Unterbrechung steht wiederum in Zusammenhang mit der Höhe des Reservationslohnes und der Opportunitätskosten – Karenzregelungen beeinflussen beide Parameter (Rønsen 1999, Städtner 2002, 17f). Entsprechende Regulierungen 139
Beispielsweise findet sich in dem auch in Bezug auf die Familie und Care sehr ausführlichen Lehrbuch von Blau et al. 2002 kein expliziter Eintrag zu parental leave. 140 Die Inanspruchnahme der Karenz kann natürlich den Einstieg in eine dauerhafte Spezialisierung bzw. zumindest in eine lange Unterbrechung bedeuten, was ins Konzept der New Home Economics passen würde. Wenn allerdings die Karenz als befristete Freistellungsregelung untersucht wird, ist dies nicht der Fall.
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Gender Gap und Care
der Karenzzeiten in Kombination mit finanziellen Leistungen können die Humankapitalentwertung deutlich abschwächen und damit einen Beitrag zur Effizienzsteigerung leisten.141 Das vorhandene arbeitsmarktökonomische Instrumentarium erlaubt jedenfalls die theoretische Analyse gegebener Freistellungsregelungen in Hinblick auf das Arbeitsangebot von Frauen (vgl. Schweitzer 2000 für einen Überblick), sowie die empirische Überprüfung der Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit oder den Gender Pay Gap (vgl. Ruhm 1998). Finanzwissenschaftliche Konzepte können zur Frage der Finanzierung von Transferleistungen über den Staat oder über das Lohnsystem (Lohnnebenkosten) beitragen (vgl. Städtner 2002).142 Für unsere Fragestellung nach der Arbeitsteilung und nach den gleichstellungspolitischen Gestaltungsspielräumen sind diese Ansätze jedoch kaum nutzbar.
B
Karenz und Gender Gap: Eckpunkte einer „optimalen“ Freistellungsregelung
Ansätze zur Frage einer im Sinne der Geschlechtergleichstellung am Arbeitsmarkt „optimalen“ Ausgestaltung von Karenzregelungen finden sich im beschäftigungspolitischen Kontext (z.B. Fagan/Rubery 1996), im politikwissenschaftlichen und sozialpolitischen Forschungsbereich (z.B. Bothfeld 1999, Bruning/Plantenga 1999, Moss/Deven 1999) und natürlich in der Familienpolitik143 (z.B. Thenner 2000). Während relativ eindeutig davon ausgegangen wird, dass Karenzregelungen sich positiv auf die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen (und damit auf den Gender Gap Beschäftigung) auswirken,144 sind darüber hinausgehende Effekte auf die Gleichstellung stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen abhängig. Wird durch die Regelungen wirklich eine kontinuierliche Partizipation von Frauen gefördert oder doch nur ein Dazuverdienen im Sinne des male breadwinner-Modells ermöglicht? Um dies beantworten zu können ist es notwendig, die zentralen Parameter der Freistellungsarrangements zu analysieren (Fagan/Rubery 1996, Haas 2003): Art des Rechts, Anspruchsvoraussetzungen und Bedingungen der Inspruchnahme: Handelt es sich um vollständig individualisierte Rechte für beide Eltern, und können diese ihre Rechte auf den anderen Elternteil übertragen? Eine Übertragbarkeit ermöglicht Flexibilität, stützt aber in Abhängigkeit von den sonstigen Rahmenbedingungen 141
Hartmann (1999) zitiert einige Studien, die diese Auswirkungen empirisch untersuchen. Den zuvor angesprochenen effizienzsteigernden Wirkungen von Karenzregelungen steht gegenüber, dass staatlich vorgeschriebene, beschäftigungsbezogene Sozialleistungen im neoklassischen Arbeitsmarktmodell selbst die Effizienz reduzieren. Wenn allerdings von Marktunvollkommenheiten ausgegangen wird, relativiert sich dieses Ergebnis, staatliche Sozialleistungen sind begründbar. 143 Allerdings zählt die Frage der Verteilungseffekte zwischen den Geschlechtern nicht zu den Schwerpunkten der Familienpolitik. Nach Rosenberger (1999, 758) besteht in der Familienforschung weitgehend Konsens darüber, dass sich die Familienpolitik auf Verteilungseffekte zwischen den Generationen und vor allem zwischen Haushalten mit und ohne Kindern konzentriert. Dementsprechend findet sich beispielsweise im sehr umfangreichen Band 1 des österreichischen Familienberichts 1999 (BMUJF 1999) kein Beitrag zum Geschlechterverhältnis oder zur Arbeitsteilung (mit Ausnahme der Feststellung dieses Defizits im abschließenden Beitrag von Rosenberger 1999). Das wird zwar im deutlich dünneren Band 2 unter dem Titel „Familien- und Arbeitswelt“, also im Rahmen der „Vereinbarkeitsproblematik“ nachgeholt. Damit wird die Geschlechterthematik aber von den zentralen Feldern der Familienpolitik abgetrennt. 144 Dafür sprechen zwei Argumente: Frauen treten in den Arbeitsmarkt ein, um diese Rechte zu erwerben (d.h. in der Regel Vollzeiterwerbsarbeit), und der Arbeitsmarktbezug (sowohl rechtlich als auch auf der Motivationsebene) ist sicherlich höher, als wenn Frauen gezwungen sind, den Arbeitsmarkt definitiv zu verlassen und später wieder einzutreten. 142
Gender Gap und Elternkarenz
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auch das jeweilige Arbeitsteilungsmuster. An vorhergehende Erwerbstätigkeit geknüpfte Anspruchsvoraussetzungen stellen einen Anreiz für Erwerbstätigkeit dar, können aber auch zu restriktiv gestaltet sein. Letzteres gilt auch für Meldefristen zur Anmeldung der Karenz oder eines Wechsels zwischen den Eltern beim Arbeitgeber. Art und Ausmaß der Bezahlung der Unterbrechung: Bei Karenzzeiten ohne bzw. mit niedriger Transferleistung wird potenziell der Dazuverdienerinnenstatus gestärkt; allerdings sind die Anreizeffekte nicht so einfach festzustellen und differieren beispielsweise für verschiedene Gruppen von Frauen.145 Länge der Freistellung und Flexibilität der Nutzung: Eine möglichst lange Dauer ist ambivalent einzuschätzen. Zum einen zeigen Studien, dass Frauen in Ländern mit gut ausgebauten Karenzsystemen den Wiedereinstieg besser und schneller schaffen als Frauen in Ländern mit schlecht abgesicherten und kurzen Karenzperioden. Aber mit der zunehmenden Dauer der Unterbrechung kehrt sich der Effekt um, die Wiedereinstiegsrate nach der Karenz sinkt (vgl. Rønsen 1999). Die skandinavischen Staaten mit vergleichsweise langen Karenzzeiten lassen aber die Vermutung zu, dass weniger die Dauer als die jeweiligen Bedingungen für die Arbeitsmarktchancen nach der Freistellung ausschlaggebend sind (Ruhm 1998, OECD 2001). Bei der Flexibilität der Regelungen ist die Gefahr widersprüchlicher Wirkungen geringer, allerdings sind bei flexiblen Regelungen auch die Abstimmungserfordernisse mit den Unternehmen höher, was deren Durchsetzung schwierig machen kann. Ausmaß und Ausgestaltung der Kinderbetreuungseinrichtungen: Wenn Karenzregelungen und Kinderbetreuung substitutiv gesehen und dementsprechend von der Politik behandelt werden, führt dies zu längeren Unterbrechungszeiten und stärkt die traditionelle Arbeitsteilung. Flexible Karenzregelungen erfordern ebenso flexible infrastrukturelle Unterstützung. Anreize für und Rechte der Väter: Alle bisherigen Erfahrungen mit Elternfreistellungsregelungen zeigen, dass eine geschlechtsneutrale Regelung allein nicht ausreicht, weil sich Väter und Mütter unterschiedlichen Anreizen eine Freistellung in Anspruch zu nehmen, gegenübersehen. Ihre Entscheidungssituation ist nicht dieselbe, die Karenzregelungen selbst tragen zu unterschiedlichen Anreizstrukturen bei. Eine gleichstellungspolitisch „optimale“ Regelung müsste diese Anreizstrukturen aufbrechen und Vätern einen einfachen, niedrigschwelligen Zugang zur Karenz ermöglichen.
Die Ausgestaltung der Karenzregelungen und die Abstimmung mit dem Kinderbetreuungsangebot sind aus gleichstellungspolitischer Sicht notwendige, aber noch keine hinreichenden Bedingungen. Faktoren wie Öffnungszeiten von Schulen und Geschäften, Gestaltungsspielräume bei Arbeitszeiten (z.B. Anxo et al. 2000), Anreizwirkungen des Steuersystems (z.B. Dingeldey 2000a) beeinflussen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Innerhalb der Erwerbsarbeit weisen Berufe und Sektoren sehr unterschiedliche Bedingungen auf, was die Zulässigkeit einer Unterbrechung oder zumindest die Art derselben betrifft. Ob und wie Firmen ihrerseits zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ihrer MitarbeiterInnen beitragen, ist erst in jüngster Zeit im Zuge der Debatten zur work-life-balance aufgegriffen worden. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass sich Firmen eher passiv dem jeweiligen Karenzsys145
So können sich Familien mit niedrigem Einkommen oder Alleinerzieherinnen Karenzierungen mit niedrigen Bezügen oder unbezahlt gar nicht leisten und unterbrechen daher gar nicht oder nur kurz, in diesem Fall wirkt die geringe Transferhöhe partizipationssteigernd, allerdings gegebenenfalls auch verstärkt auf das Armutsrisiko.
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Gender Gap und Care
tem anpassen (OECD 2001, 146ff).146 Für die Arbeitsmarktforschung ergeben sich viele offene Fragen in Hinblick auf den optimalen Mix und die optimale Ausgestaltung von Regelungen (Fagan/Rubery 1996, 373). Zu berücksichtigen sind die Wirkungen von Freistellungen über die betroffenen Individuen hinaus: Bezahlte Freistellungsregelungen können statistische Diskriminierung verstärken. Wenn relativ lange Karenzzeiten überwiegend von Frauen und überwiegend für eine lange Dauer in Anspruch genommen werden, werden sich die Erwartungen der Unternehmen anpassen: Sie werden generell bei weiblichen Arbeitskräften davon ausgehen, dass diese lange unterbrechen werden und daher Frauen eher auf Sackgassenpositionen einsetzen, sie von Weiterbildungsangeboten ausschließen, etc. „The longer the formal maternal or parental leave schemes and the larger the difference between men and women’s use of these schemes, the larger is the potential for statistical discrimination“ (Datta Gupta/Smith 2002, 612). Bothfeld (1999) entwirft einen normativen Bezugsrahmen für die Analyse von Karenzsystemen, in dessen Mittelpunkt vier Zielsetzungen stehen: der Beitrag zur Vereinbarkeit (im Sinne eines „Nebeneinanders“), der Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter, Ausweitung der Beschäftigung und die Vermeidung von sozialen Ausschließungsprozessen. Sie zielt damit auf das Konzept des Übergangsarbeitsmarktes ab, das im Folgenden dargestellt wird.
C
Freistellungen für Betreuungsarbeit als Übergangsarbeitsmärkte
Im Kapitel 3.4 wurden Berufsunterbrechungen aus familiären Gründen aus der Arbeitsmarktperspektive heraus untersucht und die Frage gestellt, wie diese beschäftigungspolitisch zu behandeln seien. Dazu wurde das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte vorgestellt (Schmid 1998), auf das in diesem Abschnitt näher eingegangen werden soll. Karenzregelungen sind ein bereits institutionalisiertes und erprobtes Instrument zur Gestaltung des Übergangs zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Familienarbeit, dessen Umsetzung in Österreich Ende der 90er Jahre aus einer Gender-Perspektive Beachtung fand (vgl. Behning/Leitner 1998). Die von Schmid (1998) genannten Kriterien für „erfolgreiche“ Übergangsarbeitsmärkte, Empowerment, Sustainable Employment and Income, Flexible Coordination und Co-operation (siehe Kap. 3.4) wurden von ihm selbst in leicht modifizierter Weise auf den Übergang zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit angewendet (Schmid 2002a, 296ff): Mit dem Kriterium der Entscheidungsautonomie sind die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit und die Erweiterung von citizenship-Rechten angesprochen; das Solidaritätskriterium zielt auf eine möglichst breite Einbeziehung aller Beschäftigten zur Wahrung einer zuverlässigen, solidarischen und als gerecht empfundenen sozialen Sicherung;
146
In Ländern mit einem gut ausgebauten Karenzsystem fühlen sich Firmen eher entlastet, selbst etwas zur Vereinbarkeitserleichterung beitragen zu müssen; in Ländern mit rudimentären Systemen füllen sie bislang das Defizit nicht aus. Offenbar bedarf es hier Anstöße von außen, um Firmen work-life-balance-Programme näher zu bringen (OECD 2001, 153).
Gender Gap und Elternkarenz
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Effektivität bzw. deren Verbesserung beruht auf Spezialisierung und Koordination der arbeitsteiligen professionellen Beiträge durch Kooperation oder Wettbewerb; und schließlich spielt noch die Verbesserung der Effizienz durch die Anwendung von Technologien des Risikomanagements eine Rolle.
Für jede Form des Übergangs sind diese Kriterien spezifisch auszufüllen, um adäquate Übergänge zu gewährleisten. Für den Übergangsarbeitsmarkt zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Betreuungsarbeit sind die Anforderungen an die Kriterien besonders hoch, da es nicht nur um die Gestaltungsmöglichkeiten in Richtung adäquater Übergänge geht, sondern auch um gleichstellungspolitische Zielsetzungen, also darum diesen Übergang für Frauen und Männer gleichermaßen zugänglich und attraktiv zu machen (Schmid 2002a, 293ff): Die Stärkung der Entscheidungsautonomie verlangt nach fundierten Wahlmöglichkeiten zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit auf individualisierter Basis, die auch unterschiedlichen Lebenssituationen Rechnung tragen können. Über das Solidaritätskriterium soll Elternschaft nicht als individuelles, sondern als kollektives „Risiko“ definiert werden, beispielsweise in Analogie zur Arbeitslosenversicherung. Die Behandlung eines Karenzgeldes als Einkommensersatzleistung folgt daraus ebenso wie die adäquate Aufrechterhaltung sozialer Sicherung während des Verbleibs im Übergangsarbeitsmarkt. Die Ausgestaltung dieses Übergangsarbeitsmarktes ist mit erhöhtem Koordinationsaufwand verbunden, der im Sinne des Effektivitätskriteriums rationell gestaltet werden müsste. Es bedarf fairer Regeln für die Aushandlungsprozesse, kollektive Unterstützung auch auf der Arbeitsnachfrageseite (z.B. bezüglich des Findens von Ersatzkräften), und es bedarf einer materiellen Infrastruktur (Kinderbetreuung, Nahverkehr), die die Umsetzung familienfreundlicher Arbeitszeitmodelle oder Karenzmodelle ermöglicht. Schließlich geht es unter dem Effizienzkriterium um die Einrichtung entsprechender Kontrollinstrumente, Mechanismen der Zielbestimmung und –evaluierung, Feedbackverfahren etc., um das Verhältnis von Kosten und Nutzen der Ausgestaltung des Übergangsarbeitsmarktes bestimmen und gegebenenfalls anpassen zu können. Diese Kriterien bilden einen Rahmen, um bestehende Übergänge zu analysieren147 und Verbesserungsvorschläge zu machen, sowie um gute oder sogar „optimale“ Übergänge definieren zu können, die als Ziel wohlfahrtsstaatlicher Reformen in den betreffenden Bereichen dienen können. Ersteres ist relativ einfach zu bewerkstelligen, aus der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenanalyse können zudem Referenzwerte für verbesserte Übergänge abgeleitet werden.148 Überlegungen für Österreich werden im Folgenden formuliert. Aufwendiger ist die zweite Aufgabenstellung, weil diese eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zielen bezüglich Erwerbsintegration und Care voraussetzt. Damit tun sich nicht nur Fragen in Bezug auf die Arbeitsteilung zwischen Erwerbs- und Betreuungsarbeit auf, sondern auch die Frage nach der Definition von Gleichheit sowohl innerhalb der Ge147
Schmid (2002a) zeigt dies am Beispiel Deutschlands. Schmid (1998, 2002a) verwendet mehrfach Schweden als Referenzland, in dem die Kriterien am besten erfüllt sein dürften. Diese Wahl wird in nahezu allen Studien zu Elternfreistellungen bestätigt (siehe z.B. Fagan/Rubery 1996, 373; Leitner 2003, Bruning/Plantenga 1999).
148
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nus-Gruppen (ist eine bestimmte Regelung für alle Frauen gleichermaßen „optimal“?) als auch zwischen den Geschlechtern. Im Kapitel 5 wird darauf eingegangen werden.
4.3.3 Gender Gap und Elternkarenz I: Karenz und weibliche Erwerbskarrieren Freistellungsregelungen werden de facto in allen Ländern überwiegend bis fast ausschließlich von Frauen genutzt, die in der Folge – je nach Ausgestaltung des Übergangsarbeitsmarktes – in mehr oder weniger großem Ausmaß die Nachteile dieser Unterbrechungen in ihrer weiteren beruflichen Karriere zu tragen haben. Eine verbesserte Ausgestaltung dieses Übergangs mit Blick auf den Abbau von Karrierehemmnissen kann einen Beitrag zum Schließen des Gender Gap liefern, ohne jedoch an der grundlegenden Frage der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung effektiv zu rütteln (siehe Kap. 4.3.4). Eine Analyse gegebener Freistellungsregelungen muss jedenfalls auf die bereits genannten Parameter (Höhe der Transferleistung, Dauer und Flexibilität der Freistellung sowie Art und Ausmaß unterstützender Infrastruktur) zurückgreifen. Vorgelagert ist die grundsätzliche Anreizwirkung von Freistellungsregelungen: Je nach Art der Arbeitsmarktanbindung generell sowie der Garantie des Wiedereinstiegs werden Anreize geschaffen, in den Arbeitsmarkt (wieder-)einzusteigen (vgl. z.B. Bruning/Plantenga 1999, Fagan/Rubery 1996, ILO 1997). Österreich schnitt vor der Neuorientierung 2002 bereits recht widersprüchlich ab, insofern zum einen die Arbeitsmarktanbindung der gesamten Regelung und die (auf die gesamte Dauer der Karenz bezogene) relativ großzügige Bezahlung hervorgehoben wurden, zum anderen karenzierte Mütter über die Höhe des Karenzgeldes, die lange Dauer der Freistellung und das relativ geringe Ausmaß an Flexibilität bis Ende der 90er Jahre erst recht in Abhängigkeitsverhältnisse gerieten und zudem deutliche Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg aufwiesen (z.B. Bruning/Plantenga 1999, Bettio/Prechal 1998). Trotz einer im europäischen Vergleich relativ gut institutionalisierten Regelung zeigte der Übergangsarbeitsmarkt eine deutlich asymmetrische Prägung: Frauen wurde der Zugang zur Karenz erleichtert, der Abgang zurück in die Erwerbsarbeit aber erschwert. Die Inanspruchnahme der Karenz war daher für viele Frauen keine Übergangsphase, sondern der Beginn eines länger dauernden Ausstiegs aus dem Arbeitsmarkt. In Bezug auf die Erwerbskarrieren von Müttern blieb dieses Instrument daher immer widersprüchlich: Über die Sozialversicherungsanbindung der Karenzregelung wurde die Arbeitsmarktintegration von (potenziellen) Müttern gefördert, aber in spezifische, von mehrjährigen Aus- und schwierigen Wiedereinstiegen gekennzeichnete Karrieren. Alternativen zum relativ langen Ausstieg wurden und werden kaum gefördert: “Where leave policies are not backed up by childcare facilities, the system may serve merely to postpone labour market quits rather than providing a genuine bridge back into employment“ (Rubery/Fagan 1998, 80). Mit der Abtrennung des Kinderbetreuungsgeldes von der arbeitsrechtlichen Freistellung ab 2002 wurde die Arbeitsmarktanbindung der Regelung weiter geschwächt, da zum einen kein unmittelbarer Anreiz mehr zum Einstieg in den Arbeitsmarkt vor der Familiengründung besteht, zum anderen die verlängerte Bezugsdauer die Familienorientierung stärker fördert als die Erwerbsorientierung (Lutz 2004, Rille-Pfeiffer/Kapella 2009). Die erhöhte Zuverdienstgrenze ermöglicht zwar eine arbeitsmarktnähere Gestaltung
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der Unterbrechung, aber nur ein Teil der Frauen kann diese Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich nutzen (Rille-Pfeiffer/Kapella 2008). Es ist daher davon auszugehen, dass die Elternkarenz in Österreich zum Gender Gap am Erwerbsarbeitsmarkt im negativen Sinne beiträgt: Gregoritsch et al. 2000 haben den Mother Gap infolge der Karenz errechnet. Bei Frauen ohne Unterbrechung stieg das Einkommen von 1993 bis 1997 um rund 20%, bei jenen mit Unterbrechungen sank es um 9%. Bei höheren Qualifikationen ist der Gap noch größer. Sie errechneten weiters den Anteil der Karenz am gesamten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied im Vergleich von Frauen und Männern, die 1977 in den Beruf eingestiegen waren: Rund ein Drittel des gesamten Gender Pay Gap wurde durch Karenzen der Frauen verursacht.149 Zum Einfluss auf die Karriereentwicklung nach Unterbrechungen gibt es bis dato kaum langfristige empirische Untersuchungen.150 Rückschlüsse auf die potenzielle Karriereentwicklung können jedenfalls aus dem zunehmenden Trend geringfügig beschäftigt wieder einzusteigen, gezogen werden. Auch die hohe Teilzeitquote bei Müttern verweist angesichts des Defizits qualifizierter Teilzeitstellen auf Karrierehemmnisse (siehe Kap. 3.5). Lange Unterbrechungen unterstützen die Ausbildung marginalisierter Arbeitsbereiche mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Bettio/Plantenga 2004). Der Beitrag zur Nichterwerbstätigkeit (Gender Gap Beschäftigung) ergibt sich aus den dokumentierten Ausstiegen im Anschluss an die Karenz (Neyer 1996, Neyer et al. 1999, Lehner/Prammer-Waldhör 2002, Lutz 2004). Trotz dieser eher pessimistischen Einschätzung der bisherigen Auswirkungen des österreichischen Elternfreistellungsregimes auf die Erwerbstätigkeit von Müttern sollte festgehalten werden, dass die Grundzüge eines „guten“ Übergangsarbeitsmarktes im Sinne von Schmid (1998, 2002a) in Österreich gegeben und daher ausbaubar sind. Die von Schmid entwickelten Kriterien geben dafür den Modell-Rahmen ab: Entscheidungsautonomie: Hier wäre eine deutliche Stärkung von Wahlmöglichkeiten erforderlich, insbesondere: Deutlicher Ausbau des Kinderbetreuungsangebots bis drei Jahre; attraktive Gestaltung der Teilzeitkarenz bzw. des Rechts auf Teilzeit; verankerte Weiterbildungsrechte während der Karenz. Die 2008 eingeführte Flexibilisierung beim Kinderbetreuungsgeld ist in Hinblick auf die Entscheidungsautonomie jedenfalls positiv zu bewerten. Die Abkoppelung des Kinderbetreuungsgeldbezugs von der arbeitsrechtlichen Karenz in der gegebenen Form führt im Einzelfall zu komplexen, schwer durchschaubaren Ansprüchen und Rechten, sodass eine Rückführung auf eine Form des Karenzgeldes geboten ist.151 Solidarität im Sinne eines kollektiven Risikos Elternschaft war auch bei der alten Regelung nicht vollständig gegeben, weil das Karenzgeld immer einkommensunabhängig 149
Männer und Frauen wiesen bereits beim Berufsstart 1977 unterschiedliche Einkommen auf (7,5 Prozentpunkte Gender Pay Gap), bis 1996 stieg der Pay Gap auf 36 Prozentpunkte an. 10,8 Prozentpunkte wurden nach Gregoritsch et al. 2000 durch die Karenzen der Frauen verursacht. 150 Erste Ergebnisse in Hinblick auf die Kinderbetreuungsgeldregelung finden sich in Lutz 2003 und 2004, allerdings nur zum unmittelbaren Wiedereinstieg. Daten für den weiteren Karriereverlauf liegen noch nicht vor. 151 Dies müsste nicht mit einer neuerlichen Begrenzung des BezieherInnenkreises des Kinderbetreuungsgeldes einhergehen. Ein neues Karenzgeld für erwerbstätige Eltern und ein Kinderbetreuungsgeld im Sinne einer universellen Absicherung für alle ohne Karenzanspruch ist denkbar und wird beispielsweise in Schweden praktiziert.
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152
Gender Gap und Care und auf vergleichsweise niedrigem Niveau ausbezahlt wurde, obwohl auf der Basis der effektiven Lohnsumme der Beschäftigten ins System einbezahlt wurde und wird. Das jetzige Kinderbetreuungsgeld könnte zwar als solidarische, weil universelle Leistung an alle Eltern angesehen werden, aber es entspricht gerade dadurch nicht mehr dem Charakter einer Absicherung eines Arbeitsmarktübergangs. Für eine effektive Gestaltung des Übergangsarbeitsmarktes sind Ende der 90er Jahre Weichen gestellt worden (Karenzkonto), auch das Recht auf Elternteilzeit ab 2004 kann hier angeführt werden. Das Karenzkonto, also die Möglichkeit der flexiblen Nutzung eines Teils der Karenz bis zum Schuleintritt des Kindes, hat allerdings mit dem Kinderbetreuungsgeld jede Attraktivität verloren, die Inanspruchnahme der Elternteilzeit ist sowohl rechtlich als auch von den ökonomischen Bedingungen her begrenzt. Ein transparentes und klar verankertes flexibles Karenzsystem würde Frauen (Eltern) in Abstimmung mit ihrer jeweiligen Berufskarriere die Möglichkeit einer effektiven Gestaltung der Erwerbsunterbrechung oder Arbeitszeitreduktion erlauben. Strikt individualisierte Nutzungsrechte im Sinne von zwischen den Eltern nicht übertragbaren Ansprüchen würden zudem die Betriebe auf Dauer zwingen, ihrerseits die Unterbrechungen ihrer MitarbeiterInnen zu planen und zu bewältigen.152 Angesichts der kleinbetrieblichen Struktur in Österreich sollten sie dabei unterstützt werden.153 Hinsichtlich des Effizienzarguments wäre zuallererst zu untersuchen, inwiefern die hohe Anzahl von Ausstiegen über die Karenz hinaus und die anschließende Förderung des Wiedereinstiegs über die aktive Arbeitsmarktpolitik volkswirtschaftliche Kosten verursacht, die durch regulierte Übergänge vermeidbar wären. Zu untersuchen wäre die Richtung der Anreizeffekte: Beispielsweise wurde bereits gezeigt, dass sich unter der gestiegenen Anzahl von männlichen Kinderbetreuungsgeldbeziehern solche befinden, die diesen Transfer aufgrund ihrer Lebenssituation nutzen können, ohne dass sie sich effektiv an der Betreuung des Kindes beteiligen müssen (was nicht heißt dass sie es im Einzelfall nicht tun). Auch die Umverteilungseffekte zwischen den Einzahlungen und den Auszahlungen in den grundlegenden Topf wäre hier zu untersuchen. 154
Beispielsweise durch die Verpflichtung zu bzw. Förderung von „Karenz-Karriere-Gesprächen“, d.h. eine Form des MitarbeiterInnengesprächs zu Klärung der Karenz- und Wiedereinstiegsbedingungen bzw. der Teilzeitkarenz. Dies könnte im öffentlichen Bereich direkt verankert werden, im privaten Bereich durch entsprechende Imagekampagnen und auch Förderungen unterstützt werden. 153 Im Recht auf Elternteilzeit, das ja nur für Betriebe ab 20 MitarbeiterInnen gilt, ist dies für Betriebe mit einer geringeren MitarbeiterInnenzahl vorgesehen und insofern ausbaubar (vgl. Dörfler 2004a). Vorstellbar sind auch verstärkte Initiativen über Auszeichnungen für Betriebe mit einer gleichstellungsorientierten Vereinbarkeitspolitik, die sich an Frauen und Männer richtet, sowie die Einführung und werbewirksame Umsetzung von Preisen, z.B. für Betriebe mit hoher Rückkehrquote, mit Qualifizierungsprogrammen während der Karenz, mit Betriebskindergärten. 154 Dies ist in Österreich der Familienlastenausgleichsfonds, in den Dienstgeber abhängig von der Lohnsumme für alle unselbständig Beschäftigten einzahlen. Selbständige und Bauern zahlen bedeutend weniger ein, die neuen Gruppen der KinderbetreuungsgeldbezieherInnen wie Studierende und im Haushalt Tätige gar nicht. Dem steht gegenüber, dass der Familienlastenausgleich über das Budget mitfinanziert wird. Trotzdem dürfte es hier Umverteilungseffekte geben, deren Effizienz zu untersuchen wäre.
Gender Gap und Elternkarenz
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4.3.4 Gender Gap und Elternkarenz II: Arbeitsteilung und Väterkarenz Der Aus- und Umbau der österreichischen Karenzregelungen im Sinne der von Schmid genannten Kriterien und mit Referenz zu Erfahrungen in europäischen Ländern kann entscheidend dazu beitragen, die Karriereperspektiven von Müttern zu erhöhen und von dieser Seite den Gender Gap zu schließen. Eine solche wohlfahrtsstaatliche (Teil-) Strategie würde in den Rahmen des Universal Breadwinner-Modells von Fraser (1994) passen und die Geschlechtergleichstellung über die Annäherung der Arbeitsmarktkarrieren von Frauen an jene der Männer anzustreben versuchen. Aus einer feministisch-emanzipatorischen Perspektive bleibt dies unbefriedigend, weil es einmal mehr darum geht, die aus der Arbeitsmarktperspektive festgestellten Defizite der Frauen abzubauen. Von Seiten feministischer Sozialpolitik kann eingewendet werden, dass der Fokus nur mehr auf der Defamilialisierung liegt und Care-Tätigkeiten noch weiter aus dem ökonomisch relevanten Blickfeld hinausgeschoben werden (vgl. Lewis 2002 für eine ausführliche Zusammenfassung dieser kritischen Position). Und aus den Erfahrungen mit wesentlich besser institutionalisierten Freistellungssystemen darf geschlossen werden, dass der mögliche Erfolg begrenzt ist – auch Schweden weist (wenn auch wesentlich geringere) Gender Gaps auf.155 Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf der individuellen Ebene ist mit jener auf der strukturellen Ebene untrennbar verknüpft – was uns zur Frage der Arbeitsteilung zurückführt: Unter der Voraussetzung, dass Kinderbetreuungsaktivitäten nicht vollständig in die Erwerbssphäre verlagerbar sind, bleibt die Arbeitsteilung zwischen marktvermittelter Erwerbsarbeit und außermarktlicher Betreuungsarbeit relevant und damit die Frage der individuellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die es mit einer egalitären Zielsetzung zu verändern gilt. In der Frage der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung spielt die Elternfreistellung eine zentrale Rolle: Die Lebenslaufforschung hat gezeigt, dass sich die Lebensläufe von Frauen und Männer bis zur Geburt des ersten Kindes bereits weitgehend angeglichen haben bzw. dies noch weiter tun (vgl. Kortendiek 2004). Die Geburt von Kindern fällt jedenfalls in die Haupterwerbsphase156 und ist daher arbeitsmarktrelevant, und zu diesem Zeitpunkt sind meistens noch beide Elternteile greifbar.157 Die Fragen „wer bleibt überhaupt und wann und wie lange... zu Hause“ stellen sich zwangsläufig, und sie richten sich in überwiegendem Ausmaß an zwei erwerbstätige Individuen. Sie betreffen aber nicht in gleicher Weise Mütter und Väter, stattdessen startet ein „Traditionalisierungseffekt von Elternschaft“, der den Angleichungsprozess zwischen den Geschlechtern mit Beginn der Elternschaft unterbricht (Kortendiek 2004, 388).158 Mütter gehen in Karenz, in den allermeisten Fällen ohne das Durchlaufen eines rationalen Entscheidungsprozesses im ökonomisch155
Es sei noch auf pädagogische Argumente verwiesen (Kinder brauchen Väter), und natürlich auch auf die Wünsche und Präferenzen derselben selbst. 156 Die Verschiebung des Zeitpunkts der Geburt des ersten Kindes nach hinten, die generell zu beobachten ist, ändern an diesem Faktum nichts und geht zudem mit der Verlängerung der Erwerbsphase im Zuge von Umstrukturierungen in den Pensionssystemen einher. Die vereinzelt zu beobachtenden medizinischen „Experimente“ mit Geburten bei über 50-jährigen Frauen erachte ich nicht als relevante Tendenz der Zukunft. 157 Die Anzahl unehelicher Geburten ist in Österreich zwar traditionell sehr hoch, was jedoch nicht heißt, dass die Väter nicht verfügbar wären. Der überwiegende Teil der Trennungen erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt, nicht im Kleinkindalter. 158 Traditionalisierungseffekte gibt es allerdings nicht erst rund um die Entscheidungen über Betreuungsarbeit, sondern auch bereits im Kontext der Aufteilung von Hausarbeit, die trotz einer nach außen vertretenen Rhetorik der Gleichheit häufig immer noch traditionellen, d.h. ungleichen Mustern folgt (vgl. Wetterer 2003).
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Gender Gap und Care
theoretischen Sinn. Väter wägen ab und finden unter gegebenen Bedingungen jede Menge Begründungen gegen die Inanspruchnahme der Karenz. Es geht nun um die Frage, wie dieser Startpunkt asymmetrischer geschlechtsspezifischer Verteilung der Betreuungsarbeit verändert werden kann, wie die Elternfreistellung gleichstellungspolitisch nutzbar gemacht werden kann. Meines Erachtens reichen die Kriterien „guter“ Übergangsarbeitsmärkte nicht weit genug. Sie können die individuellen Kosten der Unterbrechungen massiv reduzieren, aber sie enthalten zu wenige Anreize für Väter zu einer gleichen Beteiligung in der Betreuungsarbeit. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der ausschließlich formale Zugang (Elternkarenz) und relativ schwache Anreize (6 Monate Kinderbetreuungsgeld quotiert für Väter) nicht ausreichen, um die Arbeitsteilung zu ändern. Es bedarf einer expliziten Väterförderung in Richtung ihrer erhöhten – und letztlich paritätischen – Inanspruchnahme der Freistellungsregelungen. Dazu sollen im Folgenden einige Überlegungen angestellt werden.
A
Väterkarenz und egalitäre Arbeitsteilung
Die Einflussfaktoren auf die Entscheidung, eine Karenz in Anspruch zu nehmen oder nicht, sind de facto für Männer und Frauen unterschiedlich gestaltet. Die Ursache dafür sind nicht komparative Vorteile im Sinne der Becker’schen Spezialisierung im Haushalt, sondern zum einen die Rückwirkungseffekte unterschiedlicher Karriereperspektiven am Arbeitsmarkt, zum anderen gesellschaftliche Rollenerwartungen an Mütter und Väter. Die Inanspruchnahme einer Karenz durch die Mutter ist die gesellschaftliche Norm, quasi ein Automatismus, dem in Österreich nur wenige Mütter vollständig ausweichen können (und im Sinne einer Vermeidung der Kosten einer permanenten widerständigen Auseinandersetzung mit diesen Normen auch nicht ausweichen wollen). Bei Vätern gibt es diesen Automatismus nicht in Richtung Karenz, sondern in Richtung verstärkter Erwerbstätigkeit, um der Norm ihrer „Ernährerfunktion“ gerecht werden zu können (Kortendiek 2004).159 Befragungen bei den wenigen „Karenzvätern“ zeigen denn auch, dass diese sich dann für eine Karenzierung entscheiden, wenn sie entweder ohnehin eine berufliche Umorientierung vor sich haben oder wenn eine bewusste Wahlentscheidung für eine "neue Vaterschaft" (kindbezogene Motivation) bereits getroffen wurde. Diese sogenannten "neuen Väter" sind typischerweise überdurchschnittlich gebildet und weisen bereits eine egalitäre Lebenseinstellung auf. Die Väterkarenz selbst wird durch ein zumindest ausgeglichenes Verdienstniveau der Partnerin, eine starke Karriereorientierung der Partnerin und häufig auch durch Brüche in den Erwerbsbiografien der Väter selbst begünstigt.
159 Von Bedeutung ist, wie Vaterschaft “konstruiert” ist, die Rahmenbedingungen der Karenz sind dann auch eine Folge dieser Konstruktion. Anhand eines Vergleichs der Sozial- und Familienpolitik von Schweden und Deutschland lassen sich differente Konstruktionen der Vaterschaft verheirateter Männer darstellen (vgl. Kolbe 2000): So kann in diesen Ländern seit der Nachkriegszeit zwischen einem weitgehend geschlechtsneutralen Individualmodell von Elternschaft in Schweden und einem Modell von Vätern als „Familienernährer“ in Deutschland unterschieden werden. Zwar wurden bis in die 70er Jahre in beiden Ländern Ehemänner als „Familienernährer“ betrachtet, danach hat sich in Schweden eine geschlechteregalitärere Wohlfahrtsstaatenorientierung durchgesetzt. Zunehmend wich die geschlechtsneutrale einer geschlechterspezifischen Politik, die die Wichtigkeit von Väterbeteiligung an Familienarbeit explizit betonte (siehe unten). In Ländern wie Deutschland und Österreich hat sich an der prinzipiellen „Ernährerrolle“ der Väter kaum etwas geändert (Kortendiek 2004).
Gender Gap und Elternkarenz
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Auch wenn Väter ihre „Ernährerrolle“ bedingt durch Arbeitslosigkeit oder atypische Beschäftigungsformen nicht mehr voll wahrnehmen können oder wollen, liegt darin ein gewisses Potenzial für Veränderungen der Arbeitsteilung - letztlich aber nur für eine kleine Gruppe unter bestimmten Rahmenbedingungen und bei Vorliegen einer egalitären Grundhaltung.160 In den meisten Fällen dürfte der soziale und ökonomische Druck auf Wiedererlangung der „Ernährerrolle“ deutlich stärker sein und die Übernahme der Betreuerrolle für Väter keine Alternative darstellen (siehe Kortendiek 2004 und die dort angegebene Literatur). Im Rahmen der Familienforschung, aber auch der Männerforschung wird die teilweise paradoxe Situation von Vätern zwischen der „vaterlosen Gesellschaft“ und den „neuen Vätern“ zunehmend thematisiert, wenngleich es sich um ein junges Forschungsgebiet handelt, in dem es noch viel zu tun gibt.161 Für die Fragestellung meiner Arbeit ist das Herausarbeiten der Grundlagen eines egalitären Arbeitsteilungsverständnisses von zentraler Bedeutung, denn – wie gleich gezeigt werden wird – die Förderung der Väterkarenz durch eine adäquate Ausgestaltung von Freistellungsregelungen ist zwar eine notwendige Bedingung für den Eintritt der Väter in die Betreuungsarbeit, aber noch keine hinreichende.
B
Förderung der Väterkarenz: das Vorbild Schweden
Der schwedische Wohlfahrtsstaat legte bereits in den 60er und 70er Jahren die Grundlagen für eine egalitäre Positionierung in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. „This policy was influenced by a new notion of women and men as equals as far as employment and responsibility for children were concerned“ (Nyberg 2004, 30). Seit damals wurden Bemühungen gesetzt, explizit ein dual-earner/dual-carer-Modell über die Kinderbetreuungs- und Elternkarenzpolitik zu forcieren. Zum einen sollen Kinderbetreuungseinrichtungen so gestaltet sein, Frauen vollständigen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen (dual-earnerDimension), neben bildungspolitischen Zielen ist gender equality eine klare Zielsetzung in der Gestaltung des öffentlichen Betreuungsangebots. Zum anderen wird die Väterkarenz als zentrales Instrument zur Erreichung der dual-carer-Dimension angesehen und entsprechend ausgebaut. Der Staat übernimmt in jedem Fall eine sehr aktive Rolle, zudem wird versucht, die einzelnen Politikbereiche für die gemeinsame Zielsetzung zu koordinieren.162 Das schwedische Karenzsystem besteht aus einer zeitlichen Karenzierung von maximal 480 Tagen, die flexibel bis zum achten Geburtstag des Kindes genutzt werden können. 160
Vgl. die Ergebnisse der Untersuchung von Bürgisser 1998 zu Paaren mit egalitärer Rollenteilung in der Familie. Eine egalitäre Ausrichtung muss bereits vor der Entscheidungsfindung über die Verteilung der Karenz vorhanden sein. In Kombination mit förderlichen institutionellen und beruflichen Rahmenbedingungen finden egalitäre Arbeitsteilungsmodelle Realisierung. Die damit verbundene neue Form der Elternschaft wurde von beiden Partnern jeweils als sehr positiv eingeschätzt. Insbesondere wurde hervorgehoben, dass Kinder nicht nur eine Hauptbezugsperson in der Familie haben. Väterkarenz kann auch auf der Basis intrinsischer Motive gefördert werden. Aktive Vaterschaft wahrzunehmen ist ein Wert an sich und kommt als solchen den Vätern selbst, ihren Kindern, ihren Partnerinnen und der Gesamtgesellschaft zugute. Sie bedeutet sowohl für Väter wie Kinder eine elementare emotionale und soziale Erfahrung. 161 Das Forschungsprojekt Work changes Gender, in dessen Rahmen ein Teil des vorliegenden Kapitels entstand, kann als Beispiel für diese Forschungsrichtung angeführt werden. Zu den Ergebnissen vgl. Puchert et al. 2005. 162 Alle Informationen sind den Unterlagen zum Peer Review-Verfahren zur schwedischen Karenz- und Kinderbetreuungspolitik vom April 2004 entnommen (European Commission 2004, Kreimer 2004b).
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Gender Gap und Care
390 Tage davon sind bezahlt, das Karenzgeld beträgt 80% des vorherigen Einkommens mit einer Obergrenze von rund 70 Euro pro Tag und einem minimalen Karenzgeld von 20 Euro pro Tag.163 Mütter und Väter haben prinzipiell den gleichen Anspruch (d.h. auf jeweils die halben Tage), können diese Ansprüche aber mit Ausnahme von jeweils 60 Tagen, die als „mum’s“ bzw. „dad’s months“ reserviert sind, transferieren. Ein solcher „Papamonat“ wurde erstmals 1995 eingeführt (30 Tage), 2002 wurde auf 60 Tage erhöht. Auch Teilzeitkarenz ist möglich,164 die praktischen Erfahrungen zeigen, dass der größte Teil in Vollzeitkarenz und in längeren zeitlichen Blöcken in Anspruch genommen wird. Für die restlichen 90 Tage wird ein einkommensunabhängiger fixer Transfer im Ausmaß von rund sieben Euro pro Tag bezahlt, wiederum besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme bis zum achten Geburtstag des Kindes. 80% der Väter machen von ihrem Karenzrecht Gebrauch, sie machen rund 43% der Karenzierten aus. Allerdings sind die Karenzspannen der Väter deutlich kürzer als die der Mütter, bezogen auf alle Karenztage werden 19% von Vätern verbraucht. Für 1999 geborene Kinder wurde erhoben, dass in ihren ersten vier Jahren ihre Väter durchschnittlich 43 Tage in Karenz mit ihnen verbracht haben, während die Mütter fast ein ganzes Jahr (338 Tage) die Betreuung übernahmen (Nyberg 2004, 45). Eine erste Evaluierung der Einführung des zweiten Papamonats zeigt, dass Väter nun mehr Karenztage in Anspruch nehmen als vor der Reform (Eriksson 2005). Die Karenzväter sind primär gut ausgebildete, in Schweden geborene Männer mit gutem Einkommen (allerdings nur bis zur Obergrenze, siehe oben) und unbefristeten Arbeitsverträgen in Partnerschaften mit ebenfalls gut ausgebildeten Frauen. Ein egalitäres Arbeitsteilungsmodell im Sinne eines dual-earner/dual-carer Modells ist auch in Schweden auf eine bestimmte Gruppe von Familien beschränkt. Das schwedische Modell wird in der Wohlfahrtsstaatenforschung vielfach als vorbildlich gesehen.165 Dennoch besteht aus schwedischer Sicht Reformbedarf. Zwar wurde die dual-earner-Dimension insbesondere über die Kinderbetreuungspolitik gut gestützt,166 aber die Veränderung der Arbeitsteilung, die für die dual-carer-Seite unabdingbar ist, ist im Vergleich dazu noch wenig ausgeprägt. Trotz massiver Bemühungen ist die effektive Beteiligung von Vätern in der Karenz noch bei weitem nicht gleich den Müttern. Im Mittelpunkt
163
Die Untergrenze ist auch für nicht erwerbstätige Eltern relevant; bezogen auf einen Monat ist das untere Karenzgeld in Schweden daher mit rund 600 Euro deutlich höher als das Kinderbetreuungsgeld in Österreich. Das maximale Karenzgeld beträgt monatlich rund 2100 Euro. Rund 36% der Vollzeitbeschäftigten haben ein Einkommen über der Höchstgrenze, bekommen daher weniger als 80% Einkommensersatz in der Karenz. Auch in Schweden ist der glass ceiling bemerkbar: 75% der EinkommensbezieherInnen über der Höchstgrenze sind Männer (Nyberg 2004, 42). 164 Allerdings nicht gleichzeitig für beide Eltern, wie auch generell die Karenzzeiten nur alternativ in Anspruch genommen werden können. Die Überlegung ist, dass jedes Kind potenziell 480 Karenztage mit einem Elternteil erleben kann. 165 Siehe z.B. Bruning/Plantenga 1999, Sainsbury 1994, Duncan 1998, Lewis 1992, Hartmann 1999, Haas 2003. Schweden hat als erstes Land 1974 die Karenz für Väter eingeführt, bereits damals mit einer expliziten gleichstellungspolitischen Begründung im Gesetzestext (Hartmann 1999). 166 Wobei von Nyberg (2004) angemerkt wurde, dass die Politik hier nachgezogen hat und nicht ursächlich verantwortlich war: Frauen sind in den Arbeitsmarkt eingetreten, bevor es ausreichend Kinderbetreuungsplätze gab. Bis in die 90er Jahre sind die Frauenerwerbstätigkeit und das öffentliche Kinderbetreuungsangebot parallel angestiegen, die wirtschaftliche Krise in den 90er Jahren hat zu Einschnitten bei der Erwerbstätigkeit geführt, obwohl das Kinderbetreuungsangebot weiter ausgebaut wurde. Das Kinderbetreuungsangebot ist daher zwar eine notwendige Bedingung für weibliche Erwerbsteilnahme, aber keine hinreichende.
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des Peer-Review-Verfahrens stand daher auch die Frage, wie die Väterkarenz tatsächlich in Richtung dual-carer ausbaubar ist. Diskutiert wurden folgende Vorschläge: Anheben der Obergrenze beim Karenzgeld, weil vor allem Väter ein Einkommen über der Grenze aufweisen; Verlängerung der Karenzzeit zugunsten der individuellen Ansprüche der Väter; Verlängerung der „Papazeit“ innerhalb der bestehenden Zeiten; Kombination aus Zeit- und Geldreform: Väter und Mütter haben je sechs Monate Anspruch mit voller Kompensation; wenn sie ihre Ansprüche transferieren, wird die Ersatzrate deutlich reduziert. Dem ersten Vorschlag kann entgegengehalten werden, dass nach wie vor auch viele Väter unterhalb dieser Grenze keine Karenz in Anspruch nehmen. Eine Verlängerung über die 480 Tage hinaus würde nur dazu führen, dass Väter Karenz in Anspruch nehmen, wenn die Kinder schon älter sind – und im Sinne einer Veränderung der Arbeitsteilung ist es das Ziel, sie während des ersten Jahres in Karenz zu bringen. Insofern wäre der dritte Vorschlag relevant, allerdings bestehen Zweifel, dass Väter dies ohne weitere Änderungen nutzen würden.167 Daher sind im vierten Vorschlag beide Elemente kombiniert: Väter und Mütter könnten jeweils sechs Monate Karenz ohne Einkommensverlust168 in Anspruch nehmen, wenn Väter ihre Ansprüche transferieren, geht dieser Anreiz verloren.
C
Väterkarenz in Schweden und Österreich: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Die österreichische Karenz- bzw. Kinderbetreuungsgeldregelung unterscheidet sich vor allem in Bezug auf die Dauer der Karenz sowie die Höhe der Transferleistung von der schwedischen Karenz, dazu kommt die Abkoppelung von Zeit- und Geldleistung seit 2002. Für die deutlich geringere Inanspruchnahme durch Väter wird vor allem das auf einem relativ niedrigen Niveau fixierte Kinderbetreuungsgeld verantwortlich gemacht. Städtner (2002, 30) hat auf der Basis von 1999 die Einkommensersatzquoten des damaligen Karenzgeldes berechnet: Sie betrugen 49% des Netto-Medianeinkommens der Frauen und 32% des Nettomedianeinkommens der Männer. Das Kinderbetreuungsgeld ist zwar etwas höher, aber auch die Einkommen sind seit 1999 gestiegen, sodass sich an dieser Relation vermutlich nichts geändert haben dürfte.169 Interessant ist der Vergleich der schwedischen „Papa-Monat2“ mit der österreichischen Regelung, wonach sechs Monate Transferbezug für den zweiten Elternteil, d.h. in der Regel den Vater reserviert sind. Auf den ersten Blick erscheint dies generös in Relation zu 167
Die Erfahrung mit den für Väter quotierten sechs Monaten Karenz- bzw. Kinderbetreuungsgeldbezug in Österreich bestätigen tendenziell diese Vermutung. 168 Ganz wird auf eine obere Einkommensgrenze nicht verzichtet werden können, aber sie könnte so festgesetzt werden, dass statt aktuell 36% der Einkommensbezieher ein wesentlich geringerer Anteil betroffen ist. 169 Der Unterschied bei den Einkommensersatzquoten ist beim ersten Quartil der EinkommensbezieherInnen am höchsten, hier erhalten Männer 46% ihres Einkommens, Frauen sogar 101%. Hier besteht klarerweise absolut kein Anreiz für Väter. Im dritten Quartil ist der Abstand am geringsten, Männer erhalten weniger als ein Viertel ihres Nettoeinkommens, wenn sie in Karenz gehen, Frauen rund ein Drittel. Dies erklärt, dass die wenigen Karenzväter tendenziell aus der Gruppe der gutverdienenden Beschäftigten kommen, weil der Verlust für das Familieneinkommen hier relativ geringer ist – allerdings ist er natürlich absolut am höchsten. Dass hochqualifizierte Frauen nur ein Drittel ihres Einkommens in der Karenz ersetzt bekommen, verweist auf die Problematik von Verteilungseffekten unter Frauen.
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Gender Gap und Care
den zwei Monaten (seit 2002) in Schweden. Gerade dieser Umstand hat Österreich auch in einigen vergleichenden Studien positive Bewertungen in Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung eingebracht (Bruning/Plantenga 1999). Es lassen sich drei Gründe identifizieren, warum diese sechs Vätermonate so wirkungslos geblieben sind: Die Einkommensfrage stellt sich auch in diesem Zusammenhang. Die Angaben zu den Karenzvätern zeigen ja, dass es tendenziell Väter sind, die wenig oder gar kein Erwerbseinkommen beziehen (Arbeitslose, Studenten) oder die Gestaltungsspielräume beim Einkommen nutzen können (Selbständige) oder für die aufgrund der Jobsicherheit das Einkommen nicht allein die entscheidende Rolle spielt (Beamte). Weniger beachtet, aber ebenfalls relevant ist die Abkoppelung des zeitlichen Anspruchs von der Geldleistung, die auch bereits im alten System vorhanden war. Es waren sechs Monate Karenzgeldbezug für den Vater reserviert, jedoch nicht die dazugehörigen Karenzzeitansprüche. De facto blieben die Frauen zwei Jahre in Karenz, davon sechs Monate ohne Karenzgeld. Meldefristen, verminderter Kündigungsschutz in der neuen Regelung für Väter und fehlende de facto-Flexibilität sind weitere Gründe gegen die Inanspruchnahme einer Karenz durch Väter. In Schweden sind die Rechte und Pflichten für Mütter und Väter völlig analog gestaltet, zudem ist das Ausmaß an möglicher Flexibilität deutlich höher. Inwiefern die Wahlmöglichkeiten beim Kinderbetreuungsgeld ab 2008 einen Anreiz für die Väterkarenz darstellen, ist derzeit noch nicht abschätzbar.170 Zwar werden derzeit die Väterkarenz und insbesondere das Papamonat in der Öffentlichkeit relativ häufig angesprochen,171 allerdings bleibt es bislang bei Appellen an die Gesinnung der Väter endlich ihre Verantwortung wahrzunehmen, eine explizite Förderung, die an den oben genannten Punkten ansetzen müsste, ist nicht in Sicht. Aber auch die Gesamtpolitik unterscheidet sich natürlich von der schwedischen: Österreich hat keine Zielsetzung in Richtung dual-earner/dual-carer Modell (siehe Kap. 4.2), der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtung zur Ermöglichung der Vollzeiterwerbstätigkeit beider Eltern ist als politisches Ziel ebenso kaum sichtbar wie die Qualitätsfrage in Bezug auf Kinderbetreuungseinrichtungen.172 Geschlechtergleichstellung ist in keiner Weise mit dem Kinderbetreuungsthema und mit der Karenzpolitik verknüpft.
170
Höhere Bezüge bei kürzerer Bezugsdauer kommen Vätern tendenziell entgegen, allerdings müssen sich beide Elternteile am Beginn des Bezugs für eine Variante entscheiden und können dies dann auch nicht mehr ändern. Daher ist zu erwarten, dass in den meisten Fällen die Entscheidung über die Bezugsvariante sich eher nach den Präferenzen und Rahmenbedingungen der Mutter richten dürfte. Für Paare im mittleren und vor allem im oberen Einkommenssegment, die bereits über eine gewisse egalitäre Grundhaltung zur Aufteilung der Kinderbetreuung verfügen, sollte es jedenfalls einfacher werden, diese auch in die Praxis umzusetzen. Insofern ist ein verstärkter Anreiz zur Väterkarenz für bestimmte Gruppen von Vätern zu erwarten. 171 Siehe zum Beispiel die Seiten zu „Väterkarenz und Papamonat“ auf der Homepage des Sozialministeriums (www.bmsk.gv.at), entsprechende Vorschläge und Initiativen finden sich auch bei der Arbeiterkammer oder bei kirchlichen Organisationen. 172 Kinderbetreuungseinrichtungen fallen in die Kompetenz der Länder, die diesbezüglich eine unterschiedliche Politik verfolgen. Die in Kapitel 4.2 angeführten regionalen Unterschiede im öffentlichen Kinderbetreuungsangebot belegen dies. Es fehlt ein einheitlicher Rahmen auf Bundesebene, in dem Eckpunkte zur Qualität, zu den Kosten für Eltern, zu Öffnungszeiten etc. vorgegeben werden.
Gender Gap und Elternkarenz D
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Förderung der Väterkarenz: Anknüpfungspunkte für Österreich
Der entscheidende Faktor und damit Anknüpfungspunkt ist nach wie vor das Einkommen. Ausgehend vom existierenden Einkommensvorteil der Männer ist die Inanspruchnahme einer Karenz mit einem relativ niedrigen Fixbezug fast ausschließlich durch Frauen rational, darüber hinaus ist eine länger andauernde Väterkarenz für viele Familien einfach nicht leistbar. Anstelle des betragsmäßig fixierten Kinderbetreuungsgeldes müsste ein einkommensabhängiges Karenzgeld eingeführt werden, das sich proportional zum Einkommen bewegt und eine untere wie auch obere Grenze aufweist. Diese Parameter könnten sich teilweise an anderen Systemen orientieren,173 müssten jedenfalls aber politisch festgelegt und entsprechend vermittelt werden – als Lohnersatzleistung für die befristete Übernahme einer gesellschaftlich anerkannten Arbeitsleistung.174 Studienergebnisse wie auch die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass kürzere Karenzzeiten von Vätern eher in Anspruch genommen werden. Dies würde jedenfalls für eine Verkürzung der derzeit in Österreich vorgesehenen Mindestkarenzzeit von drei Monaten sprechen, sowie für mehrfache, möglichst flexible Wechselmöglichkeiten. Die Variante "Je kürzer, desto höher" ist über die Wahlmöglichkeiten zum Kinderbetreuungsgeld ab 2008 bereits Realität. Die Möglichkeit kürzere Karenzzeiten in Anspruch zu nehmen, dafür aber ein höheres Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, ist nicht nur für Väter interessant, sondern auch für hochqualifizierte Frauen mit entsprechender Karriereperspektive. Die derzeitigen Varianten könnten weiter ausgebaut werden, z.B. als Wahl zwischen einem längeren Bezug mit fixem Kinderbetreuungsgeld und einer deutlich kürzeren Spanne mit einkommensabhängigem Karenzgeld. Die Forderung nach einem individuellen Anspruch des Vaters, unabhängig vom Anspruch der Mutter, ist mittlerweile in Österreich ebenfalls erfüllt. Allerdings ist dies ähnlich wie die Quotierung der sechs Monate Karenz- bzw. Kindergeldbezug für den zweiten Elternteil nur ein äußerst schwacher Anreiz für Väter. Verstärkte Anreizwirkungen könnten vom diskutierten „Papamonat“ ausgehen: Gemeint ist hier die Einführung eines Vaterschutzmonats in Analogie zur Mutterschutzfrist innerhalb der ersten acht Wochen nach der Geburt bei vollem Lohnausgleich, allerdings auf freiwilliger Basis. Eine andere Möglichkeit wäre die Verstärkung der Anreizwirkung, beispielsweise geringerer Anspruch auch für die Mutter, wenn sich der Vater nicht beteiligt. Attraktive Bestimmungen zur Teilzeitkarenz, d.h. insbesondere die Einführung eines Teilzeitkarenzgeldes in Abstimmung mit dem Teilzeiteinkommen, könnten entscheidende Impulse in Richtung eines „Nebeneinanders“ von Beruf und Familie leisten. Allerdings bedarf es hier nicht nur wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen, sondern auch eines Umdenkens auf der Wirtschaftsseite (siehe Kap. 3.5 zur Frage qualifizierter Teilzeitarbeit bzw. 173
Z.B. Obergrenze in der Arbeitslosenversicherung, eventuell auch Ersatzraten des Arbeitslosengeldes. Ende der 90er Jahre gab bereits eine Diskussion um die Veränderung des Karenzsystems. Gegen ein einkommensabhängiges Karenzgeld haben sich in verschiedenen Interessensgruppen GegnerInnen gefunden, die sich u.a. gegen die unterschiedliche Abgeltung von Betreuungsleistungen in einem einkommensabhängigen System wehrten. Diesen Einwänden ist entgegenzuhalten, dass die Einzahlungen in der Familienlastenausgleichsfonds, aus dem Karenzgeld bzw. Kinderbetreuungsgeld bezahlt werden, sehr wohl einkommensabhängig sind; und dass im neuen System im Wesentlichen unselbständig Beschäftigte einzahlen, aber alle Eltern dieselbe Leistung bekommen. Da nicht alle Individuen Kinder haben und da nicht alle dasselbe Einkommen beziehen, kommt es über ein Karenzgeldsystem immer zu Umverteilungen. Es bedarf einer politischen Festlegung der Parameter dieser Umverteilungswirkungen.
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Gender Gap und Care
deren Defizite). Eine Untersuchung bei „Teilzeitvätern“ zeigt subjektiv und objektiv besondere Schwierigkeiten, aber auch Motivationslagen auf:175 In der gemeinsamen Teilzeitkarenz liegen derzeit die größten Potenziale für eine symmetrische Gestaltung der Betreuungsarbeit und damit auch für die Veränderung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung (siehe Kap. 5.3 für das Beispiel der Niederlande). Da diese Potenziale sich nicht in jedem Fall nutzen lassen werden, bedarf es darüber hinaus adäquater infrastruktureller Begleitung, d.h. flexibler Kinderbetreuungseinrichtungen als Ergänzung für im höher qualifizierten Bereich in der Regel flexible Teilzeitbeschäftigung. Das neue österreichische Recht auf Elternteilzeit mag einen Schritt in diese Richtung darstellen, allerdings fehlen wiederum die Verknüpfung mit dem Einkommen und die Abstimmung mit den Karenzregelungen. Diese Förderung auf der sozialrechtlichen Ebene müsste durch betriebliche Strategien der Vereinbarkeitsförderung vor allem für Väter ergänzt sowie durch entsprechende Kampagnen auf der normativen Ebene begleitet werden, um das traditionelle Rollenverständnis bei vielen der beteiligten AkteurInnen aufzubrechen (Pircher/Sensenig-Dabbous 1999, Sauerborn 1999, Puchert et al. 2005).
4.3.5 Fazit: Elternkarenz und Gleichstellung der Geschlechter Haas (2003) stellt in ihrer Analyse der Elternkarenzpolitik auf EU-Ebene fest, dass die EU gender equality zwar mittlerweile relativ stark thematisiert (siehe auch Kap. 5.1), aber den zentralen Aspekt der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung vernachlässigt. Mit der Ausnahme skandinavischer Staaten (Dänemark, Finnland und Schweden) stützen die vorhandenen Karenzregelungen in allen anderen Staaten nach wie vor massiv das traditionelle Arbeitsteilungsmuster. „The EU and member states publish annual updates on ‘gender perspectives’, to report statistics and initiatives related to women’s position in labor force, but these updates do not discuss men’s share of family work or take-up of parental leave“ (Haas 2003, 109). Die Ausgestaltung der Elternkarenz ist in mehrfacher Weise für den Gender Gap von entscheidender Bedeutung: Während sich die Erwerbsverläufe junger Männer und Frauen de facto nicht mehr unterscheiden, markiert die erste Karenzierung eine Zäsur, den effektiven Startpunkt asymmetrischer Arbeitsteilung. Gut institutionalisierte „Übergänge“, die den Aspekt der Väterbeteiligung nicht berücksichtigen, können zwar die Auseinanderentwicklung von Frauenund Männerkarrieren etwas bremsen, aber nicht vermeiden. Über Prozesse der statistischen Diskriminierung wirkt die weibliche Dominanz in der Karenz zudem auf Frauen ohne Kinder zurück, der Mother Gap hat Auswirkungen auf die Einkommens- und Karriereperspek175
Schneider 1989 hat „Teilzeitväter“ in Deutschland interviewt: Männer, die ihre Berufstätigkeit schon vor der Geburt eines Kindes auf eine Teilzeitstelle beschränkten und/oder im öffentlichen Bereich arbeiteten, fanden Teilzeitarbeit sowohl im familiären wie im beruflichen Bereich als zufriedenstellend. Ihre Motivation zur Teilzeitarbeit wurde auch von einer Fülle von Freizeit- und sonstigen Interessen beeinflusst. Männer, die vorher einer konventionellen beruflichen Laufbahn in Vollzeitbeschäftigung nachgegangen waren, schätzen den Übergang zur Teilzeitarbeit als familiär zufriedenstellend ein, während die Arbeitssituation vor allem Anlass zur Kritik bot (Intensivierung der Arbeit, nicht eingehaltene Arbeitszeiten, Verschlechterung der Aufstiegschancen und Weiterbildungschancen). Ihre Motivation zum Eingehen von Teilzeitarbeit entsprang vorwiegend einer partnerschaftlichen Grundeinstellung, die dem Wunsch der Frau nach Berufstätigkeit entgegenkommt, einer Lebenseinstellung, in der Berufstätigkeit andere Lebensbereiche nicht völlig dominieren sollte und dem Wunsch einer nach intensiveren Erziehung bzw. Betreuung des Kindes.
Gender Gap und Elternkarenz
255
tiven kinderloser Frauen.176 „Parental leave must be widely used by men to reduce the stigma parenthood now has on women’s employment opportunities“ (Haas 2003, 109). Das Beispiel Schweden zeigt uns jedoch auch, dass die Herausforderung der Änderung der Arbeitsteilung massiver Anstrengungen bedarf. Mit der Ausgestaltung der Karenz erfolgt von Seiten des Wohlfahrtsstaates auch eine Bewertung von Care: Eine erwerbsorientierte Ausgestaltung wie im Fall Schwedens mag zwar auf den ersten Blick als Abwertung von Care, weil der Dominanz des Arbeitsmarktes unterstellt, interpretiert werden. Aus einer integrierenden Perspektive heraus ist jedoch das Gegenteil der Fall. Mit dem Wahrnehmen der öffentlichen Verantwortung für Care und für die Arbeitsteilung wird ein entscheidender Schritt gesetzt, die Dichotomien von öffentlich und privat, von Produktion und Reproduktion zu überschreiten. Damit wird nicht nur dem Charakter von Care als öffentlichem Gut Rechnung getragen, sondern der Bereich der Betreuungstätigkeiten aufgewertet und politischer (Qualitäts-)Kontrolle unterstellt (siehe auch Kap. 5.3).
176
Insofern ist der Mother Gap Teil und zugleich Ursache des generellen Gender Gap. Wenn wir am in der Einleitung zu Kapitel 4 angeführten Berechnungsbeispiel zum Mother Gap anknüpfen, würde dies bedeuten, dass ein Teil des Gap zwischen vollzeiterwerbstätigen kinderlosen Frauen und Männern indirekt auf den Mother Gap zurückzuführen ist, dieser also letztlich effektiv größer ist.
256
4.4
Gender Gap und Care
Fazit: Gender Gap und Care
Untersuchungen zum Einfluss von Betreuungstätigkeiten auf die weibliche Erwerbstätigkeit gehören bereits zum Forschungsfeld der Arbeitsmarktökonomik. Die in den einzelnen Abschnitten des dritten Kapitels präsentierten ökonomischen Zugänge verweisen auf eine teilweise sogar relativ rege Forschungstätigkeit, insbesondere zum Gender Pay Gap (vgl. z.B. Beblo/Wolf 2002). Auch auf der Makroebene wird Care angesprochen, beispielsweise geht es um das Sichtbarmachen der ökonomischen Kosten des traditionellen Arbeitsteilungsmodells. Bauer (2000) berechnet die Kosten der „Familienfalle“ – so der Titel seines Buchs - für die Schweiz und in der Folge den volkswirtschaftlichen Gewinn, der durch eine egalitäre Arbeitsteilung (gleiche Anteile von Frauen und Männern in Erwerbs- und Betreuungsarbeit) erzielbar wäre.177 Schätzungen zu den makroökonomischen Effekten der Subventionierung von Kinderbetreuungseinrichtungen können ebenfalls angeführt werden. Der ökonomische Begriff der Effizienz mag zwar ob der Besonderheiten dieses Gutes zur Analyse von Care wenig geeignet sein; um die Ineffizienz des traditionellen Arbeitsteilungsmodells in volkswirtschaftlicher Hinsicht aufzuzeigen, lässt er sich sehr wohl verwenden. Die Ineffizienz vollständiger Spezialisierung wurde in neueren verhandlungstheoretischen Modellen bereits gezeigt (vgl. Ott 1995), die Ineffizienz des Gender Gap Beschäftigung wird in der beschäftigungspolitischen Diskussion neben der normativen als weitere Begründung für die Notwendigkeit gleichstellungspolitischer Maßnahmen verwendet (vgl. Fagan/Rubery 1996 und Kap. 5). Aber Care bleibt dabei in der Regel eine exogene Variable, ein Faktum, das geschlechtsspezifische Unterschiede im Arbeitsmarkt erklärt, aber nicht selbst erklärt wird. In der Einleitung wurde als These festgehalten, dass es nicht reicht, Care als weiteren Arbeitsbereich in die ökonomische Analyse einzubeziehen. Zwar wäre es aus einem simplen Verständnis von Arbeitsteilung heraus denkbar, auf diese Weise die bisherige Nichtberücksichtigung von Care in der Ökonomik zu überwinden, aber Care entzieht sich einer solchen einfachen Gleichsetzung mit anderen, marktvermittelten Formen von Arbeit. Dies liegt nicht nur in der nach wie vor gegebenen massiven Verankerung außerhalb des formellen Arbeitsmarktes begründet, sondern auch und gerade in den Besonderheiten dieser Tätigkeiten selbst. Für die ökonomische Befassung mit Care müssen erst Kategorien wie Beziehung, Abhängigkeit, Motivation, Zwang, Freiwilligkeit bis hin zur Rationalität von Wahlentscheidungen (neu) aufgearbeitet und integriert werden. Im Sinne der in Kapitel 3.1 vorgestellten Analyse der Entwicklung feministischer Ökonomik von Hewitson (1999) kann die Vorgangsweise des add care and stir der Komplexität von Care nicht gerecht werden. Es bedarf der Entwicklung einer Theory of Care und deren Verankerung in den Wirtschaftswissenschaften.
177
Er kommt auf einen Nettogewinn von 3 Mrd. Franken jährlich. Dieser Nettogewinn setzt sich aus dem Gewinn aus der besseren Nutzung des weiblichen Humankapitals von 6 Mrd. Franken (höhere Arbeitszeit und Vermeidung der Humankapitalentwertung) und dem Verlust an Humankapital bei den Männern, die ihre Erwerbspartizipation einschränken müssen, von 3 Mrd. Franken zusammen.
Fazit: Gender Gap und Care
257
4.4.1 Aspekte einer ökonomischen Theory of Care In Kapitel 4.1 wurden Aspekte einer solchen Theorie der Betreuungsarbeit zusammengetragen, die teilweise am ökonomischen mainstream anknüpfen, in der Mehrzahl aber über diesen hinausgehen. Dennoch lässt sich das ökonomische Instrumentarium für die weitere Entwicklung der theoretischen Aufarbeitung von Care nutzen, Beispiele dafür finden sich in den beiden Anwendungskapiteln: Die mikroökonomische Entscheidungstheorie mit ihrer Konzeption der Wahlfreiheit könnte die aus dem Citizenship-Diskurs abgeleiteten Betreuungsrechte integrieren (siehe Kap. 4.2); die Frage nach den Auswirkungen von cash oder services und den jeweils damit verbundenen Anreizen kann im Rahmen der Wohlfahrtsökonomik untersucht werden (siehe Kap. 4.2 und 4.3); die Produktion positiver externer Effekte durch Betreuungsarbeit und das resultierende Unterangebot am Markt sind finanzwissenschaftliche Fragestellungen (siehe Kap. 4.2); die aktuellen negativen Auswirkungen von betreuungsbedingten Unterbrechungen auf (weibliche) Erwerbskarrieren könnten durch eine entsprechende Neugestaltung der Unterbrechung in einem beschäftigungspolitischen Gesamtkonzept von Arbeitsmarktübergängen deutlich gemildert werden (siehe Kap. 4.3); für die Frage der Veränderungspotenziale der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Bezug auf Care könnten die vorhandenen makropolitischen Erfahrungen mit der Väterkarenz und Arbeitszeitverkürzungen im meso- und vor allem im mikroökonomischen Kontext einbezogen werden, beispielsweise als Politikvariationen in Bargaining-Modellen (siehe Kap. 4.3). Voraussetzung ist in jedem Fall ein Verständnis für Care, für die Besonderheiten dieser Tätigkeit. Allerdings bedarf es noch grundlegender Arbeiten, um eine Theory of Care in der notwendigen Multidimensionalität präsentieren zu können. Care überschreitet alle ökonomischen Dichotomien, nicht nur jene der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Produktion und Reproduktion, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden. Es wäre einseitig, Care mit Reproduktionsarbeit, unbezahlter Arbeit oder sozialer Reproduktion gleichzusetzen und damit an der domestic labour-Debatte anzuknüpfen, wie sie insbesondere von marxistischen ÖkonomInnen geführt wurde und wird,178 denn: „Precisely because it focuses on motives, caring labor can apply to both men and women, the market and the family, production and reproduction“ (Folbre 1995, 76). Diese Multidimensionalität macht die Erarbeitung einer ökonomisch fundierten Theory of Care nicht gerade leicht, resultieren doch aus der Verknüpfung mit der jeweiligen Makropolitik und mit den Gender-Regimes unterschiedliche Care-Regimes mit unterschiedlichen Dynamiken. Umso notwendiger ist die Schaffung einer theoretischen Grundlage, die sich mit den Motiven des Betreuens, mit dem Wert und in der Folge der Unterbe178
Eine ausführliche Darstellung der marxistisch-sozialistischen Position innerhalb der feministischen Ökonomik sowie auch der Hausarbeitsdebatte liefern Gardiner (1997) und Hoppe (2002). Folbre (1994) präsentiert eine pointierte Gegenüberstellung von neoklassischen und marxistischen Positionen zur Frage „Who Pays for the Kids?“. Eine der feministischen marxistischen ÖkonomInnen ist Heidi Hartmann (z.B. Hartmann 1981). Sie gilt als Vertreterin der „dualen Systemtheorie“ innerhalb des feministischen Sozialismus, die von der Annahme der Gleichzeitigkeit von Patriarchat und Klassenkampf ausgeht (vgl. auch Hoppe 2002, 168ff).
258
Gender Gap und Care
wertung von Care, mit Care-Beziehungen, den damit verbundenen Asymmetrien und Abhängigkeiten und mit den Machtbeziehungen rund um Care auseinandersetzt. Arbeiten wie jene von Jochimsen (2003), Himmelweit (1999, 2000) und Folbre (1994, 1995) bilden hierzu eine gute ökonomisch-theoretische Basis. Intensiviert werden müsste die Zusammenarbeit mit den angrenzenden Disziplinen, denn Care kann ohne Bezugnahme auf die Sozialpolitik, auf die praktischen Erfahrungen der Sozialen Arbeit, auf Politikwissenschaften und Sozialphilosophie nicht adäquat erfasst werden.179
4.4.2 Gender Gap Care und Arbeitsteilung Im Vergleich zur Analyse der Arbeitsteilung und ihrer Effekte im Erwerbsarbeitsmarkt haben wir es bei Care mit weiteren Dimensionen der Arbeitsteilung zu tun: Zur Arbeitsteilung auf der beruflichen Ebene (z.B. Abgrenzung zwischen Pflegeberufen und anderen Dienstleistungsberufen) und der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern kommt die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit hinzu sowie die Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Familie. Angesichts dieser Vielfalt ist eine Gesamtanalyse des Zusammenhangs von Arbeitsteilung und Care praktisch kaum möglich. Betrachten wir daher die einzelnen Dimensionen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass sich die Tragweite von Care erst in den übergreifenden Wirkungen quer durch die angesprochenen Dimensionen manifestiert: Die Arbeitsteilung der Geschlechter ist auf der Mikroebene angesiedelt. Die berufliche Arbeitsteilung berührt Care auf der Mesoebene, und wir treffen einmal mehr auf die Segregation. Die Entwicklung des in Österreich immer noch dominanten male breadwinner/female caretaker-Modells manifestiert sich auf der Makroebene, wirkt aber auf alle anderen Ebenen zurück bzw. wird dort gestützt. Die aktuelle Organisation von Care im Wohlfahrtsdreieck von Markt, Staat und Familie gehört zum Kernbereich makroökonomischer Fragestellungen.
A
Care und die Arbeitsteilung der Geschlechter – die Mikroebene
Auf der Mikroebene treffen wir auf die innerfamiliäre Arbeitsteilung, auf die Frage: Wer macht was? Die Standardantwort der Ökonomik lautet: Die Entscheidung beruht auf den Präferenzen der Individuen, Institutionen der Makro- und Mesoebene gehen als Nebenbedingungen in den Entscheidungsprozess ein. Ökonomische Steuerung kann dementsprechend über die Veränderung der Rahmenbedingungen erfolgen. Die Makroebene tritt somit exogen hinzu, über Politikvariable, die variiert werden können. Die Entscheidungen zur Arbeitsteilung auf individuell-familiärer Ebene ergeben aggregiert die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung in Bezug auf Care. Empirische Ergebnisse, wonach Frauen den Hauptanteil der Care-Tätigkeiten ausüben und die Elternkarenz fast ausschließlich von Frauen in Anspruch genommen wird, erschei179
Auch in diesen Disziplinen wird noch um eine Theory of Care gerungen, wobei spiegelbildlich häufig gerade die ökonomische Seite als große Lücke empfunden und daher die Kooperation mit der (feministischen) Ökonomik gesucht wird (z.B. Wærness 2005).
Fazit: Gender Gap und Care
259
nen in diesem Modellrahmen als das Ergebnis des familiären Entscheidungsprozesses, als freie Wahl der betroffenen Individuen unter Nebenbedingungen. Auch wenn in den neueren Bargaining-Modellen der Entscheidungsprozess deutlich realitätsnäher modelliert wird, indem die Ressourcenausstattung oder unterschiedliche Machtpositionen in die Modelle einfließen (vgl. Lundberg 2005 für einen Überblick), bleibt der Fokus dennoch auf der Mikroebene. Und auf dieser führt, so scheint es jedenfalls, kein Weg daran vorbei, doch immer wieder beim theoretischen Ergebnis zu landen, dass die biologische Tatsache der Gebärfähigkeit der Frauen den Grundstein für die Spezialisierung der beiden verhandelnden Haushaltsmitglieder legt und diese Spezialisierung auch noch eindeutig definiert.180 In den neueren Ansätzen wird allerdings immer häufiger in Frage gestellt, dass diese Spezialisierung tatsächlich effizient ist (z.B. Lundberg 2002), und die Abhängigkeit der Haushaltsentscheidung von makroökonomischen Größen (Familienpolitik) wird hervorgehoben. Die Frage der Geschlechterzuordnung der beiden Arbeitsbereiche ist auf der Mikroebene des Haushalts alleine nicht zu klären.
B
Care und berufliche Arbeitsteilung – die Mesoebene
In der Verschränkung der beiden Dimensionen der Arbeitsteilung, der horizontalen Verteilung auf die Geschlechter und der vertikalen Differenzierung in Care-Tätigkeiten (inklusive jenen im Erwerbsarbeitsmarkt) und allen anderen Formen von Erwerbsarbeit, entsteht der Beitrag von Care zum Gender Gap über Berufsunterbrechungen, Teilzeitarbeit, Vermeidung zeitintensiver Prozesse der Karriereentwicklung, fehlende Verfügbarkeit (siehe die Abschnitte in Kapitel 3). Care-Tätigkeiten sind im Vergleich zu anderen Dienstleistungen geringer bezahlt,181 werden deutlich häufiger im informellen Sektor geleistet182 und sind dort mit geringer oder gar keiner sozialen Absicherung verbunden (siehe Kap. 4.2 für Österreich). Auf der Mesoebene des Tätigkeitsfeldes rund um Care interessiert daher die Frage, wie es ähnlich wie bei der beruflichen Segregation zur Transformation eines grundsätzlich horizontalen Arbeitsteilungsmusters in ein vertikales Muster der Benachteiligung gegenüber Individuen, die Care-Tätigkeiten übernehmen, kommt. Die auszumachenden Entwicklungen im Care-Bereich weisen aus der ökonomischen Perspektive eine gewisse Widersprüchlichkeit auf. Zum einen zeichnen sich Berufe im Bereich der Betreuungsarbeit (Kinderbetreuung, Pflegeberufe in der Langzeitbetreuung wie Hauskrankenpflege, Heimhilfen u.a.m.) durch ein eher geringes Lohnniveau bei gleichzeitig schwierigen Arbeitsbedingungen aus. Anders ausgedrückt: Die marktvermittelte Form von Care erweist sich als eher unattraktives Arbeitsmarktsegment. Zum anderen schreitet die Kommodifizierung von Care massiv voran, die Nachfrage nach marktmäßig angebote-
180 Die Annahme einer noch so kleinen Zeitspanne t0 für eine Erwerbsunterbrechung bei der Geburt (z.B. im Ausmaß der Mutterschutzfrist, d.h. acht Wochen in Österreich) führt in der mikroökonomischen Betrachtung zwangsläufig zu einem Nachteil gegenüber den nicht unterbrechenden Männern (vgl. z.B. Cigno 2005). 181 Auf diese Dimension wird in der vorliegenden Arbeit nicht im Detail eingegangen. Eine Übersicht über mögliche Gründe, warum formelle Betreuungsarbeit offenbar mit einem wage penalty belegt wird, liefern England et al. (2002). 182 Betreuungsarbeit stellt den einzigen Arbeitsbereich dar, der, obwohl er nicht nur der individuellen „Reproduktion“ (wie Hausarbeit) dient, sondern in bedeutendem Umfang positive externe Effekte produziert, zu einem beträchtlichen Teil unbezahlt und informell geleistet wird.
260
Gender Gap und Care
nen Betreuungsdienstleistungen steigt ständig an. Am deutlichsten ist dies im Bereich der Langzeitpflege sichtbar, aber auch die Diskussionen um die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen oder das Ausmaß der institutionellen Betreuung von Kleinkindern ist ja nichts anderes als artikulierte, aber nicht realisierte Nachfrage nach Care. Wie kann nun ein Marktbereich angesichts einer hohen Nachfrage dennoch unattraktive Bedingungen aufweisen? Diese Widersprüchlichkeit können wir nur verstehen, wenn wir einmal mehr auf die Besonderheiten von Care Rücksicht nehmen – es handelt sich um kein Gut, das der üblichen Marktlogik folgend verstärkt angeboten wird, wenn die Nachfrage steigt. Einige dieser Besonderheiten wurden in Kapitel 4.1 genannt, beispielsweise dass Betreuungsbeziehungen langfristige Kontrakte erfordern, die deren Besonderheiten – emotional connection, moral obligation, intrinsic motivation – adäquat aufnehmen müssen (England/Folbre 2003). Diese Kontrakte sind schwer zu spezifizieren und in Kraft zu setzen, unabhängig davon, ob es sich um informelle Kontrakte, also unbezahlte Betreuungsbeziehungen in der Familie auf der Basis sozialer Normen, oder um explizite Kontrakte, also formelle Beschäftigungsverhältnisse handelt. Daher ist eine steigende Nachfrage auch nicht direkt in eine Attraktivierung des Angebots zu transferieren. Die dem Trend der Kommodifizierung von Care zuzuordnende Einführung von payments for care kann unter bestimmten Rahmenbedingungen Anreize mit sich bringen, gerade nicht im Sinne der intendierten Stärkung formaler, marktvermittelter Dienstleistungen zu handeln – indem die Nachfragenden nach Care ihre Nachfrage nicht am Markt äußern, sondern informelle und damit wesentlich billigere Dienst nachfragen. Genau dies macht jedoch Qualitätssicherung und –steigerung schwierig, verhindert die Formalisierung von Dienstleistungen, trägt zur Unattraktivität des vorhandenen Marktangebots bei. Die Kommodifizierung von Care kann nicht allein Marktprozessen überlassen bleiben, hier bedarf es einer makroökonomischen Gestaltung und Steuerung.
C
Zur Geschichte der separated spheres – Makroebene I
Auf der Makroebene stellt sich die Frage nach der Verteilung des Angebots an CareTätigkeiten auf marktvermittelte Arbeit (bzw. nach dessen Finanzierung), auf den öffentlichen Bereich und auf die Familie bzw. den informellen, privaten Bereich. Die vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung hat das Ergebnis erbracht, dass diese Makro-Arbeitsteilung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausgestaltet ist und dass sich auch die Dynamiken deutlich unterscheiden. Sie hat aber auch gezeigt, dass die Unterschiede nicht so groß sind, dass nicht einzelne Typen oder Wohlfahrtsstaaten-Regimes identifizierbar wären. Darüber, wie viele Typen oder Regimes unterschieden werden können, durch welche Variablen sie ausreichend charakterisiert werden und im Einzelfall auch welche Länder welchen Regimes zugeordnet werden, herrscht noch keine Einigkeit.183 In Kapitel 4.1 wurde gezeigt, dass hier einmal mehr die Einnahme einer Gender-Forschungsperspektive den analytischen Blickwinkel verändert. Einigkeit besteht jedenfalls über den „Anfang“ des Gender Gap Care: die Installierung der separated spheres und in der Folge die Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaaten in der Form des male breadwinner/female caretaker-Modells. 183
Vgl. z.B. Antonnen/Sipilä 1996, Korpi 2000, Duncan 1998.
Fazit: Gender Gap und Care
261
Zwar lassen sich auch dazu Unterschiede finden,184 aber diese folgen eher jenen Unterschieden, die sich aus der gesamten wohlfahrtsstaatlichen Organisation ergeben, anstatt aus der jeweiligen Organisation des Care-Bereichs. Mit der Trennung des öffentlichen vom privaten Bereich, von Berufs- und Hausarbeit, wie sie mit den separated spheres beschrieben wird,185 wurde ein fundamentaler Arbeitsteilungsprozess in Gang gesetzt, der bis heute die zentrale Gestaltungskraft für das Geschlechterverhältnis darstellt.186 Die Ausdifferenzierung des male breadwinner-Modells erfolgte verstärkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was in den Typenbildungen der Wohlfahrtsstaatenforschung zum Vorschein kommt. Diese Ausdifferenzierung ist nicht von der jeweiligen Wohlfahrtsstaatenentwicklung selbst zu trennen, erfolgte in Abhängigkeit vieler Faktoren, u.a. der Klassenstruktur, dem Einfluss der Sozialpartnerschaft, der Entwicklung und den Normen des sozialen Sicherungssystems, oder der Arbeitskräftenachfrage und deren Bedeckung.187 Erst relativ spät ist als Kriterium die Frage der Geschlechtergleichstellung188 hinzugekommen, in Schweden beispielsweise ab den 1970er Jahren (siehe Kap. 5.3), in vielen Ländern, darunter auch Österreich, spielte die Geschlechtergleichheit bislang in der Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates keine ausgeprägte Rolle. Unabhängig von der Ausdifferenzierung wirken die arbeitsteiligen Strukturen der male breadwinner-Organisation nach, sichtbar insbesondere in der Konstruktion von Mutterschaft und Vaterschaft, von breadwinner und carer. Auch hier handelt es sich nicht nur um eine horizontale Verteilung unterschiedlicher Aufgabenbereiche, sondern dieses doing gender in Bezug auf Care war von Beginn an mit Hierarchisierung verbunden: Zum einen über die relative Ab- bzw. Nichtbewertung des den Frauen zugewiesenen Betreuungsbereichs, zum anderen über die Fortsetzung der Geschlechtertrennung in der beruflichen Sphäre. Und wir treffen auf verfestigte Strukturen, beispielsweise auf jahrzehntelange Traditionen der Organisation des Pflegebereichs, die weder umkehrbar sind noch einfach aufgebrochen und verändert werden können. Wie der Gender Gap Care seine eindeutige Ausprägung bekommt, warum also mehrheitlich Frauen die Care-Tätigkeiten ausüben und die damit verbundenen Nachteile in der relativen Bewertung dieser Arbeit und in den Auswirkungen auf die Erwerbsarbeitsphäre zu tragen haben, ist nur über diesen Prozess des doing 184
Ein Beispiel ist die Rolle und Ausgestaltung der Wohlfahrtsorganisationen, über die ein großer Teil der außerfamiliären Betreuungsarbeit organisiert wurde. Hierbei spielte beispielsweise in Deutschland die Kirche eine wesentlich größere Rolle als in Österreich, was in der Folge auch zu Unterschieden in der Entwicklung des Kinderbetreuungsangebots führte (vgl. Fix 1998). 185 Vgl. Kreimer 1999, 167ff und die darin angegebene Literatur; sowie den Eintrag zu „Familie“ in Kroll 2002. Ein klassischer Aufsatz zum Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft ist Hausen (1978). 186 Zu diesem Übergang von der „Ökonomie des ganzen Hauses“ auf die fortan getrennten Lebensbereiche gibt es eine Reihe von Detailbefunden in Österreich: vgl. Ellmeier 2003 für einen ökonomie-orientierten Überblick, Münz/Neyer 1986 für die Entwicklung des Mutterschutzes und dessen Funktion zur Regulierung des Arbeitsmarktes, Mairhuber 2000 für eine historisch-politikwissenschaftliche Aufarbeitung, Bolognese-Leuchtenmüller/ Mitterauer 1993 für Beiträge zur historischen Sozialkunde. Eine wirtschaftshistorische Gesamtanalyse ist mir nicht bekannt. 187 Hier zeigt sich ein zentraler Unterschied zwischen Schweden bzw. anderen skandinavischen Staaten und Österreich bzw. Deutschland: Der Arbeitskräftemangel ab Ende der 1960er Jahre wurde einmal durch die Mobilisierung der „Reserve“ Frauen gedeckt, einmal durch die so genannten „Gastarbeiter“ vor allem aus dem damaligen Jugoslawien und der Türkei. 188 Die Gender-Thematik mit Betonung auf “Frauen” hatte schon früher Beachtung gefunden, insbesondere im Hinblick auf die Situation alleinerziehender Frauen und deren Absicherung durch den Wohlfahrtsstaat. Diesbezüglich haben sogar die USA, die als Wohlfahrtsstaat des liberalen Typs ein aus europäischer Sicht minimalistisches Niveau sozialer Sicherung aufweisen, sehr früh Aktivitäten gesetzt (siehe ausführlich Giddings et al. 2004).
262
Gender Gap und Care
gender while doing care zu erklären, der mit den separated spheres begann und sich als Gegenfolie der geschlechterhierarchischen und geschlechterkonstituierenden Arbeitsteilung im Erwerbsarbeitsmarkt zeigt. Zwar besteht massiver Veränderungsbedarf, was unmittelbar aus aktuellen Diskursen ersichtlich ist.189 Während das male breadwinner-Modell immer mehr in Widerspruch zur Realität gerät und neue, d.h. egalitärere Arbeitsteilungsmuster gefordert werden, geht die Veränderung des Arbeitsteilungsarrangements rund um Care nur langsam voran (siehe Kap. 4.2 und 4.3 für das Beispiel Österreich). Die Kombination aus der Arbeitsteilung der Geschlechter und der funktionalen Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Privatheit ist offenbar noch veränderungsresistenter als die Segregation auf der beruflichen Ebene. Dies lässt die Vermutung zu, dass über Prozesse des doing gender while doing care nicht nur der Gender Gap Care, sondern auch alle anderen Ausprägungen des Gender Gap reproduziert und stabilisiert werden.
D
Care im „Wohlfahrtsdreieck“ von Markt, Staat und Familie – Makroebene II
Bewegen wir uns in der Analyse noch kurz auf der Makroebene. Aus den vorangegangenen Darstellungen zur historischen Entwicklung der funktionalen Arbeitsteilung ergeben sich für die aktuelle Makroökonomik eine Reihe von Fragestellungen: Worin besteht das optimale Verhältnis von familiärer Betreuung, Marktangebot und öffentlichen Angeboten? Wie weit kann und soll staatliche Politik regulierend eingreifen, um beispielsweise die Kompensation für Betreuungsarbeit oder die Qualität derselben zu regulieren oder um Betreuenden Alternativen bereitzustellen, damit sie sich anderen Arbeitsformen widmen können? Wie beeinflussen die jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements zu Care das Geschlechterverhältnis und die Arbeitsteilung? Der zentrale Anknüpfungspunkt für die Analyse dieser Fragen kann nicht auf der Mikroebene liegen, das wurde bereits mehrfach deutlich gemacht: Arbeitsteilung kann nicht auf ihre Mikroaspekte reduziert werden, für die funktionale Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Familie gilt das im Besonderen. Die aktuell vorzufindende Verteilung ist mehr als die Aggregation individueller Entscheidungen darüber, wer welche Tätigkeiten übernimmt, weil wir es mit einem mehrfach besonderen Gut zu tun haben: Mit Care-Tätigkeiten werden externe Effekte produzieren, es geht daher um die Analyse und Bewältigung des Öffentlichen-Gut-Charakters von Care. Das Angebot dieser Güter kann daher nicht ausschließlich über den Markt erfolgen, der Staat tritt als zentralen Akteur hinzu, sei es über eigenes Angebot oder dessen Subventionierung und über die Regulierung und Qualitätssicherung. Aber auch die beiden Angebotsformen über den Markt und den Staat reichen nicht aus: Care ist nicht vollständig auslagerbar, ein (in der Höhe allerdings variierbares) Angebot an informeller, familiärer Betreuung ist unabdingbar und muss daher auch in die Ausgestaltung der Arbeitsteilung einbezogen werden.190
189
Z.B. Diskurse zur sinkenden Geburtenrate, zum Erhalt des Pensionssystems, zur Zukunft der Pflege in Privathaushalten, u.a.m. 190 Zwar sind aus heutiger Perspektive weitergehende Vergemeinschaftungskonzepte vorstellbar (siehe feministische Utopien in Kapitel 5, oder kommunitaristische Ansätze im Sinne von kollektiven Hausarbeits- und Betreuungstätigkeiten z.B. in Wohngemeinschaften), aber diese Formen haben praktische und politische Grenzen.
Fazit: Gender Gap und Care
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Die Frage lautet daher: Wie gestaltet sich die Arbeitsteilung zwischen Markt, Staat und Familie bzw. in der Folge, wie kann eine gegebene Arbeitsteilung zwischen den drei Angebotsebenen verändert werden? Aus der ökonomischen Perspektive und unter Verwendung der Analysen des vierten Kapitels können einige Punkte festgehalten werden: Die genannten Fragestellungen müssen viel deutlicher Gegenstand der Makroökonomik werden. Die bisherigen Arbeiten der feministischen Ökonomik liefern Anknüpfungspunkte, daneben bedarf es interdisziplinärer Kooperationen. Die Besonderheiten von Care müssen am Beginn entsprechender makroökonomischer Analysen stehen. Sie sind ursächlich dafür verantwortlich, dass Betreuungsarbeit sich nicht einfach als weiterer Arbeitsbereich integrieren lässt. Die Verteilung von Care auf Markt, Staat und Familie lässt sich einfach begründen (siehe oben), das gilt jedoch nicht für die Frage, wie groß die jeweiligen Anteile sein sollen. Dazu bedarf es weiterer Forschungen unter Einbeziehung des Entstehungskontexts der funktionalen Arbeitsteilung und der spezifischen Einflussfaktoren auf die Entwicklung derselben. Aus dem Öffentlichen-Gut-Charakter von Care folgt, dass jener Teil des Angebots, der über den Markt geleistet wird, tendenziell keine lukrativen Jobs bieten wird bzw. nur einen attraktiven Arbeitsbereich darstellen kann, wenn der Staat als Unterstützer entsprechende Bedingungen schafft.
4.4.3 Gender Gap Care und gleichstellungspolitische Perspektiven Auf der gesamtgesellschaftlichen Makroebene wird die Aufteilung des Arbeitsbereichs Care bestimmt. Aus einer gleichstellungspolitischen Perspektive interessieren die Arbeitsteilung der Geschlechter bzw. die Gestaltungsoptionen zur Veränderung der gegebenen asymmetrischen Verteilung von Care auf Männer und Frauen. Knüpfen wir an die Elternkarenz in Kapitel 4.3 an, denn diese spielt in mehrfacher Hinsicht eine zentrale Rolle für die Fragestellung nach dem Gender Gap: Sie markiert zumeist den Beginn der asymmetrischen Aufteilung von Care auf der Haushaltsebene; sie ist eines der Politikfelder, in denen der Staat bereits jetzt über die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen in die private Arbeitsteilung eingreift; sie ist in makropolitischer Hinsicht von Interesse, weil sie als bereits institutionalisierter Übergang (im positiven wie im negativen Sinn) für andere Arbeitsmarktübergänge beispielgebend sein kann und insbesondere für den Erwerbsverlauf von Frauen folgenreich ist. Die Entscheidung darüber, wer in welcher Weise Elternkarenz in Anspruch nimmt, fällt zwar im Haushalt, sie ist eine Mikroentscheidung. Die Sozialpolitik gestaltet die Rahmenbedingungen, die als Anreize oder disincentives im Entscheidungsprozess wirksam werden. Auf der Mesoebene der Betriebe und lokaler Infrastruktur werden Regelungen exekutiert, die diesbezüglichen Erfahrungen beeinflussen Mikro- und Makroprozesse. Als Resultat dieser komplexen Prozesse und deren Verknüpfungen und Wechselwirkungen verhindert und begrenzt die gesamtgesellschaftliche Organisation von Care die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt. Über Mechanismen der statistischen Diskriminierung und über die Zuschreibung traditioneller Geschlechtsrollenerwartungen und Vorurteile sind potentiell alle Frauen betroffen, unabhängig von ihrer individuellen Situation und ihrem konkreten Engagement im Care-Bereich.
264
Gender Gap und Care
Aus den Überlegungen in Kapitel 4.3 ergeben sich hinsichtlich des Abbaus des Gender Gap zwei zentrale Anknüpfungspunkte: Zum einen kann mit Hilfe der Politik versucht werden, die Auswirkungen des Engagements von Frauen im Care-Bereich auf ihre Arbeitsmarktchancen zu mildern bzw. im Idealfall zu neutralisieren. Dies ist die Grundidee des women-friendly welfare state und ist als Strategie natürlich nicht auf die Elternkarenz beschränkt, sondern kennzeichnet eine gesamte wohlfahrtsstaatliche Orientierung. Dass diese Strategie erfolgreich ist, zeigt das Beispiel der skandinavischen Staaten, die eben dieses Modell verfolgen (siehe Kap. 4.1). Sozialpolitik wird zur Gleichstellungspolitik (siehe auch Kap. 5), gleichzeitig nimmt der Staat seine Verantwortung für Care infolge von dessen nicht marktfähigen Eigenschaften und dessen öffentlichem Gut Charakter war. Der zweite Angriffspunkt ist die mikroökonomische Ebene, die Entscheidung über die Arbeitsteilung. Wenn Care zwischen den Geschlechtern symmetrisch aufgeteilt wird, wenn eine egalitäre Arbeitsteilung gelebt wird, so die These, müsste sich der Gender Gap schließen, weil Care nicht mehr alleine zu Lasten weiblicher Karrieren wirksam wird. Inwiefern sich ein neuer Gap zwischen Individuen mit und ohne Betreuungspflichten auftun würde, sei einmal dahingestellt.191 Die bisherigen Erfahrungen mit Karenzregelungen zeigen, dass diese Strategie ungleich mühsamer vorankommt, selbst bei den verhältnismäßig „idealen“ Bedingungen im schwedischen Übergangsarbeitsmarkt bleibt der Väteranteil letztlich enttäuschend gering (siehe ausführlich Kap. 5.3). Dies führt zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens ist offenbar das Veränderungspotenzial durch Eingriffe des Wohlfahrtsstaates größer bzw. einfacher zu exekutieren, soweit es die vertikale Dimension betrifft. Schweden mildert die Effekte von Care auf die Erwerbschancen von Frauen deutlich ab, aber auch die schwedische Gleichstellungspolitik stößt an die Grenzen der verfestigten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und an die Grenzen der horizontalen Arbeitsteilung bzw. Segregation. Und zweitens bedarf es, um das Veränderungspotenzial auf der Makroebene wahrnehmen zu können, nicht nur entsprechender Instrumente und Ressourcen, sondern auch einer gleichstellungspolitischen Zielsetzung als Basis, eines gender contract mit einer egalitären Ausrichtung. Aufbauend auf einem solchen gesellschaftlichen Konsens über die Arbeitsteilung der Geschlechter, über den Stellenwert von Frauen und Männern im Kontext ihrer jeweiligen Arbeitsbereiche, kann eine Gesamtstrategie zum Abbau des Gender Gap entworfen und angegangen werden. Um dem Ziel einer diskriminierungsfreien Gesellschaft näher zu kommen, müssen Veränderungen auf allen Ebenen der Arbeitsteilung ansetzen, ineinander greifen, sich gegenseitig stärken. Nur so können makropolitische Impulse wie beispielsweise die Väterkarenz in das Set der mikroökonomischen Entscheidungsfindung als relevante Alternativen Aufnahme finden, zu Anpassungen im individuellen Verhalten führen und auf die Mesoebene und die Makroebene zurückwirken. 191
Aus der Dynamik in der Entwicklung der beruflichen Segregation ist die Tendenz ableitbar, dass der Eintritt von Männern in ein zuvor frauendominiertes Berufsfeld eher zu einer Aufwertung desselben führen dürfte (zur Segregation siehe Kap. 3.4). Diese Erfahrungen sind auf die Dynamik im Care-Bereich sicherlich nicht direkt übertragbar, zu sehr unterscheidet sich Care von anderen Arbeitsbereichen. Dennoch kann vermutet werden, dass die stärkere Partizipation von Männern im Care-Bereich dessen vollständige ökonomische Integration (im Sinne vollzeitiger, abgesicherter Beschäftigungsverhältnisse mit Aufstiegsoptionen etc.) eher fördern denn behindern würde.
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Gender Gap und Gleichheit Der lange Weg zur Gleichstellung der Geschlechter
Welche Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik können aus den Untersuchungen zum Gender Gap gewonnen werden? Was wären adäquate Konzepte und politische Modelle zur Erreichung von gender equality unter Berücksichtigung der CareDimension? Wie ist gender equality im Kontext der Gleichheits- und Differenzdebatten feministischer Forschung zu definieren? Um diese Fragestellungen geht es im vorliegenden Kapitel, das damit dem emanzipatorischen Anspruch Rechnung trägt, den Gender Gap nicht nur empirisch zu untersuchen, sondern auch eine theoretisch fundierte Analyse zur aktiven Veränderung bestehender Benachteiligungen, Asymmetrien und Diskriminierungen zu liefern. Der Ausgangspunkt ist nach wie vor die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, deren diskriminierende Aspekte es in Richtung einer geschlechteregalitären Gesellschaft zu verändern gilt. Der unmittelbar angesprochene Politikbereich ist rechtliche Gleichstellungspolitik, geht es doch um gleiche Rechte von Frauen und Männern, um Gleichberechtigung. Die Forderung nach letzterer reicht bis in die Anfänge der Aufklärung zurück (Sporrer 1997), wenngleich die Realisierung gleicher Rechte sich als äußerst zäh erwiesen hat.1 Unabhängig davon, wie weit es tatsächlich möglich ist, Emanzipation durch den Gleichheitssatz (ebd., 37) zu erreichen, kann Gleichstellungspolitik nicht auf die rechtliche Ebene beschränkt bleiben, sondern muss als Gestaltungsauftrag in alle Politikfelder einfließen: Benachteiligungsstrukturen finden sich in allen Bereichen, haben sich als äußerst verfestigt erwiesen und zeigen keine inhärente Tendenz, auf absehbare Zeit von selbst zu verschwinden. Ausgehend von Gleichstellungsgesetzen über die Installierung von Frauen- und Gleichstellungsstellen, die Entwicklungen von Konzepten der Frauenförderung bis hin zum Instrument der Quote reicht Gleichstellungspolitik, die jüngst um das Konzept des Gender Mainstreaming ergänzt wurde, das die Verankerung der gleichstellungspolitischen Perspektive in allen Politikbereichen vorsieht und insbesondere über die Beschäftigungspolitik von der EU forciert wird. Gleichstellungspolitik bedarf wie jeder Politikbereich einer theoretischen Fundierung, die sich in diesem Fall ob der Querschnittsmaterie der Gleichstellungsfrage schon nicht einfach erwiesen hat, geht es doch um eine Gleichheitsperspektive in allen Lebensbereichen. Gleichstellungspolitik gründet sich auch auf feministische Theorie und GenderForschung und sollte deren Erkenntnisse aufnehmen, reflektieren und anwenden. Die Verbindung von Theorie und Praxis vor dem Hintergrund des emanzipatorischen Anspruchs 1 Dies resultiert unter anderem daraus, dass die Rechtswissenschaft und die juristische Praxis in ihren Strukturen und Verfahren bereits voll entwickelt waren, als Frauen noch immer von Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten und der politischen Einflussnahme ausgeschlossen waren. Als Frauen endlich Zutritt etwa zur juristischen Profession erlangten, fanden sie „bereits gefestigte, patriarchal geprägte Rechtstraditionen“ vor (Sporrer 1997, 6).
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Gender Gap und Gleichheit
auf Veränderung war und ist kein leichtes Unterfangen, aber auch Anlass zur Weiterentwicklung und in diesem Sinne ein kreativer Prozess. Eine erste Phase der kritischen Auseinandersetzung der TheoretikerInnen mit der Institutionalisierung der Gleichstellungspolitik Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre (vgl. ausführlich Biester et al. 1994) hat zur Aufarbeitung der Gleichheits-Differenz-Debatte geführt (siehe Kap. 5.1). Die aktuelle und teilweise massive theoretische Kritik gegenüber der forcierten politischen Implementierung von Gender Mainstreaming hat derzeit noch eher den Charakter einer Spaltung zwischen feministisch-theoretischen Arbeiten und Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik, gleichzeitig werden in diesem Diskurs Fragen neu aufgeworfen (z.B. nach den Zielen der Gleichstellungspolitik), grundlegende Instrumente etabliert (z.B. umfassende Datenanalyse nach dem Geschlecht), das Feld der AkteurInnen erweitert und potenziell der Blick von den Defiziten der Frauen auf jene der Männer verlagert (siehe ausführlich Kap. 5.1 und 5.2). Auch der in vielerlei Hinsicht zentrale Organisationsaspekt – Diskriminierungsprozesse sind Teil organisationalen Handelns – gerät stärker ins Blickfeld, gerade hier tun sich Anknüpfungspunkte für die feministische Theorie zu Gendering Organizations auf. Derzeit ist der Diskurs zwischen Theorie und Praxis zwar noch mehr als unübersichtlich,2 aber dafür umso präsenter – und das macht Gleichstellungspolitik zumindest sichtbar. Dass der Diskurs in einen fruchtbaren Dialog übergeht, ist angesichts des beharrlichen Gender Gap dringend erforderlich. Der Anspruch ist ein hoher, schließlich geht es übergreifend um „das Ganze“, um eine integrierende Perspektive auf Markt, Staat und Familie, auf bezahlte und unbezahlte Arbeit, auf öffentlich und privat, auf Egoismus und Altruismus u.a.m. (siehe Kap. 5.3). Auch die ökonomische Wissenschaft hat in diesen Diskurs einiges einzubringen: Gleichstellungspolitik ist – wie jede andere Form der Makropolitik – eine Frage der Ressourcen, der finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen bzw. bereits eingesetzt werden und somit auch veränderbar sind.3 Eine Analyse der aktiven Arbeitsmarktpolitik oder der Familienpolitik auf die jeweiligen geschlechtsspezifischen Effekte und die gleichstellungspolitischen Potenziale hin muss daher auch in einen Gesamtkontext gestellt werden, um dem Risiko zu entgehen, angesichts angeblich völlig geschlechtsneutraler Budgetnotwendigkeiten zwar als sinnvoll, aber als unfinanzierbar hingestellt zu werden. Dieser Gesamtblick auf die Wirtschaftspolitik aus der Geschlechterperspektive wird in der feministischen Ökonomik mit Engendering der Makroökonomie umschrieben und findet seine erste praktische Umsetzung im Konzept des Gender Budgeting (siehe Kap. 5.4). Im ersten Teil des vorliegenden Kapitels wird die Entwicklung von formaler Gleichstellungspolitik über spezifische Frauenförderung hin zum Gender Mainstreaming nachgezeichnet. Zuvor werden einige zentrale Kategorien vorgestellt, die zur Fundierung der Gleichstellungspolitik notwendig sind. Auch eine kurze Auseinandersetzung mit der österreichischen Gleichstellungspolitik findet sich in diesem Teil, schließlich liegt der Fokus in den beiden vorangehenden Teilen auf der österreichischen Situation. Inwiefern Gleichstel-
2 Dies gilt im Übrigen auch für die jeweiligen Themenfelder selbst, was insbesondere die rapide Entwicklung der Literatur zu Gender Mainstreaming anschaulich zeigt. 3 Neben der ökonomischen Dimension, ausgedrückt in Geld, ist auch die politische Dimension von entscheidender Bedeutung, was in den bisherigen Bemühungen um ein Engendering der Makroökonomie noch wenig berücksichtigt wird (Calar 2002): Die Umsetzung alternativer Ansätze hängt von politischen Strukturen, Verfahren und Prozessen politischer Willensbildung ab, die die Spielräume und Handlungsmöglichkeiten der verschiedenen AkteurInnen determinieren. Eine staatstheoretische Fundierung der Makroökonomie ist daher erforderlich.
Gender Gap und Gleichheit
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lungspolitik die identifizierten Gender Gaps beeinflussen könnte, wird abschließend in einer ersten Annäherung aufgezeigt. Eine umfassende Analyse des gleichstellungspolitischen Potenzials erfolgt anhand zweier Fallbeispiele, die beide an die bisherigen Analysen anknüpfen: Fallbeispiel 1 bezieht sich auf die Arbeitsmarktpolitik und untersucht die Umsetzungsmöglichkeiten von gleichstellungspolitischen Zielsetzungen in der Praxis von Institutionen, in diesem Fall dem österreichischen Arbeitsmarktservice.4 Fallbeispiel 2 untersucht das gleichstellungspolitische Potenzial von Care vor dem Hintergrund eines breiten gleichstellungspolitischen Ansatzes. Im abschließenden Kapitel 5.4 geht es um die Konkretisierung einer erweiterten gleichstellungspolitischen Perspektive in Anknüpfung an die in der Arbeit aufgeworfene Problemstellung des Gender Gap. Auf der Basis einer ökonomisch fundierten, substanziellen und umfassend definierten Gleichstellungspolitik können Gestaltungsoptionen entwickelt und wahrgenommen werden, die die langfristige Zielsetzung einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter über den Abbau diskriminierender Aspekte des Gender Gap unterstützen.
4 Dieses Fallbeispiel beruht auf dem vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderten Projekts „Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming. Chancengleichheit in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik.“ Zu den Details siehe Kap. 5.2.
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5.1
Gender Gap und Gleichheit
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
Die gesellschaftspolitische Motivation für Gleichstellungspolitik5 basiert auf Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit. Wenn Gleiches gleich, Ungleiches aber seiner Eigenart gemäß verschieden behandelt werden soll, stellt sich die Frage nach der Differenz. Im ersten Teil dieses Abschnitts erfolgt die Abklärung dieser zentralen Begriffe, auch mit Bezugnahme auf die Geschlechterforschung (Kap. 5.1.1). Anschließend wird der Rahmen skizziert, innerhalb dessen Gleichstellungspolitik agiert (Kap. 5.1.2). Aus den verschiedenen Gleichheitskonzepten ergeben sich die beiden zentralen gleichstellungspolitischen Strategien der „Gleichbehandlung“ und der „Frauenförderung“, jüngst ergänzt um „Gender Mainstreaming“. Obwohl sich diese Strategien insgesamt ergänzen, unterscheiden sie sich im Einzelnen deutlich - insofern kann nicht von Gleichstellungspolitik in der Einzahl gesprochen werden. Eine weitere Differenzierung und damit Notwendigkeit zur Befassung mit Gleichstellungspolitiken ergibt sich aus dem Arbeits- und/oder Forschungsgebiet der PraktikerInnen und ForscherInnen: Die rechtliche Perspektive auf Gleichstellungspolitik befasst sich mit zugrundeliegenden Rechtsnormen und deren Anwendung sowie mit der Verankerung und Ausgestaltung der das Recht umsetzenden Stellen (z.B. Gleichbehandlungsbeauftragte und deren Rechte); die im Vergleich dazu tendenziell weiter gefasste politikwissenschaftliche Perspektive versucht das gesamte Spektrum möglicher Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in die Analyse einzubeziehen (z.B. Vereinbarkeitspolitik, Kinderbetreuungseinrichtungen). Mit dem Ansatz des Gender Mainstreaming ist auch die ökonomische Perspektive verstärkt ins Spiel gekommen: Insbesondere in der betriebswirtschaftlichen Variante des Managing Diversity wird hervorgehoben, dass Gleichstellungspolitik nicht mehr länger nur ein equality issue und damit normativ begründet ist, sondern ökonomisch fundiert werden kann, beispielsweise mit effizienter Nutzung der Humanressourcen. Eine kurze Charakteristik der österreichischen Gleichstellungspolitik der jüngeren Zeit (Kap. 5.1.3) dient als illustratives Beispiel und als Anknüpfungspunkt für die folgende Darstellung einiger Aspekte von Gleichstellungspolitik und Gender Gap (Kap. 5.1.4).
5.1.1 Gleichheit – Ungleichheit – Differenz: Rechtliche Dimensionen und theoretische Dilemmata Gleichstellungspolitik bezeichnet die Gesamtheit der Mittel, mit denen die Geschlechtergleichstellung, häufig definiert als gleiche Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen erreicht werden soll. Diese allgemeine Formulierung wirft eine Reihe von Fragen auf: Was ist „gleich“ und was nicht, was tun mit „Ungleichem“, d.h. mit der Differenz? Was ist der Referenzpunkt der Gleichheit? Wie weit kann und darf Politik gehen, um Gleichheit herzustellen? Erst wenn diese grundlegenden Fragen geklärt sind, kommt die 5 Der Begriff „Gleichstellungspolitik“ bezieht sich nicht nur auf die Geschlechtergleichstellung, sondern auch auf die Ungleichheit zwischen Klassen oder verschiedenen ethnischen Gruppen oder auf Diskriminierung infolge von Behinderungen oder sexueller Orientierung. In der vorliegenden Arbeit steht die Gleichstellung der Geschlechter im Mittelpunkt und in diesem Sinne ist Gleichstellungspolitik zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen das Ziel, ohne dies im Folgenden zu explizieren.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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Makropolitik zum Zug: Welche Mittel in welcher Höhe stehen zur Verfügung? Was genau ist das Ziel der Gleichstellungspolitik, was der Zielerreichungsgrad, was die zeitliche Perspektive? Wie wird die Zielerreichung in übergreifenden Politikfeldern koordiniert?6 Wenden wir uns nun den grundlegenden Fragen zu, deren Klärung notwendig ist, um Gleichstellungspolitik zu fundieren.
A
Gleichheit und Gerechtigkeit
Die Ursachen von bzw. Erkenntnisse über Geschlechterungleichheit legitimieren Gleichstellungspolitik. Gleichheit ist ein Verhältnisbegriff, der keinen Sachverhalt, sondern eine Beziehung zwischen Gegenständen oder Personen bezeichnet. Gleichheitsaussagen sind demnach immer ein Gleichheitsurteil, eine Wertung in bestimmter Hinsicht (Dann 1979). Der Maßstab für Gleichheit ergibt sich aus anerkannten Vorstellungen zur Gerechtigkeit. Gerechtigkeit kann unterschiedlich definiert werden (Jarosch 2001, 17ff.): Dem Recht auf gleiche Behandlung steht das Recht als Gleiche/Gleicher behandelt zu werden gegenüber (Dworkin 1993): Formale Gerechtigkeit: Individuen sollen rechtlich nicht daran gehindert werden, ihr Leben nach ihren natürlichen Begabungen und individuellen Leistungen zu gestalten. Diese Auslegung hat eine konservative Funktion, weil herrschende Gesellschaftsformen oder ungleiche Startbedingungen gewahrt bleiben. Substanzielle oder materielle Gerechtigkeit bezieht sich auf inhaltliche Fragen zum Verhältnis spezieller Gleichheiten und spezieller Ungleichheiten und welche Rangordnung die Werte des Rechts auf Gleichbehandlung und des Rechts auf Ungleichbehandlung bzw. bevorzugter Behandlung haben.7 Ausgehend von der Differenzierung zwischen dem Recht auf gleichen Zugang (prozessorientiert) und dem Recht auf gleiches Ergebnis (ergebnisorientiert) ergeben sich folgende Konzepte: Distributive Gerechtigkeit umfasst keine Kompensation für vergangene Ungleichheit, sondern will Lasten und Vorteile möglichst gerecht verteilen, sie ist daher prozessorientiert. Retributive oder kompensationstheoretische Gerechtigkeit: Die Ergebnisse der Benachteiligung von Frauen sollen aufgefangen werden. Ziel ist letztlich die Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen, dieser Ansatz ist ergebnisorientiert. Analog zu diesem unterschiedlichen Verständnis von Gerechtigkeit leiten sich unterschiedliche Definitionen von Gleichheit ab, wobei nur noch zwischen zwei Formen unterschieden 6 Diese und weitere Fragen aus dem klassischen Spektrum der Wirtschaftspolitik wurden meines Wissens für das Politikfeld der Gleichstellung bislang kaum gestellt und schon gar nicht beantwortet. Das mag in der Komplexität der Thematik begründet liegen, in der übergreifenden Problemstellung, aber auch in der politischen Bedeutung der Geschlechtergleichstellung. 7 In der Definition von John Rawls lautet dies beispielsweise: Jede/Jeder soll gleiches Recht auf das umfangreiche System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist; und: Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie jedem/jeder zum Vorteil dienen und dass sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die allen offen stehen (Rawls 1994, 81; vgl. auch Gaster 2004).
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Gender Gap und Gleichheit
wird, weil distributive und formale bzw. retributive und substanzielle Gleichheit übereinstimmen: Formaler Ansatz von Gleichheit: Diese Definition ist Bestandteil der klassischliberalen Theorie, die davon ausgeht, dass alle Individuen als Rechtsperson grundsätzlich gleich sind, gleich behandelt werden sollen und ihnen die gleichen Freiheiten garantiert sind (Newton 1993). Es sollen gleiche Zugangsmöglichkeiten gewährleistet sein, sodass alle die gleichen Ausgangsbedingungen vorfinden. Diese Position bindet Gleichheit und Gerechtigkeit an den Rechtsstaat, der wiederum beides garantiert. Substanzieller Ansatz von Gleichheit: Dieser Ansatz geht über rechtliche Gleichheit hinaus, indem (unsichtbare) Vorteile von privilegierten Gruppen neutralisiert werden sollen. Dabei werden empirisch nachweisbare Ungleichheiten zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen miteinbezogen und strukturelle Ungleichheiten berücksichtigt. Es bedarf der Herstellung fairer Ausgangsbedingungen, aus denen heraus Menschen agieren. Wenn diese nicht gegeben sind, muss unterprivilegierten Gruppen und Individuen solange ein Vorsprung gewährt werden, bis eine Situation gleicher Ausgangslage erreicht wird (Jarosch 2001, 32).
B
Eine verwirrende Vielfalt: Gleichbehandlung, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Gleichstellung
Die Unterscheidung in formale und substanzielle Gleichheit korrespondiert mit jener in Gleichberechtigung und Gleichstellung, allerdings werden diese und weitere Begriffe der Gleichstellungspolitik wie insbesondere Chancengleichheit in der politischen Argumentation sehr unterschiedlich verwendet. Um missverständliche Interpretationen zu vermeiden, ist es wichtig, die Attribute formal oder substanziell mitzudenken bzw. mitzuverwenden.8 In der folgenden Übersicht wird zudem die Differenzierung in die handlungsbezogene und die ergebnisbezogene Dimension berücksichtigt.9 Übersicht 5.1: Konzeptionen der „gleichen Behandlung“
Prozess Ergebnis
formal Gleichbehandlung (Equal Treatment) Gleichberechtigung (Equal Rights)
inhaltlich/substanziell Chancengleichheit (Equal Opportunity) Gleichstellung (Gender Equality)
Der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter ist verfassungsmäßig verankert (siehe Kap. 5.1.3) und wird oft auch nur als rechtliche Gleichstellung, auf der Handlungsebene als Gleichbehandlung vor dem Gesetz (equal treatment) verstanden. Gesetze, Ver8 Insbesondere in der politischen Strategie des Gender Mainstreaming ist die Definition von Chancengleichheit in den Hintergrund gerückt bzw. wird häufig nur mit formaler Gleichheit verknüpft. Damit wird Gender Mainstreaming zwar allseits akzeptabel, bleibt aber eine inhaltsleere Strategie (Nohr 2001). 9 Anzumerken ist, dass die Zuordnung der Begriffe in der Übersicht 5.1 keine allgemein gültige ist. Beispielsweise kann Chancengleichheit auch im Sinne eines formalen Konzepts verwendet oder im Sinne von „Ergebnisgleichheit“ definiert werden. Ebenso kann von substanzieller Gleichberechtigung gesprochen werden.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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ordnungen und alle staatlichen Akte können auf diesen formalen Anspruch hin untersucht werden. Ungleiche Ausgangsbedingungen spielen hierbei keine Rolle, daher ist diese Konzeption für die Frage der Gleichstellung der Geschlechter ungenügend. Chancengleichheit ist mittlerweile der zentrale Begriff in der Geschlechterpolitik. Er kommt ursprünglich aus der linken Frauenbewegung und wird für substanzielle Gleichheit, d.h. gleichbedeutend mit Gleichstellung auf der Prozessebene verwendet (z.B. O’Neill 1993). Er wurde aber teilweise von konservativer Seite übernommen, wo er häufig auf formale Gleichheit beschränkt wird.10 Gleichstellung steht ebenfalls für den substanziellen Ansatz im Ergebnis, z.B. als Forderung nach gleicher Partizipation von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen (Jarosch 2001, 33). Gleichstellung verlangt Gleichheit im Sinne der Abwesenheit von Diskriminierung in der Lebenswirklichkeit. Emanzipatorische Gleichstellungspolitik kann daher nur auf der Ebene einer substanziell verstandenen Gleichheit erfolgen, das Ziel ist die Reduktion und Beseitigung gesellschaftlich, ökonomisch oder politisch bedingter Benachteiligungen von Personen aufgrund ihres Geschlechts. Für die Problemstellung des Abbaus des Gender Gap bedarf es daher eines in diesem Sinn definierten Konzepts der Gleichstellung. Hinsichtlich der Verletzung bzw. Negation von Chancengleichheit und Gleichstellung ist vor allem der Begriff der Diskriminierung relevant. Unter Diskriminierung wird jede Ungleichbehandlung von Gleichen, die an ungerechtfertigten Differenzierungskriterien wie askriptiven Merkmalen anknüpft, verstanden (siehe Kap. 3.3).11 Für die formale Perspektive ist die Unterscheidung aufgrund des Geschlechts (oder anderer askriptiver Merkmale) unzulässig (direkte oder unmittelbare Diskriminierung), für die substanzielle Sichtweise werden politische, soziale und ökonomische Umstände miteinbezogen (strukturelle Diskriminierung). Indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn beispielsweise eine Maßnahme zwar sprachlich geschlechtsneutral abgefasst ist, aber wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig betrifft.12 Sie knüpft damit zwar an einem substanziellen Gleichheitsverständnis an, schafft aber keinen kompensatorischen Ausgleich. Der umfassende Begriff der strukturellen Diskriminierung kann nicht mit rechtlichen Merkmalen definiert werden,13 ist aber für die Gleichstellung der Geschlechter von entscheidender Bedeutung: Er beschreibt das „umfangreiche Diskriminierungsgeflecht, dem Frauen und ihre gesamte Lebenssituation ausgesetzt sind... Der Begriff umfasst das hierarchische Geschlechterverhältnis und die Asymmetrie der Macht mit allen Facetten“ (Jarosch 2001, 103).14 10
In diesem Fall sollte von formaler Chancengleichheit gesprochen werden. Diese Definition wird häufig gegen Frauenquoten verwendet. 11 In der vorliegenden Arbeit wird Diskriminierung als sozialwissenschaftlicher Begriff verwendet. Auf Diskriminierung als Rechtsfigur wird nicht eingegangen (vgl. z.B. Jarosch 2001). 12 Beispiele sind Höchstaltersgrenzen, Mindestkörpergrößen. Ein relevanter Bereich, für den Urteile des EuGH bzgl. indirekter Diskriminierung vorliegen, ist der der Teilzeitbeschäftigung; beispielsweise ist der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersvorsorge als diskriminierend erkannt worden (Jarosch 2001, 45). 13 Dieser Umstand bedingt, dass die rechtliche Befassung mit Diskriminierung bzw. mit Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung kein juristisch eindeutiges Feld darstellt. Die Quotendiskussionen zeigen dies anschaulich auf (Jarosch 2001). Wenn strukturelle Diskriminierung die Gleichstellung der Geschlechter verhindert, strukturelle Diskriminierung als rechtlicher Tatbestand nicht (voll) anerkannt wird, sondern nur als soziologisches Konzept, können rechtlich verankerte Gleichstellungsmaßnahmen wie Quotenregelungen grundsätzlich abgelehnt werden. 14 Jarosch (2001, 103ff.) baut hier auf dem Begriff der strukturellen Gewalt von Johan Galtung auf, womit dieser gesellschaftlich grundlegende Ordnungssysteme und ökonomische Prinzipien bezeichnete, die materielle, soziale und ideelle menschliche Entwicklungen und Lebenszukunft verhindern. Es geht um machtpolitisch gedeckte soziale und ökonomische Ungleichheit.
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Gender Gap und Gleichheit
Die soziale Realität des Geschlechterverhältnisses zeigt unterschiedliche Aspekte struktureller Diskriminierung:15 Frauen haben faktisch geringere Chancen als Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Einkommen zu erzielen oder Funktionen innezuhaben, die gemeinhin als attraktiv gelten. Diese Marginalisierung von Frauen entsteht, weil ihr Umfeld, Gesellschaft, Arbeitsplatz nach männlichen Normen und Werten strukturiert sind – dazu zählen auch frauenfeindliche Vorurteile und Stereotypen, geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen und Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sexualität. Es besteht eine soziale Hierarchisierung oder Dominierung von Frauen durch Männer, wobei es sich nicht um ausnahmsweise vorkommende individuelle Taten handelt, sondern um systematische Diskriminierung als gruppenbezogenes Verhalten. Basierend auf machtbzw. herrschaftstheoretischen Ansätzen wird Geschlecht als hierarchisierende Konstruktion erfasst, Gleichheit dementsprechend als Hierarchisierungsverbot.16
C
Gleichheit und Differenz in den Geschlechtertheorien: Dilemmata und das Paradoxon der Frauenförderung
Die formelle Gleichberechtigung war das Ziel der ersten Frauenbewegung, sichtbar in den Forderungen nach bürgerlichen Rechten und insbesondere nach dem Wahlrecht.17 Die Herstellung formaler Gleichberechtigung war mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen keinesfalls beendet, allerdings ist formale Ungleichbehandlung mittlerweile doch die Ausnahme. Dass die auf einem bürgerlich-liberalen Gleichheitskonzept beruhende formale Gleichberechtigung zunehmend an ihre Grenzen stieß, führte zur Forderung nach substanziellen Gleichheitskonzepten – und damit auch zur Debatte um Gleichheit und Differenz. Der Begriff Differenz kam mit der feministischen Rechtstheorie in den Gleichheitsdiskurs18 und wendet sich gegen die androzentristische Struktur des Rechts, wonach Gleichheit im Sinne von Gleichsein (sameness) über die Angleichung der Frauen an die Männer hergestellt werden soll. Differenztheoretikerinnen setzen dem ein Konzept gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern an gesellschaftlichen Ressourcen trotz weiblicher Differenz gegenüber (Schiek 1994, Gerhard 1990, Holzleithner 2002). Die Debatte um die Differenz geht daher über die Definitionsfrage von Gleichheit hinaus, indem die Frage nach der Berechtigung von Differenz gestellt wird und Gleichheit ohne Angleichung (Schiek 1994, 15
Daher auch der Begriff der sozialen Diskriminierung (z.B. bei Schiek 1994). Zum Begriff der Hierarchisierung vgl. Baer 2004. 17 Die Frauenbewegung entwickelte sich bereits zur Zeit der französischen Revolution (beispielsweise forderte Olympe de Gouges die Anwendung der proklamierten Menschenrechte auch auf Frauen) und ist insofern eine Tochter der Aufklärung. In der jüngeren Geschichte des Feminismus werden unterschiedliche Wellen unterschieden (Gerhard 1995, Holzleithner 2002). Die erste Welle des Feminismus brachte den Frauen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sukzessive das aktive und passive Wahlrecht und endete am Beginn des zweiten Weltkriegs. Von den USA ausgehend setzte in den 1960er Jahren die zweite Welle ein (Betty Friedan gründete 1966 die National Organization of Women), vorerst als Gleichheits-, dann als Differenz-Welle. Teilweise wird eine dritte Welle konstatiert, gekennzeichnet durch die stärkere Fokussierung auf die Differenz zwischen Frauen, auf weitere Ausgrenzungskategorien, auf erkenntnistheoretische Fragestellungen sowie auf die duale Geschlechterordnung (siehe z.B. Frey 2003, 28f). 18 Die radikalsten Vertreterinnen der Differenzposition kamen aus Italien (vgl. Kontos 1994): Diese Kritikerinnen sehen Gleichheit und Freiheit als am männlichen Menschen entwickelte Konzepte, die die sexuelle Differenz leugnen und deshalb Frauen strukturell entwerten und zu ihrer gesellschaftlichen Anerkennung nichts beitragen können. 16
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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103) eingefordert wird. Gleichsein (sameness) soll nicht die Voraussetzung für Gleichheit (equality) darstellen (Holzleithner 2002, 31). Die theoretische feministische Diskussion der 1980er Jahre bewegte sich zunächst zwischen den beiden Konzepten Gleichheit und Differenz (z. B. Gerhard 1990) mit weitreichenden und widersprüchlichen Konsequenzen für die politische Umsetzung der Gleichstellungspolitik. Unterschiedliche Leitbilder über das Geschlechterverhältnis zeigen sich beispielsweise in der Frage über bildungspolitische Weichenstellungen zum Abbau der beruflichen Segregation am Arbeitsmarkt.19 Ein von Anfang an zentrales Thema im Differenzfeminismus war die Care-Ethik und damit die bis in die 1990er Jahre heftig diskutierte Frage, ob Frauen und Männer einen unterschiedlichen Zugang zur Fürsorge, eine unterschiedliche Moral aufweisen (Holzleithner 2002).20 Auf der theoretischen Ebene wurde das Paradoxon der Frauenförderung festgestellt: Gleichstellungspolitische Forderungen basieren auf Differenzen zwischen Frauen und Männern. Das Ziel der Frauenförderung ist es nun gerade, diese Unterscheidung irrelevant zu machen (Lehnert 1999). Sie verfolgt die Gleichheit der Geschlechter und betont die Besonderheiten von Frauen. Wetterer (1992a) hat aus diesem Paradoxon Rückschlüsse auf die relativ geringe Wirksamkeit der Gleichstellungspolitik gezogen: Durch die Reproduktion tradierter Geschlechterstereotype über die Betonung der Differenz21 werden die Grundlagen des Geschlechterverhältnisses, insbesondere jene der Geschlechterhierarchie, eher bestätigt als unterminiert (vgl. auch Franke/Simöl 2000). Ohne die Kontroverse über Gleichheit und Differenz befriedigend zu lösen, hat sich die Debatte in den letzten zwei Jahrzehnten auf Unterschiede bzw. Gleichheit zwischen Frauen verlagert.22 So wie in der ersten Phase der Gleichheits-/Differenz-Debatte tendenziell die Differenzen zwischen Männern und Frauen wichtiger wurden, zeigt sich auch in dieser zweiten Phase eine Akzentverschiebung vom Pol der Gleichheit zum Pol der Differenz (Klinger 2001, 108). Doch alle vier Positionen23 weisen Schwächen auf und verweisen gegenseitig auf die Unzulänglichkeiten des Ansatzes. Klinger (2001, 109) konstatiert eine 19 Eine gleichheitsorientierte Politik würde eine Durchmischung von Männern und Frauen fördern und beispielsweise verstärkt Frauen in technische Berufe leiten. Hingegen richtet sich eine differenzorientierte Politik nicht primär gegen die horizontale Spaltung in Frauen- und Männerberufe, sondern versucht die damit verbundenen Bewertungen, z.B. die geringere Entlohnung typisch weiblicher Beschäftigungsfelder, also die vertikale Segregation zu verringern. Erreicht werden soll die „Gleichbewertung von Anderssein“. 20 Ausgangspunkt war Carol Gilligans Studie In A Different Voice, die 1982 erschien und in der Gilligan unterschiedliche Moralansätze am Beispiel eines kleinen Mädchens (Amy) und eines kleinen Buben (Jake) entwickelt. Gilligan gilt aus Hauptvertreterin des Differenzfeminismus; besonders kritisch mit ihrem Ansatz auseinandergesetzt hat sich Catharine MacKinnon, die als Vertreterin des Dominanzfeminismus (oder auch Radikalfeminismus) die Feststellung sogenannter „weiblicher Werte“ als Ausdruck patriarchaler Herrschaft betrachtet und die selbst anknüpfend an die marxistische Tradition nach einem allgemeingültigen Erklärungsmodell für die Unterdrückung der Frauen sucht. Sie muss sich ihrerseits aber die Kritik gefallen lassen, Frauen vorrangig als Opfer zu sehen, was ebenfalls zu kurz greift (vgl. Holzleithner 2002). 21 Anzuführen wären hier beispielsweise Konzepte einer „weiblichen“ Technik oder generell der Ansatz des „weiblichen Arbeitsvermögens“. Es handelt sich um differenztheoretische Konzepte der Arbeitsteilung, für Hinweise siehe Kapitel 1.2. 22 Ausgelöst wurde diese Verlagerung durch die politische und theoretisch fundierte Kritik insbesondere von farbigen, lesbischen Frauen und Migrantinnen an den Vorurteilen und blinden Flecken der weißen, mittelständischen, heterosexuellen Frauenbewegung. Eine Zusammenfassung der ökonomisch-feministischen Debatte zu gender and race findet sich in Matthaei (1999). 23 Klinger (2001) unterscheidet folgende Positionen: Die Forderung nach Gleichheit zwischen Frauen und Männern; das Postulat der Geschlechterdifferenz; die Annahme einer Gleichheit zwischen Frauen im Sinne von global sisterhood; und die Debatte um Differenzen zwischen Frauen.
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Gender Gap und Gleichheit
Art Patt zwischen Gleichheit und Differenz, Maihofer (1998) sieht in dem Problem von Gleichheit und Differenz ein Dilemma, für das es keine optimale Lösung gibt, das von Fall zu Fall flexibel gehandhabt werden muss (ähnlich auch Kontos 1994).24 Diese theoretische Debatte ist insofern aktuell, als sie die Differenzen in der feministischen Bewegung aufzeigt - gehen doch die Extrempole von gänzlich unterschiedlichen Leitbildern über das Geschlechterverhältnis aus. In der praktischen Debatte verlieren diese Unterscheidungen als solche an Bedeutung, weil es beider Perspektiven bedarf (vgl. z.B. Jaggar 1993). Die einzelnen Ansätze fokussieren unterschiedliche Erklärungsphänomene und ergänzen sich im Hinblick auf Erkenntnisse. Zudem hat sich die Debatte weiterentwickelt, indem nicht nur auf die subjektive Ebene abgestellt wird, sondern die gesellschaftliche Ungleichheit, d.h. die Strukturen und Funktionszusammenhänge, die Mechanik und die Mechanismen der Gesellschaft miteinbezogen werden. Gleichstellungspolitik bedarf theoretischer Fundierung, insofern kommt sie um eine Thematisierung von Gleichheit und Differenz nicht herum. Knapp (2001) ergänzt die Dilemmata der Gleichstellung noch um die Dimension der Dekonstruktion.25 Eine ausschließliche Orientierung an der Differenz würde die traditionelle Arbeitsteilung eher zementieren als auflösen, zudem besteht die Gefahr der „Ikonisierung“ von Weiblichkeit. Die Betonung der Differenz mündet in der Verstärkung und Fortschreibung der Abweichung (Differenzdilemma). Eine strikt an Gleichheit orientierte Politik muss mit dem Einwand leben, tendenziell immer die Anpassung an eine männlich geprägte politische Kultur und Gesellschaft zu verlangen. Zudem schreibt die Gleichbehandlung von Ungleichem Ungleichheit fort (Gleichheitsdilemma). Die Perspektive der Dekonstruktion lehnt jegliche Legitimation gleichstellungspolitischer Positionen über die Konstruktion von Gruppeneigenschaften ab, womit sie aber auch die kollektive Basis von Frauenpolitik untergräbt.26 Das Dekonstruktionsdilemma besteht nach Knapp (2001, 101) dann darin: „Radikal dekonstruktivistische Politik greift den Rahmen an, in dem überhaupt noch verallgemeinernde Aussagen über ‚Frauen’ und frauentypische Problemlagen und Konfliktkonstellationen gemacht werden können.“ Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion sind drei Perspektiven, die in spezifischer Weise in der Gleichstellungspolitik verknüpft sind (ebd., 102): Gleichstellungspolitik zielt auf die Herstellung von Chancengleichheit und strikte Gleichbehandlung im Einzelfall und gegen individuelle Benachteiligung; d.h. es bedarf einer Gleichheitsperspektive als Grundlage der Antidiskriminierung. 24
Maihofer führt die Situation von Homosexuellen an, die in das Dilemma von Gleichheit und Differenz geraten, wenn sie einerseits die Legitimität unterschiedlicher Behandlung bestreiten, andererseits aber die Anerkennung ihrer Andersartigkeit anstreben (Maihofer 1998, 174). 25 Dekonstruktion von Geschlecht bedeutet in der einfachsten Interpretation die Konstruiertheit der Zweigeschlechtlichkeit in politischen und sozialen Kontexten, aber auch in wissenschaftlichen Konzepten sichtbar und kritisierbar zu machen. Als philosophisches Konzept knüpfen die Dekonstruktion bzw. der zugeordnete Poststrukturalismus (auch Postmoderne, zu den Begriffen vgl. Villa 2004a) an den Arbeiten des französischen Philosophen Derrida an (vgl. die Einträge zu Dekonstruktion und dekonstruktiver Feminismus in Kroll 2002). Einen sozialwissenschaftlichen Überblick zur (De-)Konstruktionsdebatte liefert Knapp (2000), Hewitson (1999) arbeitet mit dem poststrukturalistischen Ansatz in einem feministisch-ökonomischen Rahmen. 26 Die PoststrukturalistInnen wie Judith Butler befürworten zwar Gleichstellungspolitik, soweit diese die Rechte der Individuen schützt, wenden sich aber gegen das bipolare Anknüpfen an das biologische Geschlecht (sex), weil diese TheoretikerInnen nicht nur gender, sondern auch sex für gesellschaftlich konstruiert halten. Wie Berghahn (2003, 18) feststellt, ist der Verdienst poststrukturalistischer Ansätze jedenfalls der, eine festgefahrene Theoriediskussion wieder in Gang gebracht zu haben.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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Gleichstellungspolitik gestaltet frauenfördernde Programme, deren Ziel der Ausgleich struktureller Besonderheiten ist, die aus historischen Gründen weibliche Lebenszusammenhänge bis heute charakterisieren; d.h. es bedarf einer Differenzperspektive (verstanden im Sinne kompensatorischer Förderung) als Reaktion auf Strukturdefizite. Gleichstellungspolitik vermeidet Identitätskategorien zur Fundierung ihrer Politik und arbeitet aktiv gegen Stereotypisierungen; d.h. es bedarf einer Dekonstruktionsperspektive als Kritik der „Vereigenschaftlichung von Geschlechterdifferenz“ (ebd., 102).
Gleichstellungspolitik richtet sich nicht an die Gruppe der Frauen im Sinne einer einheitlichen weiblichen Identität, sondern gegen „das in Strukturen der Arbeits- und Machtverteilung sedimentierte hierarchische Verhältnis zwischen den Genus-Gruppen und damit einhergehende Konfliktkonstellationen und Benachteiligungen, die qua Geschlechtszugehörigkeit eher Frauen als Männer betreffen“ (ebd., 102).27
5.1.2 Gleichstellungspolitiken Gleichstellungspolitik thematisiert geschlechtsspezifische Ungleichheit und versucht diese mittels des gleichstellungspolitischen Instrumentariums zu beseitigen, um das Ziel der Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Die dargestellte Vielfalt der Konzepte der Gleichheit weist bereits darauf hin, dass es keinen eindimensionalen Zugang zur Gleichstellungspolitik, also der Umsetzung dieser Konzepte geben kann – was die Mehrzahl in der Überschrift rechtfertigt.
A
Chancengleichheits- bzw. Gleichstellungsstrategien
Korrespondierend zu den unterschiedlichen Gleichheitskonzepten ergeben sich unterschiedliche Strategien zur Umsetzung. Die Chancengleichheitsdebatte in Bezug auf den Arbeitsmarkt startete mit Forderungen wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ oder „gleicher Zugang zu allen Arbeitsmarktbereichen“, also mit der Forderung nach der Gleichbehandlung der Geschlechter.28 Im Zentrum dieser Gleichbehandlungspolitik stand das Streben nach geschlechtsneutralen Regelungen und somit die Beseitigung jeglicher Form direkter Diskriminierung.29 Allerdings wurde bald klar, dass die damit verbundene Zunahme der recht27 In Anlehnung an das Konzept der „Gruppenrepräsentation“ der feministischen Demokratietheoretikerin Iris M. Young kann damit auch dem Argument begegnet werden, dass ja nicht alle Frauen in gleicher Weise benachteiligt oder gar unterdrückt werden würden. Wenn bestimmte Gruppen von Frauen von bestimmten Konstellationen des Gender Gap betroffen sind, können gleichstellungspolitische Maßnahmen eingefordert werden, die genau diese Form der Diskriminierung auflösen sollen, ohne diese Politik an einer universellen Staats-Bürgerschaft ausrichten zu müssen (vgl. Gaster 2004, Knapp 2001, Klinger 2003). 28 Auch die deutlich älteren Debatten in der ersten Frauenbewegung standen in der Tradition dieses Gleichbehandlungsverständnisses (z.B. gleiches Wahlrecht). Die Forderung nach Lohngleichheit selbst ist schon alt (vgl. z.B. Salomon 1997, im Original 1906). Die Forderung nach gleichem Lohn für gleich(wertig)e Arbeit bzw. allgemeiner nach beruflicher Gleichstellung hat aber insbesondere ab den 1960er Jahren als Teil der zweiten Frauenbewegung Impulse für das Gleichbehandlungsrecht und für die gleichstellungspolitische Praxis gebracht. 29 Beispiele für die Arbeitsmarktpolitik sind die Abschaffung von eigenen Frauenlohngruppen oder die Aufhebung der Benachteiligung von Ehefrauen in der Arbeitslosenversicherung: Ehefrauen waren in Österreich bis 1988
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Gender Gap und Gleichheit
lich-formellen Gleichheit keinen Abbau der faktisch-materiellen Ungleichheit am Arbeitsmarkt mit sich bringt, da nicht auf bestehende und durch vergangene Ungleichbehandlung institutionalisierte Ungleichheit Bezug genommen werden kann. Um tatsächlich auch versteckte und indirekte Diskriminierungen bekämpfen zu können, bedarf es mehr als einer gleichen Behandlung – es bedarf einer spezifischen Förderung des benachteiligten Geschlechts. Die Implementierung von Frauenförderung war zwar von heftigen Diskussionen begleitet, weil sie auf der positiven Diskriminierung zugunsten der Frauen beruht, mittlerweile ist sie als Teil der Chancengleichheitspolitik unbestritten.30 Erst damit ist es möglich, das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt aktiv anzustreben, während Gleichbehandlung nur der Wahrung des Status Quo dienen kann, aber keine Handhabe zum Ausgleich von Ungleichem bietet. Die Propagierung von Gender Mainstreaming führte in den vergangenen fünf Jahren zu einem regelrechten Boom in der Gleichstellungsliteratur und in der diesbezüglichen Praxis. Gender Mainstreaming ist mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages 1999 zur Leitlinie der EU-Gleichstellungspolitik geworden.31 In der meist zitierten Definition des Europarates besteht Gender Mainstreaming in der „…(Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteurinnen und Akteure den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen.“32 Demnach soll Gender Mainstreaming die politischen Prozesse im Sinne einer Qualitätsverbesserung verändern, indem der Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen durch die an politischer Gestaltung beteiligten AkteurInnen eingenommen – d.h. in den „mainstream“ gesetzt - wird (vgl. Tondorf 2001). Die Zuständigkeit bzw. Verantwortlichkeit liegt grundsätzlich bei allen AkteurInnen, wobei die Weichenstellungen von der Leitung ausgehen sollen – Gender Mainstreaming ist als Top-Down-Strategie konzipiert. Chancengleichheitspolitik im Sinne von Gender Mainstreaming ist als proaktive Strategie zu verstehen, die verhindern soll, dass neue Regelungen und Maßnahmen die Chancengleichheit der Geschlechter behindern, weil die möglichen Auswirkungen auf die Geschlechter nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen vom Bezug der Notstandshilfe (im Anschluss an das Arbeitslosengeld) ausgeschlossen, wenn der Ehepartner/Lebensgefährte im Vollerwerb stand (Kapeller et al. 1999, 137). 30 Besonders deutlich und besonders umstritten ist Frauenförderung über Quotenregelungen, vgl. Holzleithner 2002, 63 ff. sowie die Beiträge in Rössler 1993. Zu den rechtlichen Aspekten der Frauenförderung vgl. Jarosch 2001, Wolfsgruber 2000. 31 Die Wurzeln von Gender Mainstreaming liegen jedoch in der weltweiten Frauenbewegung und ihren Erfahrungen bei der Durchsetzung von Forderungen an die Regierungen. Nachdem die Selbstverpflichtungen der Regierungen angesichts der Forderungen der Weltfrauenkonferenzen keine Erfolge zeigten, wurde nach einer wirksameren Strategie gesucht. Bei der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking erhielt diese neue Strategie den Namen Gender Mainstreaming, was bedeutete, dass die Regierungen in allen Politikbereichen nachprüfen sollen, welche Auswirkungen ihre Politik für die Situation von Frauen hat und in welcher Weise geplante Maßnahmen die spezifischen Lebenssituationen von Frauen im Sinne der in den verschiedenen Dokumenten verankerten Zielsetzungen verbessern (vgl. Stiegler 2002, Frey 2004; zur rechtlichen Verankerung von Gender Mainstreaming vgl. Rust 2003, Behning 2004). 32 Diese Definition stammt von der ExpertInnengruppe des Europarates aus dem Jahr 1998 (Group of Specialists 1998). Das Original der Definition wurde in Französisch verfasst, um die Übersetzungen gab es in der Folge einige Verwirrungen (was zur Vagheit des Konzepts wohl auch beigetragen haben mag). Die zitierte Übersetzung stammt von Tondorf (2001, 272), die sich gegenüber der deutschen Fassung des ExpertInnenberichts tendenziell durchgesetzt hat. Dennoch sind nach wie vor unterschiedliche Fassungen der Definition zu finden. Interessant ist auch, dass die zitierte Definition vielfach als EU-Definition von Gender Mainstreaming gilt, obwohl der Europarat keine Institution der EU ist (vgl. Behning 2004).
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
277
wurden. Damit und mit den intendierten Prozessänderungen unterscheidet sich Gender Mainstreaming von rechtlicher Gleichbehandlung und der Frauenförderung. Die Unterschiede zwischen den drei Strategien lassen sich nach Verloo (2001) anhand der Kategorien Analyse, ursächliche Zuständigkeit, Zielsetzungen und Zuständigkeiten darstellen (Übersicht 5.2). Gleichstellungspolitik kann sich nicht auf Gender Mainstreaming beschränken, weil mit dieser Strategie bestehende Ungleichheiten zwar berücksichtigt, aber nicht beseitigt werden. Gender Mainstreaming ist daher als Teil einer Doppelstrategie bzw. einer Tripelstrategie zu sehen: Gleichstellung als Querschnittsaufgabe ergänzt die bisherige spezifische Frauenförderpolitik und setzt rechtliche Gleichbehandlung voraus. Rees (1998) fasst dies folgendermaßen zusammen: Tinkering – rechtliche Reform, Tailering – frauenspezifische Politik; und Transformation – Mainstreaming baut auf den beiden ersten auf (vgl. auch Woodward 2001). Übersicht 5.2: Gleichstellungsstrategien Strategie
Analyse
Zuordnung der Ursache
Zielsetzungen
Handlungsbedarf
Was ist zu verändern?
Wer/Was verursacht Problem?
Wie soll das gemacht werden?
Wer soll was machen?
Gleichbe- Ungleichbehandlung handlung durch Gesetz; unter-
Individuelle Diskriminierung
Veränderung der Gesetze in Richtung formaler Gleichberechtigung
Gesetzgeber
Unterschiedliche AusFrauenförderung gangspositionen von
Sowohl individuelle als auch strukturelle Diskriminierung
Entwicklung und Finanzierung spezifischer Projekte, die sich an Zielgruppe Frauen richten
Gleichbehandlungsstellen, teilweise mit etablierten Institutionen (AMS)
Geschlechtsspezifische Gender Verzerrungen bei Mainstreaming politischen Interventi-
Politische bzw. organisationale Intervention (ungewollt)
Im (politischen) Prozess soll systematisch Geschlechterperspektive berücksichtigt werden
Regierung/ alle AkteurInnen, die bei (politischen) Entscheidungen beteiligt sind
schiedliche Rechte für Männer und Frauen
Frauen und Männern als Gruppe. Mangel an Zugangsmöglichkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen
onen und sozialen Institutionen, die zu Chancenungleichheit führen
Quelle: Zusammenstellung nach Verloo 2001. Rechtliche Gleichbehandlung wird mittlerweile als unbestrittene Voraussetzung von Geschlechtergleichheit gesehen. Hingegen bleibt weiterhin in Diskussion, wieweit Gender Mainstreaming zusätzlich zur Frauenförderung notwendig ist, diese Strategien sich tatsächlich ergänzen und einander bedingen, oder aber redundant wirken.33 Von feministischen 33
Für eine Gegenüberstellung der beiden Strategien vgl. z.B. Bergmann/Pimminger 2004. Ein typisches Beispiel für die Frauenförderung in der Arbeitsmarktpolitik wären Internetkurse für Frauen; Gender Mainstreaming würde eine Ausgestaltung bestehender Internetkurse verlangen, die für Frauen und Männer gleichermaßen ansprechend ist.
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Gender Gap und Gleichheit
Theoretikerinnen wird kritisch hinterfragt, inwiefern Gender Mainstreaming tatsächlich einen Fortschritt oder gar einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik darstellt (z.B. Wetterer 2002a und 2005, Schunter-Kleemann 2001 und 2001a).34 Chancengleichheit ist selbstverständlich auch im privaten, d.h. betrieblichen Bereich ein Thema. Betriebliche Frauenförderung mag zwar – zumindest in Österreich – noch immer im „Dornröschenschlaf“ (Papouschek/Pastner 1997) liegen, dennoch gab und gibt es mittlerweile praktische Erfahrungen (z.B. Faber/Kowol 2003) und theoretische Aufarbeitungen (z.B. Bendl 1997, Rudolph/Grünning 1994) der Frauenförderung in Betrieben der Privatwirtschaft. Das Pendant zu Gender Mainstreaming ist Managing (Gender and) Diversity,35 das als Strategie zumeist dem Personalmanagement zugeordnet und mit dem Ziel verknüpft wird, humane Ressourcen optimal zu nutzen. Während dies früher primär vor dem Hintergrund monokultureller Organisationen erfolgte, verweist Managing Diversity auf die multikulturelle Organisation, auf die Vielfalt des Personals und die Nutzung der Potenziale der Vielfalt statt deren Ausgrenzung (Krell 2001a). Chancengleichheit wird nicht nur mit dem Verweis auf die Moral und Ethik eingefordert, sondern „auch und vor allem, weil sie ökonomisch vorteilhaft ist“ (ebd., 18). Diversity ist kein Konzept, das hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung unmittelbar wirksam ist, es setzt eher auf den langfristigen und zähen Prozess der Förderung von organisationaler Offenheit und Toleranz. „Intendiert ist, dass die Veränderungen der sozialen Beziehungen in Profit- und Nonprofitorganisationen auf bestehende gesellschaftliche Dominanzverhältnisse einwirken“ (Koall 2002, 3). Insofern hat Managing Diversity nicht die politische Tragweite von Gender Mainstreaming, was aber dem Rechnung trägt, dass im privaten betrieblichen Bereich keine Organisationsveränderung „verordnet“ werden kann. Dass sich Diversity nicht nur auf Geschlecht, sondern generell auf die Bewältigung sozialer Unterschiede (des Geschlechts, des Alters, der sozialen Herkunft, Ethnie oder Religion) bezieht, birgt die Chance in sich, der sozialen Konstruktion der Norm der Zweigeschlechtlichkeit (Gildemeister/Wetterer 1992, Wetterer 1995) ein Stück weit zu entgehen,36 aber auch die Gefahr, dass die sozialen Unterschiede nach dem Geschlecht gegenüber anderen sozialen Unterschieden ausgespielt werden und jene auf der Strecke bleiben, die nicht über aktuell nutzbare ökonomische Potenziale verfügen.37 Gender Mainstreaming wird primär für den öffentlichen, Diversity für den privaten Bereich diskutiert. Abgrenzungen, wofür welches Konzept Gültigkeit haben soll, sind aller34 Der mittlerweile äußerst umfangreiche Diskurs zu Gender Mainstreaming weist noch immer auf viele Kontroversen hin, z.B. zur „wirklichen“ Definition von Gender Mainstreaming in Theorie und Praxis (vgl. Woodward 2001 für eine Übersicht), zu den inhaltlichen Zielsetzungen (vgl. Stiegler 1998 und 2000), zur Umsetzung und den dafür bereits kreierten Methoden wie das Gender Impact Assessment oder SMART (vgl. Naylon/Weber 2000, Woodward/Meier 1998), das Sechs-Schritte-Programm (Tondorf 2001) oder das Praxishandbuch von Bergmann/Pimminger 2004. Auch zu den Kriterien einer erfolgreichen Umsetzung insbesondere am Beispiel der skandinavischen Länder gibt es bereits Aufarbeitungen (z.B. Woodward 2001). Positive Einschätzungen finden sich in Pinl 2002, Döge 2002, Stiegler 2005, Cordes 2004; kritische Stimmen in Nohr 2001, Schunter-Kleemann 2001 und 2001a, Heikkinen 1999, Weinbach 2001, Möbius 2001; differenzierte Beiträge finden sich in Rees 1998, Bothfeld et al. 2002, Behning/Sauer 2005. 35 Üblich sind auch die Begriffe „Diversity Management“ oder „Diversitätsmanagement“, vgl. Bendl et al. 2004. 36 Kritisch dazu: Wetterer 2002, 143. 37 Aus der ökonomischen Perspektive ist dieser Diskurs sehr interessant, allerdings würde er den Rahmen dieses Kapitels sprengen; siehe z.B. die Beiträge in Peters/Bensel 2002, in Koall et al. 2002 sowie in Bendl et al. 2004; eine kritische Position zu Managing Diversity findet sich bei Wetterer 2002, Schunter-Kleemann 2002, Young 2001.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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dings nicht einfach zu erstellen, sowohl was die Konzepte betrifft, als auch was zum „öffentlichen Bereich“ zählt. Beispielsweise sieht Stiegler (2005, 33) Gender Mainstreaming auf Organisationen beschränkt, die im weitesten Sinne Politik machen, während Bendl (2004) die realistischer Zuordnung von Gender Mainstreaming überwiegend zum NonProfit Bereich vornimmt. Der zentrale Unterschied liegt weniger in der Frage Profit oder Non-Profit, sondern in der Reichweite der Gender Perspektive – letztere ist im Gender- und Diversitätsmanagement nicht mehr zentral gesetzt (ebd., 56).
B
Gleichstellungspolitik vor Gender Mainstreaming
Im Glossar von Rosenberger/Sauer (2004, 260) wird Gleichstellungspolitik definiert als die Politik der eigens dafür geschaffenen politisch-administrativen Einrichtungen (Gleichbehandlungsstellen, Frauenministerien etc.), die sich der Instrumente der rechtlichen Gleichbehandlung, der Frauenförderung und der Quotenregelungen bedient. Das Ziel ist die Beseitigung direkter und indirekter Diskriminierung in der Berufsarbeit, in der politischen Partizipation, in der Privatheit. Dieser alltagspolitisch durchwegs üblichen Definition folgend werden das Gleichbehandlungsrecht diskutiert (z.B. Holzleithner 2002), Quotenregelungen begründet oder kritisiert (z.B. Jarosch 2001) oder nach einer Neugestaltung des staatsbürgerInnenschaftlichen Rechtsverhältnisses gesucht (z.B. Wilde 2004). Diese Institutionalisierung von Frauenförder- bzw. Gleichstellungspolitik insbesondere ab den 1980er Jahren wurde von einem Teil der Frauenbewegung (den sogenannten „autonomen” Frauen) auch kritisch gesehen. Befürchtet wurde die Nutzung der Gleichbehandlungsstellen als Alibistellen, als willkommene Einrichtungen der Modernisierung, die die Persistenz patriarchaler Verwaltung und männerdominierter Institutionen verdecken. Anfang der 1990er Jahre trat dann eher Ernüchterung angesichts der relativen Wirkungslosigkeit von rund zehn Jahren institutionalisierter Gleichstellungspolitik ein. Dies ist mit ein Grund, dass auch in der Frauenbewegung in der ersten Hälfte der 1990er Jahre nach neuen Konzepten und Strategien für die Gleichstellung gesucht wurde (vgl. Sauer 1994). Ein Ergebnis davon ist Gender Mainstreaming.
C
Gleichstellungspolitik in erweiterter Definition: Integration einer gleichstellungspolitischen Perspektive in alle Politikbereiche
„So viel Gender wie heute war noch nie“, umschreiben Meuser/Neusüß (2004a, 9) die auf den ersten Blick erfolgreiche Implementierung von Gender Mainstreaming als Nachfolgestrategie der ins Stocken geratenen „traditionellen“ Frauenförderpolitik. Dass mit dieser Erfolgsgeschichte nicht nur viel Skepsis und Kritik an dem neuen Konzept einhergeht, sondern auch beträchtliche Zweifel am tatsächlichen bisherigen „Erfolg“, wurde bereits angesprochen und soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.38 Was hier interessiert, 38
Es ist auch nicht mehr möglich, eine vertiefte Darstellung von Gender Mainstreaming ohne konkretes Anwendungsfeld oder konkrete theoretische Fragestellung zu erarbeiten – zu heterogen und vor allem zu umfangreich sind Publikationen aller Art zu Gender Mainstreaming, wenngleich angemerkt werden muss, dass es bei theoretisch fundierten Artikeln in anerkannten Journalen noch eher ein Defizit gibt. Sammelbände wie jene von Bothfeld et al. (2002) und Meuser/Neusüß (2004) geben eine gute Orientierung in dem noch immer rasch wachsenden Feld.
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Gender Gap und Gleichheit
ist der politische Ansatz von Gender Mainstreaming: die Integration einer gleichstellungspolitischen Perspektive in alle Politikbereiche. Zwar vermag rechtliche Gleichstellung insbesondere über das Rechtsinstrument der strukturellen Diskriminierung einiges bewegen (vgl. Holzleithner 2003), aber nicht alle Facetten der Diskriminierung sind über das Recht und die damit in Verbindung stehenden politisch-administrativen Einrichtungen erfass- und bekämpfbar.39 Eine inhaltliche, d.h. politikfeldübergreifende Erweiterung des gleichstellungspolitischen Verständnisses ist daher ebenso erforderlich wie eine verstärkte Zusammenarbeit über disziplinäre Grenzen hinweg. Übergreifende Konzeptionen gab es schon vor Gender Mainstreaming. Von Wahl (1999) präsentiert beispielsweise einen erweiterten Rahmen der Gleichstellungspolitik aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive. Dass sie das noch ohne Bezugnahme auf Gender Mainstreaming tut,40 hat den Vorteil, dass sie mit einem weiten und deutlich kritischen Anspruch an eine breite Verankerung der Gleichstellungspolitik herangeht. Gleichstellung sei ein „politisch höchst brisantes Thema“, denn Politik, die auf die Beendigung von Ungleichheit zwischen Geschlechtern im Erwerbsleben abzielt, muss sich zwangsläufig mit materieller und symbolischer Umverteilung, mit der Funktion und der Bewertung von unterschiedlichen Formen von Arbeit, mit Gerechtigkeit befassen und entsprechende Änderungen in diesen Bereichen einfordern. Dieses Unterfangen stellt hohe Ansprüche an eine theoretische und empirische Fundierung der Gleichstellungspolitik, die bislang erst in Ansätzen erfüllt werden können. Von Wahl (1999) nennt zwei wesentliche Ursachen: Alltagspolitisch müsste Gleichstellungspolitik endlich jenen Spagat schaffen, der in der genderorientierten Arbeitsforschung immer eingefordert wird, aber dann doch meist auf der Strecke bleibt: Die Arbeit von Frauen liegt im Bereich der Produktion und der Reproduktion, im Bereich des Erwerbsarbeitsmarktes und der familiären Betreuungsarbeit im privaten und öffentlichen Raum. Bislang wird jedoch primär berufliche Gleichstellungspolitik betrieben und erforscht, der zweite, private und informelle Arbeitsbereich zum Anhängsel degradiert – anstatt das Gesamtbild weiblicher Lebenszusammenhänge ins Zentrum zu stellen. Auf der wissenschaftlichen Seite ortet von Wahl (ebd., 14) ein „eklatantes Theoriedefizit“, dem eine große Anzahl von Erfahrungsberichten von Gleichstellungsbeauftragten, praxisbezogenen Handbüchern, Leitfäden und Checklisten gegenüberstehen, die eine Momentaufnahme frauenpolitischer Praxis darstellen, aber keine wissenschaftliche Analyse.41 Anknüpfungspunkte für eine Fundierung einer umfassend verstandenen Gleichstellungspolitik bilden all jene Forschungsbereiche, in denen Aspekte der Gleichheit und Ungleichheit analysiert werden: die Arbeitsmarktforschung, die Sozialstaatsforschung und die politik39 Dass die rechtliche Dimension auch über die Analyse der Möglichkeiten und Grenzen des Gleichheitsgrundsatzes hinausgeht, zeigen die wachsenden Arbeiten zu Gender und Recht, z.B. Holzleithner (2002) für Österreich, Berghahn (2003) für Deutschland. Letztere wählte den bezeichnenden Titel „Der Ritt auf der Schnecke“, was wohl auch für Österreich das Tempo des Fortschritts in der Geschlechtergleichstellung beschreiben dürfte. 40 Die Gründe dafür dürften im Untersuchungszeitraum liegen, aber auch im Untersuchungsgegenstand USA, wo Gender Mainstreaming nach wie vor nicht denselben Bekanntheitsgrad wie in Europa erreicht hat. 41 Die in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegene Praxisliteratur zur Gender Mainstreaming, die von Wahl in ihrer Forschungsarbeit noch nicht berücksichtigen konnte, illustriert dies in anschaulicher Weise. Mit einiger Verzögerung nehmen mittlerweile auch wissenschaftliche Bearbeitungen zum Thema Gender Mainstreaming zu (z.B. Gaster 2004).
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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wissenschaftliche Public-Policy-Forschung, auf die von Wahl abzielt. Sie führt den Begriff Gleichstellungsregime ein, der sich nicht allein auf Gleichstellungspolitik im engeren Sinn bezieht, sondern „auf die Geschlechtergerechtigkeit eines Staates“ (ebd., 49). Sie knüpft damit an die in Kapitel 4.1 vorgestellte Wohlfahrtsstaatenforschung und deren feministische Kritik an und unterscheidet sechs Dimensionen eines Gleichstellungsregimes, die sie konkret für zwei Länder (USA und Deutschland) untersucht: Antidiskriminierungsansätze: Lohngleichheit, Antidiskriminierungsgrundlagen; Frauenförderung (Affirmative Action) und Quoten; Flankierende sozialstaatliche Maßnahmen und berufliche Gleichstellung: z.B. Gleichstellung durch Bildungspolitik; Regelungen rund um Schwangerschaft, Mutterschaft und Beurlaubungen; Politik gegen die Unterbewertung weiblicher Erwerbsarbeit: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Comparable Worth; Policy-Ansätze gegen sexuelle Belästigung; Gleichstellung durch anti-heterosexistische Policies: Politik gegen die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierungen. Das zweite der im Folgenden präsentierten Fallbeispiele, die gleichstellungspolitischen Potenziale der Ausgestaltung von Betreuungsarbeit, lässt sich der dritten Dimension zuordnen, während das erste Fallbeispiel, gleichstellungspolitische Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik am Beispiel von Gender Mainstreaming, mehrere Dimensionen berührt.42 Ein Beispiel für eine ökonomische Gleichstellungsperspektive liefert Littmann-Wernli (1999). Ausgehend von der Feststellung der Benachteiligung von Frauen am (in diesem Fall Schweizer) Arbeitsmarkt stellt sie die These auf, dass diese als Spiegelbild der unausgewogenen Arbeitsteilung in der Familie interpretiert werden muss. Eine ökonomische Gleichstellungsregelung „muss demnach am Entscheidungsspielraum der Haushalte zur intrafamiliären Arbeitsteilung ansetzen und diesen verändern“ (ebd., 81). Im Kern schlägt sie daher vor, über materielle Anreize die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der Phase der Familiengründung zu verändern, um eine partnerschaftliche und ökonomisch sinnvolle Teilung der Betreuungspflichten zwischen den Eltern zu erreichen. Im Zentrum der der vorgeschlagenen Gleichstellungsregelung steht eine weitgehende Arbeitsmarktflexibilisierung im Sinne von Teilzeitkarenzen in unterschiedlichen Ausprägungen. Littmann-Wernlis Gleichstellungsregelung setzt zwar nicht an der Makroperspektive an wie von Wahl (1999), eine im Vergleich zur traditionellen ökonomischen Gleichstellungskonzepten erweiterte Perspektive entwickelt sie jedenfalls: Eine Änderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung soll über eine koordinierte Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik erzielt werden. Im Fallbeispiel 2 werden wir darauf zurückkommen.
42 Unmittelbar betrifft Arbeitsmarktpolitik die dritte Dimension in der obigen Aufzählung, aber sie berührt auch die Frauenförderpolitik, und – wenn auch sehr indirekt – die Lohngleichheit und Antidiskriminierungspolitik, z.B. über die Qualifizierungsangebote, die arbeitslosen Frauen gemacht werden. Gender Mainstreaming betrifft als Querschnittsstrategie potenziell alle angeführten Dimensionen.
282 D
Gender Gap und Gleichheit Gleichstellungspolitik über organisationalen Wandel
Im Unterschied zur „klassischen“ Gleichstellungspolitik hat Gender Mainstreaming als politische Strategie nicht nur eine Außenwirkung (z.B. frauenfördernde Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik), sondern ist zentral auch nach „innen“ gerichtet, zielt auf die Veränderung von Organisationsstrukturen.43 Sehr deutlich kommt dies bei der betriebswirtschaftlichen Variante des Managing Diversity zum Vorschein, aber auch im Gender Mainstreaming-Kontext selbst wird ein entscheidendes Potenzial dieser Strategie in der praktischen Aufdeckung und Veränderung der in jeder Organisation eingeschriebenen Substruktur gesehen (vgl. Meuser 2004, 2004a; zum Forschungsfeld Gendered Organisations siehe Kap. 3.1, 3.3 und 3.4). Ob Gender Mainstreaming tatsächlich das Potenzial hat, die männerbündische Arbeits- und Organisationskultur nachhaltig zu verändern, wird eher kritisch gesehen (Höyng/Lange 2004), was auch darin begründet liegt, dass die vielfach strapazierte „win-win“-Situation, die es endlich zu nutzen gilt, wohl nicht für alle Organisationsmitglieder gegeben sein dürfte. Letztlich geht es immer noch darum, dass ein großer Teil der Männer an Macht und Einkommen verlieren oder zumindest nichts hinzugewinnen dürfte, wenn Frauen auf allen hierarchischen Ebenen einer Organisation mit ihnen gleichziehen sollen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die Erwartungen an eine Transformation44 der Gleichstellungspolitik durch Gender Mainstreaming ganz zentral auf den Beitrag stützen, den dieses Konzept zur Innovation von Institutionen leisten soll (vgl. dazu ausführlich Woodward 2004). Eine der grundlegenden Ideen ist jene, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern das Ergebnis institutioneller Gewohnheiten sei und es daher in Organisationen Innovationen bedarf, um diese Gewohnheiten zu verändern (ebd., 95). Aus der Sicht der Organisationsforschung, insbesondere den Erkenntnissen zu den gendered substructures (Acker 1990, sowie Kap. 3.3), lässt sich diese Argumentation theoretisch gut nachvollziehen. Praktisch setzt die Transformation der Gleichstellungspolitik trotzdem die Lösung zuvor angesprochener Fragen wie jener nach den Machtverhältnissen und potenziellen GewinnerInnen und VerliererInnen in Organisationen voraus. Wir werden im Anwendungsbeispiel in Kapitel 5.2 auf diese Dimension von Gender Mainstreaming als Prozessinnovation zurückkommen.
43 „Klassische“ Gleichstellungspolitik hat natürlich auch eine Innenwirkung, schließlich geht es um die Förderung von Frauen innerhalb der jeweiligen Organisation. Das Verfolgen und Erreichen beispielsweise einer Frauenquote in einem Betrieb verändert nicht nur das Geschlechterverhältnis, sondern vermutlich auch in Ansätzen die Organisationskultur. Was den Unterschied zu Gender Mainstreaming jedoch ausmacht, ist, dass bei letzterem die Veränderung der Organisationskultur und der –strukturen Teil der Strategie von Anfang an ist - im Sinne einer Managementstrategie. Deswegen ist Gender Mainstreaming in laufende Restrukturierungsprozesse von Organisationen leichter einzubauen als eine mehr oder weniger nischenorientierte Frauenförderpolitik. 44 Woodward (2004, 86) formuliert dies über die Frage: „Wird nicht jede Organisation, die Gender Mainstreaming erfolgreich einführt, aufgrund des verstärkten Bewusstseins für Geschlechterthemen in sich transformiert?“ Sie führt im Folgenden Faktoren an, über die Gender Mainstreaming als Prozessinnovation wirksam werden kann, wie die Notwendigkeit der Entwicklung von Visionen an der Spitze der Organisation und der Vermittlung derselben an alle Beteiligten, neue Arbeitsmethoden, die Reflexion über bisherige Praktiken etc.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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5.1.3 Gleichstellungspolitik in Österreich Ein kurzer Überblick über die rechtlichen Grundlagen und den politischen Rahmen österreichischer Gleichstellungspolitik soll den aktuellen Status der Gleichstellungsfrage skizzieren.45
A
Rechtliche Grundlagen der Gleichbehandlung und Frauenförderung46
Die gesetzlichen Grundlagen der Gleichbehandlung der Geschlechter sind für die Privatwirtschaft im Gleichbehandlungsgesetz (1979) und für den öffentlichen Bereich im Bundesgleichbehandlungsgesetz (1993) geregelt. Seit 1990 gibt es zudem spezifische Regelungen zur Gleichbehandlung an den Universitäten, seit 1997 bestehen in allen Bundesländern Gleichbehandlungsgesetze für die Landes- und Gemeindebediensteten (Ulrich 2003). Alle Gleichbehandlungsgesetze verbieten jegliche Form der direkten und indirekten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Diskriminierung bei der Einstellung, beim Einkommen, beim Aufstieg usw. Gemäß Bundesgleichbehandlungsgesetz sind Maßnahmen der Frauenförderung solange anzuwenden, solange der Frauenanteil in den betreffenden Bereichen weniger als 40 % beträgt. Zu diesen Maßnahmen zählt auch eine Quotenregelung (vgl. genauer Ulrich 2003, 256f). Zur Rechtsdurchsetzung wurden spezifische Beratungs- und Betreuungsinstitutionen geschaffen (Kontaktfrauen, Gleichbehandlungsbeauftragte, Arbeitskreise für Gleichbehandlungsfragen an Universitäten). Im Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft findet sich keine Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zur Frauenförderung, wiewohl festgelegt ist, dass vorübergehende Sondermaßnahmen zur Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung der Geschlechter, also positive Diskriminierung, zulässig ist. Im Arbeitsverfassungsgesetz wird die betriebliche Frauenförderung angesprochen, und zwar als Verpflichtung der Arbeitgeber zu Absprachen mit dem Betriesbrat über positive Maßnahmen für Frauen auf betrieblicher Ebene (Ranftl 2002). Im Fall der Diskriminierung können sich die Betroffenen an die Gleichbehandlungskommission bzw. an die Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen wenden, die es mittlerweile auch auf regionaler Ebene gibt (Ulrich 2003, 262ff).47 Insgesamt betrachtet liegt der Fokus österreichischer Gleichstellungspolitik auf der Bekämpfung direkter Diskriminierung bzw. auf der formalen Gleichbehandlung der Geschlechter. Die Frauenförderung hat bislang mit Ausnahme der Universitäten48 eine relativ geringe Bedeutung. Dies gilt insbesondere für den betrieblichen Bereich, in dem sich der rechtliche Rahmen auf einige „sanktionslose Sollvorschriften“ (Burger-Ehrnhofer et al. 2004, 230) bei der Betriebsratswahl und ansonsten auf die Möglichkeit freiwilliger Be-
45 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Burger-Ehrnhofer et al. 2004 sowie die darin angegebene Literatur. Zur spezifischen Frage der Lohngleichheit siehe auch Kapitel 3.3. 46 Im Text wird nur auf die Gleichbehandlungsgesetzgebung ab den 1970er Jahren Bezug genommen. Die Gleichheit vor dem Gesetz – „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“ – wurde bereits 1867 im Staatsgrundgesetz verfassungsrechtlich verankert und gilt bis heute (zur Entwicklung der verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien vgl. Ulrich 2003, 227ff, Sporrer 1997). 47 Einen ausführlichen Überblick über die Rechtsgrundlagen der Gleichstellungspolitik liefern BurgerEhrnhofer et al. 2004; eine rechtlich-historische Aufarbeitung findet sich in Holzleithner 2003. 48 Zur Analyse der rechtlichen Frauenförderung im Universitätsbereich vgl. Holzleithner 2004.
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Gender Gap und Gleichheit
triebsvereinbarungen beschränkt.49 Aufgrund der in Österreich gegebenen Dominanz von Klein- und Mittelbetrieben, die zur Initiierung und Umsetzung von Chancengleichheitsprogrammen jedenfalls einer rechtlichen und politischen Unterstützung bedürfen, ist die relativ schwache Präsenz solcher Programme nicht verwunderlich.50 Die vorhandenen rechtlichen Grundlagen und Institutionen würden aber auch eine Ausgangsbasis für verstärkte Bemühungen der Gleichstellungspolitik liefern.
B
Politischer Rahmen
Die Phase der Herstellung formaler Chancengleichheit verlief in den 1970er und 1980er Jahren relativ erfolgreich (Reformen des Familienrechts, Bemühungen um geschlechtsneutrale Regelungen und eine Institutionalisierung der Frauen- und Gleichbehandlungspolitik).51 Das Gleichbehandlungsgesetz 1979 setzte unmittelbar bei der Chancengleichheit im Erwerbsleben an, seine Wirkung blieb aber trotz erneuter Reformulierungen in den Folgejahren sehr begrenzt. Mairhuber (2000, 156) charakterisiert die österreichische Gleichbehandlungspolitik der 1980er Jahre wie folgt: „Die ... ‚Gleichbehandlungspolitik’ lässt sich zunächst grundlegend durch eine Zunahme der rechtlich-formellen Gleichheit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung bzw. Verschärfung der faktisch-materiellen Ungleichheit charakterisieren.“ Auch das „Gleichbehandlungspaket“ 199252 konnte die für eine de facto Gleichstellung erforderlichen Maßnahmen nicht einleiten. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Anrechnung von „Kindererziehungszeiten“, die erwerbstätigen Frauen unabhängig von einer Erwerbsunterbrechung für Zeiten der Kindererziehung einen Ausgleich in der Pensionsversicherung gewährt (ebd, 165ff.). Mit der großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP ab 1986 wurde die Umsetzung frauenpolitischer Anliegen mühsamer, der Stellenwert der Familienpolitik nahm zu (vgl. Liebhart et al. 2003).53 Über die Familienpolitik konnten sich die beiden Koalitionsparteien
49 Seit der Mitte der 1990er Jahre durchgeführten Studie zur betrieblichen Frauenförderung von Papouschek/Pastner (1997) mit dem bezeichnenden Titel „Im Dornröschenschlaf“ hat sich, abgesehen von Einzelfällen in Großbetrieben (vgl. z.B. die Fallstudie zu den Gleichstellungsaktivitäten der Bank Austria Creditanstalt BA-CA in Bendl et al. 2004), wenig getan. Bendl et al. (1998) betitelten ihren Sammelband zur betrieblichen Frauenförderung zwar noch optimistisch mit „Im Aufbruch“, aber abgesehen von den Prämierungen „frauen- und familienfreundlicher Betriebe“ (vgl. die Initiative Taten statt Worte, www.taten-statt-worte.at) mit deutlicher Betonung auf Letzterem gingen von der Politik kaum Impulse aus. Inwieweit diese relative Bedeutungslosigkeit eine Folge des politischen Desinteresses an der Thematik ist, oder eine Folge aus den Erfahrungen relativer Wirkungslosigkeit bisheriger Chancengleichheitsprogramme, oder aber auch eine Folge des Übergangs zu Gender Mainstreaming, worin der Diskurs zur Frauenförderung einfach unterging (vgl. Bendl 2004, 51), kann hier nicht festgestellt werden, vermutlich kamen alle drei Gründe zum selben Zeitpunkt zusammen. 50 Beispielsweise wurden mit der TOTAL E-QUALITY Initiative in Deutschland, die das Ziel hat, die Total Quality Management Strategie mit der Chancengleichheit zu verbinden, vorwiegend Großbetriebe erfasst; dies gilt auch für den österreichischen Ableger der Initiative, EQUALITY (vgl. Bendl 2004, 50f). 51 Holzleithner (2002, 48) bezeichnet die Familienrechtsreform ab Mitte der 1970er Jahre als Katalysator auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie. Kernstück war die Umstellung vom „patriarchalischen“ auf das „partnerschaftliche“ Familienmodell: Anstelle des männlichen „Familienoberhaupts“, der seine Frau in allen Angelegenheiten zu vertreten hatte, trat die Verpflichtung zur einvernehmlichen Lebensführung. 52 Dieses Paket verstand sich als Begleitmaßnahme zur schrittweisen Einführung des gleichen Pensionsantrittsalters von Männern und Frauen, vgl. Holzleithner 2002. 53 Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass emanzipatorische Frauenpolitik in Österreich nur durch die ÖVP gebremst wurde. Wie mühsam es für die SPÖ-Frauen war, in ihrer Partei ein egalitäres Geschlech-
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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voneinander abgrenzen. Während die SPÖ Familienpolitik als Sozialpolitik im Sinne der Umverteilung zwischen einkommensschwachen und –starken Familien gesehen hat, betonte die ÖVP Familienpolitik als ausschließliche Familienförderung. Parallel dazu war Familienpolitik für die SPÖ Frauenpolitik mit dem Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter, während es der ÖVP vorrangig darum ging, Frauen Familie zu ermöglichen. Eine Reihe von Debatten insbesondere in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre spielte sich in diesem Feld zwischen Sozialpolitik vs. Familienpolitik bzw. zwischen women at work und women in the family ab. Zwar kam es Anfang der 1990er Jahre infolge des Gleichbehandlungspakets zu punktuellen Verbesserungen, ab Mitte der 1990er Jahre führten mehrere sogenannte „Sparpakete“ im Zug der Budgetkonsolidierung im öffentlichen Haushalt zu Ausgabenkürzungen bzw. –umschichtungen, die eher auf eine „Repatriarchalisierung“ (Mairhuber 2000) des Geschlechterverhältnisses hindeuten, die Familie wurde wieder zunehmend zum „Ort der sozialen Sicherung von Frauen“. 1997 wurde das sogenannte „Frauen-Volksbegehren“ durchgeführt und von 644.665 Personen unterstützt (Holzleithner 2002). Dies führte zu einer Änderung des Gleichheitssatzes in der Verfassung, wonach sich nun Bund, Länder und Gemeinden zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter bekennen. Von den im Volksbegehren angeführten Maßnahmen zur Herbeiführung der tatsächlichen Gleichstellung, wie Bindung öffentlicher Förderungen und Aufträge an ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis auf allen Hierarchiestufen im Unternehmen, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit in Verbindung mit einem Mindestlohn (damals ATS 15.000,-), Ausdehnung der Behaltefrist nach der Karenzzeit, Anspruch auf Grundpension, ausreichende ganztägige Kinderbetreuungseinrichtungen für alle Altersstufen, wurde allerdings unmittelbar nichts umgesetzt, einige wenige Forderungen wurden erst Jahre später und in abgeschwächter Form realisiert.54 Ende der 1990er Jahre dominierte die von ÖVP und FPÖ eingebrachte Kindergeldbzw. Kinderscheckdiskussion bald die gesamte Frauenpolitik, sodass Themen wie die eigenständige Alterssicherung von Frauen, der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen oder der Abbau der Einkommensdiskriminierung von Frauen kaum mehr Gehör fanden. Mit der Wende zur schwarz-blauen Koalition wurde diese Reduktion von Frauenpolitik auf Familienpolitik schließlich auch „institutionalisiert“, indem das Frauenministerium abgeschafft wurde und die Frauenagenden zuerst im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen ressortierten, ab 2003 im damals neu geschaffenen Ministerium für Gesundheit und Frauen. Mit dem Regierungswechsel 2000 wurde „die Ungleichheit der Geschlechter rasch wieder auf den Charakter eines ‚Nebenwiderspruchs’ zurück geworfen“ (Rosenberger 2001, 55). Kreisky et al. (2003) konstatieren einen Paradigmenwechsel im Sinne einer verstärkten Hinwendung zur traditioneller Familienpolitik zulasten der Frauen- und Gleichstellungspolitik. Generell scheint zwischen Frauenpolitik und Familienpolitik ein „beträchtliches Maß an Inkompatibilität“ (ebd., 371) vorzuliegen, was im Wechselspiel der Auf- und Abwertung des Politikfeldes der Frauen- und Gleichstellungspolitik nachvollzogen werden kann (vgl. ausführlich Kreisky/Löffler 2003). Interessant ist die These, dass die Aufwertung terleitbild zu verankern, hat mir sehr anschaulich die Biographie von Johanna Dohnal vermittelt (vgl. Feigl, Susanne (2002): Was gehen mich seine Knöpfe an. Wien). 54 Zu nennen wäre beispielsweise das Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern ab 2004 (siehe Kap. 4) oder die seit 2005 geltende Regelung, dass arbeitslose Frauen, deren Antrag auf Notstandshilfe wegen der Anrechnung des Partnereinkommens abgelehnt wird, dennoch in der Pensionsversicherung verbleiben können (das Volksbegehren forderte die Abschaffung der Anrechnung des Partnereinkommens bei Notstandshilfe und Ausgleichszulage).
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Gender Gap und Gleichheit
der Frauenpolitik innerhalb der EU (siehe nächster Abschnitt) zum Gegenschlag auf der nationalstaatlichen Ebene führte, zur Aufwertung der Familienpolitik, die bislang im nationalstaatlichen Verantwortungsbereich geblieben ist und dort auch auf absehbare Zeit bleiben wird. Die Kombination „Frauen- und Familienpolitik“ hat in Österreich immer noch eine asymmetrische Ausprägung zugunsten letzterer, was jedoch nicht als Aufwertung von Care im Sinne der in 4.1 dargelegten Konzepte interpretiert werden kann, sondern eher als Betätigungsfeld für neoliberale und konservative Kräfte (siehe auch Kap. 4.2). Die supranationale Ebene der EU gewinnt als Anknüpfungspunkt für eine Stärkung der Frauenpolitik bzw. Gleichstellungspolitik für Österreich weiter an Bedeutung. Mit der Neuauflage der großen Koalition ab Anfang 2007 wurde zwar das Frauenministerium wieder eingeführt,55 eine sichtbare Profilierung der Gleichstellungspolitik ist damit bislang nicht einhergegangen und ist auch bedingt durch die Neuwahlen im Herbst 2008 für die nähere Zukunft nicht zu erwarten.
C
Auswirkungen des EU-Rechts auf Österreich und Gender Mainstreaming
Sowohl in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik als auch auf die Gleichstellung der Geschlechter hat die Europäische Union die österreichische Politik nach dem Beitritt 1995 beeinflusst. Die Europäische Union hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mittels Richtlinien zur Verwirklichung der Chancengleichheit für Frauen und Männer56 und mittels der Urteile des Europäischen Gerichtshofs57 als Motor des Fortschritts auf der Ebene der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter erwiesen (Berghahn 2002, Holzleithner 2002, Pirstner 2003).58 Für Österreich betraf dies beispielsweise das Nachtarbeitsverbot für Frauen, das vom Europäischen Gerichtshof bereits 1991 für europarechtswidrig erklärt wurde. Österreich hatte zuerst nach dem Beitritt zur EU 1995 noch eine Sonderregelung ausgehandelt, die 2002 ausgelaufen ist. Seit Juli 2002 ist daher Nachtarbeit in Österreich geschlechtsneutral geregelt.59 Der Beitritt zur Europäischen Union konfrontierte Österreich mit Forderungen nach beruflicher Chancengleichheit im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie. Die 55 Bezeichnend für die politische Bedeutung der Gleichstellung ist, dass wie vor 2000 die Konstruktion gewählt wurde, dass es kein eingeständiges Ministerium für Frauenangelegenheiten gibt, sondern nur eine im Bundeskanzleramt angesiedelte Bundesministerin für Frauen, Medien und Regionalpolitik (Sommer 2008). 56 Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten für gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit zu sorgen, war bereits im Artikel 119 des EWG-Vertrages von 1957 enthalten. Diese Bestimmung führte vorerst jedoch ein Schattendasein, erst ab Mitte der 1970er Jahre kam es zu effektiven Bemühungen, beginnend mit der Richtlinie zur Entgeltgleichheit (75/117/EWG) und zur Gleichheit der Zugangs- und Arbeitsbedingungen (76/207/EWG). 2002 gab es neun eigenständige Richtlinien zur Verwirklichung der Chancengleichheit der Geschlechter (Berghahn 2002). 57 Beginnend mit dem gerichtlichen Feldzug der Stewardess Gabrielle Defrenne gegen die belgische Fluggesellschaft Sabena hat sich der Rechtserstreitungsprozess „von unten“ über die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs entwickelt (Berghahn 2002). 58 Zur europäischen Gleichstellungspolitik vgl. Liebert 2003. Eine generelle Analyse und Bewertung der bisherigen Gleichstellungspolitik der EU findet sich in Rubery et al. (2004a). Walby (2003) untersucht die Auswirkungen auf die Geschlechtergleichstellung in Großbritannien und identifiziert einen wesentlichen Beitrag der EU zur Transformation des englischen Gender-Regimes vom male-breadwinner-Modell in Richtung eines Arbeitsmarktintegrationsmodells (full employment for all). 59 Im Juli 2002 wurde das EU-Nachtarbeits-Anpassungsgesetz beschlossen, das die Bedingungen, unter denen Nachtarbeit unabhängig vom Geschlecht geleistet werden kann, festlegt. Zu den arbeitsrechtlichen Details vgl http://www.bmwa.gv.at/BMWA/Schwerpunkte/Arbeitsrecht/default.htm.
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Grundlage bildete der Amsterdamer Vertrag, in dem die Schaffung von mehr Beschäftigung und die Herstellung von Chancengleichheit von Frauen und Männern in Bezug auf Beschäftigungsmöglichkeiten als Grundsätze europäischer Politik vertraglich verankert wurden (Maier 2002). 1997 startete der sogenannte Luxemburg-Prozess, seitdem werden jährlich beschäftigungspolitische Leitlinien festgelegt, die von den Mitgliedstaaten über Nationale Aktions- bzw. Reformpläne umzusetzen sind.60 Allerdings gibt es für dieses Verfahren im Rahmen der Beschäftigungsstrategie kein direktes Instrumentarium der Sanktionen und auch kaum konkrete quantitative Vorgaben, die Umsetzung beruht auf dem Konzept der „offenen Koordination“.61 In der ersten Phase beruhte die Beschäftigungsstrategie auf vier Säulen,62 wovon die vierte Säule „Chancengleichheit“ der Gleichstellungspolitik verhältnismäßig starkes Gewicht gab. Zu den Säulen gab es jeweils mehrere Leitlinien, eine Mischung aus Analyse und Maßnahmenempfehlungen. In der Chancengleichheitssäule waren dies die Verwirklichung der Chancengleichheit (zu verstehen als Gender Mainstreaming), der Abbau geschlechtsspezifischer Unterschiede und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – die Formulierungen in dieser Allgemeinheit weisen auf den breiten Spielraum der Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung der Aktionspläne hin. Nach einer Evaluierung der ersten Jahre kam es 2003 zu einer Anpassung der Beschäftigungsstrategie, die vier Säulen verschwanden zugunsten von vorerst drei übergreifenden Zielen: Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität, verstärkter sozialer Zusammenhalt und soziale Eingliederung. Zu diesen Zielen gab es zehn spezifische Leitlinien und Handlungsanleitungen, darunter als Leitlinie 6: Gleichstellung der Geschlechter. In dieser Leitlinie wurde wiederum Gender Mainstreaming eingefordert sowie das Ziel formuliert, das geschlechtsspezifische Lohngefälle und den Gender Gap bei der Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit bis 2010 erheblich abzubauen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelegt werden, dokumentiert durch eine der wenigen quantitativen Vorgaben: Bis 2010 sollten für mindestens 90% der Kinder zwischen drei Jahren und der Schulpflicht und für mindestens 33% der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung gestellt werden. 2005 kam es zu einer weiteren Adaptierung der Beschäftigungsstrategie mit neuen, für drei Jahre formulierten beschäftigungspolitischen Leitlinien. Keine der nun acht Leitlinien befasst sich explizit mit der Gleichstellung der Geschlechter, wiewohl die Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles und die Reduktion geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in zwei der acht Leitlinien eingefordert
60
Zur Europäischen Beschäftigungsstrategie vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/index_de.html, für eine ausführliche Analyse der Beschäftigungsstrategie aus der Gender-Perspektive vgl. Rubery et al. 2004a. 61 Die EU gibt Leitlinien vor, die Mitgliedsstaaten formulieren auf dieser Basis ihre Reformpläne und legen diese der EU-Kommission vor, die die Pläne bewertet und auf der Basis dieser Bewertung „Empfehlungen des Rats an die Mitgliedstaaten“ zurückmeldet. Die Empfehlungen sind auch die Basis für die Erarbeitung neuer Leitlinien. Jährlich wird zudem ein gemeinsamer Beschäftigungsbericht erarbeitet, in dem die wichtigsten Indikatoren und deren Entwicklung für die EU gesamt und für die Mitgliedsstaaten kommentiert und bewertet werden. Erfolgreiche Beschäftigungspolitiken sollen zum Nachahmen anregen, die Strategie beruht auf benchmarking und best practice-Beispielen. Zur Open Method of Coordination vgl. auch Wroblewski/Leitner 2004. 62 Säule 1: Förderung der Beschäftigungsfähigkeit; Säule 2: Förderung des Unternehmertums; Säule 3: Förderung der Anpassungsfähigkeit von ArbeitnehmerInnen; Säule 4: Chancengleichheit.
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Gender Gap und Gleichheit
werden. Die quantitative Zielsetzung zum Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen ist nach wie vor Bestandteil der Leitlinien, wenn auch nicht diesen explizit zugeordnet.63 In den Empfehlungen, die die EU auf der Basis der jeweils gültigen Leitlinien und der nationalen Umsetzungsberichte erstellt, findet sich mit unterschiedlicher Intensität immer der Hinweis, dass Österreich gefordert sei, bessere Maßnahmen zum Abbau geschlechtsspezifischer Differenzen am Arbeitsmarkt und zum Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zu setzen. Verschiedene Evaluierungen der von der jeweiligen Bundesregierung gesetzten Maßnahmen zeigen aber, dass ein explizites Beschäftigungsförderungsprogramm für Frauen ebenso wenig auszumachen ist wie Maßnahmen zum Abbau des Einkommensunterschieds zwischen den Geschlechtern.64 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming wurde von der österreichischen Bundesregierung mit einem Ministerratsbeschluss im Juli 2000 gestartet (Ulrich 2003). Zugleich wurde die IMAG (Interministerielle Arbeitsgruppe) eingerichtet, die den Prozess auf allen Ebenen und in allen Ressorts unterstützen sollte. Im April 2002 beschloss der Ministerrat ein Arbeitsprogramm für Gender Mainstreaming, das unter anderem einige Pilotprojekte startete, an denen Gender Mainstreaming praktisch umgesetzt werden sollte. Eines der wichtigsten Pilotprojekte war die Begleitung der Ausarbeitung des neuen Universitätsgesetzes 2002 (Arbeitsgruppe Vollrechtsfähigkeit). Holzleithner (2002) hat an diesem Prozess mitgewirkt und kommt zum Schluss, dass die Vorschläge der Arbeitsgruppe nicht nur nicht berücksichtigt wurden, sondern dass der Gestaltungsvorschlag für das Universitätsgesetz einen extremen Rückbau des Regelungsstandes an den Universitäten vorsah. Erst nach massiven Protesten wurden diese Verschlechterung wieder etwas abgeschwächt (vgl. Holzleithner 2004, Ulrich 2003). „Aus frauenpolitischer Sicht ist die erste Nagelprobe zur praktischen Anwendung von Gender Mainstreaming bei der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs gänzlich misslungen“ (Ulrich 2003, 276). Dass die österreichische Bundesregierung Gender Mainstreaming als Grundprinzip ihrer Arbeit eher ignoriert hat, ist beispielsweise darin zu sehen, dass die ab 2005 wirksamen Pensionsreformen mit ihren zu erwartenden massiven geschlechtsspezifischen Auswirkungen65 ohne jegliche Gender-Prüfung beschlossen wurden. Allerdings hat, wie Sauer (2004) feststellt, Gender Mainstreaming die österreichische Gleichstellungspolitik auch nicht negativ beeinflusst, in dem Sinn als es zu keiner Verdrängung gleichstellungspolitischer Institutionen gekommen ist, obwohl solche nach dem Regierungswechsel im Jahr 2000 vielerorts befürchtet worden waren. Dies als Erfolg zu bezeichnen, wäre überzogen, Sauer (ebd., 178) spricht von einem „erfolgreichen Scheitern“ in Bezug auf Gender Mainstreaming: Gleichstellungspolitik wurde nicht gekürzt (auf der Ebene von Insitutionen und AkteurInnen), aber auch nicht ausgeweitet, insofern bisherige Frauenpolitik zu Gender Mainstreaming Maßnahmen re-deklariert wurden. 63
Vgl. Rat der Europäischen Union 2005. Die Leitlinien für die verschiedenen Jahre können auf der Homepage der Beschäftigungsstrategie nachgelesen werden. 64 Vgl. Pastner 2000, Lutz/Pimminger 1999, Mairhuber 2003 und 2006. Eine explizite gleichstellungspolitische Prüfung erfolgt durch die Expertengruppen zur Geschlechtergleichstellung (die ausschließlich männliche Form stammt von der Homepage: http://ec.europa.eu/employment_social/gender_equality/gender_mainstreaming/ gender/exp_group_de.html). Die im Rahmen der bis 2007 aktiven ExpertInnengruppe erstellten nationalen und zusammenfassenden Berichte (z.B. Mairhuber 2003 und 2006, Pastner 2000 für Österreich, Rubery et al. 2002, 2004 und 2006) sind auf der oben genannten Homepage zu finden. 65 Ab 2005 wird der Durchrechnungszeitraum für die Pension generell auf die gesamte Erwerbsphase verlängert, sodass sich Teilzeitphasen und längere Unterbrechungen auf die Frauenpensionen massiv auswirken werden (siehe Kap. 4.2 für Verweise auf die Situation von Frauen im österreichischen Pensionssystem).
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5.1.4 Gender Gap und Gleichstellungspolitik Gleichstellungspolitik hat generell das Ziel, Gleichheit herzustellen bzw. zu sichern, Ungleichheit (hier: zwischen den Geschlechtern) und komplexe Mechanismen der Diskriminierung zum Nachteil von Frauen aufzuzeigen und abzubauen. Damit schließt sich der Kreis zur Analyse des Gender Gap, der Ausdruck dieser durch Gleichstellungspolitik zu verändernden Problemstellungen ist.66 Nun wäre es vermessen, zu allen untersuchten Aspekten des Gender Gap die gleichstellungspolitische „Lösung“ präsentieren zu wollen. Im Folgenden geht es stattdessen darum, einige zentrale Anknüpfungspunkte für die Gleichstellungspolitik zu den einzelnen Ausprägungen des Gap aufzuzeigen. Diese Anknüpfungspunkte haben sich teilweise aus den Analysen in den Kapiteln 3 und 4 ergeben, teilweise folgen sie aus dem vorliegenden Kapitel.
A
Noch immer aktuell: Das Recht auf „gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“
Die Forderung nach „gleichem Lohn für gleich(wertige) Arbeit“ stand am Beginn der Entwicklung der rechtlichen Gleichstellungspolitik auf EU-Ebene.67 Dieser Grundsatz der Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern ist in den Gleichbehandlungsgesetzen Österreichs sowie im europäischen Recht verankert. Entgeltdiskriminierung liegt vor, wenn diesem Grundsatz nicht entsprochen wird. Anwendung findet die Anti-Diskriminierungspolitik im innerbetrieblichen Bereich, unterstützt wird das gesetzliche Diskriminierungsverbot durch Institutionen wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Diese Art der formalen Gleichstellungspolitik ist somit rechtlich und institutionell gut verankert und wird mit steigender Tendenz in Anspruch genommen.68 Effektive Equal Pay-Politik muss jedoch über diese formale Ebene deutlich hinausgehen, und zwar sowohl auf der innerbetrieblichen Ebene als auch insbesondere branchenübergreifend, denn beim durch die Segregation auf Branchenoder Berufsebene verursachten Gender Pay Gap greift diese Art der AntiDiskriminierungspolitik nicht.69 Bei den in Kapitel 3.3 präsentierten Fallstudien wäre die unmittelbare Anwendung des Grundsatzes „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ gegeben. Dennoch zeigen sich auch hier die Grenzen formaler Gleichstellungspolitik: Über die Konstruktion unterschiedlicher Tätigkeitsfelder verschwimmt die „Gleichwertigkeit“, über die Intransparenz von Zulagensystemen wird die Kenntnis allfälliger Lohndiskriminierung erschwert u.a.m. Daher bedarf 66
Zur Erinnerung: Im Kapitel 3 wurden Strukturen und Mechanismen geschlechtsspezifischer Ungleichheit beim Zugang zur Erwerbsarbeit (3.2), bei der Lohngleichheit (3.3), beim Aufstieg in beruflichen Karrieren und bei der Verteilung auf lukrativere und wenige lukrativere Arbeitsmarktbereiche (3.4) und schließlich bei der (Arbeits)Zeit und den Auswirkungen geschlechtsspezifisch geprägter Zeitregimes (3.5) untersucht. Im vierten Kapitel wurde schließlich der ganze Komplex des Gender Gap Care diskutiert. 67 Bereits im Vertrag von Rom bei der Gründung der EU 1957 enthielt der Art. 119 das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit. Allerdings hatte dies weniger mit einem bereits vorhandenen gleichstellungspolitischen Programm der damaligen EWG zu tun, sondern wurde aufgrund des Betreibens von Frankreich in den Vertrag aufgenommen. Frankreich hatte eine solche Bestimmung in den nationalen Gesetzen und befürchtete Wettbewerbsnachteile (vgl. Holzleithner 2002, 43f). 68 Vgl. Tätigkeitsberichte der Gleichbehandlungsanwaltschaft auf: http://www.frauen.bka.gv.at/site/5653/ default.aspx (August 2008). 69 Dass sie bislang jedoch einiges bewirkt hat, zeigen Weichselbaumer/Winter-Ebmer (2007).
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es einer Vielzahl von Strategien, z.B. kann über Anreizsysteme die Einführung und Umsetzung diskriminierungsfreier Arbeitsbewertungssysteme (vgl. ausführlich Ranftl et al. 2004) gefördert werden. Equal Pay-Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bzw. zur Informationsverbreitung gehören ebenso ins gleichstellungspolitische Repertoire wie die Förderung der Transparenz in der Entlohnung (z.B. durch die Vorbildwirkung im öffentlichen Bereich oder gegebenenfalls auch den Zwang zur Veröffentlichung von Lohnlisten). Listen solcher gleichstellungspolitischer Maßnahmen zur Reduktion des Gender Pay Gap finden sich mittlerweile in Leitfäden (z.B. Tondorf/Ranftl 2002), darauf aufbauend können gleichstellungspolitische Empfehlungen im konkreten Kontext abgeleitet werden (vgl. Kreimer 2003a für einige Beispiele im Kontext der Fallstudie in Kap. 3.3). Davor bedarf es einer ausführlichen empirischen Analyse, um die jeweiligen Problemstellungen konkretisieren zu können (vgl. z.B. Rubery et al. 2002).
B
Das Recht auf „gleichwertige Karrieren“
Das Recht auf gleichwertige Karrieren bei gleichwertigen Ausgangsbedingungen zielt auf das Durchbrechen von Gläsernen Decken und Gläsernen Wänden und auf die Dekodierung oder Entschlüsselung von firewalls (Bendl/Schmidt 2004).70 Die formale Gleichbehandlungspolitik greift hier noch weniger als beim Gender Pay Gap, denn Aufstiegsentscheidungen bzw. Entscheidungen über Karriereförderungen können kaum formal verglichen werden. In diesem Problemfeld setzt das Instrument der Quote an, die beispielsweise im österreichischen Bundesgleichbehandlungsgesetz vorschreibt, dass bei gleicher Eignung zwischen einer Bewerberin und dem bestgeeigneten Mitbewerber die Bewerberin vorrangig aufzunehmen bzw. Vorrang beim beruflichen Aufstieg hat, bis eine Quote von 40 Prozent in der jeweiligen Funktionsgruppe erreicht worden ist (Ulrich 2003, 255ff). Unterstützt wird die Quotenregelung durch Frauenförderpläne, beide Instrumente ergeben den Kern der Gleichstellungsstrategie der Frauenförderung. Über die Wirksamkeit bisheriger Frauenförderprogramme und Quotenregelungen gibt es bereits eine Reihe von Erkenntnissen, die keinen übertriebenen Optimismus rechtfertigen, aber doch Bewegung anzeigen (siehe Kap. 5.1.3). Zwei Einschränkungen müssen dennoch erwähnt werden: Zum einen gibt es Quotenregelungen nur für den öffentlichen Bereich, und dementsprechend gering ist die Zahl der potenziell damit förderbaren weiblichen Karrieren; zum anderen trifft gerade diese Art der Frauenförderung im Kern die Differenzdebatte, was ja auch zum teilweise zu beobachtenden schlechten Image von Frauenförderung beigetragen haben mag – wenn Differenz mit „Defizit“ gleichgesetzt wird (Wetterer 1999). Inwiefern Gender Mainstreaming hierin wirklich eine qualitativ „bessere“ Strategie ist oder nur „alten Wein in neue Schläuche“ gießt, bestimmt den Diskurs zu Gender Mainstreaming – wir treffen auch im nächsten Kapitel auf diese Frage. 70
Firewalls sind die adäquate Metapher für die Gläserne Decke im postmodernen Karriereverständnis, das sich durch einen grenzenlosen Raum auszeichnet. Hierin finden sich dennoch strukturelle Grenzen, zu verstehen als „the software that sits between you and the management job“ (Bendl/Schmidt 2004, 159). Im Gegensatz zur Gläsernen Decke steckt hinter der firewall ein „Architekt“ oder „Gatekeeper“. Die Metapher der firewall ist daher nach Bendl/Schmidt (2004, 160) besser geeignet als der glass ceiling, „den vorsätzlichen modus operandi der Diskriminierung gegenüber Frauen“ zu beschreiben.
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Unterschiedliche Karriereperspektiven zwischen den Geschlechtern sind nicht immer durch den Vergleich zweier Individuen und allfälliger Förderungen auflösbar, denn angesichts des horizontal segregierten Arbeitsmarktes spielen sich Frauen- und Männerkarrieren in unterschiedlichen Arbeitsmarktsegmenten ab. Soweit Differenzen in den Aufstiegschancen und der Gender Pay Gap durch die segregierte Berufsstruktur bedingt sind, greift keine der bisher genannten Gleichstellungspolitiken. Es bedarf einer Gleichstellung durch De-Segregation. Gleichstellungspolitische Maßnahmen setzen vor allem bei der Berufswahl an und versuchen, Mädchen und Frauen für untypische Berufe zu motivieren. Diesbezügliche Bemühungen gibt es schon seit den 1980er Jahren, bereits Anfang der 1990er Jahre haben mehrere Studien die Vielzahl an Hindernissen bei der Umsetzung der „Un/erhörten Wünsche“ (Titel von Buchinger/Gödl 1995) festgehalten. Bergmann et al. (2002, 138) stellen fest, „dass die Wahl von überwiegend traditionellen Berufen nicht auf eingeschränkte Interessen von Mädchen zurückzuführen ist, sondern Mädchen zumeist aufgrund der vorfindbaren Rahmenbedingungen von technischen oder handwerklichen Ausbildungen Abstand nehmen. Zentrales Anliegen muss es daher sein, die Rahmenbedingungen zu ändern, um Mädchen und jungen Frauen die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt zu eröffnen wie Burschen.“ Diese Schlussfolgerung unterscheidet sich nicht von jenen in den ein Jahrzehnt davor erschienenen Studien, was sowohl auf die Hartnäckigkeit der hier zu verändernden Strukturen im Sinne der Thesen zur Arbeitsteilung als auch auf bisherige Defizite in den gleichstellungspolitischen Bemühungen zurückgeführt werden kann. Gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf ist jedenfalls immer noch gegeben.
C
Halbe Zeit, ganze Rechte: Gleichstellung und Teilzeitarbeit
Der Gender Gap Arbeitszeit entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung benachteiligender Wirkungen (siehe Kap. 3.5) und damit auch einer direkten Anknüpfung gleichstellungspolitischer Maßnahmen. Dies gilt jedoch nicht für die unmittelbaren Auswirkungen der Beschäftigungsform der Teilzeitarbeit, deren benachteiligenden Wirkungen in einer Vielzahl von Studien festgehalten wurden. Rechtlich gesehen dürfte es diese gar nicht geben, denn das Diskriminierungsverbot umfasst auch teilzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen, die gegenüber ihren vollzeitigen KollegInnen nicht benachteiligt werden dürften (vgl. Mühlberger 2000, 41ff). Selbst auf EU-Ebene wurde Teilzeit zum Gegenstand einer Richtlinie,71 die neben der Umsetzung von Mindestvorschriften für die Teilzeitarbeit auch Ziele wie die Qualitätsverbesserung der Teilzeit enthält (Bergmann et al. 2003, 12ff). Hier zeigen sich wiederum die Grenzen formaler Gleichstellungspolitik: Jene Faktoren, die die benachteiligenden Effekte vieler Teilzeitbeschäftigungen hervorrufen, können arbeitsrechtlich kaum verhindert werden. Die Aufwertung von Teilzeitarbeit kann durch politische Maßnahmen unterstützt werden (z.B. Förderungen für das Angebot an qualifizierten Teilzeitstellen),72 71
Inhalt der Richtlinie 97/81/EG vom Dezember 1997 ist die Durchführung der zwischen den Europäischen Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit. Wie Bergmann et al. (2003) nachweisen, haben die kritischen Punkte dieser Rahmenvereinbarung, insbesondere die Frage der „Qualität von Teilzeitarbeit“ bzw. deren Verbesserung bislang in der Europäischen Beschäftigungsstrategie kaum Beachtung gefunden. 72 In Kapitel 3.1.3 wurde ein Analyserahmen vorgestellt (Übersicht 3.1), der auch auf die Teilzeitarbeit angewendet werden kann. Darin zeigen sich eine Reihe einzelner Anknüpfungspunkte für eine weit definierte Gleichstellungspolitik, aber in Bezug auf das „industrielle System“ und einen großen Teil des „Arbeitsmarktsystems“ bedarf es der Kooperation aller ArbeitsmarktakteurInnen.
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Gender Gap und Gleichheit
dennoch bedarf es hier primär eines beschäftigungspolitischen Gesamtprogramms, das über die Ebene der Gleichstellungspolitik auch im materiellen Sinn noch hinausgeht. Allerdings sollten die gleichstellungspolitischen Potenziale nicht zu gering eingeschätzt werden. Als Beispiel kann die 2004 eingeführte Elternteilzeit in Österreich verwendet werden: Würden die Kritikpunkte an der derzeitigen Regelung (z.B. Dörfler 2004a) aufgegriffen und entsprechend adaptiert werden, könnte die Elternteilzeit ein Stück weit die restriktiven Strukturen des Teilzeitsegments aufbrechen und eine Entwicklung hin zu einem qualitativ zufriedenstellenden Übergangsarbeitsmarkt in die Wege leiten (siehe Kap. 3.5).
D
Der gleichstellungspolitische Beitrag zur Erosion des Ernährermodells
Bis Mitte der 1970er Jahre war das male breadwinner-Modell auch rechtlich verankert: Der (Ehe-)Mann war das „Haupt“ der Familie, in dieser Funktion konnte er über die Erwerbstätigkeit seiner Gattin entscheiden. Mit der Einführung der Individualbesteuerung 1971 und der Ehe- und Familienrechtsreform 1975 wurde die Umstellung vom „patriarchalischen“ auf das „partnerschaftliche“ Familienmodell begonnen (vgl. Holzleithner 2003, 99ff; Sporrer 1997 sowie 4.1), mit dem Wegfallen der letzten Zugangsbeschränkungen zu einzelnen Arbeitsmarktsegmenten73 kann mittlerweile nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Frauen direkt durch Regulierungen arbeits-, sozial-, steuer- oder ehe- bzw. familienrechtlicher Natur der Zugang zur Erwerbstätigkeit verwehrt wird. Das gleichstellungspolitische Potenzial zur weiteren Erosion des „Ernährermodells“ liegt in der Verankerung und Stützung desselben in der Sozialpolitik, vor allem der Familienpolitik. Nach wie vor wird die traditionelle Arbeitsteilung durch eine Vielzahl von Regelungen, Transferleistungen, der Ausgestaltung öffentlicher Infrastruktur etc. mehr gefestigt denn in eine egalitäre Richtung hin verändert (siehe Kap. 4.2 und 4.3). Aus dieser Feststellung folgt unmittelbar, dass die Sozialpolitik in das Feld gleichstellungspolitischer Strategien explizit einbezogen werden muss, anders ausgedrückt, ein zentrales Anwendungsfeld für Gender Mainstreaming darstellt. In Kapitel 5.3 wird diese Überlegung wieder aufgegriffen und konkretisiert werden.
E
Die Arbeitsteilung der Geschlechter und der Gender Gap Care: Kann Gleichstellungspolitik in die private Arbeitsteilung eingreifen?
Eine gleichstellungspolitische Perspektive auf Care findet grundsätzlich so weit Konsens, als es um die Bereitstellung öffentlicher Angebote oder um Verbesserungen im sozialen Sicherungssystem geht.74 Doch wenn es um den Gender Gap Care zwischen Frauen und Männern geht, d.h. um Eingriffe in die „private“ Arbeitsteilung und damit ins „Privatleben“, stößt dieser Konsens in der Regel an seine Grenzen. Dabei wird ignoriert, dass der Staat über die Ausgestaltung der Familien- und Betreuungspolitik, aber auch über die An73 Beispiele sind der Fall des Nachtarbeitsverbots für Frauen oder der Zugang zum Bundesheer. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es noch einzelne Beschränkungen gibt – aber sie dürften quantitativ jedenfalls nicht bedeutend sein (oder auf einer völlig anderen Ebene liegen, z.B. der Zugang zum katholischen Priesteramt). 74 Dass die Realisierung dann an Kostenargumenten u.ä.m. scheitert, ändert nichts an dieser Akzeptanz auf der politischen Ebene.
Theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik
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reizstruktur des gesamten Sozialstaatsmodells in die Arbeitsteilung bereits eingreift, indem bestimmte Arbeitsteilungsmuster gegenüber anderen gefördert werden (vgl. z.B. Kapeller et al. 1999, 95ff; Streissler 1996). Die Elternkarenz ist das klassische Beispiel eines solchen Eingriffs in die Arbeitsteilung der Geschlechter (auch in jene zwischen Markt, Staat und Familie), in der Ausgestaltung der Elternkarenz liegen ebenso gleichstellungspolitische Potenziale in Richtung eines egalitären Modells wie in der schon angesprochenen Ausgestaltung der Elternteilzeit oder in der Art der Transferleistungen für die Langzeitbetreuung (siehe Kap. 4.2). Was beim vorhergehenden Punkt für die Sozialpolitik generell feststellt wurde, gilt für den Bereich Care analog: Auch hier handelt es sich um ein Anwendungsfeld für Gender Mainstreaming (siehe ebenfalls Kap. 5.3).
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5.2
Gender Gap und Gleichheit
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming Geschlechtergleichstellung, Arbeitsmarktpolitik und Organisationenwandel
In diesem Kapitel wird der Fokus auf die Geschlechtergleichstellung im Rahmen der (aktiven) Arbeitsmarktpolitik gelegt. Die Arbeitsmarktpolitik (im Folgenden AMP) bietet sich als Feld für die Gleichstellungspolitik insbesondere an, seitdem das Thema Chancengleichheit über die Europäische Beschäftigungsstrategie und die Nationalen Aktionspläne für Beschäftigung einen starken Arbeitsmarktbezug erhalten hat. Verstärkt wurde dies durch die Verankerung der Strategie des Gender Mainstreaming im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie. In der österreichischen Arbeitsmarktpolitik wurden Chancengleichheit und Frauenförderung schon ab Mitte der 1990er Jahre thematisiert, dies mag mit ein Grund sein, warum sich Gender Mainstreaming in Österreich bereits relativ früh (ab 1998) in arbeitsmarktpolitischen Dokumenten findet. Vor diesem Hintergrund haben wir 2002/2003 die Chancengleichheitskonzeptionen in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht.75 Das vorliegende Kapitel beruht auf den Ergebnissen dieses Projekts.76 Zu Beginn werden fünf Ausgangsthesen zum Zusammenhang von AMP und Chancengleichheit aufgestellt.77 Was eine chancengleichheitsorientierte AMP tatsächlich ausmacht und wie sich Gender Mainstreaming hier einfügt, wird dann entlang der Themenblöcke Ziele und Implementierung diskutiert. Damit ist das Feld aufbereitet, um Ergebnisse unserer Fallstudie, in deren Mittelpunkt das österreichische Arbeitsmarktservice (AMS) als Hauptakteurin der nationalen AMP steht, zu präsentieren.
5.2.1 Arbeitsmarktpolitik und Chancengleichheit: Grundlegende Zusammenhänge Aktive AMP verfolgt die Ziele den „Marktfehler“ der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit zu korrigieren und die Anpassungsfähigkeit der ArbeitsmarktakteurInnen angesichts zunehmender Flexibilisierung zu erhöhen.78 Aktive AMP subsumiert ein breites Spektrum von 75 Das Projekt „Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming: Chancengleichheitskonzeptionen in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik“ wurde vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank gefördert (Projekt Nr. 9420). Die Konzeption und Durchführung erfolgte mit Andrea Leitner vom Institut für Höhere Studien, der ich an dieser Stelle einmal mehr für die langjährige fruchtbare Zusammenarbeit danken möchte. Für die Mitarbeit im Projekt danke ich Gabriele Sprengseis, Angela Wroblewski und Barbara Neubauer, bei der Diskussion der Ergebnisse hat mich Regine Bendl unterstützt. 76 Zentrale Ergebnisse finden sich im Projektbericht (Leitner/Kreimer 2003) und in Leitner (2007), Vorarbeiten zur Thematik wurden in Kreimer/Leitner (2002a) publiziert. 77 Auf die aktive Arbeitsmarktpolitik selbst, ihre theoretische Fundierung und Wirkungsanalysen kann hier nicht eingegangen werden. Ausführungen dazu sowie Details zu den Institutionen und Zielsetzungen der österreichischen Arbeitsmarktpolitik finden sich im Projektbericht (Leitner/Kreimer 2003) sowie in Leitner (2007). 78 Im neoklassischen Standardmodell ist der Arbeitsmarkt ein Markt wie jeder andere, dementsprechend sollten die Marktkräfte das Marktgleichgewicht herstellen. Allerdings haben die Aufnahme von Such- und MatchingProzessen (Suchtheorie, Signalling), neueren Sichtweisen auf die Lohnentwicklung bzw. deren Barrieren (Kontrakttheorie, Effizienzlohntheorie) oder auf unterschiedliche Gruppen am Arbeitsmarkt (Insider-Outsider-Theorie) in die theoretischen Ansätze dieses einfache Bild des Arbeitsmarktes mittlerweile deutlich erweitert (vgl. Sessel-
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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Maßnahmen, Programmen und Instrumenten im Bereich der Qualifizierung und Beratung von Arbeitslosen sowie in der Beschäftigungsförderung.79 Die „passive“ AMP befasst sich mit der Existenzsicherung während Phasen der Arbeitslosigkeit.80 Beschäftigungspolitik umfasst arbeitsmarktpolitische und strukturpolitische Maßnahmen wie z.B. Technologieförderung, Existenzgründungsförderungen, Förderung bzw. Erstellung öffentlicher Infrastruktur. Nicht unumstritten ist die Subsumierung der Förderung bzw. Erstellung der „sozialen Infrastruktur“ wie beispielsweise Kinderbetreuungseinrichtungen unter Beschäftigungspolitik.81 Aktive AMP wird dann zu einem notwendigen Bestandteil funktionierender Arbeitsmärkte, wenn nicht davon ausgegangen wird, dass es auch auf dem Arbeitsmarkt eine inhärente Tendenz zum Gleichgewicht gäbe, würden nur alle störenden Elemente beseitigt werden. Infolge der Besonderheiten von Arbeitsmarktgegebenheiten82 bedarf es Institutionen, die dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt funktionieren kann. Aktive und passive AMP lassen sich daher ebenso begründen wie Beschäftigungspolitik und eine ordnungspolitische Flankierung, die sich mit den Regulierungen am Arbeitsmarkt, mit den Institutionen des Lohnbildungsprozesses wie auch den Bestimmungsfaktoren des Arbeitsangebots auseinandersetzt. Der Arbeitsmarkt ist in unserem erwerbszentrierten System die zentrale Vermittlungsinstanz für die wirtschaftliche, politische und soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Während die Dimensionen der Ungleichheit am Arbeitsmarkt bereits seit langem Thema in der Frauen- und Geschlechterforschung sind, hinkt umgekehrt die Integration der GenderThematik in die Arbeitsmarktforschung deutlich nach.83 Im Folgenden werden fünf Ausgangsthesen präsentiert, die den Rahmen für die Verknüpfung von Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitik abstecken.
meier/Blauermel 1990, Franz 1999, Kreimer 1999 für Übersichten zur Arbeitsmarktökonomik). In Bezug auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist die neoklassische Mikro-Perspektive dennoch zu eng: Die Förderung bestimmter Personengruppen durch gezielte AMP-Maßnahmen kann nicht sicherstellen, dass gesamtwirtschaftlich die Arbeitslosigkeit sinkt. Das Verhältnis von Beschäftigungsveränderung zur Veränderung der Arbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen, bedingt vor allem durch das Problem der Abgrenzung von Arbeitslosigkeit („versteckte“ Arbeitslosigkeit, „stille Reserve“). Makroökonomische Ansätze setzen Arbeitsmärkte in einen breiteren ökonomischen Zusammenhang (vgl. Zerche et al. 2000; Knapp 1998). 79 Vgl. z.B. Zauner 2006 für eine Übersicht zur jüngeren österreichischen aktiven AMP. 80 Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist die aktive Arbeitsmarktpolitik qualitativ und quantitativ zwar ausgebaut worden, trotzdem ist im europäischen Vergleich die Dotierung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik in Österreich eher gering. Bezogen auf das BIP stiegen die Ausgaben für aktive AMP von 0,46% 1998 auf 0,71% 2006, bei annähernd gleichbleibenden Ausgaben für die passive AMP (1,38% bzw. 1,39%; Daten der OECD, vgl. http://stats.oecd.org/wbos/Index.aspx?DatasetCode=LMPEXP, abgerufen im August 2008). 81 Die Beiträge im Sammelband Stelzer-Orthofer (2006) geben einen Überblick über viele Facetten der Arbeitsmarktpolitik. 82 Wesentlich sind die asymmetrische Marktsituation (ArbeitsanbieterInnen müssen fast jeden Preis akzeptieren, Arbeitsnachfrager können fast jeden Preis durchsetzen, bei Preissenkung kommt es daher zu Angebotsausweitung) und die Marktunvollkommenheiten (Heterogenität auf Angebots- wie auch Nachfrageseite und auf regionaler Ebene, Intransparenz und Informationsprobleme). Die Folge sind Ungleichgewichte ohne inhärente Ausgleichsmechanismen. 83 AMP-Forschung beschränkte sich zuerst primär auf Wirkungsanalysen zu einzelnen Maßnahmen, in der Folge auf den Politikprozess und das Handeln der AkteurInnen sowie auf regionale Aspekte – zumeist ohne explizite Berücksichtigung differenter Wirkungen auf die Geschlechter (Henninger 2000, Müller/Kurtz 2002 und 2004). Ausnahmen bildeten Evaluationen spezifischer Frauenfördermaßnahmen (vgl. z.B. Enzenhofer/Kaupa 2002, Leitner/Wroblewski 2000b).
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(1) Unterschiedliche Wirkungen von Maßnahmen Solange es den Gender Gap, also essentielle Unterschiede in der Erwerbsteilnahme, in der Arbeitslosigkeit, beim Einkommen und den Karrierechancen, in der Verteilung über das Berufs- und Branchenspektrum, in der Arbeitszeit und in der Betroffenheit von atypischen Beschäftigungsverhältnissen gibt, ist evident, dass sich der Großteil der Maßnahmen aktiver AMP potenziell unterschiedlich auf Frauen und Männer auswirkt. Wer wie, wie lange und mit welchem Aufwand qualifiziert wird, hat nicht nur Einfluss auf die Arbeitslosigkeit selbst, sondern auch auf die zukünftigen Karrierechancen und das Einkommen der Qualifizierten.84 Aktive AMP kann daher auch so eingesetzt werden, dass sie die Gleichstellung der Geschlechter fördert. (2) Gestaltungsspielraum der AMP Über das Ausmaß, in dem aktive AMP das Geschlechterverhältnis beeinflussen kann, gibt es - analog zur Diskussion über die generellen Wirkungen aktiver AMP85 - unterschiedliche Auffassungen: Zumeist wird davon ausgegangen, dass die Auswirkungen aktiver AMP auf das quantitative Ungleichgewicht sehr begrenzt sind, d.h. kaum Potenzial zur Schaffung von Beschäftigung bzw. zum Arbeitslosigkeitsabbau besteht.86 Dies betrifft den Gesamtbestand an Arbeitslosigkeit, lässt aber Raum für die Förderung unterschiedlicher Gruppen von Arbeitslosen: Frauen können über spezifische Förderungen zu Lasten von Männern in der Warteschlange um Jobs deutlich vorgereiht werden. Im Bereich des Mis-match am Arbeitsmarkt, also beispielsweise der Behebung von spezifischen Qualifizierungs- und Mobilitätsdefiziten von Frauen, wird die Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen kaum in Frage gestellt. Weniger offensichtliche Anknüpfungspunkte sind horizontale und vertikale Segregation, Kontinuität von Berufskarrieren, Arbeitszeit, atypische Beschäftigungsverhältnisse und die Arbeitsteilung der Geschlechter.87 Gesamt lässt sich jedoch folgern, dass das, was die AMP in Bezug auf das Geschlechterverhältnis leisten kann, gestaltbar ist und sich nicht von vornherein auf den Abbau von Vermittlungshemmnissen arbeitsloser Frauen beschränkt. Ob und wie dieser Gestaltungsspielraum genutzt wird, ist eine Frage der Ressourcen, der Definitionsmacht über aktive AMP, der Zielsetzungen und des Betrachtungszeitraumes (nicht alle Maßnahmen wirken sofort und direkt). (3) Kombination mit anderen Politikfeldern In vielen Bereichen, in denen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht, kann aktive AMP nur in Kombination mit anderen Politikfeldern wirksam vorgehen. Angesprochen sind hier insbesondere die Bildungspolitik sowie die Familien- und Sozialpolitik. Ein 84 Auch die Maßnahmen der aktiven AMP selbst können so gestaltet sein, dass sie auf das Geschlechterverhältnis direkt Auswirkungen haben (d.h. nicht geschlechtsneutral konzipiert sind). Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen, die spezifisch auf Wiedereinsteigerinnen gerichtet sind oder solche, die den Einstieg in geschlechtsuntypische Bereiche fördern sollen. 85 Für eine Zusammenfassung der Evaluierungsdiskussion vgl. Leitner/Kreimer 2003. 86 Kritisch dazu Knapp/Weg 1995, die sehr wohl Arbeitsplatzschaffungspotenziale sehen, wenn allerdings auch nicht allzu große quantitative Hoffnungen daran geknüpft werden können. 87 Nur in Bezug auf die horizontale Segregation liegt es auf der Hand, was die AMP tun könnte (z.B. Förderung der Arbeitsaufnahme von Frauen in „frauenuntypischen“ Berufen). Bei allen anderen Bereichen ist zwar theoretisch eine (zumindest teilweise) Integration in die arbeitsmarktpolitische Strategie denkbar (z.B. systematische Höherqualifizierung von Frauen zum Abbau der vertikalen Segregation; Förderung von Betrieben, die Teilzeitkarenzmodelle anbieten), allerdings gehen solche Ansätze nach derzeitiger Auffassung über das zentrale Aufgabengebiet der aktiven AMP hinaus.
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Beispiel ist die Abstimmung mit der Kinderbetreuungs- und Karenzpolitik: Eine längere Auszahlung von Transfers (z.B. Kinderbetreuungsgeld) entlastet kurzfristig die AMP, belastet sie jedoch dann gegebenenfalls umso stärker.88 Auch eine dezidierte Ausrichtung der aktiven AMP auf gleichstellungspolitische Ziele stößt aufgrund ihrer Abhängigkeit von gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen an ihre Grenzen. Notwendig ist die Einbindung in und Abstimmung mit den jeweiligen beschäftigungs- und sozialpolitischen Strategien. Zudem ist eine Abstimmung mit der gesamtgesellschaftlichen Strategie zum Geschlechterverhältnis notwendig. Die aktive AMP kann sich vom dominanten Geschlechterleitbild weder (vollständig) abkoppeln, noch kann sie es allein verändern. (4) Rahmenbedingungen Es gibt eine Reihe förderlicher und hemmender Rahmenbedingungen der aktiven AMP, die im jeweiligen institutionellen Kontext gesehen werden müssen. Als förderlich sind zu nennen (Knapp/Weg 1995, 86ff): die unmittelbare Einsetzbarkeit (direkter Bezug zu den betroffenen Personen, Wirkungen sind kontrollierbar und sichtbar), eine einheitliche Grundlage (Arbeitsmarktförderungsgesetze) sowie die Aufnahme des Ziels Chancengleichheit in die europäische Beschäftigungsstrategie. In Relation zur passiven AMP ist der Gestaltungsspielraum jedenfalls höher, weil es keine generellen Ausgangsvoraussetzungen (wie bestimmte Anspruchszeiten für den Bezug des Arbeitslosengeldes) gibt. Hemmende Faktoren liegen in der geschlechtsspezifischen Struktur von Organisationen und darauf basierenden Abwehrstrategien (Umsetzungsprobleme infolge der männlichen Strukturen der Organisation bzw. infolge der geringeren betrieblichen Machtpositionen von Frauen89) sowie die mittelbare Wirkung auf den Arbeitsmarkt (schwieriger Transfer von Qualifizierung aus dem Bildungssystem in den Arbeitsmarkt90). (5) Chancengleichheitsstrategien als Teil der AMP Alle drei Chancengleichheitsstrategien, Gleichbehandlung, Frauenförderung und Gender Mainstreaming, müssen Teil der Arbeitsmarktpolitik sein. Formale Gleichbehandlung bildet die Grundlage, um substanzielle Gleichberechtigung bzw. materielle Gleichheit herzu88
Vor der Einführung des für maximal drei Jahre zu beziehenden Kinderbetreuungsgeldes war die Arbeitsmarktpolitik unmittelbar mit dem Problem des geringen Angebots an Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder zwischen zwei (Ende der Karenzzeit) und drei Jahren konfrontiert, sichtbar in den aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität nur schwer vermittelbaren Frauen. Die anfänglich als quasi Überbrückung des dritten Jahres gedachte Sondernotstandshilfe wurde aus Kostengründen de facto abgeschafft (zu den Bedingungen vgl. Kapeller et al. 1999, 130f). Die Lösung der Problematik der eingeschränkten Vermittlungsfähigkeit arbeitsloser Frauen mit kleinen Kindern wurde letztlich immer dem Arbeitsmarktservice überlassen, ohne expliziten Aktivierungsanspruch an die Mütter (Ludwig-Mayerhofer/Wroblewski 2004) und ohne Abstimmung mit familien- und sozialpolitischen Bestimmungen. 89 Die Umsetzung von Fördermaßnahmen ist analog zu anderen betrieblichen Veränderungen das Ergebnis konflikthafter Aushandlungsprozesse. Frauen verfügen in der Regel über weniger innerbetriebliche Durchsetzungsmacht und sind keine homogene Interessensgruppe (vgl. dazu Henninger 2000, 23ff; Cockburn 1991). 90 Zwar kann eine auf die Arbeitsmarktsegregation gut abgestimmte Qualifizierungsmaßnahme für Frauen unmittelbar geplant und umgesetzt werden, ob am Arbeitsmarkt aber nach Abschluss der Maßnahme genau diese Qualifikation noch gebraucht wird bzw. ob die qualifizierten Frauen ihre Qualifikation umsetzen können, steht auf einem anderen Blatt. Nach Blaschke/Plath (2000) reicht das Ziel der Eingliederung in Arbeit durch Qualifizierung weit über das hinaus, was Weiterbildung durch AMP leisten kann. Ob Arbeitslose nach einer Qualifikationsmaßnahme einen Job finden, hängt von den Rekrutierungsstrategien der Unternehmen, der Arbeitsvermittlung, der Bewerbung und dem Vorstellungsgespräch, von Praktika u.a.m. ab. Das Bildungssystem, in dem Qualifizierung stattfindet, und das Beschäftigungssystem müssen nicht notwendigerweise miteinander kooperieren.
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stellen.91 Der parallele Einsatz der beiden anderen ist als Doppelstrategie in der Europäischen Beschäftigungsstrategie festgeschrieben: Gender Mainstreaming soll traditionelle Frauenförderung nicht ersetzen, sondern ergänzen (siehe Kap. 5.1). Basierend auf diesen fünf Ausgangsthesen werden im Folgenden Fragestellungen einer chancengleichheitsorientierten Arbeitsmarktpolitik entwickelt.
5.2.2 Fragestellungen einer chancengleichheitsorientierten Arbeitsmarktpolitik Im Rahmen des diesem Kapitel zugrundeliegenden Forschungsprojekts haben wir zentrale Anknüpfungspunkte identifiziert, an denen Gleichstellungspolitik in der aktiven AMP ansetzen kann. Dies war im Projekt die Grundlage der eigenen empirischen Erhebung. Der vorliegende Abschnitt geht über diese Anknüpfungspunkte insofern hinaus, als diese zu Fragestellungen einer chancengleichheitsorientierten Arbeitsmarktpolitik erweitert und verdichtet werden: Anhand der Dimensionen Ziele und Implementierung von Chancengleichheitstrategien werden jene Fragestellungen aufgezeigt und mit Erkenntnissen aus der Arbeitsmarkt- und der Geschlechterforschung unterlegt, die eine in substanzieller Hinsicht gleichstellungsorientierte Arbeitsmarktpolitik theoretisch (und in der Folge auch praktisch) klären müsste. Die Auflistung bleibt dennoch projektbezogen und erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung, zumal immer die Kontextabhängigkeit beachtet werden muss, von der auch theoretisch nicht vollständig abstrahiert werden kann. Das Ziel ist es, einen Forschungsrahmen zu entwickeln, um chancengleichheitsorientierte Arbeitsmarktpolitik theoretisch und empirisch fundieren zu können.
A
Ziele
Auf der Ebene der Ziele sind drei Fragestellungen zu bearbeiten: Wie kann/soll das Gleichstellungsziel in Zielsteuerungssysteme eingebaut werden? Wie kann/soll das Gleichstellungsziel definiert und konkretisiert werden? Welchen Stellenwert hat das Gleichstellungsziel, welche Zielkonflikte können auftreten und wie wird mit diesen umgegangen? Die AMP braucht klar definierte Ziele, um die jeweils verfolgten Maßnahmen daran zu orientieren, Erfolge messen und die Politik gegebenenfalls anpassen zu können. Dies erfordert Zielsteuerungssysteme bzw. „Management by Objectives“, um mittels quantifizierter Zielvorgaben und Indikatoren teilweise übergeordnete Organisations- oder Politikziele zu
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In Österreich wird dies beispielsweise angesichts der immer noch vorhandenen Zugangsbeschränkungen zur Notstandshilfe für Frauen (Anrechnung des Partnereinkommens) deutlich, oder in der asymmetrischen Verteilung der Arbeitslosen mit Mobilitätseinschränkungen. Bis Ende der 1990er Jahre ist die Zahl der „schwer vermittelbaren“ Frauen gestiegen, so dass 1998 fast die Hälfte aller arbeitslosen Frauen als schwer vermittelbar registriert war (Leitner 2007, 38). In den letzten Jahren wurden diese Angaben aufgrund von Umstellungen in der Arbeitsmarktstatistik nicht mehr ausgewiesen.
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erreichen.92 Aus der Gleichstellungsperspektive ergeben sich zwei Vorteile durch die Anwendung solcher Steuerungssysteme:93 Organisationsaspekt: Die mit dem Steuerungssystem verbundene strategische Planung sowie das Top-Down-Prinzip begünstigen die Umsetzung sowohl von Frauenförderung als auch von Gender Mainstreaming.94 Inhaltlicher Aspekt: Chancengleichheit lässt sich als ein Ziel neben anderen einbauen, und dies erfordert eine entsprechende Befassung der Organisation mit dem Ziel (Zieldefinition, Zielindikatoren, Zeitraum der Zielerreichung, Ist- und Sollwerte, Rückkoppelung und Zielanpassung). Chancengleichheit als Teil eines Zielsteuerungssystems erhält somit einen festen und sichtbaren Platz. Wie das Ziel Chancengleichheit konkret in ein solches System eingebaut werden kann, dazu gibt es noch kaum Erkenntnisse aus der Arbeitsmarktforschung. Die umfangreichere Literatur zur Implementierung betrieblicher Frauenförderung in die strategische Unternehmensplanung könnte hierzu Anhaltspunkte liefern (vgl. z.B. Bendl 1997).95 Tendenziell vage bleibt auch der inhaltliche Aspekt: Obwohl Chancengleichheit seit Jahren zu den Zielen des österreichischen AMS zählt, sind die konkreten Inhalte dieses Ziels nicht so einfach feststellbar. In den Zielvorgaben durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit werden wenige quantifizierte Vorgaben (mindestens 50% der geschlechtsspezifisch zuordenbaren budgetären Aufwendungen der aktiven AMP für Frauen, vgl. BMWA 2006, 7ff) von durchaus ambitionierten, aber dennoch sehr weit und vage gefassten Formulierungen begleitet. Eine Befassung mit der Frage, was unter Gleichstellung bzw. Chancengleichheit verstanden wird, ist nicht ersichtlich. Es obliegt dem AMS, daraus die für das Zielsteuerungssystem notwendigen quantifizierbaren (Teil-)Ziele zu entwickeln, wobei Leitner (2007, 200ff) die Tendenz feststellt, gleichstellungspolitische Ziel auf leicht messbare Frauenquoten zu reduzieren. Lutz/Pimminger (1999) haben mehrere Arten von Chancengleichheitspolitik abgeleitet, die jeweils unterschiedliche Zielkonkretisierungen nach sich ziehen würden: Pragmatische Chancengleichheitspolitik zielt primär darauf ab, aktuelle Benachteiligungen zu beseitigen, während strategische Chancengleichheitspolitik eine langfristige Verringerung struktureller Ungleichheiten anstrebt. Dass es hierbei zu Konflikten kommen kann, ist evident. Beispielsweise hilft die pragmatische Maßnahme „Kinderbetreuungsbeihilfe“ des AMS arbeitslosen Frauen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, lässt jedoch das strukturelle 92 2000 verwendeten bereits 10 von 18 europäischen Arbeitsmarktverwaltungen ein Zielsteuerungssystem, weitere fünf hatten zumindest Komponenten davon (Schütz 2001). Das österreichische Arbeitsmarktservice (AMS) hat 1995 mit der Einführung des Zielsteuerungssystems begonnen. 93 Allgemein zu den Vor- und Nachteilen von Zielsteuerungssystemen vgl. Schütz 2001. 94 Im Gegensatz zur betrieblichen Frauenförderung ist das AMS eine einzelne Organisation mit relativ klarer Struktur und mit einer gewissen Erfahrung in Bezug auf Zielsteuerung. Betriebliche Frauenförderung ist dagegen stark von der Betriebslandschaft abhängig. In Österreich ist der Anteil an Klein- und Mittelbetrieben sehr hoch, in denen Frauenförderung erfahrungsgemäß noch zäher voranschreitet als in Großbetrieben. Politische Frauenförderung ist wiederum vom jeweiligen politischen Zugang zur Frauenförderung abhängig und hat derzeit in Österreich eher wenig Gewicht. 95 Der Einbau in ein Zielsteuerungssystem, das für die gesamte Organisation relevant ist, gibt dem Ziel Chancengleichheit einen anderen Stellenwert, als dies bei der Frauenförderung als spezifischer Aufgabe eigens dafür zuständiger Personen („Frauenreferentinnen“) der Fall ist. Allerdings betrifft dies die Praxis der Frauenförderung, nicht die Theorie, denn auf theoretischer Ebene war auch bei der Frauenförderung schon lange klar, dass sie nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie zentral in die Unternehmensplanung eingebaut ist und die Zuständigkeiten nicht nur bei isolierten Stabsstellen und ähnlichen Organisationsformen liegen (Bendl 1997).
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Problem (Kinderbetreuung als „Sache der Frauen“) unberührt und widerspricht daher einem langfristigen Gleichstellungsziel. Anders ausgedrückt: Diese Maßnahme führt direkt ins Differenzdilemma (siehe Kap. 5.1). Weiters ist zu klären, ob Chancengleichheit als handlungsleitender Grundsatz (z. B. alle sollen dieselben Zugangschancen zu einer Maßnahme haben) oder als Zielorientierung (z. B. Konzeption von Maßnahmen mit dem expliziten Ziel einer Senkung des Gender Pay Gap) verstanden wird. Da ersteres leichter umsetzbar sein dürfte, besteht die Gefahr, dass Chancengleichheitspolitik dabei stehen bleibt. Auch wenn es mehrere Konkretisierungen von Chancengleichheit gibt, ist aus einem emanzipatorischem Politikverständnis heraus die Vorgabe eines substanziellen Ansatzes von Gleichheit und Gerechtigkeit selbstverständlich. Eine maßnahmenorientierte Darstellung gleichstellungspolitischer Zielsetzungen liefern Rubery/Fagan (1998), die sich als Grundlage für konkrete beschäftigungspolitische Zielkataloge eignet.96 Die Nachahmung unterschiedlicher praktischer Zieldefinitionen anderer Länder ist trotz der diesbezüglichen Bemühungen der Europäischen Beschäftigungsstrategie nicht so einfach möglich. Generell stellt daher die Zieldefinition und –konkretisierung eine Herausforderung an die AMP dar, die nicht umhin kommt, selbst Definitionsarbeit leisten zu müssen. Die Förderung der Chancengleichheit ist nur ein Ziel der aktiven Arbeitsmarktpolitik, diese verfolgt noch eine Reihe weiterer Ziele bzw. ist in die Zielsetzungen anderer Politikbereiche eingebunden.97 Die Positionierung im Zielsystem ist schwierig, weil Chancengleichheit Aspekte eines übergeordneten gesellschaftspolitischen Ziels aufweist, das zudem nicht allein erreicht werden kann. Gerade deswegen bekommt Chancengleichheit das Attribut der Nachrangigkeit: wenn es drauf ankommt, wird der Vorzug den arbeitsmarktpolitischen Zielen im engeren Sinn gegeben, ähnlich wie bei der gerechten Einkommensverteilung im wirtschaftspolitischen Vieleck. Die Verankerung eines solchen letztlich gesellschaftspolitischen Ziels in der AMP hängt insbesondere vom gesellschaftlichen und politischen Druck ab, mit dem den AkteurInnen der AMP signalisiert wird, wie wichtig die Geschlechtergleichstellung ist. Während auf der einen Seite die Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik durch die europäische Beschäftigungspolitik und die relativ hohe Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen sind, ist sie andererseits mit Einsparungswünschen und -vorgaben der öffentlichen Hand konfrontiert. Zielkonflikte sind die Folge. Das Ziel Chancengleichheit dürfte schon allein deshalb „anfällig“ für Zielkonflikte sein, als es nicht zum „klassischen“ Zielsystem der AMP gehört. Welche Zielkonflikte tun sich auf bzw. sind zu erwarten? Förderung der Chancengleichheit vs. Förderung der Beschäftigung: Hinsichtlich dieser Zielsetzungen wird häufig von einem positiven trade-off ausgegangen: Eine Erhöhung der Arbeitsmarktintegration von Frauen durch entsprechende Maßnahmen würde auch die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern verbessern. Als Kon96 Nach Rubery/Fagan 1998 soll die Zielsetzung die Gleichstellung bei der Verteilung von Beschäftigung, bei den Beschäftigungschancen und –bedingungen sowie die Gleichstellung bei der Betreuung, im Sozialbereich und im Haushalt umfassen. Sie liefern jeweils einen möglichen Maßnahmenkatalog, um die jeweiligen Problemstellungen aufzuzeigen. Im Kontext der Gleichstellung bei der Verteilung von Beschäftigung finden sich auch eine Reihe von Vorschlägen für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Rubery/Fagan präsentieren keine fertige Zielformulierung, ihr Zugang ist sehr anschaulich, allerdings auch sehr weit gefasst. Aber als Grundlage für einen Zielkatalog ist diese umfassende Darstellung jedenfalls geeignet. 97 Wirtschaftspolitische Ziele (Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Standortpolitik); Arbeitsmarktpolitische Ziele im engeren Sinn (Vermittlung von Problemgruppen, Abbau der Arbeitslosigkeit); Effizienzziele in Bezug auf die Kernaufgaben der Arbeitsmarktpolitik (hohe Vermittlungsquoten, geringe Bestandszahlen).
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sequenz könnte sich die Arbeitsmarktpolitik auf ein Ziel konzentrieren. Allerdings existiert trotz gestiegener Frauenerwerbstätigkeit weiterhin ein ausgeprägter Gender Gap in der Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit und insbesondere beim Einkommen, was eher auf eine neutrale (oder sogar negative) Beziehung zwischen den Zielen hindeutet. Wenn beispielsweise die Frauenerwerbstätigkeit durch die Förderung von Teilzeitjobs in Frauenbranchen erhöht wird, verbessert dies zwar ihre Teilhabechancen, verschlechtert aber gleichzeitig (unter gegebenen Rahmenbedingungen) ihre Einkommens- und Karriereposition und ihren Zugang zu einer ausreichenden sozialen Absicherung. Förderung der Chancengleichheit vs. Verbesserung der Effizienz der Arbeitsmarktpolitik: Beispielsweise kostet die Qualifizierung von Frauen für zukunftsträchtige Berufsfelder deutlich mehr als ihre Integration in typische Frauenbereiche. In einer simplen Anwendung des Kriteriums der Effizienz würde die teure erste Maßnahme gegenüber der billigeren zweiten suboptimal sein.98 Eine chancengleichheitsorientierte Betrachtung würde jedenfalls auf der Hinterfragung und Erweiterung des Effizienzbegriffs bestehen. Die erwähnte effizienzvermindernde Wirkung gilt beispielsweise nur unter der Annahme eines statisch definierten Effizienzbegriffs. In Anlehnung an Sawyer (1995) wäre eine Vermittlung von Frauen in frauendominierte Bereiche mit geringen Qualifikationsanforderungen zwar „statisch effizient“ (d.h. im Sinne der Nutzung vorhandener Ressourcen), aber nicht unbedingt „dynamisch effizient“ (d.h. im Sinne der Entwicklung und Erschließung neuer Ressourcen). Es ist zu vermuten, dass die Anwendung eines „dynamischen“ Effizienzbegriffs mit einer Gleichheitszielsetzung sehr viel weniger in Konflikt gerät – bzw. sich die beiden sogar gegenseitig fördern können –, als dies bei einer „statischen“ Effizienzdefinition der Fall ist.
Die Feststellung und Aufarbeitung dieser Konflikte und in der Folge deren Auflösung sind in der Arbeitsmarktforschung noch kaum thematisiert worden. Nutzbar wären die wirtschaftspolitischen Erkenntnisse zu Zielen und Zielbeziehungen (z.B. Tichy 1999) sowie die allgemeinen ökonomisch-philosophischen Arbeiten zum trade-off von Effizienz und Gerechtigkeit (z.B. Sturn et al. 2002).
B
Implementierung
Die Implementierung von Chancengleichheitspolitik ist stark kontextabhängig. Dennoch sind die folgenden Fragestellungen von allgemeiner Bedeutung:
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Es ist hier nicht möglich, auf die komplexe Beziehung zwischen ökonomischer Effizienz (z.B. ParetoEffizienz) und Gerechtigkeit und in der Folge Effizienz und Gleichstellungspolitik einzugehen (vgl. dazu Sturn et al. 2002; für eine Darstellung mit Fokus auf die Gleichstellungspolitik Gaster 2004, 145ff). Effizienz wird mittlerweile häufig zur Begründung von Gleichstellungspolitik verwendet (z.B. Krell 2001a, Rubery/Fagan 1998), um die rein ethisch-moralische Begründung zu verbreitern. Effizienzüberlegungen gehen jedoch immer von einem bestimmten Status Quo aus. Wenn in diesem gravierende Ungerechtigkeiten herrschen, wenn also beispielsweise der Gender Gap in Machtungleichgewichten zwischen den Geschlechtern wurzelt, könnte eine rein effizienzorientierte Politik diese Ungerechtigkeiten nur perpetuieren, aber nicht eliminieren. Dies spricht keinesfalls gegen die Begründung von Gleichstellungspolitik mit Effizienzargumenten, sondern für eine Verankerung in beiden Begründungszusammenhängen, Gerechtigkeit und (ökonomische) Effizienz (siehe auch Kap. 5.4).
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Gender Gap und Gleichheit Wie funktioniert das Zusammenspiel von Frauenförderung und Gender Mainstreaming? Bedarf es zur Implementierung Akzeptanz und commitment, oder reicht ein technokratischer Ansatz? Wie sieht der Ressourcenbedarf der Implementierung einer neuen Strategie aus? Welche Indikatoren beschreiben Gleichstellungspolitik, welcher Bedarf an neuen Indikatoren besteht? Welche Rolle spielt die Gleichstellung in den vorhandenen Evaluierungskonzepten der Arbeitsmarktpolitik, welche Rückkoppelungsprozesse folgen daraus?
Eine der Ausgangsthesen betraf den koordinierten Einsatz der drei Chancengleichheitsstrategien Gleichbehandlung, Frauenförderung und Gender Mainstreaming. Ersteres ist als Grundlage erforderlich, der parallele Einsatz der beiden anderen ist als Doppelstrategie („dual track“ Strategie) in der Europäischen Beschäftigungsstrategie festgeschrieben: Gender Mainstreaming soll traditionelle Frauenförderung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Wie dieses notwendige bzw. sinnvolle Zusammenspiel konkret erfolgen soll, dazu gibt es bislang wenig Konkretes. Die vorhandenen Gegenüberstellungen von Frauenförderung und Gender Mainstreaming,99 die die Ergänzungsbedürftigkeit ersterer durch zweiteres darstellen sollen, zeichnen teilweise ein sehr primitives Bild von Frauenförderung (Holzleithner 2002a), so dass die Skepsis aus der Sicht mancher Theoretikerinnen zum effektiven Neuerungswert von Gender Mainstreaming verständlich ist. Dieses Zusammenspiel stellt für die beteiligten AkteurInnen (und das heißt unter der Voraussetzung von Gender Mainstreaming für alle AkteurInnen einer Organisation) eine Herausforderung dar, denn zum einen muss die Führungsebene Gender-Kompetenz erwerben und Gleichstellungspolitik top-down vorantreiben, zum anderen müssen die bisherigen Frauenreferentinnen und Gleichstellungsbeauftragten mit ihrer neuen Rolle als GenderExpertinnen100 zurecht kommen und alle AkteurInnen müssen neue Wege der Kommunikation suchen und finden. Theoretisch spricht einiges für diesen neuen Ansatz: Gleichstellungspolitik lässt sich top-down leichter implementieren, weil Druck von oben erzeugt werden kann und dies in hierarchischen Organisationen akzeptiert wird. Gleichstellungspolitik wird Teil des standardmäßigen Regelwerks einer Organisation, das von allen AkteurInnen auf allen Ebenen erfüllt werden soll. Diese Konzentration auf die Spitze der Hierarchie zeigt aber auch bereits den großen Nachteil auf: Führungskräfte und Manager haben 99 Vgl. z.B. Bergmann/Pimminger 2004. Frauenförderung zielt demnach vor allem auf bestehende Ungleichgewichte (Gender Mainstreaming auf Rahmenbedingungen und Strukturen, die die Ungleichgewichte hervorbringen), agiert kurzfristig (Gender Mainstreaming langfristig und allgemeiner) und in spezifischen Problembereichen, die sonst nirgendwo angesprochen werden (Gender Mainstreaming erarbeitet Strategien für alle Politikbereiche). Auf die Arbeitsmarktpolitik bezogen bedeutet dies beispielsweise: Wenn Frauen aufgrund von Kinderbetreuungspflichten einen Job nicht annehmen können, versucht Frauenförderung dies über flexible Kinderbetreuungseinrichtungen und flexible Arbeitszeiten bzw. deren Förderung zu lösen, Gender Mainstreaming sieht das Problem in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und würde versuchen, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass die Väter sich entsprechend beteiligen. Frauenförderung scheint die traditionelle Arbeitsteilung als gegeben hinzunehmen, Gender Mainstreaming arbeitet zukunftsweisend dagegen an. Wie Holzleithner (2002a, 23) bemerkt, hat bereits die damalige Frauenministerin Konrad 1996 mit der „Halbe-Halbe-Kampagne“ versucht, diese Zementierung von Zuständigkeiten aufzubrechen, noch lange bevor Gender Mainstreaming in Österreich bekannt wurde. 100 Gleichstellungsbeauftragte sind nicht zwangsläufig auch die Gender-ExpertInnen im Rahmen von Gender Mainstreaming, es handelt sich konzeptionell um unterschiedliche Funktionen mit unterschiedlichem Ressourcenbedarf; die bisherigen praktischen Erfahrungen z.B. im AMS zeigen aber eine hohe personelle Übereinstimmung zwischen den beiden Funktionen.
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weder automatisch die notwendige Gender-Kompetenz, noch die Motivation, diese in Sensibilisierungsseminaren zu erwerben, noch haben sie automatisch einen positiven Zugang zu gleichstellungspolitischen Zielen. KritikerInnen von Gender Mainstreaming setzen häufig genau an diesem Punkt an (z.B. Wetterer 2002a, Nohr 2001, Schunter-Kleemann 2001). Zur Skepsis darüber, warum das Management, das sich so lange Zeit den gleichstellungspolitischen Bemühungen zur Frauenförderung „erfolgreich“ widersetzt hat, nun unter dem Label von Gender Mainstreaming gleichstellungspolitisch agieren soll, kommt die Kritik an der Vernachlässigung des theoretischen Diskurses. Das, was an Wissen und Kontroversen zu Gleichheit und Differenz, zur Konstruktion von Geschlecht, zur frauenpolitischen Geschichte des Gender Mainstreaming u.a.m. existiert, scheint in den neuen Managementdiskursen über die effiziente Nutzung der Humankapitalressourcen unterzugehen. Dies betrifft beispielsweise die ständige und vertiefte Re-Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit: „Nach diesen Unterschieden zwischen Frauen und Männern wird in Zukunft mit nie gekannter Intensität gefahndet werden... und [es] gibt kaum eine methodisch geeignetere Vorkehrung als diese, um derartige Unterschiede in Hülle und Fülle zu finden, ihre soziale Bedeutung zu verstärken, teils sogar zu erfinden und Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern ebenso auszublenden wie die wachsende Ungleichheit unter Frauen bzw. Männern“ (Wetterer 2002a, 137). Nun ist diese Kritik berechtigt, die Konsequenz daraus kann jedoch nur diejenige sein, eben diese Kooperation zwischen PraktikerInnen und TheoretikerInnen offensiv zu gestalten und eine theoretische Fundierung der Praxis anzubieten und einzufordern (Knapp 2001, Weg 2003, Frey 2003).101 Zur Frage, wie dieses Zusammenspiel von Gender Mainstreaming und Frauenförderung aussehen soll, können auch die praktischen Erfahrungen aus den skandinavischen Ländern Entscheidendes beitragen, die – ohne es explizit so zu nennen – schon länger Gender Mainstreaming praktizieren (Jalmert 2004). Aus der dortigen Praxis sowie anhand dokumentierter best practice-Beispiele aus anderen Ländern lassen sich Kriterien einer erfolgreichen Umsetzung von Gender Mainstreaming ableiten (Woodward 2001, 2004).102 Chancengleichheitspolitik berührt gesellschaftspolitische Zusammenhänge, das Geschlechterverhältnis ist nicht nur am Arbeitsmarkt präsent. Daher ist für die Umsetzung einer entsprechenden Politik auch die Akzeptanz, das commitment gegenüber der Gleichstellungspolitik bei den betroffenen AkteurInnen ein entscheidender Faktor und damit stellt sich die Frage, wie diese Akzeptanz hergestellt wird. Anders ausgedrückt: Wie kommen gleichstellungspolitische Zielsetzungen vom "top" (wo sie definiert und in das Zielsteuerungssystem eingebaut werden) zum "down" (wo sie praktisch umgesetzt werden)? Gender Mainstreaming ist per Definition ein top-down-Ansatz, was aber noch nicht klärt, wie diese gleichstellungspolitische "Durchdringung" der Organisation von oben nach unten funktioniert, wie sie die AkteurInnen der Organisation einbindet. Zwei Ansätze sind idealtypisch denkbar: 101
Wie Wetterer (2005, 13f) selbst feststellt, ist die Frage, ob wir Gender Mainstreaming „brauchen“, müßig, „denn so bald dürften wir das Gender Mainstreaming nicht mehr los werden“. Gender Mainstreaming darf aber nicht dabei stehen bleiben, den AkteurInnen für ihre Mitarbeit an der Herstellung geschlechtlicher Disparitäten die Augen zu öffnen. Es gilt „die institutionalisierten Reproduktionsweisen der Differenz zu verändern, die der Umsetzung der neuen Ansprüche so sperrig im Wege stehen“ (ebd., 14). Das kann nur über Kooperationen zwischen Theorie bzw. Forschung und Praxis gelingen. 102 Für eine Übersicht zu förderlichen und hemmenden Rahmenbedingungen von Gender Mainstreaming vgl. Leitner/Kreimer 2003; Leitner 2007.
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Gender Gap und Gleichheit Angelegt in Gender Mainstreaming ist ein technokratischer Ansatz: Wenn Gender Mainstreaming als Organisationsprinzip von allen AkteurInnen selbstverständlich umgesetzt wird, ist das commitment des/der Einzelnen letztlich irrelevant.103 Dem steht die frauenpolitische Forderung nach Engagement gegenüber: Es bedarf eines „Köpfe-Änderns“, d.h. einer Bewusstseinsbildung, und eines gewissen Engagements, um erfolgreich Gleichstellungspolitik betreiben zu können, und dies gelte analog auch für Gender Mainstreaming.
Nun ist diese Gegenüberstellung zugegebenermaßen eine relativ theoretische Auftrennung, die für die Praxis, aber auch für die theoretische Fundierung wenig hilfreich ist. Kein Ziel lässt sich in einer Organisation angesichts vielfältiger komplexer Prozesse und angesichts von Zielkonflikten rein technokratisch durchsetzen, jeder Organisationsprozess ist auf die Mitarbeit der einzelnen AkteurInnen angewiesen, die mehr oder weniger kooperieren oder eine Maßnahme auch sabotieren können. Und natürlich spielen dabei ihre „Köpfe“ eine Rolle. Umgekehrt kann Gleichstellungspolitik nicht nur auf Engagement beruhen, sondern bedarf auch einer gewissen Distanz zum eigenen Tun.104 Ein zentraler Aspekt von Gender Mainstreaming ist die Herauslösung der Gleichstellung aus dem frauenpolitischen „Ghetto“ hin zu einem selbstverständlichen Bestandteil organisationalen Handelns, die Verbreiterung von der spezifischen Aufgabe einiger Engagierter (de facto) hin zur Querschnittsaufgabe aller AkteurInnen. Das Problem besteht darin, dass im „Querschnitt“ zumeist noch keine gleichstellungspolitische Perspektive vorliegt, die diese „Selbstverständlichkeit“ tatsächlich zu einer solchen werden lässt (vgl. auch Czollek/Weinbach 2002). Die Frage der allgemeinen Akzeptanz der Chancengleichheitspolitik – und damit letztlich der Akzeptanz eines egalitären Geschlechterleitbildes am Arbeitsmarkt – ist daher nach wie vor relevant. Die Skepsis bezüglich einer allzu technokratischen Umsetzung von Gleichstellungspolitik (und in der Folge die Vermutung ihrer Wirkungslosigkeit bzw. einseitigen Ausrichtung) ist Teil der kritischen Auseinandersetzung mit Gender Mainstreaming. Befürchtet wird „die Transformation von Politik in Verwaltungshandeln und die Modernisierung dieses Verwaltungshandelns nach Kriterien, die aus der Ökonomie und vor allem aus der Betriebswirtschaftslehre stammen.“ (Wetterer 2002a, 146) Das „Gegenmittel“ aus der Sicht der BefürworterInnen liegt in der Vermittlung und Verbreiterung von „Gender-Kompetenz“ in den Organisationen, über „Gender-Trainings“ und vor allem über Professionalisierungsprozesse hinsichtlich der Position der „Gender-ExpertInnen“ (Meuser 2004a), wobei die Notwendigkeit einer „theoretisch inspirierten Gender-Praxis“ (Frey 2004) von Seiten der Wissenschaft betont wird. Dass die Realisierung einer solchen Verbindung von Theorie und Praxis unter der Vorgabe, dass sie sich just an jene richtet, die bislang selten oder gar nicht mit den Erkenntnissen der Frauen- und Geschlechterforschung in Berührung kamen, eine enorme Herausforderung darstellt, ist evident. Insbesondere geht es um die Aktivierung und Veränderung des sogenannten „Geschlechter-Wissens“ (Andresen et al. 2003) der AkteurInnen, 103
„Die müssen nicht wollen, die müssen nur tun“ – so drückte es ein hoher AMS-Funktionär im Rahmen einer Veranstaltung zur Gender Mainstreaming aus. Die beiden hier angesprochenen Ansätze haben ihre Wurzeln in dem Diskurs zwischen den „autonomen“ Frauen und den „Institutionenfrauen“ (auch grassroot-feminists vs. femocrats) in den 1980er Jahren (vgl. Biester et al. 1994, Sauer 1994). Heute wie damals gilt es Berührungsängste zwischen Theorie und Praxis, zwischen Theorie und Politik abzubauen und durch den gegenseitigen Wissens- und Erfahrungsaustausch Wissenschaft und Praxis voranzutreiben.
104
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
305
also dem individuellen Vorrat an Deutungsmustern, an Fakten- und/oder Zusammenhangswissen, mit dem die Geschlechterdifferenz wahrgenommen wird, mit dem sie bewertet, legitimiert, als quasi „natürlich“ angenommen wird oder auch als konstruiert interpretiert werden kann. Studien zeigen die Gleichzeitigkeit eines expliziten kognitiven Gleichheitswissens einerseits (was Wetterer (2003) mit „Rhetorischer Modernisierung“ umschrieben hat) und eines unreflektierten, unbewussten, inkorporierten Differenzwissen andererseits (Andresen et al. 2003).105 Wenn sich nun Führungskräfte Gender-Trainings unterziehen und sie darin weiteres „Geschlechter-Wissen“ vermittelt bekommen, dann besteht wenig Aufnahmebereitschaft gegenüber theorielastigem Wissen über Geschlechterhierarchien, Differenzen zwischen Frauen und Männern, über gendered substructures in Organisationen etc., sondern vielmehr gegenüber reflektiertem Wissen, das das eigene Erfahrungswissen über die immer schon dagewesene Differenz bestätigt und das zudem noch mit dem ökonomischen Ansatz der Nutzung der Differenz korrespondiert. In diesem Vermittlungsprozess auch den politisch-emanzipatorischen Anspruch einer Veränderung institutionalisierter Geschlechterverhältnisse unterzubringen, ist und bleibt, wie schon gesagt, eine enorme Herausforderung, die dennoch notwendig ist. Übersicht 5.3: Ressourcenbedarf zur Implementierung von Gender Mainstreaming Tätigkeitsfeld
Beispiele für Ressourcenbedarf
Analyse
Bereitstellung und Auswertung geschlechtsspezifischer Daten; Erstellen und Interpretation von Arbeitsmarktanalysen und Analysen des Bildungssystems, Verbindung der beiden Bereiche Entwicklung von Indikatoren; Diskussion und Konkretisierung von Chancengleichheitszielen und -konzepten; Konzepte zum Einbau von Chancengleichheit in Organisationsstrukturen und zu Rückkoppelungsprozessen Erarbeitung und Umsetzung von spezifischen FrauenförderMaßnahmen, gegebenenfalls auch von Maßnahmen zur Förderung von Männern Nutzung des vorhandenen Know-Hows der für Frauenförderung zuständigen Personen und Unterstützung für den Prozess des Einspielens dieses Know-Hows in die Organisation, insbesondere ins Wissen des Top; Ermöglichung der Vertiefung (vor allem in theoretischer Hinsicht) dieses Know-Hows; Gender-Trainings für Top und in angepasster Form für alle AkteurInnen
Konzeption
Maßnahmen
Kompetenzen
Die Implementierung von Chancengleichheitsstrategien erfordert Ressourcen auf vielen Ebenen (Übersicht 5.3). Den Anleitungen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming ist 105
Andresen et al. (2003) haben am Beispiel der Berliner Kommunalverwaltung untersucht, welche Chancen sich für Gleichstellungspolitik im Zuge der Reformprozesse in der öffentlichen Verwaltung ergeben könnten. Sie gingen davon aus, dass diese Frage praktisch, im Handeln der beteiligten AkteurInnen und unter den jeweiligen konkreten Bedingungen und Machtverhältnissen entschieden wird. Eine dieser Bedingungen ist, ob die beteiligten AkteurInnen überhaupt eine Verbindung zwischen organisationalem Wandel (den Reformen) und der Geschlechtergleichstellung herstellen und in diesem Kontext, über welches Geschlechter-Wissen sie verfügen.
306
Gender Gap und Gleichheit
gemeinsam, dass sie auf einem systematischen Problemlösungsansatz basieren, der mit der Analyse der Problemsituation startet, die geschlechterspezifischen Wirkungen der geplanten Maßnahmen vordenkt und meist mit einer Evaluierung der Umsetzung endet. Der Vorteil dieser Methoden ist sicherlich die systematische Ex-Ante-Analyse der Maßnahmen, die Planungsprozesse generell verbessert. Sie machen aber auch deutlich, dass viele Informationen für die geforderten Schritte notwendig sind. Dies betrifft nicht nur geschlechtsspezifisch ausgewiesene Daten zur Einschätzung der Ausgangssituation, sondern vor allem auch Kenntnisse über Wirkungszusammenhänge von Diskriminierungsprozessen, wobei weiterhin erhebliche Forschungslücken bestehen. Zudem sind die Gender Mainstreaming-Schritte sehr allgemein formuliert und müssen für die jeweils spezifische Situation konkretisiert werden, was wiederum Gender Know-How erfordert.106 Voraussetzung jeder Analyse sind Daten und Indikatoren. Ein einfach zu handhabender und vermutlich gängiger Indikator ist die Quote: Dieser quantitative Indikator ist leicht konkretisierbar (z. B. 50 Prozent Frauen in allen Maßnahmen) und leicht messbar. Allerdings ist das Ziel einer umfassenden Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit sehr viel weiter gefasst, um mit quantitativen Indikatoren allein erreicht werden zu können. Wenn Frauen die Hälfte des Geldes aus der Arbeitsmarktförderung erhalten, ist immer noch nicht klar, welche Art der Maßnahmen umgesetzt werden, ob es z. B. um die Förderung traditioneller Berufe geht oder ob neue Chancen in zukunftsträchtigen Berufen eröffnet werden (vgl. Leitner 2007, 206ff). Weitere und vor allem qualitative Indikatoren sowie deren Entwicklung sind gefragt. Auch der Soll-Wert der Quote selbst (z. B. 50 Prozent) ist nicht in jedem Fall selbstverständlich, sondern bedarf einer kontextabhängigen Prüfung. Wenn für Frauen verstärkt gesellschaftspolitische Aufgaben übernommen werden und die potenzielle Fördergruppe damit deutlich über den gemeldeten (männlichen) Arbeitslosen liegt, so sind sie mit einem Anteil von 50 Prozent des Budgets eher unterrepräsentiert.107 Ob Gleichstellungspolitik erfolgreich ist, zeigen Evaluierungen. Wenn die Ziele nicht (vollständig) erreicht wurden oder sich Rahmenbedingungen geändert haben, bedarf es Rückkoppelungsprozesse und Anpassungen. Jede „Gender-Prüfung“ muss Konsequenzen haben, also in die Formulierung der Ziele und Maßnahmen der nächsten Periode einfließen, d.h. Überprüfung der Ziele, Zieldefinition, Indikatoren, Sollwerte und gegebenenfalls Anpassung bzw. Neudefinition. Auch sollten neue Aspekte dazukommen können. Eine solche Rückkoppelung muss im Steuerungssystem eingebaut sein, und sie muss auch möglich sein (dem würde beispielsweise eine ständige Zieländerung aus anderen Gründen als der der Chancengleichheit widersprechen). Zwar gibt es zur Evaluierung der Arbeitsmarktpolitik mittlerweile umfangreiche Erfahrungen und eine Reihe von methodischen Ansätzen.108 Die Einbeziehung und die explizite Analyse geschlechtsspezifischer Wirkungen der AMP hat in der Evaluationsforschung
106
Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass sich Gender Mainstreaming nur schwer in bisher von GenderAspekten wenig berührten Bereichen einführen lässt und der Erfolg wesentlich von den institutionellen und organisatorischen Settings und den verwendeten Methoden abhängt (vgl. Leitner 2007, 91f). 107 Familienpolitische Unterstützungen wie z. B. die Kinderbetreuungsbeihilfe oder Förderungen von Kinderbetreuungseinrichtungen verlieren zwar anteilsmäßig an Bedeutung, aber „Familienunterstützungen“ kommen nach wie vor fast ausschließlich Frauen zugute und gehen bei der Gleichverteilung des Budgets auf Kosten spezifischer „Frauen“-Maßnahmen. 108 Für eine Übersicht vgl. Leitner/Kreimer 2003, Teil I, 20ff.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
307
noch einen relativen geringen Stellenwert, die Einbeziehung von Gender Mainstreaming in die Evaluationsverfahren steht überhaupt erst am Anfang (Müller/Kurtz 2002, 2004).109
C
Schlussfolgerungen
Aktive Arbeitsmarktpolitik ist für die Gleichstellungspolitik nutzbar und in dieser Hinsicht vielfach gestaltbar, wenn auch in ihrer Wirksamkeit grundsätzlich begrenzt, da sie nur einen spezifischen Ausschnitt des Geschehens am Erwerbarbeitsmarkt ansteuern kann. Da über die Verankerung der Geschlechtergleichstellung auf EU-Ebene und über die Europäische Beschäftigungsstrategie der Arbeitsmarktpolitik eine besondere Bedeutung zukommt, ist es nicht verwunderlich, dass die praktische Frauenförder- und Gleichstellungspolitik in Österreich (wie auch in den meisten EU-Ländern) große Hoffnungen in die Arbeitsmarktpolitik setzt.110 Die ständig wachsende Literatur zu Gender Mainstreaming verdeutlicht eine ambivalente Entwicklung: Die Integration der Chancengleichheitszielsetzung in die aktive Arbeitsmarktpolitik ist bislang ein pragmatisch-praktischer Prozess, sichtbar in einer Vielzahl von Umsetzungskonzepten, Checklisten und Toolboxen, oder wie Holzleithner (2002a) es ausdrückt, einem großen „Methodenkoffer“. Was weitgehend fehlt – und hier kommen die kritischen Stimmen der TheoretikerInnen hinzu – ist die Verknüpfung mit den theoretischen Erkenntnissen der Frauen- und Geschlechterforschung, mit dem Gender-Diskurs. Der Erwartung einer Transformation der Gleichstellungspolitik durch Gender Mainstreaming steht die nüchterne Erkenntnis gegenüber, die Transformation beschränke sich auf Worte111 und, noch skeptischer, die Anpassung an das neoliberale Vokabular von Effizienz, Nutzen, Wettbewerb, Erfolgsfaktoren und Humanressourcen sei letztlich ein Rückschritt für die Gleichstellungspolitik hinter die schon erkämpften, wenn auch unzureichenden Erfolge der (traditionellen) Frauenförderung (Schunter-Kleemann 2002, Young 2001). Eine erfolgreiche Umsetzung von Gender Mainstreaming würde vieles, was bisher mühsam von FrauenpolitikerInnen erkämpft wurde und von ihnen ständig verteidigt werden muss, selbstverständlich machen und das Umfeld der Gleichstellungspolitik entscheidend verändern. Theoretisch führt Gender Mainstreaming zu einer Transformation der Gleichstellungspolitik. Ob sie dies auch praktisch in absehbarer Zeit tun kann (oder überhaupt tun kann), kann noch nicht beantwortet werden. Wieweit das österreichische AMS auf diesem Weg bereits vorangekommen ist, wird im Folgenden dargestellt.
109
Umgekehrt, d.h. zur Evaluierung von Gender Mainstreaming, liegen bereits einige Berichte vor (z.B. Wroblewski/Leitner 2004). Die faktische Begrenzung von Gender Mainstreaming auf die Beschäftigungspolitik in der EU wird angesichts der Geschichte dieses Konzepts eher kritisch gesehen (Frey 2004). 111 Wetterer (2002) spricht von bloß „rhetorischer Modernisierung“; mehrfach wird die Vermutung geäußert, es handle sich um ein „Gießen von altem, gutem Wein in neue, schicke Schläuche namens Gender Mainstreaming.“ (z.B. Holzleithner 2002a, 24). 110
308
Gender Gap und Gleichheit
5.2.3 Fallstudie: „Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming – Chancengleichheitskonzeptionen in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik“ Dieser Abschnitt fasst einen Teil der Ergebnisse der empirischen Erhebung, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts „Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming – Chancengleichheitskonzeptionen in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik“ durchgeführt haben, zusammen (Leitner/Kreimer 2003). Wir sind der Frage nachgegangen, inwieweit durch die Strategie des Gender Mainstreaming im Arbeitsmarktservice bereits Veränderungsprozesse im Gang sind, die der österreichischen Arbeitsmarktpolitik eine neue gleichstellungspolitische Perspektive geben und die das innovative Potenzial dieser neuen Strategie in Bezug auf die Organisationsstrukturen des AMS selbst nutzen. Aufgrund des Untersuchungsdesigns unserer Erhebung liegt der Fokus der Analyse auf den Veränderungen, die die Rolle, Arbeitsinhalte und Aufgabenstellungen der Frauenreferentinnen einerseits und die der Führungsebene im AMS andererseits betreffen. Wenn Gender Mainstreaming als innovatives Instrument aufgefasst wird, das Organisationen und deren Politik grundlegend umwandeln kann (Woodward 2004), müsste dies zuerst bei den zentralen AkteurInnen dieser Organisation bemerkbar sein, auch wenn der innovative Prozess selbst erst am Beginn steht. Das Forschungsprojekt erfolgte bereits in den Jahren 2002/2003, das vorliegende Kapitel ist daher als „historischer“ Befund zu verstehen. Die Gleichstellungspolitik des AMS hat sich seither weiterentwickelt,112 auch der ökonomische und politische Kontext hat sich verändert. Die Ergebnisse behalten jedoch insofern ihre Relevanz, da sie es zum einen ermöglichen, einen Implementierungsprozess des Gender Mainstreaming anhand eines konkreten Beispiels nachzuzeichnen; zum anderen haben sich die Grundprinzipien der österreichischen Gleichstellungspolitik wenig verändert und die Vorreiterrolle des AMS als Organisation in der Implementierung von Gender Mainstreaming ist nach wie vor gegeben.
A
Das österreichische Arbeitsmarktservice
Das Arbeitsmarktservice (AMS) ist der zentrale Akteur der österreichischen Arbeitsmarktpolitik. 1994 starteten mit der Ausgliederung aus der Bundesverwaltung weitgehende Dezentralisierungs- und Professionalisierungsprozesse,113 bereits 1995 wurde mit der Einführung des Zielsteuerungssystems begonnen. Durch quantifizierte Leistungsvorgaben und Indikatoren wird die performance der Organisation am Arbeitsmarkt gesteuert. Arbeitsmarktpolitische Ziele werden von oberster Ebene vorgegeben und in operationalisierbare, quantitative Regionalziele übersetzt. Das Zielsteuerungssystem ermöglicht eine dezentrale Umsetzung von strategischen Zielen und prägt zugleich die Vorgehensweise der AkteurInnen auf allen Ebenen, ihre Tätigkeit wird danach bewertet. Damit entsteht eine Logik, die die komplexen Anforderungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf kontrollierbare, d.h. 112
2006 wurden vom AMS selbst Berichte zur sprachlichen Gleichbehandlung und zu Gender Mainstreaming im AMS veröffentlicht, auch der aktuelle Gleichstellungs- und Frauenförderplan 2008-2013 kann von der Homepage des AMS abgerufen werden (http://www.ams.at/14158_7096.html, August 2008). 113 Die dezentrale Struktur ist in der Gliederung in Bundes-, Landes- und Regionalorganisationen sichtbar, alle Ebenen haben spezifische Aufgaben, Rechte und Pflichten. Zu den organisatorischen Details vgl. Leitner/Kreimer 2003; Leitner 2007.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
309
quantifizierbare und messbare Vorgaben reduziert. Diese Logik wird auch durch die europäische Beschäftigungspolitik verstärkt (Maier 2002). Das Arbeitsmarktservicegesetz aus 1994 und in der Folge das Leitbild des AMS enthalten Chancengleichheit von Frauen und Männern als horizontales Ziel. Dies gilt für die Förderung von arbeitslosen Frauen ebenso wie für die interne Personalförderung. Das AMS hat ab Ende der 1980er Jahre Frauen explizit als Zielgruppe der Arbeitsmarktpolitik angesprochen und insbesondere mit der Wiedereinsteigerinnen-Initiative in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre frauenfördernde Maßnahmen umgesetzt (Leitner/Wroblewski 2000a). Die interne Gleichstellungspolitik des AMS fand unter anderem im Frauenförderplan ihren Niederschlag.114 Im Mai 2000 haben der Vorstand und die Landesorganisationen des Arbeitsmarktservice Gender Mainstreaming zu einer verbindlichen Strategie erklärt und eine schrittweise Umsetzung beschlossen, alle Richtlinien des Arbeitsmarktservice sollen sukzessive nach den Kriterien des Gender Mainstreaming überprüft und wenn notwendig adaptiert werden.115 Organisationsintern wurde und wird auf das Expertinnenwissen der auf allen Organisationsebenen angesiedelten Frauenreferentinnen116 zurückgegriffen. Eine spezielle Richtlinie regelt die Aufgaben der Frauenreferentinnen, die bei der jährlichen Arbeits- und Programmplanung hinzugezogen werden und für deren Tätigkeit besondere Planstellenanteile zur Verfügung stehen. Die Tätigkeit der Frauenreferentinnen ändert sich im Zuge der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Die Landesfrauenreferentin des Arbeitsmarktservice Steiermark beschrieb dies in einem Interview117 folgendermaßen: „Es ist ein Wandel meiner Rolle von der Hauptverantwortlichen für die Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu einer Prozessgestalterin und Controllerin. Meine neue Aufgabe besteht verstärkt darin, als Expertin bei der Auseinandersetzung mit dem Gleichstellungsthema zu unterstützen und die Resultate zu begutachten.“ Durch die Einführung von Gender Mainstreaming in der Organisation des Arbeitsmarktservice soll sich die Verantwortlichkeit für das Gleichstellungsthema ändern. „Es handelt sich jetzt darum, die Verantwortlichkeit an alle zu übergeben und die Rolle der Frauenreferentin zu verändern, in dem Sinn, dass nicht mehr sie allein die Arbeitsmarktpolitik für Frauen erledigt, sondern als Gleichstellungsexpertin zur Dialogpartnerin für die Organisation wird. [...] Ihre Funktion ist Unterstützung und Controlling, die Verantwortlichkeit für das Tun liegt bei der Organisation.“ Um der Frage nachzugehen, wieweit die Implementierung von Gender Mainstreaming im AMS tatsächlich bereits als transformativer Prozess (bzw. zumindest als dessen Beginn) gesehen werden kann, haben wir zwischen Juni 2002 und März 2003 insgesamt 40 ExpertInnen befragt. Als ExpertInnen definierten wir Personen, die sowohl bei der Gestaltung der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung als auch ihrer Umsetzung mitwirken. In erster Linie
114
Die Umsetzung beschränkte sich eher auf die hierarchisch unteren Ebenen im AMS, auf der Leitungsebene erreichten Frauen wenige Stellvertreterinnenpositionen (Leitner/Kreimer 2003, 38f). 115 Dieser Prozess sollte planmäßig bis 2004 abgeschlossen sein; vgl. Leitner (2007) für die Details der formalen Verankerung von Gender Mainstreaming. 116 Grundsätzlich ist die Funktion der Frauenreferentin im AMS nicht auf Frauen beschränkt, sondern könnte auch von Männern ausgeübt werden. Wenn im Folgenden immer nur von Frauenreferentinnen mit kleinem „i“ die Rede ist, trägt dies dem praktischen Umstand Rechnung, dass es de facto nur Frauen sind, die diese Funktion bislang eingenommen haben. 117 Interview mit Dr.in Herta Kindermann-Wlasak in esf-news Nr. 13, 2002, Seite 7.
310
Gender Gap und Gleichheit
interessierten uns die Sichtweisen von AkteurInnen des AMS (28 Interviews118). Die Interviews wurden leitfadenunterstützt durchgeführt und computergestützt ausgewertet.119
B
Neue Strategie: Was ändert sich für die Frauenreferentinnen?
Frauenförderung ist im AMS schon verhältnismäßig lange verankert, allerdings erlebten die Frauenreferentinnen ihre Tätigkeit als wenig definierte „Nebentätigkeit“ neben ihren Beratungs- oder sonstigen Tätigkeiten im AMS: „Frauenreferentin war eine Position am Papier viele Jahre lang und war immer unbeliebt, auch von den Frauen, die es gemacht haben. Weil auch wirklich keine Akzeptanz da war.“ (I23)120 Was bewegt werden konnte, hing entscheidend vom Engagement der jeweiligen Referentin und von der Unterstützung der entsprechenden Leitung ab. Die Institutionalisierung und die Akzeptanz der Position der Frauenreferentinnen selbst wurden als eher gering wahrgenommen. Dies trifft sich mit anderen Erfahrungen und Erkenntnissen zur Frauenförderung bzw. zu den „Institutionenfrauen“ (Wiechmann/Kißler 1997, 19), wonach Frauenförderung in der Praxis häufig in einer Ghettosituation in der Organisation verharren muss und kaum Handlungsspielraum für die zentralen AkteurInnen besteht. Henninger (2000, 169f) stellt fest, dass es zu Problemen kommt, wenn die Frauenförderung nicht in die normale Organisationsstruktur integriert wird, sondern spezielle Funktionen geschaffen werden, zumeist mit unklaren Aufgabenstellungen und wenig bis gar keinen Ressourcen. „Die Umsetzung der Frauenförderung wurde damit an Spezialistinnen delegiert, die innerhalb ihrer Organisation isoliert blieben“ (ebd., 170). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Halford et al. (1997) und Wiechmann/Kißler (1997). Mit der Einführung von Gender Mainstreaming sind alle AkteurInnen der Organisation in Bezug auf die Geschlechtergleichstellung gefordert. Dies müsste sich nicht nur auf die Akzeptanz der Frauenreferentinnen als zentrale Akteurinnen der Gleichstellungspolitik auswirken, sondern auch ihre Rolle verändern – von den Kämpferinnen für Frauenfördermaßnahmen zu Gender-Expertinnen, die die Organisation in der Umsetzung von Gleichstellungspolitik unterstützen. Wie nehmen die Frauenreferentinnen diese Veränderungen tatsächlich wahr? Die Einführung von Gender Mainstreaming hat in der ersten Phase die Position der Frauenreferentinnen im AMS jedenfalls verbessert. Sie sind strukturell besser verankert, und die Akzeptanz ihrer Funktion ist gestiegen.121 Das Tätigkeitsprofil hat sich damit vom operativen Bereich (Hauptverantwortliche für die Arbeitsmarktpolitik für Frauen) zum 118
Interviewt wurden LeiterInnen auf den Ebenen der Bundes-, Landes- und Regionalgeschäftsstellen des AMS, Frauen- bzw. Gender Mainstreaming-Beauftragte, MitarbeiterInnen mit Frauen- bzw. Gender Mainstreaming-Agenden, MitarbeiterInnen der Controlling- und Förderabteilungen. Die 12 Interviews mit ExpertInnen außerhalb des AMS (v.a. in Ministerien) dienten als Vergleichsfolie und Referenzgruppe für das AMS (zu den Ergebnissen vgl. Leitner/Kreimer 2003, 171ff). Im Folgenden wurden diese Interviews nicht verwendet, weil es um die Prozesse innerhalb des AMS geht. 119 Weitere Details zur Methode sind im Endbericht (Leitner/Kreimer 2003) zu finden, zur Methode der ExpertInneninterviews vgl. die Arbeiten in Bogner et al. 2002, insbesondere Leitner/Wroblewski 2002. 120 Die Angaben in ( ) bezeichnen die Interviews. Im Projektbericht (Leitner/Kreimer 2003) sind die Befragungsergebnisse ausführlich dargestellt, dort findet sich auch eine Liste aller Interviewten. 121 Über die Richtlinie für Frauenreferentinnen wurde deren Aufgabenprofil konkretisiert und auf der Ebene der Landesgeschäftsstellen eine halbe Planstelle zugeordnet. Ihre Teilnahme an den diversen Prozessen ist über die Richtlinie definiert und akzeptiert.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
311
strategischen Bereich (Prozessgestalterin und Controllerin) verlagert.122 Diese entgegen den Befürchtungen mancher KritikerInnen des Gender Mainstreaming eingetretene Positionsverbesserung dürfte mehrere Ursachen haben: Es gab bereits vor Gender Mainstreaming ein funktionierendes – wenn auch nicht gut abgesichertes und in der Gesamtorganisation anerkanntes – Netzwerk der Frauenreferentinnen, über das Verbesserungen schon lange und stetig gegenüber der Organisation eingefordert wurden. Die Arbeitsmarktpolitik ist über die Europäische Beschäftigungsstrategie und den Europäischen Sozialfonds zentraler Anwendungsbereich für Gender Mainstreaming.123 Von Seiten der Leitung des AMS gab es bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein gewisses Bekenntnis zur Bedeutung der Frauenförderung (z. B. Wiedereinsteigerinneninitiative). Diese doch recht spezifischen Ursachen zeigen, dass es stark darauf ankommen dürfte, wie der Boden, in den Gender Mainstreaming eingepflanzt werden soll, bereits in Bezug auf die Frauenförderung „gedüngt“ ist. Zudem verweist der zuerst genannte Punkt auf die Bedeutung der Bereitschaft der bisherigen Hauptakteurinnen der Frauenförderung, Gender Mainstreaming-Aufgaben zu übernehmen und die Implementierung des Konzepts wesentlich zu tragen.124 Gestiegene Akzeptanz und Legitimität von Gleichstellungspolitik sowie ihrer AkteurInnen bedeutet noch nicht automatisch mehr Spielraum für Gleichstellungspolitik bzw. mehr Erfolge in der Gleichstellungspolitik. Dies gilt für die Ministerien sehr deutlich, Sauer (2004, 178) spricht von einer „erfolgreich gescheiterten“ Einführung von Gender Mainstreaming in Österreich: Bisherige Frauenpolitik wird unter neuem Namen weitergeführt, frauenpolitische Maßnahmen werden zu Gender-Mainstreaming-Maßnahmen. Für das AMS wäre es aber falsch, von Scheitern zu sprechen, wenngleich sich auch einige deutliche Relativierungen in den Interviews zeigten: Die Akzeptanz war vor allem auf der Führungsebene zu spüren, sank allerdings deutlich von oben nach unten. Je konkreter es um arbeitsmarktpolitische Problemstellun122
Dies gilt jedoch nicht für alle Ebenen gleichermaßen. Am ehesten tritt es auf die Bundesebene zu, die AkteurInnen der Frauenabteilung arbeiten an der Umsetzung von Zielvorgaben, an der strategischen Planung und Schwerpunktsetzung mit und sollen hier jeweils eine umfassende Gleichstellungsperspektive einbringen. Auf der Ebene der Länder (LGS) liegen die Aufgabenschwerpunkte weiterhin auf der Entwicklung und Konzeption von Frauenqualifizierungsprojekten und der internen Vernetzungsarbeit, weniger im Bereich Controlling und Steuerung. Auf regionaler Ebene (RGS) änderte sich das Tätigkeitsfeld für die Frauenreferentinnen durch die Übernahme der Gender Mainstreaming Verantwortung kaum, diese Frauen verstehen sich überwiegend als „Anwältinnen“ für die Kundinnen des AMS und weniger als Expertinnen für Gender-Fragen, die die Geschäftsführung beraten und unterstützen sollen. 123 Auf europäischer Ebene muss kritisch angemerkt werden, dass sich Gender Mainstreaming fast ausschließlich als beschäftigungspolitische Strategie findet, während die Kernthemen wie Landwirtschaft, Transport und der Erweiterungsprozess nicht berührt werden (Frey 2004, Woodward 2001). 124 Eine ähnliche Diagnose stellt Sauer (2004) für die Implementierung von Gender Mainstreaming in Österreich auf der Bundesebene. Da der Implementierungsstart mit dem Regierungswechsel 2000 zusammengefallen ist, war die Befürchtung besonders groß, dass es zu einer Verdrängung frauen- und gleichstellungspolitischer Institutionen und Instrumente kommen könnte. Die gleichstellungspolitischen AkteurInnen definierten sich als Gender Mainstreaming-Beauftragte und konnten – auch mit der Europäischen Union im Rücken – mehr Legitimität für frauenpolitische Maßnahmen erhalten (Sauer 2004, 179). Dies funktionierte sogar gegenüber einer konservativen Regierung, die von Anbeginn an eine traditionelle, stark familienpolitisch orientierte Geschlechterpolitik propagierte (vgl. auch Kreisky et al. 2003).
312
Gender Gap und Gleichheit gen geht, desto schwieriger wird das Einbringen einer gleichstellungsorientierten Perspektive, denn „da geht es um primäre Geschichten“ (I21) – wozu das Geschlechterverhältnis offenbar nicht zählt. Zudem spüren die Frauenreferentinnen zunehmend Skepsis gegenüber der noch immer sehr vagen Umsetzung von Gender Mainstreaming. Die Last, den KollegInnen zu erklären, was das denn wirklich sei, nahm zu, und parallel dazu wurden Befürchtungen geäußert, aus dieser Vagheit heraus den Boden zu verlieren: „Die Gefahr ist gegeben, dass man jetzt sagt, wir tun jetzt alles gendern, und da brauchen wir keine Frauenförderung mehr“ (I26). Frauenreferentinnen spielen als wichtige Know-How-Trägerinnen im Gender Mainstreaming Prozess eine entscheidende Rolle als Gender-Expertinnen (siehe unten Punkt C). Nun bestätigen alle Frauenreferentinnen, dass es keine zusätzlichen Ressourcen für Gender Mainstreaming gibt. Die Verbreiterung der gleichstellungspolitisch Agierenden im Sinne von „alle machen Gleichstellungspolitik“ ist und bleibt eine höchst theoretische Ressource. Und manche erfahren sogar die eingangs erwähnte verbesserte Institutionalisierung der Funktion der Frauenreferentin als Ressourcenreduktion, was die Gesamtarbeit des AMS betrifft.125
Die erhöhte Akzeptanz der Frauenreferentinnen erweist sich somit als zweischneidig: Mit dem (formalen) Bekenntnis zu Gender Mainstreaming braucht die Organisation GenderExpertInnen und weist diese Funktion den Frauenreferentinnen zu – die diese Rolle auch annehmen, gerade weil sie sich aus einer Verbesserung ihrer Funktion mehr Gestaltungsmöglichkeiten erwarten. Materiell hat sich jedoch sehr wenig bis gar nichts verändert, die Frauenreferentinnen haben Aufgaben dazu bekommen ohne entsprechende Ressourcen und Kompetenzen. Auf die Veränderungen durch Gender Mainstreaming konkret angesprochen, bringt es eine Frauenreferentin auf den Punkt: „Aber so signifikant geändert hat sich da nicht wirklich etwas“ (I21).
C
Neue Aufgaben: Von der Frauenreferentin zur Gender Expertin?
Gender Mainstreaming verlangt eine geschlechtssensible Perspektive von allen AkteurInnen einer Organisation. Da diese Perspektive nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, spielen in den Implementierungskonzepten Gender-Trainings und GenderExpertInnen eine zentrale Rolle. Während erstere von Organisationen zugekauft werden können,126 sind organisationsinterne Gender-ExpertInnen für die Bereitstellung von Gender-Wissen zuständig, und sie sind in „alle“ Abläufe eingebunden, um dort ihre GenderKompetenz und ihr Wissen einzubringen. 125
Die Akteurinnen sehen Beschränkungen aufgrund mangelnder Ressourcen in finanzieller und zeitlicher Hinsicht (Maßnahmen bzw. Arbeitsressourcen) sowie häufig in Bezug auf Daten, Statistiken und Wissen. 126 Gender-Trainings sind eng mit dem Professionalisierungsprozess in einem neuen Berufsfeld – dem der Gender-ExpertInnen (hier selbstverständlich mit großem „I“) – verbunden. Über Gender-Trainings soll die Sensibilisierung aller AkteurInnen in Organisationen laufen, in den Händen der in diesen Trainings tätigen ExpertInnen liegt somit in wesentlicher Weise die Entwicklung der Frauen- und Geschlechterpolitik (Bereswill 2004, 60). Nicht der Professionalisierungsprozess als solcher, sondern genau diese Verlagerung der Definitionsmacht nicht nur über Gleichstellungspolitik, sondern auch über die Kategorie Gender, wird von Kritikerinnen wie Wetterer (2002a), Bereswill (2004), oder Frey (2003) hinterfragt.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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Die Frauenreferentinnen im AMS haben (in unterschiedlicher Intensität) den langfristigen Wandel ihrer Rolle in Richtung einer Gender-Expertin akzeptiert – kurzfristig üben sie beide Rollen aus. Als Gender-Expertin könnten sie sich nicht mehr um Details kümmern und wären daher auf Kooperationen und Zuarbeiten außerhalb des eigenen Netzwerks angewiesen. Ihr Aufgabengebiet müsste sich durch die Implementierung von Gender Mainstreaming deutlich geändert bzw. erweitert haben. Und sie bräuchten Ressourcen, um all diese Aufgaben erfüllen zu können, um ihr „Gender-Wissen“ zu aktualisieren (z.B. Ressourcen und Angebot für die eigene Weiterbildung), um die Abläufe und Steuerungsmechanismen der Organisation zu kennen, um adäquate Daten und Statistiken einzufordern und bei deren Erstellung Hilfestellungen zu leisten, um Kontrollinstanzen zu installieren und zu betreiben, usw. Beides ist, so zeigten Interviews, nicht gegeben: An den inhaltlichen Aufgabenstellungen hat sich erstens kaum etwas verändert, die Frauenreferentinnen auf Regional- und Landesebene erfüllen nach wie vor primär Frauenförderaufgaben.127 Auf der BGS-Ebene entsprechen die Aufgaben zwar eher dem Konzept von Gender Mainstreaming, weil es hier um strategische Planung und Schwerpunktsetzungen geht. Allerdings war diese Aufgabenstellung auch vor der Einführung von Gender Mainstreaming bereits gegeben. Zweitens wird einheitlich festgestellt: “Es gab keine zusätzlichen Ressourcen. Es ist noch nie etwas, das für Frauen interessant wäre, von vornherein mit Ressourcen ausgestattet gewesen“ (I24). Es schwingt eine bemerkenswerte Mischung aus Resignation und Engagement mit, wenn dieselbe Befragte weiter meint: „Das ist ja auch unser Geschäft, genau dafür Raum zu schaffen. Wenn es das von vornherein gäbe, dann könnten wir uns das sowieso sparen” (I24). Wenn Gender Mainstreaming als Managementkonzept, als innovative Strategie im Restrukturierungsprozess verstanden wird – und vieles in den Äußerungen der ManagerInnen im AMS weist darauf hin (siehe unten) –, dann ist diese fehlende Ausstattung mit Ressourcen umso mehr ein Hinweis auf die nachrangige Bewertung von Gleichstellungspolitik durch die Organisation. Schließlich ist kein Qualitätsmanagementprozess ohne Ressourcen und somit ohne Kosten umsetzbar. Und damit schließt sich der Kreis: Theoretisch wissen die Frauenreferentinnen um die Potenziale des Gender Mainstreaming Konzepts, um die neue Rolle, die sie als Gender Expertinnen eigentlich innehätten, um die neuen Aufgaben, die sie, aber auch alle anderen AkteurInnen zu erfüllen hätten. Sie würden gerne in diese Richtung gehen, fordern daher inhaltlich klare Vorgaben und klare Funktionen und tatsächlich die Zuständigkeit „aller“ für Gender Mainstreaming. Einige wenige gehen sogar so weit, dass sie das Fernziel der Abschaffung ihrer Position als Frauenreferentinnen angeben können – entsprechend einer vollständigen Transformation von Frauenförderung in eine neue Form der Gleichstellungspolitik. Aber nicht nur dieses Fernziel ist außer Sichtweite, auch bei weniger ambitionierten Interpretationen des innovativen Potenzials von Gender Mainstreaming fehlt nach den Erfahrungen der Frauenreferentinnen noch viel zu viel. Sie sehen daher praktischpragmatisch Gender Mainstreaming primär als Strategie, um Frauenförderung im AMS besser als bisher umsetzen zu können.
127
Sie sind in der konkreten Maßnahmenplanung und –gestaltung tätig und vertreten die Interessen der Kundinnen des AMS gegenüber der Organisation in der Maßnahmenentwicklung, sowie über die Zusammenarbeit mit bestimmten Firmen bei Qualifizierungen, in der Öffentlichkeitsarbeit für Frauen und Mädchen u.a.m.
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Gender Gap und Gleichheit
Konzeptionell ist die Frage zu stellen, ob es zielführend ist, die Aufgaben der „Frauenförderin“ und die der „Gender-Expertin“ einer Person zuzuweisen.128 Dem Vorteil, direkt am Wissen über geschlechtsspezifische Benachteiligungsstrukturen und Probleme anschließen zu können, stehen mehrere potenzielle Nachteile gegenüber: Gender Mainstreaming ist die umfassendere Strategie, weil sie beide Geschlechter in den Blick nimmt – und daher auch Maßnahmen hervorbringen kann, die mit der Frauenförderung in Konflikt stehen. Die Gender-Expertin vertritt nicht nur die Anliegen der Frauen, sondern ist für die Sensibilisierung aller AkteurInnen für Gleichstellungspolitik mitverantwortlich: Diese sollen lernen, eine geschlechtsdifferente Folgenabschätzung des eigenen Handelns zu unternehmen und ihr Handeln gegebenenfalls auch zu revidieren (Bereswill 2004). Abgesehen von der potenziellen strukturellen Überforderung aller AkteurInnen angesichts dieses Anspruchs stellt sich die Frage, ob diese Reflexion über Wissen und Handeln in paralleler Weise für Frauenförderangelegenheiten und GenderProblemstellungen überhaupt möglich ist. Gender-Trainings und Gender-Kompetenzstellen sollen, so der Tenor in den wachsenden Ratgebern zur Implementierung von Gender Mainstreaming, gemischt geschlechtlich durchgeführt werden. Dies würde das bestehende und unserer Erfahrung nach gut funktionierende Netzwerk der Frauenreferentinnen im AMS jedenfalls verändern. Und schließlich müssen sich die allumfassend zuständigen Gender-Expertinnen in ihrer Kritik an der Gleichstellungspolitik der Organisation zurücknehmen – sie kritisieren sich ja ein Stück weit selbst. Im Zeitraum der Interviews sahen die Frauenreferentinnen die hier angesprochenen Probleme (noch) nicht, betont wurden vor allem die Gestaltungspotenziale einer Verknüpfung von Gender Mainstreaming und Frauenförderung. Zudem wurde auf die externe Kompetenzstelle, die Gender Mainstreaming Koordinationsstelle129 verwiesen, die die Frauenreferentinnen bei ihren Gender-Agenden unterstützt. Die bereitwillige Übernahme der Aufgaben der Gender-Expertin mag auch darin begründet sein, dass die Frauenreferentinnen eine Tendenz von vornherein ausschalten wollten: dass Gender Mainstreaming zu einer reinen bürokratischen Strategie verkommt, zu automatisiertem Verwaltungshandeln ohne jeglichen bzw. zumindest ohne fundierten emanzipatorischen Anspruch (siehe Kap. 5.2.2). Dennoch bleibt aus konzeptioneller Sicht anzumerken, dass die organisationsinternen Strukturen der Gender Mainstreaming Implementierung im AMS bislang zu wenig ins Blickfeld genommen wurden, dass ein tatsächlicher Organisationsentwicklungsprozess rund um Gender Mainstreaming (z.B. Woodward 2001 und 2004) noch nicht wirklich in Angriff genommen wurde – auch wenn in den Managementaussagen ein solcher Prozess durchwegs bereits angekündigt wurde (siehe unten).
128
In der BGS wurde dies anfangs auch nicht so gemacht, vgl. Leitner/Kreimer 2003. Die Koordinationsstelle für Gender Mainstreaming im Europäischen Sozialfonds wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Rahmen des Ziel-3-Programms im Jahr 2000 eingerichtet und begeleitet den Gender Mainstreaming Prozess mit Information, Vernetzung und Beratung bis 2007. Umfangreiche Berichte und Dokumentationen können auf http://www.lrsocialresearch.at/ unter Gender Mainstreaming eingesehen werden (August 2008).
129
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming D
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Neue Inhalte: Geschlechterdemokratie statt (formaler) Chancengleichheit?
Dass Gender Mainstreaming nicht nur eine Methode ist, sondern eine klare gleichstellungspolitische Strategie beinhaltet, darüber herrscht unter den mit Chancengleichheit befassten AkteurInnen kein Zweifel. Sie haben sich auf eine gemeinsame und weitgehende Zielsetzung geeinigt, die ihnen auch als Grundlage für Gender Mainstreaming dienen soll: „Frauen und Männer sind gleichermaßen in das Erwerbsleben integriert, auf existenzsichernde, ökonomische Unabhängigkeit gewährleistende Arbeitsplätze. Frauen und Männer verteilen sich gleichermaßen über das Berufsspektrum und auf hierarchische Ebenen.“ (I16). Diese Zielsetzung geht über formale Chancengleichheit hinaus und überschreitet zudem auch den direkten Wirkungskreis der Arbeitsmarktpolitik;130 sie entspricht einem substanziellen Gleichheitsansatz mit Fokus auf den Erwerbsarbeitsmarkt. Außerhalb des Kreises der gleichstellungspolitischen AkteurInnen bestehen Zweifel ob der Umsetzbarkeit einer solch weitgehenden Zielsetzung, die auch an die Frauenreferentinnen herangetragen werden. „Ich glaube, bis heute sind wir uns nicht ganz einig im Arbeitsmarktservice, was wirklich darunter zu verstehen ist. Auf einer abstrakten Ebene natürlich schon, aber auf der operativen?“ (I19) Und wenn AkteurInnen diese umfassende Zielsetzung insofern hinterfragen, ob die Frauen überhaupt so integriert sein wollen „in die harte Arbeitswelt, in diese Ellbogenkämpfe, in diesen Stress, wie es die Männer haben. Wollen die überhaupt diese Karriere machen und sich das antun“ (I19), treffen sich diese praktischen Zweifel mit der theoretischen Kritik, ob hier nicht nur eine Angleichung an die männliche Norm erreicht werden soll. Wie „Gleichheit ohne Angleichung“ erzielbar ist, führt uns wiederum in die Gleichheit und Differenz Debatte (siehe Kap. 5.1). Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage muss Teil einer Gleichstellungsstrategie sein und daher auch Teil der Sensibilisierung aller AkteurInnen einer Organisation für Gleichstellungsfragen. Die Frauenreferentinnen sehen konkrete Defizite in der inhaltlichen Gestaltung der Gleichstellungspolitik: Quantitative vs. qualitative Zieldefinition und -konkretisierung: Die oben genannte Zielsetzung kann nicht nur quantitativ angelegt sein, sondern muss qualitative Aspekte umfassen. Wenn jedoch diese Ziele ausschließlich in quantitative Zielvorgaben übersetzt werden, die wiederum an quantitative Indikatoren gekoppelt werden, um die Zielerreichung leichter messbar zu machen, bleiben die qualitativen Aspekte unberücksichtigt. „Abgänge in Arbeit zu produzieren, hat keine qualitative Dimension drinnen. Und dies ist natürlich kontraproduktiv gegenüber qualitativen Ansinnen. Frauen sollen höher qualifiziert werden, bessere Jobs kriegen, das ist da alles nicht drinnen“ (I12). Konflikte mit den Zielvorstellungen der KundInnen: Im Sinne der Dienstleistungsorientierung des AMS ist es die Aufgabe der Beratung, „zufriedene KundInnen zu produzieren“,131 im Sinne der Chancengleichheitszielsetzung sind aber häufig langfristige, teurere und vor allem auch für die Kundin aufwendigere Maßnahmen angebracht, die diese in ihrer derzeitigen Situation aber ablehnen. Die engagierten BeraterInnen, die 130
Dementsprechend tragen zwar alle Frauenreferentinnen auf BGS- und LGS-Ebene die Definition mit, schätzen aber die Umsetzungsmöglichkeiten unterschiedlich ein. 131 Im Rahmen des Qualitätssicherungsmodells (EFQM) wird die KundInnenzufriedenheit erhoben und evaluiert.
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Gender Gap und Gleichheit um die potenziellen negativen Folgen von Jobs in traditionellen Berufen oder von Teilzeitjobs auf die Karrieren von Frauen wissen und dementsprechend beraten und lenken wollen, geraten damit in eine schwierige Situation.132 Erfüllen sie den Kundinnenwunsch, stellen sie diese selbst (zumindest kurzfristig) und die Organisation zufrieden, handeln aber gegen ihr Gleichstellungsziel, aber auch gegen ihr praktisches Wissen, wonach beispielsweise Stellen im Reinigungsgewerbe in der Regel keine langfristige Lösung für eine eigenständige Arbeitsmarktintegration darstellen (I12).
Ersteres rührt an die Frage der Indikatorenentwicklung für qualitative Aspekte, wozu es mittlerweile Bemühungen auf EU-Ebene gibt (Rubery et al. 2002), die allerdings erst auf die Ebene der aktiven AMP hinuntergebrochen werden müssen. Zweiteres betrifft die schwierige Frage, „was Frauen wollen“ und wie ihre (kurzfristigen) Wünsche von der Politik aufgenommen und behandelt werden. Die Erfahrungen aus dem „Hemmnisse-Projekt“ (siehe Kap. 3.2 und Kapeller et al. 1999) lassen den Schluss zu, dass es nicht angehen kann, Arbeitsmarkt- oder Gleichstellungspolitik auf ein aktuell artikuliertes „Wollen“ von betroffenen Frauen abzuwälzen. BeraterInnen können nur auf der Basis einer fundierten Gleichstellungszielsetzung, die in der Organisation klar verankert und transparent ist, Maßnahmen vorschlagen, ebenso bedarf die Maßnahmengestaltung einer solchen Fundierung.133 Nur so ist Politik in ihrer Umsetzung glaubwürdig.
E
Neue Kooperationen: Alle sind zuständig, und niemand ist verantwortlich?
Bislang schienen Frauen und Männer in der Gleichstellungspolitik weitgehend getrennte Wege zu gehen. Es waren primär Frauen, die sich für Gleichstellungspolitik engagierten, die die rechtliche Gleichbehandlung von Frauen und spezifische Maßnahmen für Frauen zum Abbau ihrer Benachteiligungen gefordert und in den Institutionen geplant und umgesetzt haben. So auch im AMS: Frauenreferentinnen kamen und kommen ohne großes „I“ aus. Mit Gender Mainstreaming soll alles anders werden: Die Geschlechterverhältnisse sollen von allen AkteurInnen in allen politischen Prozessen berücksichtigt werden, und die Verantwortung dafür liegt auf der Leitungsebene. Männer sind damit nicht nur aufgerufen in der Gleichstellungspolitik aktiv mitzuwirken, sondern tragen, nachdem die Führungsebene mehrheitlich männlich besetzt ist, auch die Hauptverantwortung für die Umsetzung. Wie kooperieren nun die neuen „Hauptzuständigen“ mit den alten „Frauenförderspezialistinnen“? Diese Frage lässt sich in Anlehnung an die Überlegungen zur Implementierung in 5.2.2 in mehrere Teilfragen auftrennen: Ist es notwendig, „Köpfe“ zu ändern? Wie wichtig ist Engagement? Reicht es, Gender überall „mitzudenken“, oder braucht es einen expliziten Veränderungsansatz?
132
Zum einen variieren traditionelle Geschlechtsrollenstereotypen zwischen den Bundesländern und darin nochmals zwischen den Regionen; zum anderen überdeckt die regionale Arbeitsmarktlage allfällige Versuche von Frauen und/oder BeraterInnen, neue Wege einzuschlagen. 133 Teil dieser Fundierung ist die Auseinandersetzung mit Zielprioritäten und Zielkonflikten. Der Wechsel zwischen einer kurzfristigen pragmatischen und einer langfristigen strategischen Gleichstellungsstrategie (Lutz/Pimminger 1999) kann nicht beliebig bzw. auf Wunsch der KundInnen erfolgen.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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Die „ManagerInnen“134 stehen für einen „technokratischen Ansatz“: Gender Mainstreaming sei ein Organisationsprinzip wie viele andere, das durch einen entsprechenden Einbau in die Organisationsstruktur top-down ohne die Befassung mit Werten und Normen umsetzbar sein müsste. „Vorher [vor Gender Mainstreaming, M.K.] war es ein moralischer Anspruch, der schon auch etwas bewirkt hat und im gewissen Sinne handlungsleitend war, aber nicht managebar war, sondern immer davon abhängig, ob es gelingt, dieses moralische Konzept auch in den Köpfen der Akteure vor Ort zu verankern. … Wir versuchen ein Managementsystem aufzubauen, das tatsächlich die Führungskräfte in die Lage versetzt, einzugreifen in das, was die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tun in der Verfolgung des Gleichstellungsziels“ (I19). Der moralische Anspruch hinter der Frauenförderpolitik war nicht zu managen, genau dies soll sich mit Gender Mainstreaming ändern. Die Frauenreferentinnen gehen davon aus, dass es als Voraussetzung einer erfolgreichen Implementierung von Gender Mainstreaming in einer Organisation einer „Veränderung der Köpfe“ bedarf, also sowohl einer Befassung mit Normen und Rollenbildern als auch einer Veränderung der eigenen Haltung, sofern diese der Gleichstellungszielsetzung widerspricht. „… ich bin bekannt dafür, mit meinem Team, dass ich tolle Papiere schreiben kann, aber das reicht da nicht. Und auch Auswerten reicht nicht. Da muss sich Kultur und Kopf bewegen“ (I15). Dieser in den Interviews recht deutlich zum Vorschein gekommene Gegensatz zwischen den beiden AkteurInnengruppen erweist sich bei genauerer Analyse als mehrdeutig. Es ist jedenfalls notwendig, zwischen dem Inhalt und dem Organisationsprinzip zu trennen. Inhaltlich fühlen sich auch die ManagerInnen der angeführten weit gefassten Chancengleichheitsdefinition verpflichtet,135 die Unterschiede scheinen auf der Organisationsebene zu bestehen. Während sich bei normativ konstruierter Frauenförderung der moralische Anspruch als hinderlich für die Umsetzung zu erweisen scheint (siehe obiges Zitat), erscheint Gender Mainstreaming als funktionales Konstrukt bzw. wird als funktionales Konzept vermarktet und kann ja auch gerade deswegen beim Management punkten. Die Gefahr dieser Herangehensweise besteht darin, dass ob dieser Funktionalität der Inhalt völlig abhanden kommt und Gender Mainstreaming sich auf angeordnetes Verwaltungshandeln ohne emanzipatorischen Anspruch reduziert (vgl. Wetterer 2002a, Frey 2004). Konzeptionell sind Inhalt und Organisationsprinzip nicht zu trennen (vgl. Stiegler 1998 und 2002).136 Dies zeigt sich unter anderem an der im Konzept verankerten Notwendigkeit der Sensibilisierung über Gender-Trainings – was ja gerade auf die „Köpfe“ zielt (vgl. Blickhäuser/von Bargen 2003). Gender Mainstreaming setzt bei allen AkteurInnen die grundsätzliche Fähigkeit und Bereitschaft voraus, diskriminierende Strukturen als solche zu erkennen. Das „Köpfe-Ändern“ beim Management ist somit Teil des Konzepts, die Reduktion auf das technokratische Umsetzen eine unzulässige Vereinfachung.137 134
In der empirischen Erhebung: LeiterInnen auf allen Ebenen des AMS. Wie weit hier trotzdem Unterschiede in der Definition existieren bzw. wie weit die ManagerInnen tatsächlich hinter der weit gefassten Definition stehen, lässt sich anhand der ExpertInneninterviews nur schwer eruieren. 136 Diese Argumentation beruht u.a. auf der Geschichte des Konzepts, das aus der Frauenbewegung kommt und immer mit einem substanziellen Gleichheitskonzept verbunden war bzw. ist (vgl. z.B. Stiegler 2005). 137 Hier schließt sich eine Frage an, die wir anhand des gegebenen Materials nicht beantworten können: Reicht es, wenn die Führungsebene die „richtigen“ Köpfe hat und der Rest funktioniert per Anweisung top down, ohne Gender-Trainings und Bewusstseinsbildung für die BeraterInnen und ControllerInnen? Reicht es, wenn diejenigen, die das Regelwerk definieren, wissen, was sie wollen und was sie tun, also ein Gleichstellungsziel klar definiert verfolgen? Die Ausführenden lernen quasi „im Tun“, bis die Umsetzung der Gleichstellungspolitik so selbstverständlich ist, dass sich damit auch die Praxis ändert. Die Praxis zeigt jedenfalls, dass Dispute und Widerstände 135
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Gender Gap und Gleichheit
Die Frage reduziert sich dann darauf, wie ernst die Managementebene die Implementierung von Gender Mainstreaming nimmt, wie sehr die Führungskräfte bereit sind, sich das erforderliche Wissen anzueignen, Gender-Kompetenz zu erwerben, anzuwenden und diesbezüglich mit den Frauenreferentinnen zu kooperieren. Aus den Interviews lässt sich keine eindeutige Antwort ablesen, einmal mehr dürften der individuelle Zugang zur Gleichstellung, sowie das Engagement und der Druck von Seiten der Frauenreferentinnen großes Gewicht haben. Dies führt uns zum zweiten Teil der Frage: Wie wichtig ist Engagement? Obwohl Gender Mainstreaming programmatisch in die Organisation und die Struktur des AMS eingebunden ist und stärker als bei den anderen arbeitsmarktpolitischen AkteurInnen von der Leitungsebene mitgetragen wird, sehen die Frauenreferentinnen persönliches Engagement als Voraussetzung für den Erfolg von Gender Mainstreaming. In der Konsequenz setzen sie sich dafür ein, dass Gender Mainstreaming in der Organisation stärkere Akzeptanz findet und die Beliebigkeit verliert. Gleichzeitig verbinden sie dies mit ihrem konkreten Engagement auf Maßnahmenebene. Auf der Seite der ManagerInnen spielt Engagement in den Interviews keine Rolle, was anknüpfend an die obigen Überlegungen zu Gender Mainstreaming als Organisationsprinzip auch erwartet werden kann. Die damit verbundene Gefahr ist die der Neutralisierung von Hierarchien, von Machtfragen und Machtkonflikten (Bereswill 2004). Selbst nach erfolgter Implementierung von Gender Mainstreaming bleibt das Erfordernis nach einer engagierten Kontrolle dieses Prozesses, nach ständigem Einmahnen der Gender-Perspektive, nach Weiterentwicklung. Gleichstellungspolitik wird auch unter der Strategie des Gender Mainstreaming nicht als Automatismus funktionieren. Die zuvor angestellten Überlegungen zu Zielkonflikten gelten unabhängig von der Chancengleichheitsdimension oder der Organisationsstruktur. Solange es viele Ziele bei knappen Mitteln gibt, stellt sich die Frage nach den Prioritäten immer wieder neu und muss beantwortet werden. „Jetzt habe ich eh schon meine Bundesziele und dann multipliziert mit zwei, worauf schaue ich? Ich kann nicht 16 Ziele verfolgen. Von einer Führungskraft würde ich erwarten, dass sie da einfach Prioritäten setzt“ (I10). In der dritten Frage geht es um einen Aspekt der Umsetzung der Gleichstellungspolitik. Gender Mainstreaming verlangt die Anwendung der Gender-Perspektive in allen Prozessen bei allen Maßnahmen. Um Gender-Aspekte mitzudenken, benötigen die AkteurInnen Daten und Ergebnisse, die auch von außen kommen können. Sie müssen unterschiedlichste Maßnahmenalternativen mit ihrem Gender-Wissen beurteilen und dann Entscheidungen treffen, welche gleichstellungspolitisch zielführend sind bzw. welche dem Gleichstellungsziel so widersprechen, dass sie verändert werden müssen. Das Entwickeln neuer Maßnahmen mit dem expliziten Fokus auf Gleichstellung ist zwar möglich (wenn alle vorhandenen Maßnahmen unpassend sind), aber nicht die primäre Richtung dieser systematisch-analytischen „Gender-Prüfung“. Vor dem Hintergrund ihres Frauenförderansatzes gehen die Frauenreferentinnen dagegen eher von den Problemen ihrer Zielgruppen aus und versuchen, Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen, die diese Probleme lösen könnten. Das Ziel der „Veränderung“ im Sinne der betroffenen Frauen ist zentrale Antriebskraft ihrer Arbeit. Diese Vorgehensweise auch im Vollzug von Gender Mainstreaming auftreten (Stiegler 2005, 35), dass die Umsetzung des Konzepts innerhalb von Organisationen zu einem kontroversen Geschlechterdialog führen kann, dessen Ausgang offen ist. Aus diesen Erfahrungen heraus könnte die hier aufgeworfene Frage verneint werden.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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entspricht ihrem Verständnis als Frauenförderinnen, aber weniger jenem von Gender Mainstreaming: Weder das problemgruppenbezogene Vorgehen noch der Veränderungsaspekt sind primäre Aufgaben eines systematisch-analytischen Blicks auf das Geschlechterverhältnis, der zudem die Einbeziehung beider Geschlechter verlangt. Das Engagement der Frauenreferentinnen für Frauenförderung ist zwar nachvollziehbar aus der Erkenntnis, dass primär Frauen das benachteiligte Geschlecht darstellen und Frauenförderung daher eine Option und Konsequenz der Anwendung von Gender Mainstreaming ist: „Im Bereich der Erwerbstätigkeit finde ich ist Gender Mainstreaming zu 90 Prozent Frauenförderung, weil Frauen in diesem Bereich einfach noch immer einen ordentlichen Aufholbedarf haben“ (I24). Aber dieses Engagement verstellt ein Stück weit die Gender-Perspektive, d.h. die Einbeziehung von Männern unter gleichstellungspolitischen Aspekten. „In manchen Bereichen kann man sich überlegen, ob es von den Männern her auch Punkte gibt, kann ich mir vorstellen. Aber dann kommen wir auch in die Zielkonflikte hinein“ (I24).
F
Schlussfolgerungen
Die Implementierung von Gender Mainstreaming im österreichischen AMS trägt zur besseren Verankerung von Gleichstellungszielen bei, macht die Gleichstellung der Geschlechter als Thema und Problemstellung präsent. Bei den beiden zentralen Gruppen von AkteurInnen, den ManagerInnen und den Frauenreferentinnen, lassen sich unterschiedliche Sichtweisen auf Gender Mainstreaming identifizieren, die sich jedoch bislang im Sinne der obigen Feststellung ergänzen und eine spezifische Kooperation ergeben, die im Ergebnis der Frauenförderung im Vergleich zur Zeit vor der Verfolgung der Gender Mainstreaming Strategie nützt und Frauenförderung relativ aufwertet. Inwiefern unterscheiden sich die beiden Sichtweisen von ManagerInnen und FrauenreferentInnen? Die ManagerInnen agieren aus ihrer Sicht „politisch korrekt“, die Implementierung von Gender Mainstreaming ist ein politischer Auftrag, den sie, soweit es einfach geht (und wenig kostet) umsetzen und, das soll hier betont werden, dabei den meisten anderen Organisationen in Österreich klar voraus sind. Zum Zeitpunkt der Befragung war von einer expliziten Bereitschaft zum oder gar der Absolvierung von entsprechenden Gender-Trainings nichts zu bemerken, wobei wir das weniger als Ergebnis einer ablehnenden Haltung gegenüber solchen Sensibilisierungsmaßnahmen erfahren haben, sondern eher als angesichts der langen Tradition der Frauenförderung im AMS und der guten Arbeit der Frauenreferentinnen „nicht notwendig“. Damit bleibt jedoch das Potenzial organisatorischer Veränderungen durch Gender Mainstreaming ungenützt. Zwei abschließende Einschätzungen erscheinen zulässig, wobei aus den vorhandenen Interviews keine der beiden eindeutig bestätigt oder verworfen werden kann: Die erste folgt den Befürchtungen der Gender Mainstreaming KritikerInnen: AMSManagerInnen nutzen die Vagheit des Konzepts und die zugeordneten positiv besetzten Begriffe wie Management, Effizienz, Humanressourcennutzung, um ihr Gleichstellungsengagement politisch korrekt zu demonstrieren, obwohl sich real kaum etwas verändert hat. Die zweite Interpretation setzt potenziell am anderen Ende an und bezieht die Arbeitsmarktpraxis mit ein: Eine fundierte Umsetzung von Gender Mainstreaming könnte dann erfolgen, gäbe es dafür Spielraum im Budget, gäbe es Spielraum in der Orga-
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Gender Gap und Gleichheit nisation etc. Gleichstellung ist und bleibt eben kein gleichrangiges Ziel im Zielkatalog des AMS,138 wobei die Verantwortung für diese Nachreihung in der Prioritätenliste nicht bzw. nur zu einem kleinen Teil beim AMS selbst liegt.
Die Frauenreferentinnen agieren als klassische Frauenförderinnen, als femocrats, sie nutzen Gender Mainstreaming im AMS, um Frauenförderung institutionell voranzutreiben. Obwohl sie potenziell um die weitaus umfassendere Idee hinter dem Gender Mainstreaming wissen und dies als Fernziel für die Organisation auch umgesetzt wissen wollen, sehen sie aus ihrer problemorientierten Sichtweise heraus nach wie vor primär jene klassischen Problemstellungen, die Anknüpfungspunkte für Frauenförderung sind. Zudem können sie die Betonung der Frauenförderung im Sinne der „Doppelstrategie“ rechtfertigen, schließlich gilt es noch immer, jene Befürchtungen zu zerstreuen, Frauenförderung hätte in Zeiten von Gender Mainstreaming keine Berechtigung mehr. In dieser starken Betonung klassischer Frauenförderung nehmen sie sich allerdings ein Stück weit selbst gefangen, als sie zum einen die Implementierung von Gender Mainstreaming nicht wirklich kritisieren können – sie tragen sie ja schließlich entscheidend mit. Zum anderen müssen sie befürchten, durch zu viel Kritik mit der Definitionsmacht über Gender Mainstreaming auch die Basis für die verbesserte Frauenförderpolitik wieder zu verlieren oder zumindest nicht mehr erweitern zu können. Vorläufig, und solange keine stärkeren Vorgaben zur Umsetzung von Gender Mainstreaming von außen kommen, passen die Strategien der beiden Gruppen zusammen, stärken die Frauenförderpolitik im AMS, lassen die Potenziale von Gender Mainstreaming im Sinne einer Transformation der Gleichstellungspolitik wie auch der Organisationsentwicklung jedoch ungenutzt. Bei einigen Interviewten auf der Seite der Frauenreferentinnen war diesbezüglich bereits Unbehagen und Ungeduld zu spüren. Es wäre aber zu viel erwartet und würde dem Gender Mainstreaming Konzept ja auch klar widersprechen, würden wir die weitere Implementierung an die Entwicklung dieses Unbehagens knüpfen – im direkten Vergleich der beiden Gruppen von AkteurInnen sind eindeutig die ManagerInnen für die bisherige Umsetzung hauptverantwortlich.
5.2.4 Fazit: Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming – und zurück? Das Ziel dieses Kapitels war es, die Veränderung des gleichstellungspolitischen Potenzials in der Arbeitsmarktpolitik durch die Strategie des Gender Mainstreaming am Beispiel des AMS zu untersuchen. Im Mittelpunkt standen nicht die realisierten Wirkungen, d.h. wie gut Frauenförderung und Gleichstellungsmaßnahmen bislang vom österreichischen Arbeitsmarktservice umgesetzt werden konnten,139 sondern die möglichen Wirkungen, die Potenziale, die sich insbesondere aus der Implementierung der neuen Gleichstellungsstrategie des Gender Mainstreaming ergeben müssten. Wenn dieses Konzept die ihm zugeschriebene Innovationskraft (Woodward 2004) hat und die Gleichstellungspolitik dahingehend trans138
Praktisch-pragmatisch kommt hinzu, dass die Veränderungspotenziale in Bezug auf das Geschlechterverhältnis durch die Arbeitsmarktpolitik eher skeptisch eingeschätzt werden und die Veränderungspotenziale in Bezug auf die Organisation abstrakt bleiben. 139 Vgl. dazu beispielsweise Leitner/Wroblewski 2000a und 2000b, Wroblewski/Leitner 2004, Naylon/Weber 2000, Synthesis 2002.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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formiert, dass eine umfassende und nachhaltige Veränderung des Geschlechterverhältnisses erzielt werden kann, müsste das nach einem halben Jahrzehnt der Anwendung in der Politik, in den Organisationsstrukturen der zentralen Institution der österreichischen Arbeitsmarktpolitik – dem AMS – sichtbar und erfassbar sein. Das Ziel des diesem Abschnitt zugrundeliegenden Projekts war es, diesen Veränderungen nachzuspüren bzw. zu klären, wo weitere Potenziale liegen. In Kapitel 5.2.2 wurden rund um die Bereiche Ziele und Implementierung insgesamt acht Fragestellungen einer chancengleichheitsorientierten Arbeitsmarktpolitik entwickelt, die abschließend den Ergebnissen der Fallstudie im AMS gegenübergestellt werden sollen.
A
Ziele
Die Gleichstellung der Geschlechter – im AMS-Sprachgebrauch ist meist von Chancengleichheit die Rede - wurde als Ziel ins Zielsteuerungssystem der österreichischen Arbeitsmarktpolitik eingebaut, über die Notwendigkeit dieses Ziels besteht auf der Leitungsebene des AMS Konsens. Insofern konnte die Gleichstellung an der Reorganisation der Arbeitsmarktverwaltung partizipieren. Allerdings mangelt es noch an der Zielarchitektur, beispielsweise an aussagekräftigen Indikatoren, was dazu beiträgt, dass Mitglieder der Organisation unterhalb der Leitungsebene das Chancengleichheitsziel für vage und schwammig halten. Der Konsens darüber, dass Chancengleichheit ein gleichwertiges Ziel darstellt, nimmt daher auch in der Hierarchie von oben nach unten ab. Die durch den Einbau ins Zielsteuerungssystem gegebenen Potenziale werden nicht adäquat genutzt. Vage bleibt nicht nur die Implementierung im Zielsteuerungssystem, sondern auch die Konkretisierung des Ziels selbst. Generell wird im AMS eine sehr ambitionierte Definition vertreten, die weit über den Wirkungskreis der Arbeitsmarktpolitik hinausgeht und sich daher umso mehr an der Konkretisierung reibt bzw. daran zu scheitern droht. Angesichts der theoretischen Diskurse um Gleichheit und Differenz, um Geschlechterdemokratie und ähnliches mehr ist dies nicht verwunderlich. Die Erarbeitung eines konkreten Gleichstellungsziels erfordert Wissen um geschlechtsspezifische Benachteiligungsstrukturen, um Arbeitsmarktmechanismen, in denen diese sich verfestigen, um Veränderungspotenziale und Instrumente und Maßnahmen, die dieses erschließen könnten. Und nicht zuletzt müssen die konkreten Ziele in der Organisation vermittelt werden, Mitgliedern auf allen Ebenen nahegebracht werden. Nicht umsonst spielen Gender-Wissen und Gender Trainings im Gender Mainstreaming Prozess zentrale Rollen. Generell ist angesichts des weitgesteckten, aber abstrakten Ziels festzuhalten, dass hier Potenzial und Skepsis eng aneinander liegen. Wenn ein spezifisches Ziel zum Kanon traditioneller Ziele hinzukommt, stellt sie die Frage nach den Zielbeziehungen: nach Prioritäten, Konflikten und hierarchischen Positionierungen. Eine Aufarbeitung dieser Thematik erfolgte im Projektzeitraum im AMS nicht, unserer Erfahrung nach auch nicht in Bezug auf andere Ziele. Die grundsätzlich gleichrangige Behandlung von Zielen mag zwar der einfachere Weg sein, löst das Problem jedoch nicht, weil angesichts knapper Mittel und politischer Vorgaben, die einzelne Ziele betreffen, die Gleichrangigkeit nicht durchgehalten werden kann. Dass das Chancengleichheitsziel letztlich auch von Teilen der Leitungsebene nicht wirklich gleichrangig mit „traditionellen“ arbeitsmarktpolitischen Zielen gesehen wird, kommt in den Interviews zum Vorschein. Allerdings wäre es falsch, daraus eine der Gleichstellung der Geschlechter gegen-
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Gender Gap und Gleichheit
über ablehnende Haltung im AMS identifizieren zu wollen – dass jene Ziele, die weniger konkretisiert sind, deren Erfüllung von der Politik mit wenig Nachdruck eingefordert wird und die zudem nicht im alleinigen Wirkungsbereich der AMP liegen, relativ an Bedeutung verlieren, ist nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es, das Ziel organisationsintern zu konkretisieren und die Beziehungen zu den anderen Zielen aufzuarbeiten. Letzteres ist auch im Sinne des Gender Mainstreaming unerlässlich, schließlich müssen alle Ziele auf geschlechtsspezifische Effekte hin untersucht werden.
B
Implementierung
Das Zusammenspiel von Frauenförderung und Gender Mainstreaming gestaltet sich bislang äußerst pragmatisch, im Sinne von neuem Wein in alten Schläuchen (Holzleithner 2002a, 24).Wie zuvor bereits angemerkt, ist dies zwar ein kleiner Fortschritt in der Gleichstellungspolitik, Frauenförderung ist unter dem Label Gender Mainstreaming „modern“ und „unverzichtbar“ geworden, aber die Potenziale dieser Strategie werden bei weitem noch nicht genutzt. Dieses Ergebnis im AMS verweist auch auf die Dimension von Gender Mainstreaming als Prozess, der die Gesamtorganisation betrifft – dieser Prozess steckt im AMS noch in den Anfängen. Die von SkeptikerInnen befürchtete Reduktion von Gender Mainstreaming auf eine Strategie der Verwaltungsmodernisierung ohne effektiven gleichstellungspolitischen Inhalt, ohne Auseinandersetzung mit geschlechtspezifischer Ungleichheit, Macht und Hierarchien, trifft auf die AMS-AkteurInnen abseits der Frauenreferentinnen tendenziell zu, wiewohl sich die Frauenreferentinnen massiv einzubringen versuchen und mit ihrem Engagement einiges wettmachen. Bei diesem Punkt zeigt sich allerdings das gleichstellungspolitische Defizit auf gesamtpolitischer Ebene besonders deutlich. Die geringe Ressourcenausstattung ist dagegen wiederum eine viel stärker „hausgemachte“ Barriere für die Implementierung von Gender Mainstreaming. Dies stützt die These des „neuer Weins in alten Schläuchen“ und verringert die Glaubwürdigkeit der neuen Strategie auf der Ebene derer, die sie ausführen und umsetzen sollen: BeraterInnen, ControllerInnen. Für die Indikatorenfrage gilt ähnliches wie für die Ressourcen: Abstrakte gleichstellungspolitische Inhalte sind für die konkrete Arbeit der BeraterInnen und ControllerInnen möglicherweise handlungsleitend, wenn sie diesbezüglich engagiert sind und Ermessensspielräume haben. Aber im Normalfall des alltäglichen Geschäfts muss das abstrakte Ziel auf einfache und transparente Indikatoren, auf umsetzbare und überprüfbare Teilziele heruntergebrochen werden. Gleichstellungspolitik ist ein Prozess, der evaluiert werden muss und die Ergebnisse der Evaluationen müssen in den Prozess wieder rückgeführt werden, um ein Lernen der Organisation zu ermöglichen. Die Betrachtung von Gender Mainstreaming als innovative Strategie für den organisationalen Wandel zielt gerade auf diesen Aspekt ab. Während nun zwar zögernd, aber doch die Geschlechtergleichstellung in die Arbeitsmarktevaluierung Einzug gehalten hat (vgl. Müller/Kurtz 2002, 2004), gibt es organisationsintern noch Defizite – was einmal mehr mit den Fragen von Ressourcen, Zielkonkretisierung und Indikatorenentwicklung zusammenhängt.
Von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming
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Insgesamt kann festgestellt werden, dass viele Anknüpfungspunkte da sind, um das gleichstellungspolitische Potenzial der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu nutzen, aber keine tiefgreifenden Veränderungen durch Gender Mainstreaming festzustellen sind. Das AMS hat mit der raschen Implementierung von Gender Mainstreaming einen ambitionierten Prozess gestartet, der jedoch zu keiner Transformation der Gleichstellungspolitik geführt hat, aber immerhin zu einer Verstärkung der Frauenförderung anstatt diese zu verdrängen. Darüber hinaus ist Gleichstellung bzw. Chancengleichheit als Thema und Problemstellung präsent und integraler Bestandteil der Organisations- und Steuerungslogik im AMS. Insofern gilt das AMS immer noch als Vorreiterin einer substanziellen Gleichstellungspolitik für Organisationen im nationalen Kontext wie auch für arbeitsmarktpolitische Institutionen im Ausland. Dass im untersuchten Rahmen der österreichischen Arbeitsmarktpolitik Implementierung und Umsetzung von Gender Mainstreaming hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, liegt nur zu einem geringen Teil im Verantwortungsbereich des AMS, sondern zum einen im politischen Umfeld, in dem die Geschlechtergleichstellung als Ziel immer noch ein Schattendasein führt, zum anderen im theoretischen Konzept selbst. Die Tendenz zu einem technokratischen Verständnis von Gender Mainstreaming ist im Konzept angelegt und lässt leicht vergessen, dass die Gleichstellung der Geschlechter, der Abbau diskriminierender Aspekte des Gender Gap, ohne Ressourcen- und Machtumverteilung zwischen Frauen und Männern nicht realisiert werden kann.
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5.3
Gender Gap und Gleichheit
Gleichstellung und Care Perspektiven einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter
Ausgangspunkt für dieses Kapitel sind zum einen die in Kapitel 4.3 angestellten Analysen zu einem Teilbereich von Care, zur Eltern- bzw. Väterkarenz. Die Aufteilung der Betreuungsarbeit in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes ist für die weitere Ausgestaltung der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern von entscheidender Bedeutung, insofern berührt die Karenzthematik wesentliche gleichstellungspolitische Aspekte. Zum anderen werde Definition und theoretische Fundierung der Gleichstellungspolitik aus Kapitel 5.1 herangezogen. Im vorliegenden Kapitel werden diese beiden Themenbereiche zusammengeführt und die Frage nach dem gleichstellungspolitischen Potenzial von Care gestellt. Substanzielle Gleichstellungspolitik zielt auf die faktische Gleichstellung der Geschlechter, auf ein egalitäres Geschlechterverhältnis in allen Lebensbereichen, auf eine Gesellschaft ohne diskriminierende Strukturen und Mechanismen. Eine erste Aufgabe besteht darin, dieses theoretische Konstrukt einer egalitären Gesellschaft zu definieren und zu konkretisieren. Was ist das Ziel einer erfolgreichen Gleichstellungspolitik? Die Abwesenheit von diskriminierenden Strukturen in Arbeitsmarktzusammenhängen reicht zur Konkretisierung nicht aus, obwohl auch diese Zielsetzung angesichts der mehr als hundert Jahre alten Forderung nach gleichem Lohn bei gleicher Arbeit als durchaus ambitioniert gesehen werden kann. In Kapitel 5.3.1 werden einige Entwürfe einer solchen umfassenden gleichstellungspolitischen Perspektive zusammengefasst. In Kapitel 5.3.2 wird Care als Ausgangspunkt und Politikfeld für die Gleichstellung untersucht. Einige der bereits beschriebenen Konzepte werden explizit auf Care (Gender Mainstreaming, Arbeitsmarktflexibilisierung) bzw. auf die Gleichstellung der Geschlechter (Übergangsarbeitsmarkt Betreuungsarbeit) hin erweitert. Zudem wird gezeigt, dass die Integration von Care nicht nur an die jeweiligen Instrumente selbst Anforderungen stellt, sondern auch an die politische Koordination: Es bedarf einer politikfeldübergreifenden Koordination und Steuerung von Gleichstellungspolitik. Ein weiterer Schritt der Konkretisierung ist die mittlerweile in der EU beliebte Identifizierung von bewährten Praktiken. Zwar kann diese Strategie des best practice auf der Ebene einzelner Instrumente nur unter sehr spezifischen Bedingungen sinnvoll sein, auf der Ebene einer gesamtgesellschaftlichen Strategie geht es aber nicht um die unmittelbare Nachahmung (die ohnehin nicht gelingen könnte), sondern darum, aus einem komplexen Vergleich zweier Systeme jene Praktiken herauszufinden, für die in beiden Ländern ähnliche Bedingungen herrschen oder geherrscht haben. In Kapitel 5.3.3 wird dies anhand von zwei Länderbeispielen praktiziert: Im Fall von Schweden wird an die Darstellungen zur Väterkarenz in Kapitel 4.3 angeknüpft, die Parallele in Österreich ist ein vom institutionellen Rahmen her ähnliches Karenzsystem. Im Fall der Niederlande ist der Anknüpfungspunkt die Teilzeitarbeit von Frauen und das relativ geringe Angebot institutioneller Kinderbetreuung. Beide Länder verfolgen eine Gleichstellungsstrategie, die Care einbezieht, die sich aber in wesentlichen Punkten unterscheidet: Schweden verfolgt das Ziel einer dualearner/dual-carer-Gesellschaft, in den Niederlanden wird die gleiche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf Teilzeitbasis angestrebt. Beide Modelle sollen als mögliche
Gleichstellung und Care
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Optionen vorgestellt und in Hinblick auf Anknüpfungspunkte für Österreich untersucht werden. Zum Abschluss wird in Kapitel 5.3.4 der Bezug zu den langfristigen Zielvorstellungen einer geschlechteregalitären Gesellschaft hergestellt. Generell muss festgehalten werden, dass die Beantwortung der Frage nach dem gleichstellungspolitischen Potenzial von Care angesichts der komplexen Beziehungen zwischen dem Gender Gap und Care eine Herausforderung darstellt, deren Bearbeitung noch vielfachen Forschungsbedarf nach sich zieht. Einige Forschungsfragen werden abschließend skizziert.
5.3.1 Konzeptionen einer umfassenden gleichstellungspolitischen Perspektive Wie könnte eine in Bezug auf das Geschlechterverhältnis egalitäre Gesellschaft aussehen? Im Folgenden werden einige normative Referenzmodelle vorgestellt, die eine Gesellschaft beschreiben, die auf einem herrschaftsfreien demokratischen Verhältnis zwischen Frauen und Männern beruht. Dieses Verhältnis umfasst nicht nur gleiche politische Partizipationschancen, sondern auch eine Ressourcenverteilung, die kein Geschlecht systematisch benachteiligt, und umfassende Teilhabechancen in allen Lebensbereichen.140 Umfassende Teilhabechancen in allen Lebensbereichen sind nur dann gewährleistet, wenn die derzeitige asymmetrische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in Richtung einer egalitären Arbeitsteilung verändert werden kann. Dies ist gleichbedeutend mit einer Auflösung bisheriger Macht- und Hierarchiebeziehungen zwischen den Geschlechtern, mit der Auflösung von Herrschaftsverhältnissen. Solche gibt es nicht nur zwischen den Geschlechtern, insofern wird hier eine große Thematik berührt. Dennoch liegt der Fokus im Folgenden auf der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, nicht auf allen gesamtgesellschaftlichen Problemstellungen rund um die Arbeitsteilung oder Herrschaftsverhältnissen. Das Ziel besteht in Anlehnung an Sturn (2000, 56) darin, „Bereiche der potenziellen Neutralisierung von Macht und Hierarchisierung mikroanalytisch heraus[zu]lösen, ohne sich von der bloß oberflächlich plausiblen Ansicht irreführen zu lassen, es müsse jederzeit und für jeden Zweck der Gesamtzusammenhang betrachtet werden.“ Es geht in diesem Abschnitt um die Gestaltungsoptionen aus der Geschlechterperspektive, denn „Arbeitsteilung kann mithin in Grenzen menschengerecht gestaltet werden“ (ebd., Hervorhebung im Original). Die Diskussion einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter kann sich der Gleichheits-Differenz-Debatte nicht entziehen (siehe Kap. 5.1). Die von der ArbeiterInnenbewegung und in deren Tradition von der Sozialdemokratie häufig vertretene Gleichheitsposition, wonach ökonomische Unabhängigkeit und damit volle Partizipation im (männlich geprägten) Erwerbsarbeitsmarkt die Emanzipation beider Geschlechter sichert, lässt leicht aus den Blick geraten, „dass die Voraussetzung der Erwerbsarbeit, die Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit, von Öffentlichkeit und Privatheit und die damit verbundene 140
Die hier präsentierten Konzeptionen einer in Bezug auf das Geschlechterverhältnis egalitären Gesellschaft sind als erste Näherung aus einer ökonomisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive zu verstehen. Dass andernorts, vor allem in der feministischen Theorie und der Sozialphilosophie, wesentlich weitergehende Beiträge zur Thematik erarbeitet wurden, soll damit keinesfalls ignoriert werden. Im Gegenteil, ich halte interdisziplinäre Kooperationen in diesem Forschungsfeld für äußerst wichtig und notwendig, gerade weil sich die mainstream Ökonomik der Frage langfristiger normativer Zielsetzungen, die zudem noch in Verbindung mit Verteilungsfragen stehen, tendenziell entzieht.
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Gender Gap und Gleichheit
systematische Entwertung, Ausnutzung und Verdrängung der Frauen und ihrer Arbeit selbst die strukturellen Barrieren für die Gleichstellung der Frau im Beruf bilden“ (Kontos 1994, 46). Eine umfassende gleichstellungspolitische Perspektive muss sich der Frage der Differenz stellen, ohne die „hierarchisierenden patriarchalen Definitionen der Geschlechterdifferenz“ (ebd.) neu aufzuwärmen. Eine Integration von Care auf einer qualitativ neuen Stufe ist zentrale Forderung und Teil der folgenden gleichstellungspolitischen Perspektiven.
A
Universal Caregiving – Nancy Frasers Vision für den postindustriellen Wohlfahrtsstaat
In Kapitel 4.2 wurde das „postindustrielle Gedankenexperiment“ von Fraser (1994) vorgestellt, in dem sie zwei mögliche Wege hin zum postindustriellen Wohlfahrtsstaat unterscheidet: Das Modell der allgemeinen Erwerbstätigkeit oder Universal Breadwinner Model und das Betreuungsmodell oder Caregiving Parity Model. Zur Bewertung der Modelle entwirft Fraser eine umfassende Definition der Geschlechtergleichheit, deren Anwendung letztlich zur Verwerfung der beiden Modelle zugunsten eines dritten, in gewisser Weise beide vereinenden Modells führt: das Integrationsmodell oder Universal Caregiving Model. Sehr verkürzt könnte dieses Modell auf den Nenner gebracht werden: Männer sollen dazu gebracht werden, in einem stärkeren Maß so zu werden, wie es heute Frauen sind – die gegenwärtigen Lebensmuster der Frauen sollen zur Norm werden, an die Männer sich anpassen müssen. Allerdings versteht Fraser dies nicht als simple Umkehrung der androzentristischen Vorgangsweise, der Angleichung der Männer an die weibliche Norm. Ihr Konzept von Gleichheit ist wesentlich vielfältiger, bestehend aus fünf Prinzipien, die sieben Dimensionen von Gleichheit bedingen:141 1. Bekämpfung der Armut / Erhöhte eigene Absicherung: Gleichheit in der Absicherung vor Armut ist angesichts der steigenden Armutsgefahr bei bestimmten Gruppen von Frauen eine auch in den europäischen Wohlfahrtsstaaten gewichtiger werdende Dimension der Gleichstellung.142 2. Bekämpfung der Ausbeutung / Erhöhung der Machtressourcen von Frauen im Haushalt: Aus der Zusammenfassung dieses mit dem vorhergehenden Kriterium zu einem Kriterium der individuellen Autonomie143 kann die Forderung nach einem unbeschränkten und gleichberechtigtem Zugang zu bezahlter Arbeit - und damit die Zielsetzung einer Erhöhung der Frauenerwerbsbeteiligung - abgeleitet werden. Allgemein geht es um die Gleichheit in den Alternativen zum Zusammenleben im Haushalt; eine Thematik, die in die Verhandlungsmodelle zu den Haushaltsentscheidungen mittlerweile Eingang gefunden hat (siehe Kap. 4.1). 141
Vgl. dazu auch Mairhuber 2000, 233ff, die Frasers Kriterien mit Blick auf den Umbau des österreichischen Sozialstaates aus feministischer Sicht darstellt und daraus eine Liste erforderlicher sozialpolitischer Maßnahmen ableitet. 142 Fraser (1994) hat hier insbesondere das US-amerikanische liberale Wohlfahrtssystem vor Augen, in dem Sicherung vor Armut erstes und offensichtliches Ziel der Sozialpolitik ist (vgl. Sørensen 1992). 143 Individuelle Autonomie stellt ein fundamentales Prinzip in der gender-orientierten Wohlfahrtsstaatenforschung dar (Orloff 1993, O’Connor 1993, Crompton 1998) und ist eng mit der Frage verbunden, ob das Individuum ein eigenes und ausreichendes Einkommen aus seiner bzw. ihrer geleisteten Arbeit beziehen kann (siehe Kap. 4.1).
Gleichstellung und Care 3.
4.
5.
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Kriterium der Gleichstellung in drei Bereichen: Gleichheit der Einkommen im Sinne des Abbaus von Einkommensdiskriminierung (siehe Kap. 3.3). Gleichheit bei der Freizeit im Sinne des Abbaus diskriminierender Zeitstrukturen: Die zunehmende „Zeit-Armut“ hat viele Dimensionen, neben der Mehrfachbelastung durch Care und Hausarbeit führt auch der „besondere“ Status von Frauen in erwerbszentrierten Sozialsystemen zu einem Mehr an Zeitanforderungen im Vergleich zur männlichen Norm.144 Gleichheit in der Achtung und Anerkennung der Arbeitsleistungen: Während Gleichheit beim Einkommen auf die Leistungen in der bezahlten Arbeit abzielt, geht es hier um die Anerkennung aller Arbeitsleistungen. Bekämpfung der Marginalisierung / Gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens: Im Sinne eines umfassenden Begriffs von social inclusion müssen bestimmte soziale Gruppen marginalisierende Tendenzen in allen Bereichen (Arbeitsmarkt, Politik, Sozialsystem, Gemeinschaftsleben der Zivilgesellschaft) vermieden werden. Bekämpfung des Androzentrismus / Neue Normen für Frauen und Männer: Die Überwindung der männlichen Norm am Arbeitsmarkt und im Sozialsystem ist die Voraussetzung für eine Gleichheit ohne Angleichung in beiden Richtungen.
Fraser benennt ihre Vision eines postindustriellen Wohlfahrtsstaates, der diese Kriterien erfüllt, als Universal Caregiving Model. Es würde nun wenig Sinn machen, einen Wohlfahrtsstaat zu entwerfen, der dieser Vision entspricht, ohne auf einem realen Wohlfahrtsstaat aufzubauen. Schließlich zeigt die vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung (siehe Kap. 4.1), wie different sich die Staaten in Abhängigkeit von Institutionen, Kultur und Normen entwickelt haben. Frasers Modell kann aber als normatives Referenzmodell dienen, an dem bestimmte reale Situationen gemessen werden können (siehe Kap. 4.2), und es ist möglich, Wohlfahrtsstaatsreformen daraufhin zu untersuchen, ob sie eine Entwicklung in Richtung Universal Caregiver unterstützen würden. In jedem Fall ist es notwendig, Frasers Vision für eine solche Analyse auf anwendbare Kategorien herunterzubrechen. Ein Beispiel für eine solche Anwendung von Frasers Modellen ist die Untersuchung von Bothfeld (2004). Sie identifiziert drei Dimensionen, Erwerbsarbeit, soziale Sicherung und Care, denen sich im Universal Caregiving Modell folgende normative Vorstellungen zuordnen lassen:145 Erwerbsarbeit: Norm der gleichen Erwerbschancen und der gleichen Teilung der Familienarbeit; 144
Die Dimension der Zeit bzw. des immer häufiger festgestellten Defizits an dieser Ressource rückt zunehmend ins Zentrum der Arbeitsmarktforschung, vgl. z.B. Eberling et al. 2004, die u.a. die Verzeitlichung der Lebensqualität untersuchen und die neue Dimension des „Zeitwohlstands“ in die Bestimmungsgründe des Lebensstandards einführen. Ausführlich setzt sich auch Hochschild (2002, im englischen Original 1997) aus einer USamerikanischen Perspektive mit dem Defizit an Zeit auseinander, eine europäische Analyse im Kontext der Arbeitszeitflexibilisierung findet sich in Garhammer (1999). Unter dem Stichwort der Work-Life-Balance wird die Dimension Zeit jedenfalls schon fast ebenso häufig untersucht wie die Dimension Einkommen, d.h. der Gender Pay Gap, wobei jedoch bislang eine theoretische Fundierung aus der Geschlechtersicht noch weitgehend fehlt (Stichwort „Zeitdiskriminierung“). 145 Bothfeld (2004, 46) hat auch die normativen Vorstellungen hinter den beiden anderen Modellen Frasers, Caregiving Parity und Universal Breadwinner, zusammengefasst.
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Gender Gap und Gleichheit Soziale Sicherung: Norm der universalen sozialen Sicherung als soziales staatsbürgerliches Recht; Care: Norm der individuellen Bedarfe: Sicherung der emotionalen Grundbedürfnisse aller Familienmitglieder (z.B. im Sinne von inclusive citizenship; vgl. Knijn/Kremer 1997).
Aktuelle Ausprägungen und Reformen in diesen Dimensionen können daraufhin untersucht werden, ob sie Universal Caregiving stützen.146 Ebenso lassen sich vorhandene oder noch zu gestaltende Instrumente zuordnen, die zur Umsetzung geeignet erscheinen (vgl. Mairhuber 2000 für eine Liste von sozialpolitischen Maßnahmen aus österreichischer Perspektive). Wroblewski/Leitner (2005) orientieren sich in ihrer Studie zum geschlechtergerechten Umbau von Arbeitsgesellschaften u.a. auch am Modell der universellen Betreuungsarbeit und untersuchen, ob und wie die Erfahrungen der in Bezug auf Universal Caregiving erfolgreicheren Länder Dänemark und Finnland auf Österreich bzw. Deutschland übertragen werden könnten. Als Gestaltungsmöglichkeiten wären die bereits mehrfach erwähnten Übergangsarbeitsmärkte zu nennen, die an der Schnittstelle zwischen Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung ansetzen (Schmid 1998; 2002a), ebenso die mit dem Konzept des flexicurity angesprochene verbesserte Absicherung der Übergänge (vgl. z.B. Keller/Seifert 2002, Klammer 2000), neue Formen der Gestaltung der Elternzeit in Abstimmung mit den Arbeitsmarkterfordernissen (vgl. Littmann-Wernli 1999) oder im Bereich der Familienpolitik die Anerkennung der Vielfalt von Familienformen anstelle der bisherigen Fokussierung auf die „traditionelle Kernfamilie“ (Bothfeld 2004). Im folgenden Abschnitt 5.3.2 wird auf einige dieser Gestaltungsmöglichkeiten näher eingegangen werden. Die von Fraser entwickelten normativen Prinzipien der Geschlechtergleichstellung eignen sich darüber hinaus als Grundlage einer Prüfung geplanter arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Reformen – somit als Grundlage einer Gender Mainstreaming-Checkliste für die Sozialpolitik (vgl. Riedmüller 2004 und weiter unten).
B
Szenarien einer veränderten Arbeitsteilung der Geschlechter
Universal Caregiving zielt auf sozialstaatliche Regelungen, die die gleichmäßige Verteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern fördern, und auf die Anerkennung beider Arbeitsbereiche für die ökonomische und sozialrechtliche Absicherung. Damit sind die beiden grundlegenden Ansatzpunkte für eine Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung angesprochen: Zum einen kann auf einen Abbau der Geschlechterhierarchie durch eine Veränderung personeller Arbeitsteilung in Richtung einer gleichmäßigeren Verteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern hingearbeitet werden. Zum anderen kann versucht werden, die funktionale Hierarchie zwischen Erwerbsarbeit und Care durch eine Annäherung der beiden Bereiche
146
Bothfeld (2004) hat die drei Dimensionen Erwerbstätigkeit, soziale Sicherheit und Kinderbetreuung für Frankreich und Deutschland daraufhin untersucht, wie weit sich bereits ein solches Integrationsmodell identifizieren lässt. Sie findet in beiden Ländern Ansätze des integrativen Paradigmas (überraschenderweise in Deutschland sogar mehr als in Frankreich), allerdings gilt für beide Länder, dass die Realisierung anhand der Reformen der jüngeren Zeit dem normativen Ideal noch weit hinterherhinkt.
Gleichstellung und Care
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abzubauen.147 Die resultierenden Strategien können zu Szenarien zusammengefasst werden (siehe Abbildung 5.1). Im Fortsetzungsszenario geht entsprechend dem Modell der „modernisierten Versorgerehe“ alles seinen gewohnten Weg. Im Zentrum möglicher Veränderungen stehen Vereinbarkeitserleichterungen für Frauen, die jedoch an der individuellen Zuweisung von Familienarbeit an die Frauen wenig ändern. Derzeit schon beobachtbare Trends setzen sich langsam fort: Männer übernehmen etwas mehr Familienarbeit, die Auslagerung dieses Arbeitsbereichs wird so weit forciert, als es für die Berufsarbeit von Frauen im Sinne der Vereinbarkeit erforderlich ist (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen zur Ermöglichung von Teilzeitjobs).148
Abbildung 5.1:
Szenarien zum Segregationsabbau
Abbau funktionaler Hierarchie
Abbau der Geschlechterhierarchie – neue Arbeitsteilung
“Fortsetzungsszenario” modernisierte breadwinnerVarianten
“Allokationsszenario” individuelle Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit
“Auslagerungsszenario” (Markt/Staat) “Haushaltslohnszenario” gesellschaftliche Verantwortung für unbezahlte Arbeit bei unveränderter geschlechtlicher Arbeitsteilung
“Kombinationsszenario” gesellschaftliche Verantwortung für bezahlte und unbezahlte Arbeit, Umverteilung für beide Geschlechter
Quelle: Kreimer 2002a, 67. Das Allokationsszenario beruht auf einer neuen Arbeitsteilung der Geschlechter bezüglich Berufs- und Familienarbeit und ist das Ergebnis individueller Umverteilung von Arbeit. Familienarbeit wird letztlich zu einem geschlechtsunabhängigen Faktor, am Arbeitsmarkt ist entscheidend, ob ein Individuum Familienpflichten hat oder nicht.149 Selbst wenn es 147
Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Schlussfolgerungen meiner Arbeiten zur geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation (Kreimer 1999; 2002a; 2004a). Dort werden die beiden Richtungen der Veränderung, Abbau der Geschlechterhierarchie und Abbau der funktionalen Hierarchie, ausführlich erläutert. 148 Die Analyse der Entwicklungen in Österreich in Kapitel 4.2 zeigt viele Aspekte, die den österreichischen Sozialstaat hier einordnen lassen. 149 Die von Bürgisser (1998) untersuchten Paare mit einer egalitären Arbeitsteilung praktizieren ein solches Szenario.
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Gender Gap und Gleichheit
gelingen sollte, mehr als eine exklusive Minderheit von Männern dazu zu bringen, eine neue Arbeitsteilung dieser Art tatsächlich zu leben, kann dieses Szenario gesellschaftspolitisch unerwünschte Begleiterscheinungen mit sich bringen: Ohne gesteigerte gesellschaftliche Verantwortung für Betreuungsarbeit (d.h. öffentliches Angebot und/oder Subventionierung dieses Arbeitsbereichs) ist zu befürchten, dass in einem solchen Szenario ökonomische Unabhängigkeit nur mehr in Zwei-Verdiener-Familien mit hoher Einkommenskapazität gewährleistet ist, da nur diese sich den Zukauf von Dienstleistungen leisten können. Zudem ist der gegebene Gender Gap ökonomisch gesehen ein enormes Hindernis, das es immer wieder rational und wirtschaftlich erscheinen lässt, keine individuelle Umverteilung von Arbeit zu praktizieren.150 Das gemeinsame Element der im Prinzip sehr unterschiedlichen Szenarios der Auslagerung von Familien- und Hausarbeit und des Haushaltslohns ist das Verbleiben der Betreuungsarbeit bei den Frauen:151 Entweder leisten sie diese in der Form ausgelagerter Erwerbsarbeit, oder sie leisten über Transferzahlungen, Grundeinkommen, Haushaltslohn bezahlte Arbeit in der Familie. Unter den derzeit absehbaren Bedingungen des Arbeitsmarktes und des sozialen Sicherungssystems bestehen kaum Anreize für Männer, in diese bezüglich Entlohnung und Status voraussichtlich wenig attraktiven Arbeitsgebiete einzusteigen. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bleibt weitgehend unverändert. Caregiving Parity wäre tendenziell hier einzuordnen, sofern es umfassende sozialstaatliche Absicherungen und Einkommensleistungen für Betreuende gibt. Je nachdem, wie weit Caregiving Parity verankert werden kann, ist auch eine horizontale „Bewegung“ in der Aufstellung der Szenarien möglich, eine Veränderung der Arbeitsteilung auf Haushaltsebene. Das Kombinationsszenario erfordert das vergleichsweise größte Ausmaß an Neu- bzw. Reorganisation von Arbeit, nämlich die Reduktion der Erwerbsarbeit für Männer und (zumeist) deren Steigerung für Frauen152 bei gleichzeitiger Verlagerung eines Teils der unbezahlten Arbeit in bezahlte Arbeit, so dass insgesamt beide Bereiche gleich groß werden und beide Geschlechter jeweils den gleichen Anteil übernehmen können. Unmittelbar berühren würde dies den Gender Gap Arbeitszeit (siehe Kap. 3.5), als eine generelle Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel, insgesamt für Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freizeit in etwa gleich viel Zeit für beide Geschlechter zur Verfügung zu haben, im Mittelpunkt steht (vgl. Van Dongen 2005). Diese im Vergleich zu heute reduzierte Erwerbsarbeitszeit müsste den neuen Standard für Beschäftigungsverhältnisse und soziale Absicherung bilden. Dazu kommen strikt individuelle Leistungen im sozialen Sicherungssystem (Entfernung aller breadwinner-Elemente), Integration der Ausübung von Care als Normfall analog zu Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall und Alter in die Sozialversicherung, sowie der Ausbau des Angebots sozialer Dienstleistungen.153 Alle sozialstaatlichen Regelungen sind für beide Geschlechter attraktiv zu gestalten.154 150
Selbst in Schweden, unter wesentlich günstigeren Bedingungen als in Österreich, ist die neue Arbeitsteilung auf bestimmte Gruppen von Vätern beschränkt (siehe Kap. 4.3). 151 Diese Gemeinsamkeit rechtfertigt die gemeinsame Darstellung. Damit sollen jedoch keinesfalls die vielfältigen Unterschiede dieser Strategien (bzgl. Verteilungseffekte, Qualitätsniveaus, Ausgrenzungsmuster u.a.m.) negiert werden. 152 Ob eine höhere Arbeitsmarktpartizipation für Frauen in diesem Szenario anzustreben ist, hängt vom derzeitigen Ausmaß der Partizipation und vor allem von der Teilzeitquote ab. 153 Diese Vorschläge stammen großteils aus dem niederländischen Modell zur Integration der Betreuungsarbeit in die Ökonomie (vgl. Brouwer/Wierda 1998, Advisory Council 1996). 154 Die Geschlechterperspektive lässt auch Fragen offen, nämlich jene nach den Bedingungen für Alleinerziehende, die sich die Arbeit eben nicht teilen können (vgl. Lewis 1997); sowie jene nach den Bedingungen in der
Gleichstellung und Care
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Die Vorteile eines Kombinationsszenarios gegenüber dem Allokationsszenario würden zum einen darin liegen, dass partielles outsourcing Beschäftigungseffekte mit sich bringt, die insbesondere für eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit nutzbar sind.155 Zum anderen wird damit gleichzeitig die ökonomische Basis für die Finanzierung des outsourcings verbreitert. Partielle Auslagerungen von Familienarbeit können zudem mit gezielten Aufwertungen der Pflegearbeit (Professionalisierung, Verbesserung der Ausbildung) einhergehen, während dieser Arbeitsbereich im Allokationsszenario weiterhin informell und unsichtbar bleibt.156 Außerdem erzeugt ein Szenario, das eine neue – egalitäre – Arbeitsteilung der individuellen Verantwortung überlässt, einen starken Anpassungsdruck auf die Männer, die damit stärker in Widerspruch zu den Arbeitsmarkttendenzen geraten. Angesichts der steigenden Anforderungen nach jederzeitiger Verfügbarkeit und Flexibilität ist eine Umverteilung von Arbeit, die gerade auch Männer weniger verfügbar werden lässt, kaum vorstellbar. Im Kombinationsszenario werden dagegen von vielen Seiten Anpassungsleistungen erbracht.157 Dieses zuletzt genannte Argument kann auch als Vorteil gegenüber dem Auslagerungs- und dem Haushaltslohnszenario vorgebracht werden, wenn auch mit geändertem Vorzeichen: In beiden Szenarios lastet der gesamte Anpassungsdruck auf den Frauen, während Männer ihre Arbeitsbereiche nicht verändern müssen. Nach einiger Präsenz in den 1990er Jahren ist es um das Kombinationsmodell in der Wohlfahrtsstaatenforschung wieder ruhig geworden. Ob dies an der „Utopie“ des Konzepts liegt, die es offenbar unerreichbar erscheinen lässt, oder ob die den Erwartungen nicht entsprechenden Ergebnisse der Umsetzung in den Niederlanden (vgl. Lewis 2002, 347f; siehe auch Kap. 5.3.3) oder andere Gründe dafür verantwortlich sind, kann hier nicht beantwortet werden. Als Referenzmodell taucht es jedenfalls sporadisch wieder auf, ebenso wie das zuvor vorgestellte Modell universeller Betreuungsarbeit von Fraser (1994).158 Van Dongen (2005) präsentiert eine empirische und theoretische Bearbeitung des Kombinationsmodells: Er untersucht empirisch die Verteilung der Arbeitszeitentwicklung in europäischen Ländern und schließt beispielsweise aus den bei Männern stärker vorhandenen Wünschen nach einer Arbeitszeitreduktion als bei Frauen auf Potenziale in Richtung des Kombinationsmodells. Theoretisch unterscheidet er in Analogie zum male breadwinner model zwischen einer starken, moderaten und schwachen Variante des Modells, wobei er für die meisten EULänder bereits für die Periode ab 1990 Aspekte des moderate combination model feststellt. Wie weit sich dieses Szenario mit anderen Konzepten überschneidet – Van Dongen (2005) stellt eine enge Verwandtschaft mit dem Konzept der Übergangsarbeitsmärkte fest – und in dieser Hinsicht bearbeitet wird, oder ob es doch als eigenständiges Modell einer veränderten Arbeitsteilung weiterentwickelt wird, ist noch nicht abzusehen.
langfristigen Pflege, wo auch keinesfalls selbstverständlich von Ressourcen zur Teilung der Arbeit ausgegangen werden kann. 155 Diese Argumentation findet sich – unabhängig von Arbeitsteilungsszenarios – beispielsweise bei EspingAndersen 2003a oder in der Europäischen Beschäftigungsstrategie. 156 Die Frage zur Sicherung der Qualität ausgelagerter Dienstleistungen stellt sich auch in einem solchen Szenario, weil die Besonderheiten von Care einen objektiv gegebenen Grundtatbestand darstellen. 157 Dennoch werden sozialrechtlich attraktive Regelungen vermutlich nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass Männer ihre Erwerbsarbeit tatsächlich reduzieren. Es bedarf Änderungen auf der Ebene von Kultur und Normen, was auf das Ausmaß der angestrebten Umgestaltung hinweist. 158 Auf Frasers Modell Bezug nehmen u.a. Kurz-Scherf (1998), Mairhuber (2000), Riedmüller (2004).
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Gender Gap und Gleichheit Geschlechterdemokratie – ein neues feministisches Leitbild?159
Der Begriff „Geschlechterdemokratie“ wird seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Besonders hervorgetan hat sich die der Grünen Partei nahestehende Heinrich Böll Stiftung, die Geschlechterdemokratie sowohl als Leitbild als auch als Instrument für eine geschlechtergerechte Organisation verankert hat (Schambach/Unmüßig 2002).160 Für die vorliegende Arbeit ist die Verwendung als feministische Utopie, als politisches Ziel von Interesse, und damit die normative Komponente dieses Konzepts. Das Ziel ist die gleichberechtigte Partizipation und Repräsentation beider Geschlechter, die Herstellung demokratischer Verhältnisse zwischen Frauen und Männern. „Damit sind nicht allein die politischen Partizipationschancen von Frauen und Männern anvisiert, sondern auch die gesellschaftliche Ressourcenverteilung zwischen Frauen und Männern, die Kritik an autoritär-hierarchischen, undemokratischen Strukturen in den privaten Verhältnissen und an explizit gewaltförmiger Herrschaftsausübung von Männern über Frauen“ (ebd., 19). Damit werden feministische Forderungen aufgegriffen: nach veränderter Ressourcenverteilung, Anerkennung und Stützung von diversity, Überwindung von geschlechtsspezifischen Macht- und Herrschaftsstrukturen, Erweiterung des Demokratiebegriffs, oder die Ablösung „hegemonialer Männlichkeit“ als dominantes gesellschaftliches Strukturierungsmuster (ebd., 20). Zugleich wird der Dialog mit Männern eingefordert, Geschlechterdemokratie soll für beide Geschlechter als positives Leitbild fungieren und Raum bieten für Männer, die sich nicht im malestream verorten wollen (ebd., 19). Letzteres zeigt die Nähe zu Gender Mainstreaming, der Blickwechsel von „Frauen...“ zu „Geschlechter...“ ist zentraler Bestandteil von Geschlechterdemokratie als handlungsleitendem Organisationsprinzip (Wedl/Bieringer 2002). Der konkrete Inhalt des Leitbildes Geschlechterdemokratie bleibt bislang recht vage,161 der Begriff „steht ... in diesem Sinne vielfach als Platzhalter für eine Vielzahl selten weiter präzisierter feministischer Forderungen und Utopien“ (ebd., 12). Auch das Verhältnis von Geschlechterdemokratie und Feminismus wird kontrovers diskutiert, was sich unter anderem aus dem jeweiligen Zugang zur Demokratie zwangsläufig ergeben muss (KurzScherf 2002). Aufgrund der Nähe zu Gender Mainstreaming einerseits und der starken Betonung des Organisationsaspekts andererseits werden auch ähnliche Befürchtungen gegen dieses Konzept vorgebracht: „Ob Gender Mainstreaming oder Geschlechterdemokratie – die Umverteilung gesellschaftlicher Autonomie- und Partizipationspotenziale ist weder ein Individualisierungs-, noch ein harmonisches Dialogprojekt. Sie ist und bleibt ein Anlass für politische Interessenskonflikte, deren Beilegung im ruhigen Fahrwasser eines bürokratisch vermessenen und ökonomisch beschleunigten Mainstream nicht zu erwarten ist“ (Bereswill 2004, 66). Lenz (2004, 673) betont hingegen Geschlechterdemokratie als feministisches Zukunftskonzept, das Frauen und Männer anspricht und mobilisieren kann, das Gleichstellung mit einer generellen gesellschaftlichen Demokratisierung verbindet und Ansatzpunkte für Bündnisse zwischen Frauen und Männern, die für Gleichheit eintreten, liefert. Ohne ein 159
Unter diesem Titel erschien das Schwerpunktheft 2/2002 der Zeitschrift femina politica. Geschlechterdemokratie wird als „Gemeinschaftsaufgabe“ der Heinrich-Böll-Stiftung bezeichnet, d.h. sie ist „ChefInnensache“ in der Stiftung und in den Leitlinien festgehalten (Franke/Simöl 2000, 300ff). Vgl. http://www.boell.de/ für weitere Informationen. 161 Darin kann das Programm der Geschlechterdemokratie dem Konzept des Gender Mainstreaming „die Hand reichen“, wie Franke/Simöl (2000, 301) feststellen. 160
Gleichstellung und Care
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solches Bündnis bleibt der Abbau von Diskriminierung ein „Abbau männlicher Macht und Privilegien in Ökonomie und Gesellschaft [...] – dies impliziert einen Interessenskonflikt entlang der Geschlechterlinie, der tiefgreifende Folgen hat und vermutlich nicht ohne „Wohlfahrtsverluste“ für den männlichen Teil der Gesellschaft bleiben wird“ (Maier 1993, 564). Im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Konzeptionen Universal Caregiving und dem Kombinationsszenario ist der hier angedachte Weg ein völlig anderer, was im Sinn eines multidimensionalen Bedarfs an Gleichstellungspolitik zu begrüßen ist. Der Fokus liegt nämlich nicht auf der Modellierung des Wohlfahrtsstaates und damit der Makroebene, sondern viel mehr auf der Mesoebene von Organisationen, und zwar aller Organisationen. Geschlechterdemokratie als handlungsleitendes Prinzip von Organisationen soll die Sprungkraft entwickeln, die Gesellschaft als ganzes quasi „von unten“ geschlechtergerecht umzuformen. Angesichts der enormen Bedeutung von Organisationen bei der Aufrechterhaltung des Gender Gap (siehe Kap. 3.3 und 3.4) ist eine an Organisationen ansetzende Strategie jedenfalls erforderlich, zumal wohlfahrtsstaatliche Regulierungen nur schwer Zugang zu privaten Organisationen (Betrieben) finden.
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Ökonomische Visionen feministischer Utopie
Schönpflug (2004, 2005) ist der Frage nachgegangen, inwieweit feministische Ökonomik imstande wäre, Alternativen zu bestehenden ökonomischen Systemen und Umsetzungsvorschläge für diese Alternativen zu entwickeln. Der Begriff „Utopie“ verweist auf nicht erreichte Zustände, räumlich oder zeitlich vom Ist-Zustand getrennt, die einem Idealbild entsprechen.162 Für feministische Utopien kommt zur Überwindung räumlicher und zeitlicher Barrieren noch die Überwindung der Geschlechtergrenzen als Herausforderung hinzu. Utopien entstehen aus der Kritik am Status Quo und verlangen nach einer radikalen Veränderung.163 Die Untersuchung vorhandener feministischer Utopien164 zeigt eine klare Übereinstimmung mit den Themen feministischer Ökonomik: Es geht um Arbeitsteilung, unbezahlte Arbeit und Diskriminierung in der bezahlten Arbeit. Allerdings ergibt die systematische Analyse von Standardwerken feministischer Ökonomik wenig Anhaltspunkte für den Inhalt einer solchen feministisch-ökonomischen Utopie. Zwar werden einzelne Aspekte thematisiert, aber daraus lässt sich kein Idealbild einer zukünftigen Welt ohne diskriminierende Wirkungen der Arbeitsteilung erkennen.165 Schönpflug hat über die Analyse des Wissens162
Der Begriff bezieht sich auf die Ursprungsidee von Thomas Morus, der im Titel seines Werkes „Utopia“ das griechische Wortspiel „ou topos“ (Nicht-Ort) und „eu topos“ (Guter Ort) vereinigt (Schönpflug 2005, 65). Schönpflug (2005) definiert Utopien über vier Kriterien: Nicht-Ort-Kriterium, Idealbildkriterium, inhärenter Kritik des Status Quo, Potenzial zur radikalen Veränderung. 164 Schönpflug (2004) befasst sich insbesondere mit utopischen belletristischen Werken von Charlotte Perkins Gilman, Marge Piercy, Joanna Russ und Donna Harraway. Sie untersucht auch von Männern geschriebene Utopien, kommt hier aber zur Feststellung, dass diese sich kaum mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen. 165 Die feministischen Utopien selbst gehen hierin natürlich wesentlich weiter. Nicht überraschend ist, dass Geschlechtergrenzen dadurch überwunden werden sollen, dass die Beschränkung der Gebärfähigkeit auf Frauen aufgehoben wird, sei es durch eine Gesellschaft ohne Männer mit Fortpflanzung via Parthenogenese oder durch den Einsatz von Gebärmaschinen, die in-vitro-fertilisierte Kinder zur Welt bringen, die dann drei Eltern haben und von der gesamten Gemeinschaft versorgt und erzogen werden. 163
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standes feministischer Ökonomik hinaus auch feministische ÖkonomInnen schriftlich befragt. In den Antworten zeigt sich ein deutlich höheres Potenzial für die Entwicklung von Utopien, von einer kompletten Veränderung des Arbeitsbegriffs bis zur Durchdringung der Gläsernen Decke, es zeigt sich aber auch eine Unsicherheit darüber, wie Utopien in das Arbeitsgebiet der feministischen Ökonomik integriert werden können. Übereinstimmend mit den Antworten von Nancy Folbre kommt Schönpflug (2005, 71f) schließlich zum Schluss, dass der kreative Impuls zur Alternative von außerhalb der ökonomischen Disziplin kommen muss. Feministische Ökonominnen können utopische Visionen wissenschaftlich übersetzen, Wege aufzeigen und dafür das ökonomische Instrumentarium nutzen. „Economists are the kind of engineers of the utopian, our job is to take care of the nuts and bolts of that alternative economic system and I think we depend on artists and writers to help us see where we want to go“ (Folbre 2005, zitiert in Schönpflug 2005, 72). Die Erarbeitung der Grundlagen einer careful economics (Jochimsen 2003, siehe Kap. 4.1) ist jedenfalls zentraler Bestandteil dieses engineering Prozesses.
5.3.2 Care als Politikfeld für die Gleichstellung der Geschlechter Anknüpfend an diese Konzeptionen einer umfassenden Gleichstellungsperspektive wird nun der Fokus auf Care gelegt. Die Arbeitsteilung zwischen Care und allen anderen Formen bezahlter Arbeit behindert und verhindert die Gleichstellung der Geschlechter, ihre Veränderung muss daher Teil gleichstellungspolitischer Bemühungen sein. Abseits der Ideologie der Privatheit der Familie wird effektiv in diesem Politikfeld sehr viel Politik gemacht, was angesichts der Besonderheiten von Care (siehe Kap. 4.1) auch ökonomisch begründet ist. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, diese Politik in den Dienst der Gleichstellung der Geschlechter zu stellen und dort zu ergänzen, wo es sich als notwendig erweist. Auch hier werden wiederum einige Konzepte präsentiert, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber mit dem Ziel, deren Potenziale für unsere Fragestellung zu erkennen.
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Gender Mainstreaming und Care
Gender Mainstreaming ist als Querschnittspolitik konzipiert, das Ziel ist die Einbeziehung einer geschlechterbezogener Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen (siehe Kap. 5.1). Eine konsequente Anwendung dieses gleichstellungspolitischen Konzepts muss daher über die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik jedenfalls hinausgehen, auch die Sozial- und Familienpolitik müssen auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen hin untersucht werden.166 Angesichts der tiefen und verfestigten Verankerung geschlechtsspezifischer Differenzen im Betreuungsbereich ist dieses Politikfeld nicht nur eines unter vielen, die ge-mainstreamed werden sollten, sondern die Einbeziehung von Care in die 166
Die Ausweitung über die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ist mit einiger Verzögerung doch merklich in Gang gekommen. So befassen sich beispielsweise mehrere Beiträge in Meuser/Neusüß 2004 mit verschiedenen Handlungsfeldern für Gender Mainstreaming: mit dem Gesundheitssystem, Gender Mainstreaming in der Schule, in der politischen Bildung und mit dem Umbau des Sozialstaates (letzteres: Riedmüller 2004). In Behning/Sauer (2005) sind Arbeiten zu Gender Mainstreaming in der Städtebaupolitik und in der lokalen Geschlechterpolitik enthalten, zudem wird die europäische Verfassungsdebatte unter diesem Blickwinkel analysiert.
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Weiterentwicklung dieser Gleichstellungsstrategie ist höchst geboten – zumal die klassische Frauenförderung angesichts der Feminisierung von Care und die formale Gleichstellungspolitik angesichts geschlechtsneutraler formaler Regelungen keine Wirkung zeigen können. Es bedarf der Einbeziehung beider Geschlechter, also einer Gender- anstelle einer FrauenPerspektive, und es bedarf explizit einer Männerförderung, um die Arbeitsteilung der Geschlechter effektiv zu verändern. Eine solche Anwendung von Gender Mainstreaming auf Care ist insofern eine Herausforderung, als eine in den vergangen Jahren zunehmend traditionell orientierte Familienpolitik in Österreich über das vielstrapazierte Konzept der „Wahlfreiheit“ den politischen Eingriff in „das Private“ ablehnt, soweit es die Arbeitsteilung im Haushalt betrifft.167 Diese Position ignoriert, dass der Staat über die Ausgestaltung der Familien- und Betreuungspolitik, aber auch über die Anreizstruktur des gesamten Sozialstaatsmodells in die Arbeitsteilung bereits eingreift, indem bestimmte Arbeitsteilungsmuster gefördert werden (Berghahn 1999). Es ist daher zulässig einzufordern, das Rechts- und Sozialsystem so umzugestalten, dass „die reformierten Regelungen egalitäre Optionen nachhaltig fördern“ (ebd., 135). Intendiert ist kein autoritärer „Eingriff“ in die Privatsphäre, aber die Prüfung und Veränderung von Anreizen und allenfalls die Einführung von Verpflichtungen, „deren Zwangscharakter dann eher symbolisch bleibt“ (ebd., 135). Die Verpflichtung zu einem Vatermonat in der Karenz bei sonstigem Verfall der Ansprüche würde in eine solche Definition fallen.168 Das heißt konkret, dass sich die Sozialpolitik deutlich gegen die bisherige breadwinner-Orientierung stellen und alle Regelungen und Anreize in diese Richtung aufheben muss, um einen emanzipatorischen Umbau des Wohlfahrtsstaates zu unterstützen (Riedmüller 2004). Die Anwendung von Gender Mainstreaming auf die Sozialpolitik (und insbesondere auf die Familienpolitik) liefert die grundlegende Analyse: Bei jeder einzelnen Reform oder Veränderung im System sozialer Sicherung und den sonstigen sozialpolitischen Bereichen müsste geprüft werden, wie sich diese auf das Geschlechterverhältnis auswirken und wie sie in Richtung Geschlechtergleichstellung – gegen das männliche „Ernährermodell“ - angepasst werden können. Allerdings reicht es nicht aus, nur geplante Veränderungen auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen hin zu untersuchen, auch der gesamte bestehende Sozialstaat steht auf dem Gender Mainstreaming-Prüfstand (Rosenberger 2000a). Damit kommen Instrumente und Regelungen ins Blickfeld, die die Komplexität und durchaus auch Widersprüchlichkeit des gleichstellungspolitischen Umbaus des Sozialstaates zum Ausdruck bringen. Zu nennen wäre beispielsweise die Witwenpension als massive Nachwirkung des „Ernährermodells“, gleichzeitig aber auch noch immer soziale Siche167
Die Frage, ob der Gesetzgeber in die familiäre Arbeitsteilung eingreifen soll, stößt nicht nur auf ideologische Kritik von Seiten konservativer oder liberaler Politik, sondern wird auch in der Sozialphilosophie durchaus kontrovers diskutiert (vgl. Berghahn 1999). 168 Einen solchen symbolischen Charakter hätte wohl auch eine „Ehepflicht zur egalitären Arbeitsteilung“, wie sie in Österreich 1996 unter der damaligen Frauenministerin Helga Konrad unter dem Schlagwort „Halbe-Halbe“ diskutiert wurde. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Kampagne, sondern auch um konkrete Vorschläge zur Änderung des Eherechts, indem die Verpflichtung zur Haushaltsführung, zur Pflege und Erziehung und der Versorgung von älteren und pflegebedürftigen Angehörigen bei Berufstätigkeit beider Ehepartner für den Mann und die Frau gleichermaßen besteht; als Konsequenz der Missachtung von „Halbe-Halbe“ hätte die Vernachlässigung dieser Leistungen ausdrücklich als Scheidungsgrund ins Ehegesetz eingeführt werden sollen (vgl. genauer Berghahn 1999, 123ff). Von der Frauenministerin wurde damals immer wieder betont, dass es hier nicht um einen staatlichen Zwang geht, um öffentliche Tugenddiktate, sondern um die bewusstseinsbildende Funktion von Rechtsnormen, die ohnehin mehr von der öffentlichen Diskussion um die Verankerung einer solchen Norm ausgeht als von der Verankerung selbst.
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Gender Gap und Gleichheit
rung für eine große Gruppe von Frauen, von denen nicht mehr verlangt werden kann, für ihre Sicherung selbst aufzukommen (MacDonald 1998, Lewis 2002, Riedmüller 2004). Eine konsequente Anwendung von Gender Mainstreaming auf die Sozialpolitik (bzw. generell die Wirtschaftspolitik) würde deren geschlechtsspezifische Wirkungen sichtbar machen und zur Diskussion stellen.169 Zur Konzipierung egalitärer Umbauoptionen bedarf es wiederum einer Kooperation mit der Arbeitsmarktforschung und den dortigen Ergebnissen der Gender Mainstreaming Analyse, um das Zusammenspiel von Erwerbs- und Betreuungsarbeit erfassen zu können. Zwei Konzepte, die diese Funktion erfüllen können, werden im Folgenden vorgestellt.
B
Das gleichstellungspolitische Potenzial der Übergangsarbeitsmärkte in Bezug auf Care
Im Kapitel 3.4 wurden Berufsunterbrechungen aus familiären Gründen aus der Arbeitsmarktperspektive heraus untersucht und die Frage gestellt, wie diese beschäftigungspolitisch zu behandeln seien. Dazu wurde das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte vorgestellt (Schmid 1998) und im Kapitel 4.3 mit Bezug auf den Übergangsarbeitsmarkt Erwerbsarbeit – Betreuungsarbeit konkretisiert. Dieses Konzept bildet einen Rahmen, um bestehende Übergänge zu analysieren und Verbesserungsvorschläge zu machen (siehe Kap. 4.3 für das Anwendungsbeispiel Österreich), sowie um gute oder sogar optimale Übergänge definieren zu können, die als Ziel wohlfahrtsstaatlicher Reformen in den betreffenden Bereichen dienen können. Hier wenden wir uns der zweiten Fragestellung zu: Was sind „optimale“ Übergänge in Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter? Zur Beantwortung dieser Frage soll an die in Kapitel 5.3.1.B getroffene Unterscheidung zwischen den zwei Dimensionen der Arbeitsteilung angeknüpft werden: In der Abbildung 5.1 finden wir in horizontaler Richtung die Arbeitsteilung der Geschlechter, in vertikaler Richtung die Arbeitsteilung zwischen Betreuungs- und Erwerbsarbeitsbereich. Mit diesen beiden Dimensionen wird eine Matrix aufgespannt, die die Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf eine Veränderung der Arbeitsteilung abbildet (vgl. ausführlich Kreimer 1999). Schmid (2002a, 293) vertritt die These, dass Frauen in einer viel besseren Verhandlungsposition am Arbeitsmarkt und im Haushalt wären, wären alle vier Kriterien „guter“ Übergänge erfüllt.170 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die Analyse der österreichischen Karenzregelung mittels der vier Kriterien (siehe Kap. 4.3.3) zeigt ja eine Reihe diesbezüglicher Potenziale auf, die, würden sie genutzt, die derzeitigen benachteiligenden Auswirkungen der Erwerbsunterbrechung nach der Geburt eines Kindes für Frauen erheblich mildern könnten. In Schweden, das die Kriterien vermutlich am weitestgehenden erfüllt,171 sind die Kosten der Erwerbsunterbrechung sowie jene von betreuungsbedingten Arbeits169 Himmelweit (2002) untersucht beispielsweise die Einführung eines Working Families’ Tax Credit in Großbritannien mittels einer Gender Impact Analyse. An diesem Beispiel lässt sich die Verschränktheit der beiden Bereiche Erwerbsarbeitsmarkt und informelle, unbezahlte Arbeit gut nachvollziehen, ebenso die Notwendigkeit einer Analyse, die beides im Blick hat. 170 Zu den Kriterien siehe Kap. 4.3.3. 171 Dies betrifft insbesondere: Individualisierte Ansprüche (“Papamonat”) und hohe prozentuelle Einkommensersatzrate (Entscheidungsautonomie), sehr flexible Inanspruchnahme in einem klar geregelten Aushandlungsprozess (Effektivität), universelles Wohlfahrtssystem, öffentlich finanziertes ausreichendes Betreuungsangebot (Solidarität).
Gleichstellung und Care
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zeitverkürzungen deutlich geringer als in Österreich, die Gleichstellung der Geschlechter ist in der Konsequenz auf einem deutlich höheren Niveau. Dennoch, auch wenn 43% der schwedischen Karenzierten Väter sind, die immerhin noch 19% aller Karenztage in Anspruch nehmen, eine essentielle Änderung der Arbeitsteilung zeichnet sich auch in Schweden noch nicht ab (siehe weiter unten für eine detaillierte Analyse). Dies lässt den Schluss zu, dass die vier Kriterien für erfolgreiche Übergangsmärkte ein Instrument darstellen, das die Bewegung in vertikaler Richtung in der Matrix der Veränderung der Arbeitsteilung, d.h. den Abbau der funktionalen Hierarchie zwischen Erwerbs- und Betreuungsarbeit, vorantreiben kann und dies in Schweden effektiv auch tut. Ein Stück weit ist eine Bewegung in horizontaler Richtung gegeben, die geschlechtliche Arbeitsteilung ist weniger asymmetrisch als in Österreich, aber gemessen an den Anstrengungen, die in die Ausgestaltung des Übergangsarbeitsmarktes gesteckt wurden und werden, ist das Ausmaß dieser Bewegung doch eher enttäuschend. Wie kann nun eine Veränderung der Arbeitsteilung der Geschlechter, also die horizontale Dimension der familiären Arbeitsteilung, in das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte integriert werden? Meines Erachtens reichen dafür die von Schmid (2002a) entwickelten Kriterien nicht aus, weil diese nicht unmittelbar auf der Verhandlungsebene in der Familie ansetzen. Dennoch sollte es möglich sein, diese Verhandlungsebene einzubauen und die Kriterien daraufhin zu konkretisieren oder zu erweitern. Ein Beispiel dafür liefert LittmannWernli (1999) mit Überlegungen zu einer ökonomischen Gleichstellungsregelung, auf die nun eingegangen wird.
C
Ökonomische Gleichstellungsregelungen: Veränderung der Arbeitsteilung über Arbeitszeitflexibilisierung
Littmann-Wernli (1999) geht in ihrer Untersuchung172 zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt von der These aus, dass die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt als Spiegelbild der asymmetrischen Arbeitsteilung in der Familie interpretiert werden muss. Der zentrale Ansatzpunkt für die Gleichstellung im Erwerbsleben ist ihrer Auffassung nach daher die Veränderung der Arbeitsteilung, d.h. eine neue Aufteilung insbesondere der Familienarbeit in engem Zusammenhang mit einer Veränderung des zeitlichen Engagements am Arbeitsmarkt. Die von Littmann-Wernli konzipierte ökonomisch orientierte Gleichstellungsregelung versucht über veränderte institutionelle Rahmenbedingungen (rechtliche Gleichstellung, Sozialversicherungs- und Steuerrecht u.ä.m.) und über Arbeitszeitflexibilisierung Anreize zum Abbau der traditionellen bzw. Anreize für eine ökonomisch sinnvolle Rollenteilung zu setzen (ebd., 19). Interessant ist zum einen der Zugang über den Erwerbsarbeitsmarkt zur Veränderung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: Gerade weil Betreuungsarbeit nur begrenzt aus der Familie auszulagern ist bzw. auch dieses outsourcing mit hohem organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden ist, ist die Arbeitszeit ein zentraler Ansatzpunkt für die Arbeitsteilung, und zwar primär auf der Seite der Männer – diese gilt es für Familienar172
Die empirische Untersuchung bestand aus einer schriftlichen Unternehmensbefragung, an der sich über 300 Unternehmen im Kanton Zürich beteiligt hatten. Befragt wurden die Unternehmen nach den Bedingungen, unter denen Arbeitszeitflexibilisierung realisierbar wäre und wie diese in die bestehenden Arbeitsorganisationen eingebaut werden könnte (Littmann-Wernli 1999, 141ff).
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Gender Gap und Gleichheit
beit frei zu spielen. Mit der damit auch angestrebten Angleichung der Erwerbsverläufe von Männern und Frauen soll zudem ein wesentlicher Beitrag zum Abbau statistischer Diskriminierung geleistet werden. Zum anderen leitet Littmann-Wernli (1999) ab, dass diese angestrebte Veränderung der Arbeitsteilung nicht bzw. keinesfalls primär über die Präferenzen von Frauen und Männer erzielbar ist. Bestehende Präferenzen könnten zwar durch moralische Appelle, Bewusstseinsbildung und Informationsarbeit verändert werden, allerdings setzt dies eine grundsätzliche Bereitschaft zur Verhaltensänderung voraus, „der angesichts der ökonomischen Notwendigkeit der materiellen Existenzsicherung der Familie durch die i.d.R. besser verdienenden Männer enge Grenzen gesetzt sind“ (ebd., 80). Ökonomische Gleichstellungsregelungen müssen daher am Entscheidungsspielraum der Familien zur intrafamiliären Arbeitsteilung ansetzen und diesen erweitern. Worin besteht nun die von Littmann-Wernli (1999) entworfene ökonomische Gleichstellungsregelung? Das Kernelement ist ein „materieller Anreiz zur Änderung der innerfamiliären Arbeitsteilung in der Form einer getrennten und zeitlich begrenzten finanziellen Vergütung der Familienarbeit zum Zeitpunkt der Familiengründung“ (ebd., 82). Dabei handelt es sich nur auf den ersten Blick um Mutter- bzw. Vaterschaftsurlaub in neuer Verpackung, denn die Autorin verbindet das Instrument der Elternzeit bzw. Karenz mit jenem der Arbeitszeitverkürzung bzw. –flexibilisierung in der Form eines Zeitkontos für Familienarbeit. Beide Elternteile eines neugeborenen Kindes sollen einen individuellen Anspruch auf bezahlte Familienarbeitszeit erhalten, der ihnen je zur Hälfte auf einem Zeitkonto gutgeschrieben wird. Unter dem Aspekt des Gleichstellungsziels verfällt der Anspruch, wenn ein Elternteil auf seine bzw. ihre Familienzeit verzichtet; und ist ein Einkommensausgleich vorgesehen, der sich prozentuell am vorherigen Einkommen orientiert und möglichst hoch sein sollte.173 Das Ziel dieser Subventionierung von Elternzeit ist jedoch nicht die Vollzeitkarenz (wiewohl diese auch möglich sein müsste), sondern eine flexibel und individuell mit dem Unternehmen ausgehandelte Arbeitszeitreduktion. Dieses Ziel leitet sich aus der empirischen Erhebung ab, in der festgestellt wurde, dass Unternehmen eine geringfügige Arbeitszeitverkürzung bei konstantem Arbeitsprozess präferieren. Angestrebt werden daher Arrangements, in denen beide Elternteile beispielsweise ihre Arbeitszeit um 30% reduzieren, für die verbleibende Betreuungszeit müssen sie eine Fremdbetreuung organisieren. Als Ergänzung der Gleichstellungsregelung ist daher ein Ausbau institutioneller Betreuungseinrichtungen notwendig.174 Anpassungen in den institutionellen Rahmenbedingungen, wie individuelle Besteuerung, Individualisierung in der Sozialversicherung sowie Liberalisierung von Arbeitszeitbestimmungen, müssten eine solche Regelung begleiten.
173
Littmann-Wernli (1999) geht von rund 80% bis 90% des Bruttoeinkommens aus. Insgesamt sieht sie einen Zeitrahmen von zwei bis drei Jahren vor. Für Alleinerziehende sieht sie einen Anspruch auf die gesamte Familienzeit vor, ohne allerdings die daraus resultierenden Anreizeffekte in Bezug auf gemeinsame Haushaltsbildung zu thematisieren. 174 Littmann-Wernli (1999, 194f) fordert diesbezüglich ein Gesamtkonzept ein: Ein Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen ohne Anreize in Richtung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung entlastet zwar erwerbstätige Mütter, trägt jedoch nichts zum Abbau von Diskriminierung oder zur Förderung der Gleichstellung bei – im Gegenteil: Eine isolierte Förderung von institutioneller Kinderbetreuung legitimiert bei gegebenen Bedingungen eher die Mehrfachbelastung erwerbstätiger Mütter. Zu weiteren Details der Gleichstellungsregelung vgl. LittmannWernli 1999, 185ff.
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Wie aus Kapitel 4.3 ersichtlich, ist die Idee eines Zeitkontos für Familienarbeit in Schweden bereits weitgehend umgesetzt, allerdings ohne eine umfassende „Verfallsbestimmung“, die sich im Konzept Littmann-Wernlis als zentral erweist.175 Auch die Nutzung der Elternzeitregelung bzw. generell der Subventionierung der Kinderbetreuung durch den Staat für die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter ist schon seit längerem Bestandteil schwedischer Politik (siehe weiter unten). Was Littman-Wernli (1999) einbringt, ist eine ökonomisch-theoretische Begründung dieser Politik und eine klare Fokussierung auf die Arbeitsmarkteffekte – somit ein Blickwechsel von der Ausgestaltung von Care zu den Bedingungen der Arbeitsmarktpartizipation beider Geschlechter. Letzteres dürfte nicht nur aus der Perspektive einer traditionell ausgerichteten Familienpolitik auf Widerstand stoßen, sondern steht auch tendenziell in Widerspruch mit Konzepten wie Caregiving Parity, die sich gegen eine „Ökonomisierung von Care“, gegen eine neue Unterordnung von Betreuungsarbeit unter die Erwerbsarbeit aussprechen. Allerdings fehlt in diesen Konzepten bislang der Aspekt der Geschlechtergleichstellung ganz oder teilweise.176 Während es notwendig sein dürfte, Care in das Konzept der ökonomischen Gleichstellungsregelung von Littmann-Wernli (1999) besser zu integrieren bzw. die möglichen Widersprüche herauszuarbeiten, könnte das Konzept selbst sicherlich zentraler Teil der Umsetzung eines Combination Scenarios sein bzw. das Universal Caregiving Model unterstützen und in die Kriterien für Übergangsarbeitsmärkte eingebaut werden.
D
Änderungen der Arbeitsteilung: Neue Koordinationsanforderungen an die Politik
Das Konzept der Aktivierung spielt seit Beginn der 1990er Jahre in der Arbeitsmarktpolitik eine zentrale Rolle. Über eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik soll die Beschäftigungsfähigkeit oder Employability der Individuen hergestellt bzw. erhöht werden. Ausgangspunkt der Aktivierung ist eine Verlagerung von Transferleistungen (insbesondere Leistungen der passiven Arbeitsmarktpolitik) hin zu Ausgaben für aktive Maßnahmen, die sich insbesondere auch an bislang „arbeitsmarktferne“ Gruppen wenden sollen.177 Für die vorliegende Thematik ist dieser Wandel zum aktivierenden Sozialstaat (Dingeldey 2003) in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen beruht die Herstellung oder Erhöhung der Employability auf der Herstellung von Chancengleichheit beim Arbeitsmarktzugang und betrifft somit unmittelbar die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Frauen und Männern hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktpartizipation. Zum zweiten beruhen diese unterschiedlichen Ausgangsbedingungen wesentlich auf der asymmetrischen Arbeitsteilung, die Frauen die Betreuungsarbeit zuschreibt. Eine der zentralen Gruppen der Arbeitsmarktaktivierung sind somit Mütter, deren Beschäftigungsfähigkeit durch koordinierte Maßnahmen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 175
Der schwedische „Papamonat“ (bzw. mittlerweile sind es zwei Monate) verfällt zwar auch; aber der Anspruch auf die gemeinsame Zeit (390 Tage minus jeweils 60 Tage nicht übertragbarer Anspruch ergibt 270 Tage) kann übertragen werden und wird auch in Schweden fast ausschließlich von Müttern genutzt (siehe Kap. 4.3). 176 Siehe dazu auch Frasers Kritik an Caregiving Parity anhand ihrer umfassenden Definition von gender equality (Fraser 1994). 177 Auf die Diskussionen rund um Aktivierung kann hier nicht eingegangen werden. LudwigMayerhofer/Wroblewski (2004) untersuchen die Aktivierungspolitik in Österreich und Deutschland, Konle-Seidl (2005) präsentiert internationale Evaluierungsergebnisse.
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Gender Gap und Gleichheit erhöht werden soll, um eine Universalisierung der Arbeitsmarktteilnahme zu erreichen.178 Ein Beispiel für eine vergleichende Untersuchung dieses Aspekts für drei Länder (Deutschland, Dänemark, Großbritannien) liefert Dingeldey (2003).
Damit ist ein Thema angesprochen, das bei den vorher angeführten Konzepten in jedem Fall berücksichtigt werden muss, aber selten expliziert wird: nämlich das der Notwendigkeit der Koordination der Arbeitsmarktpolitik mit der Sozialpolitik (beide im weitesten Sinn definiert). Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in allen Politikbereichen macht angesichts von Zielkonflikten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nur Sinn, wenn es auch eine übergeordnete Koordinierung dieser Umsetzung gibt, andernfalls verkommt Gender Mainstreaming zu dem, was KritikerInnen befürchten: zu einer reinen bürokratischen Listenabarbeitung ohne reale Auswirkungen. Die Ausgestaltung des Übergangsarbeitsmarktes Betreuungsarbeit ist per Definition im Schnittbereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik angesiedelt, hier ist eine Koordination unterlässlich. Für das eher mikropolitisch angelegte Konzept von Littmann-Wernli (1999) gilt ähnliches: die „beste“ Zeitkontenregelung wird wirkungslos bleiben, wenn nicht die Arbeitszeitpolitik und die Regulierung darauf abgestimmt sind und die AkteurInnen in den betrieblichen oder sektoralen Aushandlungsprozessen nicht einbezogen sind. Dingeldey (2003) arbeitet anhand des Beispiels der Beschäftigungsfähigkeit von Müttern heraus, dass die konkreten Potenziale einer politikfeldübergreifenden Koordination vom kontextspezifischen (länderspezifischen) Zusammenspiel dreier Faktoren abhängen: dem Typus des Gender Contract, dem Wohlfahrtsstaatmodell und dem Ausbau des PolicyInstrumentariums.179 Während in Dänemark ein egalitärer Gender Contract sich mit einem universalistischen Wohlfahrtsstaat zu einer Art Meta-Konsensus (ebd., 105) verbindet und gemeinsam mit einem gut institutionalisierten Mix aus Politikinstrumenten optimale Rahmenbedingungen für die Koordination und Ausrichtung verschiedener Politikfelder gewährleistet, zeigt sich in Deutschland ein anderes Bild: Die Mischung aus einem traditionellen Gender Contract mit einer selektiv orientierten Unterstützung der Arbeitsmarktteilnahme von Müttern (vgl. Ludwig-Mayerhofer/Wroblewski 2004) ergibt gerade keinen Meta-Konsensus.180 Das hat zur Folge, dass die notwendige politikfeldübergreifende Koordinierung wesentlich schwieriger und aufwendiger ist, bzw. ganz unterbleibt. Die Integration von Care in ein gleichstellungspolitisches Gesamtkonzept stellt hohe Ansprüche an die Koordination unterschiedlicher Politikfelder. Um diese erfüllen zu können, ist die „Etablierung eines Konsensus zur Modernisierung des geschlechterpolitischen
178
Dies steht in Zusammenhang mit den beschäftigungspolitischen Zielen der EU, allerdings wurde hier im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie ein Konzept aufgegriffen, dass bereits Anfang der 1990er Jahre von der OECD propagiert und beispielsweise in Dänemark ab 1993 mit dem Schwerpunkt auf Jugendliche umgesetzt wurde. Die zweite Motivation ist der Wandel des fürsorgenden Sozialstaates hin zur Befähigung des/der Einzelnen für sich selbst zu sorgen, was in einer verkürzten Form sozialpolitische Kürzungen und Einsparungen verdecken hilft – gerade aus diesem Grund wurde und wird Aktivierung kritisch diskutiert. 179 Siehe Kap. 4.1 für eine Übersicht zur Wohlfahrtsstaatenforschung und deren Anwendung auf das Geschlechterverhältnis. 180 Auch keinen im spiegelbildlichen Sinn: Ein ausschließlich traditioneller Gender Contract mit entsprechender vollständigen Freistellung von Müttern vom Arbeitsmarkt ist nicht mehr vorzufinden. Realität ist in Deutschland wie ähnlich auch in Österreich ein teilweise modernisierter Geschlechterkontrakt mit einer durchaus widersprüchlichen Politik hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration von Müttern (vgl. Gottschall/Bird 2003 für Deutschland, Haas B. 2003 für Österreich).
Gleichstellung und Care
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Leitbildes“ (Dingeldey 2003, 105) ebenso notwendig wie eine Abstimmung desselben mit den jeweiligen sozialstaatlichen Grundprinzipien (dem Wohlfahrtsstaatsmodell).181
5.3.3 Die Organisation von Care als Teil der Gleichstellungspolitik: Zwei Fallbeispiele Die asymmetrische Arbeitsteilung der Geschlechter ist ein Phänomen, das noch nirgendwo befriedigend gelöst werden konnte. Dennoch gibt es erhebliche Differenzen im Ausmaß des aktuellen Gender Gap und damit im Abstand zur egalitären Arbeitsteilung zwischen einzelnen Ländern. Im Folgenden werden zwei Länder auf ihren Status im Veränderungsprozess zur Geschlechtergleichstellung untersucht, wobei jeweils ein spezifischer Aspekt im Mittelpunkt steht, der sich als Anknüpfungspunkt für die österreichische Gleichstellungspolitik anbietet: Bei Schweden ist dies ein vom institutionellen Rahmen her ähnliches Karenzsystem, im Fall der Niederlande die Teilzeitarbeit von Frauen in Kombination mit einem geringen institutionellen Kinderbetreuungsangebot. Beide Länder beziehen Care in ihre jeweilige Gleichstellungsstrategie ein. Es ist nicht die Aufgabe dieses Kapitels eine Entscheidung zwischen diesen beiden Perspektiven zu treffen (und auch nicht, den relativen Erfolg in den beispielgebenden Ländern zu bewerten), sondern diese Perspektiven als mögliche Optionen aufzuzeigen und gegenüberzustellen.
A
Schweden: Auf dem Weg zur dual-earner/dual-carer Gesellschaft
Schweden hat in Bezug auf die Gleichstellungspolitik zwischen den Geschlechtern eine lange und angesichts des geringen Gender Gap182 auch erfolgreiche Tradition vorzuweisen.183 Während in den 1970er und 1980er Jahren Gleichstellungspolitik sich auf den Abbau diskriminierender Strukturen am Arbeitsmarkt konzentrierte,184 kam es ab den 1990er 181
Der dritte Faktor, das policy-Instrumentarium, ist vermutlich am einfachsten anzupassen, vorausgesetzt, es ist vorhanden (was beispielsweise im Fall Großbritannien nicht der Fall ist, vgl. Dingeldey 2003). 182 Zur Position Schwedens im Kontext der europäischen Beschäftigungsstrategie und der darin erhobenen Gender Gaps siehe z.B. Rubery et al. 2004. 183 Über die Kausalität dieser Prozesse gibt es konträre Interpretationen: Während in der jüngeren Wohlfahrtsstaatenforschung davon ausgegangen wird, dass die Frauenerwerbstätigkeit in Schweden wegen der Kinderbetreuungspolitik und Elternzeitpolitik hoch ist, die Politik also die Arbeitsmarktintegration der Frauen angestoßen hat, argumentiert Nyberg (2003 und 2004) umgekehrt: Frauen seien zuerst in den Arbeitsmarkt eingetreten, dann hätte die Politik – notgedrungen – reagiert. Wie immer die Kausalität tatsächlich verlaufen mag, Tatsache bleibt, dass Schweden mit seiner Gleichstellungspolitik die Erwerbstätigkeit von Frauen massiv unterstützt und den Gender Gap im Vergleich zu den meisten europäischen Staaten deutlich reduzieren konnte. 184 Im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Strategie, angesichts des Arbeitskräftemangels in den 1960er und 1970er Jahren sogenannte „Gastarbeiter“ ins Land zu holen, hat Schweden von Beginn an versucht, die Arbeitsmarktpotenziale der Frauen zu nutzen und die Frauenerwerbstätigkeit zu fördern. Dabei waren von Anfang an die Frage der Geschlechtergleichstellung, die Veränderung der Geschlechterrollen Teil der Debatten und der Politik (vgl. Theobald 1999 und 2004). Die Frauenerwerbsquote ist hoch, der Gender Gap Beschäftigung sehr gering, auch der Gender Gap Einkommen ist gering. Da der Wohlfahrtsstaat in dieser Strategie eine zentrale Rolle spielte und spielt, indem Arbeitsplätze für Frauen im öffentlichen Bereich geschaffen wurden, ist als einer der wenigen Wermutstropfen aus der Sicht der Geschlechtergleichstellung die hohe horizontale Segregation des Arbeitsmarktes zu nennen, die allerdings durch den relativ geringen Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern relativiert wird (vgl. Melkas/Anker 1997). Ein weiterer wäre die vertikale Segregation, sichtbar in der Verteilung auf
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Gender Gap und Gleichheit
Jahren zu einer Schwerpunktverlagerung hin zu einer breit definierten Gleichstellungspolitik, die Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft die gleichen Rechte, Möglichkeiten, Verpflichtungen und Verantwortungen garantieren soll (Jalmert 2004, 194). Schweden war somit ein Pionier in der Anwendung von Gender Mainstreaming und darin verstärkt auch ein Pionier in der Einbeziehung von Männern in den Gender Mainstreaming Prozess. Vor dem Hintergrund der österreichischen Gender Mainstreaming Implementierung, die primär an bisheriger Frauenförder- und Gleichstellungspolitik am Arbeitsmarkt anknüpft, ist es auffallend, wenn im schwedischen Beitrag zu einem Sammelwerk über Gender Mainstreaming (Meuser/Neusüß 2004) die Schwerpunkte auf der Elternzeitregelung, der Stärkung der Väter, der Erhöhung des Männeranteils im Vorschulbereich und auf der Bekämpfung männlicher Gewalt liegen (Jalmert 2004).185 In Kapitel 4.3 wurde die schwedische Politik zur Kinderbetreuung, Elternzeit und zur Einbeziehung der Väter bereits vorgestellt, auf Details soll hier nicht erneut eingegangen werden (vgl. Nyberg 2003 und 2004; Haas/Hwang 1999). Der gleichstellungspolitische Zugang zur Elternfreistellung ist in gewissem Sinn „doppelt emanzipativ“: Die Änderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist für die Vollendung der Geschlechtergleichstellung aus der Sicht der Frauen unabdingbar, die auch in Schweden noch einen deutlich größeren Anteil der Betreuungsarbeit leisten; und die Beteiligung der Männer in der Betreuungsarbeit ermöglicht diesen selbst ein Stück weit die Befreiung von den Zwängen der Erwerbsarbeit, zum Wohle insbesondere auch der Kinder. Wohlfahrtsstaat und Gleichstellungspolitik unterstützen die Entwicklung des dual-earner/dual-carer-Modells, das das in Schweden ohnehin nur schwach ausgeprägte male breadwinner Modell (Lewis/Ostner 1994) bereits weitgehend abgelöst hat. Das dual-earner/dual-carer-Modell soll beide Geschlechter und beide Formen von Arbeit, bezahlte Erwerbsarbeit und unbezahlte Care-Arbeit, sichtbar machen, und es soll die Notwendigkeit der Veränderung traditioneller Rollen für Männer und Frauen zum Ausdruck bringen, um eine geschlechteregalitäre Gesellschaft zu erreichen (Nyberg 2003, 3). „Gender equality is conceptualised by promoting equality based on sameness, with a new norm for both men and women” (ebd., 4). Nicht nur die Position von Frauen am Arbeitsmarkt muss verbessert werden, auch der Anteil der Männer im Betreuungs- und Haushaltsbereich muss erhöht werden – das Ziel ist „gender equality in the distribution of paid and unpaid work“ (ebd.). Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung wurde bereits 1974 die Elternfreistellung eingeführt, 1995 der „Papamonat“ eingeführt und 2002 erweitert (siehe Kap. 4.3). Das dual-earner/dual-carer Modell hat auch die ökonomische Krise in Schweden in den 1990er Jahren insofern überstanden, als das wohlfahrtsstaatliche Arrangement trotz Krise im wesentlichen nicht gekürzt wurde und sich auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht wieder zuungunsten der Frauen verändert hat.186 Führungspositionen, diese ist zwar deutlich geringer als z.B. in Deutschland, aber dennoch als Problemstellung präsent (Theobald 1999). 185 Bemerkenswert ist hier weniger die deutliche „Männersicht“ – diese wurde vom Autor explizit so gewählt. Bemerkenswert sind die Themenstellungen: Diese zielen allesamt auf die Veränderung der Arbeitsteilung und/oder der Geschlechterrollen. 186 Nyberg (2003) vergleicht zentrale Indikatoren für 1990 und 2002. Insgesamt ist die Arbeitsteilung 2002 egalitärer als 1990, und zwar sowohl am Arbeitsmarkt (reduzierte Gender Gaps der Beschäftigung, Arbeitszeit, Arbeitslosigkeit) als auch bei der unbezahlten Arbeit – letzteres allerdings nicht aufgrund vermehrter Aktivitäten der Männer, sondern Frauen haben ihre tägliche Arbeitszeit im Haushalt um 40 Minuten reduziert. Im Einzelnen gibt es jedoch auch Bewegung bei den Männern bzw. Vätern: beschäftigte Väter mit Kindern im Vorschulalter haben beispielsweise ihre tägliche Erwerbsarbeitszeit reduziert (ebd., 23).
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Haas (2003) ordnet Schweden dem valued care model zu, das auf einer gleichen Partizipation beider Geschlechter in beiden Arbeitsbereichen beruht, wobei der Staat die Bedeutung von Care anerkennt und stützt, sowohl über adäquat bezahlte Elternzeit, Anreize zur Väterkarenz, Förderung der Flexibilität und insbesondere dem Angebot qualitativer und subventionierter Kinderbetreuungseinrichtungen. „Only one of the EU countries aspires to develop this radical model of gender relations, although it has not yet succeeded in reaching it – Sweden“ (ebd., 105). Die Selbstverständlichkeit, mit der familien- und bildungspolitische Fragestellungen immer auch unter der Perspektive der Geschlechtergleichstellung untersucht werden, verweist auf eine Praxis, in der Frauenförderpolitik tatsächlich im Sinne von Gender Mainstreaming zu einer umfassenden Gleichstellungspolitik transformiert wurde. Fragen der Reform der Vorschule umfassen Qualitätsaspekte bzw. Qualitätssicherung ebenso wie die Beschränkung der Kosten (maximum fee), um universellen Zugang zu gewährleisten, die Ausweitung der Öffnungszeiten, um die Vereinbarkeit zu verbessern, und das Geschlechterverhältnis bei den Lehrenden, um Geschlechtsstereotype möglichst früh auch infrage stellen zu können. Die Berücksichtigung der Geschlechtergleichstellung ist essentieller Teil jeglicher Politik. Dennoch – gemessen an diesen massiven Bemühungen, die Geschlechtergleichstellung auch über die Frage der Kinderbetreuung voranzutreiben, ist der Erfolg relativ bescheiden (Haas/Hwang 1999, Haas 2003; siehe auch Kap. 4.3). Die Gleichstellungspolitik stößt hier offensichtlich an Grenzen, die auch in Schweden recht eindeutig in der Kultur der Erwerbsarbeit liegen dürften: Die Norm, dass primär Frauen für die Kinderbetreuung zuständig sind, ist noch präsent und spielt Männer für Erwerbsarbeit frei. Wie weit kann die Sozialpolitik in der Veränderung der Struktur des Arbeitsmarktes gehen, wie viel an Veränderung kann sie tatsächlich hervorbringen? Haas/Hwang (1999, 64) geben darauf eine erste Antwort: „Social policy which aims to bring about gender equality cannot merely encourage men to participate in early child care: it must expect men to do so” (Hervorhebungen im Original). Dass dies dramatische Veränderung in der Erwerbsarbeitskultur voraussetzt, für die die Mehrheit schwedischer Firmen noch nicht gerüstet scheint, wird von den AutorInnen angemerkt.187 Im Bereich der Langzeitpflege und Altenbetreuung begann die Expansion sozialer Dienstleistungen bereits in den 1950er Jahren, und auch hier war ab den 1960er Jahren die Frage der Geschlechtergleichstellung eine treibende Kraft in Richtung Ausbau von sozialen Dienstleistungen unter staatlicher Regie (Theobald 2004). Indem der Staat die Zuständigkeit für soziale Betreuung betont und damit die Aufgaben der Familie reduziert, übernimmt er zugleich die Verantwortung für die Frauenerwerbsbeteiligung. Diese Politik führte in der Folge zu Professionalisierungsprozessen in der Betreuung und zur Angleichung der Lebens- und Arbeitssituationen unterschiedlicher Gruppen von Betreuungspersonen. Im Gegensatz zur Kinderbetreuung konstatiert Theobald (2004) allerdings für diesen Bereich stärkere Auswirkungen der Krise in den 1990er Jahren bzw. der damit einhergehenden Marktorientierung und sieht eine „Rückkehr von Kennzeichen sozialer und Geschlechte-
187 Ein Grund liegt auch im familiären bargaining: Allgemein werden zwei Faktoren identifiziert, warum Frauen wesentlich mehr Elternzeit in Anspruch nehmen: erstens spielt auch in Schweden der Gender Pay Gap eine gewisse Rolle (siehe Kap. 4.3), zweitens wollen Frauen teilweise auf „ihre“ Elternzeit nicht verzichten, insbesondere wenn sie in wenig attraktiven Jobs arbeiten (Haas 2003, 108).
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rungleichheit für Betreuungspersonen und ältere Menschen“ (ebd., 189).188 Dennoch, die Kürzungen gingen von einem im europäischen Vergleich hohen Standard aus. Schweden ist neben Dänemark das einzige Land mit einem hohen Niveau sozialer Dienstleistungen für ältere und pflegebedürftige Menschen (Bettio/Plantenga 2004, 100f). Das Ausmaß der Defamilialisierung (siehe Kap. 4) ist im europäischen Vergleich immer noch sehr hoch (Leitner 2003), der Professionalisierungsprozess in den sozialen Diensten weit fortgeschritten (vgl. auch Rostgaard/Fridberg 1998). Beides stützt indirekt die egalitäre Arbeitsteilung, teilweise sogar direkt, insofern Pflegeberufe auch für Männer attraktiv sind bzw. werden.
B
Niederlande: Perspektiven eines „dualen Teilzeitmodells“
In den Niederlanden ist informelle Betreuungsarbeit ähnlich wie in Österreich von hoher Bedeutung. Die Besonderheit dieses Care-Regimes liegt (ähnlich wie in Großbritannien) in der deutlich unterschiedlichen Gestaltung der Kinderbetreuung und der Langzeitpflege: „The family is considered the „natural“ provider for children, while the state is thought to be the steward for the elderly“ (Bettio/Plantenga 2004, 101). Die Anknüpfungspunkte für die Geschlechtergleichstellung ergeben sich aus der spezifischen Verbindung von Teilzeitbeschäftigung, Flexibilität und Organisation der Betreuungsarbeit innerhalb des sogenannten „Polder-Modells“.189 Angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit Anfang der 1980er Jahre haben sich die Tarifpartner auf eine Strategie geeinigt, in deren Zentrum die Umverteilung des Arbeitsvolumens in Kombination mit hoher Flexibilität stand (Molitor 1999). Während die Arbeitszeitverkürzung in den 1980er Jahren noch auf die wöchentliche Arbeitszeit gerichtet war, begann Ende der 1980er Jahre die explizite Förderung von Teilzeitstellen, um Arbeit umzuverteilen, um eine höhere Flexibilität zu erzielen (Ladenöffnungszeiten etc.) und um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in einem System mit einem sehr kargen Angebot öffentlicher Kinderbetreuung zu ermöglichen (Plantenga 2000). Diese Politik resultierte in einer in Europa einzigartig hohen Teilzeitquote: 23% der Männer und 75% der Frauen arbeiten in Teilzeit.190 Angesichts dieses hohen Anteils hat sich das Image von Teilzeitarbeit in den Niederlanden zumindest teilweise verbessert,191 jedenfalls haben Teilzeitjobs ihren Charakter als „atypische“ Beschäftigung verloren (Plantenga 2000, 52). 188
Dies betrifft insbesondere die Chancen schlecht qualifizierter Frauen, in Nischen des öffentlichen Pflegesektors Beschäftigung zu finden – diese sind infolge von Kürzungen bei den sozialen Dienstleistungen gesunken. Auch der familiäre Pflegeaufwand trifft verstärkt Frauen, die ihre älteren Partner pflegen und betreuen und dabei auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind. 189 Polder bezeichnet Land, das unterhalb des Meeresspiegels liegt und durch Deiche etc. vor Überflutung geschützt werden muss. Das Finden der optimalen Strategie zur Verhinderung der Überflutung und die dafür notwendige Kooperation aller Beteiligten sind die Parallelen zum niederländischen politischen Entscheidungsfindungsprozess, in dem ArbeitgeberInnen, Gewerkschaften und Interessensverbände und die Regierung konsensuale Vereinbarungen treffen, insbesondere im beschäftigungspolitischen Bereich und in Abstimmung mit der generellen Wirtschaftspolitik. 190 Daten für 2006. Quelle: Eurostat, Arbeitskräfteerhebung. 191 Dies ist nicht gleichbedeutend mit einer essentiellen Verbesserung der Einkommens- und Karrierechancen von Teilzeitbeschäftigten: Der Teilzeitmarkt ist extrem stark segregiert, Frauen sind in Teilzeitjobs „buchstäblich eingeschlossen“ (Molitor 1999, 247), d.h. in Frauenbranchen und –berufe und darin in niedrigen Funktionen. Der Wechsel zu Vollzeitstellen ist kaum möglich, weil es in diesen Branchen keine gibt, während es umgekehrt in typischen Männerbranchen kein Teilzeitangebot gibt.
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Diese vorsichtig positive Einschätzung der niederländischen Teilzeitarbeit ist insofern im Vergleich zu stark lohnarbeitszentrierten Systemen (wie Österreich) gerechtfertigt, als der universelle Charakter des niederländischen Wohlfahrtsstaates die negativen Auswirkungen von Teilzeitjobs auf die soziale Sicherheit mildert (Molitor 1999, Plantenga 2000): Über die Altersvolksversicherung besteht für alle legalen EinwohnerInnen der Anspruch auf eine gesetzliche Mindestpension, unabhängig vom Ausmaß der Erwerbstätigkeit. Auch auf der Ebene der Arbeitnehmerversicherung gibt es vergleichsweise vorteilhafte Regulierungen (Molitor 1999; Fagan et al. 1999). Zusammen mit dem generell hohen Einkommensniveau in den Niederlanden ergeben sich insofern optimale Bedingungen für eine parttime economy, als es nicht zweier Vollzeiteinkommen bedarf, damit Familien im Normalfall abgesichert sind (Plantenga 2000, 57).192 Ausgangspunkt des Anstiegs der Teilzeitarbeit war eine starke Ausprägung des male breadwinner-Modells in den Niederlanden, die Frauenerwerbsquote betrug 1970 gerade einmal 29% (Molitor 1999, 222).193 Bis in die 1980er Jahre hinein war es für die Mehrheit der Frauen selbstverständlich, mit der Eheschließung aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden, mit der Möglichkeit der Teilzeitarbeit änderte sich dies in Richtung eines „Parallelmodells“: Frauen bleiben im Arbeitsmarkt und vereinbaren Beruf und Familie über Teilzeitarbeit (Plantenga 1997). Die Modernisierung des male breadwinner-Modells erfolgte substanziell über Teilzeitarbeit,194 das Resultat ist ein dual breadwinner/female carer-Modell (Pfau-Effinger 1998a). Wie sieht das niederländische Care-Arrangement in Bezug auf die Kinderbetreuung aus? Die Niederlande zählen zu jenen europäischen Staaten, in denen es keine bezahlte Elternzeit gibt (neben Spanien, Griechenland und Portugal).195 1991 wurde das Recht auf sechs Monate unbezahlte Elternzeit eingeführt, die sehr spezifisch, wenn auch nicht ganz unerwartet auf part-time leave begrenzt war (Haas 2003, Moss/Deven 1999).196 In Anpassung an die EU-Richtlinie zur Elternkarenz hat jetzt jeder Elternteil Anspruch auf drei Monate unbezahlte Vollzeit-Karenz, die bis zum achten Geburtstag des Kindes in Anspruch genommen werden können (European Commission 2004a). Es gibt keine Anreize für Väter, 192
Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob und wie gut Familien mit zwei Teilzeitbeschäftigungen leben können – diesbezügliche Befunde liegen nicht direkt vor. Indirekt weist der enorme Anteil von Familien mit Ein-undeinem-halben-Einkommen eher darauf hin, dass hier doch auch auf der Einkommensebene Grenzen des dualen Teilzeitmodells liegen dürften. 193 Das Beispiel der Niederlande zeigt auch die Notwendigkeit einer Gender-Perspektive in der Wohlfahrtsstaatenforschung: Hinsichtlich der Organisation des Sozialsystems wurden die Niederlande ursprünglich eher dem sozialdemokratischen Modell zugeordnet (Esping-Andersen 1990). Das Sozialstaatsmodell war aber mit einem sehr traditionellen Geschlechterarrangement im Sinne des male breadwinner/housewife-Modells verbunden (PfauEffinger 1998a). Der Fokus auf das Sozialsystem ohne Berücksichtigung der unbezahlten Arbeit verdeckt die geschlechterpolitischen Implikationen des Wohlfahrtsstaates und bleibt daher zwangsläufig unvollständig. 194 Diese Modernisierung über Teilzeitarbeit fiel in den Niederlanden deutlich stärker als in vergleichbaren Ländern wie Deutschland. Pfau-Effinger (1998a) sieht die Ursachen dafür in einer noch stärkeren Verankerung der Hausfrauenehe und einer home caring society in den Niederlanden, aber auch in der massiven Förderung von Teilzeitarbeit durch institutionelle Regulierung. 195 Dies betrifft nicht den Mutterschaftsurlaub selbst: Beschäftigte Mütter haben das Recht auf 16 Wochen voll bezahlten Mutterschaftsurlaub rund um die Geburt des Kindes. 196 Die Inanspruchnahme von Teilzeitkarenz setzt eine Erwerbstätigkeit von mindestens 20 Wochenstunden voraus (Moss/Deven 1999). Die Teilzeitkarenz war somit der übliche Einstieg in die Teilzeitbeschäftigung auf Dauer. Die Inanspruchnahme war verhältnismäßig niedrig (rund 40% bei den Frauen und 9% bei den Männern Mitte der 1990er Jahre), was aber angesichts der Regelung wenig verwundert: Ein Anreiz, explizit in Teilzeitkarenz zu gehen, bestand nur dort, wo durch Tarifverträge Einkommensersatzleistungen gewährt wurden (vor allem im öffentlichen Sektor).
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Elternzeit zu nehmen, die Inanspruchnahme durch Väter ist gering.197 Entsprechend dem niederländischen Polder-Modell war der staatliche Karenzanspruch als Minimum gedacht, den Firmen bzw. Sozialpartnern steht es frei, darüber hinaus gehende Regelungen umzusetzen (Gustafsson et al. 2002).198 Diese Politik wurde jüngst verstärkt: Die niederländische Regierung fördert die Frauenerwerbstätigkeit nicht über die direkte Subventionierung zugunsten arbeitender Eltern, sondern überlässt diese Aufgabe den ArbeitgeberInnen, die sich verstärkt um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kümmern sollen (beispielsweise durch die Subventionierung eines Drittels der Kinderbetreuungskosten ihrer Beschäftigten). Haas (2003) spricht von einem market-oriented care model. Nicht einmal jedes zehnte Kind unter drei Jahren besucht institutionelle Betreuungseinrichtungen,199 bei über dreijährigen Kindern sind es allerdings 98%. Zu berücksichtigen ist der frühe Schulstart mit vier (Vorschule) bzw. fünf Jahren, es gibt kein Kindergartensystem wie in Deutschland oder Österreich. Der Großteil der Betreuungseinrichtungen ist privat, Gemeinden und Firmen subventionieren Plätze für ihre Angestellten (Gustafsson et al. 2002, 12). Die Hälfte der erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 12 Jahren greift auf informelle Ressourcen der Betreuung zurück, wobei die informelle und unbezahlte Betreuung durch Großeltern am bedeutsamsten ist (Knijn et al. 2003). Dieser kurze Überblick zum niederländischen Care-Arrangement führt uns zur Frage, worin hier die gleichstellungspolitischen Potenziale liegen? Dass es solche gibt, kann daraus abgeleitet werden, dass das bereits vorgestellte Combination Scenario in den Niederlanden entwickelt und Mitte der 1990er Jahre auch von offizieller Seite vertreten wurde (Adivsory Council 1996,200 Bruyn-Hundt 1996). Diese langfristige Strategie erfordert umfassende Änderungen des Erwerbs- und Sozialsystems, ein Schritt dahin könnte ein Modell der Teilzeitarbeit für Frauen und Männer sein, sozusagen ein „duales Teilzeitmodell“ (Fagan et al. 1999, 67) als spezifische Ausformung des dual-earner/dual-carer-Modells. Der im europäischen Vergleich doch sehr hohe Anteil von Männern in Teilzeit, aber auch die von niederländischen Männern stärker geäußerte Präferenz für geringere Arbeitszeiten zeigen Potenziale in diese Richtung auf (ebd.). Während einige der Analysen Ende der 1990er Jahre bzgl. der tatsächlichen Implementierung eines neuen Geschlechtervertrags im Sinne des „dualen Teilzeitmodells“ noch vorsichtig optimistisch waren (Fagan et al. 1999), wiesen Plantenga et al. (1999) bereits darauf hin, dass die Entwicklung hin zu einer gleichen Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit durch eine inkonsistente und widersprüchliche Sozialpolitik gebremst wird. Die traditionelle Arbeitsteilung wird immer noch durch eine Reihe sozialpolitischer Regulierungen deutlich mehr unterstützt als ein Wechsel zu einem partnerschaftlichen Teilzeitmodell. Da in der Erwerbsarbeitssphäre die Norm des männlichen Vollzeit-„Ernährers“ nach wie vor präsent ist, Teilzeitarbeit weiterhin gefördert wird und ebenso der Anstieg der 197
Das übliche Muster in den 1990er Jahren war eine vorübergehende Arbeitszeitreduktion, 1994 wählten 13% der Väter eine Vier-Tage-Woche, solange die Kinder klein waren (OECD 2002, 146). Dieses Arbeitszeitmodell beschränkte sich auf gut qualifizierte Väter mit Jobs im öffentlichen Sektor. 198 Im öffentlichen Sektor sind Einkommensersatzleistungen bis zu 75% des vorherigen Einkommens möglich; insgesamt differieren die Leistungen beträchtlich, immerhin gibt es an die 800 verschiedene Tarifverträge (Gustafsson et al. 2002, 12). 199 Die Zahlenangaben sind etwas unterschiedlich, Ende der 1990er Jahre waren es 6% (OECD 2001, 144) bzw. 7,5% (Gustafsson et al. 2002, 13). 200 Die zitierte Publikation ist das Ergebnis der Arbeit des Emancipation Council, das von 1981 bis 1997 den Auftrag hatte, die niederländische Regierung in gleichstellungspolitischer Hinsicht zu beraten und Empfehlungen für die Politik zu entwerfen (vgl. auch Pfau-Effinger 1998a).
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Frauenerwerbstätigkeit, bleibt die Zielsetzung einer gleichen Arbeitsteilung sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen Erwerbsarbeit und Care unerreicht. „Because a consistent policy is lacking, government gives neither individuals nor organizations the signal that might contribute to those steps in the area of part-time work, child-care provision and leave facilities which would bring about a redistribution of paid and unpaid work between men and women” (Plantenga et al. 1999, 109). Die Frage von Gender-Equality wird im Bereich der Langzeitbetreuung in den Niederlanden kaum thematisiert, was darin begründet sein mag, dass informelle Arbeit von Frauen im erwerbsfähigen Alter nicht die zentrale Funktion hat wie beispielsweise in Deutschland oder Österreich. Das System der home helps und home services ist gut ausgebaut (vgl. auch Rostgaard/Fridberg 1998), bietet damit Arbeitsplätze für Frauen, die zwar häufig in Teilzeitform angeboten werden, aber über die universelle Alterssicherung zumindest teilweise im Risiko entschärft werden (siehe oben).
C
Anknüpfungspunkte und Übertragbarkeit auf Österreich
Sozialstaatliche Bedingungen stecken einen gewichtigen Teil des Rahmens ab, in dem die Entscheidungsfindung zur familiären Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern stattfindet. Die Wohlfahrtsstaatenforschung zeigt die Heterogenität von Sozialstaatsmodellen und versucht aus den vorhandenen Ähnlichkeiten Typen zu identifizieren (siehe Kap. 4.1). Wie weit das gelingen kann bzw. der vorhandenen Vielfalt gerecht wird, darüber bestehen Zweifel, dennoch liefert die komparative Forschung eine wichtige Grundlage für Sozialstaatsreformen – sofern nicht naiv versucht wird, eine spezifische Regelung unabhängig vom Kontext zu übertragen oder gar ein ganzes Modell nachzuahmen.201 Die Wahl Schwedens als Vergleichsland für Österreich mit Blick auf die Übertragbarkeit von Regelungen erscheint auf den ersten Blick weit hergeholt, gehört es doch einem anderen Typ Wohlfahrtsstaat an, und zwar durchgehend in allen Typologien. Der dazugehörige Geschlechterkontrakt ist ebenfalls ein anderer, dem stark defamilialisierenden, individuellen und egalitären gender contract in Schweden steht ein stark familialisierendes Arrangement mit institutionalisierter Abhängigkeit vom male breadwinner gegenüber. Was den Vergleich im speziellen Fall der familiären Arbeitsteilung doch rechtfertigt, ist die potenzielle Ähnlichkeit im Instrumentarium: Österreich hatte bis zur Einführung des Kinderbetreuungsgeldes eine Karenzregelung, die der schwedischen in Ansätzen vergleichbar war und in diese Richtung ausgebaut hätte werden können.202 Bemühungen um die Väterkarenz gab und gibt es noch immer, die Flexibilisierung der Karenzzeit war Ende der 1990er ebenfalls Thema und wurde in Ansätzen realisiert – wenn auch infolge der Neuregelung 2002 ohne Auswirkungen. Mit dem Kinderbetreuungsgeld ist die Übertragbarkeit deutlich schwieriger geworden, aber die Grundlagen sind nach wie vor vorhanden.
201
Die Beiträge in Gerhard et al. 2003 geben in Bezug auf die Müttererwerbstätigkeit einen Überblick über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Strategien in mehreren Ländern (leider nicht für Österreich); vgl. auch Leitner 2003, Bothfeld 2004. Wroblewski/Leitner 2005 untersuchen, mit welchem policy mix Finnland und Dänemark den geschlechtergerechten Umbau ihrer Arbeitsgesellschaften vorantreiben und wie sich dieser Mix von jenem in Deutschland und Österreich unterscheidet. 202 Die Positionen der Sozialdemokraten und FrauenpolitikerInnen Ende der 1990er Jahre in Österreich orientierten sich auch recht deutlich am schwedischen Modell.
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Was könnte Österreich nun von Schweden lernen, was wäre übertragbar, um die CarePolitik in den Dienst der Geschlechtergleichstellung zu nehmen? Einkommensabhängiges Karenzgeld: Die Einführung eines solchen wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre diskutiert, aus Kostengründen jedoch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Realistischerweise wäre eine Regelung mit annährend 80 Prozent Einkommensersatzleistung nur möglich, wenn die Bezugsdauer deutlich verkürzt werden würde und diese Verkürzung durch eine entsprechende Initiative zum Ausbau der Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren begleitet werden würde. Mit einem quantitativen Ausbau wäre es nicht getan, es bedürfte eines Imagewandels der institutionellen Kinderbetreuung von der „Aufbewahrungsanstalt“ zur pädagogisch und sozial wertvollen Einrichtung, und es bedürfte einheitlicher Richtlinien für die Bundesländer.203 Die seit 2008 geltende Regelung, wonach bei entsprechend verkürzter Bezugsdauer mehr Kinderbetreuungsgeld bezogen werden kann (siehe Kap. 4.3, Übersicht 4.1), ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, obwohl diese Flexibilisierung ein einkommensabhängiges Karenzgeld nicht ersetzt. Vorstellbar wäre eine schrittweise Einführung einer einkommensabhängigen Leistung, beispielsweise je zwei Monate einkommensabhängiger Bezug in Anlehnung an die „Papa-“ und „Mamamonate“ in Schweden, bei Beibehaltung der vorhandenen Wahlmöglichkeiten. Förderung der Väterkarenz: Mit der Mindestdauer der Freistellung wird ein Signal gesetzt, das sich wie im Fall der drei Monate Mindestkarenz auch als Hemmnis erweisen kann.204 Zudem bedarf es einer Quotierung des Anspruchs auch auf arbeitsrechtlicher Ebene (Karenzzeit), um den Verfall bei Nichtinanspruchnahme sichtbar zu machen. Die Ergänzung um einen Vaterschaftsurlaub in Analogie zur Mutterschutzfrist würde ebenfalls einen niedrigschwelligen Einstieg ermöglichen. Verbindung der Kinderbetreuungspolitik mit der Geschlechtergleichstellung: Die notwendige Koordination aller Politikfelder könnte über die Verankerung in einem Gleichstellungsministerium erfolgen, oder über die Verpflichtung zum Gender Mainstreaming für die Betreuungspolitik und Karenzpolitik.205 Die Niederlande sind als Vergleichsland vom Wohlfahrtsstaatstypus her Österreich näher als Schweden bzw. gelten ebenfalls als konservativ-koorporatistischer Staat (Duncan 1998). Kinderbetreuung unter drei Jahren ist Familiensache, gefördert wird die geteilte Verantwor203
Auch in Schweden sind die Gemeinden für die Betreuungseinrichtungen zuständig, der Zentralstaat versucht über Anreize und Vorgaben wie die Höchstgebühr für die Kindergärtennutzen das Angebot zu regulieren, und bislang funktioniert das sehr gut (Nyberg 2004). Für die Gemeinden war die Einführung des maximum fee freiwillig, aber mit finanziellen Kompensationen verbunden, wenn sie eingeführt wurde. Mit einem Mix aus nationalen Zielvorgaben, finanziellen Anreizen und allenfalls auch Sanktionen könnte ein Prozess in Richtung eines vereinheitlichten besseren Angebots gestartet werden. 204 Aus einer langfristigen Arbeitsteilungsperspektive sind natürlich auch drei Monate nicht genug bei einer Gesamtdauer von mindestens einem Jahr. Vorerst geht es aber einmal darum, Väter überhaupt zum Einstieg in die Karenz zu bewegen, den Automatismus der Zuständigkeit von Frauen ab der Geburt zu unterbrechen. Ein „Papamonat“ in der Dimension eines Jahresurlaubs dürfte einen solchen Einstieg deutlich erleichtern. 205 Auch die Koordination zwischen dem Feld der Kinderbetreuung und der Bildungs- und Schulpolitik ist notwendig. Schweden favorisiert eine Entwicklung der Kinderbetreuung in Richtung eines stärker erziehungsorientierten Systems. Obwohl dies aus pädagogischer Sicht auch kontrovers gesehen werden kann, könnte es doch die Norm schwächen, Kinder könnten vor dem Schulalter nur in der Familie oder in familienähnlichen Kontexten ausreichend Freiraum genießen und angemessen betreut werden. Auch die in Schweden geführte Diskussion zur Qualität von Betreuungseinrichtungen inklusive der Versuche, Qualität zu messen und zu vergleichen, könnte die vorhandene Skepsis gegenüber außerfamiliären Einrichtungen reduzieren.
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tung in der Familie ohne besondere staatliche Unterstützung. Das Ziel ist ein part-timecarer/part-time-worker Modell. Dieses erscheint auf den ersten Blick leichter übertragbar zu sein als die schwedische Eltern- und Kinderbetreuungspolitik, ist doch der Trend zur Teilzeit in Österreich noch immer stark gegeben. Zudem wird Teilzeit als die ideale Vereinbarkeitsstrategie gesehen, wie es auch das Recht auf Elternteilzeit zum Ausdruck bringen soll (siehe Kap. 4.2). Außerdem würde ein solches Modell deutlich weniger kosten, weil es den Sozialstaat weniger in die Pflicht nimmt. Aber dennoch gäbe es einige Vorbedingungen für die Übertragbarkeit: Universelle Alterssicherung: Ohne eine solche universelle, d.h. vom individuellen Erwerbseinkommen unabhängige Grundsicherung im Alter ist ein ausgeprägtes Teilzeitmodell wie in den Niederlanden aus einer Gleichstellungsperspektive nicht vertretbar. Massive Altersarmutsprobleme wären die Folge bzw. sind unter den Bedingungen des derzeitigen Pensionssystems in Österreich ohnehin bereits zu erwarten. Teilzeitkarenz als Einstieg neu gestalten, Recht auf Elternteilzeit ausbauen: In den Niederlanden war bis vor kurzem nur die Teilzeitkarenz möglich, die den Einstieg ins Teilzeitbetreuungsmodell quasi vorgab. Die Teilzeitkarenz war in Österreich nie attraktiv (siehe Kap. 4.2), könnte aber durchaus in diese Richtung ausgebaut und mit dem Recht auf Elternteilzeit verbunden werden. Förderung von qualitativer Teilzeit, Aufwertung der Teilzeitarbeit: Es ist zu beachten, dass die Entwicklungen am Frauenarbeitsmarkt in den beiden Ländern deutlich unterschiedlich verlaufen sind: Die Niederlande haben das Teilzeit-Betreuungsmodell nicht zuletzt deshalb propagiert, um ausgehend von einer sehr niedrigen Frauenerwerbsquote Frauen in den Arbeitsmarkt zu holen. Österreich hat eine relativ hohe Frauenerwerbsquote, die auch in Vollzeitäquivalenten klar höher ist als die niederländische – eine Erhöhung der Teilzeitquote müsste zu einem großen Teil zu Lasten von Vollzeitbeschäftigung gehen. Dieser Trend ist zwar effektiv existent (siehe Kap. 2), aber ohne eine entsprechende Politik der Aufwertung von Teilzeit und der Förderung qualitativer Teilzeitjobs hätte eine verstärkte Inanspruchnahme von Teilzeit problematische Folgen auf die Einkommenssicherheit und die soziale Sicherheit. Zudem könnten Männer kaum dazu bewogen werden, Teilzeit in Anspruch zu nehmen.
5.3.4 Fazit: Zum gleichstellungspolitischen Potenzial von Care Ein endgültiges Fazit zum gleichstellungspolitischen Potenzial von Care zu ziehen, zu den Perspektiven einer egalitären Arbeitsteilung der Geschlechter inklusive der Betreuungsarbeit, ist auf einer verallgemeinerten Ebene nicht möglich, zu sehr sind die jeweils spezifischen ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen von Bedeutung. Anhand der beiden soeben präsentierten Fallbeispiele Schweden und Niederlande kann der Bogen zurück zu den langfristigen Konzeptionen einer geschlechteregalitären Gesellschaft geschlossen werden, selbst dies wirft viele Forschungsfragen auf. Schweden verfolgt klare gleichstellungspolitische Ziele, dazu zählt eine egalitäre Arbeitsteilung der Geschlechter. In der Umsetzung finden sich Gender Mainstreaming mit Fokus auf die Männerbeteiligung ebenso wie ein weit fortgeschrittenes Konzept des Übergangsarbeitsmarktes Betreuungsarbeit und, als Grundlage, eine universalistische Ausrichtung des Wohlfahrtsstaates in Richtung Universal Caregiving. Der Staat hat damit in ho-
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Gender Gap und Gleichheit
hem Ausmaß Vorleistungen für Universal Caregiving oder das Kombinationsmodell erbracht, was fehlt und auch nur sehr beschränkt in seinem Einflussbereich liegt, sind die Anpassungen auf der Arbeitsmarktseite, insbesondere in Hinblick auf die generelle Arbeitszeit. Die Situation in Schweden könnte als Variation von Universal Caregiving interpretiert werden. Der Staat gestaltet Rahmenbedingungen, sodass eine Arbeitsteilung entsprechend dem dual-earner/dual-carer Modell ermöglicht wird: Freistellungen nach der Geburt, flexible Freistellungsregelungen für die Kleinkindphase, unterstützt und in der Folge abgelöst durch ein hohes Ausmaß an sozialen Diensten; in der Langzeitpflege dient vor allem das Dienstleistungsangebot in Kombination mit dem universellen Sozialstaat als Unterstützung. Die Probleme der fehlenden sozialen Absicherung von Frauen, die in starken „Ernährermodellen“ (auch in den modernisierten Varianten) auftreten, werden durch den universellen Wohlfahrtsstaat aufgefangen, die Gleichheitskriterien bezüglich Schutz vor Ausbeutung und Abhängigkeit (Fraser 1994, siehe vorne) sind weitgehend erfüllt. Ob nun der schwedische Weg tatsächlich ein neues bzw. modifiziertes Szenario darstellt, oder ob das auch für Schweden festgestellte Defizit in der Veränderung der asymmetrischen Arbeitsteilung der Geschlechter doch darauf verweist, dass noch größerer Anpassungsbedarf besteht, kann hier nicht geklärt werden, verweist aber jedenfalls auf eine spannende Forschungsfrage. Das Kombinationsmodell lässt sich theoretisch, d.h. vom Anspruch her, in der niederländischen Organisation von Care und Teilzeitarbeit deutlich identifizieren, praktisch ist es auf Frauen begrenzt und daher hinsichtlich der Arbeitsteilungsdimension zwischen den Geschlechtern noch weit von der Realisierung des part-time-carer/part-time-workerModells entfernt. Die Ursachen liegen zum einen in der Sozialpolitik, die ein solches Modell nicht ausreichend unterstützt, zum anderen aber auch im Arbeitsmarkt, der zwar die Teilzeitstrategie selbst massiv trägt, aber bei genauer Betrachtung doch als einseitige, auf numerische oder quantitative Flexibilisierung in Frauenarbeitsbereichen ausgerichtete Politik (siehe Kap. 3.5). Die Attraktivierung von Teilzeitarbeit für Männer im Haupterwerbsalter ist noch keine sichtbare Strategie. Beide Beispiele liefern Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung von gleichstellungspolitischen Konzepten unter Einbeziehung von Care. Dies gilt nicht nur für die angesprochenen Modelle, sondern beispielsweise auch für das Konzept des Übergangsarbeitsmarktes Betreuungsarbeit (Schweden) und Teilzeit (Niederlande). Dass trotz relativer Erfolge noch viel zu tun ist – auch und gerade auf der konzeptionellen Ebene, zeigen u.a. die hier ausgeblendete Situation der Alleinerziehenden oder die Frage des doing gender in der Sozialpolitik, dessen Wirken angesichts des überproportionalen Engagements von Frauen in der Care Arbeit in beiden Ländern offensichtlich wird. Letzteres verweist auf die Existenz verfestigter Strukturen der Arbeitsteilung auch in Ländern mit einem deutlich egalitäreren Geschlechterkontrakt. Welche Potenziale sich aus der Anwendung von Gender Mainstreaming auf die Care-Thematik effektiv ergeben könnten, ist ein noch vollständig offenes Feld. Ähnliches gilt für die Verbindung der Makroebene mit der Mesoebene der Betriebe: Eine Verbindung der sozialstaatlichen Gender-Forschung mit der bislang fast ausschließlich praktisch-empirischen Literatur zur work-life-balance im Arbeitsleben steht noch aus. Wie gerade das Beispiel Schweden zeigt, liegen darin die Grenzen staatlichen Engagements für die Geschlechtergleichstellung.
Fazit: Gender Gap und Gleichheit
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Fazit: Gender Gap und Gleichheit
In diesem Kapitel stehen die Gestaltungsoptionen zum Gender Gap auf der Makroebene der Gleichstellungspolitik im Mittelpunkt. Diese zu fassen ist kein einfaches Unterfangen, reichen doch die Definitionen von der sehr engen formalen bzw. rechtlichen Gleichbehandlungspolitik bis hin zur gesamten Politik, wenn das Konzept des Gender Mainstreaming in seiner vollen Tragweite ernst genommen wird. In Kapitel 5.1 wurde versucht, dieses weite Feld auf jene Bereiche der Gleichstellungspolitik einzugrenzen, die für unsere Fragestellung nach dem Abbau des Gender Gap potenziell relevant sein können, und diese theoretisch zu fundieren. Diese Fundierung bezieht sich nicht auf die Analyse möglicher Instrumente und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik, auch nicht auf die Analyse ihrer potenziellen Wirkungen,206 sondern auf grundlegende Diskurse und Strategien. Ohne zu definieren, was denn „Gleichheit“ bedeutet, oder was mit „Ungleichem“ passieren soll, landen wir unweigerlich in begrifflichen Verwirrungen – wie wir es derzeit am Beispiel von Gender Mainstreaming praktisch erfahren. Gleichstellungspolitik hat zwar durch Gender Mainstreaming an Popularität gewonnen, aber mehr als je zuvor gilt, dass kaum jemand expliziert, was er/sie eigentlich damit meint, die Gleichstellung der Geschlechter anzustreben. Dass Gleichstellungspolitik sich zwangsläufig zwischen den Dilemmata von Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion bewegen muss und diesen nicht entgehen kann, verstärkt die Tendenz des politischen und praktischen „Nicht-Festlegen-Wollens“. Die Aufarbeitung der Begrifflichkeiten und Konzepte in Kapitel 5.1 liefert notwendige Grundlagen für weitere theoretische und praktische gleichstellungspolitische Analysen. Mit den ausführlich analysierten Politikdimensionen, der Implementierung von Gender Mainstreaming im österreichischen Arbeitsmarktservice (AMS) und der Integration einer Care-Perspektive in die Gleichstellungspolitik, geraten zwei Bereiche ins Blickfeld, die für die gleichstellungspolitische Zielsetzung von besonderer Bedeutung sind. Dies ist bei der Dimension Integration von Care offensichtlich, hier wird direkt ein Gender Gap angesprochen, und, wie in Kapitel 4 argumentiert wurde, ist gerade dieser Gap für alle anderen Ausprägungen mitbestimmend. Das Politikfeld Gender Mainstreaming in der Anwendung durch das österreichische Arbeitsmarktservice bietet keine direkten Anknüpfungspunkte für den Gender Gap Abbau, berührt aber einen zentralen Aspekt, der sich in allen Analysen in Kapitel 3 gezeigt hat: Die Reproduktion von geschlechtsspezifischer Ungleichheit erfolgt in alltäglichen Konstellationen über mehr oder weniger sichtbare Mechanismen durch viele AkteurInnen – und das „Arbeitsfeld“ dieser Reproduktion ist die Mesoebene der Organisationen. Das AMS ist zwar eine sehr spezifische Organisation, deren Aufgabenstellungen 206
Vgl. z.B. Knapp 1998 für eine Analyse gleichstellungspolitischer Maßnahmen für Deutschland. Für Österreich liegen zwar mehrere Analysen zum Stand der Chancengleichheit vor (z.B. Wroblewski/Leitner 2004, Mairhuber 2003 und 2006), aber darin geht es primär um die Darstellung und Entwicklung beim Gender Gap, nicht um die Darstellung und Analyse der Gleichstellungspolitik. Ähnliches gilt auch für die Darstellungen auf europäischem Niveau (z.B. Rubery et al. 2004). Für Österreich finden sich ausführliche Analysen zwar im Kontext der Sozialpolitik (vgl. Mairhuber 2000, Dackweiler 2003), jedoch bislang kaum ökonomisch orientierte Darstellungen und Bewertungen der Gleichstellungspolitik, die über Einzelaspekte (z.B. betriebliche Frauenförderung, Arbeitsbewertung) oder über die Thematisierung von Gender Mainstreaming hinausgehen. Dies zeigt die Berechtigung für das vorliegende Kapitel, gleichzeitig aber auch die vorhandenen Lücken in der genderorientierten Arbeitsmarktforschung in Österreich.
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Gender Gap und Gleichheit
und „Produkte“ sich nicht ohne weiteres verallgemeinern lassen. Aber eine entscheidende Dimension der Gleichstellungspolitik ist das Agieren der unterschiedlichen AkteurInnen in Organisationen, in denen der Gender Gap direkt (z.B. Gender Pay Gap innerhalb eines Unternehmens) oder indirekt (z.B. Einfluss von Interessensvertretungen auf Branchenlohnstruktur) erzeugt und stabilisiert, gegebenenfalls auch reduziert und eliminiert wird. Gender Mainstreaming und die für den privaten Bereich konzipierten Strategien rund um Managing Diversity haben gleichstellungspolitischen Überlegungen auf der Ebene von öffentlichen und privaten Betrieben zu einer Renaissance verholfen, was, bei aller Kritik, die gegen die Konzepte vorgebracht werden kann, Potenziale für eine geschlechtergerechte Gesellschaft anzeigt. Um diese aber auch adäquat, d.h. ohne Erzeugung neuer Diskriminierungen oder Perpetuierung tradierter Geschlechterrollen, zu nutzen, bedarf es jedenfalls noch einiger Bearbeitung der Konzepte in Kooperation zwischen der feministischen Forschung, der dynamischen Praxis der Rezeption neuer gleichstellungspolitischer Strategien und der tatsächlichen Praxis. Welche Beiträge zu dieser soeben geforderten Bearbeitung in der vorliegenden Arbeit erbracht wurden bzw. wo sich Anknüpfungspunkte für weitere Kooperationen ergeben, soll im Folgenden mit Rückkoppelung an die zentralen Forschungsfragen dargestellt werden.
5.4.1 Gleichstellungspolitik in erweiterter Perspektive Allgemein akzeptierter Ausgangspunkt der Gleichstellungspolitik ist die auf einem formalen Gerechtigkeitsverständnis beruhende Forderung nach gleichen Rechten bzw. gleicher Behandlung vor dem Gesetz aller Staatsbürger,207 ohne Vorrechte der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses.208 Die resultierende gleichstellungspolitische Strategie ist die formale oder rechtliche Gleichbehandlung (equal treatment, equal rights; siehe Kap. 5.1). Diese liefert die Grundlage für die Bekämpfung direkter Diskriminierung auf der Basis einer rechtlich-normativen Argumentation. Die Gleichstellung der Geschlechter ist „a matter of simple justice.“209
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Dass in den Anfängen der Entwicklung des Gleichheitsgrundsatzes nur von Staatsbürgern und nicht von den –bürgerinnen die Rede war, mag wenig überraschen (siehe auch Abschnitt zu Citizenship in Kap. 4.1). Allerdings hat sich bis dato in Österreich am Sprachgebrauch auf der Ebene des Gesetzgebers wenig geändert (vgl. Ulrich 2003, 231f): Seit 1988 gibt es zwar ein subjektives Recht zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch (Art 7 B-VG Absatz 3), das sich aber nur auf die individuell zulässige Verwendung weiblicher Bezeichnungen bezieht. Da im Staatsgrundgesetz sowie in der Bundesverfassung immer noch die Rede ist von Staats- bzw. Bundesbürgern, leitet der österreichische Verfassungsgerichtshof einen die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatz ab, wonach der geschlechtsneutrale (!) Gebrauch der männlichen Sprachform durch den Gesetzgeber zulässig ist. 208 Art. 7 Abs. 1 im Bundesverfassungsgesetz von 1920: Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen (Ulrich 2003, 227ff). 209 Dies war der Titel eines Berichts, der 1970 in den USA von einer Arbeitsgruppe des Präsidenten zu Frauenrechten verfasst wurde (zitiert nach Blau et al. 2002, 235).
Fazit: Gender Gap und Gleichheit A
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Erweiterung 1: Ökonomische Begründungen materieller/substanzieller AntiDiskriminierungspolitik
Dass formale Gleichstellungspolitik nicht ausreicht, lässt sich mehrfach begründen: Auf der normativ-rechtlichen Ebene wurde in Kapitel 5.1 gezeigt, dass die Frage, wie denn Ungleiches zu behandeln sei, ebenso wenig beantwortet werden kann wie jene nach der Neutralisierung von Ungleichheit. Auf der empirischen Ebene entspricht diesem Defizit die Feststellung, dass Konzepte der gleichen Behandlung immer viel zu spät ansetzen und damit viele Ungleichheit verursachende Faktoren nicht ins Blickfeld geraten. Die Strategie „Gleiches gleich und Ungleiches ungleich“ zu behandeln, setzt einmal erfolgte Diskriminierungen fort. Wenn jedoch Ungleichheit in die Analyse einbezogen wird, wenn es z.B. um die Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen geht, bedarf es eines materiellen/substanziellen Ansatzes der Gleichstellungspolitik. Erst daraus lassen sich Strategien der positiven Diskriminierung des benachteiligten Geschlechts und damit die Frauenförderung ableiten. Mit Bezug auf die arbeitsmarktbezogenen Analysen in Kapitel 3 und die in Kapitel 1 angestellten Überlegungen zur Arbeitsteilung stellt sich die Frage nach einer die normativrechtliche Ebene ergänzenden ökonomischen Begründung substanzieller Gleichstellungspolitik. Da Gleichstellungspolitik per Definition Anti-Diskriminierungspolitik ist, ist diese Frage mit jener nach den Ursachen von Diskriminierung verbunden. Dabei geht es nicht um die in den diversen Diskriminierungserklärungen aufzufindenden einzelnen Diskriminierungsursachen, sondern um eine theoretische Metaebene, um das Verhältnis von Diskriminierung und Marktsystem. Die einfachste Variante ist es, Diskriminierung als dem Markt vorgelagertes Problem zu sehen, dann ist die Ökonomik nicht wirklich zuständig, und in der Konsequenz wäre keine ökonomische Begründung der Gleichstellungspolitik erforderlich bzw. möglich. Diese Variante ist angesichts der tiefen Verankerung des Gender Gap nicht nur unbefriedigend, sondern auch falsch, denn „selbst wenn wir den von den Wirtschaftswissenschaften so geschmähten nicht-wirtschaftlichen Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion außen vor lassen und uns lediglich marktvermittelte Input- und Outputgrößen wie menschliche Fähigkeiten und Leistungen anschauen, liegt hier eine Differenz begraben, die nicht von ökonomischer Natur, sondern die einer soziokulturellen und der machtstrukturellen Differenz zwischen den Geschlechtern geschuldet ist“ (Regenhard 1998a, 145).210 Eine zweite Variante wäre es, Diskriminierung gegenüber Frauen als Marktversagen zu identifizieren, zu dessen Behebung es einer über formale Aspekte hinausgehenden Gleichstellungspolitik bedarf, die die hier versagenden Marktkräfte ersetzt. Diese Position finden wir beispielsweise bei den feministischen NeoklassikerInnen: Diskriminierung führt zu ineffizienten Ergebnissen, insbesondere zur Vergeudung von Humanressourcen; eine genderorientierte ökonomische Analyse kann dies zeigen und an der Erarbeitung adäquater gleichstellungspolitischer Maßnahmen mitarbeiten.211 Ähnliche Begründungszusammen210
Vgl. auch die ausführlichen Kapiteln zur Diskriminierung, Feedback Effekten und sich daraus ergebenden vicious circles in den beiden US-amerikanischen Lehrbüchern zu Gender und Ökonomik: Blau et al. 2002, 201ff, und Jacobsen 1994, 310ff. 211 Gustafsson (1997, 39) argumentiert dies beispielsweise folgendermaßen: „Neo-classical economics is about marginal changes in prices and incomes, and it cannot give us a long-term vision. But using the tools of neoclassical economics with a gender awareness can give us arguments for reforms leading to a society which is at the same time more economically efficient and closer to the vision of a feminist.” So lassen sich beispielsweise aus
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Gender Gap und Gleichheit
hänge finden sich bei Gender Mainstreaming und vor allem bei Managing Diversity,212 wenn auch bislang kaum theoretisch fundiert (für eine Ausnahme vgl. Gaster 2004). Gegenüber dieser auf Effizienz beruhenden ökonomischen Begründung213 von Gleichstellungspolitik gibt es einige kritische Einwände: Zum einen wird von VertreterInnen der Gender-Forschung die Ökonomisierung der Gleichstellungsthematik kritisiert, mit der Befürchtung, dass letztlich Gleichstellungspolitik nur mehr betrieben werden würde, „wenn sie sich bezahlt macht“ (Wetterer 2005, 9). Diese Kritik richtet sich aber nicht gegen die Begründung an sich, nur gegen deren allzu einseitige Anwendung. Gleichstellung muss, so der Tenor, jedenfalls auch ein equality-issue bleiben, aus dem heraus ungleiche Machtbeziehungen und strukturelle Diskriminierung kritisiert und bekämpft werden können. In diesem – komplementären – Sinn lässt sich die ökonomische Vorteilhaftigkeit der Gleichstellungspolitik vielfach argumentieren: in der Personalpolitik (vgl. Krell 2001a für differenzierte Argumente), im Entgeltbereich (vgl. Tondorf/Ranftl 2002), oder im Kontext der Entwicklungspolitik (vgl. Calar 2002). Tiefer geht jene Kritik feministischer ÖkonomInnen, die am der Marktversagensthese zugrunde liegenden Effizienzbegriff ansetzt. Diskriminierung als Marktversagen gründe sich auf dem Konzept allokativer (In-)Effizienz¸ im Extremfall würde die logische Schlussfolgerung für die Gleichstellungspolitik lauten: mehr Markt, mehr Deregulierung, mehr Flexibilität, oder wie Maier (1999, 66) ironisch feststellt: „Das marktradikale Modell der Neoliberalen als Antidiskriminierungspolitik!“ Auch wenn sich diese Schlussfolgerung allein aus der üblichen Verwendung des ökonomischen Effizienzbegriffs nicht ableiten lässt, ist doch evident, dass eine streng auf der Pareto-Effizienz basierende Analyse einer geschlechtsspezifisch ungleichen Güterverteilung zu keinen brauchbaren gleichstellungspolitischen Konzepten führen wird.214 Aber verwehrt diese enge Verwendung des Effizienzbegriffs im ökonomischen mainstream jegliche Argumentation mit diesem Begriff? Interessanterweise bestehen hierzu von Seiten der US-amerikanischen feministischen Ökonomik weniger Vorbehalte. Das Argument der Ineffizienz von Diskriminierung aufgrund der damit verbundenen Ressourcenvergeudung findet sich beispielsweise selbstverständlich in beiden Lehrbüchern zur Economics of Gender (z.B. Blau et al. 2002, 235). Allerdings wird hier nicht der Schluss der „marktliberalen Antidiskriminierungspolitik“
den Arbeiten von Notburga Ott die Nachteile einer vollständigen Spezialisierung ableiten (entgegen der Annahme der effizienten Arbeitsteilung im Sinne Beckers) oder mit Hilfe des Diskriminierungsmodells von Åsa Rosén Quoten und affirmative action begründen. 212 Beispielsweise resümiert Krell (2001a, 21) unter dem Titel „Chancengleichheit verspricht Wettbewerbsvorteile“ ökonomische Begründungen von Managing Diversity, bei denen „nicht nur auf die rechtliche und moralische Verpflichtung zur Realisierung von Chancengleichheit verwiesen [wird], sondern auch und insbesondere darauf, dass die Entwicklung hin zu einer multikulturellen Organisation ein wichtiger Beitrag zum ökonomischen Erfolg ist.“ Krell führt in der Folge eine Reihe von Argumenten an, die die These der ökonomischen Vorteilhaftigkeit von Managing Diversity belegen. 213 Der Maßstab der Effizienz kann im Anwendungsfall der Gleichstellungspolitik (bzw. auch der Sozialpolitik) als Gestaltungsargument und als Begründungsargument verwendet werden, in der vorliegenden Analyse geht es um letzteres. Effizienz als Gestaltungsargument bezieht sich auf die effiziente, d.h. in der Regel kostengünstige Umsetzung politischer Regeln und Maßnahmen (Badelt/Österle 2001, 62ff). 214 Wenn die ungleiche Güterverteilung im Ausgangszustand bereits gegeben ist, können paretoverbessernde Vereinbarungen strukturelle Nachteile zu Lasten der Geschlechtergleichheit prolongieren. Das Problem besteht in der Außerstreitstellung der Anfangsverteilung (Badelt/Österle 2001, 64), die sich im Geschlechterkontext als besonders relevant erweist.
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gezogen, sondern es folgen ausführliche Analysen zu affirmative action215 und comparable worth. Dies verweist auf die gänzlich andere gleichstellungspolitische Tradition und damit unterschiedliche Institutionalisierung in den USA und in (Mittel-)Europa. Ohne diese verschiedenen Traditionen jetzt im Detail darstellen zu können, erhalten wir doch einen Eindruck von der jeweiligen Interaktion von Ökonomie, Politik und Recht, aus der sich das jeweilige Gleichstellungsregime (von Wahl 1995 und 1999) ergibt, das selbst auch wiederum die Forschung prägt oder zumindest beeinflusst.216 Dennoch sind die Einwände gegen die Sichtweise auf Diskriminierung als Marktversagen auf ihre Berechtigung hin zu untersuchen, denn daraus lässt sich gegebenenfalls eine weitere Begründung gleichstellungspolitischer Aktivitäten ableiten. Maier (1999) sieht geschlechtsspezifische Diskriminierung als einen fundamentalen Bestandteil des Marktsystems und daher dem Marktsystem immanent. Das Marktsystem produziert immanente Widersprüche zwischen Allokation und Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen, bringt Interessensgruppen hervor, die Machtpositionen einnehmen und dabei mehr oder weniger erfolgreich sind – und eine der Trennungslinien verläuft entlang der Geschlechtszugehörigkeit.217 Wenn wir den Faktor Arbeitsteilung als Mechanismus der Stabilisierung und Reproduktion von Diskriminierung in den Blick nehmen, lassen sich je nach Sichtweise auf die Arbeitsteilung grundsätzlich beide Begründungszusammenhänge ableiten. Wenn allerdings Arbeitsteilung nicht auf den Aspekt der horizontalen Spezialisierung reduziert, sondern in ihrer ganzen Bedeutung erfasst wird, stützt dies eher die These der dem Marktsystem immanenten Diskriminierung. In arbeitsteiligen Prozessen entstanden und entstehen Muster unterschiedlicher Behandlung der Geschlechter, die sich immer wieder verselbständigt haben, Präferenzen der nachfolgenden AkteurInnen mitprägen, diesen doing gender and doing difference Prozess ständig am Leben halten. Das Resultat ist der segregierte Arbeitsmarkt, der Konkurrenz verhindert und damit den primären Marktmechanismus zum Abbau von Diskriminierung behindert; und wo Intransparenz und Barrieren zwischen den Segmenten bzw. Berufen die Vergleichbarkeit von Tätigkeiten und/oder Entlohnungsniveaus erschweren (siehe Kap. 3 bzw. die dort angeführten Hinweise zur Segregation). Arbeitsteilung fungiert als Diskriminierungsmechanismus – und die Arbeitsteilung ist dem Marktsystem immanent. Allerdings wurde in Kapitel 1 auch die These festgehalten, dass die Arbeits215
Vgl. z.B. den ausführlichen Review-Artikel von Holzer/Neumark 2000. Zwar ergibt sich die vergleichsweise hohe Anzahl an Forschungsarbeiten auch daraus, dass affirmative action nicht nur gegen die Diskriminierung nach dem Geschlecht, sondern auch gegen Rassendiskriminierung eingesetzt wird, dennoch kann anhand dieses Artikels auf einen deutlich höheren Stellenwert der Thematik in der ökonomischen Forschung in den USA geschlossen werden. 216 Von Wahl (1995) vergleicht die Gleichstellungspolitik der USA mit jener in Deutschland und identifiziert deutliche Unterschiede, ausgehend von der jeweiligen Definition von Gleichheit: In den USA hat sich ein unumstrittener formaler Gleichstellungsansatz entwickelt, der eindeutig auf Gleichheit hin orientiert ist und neben individueller Diskriminierung auch strukturelle Diskriminierung anerkennt, letztere wird mit affirmative action, d.h. mit gruppenbezogenen Fördermaßnahmen zu bekämpfen versucht. In Deutschland dagegen dominieren differenzerhaltende Maßnahmen in der Gleichstellungspolitik, die die „Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zugunsten traditionalistischer und pronatalistischer Ziele untergraben“ (ebd., 221). 217 Maier setzt dem zuerst den Begriff der „patriarchalen Effizienz“ gegenüber, revidiert dies in Richtung positiver Betrachtung, d.h. einer „Gleichstellungseffizienz“, füllt dies aber abgesehen vom Hinweis auf die Notwendigkeit zur Entwicklung eines entsprechenden Indikatorensystems noch nicht aus. Sie verweist auf die Analyse des Gender Gap auf EU-Ebene, wie sie im ExpertInnen-Netzwerk zu Gender and Employment erstellt wird (vgl. Rubery et al. 2002 und 2004), ohne allerdings darauf einzugehen, dass der darin vermittelte Arbeitsmarktbezug für die Feststellung einer „Gleichstellungseffizienz“ nicht ausreichen kann.
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teilung selbst nicht Diskriminierung produziert, was letztlich bedeutet, dass eine arbeitsteilige, auf Marktprozessen beruhende Gesellschaft ohne Gender Gap möglich sein müsste. Einigkeit dürfte jedenfalls dahingehend bestehen, dass der sich damit eröffnende Gestaltungsspielraum für eine geschlechtergerechte Arbeitsteilung nur über eine substanziell verstandene Gleichstellungspolitik erschlossen werden kann, dass Marktprozesse selbst es nicht schaffen, den Diskriminierungsmechanismus Arbeitsteilung zu überwinden. Und es ist angesichts der Präsenz und der Stabilität des Gender Gap auch evident, dass die Realisierung einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung das Aussehen des Marktsystems nachhaltig verändern würde. Insofern erscheint es müßig, über die Frage zu diskutieren, ob Diskriminierung dem Marktsystem immanent ist, denn der Umbau hin zu einer egalitären Arbeitsteilung beginnt faktisch jedenfalls im Marktsystem. Diese Überlegungen zur ökonomischen Fundierung von Gleichstellungspolitik verweisen jedenfalls auf eine Lücke in den Wirtschaftswissenschaften, die bei genauerer Betrachtung nicht nur in Bezug auf den hier angesprochenen Begründungszusammenhang selbst besteht, sondern in der Folge bezüglich adäquater Maßnahmen und Strategien.218 Hier besteht noch viel Forschungsbedarf. Unbeschadet dieser Lücken lässt sich für unsere unmittelbare Fragestellung jedenfalls festhalten, dass materielle Gleichstellungspolitik auch aus der These von „Diskriminierung als Marktversagen“ abgeleitet werden kann. Damit kann ökonomisch argumentiert werden, was rechtlich und politisch ohnehin längst vollzogen wurde: der Übergang von einem Ansatz formaler Gleichheit hin zu einem substanziellen Gleichheitsansatz und damit zu Gleichstellungsstrategien wie Frauenförderung und positiver Diskriminierung. Bislang liegt der Fokus substanzieller Gleichstellungspolitik am Erwerbsarbeitsmarkt, auf der beruflichen Ebene, und ein Blick auf die Ausprägungen des Gender Gap in Kapitel 3 zeigt deutlich, dass es hier noch viel zu tun gibt. Aber in Hinblick auf eine umfassende Gleichstellungspolitik kann dies nicht genügen, daher wenden wir uns der zweiten Erweiterung zu: jener um Care.
B
Erweiterung 2: Gleichstellungspolitische Perspektiven auf Care
Sowohl der Gender Gap Care selbst als auch die durch die Verteilung von Care außermarktlich verursachte Diskriminierung rechtfertigen und verlangen die Einbeziehung von Betreuungsarbeit in die Gleichstellungspolitik. In der Gleichstellungspolitik führende Länder wie Schweden haben dazu bereits Schritte gesetzt, während in den Ländern mit einer anhaltenden Orientierung auf ein traditionelles Arbeitsteilungsmodell die Familienpolitik offiziell gleichstellungsneutral im Sinne von vereinbarkeitsfördernd agiert, tatsächlich aber Anreizstrukturen unterstützt, die gleichstellungspolitische Bemühungen aushöhlen und untergraben.219 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht treffen wir auf ein zweifach lückenhaftes Forschungsfeld: Zu den skizzierten Lücken in Bezug auf die Gleichstellungspolitik kommt die aus der Ökonomik überwiegend ausgeblendete Care-Dimension. Zur Füllung der Lücken können interdisziplinäre Kooperationen beitragen, insbesondere zur Wohlfahrtsstaatenforschung und der dortigen Aufarbeitung der Gender and Care Thematik (siehe 218 Beispielsweise gibt es abgesehen vom makroökonomischen Ansatz des Gender Budgeting kaum ökonomisch-theoretische Analysen zu Gender Mainstreaming. 219 Das eindrücklichste Beispiel dafür ist das Kinderbetreuungsgeld (siehe Kap. 4.2).
Fazit: Gender Gap und Gleichheit
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Kap. 4.1). Im vorliegenden Kapitel wurde zudem bereits angeführt, dass sich die gleichstellungspolitische Strategie des Gender Mainstreaming auf die Familien- und Sozialpolitik anwenden ließe – und im Sinne des Konzepts auch angewendet werden müsste. Gemeinsam mit den vorhandenen ökonomischen Analysen (z.B. zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Kinderbetreuungseinrichtungen auf weibliche Erwerbskarrieren oder zu den Auswirkungen von Steuersystemen) und den Erkenntnissen aus der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung (siehe auch Kap. 5.3) gibt es jedenfalls bereits ein breites, wenn auch noch verstreutes Wissen, das zusammenzutragen eine der anstehenden Forschungsaufgaben ist. Zwei Aspekte, die sich aus der Analyse im Kapitel 5 ergeben, sollen nun angesprochen werden: Die kritische Frage des Eingriffs des Staates in die private Arbeitsteilung einerseits, das Potenzial von Gender Mainstreaming in Bezug auf Care andererseits. Obwohl die Erkenntnis, dass die Arbeitsteilung in Bezug auf Care für die Frage der Geschlechtergleichstellung von entscheidender Bedeutung ist, wohl nicht erst im 21. Jahrhundert gewonnen wurde, beschränken sich gleichstellungspolitische Aktivitäten primär auf den Erwerbsarbeitsmarkt, auf Lohngleichstellung und Antidiskriminierung bzw. Frauenförderung im Berufsleben. Care hat bislang eine relativ geringe Bedeutung in den gleichstellungspolitischen Diskursen.220 Warum ist eine gleichstellungspolitische Perspektive auf Care im Sinne einer Thematisierung und Veränderung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern offenbar so schwierig? Die Ursache dafür liegt in der notwendigen Überwindung der Öffentlich-PrivatDichotomie, die im Allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskurs auf Ablehnung stößt: Der Staat soll nicht in die private Arbeitsteilung eingreifen. Eingriffe in die Privatsphäre der Familie, in private Entscheidungen darüber, wer wen wie betreuen soll, sind verpönt. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass solche Eingriffe andauernd erfolgen: durch die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen, durch den Gender-Kontrakt hinter dem wohlfahrtsstaatlichen Arrangement (Berghahn 1999). Es ist ein Verdienst der Gender-Forschung, diese Dichotomie von öffentlich und privat mit dem Ziel zu hinterfragen, sie zu überwinden, da diese Trennung so nicht existiert: Wer unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen auf ihr/sein Einkommen und soziale Sicherheit Kinder oder pflegebedürftige Menschen betreut, ist keine Privatsache. Aus der ökonomischen Perspektive kann die Debatte zur Wahlfreiheit angeführt werden, die am Beispiel der informellen Betreuungsarbeit durch die Widersprüche zwischen Mikroentscheidung und Makrodynamik mehrfach unter Druck gerät (siehe Kap. 4.2 bzw. auf allgemeiner Ebene Kap. 3.6). Wenn wir anerkennen, dass der Staat ohnehin in die private Arbeitsteilung eingreift, dann sind diese Eingriffe auch einer gendersensiblen Analyse zugänglich und, vor allem, in Richtung einer egalitären gleichstellungspolitischen Zielsetzung veränderbar. Die schon vorhandenen unterschiedlichen Typen von Gender-Kontrakten in den Wohlfahrtsstaaten belegen dies empirisch. Warum es Staaten mit einem egalitären Geschlechterkontrakt gibt und solche mit einem traditionellen familialistischen Modell, kann in dieser Arbeit nicht untersucht werden.221 Aber daraus, dass es erstere gibt und in Kombination mit einem sozi220
Das gilt natürlich nicht für die Vereinbarkeitsthematik – nur wird diese bislang zumindest in Österreich nicht im Kontext der Geschlechtergleichstellung diskutiert. Es geht zumeist um die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen, was indirekt auch die Geschlechtergleichstellung fördert, aber eben nicht zum Kern des Problems vordringt (abgesehen vom Differenzdilemma, das sich hier massiv zeigt). 221 Vgl. dazu die Arbeiten von Pfau-Effinger 1996 und 1998 sowie die in Kap. 4.1 zitierte Literatur.
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Gender Gap und Gleichheit
alkonstruktivistischen Ansatz lässt sich folgern, dass eine Veränderung in Richtung eines egalitären Geschlechterverhältnisses möglich ist, und zwar nicht nur in Utopien, sondern auch in näherer Zukunft. Die zweite Frage betrifft die Reichweite von Gender Mainstreaming und damit die strategische Ebene, das „Wie“ der Integration von Care. Eine ernsthafte Verfolgung der Gender Mainstreaming Strategie würde eine umfassende gleichstellungspolitische Ausrichtung in allen Politikfeldern – und damit auch Betreuungsarbeit - ohnehin bedingen.222 Der Ansatz des Gender Mainstreaming eröffnet hier noch stärker als in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik die Möglichkeit, auf ein altes Problem mit einer „neuen Brille“ zu schauen: Wenn die Auswirkungen familienpolitischer Maßnahmen auf beide Geschlechter zu analysieren sind, wenn diese Vorgabe ernst genommen wird, steigen die Chancen, die Familienpolitik der Gleichstellungspolitik zu öffnen und die beiden Politikfelder zu koordinieren. In Kapitel 5.3 wurden bereits einige Überlegungen zur Anwendung von Gender Mainstreaming auf die Sozialpolitik angestellt, die hier nicht wiederholt werden sollen. Dass eine solche Koordination erst implementiert werden muss, dass selbst in dem schon praktizierten Anwendungsfeld der Beschäftigungspolitik Defizite bestehen und dass die Kritik an einer allzu engen ökonomischen Ausrichtung von Gender Mainstreaming im Fall der Sozialpolitik besondere Relevanz erfährt, stellen Forschungsfragen für den Gender Mainstreaming Diskurs da, die bislang kaum bearbeitet wurden.223
5.4.2 Integration von Care in die Gleichstellungspolitik: Gleichheit und/oder Differenz? Keine Gleichstellungspolitik kommt um eine Positionierung zu Gleichheit und Differenz herum. In Kapitel 5.1 wurde festgehalten, dass beide Dimensionen und auch die einen Schritt weitergehende Dekonstruktion mit Dilemmata behaftet sind, es gibt keine einfache Lösung. Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion können in der theoretischen Konzipierung von Gleichstellungspolitik in konstruktiver Weise verknüpft werden (Knapp 2001): Die Gleichheitsperspektive als Grundlage der Antidiskriminierung; die Differenzperspektive als kompensatorische Förderung als Reaktion auf Strukturdefizite und die Dekonstruktionsperspektive als Korrektiv für die Verselbständigung der Geschlechterdifferenz.224 In der praktischen Umsetzung stellt diese Verknüpfung eine Herausforderung dar, der keinesfalls einfach zu begegnen ist. Klar ist, dass die egalitäre gleichstellungspolitische Perspektive keine simple Angleichung an die männliche Norm sein kann, beide Geschlechter müssen sich hin zu einem neuen Ideal der Arbeitsteilung bewegen. Aber was tun mit der 222
Gender Mainstreaming war im Entstehungskontext der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 als umfassend definierte Strategie gedacht, wonach die Regierungen in allen Politikbereichen nachprüfen sollen, welche Auswirkungen ihre Politik für die Situation von Frauen hat und in welcher Weise geplante Maßnahmen die spezifischen Lebenssituationen von Frauen im Sinne der in den verschiedenen Dokumenten verankerten Zielsetzungen verbessern (siehe Kap. 5.1). Zur Kritik an der bislang relativ engen Anwendung in der EU vgl. Frey 2004. 223 Ausnahmen sind Riedmüller 2004 mit dem Fokus auf Deutschland, sowie Dackweiler 2005, die einen programmatischen Zusammenhang zwischen der Wohlfahrtsstaatenforschung und der Implementierung von Gender Mainstreaming herstellt. 224 Damit soll nicht nahegelegt werden, das komplexe Konzept der Dekonstruktion zu erfassen – selbstverständlich geht der postmoderne feministische Ansatz weit über eine Korrektivfunktion hinaus (vgl. Villa 2004 sowie die Hinweise unter 5.1.1.C).
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Differenz? Was ist mit jenen, die aus welchen Gründen auch immer kein egalitäres Modell leben können oder wollen? Reicht es, ein Sozialstaatsmodell zu fordern, das alle Formen des Zusammenlebens zulässt, d.h. keine diskriminiert, aber eine egalitäre Arbeitsteilung spezifisch fördert? Oder wird nicht gerade mit Konzepten der Väterförderung Geschlecht konstruiert? Die bipolare Geschlechterordnung festgeschrieben? Oder ist es im Sinne der Differenz gar ein unzulässiger Eingriff in die individuellen Bestimmungsrechte der Frau? Die Anwendung der Dekonstruktionsperspektive ist selbst ein großes Fragezeichen, besteht doch Einigkeit darüber, dass es sich bislang um ein theoretisches Konzept handelt (vgl. z.B. Villa 2004). Die konkrete Ausgestaltung der Gleichstellungspolitik unter Berücksichtigung von Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion zeigt sich somit wiederum als breites Thema mit vielen Lücken. Anknüpfungspunkte für die Positionierung in Bezug auf die Differenz bzw. die Gleichheit ergeben sich unmittelbar aus Kapitel 5, wenn wir die reale Einbeziehung von Care in die Gleichstellungspolitik genauer betrachten: in der Form der so genannten Vereinbarkeitspolitik. Wir können Maßnahmen unterscheiden, die darauf zielen, Frauen zu weniger „riskanten“ Arbeitskräften zu machen, indem über Wiedereinstiegsförderungen und Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen das „Risiko“ der Unterbrechungen kalkulierbarer wird; oder Maßnahmen, die auf ein Nebeneinander von Erwerbsarbeit und Care zielen, wie z.B. die Elternteilzeit; oder Maßnahmen, die informelle Betreuungsarbeit in der Langzeitpflege in formelle Beschäftigungsverhältnisse überführen können, wie z.B. Dienstleistungsschecks. In jedem Fall können die entsprechenden Ausprägungen des Gender Gap potenziell reduziert, die Arbeitsmarktintegration von Frauen gestärkt, ihre Erwerbsverläufe näher an den Standard gebracht werden. Dies ist die Strategie des Universal Breadwinning (Fraser 1994), und führt uns ohne explizite Geschlechterperspektive unweigerlich in das Gleichheitsdilemma, die Anpassung der Frauen an die androzentrische Norm. Damit lässt sich langfristig kein umfassendes Gleichheitskonzept verfolgen (siehe Kap. 5.3 für Frasers Konzeption der Geschlechtergleichheit), der Gender Gap kann reduziert, aber nicht eliminiert werden.225 Die Schlussfolgerung lautet daher: Gleichstellungspolitik muss auf Gleichheit zielen, aber um das Gleichheitsdilemma zu vermeiden, müssen die Veränderung der Arbeitsteilung der Geschlechter und die Veränderung der mit dem „Normalarbeitsverhältnis“226 verknüpften Normen Teile der Politik sein. Der in Schweden eingeschlagene Weg in Richtung eines dual-carer/dual-earner-Modells ist der Versuch, dieses Dilemma zu vermeiden (siehe Kap. 5.3). Der Fokus der österreichischen Gleichstellungspolitik liegt derzeit relativ deutlich auf der Vereinbarkeitspolitik, wobei programmatisch beide Geschlechter gemeint sind,227 effektiv sind Frauen die Hauptbetroffenen der Vereinbarkeitsproblematik und damit auch der Politik zur Lösung dieser Problematik. Wenn wir jedoch berücksichtigen, dass die male breadwinner-Norm im österreichischen wohlfahrtsstaatlichen System immer noch eher stark verankert ist, ist fraglich, wie weit dieser Prozess in Österreich überhaupt funktionieren kann.228 Vereinbarkeitspolitik ohne Angleichungstendenz ist aber potenziell differenz225 226
Das anschauliche Beispiel dafür liefern die skandinavischen Staaten mit ihrer Politik in den 1990er Jahren. Zum Normalarbeitsverhältnis und dessen Veränderungspotenzial vgl. Pfarr 2000, Holst/Maier 1998, Kress
1998. 227
Beispielsweise laufen Kampagnen zur Väterkarenz bzw. zur Neupositionierung der Väterrolle. Siehe Kap. 4.2 und 4.3 für die eher skeptische Einschätzung der bisherigen Weiterentwicklung des österreichischen Care-Arrangements.
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verstärkend: Solange sich weder die Arbeitsteilung auf individueller Ebene noch jene auf der Makroebene signifikant ändern, wird durch Vereinbarkeitsförderung die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung eher zementiert denn aufgehoben.229 Die zweite Schlussfolgerung lautet daher: Auf Vereinbarkeitspolitik reduzierte Gleichstellungspolitik verstärkt in Ländern ohne nennenswerte Ausrichtung auf ein egalitäres Geschlechterverhältnis die Differenz. Gleichstellungspolitik ist damit keineswegs davor gefeit, in das Differenzdilemma zu kommen. Diesem kann sie am ehesten entgehen, wenn nicht die bestehenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern bzw. Teilaspekte davon Gegenstand der Politik sind, sondern die politischen Prozesse, die die Unterschiede generieren oder mitgestalten – und dies ist bei der Vereinbarkeitspolitik jedenfalls der Fall. Wenn die politischen Prozesse daraufhin untersucht werden, inwiefern sie geschlechtsspezifische Zuweisungen von Arbeit, Orientierung oder Ressourcen beinhalten, um die damit vermittelten Geschlechterleitbilder und die produzierten Wirkungen zu prüfen, wird nicht geleugnet, dass sich Frauen und Männer real unterscheiden. Aber die Unterschiede werden nicht am Wesen der Geschlechter festgemacht, gelten nicht für alle Frauen und Männer gleichermaßen und können in Zusammenhang mit ethnischen, regionalen oder Klassenunterschieden gestellt werden (vgl. Leitner 2005).
5.4.3 Gleichstellungspolitik und Organisationenwandel: Konsequenzen aus der Organisationsforschung zur Gendered Organisation Gleichstellungspolitik wird nicht nur von den dafür zuständigen Organisationen gemacht, sondern faktisch von allen Organisationen, über die die Organisation von Arbeit erfolgt. Die gleichstellungspolitischen Strategien der Frauenförderung und des Managing Diversity zielen direkt auf Organisationen des Erwerbsarbeitsmarktes, d.h. Betriebe aller möglichen Arten. Im Prinzip gilt dies auch für Gender Mainstreaming, wobei dies nur ein Teilaspekt des Konzepts ist neben dem umfassenderen Anspruch, Gleichstellungspolitik insgesamt zu transformieren. Das Ziel dieser Konzepte ist die Geschlechtergleichstellung in der jeweiligen Organisation und damit angesichts der vorhandenen ungleichen Aufstiegschancen, Löhne und Gehälter, Machtpositionen, Arbeitszeiten etc. auch der Wandel der jeweiligen Organisation: die Veränderung bisheriger Muster der Einstellung und Beförderung, das Sichtbarmachen vorhandener Substrukturen und die Erhöhung der Transparenz der Personalpolitik; und auch die Veränderung der Außenwirkung der Organisation in Bezug auf die Gleichstellung. Dieser Veränderungsanspruch ist nicht erst mit Gender Mainstreaming entstanden, sondern war auch schon mit der betrieblichen Frauenförderung verknüpft (vgl. z.B. Bendl 1997), mit den neueren Konzepten tritt er aber stärker hervor.230 Im Konzept der Geschlechterdemokratie wird der angestrebte Organisationswandel besonders deutlich (siehe Kap. 5.1). In Kapitel 5.2 wurde das österreichische Arbeitsmarktservice als eine spezifische Organisation auf die Anwendung gleichstellungspolitischer Strategien hin genauer untersucht. 229
Aus diesem Grund lehnt beispielsweise Littmann-Wernli (1999) auf Vereinbarkeit konzentrierte Maßnahmen in ihrem Gleichstellungskonzept für den Arbeitsmarkt ab. 230 Dies kann durchaus auch als Reaktion auf die Ignoranz der Organisationen gegenüber dem umfassenden Anspruch der Frauenförderung als Gleichstellungspolitik gesehen werden.
Fazit: Gender Gap und Gleichheit
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Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig und langwierig dieser Prozess ist, und dass es innerhalb der Organisationen vieler Änderungen bedarf, die im konkreten Fall des AMS noch nicht in ausreichendem Ausmaß angestoßen worden sind. Damit werden die Potenziale von Gender Mainstreaming für die Gleichstellungspolitik nicht im Sinne einer Transformation der letzteren, wie sie z.B. Woodward (2004) beschreibt, genutzt, aber die Basis für Frauenförderung merkbar verbessert. Und es scheint nicht unrealistisch, zu erwarten, dass einige der für Frauen benachteiligend wirkenden gender substructures (Acker 1990) in Organisationen als solche erkannt und sukzessive zugunsten von Gleichstellungszielen verändert werden. Zwar ist die Gefahr, angesichts der reduzierten Umsetzung von Gender Mainstreaming und vor allem angesichts der Konzentration auf die Gender-Analyse in das Differenzdilemma zu versinken, groß (Wetterer 2002a; 2005), was aber einmal mehr zeigt, wie wichtig eine Reflexion der Gleichstellungspolitik auf theoretischer Basis ist (Knapp 2001). In der Literatur zu Managing Diversity wird der Beitrag dieser Strategie zum Organisationenwandel nicht in derselben Weise hervorgehoben wie bei Gender Mainstreaming. Zwar wird das Ziel der Entwicklung und Nutzung der vorhandenen menschlichen Vielfalt in betriebswirtschaftlich relevanter Orientierung (Bendl 2004, 60) ohne Veränderung des Managements und der organisationalen Struktur nicht erreichbar sein, zudem dürfte die im Ergebnis erzielte vielfältige bzw. heterogene Personalstruktur der jeweiligen Organisation eine andere Prägung geben als die homogene Personalzusammensetzung im Ausgangspunkt (vgl. Koall 2002). Aber was Managing Diversity nicht leisten kann und auch nicht leisten will, ist die Transformation der Gleichstellungspolitik über den Organisationenwandel – schließlich ist das grundlegende Ziel das der Erfolgssteigerung (Bendl 2004). Zumindest können solche Wirkungen nicht sofort erwartet werden, sondern höchstens als Ergebnis eines „langfristigen und zähen Prozesses der Förderung von organisationaler Toleranz und Offenheit“ (Koall 2002, 3) in dem Sinn, als „die Veränderungen der sozialen Beziehungen in Profit- und Nonprofitorganisationen auf bestehende gesellschaftliche Dominanzverhältnisse einwirken. Managing Diversity hat nicht die politische Reichweite der gegenwärtigen Diskussionen zum Gender Mainstreaming“ (ebd.). Zudem bleibt, wie Bendl (2004, 62) anmerkt, Gender im Zuge der Etablierung von Gender- und Diversitätsmanagment immer öfter ungenannt.231 Allerdings liegt in dieser relativen „Schwäche“ des GenderAspekts im Managing Diversity potenziell auch eine Stärke: Es dürfte leichter fallen, über die Differenzorientierung hinauszugehen und Dekonstruktionsprozesse in Bezug auf die Geschlechterdualität in Gang zu bringen (Koall 2002, 12ff; Bendl 2004, 62). Wenn dies gelingt, kann organisationaler Wandel über Managing Diversity einen gewichtigen Beitrag zur Geschlechtergleichstellung leisten. Wieweit bzw. unter welchen Bedingungen dieses Potenzial auch tatsächlich genutzt werden kann, muss noch offen bleiben.
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Dass Gender in der deutschen Bezeichnung des Diversitätsmanagements vorkommt, ist eine europäische Besonderheit und erklärt sich aus der geschichtlichen Nähe zur Gender Mainstreaming (Bendl 2004, 61). Im USamerikanischen Managing Diversity hatte Gender nie diese herausragende Stellung neben den anderen Kategorien der Diversität.
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Gender Gap und Gleichheit
5.4.4 Gleichstellungspolitik auf der Makroebene: Gender Budgeting Zuletzt soll noch expliziert werden, was mit den beiden zuvor beschriebenen Erweiterungen der Gleichstellungspolitik ohnehin auf der Hand liegt: Eine auf einem materiellen bzw. substanziellen Gleichheitsverständnis beruhende und die Dimension Care integrierende Gleichstellungspolitik bedingt eine gendersensible Analyse der Makroökonomik und in der Folge deren Veränderung. Als Teilprojekt dieses Engendering der Makroökonomik gilt die Analyse der Makropolitik, wie sie sich in öffentlichen Budgets niederschlägt – Gender Budgeting. Letzteres beschreibt die geschlechtersensible Untersuchung öffentlicher Haushalte, d.h. die Analyse von geplanten oder bereits realisierten Maßnahmen, Programmen und Gesetzen, die sich im Budget niederschlagen, in Hinblick auf die Auswirkungen auf Frauen und Männer bzw. unterschiedliche Gruppen von Frauen und Männern.232 Ausgangspunkt ist die Annahme, dass gegenwärtige öffentliche Haushalte entgegen der makroökonomischen Argumentation eben nicht geschlechtsneutral sind: „In dem Maße jedoch, wie die BürgerInnen eines Landes hinsichtlich ihrer Ausstattung mit ökonomischen, sozialem und Humankapital sowie ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung von einem repräsentativen Wirtschaftssubjekt abweichen, werden scheinbar geschlechtsneutrale zu geschlechtsblinden Haushalten“ (Schratzenstaller 2002, 138). Öffentliche Budgets spiegeln Machtverhältnisse und somit auch Geschlechterverhältnisse wider und wirken aufgrund differenter gesellschaftlicher Positionierung und Zuschreibungen unterschiedlich auf Frauen und Männer (Michalitsch 2005). Diese Definition lässt eine klare Nähe zu Gender Mainstreaming erkennen, tatsächlich kann Gender Budgeting als Anwendung von Gender Mainstreaming auf der Makroebene verstanden werden. Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, Entstehungsgeschichte, Ziele, Ansätze und Methoden des Gender Budgeting zusammenzufassen.233 Im Folgenden werden jene Aspekte vorgestellt, die unmittelbare Anknüpfungspunkte an die präsentierten Analysen darstellen: Eine gendersensible Analyse öffentlicher Budgets setzt nicht nur ein beträchtliches Maß an Wissen über Makropolitik voraus, sondern insbesondere auch über den Stand und die Entwicklung des Geschlechterverhältnisses. Die dafür notwendigen Daten und Indikatoren sind nach wie vor nicht vollständig verfügbar (z.B. Daten und Indikatoren zur informellen Arbeit), dies gilt umso mehr, wenn Care ins Blickfeld genommen wird. Hier treffen sich mehrere angesprochenen Forschungsfelder: Eine geschlechtersensible Analyse öffentlicher Ausgaben für Familien- und Vereinbarkeitspolitik muss den besonderen Charakter von Care ebenso berücksichtigen wie die bei Care praktizierte, höchst ungleiche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Zusammenhänge und Wechselwirkungen mit dem Gender Gap im Erwerbsarbeitsmarkt.234 Und bei aller Datensammlung und Indikatorenentwicklung zur Auffindung von geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung darf nicht 232
Zu Gender Budgeting vgl. Budlender et al. 2002, Schwerpunktheft femina politica 1/2002, Beiträge in Gubitzer/Rukkeschitz 2004. 233 Vgl. dazu Michalitsch 2005; eine erste deskriptive Aufarbeitung für Österreich findet sich in Beigewum 2002; Himmelweit 2002 für die Erfahrungen der Women’s Budget Group in England; Sharp/Broomhill 2002 für die australische Anwendung; für Österreich finden sich aktuelle Informationen auf der Homepage der Interministeriellen Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming (IMAG): http://www.imag-gendermainstreaming.at/cms/imag/ (August 2008). 234 Vgl. z.B. Beigewum 2002 für Österreich mit dem Blickwinkel auf das Budget; Knapp 1998 für Deutschland mit dem Blickwinkel auf Gleichstellung und Arbeitsmarkt, sowie Rubery et al. 2004 für die EU-Ebene.
Fazit: Gender Gap und Gleichheit
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aus dem Blick geraten, dass es letztlich gilt, die Geschlechtertrennung zu überwinden und nicht, sie zu (re-)produzieren.235 Ausführliche Datensammlungen reichen allerdings nicht aus, um eine geschlechtersensible Budgetanalyse machen zu können – Daten alleine sind nicht in jedem Fall aussagekräftig. Eine allzu simple Inzidenzanalyse könnte beispielsweise aus dem empirischen Faktum, dass Frauen in der Regel mehr aus dem öffentlichen Budget ausbezahlt bekommen als sie einzahlen,236 den Schluss ziehen, dass es keiner weiteren Bemühungen um die Geschlechtergerechtigkeit des Budgets bedarf. Gender Budgeting bleibt aber nicht dabei stehen, aussagekräftige Inzidenzanalysen hinsichtlich der Geschlechterwirkungen von Steuern oder spezifischen Ausgaben zu erstellen, sondern nimmt die gesamte Budget- und Wirtschaftspolitik in den Blick (Michalitsch 2005). Dafür braucht es Ressourcen für die Erhebung qualitativ hochwertiger Daten und die Entwicklung geeigneter Indikatoren, wirtschaftspolitischer Expertise und innovativer Konzepte zur Einbeziehung der bislang ausgeblendeten nicht marktvermittelten Tätigkeiten. Für Österreich liegen beispielsweise keine empirischen Studien zu den volkswirtschaftlichen Effekten des Care-Arrangements oder zu den Folgewirkungen von Unterbrechungen vor. Eine der wenigen herauszuhebenden Aktivitäten ist die Berechnung des „Frauen-BIP“ (Franz 1996) über die Bewertung und Einbeziehung unbezahlter Familienarbeit in das Brutto-Inlandsprodukt. Daraus ergibt sich ein sehr breites makroökonomisches Forschungsfeld, dessen Bearbeitung für das Erkennen und für die Realisierung gleichstellungspolitischer Potenziale in der Makropolitik von hoher Bedeutung ist.
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Die Sammlung und Aufbereitung geschlechtsspezifischer Daten ist mit der Gefahr verbunden, Unterschiede zu konstruieren oder solche zu verstärken, wo vielleicht gar keine sind bzw. wo sie zwar vorhanden, aber irrelevant für die Geschlechtergleichstellung sind. 236 Vgl. z.B. Streissler 1996 für Österreich. In dieser Studie wird gezeigt, dass Frauen zwar weit mehr an Sozialtransfers ausbezahlt erhalten, als sie einzahlen. Dieses Ergebnis ist jedoch das Resultat ihrer Arbeitsleistungen in der unbezahlten Versorgungsökonomie. Wie Streissler (1996) nachweist, können die Sozialtransfers die aus den familienbedingten Berufsunterbrechungen resultierenden Einkommensverluste der Frauen bezogen auf das Lebenseinkommen bei weitem nicht ausgleichen. Dazu kommen die Effekte der sogenannten „Rollenfalle“: Sozialtransfers stützen die traditionelle Arbeitsteilung (siehe auch Kap. 4.2).
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Ausgangspunkt und Problemstellung dieses Buches bildeten die Existenz und die Dauerhaftigkeit des Gender Gap, d.h. die Geschlechterdifferenz und der darin festgehaltene Aspekt der Diskriminierung. Der Gender Gap besteht immer noch trotz der dynamischen Entwicklung von Märkten und Konkurrenzprozessen, trotz politischer Bemühungen, die beide längst zu seiner Erodierung hätten führen müssen, und trotz der Durchsetzung rechtsförmiger Antidiskriminierungsnormen, weil, so die zentrale These, der Begründungszusammenhang hinter dem Gender Gap wesentlich komplexer ist als bisher in den betroffenen wissenschaftlichen Disziplinen angenommen wurde. Daher tun sich im Umgang mit dem Gap häufig Fallen auf, vor denen selbst eine engagierte Gleichstellungspolitik nicht gefeit ist sichtbar beispielsweise im Paradoxon der Frauenförderung (siehe Kap. 5.1). Die im Rahmen der Arbeit erstellten Analysen zeigen diese Komplexität nicht nur auf, sondern liefern auch Anknüpfungspunkte für die weitere theoretische und politische Befassung mit dem Gender Gap in der Ökonomik und in interdisziplinären Kooperationen. Nach der empirischen Darstellung wesentlicher Ausprägungen des Gender Gap für Österreich wurde in den Kapiteln drei bis fünf für eine Reihe von Teilaspekten gezeigt, wie diese Ungleichheit reproduziert wird, wie die zugrunde liegende Problematik ökonomisch-theoretisch untersucht wird und in einer erweiterten Perspektive untersucht werden kann, und wie Gleichstellungspolitik Gestaltungsspielräume eröffnen und nutzen kann. In den jeweils resümierenden Kapiteln 3.6, 4.4 und 5.4 wurden die zu Beginn entwickelten Thesen aufgegriffen und bearbeitet, dabei kam die Komplexität der Thematik zum Vorschein: Der Gender Gap hat nicht nur verschiedene Ursachen in unterschiedlichen Zusammenhängen, sondern seine Reproduktion hat sich in einer komplexen Dynamik verselbständigt. Wie erwartet kommt der Arbeitsteilung eine zentrale Rolle zu: Der Gender Gap konnte mehrfach als Teil von Prozessen der Arbeitsteilung mit kumulativer Verursachung identifiziert werden. Damit tun sich für die ökonomische Wissenschaft eine Reihe von Fragen auf, denn im ökonomischen mainstream wird Arbeitsteilung häufig auf Spezialisierung und in der Folge auf die positiven Effekte daraus resultierender Kostenvorteile reduziert, ohne die Makrodynamik zu erfassen, die aus arbeitsteiligen Prozessen zwangsläufig folgt. Mit der Analyse im fünften Kapitel, zur Gleichstellungstheorie und -politik, bekommt die Problemstellung des Gender Gap ein noch größeres Gewicht. Dass gleichstellungspolitische Bemühungen bislang relativ geringe Erfolge erzielen konnten, zeigt sich am deutlichsten an der langen Geschichte des Kampfes um das Recht auf „gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“. Obwohl die ungleiche Behandlung von Individuen mit im jeweiligen Kontext gleichen produktivitätsrelevanten Fähigkeiten in Zeiten einer weitgehend präsenten Gleich-
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heitsrhetorik1 von Legitimationsproblemen gekennzeichnet sein sollte, besteht sie fort. Die Forderung nach einer ökonomischen Fundierung der Gleichstellungspolitik, welche insbesondere die mit der Arbeitsteilung in Verbindung stehenden Prozesse aufgreifen und adäquat berücksichtigen muss, erweist sich daher als berechtigt. Die Ausführungen im fünften Kapitel haben noch mehr zu Tage gebracht: Es geht nicht nur um „Politikversagen“, das sich relativ nahtlos neben dem im dritten und vierten Kapitel festgestellten „Marktversagen“ einreihen lässt, sondern es zeigen sich auch Theoriedefizite: Die Dilemmata rund um Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion verweisen auf weiteren Handlungsbedarf von Seiten der Gender-Forschung, und damit auf den über den ökonomisch-theoretischen und politischen Erklärungsbedarf hinausgehenden komplexen Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnis, Arbeitsteilung und Diskriminierung. Insbesondere sind jene Fallen, die sich bei den Bemühungen zum Abbau des Gender Gap auftun und die zur relativen Unwirksamkeit bisheriger Politik beigetragen haben, zu erkennen und zu überwinden. Dies erfordert nicht nur innerhalb der Disziplinen eine vertiefte Befassung mit dem Gender Gap, sondern eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. In allen Analysen der vorliegenden Arbeit wurde der Beitrag der Wirtschaftswissenschaften zur Erklärung des komplexen Phänomens des Gender Gap untersucht. Die zweite grundlegende These, wonach das Instrumentarium des ökonomischen mainstream zur Untersuchung der mit dem Gender Gap verbundenen Aspekte der Diskriminierung unzureichend ist oder zumindest bislang ungenügend eingesetzt wurde, konnte in vielen Bereichen Bestätigung finden. Das Aufnehmen dieser Kritik im Sinne einer adäquaten Analyse des Gender Gap innerhalb der ökonomischen Wissenschaft kann nicht nur diese Lücken füllen, sondern verändert die Ökonomik selbst. Im ersten Kapitel wurden einige Überlegungen zum Projekt des Engendering Economics dargestellt, an die nun angeknüpft werden soll. Wolley (1993, 485) umschreibt das Vorhaben feministischer ÖkonomInnen folgendermaßen: „Feminist economists recognise that women are disadvantaged and are committed on equity grounds to improving women’s well-being.” Daraus folgt ein Arbeitsprogramm, das nicht nur die empirische Analyse der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die Fundierung der Gleichstellungspolitik umfasst, sondern auch „to conduct research free from androcentric bias“ (ebd., 486). Diese Agenda stellt eine Herausforderung an die mainstream-Ökonomik dar; aus der Annahme und Bearbeitung dieser Herausforderung eröffnen sich Potentiale für die Weiterentwicklung der ökonomischen Wissenschaft als Ganzes. In der vorliegenden Arbeit wurden mehrere Beiträge zum Engendering Economics geliefert: Im methodologischen Kontext gilt es die Engführung der neoklassischen Mikroökonomik zu Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Ungleichheit zu explizieren, die der Diskriminierung zugrunde liegenden Prozesse der Arbeitsteilung zu reflektieren und entsprechende Erklärungsbeiträge ansatzweise einzubauen. Analysen zur Arbeitsmarktsegregation generell und im speziellen die Integration des Wissens um gendered organizations sind Beispiele einer solchen notwendigen Erweiterung, die humankapitaltheoretische Positionen bzw. mainstream-Diskriminierungserklärungen in Hinblick auf den Gender Pay Gap und den Gender Gap Berufskarriere nicht nur ergänzen, sondern auf eine neue Basis stellen können.
1 Ein aktuelles Beispiel ist das (mittlerweile über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bereits abgesicherte) Recht auf gleichen Hochschulzugang in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
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Die Aufnahme von Care mit all seinen Facetten in das ökonomische Forschungsfeld stellt die zentrale Erweiterung in der Frage des Gegenstandsbereichs dar. Auch hier ist evident, dass es sich nicht nur um eine einfache horizontale Erweiterung handelt – im Sinne von Care als einen weiteren zu analysierenden Arbeitsbereich – sondern dass wesentliche Annahmen des ökonomischen mainstream wie jene zu emotionslosen Tauschbeziehungen, zu den Motivationen von Arbeitskräften oder zur im methodologischen Individualismus angelegten Unabhängigkeit von Individuen entscheidend verändert und an die Besonderheiten von Care angepasst werden müssen. Insbesondere letzteres erweist sich als zentral: Im Betreuungsbereich treffen wir auf Individuen, die selbst keine Kontrakte verhandeln und abschließen können bzw. erst in einem aufwendigen, aber notwendigen Prozess zu kontraktfähigen Individuen „gemacht“ (d.h. beispielsweise erzogen) werden müssen. In Kapitel 4.1 wurden bereits eine Reihe von möglichen Bestandteilen einer ökonomischen Theory of Care identifiziert, die es aber erst zu einer solchen zusammenzufügen gilt. Als drittes sind methodische Erweiterungen erforderlich, die sich nicht auf eine additive Erweiterung des „Methodenkoffers“ reduzieren lassen, sondern in das bisherige Feld der Ökonometrie selbst vordringen. Evident ist dies beim Gender Gap Einkommen, bei dem sich Kooperationen zwischen ökonometrischen Methoden der Lohnzerlegung und qualitativen Methoden wie Fallstudien, ExpertInnen- und Tiefeninterviews, Fokusgruppen oder die Einbeziehung von Referenzgruppen als zielführend erweisen, um über die Feststellung des amorphen „unerklärten Rests“, der nur annahmegemäß mit Diskriminierung in Verbindung gebracht wird (und dies relativ seltener, vgl. Weichselbaumer/Winter-Ebmer 2006), endlich hinauszugelangen. Methodenvielfalt erfordert auch andere Formen der Datenerhebung und –aufbereitung, die ebenfalls in Kooperation mit der empirischen Sozialforschung entwickelt werden können. Der Gender Gap ist ein Phänomen, das in vielerlei Mikro- und Mesoprozessen wurzelt und gleichzeitig durch diese gestützt wird, aber die Hauptrolle dieser Stützung haben mittlerweile Regelungen, Verfahren und Institutionen der Makroebene übernommen. Dies gilt für ökonomische Institutionen (z.B. Familienpolitik) ebenso wie für rechtliche (z.B. Eherecht). Auch Arbeitsteilung kann, wie mehrfach gezeigt wurde, nicht auf die Mikroebene begrenzt werden. Sozialtheoretische Ansätze, die wirtschaftliches Geschehen als Prozess und in seiner Makrodynamik aufgreifen, sind somit eine notwendige Erweiterung des insbesondere in der Neoklassik vorherrschenden statisch-partialanalytischen Ansatzes. Gerade weil Arbeitsteilung weder statisch noch partialanalytisch adäquat untersucht werden kann, bieten sich die vorhandenen Theorien der Arbeitsteilung in der Ökonomik und in der Gender-Forschung als Ausgangspunkte für dieses Vorhaben an. Zuletzt stellt die Analyse der Geschlechterdifferenz selbst eine Erweiterung dar: Im Mittelpunkt steht nicht die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern, sondern die Befassung mit „Asymmetrie erzeugenden Arrangements solcher Unterscheidungsmechanismen bis hin zu Phänomenen von nachhaltiger sozialer Diskriminierung“ (Pasero/Ohlendiek 2003, 22). Differenz meint dabei nicht geschlechtsspezifisch möglicherweise unterschiedliche Fähigkeiten, Orientierungen und Präferenzen, sondern zielt auf das Geschlechterverhältnis als sozialen Strukturzusammenhang, auf die Institutionalisierung einer sozialen Praxis, „die Frauen und Männer „wirklich“ zu Verschiedenen macht“ (Wetterer 2002, 36) und die sich wie vielfach belegt als robust gegenüber Veränderungen in Richtung eines egalitären Geschlechterverhältnisses zeigt.
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Im Rahmen der einzelnen Kapitel haben sich im Kontext der Integration von Ansätzen und Erkenntnissen aus der Gender-Forschung ins ökonomische Theoriegebäude, sowie von methodischen Erweiterungen und interdisziplinären Kooperationen bereits eine Reihe von Forschungsfragen ergeben. Abschließend sollen jene drei übergeordneten Forschungsfragen skizziert werden, die für das Problemfeld des Gender Gap als besonders relevant gelten können: die ökonomische Fundierung der Gleichstellungspolitik, die Entwicklung und Etablierung der Economics of Care, und die Analyse kumulativer Verursachungsketten, über die in arbeitsteiligen Prozessen Diskriminierung reproduziert wird. Die Frage der ökonomischen Begründung von Antidiskriminierungspolitik bietet noch immer Anlass zu theoretischen Diskursen (siehe Kap. 5.4), die auch weiterverfolgt werden sollen. Aber angesichts der bisherigen Erkenntnisse zum Gender Gap ist jedenfalls evident, dass Marktprozesse allein es nicht schaffen, kumulative Verursachungsketten zu überwinden und daher die Realisierung einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung politischer Eingriffe bedarf. Es geht nicht um die Frage des „Ob“, sondern vielmehr um die Frage des „Wie“. Dies umso mehr, als die Gleichstellungspolitik bisher dem Anspruch, die Geschlechtergleichstellung zu erreichen, nicht gerecht werden konnte, was innerhalb der internationalen Frauenpolitik zur Entwicklung der Strategie des Gender Mainstreaming geführt hat. Abgesehen vom makroökonomischen Ansatz des Gender Budgeting gibt es bis dato keine ökonomisch-theoretische Analysen zu Gender Mainstreaming. Inputs wären hier nicht nur von Seiten der Makropolitik erforderlich, sondern auch auf der Mesoebene der Organisationen. Gender Mainstreaming kommt auf der organisationalen Ebene konkret zum Tragen – auch dann, wenn diese Strategie auf der Makroebene des Staates verankert ist. Noch deutlicher wird dies bei den privatwirtschaftlichen Versionen des Managing Diversity. Forschungsbedarf besteht aus ökonomisch-theoretischer Sicht hinsichtlich der Aufarbeitung der Erkenntnisse der Organisationsforschung und der Verbindung derselben mit der Diskriminierungsforschung. Nur dann kann sichergestellt werden, dass Maßnahmen und Strategien entwickelt werden können, die einen Abbau des Gender Gap bewirken und eine geschlechtergerechte Arbeitsteilung fördern. Auf der Makroebene folgt aus der Forderung nach einer erweiterten Anwendung von Gender Mainstreaming z.B. auf die Sozial- und Familienpolitik die Notwendigkeit einer verstärkten Befassung mit den ökonomischen Grundlagen der Sozialpolitik. Dieses Forschungsfeld existiert zwar bereits und daran kann angeknüpft werden (vgl. z.B. Rosner 2003), aber die Verbindung mit der Gender-Forschung steht noch aus. Gendering welfare states muss stärker in das makroökonomische Arbeitsgebiet eingebaut werden. Dann ermöglicht es Gender Mainstreaming, auf alte Probleme, z.B. die Armutsgefährdung von Pensionistinnen oder die unzureichende Absicherung alleinerziehender Frauen, mit einer „neuen Brille“ zu schauen und alle im weiteren Sinn makroökonomischen Politikfelder gleichstellungspolitisch zu nutzen. Dies zieht Fragestellungen wie jene nach der Koordination unterschiedlicher Politikfelder oder jene nach konkreten Zielsetzungen in der Politik nach sich. Gerade weil in der Umsetzung von Gender Mainstreaming teilweise eine sehr enge ökonomische Perspektive angewendet wird (häufig im Sinne von „Gleichstellungspolitik dann, wenn sie sich rechnet“), gibt es verhältnismäßig viel Kritik an dieser Strategie aus den Reihen der Gender-ForscherInnen. Diskurse über Gleichheit vs. Effizienz, über
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Qualität vs. Quantität, und wie bereits erwähnt über Gleichheit vs. Differenz sind unvermeidbar und, vor allem, zu klären. Der zweite Komplex offener Forschungsfragen zielt auf die Integration von Care in die Ökonomik ab. Einige Bausteine einer Theory of Care existieren bereits, viele müssen aber erst hergestellt oder zusammengebaut werden, um den Besonderheiten dieses Arbeitsbereichs gerecht zu werden. Care überschreitet alle ökonomischen Dichotomien und daher stellt dieser Fragenkomplex in Relation zur Gleichstellungspolitik eine besondere Herausforderung für die mainstream-Ökonomik dar. Dies betrifft die Mikroebene ebenso wie die Makrodimension des Care-Regimes in seiner Verquickung mit dem jeweiligen GenderRegime. Die Schaffung einer theoretischen Grundlage, die sich mit Themen befasst wie den Motiven des Betreuens, der Bewertung und vor allem der Unterbewertung von Care, der Analyse von Care-Beziehungen und von Defiziten vorhandener Kontrakte rund um Care-Beziehungen, oder den mit Care verbundenen Asymmetrien, die immer auch Ausdruck von Machtbeziehungen sind, ist daher auch einer der Schwerpunkte des Forschungsprogramms feministischer Ökonomik. Der dritte Komplex von Forschungsfragen hat den Fokus auf der Arbeitsteilung und lässt sich anhand der Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit in zwei Stränge teilen: Erstens besteht – nicht nur in Bezug auf die Analyse der Geschlechterdifferenz – Bedarf nach einer deutlichen Weiterentwicklung der Theorie der Arbeitsteilung in der Ökonomik. Diese ist ein notwendiger Input für den zweiten Forschungsstrang, die ökonomisch-theoretische Aufarbeitung des Zusammenhangs von Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. Weitere Inputs stellen die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Gender-Forschung (vgl. zusammenfassend Wetterer 2002) und der Forschungen zur Arbeitsmarktsegregation der Geschlechter (vgl. z.B. Kreimer 1999) dar. Zu klärende Fragen sind beispielsweise, wie sich immer wieder neue Segmentationsmuster nach dem Geschlecht entwickeln können, was aus ökonomischer Perspektive differenzverstärkende, aber auch differenzminimierende Prozesse sein könnten, welche Rolle wirtschaftlicher Wandel und ökonomische Dynamik dabei spielen. Die Verbindung mit dem ersten Forschungsstrang, der generellen Arbeitsteilungsthematik, lässt sich über jene Prozesse herstellen, die einem Geschlecht Vorteile aus dem samenessTabu verschaffen, d.h. Prozesse der Macht zur Erhaltung von – wie auch immer entstandenen – Hierarchien. Die Entwicklung und Integration einer adäquaten Theorie der Arbeitsteilung stellt nun auch ohne Einbeziehung des Gender-Aspekts eine Herausforderung an die mainstreamÖkonomik dar, welche die Arbeitsteilung zumeist nur in ihren Mikroaspekten begreift. Wenn wir die Makrodynamik verstehen wollen, müssen wir das zeitlose und konfliktfreie Marktmodell der Neoklassik verlassen, müssen Aspekte wie Macht und Hierarchie bzw. die Prozesse, die diese stützen und reproduzieren, erkennen und einbeziehen. Anknüpfungspunkte hierzu bietet die evolutorische Ökonomik, befasst sich diese doch gerade mit der
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Pfadabhängigkeit ökonomischer Prozesse in historisch-realer Zeit (z.B. David 2001), mit positiven Feedback-Prozessen und dem Phänomen des „locking-in“ (Arthur 1989 und 1990). Die Einbeziehung solcher Phänomene ermöglicht es, eine Prozessperspektive auf die Arbeitsteilung zu entwickeln, die notwendig ist, um deren Makrodynamik zu analysieren und um gestaltend eingreifen zu können. Es geht dann beispielsweise nicht primär darum, den diskriminierenden Akteur und dessen Diskriminierungspräferenz als Ursache der Einkommensdifferenz zwischen den Geschlechtern zu identifizieren und zu verändern – dieses Vorhaben wird in den meisten Fällen ohnehin keinen Erfolg haben. Stattdessen gilt es zu erkennen, wie weit vorfindbare Mechanismen der Lohnbildung und Karriereentwicklung das Ergebnis verfestigter Systeme sind, die sich relativ unabhängig von den seinerzeit auslösenden Momenten (an denen Diskriminierung sehr direkt beteiligt sein konnte) über die Zeit entwickelt haben. Dass diese tief verankerten Mechanismen struktureller Benachteiligung ohne Eingriff von außen ihre diskriminierenden Effekte nicht verlieren werden, dafür sorgt unter anderem ökonomische Rationalität: Diskriminierung bringt auf der individuellen Ebene immer auch Vorteile für zumindest einige der beteiligten Individuen mit sich, die diese in Verbindung mit der Ausübung von Macht in hierarchischen Systemen auch nutzen können, wenn keine direkten Diskriminierungsabsichten (mehr) vorhanden sind. Das Vorhaben, die Robustheit dysfunktionaler Diskriminierungsmechanismen aufzubrechen, kommt daher um die Thematisierung von Machtbeziehungen und Machtverhältnissen nicht herum – was auf ein weiteres herausforderndes Forschungsfeld für die Ökonomik verweist.
Literaturverzeichnis 3.1
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Verzeichnis der Tabellen, Abbildungen und Übersichten
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 2.1: Beschäftigungsquote und Gender Gap Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten ................................................................................................................ 35 Tabelle 2.2: Arbeitsmarktpartizipation und Betreuungspflichten unter Frauen (25-44 Jahre) in den Jahren 1997, 2002 und 2006, in %.............................................. 36 Tabelle 2.3: Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung in Österreich 1974 bis 2006............... 42 Tabelle 2.4: Teilzeitquote nach höchster abgeschlossener Ausbildung und Geschlecht 1997 und 2006, in %........................................................................... 43 Tabelle 2.5: Bruttojahreseinkommen und Gender Pay Gap der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten nach Funktion und Geschlecht 2005 .......................................... 47 Tabelle 2.6: Segregation auf Berufsebene 2003, in %.......................................................... 49 Tabelle 3.1: Begründung der Nichterwerbstätigkeit (Mikrozensus 1995-3) ........................ 93 Tabelle 3.2: Berufliche Stellung nach Geschlecht, in % .................................................... 127 Tabelle 3.3: Berufliche Stellung nach höchster abgeschlossener Ausbildung, in % .......... 127 Tabelle 3.4: Karrieremobilität von Männern und Frauen (Abstromquoten), in % ............. 129 Tabelle 3.5: Ausbildungsniveaus in Frauen- und Männerberufen, in % ............................ 136 Tabelle 3.6: Durchschnittseinkommen in „Frauen“- und „Männerberufen“, in Euro ........ 137 Tabelle 3.7: Mittleres Einkommen nach momentanem und früherem Beschäftigungsausmaß, in Euro .................................................................................... 143 Tabelle 4.1: Kinderbetreuungsquoten in den Jahren 1995, 2002 und 2007, in % .............. 211 Tabelle 4.2: Karenzgeld- bzw. KinderbetreuungsgeldbezieherInnen 1990 bis 2008 ......... 235 Tabelle 4.3: KinderbetreuungsgeldbezieherInnen nach sozialrechtlicher Stellung im Juni 2008, in %............................................................................................... 236
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 2.1: Entwicklung der Beschäftigungsquote von Männern und Frauen (15 bis 64 Jahre) und des Gender Gap 1980 bis 2006, in % ............................. 34 Abbildung 2.2: Entwicklung der Arbeitslosenquote von Frauen und Männern (internationale Quote) und des Gender Gap 1993 bis 2006, in %....................... 38 Abbildung 2.3: Entwicklung der Arbeitslosenquote von Frauen und Männern (nationale (Register-)Quote) und des Gender Gap 1980 bis 2007, in % ................. 38 Abbildung 2.4: Lebensunterhalt der 15 bis 64-jährigen Frauen und Männer 2006, in % ............................................................................................................ 40 Abbildung 2.5: Teilzeitquoten von Frauen und Männern nach Altersgruppen 2006 .......... 43 Abbildung 2.6: Entwicklung der Bruttomedianeinkommen 1980 bis 2007 ........................ 46
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Verzeichnis der Tabellen, Abbildungen und Übersichten
Abbildung 2.7: Durchschnittlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit von Frauen und Männern nach Alter 2002........................................................................... 51 Abbildung 3.1: Kategorien arbeitsmarktspezifischer und familiärer Erwerbshemmnisse.................................................................................................. 92 Abbildung 3.2: Gründe der Nichterwerbstätigkeit vor dem Hintergrund arbeitsmarktrelevanter bzw. familiärer Einflussfaktoren............................ 94 Abbildung 3.3: Vergleich der Einkommensmediane in Abhängigkeit des Beschäftigungsausmaßes zum Schuleintritt des jüngsten Kindes innerhalb der zum Befragungszeitpunkt Teilzeitbeschäftigten und der Vollzeitbeschäftigten................................................................................ 145 Abbildung 5.1: Szenarien zum Segregationsabbau ........................................................... 329
Verzeichnis der Übersichten Übersicht 3.1: Übersicht 3.2: Übersicht 4.1: Übersicht 5.1: Übersicht 5.2: Übersicht 5.3:
Institutioneller Analyserahmen der Beschäftigung .................................... 80 Ergebnisse im Überblick .......................................................................... 120 Regelungen zur Elternkarenz und zum Kinderbetreuungsgeld ................ 233 Konzeptionen der „gleichen Behandlung“ ............................................... 270 Gleichstellungsstrategien.......................................................................... 277 Ressourcenbedarf zur Implementierung von Gender Mainstreaming ...... 305
Danksagung
Ich habe vielen Menschen zu danken, die meine Arbeit an diesem Buch unterstützten. Das Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die ich im Rahmen des 2006 erfolgreich abgeschlossenen Habilitationsverfahrens im Fachbereich Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz eingereicht habe. Mein besonderer Dank richtet sich an Richard Sturn, der mir in allen Phasen der Entstehung des Buches mit hilfreichen Kommentaren und kundigen Vorschlägen zur weiteren Bearbeitung zur Seite stand. Die Diskussionen im Rahmen unserer gemeinsamen Schitouren stellten dabei eine besonders gelungene Kombination von Berufs- und Privatleben dar. Einige der Kapitel in diesem Buch sind bereits im Vorfeld in anderen Kontexten entstanden. Ich danke Angelika Wetterer, die mir sehr geholfen hat, die einzelnen Forschungsstränge und Themen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Bei den in Kooperation mit Kolleginnen entstandenen Kapiteln möchte ich insbesondere Andrea Leitner und Birgit Friedl hervorheben, die über die Textteile hinaus wesentliche Teile meiner Arbeit begleiteten. Danken möchte ich auch Barbara Hönig und Katja Hartl, die sich nicht nur für Korrekturen Zeit genommen haben, sondern darüber hinaus Vorschläge und Kommentare einbrachten. Für die Korrekturen und für Layoutarbeiten an der vorliegenden Buchpublikation danke ich Brigitte Bergner und Isabella Meier. Ich möchte weiters all jenen danken, die mir auf vielfältige Weise den Rücken stärkten oder zur rechten Zeit den notwendigen Motivationsschub verschafften. Es sind dies vor allem die Frauen unserer Uni-Laufgruppe und die Kolleginnen aus dem Frauenförderungslehrgang. Die Phase des Abschlusses einer Habilitation stellt eine besondere Herausforderung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar. Mein ganz besonderer Dank gilt daher meinem Mann und meinen beiden Töchtern, die mich nicht nur zeitmäßig in hohem Ausmaß mit der Wissenschaft teilen mussten, sondern auch unzählige stimmungsmäßige Tiefpunkte infolge des Stresses bei der Fertigstellung der Habilitationsschrift ausgehalten haben. Zuletzt möchte ich meiner Schwiegermutter, Elisabeth Bärnthaler, danken. Sie durfte die Fertigstellung dieses Buches leider nicht mehr erleben. Sie war immer da, wenn es notwendig war, hat mich in vielfältiger Weise bei den kleinen und großen Dingen des Haushalts und der Kinderbetreuung entlastet und mich auf ihre sanfte und kundige Art unterstützt und motiviert. Ihr möchte ich dieses Buch widmen.
Graz, im September 2008
Margareta Kreimer