Red Geller Schlosstrio Band 19
Hexentanz um Mitternacht
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Red Geller Schlosstrio Band 19
Hexentanz um Mitternacht
scanned by Ginevra corrected by AnyBody Der Feuerschein leuchtet gespenstisch in die Heide. Das Zucken der Flammen spiegelt sich auf den Gesichtern der Frauen, die in langen Kutten das Feuer umtanzen und seltsame Weisen singen. Manchmal werden auch die hohen, gewaltigen Steine sichtbar, die wie unheimliche Beobachter einer fernen Vergangenheit wirken. Und mitten in diesem furchteinflößenden Treiben das ‡Schloß-Trio". Zusammen mit Gaby Fuchs sind die Freunde auf der Jagd nach zwei gefährlichen Bankräubern, deren Beute nie gefunden wurde. In dieser schaurigen Nacht aber sollte sich alles ändern. Doch wer ist schneller? Die Bankräuber, das ‡Schloß-Trio"' oder die Heidehexen? ISBN 3-8144-1719-4 © 1990 by Pelikan • D-3000 Hannover l Umschlaggestaltung: strat + kon, Hamburg Innen-Illustrationen: Solveig Ullrich
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Inhalt 1. Der Bankraub ................................................................... 3
2. Unheimliche Begegnung ................................................ 17
3. Eine böse Überraschung................................................. 41
4. Der Überfall.................................................................... 58
5. Die Pläne der Hexen....................................................... 74
6. Die Suche ....................................................................... 83
7. Auf dem Kriegspfad ....................................................... 92
8. Hexentanz und Hexenfeuer .......................................... 107
9. Harrys Alleingang ........................................................ 123
10. Burschi wird zum Tiger.............................................. 130
11. Ein großer Tag für Gaby ............................................ 137
1. Der Bankraub Hamburg - Tor zur Welt! Stadt mit dem gewaltigen Hafen, den unzähligen Brücken, dem Wind, der Elbe, dem Schmuddelwetter, das an diesem Tag aber Legende war. Blauer Himmel, nur wenig Wind, fröhliche Menschen. Es gab keinen Streit; die Autofahrer nahmen Rücksicht auf die Fußgänger, sogar die Hunde verstanden sich mit den Katzen. Das war ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Nicht einmal die Kinder in den Schulen ärgerten sich, hatten doch die meisten Lehrer versprochen, sie ohne Hausaufgaben zu entlassen. Man lachte viel, man sah strahlende Gesichter, und die Verkäuferinnen in den Geschäften scherzten mit den Kunden, auch wenn diese nichts kauften. Über allem stand die herrliche Sonne. Sie schickte ihre Strahlen nicht nur über das Häusermeer, den Hafen, die Fleete (schmale Wasserkanäle), sie schien auch durch die Fenster der altehrwürdigen Bank und beleuchtete den ansonsten recht dunkel und kalt aussehenden Marmorboden. Die Sonne erfreute selbst Herrn Hanselmann, den sehr strengen Hauptkassierer, der tatsächlich so aussah, wie man sich einen Hauptkassierer vorstellte. Das dunkle Haar war sorgfältig gescheitelt - da stand kein Härchen ab. Unter der hohen Stirn fiel die Brille auf; keine moderne in einem bunten oder coolen Design, nein, die Gläser umrahmte ein schlichtes, sehr dunkles Gestell, das dem Gesicht des Herrn Hanselmann einen noch strengeren Ausdruck gab. Herr Hanselmann trug auch immer graue Anzüge und weiße Hemden. Farben mochte er wohl nicht. Manche Angestellten fragten sich, wie er im Urlaub herumlaufen würde, hatten sich aber nie getraut, sich bei ihm zu erkundigen. Aber Herr Hanselmann besaß Erfahrung. Schließlich arbeitete -3-
er schon mehr als zwanzig Jahre in der Bank und kannte sich mit den Kunden aus. Wenn die Sonne schien so wie an diesem Tag, herrschte nie viel Betrieb. Es gab wohl die üblichen morgen- und abendlichen Stoßzeiten, ansonsten hielt sich der Geschäftsbetrieb in Grenzen. Das waren dann Tage, wo Herr Hanselmann tief durchatmete, sein Jackett noch gerader zog, als es ohnehin schon war, und nur ein Wort sagte.
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‡So!" Sagte er so, und sagte er es noch sehr laut, fingen gewisse Leute an zu grinsen. Andere aber hätten sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Da es in der Bank keine Mäuse gab, mußten diejenigen bleiben, denen dieses so galt. Das waren die Lehrlinge! Herr Hanselmann konnte so streng sein, wie er wollte, er war auch korrekt. Und zu seinen Aufgaben gehörte es nun mal, daß er sich um die Ausbildung des Nachwuchses kümmerte. Da war er penibel. Er holte nicht alle fünf Auszubildenden und Praktikanten zugleich zu sich, nein, er nahm sie sich einzeln vor, verschwand mit ihnen in seinem Büro, wo auch der große Stahlschrank stand, in dem sich immer viel Geld befand, falls einmal eine größere Menge im Schalterraum benötigt wurde. Zur Einrichtung zählten ein Schreibtisch, zwei Stühle, der eine vor, der andere hinter dem Schreibtisch, wo Herr Hanselmann stets kerzengerade zu sitzen pflegte. Der Schreibtisch war aufgeräumt, und die Bleistifte und Kugelschreiber lagen in Reih und Glied. Auch das schwarze Telefon stand in einem bestimmten Winkel in Herrn Hanselmanns Reichweite. Alles mußte eben seine Ordnung haben. Das einzige Fenster im Raum ging zum Hof hinaus. Aber wegen der hohen Häuserfassaden ringsum schaffte die Sonne es kaum, ihre Strahlen durch das Fenster zu schicken. Deshalb wirkte das Büro immer etwas düster. An diesem Morgen hatte Herr Hanselmann wie immer pünktlich um drei Minuten vor neun Uhr am Schreibtisch seinen Platz eingenommen. Das berühmte Wort so war bereits gefallen, und er wartete nun auf den Praktikanten, den er bis zur Mittagspause in die Geschäfte einweisen wollte. Pünktlichkeit schätzte Herr Hanselmann sehr. Wer zu spät kam, handelte sich bei ihm Minuspunkte ein, und die waren nicht gerade gut für die spätere Beurteilung. -5-
An diesem Tag war Füchschen an der Reihe. Natürlich hieß sie nicht Füchschen, sondern Gaby Fuchs. Aber man nannte sie überall nur Füchschen, was vielleicht an ihrer Körpergröße lag und an den leicht rötlich schimmernden Haaren, die so wirr wuchsen wie Gestrüpp und auch von einer Bürste nicht zu bändigen waren. Die Haare hatte Gaby eben von ihrer Mutter geerbt, und irgendwie war sie sogar stolz darauf. Schon eine Minute vor neun stand sie vor der Tür. Bekleidet mit einer weißen, hochgeschlossenen Bluse und einem dunkelblauen Rock, nicht zu kurz, denn Herr Hanselmann legte Wert auf ordentliche Kleidung. Gaby war nervös. Selbst die Sommersprossen in ihrem Gesicht schimmerten dunkler als sonst. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, schaute immer wieder auf die Uhr und zog die kleine Nase öfters hoch, als hätte sie Schnupfen. Grinsend kam einer der männlichen Praktikanten an ihr vorbei. ‡Mußt du zum Klo?" ‡Wieso?" Er grinste noch breiter. ‡Weil du von einem Bein auf das andere trampelst." ‡Du kannst ja zum General gehen." Unter sich nannten sie Herrn Hanselmann wegen seiner Strenge nur den General. ‡Danke, da war ich in der letzten Woche." Ihre Zunge huschte hastig über die Lippen. ‡Sag mal, wie war es denn?" ‡Schlimm, sehr schlimm." Der Junge verdrehte die Augen und winkte mit beiden Händen ab. ‡Ach, hör auf." Gaby schaute wieder auf die Uhr - und erschrak. Noch genau vier Sekunden bis neun. ‡Ich muß los!" flüsterte sie und klopfte zaghaft. ‡Herein!"
Die Stimme war laut und wurde von der Tür kaum gedämpft.
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Gaby kroch noch mehr in sich zusammen. Sie dachte, als sie die Tür aufzog, an ihren Vater, der ebenfalls bei einer Bank angestellt war und Herrn Hanselmann flüchtig kannte. Bei ihrem Daddy hätte sie gern Unterricht gehabt, der aber beschäftigte sich mit anderen Dingen. Er wäre nicht so ein oberlehrerhafter Typ gewesen wie der hinter dem Schreibtisch. Gaby schloß leise die Tür, grüßte mit zaghafter Stimme und wurde aufgefordert, lauter zu sprechen. ‡Immer laut und deutlich, Mädchen. Das merke dir mal." Herr Hanselmann war der einzige, der die Praktikanten duzte. Das hatte er schon immer getan, das würde er auch beibehalten. ‡Setz dich, Gaby!" Noch nannte er sie beim Vornamen. Fing er einmal an, die Nachnamen zu benutzen, mußte man sich vorsehen. Da war dann meist ein Donnerwetter im Anzug. Gaby nahm so vorsichtig Platz, als hätte sie Angst, den Stuhl zu zerbrechen. Aus der Mappe nahm sie zwei Schnellhefter, einen Block, Bleistift und Kuli. ‡Du bist blaß, Mädchen!" ‡Na ja..." ‡Was heißt na ja? Antwort mußt du geben. Das verlangen die Kunden. Wir sind hier kein Wischiwaschi-Laden, sondern arbeiten in einer sehr renommierten Bank von Weltruf." ‡Ich weiß, Herr Hanselmann." ‡Dann richte dich in Zukunft danach." ‡Ja, Herr Hanselmann." ‡So", sagte er wieder und räusperte sich. ‡Weißt du schon, was heute unser Thema ist?" ‡Sorten und Edelmetalle, nehme ich an!" ‡Sehr richtig." Herr Hanselmann räusperte sich und richtete seinen Falkenblick auf das Mädchen. ‡Kannst du mir sagen, was man darunter versteht?" -7-
‡Ich denke schon." ‡Dann denke mal laut, Kind!" ‡Also..." Gaby holte tief Luft und merkte plötzlich, daß ihre Handflächen feucht geworden waren. Das ärgerte sie, aber sie konnte nichts dagegen tun. ‡Edelmetalle sind, wie das Wort schon sagt, edle Metalle. Dazu zählt man wertvolle..."
Herrn Hanselmanns Räuspern unterbrach sie. ‡Ich möchte dich bitten, konkreter zu werden." -8-
‡Entschuldigen Sie." ‡Mach weiter." ‡Zu den Edelmetallen zählt man Gold, Silber, auch Platin. Die Finanzreserven der Welt werden in Gold angelegt, und in den USA, in Fort Knox, lagern die berühmtesten Goldreserven der Welt, über die mal ein James-Bond-Film gedreht..." ‡Das gehört nicht hierher, Gaby." ‡Entschuldigung, Herr Hanselmann." Sie wurde rot, bemerkte allerdings, wie Herr Hanselmann schmunzelte. ‡Jetzt komm erst mal zu den Sorten. Was verstehen wir darunter?" Sie räusperte sich. ‡Sorten sind auch Geld. Kein deutsches, sondern ausländisches. Wie Schweizer Franken, wie Dollars, Englische Pfund..." ‡Bitte nicht alle Währungen der Welt aufzählen. Es bleibt festzuhalten, daß Sorten mit Währungen identisch sind. Das muß auch einem Auszubildenden im ersten Lehrjahr klar sein." ‡Natürlich, Herr Hanselmann." Der Hauptkassierer erhob sich. ‡Nun, schauen wir uns zuerst die Edelmetalle an. Ich werde dir jetzt ihren Wert erklären." Aus seiner Tasche holte er einen Bund, an dem die einzelnen Schlüssel klimperten. Zwei davon paßten zu dem Panzerschrank hinter ihm. Wie ein graugrüner, kantiger Felsblock stand er dort an der Wand. Ein Schloß befand sich links, das andere rechts. Herr Hanselmann ließ sich Zeit, als er die Tür öffnete. Das gehörte zu seiner Taktik, die jungen Leute sollten stets den Eindruck bekommen, daß das Öffnen eines Panzerschranks etwas Besonderes war. Gaby hörte das Knacken. Danach griff Herr Hanselmann mit beiden Händen an das glänzende Stahlrad und drehte es herum. Er mußte heftig ziehen, um die Tür öffnen zu können. Mit einem schmatzenden Laut schwang sie ihm entgegen. -9-
Gaby konnte an seiner Schulter vorbei in den Panzerschrank schauen, dessen obere Hälfte aus offenen Fächern bestand, während die untere aber durch eine Stahltür verschlossen war. Herr Hanselmann griff in ein Fach der oberen Hälfte und nahm einen schmalen Kasten heraus, der einem Aktenkoffer glich, nur etwas größer war. Der Butler eines vornehmen Hauses konnte sich nicht steifer umdrehen als der Hauptkassierer, und Gaby hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Herr Hanselmann stellte den Koffer auf seinem Schreibtisch ab. Dann räusperte er sich, suchte wieder einen passenden Schlüssel, hatte ihn schnell gefunden und steckte ihn in das flache Schloß des Koffers. Eine Drehung reichte, dann konnte er den Deckel abheben. ‡So, Gaby", sagte er und drehte den Koffer herum. ‡Hier in Samt eingebettet haben wir zunächst die Goldbarren..." Keiner der beiden hatte auf die Tür geachtet, die lautlos geöffnet worden war. Gerade so weit, um zwei Clowns durchzulassen, die in den Raum hineinhuschten. Nur waren es keine echten Clowns, denn die trugen normalerweise keine Pistolen bei sich. ‡Bleibt stehen, wo ihr seid, dann passiert euch nichts!" quäkte eine verzerrte Stimme unter der Maske hervor... Gaby hatte sich halb umgedreht. Sie glaubte, nicht recht zu hören. Ein Traum, das mußte ein Traum sein. So etwas gab es nur im Fernsehen oder im Kino... Andererseits waren auch sie als Auszubildende belehrt worden, wie sie sich zu verhalten hatten, sollte tatsächlich mal ein Überfall stattfinden. Und das hier war einer. Aus den Augenwinkeln sah sie Herrn Hanselmanns Gesicht, das sehr bleich geworden war. Auf der -10-
Stirn glänzten Schweißperlen. ‡Laßt eure Hände, wo sie sind!" Diesmal hatte der andere gesprochen. Auch seine Stimme klang verzerrt. Einen Augenblick später gingen die Männer an ihr vorbei.
Gaby zwinkerte, sie mußte zweimal hinschauen. Wie im Zirkus kamen ihr die beiden Kerle vor: Sie trugen grellbunte Clownsmasken aus steifer Pappe. Breite, rote Lippen hatten sie, eine sehr bleiche Haut und schwarz ummalte Augen. Über der Stirn zeichnete sich noch ein Ansatz brauner Haare ab, die wohl auch künstlich waren. Ansonsten waren die Männer gekleidet wie Handwerker, mit blauen Overalls, bei denen die Reißverschlüsse der breiten Brusttaschen offenstanden, und einer hielt einen großen metallenen Werkzeugkasten in der Hand. Während einer auf Herrn Hanselmann zuging, blieb der andere in Gabys Nähe stehen und richtete die Mündung seiner -11-
schwarzen Pistole auf sie. Das Mädchen spürte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Auch wenn sie es gewollt hätte, es wäre ihr kaum gelungen, einen Schrei auszustoßen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Der zweite Bankräuber war an Herrn Hanselmann herangetreten. Die Mündung der Pistole wies auf seine Stirn. ‡Dreh dich jetzt um und öffne die verdammte Tür. Ich weiß, daß du den Schlüssel hast." Herr Hanselmann räusperte sich. ‡Also hören Sie, ich..." ‡Öffnen!" Der Ton des Mannes hatte einen schärferen Klang angenommen, und auch der Hauptkassierer war weder ein Held noch ein Selbstmörder. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl des Maskierten nachzukommen. Die Schlüssel zitterten in Hanselmanns Händen, als er auf den offenen Tresorschrank zuging. Der Bankräuber neben Gaby hatte seinen Platz nicht verlassen. Er stand so günstig, daß er mit der freien Hand in den schmalen Koffer greifen konnte, wo die kleinen Gold-, Silberund Platinbarren lagen. Die wertvollen Stücke verschwanden in dem Werkzeugkasten. Sie klimperten hell, als sie auf den Boden des Metallkastens fielen. Herr Hanselmann hatte die Stahltür geöffnet. Gaby gelang es, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Scheine lagen dicht an dicht. Gebündelt und zusammengehalten mit Banderolen. Da die Scheine sehr groß waren und braun schimmerten, konnte es sich bei ihnen nur um Tausender handeln. Herr Hanselmann mußte sie aus den Fächern nehmen. Bündel für Bündel reichte er dem Räuber mit der Clownsmaske, der das Geld an den anderen weitergab. Der Clown neben dem Mädchen stopfte die Tausender in den Werkzeugkasten. -12-
Gaby rührte sich nicht. Es kam ihr noch immer wie ein Traum vor. Sie selbst erlebte das zwar, dennoch hatte sie den Eindruck, neben der Szene zu stehen, als sitze sie im Kino und schaue einen Film an. Es war alles so unwirklich, so anders. Auch die Zeit schien stillzustehen. In ihrem Magen lag ein Stein. Wenn sie schluckte, tat es in der Kehle weh. Hinter der Stirn pochte das Blut, manchmal wurde ihr sogar schwindlig. ‡Ja, das ist gut!" krächzte der Bankräuber, als Herr Hanselmann die letzten Geldbündel herausgenommen hatte. ‡Und jetzt stell dich an die Wand." ‡Und du auch!" sagte der zweite Gangster zu Gaby, die nichts mitbekommen hatte und nun zusammenschrak, als der Kerl sie mit der Pistolenmündung anstieß. Da ging sie mit zitternden Knien. Herr Hanselmann stand schon an der Wand. Sein Gesicht wirkte wie eingefroren. Die Lippen waren so blaß geworden, daß sie sich kaum von der Haut abzeichneten. Ihre Rücken berührten die Wand. Vor ihnen standen die beiden Bankräuber. Die Pistolen hielten sie noch immer fest. Dann griffen sie mit den linken Händen in die Hosentaschen und holten je ein kleines Sprühfläschchen hervor. Gabys Augen weiteten sich, als sie die Düse auf sich gerichtet sah. Der andere Kerl zielte auf Herrn Hanselmann. Ein Druck mit dem Zeigefinger, ein Zischen, etwas wie Nebel, das ihnen entgegenschlug - Gas!, dachte Gaby noch, bevor ihre Beine nachgaben und sie vor der Wand zusammenbrach. Ein Arzt war bei ihr, der Gaby in einem Glas etwas zu trinken gegeben hatte. Darin aufgelöst befand sich ein Mittel, das die Übelkeit nehmen sollte. Viele Menschen umstanden sie. Mit und -13-
ohne Uniform. Sie hörte, daß sich die Leute unterhielten, und vernahm auch Herrn Hanselmanns Stimme, der nur schwach seine Antworten auf die ihm gestellten Fragen geben konnte. Die Übelkeit verschwand tatsächlich. Gaby wollte sich aufrichten, aber der Arzt drückte sie zurück. ‡Nicht so eilig, junge Dame." Sie schaute in das über ihr schwebende lächelnde Gesicht. ‡Habe ich viel abbekommen?" ‡Es geht." ‡Und die Bankräuber?" ‡Sind wohl verschwunden. Durch den Hinterausgang. Die Polizei fand ihn aufgebrochen vor. Das war wohl von langer Hand geplant." Gaby Fuchs schloß die Augen. Später kamen die Kollegen und Kolleginnen, um ihr die Hand zu drücken, was Gaby aber verlegen machte. Es ging ihr ja schon wieder besser. Und der Schwindel ließ sich auch ertragen. Sie schaffte es, sich auf einen Stuhl zu setzen. Wenig später kam ein Mann, der sich ihr als Kommissar bei der Kriminalpolizei vorstellte. Er trug eine Brille und sah gar nicht aus wie einer der Kommissare aus dem Fernsehen. ‡Kannst du sprechen, Gaby? Erinnerst du dich?" ‡Beides." ‡Dann hätte ich gern von dir gehört, was passiert ist."
Sie sagte alles, was sie wußte. Der Kommissar machte sich
Notizen und bewegte hin und wieder seinen Kopf. ‡Tja", meinte er, ‡das habe ich schon von Herrn Hanselmann gehört." ‡Ich weiß auch nicht mehr, tut mir leid." Er lächelte. ‡Es braucht dir nicht leid zu tun. Sei nur froh, daß alles so glimpflich abgelaufen ist." Gaby nickte. ‡Ja, wir haben Glück gehabt. Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Herr Kommissar?" -14-
‡Aber ja doch." ‡Wieviel Geld wurde denn geraubt?" ‡Da waren erst einmal die Edelmetalle. Das ist schon ein großer Wert. Und fast einhunderttausend Mark in bar." ‡Oh, das ist viel." ‡Du sagst es, Mädchen." ‡Werden Sie die Bankräuber denn fassen?"
Der Kommissar stand auf und zuckte mit den Schultern.
‡Bisher haben wir noch keine Spur." Das blieb auch so. Die beiden Bankräuber waren nicht ausfindig zu machen. Sie blieben ebenso verschwunden wie das Geld. Für Gaby begann wieder der normale Arbeitsalltag. Etwa drei Wochen nach dem Überfall wurde sie zum Abteilungsleiter gerufen, der sie mit einer tollen Nachricht überraschte. ‡Da Sie, Fräulein Fuchs, soviel mitgemacht haben, hat sich die Bank entschlossen, Ihnen einen kleinen Urlaub außer der Reihe zu gönnen. Wir hatten gedacht, daß Sie für ein paar Tage in die Lüneburger Heide fahren und sich dort erholen. Einverstanden?" Gaby war überrascht. ‡Ich... ich soll in die Heide fahren und da Urlaub machen?" ‡Ja, wir übernehmen die Kosten." In ihrem Gesicht ging die Sonne auf. ‡Das ist natürlich phantastisch. Danke, ich nehme es gern an." ‡Das habe ich mir auch gedacht." Sie räusperte sich. ‡Und wann, bitte schön, soll ich fahren? Haben Sie da..." ‡Im Herbst ist die Heide sehr schön. Wir haben jetzt Spätsommer. Sie können sich den Termin aussuchen." Gaby nickte. ‡Mit meinen Eltern war ich mal in der Heide. -15-
Wir kennen da einen Gasthof, ein kleines Hotel, in dem wir gewohnt haben." ‡Was hindert Sie daran, wieder hinzufahren. Aber eines müssen Sie mir versprechen, Fräulein Fuchs." ‡Was denn?" ‡Schicken Sie uns eine Ansichtskarte." Da lachte Gaby aus vollem Hals. ‡Nicht nur eine, Herr Schönberg. Meinetwegen auch zehn..."
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2. Unheimliche Begegnung ‡Das soll die Heide sein?" beschwerte sich Turbo, bevor er anfing zu kichern. ‡Ich dachte immer, da gäbe es nur Wüste und keinen Wald." In den Augen des japanischen Jungen, der eigentlich Toshikiara hieß, blitzte der Schalk. Randy Ritter ging trotzdem auf seine Bemerkung ein. ‡Meine Güte, bist du blöd. Wenn die Heide Wüste wäre, würden wir uns in der Lüneburger Wüste befinden und nicht in der Lüneburger Heide. Außerdem kannst du froh sein, daß es den Wald gibt." Er deutete nach oben. ‡Da schau mal hoch, Turbo." Randy hatte nicht unrecht. Der Himmel sah aus wie ein düsteres Gemälde. Und das am Nachmittag. Die Sonne schien zwar noch, aber sie hatte eine ungewöhnlich gelbe Farbe angenommen. Da paßte schon der Vergleich zu schwefelgelb. Gewaltige Wolkenberge hatten sich am Horizont aufgetürmt. Der Tag begann schon jetzt, zur Nacht zu werden. Die Luft hatte sich verändert. Es war drückend und unheimlich schwül geworden. Man konnte kaum atmen. So war es fast immer, bevor ein Gewitter mit elementarer Wucht losbrach, und Regen hatte die Heide mehr als nötig. In den letzten Wochen war es ungewöhnlich heiß gewesen. Das Land war vertrocknet, selbst das Gras und das berühmte Heidekraut hatten allen Glanz verloren. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und Mückenschwärme tanzten zwischen den Bäumen. Turbo und Randy waren ins Schwitzen gekommen. Sie schoben ihre Mountain-Bikes neben sich her. Selbst mit diesen Geländerädern war es unmöglich, durch das Dickicht zu fahren. Es war ihnen klar, daß sie es bis zum Forsthaus nicht mehr schafften. Deshalb wollten sie das Gewitter in einer der Hütten abwarten, die überall auf der Heide stehen sollten. Eigentlich -17-
waren es eher Unterstände, die von vier Pfosten und einem Dach gebildet wurden. Die Jungen waren außer Atem. Ob sie einen Unterstand noch trocken erreichten? Sie wußten ja nicht, wo genau einer lag. So schoben sie hastig ihre Räder durch die Wildnis, während sich über ihnen der Himmel immer mehr verdunkelte und in der Ferne bereits die ersten Blitze über den Himmel zuckten. ‡Gleich kracht es!" rief Turbo. ‡Weiter!" ‡Mach ich, aber du gehst zu langsam." ‡Ha, ha." Der Weg nahm an Breite zu. Er war auch nicht mehr so dicht bewachsen. Die Jungen konnten sich wieder in die Sättel schwingen. Die Reifen griffen gut. Ihre Bikes waren mit achtzehn Gängen ausgerüstet. Links am Lenkergriff konnten die Gänge für die vorderen Zahnräder eingestellt werden, rechts die für die hinteren. Der Heideweg war mit zahlreichen Buckeln übersät. Die Freunde auf ihren Rädern hüpften auf und ab, wobei sie noch die Köpfe einziehen mußten, denn manche Zweige oder Äste hingen verflixt tief. Der erste Donner krachte. Den Blitz hatten sie nicht gesehen; der krachende Donner war so plötzlich da, daß sie beide zusammenzuckten. Randy trat noch fester in die Pedale. Er hatte keine Lust, naß bis auf die Haut zu werden. Jetzt sahen sie auch die Blitze. Wie helle Speere stachen sie aus den Wolken, die eine Riesenhand hinunter zur Erde schleuderte. Noch regnete es nicht, die Jungen hofften deshalb, den Unterstand noch rechtzeitig zu erreichen. Sie schafften es tatsächlich. Plötzlich trat der Wald zurück, als wollte er sich vor ihnen verbeugen. Sie schauten auf eine -18-
Lichtung, da war der Unterstand, tatsächlich an allen vier Seiten offen, so daß nur das Dach Schutz bot. Randy jubelte, als er sein Bike unter das Dach schob. Turbo folgte ihm auf den Fersen. Aufatmend stellte er das Rad ab und sah sich um. Dann ging es los. Von einem Augenblick zum anderen öffnete der Himmel seine Schleusen. Einen solchen Regen hatten die Freunde nur selten erlebt. Es schüttelte wie aus Kannen. Man hatte das Gefühl, unter einem Wasserfall zu stehen, denn so hörte sich das gewaltige Rauschen an, das den Wald erfüllte. Wie Trommelschläge dröhnte der Regen auf dem Dach des Unterstandes. Es sah aus, als ob das Dach nicht halten würde. Die Jungen schauten bang nach oben. An einigen Stellen war das Dach brüchig. Hier strömte das Wasser schnell durch und erweiterte die Lücken in dem morschen Holz. Der Wald hatte sich in ein Meer verwandelt. Das Rauschen des Regens hörte sich an, als würden gewaltige Brandungswellen durch das Gehölz schlagen. Man konnte kaum ein paar Meter weit sehen. Vor ihnen stand der Wald dicht wie eine Wand, eine graue, dampfende Suppe. Nur wenn ab und zu die Blitze aufzuckten, erhellte sich das schwammige Grau und schuf scharfe Konturen, die dem Wald ein gespenstisches Aussehen gaben. Blitz auf Blitz jagte über den Wald, und sekundenschnell folgte jeweils der Donnerschlag. Das Gewitter tobte sich genau über ihnen aus. Ein ohrenbetäubendes Krachen. Es war die Hölle.
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Randy und Turbo hatten sich nicht auf die feuchte Bank gesetzt. Sie standen dicht zusammen und schauten angestrengt in die graue Wand vor ihnen. Sie kamen sich vor wie auf einer Insel mitten im Meer. ‡Mann, ist das ein Wetter!" Randy hob die Schultern. ‡Das ist eben der Sommer. Da kommt es auch mal von oben." ‡Und in einer Viertelstunde scheint wieder die Sonne." ‡Kann sein." Sie sprachen laut, weil sie gegen den Donner anschreien mußten. ‡Sollen wir denn zu Ela fahren?" ‡Und ob." Turbo hob die Schultern. ‡Falls sie und Gaby gewartet haben." Randy lachte auf. ‡Glaubst du denn, die sind so blöd und laufen bei diesem Wetter draußen herum?" ‡Glaube ich eigentlich nicht." ‡Eben." Das Schloß-Trio, zu dem Randy, Turbo und Ela gehörten, verbrachte einige Tage in der Lüneburger Heide. Alle drei wohnten im Heidekrug, einer kleinen Hotel-Pension. Wunderschön gelegen, abseits der Dörfer und natürlich mitten in der Heide. Im Heidekrug hatten sie auch Gaby Fuchs kennengelernt, ein Mädchen aus Hamburg. Gaby war Auszubildende bei einer Bank. Gewissermaßen als Erholung von einem Banküberfall, den sie miterlebt hatte, waren ihr ein paar Tage Urlaub geschenkt worden. Sie hatten sich mit Füchschen, wie auch das Schloß-Trio nun Gaby nannte, rasch angefreundet. Besonders Ela Schröder war froh, mal eine weibliche Person zur Seite zu haben. -21-
Die Bike-Tour hatten die Mädchen nicht mitmachen wollen. Sie waren zu Förster Ewald gegangen, einem gemütlich aussehenden Mann, der die Heide wie seine Westentasche kannte und so viel erzählen konnte. Und Förster Ewald sammelte Comics. Was er da an bunten und seltenen Heften in seinem Haus in den Regalen stehen hatte, war schon phänomenal. Sie hatten abgemacht, sich im Forsthaus zu treffen. Aber im Augenblick sah es für die beiden Jungen schlecht aus. Das Gewitter war zu einem regelrechten Unwetter geworden. Fugendicht fiel der Regen, und das Rauschen nahm nicht ab. Sie warteten noch eine Weile, dann wurden die Blitze weniger, und auch der Donner verklang allmählich. ‡Schätze, das Gewitter verschwindet", meinte Turbo. ‡Das hoffe ich doch." ‡Kennst du den genauen Weg zum Forsthaus?" ‡Mal sehen."
Turbo stieß ihn an. ‡Hör mal zu. Ich habe keine Lust,
kilometerweit durch den Schlamm zu fahren. Du weißt ja, daß der Boden nach diesem Regen zum Sumpfe wird." ‡Wozu hast du denn dein Mountain-Bike?" ‡Nur für trockenen Boden." ‡Das mußt du dir abschminken." Randy hatte eine Hand um den Pfosten gelegt. Die Umgebung war jetzt langsam besser zu erkennen. Es hellte sich zögernd auf, und plötzlich lugten auch die ersten Strahlen der Sonne hinter den Wolken hervor. So schnell wie ein Sommergewitter entstand, so schnell war es auch wieder vorbei. Randy verließ das schützende Dach, trat auf den weichen Boden und stand bis zu den Knöcheln in einer Pfütze. Es regnete nicht mehr. Nur von den Bäumen fielen noch die Tropfen zu Boden. -22-
‡He, du kannst kommen." ‡Mit oder ohne Rad?" ‡Bring beide mit." ‡Immer ich!" beschwerte sich Turbo. Auch ohne Rad war das Gehen auf dem durchweichten Boden beschwerlich genug. Der Regen hatte den von einer Humusschicht bedeckten Waldboden regelrecht umgepflügt und ihn in nassen Matsch verwandelt. ‡Hier, nimm es!" Turbo kippte dem Freund das Bike zu, der es geschickt auffing. ‡Wohin jetzt, großer Meister?" ‡In Richtung Norden." ‡Okay." Turbo holte seinen Kompaß aus der Hosentasche und schaute auf die Nadel. ‡Das ist schon die Richtung." ‡Weiß ich." ‡Schnellmerker, wie?" ‡Und ob." Randy schwang sich in den Sattel. Er hatte einen Waldweg entdeckt, der sicher zum Forsthaus führte. Zumindest hoffte das Randy, er wollte sich nicht vor seinem Freund blamieren. Im Wald gab es keine einzige trockene Stelle. Doch noch konnten sie fahren, hatten die entsprechenden Gänge eingestellt und kamen relativ gut voran. Die Reifen verschwanden im Morast und hinterließen tiefe Spuren. Alles war anders geworden. Urwelthaft kam ihnen die Landschaft vor. Der Erdboden hatte wochenlang keinen Regen mehr gesehen, er war ausgetrocknet gewesen. Sogar der Grundwasserspiegel hatte sich tiefer gesenkt. Nun stiegen gewaltige Vorhänge aus Dunst in die Höhe, gegen die zwar die Strahlen der Sonne fielen und sie erhellten, dem Wald aber gleichzeitig ein gespenstisches Aussehen verliehen. Als wäre er der Wohnort unzähliger Nebelgeister. Und überall war Wasser. -23-
Über den Boden strömten kleine Bäche, sammelten sich in großen Lachen, da das Wasser nicht mehr versickern konnte. Oft schmatzten die Reifen laut, wenn sie durch den Schlamm und die Pfützen fuhren. An manchen Stellen wuchs das Unterholz gestrüppartig hoch. Fuhr man zu nahe daran vorbei, kratzte es an den Beinen. Besonders die Zweige der Brombeersträucher wollten sich am Stoff der Hosen festhaken. Randy hatte die Führung übernommen. Er ackerte sich durch den nassen Schlamm. Die Dunstschwaden umwaberten die Jungen wie feuchte Tücher. Der Weg machte eine scharfe Biegung. Ein Busch wuchs weit in die Kurve hinein. Randy drückte ihn mit einer Hand zur Seite -24-
und ließ ihn zurückschnellen. Turbo gefiel das überhaupt nicht, er bekam die nassen Zweige nämlich ins Gesicht und gab einen nicht druckreifen Kommentar ab. Dann schimpfte er noch mehr, denn sein Freund hatte plötzlich ohne Vorwarnung angehalten. Fast wäre Turbo gegen Randys Hinterrad gefahren. Er konnte gerade noch ausweichen, bremste und hatte Mühe, auf dem nassen Boden nicht wegzurutschen. ‡Sag mal, bist du..." ‡Klappe, Turbo!" ‡Wieso?" ‡Mensch, sei ruhig." ‡Was ist denn?" Randy schaute ihn nur bedeutungsvoll an, ohne eine Erklärung abzugeben. Er nahm sein Rad und lehnte es links gegen die Büsche, deren Zweige kräftig genug waren, es zu halten. Durch Zeichen machte er Turbo klar, es ihm gleich zu tun. ‡Jetzt will ich aber was hören." ‡Leise reden!" flüsterte Randy. ‡Schau mal nach vorn." Er deutete voraus. Der Weg sah aus wie eine Filmkulisse. Über dem Pfad schwebten Nebelschleier, doch weiter hinten stand die Sonne als heller Ball und dampfte den Dunst bereits weg. Sogar die Farben eines Regenbogens waren schwach zu erkennen. Vorne mündete der Pfad auf einen breiten Spazierweg, der quer durch den Wald führte. ‡Ich sehe nichts." ‡Ich auch nicht. Aber ich habe etwas gehört." ‡Ach ja - und was?" Randy hob die Schultern. ‡Kann ich dir nicht genau sagen.
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Jedenfalls kein Geräusch, was in den Wald hineinpaßt." ‡Witzbold. Sag mir mal, was überhaupt in einen Wald hineinpaßt?" ‡Komm mit." Achselzuckend machte sich Turbo auf den Weg. Er schlich hinter Randy her, der sich immer an der linken Seite des Weges hielt, denn dort gaben ihm die Büsche und Sträucher eine gute Deckung. Turbo mußte ihm recht geben. Schon nach wenigen Schritten hörte auch er die Geräusche. Sie paßten tatsächlich nicht in diese Umgebung. Es war ein ungewöhnlicher und unheimlich klingender Gesang. Noch klang es weit weg, doch je näher die Jungen dem Querweg kamen, desto deutlicher wurde er. Bevor sie den Weg erreichten, blieben Randy und Turbo hinter einem Busch versteckt stehen. ‡Du hast recht, da singen welche." Randy zog die Nase hoch und wischte Tropfen von seiner Stirn. ‡Aber wer läuft singend durch den Wald. Dazu noch nach diesem komischen Regen." ‡Wanderer!" ‡Hatte ich auch erst gedacht." Er schüttelte den Kopf. ‡Irgendwie paßt da was nicht zusammen." ‡Was meinst du denn?" ‡Okay, Turbo, will ich dir sagen. Wenn Wanderer unterwegs sind und singen, dann kenne ich die Lieder. Das sind bekannte Volks- und Wanderlieder. Die hören sich auch meist fröhlich und freundlich an." Er schaute Turbo ins Gesicht. ‡Weißt du, was ich meine?" ‡Nein!" Randy verdrehte die Augen. ‡Dann eben anders. Dieser
Gesang hier kommt mir unheimlich vor. Wie ein Trauerchor, der Totenlieder singt." -26-
Turbo starrte seinem Freund ins Gesicht. ‡Spinnst du?" ‡Nein, bestimmt nicht." ‡Ich meine..." ‡Da, jetzt wieder!" zischte Randy. Beide hielten den Mund und lauschten. Randy hatte sich nicht verhört. Der Gesang war wieder aufgenommen worden. Unheimlich und gleichzeitig monoton und dumpf schwebte er durch den Wald. ‡Du hast recht, Randy, das ist schon komisch." ‡Und es kommt von links." ‡Ob die da sind?" ‡Wir werden mal nachschauen." ‡Vielleicht hält sich die Gruppe auf dem Spazierweg auf. Ich habe auch das Gefühl, daß dieser Gesang lauter wird." ‡Stimmt. Die kommen näher..." Die Jungen duckten sich noch tiefer. Etwa fünf Meter von ihnen entfernt mündete der schmale Pfad in den Spazierweg, den der heftige Regen ebenfalls in Schlamm verwandelt hatte. Über ihn zog sich der Dunst in langen Bahnen, die an zahlreichen Stellen Löcher aufwiesen, wo die Strahlen der Sonne es geschafft hatten, sie aufzureißen. Das Singen nahm an Lautstärke zu. Nun gelang es ihnen, einzelne Worte und Sätze herauszuhören. Da wurde von der Mutter Erde gesungen, die durch die Strahlen der Sonne anfing aufzublühen. ‡Was soll das denn?" wisperte Turbo. ‡Keine Ahnung." Schweigend warteten sie ab. Sekunden später bereits erschienen die ersten Gestalten. Turbo blieb vor Staunen stumm, Randy konnte einen Kommentar nicht unterdrücken: -27-
‡Ich glaub, meine Oma geht mit Heino. Das ist ja der reine Wahnsinn. Verrückt, ehrlich." ‡Wie Gespenster", hauchte Turbo. In der Tat bewegten sich Gestalten an ihnen vorbei, die ein gespenstisches Aussehen hatten. Sie trugen lange, grauweiße Kutten, in denen sie wegen der Dunstschleier noch geisterhafterwirkten. Daß es keine Geister waren, hörten sie am Gesang, der sich aus hohen Stimmen zusammensetzte. ‡Nur Frauen", flüsterte Randy. ‡Das gibt es doch nicht." ‡Doch, das gibt es. Siehst du ja." ‡Klar, aber..." Er verstummte. Die Gruppe der singenden Frauen passierte jetzt die Einmündung und verschwand nach rechts. Wieder hörten sie von Mutter Erde, der Sonne und deren positiver Kraft. Sie hatten die Frauen nicht gezählt; es mußten mehr als ein Dutzend sein. Sie hielten die Köpfe gesenkt. Die Kapuzen und Tücher ließen nur die Gesichter frei. Keine der Frauen aus der unheimlichen Prozession schaute zur Seite. Ihre Blicke waren allein nach vorn gerichtet. Turbo räusperte sich. ‡Mann, das ist ein starker Hammer. So etwas habe ich noch nie erlebt." ‡Ich auch nicht." Die letzten Frauen verschwanden so geisterhaft, als hätte sie der Nebel verschluckt. Allmählich versickerte auch der Gesang. Der nasse Wald schien die einzelnen Töne aufzusaugen. Die beiden Jungen richteten sich wieder auf; sie hatten sogar eine Gänsehaut bekommen. ‡Geträumt habe ich doch nicht - oder?" ‡Nein, Turbo." ‡Fragt sich nur, wer das sein kann?" -28-
Randy hob die Schultern. ‡Ich bin mir zwar nicht sicher, aber irgendwie habe ich das Gefühl, die Frauen zu kennen. Ich weiß es nicht genau, aber ich werde den Verdacht nicht los." ‡Woher denn?" ‡Aus dem Heidekrug. Hat die Wirtin nicht davon gesprochen, daß sie heute Gäste erwartet? Einige habe ich vor unserer Abfahrt noch gesehen. Das waren nur Frauen." Turbo nickte. ‡Kann sein ja. Jetzt glaubst du, daß es die Gäste aus dem Hotel sind." ‡Das ist möglich." -29-
Turbo zog die Nase hoch. ‡Wie geht es weiter? Sollen wir ihnen folgen?" Randy war unschlüssig. ‡Zum Forsthaus geht es nach links. Die sind aber nach rechts gelaufen." ‡Und haben sicherlich ein Ziel." ‡Das auch." Randy räusperte sich. ‡Ich schlage vor, daß wir zum Forsthaus zurückfahren. Förster Ewald weiß bestimmt Bescheid. Der kann uns mehr über die Frauen sagen. Außerdem treffen wir ja im Heidekrug mit ihnen zusammen." ‡Einverstanden." Dann lachte Turbo auf. ‡Weißt du, wie die mir vorkommen? Wie Heidehexen oder Heidegeister." ‡So ähnlich, du hast recht." Randy drehte sich um. Er ging zurück zu den Rädern und brachte Turbos Bike mit. Sie schoben die Räder bis auf den breiteren Spazierweg und schauten den Weg hinunter. Die Frauen waren weder zu sehen noch zu hören. Der Wald hatte sie scheinbar verschlungen. Randy schwang sich auf sein Bike. ‡Los, wir wollen die Mädchen nicht zu lange warten lassen, sonst sind sie wieder sauer." ‡Okay, Abmarsch!" Diesmal übernahm Turbo die Führung. Sie sprachen kaum ein Wort während der Fahrt. Ein jeder hing seinen Gedanken nach, die sich natürlich um die unheimlichen Gestalten drehten. Beide hatten das Gefühl, daß dieser kleine Heideurlaub nicht so ruhig ablaufen würde, wie es sich Dr. Ritter, Randys Vater, gewünscht hatte, der beruflich einige Tage in Lüneburg zu tun hatte und die Freunde dann wieder abholen wollte. Es bahnte sich mal wieder etwas an. Darauf hätte selbst Turbo seinen Computer gewettet... Das Forsthaus sah tatsächlich so aus wie man es aus Heimatfilmen kennt. Aus Holz gebaut duckte es sich unter hohen Laubbäumen, die es schützend umgaben. Dennoch blieb -30-
vor dem Haus genügend Platz für einen Holzstapel und einen kleinen Nutzgarten, den Förster Ewald mit viel Liebe pflegte.
Von den dicken Regenwolken war nichts mehr zu sehen. Über ihnen spannte sich ein herrlicher blauer Himmel, und die Luft war klar und würzig. Noch dampfte die Erde, aber die Schwaden waren wesentlich schwächer geworden. Die Sonne hatte zu ihrer alten Kraft zurückgefunden. Sie schien bereits stark und brannte den müden Bike-Fahrern auf den Rücken. Förster Ewald stand vor der Tür. In seinem rechten Mundwinkel klebte der Pfeifenstiel wie festgewachsen. Die Pfeife gehörte zu ihm wie der Rauhhaardackel, den er Burschi nannte. Wie immer trug Ewald seine Cordhose und ein dünnes kariertes Hemd. Als er die beiden Jungen kommen sah, strich er sich den blonden Bart, lachte, wobei in seine kleinen Augen ein vergnügtes Blinzeln trat. ‡Naß wie die Katzen, oder?" ‡Nein, wir haben uns untergestellt." Randy und Turbo stiegen von ihren Rädern. ‡Das ist prima, Freunde." ‡Wo sind die Mädchen?" ‡Im Haus." ‡Was machen sie da?" -31-
‡Weiß ich auch nicht. Vorhin haben sie in alten Büchern gelesen und waren begeistert." Kläffend rannte Burschi, der Dackel, herbei. Er freute sich, die Jungen zu sehen und sprang an ihnen hoch. Er war erst zufrieden, als Turbo und Randy ihn streichelten und ihm erklärten, was für ein toller Hund er doch war. ‡Ihr habt sicher Durst, nicht?" ‡Und ob." ‡Dann kommt rein in die gute Stube. Die Limo steht schon bereit und ist schön kalt." Die Jungen lehnten ihre Bikes gegen den Holzstapel und folgten dem Förster ins Haus. Bei Förster Ewald zu Gast zu sein, war immer etwas Besonderes. Er gehörte zu den eingefleischten Junggesellen und lebte auch allein ganz glücklich. Seine große Wohnstube ähnelte schon fast einem Museum. Was da alles an alten Möbelstücken durcheinander stand! Dennoch wirkte alles sehr gemütlich, fast wie eine Räuberhöhle mit all den Sachen an den Wänden, in den Kisten und Kasten für Jungen wie Turbo und Randy wie geschaffen. Da konnten sie tagelang auf Entdeckungsreise gehen und fanden immer etwas Neues. Die große Comic-Sammlung hatte Ewald im oberen Stock untergebracht, wo die Zimmer winzig waren und schon Kammern glichen. Die Freunde fanden es dort noch herrlicher. ‡Wo sind denn die Mädchen?" fragte Randy. ‡Oben." ‡Aha." ‡Soll ich sie rufen?" ‡Nicht unbedingt." Ewald lachte, als er zum Kühlschrank ging, der neben dem
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alten Ofen aus Gußeisen stand. Nicht weit davon entfernt führte die Treppe hoch. Sie war aus dicken Bohlen gefertigt, freischwebend und mit einem Geländer gesichert, dessen Pfosten dick wie Oberschenkel waren. Förster Ewald kam mit der Limoflasche und zwei Gläsern zurück und hatte für sich ein Bier mitgebracht. Am Fenster stand der große, klobige, urgemütliche Holztisch, wo man aß, wo man zusammenhockte und klönte. Auch Burschi hatte seinen Stammplatz auf der Bank gefunden. Denn dort stand sein mit einer Decke aufgelegter Weidenkorb. Das Bier zischte noch besser als die Limo, als es in das große Glas schäumte. Förster Ewald prostete den Freunden zu, die ihre Gläser mit einem langen Zug bis zum Grund leertranken. ‡Na, Freunde, ihr habt es aber nötig gehabt." ‡Und wie", sagte Turbo. ‡Ach nee, auch mal wieder im Lande." Von der Treppe her klang Elas Stimme auf. Sie stand auf halber Höhe und hatte eine Hand auf das Geländer gestützt. Hinter ihr zeichnete sich Gabys Gestalt ab. Sie und Ela trugen die gleichen T-Shirts mit dem Aufdruck: Lieber Sonne in der Heide als Regen auf der Weide. Gabys rötliches Haar stand ab wie die Borsten einer Bürste, während Ela auf ihren Pferdeschwanz verzichtet und das Haar hochgesteckt hatte. ‡Wir sind nicht einmal naß geworden!" rief Randy quer durch den Raum. ‡Schade, eine Dusche hätte euch gutgetan." ‡Widerlich, so etwas." ‡Stimmt doch." Füchschen mußte lachen, als sie Ela folgte, die nun die restlichen Stufen hinabschritt und sich zu den Freunden setzen wollte. Vorher holte sie noch eine Flasche Limo aus dem -33-
Kühlschrank und nahm zwei Gläser vom Brett. ‡Mann, die Bücher, die Ewald hat, sind einfach total irre. Das müßt ihr euch ansehen. Hier kann man wochenlang wohnen und nur lesen." ‡Kannst du das denn?" ‡Hör auf, sonst fängst du dir ein Horn." Ela quetschte sich auf die Bank. Gaby setzte sich neben sie. ‡Es ist wirklich sagenhaft", sagte die Besucherin aus Hamburg. ‡So etwas habe ich noch nicht gesehen." Der Förster errötete über soviel Lob und schüttelte leicht seinen Kopf. ‡Was habt ihr gemacht?" wollte Ela wissen, die während des Sprechens gleichzeitig trank. Auch eine Kunst. Randy antwortete: ‡Wir fuhren durch Wald und Heide und..." ‡Ohhh, du hast heute deinen poetischen Tag." ‡War's denn toll?" fragte Gaby versöhnlich. ‡Bis auf den Regen ja, aber wir fanden noch rechtzeitig einen Unterstand", erklärte Turbo. ‡Uns ging es hier besser." ‡Glaube ich dir sogar, Gaby. Nur habt ihr nicht das erlebt und gesehen, was uns passiert ist." ‡Ach, was denn?" Ela horchte neugierig auf und rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her. ‡Wir sahen eine Prozession." Das Mädchen krauste die Stirn und schaute Gaby an, die sich ebenfalls keinen Reim daraufmachen konnte. ‡Was habt ihr gesehen?" fragte der Förster. ‡Singende Frauen", erklärte Randy. Ewald wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte und entschied sich dann für zwei kräftige Züge an seiner Pfeife. ‡Eine... eine Wandergruppe meint ihr?" ‡Nein, nein, Ewald. Das waren Frauen, die bestimmt nicht zu -34-
einer Wandergruppe gehörten." ‡Und sie trugen so komische Kutten", berichtete Turbo. Er zeichnete die Umhänge mit beiden Händen nach. ‡Die wirkten wie Gespenster. Außerdem haben sie so komisch gesungen."
Ela fragte nach. ‡Komisch? Wie komisch denn?" Die Jungen schauten sich an. Turbo nickte Randy zu. ‡Mach du es ihnen vor." ‡Bin ich blöd?" ‡Manchmal schon", murmelte Ela. Randy ballte die Faust, Ela grinste, dann hörten sie alle, wie Randy versuchte, den Gesang der Frauen nachzuahmen. Es hörte sich an, als würde Dampf durch irgendwelche Kessellöcher strömen. Natürlich erntete er einen Lacherfolg. Ela wandte sich an Turbo. Sie hatte sich fast verschluckt vor Lachen. ‡Haben die wirklich so gesungen?" ‡So ähnlich." ‡Was sagst du denn, Ewald?" -35-
Der Förster paffte einige Wolken und schlug sie mit der Hand auseinander. ‡Was soll ich dazu sagen? Es wird ja wohl so gewesen sein, oder?" ‡Dann glaubst du das?" ‡Ja." ‡Der kennt euch nicht", meinte Ela. ‡Ihr habt bestimmt einen Heidekoller bekommen." ‡Schließ nicht immer von dir auf andere", beschwerte sich Randy. ‡Wir haben die Frauen tatsächlich gesehen, und sie sind in die entgegengesetzte Richtung gegangen." Förster Ewald hatte eine Frage. ‡Wo war das denn genau? Habt ihr euch die Stelle merken können?" Turbo nickte einige Male hintereinander. ‡Und wie wir uns das haben merken können. Der von der Hütte abgehende Pfad führt irgendwann auf den normalen Weg. Da haben wir sie dann gesehen." Ewald überlegte, hüllte sich in Rauchwolken und murmelte. ‡Ihr seid also nach links gegangen, die anderen nach rechts." ‡Richtig." ‡Dann haben sie ein Ziel gehabt." Ela war wieder am schnellsten. ‡Welches denn?"
‡Die Sonnensteine." ‡Was bitte?" meldete sich Gaby. Sie schaute in die Runde, aber keiner außer Ewald wußte Bescheid. Der lächelte erst mal. ‡Ich will es euch erklären. Die Sonnensteine sind, wie der Name schon sagt, eine Ansammlung von Steinen. Die stammen aus uralter Zeit, als die Römer Germanien besetzt hielten. Schon von den alten Germanen wurde der Platz als Opferstätte benutzt. Die Sonnensteine heizen sich tagsüber auf und gaben bei Einbruch der Dunkelheit ihre Wärme wieder ab. Wärme gibt Kraft und ist eine positive Energie. Das wußten schon die alten Germanen, und so haben -36-
sie sich dort vor dem Kampf gegen die römischen Besatzer ,aufgeladen'." Er stopfte mit dem unteren Ende seines Feuerzeugs den Tabak fest. ‡Das Gelände dort ist ziemlich rauh. Das heißt, es gibt dort nicht nur die Steine, sondern auch alte Erdhöhlen, die ebenfalls von den alten Germanen benutzt worden sind. So viel ich weiß." ‡Ist ja Wahnsinn", flüsterte Ela. ‡Und du meinst, daß die Frauen dahin gewandert sind?" ‡Ich bin fast sicher." ‡Warum?" ‡Schau mal, Randy. In letzter Zeit beginnen viele Menschen wieder an die alten Naturreligionen zu glauben. Es sind oftmals Frauen, die dieses neue Bewußtsein in die Welt tragen wollen. Sie wandern zu diesen Orten, um sich ebenso mit Energie aufzutanken, wie es die Germanen getan haben." ‡Darüber habe ich mal was gelesen", unterbrach ihn Gaby. ‡Nennt man diese Frauen nicht die neuen Hexen?" ‡Kann schon sein." ‡Randy nickte heftig. ‡Klar, wenn ich mich erinnere, haben die tatsächlich wie Hexen ausgesehen. Ich meine, was die komische Kleidung angeht." Er beugte sich vor. ‡Und auch den Gesang nicht zu vergessen. Ich sage euch, der hat vielleicht unheimlich geklungen. Als hätte der Wald seine Geister freigelassen." Ela hatte eine Frage. ‡Wollten sie euch denn was tun?" ‡Nein, überhaupt nicht. Außerdem haben sie uns nicht gesehen. Wir standen in Deckung." Gaby wollte wissen, ob die Frauen gefährlich seien. ‡Nein", meinte Ewald. ‡Aber wenn das Hexen sind..." Der Förster lachte. ‡So darfst du das nicht sehen, Gaby. Es sind keine Hexen, die in der Nacht auf dem Besen reiten. -37-
Obwohl sie nachts wachen und ihre Feuer brennen haben. Das wahrscheinlich nur, um sich zu wärmen. Kann ich mir jedenfalls vorstellen." ‡Wo kommen die denn her?" fragte Ela. Sie fand das alles sehr spannend. ‡Keine Ahnung." ‡Aber ich." Randy meldete sich wie in der Schule, indem er einen Arm hob. ‡Die wohnen bestimmt im Heidekrug, kann ich euch sagen. Der Wirt und die Wirtin haben uns gesagt, daß die Zimmer ausgebucht wären." ‡Das kann sein." ‡Wie weit ist der Heidekrug denn von den Sonnensteinen entfernt?" fragte Turbo. ‡Man kann den Ort zu Fuß erreichen. Drei bis vier Kilometer ungefähr. Mehr ein Spaziergang." ‡Dann wohnen sie ja ideal", rief Randy. ‡Vorausgesetzt, daß es stimmt", meinte Ela. ‡Das werden wir sehen, wenn wir zurück sind." Randy schaute auf seine Uhr. Der Nachmittag war angebrochen. Bis zum Heidekrug würden sie noch eine halbe Stunde zu fahren haben. Er fragte die Freunde, ob sie aufbrechen wollten. Keiner war dagegen. ‡Moment noch", meldete sich Förster Ewald. ‡Jetzt habt ihr mich natürlich neugierig gemacht." Er lächelte. ‡Ich würde ebenfalls gern wissen, was mit den Frauen los ist. Außerdem bin ich ein guter Führer, das wißt ihr selbst." ‡An uns soll es nicht liegen", sagte Turbo.
Die anderen waren einverstanden.
Förster Ewald griff in die Tasche und zauberte eine
Visitenkarte hervor, auf der sein Name und seine Telefonnummer standen. -38-
‡Wenn sich irgend etwas ereignet, laßt es mich wissen. Ruft mich sofort an, dann mache ich mich auf den Weg. Wer will die Karte haben?" Randy und Ela schnappten zugleich zu. Am schnellsten aber war Turbo. ‡Ich nehme sie, falls ihr nichts dagegen habt." ‡Verliere sie nur nicht." ‡Heiße ich Michaela Schröder?" ‡Blödmann." ‡Bevor wir uns schlagen, sollten wir verschwinden", schlug Randy vor und stand schon auf. Er streckte und reckte sich. ‡Ich jedenfalls fühle mich wieder fit." ‡Wohin?" ‡Zum Gasthof, Gaby." ‡Ich dachte, wir fahren zu den Steinen." ‡Das können wir später noch." ‡Wann ist später?" wollte Gaby wissen. ‡Kann ich dir genau sagen. In der Nacht, nach Einbruch der Dunkelheit." ‡Moment mal, Freunde", sagte Förster Ewald. ‡Dazu möchte ich noch etwas sagen." ‡Was denn?" ‡Randy, ich kenne diese Frauen zwar nicht sehr gut, aber ich kann mir vorstellen, daß sie es nicht gern sehen, wenn sie belauscht werden oder Besuch bekommen." ‡Meinst du?" ‡Ja, davon bin ich überzeugt." ‡Wir werden uns anschleichen wie die Indianer", antwortete Randy. ‡Wenn ich mir Ela so anschaue, dann gehört sie auch zu den Wesen, die ruhig etwas Kraft gebrauchen können." ‡Ha, ha, du nicht?" -39-
‡Ich habe genug." ‡Wo denn?" ‡Überall." ‡Dann gib mir mal die Lupe, damit ich deine Kraft auch finde." Sie war schon an der Tür. Burschi bellte zum Abschied. Die Räder der beiden Mädchen, ebenfalls Bikes, standen an der Seite des Försterhauses. Die Luft war klar und ohne Dunst. Die Sonne hatte selbst die Pfützen schon ausgetrocknet, so heiß strahlten sie vom blauen Himmel über der Heide. Die Freunde klingelten, als sie abfuhren. Burschi bellte von neuem, und Förster Ewald winkte ihnen nach. Er hatte ihnen zwar einiges gesagt, aber nicht alles. Das wollte er selbst erkunden..
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3. Eine böse Überraschung ‡Sieht ja nicht schlecht aus", sagte Harry Hahn, der wegen seines Namens nur Flattermann genannt wurde. Er und sein Freund saßen in dem Geländewagen, hatten den Motor abgestellt und schauten auf die Fassade des Gasthofs Heidekrug. Willi Bock lachte oder wollte lachen. Es hörte sich mehr an wie ein Grunzen. ‡Nicht schlecht, sagst du? Für dich muß das super sein. Denk daran, wo du herkommst." ‡Und du?" ‡Ich habe Abitur." ‡Und warst auf der Akamie, wie?" ‡Klar doch. Im Gegensatz zu dir weiß ich, wie man Akamie schreibt. Du kannst doch nur malen." Harry stieg aus. Er kannte die Hänseleien seines Kumpanen, der tatsächlich das Abitur gemacht hatte und anschließend zur Bundeswehr gegangen war. Dann aber war er unehrenhaft entlassen worden und hatte sich seitdem herumgetrieben. Willi Bock hämmerte die Fahrertür zu. Zwei große Lindenbäume spendeten Schatten. Von dem Gewitter war nichts mehr zu merken. Einige Pfützen glänzten noch unter den Bäumen. Auf die Fachwerkfassade des Gasthofs schien bereits wieder die Sonne. Hahn trug die Tasche. Er war ein knochiger Typ mit einem ebenso knochigen Gesicht, vorstehenden Zähnen und einer Haarlänge, die schon eine Mähne war. Er hatte sie zurückgekämmt, damit die Ohren freilagen und die Haare tief im Nacken endeten. In seinen engen Röhrenjeans bewegte er sich, als würde er auf Eiern laufen. Bock sah gepflegter aus. Rotes Hemd, schwarze Hose, die dunklen Haare ebenfalls nach hinten gekämmt, aber gegelt. Er war ein John-Travolta-Fan und tat viel, um so auszusehen wie -41-
sein Idol. Hinter der Eingangstür aus Holz, über der ein Willkommensspruch in die Hauswand eingemeißelt worden war, empfing die beiden Männer die angenehme Kühle eines kleinen Foyers. Es war der Mittelpunkt des Hotels. Von hier aus führte die Treppe zu den Zimmern hoch, und man gelangte durch eine Tür in die Gaststätte. Bis auf das Summen einiger Fliegen war es still. Die Männer gingen vor bis zum Tresen, und Hahn stellte seine Tasche ab. Dann haute er mit der Handfläche auf den glänzenden Knopf einer altertümlichen Klingel. Das Geräusch drang bis in einen hinter der Rezeption liegenden Raum, dessen Tür sich öffnete. Eine Frau im blauen Blümchenkleid erschien. Auf ihrem Gesicht lag ein freundliches Lächeln, doch die Augen blickten kühl und musterten die beiden Gäste prüfend. Im blonden Haar steckten Spangen, einige Strähnen fielen in die Stirn. ‡Guten Tag, die Herrn. Was kann ich für Sie tun?" ‡Wir hatten reserviert." ‡Oh - ich sehe mal nach. Ihre Namen bitte?" ‡Ich heiße Hahn. Harry Hahn." ‡Und ich Willi Bock." ‡Moment bitte." Die Frau schlug ein Buch auf und fuhr mit der Zeigefingerspitze die Liste der Reservierungen entlang. Harry schaute bewußt gelangweilt zur Decke, doch trat er kaum merklich von einem Fuß auf den anderen. Durch das Fenster fielen Sonnenstrahlen und malten helle Streifen auf den Holzboden. ‡Ja, hier ist es!" sagte die Frau dann. ‡Sie hatten ein Doppelzimmer bestellt." ‡Ja. Zwei Einzelzimmer waren nicht mehr frei." ‡So ist es, Herr Bock." Die Frau räusperte sich und schob ihnen einen Block zu. ‡Wenn Sie jetzt die Anmeldungen bitte -42-
ausfüllen würden. Ich bin übrigens die Chefin. Mein Name ist Marga Hansen." ‡Gibt es auch einen Chef?" fragte Willi Bock. ‡Natürlich." ‡Okay." Er schob Flattermann den Block zu. ‡Los, trag dich ein, Harry. Wir sind schon spät." ‡Das sollte man als Urlauber aber nicht sagen. Oder machen Sie hier keinen Urlaub, Herr Bock?" ‡Nein. Wir kommen von einer Produktionsgesellschaft, die Serienfilme dreht. Wir planen eine Serie über die Heide. Da wollen wir uns mal umschauen." ‡Tatsächlich?" Marga Hansen bekam vor Eifer einen roten Kopf. ‡Könnte es sein, daß unser Hotel auch gezeigt wird?" Bock nickte. ‡Sicher, Frau Hansen, sicher. Ihr Hotel liegt hervorragend. Es gefällt mir." ‡Wann bekomme ich Bescheid?" ‡Kann ich Ihnen noch nicht sagen. Erst müssen wir uns in der Umgebung umschauen." Er schnickte mit den Fingern. ‡Da fällt mir etwas ein, Frau Hansen." ‡Ja, bitte." ‡Ich war mal vor einigen Jahren in der Gegend und habe mich deshalb wieder gleich daran erinnert. Gibt es eigentlich die Sonnensteine noch? Stehen sie an derselben Stelle?" Frau Hansen lachte laut. ‡Aber sicher gibt es die Steine noch. Sie sind nicht fortgewandert." ‡Das ist gut, wirklich." ‡Eine etwas unheimliche Gegend, finde ich." ‡Wieso?" ‡Na ja, ein wenig düster." Bock lachte. ‡Das macht nichts. Wir hellen sie mit unseren Scheinwerfern schon auf. Gleich fahren wir mal los und schauen -43-
uns dort genauer um." ‡Allein werden Sie da aber nicht sein." Willi Bock bekam einen stechenden Blick, was der Wirtin allerdings nicht auffiel. ‡Ach ja?" Sie nickte heftig. ‡Diese Steine sind eine alte germanische Kultstätte. Irgendwie sind sie wieder modern geworden, wenn Sie verstehen, was ich meine." ‡Nicht direkt." ‡Nun ja, es gibt Personen, die sich gerade für solche Kultstätten besonders interessieren, wie zum Beispiel die Gruppe Frauen, die momentan bei uns wohnt." Frau Hansen lachte. ‡Da wird in den nächsten Tagen bei den Steinen allerhand los sein, denke ich." Willi Bock verzog die Lippen zu einem Lächeln. ‡Wir werden sehen, Frau Hansen. Darf ich dann um den Schlüssel bitten." ‡Pardon, ich hatte es vergessen." ‡Macht gar nichts." Willi Bock nahm den Schlüssel entgegen und nickte Flattermann zu, der die Tasche nahm und seinem Freund folgte. ‡Soll ich Ihnen das Zimmer zeigen?" Frau Hansen wollte um die Theke gehen, aber Bock winkte ab. ‡Nein, nicht nötig. Zimmer zwölf, das finden wir schon." ‡Ja, die Dreizehn haben wir nicht." ‡Da hätten wir auch nicht gewohnt. Mein Freund ist nämlich abergläubisch." ‡Das sind viele Menschen." Außer Hörweite der Wirtin beschwerte Harry Hahn sich.
‡Mann, die Alte ging mir auf den Keks. Was die geredet hat..." Bock tippte gegen seine Stirn. ‡Sei froh, daß sie so viel redet. Wir haben wenigstens einiges von ihr erfahren können. Sonst hätten wir alt ausgesehen. Es paßt mir überhaupt nicht, daß die -44-
Weiber sich gerade die Steine ausgesucht haben." ‡Kismet, Willi." Bock lachte blechern. ‡Weißt du überhaupt, was das Wort Kismet bedeutet?" ‡Nein, hört sich aber gut an." ‡Das heißt soviel wie Schicksal." ‡Dann habe ich doch recht." ‡Ja, Scheibenwischen auch", sagte Bock und drehte seine Faust ein paarmal vor den Augen. Der Gang war ziemlich schmal, die Decke etwas niedrig. Harry zog sicherheitshalber den Kopf ein. Zimmer zwölf lag hinten auf der rechten Seite. Eine dunkle Holztür führte ins Zimmer. Die Klinke war grün lackiert worden. Willi mußte den Schlüssel zweimal drehen, um die Tür auf zuschließen. Sein Freund betrat den Raum als erster. Schnüffelnd zog er die Nase hoch. ‡Hier stinkt es", erklärte er. ‡Aber nur, weil du in den Raum getreten bist." ‡Nein, auch so." Flattermann war nicht beleidigt. Er ging zum Fenster, öffnete es und schimpfte. Bock hatte schon das Bad betreten, in dem sich auch die Toilette und eine Dusche befanden. ‡Warum hast du das Fenster wieder geschlossen?" erkundigte sich Willi, nachdem er wieder im Zimmer war. ‡Kann ich dir genau sagen. Da kommt nur Hitze rein." Zwei Stühle und ein Tisch standen neben dem Schrank und dem breiten Doppelbett. Willi Bock ließ sich auf einem Stuhl nieder und streckte seine Arme aus. ‡Jetzt könnte ich mich ausruhen, ehrlich." ‡Und ich soll allein losfahren, wie?" ‡Keine Sorge, ich bin dabei." ‡Sollen wir denn schon anfangen?" -45-
‡Nein, Harry, später. Die Wirtin hat gesagt, daß wir nicht allein bei den Steinen sind. Wir werden die Lage zunächst einmal peilen und dann das Richtige tun." ‡Okay, ich vertraue dir." ‡Damit fährst du auch am besten." ‡Tatsächlich?" ‡Quatsch keine Opern - komm." ‡Eigentlich wollte ich mich noch duschen." Bock lachte kratzig. ‡Kannst du später. Seit wann bist du so sauber?" ‡Schon immer. Aber ein Halbblinder sieht das eben nicht." Harry warf die Tasche auf das Bett und ging zur Tür. Den Schlüssel hatte Willi Bock an sich genommen. Er schloß die Tür auch ab. ‡Dann wollen wir mal", sagte er und machte sich auf den Weg zur Treppe... ‡Endlich!" stöhnte Randy, als sie das Hotel Heidekrug erreicht hatten und von den Bikes steigen konnten. ‡Keine Kondition, wie?" lästerte Ela. ‡Mehr als du." ‡Hörst du mich stöhnen?" ‡Noch nicht." ‡Das wirst du auch nicht, denn ich bin in Form." Sie schoben die Räder neben das Haus, wo auch der Garten mit der Liegewiese auslief und das Tor eines Schuppens offenstand, der die Räder aufnahm. Die Moutain Bikes gehörten dem Hotel. Die Leihgebühr war im Preis mit inbegriffen. Sie stellten sie mit den Vorderrädern in dem Fahrradständer ab und schlenderten wieder nach draußen. ‡Wie gehen wir nun vor?" fragte Gaby Fuchs. ‡Ob wir die Wirtin direkt fragen?" -46-
Randy wiegte den Kopf. ‡Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Auskunft über ihre Gäste gibt." ‡Was du hast!" regte sich Ela auf. ‡Wir müssen es eben raffinierter anfangen." ‡Willst du das machen?" ‡Klar doch." ‡Dann mal ran." Turbo hatte sich von der Gruppe entfernt und umrundete einen ziemlich verschmutzt aussehenden Geländewagen, ein japanisches Fabrikat. ‡Da scheinen neue Gäste gekommen zu sein." Er peilte durch das Heckfenster. ‡Die haben sogar Werkzeug dabei. Schaufeln und Spitzhacken." ‡Was stört es dich denn?" rief Ela. ‡Reg dich nicht auf. Ich meine nur."
Die Freunde betraten das Hotel, wo Frau Hansen gerade
hinter der Rezeption saß und in Papieren blätterte. Sie blickte hoch und lächelte. ‡Na, ihr Abenteurer? Von der Tour zurück?" ‡Klar, Frau Hansen." ‡Wie war's denn? Naß?" Turbo und Randy grinsten breit. ‡Keine Spur. Wir haben uns unterstellen können." ‡Da habt ihr aber Glück gehabt", meinte Frau Hansen lachend. ‡Viel Glück sogar. Es hat ja richtig geschüttet, wie immer, wenn hier ein Gewitter losbricht. Und was habt ihr jetzt vor? Ich könnte euch von meinem selbstgebackenen Pflaumenkuchen anbieten, der ist wirklich berühmt." ‡Ja", sagte Turbo. ‡Hunger habe ich." ‡Wir auch", sprach Ela für die anderen drei gleich mit. ‡Schön, geht in die Gaststube, ich..." Sie hörte mitten im Satz auf zu sprechen. Die Holztreppe knarrte plötzlich unter schweren Tritten. Zwei Männer kamen hintereinander die -47-
Treppe herab. Sie unterschieden sich äußerlich wie Katze und Maus. Der eine groß, blond, hager und knochig, ein Naturbursche, der andere aufgemacht wie ein Geck. Da alle sie anstarrten, regte sich der Blonde auf. ‡He, was ist los? Habt ihr noch keine normalen Menschen auf zwei Beinen gesehen?" ‡Normale Menschen schon", murmelte Ela, ‡aber..." ‡Was hast du gesagt?" Flattermann ging auf sie zu. Seine Haltung war drohend. ‡He, Harry, reiß dich zusammen!" Der Mann blieb daraufhin stehen, reckte Ela nur noch das Kinn entgegen und wandte sich dann ab. Grußlos verließen die Typen das Hotel. Ela lief bis zur Tür und meldete, daß sie in den Geländewagen stiegen. Turbo wandte sich an Frau Hansen. ‡Sagen Sie mal, was waren das denn für welche? Bauarbeiter?" Die Wirtin amüsierte sich. ‡Wie kommst du denn darauf?" ‡Ich habe mal in den Wagen geschaut. Da liegen mehrere Schaufeln und Hacken." ‡Nein, nein, mein Junge, das sind keine Bauarbeiter. Ihr werdet es kaum glauben, aber sie..." Jetzt legte die Wirtin eine Kunstpause ein. Mit gedämpfter Stimme sprach sie weiter: ‡Das sind Leute vom Fernsehen oder so. Die wollen sich die Gegend anschauen, um hier eine TV-Serie zu drehen. Sie haben sich bei mir nach den Sonnensteinen erkundigt." ‡Was sind die?" Randy schüttelte den Kopf. ‡Vom Fernsehen?" ‡Ja." ‡Das glaube ich nicht." ‡Wieso nicht?" -48-
‡Na ja, weil Fernsehleute anders aussehen." ‡Wie denn?" fragte Ela. ‡Du bist vielleicht naiv. Hinter jedem Menschen sieht der gleich einen Verbrecher. Schau dich mal an. Was meinst du, was man bei dir vermutet?"
‡Nur Gutes." ‡Darf ich mal kichern?"
Turbo hatte sich seine eigenen Gedanken gemacht. Er trat
dicht an die Rezeptionstheke heran und fragte: ‡Wollen die beiden wirklich zu den Steinen?" ‡Ja, warum fragst du?" ‡Da sind doch die Frauen hingegangen, wenn mich nicht alles täuscht." ‡Stimmt schon." Frau Hansen schüttelte den Kopf. ‡Was hat das mit den beiden Männern zu tun." -49-
‡Vielleicht stören die." ‡Ach, hör auf, Junge." Sie winkte ab. ‡Die wollen sich mal umsehen. Das ist alles. Sie suchen ein gutes Gelände, um Szenen für die Serie drehen zu können. Außerdem kennen sie die Steine, waren schon einmal dort, wie sie mir erzählten." Randy war auch an die Rezeption herangetreten, die beiden Mädchen unterhielten sich im Hintergrund und gingen dann in die rustikal eingerichtete Gaststube. ‡Wissen Sie denn, was man so über diese Frauen spricht, Frau Hansen?" fragte Randy. ‡Nein, was denn?" ‡Wir hörten, sie sollen so eine Art moderne Hexen sein. Sie wissen ja, das sind Frauen, die sich wieder auf die Naturreligionen besinnen und manchmal so leben wollen wie die alten Germanen." Der Wirtin blieb vor Staunen fast der Mund offen. ‡Das ist ein Ding. Woher wißt ihr das? Glaubt ihr etwa diesen Unsinn?" ‡So dürfen Sie die Frage nicht stellen", sagte Turbo. ‡Wir haben Ihnen nur gesagt, was wir wissen." Sie breitete die Arme aus. ‡Aber woher?" ‡Turbo und ich haben sie selbst gesehen, wie sie durch den Wald gingen. Die trugen nicht einmal normale Kleidung, sondern lange grauweiße Kutten, die bis zum Boden fielen. Das war vielleicht komisch, kann ich Ihnen sagen." Frau Hansen hob die Schultern. ‡Ich will da nichts dazu sagen, die Frauen sind meine Gäste. Wenn ich ehrlich sein soll, richtig vorstellen kann ich es mir nicht." ‡Wir auch nicht, Frau Hansen. Aber wir haben sie gesehen, und sie gingen zu den Sonnensteinen. Jedenfalls in die Richtung. Förster Ewald sagte auch, daß..." ‡Ach!" rief sie. ‡Hört auf mit dieser alten Krämerseele. Da habt ihr gerade den Richtigen." -50-
‡Wieso?" ‡Dieser olle Junggeselle kennt nur seine Comics und seinen Wald. Der ist doch vom Weltlichen ab, finde ich. Aber egal, wenn ihr meint, daß die Frauen Hexen sind, will ich euch nicht widersprechen. Aber redet sie bitte nicht als Hexen an." ‡Das auf keinen Fall", antwortete Turbo empört. ‡Wer sind wir denn?" ‡Kommt ihr endlich?" rief Ela von der Tür her. ‡Ich möchte endlich den Pflaumenkuchen essen." ‡Ja, wir kommen." ‡Was wollt ihr dazu trinken?" ‡Saft." Die Wirtin lächelte. ‡Dann werde ich euch mal von meinem selbst hergestellten Apfelsaft etwas bringen. Der ist wirklich außergewöhnlich und ebenfalls berühmt." Die Mädchen saßen schon an einem der beiden runden Tische in der Ecke. Über ihnen hing eine Blumenschale von der Decke, in der sich getrocknetes Heidekraut befand. Die Bohlen des Fußbodens waren glatt gebohnert. Die Jungen hatten sich vorsorglich die Füße abgetreten. Sie wollten so wenig Schmutz wie möglich hinterlassen. ‡Die Frauen lassen euch wohl nicht los, wie?" lästerte Ela Schröder. ‡Meine Güte, was haben die denn schon Besonderes an sich?" ‡Die langen Kutten." ‡Quatsch. Auch der Ausdruck Hexen gefällt mir nicht. Außerdem glaube ich nicht an die Sonnensteine, da könnt ihr sagen, was ihr wollt." ‡Wir werden sie uns auf jeden Fall ansehen", sagte Turbo. ‡Du bist verrückt. Was soll das?" ‡Ein kleiner Marsch kann nicht schaden." -51-
Frau Hansen betrat den Raum. Sie hielt einen Teller mit den Händen, auf dem sich Pflaumenkuchenstücke zu einer Pyramide türmten. ‡Hm, der riecht gut", jubelte Ela. ‡Da läuft mir das Wasser unter der Brücke zusammen." Die Wirtin stellte den Teller ab und ging zur Theke. Von dort holte sie aus dem eingebauten Kühlschrank eine Flasche Apfelsaft und füllte damit vier hohe Gläser. Der Saft moussierte leicht, das heißt, die Blasen der Kohlensäure stiegen in die Höhe. ‡Das ist wirklich ein besonderer Saft!" staunte Ela und nickte. ‡Mit Kohlensäure habe ich den noch nie getrunken." ‡Dann wirst du ihn jetzt probieren." Die Jungen hatten sich bereits Pflaumenkuchen auf ihre Teller
gelegt. Frau Hansen wartete ab, bis jeder ein Stück probiert hatte. ‡Super", lobte Turbo. ‡Echt stark", meinte auch Randy. Ela schloß nur die Augen und machte ein glückliches Gesicht. Bevor Randy eine Bemerkung dazu abgeben konnte, nickte ihnen Frau Hansen zu. ‡So, das war eine Gabe vom Haus. Ich hoffe, ihr werdet euch noch lange daran erinnern." ‡Bestimmt, Frau Hansen."
Nachdem die Wirtin gegangen war wandte Randy sich an
Gaby Fuchs. ‡Sag mal, Füchschen, schmeckt dir der Kuchen nicht?" ‡Doch, der ist super." ‡Aber du hast nichts gesagt." Ela schaufelte, schluckte und trank. ‡Gaby hat einige Probleme", sprang sie der Freundin bei. ‡Ja, welche denn?" -52-
Turbo wandte sich an Gaby, die immer noch herumdruckste und nicht so recht mit der Sprache herausrücken wollte. ‡Nun sag es schon!" drängte Ela. ‡Du kannst hier ruhig sprechen. Es wird dich niemand auslachen." Das Mädchen aus Hamburg hatte einen roten Kopf bekommen. ‡Es ist so komisch", sagte sie dann leise. ‡Aber ich habe da einen bestimmten Verdacht bekommen." ‡Bei uns?" ‡Nein, Randy. Es geht um die beiden Männer, die wir gesehen haben. Die mit dem Wagen." Turbo prustete los und spuckte Krümel auf seinen Teller, worüber sich Ela aufregte. ‡Kannst du nicht normal essen, du Tontilon?" ‡Tschuldigung, aber ich glaube nicht, daß die vom Fernsehen sind." Gaby nickte heftig. Den Blick hielt sie gesenkt. ‡Das glaube ich eben auch nicht." ‡Deshalb hast du Probleme?" wunderte sich Randy. ‡Sie glaubt, die beiden Männer zu kennen", erklärte Ela zwischen zwei Schlucken Saft. ‡Ehrlich?"
Gaby nickte. ‡ Ja, zumindest die Augen des Dunkelhaarigen."
‡Wieso die?" ‡Habt ihr sie nicht gesehen? Die sind fast grün. Solche Augen haben eigentlich nur Frauen." Turbo schüttelte den Kopf. ‡Ehrlich gesagt, Gaby, so genau habe ich mir die nicht angesehen, Du, Randy?" ‡Ich auch nicht." ‡Aber ich habe die Augen schon einmal gesehen. Damals, als es passierte. Da hatte ich das Gefühl gehabt, als wäre die Zeit stehengeblieben. Ja, so war es." -53-
‡Was meinst du mit damals?" fragte Randy.
Während sie sprach, wanderte Gabys Blick ins Leere. Sie
konzentrierte sich. ‡Ich habe euch doch erzählt, daß ein Kollege und ich Zeugen eines Banküberfalls geworden sind." ‡Ja, das stimmt." Turbo nickte.
Sie holte tief Luft. ‡Die Kerle waren maskiert. Sie trugen
Clownmasken vor ihren Gesichtern, die nur eine Spalte für die Augen freiließen. Könnt ihr mir folgen..." ‡Ich schätze ja", murmelte Randy. ‡Rede weiter!" bat Ela. ‡Okay, die Masken verbargen viel von den Gesichtern. Aber die Augen lagen frei. Und da habe ich..." Randy sprang so plötzlich auf, daß der Stuhl hinter ihm beinahe umgekippt wäre. ‡Nein, meinst du, daß einer der Kerle mit den Bankräubern identisch ist?" Gaby Fuchs nickte. ‡Vielleicht sogar beide", erwiderte sie kaum hörbar... Keiner von ihnen sprach in den folgenden Sekunden ein Wort. Bis Turbo das Schweigen unterbrach. ‡Mann, das ist ein Hammer. Wenn das zutrifft, dann..." Er machte eine Pause und dachte nach. ‡Oder hat man die Kerle inzwischen erwischt?" ‡Nein, und auch die Beute ist nicht wieder aufgetaucht. Das waren fast einhunderttausend Mark Bargeld. Hinzu kamen noch die Barren der Edelmetalle." Sie hob die Schultern. ‡Nach der Beute wurde lange gesucht, aber man hat nicht mal eine Spur gefunden." ‡Und du meinst", fragte Ela, ‡daß es diese beiden Kerle sind, die eure Bank überfallen haben?" ‡Die Augen", flüsterte Gaby Fuchs. ‡Die Augen sind irgendwie einzigartig, versteht ihr? Solche habe ich nie zuvor gesehen. Und auch die Stimmen..." Turbo lehnte sich zurück. Er schlug mit beiden Handflächen -54-
rechts und links neben den Teller. ‡Meine Güte, das ist ein Hammer, das wäre ein Hammer", wiederholte er und stieß Randy an, der sich wieder gesetzt hatte. ‡He, was sagst du dazu?" ‡Nichts." ‡Und warum nicht?" ‡Weil ich überlege." ‡Aha. Dürfen wir da auch was erfahren?" ‡Klar doch. Ich denke an den Inhalt des Geländewagens. Haben die nicht Hacken und Schaufeln geladen? Wenn ich Bankräuber wäre und eine Beute zu verstecken hätte, würde ich sie irgendwo an einer einsamen Stelle vergraben. Und doch an einer Stelle, die man leicht wiederfindet. Ich habe die Sonnensteine zwar noch nicht gesehen, stelle mir aber vor, daß man sie in dem flachen Heidegelände nicht verfehlen kann." ‡Das stimmt", meinte Ela. Langsam fuhr Randy fort: ‡Und wahrscheinlich sind sie jetzt losgefahren, um alles auszugraben." ‡Sollen wir ihnen nach?" fragte Ela. ‡Jetzt?"rief Gaby. ‡Immer..." ‡Nein!" entschied Randy, was bei Ela Protest auslöste, denn sie rief: ‡Du hast gar nichts zu sagen." ‡Kann sein. Hör trotzdem zu. Wir werden uns anschleichen, wenn es dunkel wird. Ich glaube, daß die Kerle so lange warten." ‡Da haben wir noch jemanden vergessen", meldete sich Turbo. ‡Die Heidehexen." ‡Richtig." Randy nickte. ‡Wenn die Frauen zu den Steinen gegangen sind, müssen sie mit ihrer Graberei warten." Ela rieb ihre Hände. ‡Das wird spannend, glaube ich. Und ich -55-
dachte schon, daß hier der Hund begraben ist." ‡Höchstens die Heidschnucken", meinte Randy. Ela streckte ihm die Zunge heraus. ‡Immer willst du alles besser wissen." ‡Da kommt Besuch", rief Turbo, der durch das Fenster nach draußen geschaut hatte. Wie auf Kommando drehten die Freunde die Köpfe und sahen hinaus. Die Frauen kehrten zurück. Sie trugen noch immer ihre ungewöhnlichen Gewänder, gingen aber nicht mehr in Reih und Glied. Die Tür der Gaststätte war nicht geschlossen, deshalb hörten die Freunde, wie die Gruppe das kleine Foyer betrat, das sich augenblicklich mit einem Stimmenwirrwarr füllte. ‡Ha, hier riecht es wunderbar." ‡Nach Kuchen, denke ich." ‡Ja", hörten die Freunde die Wirtin antworten. ‡Ich habe Pflaumenkuchen gebacken." ‡Können wir welchen haben?" ‡Es ist noch genügend da." l ‡Gut, wunderbar, wir freuen uns." Lachend und miteinander redend betraten die Frauen den Raum, nickten grüßend zu den Freunden hinüber und setzten sich an die Tische. Direkt neben ihnen saßen zwei blonde Frauen. Eine war ziemlich klein, trug das Haar vorn kurz und als Pony geschnitten. Hinten war es lang und fiel wie eine auseinanderfächernde Schwanzfeder tief in den Nacken. Die zweite Frau überragte die andere um bestimmt eine Kopfgröße. Ihr ebenfalls dunkelblondes Haar war lang und strähnig. Die unregelmäßig geschnittenen Spitzen endeten erst im Rücken. -56-
Randy hörte, daß die Kleinere mit Gilda angesprochen wurde. Die Größere hieß Susanne. Beide trugen blaue Jeans und helle T-Shirts. Und diese Gilda schien so etwas wie die Anführerin zu sein, denn ihr wurden von den anderen Tischen her zahlreiche Fragen gestellt. ‡Soll ich sie mal ansprechen?" fragte Ela. ‡Warum nicht?" Randy hatte nichts dagegen. Ela drehte sich auf ihrem Stuhl um. ‡Mal sehen, ob die beiden was von den Typen gesehen haben..."
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4. Der Überfall Förster Ewald mußte ein Auto zwar aus beruflichen Gründen fahren, aber er benutzte es so wenig wie möglich, um die Umwelt nicht zu belasten. Wenn er kürzere Strecken zurücklegen mußte, dann stets auf seinem alten Drahtesel. Allein fuhr er nie, sein Rauhhaardackel Burschi war stets dabei und freute sich, wenn es wieder mal losging. Er bellte laut, als der Förster die Haustür verschloß und neben das Haus trat, wo das Rad stand. Er hatte sich nicht umgezogen. Nur ein grüner Hut saß jetzt auf seinem Kopf, und er hatte natürlich seine Jagdflinte mitgenommen; die gehörte einfach dazu. ‡Ja, ja, Burschi, ist schon gut. Wir fahren ja." Der Dackel konnte es kaum erwarten, lief immer um Rad und Herrchen herum und hielt erst still, als Ewald ihm die Leine anlegte. Im Wald ließ er den Dackel selten frei herumlaufen. Burschi wedelte mit dem Schwanz, zerrte an der Leine und sorgte dafür, daß Ewald schnell in den Sattel kam. Ihr Ziel waren die Steine. Dem Förster wollten die Erzählungen der Jungen einfach nicht aus dem Kopf gehen. Das Benehmen der Frauen kam ihm doch sehr ungewöhnlich vor. Die Sonnensteine gehörten zu seinem Revier, und als Förster wollte er gern darüber informiert sein, was sich in seinem Revier tat. Förster Ewald kannte sich hier natürlich bestens aus. Er nahm Abkürzungen und verborgene Wege. Schon bald hatte er den Wald verlassen und radelte durch einen Buschgürtel, der ihn hoch überragte. Es war sehr heiß. Vor der Abfahrt hatte Burschi noch sein Wasser bekommen, auch Ewald hatte getrunken und seine Feldflasche, die er immer mitnahm, mit frischem Wasser -58-
aufgefüllt. Die Sonne brannte auf seinen Rücken. Ihm wurde heiß, und er wischte sich immer öfter den Schweiß von der Stirn. Der Wald lag längst hinter ihm, auch der Buschgürtel senkte sich, um schließlich ganz zu verschwinden. Vor ihm lag die flache, herrliche Heidelandschaft, deren Schönheit in vielen Liedern besungen wurde. Besonders der Dichter Hermann Löns hatte die Heide sehr geliebt und viele Gedichte darüber geschrieben. Menschenleer lag das Land vor ihm. So weit das Auge reichte, dehnte sich die Landschaft flach wie ein Teppich. Noch blühte die Heide nicht voll, aber es würde nicht mehr lange dauern. Der Gewitterregen hatte der Pflanzenwelt sehr gut getan. Es kam dem Förster so vor, als würde die Natur wieder einmal kräftig Atem holen. Erikablümchen lugten aus dem Heidekraut hervor. Die Luft flimmerte, wenn er nach vorn schaute. Aus etwas tiefer gelegenen Mulden dampfte die Sonne die letzten Pfützen weg. Der Untergrund sah zwar sehr flach aus, aber ein Radfahrer bekam die Unebenheiten sehr wohl zu spüren. Buckel und kleine Mulden wechselten sich ab. Die einzelnen Stöße merkte Ewald in seinen Handgelenken. Endlich sah er in der Ferne dunkle Schatten, die sich deutlich vom flachen Gelände abhoben. Das waren die Sonnensteine! Sie verdienten ihren Namen zu Recht. Da sie ganz frei in der Heide lagen, waren sie voll und ganz den Strahlen der Sonne ausgesetzt, die im Sommer heiß auf sie niederbrannten. Der Förster glaubte nicht recht an die Kraft, die den Steinen von einigen Leuten zugeschrieben wurde. Für ihn waren sie einfach nur ein Haufen Steine. Sie standen in keinem Vergleich zu den berühmten Steinen von Stonehendge in England oder denen von Carnac in -59-
Frankreich. Hier befanden sich nur ein paar Steine, und sie waren längst nicht so geheimnisvoll angeordnet wie die in England. Wild durcheinandergewürfelt standen sie mitten im Heidekraut. Allerdings war die Umgebung der Steine, der Platz, auf dem sie lagen, anders. Da war der Boden nicht mehr so flach. Hinter und zwischen den Monolithen bildete er Furchen und tunnelähnliche Gräben. Eine niedrige Böschung umgab das Ganze. Förster Ewald hielt die Augen offen, aber weit und breit rührte sich nichts. Wenn sich die Frauen bei den Steinen aufhielten, dann hätte er sie eigentlich jetzt schon sehen müssen, es sei denn, sie hatten es vorgezogen, hinter den Steinen in Deckung zu gehen. Der Förster trug stets ein Fernglas bei sich. Als nun sein Hund zu sehr zerrte, hielt er an und gab die Leine frei. Mit eindringlichen Worten erklärte er Burschi, nicht zu verschwinden. Er wußte, daß der Rauhhaardackel gehorchte. Er lehnte das Rad gegen die Hüfte, bevor er das Fernglas vor die Augen hob. Nachdem er es scharf eingestellt hatte, holte er die mächtigen Klötze näher heran. Sie waren unregelmäßig angeordnet, standen schief und hatten auch nicht die gleiche Größe, waren aber stets höher als breit. Granitgrau und trutzig wie verwitterte Riesen lagen sie im grellen Licht der Sonne. Von seinem Standort aus konnte er sechs Steine zählen. Es waren noch mehr, aber die anderen verbargen sich hinter diesen. Langsam suchte er mit dem Fernglas den Platz ab. Plötzlich zuckte der Förster zusammen, als hätte ihn ein Insekt gestochen. Er hatte etwas entdeckt. Links von den Steinen stand etwas, was er dort nicht erwartet hätte. Es war ein Fahrzeug! Mit Autos kannte Förster Ewald sich nicht so gut aus. Er -60-
wußte aber, daß es sich um ein geländegängiges Fahrzeug handelte. Das Nummernschild konnte er nicht erkennen. Er ließ sein Fernglas sinken und machte sich seine Gedanken. Wem gehörte der Wagen? Waren die Frauen damit gefahren? Er glaubte es nicht, denn das hätten ihm die Jungen sicherlich erzählt. Seiner Ansicht nach mußte es außer den Frauen noch jemanden geben, der sich für die Steine interessierte. ‡Auf einmal", murmelte der Förster. ‡Sonst ist jahrelang nichts los, und jetzt drängen sie sich fast. Das muß doch etwas zu bedeuten haben. Was meinst du, Burschi?" Der Rauhhaardackel spitzte die Ohren, als er seinen Namen hörte, und huschte um die Füße seines Herrchens herum. ‡Wir beide werden uns den Wagen auf jeden Fall einmal näher ansehen. Klar?" Burschi hatte verstanden. Er rannte einige Meter vor, kratzte den Boden auf, kam wieder zurück und bekam einen Schluck Wasser, den der Förster in seine hohle Hand gegossen hatte. Erst als der Dackel getrunken hatte, gönnte sich auch der Förster einen tiefen Schluck aus der Feldflasche. Fünf Sekunden später waren Herr und Hund wieder unterwegs. Förster Ewald änderte den Kurs ein wenig. Er fuhr jetzt so, daß er auf direktem Weg sein Ziel erreichen konnte. Wenn er stoppte, würde er neben dem Wagen stehen. Menschen sah er noch immer nicht. Allmählich nahmen die Steine an Größe zu. Ewald selbst kam sich klein vor auf seinem alten Drahtesel. Er verspürte den Wunsch nach einem Pfeifchen, ließ den alten Rauchkolben aber in der Tasche. Später würde er mehr Zeit haben. Die Sonne sank unmerklich im Westen dem Erdboden zu und würde schon bald ihre Farbe verändern, wenn sich der Nachmittag verabschiedete und in den frühen Abend überging. -61-
Noch aber fielen ihre Strahlen heiß über die flache Heidelandschaft und erzeugten ein regelrechtes Wüstenklima. Sie brannten auch auf den abgestellten Wagen, bei dem die Scheiben des Fahrerhauses nach unten gekurbelt waren. Burschi benahm sich urplötzlich sehr wachsam und fing sogar an zu knurren, als der Förster vom Rad stieg und es auf den Boden legte. Er befand sich nun nahe bei den Steinen. Schon jetzt merkte er, wie sie die Hitze abgaben. Das konnte während der kühleren Nacht angenehm sein, am Tage war es das allerdings nicht. Da stand man wie neben einem kochenden Kessel. Burschi knurrte. Er wollte weglaufen, doch sein Herr holte ihn mit einem scharfen Pfiff zurück. Nur unwillig folgte der Dackel dem Kommando. Der Förster wußte genau, was geschehen war. Burschi hatte eine Spur gefunden. Doch noch immer war niemand zu sehen. Zunächst umschritt der Förster das Fahrzeug und stellte fest, daß die Hecktür offenstand. Warum? Er schaute in den Wagen hinein, ohne etwas zu entdecken. Nur lehmigen Dreck auf der Ladefläche, Wieder knurrte Burschi. Förster Ewald drehte sich um. Er nahm das Gewehr von der Schulter. ‡Ja, mein Guter, ist ja gut. Wir passen schon auf." Die Steine standen rechts von ihm wie gewaltige Säulen, die sich schief zur Seite geneigt hatten. Sie warfen bereits lange Schatten an diesem Spätnachmittag. Plötzlich war Burschi nicht mehr zu halten. Er wetzte los auf seinen kleinen Beinen, rannte um die Ecke eines Steins herum, kläffte laut und wütend, um dann jämmerlich aufzuheulen. Einen Augenblick später war er wieder zurück. Er überschlug sich dabei, als hätte er einen heftigen Stoß erhalten. -62-
Dem war auch so, denn zugleich mit dem Dackel drückte sich ein Mann um die Ecke, der groß und knochig war, eine enge Hose trug und dessen blondes Haar wie eine Mähne wirkte. Der Förster hatte den Mann noch nie gesehen, sprach ihn aber sofort an. Die Mündung des Gewehrs zeigte zu Boden. ‡Wer sind Sie?" Der Kerl grinste nur. Burschi hatte sich wieder erholt und wollte angreifen, aber Ewald pfiff den Hund zurück. ‡Haben Sie ihn getreten?" ‡Nein, der Heilige Geist." ‡Reden Sie keinen Unsinn. Haben Sie oder haben Sie nicht?" ‡Glauben Sie denn, ich lasse mir von dem Köter irgendwas abbeißen, Mann?" ‡Also doch." ‡Sicher." Der Knochige grinste. ‡Und wenn die kleine Ratte noch einmal angreift, schieße ich sie zum Mond." ‡Da hätte ich auch noch etwas zu sagen." Harry Hahn lachte. ‡Wer sind Sie?"
‡Der Revierförster." Flattermann prustete los. ‡Aber nicht der vom Silberwald. Oder etwa doch?" ‡Machen Sie keine dummen Witze, dazu bin ich nicht in der Stimmung." ‡Ich auch nicht, Grünrock." ‡Was haben Sie hier zu suchen?" ‡Geht dich das was an?" ‡Ja, es ist mein Revier." ‡Aber du bist kein Bulle." ‡Vielleicht eine Art Öko-Polizist, der es nicht mag, wenn sich gewisse Leute in seinem Revier herumtreiben." -63-
Harry Hahn grinste provozierend breit. ‡Was meinst du, was mich das interessiert. Das Land hier ist jedermann zugänglich." ‡Das stimmt." ‡Dann hau ab, Grünrock." Förster Ewald blieb stur. Was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, führte er auch durch. ‡Ich bin aber für die Dinge, die in meinem Revier geschehen, verantwortlich. Und ich will von Ihnen wissen, was Sie hier zu suchen haben." Hahn ließ seine Augen größer werden und spitzte die Lippen. Der leichte Wind bauschte sein T-Shirt, dessen Saum über dem Hosengürtel hing. ‡Ich suche einen Schatz, Meister." ‡Tatsächlich?" ‡Wenn ich es dir sage. Gold, Silber, Platin, auch Geld. Das alles gehört mir." ‡Ihnen allein?" ‡Vielleicht."
Der Förster nickte. Seine Augen verengten sich dabei. Immer
ein Zeichen, daß Ewald mißtrauisch wurde. ‡Ich habe mir vorhin den Wagen angeschaut." ‡Das sah ich." ‡Ja. Und da entdeckte ich zwei leichte Sommerjacken. Sie aber brauchen nur eine." ‡Pah!" Flattermann staunte Bauklötze. ‡Du bist ja ein richtiger Schnellmerker, Grünrock." ‡Wo ist der zweite?" Harry Hahn wurde zum Schauspieler. Er trat von einem Fuß auf den anderen, drehte sich dabei, hob einen Arm und legte seine Hand über die Augen, um in die Ferne zu schauen. ‡So ein Pech, Grünrock. Ich sehe ihn leider nicht. Ich weiß nicht, wo er ist." Der Förster behielt die Ruhe. ‡Hören Sie genau zu." -64-
‡Klar doch." Hahn legte seine Hand hinters Ohr. ‡Ich möchte nicht zu anderen Maßnahmen greifen. Ich will wissen, was Sie hier zu suchen haben. Daß Sie aus den gleichen Gründen hierher pilgern wie die Frauen, glaube ich nicht. Sie haben andere Motive." Hahn verstand zwar nur Bahnhof, er gehörte nicht zur Intelligenzia, aber er besaß eine gewisse Bauernschläue und konnte sich blitzschnell anpassen. ‡Was denn für Frauen? Wovon redest du?" ‡Dann glauben Sie auch nicht an die mystische Kraft der Steine?" Flattermann verschluckte sich beim Sprechen. ‡An die myst... was war das, bitte?" ‡Danke, das reicht mir eigentlich." Der Förster hütete sich, mehr zu sagen. Da bekam er mit, daß Burschi anfing zu knurren. Über seinen Rücken rann ein kalter Schauer. Er ahnte, daß die Situation explosiv wurde. ‡Du hast vorhin von anderen Maßnahmen gesprochen, Försterlein. Wie sehen die denn aus?" Burschi bellte jetzt. Nicht ohne Grund, denn hinter sich hörte Ewald Schritte. Gleichzeitig bewegte sich Harry Hahn und griff unter sein T-Shirt. Ewalds Augen weiteten sich, als er die Pistole sah, die der Knochige hervorgeholt hatte. ‡So sehen meine Maßnahmen aus, Grünrock. Stark, nicht wahr?" Ewald wurde blaß. Noch nie zuvor war er von einer Waffe bedroht worden. Er selbst hatte ebenfalls noch nie sein Gewehr auf einen Menschen gerichtet. Das Gefühl, das jetzt in ihm hochstieg, schnürte ihm die Kehle zu, so daß er Mühe hatte, Luft zu holen. ‡Jetzt staunst du, nicht?" ‡Nehmen Sie das Ding da weg!" brachte Ewald mühsam hervor. ‡Stellen Sie sich vor, die Pistole geht los." -65-
‡Nicht mein Problem, du kleiner Waldmeister. Stehe ich vor der Mündung oder du?" ‡Bitte, machen Sie..." ‡Hör auf zu labern. Wirf du deinen komischen Schießprügel weg. Aber hübsch vorsichtig. Schon meine Großmutter hat sich immer über meinen nervösen Zeigefinger geärgert." ‡Das werden Sie bestimmt noch bereuen", sagte der Förster. ‡So kommt man nicht durchs Leben." ‡Wir schon..." sagte eine Stimme in seinem Rücken. Ewald schrak zusammen. Klar, der zweite Kerl. Er mußte jetzt hinter ihm sein. Wie sich seine Stimme anhörte. So widerlich weich, so überheblich, als wäre er der Herr in der Heide. Der Förster wollte sich umdrehen, aber da fuhr ihn Willi Bock an: ‡Erst weg mit deiner Flinte!" befahl er. ‡Du kannst dir sicherlich vorstellen, was auf deinen Rücken zielt." Ewald nickte. In seinen Handflächen hatte sich der Schweiß gesammelt. Es lag nicht nur an der Wärme. Sein Atem ging schnell, er öffnete die Hände, dann ließ er das Gewehr fallen. Mit einem satt klingenden Geräusch landete es rechts von ihm auf dem Boden. Ewald schielte nach unten und sah eine Hand dort erscheinen, die nach dem Gewehr griff. Dann war es verschwunden. Der Mann hinter ihm setzte sich in Bewegung. Sekunden später sah Ewald ihn. Im Gegensatz zu dem knochigen Naturburschen wirkte der wie geschniegelt. Als wäre er gerade einer TV-Serie entsprungen. Das Gewehr hing über seiner Schulter, in der rechten Hand hielt er tatsächlich eine Waffe. Jetzt glotzten den Förster zwei Mündungen an. Ihm war klar, daß er die beiden bei irgendeiner Sache gestört hatte. Und die sahen ihm nicht so aus, als würden sie sich die Butter vorn Brot nehmen lassen. Was die sich einmal -66-
vorgenommen hatten, würden sie auch beenden. Wer also konnte ihm noch helfen?
Vielleicht der Hund? Auch Burschi hatte gespürt, daß sich über dem Kopf seines Herrchens etwas zusammengebraut hatte. Er hockte neben ihm und winselte leise und herzerweichend. War er die Chance? Ewald entschied sich sofort. ‡Lauf, Burschi. Lauf los. Lauf zu -67-
Marga und Gerd!" Er hatte leise gesprochen. Doch der Hund hatte ihn verstanden. ‡He, was ist?" rief Hahn. Da rannte Burschi schon los. Ein Start nach Maß. Wie ein Wiesel wetzte er über den flachen Boden. Er schleuderte Erde in die Höhe, hinterließ sogar Staubwolken. Der Knochige brüllte einen Fluch, bevor er die Waffe drehte und auf Burschi zielte. Bock fiel ihm in den Arm. Er packte ihn von hinten und hielt ihn fest. ‡Bist du wahnsinnig. Keinen unnötigen Schuß. Der ist kilometerweit zu hören. Wir müssen hier fertig werden." Harry Hahn knurrte etwas Unverständliches und starrte den Förster böse an. Ewald ging es wieder besser. Er rechnete damit, daß die Hansens schon reagierten, wenn Burschi allein zu ihnen kam. Sie und der Dackel hatten schon längst Freundschaft geschlossen. Bock kam einen Schritt näher. Er baute sich vor dem Förster auf wie ein Westernheld, breitbeinig, die Hacken in den weichen Erdboden gestemmt. ‡Wo ist er hin?" ‡Burschi?" ‡Wer sonst, du Affe!"
‡Ich habe ihn nach Hause geschickt." Bock verzog die Lippen, und es wurde ein schiefes Grinsen.
Mit lauernder Stimme fragte er: ‡Habe ich vorhin nicht zwei Namen gehört, du Grünrock?" ‡Nein. Ich kann mich nicht erinnern." ‡Ich aber schon." ‡Bestimmt nicht." Zum Glück war Willi Bock auch nicht sicher. Er schickte seinen Freund zum Auto. ‡Hol die Stricke." ‡Für ihn?" ‡Denkst du für mich." -68-
Hahn lachte. ‡War nur ein Gag." Dann stiefelte er los. Der Förster und Bock blieben zurück. Ewald hatte den ersten Schrecken überwunden. Er begann, den Mann auszufragen. ‡Du bist zu neugierig!" antwortete Bock.
Sie warteten eine Weile schweigend, dann kam Harry Hahn
zurück. Er hielt die Stricke hoch. Sie waren dünn und bestanden aus grün gefärbtem Kunststoff. ‡Nur die Hände oder auch die Füße?" ‡Erst mal nur die Hände. Er muß ja noch ein wenig laufen, unser Freund, der Förster." ‡Und wie." Flattermann baute sich hinter Ewald auf. ‡Los, du Vogelscheuche, die Hände auf den Rücken!" Ewald wußte, daß Widerstand zwecklos war. Diese Kerle fackelten nicht lange. Sie meinten es verdammt ernst. Außerdem mußte es einen Zusammenhang zwischen ihnen und diesen ungewöhnlichen Steinen geben. Also ergab er sich in sein Schicksal. Der geschniegelte Willi Bock stand vor ihm. Er konnte sein Gesicht nie unbewegt lassen. Entweder grinste er, oder er schob die Unterlippe vor, als wollte er irgendwelche Regentropfen auffangen, die vom Himmel fielen. Harry Hahn, der Flattermann, stand hinter Ewald und zurrte die Stricke um dessen Gelenke fest. Es schien ihm Spaß zu machen; er flüsterte dem Förster die schlimmsten Drohungen ins Ohr und versprach ihm die Hölle auf Erden. Das wiederum regte seinen Kumpanen auf. ‡Mach keinen Unsinn, Harry, und sei vernünftig." ‡Bin ich doch, Mann." ‡Ja, ja, das höre ich." ‡Ich will eben, daß er weiß, was ihm bevorsteht." Der Förster versuchte es mit einem letzten Anlauf. ‡Glaubt nur nicht, daß ihr damit durchkommt. Man wird mich -69-
vermissen, das sage ich euch." ‡Und?" höhnte Bock. ‡Dann ist die Polizei schneller da, als ihr denken könnt." Willi Bock strich mit seiner Zunge über die Oberlippe. ‡Aber erst morgen, du Waldläufer. Dann ist es uns egal. Da sind wir längst über alle Berge." ‡Ich wäre nicht so optimistisch." ‡Fertig!" meldete Harry. ‡Die kriegt er nicht ab, der kleine Waldspecht." ‡Laß sehen." Willi Bock traute seinem Kumpan nicht so recht. Er wollte auf Nummer Sicher gehen. So überprüfte er die Fesseln und gab dann mit einem zufriedenen Grunzen zu verstehen, daß alles okay sei. ‡Sagte ich doch." ‡Jetzt weg mit ihm." Ewald hatte vergeblich versucht, etwas Platz zwischen seinen Handgelenken zu bekommen. Es war ihm nicht gelungen. Harry Hahn hatte die Stricke zu scharf angezogen. Sie schnitten in die Haut. Es würde bald zu einem Blutstau kommen. Seine Hände würden schmerzen. Das war logisch. Eine Faust stieß in seinen Rücken und sorgte dafür, daß er sich in Bewegung setzte. Flattermann blieb hinter ihm. Bock ging vor, und ihm folgte der Gefesselte. Wenn sie ihm noch die Füße banden, dann wäre er völlig hilflos. Am liebsten hätte Ewald seine Wut hinausgeschrien, doch das würde nichts bringen. Sie hielten sich in unmittelbarer Nähe der Steine, die rechts von ihnen hochragten. Da standen sie wie die stämmigen Beine irgendwelcher Riesen aus längst vergangener Zeit. Niemand wußte, wie die Steine dorthin gekommen waren. Jahrelang hatte -70-
sich auch niemand um sie gekümmert, bis vor einiger Zeit diese modernen Hexen einer neuen Bewegung erschienen waren. Nachts hatten sie hier Feuer angezündet und waren im Kreis um die lodernden Flammen getanzt. Schon von weitem hatte man den Feuerschein sehen können. Die Aschenhaufen mitten zwischen den Steinen zeugten noch von den nächtlichen Festen. Dieser Platz war auch das spätere Ziel der beiden Männer. Als sie bei den ersten der mächtigen Steine angekommen waren, befahlen sie Ewald stehenzubleiben. ‡Jetzt dreh dich mal nach links!" sagte ihm der Flattermann. Der Förster gehorchte. Auf den ersten Blick erkannte er den Eingang zu einer kleinen Höhle, die sich direkt unter einem hohen Stein auftat. Um dort hineinzugelangen, mußte man auf dem Bauch kriechen. ‡Geh näher ran." Ewald setzte sich zitternd in Bewegung. Er spürte plötzlich ein Brennen in den Augen, was nicht allein am Staub lag, der durch die Luft wirbelte. Allmählich stieg Furcht in ihm hoch. Dicht vor der Öffnung, die wie eine breite Schnauze aussah, trat ihm Harry Hahn die Beine weg. Mit einem Schrei kippte Ewald zur Seite und stürzte zu Boden. ‡Bleib liegen!" Harry stand schräg über ihm und zielte mit der Pistole auf seinen Kopf. ‡Ja, ja, schon gut!" ächzte der Förster. ‡Nimm das Ding da weg. Dann ist alles okay." Harry nahm es nicht weg. Er wartete, bis sein Kumpan die Füße des Försters gefesselt hatte. Dafür nahm Willi Bock eine noch dünnere Schnur, kaum stärker als ein Faden, aber aus reißfestem Nylon, das auch durch die Strümpfe schneiden würde. ‡Mann, nicht so fest!" keuchte Ewald. -71-
Harry hatte wieder seinen Spaß. ‡Kannst wohl nichts vertragen, Grünrock, wie?" ‡Laß du dich mal fesseln." ‡Verzichte." Willi Bock hatte es geschafft, richtete sich auf und wischte den Schweiß von seiner Stirn. ‡So, Försterlein", sagte er, ‡jetzt schieben wir dich in das Loch, wie Hänsel und Gretel damals die Hexe in den Ofen geschoben haben." ‡War das nicht im Märchen?" ‡Klar doch." ‡Märchen sind nicht wahr, ihr Penner. Das könnt ihr doch nicht machen, verflucht." Willi und Harry griffen zu. Ewald wehrte sich trotz der Fesseln. Er konnte seine Beine noch anziehen und ließ sie dann blitzschnell wieder nach vorn schnellen. Hahn gab nicht acht. Er ähnelte tatsächlich einem Flattermann, als er, mit den Armen rudernd, zurückfiel und wie ein Käfer auf dem Rücken landete, alle viere von sich gestreckt. Er fluchte wütend, sprang wieder auf, um sich auf den Wehrlosen zu stürzen, aber Bock hielt ihn zurück. ‡Nicht jetzt!" ‡Wann denn?" ‡Weiß ich noch nicht." Ewald lag auf dem Rücken, als er auf den niedrigen Höhleneingang zugeschoben wurde. Er kam sich vor wie ein Besen, mit dem man den Fußboden fegt. Staub wallte in Wolken auf. Er drang auch in Nase und Mund, und Ewald konnte ein Niesen nicht vermeiden. ‡Prost", sagte Bock. Er hatte sich hingekniet, ebenso wie Harry Hahn. Sie packten den Gefesselten an den Hüften und schoben ihn mit dem Kopf zuerst in das Loch hinein. Noch hielt Ewald die Augen weit geöffnet. Er sah die Sonne -72-
und den blauen Himmel, die plötzlich verschwanden und der Dunkelheit Platz machten. Die beiden Bankräuber gaben sich noch nicht zufrieden. Sie schoben Ewald so tief hinein, daß nicht einmal mehr die Füße von ihm zu sehen waren. Wer ihn jetzt finden wollte, der mußte sich schon flach auf den Bauch legen und in die Höhle hineinlugen. ‡Alles paletti!" meldete Harry und klopfte seine Hosenbeine aus. Willi gab dem Förster noch einen letzten Ratschlag mit auf den Weg: ‡Sollte dir einfallen, schreien zu wollen, drehen wir dir den Hals um, Grünrock. Verstanden?" ‡Ja", flüsterte Ewald. Doch da waren die beiden Bankräuber schon fort..
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5. Die Pläne der Hexen
Ela hatte mit den Frauen ein Gespräch angefangen. Es war ihr so gut gelungen, daß sie jetzt zu sechst am Tisch hockten. Man mußte ein bißchen zusammenrücken. Susanne, die größere der beiden Frauen vom Nebentisch, rauchte selbstgedrehte Zigaretten und blies den Qualm ständig gegen die Decke. Sie war es auch, die antwortete. ‡Ehrlich gesagt, die beiden Typen sind uns nicht aufgefallen. Wenigstens mir nicht. Dir, Gilda?" Die Frau mit dem schmalen Gesicht und den kürzeren Haaren schüttelte den Kopf. ‡Schade", meinte Randy. ‡Was ist denn mit denen?" wollte Gilda wissen. ‡So genau wissen wir es ja auch nicht", antwortete Ela. ‡Aber unsere Freundin Gaby glaubt, sie erkannt zu haben. Sie meint, daß es Bankräuber sind, versteht ihr?" Die Frauen hatten ihnen das Du angeboten. ‡Noch mal!" bat Susanne mit heiserer Stimme. Sie hatte erst lachen wollen, doch dann sah sie die ernsten Gesichter der Freunde. Diesmal erzählte Gaby die Geschichte, und sie begann mit dem Banküberfall. ‡Bist du dir denn sicher?" ‡Ja, immer mehr." Gilda hob die Schultern. ‡Was sollten die sich denn hier herumtreiben. Machen die vielleicht Urlaub?" ‡Nein", meinte Randy. ‡Soviel ich weiß, hat man die Beute bis heute noch nicht gefunden." Susanne und Gilda tauschten Blicke. Kurz nur, denn beide hatten längst begriffen. Gilda brachte ihr Gesicht näher an -74-
Randy heran. ‡Und du meinst, daß sie gekommen sind, um ihre Beute aus dem Raub abzuholen." ‡Ja, das denken wir." Bei Randys Antwort hatten Turbo, Ela und auch Gaby heftig genickt. ‡Und wo?" flüsterte Susanne. ‡Das wissen wir nicht", sagte Turbo. ‡Aber wir ahnen es!" meldete sich Ela. ‡Nun spannt uns nicht auf die Folter", murrte Susanne. ‡Was denkt ihr? Raus mit der Sprache!" Ela war mit ihrer Antwort am schnellsten. ‡Wir denken, daß sich als Versteck die Steine eignen." Die beiden Frauen erschraken so sehr, daß es jedem am Tisch deutlich auffiel. ‡Aber das ist doch unser Platz!" zischelte Susanne. Gilda nickte nur. ‡Was ist euer Platz?" fragte Randy. Gilda wiegte den Kopf. ‡Nun ja, die Steine eben. Da... da gehen wir des öfteren hin." ‡Wir haben euch gesehen", sagte Turbo.
‡Wie bitte?"
Der Junge aus Japan grinste Susanne an. ‡Ja, heute, nach dem
großen Gewitter. Da seid ihr wie die Geister durch den Wald marschiert. Man konnte direkt Angst bekommen." ‡Stimmt", gaben sie zu. ‡Und was soll das alles bedeuten?" fragte Gaby. ‡Was ist denn so toll an den Steinen?" Gilda wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. ‡Das versteht ihr doch nicht." ‡Versucht es mal." Gaby ließ nicht locker. Randy sprang ihr bei. Er schob seinen Teller zur Seite, als er sich über den Tisch beugte. ‡Es kann sein, daß ihr unsere Hilfe -75-
noch einmal braucht, Mädels." Susanne konnte ein glucksendes Lachen nicht unterdrücken. ‡Was hast du gesagt? Mädels?" ‡Klar." ‡Ja, Bürschchen." Gilda dachte nach. Während sie mit dem Zeigefinger Figuren auf den Tisch malte, meinte sie: ‡Unter Umständen ist es nicht so verkehrt, wenn wir die Freunde hier einweihen. Es schadet nicht, wenn wir Helfer für die heutige Nacht haben. Und die können wir nicht ausfallen lassen." Ela war neugierig geworden. ‡Heute nacht?" wiederholte sie. ‡Ist da etwas Großes geplant?" ‡Ja, wir werden eine Feier haben." ‡Mit Currywurst, Gegrilltem und..." Turbo sprach nicht mehr weiter. Randy hatte ihn in die Seite geknufft. ‡He", beschwerte er sich, ‡was hast du denn?" ‡Bei dir sind wohl die Gene verrutscht. Denen ist es ernst, das sieht man doch." ‡Kann ich weitersprechen?" fragte Gilda. ‡Bitte." ‡Die heutige Nacht werden wir als Feuernacht feiern. Da sollen durch das Feuer die Schatten der Dunkelheit zurückweichen." ‡Mehr nicht?" fragte Ela. Gilda winkte ab. ‡Es wäre zu kompliziert, euch alles zu erklären. Wir glauben eben an die alten Religionen aus heidnischer Zeit. Diese Steine, das beweisen Funde, sind früher schon ein Treffpunkt gewesen. Für die Menschen damals waren sie eine Opferstätte. Sie hatten sich noch mit der Mutter Erde, den Gestirnen und der gesamten Natur verbunden gefühlt." ‡Was wurde denn geopfert?" fragte Turbo. -76-
‡Früchte des Feldes, zum Beispiel." ‡Das Erntedankfest hat auch einen heidnischen Ursprung", warf Ela ein. ‡Genau." Gilda nickte ihr zu. ‡Und was bedeuten die Steine noch?" Diesmal gab Susanne die Antwort. Sie hatte ein Bein angezogen und die Hacke auf die Sitzkante des Stuhls gestellt. ‡Die Steine sind auch Kraftspender. Sie nehmen tagsüber das Licht der Sonne auf und strahlen die Wärme bei Dunkelheit wieder ab. Ihr glaubt gar nicht, wie toll es ist, wenn die Nacht dem Tag weichen muß und der erste Sonnenstrahl auf die Steine fällt. Es gibt da einen bestimmten Ort, wo ihr ein Loch in den Steinen finden könnt. Dort geht der erste Strahl der Sonne durch und trifft genau in die Mitte der Steine. Das ist einfach wunderbar", flüsterte sie, wobei ihr Blick etwas Verklärtes bekam. ‡Aber zuvor werden wir die Feuer anzünden und Tänze aufführen, so wie es unsere Vorfahren schon getan haben." ‡Müssen wir da mitmachen?" erkundigte sich Randy. ‡Nein, nein!" erwiderte Gilda schnell. ‡Aber was ist", fragte Turbo und hob seine Hand wie in der Schule, ‡wenn die beiden Kerle euch stören. Die lassen euch vielleicht nicht erst zum Tanzen kommen." Gilda lachte schillernd auf. Zahlreiche Augenpaare schauten sie an, auch die ihrer Freundinnen. ‡Ich will euch etwas sagen. Dann haben sie die Kraft der Heidehexen unterschätzt, das kann ich euch versichern. Wir sind stark, gemeinsam sind wir stark. Ich glaube nicht, daß man uns so leicht vertreiben kann." Gaby Fuchs hatte immer noch Bedenken. ‡Denkt daran, daß die beiden raffiniert sind. Auch unsere Bank ist gut bewacht, hat man wenigstens gesagt. Aber plötzlich waren sie da. Keiner weiß bisher, wie sie es geschafft haben." ‡Aber wir sind vorgewarnt", meinte Susanne und vertilgte den -77-
Rest des Pflaumenkuchens. ‡Ihr könnt auch hier im Heidekrug bleiben, wenn es euch zu gefährlich wird", schlug Gilda vor. Die Freunde bekamen große Augen. ‡Was hast du gesagt?" Turbo lachte. ‡Nein, das ist was für uns. Außerdem wollen wir Gaby helfen. Stimmt's?" ‡Richtig." Sie war etwas verlegen. ‡Vielleicht sollte ich euch noch sagen, daß eine Belohnung auf die Ergreifung der Täter ausgesetzt ist. Das läßt sich doch hören, wie?" ‡Und ob." Randy rieb seine Hände. ‡Ich wollte schon immer mein Taschengeld aufbessern." ‡Wie hoch ist sie denn?" fragte Turbo. ‡Fünftausend, glaube ich." ‡Nicht schlecht." Ela hatte Einwände. ‡Man soll das Fell des Hasen nicht vor
dem Schuß schon verteilen", sagte sie. ‡Kennt ihr das Sprichwort nicht?" ‡Schon, aber..." ‡Kein aber, Randy. Du mußt außerdem damit rechnen -" Jetzt senkte sie die Stimme, ‡daß die beiden Kerle bewaffnet sind. Das waren sie jedenfalls in der Bank." Die Freunde schwiegen. Selbst Susanne und Gilda gaben keinen Kommentar, bis Randy seinen Stuhl zurückschob und sie fragte: ‡ Wann wollt ihr aufbrechen?" ‡Sobald die Dämmerung eintritt." ‡Dann zündet ihr die Feuer an?" ‡Wir machen einen Fackelmarsch", erklärte Susanne. ‡Es soll die Nacht des Lichts werden. Und jeder wird wissen, daß die Heidehexen kommen. So nämlich nennen wir uns." Randy lachte etwas verlegen. Das kam ihm doch komisch vor. ‡Wir brauchen ja nicht gemeinsam loszuziehen, oder wie sehe -78-
ich das?" ‡Bestimmt nicht." ‡Gut, dann werde ich auf mein Zimmer gehen." ‡Und was willst du da?" fragte Ela. ‡Duschen. Ich bin es gewohnt, sauber in den Kampf zu ziehen." ‡Uaahh", stöhnte Ela. ‡Seit wann das denn?"
‡Schon immer." Turbo stand ebenfalls auf. Da wollte auch Ela Schröder nicht
nachstehen, und erst recht nicht Gaby Fuchs. Sie beugte sich noch einmal vor. ‡Wir sehen uns dann später." ‡Klar." Gilda lachte sie an. Zum Lachen war dem Schloß-Trio nicht zumute. An der Rezeption fragte Gaby: ‡Wäre es nicht besser, wenn wir die Polizei anrufen?" Sie erntete als Antwort zunächst einmal Schweigen. ‡Und dann?" fragte Ela. ‡Könnte sie doch den Fall übernehmen." ‡Dafür wäre ich auch", meinte Randy. ‡Aber", fügte er mit gedehnter Stimme hinzu, ‡da gibt es trotzdem ein Problem, finde ich." ‡Welches?" ‡Was ist, wenn sich Gaby geirrt hat?" ‡Ja, was ist dann?" fragte auch Turbo. ‡Dann ist Hängen im Schacht", gab Randy sich selbst die Antwort. ‡Dann sind wir die Blamierten." Ela nickte. Gab sah die Blicke der Freunde auf sich gerichtet. Sie zuckte zögernd mit den Achseln. ‡Ich habe sie nur anhand des Augenpaars erkannt. Ob das ein Beweis ist, weiß ich nicht." -79-
‡Kaum", meinte Randy. ‡Also lassen wir die Polizei", faßte Turbo die Diskussion zusammen. ‡Gehen wir nach oben, duschen uns und..." Ein leises Winseln ließ ihn verstummen. Es war aus einem Nebenraum gekommen, wo die Küche der Hansens lag. Sie hörten auch die Stimme von Marga Hansen. ‡Ja, ist schon gut, mein Lieber. Du bekommst zu trinken." Durch den Türspalt drang das Hecheln und Schlecken eines Hundes. ‡Der hat aber Durst", sagte Turbo. ‡Und er ist mit Wasser zufrieden, im Gegensatz zu dir. Du willst immer was Teures." ‡Steht mir auch zu." ‡Ach ja?" fragte Frau Hansen, die in diesem Augenblick die Halle betrat. ‡Haben Sie einen Hund, Frau Hansen?" fragte Randy neugierig. ‡Nein." ‡Da hat doch..." ‡Richtig, Junge, nur ist es nicht unser Hund. Er gehört Förster Ewald." Ela pfiff durch die Zähne. ‡Ist der auch hier?" Frau Hansens Gesicht verschloß sich. ‡Seltsamerweise nicht, der Hund ist allein gekommen." Ihren Worten folgte ein betretenes Schweigen. Nach einer Weile fragte Randy: ‡Passiert das öfter?" ‡Eigentlich nie." ‡Dann ist ihm etwas passiert!" rief Ela. ‡Ich wollte gerade bei ihm anrufen", sagte Frau Hansen. Sie ging hinter die Rezeption, wo auch das Telefon stand. Gespannt schauten die Freunde zu, wie sie wählte, den Hörer an das Ohr preßte und ein enttäuschtes Gesicht zog, als sich -80-
nach dem achten Durchläuten noch immer niemand gemeldet hatte.
‡Er ist nicht da." Beinahe vorsichtig legte sie den Hörer auf. ‡Ohne seinen Hund?" flüsterte Ela. ‡Genau das ist das Problem", murmelte Frau Hansen. ‡Das habe ich bei ihm noch nie erlebt." ‡Wo könnte er denn sein?" Frau Hansen hob die Achseln. ‡Kinder, fragt mich was Leichteres. Ich will ja nicht den Hund in der Pfanne verrückt machen, aber ich finde das alles seltsam." Sie schaute ins Leere, ihre Stirn sorgenvoll zusammengezogen. ‡Ich glaube, ich muß meinen Mann holen." ‡Dazu besteht kein Grund", widersprach Randy. ‡Denn wir schauen nach", erklärte Ela. Frau Hansen strich sich über die Stirn. ‡Da wäre nett von euch. Ich habe gerade so viel zu tun. Also, das fände ich toll, wenn ihr nach unserem Förster schauen wollt. Sagt mir dann gleich Bescheid." ‡Das machen wir doch gern." Turbo lächelte mit blitzenden Zähnen hinter der Frau her. Als sie verschwunden war, wurde sein Gesicht ernst. ‡Steht nicht gut, wie?" ‡Ganz und gar nicht", murmelte Randy. -81-
Gaby Fuchs drängte nun. ‡Wenn wir hier noch lange herumstehen, ist das auch nichts." ‡Das werden wir auch nicht, Füchschen", antwortete Randy gönnerhaft. ‡Sag nicht immer so etwas." Ela reckte ihm angriffslustig ihr Kinn entgegen. ‡Du weißt, daß ich meinen Namen Möpschen auch nicht hören kann." ‡Ja, ja, schon gut, aber über euch beide habe ich nachgedacht." ‡Tatsächlich? Ist da auch etwas bei herausgekommen?" ‡Aber immer doch. Wir werden uns trennen. Turbo und ich fahren zu den Steinen. Ihr auch, aber ihr machte einen Umweg und schaut erst bei Förster Ewald vorbei." ‡Und warum?" ‡Um euch kundig zu machen." Ela überlegte. Nicht gerade begeistert wandte sie sich an Gaby. ‡Gefällt dir das?" ‡Weiß nicht." Randy sah seine Chancen sinken. ‡Wir treffen uns doch bei den Steinen. Ihr kommt nur etwas später an. Zusammen mit den -", jetzt grinste er breit, ‡- Heidehexen." Ela war nun einverstanden, stellte jedoch eine Bedingung. ‡Wir nehmen den Hund mit." Wie auf Kommando erschien Burschi aus der Küche. Er sprang um die Freunde herum. ‡Na bitte", sagte Ela. ‡Er ist sogar einverstanden und voll begeistert. Wann düsen wir ab?" ‡Sofort", entschied Randy. ‡Und das Duschen?" fragte Turbo. ‡Verschieben wir auf morgen früh." -82-
6. Die Suche Willi Bock hatte einen hochroten Kopf bekommen. Schon vergleichbar mit einer überreifen Tomate. So ähnlich fühlte er sich auch, denn er war dicht am Platzen. Der Schweiß lief ihm ebenso in Strömen vom Körper wie seinem Kumpan. Mit einer wütenden Bewegung rammte dieser an einer anderen Stelle den Spaten in den Boden. Er fluchte leise und ging um den hohen Stein herum, um mit Harry Hahn ein ernstes Wort zu reden. Noch stach die Sonne, auch wenn sie schon tief am Himmel stand. Die Luft flimmerte vor Hitze und dem Staub, den die beiden Männer durch ihre Graberei aufgewirbelt hatten. Will Bock bog um die Ecke. Er hätte Harrys Spaten eigentlich schon hören müssen. Statt dessen vernahm er schon von weitem ein anderes Geräusch, das bei ihm fast einen Tobsuchtsanfall auslöste. Schnarchen... Willi lief die letzten Schritte, sah Harry halb sitzend, halb liegend, den Spaten neben sich. Er hielt die Augen geschlossen, der Mund stand offen. Willi Bock schäumte vor Wut. Am liebsten hätte er die Schaufel gepackt und sie Harry über den Schädel gezogen. ‡Steh auf, Flattermann, du alter Penner. Los, verflucht..." brüllte er und stieß Hahn ein paarmal in die Seite. ‡Ha, ha, ha..." ‡Du sollst aufstehen, Penner!" ‡Ha, was ist denn?" Endlich öffnete Hahn die Augen. Er zwinkerte und war noch nicht bei sich. Willi erstickte beinahe an seiner Wut. ‡Dich sollte man selbst einbuddeln und braten lassen, verdammt noch mal. Bist du -83-
eigentlich wahnsinnig geworden?" Flattermann rieb seine Augen. ‡Wieso denn?" Bock bückte sich, stemmte seine Hände auf die Knie. ‡Das fragst du noch, du Idiot? Du sollst graben, verdammt! Graben sollst du! Hast du verstanden?"
‡Klar doch." ‡Dann steh auf!" ‡Warte doch, Willi, keine Panik. Ich war matschig, ich war sauer, ich war von der Rolle. Ich mußte mich mal kurz ausruhen. Die Beute läuft uns nicht weg." ‡Wie lange hast du hier gepennt?" ‡Ich habe vergessen, auf die Uhr zu schauen." -84-
Bock drehte sich auf der Stelle. ‡Er hat es vergessen!" schrie er gegen die Steine, die seine Stimme als Echo zurückwarfen. ‡Er hat es tatsächlich vergessen, dieser Hammel. Verflucht noch mal, was behältst du eigentlich, Flattermann?" ‡Die Nerven!" ‡Ja, ja, das habe ich gesehen. Liegt hier und schläft. Du hast sogar vergessen, wo du die Beute vergraben hast, nachdem wir uns trennten. Du hast mir damals erzählt, daß du dich in dieser komischen Gegend auskennst wie eine Heidschnucke persönlich. Und wo ist..." ‡Stimmt auch." ‡Wo ist dann das Geld, Idiot?" ‡Brüll doch nicht so herum. Ich habe es hier vergraben. Ich muß nur noch nachdenken." Harry Hahn stand mühsam auf, bevor sein Kumpan einen weiteren Anfall bekam und durchdrehte. ‡Man muß das alles locker sehen, meine ich." ‡Ja, Flattermann, ja. Ich sehe alles locker. Aber eines sage ich dir. Wenn wir bis Mitternacht die Beute nicht gefunden haben, geht es rund. Und zwar bei dir. Dann kannst du dir selbst dein Grab schaufeln, und ich schaue dabei zu." Flattermann grinste schief. ‡Willst du auf die Beute verzichten?" ‡Jawohl!" ‡Ich aber nicht." ‡Ist mir in diesem Fall egal." Harry Hahn schüttelte den Kopf, bückte sich und nahm seine Geräte auf. Rechts den Spaten, links die Schaufel. Dann schaute er in die Sonne und schniefte. ‡Es wird bald kühler werden, da macht die Arbeit mehr Spaß, Willi." ‡Vorausgesetzt, du erinnerst dich noch, wo du die Beute in der Erde vergraben hast." ‡Ich denke schon." -85-
Willi konnte nicht anders. Er schlug Hahn mit seiner Schaufel auf den Hintern. ‡Dann mach endlich!" Flattermann wurde sauer. ‡Wenn du das noch mal machst, schlage ich zurück." ‡Ist mir auch egal." ‡Du wirst dich wundern." ‡Ja, du auch." Nach einigen Minuten hatten sie sich wieder beruhigt. Zu ihrem Pech hatte Harry Hahn den Zettel mit der Zeichnung verloren. Er hatte alles aufgemalt, die Steine, den Platz, die Wege, und das Versteck der Beute hatte er mit einem Kreuz markiert. Den Verlust dieser Karte hatte er seinem Kumpan erst vor einer Stunde gestanden. ‡Nur immer mit der Ruhe", hatte er gesagt. ‡Wir finden es." Bisher hatten sie ohne Erfolg an verschiedenen Stellen gebuddelt. Nicht ein Geldschein war aufgetaucht, was Willi Bock langsam den Rest gab. Er war stinksauer. Da sagte Hahn etwas, das ihn noch mehr auf die Palme trieb. ‡Hoffentlich haben nicht andere die Beute entdeckt." Willi bekam einen starren Blick. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick explodieren. ‡Sollte das der Fall sein, dann... dann werde ich..." ‡War nur eine Möglichkeit." ‡Okay, Flattermann, okay. Rede nie mehr davon. Hast du gehört? Nie mehr diesen Unsinn." ‡Klar." ‡So, wo sollen wir weitermachen?"
Harry Hahn kratzte sich am Kopf. ‡Das ist natürlich nicht
leicht, wie du weißt. Ich würde vorschlagen, daß wir mal in die Mitte gehen." ‡Da wo die Aschenhaufen sind?" -86-
‡Genau." Willi trat dicht an seinen Kumpan heran. ‡Eine andere Frage. Kannst du dich endlich erinnern?" ‡Ich weiß nicht. Als ich hier war, sah alles anders aus. Und Nacht war es auch." ‡Das kann ich mir denken." Bock stieß Harry an. ‡Du gehst vor, dann werden wir sehen." ‡Ja, ja, ist gut." Sie sprachen kein Wort, während sie sich dem Kreis zwischen den Steinen näherten. Aber ein anderer hatte sie gehört. Als sie an den vorderen Steinen vorbeigingen, hörten sie die Stimme des Försters aus der Erdhöhle. ‡He, ihr beiden Hundesöhne, wie lange wollt ihr mich noch hier lassen?" ‡Bist du gebraten bist", erwiderte Bock bissig. ‡Wie schön, heiß ist es schon. Nur mag ich die Tierchen nicht, die auf meinem Körper herumkrabbeln." ‡Deine Schuld." ‡Wieso das denn?" ‡Du hättest eben nicht so neugierig sein sollen." Flattermann stieß Willi an, bevor er flüsterte: ‡Ob dieser Grünrock was weiß? Die schnüffeln doch überall herum." Willi dachte nach. Er schwitzte stark und wischte sich immer wieder über das Gesicht. ‡Die Idee ist nicht schlecht. Ich werde ihn fragen." Willi Bock ging vor der Höhle tief in die Hocke. ‡Mir würde es stinken, Grünrock, wenn ich da liegen müßte", rief er in den Eingang hinein. ‡Mir auch." ‡Du kannst dein Schicksal verbessern." Der Förster lachte. ‡Ich weiß, was ihr von mir wollt. Nur habe ich keine Ahnung, wo sich eure Beute befindet." -87-
Bock wurde blaß. ‡Du weißt davon?" ‡Zwangsläufig. Ihr habt erstens laut gesprochen, und zweitens herrscht zwischen den Steinen eine besondere Akustik, die den Klang eurer Stimmen noch verstärkt." Bock schnellte hoch und starrte Flattermann an. ‡Du bist Schuld. Du hast zu laut gesprochen." ‡Wer fluchte denn immer?"
Willi winkte wütend ab und wandte sich wieder dem
Gefangenen zu. ‡Wenn du schon so schlau bist, würde es mich interessieren, ob du weißt, wo sich die Beute befindet?" ‡Ich habe das Geld nicht." ‡Klar, Grünrock. Wir können uns allerdings vorstellen, daß du hier schon herumgesucht hast." ‡Leider nicht." ‡Wir werden dich später noch mal fragen, Förster. Überlege dir deine Antwort jetzt schon." ‡Da gibt es nichts zu überlegen." Ewald hustete. Staub war in seine Kehle gedrungen. ‡Aber ich will euch etwas sagen, obwohl ich es eigentlich nicht tun sollte." ‡Da sind wir aber gespannt." ‡So einsam wie es hier aussieht, ist es oft genug nicht. Die Steine dienen im Sommer als Treffpunkt für eine Gruppe von Frauen, die hier ihre nächtlichen Feste feiern." ‡Schon wieder dieses Gequassel von den Frauen." Harry lachte höhnisch. Auch Bock zog ein dummes Gesicht. ‡Überrascht, wie?" klang es aus der Höhle. ‡Etwas", gab Willi zu. ‡Und was heißt das alles?" ‡Wie gesagt, die Frauen treffen sich hier, zünden Feuer an und tanzen die Nacht über. Es sind übrigens die Heidehexen, und ihr solltet euch vor ihnen in acht nehmen." Harry fing an zu kichern. ‡Heidehexen, ich werd' nicht mehr. -88-
Das kann nicht wahr sein." ‡Schnauze, Flattermann." Bock zog die Nase hoch. ‡Erzähle ruhig weiter, Förster." ‡Da gibt es nicht viel zu sagen. Ich habe gehört, daß die Heidehexen wieder im Lande sind. Sie haben sich im Heidekrug einquartiert. Da sind sie gut aufgehoben." Klatschend schlug Hahn gegen seine breite Stirn. ‡Natürlich, die haben wir doch gesehen!" zischte er. Bock nickte nur. ‡Kennst du die Weiber?" ‡Nein, aber ich weiß, wann sie ihre Feste feiern. Die Feuer leuchten weit durch die Dunkelheit. Ich glaube, daß sie auch diese Nacht ein solches Fest planen. Deshalb kann ich mir vorstellen, daß wir gleich Besuch bekommen." Willi Bock umklammerte den Spatenstil so hart, daß die Knöchel hervortraten. ‡Wann kann das sein?" ‡Bei Anbruch der Dunkelheit. Wenn ihr die Beute vorher finden wollt, müßt ihr euch beeilen." ‡Er hat recht, verdammt!" flüsterte Harry Hahn. ‡Er hat ja so recht. Denk an die Asche und..." ‡Weiß ich selbst." ‡Was sagt ihr dazu?" fragte Ewald. Seine Stimme klang plötzlich ziemlich munter. Bock hatte sich entschieden. Zuvor aber zerzauste er vor Wut seine Frisur. ‡Wir werden sie kommen lassen, diese komischen Heidehexen. Und dann werden wir sie fragen." ‡Könnt ihr. Es sind nicht wenige." ‡Wir kommen schon zurecht." Willi strich grinsend mit der Handfläche über den Schaft der erbeuteten Flinte. ‡Die sollen nur kommen, wir sind auf sie vorbereitet." Flattermann nickte zu Willis Worten. ‡Dann wünsche ich euch viel Spaß. Das heißt, ich hätte einen -89-
Vorschlag zu machen." ‡Nein!" schrie Bock. ‡Doch." Ewald ließ sich nicht beirren. ‡Wie wäre es denn, wenn ihr mich hier herausholt, mir die Fesseln abnehmt und ich euch beim Suchen helfe. Na, ist das nicht gut?" Dieser Vorschlag hatte die beiden Ganoven total überrascht. Sie schauten sich an, als wären sie nicht mehr ganz von dieser Welt. Harry Hahn bewegte seine Hand kreisend vor Stirn und Augen. ‡Ist der noch ganz richtig im Kopf?" flüsterte er. ‡Weiß ich auch nicht." ‡Soll ich ihm das Maul stopfen?" ‡Nein, nein, laß mal. Wir haben ja seine Flinte." Ewald dauerte es mit der Antwort zu lange. ‡He, was ist denn? Drei Männer schaufeln schneller als zwei." ‡Nein!" schrie Bock. ‡Du bleibst in deinem Grab!" Flattermann setzte noch einen drauf: ‡Bis dich die Käfer fressen." ‡Die werden sich an mir den Magen verderben, schätze ich." ‡Abwarten." Die Sonne sank immer tiefer. Jetzt schickte sie ihre letzten Strahlen wie breite, blutige Speere über die Erde. Geheimnisvoll und fremd leuchtete die Heide auf. Alles wurde von diesem blutrotem Schein überlagert. Schatten entstanden, die wie Inseln auf dem flachen Gelände schwammen. Auch zwischen den hohen Steinen hatten sich die ersten Schatten gebildet. Die Stellen, die von den Sonnenstrahlen erwischt wurden, sahen aus, als würden sie in Flammen stehen. Eine ungewöhnliche Stille senkte sich über den Platz. Jedes Geräusch, jedes gesprochene Wort kam den beiden Ganoven doppelt so laut vor. ‡Du kannst schon die Taschenlampen aus dem Wagen holen!" -90-
sagte Willi Bock. ‡Es wird gleich dunkel." ‡Sollen wir nicht vorher weitergraben?" ‡Mach ich auch." ‡Wo denn?"
Willi Bock deutete in die Mitte der Steine. ‡Dort, wie gesagt."
‡Okay." Hahn reichte Willi seinen Spaten und die Schaufel. ‡Ich bin gleich wieder zurück." Bock schaute ihm nach, wie er den kleinen Hang hochkletterte, der nicht breiter war als eine gewöhnliche Böschung. Plötzlich hatte er ein merkwürdiges Gefühl. Sogar ein kalter Schauer kroch über seinen Rücken. Ihm war, als warteten die Steine nur darauf, sich auf ihn zu stürzen, um ihn unter sich zu begraben. Bock konnte sich nicht entsinnen, jemals solch ein Gefühl erlebt zu haben. Woran lag es nur? Möglicherweise an den Redereien des Försters. Was der alles von diesen Heidehexen geschwafelt hatte. Bock war keinesfalls ein Angsthase. Aber diese seltsamen Frauen...! Er kratzte sich verwirrt am Kopf. Er ging einige Schritte zur Seite. Dann schaute er in die Richtung, aus der er und Harry gekommen waren. Nichts war zu sehen. Flach, rötlich schimmernd und mit einigen dunklen Flecken versehen lag die Heide vor ihm. Sie erinnerte Willi an ein dunkelrotes Meer, genauso weit und unheimlich. Der Schauer auf seinem Rücken blieb. Auch dann noch, als er in den Kreis zwischen den Steinen ging, um endlich weiterzugraben. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Beute verschwunden war. Es sei denn, Harry hätte ihn geleimt und das Geld schon vor ihm abgeholt. Sollte das der Fall sein, konnte der Flattermann was erleben, das nahm er sich vor...
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7. Auf dem Kriegspfad Randy und Turbo hatten Räder mitgenommen. Den ganzen Weg zu Fuß - das wäre zu weit gewesen. Außerdem wollten sie noch vor der Dunkelheit am Ziel sein. Als sie abfuhren, hatten sie eine gewisse Unruhe bei den Frauen festgestellt. Die Heidehexen waren in der Gaststube geblieben und hatten dort einen Kreis gebildet. Sie hielten sich an den Händen gefaßt, als wollten sie sich auf irgendeine Sache einschwören. Mit einem gewöhnlichen Fahrrad wäre es sehr mühsam gewesen, durch das Gelände zu fahren. Hier gab es keine Wege, sie mußten querbeet fahren, und wieder einmal kamen ihnen die Mountain Bikes zugute. Die Luft hatte sich verändert. Es roch anders und die Hitze ließ etwas nach. Der Himmel explodierte an der Stelle, wo die Sonne versank, in einem dunklen Rot, das aus den breiten Schatten der Wolken hervorzustoßen schien. Auch waren alle Gräusche weit zu hören. Da sie selbst schwiegen, hörten sie hinter sich laute Stimmen. Sie hielten an und drehten sich um. Noch war das kleine Hotel zu erkennen, doch die Lichter brannten schon. Hinter den Fenstern schimmerte es hell, auch eine Außenleuchte warf ihren Schein vor die Haustür. ‡Das sind die Frauen", flüsterte Turbo. ‡Die machen sich jetzt auf den Weg." Randy blickte auf die Uhr. ‡Wann werden sie bei den Steinen sein?" ‡Wenn sie langsam gehen, in einer Stunde vielleicht?" ‡Ich weiß nicht so recht, Turbo. Die haben es bestimmt eiliger, um ihre Tänze aufzuführen." ‡Willst du zuschauen?" -92-
‡Mal sehen, wie es läuft." ‡Dann weiter." Trotz der einsetzenden Dämmerung sahen sie die Steine bereits von weitem. Die letzten waagerecht fallenden Strahlen tauchten die Spitzen in einen flammenden Schein. Die unteren Hälften lagen bereits im Dunkeln. Den Freunden war der Umschwung vom Tag zur Nacht sehr recht. So konnten sie sich ungesehen anschleichen. Beide Jungen traten kräftig in die Pedale. Je eher sie bei den Steinen waren, desto besser. Einmal brachte Turbo die Sprache auf die beiden Mädchen. ‡Ob die das Försterhaus schon erreicht haben?" ‡Das will ich hoffen." ‡Wieso?" ‡Die Sache mit Ewald macht mir Sorgen. Hoffentlich ist ihm nichts passiert." Turbo schielte von der Seite in Randys schweißnasses Gesicht. ‡Du hast dir doch bestimmt was gedacht, nicht?" ‡Habe ich auch. Ich kann mir vorstellen, daß die Kerle zu Ewald gegangen sind, ihn überwältigt und gefesselt haben." ‡Weshalb denn?" ‡Informationen. Ewald kennt sich hier aus. Ich rechne heute mit allem, das glaub mir mal." ‡Nun ja, wenn du meinst." ‡Und ob." Sie fuhren weiter über das holprige Gelände. Da sie die schmalen Sättel des Bikes nicht gewohnt waren, tat ihnen bald alles weh. Aber sie bissen die Zähne zusammen, schließlich wollten sie so schnell wie möglich an ihr Ziel kommen. Und das hob sich immer schärfer gegen den Horizont ab. Bereits jetzt konnten die Jungen etwas von der Wucht und der -93-
Größe dieser Steine erkennen. Sie wirkten wie geheimnisvolle Wächter, als achteten sie darauf, daß niemand die Natur zerstörte. Randy und Turbo ließen sich von dem Anblick gefangennehmen. Es war einfach schaurig schön, was da wie eine Theaterkulisse vor ihnen lag. Turbo war vorausgefahren. Plötzlich bremste er so hart ab, daß Randy fast auf ihn gefahren wäre. ‡Mann, kannst du nicht..." ‡Sei ruhig." Turbo stieg blitzschnell vom Rad und legte es auf die Erde. Dann duckte er sich und winkte Randy heftig, ebenfalls in Deckung zu gehen. Randy folgte ihm sofort und schaute nun wie Turbo angestrengt nach vorn. Eigentlich war nichts zu sehen, als eben die im letzten Sonnenlicht glühenden Steine. Aber die scharfen Augen des japanischen Jungen hatten trotzdem etwas entdeckt. Er hob langsam seinen rechten Arm und streckte den Zeigefinger aus. ‡Schau mal genau meinem Finger nach", sagte er leise. ‡Was ist denn?" ‡Mach es. Ich glaube, daß ich mich nicht getäuscht habe. Da ist etwas, Randy." ‡Steine." ‡Nicht nur. Ich sehe noch einen kantigen Gegenstand, der dort neben den Steinen steht." Randy konzentrierte sich jetzt stärker. Er mußte zugeben, daß sein Freund recht hatte. ‡Jetzt sehe ich es auch." Er schüttelte den Kopf. ‡Ein Stein ist das nicht. Auch kein kleiner." ‡Das meine ich doch." ‡Frage: Was ist es dann?" Turbo verzog die Lippen zu einem Lächeln. ‡Das kann ich dir genau sagen, mein Lieber. Ein Auto, ein Geländewagen." -94-
‡Und den kennen wir. Vor dem Hotel hat er gestanden." ‡Richtig. Unsere Freunde sind schon da." ‡Wenn Gaby recht hat, müßten sie bereits beim Graben sein. Hoffentlich haben die uns nicht gesehen!" Randy blickte sich verstohlen um. ‡Wahrscheinlich sind sie viel zu beschäftigt. Denn sie haben die Beute noch nicht gefunden, sonst wären sie schon weg", stellte Turbo fest. Randy nickte beifällig. ‡Das sehen wir uns mal näher an. Wir lassen die Bikes hier und schleichen uns an." ‡Aber nicht zu den Steinen", unterbrach ihn Turbo. ‡Ich schlage vor, daß wir uns zuerst den Wagen anschauen oder ihn als Deckung nehmen. Einwände?" ‡Nein, großer Winnetou." ‡So ähnlich komme ich mir auch vor. Wie auf dem Kriegspfad. Irgendwie macht es aber auch Spaß." ‡Hoffentlich bleibt es dabei. Wir dürfen die Kerle nicht unterschätzen, die haben schließlich eine Bank ausgeraubt." ‡Klar doch." Turbo richtete sich auf, blieb aber geduckt stehen und peilte noch einmal die Lage. Randy schaute zurück. Zuerst dachte er an eine Sinnestäuschung, nach wenigen Sekunden aber hatte er den großen dunklen Wurm erkannt, der durch die flache Landschaft kroch. ‡Das sind die Frauen", flüsterte er. ‡Mensch, Turbo, die Heidehexen kommen schon." ‡Ehrlich." ‡Ja, sieh selbst." ‡Nee, ich glaube dir. Komm, bis die bei den Steinen sind, müssen wir schon mehr wissen. Das dauert noch seine Zeit. Bei diesem komischen Licht verzerren die Entfernungen." -95-
Randy dachte an etwas anderes. ‡Ich bin ja nur gespannt, was passiert, wenn die Heidehexen mit den beiden Bankräubern zusammentreffen", sagte er und grinste unwillkürlich. ‡Die Frauen lassen sich nichts gefallen." ‡Glaube ich auch." Sie schlichen geduckt weiter. Die Dunkelheit nahm immer mehr zu. Längst war die Sonne verschwunden. Einige Wolken glühten noch rot an den Rändern. Der Wagen stand dort wie bestellt und nicht abgeholt. Niemand war zu sehen, aber dann hörten die beiden Jungen die Männer. Die Stimmen kamen aus dem Kreis zwischen den Steinen. Turbo nickte. ‡Das sind sie, Randy. Wir haben sie." ‡Zum Glück." Sie lauschten den Stimmen und hatten den Eindruck, daß die beiden heftig stritten. ‡Das macht die Sache nicht gerade einfacher, fürchte ich." Randy fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar. ‡Leider." ‡Bleibt es bei dem Plan?" ‡Klar doch, die paar Meter schaffen wir immer." Turbo huschte los, und Randy folgte ihm. Es dauerte nur Sekunden, dann kauerten sie sich vor der Kühlerschnauze des Geländewagens nieder. Zu den Steinen hin war ihre Deckung ausgezeichnet. ‡Bleib du hier!" wisperte Randy. ‡Ich schaue mich mal um." ‡Wo denn?" ‡Nur am Wagen." Er wartete Turbos Antwort nicht ab und war augenblicklich verschwunden. Randy verschmolz mit dem Schatten des abgestellten Fahrzeugs. Das Fahrerhaus war nicht abgeschlossen, aber der -96-
Schlüssel steckte nicht. Hinter den Sitzen befand sich die Ladefläche. Selbst bei diesem Licht erkannte Randy den lehmigen Dreck, der dort verstreut lag. Er sah noch eine alte Decke und eine Kühlbox, aber sonst fiel ihm nichts Verdächtiges auf. Auch kein Werkzeug, das man zum Graben benutzen konnte. Spaten und Schaufel hatten die Männer sicherlich mitgenommen. Randys Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Deshalb hörte er auch den leisen Pfiff sofort. Er kannte das Zeichen. Turbo hatte es ausgestoßen. Schnell, aber leise huschte er zu seinem Freund zurück, der sich neben das rechte Vorderrad geduckt hatte. ‡Was ist denn?" Turbo legte seinen Finger auf die Lippen. Dann schlängelte er sich unter den Wagen und streckte seine Hand hervor, mit der er den Freund nachzog. Kaum war Randy unter das Fahrzeug gekrochen, hörte er Schritte. Da kam jemand. Die Jungen lagen flach auf dem Bauch und hielten den Atem an. Wer immer es sein mochte, von ihm hatten sie nichts Gutes zu erwarten. Vorsichtig schauten sie in Richtung der Steine. Von dort näherte sich die Gestalt. An ihrem Umriß erkannten sie beide sofort den Knochigen. Der Mann hatte es offenbar nicht eilig. Er schlenderte heran und schien sich sehr sicher zu fühlen. Dann blieb er neben dem Wagen stehen. Nun sahen die Jungen nur seine Füße, die in festen Schuhen steckten. Als der Mann jetzt die Tür öffnete, fiel das Licht der Innenbeleuchtung nach draußen. Sie hörten ihn über sich herumwühlen und der Wagen geriet in leichte Schwingungen. Etwas löste sich und rieselte in Randys Nacken. Wahrscheinlich Dreck oder Rost. -97-
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Dann stieg der Mann wieder aus, hämmerte die Tür zu und murmelte etwas vor sich hin. Im nächsten Augenblick schraken die Jungen zusammen. Ein heller Kreis huschte über den Boden, zu dem sich noch ein zweiter gesellte. Der Knochige hatte Taschenlampen angeknipst. Die Herzen der Freunde schlugen schneller. Sie drückten sich selbst die Daumen, daß Hahn nicht auf die Idee kam, auch unter den Wagen zu leuchten. Zum Glück hatte er nur die Lampen ausprobieren wollen. Zufrieden schaltete er sie wieder aus und entfernte sich langsam. Randy und Turbo warteten bis seine Gestalt nicht mehr zu sehen war. Erst dann krochen sie unter ihrem Versteck hervor. Hinter dem Heck richteten sie sich auf. ‡Oh, das war knapp!" stöhnte Turbo leise. Randy nickte nur. Ihn beschäftigten andere Gedanken. ‡Ich frage mich nur, weshalb sie die Beute noch nicht gefunden haben, die sie hier vergruben. Das kann doch nicht so schwer sein." ‡Richtig!" flüsterte Turbo. ‡Jetzt, wo du es sagst, finde ich es auch komisch." ‡Hast du eine Erklärung?" ‡Nee, du?" ‡Woher denn?" ‡Jedenfalls werden sie weitersuchen, Turbo. Die Steine sind wie geschaffen, um sich zu verstecken, meine ich." ‡Und ob." Sie hörten wieder die Stimmen. Der Knochige hatte jetzt seinen Kumpan erreicht. Sie redeten laut miteinander und die ungewöhnliche Akustik in dieser Umgebung verstärkte den Klang. Turbo konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. ‡Das hört sich -99-
an, als hätten die beiden Ärger." ‡Ich wäre auch sauer, wenn ich noch graben müßte." ‡Okay, weiter." Bisher war alles gut gelaufen, dann aber passierte es. Es war Randy, der plötzlich aufschrie und nach vorn kippte. Turbo stoppte, wollte fragen, was los sei, als er es selbst sah. Randy war über ein am Boden liegendes Fahrrad gestolpert. Sein Fuß hatte sich im Rahmen verfangen, und als er stürzte, hatte er sich noch an der hochkant stehenden Lenkstange das Schienbein gestoßen. Er hockte auf dem Boden und rieb sein Bein. Gerade wollte er losschimpfen, als er bemerkte, wie Turbo den Finger auf die Lippen legte. Randy schluckte seinen Ärger. Sie blieben lauschend sitzen. Es konnte sein, daß die Bankräuber den Schrei gehört hatten. Aber es blieb alles wie vorher. ‡Wer ist denn so dämlich und legt sein Fahrrad mitten in die Heide?" flüsterte Randy. ‡Kann ich dir sagen." ‡Bitte." ‡Es war Ewald." Über das Rad hinweg starrte Randy seinen Freund an. ‡Du bist verrückt, Turbo." ‡Nein, heute ausnahmsweise nicht. Ich kenne doch den Drahtesel, der gehört Ewald." Turbo griff zu und hielt etwas hoch. ‡Das ist eine Hundeleine, mein Freund. Und weißt du, wem die gehört? Denk mal nach." ‡Brauch ich nicht. Burschi." ‡Eben." Randy faßte die Situation zusammen: ‡Ewald verschwunden,
Burschi kommt allein zu den Hansens. Frage: Wo steckt Ewald jetzt?" -100-
‡Weiß ich nicht. Jedenfalls nicht im Wagen hinter uns." ‡Ich könnte mir folgendes vorstellen", murmelte Randy. ‡Ist zwar nur eine Theorie, aber besser als nichts. Förster Ewald ist zu den Steinen gefahren und wurde von den Ganoven überrascht. Burschi konnte flüchten. Er rannte zu den Hansens, um irgendwie auf den Vorfall aufmerksam zu machen. Na, was sagst du dazu?" ‡Hört sich ganz gut an." ‡Meine ich auch." Randy fuhr fort: ‡Es steht für mich fest, daß diese Kerle keine
Zeugen gebrauchen können. Sie werden Ewald überwältigt und dann..." Er sprach nicht mehr weiter. ‡Jedenfalls werden wir ihn suchen!" sagte Turbo mit fest klingender Stimme. Daß sich derartige Schwierigkeiten vor ihnen auftürmen würden, damit hatten sie beide nicht gerechnet, aber es sollte noch schlimmer kommen. Als sie sich nun den Steinen näherten, hörten sie nicht nur die Stimmen der Männer, sondern auch noch andere Geräusche, als arbeite jemand mit Spaten und Schaufel. Dann hatten sie den ersten Stein erreicht und preßten sich gegen ihn. Er strahlte tatsächlich Wärme ab. Gerade wollten sie sich beraten, wie sie nun weitervorgehen sollten, als sich beide unwillkürlich umdrehten - und erstarrten. Hinter ihnen hatte sich einiges verändert.
Dort brannte die Heide!
‡Endlich!" stöhnte Gaby Fuchs, als sie und Ela den Platz vor dem Forsthaus erreicht hatten. Sie lehnten die Räder gegen die Hauswand und ließen Burschi laufen. Die Mädchen schwiegen. Langsam glitten ihre Blicke über die Front des Hauses und durch die nähere Umgebung. Was während des Tages so romantisch und lieblich gewirkt hatte, kam ihnen jetzt düster, drohend und unheimlich vor. -101-
Nirgendwo brannte ein Licht. Auch im Haus war es stockfinster. Der Himmel war schon fast schwarz. Von der untergehenden Sonne sah man nicht mehr als einen schwachen rötlichen Streifen am Horizont. Die Luft roch würzig, es war schwül und feucht. Die Tiere des Waldes waren erwacht, ließen sich aber nicht blicken. Die Mädchen hörten die Schreie der Nachtvögel, ein Rascheln und Knacken in den Zweigen und Ästen. ‡Richtig gespenstisch", hauchte Gaby. Sie schauderte kurz, als wäre ihr kalt. Ela nickte nur. Sie war zur Haustür gegangen und rüttelte an der Klinke. Verschlossen! Da kam Burschi wieder. Er schnüffelt, hopste über den Boden und bellte. Dann blieb er vor den Mädchen sitzen, rannte weg, blieb nach wenigen Metern wieder stehen und kam zurück. ‡Der will uns etwas zeigen", sagte Gaby. ‡Klar. Wahrscheinlich den Weg zu seinem Herrchen." Ela streckte den Arm aus. ‡Wenn ich mir die Richtung so ansehe, müßte es hier entlang zu den Steinen gehen." Gaby staunte nur. ‡Meinst du, daß sich Förster Ewald ebenfalls dort aufhält?" ‡Jetzt glaube ich es." ‡Aber warum?" Ela Schröder hob die Schultern. ‡Tut mir leid, das kann ich dir auch nicht sagen." Gaby wischte über ihr Gesicht. ‡Allmählich komme ich mir vor wie jemand, der immer nur raten kann." ‡Frag mich mal." ‡Wenn er also nicht hier ist, Ela, dann fahren wir Burschi eben nach und treffen alle bei den Steinen zusammen. Randy, Turbo, die Heidehexen, wir, der Förster und Burschi." -102-
‡Du hast zwei vergessen." Gaby schluckte. ‡Ja, verflixt, die Bankräuber. Vielleicht sind sie schon mit der Beute verschwunden." ‡Das werden wir ja sehen", meine Ela forsch und griff nach ihrem Rad. Burschi hatte es mitbekommen, daß die Mädchen fahren wollten. Er konnte es nicht erwarten, lief immer wieder vor, bellte leise, kam zurück und sprang an den Beinen der beiden hoch. Ela und Gaby streichelten ihn. ‡Ja, ja, ist schon gut, Burschi. Wir fahren, du bist der Beste, du bist immer unser Bester. Wirst uns zu Herrchen führen." Der Rauhhaardackel war außer sich. Er kläffte und wetzte davon. ‡Ich habe auch so einen kleinen Hund", sagte Ela. ‡Allerdings eine Hündin, sie heißt Biene." ‡Toll. Ich nicht." ‡Magst du denn Hunde?" ‡Ja, ich mag Tiere. Wir wohnen in einer Mietwohnung. Der Hausbesitzer ist dagegen, daß Tiere gehalten werden." Sie hob die Schultern. ‡Da kann man nichts machen." ‡Ja, das ist Pech." Das Forsthaus lag längst hinter ihnen, und bald würde sich der Wald lichten, durch den sie fuhren. Dahinter begann die Heide. ‡Wie fühlst du dich?" fragte Ela. ‡Nun ja, nicht besonders." ‡Angst?" ‡Ein bißchen. Ist schon komisch. Ich muß immer wieder an den Überfall denken. In den ersten Tagen danach war es besonders schlimm. Da habe ich nur von dem Überfall und den beiden Kerlen geträumt. Das war furchtbar. Ich habe kaum -103-
geschlafen." ‡Das kann ich mir denken. Mir wäre es nicht anders ergangen."
Ihre Unterhaltung brach ab; der holprige Weg verlangte ihre vollste Konzentration. Genau wie die Jungen saßen die Mädchen ebenfalls auf geländetauglichen Mountain Bikes auf ihrem Weg durch die Heide. Die Luft war etwas kühler geworden, und über das flache Gelände wehte ein leichter Wind. Noch konnten sie die Steine nicht erkennen, denn dort draußen war es inzwischen finster. Sie wußten aber trotzdem, wo die Steine lagen, denn aus deren Richtung blitzte mehr als einmal ein Licht auf. Als würde jemand mit einer eingeschalteten Taschenlampe hin- und herlaufen. Im Dunkeln war selbst die Flamme eines Streichholzes auch auf eine große -104-
Entfernung zu sehen. Burschi, der vorausjagte, kehrte immer wieder zurück, als wollte er sich davon überzeugen, daß ihm die Mädchen auch folgten. ‡Randy und Turbo werden sicherlich schon dort sein", meinte Gaby und atmete prustend. ‡Wobei wir nur hoffen können, daß sie den Typen nicht in die Arme gelaufen sind." ‡Das wäre schlimm." Wieder schwiegen sie und traten fest in die Pedale. Als Burschi diesmal zurückkam, war er verändert. Er knurrte, und es hörte sich böse an. Als er an Elas Beinen hochsprang, war sie gezwungen anzuhalten. Auch Gaby hatte gestoppt. Sie schob ihr Rad zurück, bis sie neben Ela stand. ‡Was hat er denn?" ‡Keine Ahnung. Vielleicht will er uns warnen." ‡Wovor denn?" Ela hob die Schultern. ‡Wir sind noch ziemlich weit entfernt. Ob er sein Herrchen gewittert hat?" ‡Sei mal still, Ela!" ‡Wie..." ‡Pssst!" Die Mädchen hielten sogar die Luft an. Sie lauschten angestrengt, und mit dem Wind drangen tatsächlich Geräusche zu ihnen herüber: leise, flüsternde Stimmen. Sie mußten ganz nah sein. Gaby wandte Ela ihr Gesicht zu. In der Dunkelheit wirkten ihre Augen übergroß und hell. ‡Weißt du, wer das sein kann?" ‡Jetzt ja. Die Heidehexen." ‡Genau. Die sind auf dem Weg zu den Steinen. Oje, das wird was geben, sage ich dir." -105-
Zunächst einmal gab es etwas anderes, womit auch keine von ihnen gerechnet hatte. Zuerst waren es nur einige kleine Flammen in der Nacht. Dann schossen diese mit fauchenden Geräuschen in die Höhe, wobei sie sieh in feurige Blumen verwandelten und die Köpfe der Frauen beleuchteten. Tatäschlich war die Gruppe nicht weit entfernt. ‡Das sind ja Fackeln!" flüsterte Gaby. ‡Mensch, die machen einen Fackelzug. Irgendwie finde ich das komisch, Ela." ‡Warum?" ‡Weiß nicht." ‡Hexen und Feuer, Gaby. Das paßt doch zusammen." ‡Heute noch?" ‡Heute wieder."
Sie hatten die Frauen nicht aus den Augen gelassen, die sich
erst in Bewegung setzten, als alle Fackeln entzündet waren. In einer Zweierreihe gingen sie wie bei einer Prozession weiter. ‡Das ist ein Ding!" flüsterte Ela. ‡Ich bin gespannt, wie unsere Bankräuber reagieren." Gaby Fuchs schluckte vor ihrer Antwort. ‡Bestimmt nicht freundlich. Ich habe nur Angst davor, daß sie anfangen zu schießen..."
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8. Hexentanz und Hexenfeuer Harry Hahn und sein Kumpan Willi Bock arbeiteten wie die Berserker. Der Schweiß drang ihnen aus allen Poren, aber sie gaben nicht auf. Abwechselnd hielt einer die Taschenlampen, der andere schaufelte. Flattermann stand bis zu den Knien in dem Loch, das sie bereits ausgehoben hatten. Im Takt flogen die Ladungen aus Sand und Lehm hoch, und ließen den Hügel rechts des Lochs wachsen. Bock schaute zu. Seine Hoffnungen schwanden mit jeder Sekunde. ‡Hör auf, Mann, hier ist nichts." Hahn ließ die Schaufel sinken. ‡Woher weißt du das?" ‡Gefühl." ‡Darauf kann man nichts geben." ‡Hast du dir wirklich die Mühe gemacht und die Beute so tief vergraben, Flattermann?" Gebückt stand Bock am Rand und schaute auf seinen Kumpel herab. ‡Na ja, so tief nicht." ‡Idiot! Warum sagst du das nicht gleich. Dann hätten wir hier nicht so lange zu graben brauchen." ‡Soll ich aufhören?" ‡Klar." Harry Hahn kletterte sofort aus dem Loch. Er klopfte hastig seine Jeans aus, schaute seinen Partner an und hob die Schultern. ‡Hast du einen Vorschlag, wo wir noch suchen sollen?" Willi Bock stand kurz vor dem Explodieren. Seine Hände schössen vor. Er packte Harry am Hemdkragen, daß der Mühe hatte, Luft zu bekommen. ‡Man sollte dir den Hals umdrehen, du Versager. Du warst es, der die Beute versteckt hat. Ich habe -107-
alles geplant, aber du hast den Zettel verloren. Ich will in den nächsten fünf Minuten wissen, wo du die Beute versteckt hast. Wenn nicht, wirst du was erleben." Er ließ Harry abrupt los, daß dieser zurücktaumelte. Flattermann verdrehte die Augen und faßte sich an den Hals. Keuchend fragte er: ‡Was... was denkst du denn, Willi?"
‡Daß du mich beschissen hast." ‡Hä?" ‡Ja, beschissen." Bock nickte heftig. ‡Du bist heimlich hierher gekommen und hast die Beute ausgegraben. Das nehme ich fast an. Jetzt versuchst du auf eine dummdreiste Art und -108-
Weise, mich hier über den Löffel zu barbieren." Er drohte ihm mit der Faust. ‡Eines sage ich dir, Flattermann. Nicht mit mir, nicht mit mir!" Harry Hahn war sehr blaß geworden. Seine Haut sah aus wie kaltes Hammelfett. ‡Aber Willi, das kannst du doch nicht im Ernst glauben. Nein, nicht mal im Spaß." ‡Und ob ich das glauben kann. Auf deine bauernschlaue Art und Weise traue ich dir nämlich alles zu. Für mich bist du eine ganz linke Zehe, verstehst du?" ‡Klar, aber..." ‡Kein aber. Die Zeit ist bald um. Überlege dir genau, was du sagst." ‡Soll ich schwören, daß ich die Beute nicht geholt habe?" Willi Bock schaute seinen Kumpel an, als wollte er ihm vor die Füße spucken. ‡Du und schwören. Daß ich nicht lache. Du weißt ja gar nicht, was das ist." Flattermann senkte den Kopf. ‡Ich kann nur immer sagen, daß ich es nicht mehr genau weiß." Bock sah noch eine winzige Chance. ‡Aber ungefähr weißt du es doch, oder?" ‡Schon. Das war hier irgendwo." Er zeichnete mit der rechten Hand einen Bogen. Willi blickte auf seine Uhr. ‡Du hast noch genau eine halbe Minute Zeit, dann will ich die Antwort wissen." Flattermann fing fast an zu heulen. Er wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber das Schicksal hatte seine Karten anders verteilt. Beide Männer wurden davon überrascht. Harry stand günstiger. Er konnte nicht nur an Willi vorbeischauen, sein Blick glitt auch an den Steinen vorbei ins Freie, wo plötzlich die Dunkelheit von zahlreichen Feuern zerrissen wurde, deren Flammen wie längliche Ballons durch die Luft wehten. -109-
Willi Bock hatte seine Drohung vergessen. Er drehte sich um und starrte aus weit geöffneten Augen in die Heide hinaus, wo die Fackeln rot und gelb zuckten, was wie ein unheimlicher Gruß aus der Geisterwelt wirkte. Der Knochige sprang über die Grube hinweg und blieb neben Willi stehen. ‡Was sagst du jetzt, Mann? Gibst du mir auch daran die Schuld?" ‡Nein, diesmal nicht." ‡Wer... wer kann das sein? Was sind das für Typen, die durch die Nacht schleichen? Wollen die an unsere Beute?" ‡Rede nicht so einen Mist." Willi beobachtete, wie sich die Prozession auf die Steine zubewegte. ‡Die haben lange Kleider oder Kutten an. Das sind die Frauen aus unserem Hotel. Ja, verdammt, das sind die komischen Weiber..." ‡Meinst du?" ‡Wenn ich es dir sage. Der Förster hat ja auch davon erzählt." ‡Weitergraben können wir ja nicht", sagte Harry. ‡Was machen wir jetzt? Weißt du was?" Bock sah ihn an. Mit seiner schmutzigen rechten Hand strich er sich durch die Frisur. ‡Wir sollten uns vorerst verziehen, Harry." ‡Du bist verrückt. Ich lasse doch die Beute nicht im Stich." ‡Davon hat keiner was gesagt. Wir ziehen uns nur zurück. Mal sehen, was sie machen." ‡Noch ein Feuer." ‡Woher weißt du das denn, Schlauberger?" ‡Hier lag doch dieser Aschehaufen. Das ist bestimmt ihr Sammelplatz." ‡Kann sein." Der Fackelzug war mittlerweile näher gekommen. Es sah unheimlich aus, wie das zuckende Licht über die -110-
Kuttengestalten tanzte. Einige Frauen trugen etwas auf dem Rücken, vielleicht einen Rucksack oder einen Korb. Nur noch wenige Schritte waren die Frauen von den ersten Steinen entfernt, als Willi seinen Kumpan anstieß. ‡Los, weg jetzt." ‡Wohin denn?" ‡Komm schon, frag nicht lange."
Die beiden Bankräuber tauchten unter, als hätte es sie nie gegeben. Aber sie waren noch da, und das sollten auch die anderen zu spüren bekommen. Ahnungslos fingen jetzt die Frauen zu singen an. Sie hatten den ersten Stein erreicht... Diesen Gesang hörten auch Randy und Turbo. Sie kannten -111-
den Text, dennoch hörte es sich unheimlich an hier in der Nacht. Die Jungen hockten so, daß sie von den Frauen nicht gesehen werden konnten. Sie hatten miterlebt, wie die Bankräuber nach ihrer Beute gegraben hatten, und schadenfroh gegrinst, als sie feststellten, daß die Kerle nichts fanden. Jetzt waren die Männer verschwunden. Und auch für Randy und Turbo wurde es Zeit. Der Platz, an dem sie hockten, war zu nahe. Randy deutete auf die Steine weiter hinten. ‡Los, da laufen wir hin." ‡Warum ausgerechnet..." ‡Weil uns dort noch das Gelände Deckung gibt. Ganz einfach." ‡Danke, Herr General!" Hastig richteten sie sich auf. In wenigen Sekunden würden sich die ersten Frauen ihrem Versteck so weit genähert haben, daß der Fackelschein es ausleuchten würde. Die Jungen wollten nicht schon jetzt entdeckt werden, denn das wäre auch den beiden Bankräubern nicht verborgen geblieben. Auf leisen Sohlen, geduckt und möglichst die Schatten ausnutzend, huschten sie weg. Sie liefen auf die andere Seite. Zunächst hinein in eine Mulde, in der sie sich niederkauerten, dann stellten sie sich in eine Lücke zwischen zwei schrägstehenden Steinen, die aussahen, als würden sie vom nächsten Orkan umgeworfen werden. Das Versteck war günstig. Von hier aus konnten die Jungen den Platz in der Mitte unter Kontrolle halten. Sie waren sicher, daß der Weg der Hexen dorthin führen würde. Und richtig! Die Hexen zogen durch die Mulde an den rechts und links stehenden Steinen vorüber. Sie hielten genau dort an, wo die beiden Bankräuber das Loch gegraben hatten. ‡Jetzt bin ich mal gespannt!" hauchte Turbo. -112-
Auch die Heidehexen waren von dem frisch gegrabenen Loch überrascht. Sie hatten einen Kreis darum gebildet und flüsterten miteinander. Schließlich übernahm Gilda das Kommando. Sie deutete auf die Grube. ‡Es spielt keine Rolle, was während unserer Abwesenheit geschehen ist, Freundinnen. Das ist unsere Nacht, wir haben lange darauf gewartet und werden das große Feuer lodern lassen, damit sich die Kraft der Steine verdoppelt. Werft Holz und Reisig in das Loch!" Das ließen sich jene Frauen, die Körbe und Rucksäcke trugen, nicht zweimal sagen. Sie traten dicht an den Rand der Grube und kippten ihre Behälter aus. ‡Jetzt geht es rund, sagte der Wellensittich, als er in den Ventilator flog", flüsterte Turbo. ‡Das ist ja wie im Märchen. Hexen, die um ein Feuer tanzen." ‡Noch tanzen sie nicht." ‡Warte ab, Randy." Lange brauchten sie nicht zu warten, denn die ersten Hände senkten sich, und die langen Feuerzungen der Fackeln begannen an dem Reisig und dem trockenen Holz zu lecken. Dann ertönten erste kleine Explosionen, als das trockene Holz Feuer fing. Sicherheitshalber traten die Frauen zurück. Gar bald fauchte eine gewaltige Flammensäule aus der Grube in die Höhe. Wer das Gesicht zu nahe an das Feuer brachte, mußte damit rechnen, seine Haare über der Stirn zu verbrennen. Die Heidehexen schlugen nun ihre Fackeln aus. Letzte Funken stoben noch zur Seite, dann brannte nur mehr das Hauptfeuer. Und das gab genügend Licht ab, um selbst die weitere Umgebung der Finsternis zu entreißen. Ein gespenstischer Reigen aus Licht und Schatten legte sich über die Gestalten der -113-
Frauen, machte ihre Gesichter zu unheimlichen Masken und die Augen zu glühenden Kohlestücken, wenn sich der rote Feuerschein in den Pupillen spiegelte. Das war die Nacht der Hexen. Ihr Feuer brannte, und sie traten noch dichter zusammen, streckten auf Gildas Anordnung hin die Arme aus und faßten sich an den Händen. Der Kreis füllte den Platz inmitten der Steine aus. Die Aufstellung der Heidehexen glich der eines Reigens, wie man ihn auch um einen Maibaum tanzt. Gerade als Randy etwas sagen wollte, erhob Gilda ihre Stimme und setzte zu einer kurzen Rede an. ‡Freundinnen, Heidehexen, Schwestern der Nacht, Frauen des Feuers. Das ist unsere Stunde. Wir haben uns hier versammelt, den mächtigen Naturgeistern den nötigen Respekt zu zollen, den sie schon vor Urzeiten bekommen haben. Wir haben euch nicht vergessen, ihr Geschöpfe der Jenseitswelten. Wir danken euch für die Kraft der Sonne, die auch uns stark macht. Wir danken euch für die Kraft der Steine, die mit dem alten Geist der Opfergaben gefüllt sind. Wir bitten euch, gebt auch uns die Weitsicht, die gerade die Menschen von heute so nötig haben." Turbo tippte an seine Stirn. ‡Sind die bescheuert?" fragte er. ‡Wieso?" ‡Das Gerede da." ‡Wäre für dich doch gut", flüsterte Randy. ‡Wie meinst du das denn?" ‡Das mit der Weitsicht. Die hat dir doch bisher gefehlt, meine ich." Turbo zog ein finsteres Gesicht und zeigte Randy die Faust. ‡Dafür werde ich mich schrecklich rächen", versprach er. ‡Ich zittere jetzt schon." Die Frauen hielten sich noch immer an den Händen, aber Gilda redete nicht mehr. Stille senkte sich über den Kreis. -114-
Dann stampfte Gilda mit dem rechten Fuß einmal auf den Boden: das Zeichen für den Tanz. Wie unter einem geheimen Kommando bewegten sich die Körper der Kuttenträgerinnen gleichzeitig. Noch blieben sie auf der Stelle stehen, wiegten sich nur im Rhythmus. Erst als Gilda einen Schritt nach links ging, folgten auch die anderen ihrem Beispiel. Das genau war der eigentliche Beginn des Tanzes. Plötzlich waren alle in Bewegung und hüpften um das große Feuer herum. Einmal mit dem rechten, dann mit dem linken Fuß stampften sie fest auf dem Boden auf. Hin und wieder gellten spitze Schreie in das Knistern und Fauchen der Flammen hinein. ‡Willst du noch länger hier zuschauen?" fragte Randy. ‡Eigentlich nicht." ‡Okay, ziehen wir uns zurück." Turbo wollte verschwinden, aber Randy hielt ihn am Arm fest. ‡Nicht so hastig." ‡Was ist denn jetzt wieder?" ‡Ich wollte dich nur daran erinnern, daß noch zwei Freunde von uns hier herumlaufen." ‡Keine Sorge, die habe ich nicht vergessen." Die Jungen krochen zurück. Sie hatten die Böschung kaum hinter sich und waren bei den vorderen Steinen angelangt, als sie plötzlich wie unter Peitschenhieben zusammenzuckten. Aus der Tiefe schwang ihnen eine flüsternde Stimme entgegen. ‡Holt mich hier aus dem Loch, ihr beiden..." Gesprochen hatte Ewald, der Förster! Förster Ewald hatte die Hölle hinter sich. Die Angst war vergangen. Er hatte gedacht, daß die beiden Bankräuber durchdrehen würden, so wütend waren sie gewesen. Dann aber hatte sich der Durst eingestellt. -115-
Früher hatte Ewald immer gelacht, wenn er den Spruch hörte, Durst sei schlimmer als Heimweh. Jetzt lachte er nicht mehr. Sein Mund war allmählich ausgetrocknet. Die Zunge war nur noch ein Lappen oder ein staubiger Fetzen, der seinen Mund verstopfte. Seine Kehle glich einem Reibeisen. Alles war furchtbar rauh. Er spürte jedes Staubkorn, das er schluckte. Und an seine gefüllte Feldflasche kam er nicht mit den gefesselten Händen. Er hatte nach einem glatten Stein Ausschau gehalten, um ihn in den Mund zu schieben. Wenn er an einem Stein lutschte, sorgte dieser für eine Aktivierung der Speicheldrüsen. Aber vergeblich, da war nichts in der Nähe seines Kopfes. Dann hatte er sich mit seinen Fesseln beschäftigt. Glücklicherweise war nur der Eingang der Höhle so niedrig. Unter dem Stein gestattete ihm eine Aushöhlung sogar eine sitzende Stellung, was ihm seine Lage sehr erleichterte. Hockend rutschte er zurück, bis er die Rückwand der Höhle in seinem Rücken spürte. Die Hände hatte man ihm ebenfalls auf dem Rücken gebunden, und Ewald versuchte, was er schon in zahlreichen Filmen gesehen hatte: seine Fesseln an der rauhen Rückwand aufzuscheuern. Bei den Filmhelden klappte das immer wunderbar. Dann schwenkte die Kamera auf das vor Anstrengung verzerrte Gesicht. Auch Ewalds Gesicht war verzerrt, aber nicht vor Anstrengung, sondern vor Schmerzen. Das rauhe Gestein hatte ihn nicht von seinen Fesseln befreit, dafür aber die Haut an den Gelenken aufgerissen, und die Wunden fingen natürlich an zu bluten. Der Förster fluchte in sich hinein. Er versuchte es trotz der Schmerzen weiter - ohne Erfolg. Dann wandte er sich den Fußfesseln zu. Mit den Händen waren die nicht zu erreichen, so drehte er die Füße hin und her, um die Fesseln zu lockern. Aber die verfluchten Stricke saßen -116-
einfach zu stramm. Willi war ein Experte. Zwischendurch behielt Ewald den Ausgang im Auge. Der Ausschnitt verdunkelte sich immer mehr, ein Zeichen dafür, daß es draußen Nacht wurde. Hin und wieder hatte er auch die Stimmen der beiden Ganoven gehört. Die schienen sich zu streiten. Auch gut, dachte sich Ewald, dann waren sie beschäftigt. Allmählich wurde ihm das Sitzen auf dem harten Boden zu unbequem. Deshalb änderte er hin und wieder seine Lage, rollte sich mal nach rechts, dann nach links, wieder zur anderen Seite, bis er plötzlich stutzte. Beim letzten Schwung war er weiter gerollt als zuvor. An seiner Hüfte hatte er einen harten Gegenstand gespürt. Ein Stein? Ewald konnte es nicht sehen, er mußte zunächst seine Haltung ändern. Er rollte in der Hocke nach vorn und hatte bald den harten Gegenstand im Rücken, so daß er mit seinen gefesselten Händen darüber hinwegstreichen konnte. Er tastete lange mit den Fingern, in denen sich kaum noch ein Gefühl befand. Trotzdem bekam er heraus, was sich hier befand. Es war ein Koffer. Da lag tatsächlich ein Koffer. Allerdings ein sehr schmaler. In solchen Dingern transportierte man Akten. Wem gehörte der Koffer? Ewald kam nicht mehr dazu, länger darüber nachzudenken. Andere Ereignisse lenkten ihn ab. Stockfinster war es geworden, und dann hörte er einen sehr fern klingenden Gesang. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Die nächsten Minuten wurden so spannend, daß der Förster seine fatale Lage vergaß und sich ausschließlich auf die Außengeräusche konzentrierte. Das Summern oder Singen nahm an Lautstärke zu. Ewald hörte nun, daß es Frauenstimmen waren. Da wußte er die Lösung. -117-
Die Heidehexen waren unterwegs, und damit stiegen auch die Chancen seiner Befreiung. Ewald arbeitete systematisch an seiner Entdeckung und Befreiung. Seine jetzige Position war genau falsch. Damit die Frauen seine Rufe hören konnten, mußte er seinen Kopf so dicht wie möglich an den Höhleneingang bringen. Erst dann konnte er schreien. Der Förster wälzte sich herum. Im Zeitlupentempo fiel er auf die rechte Seite, blieb dort für einen Moment liegen, bevor er sich etwas mehr Schwung gab und damit auf den Bauch rutschte. Die Stellung war gut. Er schaute jetzt genau in den Ausgang. Über seine staubtrockenen Lippen huschte ein Grinsen. Lange würde er in diesem verfluchten Gefängnis nicht mehr hocken, das stand für ihn fest. Und er bewegte sich weiter. Auf dem Bauch liegend robbte er dem Ausgang zu, die Beine leicht angezogen, mit den Knien abgestützt, keuchend, spuckend, weil immer wieder Staub in seinen Mund drang. Die Frauen sangen auch jetzt. Und noch etwas. Wenn er hinausschaute, sah er den Widerschein eines irgendwo flackernden Feuers. Zwar nur sehr schwach, dennoch erkennbar. Die beiden Ganoven hatten sich zweifellos dünn gemacht. Jetzt waren die Frauen auf dem Platz. Ewald schob sich noch weiter vor, bis sich sein Mund fast auf einer Höhe mit dem Ausgang befand. Sein Gesicht war von einem kalten Film aus Schweiß und Staub überzogen. Förster Ewald legte den Kopf schief, damit er besser aus der Öffnung peilen konnte. Viel war nicht zu erkennen. Der Erdboden, darauf der flackernde Widerschein des entfernten Feuers, dann Staub, der -118-
in kleinen Wolken hochwirbelte... Doch was war das? Zwei Paar Beine erschienen in seinem Blickfeld. Er hörte Stimmen. Jungenstimmen. Randy und Turbo! Diese beiden Teufelskerle, dachte er noch und sprach sie im nächsten Moment an... Turbo blieb stehen, als hätte man seine Schuhsohlen auf dem Boden festgeleimt. Randy rührte sich ebenfalls nicht. Sie schauten sich an, kratzten sich am Ohr und wagten kaum zu glauben, was sie gehört hatten. ‡War das Ewald?" wisperte Randy. ‡Ja, ich bin es, ihr beiden Tiger. Verflixt noch mal. Holt mich aus dem Loch!" ‡Wo steckst du denn?" fragte Randy verwirrt. ‡Unter dem Stein vor euch." ‡Erdrückt dich der nicht?" fragte Turbo, der froh war, den Förster gefunden zu haben. Auch Randy hatte einen Scherz auf den Lippen. ‡Klar, du kommst ins Krankenhaus. Zimmer drei bis fünfzehn." ‡Macht schon. Ich habe keine Lust mehr, Staub zu lecken." Randy kniete schon vor dem Loch. ‡Er ist es, Turbo. Er ist es, und er sieht aus wie ein Gespenst." ‡Hört auf mit euren Witzen. Habt ihr ein Messer?" ‡Warum?" ‡Weil ich gefesselt bin, Herr Ritter." ‡Ach du lieber Vater. Was haben sie denn alles mit dir angestellt?" Randy nickte Turbo zu. Gemeinsam gingen sie -119-
daran, den Gefesselten aus der Höhle zu zerren. ‡Vorsicht -Vorsicht, Freunde. Immer schön langsam. Reißt mir nicht die Klamotten entzwei." ‡Die kannst du sowieso wegwerfen!" keuchte Randy. Er hatte den Förster an der linken Schulter gepackt, während Turbo an der anderen Seite zog. So schafften sie es schließlich, den Mann aus der Höhle ins Freie zu zerren. ‡Ihr seid super." ‡Klar, wissen wir." Randy zog sein Taschenmesser. Er und Turbo knieten sich hin. Zwischen ihnen lag Ewald auf dem Bauch. Er keuchte schwer, schnappte nach Luft. Nicht nur im Gesicht klebte der Dreck, auch das Haar sah aus, als wäre es gepudert worden. Sie befreiten ihn gleichzeitig, denn auch Turbo hielt sein Taschenmesser in der Hand. Er säbelte an den Fußfesseln, während sich Randy um die Handgelenke kümmerte. Als er die blutigen Schrammen sah, fragte er Ewald danach. ‡Ganz einfach, Randy. Ich wollte die Helden im Film nachmachen. Die schaffen das immer, sich die Stricke an einer Felswand aufzureiben. Mir fehlt da wohl die Routine." Turbo hatte die Fußfesseln bereits durch trennt. Randy säbelte noch, bis auch die letzten Fasern zersprangen. Ewald rollte sich von allein herum. Die Jungen stützten ihn aber, als er sich hinsetzte und erst einmal seine Feldflasche an den Mund setzte. Er trank einige Schlucke, dann sagte er: ‡Stehen kann ich nicht, Freunde. Ich komme mir vor wie ein Kleinkind, das erst noch das Laufen lernen muß. In den Gelenken hat sich das Blut gestaut. Jetzt, wo es wieder freie Bahn hat, kribbelt es, als würden Ameisen durch meine Adern laufen." ‡Hast du denn schon einen Plan?" fragte Turbo. ‡Nein, noch nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was los ist." -120-
Ewald massierte seine Gelenke. ‡Erzählt mal. Ich kann mir denken, daß die Heidehexen gekommen sind." ‡Stimmt." Randy nickte. ‡Sie halten sich an den Händen und tanzen um ein Feuer." ‡Wie schön." ‡Aber da sind noch zwei." ‡Richtig, Turbo." Ewald nickte. ‡Meine ganz besonderen Freunde. Die waren fast so weit, um mir den Bart abzunehmen. -121-
Gebt mir noch eine Viertelstunde, dann packe ich sie." ‡Wir auch." ‡Nein!" Ewald wehrte entschieden ab. ‡Die tragen nicht nur ihre Pistolen bei sich, die haben mir auch meine Flinte gestohlen. Also haltet euch zurück." ‡Weißt du denn, wo sie sein könnten?" erkundigte sich Turbo. ‡Leider nicht." ‡Jedenfalls haben die Heidehexen sie bei ihrer Arbeit gestört", faßte Randy zusammen. ‡Die werden erst weitermachen, wenn sie wieder verschwunden sind." ‡Das glaube ich nicht!" erklang hinter ihnen eine heisere Stimme, der ein knappes Lachen folgte. ‡Bleibt nur sitzen, rührt euch nicht, mein Zeigefinger ist nervös." Randy und Turbo drehten trotz der Warnung den Kopf. Aus der Dunkelheit tauchte wie ein Gespenst Harry Hahn auf. Geduckt und schleichend, und bewaffnet...
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9. Harrys Alleingang Willi Bock sah noch immer aus, als wollte er seinem Kumpel jeden Augenblick an die Kehle springen und ihn würgen. Seine Augen blitzten vor Wut. Sie hockten hinter einem Stein und lauschten dem Singsang der tanzenden Heidehexen. Keiner wußte so recht, wie es weitergehen sollte. Willi starrte gegen den Himmel. ‡Wo, zum Teufel, ist die Beute, Flattermann?" Der hatte gerade in der Nase gebohrt, zog den Zeigefinger zurück und hob die Schultern. ‡Weiß ich doch nicht." ‡Ich traue dir nicht." ‡Deine Sache." Blitzschnell schlug Willi zu. Flattermann konnte nicht mehr rechtzeitig genug ausweichen. ‡Bist du verrückt, Willi?" ‡Ja, du machst mich verrückt. Noch eine so dämliche Antwort, und es ist vorbei." Harry stand auf. ‡Dann kann ich ja gehen." ‡Was?" ‡Ja, ich haue ab." ‡Und wohin?" Die Antwort war ein schepperndes Lachen. ‡Das werde ich dir gerade sagen." Flattermann stampfte mit dem Fuß auf. ‡Ich habe keine Lust mehr, überhaupt nicht. Außerdem habe ich es nicht nötig, mich von dir anstinken zu lassen. Ist das klar?" ‡Hast laut genug gesprochen." ‡Dann bleib du hier hocken." Willi Bock hatte es nicht so recht glauben wollen, aber
Flattermann war es ernst gewesen. Der ging tatsächlich, nutzte geschickt die hereinbrechende Dunkelheit aus und war bald aus -123-
seinem Blickfeld verschwunden. Erst jetzt ging Willi auf, was passiert war. Er schüttelte den Kopf, ballte die Hände zu Fäusten und hätte am liebsten vor Wut losgeschrien, doch er hielt sich zurück. Es gab schon genug Störungen. War Harry denn völlig durchgedreht? Kaum zu fassen. Da schlich der sich einfach davon, als hätte er die Nerven verloren. Willi Bock dachte die Sache noch einmal durch. Mochte Flattermann auch nicht der Schlaueste sein, eine gewisse Raffinesse besaß er schon. Womöglich steckte hinter all dem ein bestimmter Plan, den Harry schon länger ausgetüftelt hatte. Und da fiel Willi siedendheiß ein, daß Harry die Autoschlüssel bei sich hatte. Das brachte ihn nun wirklich auf die Beine. Wenn Harry dachte, er würde mit seinem Plan durchkommen, hatte er sich geschnitten. Immer mehr kam Willi zu der Überzeugung, daß Harry, dieser Hundesohn, genau wußte, wo sich die Beute befand. Reingelegt worden war er. Jawohl, reingelegt! Willi kochte vor Wut. Die Richtung, in die Harry verschwunden war, hatte er sich gemerkt. Die Heidehexen würden ihn nicht stören. Er peilte an zwei Steinen vorbei und warf einen Blick auf das Feuer, um das sie noch immer tanzten. Hin und wieder legten die Frauen Reisig nach, das augenblicklich Feuer fing und einen sprühenden Funkenregen in die Höhe schleuderte. Dann glühten die Tanzenden in einem noch röteren Schein auf. Zu den Frauen war Harry sicher nicht gelaufen. Eher hatte er einen Bogen geschlagen, um an das Fahrzeug zu kommen und damit zu fliehen. Mit oder ohne Beute, das war die Frage. ‡Ich kriege dich, Hundesohn!" flüsterte Willi. ‡Ich kriege dich. Darauf kannst du Gift nehmen..." Ein grinsender Totenschädel schälte sich aus der Dunkelheit -124-
heraus. Randy und Turbo fühlten sich wie in der Geisterbahn. Doch dann sahen sie die Waffe in der Hand des knochigen Mannes. Harry kicherte, als er stehenblieb. ‡Hallo, Grünrock, wieder frei?" ‡Ja, du Irrläufer!" ‡Halt ja deinen Mund!" ‡Was willst du?" Harry grinste noch immer. Dann deutete er mit seiner Waffe auf Randy Ritter. ‡Du wirst es tun!" ‡Was soll ich tun?" ‡In die Höhle kriechen." ‡Und dann?" ‡Holst du da etwas hervor, Freund. Zwei Dinge. Einen Aktenkoffer und eine Stofftasche. Beide habe ich darin versteckt." Er lachte über seinen guten Plan. ‡Und unser Freund, der Grünrock, hat nicht bemerkt, wie nahe er der Beute war." ‡Welcher Beute?" fragte Ewald. ‡Die stammt aus einem Bankraub", erklärte Turbo. ‡Hoi", sagte Flattermann. ‡Ihr seid ja auf dem laufenden. Wie kommt das denn?" ‡Schnellmerker."
Das Gesicht des Knochigen verzog sich vor Wut. ‡Das ist
kein Spaß mehr. Es geht um verdammt viel Kies. Wenn ihr Mist macht, werde ich schießen, darauf könnt ihr euch verlassen." ‡Ich gehe ja schon." ‡Das wollte ich dir auch geraten haben!" Randy hatte sich umgedreht. Dann legte er sich auf den Bauch und kroch in die Höhle, in der Ewald gelegen hatte. Er tastete den Boden ab, bis er die Gegenstände fand. Von draußen hörte er die anderen sprechen. Turbo war wieder -125-
sehr neugierig. Er fragte Harry, weshalb er und sein Kumpan erst so lange gegraben hatten. ‡Weil ich nicht mit Willi teilen mag. Mir steht die Beute zu. Ich hab sie hier versteckt." ‡Hat der sich so reinlegen lassen?" wollte Ewald wissen. Harry lachte. ‡Und wie. Es hat zwar gedauert, aber ich habe es geschafft. Dabei hat er immer gedacht, er wäre so schlau. Irrtum, ich bin der Bessere, auch wenn ich nicht so aussehe." ‡Das stimmt!" murmelte Turbo. ‡Was sagst du?" Harry wurde wieder wütend. Drohend ging er einen Schritt auf Turbo zu. Turbo hob abwehrend die Arme. ‡Nichts habe ich gesagt, gar nichts. Nur etwas laut gedacht." ‡Laß es demnächst sein!" Mittlerweile hatte Randy den Koffer und die Tasche gepackt und befand sich auf dem Rückweg. Er rollte sich auf den Rücken und robbte dem Ausgang zu. Mit den Händen zog er die Beute hinter sich her. Kaum schaute seine Füße aus dem Loch heraus, mußten Turbo und Ewald ihn herausziehen. Der Förster hatte kaum Kraft. ‡Los, schneller, holt ihn raus!" Harry keuchte vor Gier. ‡Hast du die Taschen?" Flattermann lachte. Er sprang hinter Turbo und Ewald herum wie ein Kastenteufel, konnte es nicht erwarten, atmete hechelnd und hätte fast vor Freude geschrien, als Randys Kopf erschien und wenig später die ausgestreckten Arme. Bevor sich Randy aufrichten konnte, war Harry bei ihm. Zuerst riß er ihm die Tasche weg, dann den Aktenkoffer. Dabei hielt er immer die Waffe auf die Freunde gerichtet. Es wäre sinnlos gewesen, ihn anzugreifen. Keiner bekam mit, daß der Gesang der Heidehexen verstummt -126-
war. ‡So", sagte Harry. ‡So..." In seiner Stimme schwang Triumph mit. ‡Was sollen wir denn deinem Kumpan sagen, wenn wir ihn sehen?" fragte Ewald. Die drei saßen immer noch am Boden vor der Höhle. Harry hatte sie erst gar nicht aufstehen lassen. ‡Sagt ihm... also sagt ihm..." Er kicherte. ‡Daß er mich am..." ‡Schon gut, Harry, schon gut." Ewald grinste ihn an, was Harry nervös machte. Er wollte nun weg. So schnell wie möglich. Er drehte sich um und lief davon. Drei Schritte oder auch vier. Dann erwischte es ihn knallhart. Er hatte nur einen Schatten gesehen, der auf ihn zusprang, dann hämmerte eine Faust gegen sein Kinn. In dem Schlag lag nicht nur die ganze Kraft, sondern auch all die Wut, die in Willi Bock steckte, der von seinem Kumpan betrogen worden war. ‡So!" rief Bock. Er schaute zu, wie Flattermann tatsächlich zum Flattermann wurde. Harry ruderte noch ein paarmal mit den Armen, schon reichlich flügellahm, dann stürzte er wie ein Stein zu Boden. ‡Uaa", stöhnte er noch und landete auf dem Rücken wie ein großer Käfer, die Arme und Beine ausgestreckt, den Blick leicht verglast. Nur die Taschen, die hielt er noch fest, ebenso wie die Waffe. Nicht nur für Harry Hahn war diese Wende überraschend gekommen, auch für Förster Ewald und die Freunde. Willi Bock hatte die Jagdflinte Ewalds, und er hielt noch eine Pistole in der linken Hand. Randy und Turbo hatten wie erstarrt zugesehen. Jetzt waren sie vom Regen in die Traufe gekommen. Willi Bock hatte sich gebückt, ohne dabei seine Gegner aus den Augen zu lassen, nahm erst den Aktenkoffer an sich und riß -127-
danach die Tasche aus Harrys Hand. Dessen Pistole hatte er schon eingesteckt. Bock freute sich diebisch. Als er sich aufrichtete, strahlte er über das ganze Gesicht. ‡Ja, Freunde, das war's dann wohl. Tut mir ja fast leid für euch. Aber so ist das nun mal im Leben. Jeder bekommt das, was ihm zusteht. Bei mir ist es eben die Beute. Ich habe die Angewohnheit, stets zu den Gewinnern zu gehören." ‡Sie kommen nicht weit!" hielt ihm Randy entgegen. ‡Die Polizei wird Sie jagen und stellen." ‡Die kann mich mal." Spöttisch deutete er in Richtung Feuer. ‡Ich will euch ja keine Ratschläge geben, aber geht hin und tanzt mit ihnen. Das ist gut gegen Frust. Ich jedenfalls bedanke mich für..." ‡He, Willi!" vom Erdboden her meldete sich Harry Hahn mit schwacher Stimme. Bock bekam fast einen Anfall. ‡Du Verräter, du Hundesohn! Was willst du noch?" Flattermann versuchte sich aufzurichten. Er streckte seinen Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf Willi. ‡Das war doch alles nicht so gemeint. Ehrlich nicht, Willi. Ein Scherz." ‡Tatsächlich?" ‡Klar doch." ‡Noch so eine..." ‡Nein, Willi, hör mal." Harry tastete über sein Kinn, das sich verfärbt haben mußte und sicherlich auch schmerzte. ‡Du hast mich nicht begriffen, Willi. Ich... ich wollte mit der Beute nicht die Fliege machen. Ich wollte sie nur holen und dich nicht länger auf die Folter spannen. Das ist alles." ‡Stimmt das auch, Harry?" ‡Ehrenwort!" Bock war sauer. ‡Du und dein Ehrenwort, Kumpel! Ich habe die ganze Zeit über zugehört. Ich lag in einem Versteck, ich -128-
bekam mit, wie du angegeben hast. Du hast mich reinlegen wollen, das hast du den komischen Tüten hier erzählt..." ‡Stimmt, Willi. Doch nur, weil ich sie täuschen wollte. In Wirklichkeit hatte ich etwas ganz anderes vor." ‡Ja, mit dem Geld verschwinden." ‡Nein, Willi." Harry wollte aufstehen, aber Bock fauchte ihn an, und da blieb er liegen. ‡Du kannst dich ja verdrücken, wenn du willst. Aber vorher gehe ich. Versuche nicht, nach mir zu suchen, Harry. Du würdest mich nicht finden, niemals." Bock ging bereits zurück, die Waffe auf den Förster und die Jungen gerichtet. Sie hatten darauf gehofft, daß es zu einer Abrechnung zwischen den Ganoven kommen würde, aber Harry war zu schwach. Willi Bock lachte noch einmal. Laut und triumphierend hallte sein Gelächter, dann war er versehwunden. Von dem Hexengesang war nichts mehr zu hören. Nur das Feuer loderte noch und breitete seinen schaurigen Glanz aus. Willi Bock fühlte sich als Sieger, als der große Triumphator. Doch es kam anders, ganz anders. Selbst Randy und Turbo hatten damit nicht mehr gerechnet...
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10. Burschi wird zum Tiger ‡Ich kann ihn nicht mehr halten, Ela!" flüsterte Gaby Fuchs. ‡Der will sich losreißen und..." ‡Noch ein paar Sekunden." ‡Kannst du mir nicht helfen?" fragte sie mit verzerrtem Gesicht. Ela rückte etwas näher an Gaby und griff nach Burschis Halsband. Sie lagen in guter Deckung. Eine kleine Mulde schützte sie vor den Blicken der anderen, die sie nicht zu früh sehen sollten. Sie hatten alles mitbekommen, denn den Mädchen war es gelungen, sich unbemerkt anzuschleichen. Die Fahrräder hatten sie irgendwo draußen auf den Boden gelegt, das Feuer war der beste Wegweiser gewesen, die Steine gaben eine hervorragende Deckung - nun hatten sie freie Sicht. Und sie erlebten mit, was dort vor sich ging. Wie zuerst Harry gewonnen hatte - wobei sie da um die Freunde zitterten - und der Ganove anschließend von dem anderen reingelegt wurde, den er selbst hatte reinlegen wollen. Sie waren bestimmt keine Freunde mehr. Gaby bekam Angst, als sie die Pistolen sah. Ela reagierte da cooler. Zwar haßte auch sie Waffen jeglicher Art, nur schaffte es das Schloß-Trio immer wieder, in die abenteuerlichsten und unmöglichsten Situationen zu gelangen. Da hatten Waffen leider schon oft eine Rolle gespielt. ‡Der schießt nicht!" hauchte Ela. ‡Dem geht es allein um die Beute. Das weiß ich." Als Gaby die neue Freundin anblickte, lag ein fiebriger Glanz in ihren Augen. ‡Und wenn er es schafft und mit der Beute verschwindet..." ‡Das glaube ich nicht." ‡Wieso denn?" -130-
Ela senkte den Blick und schaute auf Burschi. ‡Er ist unsere große Überraschung." ‡Meinst du das im Ernst?" rief Gaby erstaunt mit unterdrückter Stimme. ‡Klar doch." Ela räusperte sich leise. ‡Ich muß noch warten, bis er verschwinden will." Noch sprach Willi Bock mit seinem ehemaligen Kumpan. Ela schaute zu den Steinen hinüber. Die Heidehexen hatten ihre Plätze am Feuer verlassen und strategisch günstige Positionen eingenommen. Sie hielten sich in guter Deckung, hatten offenbar alles mitbekommen und handelten nun danach. ‡Das gibt was", flüsterte Ela. Sie merkte, daß auch bei ihr die Spannung mit jeder Sekunde stieg. ‡Was denn?" ‡Wirst du sehen!" Bisher hatte sie es gerade noch geschafft, Burschi unter Kontrolle zu halten. Das war jetzt nicht mehr möglich, denn der Hund wollte nun unbedingt zu seinem Herrchen. Er zerrte und zog, schlug mit den Hinterläufen gegen den Boden und gebärdete sich ganz wild. Da gab ihn Ela endlich frei. Burschi wetzte los. Er war schnell wie der Blitz, bellte nicht, jaulte nicht, so daß Willi Bock nichts merkte, als er noch immer rückwärts ging, um die anderen im Auge zu behalten. Auf einmal war Burschi da. ‡Ja, Burschi, faß!" Elas Stimme klang wie ein Peitschenschlag, und der Hund gehorchte. Immer wieder sprang er an den Beinen des völlig überraschten Willi Bock hoch. Er umklammerte dessen Waden, strampelte, biß, und Bock war auf einmal völlig von der Rolle. Er schrie auf, geriet ins Stolpern, fiel nach vorn, da schossen Randy und Turbo, die noch auf dem Boden hockten, zugleich in -131-
die Höhe. Ewald schaffte es nicht. Seine Beine waren noch zu schwach. Turbo war am schnellsten. Er unterlief die Waffe und schlug den Arm des Mannes hoch. Randy verpaßte ihm einen Schlag mit der Handkante, traf aber nicht richtig, denn sie rutschte am Kinn des Mannes ab. Bock wehrte sich wild und trat nach Burschi. Der Rauhhaardackel jaulte auf, als er durch die Wucht des Treffers über den Boden rutschte und sich überschlug. Nun reichte es Ela. ‡Dem Typ kratze ich die Augen aus!" rief sie und rannte los, gefolgt von Gaby Fuchs. Randy und Turbo kämpften hart mit dem Ganoven. Noch immer hatte er die Waffe in der Hand und benahm sich jetzt wie ein Irrer. Er schlug um sich und setzte dabei auch den Aktenkoffer ein, der einmal in Kopfhöhe durch die Luft sauste und mit seiner Kante Turbos Stirn erwischte. Turbo verlor die Übersicht. Er taumelte zur Seite, wischte Blut aus seinem Auge, das aus der Stirnwunde nach unten lief. ‡Ich mach euch fertig!" brüllte Willi Bock. ‡Ich mache euch alle fertig! Ich bin besser!" Er war nicht mehr zu halten. Randy konnte ihn nicht stoppen. Und da schoß Bock auch noch. Zum Glück nicht gezielt. Die Kugeln jagten in den Nachthimmel. Doch nun mußten die Freunde aufpassen. Burschi griff wieder an. Er raste aus seiner Deckung und sprang dem Flüchtenden zwischen die Beine. Dabei verbiß er sich in den dünnen Stoff der Hose. Bock fluchte wie ein Viehtreiber. Es gab für ihn nur eine Möglichkeit, den Hund loszuwerden. Einen gezielten Schuß! Er senkte die Waffe. Ela und Gaby bückten sich rasch, und dann flogen Steine. -132-
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Einer erwischte Willi Bock gleich am Kopf. Er stolperte nach vorn, wedelte mit den Armen durch die Luft und verlor dabei seine Waffe. Dann gab es nur noch eins für ihn. Mit gewaltigen Sprüngen raste er davon, und doch torkelte er, als hätte er zu viel getrunken. Ela und Gaby wollten ihn stellen. Das war die Chance! Da griffen die Heidehexen ein! Sie strömten aus ihren Verstecken und umzingelten ihn. Willi Bock sah sie viel zu spät. Als er die Falle erkannte, waren sie schon über ihm. Ein kreischender, schlagender Haufen. Die Frauen machten dem Namen Heidehexen alle Ehre. Bock hatte keine Chance. In dem Wirrwarr von Körpern ging er unter. Seine Beute hatte er längst loslassen müssen. Burschi war in Hochform. Laut kläffend umrundete er die Frauen, die den Bankräuber unter sich begraben hatten. Nach einer Weile kam Ordnung in den Haufen. Einige Frauen setzten sich auf Bock, so daß sie ihn regelrecht am Boden festnagelten. Gilda, die Anführerin, nahm den Koffer an sich. Susanne trug die Tasche. Ela und Gaby halfen dem Förster auf die Beine, während Turbo noch an einem Stein lehnte und sich den Kopf hielt. Alles war okay - oder? Nein, es gab noch Harry Hahn, genannt Flattermann. Als er glaubte, daß niemand auf ihn achtete, versuchte er, die Gunst der Stunde zu nutzen. Auf Händen und Füßen kroch er aus der unmittelbaren Nähe des Geschehens. Bevor er in der Dunkelheit untertauchte, war Randy Ritter da. Schnell warf er sich auf Harrys Beine und hielt den Gangster fest. Dessen Schrei alarmierte die anderen. Harry strampelte, -134-
streckte die Arme aus, fiel hin, und dann explodierte etwas an seiner Stirn. Ein Stein hatte seinem Kopf im Wege gelegen. Harry sah nur noch Sterne, die ebenso schnell vor seinen Augen zerplatzten, wie sie entstanden waren. Dann klinkte er aus und würde so schnell nicht wieder erwachen. ‡Geschafft!" rief Randy. Leicht schwankend sah er Turbo auf sich zukommen. ‡Das war vielleicht ein Kuß, sage ich dir." ‡Was willst du machen? Das Leben ist hart." ‡Klar, besonders in der Heide." Die kleine Heidehexe Gilda war die größte. Sie hielt die Taschen und fragte: ‡Wem soll ich sie denn jetzt geben?" Da gab es nur eine Antwort. Randy, Turbo und Ela riefen sie wie aus einem Mund. ‡Gaby Fuchs! Sie hat es verdient!" ‡Stimmt das, Gaby?" Füchschen hatte einen roten Kopf bekommen. Verlegen wischte sie über ihre Augen. ‡Ich... ich weiß nicht!" ‡Doch, du hast es verdient, Gaby!" Das Mädchen aus Hamburg wahrte sich nicht mehr, als Gilda ihr die Beute in die Hände drückte" Mangels Handschellen nahmen sie die Stricke, mit denen Förster Ewald gefesselt worden war. Zwar hatten Turbo und Randy sie zersäbelt, aber sie knoteten sie neu zusammen. Dann fesselten sie die beiden Bankräuber. Zuerst Willi Bock, der unter dem Gewicht der Frauen keuchte. Er wehrte sich nicht, als ihm die Hände zusammengebunden wurden. Er wäre fast an seiner Wut erstickt. ‡Tut mir ja richtig gut, dich einschnüren zu können!" sagte Turbo und zeigte ein breites Grinsen. ‡Hör auf, du..." -135-
‡Keine Drohungen, Meister, sonst werde ich zum Tier. Weißt du, wie das ist?" ‡Halt die Klappe." Randy kümmerte sich um den Bewußtlosen. Ihn mußten sie zum Wagen tragen, den Ewald fahren wollte. Einige Frauen quetschten sich zu den Gangstern auf die Ladefläche. Entwischen würden die beiden nicht mehr. Die Heidehexen paßten besser auf als Wachhunde. Burschi wich seinem Herrchen nicht von der Seite. Die Frauen löschten das Feuer und die Freunde sammelten ihre Fahrräder ein. Auf Ewalds Rad setzte sich eine der Heidehexen. Treffpunkt war das Fahrzeug der Gangster. Dann fuhren sie los. Ihr Ziel war der Heidekrug, wo die Hansens mehr als große Augen bekamen, als sie die Gruppe in den Hof fahren sahen. ‡Was ist denn mit euch passiert?" fragte Frau Hansen.
Randy winkte ab. ‡Das ist eine lange Geschichte."
‡Die wir Ihnen später erzählen", sagte Ela. ‡Denn vorher müssen wir die Polizei anrufen." Frau Hansen konnte nur den Kopf schütteln. ‡Und ich hatte immer gedacht, in der Heide hier würden wir ruhig und friedlich leben. Tja, wie man sich doch täuschen kann."
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11. Ein großer Tag für Gaby Das Schloß-Trio hatte nicht mit hineingehen wollen. Die drei Freunde warteten in einem Cafe gegenüber, das für sein Eis und seine Milchshakes berühmt war. Turbo hatte schon beides probiert und war immer noch nicht satt. Randy schüttelte den Kopf, als sich sein Freund noch einen Brombeer-Shake bestellte. ‡Sag mal, hast du Entzugserscheinungen?" ‡So ähnlich." ‡Das sehe ich." Ela nuckelte an ihrem Eiskakao. Sie sagte nichts, sondern
schielte nur auf das große Portal der Bank. Um nach Hamburg fahren zu können, hatte sie extra schulfrei bekommen. ‡Meine Güte, dauert das lange", beschwerte sie sich. ‡Was willst du? Ehrungen sind eben etwas besonderes und kommen nicht alle Tage vor." ‡Bist du auch schon geehrt worden, Randy?" ‡Nein." ‡Aber entehrt, wie?" ‡Halte dich da raus, Mädchen, sonst gibt es was vor die Rübe." ‡Ha, ha. Woher willst du denn die hundert Leibwächter holen, die das übernehmen?" ‡Sie kommen!" meldete Turbo. Gaby Fuchs war nicht allein. Flankiert von ihren Eltern verließ sie das Gebäude der Bank. ‡Oh, hat die einen roten Kopf bekommen!" rief Turbo. ‡Das ist ja irre." -137-
‡Ich möchte dich mal sehen, wenn dir so etwas widerfährt", sagte Ela. ‡Aber du kommst erst gar nicht in die Situation." Turbo deutete auf das Pflaster an seiner Stirn. ‡Ich bin eben nur der große Kämpfer in der Gruppe." Wenig später saß die Familie Fuchs bei ihnen am Tisch. Man sah den Eltern an, wie stolz sie auf ihre Tochter waren. Gaby allerdings machte einen ziemlich verlegenen Eindruck und wußte nicht so recht, was sie sagen sollte. ‡Wie war's denn?" fragte Ela. ‡Gut", murmelte Füchschen. ‡Mehr nicht?" ‡Nun ja." Frau Fuchs lächelte. ‡Es war schon toll, wirklich. Da kann man nichts anderes sagen. Sogar ihr Ausbilder, Herr Hanselmann, hat vor Rührung geweint." Da lachte Gaby. ‡Ausgerechnet der. Hanselmann ist so trocken, daß man ihn in der Pfeife rauchen kann. Außerdem habe ich mich nicht wohl gefühlt. Es war alles so steif und feierlich. Ihr hättet mitgehen sollen." ‡Den Ruhm solltest du kriegen", widersprach Randy. ‡Von der Belohnung bekommt ihr einen Teil ab", meinte Herr Fuchs und schob seine Brille hoch. ‡Sogar in die Zeitung komme ich", flüsterte Gaby und schüttelte den Kopf. ‡Auch ins Fernsehen?" fragte Ela. ‡Weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich ins Regionalprogramm. Das paßt mir alles nicht." ‡Möchtest du denn ein Eis?" fragte ihr Vater. ‡Auch nicht." ‡Was dann?" Gaby hob den Kopf und begann zu lächeln. ‡Wollt ihr das wirklich wissen?" -138-
‡Klar doch." ‡Ich will mit den dreien da vor mir, die so unverschämt grinsen, einen Stadtbummel machen. Eine Hafenrundfahrt, dann Fisch essen und..." ‡Genehmigt, alles genehmigt!" rief Herr Fuchs und winkte der Kellnerin, um zu zahlen. Da die Freunde aus Düsseldorf noch ein Wochenende in Hamburg dranhängen konnten, wurden es für sie drei unvergeßliche Tage...
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