Emotionspsychologie im Krankenhaus
Wolfgang Seidel
Emotionspsychologie im Krankenhaus Ein Leitfaden zur Überlebensku...
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Emotionspsychologie im Krankenhaus
Wolfgang Seidel
Emotionspsychologie im Krankenhaus Ein Leitfaden zur Überlebenskunst für Ärzte, Pflegende und Patienten
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media Springer.de Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 09
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Planung und Lektorat: Katharina Neuser-von Oettingen, Martina Mechler Herstellung: Detlef Mädje Umschlaggestaltung: wsp design Werbeagentur GmbH, Heidelberg Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg Druck und Bindung: Krips b.v., Meppel Printed in The Netherlands ISBN 978-3-8274-2033-6
Meinen früheren Kollegen und Mitarbeitern gewidmet, die immer wieder beispielhaft zeigten, wie viel Menschen geben können, die sich zum Ziel gesetzt haben, kranken Menschen zu helfen, aber auch allen Kranken in Mitgefühl und mit besten Wünschen
Vorwort Die Patientin schrieb beim Abschied auf den Beurteilungsbogen über den Klinikaufenthalt: „Es fällt trotz aller Fürsorge schwer, sich in seiner Hilflosigkeit wildfremden Menschen komplett anzuvertrauen“. Wir sollen und wollen möglichst den „ganzen Menschen“ behandeln, nicht nur kranke Organe. Das gelingt nicht immer, es gibt kein einfaches Rezept. Ich habe mich immer von den aktuellen Umständen leiten lassen und mein Verhalten nach bestem Wissen und Gewissen ausgerichtet. Jeder, der mit Kranken zu tun hat, wird auf diese Weise sein Bestes geben. Davon bin ich überzeugt. Warum schreibe ich dann dieses Buch? Weil ich auch überzeugt bin, dass das „Beste“ gelegentlich noch besser sein könnte. Fachlich, in seinem Spezialgebiet bildet sich jeder so gut weiter, wie er kann. Aber wer liest dann noch zusätzlich ein Lehrbuch der Psychologie oder einschlägige Fachzeitschriften, um dem ganzen Menschen gerecht werden zu können, um also dessen seelische Nöte sicherer zu erkennen und um sein eigenes Verhalten besser darauf abstimmen zu können? Erst seit ich im Ruhestand bin, kann ich das. Zugegeben, ich habe diese vielen Fachbücher mit den Augen des Klinikers gelesen, und ich möchte im Folgenden nur das diskutieren, was man nach meiner Erfahrung im Krankenhausalltag benötigt. Es gibt vieles Interessantes zu berichten. Auch will ich versuchen, es so schildern, dass man es sich leicht einprägen und sogleich nutzen kann.
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Vorwort
Es erwarte also keiner, dass ich aus meinen Leserinnen und Lesern perfekte Fachpsychologen machen möchte. Mit diesem Buch wende ich mich an alle, die sich um das Wohl der Patienten bemühen, auch an jene, die das noch lernen, also an Studenten, Praktikanten, Krankenpflegeschüler usw. Ich will ihnen eine Auswahl aus interessanten und nützlichen Grundlagen der Psychologie wie auch der Neurowissenschaften vortragen, die mit sozialer Kompetenz zu tun haben. Alle theoretischen Gedankengänge, die wir unternehmen, werden uns zurückführen in die Klinik, zu den dortigen Schwerpunkten und auch Schwachstellen der Kommunikation und des Verhaltens, so wie ich sie erlebt habe.
Kommunikation mit und ohne Worten Es wird viel vom Verhalten die Rede sein und sehr viel von Kommunikation. Sie ist die Basis jeglicher Betreuung von Kranken, aber auch eine Quelle von Problemen. Soweit die Verständigung mit Worten geschieht, können wir Defizite, Missverständnisse und Fehler erkennen. Wir können nachfragen, ob der andere alles verstanden hat, oder ob er noch zusätzliche Informationen benötigt. Aber wesentliche Anteile der menschlichen Kommunikation finden parallel zum gesprochenen Wort im Gefühlsbereich statt, meistens unbewusst, oft schwer nachvollziehbar, jedenfalls sehr vielfältig. Diese Kommunikation setzt das Erfassen der emotionalen Reaktionen des Gesprächspartners und die Beherrschung des eigenen Antriebs und der eigenen Gefühle voraus. Man schätzt, dass bis zu 90 Prozent der Informationen in einem Gespräch „nonverbal“, also mittels Körpersprache übertragen werden. Auf dieser Ebene wird die Stimmung aller Beteiligten gesteuert, werden Impulse gegeben, Wünsche und Hoffnungen geweckt, wird Vertrauen aufgebaut (oder zerstört), werden Pläne akzeptiert oder auch vereitelt. Hier findet das statt, was man sich als Behandlung des „ganzen Menschen“ wünscht. Die verständnisvolle, individuelle Begleitung und Führung des Kranken ist eine Kunst, die Führung der Mitarbeiter nicht weni-
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ger. Der Dilettant kann vieles falsch machen – natürlich in guter Absicht. Die resultierenden Verärgerungen oder Enttäuschungen können allenfalls mit viel zusätzlichem Zeitaufwand beigelegt werden. Wer kein Naturtalent ist, muss die Kunst lernen und verstehen. Eine gezielte Weiterbildung aller Mitarbeiter zahlt sich sicher aus. (In Seminaren helfe ich gerne mit.) Sie verbessert Arbeitsklima und Patientenzufriedenheit, letztlich sogar das Image des Krankenhauses, und das wird heute zu den bedeutenden Posten für dessen Wirtschaftlichkeit gezählt. Diese Patientenzufriedenheit hängt primär davon ab, ob überhaupt genügend Gelegenheit für die Kommunikation zur Verfügung steht. Vor zwei oder drei Jahrzehnten waren die Patienten noch mehr als doppelt so lange im Krankenhaus wie heute. Man hatte mehr Zeit für sie, konnte sie genauer kennenlernen und besser beeinflussen. Und man musste sie erst dann entlassen, wenn sie selbst das Gefühl hatten, genug Antworten auf ihre Fragen bekommen zu haben, um zu Hause wieder gut zurechtkommen zu können. Man erreichte dadurch größere Zufriedenheit mit der Behandlung als heute und eine wesentlich bessere psychologische Ausgangslage für die weitere Genesung.
Zeitdruck als Dauerzustand im Krankenhaus In der Zwischenzeit führten über 20 Spargesetze und -programme zu gewaltigen Veränderungen, zu Rationalisierungen und zu Einsparungen bis an den Rand der Rationierung. Die Rationierung von Gesundheitsleistungen wird von den Verantwortlichen zwar vehement bestritten. Aber Tatsache ist, dass die Zeit für menschliche Zuwendung, für die „sprechende Medizin“ im Krankenhaus durch Personalreduzierung so radikal eingeschränkt wurde, dass man durchaus von einem Mangel an Versorgung sprechen kann. Die Spargesetze mögen den Beitragszahlern geholfen haben – den Patienten half kein einziges, im Gegenteil.
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Vorwort
Die Zeit wird nicht nur knapp für Gespräche mit dem Kranken, für seine Aufklärung, seine Beruhigung usw. Auch für Beratung oder Informationsaustausch zwischen den Betreuenden wird Zeit benötigt, in komplizierten oder unklaren Fällen sogar sehr viel Zeit. Missverständnisse und andere Probleme dürften sich mit immer höherer Arbeitsdichte häufen, exponentiell sogar, wenn bei beginnender Hektik noch Nervosität und Gereiztheit hinzukommen. Aus eventueller Hektik im Krankenhaus erwachsen bekanntlich besonders bedauerliche weil vermeidbare Risiken für den Kranken. Wenn der Arzt wenig Zeit hat, nutzt er sie natürlich zunächst für das Wichtigste, also für die erkrankten Organe des Patienten, für ihre Diagnostik und Therapie. Leider absorbieren die dafür benötigten Geräte nicht nur direkt kostbare Zeit. Erfolg versprechend, wie sie sind, neigen sie dazu, die Sicht auf das Menschliche, auf den „ganzen Menschen“ zu verstellen. Sie verführen und zwingen uns, auf Daten, Kurven und Bilder zu schauen anstatt in das Gesicht und die Psyche des Patienten. Dass die Forderung des Gesetzgebers nach Transparenz, also nach Kontrolle in Form von externer Qualitätssicherung und Bürokratie zusätzliche kostbare Stunden verschlingt, brauche ich dem Leser nicht in Erinnerung zu rufen. Allerdings hat mancher Mitarbeiter heute auch ein anderes Verhältnis zur Arbeitszeit als die ältere Generation. Das behandelnde Team besteht nicht mehr nur aus Menschen, die sich aufopfern, sich dem Leidenden ganz widmen, Tag und Nacht für ihn da sind. Heute trifft der Kranke auf viele Helfer, denen zwar sehr wichtig ist, dass sie eine exzellente fachliche Arbeit verrichten, die aber auch auf eine pünktliche Ablösung gemäß dem minutengenauen Dienstplan Wert legen. Neben dem Job bietet ihnen das Leben schließlich noch andere wichtige Inhalte. Soweit der Kranke als „Kunde“ das Krankenhaus aufsucht, also gezielt mit einem klar umschriebenen Problem, das es zu „reparieren“ gilt, wird er dafür Verständnis haben, denn auch er wünscht ja vorrangig Lebensqualität. Er akzeptiert auch, dass das Personal, das ihn versorgt, fast täglich wechselt. Er mag es sogar
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interessant finden, dass er immer wieder andere Betreuende kennenlernt, bei denen er Zweitmeinungen zu seinen Problemen einholen kann. Aber: Schichtdienst und Teilzeitarbeit verursachen durch ständigen Wechsel der Ansprechpartner bedeutende Kommunikationsprobleme im klinischen Alltag. Es ist geradezu ein Gesetz: Je häufiger Informationen übergeben werden müssen, je größer also die Zahl der „Schnittstellen“ im Informationsfluss ist, desto höher steigt das Risiko für den Patienten. Und das Risiko wird gar noch durch Zeitnot und Eile potenziert. Ich weiß nicht nur, unter welchem Zeitdruck die Mitarbeiter im Krankenhaus ihre Aufgaben verrichten müssen, weil ich lange unter diesen Bedingungen gearbeitet habe. Ich weiß auch aus der Sicht der Arbeitgeber (heute als Stadtrat und im Aufsichtsrat einer KlinikumgGmbH), dass uns alle Gesundheitsreformen nur noch weiter voran zwingen werden auf dem Weg zur durchrationalisierten Dienstleistung. Und Besserung ist nicht in Sicht. Die Eckdaten der globalen Ökonomie und die Hochrechnungen für deren Zukunft im Allgemeinen und für gesundheitspolitische Perspektiven im Speziellen zeigen, dass für alle absehbare Zeit das Sparen und damit auch der Zeitmangel ein Charakteristikum der meisten Krankenhäuser bleiben wird. Diese bedauerliche Perspektive müssen wir akzeptieren. Aber wir dürfen nicht gleichgültig werden oder uns entmutigen lassen. Für die menschliche Umsorgung der Kranken gibt es noch große Chancen. Ich möchte alle Mitarbeiter im Krankenhaus zu einer optimistischeren Einstellung motivieren, möchte sie überzeugen, dass sie die verbleibende Zeit effektiver nutzen können. Wenn man die mentalen Hintergründe kennt, kann man es lernen: Den anderen möglichst konzentriert und richtig zu verstehen, ihn emotional zu unterstützen, auch wenn einem selbst nicht danach ist. Man kann lernen, typische Missverständnisse zu vermeiden und sich selbst möglichst kompetent zu verhalten, um die knappe Zeit gut auszunutzen, was mithilfe psychologischen Wissens und mit Verstand gelingen kann. Auch das kann man unter Rationalisierung verstehen: „Ratio“ bedeutet ja Verstand.
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Mithilfe der Neurowissenschaften effektiver kommunizieren Wir kommen damit zur Frage, wie man sich denn eine effektivere Taktik für die Nutzung der verbleibenden Zeit für zwischenmenschliche Kommunikation in der Klinik aneignen kann. Einerseits kann man einfach versuchen, das Verhalten jener Kolleginnen und Kollegen zu imitieren, die die Gabe haben, auch in der Eile noch von Herzen mitfühlend und hingebungsvoll zu wirken, die auch im größten Stress freundlich bleiben und auf die Gefühle und Intentionen anderer Rücksicht nehmen. Es diesen Vorbildern nachzumachen, klingt effektiver, als es in der riesigen Variationsbreite menschlicher Verhaltenskonstellationen tatsächlich ist. Einfache Rezepte, die es bereits gibt, können nur punktuell helfen. Andererseits kann man anstreben, zugrundeliegende Regeln für optimierte Verhaltensweisen aus der Fachliteratur der Psychologie und der Neurowissenschaften abzuleiten. Man hat dann den Vorteil, dort zusätzlich gesichertes Hintergrundwissen zu finden und somit nicht nur geschicktes Verhalten in Standardsituationen nachzuahmen, sondern dessen Ursachen und Mechanismen verstehen zu lernen und selbst auf dieser Basis aufzubauen. Auf das Verstehen dieser Regeln kommt es mir an. Dafür möchte ich Hilfestellung geben. Gezielt habe ich nach Wissen über jene unbewussten emotionalen Vorgänge gesucht. Lange bekannte Phänomene der Psychologie der Emotionen erfahren heute eine neue Deutung. Reaktionen werden durch die funktionelle Bildgebung plastischer und besser verständlich, neuropathologische Befunde beweisen die Relevanz wichtiger Tierversuche für den Menschen, und biochemische und neurophysiologische Daten erklären manche Zusammenhänge oder Unterschiede. Empirisch gefundene psychologische Gesetzmäßigkeiten muss man nun nicht mehr lediglich zur Kenntnis nehmen, sie werden vorstellbar als Schaltvorgänge im Netzwerk zwischen spezialisierten Gehirnzentren. Ihre lokale Verortung in diesem Organ ermöglicht uns, sich diese Funktionsabläufe räumlich vorzustellen und so die Zusammenhänge besser zu verstehen. Interessantes habe ich dabei
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gefunden, vieles, was ich sehr gerne während meiner Arbeit in der Klinik gewusst hätte. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, diesen Sachverhalt nun für meine Leserinnen und Leser interessant darzustellen.
Für den eiligen Leser Die verehrten Leserinnen mögen mir bitte nachsehen, dass ich meistens nur die männliche Form gewählt habe. Jegliche Missachtung weiblicher Fähigkeiten und Verdienste liegt mir wirklich fern. Aber auch die eilige Leserin, und mit solchen muss ich unter den zuvor geschilderten Bedingungen vermehrt rechnen, kann Texte, in denen ständig sowohl die männliche als auch die weibliche Form oder politisch korrekte Kombinationswörter (Stationsarzt/ärztin) aufgeführt werden, deutlich weniger flüssig lesen. Und da ich die praxisorientierte Denkweise dieser eiligen LeserInnen zu kennen meine, habe ich ferner das Literaturverzeichnis nur in Ausnahmefällen dazu benutzt, die Urheberschaft einzelner Befunde und Gedanken nachzuweisen. Statt dessen habe ich auf diejenigen Fundorte in Lehrbüchern oder übersichtlichen Zusammenfassungen verwiesen, in denen diese Probleme in einem größeren Zusammenhang und vertiefend dargestellt sind, als es mir im Rahmen dieses Buches sinnvoll erschien. Und für solche, die neugierig geworden sind, habe ich einige weiterführende Werke im Anhang kommentiert. Manche Leserin, mancher Leser mag vorrangig Wert auf Erkenntnisse für die Praxis legen und nicht die rechte Ruhe für das Durchdenken von theoretischen Exkursen haben. Diese habe ich daher z. T. in Fußnoten untergebracht. Übrigens sind alle Namen der Personen in den Beispielen frei erfunden. Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich hoffe, Sie können durch diese Einschränkungen die nötige Zeit erübrigen, um gelegentlich „nach innen“ zu kehren, und über das eine oder andere psychologische Tagesproblem, das im Folgenden angeschnitten wird, kurz nachzudenken. Vielleicht sehen Sie dann auch für sich selbst nützliche An-
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Vorwort
wendungen der heutigen Erkenntnisse über emotionale Kompetenz und zwischenmenschliche Beziehungen.
Danksagung Mein Dank gilt Herrn Professor Dr. Nils Birbaumer, Institut für medizinische Psychologie der Universität Tübingen, für die Durchsicht des Manuskripts und für wichtige Ratschläge, sodann Herrn Prof. Dr. Henrik Walter, Abteilung für Medizinische Psychologie des Zentrums für Nervenheilkunde der Universität Bonn, für die Beurteilung meiner Ausführungen. Besonders dankbar bin ich Frau Katharina Neuser-von Oettingen für manchen guten Rat bei der Konzeption des Buches und für ihre großzügige Unterstützung des Projektes. Die Eignung des Buches für die angesprochenen Zielgruppen haben zahlreiche Ärzte, Lehrkräfte der Pflegeschule, Schwestern und Pfleger anhand eines anonymen Fragebogens geprüft. Ihnen danke ich besonders, dass sie sich die Zeit genommen haben, allen voran Frau Franziska Wessels, Herrn Dr. Christoph Ehrensperger und Herrn Dr. Wolf Siebert, die mir auch wichtige Hinweise gegeben haben.
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen und Reaktionen 1
Bewertungssystem und Entscheidungen . . . . . . . . . . .
9
1.1 1.2
11
1.8
Individuelle Wertung aller Begriffe und Ereignisse . . . . . . . Emotionale Marker formen das innere Weltbild subjektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertehierarchien mit Hilfe emotionaler Marker . . . . . . . . Emotionale Marker bei Vorurteilen und Patientenaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Starke, ethisch motivierte Marker ermöglichen Altruismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertende Stimmungen: Das Körpergefühl. . . . . . . . . . . . Hintergrundgefühle: Das Krankheitsgefühl und das „gefühlte“ Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belastungsgefühl und Selbstwertgefühl. . . . . . . . . . . . . . . . .
2
Primäre und sekundäre Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.1 2.2 2.3
Gefühle dienen primär dem Überleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Sekundäre Gefühle für spezielle Situationen . . . . . . . . . . . . . 35 Alle Emotionen drücken auch Bewertungen aus . . . . . . . . . 37
1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
13 15 17 19 22 24 25
XVI
2.4 2.5
Inhalt
Leichte Angst motiviert, stärkere verursacht Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Die Gefühlssignale vom Mandelkern werden im Stirnhirn gedämpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3
Empathie – Sympathie – Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Unbewusste und ungewollte Körpersprache . . . . . . . . . . . . Die Empathie ist das „Sinnesorgan“ für die Gefühle . . . . . . Empathie funktioniert auch unbewusst . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen zur Sympathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . NLP: Ratschläge zur Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauen als emotionaler Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empathie in der Personalführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Emotionale Systeme als Organisationsprinzip . . . . . . 63
4.1 4.2
Kleine Entwicklungsgeschichte der emotionalen Gehirnfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Die zentrale Bedeutung des emotionalen Systems . . . . . . 68
5
Schmerz als Gefühl und der psychische Stress . . . . . 73
5.1 5.2 5.3
Der periphere und der zentrale Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . Psychisch ausgelöster Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederholter oder fortdauernder psychischer Stress macht krank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vielfacher Psychostress im Krankenhaus. . . . . . . . . . . . . . . Gefühle dienen der Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4 5.5
48 50 51 54 55 57 58
73 75 77 81 83
Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb 6
Stimmung als ungerichtete Motivation . . . . . . . . . . . . 89
6.1
Annahmen über den Erfolg entscheiden über die Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gute Stimmung als Belohnung für erfolgreiche Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelung der Emotionssignale im Frontalhirn . . . . . . . . . . Die Annahmen des Patienten sind für uns wichtig . . . . . . .
6.2 6.3 6.4
90 91 93 95
Inhalt
Wenn schwere Krankheit alle Annahmen durchkreuzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Gezielte psychologische Hilfe bei Behinderungen . . . . . . . 6.7 Ein Stimmungstief oder Stimmungshoch erzeugen . . . . . 6.8 Das Gewissen reagiert auf ethische Vorgaben der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Time Management und abendliche Stressprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Flow: Die konzentrierte Einstimmung erzeugt Wohlgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
6.5
7
96 98 100 101 104 105
Angeborene Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
7.1
Realisierung angeborener Bedürfnisse am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Positive Sekundäreffekte durch angeborene Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Variationsbreite angeborener Bedürfnisse . . . . . . . . 7.4 Gratifikation durch das Belohnungszentrum . . . . . . . . . . . 7.5 Die Hierarchie der angeborenen Bedürfnisse . . . . . . . . . . 7.6 Ausgeprägtes Dominanzstreben und Mobbing . . . . . . . . . 7.7 Menschliche Nähe und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8 Angeborene Bedürfnisse bei Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 Die Reduzierung der Bedürfnisse ist ein Schutzmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.10 Liste der angeborenen (manifesten) Bedürfnisse . . . . . . .
110 112 113 115 116 120 122 124 126 128
8
Attributionen, psychische Energie, Temperamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Kausalattributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Psychische Energie und die Ursachen des Denkens . . . . 137 Periodische Selbstaktivierungsprozesse im Gehirn . . . . . 138 Mentale Auslösung von Furcht und Angst . . . . . . . . . . . . . 139 Stufen des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Temperamente regeln Ausmaß und Charakter der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Das Temperament beeinflusst Aktivität und Erfolg. . . . . . 144 Der Verstand kann die Temperamente überspielen . . . . 146
8.7 8.8
XVIII
Inhalt
Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher 9
Die Leistungen der Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9
Die Intelligenz ist ein Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachliche Leitlinien und die Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . Intelligente Lösungen der Erfahrung hinzufügen . . . . . . . . Multiple Intelligenz nach Gardner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phylogenese der sozialen und der technischen Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operatoren der Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schrittweise Reifung komplizierter Hirnfunktionen . . Training bei der Reifung der menschlichen Intelligenz . . . Intelligenz nicht mit Kompetenz verwechseln. . . . . . . . . . .
10
Intrapersonale emotionale Kompetenz . . . . . . . . . . . . 169
10.1 Intelligenz bei Kindern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Selbstbeherrschung als Reaktionsmuster. . . . . . . . . . 10.3 Die emotionale Intelligenz wählt unter Reaktionsmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Intelligenz verwertet bewährte Erfahrungen . . . . . . . . . . . 10.5 Das Selbstbild als Baustein der intelligenten Reaktion . . 10.6 Selbstkritik, Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit . . . . . 10.7 Die Wertschätzung anderer begründet die soziale Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
154 156 158 159 161 162 163 165 166
170 172 175 176 177 178 181
Kommunikation und interpersonale emotionale Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
11.1 Menschenkenntnis ist eine Frage der emotionalen Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Intelligenter Einsatz der Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Intuition umfasst viel gefühlsmäßige Erfahrung . . . . . . . . . 11.4 Emotional intelligenter Umgang mit der Gruppe . . . . . . . . 11.5 Kontaktfreudigkeit und Anteilnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Mit Hilfe von Emotionen überreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Emotionale Intelligenz und Gesprächstaktik . . . . . . . . . . . . 11.8 Die Stimmung anderer beeinflussen: Lachen ist gesund . . . 11.9 Das Selbstwertgefühl richtig einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10 Menschliches Miteinander und Arbeitsklima . . . . . . . . . . . 11.11 Keine Antwort ist eine schlechte Antwort . . . . . . . . . . . . .
189 191 192 193 195 197 198 200 201 202 203
Inhalt
XIX
Teil IV: Anwendungen, Informationen 12
Placeboeffekte und Wunderheilungen . . . . . . . . . . . . 209
12.1 Die Sprache ermöglicht Informationen – und entsprechende Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 12.2 Den psychisch entstandenen Schmerz zentral bekämpfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 12.3 Das Placebo wirkt im Unbewussten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 12.4 Wundersame Heilungen von psychisch bedingten Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 12.5 Kleine Wunder an der Krankenhauspforte? . . . . . . . . . . . 218
13
Eigener Wille, Patientenwille, Verantwortung . . . . . 223
13.1 Emotionale Wertungen ermöglichen einen eigenen Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 13.2 Die Einwilligung des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 13.3 Verantwortung setzt ethische Entscheidungsfähigkeit voraus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
14
Lernen, Erfahrung, Angewohnheiten . . . . . . . . . . . . . . 233
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Ergebnisse der Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungen und Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angewohnheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinierendes Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Modelle der Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
234 237 240 241 243
15.1 Emotionen in den sechs Modellen der Psychologie . . . . . 248 15.2 Strukturelle Ebenen des biologischen Modells . . . . . . . . . . 251 15.3 Freud und die emotionale Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
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Schlussbetrachtung: Den ganzen Menschen betreuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
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Inhalt
Anhang Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Glossar: Definitionen und Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Einleitung
Es gibt Patienten, die sind überaus dankbar für ihre Betreuung und loben jede Maßnahme, das gute Essen und die lieben aufopferungswilligen Schwestern, und es gibt auf der gleichen Station Patienten, die sind über das unfreundliche Pflegepersonal unversöhnlich aufgebracht, die schimpfen über das eintönige Essen und den kalten Kaffee und über den hohen Preis fürs Fernsehen. Es gibt Krankenschwestern, die haben immer ein liebevolles Lächeln und oft einen aufmunternden Spruch für jeden Kranken und zeigen echte Teilnahme an seinen Sorgen, und es gibt Krankenschwestern, die immer erst beim zweiten Klingeln kommen, nur widerwillig Auskunft geben, und bei besonderen Bitten die „muss das jetzt sein?“-Miene aufsetzen. Es gibt Ärzte, die mit offenbar ehrlichem Interesse dem Kranken bei der Schilderung seiner vielen Beschwerden aufmerksam zuhören und dessen Tapferkeit und Gesundungswillen loben, und es gibt Ärzte, die tippen irgendwas in ihren Computer, während der Patient ihm seine Leiden und Befürchtungen anvertraut, schimpfen auf die eigenen Vorgesetzten und vertrösten die Angehörigen auf den nächsten Tag, weil ja so viel Wichtigeres zu erledigen ist. Es müht sich der eine Pförtner, den Fragenden alle gewünschten Informationen zu besorgen, gibt zusätzliche Ratschläge und lächelt sogar freundlich, wenn er genauestens den Weg beschreibt, und
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Einleitung
man sieht dem anderen Pförtner schon von weitem an, dass er sich für Auskünfte eigentlich nicht zuständig fühlt und jeden Fragesteller als Zumutung oder Belästigung empfindet. Warum reagieren alle im selben Krankenhaus so unterschiedlich? Sind es die Gene, die sie von den Eltern ererbt haben, oder sind sie vielleicht doch erst durch Einwirkungen der Umwelt, durch Lernen von guten oder weniger guten Lehrmeistern oder gar durch frühkindliche Traumen so geworden? Dass die Erbfaktoren von Vater oder Mutter eine Rolle spielen, ist unbestritten und wird uns in späteren Kapiteln, besonders aber in Teil 3, wenn wir die Intelligenz besprechen, beschäftigen. Was durch Gene festgelegt ist, kann man nicht verändern, sondern nur umgehen, kompensieren. Aber vieles von dem, was man irgendwie irgendwann gelernt hat, kann man „neu“ lernen, also anpassen, optimieren. Und das ist ein riesiges Potenzial, wie wir sehen werden. Keiner gleicht einem anderen bezüglich des Wissen, der Erinnerungen, des Denkens, des Fühlens und natürlich auch nicht in seinem Verhalten. Und dieses Verhalten interessiert uns hier besonders. Das Verhalten ist das Resultat aus vielen einwirkenden Faktoren, von denen jeder für sich allein die Einzigartigkeit des Individuums charakterisiert. Wir werden die wichtigsten besprechen: 1. Einzigartig ist jeder durch vielfältige Begabungen wie Seelenruhe oder Temperament, wie Mitgefühl und Sensibilität. Man erbt sie ähnlich wie eine herausragende Veranlagung für Musik oder für Zeichnen oder Sport, oder wie mancher die Fähigkeit hat, Zahlen oder Namen leichter zu behalten als der Durchschnitt. Jeder hat seine individuelle Palette der Begabungen in besonderer Mischung, Ausprägung und Qualität. 2. Alle unterscheiden sich durch die angeborenen Bedürfnisse (Kapitel 7) nach Ansehen, Sicherheit, Dominanz oder Sexualität; wenigstens ein Dutzend an der Zahl, die jeder in höchst individueller Präferenz und Ausprägung besitzt und dann infolge von ebenfalls individuell geprägten Auslösemechanismen gewissermaßen je nach Lust und Laune zur Wirkung kommen lässt. 3. Als Unterscheidungsmerkmal finden wir eine erhebliche Zahl von Feldern der Intelligenz, deren Strauß bei jedem andere Schwerpunkte, andere Blüten aufweist (Teil 3).
Einleitung
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4. Und die ganz persönliche Charakterisierung ist das Resultat der individuellen Erfahrungen, die kein Mensch in seinem Leben in gleicher Weise wie irgendein anderer macht, und die ihn entscheidend prägen. Keiner hat genau das Gleiche gelernt und erlebt wie ich, keiner reagiert darauf mit der gleichen emotionalen Struktur, keiner wertet es mit den gleichen mehr oder weniger intelligenten Fähigkeiten aus, keiner kann Daten und Erfahrungen in gleicher Zusammensetzung und Präzision aus seinem Gedächtnis abrufen, wenn er sie braucht. Und sie vermehren und verändern sich von Stunde zu Stunde. Alles das ergibt eine geradezu astronomische Zahl von Verhaltensvarianten. Immerhin findet man in unserer Sprache mehr als 8.000 Eigenschaftswörter, mit denen man eine Persönlichkeit charakterisieren kann. Und gewöhnlich stellt man eine individuelle Auswahl mehrerer dieser Adjektive für eine umfassende Beurteilung eines Charakters zusammen, wodurch die Differenzierungsmöglichkeiten exponentiell vermehrt werden können. Aus dem letzten, dem vierten Punkt der obigen Aufzählung ergibt sich noch ein ganz wichtiges Merkmal. Gregory Bateson hat die Einzigartigkeit von lebenden Systemen mit Bezug auf ihre autonomen Reaktionen so pointiert: „Es ist ein Unterschied, ob man einen Stein oder einen Hund tritt. Das Verhalten des Letzteren ist prinzipiell nicht voraussagbar, weil er ein lernendes System ist.“ Mehr noch: die Bewegung des Steins hängt ab von der Kraft und Richtung der Energie, die ihm der Fuß versetzt hat. Der Hund dagegen kann ausweichen oder seine eigene Kraft einsetzen, kann aktiv reagieren. Nicht nur der Hund, viel mehr noch der Mensch lernt ständig. Er lernt einiges mit dem Verstand und sehr viel unterschwellig, unbewusst. Es grenzt fast an ein Wunder, dass die meisten Menschen letztlich doch irgendwie miteinander auskommen, wenn das Schicksal sie zu Gemeinschaften zusammenwürfelt, zum Beispiel bei der Arbeit in einem Krankenhaus. Aber es ist kein Wunder, dass manche dann nicht wirklich harmonieren. Sie müssen sich dabei aktiv um bestmögliche Kooperation bemühen, schon um der gemeinsamen Aufgabe willen, nicht zu reden vom Arbeitsklima oder gar von der individuellen Lebensqualität. Aber können wir das auch vom Kranken verlangen in seiner aktuellen Ausnahmesituation? Beides wird uns in allen Kapiteln des Buches beschäftigen.
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Einleitung
Damit habe ich schon einige der Themen erwähnt, die wir uns im Folgenden vornehmen werden. Da dieses Buch für die schnelle Orientierung in der Praxis geschrieben ist, und da es hauptsächlich um zwischenmenschliche Beziehungen, um gegenseitiges Verständnis und um hilfreiche Einflussnahme gehen soll, verzichte ich auf Sachverhalte, die eigentlich zum gewohnten Inhalt eines Lehrbuches der Psychologie gehören, oder gebe sie nur stark verkürzt wieder. Im Vordergrund werden die unbewussten, impliziten Prozesse im Gehirn stehen. Im ersten Teil geht es gewissermaßen um die Grundlage, also um unsere Gefühle im weiteren Sinne. Der zweite Teil handelt von Antriebskräften, die uns veranlassen, etwas zu tun. Im dritten Teil besprechen wir intelligente Funktionen, mit denen diese emotionalen Faktoren zielgerecht, zweckmäßig eingesetzt werden können. In einem zusätzlichen, aber nicht minder wichtigen vierten Teil werden Anwendungen zur Sprache kommen, einerseits der unbewusste, unterschwellige psychische Einfluss der Betreuenden auf den Kranken und andererseits die Grundlagen des impliziten Lernens und die Frage, ob und wie man sein (charakteristisches) Verhalten ändern kann. Um der Leserin und dem Leser die Einordnung in ihre alltägliche Erfahrung zu erleichtern, werde ich in den Erörterungen und Schlussfolgerungen weitgehend von Episoden des Klinikalltags ausgehen. Die Besprechung der Gefühle im ersten Teil habe ich nach praktischen Gesichtspunkten eingeteilt. Während Damasio rein formal den primären und sekundären Emotionen, die gewissermaßen ereignisbezogen sind, die noch wenig erforschten Hintergrundemotionen als eigene Gruppe hinzufügt, bietet es sich für mich aus praktischen Gründen an, diese in solche, die bewerten, und solche, die überwiegend motivieren, zu unterteilen. Zu ersteren, also zu dem Körperund dem Belastungsgefühl nehme ich das Wertgefühl hinzu. Dagegen bespreche ich die (motivierende) Stimmung erst in Kapitel 4. Ich beginne mit dem Gefühl für den persönlichen Wert: Was mag ich lieber, was weniger gern und was gar nicht? Das Gefühl ist die Grundlage für viele Entscheidungen, aber auch für Intuition und für das Verhalten überhaupt. Wann wird das Körpergefühl zum Krankheitsgefühl? Wir werden sehen, wie primäre Emotionen durch körperliche Empfindungen und autobiografische Erfahrungen zu sekundären
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werden und leiten dann über zu den zwischenmenschlichen emotionalen Beziehungen, allem voran der Empathie als Grundlage von Sympathie und Mitleid. Wir werden schließlich als Beispiel den psychologisch ausgelösten Stress heranziehen und Befunde zur Vermeidung der Stressfolgen erläutern. Als eine ungerichtete Motivation, die also prinzipiell Lust auf Aktivität erzeugt, wird die Stimmung vorgestellt (Kap. 6). Richtige Annahmen sind eine interessante Möglichkeit, sie zu verbessern, aber nur eine unter vielen. Immerhin haben sie gewaltige Konsequenzen für das Befinden und für das Verhalten unserer Patienten. Als von innen, also vom Gehirn erzeugte intrinsische Motivation lernen wir die angeborenen Bedürfnisse kennen. In ihrer großen Variabilität tragen sie viel zur Individualität des Verhaltens von Kollegen oder Patienten bei. Als Beispiele für die extrinsische, also von außen einwirkende Motivation werden wir besonders die Konsequenzen, die sich aus ethischen Vorgaben ergeben, ansprechen. Dass und warum es multiple Intelligenzen und sogar eine intelligente Handhabung des Gefühlsbereichs gibt, muss ebenso erklärt werden wie die Tatsache, dass der Grad der Intelligenz weitgehend angeboren ist. Durch die große Streubreite ihrer einzelnen Felder haben sehr viele Menschen ihre Chancen im Leben und speziell im Krankenhaus. Begrifflich streng abgrenzen muss man die Kompetenzen, von denen jeder sein Leben lange neue erwerben und bewährte steigern kann. Eine intrapersonale Gruppe von intelligenten Hirnfunktionen sorgt zum Beispiel für Selbstbeherrschung oder Selbstkritik. Zu den interpersonalen Intelligenzfeldern gehört die Menschenkenntnis, die Kontaktfreudigkeit, aber auch die Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen oder sympathisch zu wirken, alles Gaben, die man zu wichtigen Kompetenzen für den klinischen Alltag ausbauen kann. Aus formalen Gründen wird erst nach der Besprechung der verschiedensten Ursachen für menschliches Verhalten der Kern der ärztlichen und betreuenden psychologischen Beeinflussung des Patienten angesprochen. Gemeint ist die unbewusste Überzeugung im Sinne des Placebo-Effektes, ohne dessen Unterstützung oft keine umfassende Therapie denkbar ist. Erst im vorletzten Kapitel kommt die Erklärung, wie man gewisse als charakteristisch eingestufte, oft aber nicht verträgliche Angewohnheiten nur schwer optimieren kann. Wir gehen davon aus, dass alles am Verhalten verändert
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Einleitung
werden kann, was man sich angewöhnt, also gelernt hat. Aus der Kenntnis der Arbeitsweise des Gehirns heraus erkennen wir die zweckmäßige Lernstrategie. Am Ende eines jeden Kapitels wird jeweils das Wichtigste in einigen kurzen Sätzen zusammengefasst, ehe dann anhand der klinischen Beispiele abschließend einige Grundsätze kommentiert werden.
Teil I Emotionen Instrumente für persönliche Bewertungen und Reaktionen
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Bewertungssystem und Entscheidungen Er mochte die Einwilligung in den Eingriff noch nicht geben, der ältere Herr mit dem Darmtumor und dem beginnenden Ileus, er konnte sich einfach nicht entscheiden … „Der neue Patient in Zimmer 8 ist sehr schwierig“ wurde Schwester Elke B. bei Beginn ihrer Spätschicht von ihrer Kollegin gewarnt, denn er hatte bei der Aufnahme seinem aufgestauten Ärger über einige kleinere Missstände Luft gemacht. Voreingenommen ging sie ins Zimmer … Die Patientin mit dem fortgeschrittenen Tumorleiden lag seit Tagen im Sterben. Schwester Maria widmete ihr ihre ganze Freizeit. Die jungen Kolleginnen wunderten sich, wie man seine persönlichen Belange derart hintan stellen könne …
Sie können sich sicher den oben erwähnten Ileus-Patienten vorstellen: Nennen wir ihn Friedrich K. Warum konnte er sich nicht entschließen, der dringlichen Dickdarmoperation zuzustimmen? Seine kolikartigen Bauchschmerzen hätte man durch diese Operation beheben können und ihre Ursache ebenfalls, denn sie waren durch einen faustdicken Tumor bedingt, der den Darm weitgehend verschloss. Natürlich scheute Herr K. das Risiko, das immer bei einer großen Operation besteht. Zudem wäre vielleicht ein höchst unangenehmer „Anus praeter“ (künstlicher Darmausgang) notwendig
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
gewesen, nur vorübergehend natürlich, aber als Sicherheitsoption. Man musste ihn über diese unangenehme Möglichkeit genau aufklären, da man nie genau voraussagen kann, wie günstig oder ungünstig die Umstände bei der Operation sein werden. Die Ärzte hatten die Diagnose gesichert, den Patienten ausführlich informiert und den Eingriff vorbereitet. Der alte Herr wollte aber noch mit Angehörigen sprechen. Schließlich kam dann die resolute Schwiegertochter. Sie stoppte erst einmal alle Operationsvorbereitungen, denn mit ihrer Nachbarin war sie einig, dass die Ärzte immer viel zu schnell zum Messer greifen, wo es doch so gute Naturheilmittel gibt. In der Nacht wurden dann aber die Schmerzen sehr stark, Erbrechen setzte ein. Der Sohn kam noch vorbei, war sehr aufgebracht, dass man den armen Mann so leiden lasse, ohne zu handeln... Herr K. wollte nicht mehr nachdenken, nur noch Erleichterung, allerdings wolle er keinen Anus praeter... Entscheidungen zu fällen ist eine wichtige geistige Fähigkeit des Menschen, eine ständige Aufgabe auch im täglichen Verhalten. In kleinen Dingen ist sie selbstverständlich und fast unbeachtet, schicksalsschwer und bewegend ist sie in großen.1 Entscheidungsfähigkeit beweist die persönliche Souveränität, Entscheidungsfreude zeugt von Vitalität, sagt man. Und Entscheidungen sind im Dienstleistungsbetrieb Krankenhaus so wichtig und so häufig, dass man sie als ein Charakteristikum und ein Qualitätsmerkmal der dort geleisteten Arbeit herausstellen könnte. Entscheidungen beweisen die Handlungsfähigkeit des Verstandes? Das stimmt nicht ganz: Beim Abwägen fällt dem emotionalen System oft, sogar sehr oft eine wichtigere Rolle zu als dem Verstand, und das nicht nur bei der Entscheidung, ob man nun im äußersten Notfall einen – sehr unangenehmen – künstlichen Darmausgang in Kauf nehmen würde oder nicht. Wir wollen uns im Folgenden mit der Entscheidungsfindung etwas näher befassen und werden dabei von der Rolle der Gefühle ausgehen.
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Allerdings bilden diese psychologischen Entscheidungen nur die Spitze eines Eisbergs: Im neurophysiologischen Bereich muss das Gehirn z. B. viermal in der Sekunde entscheiden, wohin die Augen gerichtet werden sollen.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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1.1 Individuelle Wertung aller Begriffe und Ereignisse Die beeindruckende Rolle, die die Emotionen beim Menschen in ständigem Zusammenspiel mit seinem Denken spielen, kann am besten an dem Gefühl für den persönlichen Wert demonstriert werden: „Ich mag dies, aber ich mag jenes nicht.“ Es leuchtet ein, dass man vor und während persönlicher Entscheidungen Bewertungen durchführen muss. Entsprechende bewertende Gefühle werden von dem gleichen Gehirnzentrum generiert, das für typische Gefühle wie Angst oder Ekel oder Abneigung zuständig ist, nämlich vom Mandelkern, der Amygdala.2 Den ganzen Tag über bieten sich uns Alternativen, zwischen denen wir wählen müssen, sei es nun beim Ankleiden, beim Einkaufen, beim Essen, aber auch bei der Beratung der Patienten, ebenso auch beim technischen Vorgehen im Verlaufe einer Operation: Konservative oder operative Behandlung? Nehme ich für diese Präparation jetzt besser die Schere, das Skalpell oder das elektrische Messer? Reine Sachentscheidungen treffen wir mit unserem Verstand. Er entscheidet, dass ein schadhaftes Gerät durch ein neues ersetzt werden muss, er wacht über die richtige Anwendung von „Entscheidungsbäumen“, die in Lehrbüchern vorgegeben sind, er nutzt Gesetze und Leitlinien. Sobald aber die eigene Erfahrung in die Entscheidung eingebracht wird, kommt ein zusätzlicher emotionaler Faktor ins Spiel: „Ich glaube, es ist besser, noch einmal nach der frisch operierten Patientin zu sehen...“ oder „Ich meine eher..., fühle ganz deutlich…“ oder gar „Das habe ich in guter Erinnerung, über den Erfolg habe ich mich damals sehr gefreut.“ Es ist eine grundsätzliche Regel, dass der Mensch alles, was er in seinem Gehirn verarbeitet, also Begriffe, Personen, Erinnerungsbilder
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Der Mandelkern als wichtigstes emotionales Zentrum wird uns in der Folge noch oft begegnen. Er ist phylogenetisch sehr alt und liegt deshalb auch ziemlich zentral im Gehirn. Die Bezeichnung „Amygdala“ (lat. = die Mandel) ist als Kurzform sehr gebräuchlich, weil der richtige Name „Nucleus amygdaloideum“ (lat. = mandelförmiger Kern) etwas umständlich ist.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
sofort mit einer persönlichen Wertung versieht, sobald es ihn irgendwie berührt, irgendwie näher angeht. Prüfen Sie die Aussage gleich einmal nach: Sie wissen, wie sehr Sie einzelne Teile Ihrer Kleidung, die Sie gerade tragen, mögen, wie Sie einzelne Menschen Ihrer Umgebung einschätzen, Ihre Nachbarin, einen Kollegen, irgendeinen Patienten. Denken Sie zum Beispiel an Erinnerungen mit diesen Menschen, an einzelne Szenen in den letzten Stunden oder Tagen. Sie wissen sofort, ob Sie sich wohl fühlten oder nicht, wie sie die Umstände und die einzelnen Akteure bewerteten. Oder denken Sie an Getränke oder an die nächste Mahlzeit. Stellen Sie sich vor, Sie könnten wählen zwischen Gemüsesuppe, Schinkenbrot oder Ochsenmaulsalat. Sie wissen sofort, was Sie da mögen und was nicht, wonach Ihnen heute zumute ist, nach was mehr und nach was weniger.
Cingulum Gefühlsempfindung
Putamen, Pallidum (Motorik)
Insulaner Gyrus „Insel“
Zentrales Höhlengrau
Substancia nigra
(Aggression)
(Belohnung)
Amygdala “Mandelkerne“ (Angst, Gefühle, Bewertung)
Hippocampus L
R
(Gedächtnis)
1.1 Zwei Querschnitte der Gehirnhälften (man sieht sie von hinten, der linke wurde etwas weiter vorne gelegt). Lage einiger im Text angesprochener Kerne und Hirnrindenareale. Man beachte zum Beispiel die Nachbarschaft der Gefühlszentren der Amygdala zu den Kernen der unwillkürlichen Muskulatur, in der unter anderem die Mimik und überhaupt die Körpersprache koordiniert werden. Zum Vergleichen: Abb. 5.1 zeigt einen Blick auf die mediale Längsansicht einer Hirnhälfte.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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1.2 Emotionale Marker formen das innere Weltbild subjektiv Synchron mit der Präsentation eines Begriffes oder Erinnerungsbildes in Ihrem Vorstellungsraum (Bewusstsein) wird aus dem Gefühlszentrum (hier aus den Mandelkernen) immer ein zugehöriges Gefühl aktiviert. Der Neurowissenschaftler A. Damasio hat sehr treffend von emotionalen Markern gesprochen, die wir mit allem, was uns irgendwie angeht, fest verbinden. Er hat die Marker auch „somatisch“ genannt, um hervorzuheben, dass sie nicht rational, also durch Nachdenken entstehen, sondern vom Gefühlsbereich generiert und von diesem automatisch zur Verfügung gestellt werden. Diese Marker aus dem Mandelkern schwingen immer unbewusst mit, wenn wir die entsprechenden Begriffe oder Erinnerungsbilder, die für uns irgendwie bedeutungsvoll sind, in unserem Vorstellungsraum behandeln. Sie formen eine individuelle Einstellung zu den Dingen (Abb. 1.2) Großhirnrinde Hippocampus
rational:
Präfrontalhirn
kranker Mann
emotional: („Marker“) ich mag ihn sehr
Intelligenz: Entscheidungen Intentionen
Handeln
Amygdala
1.2 Emotionale Marker: Dem rationalen Gedächtnisinhalt (schraffiert), der über eine Konvergenzzone des Hippocampus aus den jeweiligen Abspeicherungsorten (der Großhirnrinde) präsentiert wird, wird immer eine emotionale Bewertung (grau hinterlegt) aus der Amygdala hinzugefügt, sobald das Individuum zuvor irgendeine persönliche Beziehung zu dem Inhalt entwickelt hatte. Es kann sich um Begriffe, Personen oder Ereignisse handeln. In dieser Kombination wird der Gedanke von der Intelligenz (in Konvergenzzonen des Präfrontalhirns) z. B. bei Entscheidungen behandelt und dient dann als Grundlage für Handlungen.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Wir können uns, wenn wir uns das kurz vergegenwärtigen, keine erinnerte Szene in unserem geistigen Raum vorstellen ohne die entsprechenden Gefühle, und wir können auch keine Handlung anders erleben als mit ergänzenden „Kommentaren“ aus dem Gefühlsbereich. Irgendwie fühlen wir ständig, sei es direkt als Ärger oder Angst oder Freude, oder allgemein als Hintergrundstimmung, zum Beispiel als schlechtes Gewissen. Und diese persönliche, gefühlte Einstellung wird unweigerlich verknüpft mit den aktuellen Fakten oder Gedanken oder Szenen und im Gedächtnis abgespeichert, zwar an einem anderen Speicherort, aber mit festem Querverweis. Wenn wir uns dann am Abend noch einmal eindrucksvolle Szenen des Tages vergegenwärtigen, werden die Gefühle mit erinnert, wir spüren zum Beispiel die peinliche Situation noch einmal, es wird uns wieder ganz heiß. Wir denken nicht nur daran, wir erleben es noch einmal gewissermaßen mit dem ganzen Körper. Wir erinnern uns sogar noch an Einzelheiten einer Kinderkrankheit und da ganz eindrucksvoll an unsere damaligen Gefühle. Wir kommen im nächsten Kapitel darauf zurück. Die Bewertungen, die wir den Ereignissen und Dingen unserer Umwelt geben, sind also ganz persönlich gemeint, auch wenn wir sie gelegentlich von anderen übernehmen, etwa die Begeisterung für ein neues Medikament vom überzeugten und überzeugenden Pharmavertreter oder die Abneigung gegenüber einem schwierigen Patienten in Zimmer 8 von der genervten Nachtschwester.3 In der Regel haften Vorlieben und Abneigungen fest, und das ist auch gut so. Sie machen uns verlässlich für unsere Freunde und Mitar3
Allerdings gilt auch: Wir können unsere eigenen Bewertungen ändern, entweder unbewusst durch neue Erlebnisse oder bewusst mit dem Verstand. Wir können also später das gleiche Medikament als nutzlos erachten, wenn wir neue und genauere Untersuchungsergebnisse in der Literatur gelesen haben, oder wir ändern unsere „Meinung“, wenn wir den nörgelnden Patienten am nächsten Tag als eigentlich sehr umgänglichen Menschen erleben oder ein starkes Mitgefühl für seine Probleme entwickeln. Wir geraten hier aber an die Grenze zum riesigen Feld der Attributionstheorie, die sich mit der Frage beschäftigt, wann der Mensch welche „Attributionen“, also Merkmale für Begründungen im weitesten Sinne verwendet. Das ist dann nämlich wieder eine Frage des Verstandes oder der äußeren Umstände. Aber die Veranlagung und die Erfahrung einschließlich der emotionalen Erinnerungen spielen auch bei Begründungen eine große Rolle. Wir kommen darauf in Kapitel 8 zurück.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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beiter, denn sie bestimmen unser Verhalten und damit das, was man als „Charakter“ (Eigenart) verallgemeinert. Das Zusammenleben wird berechenbarer und vertrauter: Dass der Patient Volker P. lieber Obst als Pudding möchte, merkt sich die Schwester, um ihm eine Freude machen zu können. Dass der Chef mittags seine Ruhe haben will und sonst ungenießbar wird, respektiert die ganze Abteilung. Die emotionalen Marker haben nun eine wichtige Konsequenz: Jedes Individuum (auch ein Tier) wählt immer diejenige unter verschiedenen Alternativen aus, die es am liebsten mag, und es bevorzugt dasjenige Verhalten, das sich bei früherer Gelegenheit als das am besten Geeignete erwiesen hatte. Darum ergibt sich letztlich eine „egoistische“ Ausrichtung aller Erfahrung und allen Tuns. Das Bewertungssystem wird zum Präferenzsystem, das unsere Handlungen beeinflusst. Dass wir Menschen allerdings im Gegensatz zu den Tieren nicht reine Egoisten sind, haben wir unserem Verstand zu verdanken (s. u. „Altruismus“).
1.3 Wertehierarchien mithilfe emotionaler Marker Die emotionalen Marker helfen unserem Gehirn bei der Auswahl aus einer größeren Anzahl von Möglichkeiten. Denn wir bilden mit diesen persönlichen Bewertungen ganz automatisch Wertehierarchien. Ganz oben auf der Liste steht, was wir am liebsten mögen. Die hierarchische Liste hilft uns bei der Entscheidung, wenn zum Beispiel der Ober mit einer umfangreichen Getränkekarte kommt. In vergleichbarer Weise sind die Wertehierarchien nützlich, wenn wir überlegen, welche unserer Freunde wir zu unserer Grillparty einladen sollen. Sie erleichtern auch eine rasche Vorauswahl, wenn der Überblick bei sehr vielen Möglichkeiten schwierig wird. Ähnlich, wie wir uns in einem Bekleidungsgeschäft aus dessen großem, schier unüberschaubarem Sortiment nur die vier Jacken vorlegen lassen, die nach unseren Vorstellungen am ehesten in Frage kommen, und uns aus dieser überschaubaren Auswahl dann für die beste entscheiden, so vermag das „Suchsystem“ in unserem Gehirn unter der riesigen Zahl früherer Einträge zielstrebig die bestmöglichen Verhaltenswei-
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
sen, die durch unsere Marker kenntlich gemacht sind, ins Arbeitsgedächtnis zu bringen (Abb. 1.3). Dessen Kapazität ist nämlich sehr begrenzt, aber nur da kann das Abwägen stattfinden.4 Ohne das (emotionale) Bewertungssystem kann man also Entscheidungen, die einen persönlich betreffen, nicht vorteilhaft fällen. Aber kann man sie mit den Emotionen immer richtig treffen? Nicht immer. Unser Patient Friedrich K. hatte vermutlich eine grundsätzliche Abneigung gegen den Anus praeter und folglich auch gegen die rettende Operation. Große Angst schränkte sein Denkvermö-
Gedächtnis
Polizei Wein Wertung
Wasser
Kurzzeitspeicher
Wertung
Wertung
Wein Bier Wertung
Wein
Wertung
Wertung
Saft
Entscheidung
Wertung
Tee
Wasser
Wertung
Wertung
Handlung
Wasser Wertung
Kakao Wertung
1.3 Entscheidungen: Emotionale Marker erleichtern die Auswahl unter den vielen Informationen in den Speichern des Gehirns (ganz links ist im Gedächtnis eine „Wertehierarchie“ für Getränke angedeutet). In der Abbildung wird unterstellt, dass sich das Individuum zwischen Wein und Wasser entscheiden soll. Beide werden in den Arbeitsspeicher geholt. Wein ist ihm lieber als Wasser, wie die Schattierung der emotionalen Wertung in der unteren Hälfte der Kästchen besagt. Der Verstand empfiehlt zwar Wasser (Fettdruck), in diesem Beispiel aber nicht mit genügendem Nachdruck. Das „Gewicht“ des emotionalen „Markers“ begründet dann die Entscheidung für die Vorliebe, begründet also die Intention. Allerdings kann ein Argument von außen (extrinsisch) wie z. B. die Warnung vor der Alkoholwirkung oder vor den Folgen einer Kontrolle durch die Verkehrspolizei die Gewichtung ändern: Der Nachteil, den Führerschein zu verlieren, wiegt schwerer als die Liebe zum Wein, wenn das Urteil des Verstandes dazukommt.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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gen zusätzlich ein, wie wir im nächsten Kapitel erfahren werden. Für seinen Arzt war es dagegen eine nüchterne Sachentscheidung. Er als der besser Informierte und emotional Unbelastete muss bei derartigen Konstellationen die Verantwortung dafür übernehmen, dass Herr K. mit zusätzlichen Argumenten umgestimmt wird (s. Abschnitt 13.2).
1.4 Emotionale Marker bei Vorurteilen und Patientenaufklärung Für viele Entscheidungen im Krankenhaus gibt es keine „harten“, also eindeutig objektiven Vorgaben im Sinne der evidenzbasierten Medizin5. Dann wird das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten schwierig. Wir wollen ihm unsere eigene Meinung möglichst offen sagen, müssen ihm eventuell das Dilemma schwieriger Alternativen darlegen oder zugeben, dass statistische Signifikanz keineswegs bedeutet, dass der so gesicherte Effekt in allen Fällen oder gar unter allen Umständen eintritt. Wir wollen ihn aber auch nicht verunsichern und auch nicht gegen seine Überzeugungen beeinflussen. Soweit diese ihm nicht offensichtlich schaden, soll er die Alternativen in seine Überlegungen einbeziehen. Das Streben nach Selbstbestimmung liegt in seiner Natur. Wir kommen gleich darauf zurück.
4
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Für diese Theorien zur Rolle der emotionalen Marker gibt es übrigens auch eindrucksvolle Beweise. So hat der oben schon als Namensgeber der Marker genannte A. Damasio einige Patienten gefunden, bei denen durch Hirnverletzung nur die Verbindung zwischen dem Gefühlsbereich und dem Entscheidungsbereich im frontomedialen Areal der Hirnrinde oder der Mandelkern selbst zerstört wurde. Diese Kranken konnten dann noch – wie vorher – logisch denken, konnten ihr ganzes früheres Fachwissen benutzen, konnten aber nicht mehr einfachste Entscheidungen treffen, die für die persönliche Lebensführung oder gar für die Schonung der eigenen Ersparnisse nötig gewesen wären. Ohne persönlich begründete Entscheidungsfähigkeit landeten sie bald im betreuten Wohnen. Modefachbegriff für eine Selbstverständlichkeit: Evidence Based Medicine bezeichnet das Bestreben, nach Möglichkeit immer das Vorgehen oder die Entscheidungsbäume durch mehrfach geprüfte Beweise abzusichern.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Im Rahmen der Besprechung von Entscheidungen wollen wir aber zunächst zu unserem Patienten Friedrich K. zurückkehren und überlegen, warum er Probleme mit seiner Einwilligung zur Operation hatte. Offensichtlich hatte er die Sachzwänge, die diese Operation in den Augen seiner Ärzte notwendig erscheinen ließen (Erinnern Sie sich: drohender Darmverschluss durch Tumor und damit Lebensgefahr; einzig Erfolg versprechende Abhilfe ist eine Operation), nicht rückhaltlos akzeptiert oder nicht realisiert. Die Anerkennung äußerer Sachzwänge hätte ihm weitere Abwägungen erspart, weil sie zu gewichtigen Kausalfaktoren geworden wären. • Hatte man ihn nicht ausreichend aufgeklärt? Hatte der aufklärende Arzt die rationale Auffassungsgabe des alten Herrn überschätzt? Hatte er zu schnell oder zu leise gesprochen, unverständliche Fachworte gebraucht, nicht genügend Bilder gezeigt oder gezeichnet? Aber unterstellen wir, dass die Aufklärung nach allen Regeln der Kunst gut gewesen war. Herr K. könnte auch in den Prozess seiner Entscheidungsfindung zu starke emotionale Faktoren mit einbezogen haben. • Herr K. hatte wohl, wie die meisten Patienten, erhebliche Angst, dass er nach der Narkose nicht mehr aufwachen könnte. Wir werden im nächsten Kapitel besprechen, dass starke Emotionen das Denken behindern. Vermutlich hat er allein deswegen manches von dem, was sein Arzt sagte, nicht richtig verstanden. Vielleicht hätte man vor der medizinischen Aufklärung über seine Ängste sprechen und ihn beruhigen müssen. Vielleicht hätte man ihm nach Sicherung der Diagnose ein Schmerzmittel und großzügig Spasmolytica geben sollen. • Zum anderen mag Herr K. aber auch an beängstigende frühere Erfahrungen, an Berichte und Erzählungen gedacht haben, die ihm sein intelligenter Denkapparat angesichts seiner Krankheitssituation wieder in den Sinn brachte. Vielleicht hatte ihn vor Jahren sehr getroffen, dass sein Bruder trotz einer Darmoperation verstorben war. Im Fernsehen hatte er vielleicht Berichte über Kunstfehler gesehen usw. • Vermutlich kamen Herrn K. jetzt bevorzugt unerfreuliche Gedanken in den Sinn, weil er wegen seines unerwarteten Krankseins depressiv gestimmt war.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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• Vielleicht waren es auch nur zu viele Einzelfaktoren für die Kapazität seines Arbeitsgedächtnisses. Jedenfalls war die Abwägung zwischen den Informationen für ihn schwierig. Die Schwiegertochter andererseits hatte Informationen über die Schädlichkeit der Schulmedizin schwerpunktmäßig gesammelt. Entsprechende Schicksale haben sie berührt und beschäftigt. Und sie hat dieses beeindruckende Material mit besonders starken emotionalen Markern versehen. In Glaubensdingen und bei ideologischen Überzeugungen kann dadurch jede Kritik, jede Gegenargumentation ausgeblendet, abgeblockt werden. Derartige Blockierungen können durch stark emotional besetzte Schlüsselerlebnisse zustande kommen, sie werden ferner durch stark suggestive Persönlichkeiten oder sogar unterschwellig durch die Medien erzeugt. Sie betreffen in der Regel rationale Denkprozesse. Wir werden aber in Kapitel 6 und 12 sehen, dass auch im emotionalen und im vegetativen Bereich Fehlsteuerungen zementiert werden können. Aber zunächst wollen wir uns nun einem anderen emotional mitbestimmten Verhalten zuwenden.
1.5 Starke, ethisch motivierte Marker ermöglichen Altruismus Du sollst dem, der in Not ist, helfen. Das gilt auch, wenn die augenblicklichen eigenen Interessen der Hilfsaktion entgegenstehen. Es geht um ethisch korrektes Handeln. Ihm geht ein interessanter Entscheidungsprozess voraus. Die ethischen Postulate6 sind Bestimmungen der Gesellschaft, die für ihr reibungsarmes Funktionieren und Bestehen notwendig sind. Sie sind in den Genen nicht vorgegeben, richten sich in vielem sogar ausdrücklich gegen ein Ausleben der natürlichen Wünsche
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Man hat früher in der deutschsprachigen Philosophie zwischen Ethik und Moral zu unterscheiden versucht. Die Definitionen konnten sich nicht durchsetzen, sodass man sich fast überall auf synonymen Gebrauch geeinigt hat.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
und Antriebe des Einzelnen. Die Gesellschaft muss sie also ihren Individuen möglichst nachhaltig lehren und sie dann mit mehr oder weniger gelindem Zwang durchsetzen. Der Einzelne muss sie lernen und sollte sie dann mit einem starken positiven Marker versehen als Bekräftigung, dass er sie verstanden und ihre Notwendigkeit auch für das eigene Wohlergehen eingesehen hat7. Dabei hilft ihm gewöhnlich die Vorstellung von den meist unangenehmen Konsequenzen einer Zuwiderhandlung. Denken Sie an die Regeln des Straßenverkehrs, von dessen Einhalten letztlich jeder profitiert. Inhaltlich reichen diese Vorgaben der Gesellschaft von den zehn Geboten über staatliche und andere Gesetze bis zu Vorschriften der Etikette, die vielleicht nur in kleinen sozialen Gruppen Geltung haben. (Es gibt auch Regeln für das – z. B. rücksichtsvolle – Verhalten gegenüber kranken Menschen.) Wenn etwa ein Arzt die großen ethischen Vorgaben zum Helfen oder das Verbot, zu Töten usw. rational, also verstandesmäßig akzeptiert, also intensiv genug gelernt und dann mit klaren emotionalen Markern versehen hat, kann er ausreichend sicher sein, dass diese ihn in seinen Entscheidungen leiten. Sie wiegen dann (als Kausalfaktor im Verarbeitungsprozess des Gehirns) schwerer als die Versuchungen des Alltags (Abb. 1.4). Nur wenn er sich dessen sicher ist, kann er Verantwortung für seinen Patienten übernehmen. Die ethischen Gesetze, die er für sich persönlich akzeptiert hat, die er bejaht, ermöglichen ihm altruistisches Verhalten, also ein Verhalten zum Vorteil des Anderen. Im einfachsten Falle: obwohl er Hunger hat und die anderen schon alle ins Kasino gegangen sind, kann er noch mit dem Kranken ausführlich und in Ruhe dessen Probleme besprechen, ehe er dann auch seinen Hunger stillt, obgleich dieser Hunger für seinen Körper – biologisch gewertet – eine vordringliche sogenannte Mangelmotivation darstellt. Er kann, wenn die Betreuung des Kranken es erfordert, auch länger in der Klinik bleiben, die Theaterkarte verfallen lassen und den Ärger mit seiner Frau riskieren. Er kann also gegen seinen Vorteil entscheiden. Die 7
Es wird allerdings diskutiert, ob man bei ethischen Regeln, die das Gehirn gespeichert hat und dann benutzt, nicht von expliziten, also von außen vorgegebenen Markern sprechen sollte. Weitere Untersuchungen müssen klären, ob es sich um einen gesonderten Mechanismus handelt. Dieser müsste dann z. B. über die linke (sprachliche) Hemisphäre des Großhirns geschaltet werden.
1. Bewertungssystem und Entscheidungen
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Gedächtnis
Ethik Wertung
Kurzzeitspeicher
Ethik
für mich
Wertung
Wertung
andere andere
Ethik
Wertung
Wertung
10 Gebote Wertung
andere Wertung
Wertung
Entscheidung
Handlung
Gesetze Wertung
für mich
für mich Wertung
Wertung
Etikette Wertung
1.4 Ethische Entscheidungen erfolgen wie alle anderen über rationale Bedeutung und über emotionale Marker. Das biologische Wesen Mensch wird zu seinem eigenen Vorteil entscheiden („für mich“ als gewichtige Wertung ist dunkel gefärbt). Die Gesellschaft vermittelt in ihren Einrichtungen Kindergarten, Schule etc. die für ein Zusammenleben in der Gemeinschaft notwendigen ethischen Werte als vorrangige Verhaltensnormen. Sie werden im Gehirn abgelegt und sollten im Laufe der Erziehung mit dem Vermerk „auch mir besonders wichtig“ versehen worden sein. Das erfordert meist viele Wiederholungen und möglichst eigene Reflexion. Nur dann wird sich das Individuum für die (biologisch nachrangige) Hilfe für „andere“ entscheiden (sich für andere einsetzen wiegt dann schwerer auf der Waage durch das zusätzliche ethische Argument).
emotionalen Marker spielen eine wichtige Rolle bei der höchsten mentalen Leistung des Menschen.8 8
Noch einmal: Die wichtigen ethischen Gesetze werden uns von der Gesellschaft vorgegeben. Sie gelten für alle Menschen in unserem Kulturkreis. Daraus folgt aber auch, dass es keine gesonderte ärztliche Ethik gibt. Für den Gebrauch in der Medizin haben freilich einige dieser (allgemeinen) ethischen Regeln eine herausragende Bedeutung, für einen Beruf, zu dessen juristisch geduldeten Praktiken die vorsätzliche Körperverletzung mit dem Messer oder mit Giften gehört. Da ergeben sich charakteristische, berufstypische Situationen mit ethischer Relevanz. Für diese gibt es berufsständische Meinungsbildungen und Entschließungen, ferner auch für die Fälle, in denen die öffentliche Meinung nicht einhellig ist (also zum Beispiel hinsichtlich der Abtreibung oder zu der aktiven Sterbehilfe), um dem Einzelnen in der Hektik und Bedrängnis des Berufs klare Richtlinien an die Hand zu geben, um ihm langes Abwägen zu ersparen.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Und die eingangs erwähnte Schwester Maria kommt in ihrer Freizeit (ohne Betätigung der Stechuhr) zu der todkranken Dame, bringt ihr einen kleinen Leckerbissen, hält ihre Hand und teilt ihr mit, dass sie die Nachbarin erreicht hat, die neue Wäsche bringen soll. Dass sie auch mit erheblicher Mühe einen guten Platz im Hospiz organisiert hat, behält sie für sich. Gelegentlich kann man Verstand oder Gefühl wahlweise für Entscheidungen nutzen. Wenn eine Nachtschwester sich plötzlich krank gemeldet hat und deshalb die Oberschwester eine Vertretung sucht, wird sie bei Schwester Claudia, die diverse Ausreden ins Feld führt, an deren Verantwortungsbewusstsein appellieren: Sie soll es noch einmal überdenken. Wenn Schwester Claudia dann doch absagt, wird die Oberschwester im völlig gleichen Zusammenhang die eher zu emotionalen Reaktionen neigende Schwester Sabine bei ihrem Verantwortungsgefühl zu packen suchen.
1.6 Bewertende Stimmungen: Das Körpergefühl Nachdem wir nun schon in verschiedener Hinsicht über das individuelle Bewertungssystem nachgedacht haben, mit dem jeder seine reale und gedankliche Umwelt beurteilt, und das dann auch für das Verhalten so gravierende Konsequenzen hat, sollten wir auch ein anderes Bewertungssystem ansprechen, das phylogenetisch so alt und verbreitet ist, wie es überhaupt Gehirne gibt. Ich meine das Controlling unserer eigenen Körperfunktionen. Alle Organe des Körpers melden höchst subtil und zeitnah ihren Funktionszustand an das Gehirn, und zwar außer an die Zentren des Hirnstammes auch an die sensomotorischen Hirnrindenareale. Dort werden die riesigen Datenmengen (ca. 150 Megabyte pro Sekunde!) zunächst einmal ausgewertet und dienen als Basis von Steuerungsfunktionen. Die Daten werden von diesen Steuerbereichen an höher differenzierte Gehirnzentren weitergegeben, zu sogenannten „Karten“ für ganze Organteile und Organe zusammengefasst und in weiter übergeordneten Karten („Konvergenzzentren“) integriert. Diese Karten benötigt das Gehirn für vielerlei Regulierungen (z. B. Kreislauf, Stoffwechsel). Das sind letztlich
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auch Entscheidungen zum Wohlergehen, aber meist weit unterhalb der Bewusstseinsgrenzen Sie können aber auch dem Bewusstsein präsentiert und damit verstandgesteuerten Funktionen zugänglich gemacht werden. Als oberste Karte wird in dem „Insula“ genannten Bereich der Hirnrinde das „Körpergefühl“ erzeugt. Dies ist eine für den bewussten Gebrauch aufbereitete Darstellung der aktuellen Körperrealität.9 Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass in dieses Körpergefühl andere Sensationen wie Müdigkeit oder Schmerz mit eingehen. Die mentale Präsentation ermöglicht die „geistige“ Behandlung der Informationen aus dem Körper oder aus einzelnen Körperteilen. Sie ermöglicht die Zusammenführung mit externen Informationen, also solchen, die man gelernt hat, z. B. Erfahrungen und Befürchtungen anderer. Spürt man leichte Übelkeit, vielleicht ein Zwicken im Bauch, denkt man an den Besuch des ausländischen Restaurants zurück und geht die Liste der möglichen Erkrankungen, die man nun vielleicht bekommen könnte, durch. Dieses Konvergenzzentrumist unter anderem die Ebene, auf der sogenannte psychosomatische (psychophysiologische) Verarbeitungen von Körperempfindungen möglich werden oder sogenannte funktionelle Beschwerden ihre Nahrung finden (s. dazu Abschnitt 12.3).
9
Wenn man – mit gebotenem Vorbehalt – das Gehirn mit einem Computer vergleichen will, entspricht dies der Darstellung auf dem Bildschirm. Nur die Aufbereitung auf dieser „Oberfläche“ kann der Nutzer des PC verstehen, nur über sie kann er Prozesse in der elektronischen Datenverarbeitung beeinflussen. An dieser Oberfläche der Großhirnaktivität findet, wenn man so formulieren will, die Verbindung zwischen „Körper und Geist“ statt, also zwischen den Organen einschließlich der unbewussten Gehirnbereiche und dem reflektierenden Verstand. Man realisiert, ob man sich wohl fühlt oder nicht. Letzteres kann krank bedeuten. Man kann dann bewusst die Karten zurückverfolgen und ergründen, an welcher Körperstelle wohl das Problem liegt, ob zum Beispiel der Verband die Wunde drückt oder der Darm gebläht ist.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
1.7 Hintergrundgefühle: Das Krankheitsgefühl und das „gefühlte“ Alter Wenn durch Schmerzen oder andere Anzeichen von erheblicher Missfunktion aus dem Körpergefühl ein Krankheitsgefühl wird, kann dies das Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen oder gar dominieren, also andere Hintergrundgefühle verdrängen: Die Lebensqualität sinkt. Selbst das Denken kann durch sehr starke Missgefühle schließlich eingeschränkt, ja blockiert werden, das Interesse an der Umwelt schwindet. Es ist der Zustand, in dem wir viele Patienten auf der Station erleben. Sie haben keinen Sinn mehr für Scherze oder flapsige Sentenzen. Man soll dann auch mit dem gut gemeinten Versuch behutsam sein, die Stimmung durch eine fröhliche Bemerkung aufzuhellen. Die Schwerkranken haben kein Verständnis mehr dafür, ihr Arbeitsspeicher ist kaum noch aufnahmefähig, übrigens auch nicht für außerdienstlichen Frohsinn der Betreuenden untereinander. Und hier noch ein anderes Hintergrundphänomen: Ständiges leichtes Krankheitsgefühl vermag das „gefühlte Alter“ eines Menschen massiv heraufzusetzen. Der gesunde 65-Jährige fühlt sich nämlich, als sei er erst etwa 55 Jahre alt. Das liegt daran, dass wir ständig gedanklich mit den eigenen Erfahrungen umgehen. Das Gehirn liefert uns für alle Situationen oder Informationen gemitteltes eigenes Erfahrungsmaterial aus den letzten Jahrzehnten – einschließlich der damaligen Gefühle. Sie gehen in unser aktuelles Empfinden mit ein, wie wir das im nächsten Kapitel noch ausführlicher sehen werden. Man unterliegt der Illusion, genauso leistungsfähig wie vor 10 Jahren zu sein, als man die erinnerten Erfahrungen gemacht hat. Das ist ganz in Ordnung, es erhöht im Alltag die Vitalität und Unternehmensfreude. Erst ein ständiger Schmerz im Rücken oder in den Extremitäten zentriert das Denken weitgehend auf die aktuelle Situation, also auf die Gegenwart. Sie macht die Einschränkung gegenüber früherer Beweglichkeit und damit den Unterschied zur Vergangenheit bewusst. Plötzlich fallen für den Kranken gefühltes und reales Alter zusammen. Für viele unserer Patienten bedeutet das Verunsicherung und Enttäuschung. Nicht nur bei sehr alten Kranken sollte man daran denken.
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Körper- und Krankheitsgefühl stehen im Mittelpunkt menschlicher Kommunikation. „Wie geht‘s?“ fragt man häufig bei der Begrüßung und meint nur selten berufliche Interessen. Unter Gesunden im Alltag ist es nur eine Floskel, über die man schnell hinweggeht, ohne die Antwort abzuwarten. Bei allen irgendwie Kranken und allgemein in höherem Alter wird die Antwort ein bedeutsames Instrument, um das Interesse am Mitmenschen zu bekunden und um die persönliche Beziehung zu intensivieren. Im Krankenhaus wird die Frage präziser gestellt: „Wie fühlen Sie sich heute?“ zielt zunächst einmal auf das Gesamtbefinden, also obiges Krankheitsgefühl. Einzelsymptome werden später gezielt abgefragt. Das Gesamtbefinden ist ein wichtiger Gradmesser für die aktuelle Lebensqualität. Sie kann erstaunlich hoch sein trotz massiver Beeinträchtigung einzelner Parameter, also trotz Magensonde, Blasenkatheter, Streck- oder Gipsverbänden und ähnlichem. Wenn wir vom Patienten sogar auf der Intensivstation trotz derartiger Unannehmlichkeiten ein „eigentlich recht gut“ hören, können wir rückschließen auf dessen psychische Kraft in Form von Hoffnung, Glaube, Optimismus, die der Kranke besitzt und die ihm bei der Genesung helfen werden. (Bedenken Sie: Der Patient könnte noch unter Opiateinwirkung stehen.) Diese Überlegungen beleuchten nur schlaglichtartig, wie zentral und eigentlich auch vordergründig die Stellung der Emotionen in der Klinik ist. Wir können die Feststellung gleich noch erweitern.
1.8 Belastungsgefühl und Selbstwertgefühl Zwei weitere Bewertungssysteme seien an dieser Stelle wenigstens erwähnt: Zum einen erzeugt das Gehirn ein Anstrengungs- oder Belastungsgefühl. Der Mensch spürt ziemlich genau, ob eine Tätigkeit seinen Organismus wenig, mäßig oder stark belastet. Schon länger verwendet man dieses Gefühl, das eng mit der Atemnot zusammenhängt, als Richtwert in der Rehabilitation, zum Beispiel in Koronarsportgruppen (G. Borg). Seit nun sportmedizinisch nachgewiesen wurde, dass verlässliche Korrelationen zu O2-Sättigung, Laktatspiegel u. ä. bestehen, nutzt man diesen Erfahrungswert auch
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
im normalen Fitnesstraining: Starkes Belastungsgefühl gilt als Richtschnur beim Kraftsport, leichtes ist optimal bei Bewegungssportarten. Damit verwandt dürfte das Ermüdungsgefühl sein.10 Beim Selbstwertgefühl geht es um den Vergleich eigener besonderer Fähigkeiten mit denjenigen von anderen Mitmenschen. Das Selbstwertgefühl entsteht aus der Erfahrung, und zwar aus einer Interpolation von Erfolgserlebnissen, die man mit dem aktuellen Könnensbereich gehabt hat, also einer Art Mittelwert emotionaler Marker. Daher ist das Selbstwertgefühl subjektiv, also ungenau. Wir zeigen es auch nicht jedem. Es hat viel mit Selbstkritik zu tun. Diese ist auch subjektiv. Wir besprechen sie aber erst bei der intrapersonalen Intelligenz in Kapitel 10 (umfassende Darstellung der Persönlichkeitspsychologie z. B. bei Asendorpf). Denn das Können ist (fast) jedem Menschen wichtig. Er hat, wie wir das noch besprechen werden, den inneren Drang nach Kompetenz und nach Anerkennung. In gewissen Bereichen möchte er gut, vielleicht der Beste sein. Beim Pflegen eines Schwerstkranken vielleicht, beim Auffinden kleinster Venen zum Blutabnehmen, beim exakten Röntgen der Halswirbelsäule, als Chirurg der Schilddrüse. Jeder möchte stolz auf irgend etwas sein können, und das hat wiederum etwas mit Wohlfühlen zu tun. Das weiß jeder. Aber wir müssen uns klarmachen, dass der kranke Mensch im Bett diese kleinen Freuden des Alltags in Form einer Selbstbestätigung plötzlich entbehren muss. Man könnte also das Gespräch auf seine früheren Erfolge bringen. Die Förderung des Selbstwertgefühls kann eine besonders gute Stimmung erzeugen, eine Hochstimmung sogar. Jeder weiß, dass man seine Kollegen bei Laune halten kann, wenn man gelegentlich lobt, sie also in ihrem Selbstwert bestätigt. Da darf man auch etwas übertreiben, das tut trotzdem gut. Und jede Schwester 10
Auch das Zeitgefühl könnte man unter die bewertenden Gefühle einordnen. Der Organismus verfügt offenbar über Möglichkeiten zur ungefähren Bestimmung kurzer Zeitabstände. Bei größeren ist er überwiegend auf den Vergleich mit bekannten Zeiträumen aus der eigenen Erfahrung angewiesen. Daraus resultiert die enorme Abhängigkeit des Zeitempfindens von äußeren und inneren (psychologischen) Umständen. Die gegenwärtig rasch wachsenden Erkenntnisse auf diesem Gebiet wurden gut verständlich von St. Klein dargestellt: Siehe meine Empfehlung im Abschnitt „Weiterführende Literatur“ im Anhang dieses Buches.
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oder Heilgymnastin lobt ihren Patienten, wenn er Aufforderungen nachkommt, die vermutlich Überwindung kosten oder sonst eine Leistung darstellen. Das spornt ihn an, das hebt seine Stimmung. Und nachdem er wegen seiner Krankheit plötzlich nur noch weniges tun kann, muss man ihm beim Aufbau seines Selbstwertgefühls helfen. Die endogenen Bewertungssysteme begleiten und helfen uns also ständig. Eigentlich ist die Theorie der emotionalen Marker, die alle Begriffe, Erlebnisse, Erfahrungen werten, die unser selbstbewusstes Sein im Hintergrund begleiten und die unsere persönliche innere Welt beurteilen, so simpel und einleuchtend, dass man sich schon wundern kann, dass man sie erst jetzt formuliert hat. Aber diese Vorstellung von Markern hängt mit derjenigen von der Wirkungsweise unserer Gefühle zusammen, und die werden erst seit drei Jahrzehnten eingehend durch die Neurowissenschaften erforscht. Im nächsten Kapitel kommen nun die typischen Emotionen zur Sprache: Wie entstehen die Gefühle, was sind ihre Funktionen im Körper, wie beeinflussen sie zum Beispiel unser Handeln und Denken? Das Thema wird uns bis zur Rolle der Emotionen im Stress und bis zur Möglichkeit der Vorbeugung von Stressfolgen führen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 1 • Alle Begriffe und Erinnerungen in unserem Gehirn werden emotional bewertet, sie tragen gleichsam einen persönlichen emotionalen Marker. • Auch unserer mentalen Repräsentation von jedem Patienten und Arzt geben wir einen subjektiven emotionalen Marker. • Emotionale Marker sind korrigierbar (unbewusst oder rational). Sie spiegeln persönliche emotionale Erfahrungen. • Emotionale Marker ermöglichen Wertehierarchien, die die Grundlage für persönliche Entscheidungen (zum eigenen Vorteil) sind. • Emotionale Marker werden auch für ethische Vorgaben der Gesellschaft gegeben. Das erleichtert altruistische Entscheidungen. • Über objektive wissenschaftlich begründete Daten muss der Patient im Rahmen seiner Erkenntnisfähigkeit belehrt werden.
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• Bei weichen, diskutierbaren Fakten sollte er unter Einbeziehung seiner Lebensumstände mitentscheiden. • Das Körpergefühl ist die aktuelle Integration aller Rückmeldungen aus dem Körper, das Belastungsgefühl informiert über die relative Belastungsstärke. • Das Selbstwertgefühl sowohl der Patienten wie der Kollegen angemessen zu respektieren, ist eine entscheidende Grundlage der sozialen Kompetenz.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Es ist selbstverständlich, dass man Patienten und Mitarbeiter vor wichtigen Entscheidungen sorgfältig beraten muss. Herr Friedrich K. z. B. benötigte gewichtige, überzeugende Argumente. Der stärkste Marker an den Argumenten (dass man nämlich von diesen Argumenten selbst überzeugt ist) entsteht durch Vertrauen. Dieses muss sich jeder, der überzeugen möchte, durch fachliche und/oder charakterliche Kompetenz erwerben. Der Arbeitsspeicher im Gehirn fasst nur wenige Argumente gleichzeitig. Man muss sich deshalb bei einer Entscheidung auf wenige Alternativen beschränken. Man wählt dann automatisch diejenigen, die das Eigeninteresse am besten berücksichtigen. Unser Gehirn ist dafür ausgelegt. Auf Herrn Friedrich K., dessen Kurzzeitgedächtnis ohnehin durch Beschäftigung mit seinem Schmerz und seiner Angst stark beansprucht war, stürzten zu viele verschieden Gedanken ein. Man hätte ihn zunächst beruhigen und ihm dann beim Aussortieren unwichtiger Beweggründe noch besser helfen müssen. Wer von Kollegen oder anderen Menschen Bewertungen (z. B. über den Charakter eines Patienten) übernimmt, der kann sich nicht oft genug klar machen, wie subjektiv derartige Einschätzungen sind, und durch welche Zufälle sie zustande gekommen sein mögen. Bewertungen sind aber korrigierbar, auch die eigenen. Schwester Elke B. wird die Information über den Zornesausbruch des Patienten Klaus M. in Zimmer 8 (Abschnitt 1.2) beim Zusammentreffen mit ihm einkalkulieren. Aber diese Information darf ihr persönliches Urteil über seinen Charakter nicht bevormunden. Wenn andere nicht immer gleich bereit sind, ihre eigenen Interessen zurückzustellen, um Bedürftigen zu helfen, muss man berücksichti-
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gen, dass sie auf der Basis dessen entscheiden, was sie an kausalen Gewichtungen dafür gelehrt bekamen. Den jungen Kolleginnen der erfahrenen Schwester Maria muss man ihre Lebenslust und ihre Ansprüche an außerdienstliche Verlockungen zugestehen. Aber sie haben ihren Beruf gewählt, weil sie helfen wollen. Durch Vorbild und mit gebotenem Feingefühl in vielen Gesprächen kann man schrittweise gewisse Lücken, die sie noch für die Absicherung ihrer altruistischen Entscheidungen benötigen, auffüllen.
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Primäre und sekundäre Emotionen Bei der Visite wird aus den Fragen der Patientin Erna S. ersichtlich, dass sie beim Aufklärungsgespräch nicht alles verstanden oder behalten hat. Sie war ja auch sehr aufgeregt … Die Patientin Anna L. erschrickt, weil plötzlich noch ein Belastungs-EKG angefertigt werden soll. Sie hat noch keines mitgemacht, weiß nicht, ob das sehr unangenehm ist, aber sie hat Angst. Sie spürt, wie stark ihr Herz schlägt, wie sie leicht zu zittern beginnt … Schwester Elvira K. ist fasziniert von der Arbeit im OP. Sie hat alle Handgriffe sehr gewissenhaft gelernt. Aber sie hat große Angst, dass sie Fehler machen könnte, wenn sie das erste Mal zum Instrumentieren eingeteilt wird. Der Operateur ist als sehr schnell und anspruchsvoll bekannt …
Jedes Kind weiß, dass man anderen Menschen ansehen kann, ob sie traurig, fröhlich oder wütend sind. Trotzdem sind verschiedene Autoren zu vielen Völkern in allen Erdteilen gegangen und haben dort typische Fotos von Menschen vorgelegt, die gefühlsmäßig bewegt waren. Es zeigte sich, dass alle Menschen auf der Erde die Bilder etwa gleich deuten. Daraus kann man unter anderem schließen, dass erstens zumindest die wichtigsten Gefühle als solche angeboren sind, also in den Genen aller Menschen verankert sein müssen, dass zweitens die gefühlspezifischen Mitreaktionen der mimischen Muskulatur ebenfalls angeboren sind (man muss sie nicht lernen, denn auch blind Geborene zeigen immer den „richtigen“ Gesichtsausdruck), und dass drittens auch die Erkennung dieser mimischen
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Ausdrücke beim Gegenüber angeboren sein dürfte (ausgeprägte Mimiken werden auch schon von Kleinkindern erkannt). Zum anderen zeigte sich, dass es im Wesentlichen nur 6 Gefühlsqualitäten sind, die sich auf diese Weise differenzieren lassen: Freude, Trauer, Angst, Wut, Überraschung, Ekel11. Tomkin und andere diskutieren noch Interesse, Scham und Verachtung. Man kann sie auch bei Primaten und anderen höheren Tieren nachweisen. Jeder Tierfreund weiß, wie fröhlich, traurig oder wütend ein Hund sein kann, und kann es ihm ebenfalls ansehen (am ganzen Körper einschließlich dem Schwanz). A. Damasio schlägt vor, diese angeborenen Gefühle „primäre Emotionen“ zu nennen. Sie werden in den Mandelkernen generiert und gespeichert. Diese Zentren sind die Grundbausteine des emotionalen Systems, das im Kapitel 4 ausführlich erklärt wird.
2.1 Gefühle dienen primär dem Überleben Parallel zur Weiterleitung an die sensorische Hirnrinde, die alle Meldungen der äußeren Sinne erhält, werden wichtige Informationen aus den Sinnesorganen auch direkt an die Gefühlszentren geschickt. Sie sorgen zunächst in Form einer Sofortreaktion für die Mobilisierung derjenigen Funktionen und Organe des Körpers, die voraussichtlich (zusätzlich zur Muskulatur) für eine wirksame Reaktion des Körpers gebraucht werden, Kreislauforgane zum Beispiel und der Stoffwechsel (Abb. 2.1). Das „Gefühls“-Zentrum (!) bereitet den Körper schnellstmöglich, nämlich innerhalb von 200 Millisekunden auf eine notwendig werdende Belastung (= Stress) vor. Wenn eine neue Informationen zum Beispiel durch das Auge erfasst wird, wird sie bereits im Thalamus, der ersten Schaltstation, 11
Es wundert mich, dass das Gefühl des Leidens nicht mitzählt. Mitarbeiter im Krankenhaus interessiert es besonders. Offenbar wird es auch von einem besonderen, nicht verwechselbaren Gesichtsausdruck begleitet. Dafür gibt es sogar eindrucksvolle Wiedergabeversuche in der darstellenden Kunst. Auch das Mitleid (als Antwort der Empathie) muss uns beschäftigen. Daher sind Untersuchungen in dieser Richtung wünschenswert.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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hinsichtlich der emotionalen Qualität der wahrgenommenen Szene analysiert, wird mit angeborenen oder durch Erfahrung erworbenen Sollwerten verglichen. Wenn also der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses plötzlich und gegen alle Gewohnheit in der Tür des Stationszimmers steht, mobilisiert die hier allein sitzende Lernschwester Renate auf diesem Wege blitzschnell die Aktionsbereitschaft ihres Körpers auf wahrscheinlichen Stress. Sie wird vielleicht blass im Gesicht, bekommt feuchte Hände, Herzklopfen und eine deutliche Erregung. Die entsprechende (angeborene) Reaktion würde einen Hasen, der den Wolf sieht, auf eine lange Flucht, einen großen Hund vielleicht auf den Angriff vorbereiten (unterer Teil der Abb. 2.1). Eine ganz andere Reaktion wäre bei ihr abgelaufen, wenn ein Kollege erschienen wäre, den Schwester Renate sehr sympathisch findet. Freude und ein starkes Wärmegefühl hätten Sie erfasst. Aber nun steht der Verwaltungsdirektor da. Wir erkennen schon hier, dass die emotionalen Koodinierungssysteme „Angst“ bzw. „Erschrecken“ und „Freude“ zu unterschiedlichen viszeralen Aktivierungen führen. Parallel zu dieser „somatischen“ Reaktion erzeugen Impulse aus der Amygdala eine mentale (geistige) Vorstellung eines Gefühls im limbischen System. In diesem Falle entsteht das Gefühl „Angst“. Es ist die Übersetzung der chemischen und elektrischen (für Nerven typischen) Signale in eine Vorstellung, also in die Sprache des Geistes (Damasio). Wir denken an den vorsichtigen Vergleich mit dem Computer: Der Bildschirm als verständliche Oberfläche für den Benutzer. Die Nerveninformationen werden entsprechend im Netzwerk unseres „Vorstellungsraumes“ präsentiert. Die geistigen Möglichkeiten des Gehirns werden einbezogen, mobilisiert. Die Aufmerksamkeit wird in einer Weise, die offenbar der Situation adäquat ist, auf die auslösenden Prozesse oder Objekte gelenkt. Die Lernschwester sieht nicht nur den Direktor und hat einen erhöhten Blutdruck, sie spürt nun auch, dass von ihm Ärger ausgehen könnte, sie empfindet und definiert ihn als potentielle Gefahr. Schon etwa 300 msec (1 Millisekunde = 1/1.000 sec) später erhält ihre sensomotorische Hirnrinde dann die ersten Rückmeldungen über die Veränderungen im Kreislauf (stark steigender Blutdruck und Puls) und über die Tonussteigerungen der Darm- und Körpermuskulatur. Sie verrechnet diese Werte in „Karten“ und präsentiert
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
sie in höheren Zentren. Die Informationen resultieren in einer Änderung ihres Körpergefühls in der Insula (s. Kapitel 1). Die Lernschwester empfindet jetzt das Symptom ihrer aktuellen Angst ganz real. Die primäre Emotion „Angst“ wird durch dieses Empfinden der aktuellen Körperreaktion bereits modifiziert. Das Resultat kann ins Bewusstsein projiziert werden. Arnold hat diese Interpretation
Erinnerung
Gehirn
Bewusstsein
6 Sinne: Meldung Gefahr
rational: Situation
Beurteilung Situation
+
sekundäres G.: Gefühlsmarker
gespeicherte Gefühle
primäres G. Wertung “Angst“
Freude Trauer Angst Wut Überraschung Ekel
Empfindung: Körpergefühl
Organe: Alarm, Aktivierung
erregt zufrieden begeistert niedergeschlagen mutlos nervös
2.1 Bildung komplexer Gefühle. Linke untere Ecke: Ein Sinnesreiz z. B. aus dem Auge führt (nach einer hier nicht dargestellten Umschaltung im Thalamus) im Gehirn einerseits zu einer ersten Beurteilung der gesehenen Situation und andererseits zur Auslösung eines (primären) Gefühls in den Mandelkernen. Letztere veranlassen sofort eine Aktivierung von Organbereichen im Körper, die für eine eventuelle Flucht notwendig sind (Kreislauf, Herzschlag, Blutdruck, Muskeltonus: Rechteck rechts unten). Die so ausgelösten „peripheren“ Organantworten werden, wenn sie wirksam werden, sofort zum Gehirn zurückgemeldet und verändern dort das Körpergefühl. Es resultieren entsprechende Empfindungen, die die ursprüngliche Angst modifizieren. Parallel dazu wurden vom Denkapparat aus der Erinnerung frühere, vergleichbare Situationen aufgesucht (rechts oben). Die ihnen anhaftenden Marker mit den damaligen sekundären Gefühlen werden der jetzigen Gefühlsszene beigemischt. Es entsteht ein sekundäres Gefühl (nach Damasio). Dieses Emotionsgemisch, das zur aktuellen Situation gehört, wird als „Marker“ mit dieser abgespeichert (oben Mitte) und kann später zusammen mit eben dieser Situation wieder aus dem Gedächtnis erinnert werden.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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der aktuellen Geschehnisse ein „Blitzkommunique über die momentane Lage“ genannt. Unabhängig davon und parallel zu diesen Prozessen hatte der ursprüngliche Reiz, nämlich der Anblick des Direktors natürlich auch umfangreiche rationale Denkprozesse ausgelöst. Die verstärkte Aufmerksamkeit triggert vielfältige Assoziationen und willkürliche Bemühungen sowie Entscheidungsbereitschaft. Schwester Renate durchsucht ihr Gedächtnis nach Erklärungen für Ursachen, die das Erscheinen der Respektperson veranlasst haben könnten. Nach ca. 800 msec meint sie größere eigene Vergehen ausschließen zu können. Sie befürchtet aber, dass eine der Kolleginnen ausgeplaudert haben könnte, dass das Team kürzlich sehr ungünstig über den Direktor gelästert hat. Sie weiß aus früheren Erfahrungen, die sie jetzt assoziiert, dass derartige Kolportagen unangenehme Folgen haben können. Natürlich spürt sie nun sogleich auch die beklemmenden Gefühle bei solchen Folgen, die durch den Marker am Erinnerungsbild in ihr aufsteigen. Der aktuelle Gefühlsmix wird weiter modifiziert, und zwar präzisiert angesichts ihrer Erinnerungen. Schwester Renate wird nicht nur die eigenen Erlebnisse erinnern. Aus ihren Gedächtnisspeichern werden auch Informationen abgerufen, die man sie gelehrt hat. Vielleicht hat sie in der Klinikcafeteria einer Unterhaltung zugehört, der zufolge man den Verwaltungsdirektor fürchten muss, weil er säumige Mitarbeiter abmahnt und weil er überall herumspioniert, wo er noch eine Personalstelle streichen kann. Vielleicht kommt Renate zudem aus einem Umfeld, in dem man noch eine gehörige Ehrfurcht vor älteren Vorgesetzten eingeprägt bekommt.
2.2 Sekundäre Gefühle für spezielle Situationen Gefühle aus Erinnerungsbildern und die Empfindung der aktuellen Körpererregung vermischen sich mit dem primären Gefühl der Angst und den Empfindungen aus den Körperorganen zu etwas, das Damasio als „sekundäre Emotion“ bezeichnet haben möchte. Wir halten jedenfalls fest, dass die primären, also angeborenen Emotionen in ganz
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
erheblichem Maße durch gelernte Eindrücke ergänzt und modifiziert werden (Abb. 2.1 oben im „Bewusstsein“). Die daraus resultierenden Gefühlsqualitäten sind weitgehend situationsgebunden.12 Im Rahmen der sozialen und kulturellen Kommunikation werden diese differenzierten Gefühlsqualitäten ständig abgeglichen. Jeder Leser versteht nicht nur, was ein anderer Mensch mit „Freude“ bezeichnet, also mit dem allgemeinen primären Gefühl, sondern jeder kann auch Spezifizierungen dieser Freude wie „Entzücken“, „Erheiterung“ oder „Seligkeit“ sofort richtig einordnen. Es sei noch einmal ganz deutlich herausgestellt: Wie wir tatsächlich fühlen, ist weitgehend erworben. Wir spüren emotionale Mischungen und Modifikationen. Angeboren sind nur die Grundqualitäten, also die primären Emotionen (wie die Grundfarben, die dann auf einer Palette gemischt werden können) und vermutlich die Intensität, mit der jemand fühlt.13 Die aktuelle Mischung aus primären und sekundären Gefühlen wird die Lernschwester Renate zusammen mit dem gesehenen Bild der Szene im Gedächtnis abspeichern. Es wird in ihr wieder „aufsteigen“, wenn sie sich am Abend die Begebenheit nochmals vergegenwärtigt. Sie kann dann das ängstliche Gefühl verstärken, wenn
12 Das
Gefühlszentrum „Mandelkern“, in dem man übrigens rund ein Dutzend spezieller „Kerne“ abgrenzen kann, ist beim Menschen besonders groß, was man als Zeichen für ein besonders differenziertes Gefühlsleben werten mag. Zahlreiche weitere Areale des limbischen Systems (Gefühlsareal im weiteren Sinne) und der frontomedialen Hirnrinde (Cingulum, Längsfalte der Hirnrinde medial mit Blick zur anderen Hirnhälfte) gehören funktionell dazu. Man kennt inzwischen vielfältige Interaktionen (Roth), ist aber noch weit von einem umfassenden Verstehen entfernt. Einzelheiten würden auch von unserer Thematik ablenken. 13 Vermutlich haben wir es mit zwei Funktionsbereichen im Frontalhirn zu tun. Zum einen ist es wichtig, die eigenen Emotionen überhaupt (differenziert) zu spüren und richtig einzuordnen. Gerade Letzteres muss wohl in der Jugend gelernt oder trainiert werden. Zum anderen ist die Regulierung der Stärke der mentalen Gefühlserlebnisse bedeutsam. Die Mechanismen sind grundsätzlich angeboren. Es gibt eine angeborene Alexithymie, also ein weitgehendes oder vollständiges Fehlen der Gefühlsfähigkeit. Es ist noch unklar, ob die eigenen Gefühle nur nicht erkannt und gedeutet werden können, oder ob sie durch ein fehlerhaft zu mächtiges Hemmzentrum im Frontalhirn unterdrückt werden. Man trifft diese zentral verursachte Gefühlskälte bei vielen Gewalt- und Sexualstraftätern, man beobachtet sie auch nach Verletzungen der entsprechenden Gehirnzentren.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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sie sich hineinsteigert, sie kann es auch abschwächen, wenn sie jetzt darüber lacht. Sie wird es nach der Modifikation wieder, und zwar als neue, zusätzliche, reflektierte Information in ihrem Speicher ablegen. Es wird ihre künftigen Überlegungen und Reaktionen beeinflussen, sobald dieses Erlebnis irgendwie relevant wird. Man nennt den Vorgang auch Konditionieren. Im Laufe der Zeit allerdings wird sie nicht mehr jedes Ereignis und jede Rekonstruktion dieser Art erinnern, allenfalls noch die herausragenden, ungewöhnlichen. Aber gemittelt werden alle diese Erinnerungen als Erfahrung in ihrem Gedächtnis genutzt werden. Das Gehirn lernt und verarbeitet ständig (Spitzer). Es bildet in ähnlicher Weise emotionale Grundeinstellungen wie Misstrauen oder Zutraulichkeit. Wir kommen darauf in Abschnitt 14.3 zurück. Ich möchte den Leser auffordern, das Beispiel mit der Lernschwester Renate auf irgendeine andere Situation anzuwenden. Stellen Sie sich vor, Sie selbst liegen im Krankenhaus und warten auf den angekündigten Besuch, und dann kommt plötzlich jene resolute kleine Ärztin mit den zusammengekniffenen Lippen hereinmarschiert, bringt ein Tablett mit mehreren Spritzen und ein Gerät auf Rädern mit und sagt: „So, nun wollen wir mal!“. Überlegen Sie, aus welchen Quellen Sie nun ein neues, aktuelles (sekundäres) Gefühl generieren.
2.3 Alle Emotionen drücken auch Bewertungen aus Jeder wird mir zustimmen, dass Gefühle eine persönliche, also private Angelegenheit sind. Aber warum sind sie es? Auch Emotionen stellen letztlich eine Form der Bewertung dar. Sie charakterisieren z. B., wie die Lernschwester Renate das Erscheinen des Direktors (oder des Oberarztes der Orthopädie) persönlich eingeschätzt hat. Und diese Erinnerungen werden sie künftig beeinflussen. Es geht also um persönliche Interpretation und Erfahrung. Wenn man Angst vor einer Injektion hat, bewertet man sie dadurch als Gefahr. Ebenso funktioniert Ekel vor einer markant riechenden Speise, die man schon einmal nicht vertragen hat. Wenn man auf den vermeintlich ungeschickten oder frechen Pfleger wütend ist, bewertet
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
man ihn dadurch als persönlichen Gegner. Wenn man den Verlust eines Menschen betrauert, charakterisiert man damit die große Verbundenheit, die zu ihm bestand. 14 Unsere Gefühlswelt macht – genau genommen – den Kern unseres „Selbst“ aus (Welzer). Diese vielen ganz persönlichen Wertungen, deren Wurzeln weit in die Tiefe der individuellen Erfahrung reichen, die für Außenstehende gar nicht nachvollziehbar sind, wenn man sie nicht ausführlich erklärt, die man selbst oft nicht genau kennt, sondern nur spürt, bedeuten unsere persönliche Weltsicht. Wir wollen nun aber kurz die psychologische Betrachtungsebene verlassen und aus nüchterner kognitionswissenschaftlicher Sicht feststellen, dass das emotionale System im Tierreich nicht dem intensiven Lebensgenuss, sondern der Selbsterhaltung dient, also sowohl Zentren des Gehirns als auch den Körper zweckmäßig aktiviert. Die Wiederholung von Handlungen wird gefördert, wenn die entsprechende Erfahrung mit Wohlgefühl oder Freude gekoppelt war. Schlechte Erfahrung löst Warnsignale aus und adäquate Vermeidungsstrategien. Damit sind die beiden primären Gefühle Angst und Ekel wohl besonders bedeutungsvoll, weil sie helfen, Gefahren aus dem Weg zu gehen. In der Kommunikation ermöglichen sie zusammen mit einschlägigen Erfahrungen spezielle emotionale Färbungen wie Misstrauen, Abneigung, Skepsis und ähnliches. Die Angst ist in den Gefahren des täglichen Lebens wie in der Psychologie und auch der Psychiatrie das wichtigste Gefühl. Auch jeder, der Menschen im Krankenhaus und ihr Verhalten verstehen will, muss immer die Einwirkung dieser Emotion in Erwägung ziehen, und das nicht nur bei Patienten.
14
Diese Bewertungen unterscheiden sich qualitativ von dem Bewertungssystem, das wir im vorigen (1.) Kapitel besprachen. Dort ging es darum, ob man etwas grundsätzlich mag oder nicht. Bei den Emotionen geht es um wesentlich differenziertere Bewertungen. Wenn es – als Vergleich – bei den Vorlieben gewissermaßen um schwarz oder weiß oder irgendeine Grauschattierung dazwischen ging, dann könnte man sich die primären Emotionen im Vergleich dazu als Farben vorstellen, die eine vielfältigere Beschreibung ermöglichen, da man sie nicht nur in verschiedener Intensität, sondern in allen erdenklichen Mischungen (z. B. als sekundäre Emotionen) den Dingen oder Erlebnissen zuordnen kann. Unsere innere Welt wird somit sehr reich an Nuancen.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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2.4 Leichte Angst motiviert, stärkere verursacht Fehler Die Angst hat man in vielerlei Hinsicht untersucht. Ich habe als Beispiel die grundsätzlichen Auswirkungen von Angst auf die Leistung eines Menschen ausgewählt und in Abb. 2.2 dargestellt, weil die Untersuchungsergebnisse hier besonders anschaulich sind. Sie erkennen, dass leichte Angst durchaus die Leistung eines Menschen zu steigern vermag. Jeder Arbeitgeber nützt das aus. Er muss ja nicht gleich von der Verlagerung der Arbeitsplätze seiner
L e i s t u n g
sehr gut
motivierend gesteigerte Leistung
Fehler wiegen Intelligenz auf
gesteigert
normal
leichte
Blockade aller Fähigkeiten: Metafunktion
mittlere
große Angst
schlecht
Norm Sensibel gefühlsarm
2.2 Ambivalenz der Emotionen bezüglich der Aktivität und der Leistung. Leichte Angst erhöht die Aktivität und damit auch die Leistungsfähigkeit. Mittelstarke Angst z. B. vor Strafe oder vor dem Versagen in einer Prüfung steigert die Zahl von Fehlern. Große Angst führt zu einer affektiven Denksperre: wenn Emotionen stärker werden, beeinträchtigen sie die Funktion des Verstandes. Das gilt nicht nur für die Angst. Auch starke Wut oder Liebe machen „blind“. Bei sensiblen Individuen kann sich die Fehlerrate schon bei leichter Angst einstellen (punktierte Linie). Gefühlsarme (gestrichelt) werden kaum nachteilig in ihrer Leistung beeinflusst. „Starke Nerven“, werden z. B. von Flugzeug- oder Formel-1-Piloten erwartet, also ein von Emotionen unbeeinflusstes, nüchternes Denken.
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Fabrik ins Ausland oder von der drohenden Insolvenz der Klinik reden, um eine maximale Motivation zu erzeugen. Auch der Hinweis an den säumigen Assistenten, dass er nicht zur Operation eingeteilt wird, falls die Arztbriefe weiterhin so spät hinausgehen, wirkt ziemlich zuverlässig leistungssteigernd. Die Schichtführerin erreicht mehr Einsatz, wenn sie der Teamkollegin die Möglichkeit des Liebesentzuges andeutet, der mit dem Verlust gewisser Bevorzugungen verbunden wäre. Stärkere Angst erhöht nachweislich die Rate von Fehlern. Das hat man vielfältig bei Collegestudenten, aber auch bei Piloten im Flugsimulator nachgewiesen. Wissen Sie, wer Professor Ferdinand Sauerbruch war? Vermutlich haben Sie von ihm gehört oder gelesen. Er war einer der prominentesten deutschen Chirurgen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, ein sehr aktiver Allround-Operateur, wissenschaftlich besonders an der Entwicklung der Lungenchirurgie beteiligt und vielfältig berufspolitisch tätig. In seiner Klinik war er ein höchst selbstbewusster Alleinherrscher der alten Schule, der ziemlich rücksichtslos den äußersten Einsatz von seinen Mitarbeitern verlangte und sich dessen rühmte. Bei Nachlässigkeiten geriet er leicht in Wut und bestrafte unreflektiert und hart. Selbst während des Operierens konnte er, vor Zorn laut schimpfend, seine Schwestern und Ärzte mit Instrumenten bewerfen, angeblich sogar mit dem Skalpell. Das war nicht „intelligent“ und auch nicht „emotional kompetent“. Seine Mitarbeiter haben sicher daraufhin aus Angst zusätzliche Fehler produziert. Allerdings mag sich die Fehlerquote in Grenzen gehalten haben, weil er mit derartigem Verhalten im Laufe der Zeit eine Mannschaft selektiert haben dürfte, die für solche Ausbrüche stabil genug weil insgesamt eher emotionsschwach war.15 Andererseits gibt es, wie in Abb. 2.2 durch die punktierte Kurve dargestellt, sehr ängstliche Menschen, die schon bei geringen Bedrohungen Fehler machen. Sie wären sicher schnell wieder aus 15
Auch heute erfordern gewisse Berufe gefühlsmäßig sehr robuste Persönlichkeiten, die selbst bei starken psychischen Belastungen ihren Gleichmut bewahren können. Eine emotional harte Konstitution braucht zum Beispiel der Pilot im Flugzeug oder im Formel-1-Rennwagen, wo Fehler auch im psychischen Stress (z. B. Ausfall der Elektronik oder Wut auf den unfairen Konkurrenten) nicht unterlaufen dürfen.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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dem Sauerbruch‘schen OP verschwunden, falls sie sich überhaupt hineingetraut hätten. Die eingangs des Kapitels erwähnte Schwester Elvira K. hat hoffentlich ihre Eignung für den gelegentlich sehr fordernden psychischen Stress im OP überdacht, vielleicht auch als Lernschwester schon erprobt. Ich nenne sie hier als Beispiel für die Selbstprüfung, der sich jeder Berufsanfänger sehr sorgfältig unterziehen muss. Fehler in der Einschätzung der emotionalen Belastung am angestrebten Arbeitsplatz wirken sich später direkt aus hinsichtlich Zufriedenheit und Selbstwertgefühl, Lebensqualität und Erfolg. Der Ton im Krankenhaus hat sich gewandelt, nicht nur im Operationssaal. Gefragt sind heute trotz aller Hektik eher einfühlsame, emotional kompetente Schwestern und Ärzte sowohl für den Umgang mit selbstbewussten, anspruchsvollen Patienten als auch für die erbauliche Zusammenarbeit mit ebensolchen Kollegen. Es ist zu hoffen, dass die zunehmend harten Bedingungen unseres „Rationalisierungszeitalters“ nicht wieder den knallharten Ellenbogenmenschen begünstigen. Die Hinweise der nachfolgenden Kapitel sollen der rücksichtsvollen Sozialkompetenz Wettbewerbsvorteile ermöglichen.
2.5 Die Gefühlssignale vom Mandelkern werden im Stirnhirn gedämpft Liebe Leserin, lieber Leser, Sie kennen vermutlich auch jemanden, der im Examen eine „Blockade“ hatte, bei der also der Verstand vor lauter Examensangst aussetzte. In Abb. 2.2 ist das ganz rechts dargestellt. Dieses Versagen des Verstandes16 angesichts übermäch16
Man hat die Suppression des Denkens bei starker emotionaler Beeinflussung (siehe auch die blinde Wut) mit dem wenig glücklichen Begriff „Metafunktion der Gefühle“ bezeichnet. Man hat sich das Phänomen damit erklärt, dass die Gefühle phylogenetisch viel älter und dann eben in entscheidenden Augenblicken „gewichtiger“ sind als der Verstand. LeDoux vermutet, dass das Phänomen mit der geringen Kapazität des Arbeitsspeichers „Kurzzeitgedächtnis“ zu tun hat. Er ist nämlich die Grundlage, die Pforte für das Bewusstsein. Wenn starke Emotionen dieses System verwenden, besetzen ihre Datenpakete möglicherweise zu viel Speicherplatz. Jedenfalls sind Gefühle schwerer aus dem Bewusstsein wieder zu vertreiben als Gedanken, wie jeder aus Erfahrung weiß.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
tiger Gefühle ist nicht mit jener anderen konzentrationsbedingten Blockierung zu verwechseln, bei der einem einzelne Worte nicht einfallen, gerade wenn man versucht, sich ganz stark darauf zu konzentrieren. Die gefühlsbedingte Dämpfung erleben wir in der Klinik, wenn wir einem Menschen den unerwarteten plötzlichen Tod seines Angehörigen oder unserem Patienten die Gewissheit der Diagnose „Krebs“ mitteilen müssen und er dann buchstäblich „keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen“ kann. Heute wissen wir, dass ständig ein intensiver Datenstrom vom Gefühlszentrum zu den Bereichen des Denkens im Präfrontalhirn fließt, und dass dort normaler Weise eine gewisse Dämpfung der eher überaktiven Gefühlssignale stattfindet.17 Das Verhältnis zwischen erregenden (exzitatorischen) und dämpfenden (inhibitorischen) Synapsen in dieser Hirnregion beträgt in der Jugend 7:1, im (mehr abgeklärten) Alter – im Sinne der Dämpfung von Sturm und Drang – 4:1 (Damasio). Die dämpfenden Funktionszentren übernehmen offenbar nicht nur die angemessene Feinregulierung. Sie sorgen auch dafür, dass eine Emotion dann beendet wird, wenn die Ursache weggefallen ist. Wenn der Krankenhausdirektor friedlich geblieben und weggegangen ist, wird Lernschwester Renate wieder ruhig. Und wieder ein anderer emotional ausgelöster Hemm- oder Blockierungsmechanismus betrifft die Lernfunktion. Die Lernfähigkeit und Lernkapazität interessiert uns natürlich in Bezug auf das Aufklärungsgespräch mit den Patienten. Schon in der ambulanten ärztlichen Praxis behält der Patient nur etwa 40 Prozent dessen, was ihm der Arzt gesagt hat, wegen der Aufregung, auch wegen Angst, wegen der allgemeinen emotionalen Aufwallung jedenfalls. Für die Klinik sind mir keine entsprechenden Untersuchungen bekannt, aber die emotionale Belastung des Patienten dürfte da eher größer sein, der Lernerfolg also geringer. Sicher bedeuten gedruckte Aufklärungsbögen, mit denen der Kranke sich dann „in Ruhe“ ausein17
Bei sehr starken Emotionen ist diese präfrontale Dämpfung offenbar machtlos. Sie ist Gegenstand intensiver Forschung. Andererseits könnte manchmal auch eine zu starke Dämpfung eine der Ursachen für die nicht seltene relative Gefühlsarmut großer Denker sein, könnte auch das beeinträchtigte Erkennen von Emotionen bei Fällen von Alexithymie erklären, die wir gerade schon erwähnt hatten.
2. Primäre und sekundäre Emotionen
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andersetzen kann, einen deutlichen Vorteil. Für diese sollte der Patient ausreichend Zeit haben, damit er die Erklärungen konzentriert lesen und durchdenken kann. Wenn daher irgendwann Wartezeiten erkennbar werden, sollte man sie als geplante Bedenkzeiten für die mitgeteilten Fakten deklarieren und nutzen. Hauptziel der Aufklärung der Patienten vor einem geplanten Eingriff darf nicht die juristische Absicherung sein, so notwendig sie auch ist. Wichtiger ist, dass man durch die Aufklärung und durch die Art, wie man sie durchführt, dem Patienten Zweifel und Ängste nimmt. Ich habe immer wieder mit Befriedigung festgestellt, dass am Abend vor der Operation nahezu keine Patientin und kein Patient von meinem Angebot einer Beruhigungstablette Gebrauch machen wollte. Alle versicherten, sie seien nun eigentlich völlig ruhig. Ich nahm dies als Zeichen einer korrekten Operationsvorbereitung und speziell einer gelungen Aufklärung und damit als Zeichen für eine emotional kompetente Teamarbeit meiner Mitarbeiter. Vielleicht sollten wir nach den ersten beiden Kapiteln versuchen, das Besprochene aus einer größeren Distanz zu betrachten. Ich möchte dazu einen – sicherlich hinkenden – Vergleich mit einer Regel der Chemie ziehen: Wasser, also H2O, hat einige z. T. merkwürdige Eigenschaften. So wird sein Volumen wie das anderer Stoffe beim Abkühlen kleiner. Aber wenn es gefroren ist, dehnt sich das Eis beim Abkühlen unter –4 Grad wieder aus. Man kann diese Eigenschaften beschreiben und einordnen, wie es die Psychologie mit dem menschlichen Verhalten auch macht. Zur Erklärung kann man dann ein oder zwei Stufen „in die Tiefe“ forschen, also sich die Eigenschaften der Bestandteile H (Wasserstoff) und O (Sauerstoff) oder gar die von deren Bauteilen (z. B. die Elektronenhülle) ansehen. Man nennt das „top down“, also von oben nach unten fortschreiten, zum Spezielleren. In dieser Weise erklären wir gewöhnlich die Hirnzentren und ihre Netzwerke und – um sie dann besser zu verstehen – die Synapsen und die Überträgerstoffe. Man gewinnt nützliche Einblicke, versteht manches besser. Aber zwischendurch müssen wir uns klarmachen, dass man aus den Eigenschaften der Einzelteile nur selten diejenigen des Ganzen erklären kann (bottom up), und dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile: Wasser ist etwas anderes als einfach Wasserstoff plus Sauerstoff, und menschliches Verhalten ist mehr als primäre Emotionen plus sekundäre Emotionen plus Erinnern, und
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
noch etwas anderes als die Summe von Transmittern und Rezeptoren und Aktionspotentialen18. Aus ihnen können Sie die Reaktionen Ihrer Kollegen oder Patienten nicht konstruieren. Sie können topdown schließen und nützliche Zusammenhänge finden: Die Unruhe des Patienten auf der Intensivstation kommt durch seine Angst zustande, und da hat er sicher Adrenalin ausgeschüttet. Dessen sonstige Wirkungen (Puls, Blutdruck) können sie nun beobachten und versuchen sie gezielt zu behandeln. Wenn Sie dagegen Adrenalin spritzen, ist nicht (bottom-up) genau abzusehen, was gerade bei diesem Patienten alles passieren wird. Sie müssen die Möglichkeiten kennen und dafür gewappnet sein. Im nächsten Kapitel wird eine weitere wichtige emotionale Fähigkeit diskutiert, nämlich die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt eines anderen Menschen hineinzuversetzen. Wie bewertet er die aktuelle Situation, zum Beispiel mein gegenwärtiges Verhalten, meine Worte, wie wird er reagieren? Für zwischenmenschliche Beziehungen bis hin zu Führungsaufgaben und natürlich auch für den Umgang mit Kranken ist die Empathie unverzichtbar, wie wir sehen werden, und auch der Patient braucht sie ständig.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 2 • Primäre Gefühle wie Angst, Freude, Trauer, Wut, Überraschung oder Ekel sind uns angeboren, der entsprechende Gesichtsausdruck ist bei allen Menschen ähnlich. • Der Mandelkern aktiviert über Nervennetze und Hormone die potenziell nötigen Körperorgane und stimmt parallel dazu die höheren Gehirnzentren auf die Situation ein. • Im Frontalhirn können die Gefühlsimpulse modifiziert werden. Die rechte Hirnhälfte hat eine eher dämpfende, die linke eine verstärkende Funktion. • Rückgemeldete Empfindungen aus dem Körper werden dem primären Gefühl beigefügt und bilden damit eine Verbindung von Körper und Geist.
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In Abschnitt 14.1 erkläre ich derartige Zusammenhänge. Sonst vermeide ich Betrachtungen auf dieser sehr weiten und komplizierten Ebene, und verweise z. B. auf M. Spitzer.
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• Die (primäre) Ausgangsemotion wird mit Gefühlskomponenten der gleichzeitig aktivierten einschlägigen Erinnerungen zur sekundären Emotion kombiniert. • Sekundäre Gefühle sind durch diese erworbenen Komponenten sehr differenziert. Sie werden zwecks Präzisierung künftiger Gefühle abgespeichert. • Emotionen können als persönliche, sehr spezifische Bewertungen des Erlebten und des Wissens aufgefasst werden. Sie sind nützlich für die Voraussage der Zukunft und damit für die Handlungsplanung. • Schwach ausgeprägte Gefühle (ob Angst oder Freude) können die Leistung steigern, stärkere bedingen oft Fehler, sehr starke können Denken und Lernen blockieren.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Das zu Beginn des Kapitels erwähnte Beispiel der Patientin Erna S. unterstreicht, dass eine sachgemäße und zugleich einfühlsame Aufklärung der Patienten über Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, medizinische Tatbestände und Risiken eine extrem wichtige ärztliche und pflegerische Aufgabe und eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Dass die Aufklärung von der Jurisprudenz bei jeder strittigen Gelegenheit zur Umkehr der Beweislast instrumentalisiert wird, mag vordergründig ein Ansporn zu besonderer Sorgfalt sein. Dieser Missbrauch darf aber nicht dazu verleiten, in der hieb- und stichfesten Beweisführung die Hauptaufgabe zu sehen. Wenn sich, wie am Anfang des Kapitels episodisch angedeutet, später herausstellt, dass Lücken im Verständnis eines Patienten oder einer Patientin zurückgeblieben sind, muss das Anstoß zum Überdenken der sachlichen und menschlichen Gesprächstaktik sein. Das Aufklärungsgespräch ist und bleibt für den Arzt eine der wenigen Gelegenheiten zu einem persönlichen Kontakt und zum Aufbau von Vertrauen. Bei der Aufklärung wird der Grund für eine psychologische Führung gelegt, auf dem man oft noch lange weiterbauen muss, unerwartet lange, wenn sich Komplikationen einstellen sollten. Angst ist kein guter Berater, sagt man. Kein Patient wird ganz frei von Angst sein, auch wenn er es behauptet. Und diese Angst wird zu einem integralen Bestandteil seiner Entscheidungsfindung. Wir
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müssen sie einkalkulieren und wenn nötig bekämpfen. Starke Angst bedeutet Stress, und zwar zusätzlich zu dem der organischen Krankheit. Wir müssen dagegen psychologisch und evtl. sogar medikamentös vorgehen. Angst ist auch ein diffiziles Führungsinstrument. Riesiger Schaden wurde und wird täglich damit angerichtet. In einem Team sollte Angst vor Vorgesetzten keinen Platz haben, sie sollte aktiv ausgeräumt werden. Wir sollten uns bemühen, mit Belehrung und mit gutem Vorbild auszukommen.
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Empathie – Sympathie – Vertrauen In den ersten Tagen war die Patientin sehr aufgeschlossen, war an ihren Untersuchungsbefunden, an ihrer neuen Umgebung, auch am Privatleben der Betreuenden interessiert. Das änderte sich plötzlich. Sie zog sich zurück, schlief schlecht, hatte keinen Appetit, hatte keine rechte Lust mehr, noch weitere Untersuchungen zu unterstützen, die der Absicherung ihres Befundes dienen sollten. Sie meinte durchschaut zu haben, dass ihr niemand die bittere Wahrheit sagen wollte … Gudrun A. hatte schon immer ein ausgeprägtes Mitleid mit kranken Menschen. Zunehmend wuchs in ihr der Wunsch, diesen Mitmenschen in ihrer Not beizustehen. Als sie dann aber Krankenschwester wurde, erfuhr sie, dass sie die Leiden der Patienten nicht zu sehr an sich heranlassen solle, dass sie es nicht durchhalten werde, immer die Sorgen und Ängste anderer mitzufühlen, dass sie im Gegenteil allzu großes Mitgefühl verbergen und stattdessen Kompetenz ausstrahlen solle. Würde sie diese Rolle durchhalten können? Der junge Arzt Dr. Andreas J. vermag sich über seine guten Zeugnisse nicht richtig zu freuen. Er empfindet seine noch unzureichende Erfahrung, und er vermutet, dass die Kranken das spüren und ihm nicht wirklich vertrauen …
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Immer wieder wird die Bemerkung jener Krebspatientin zitiert, die sich an die vielen diagnostischen Maßnahmen während ihrer Erkrankung zurückerinnert: „…Als sich dann der Chefarzt auf mein Bett setzte, wusste ich sofort die bittere Wahrheit.“ Abgesehen davon, dass sich heute der Arzt kaum zu seiner Patientin auf das Bett setzen würde, lernen wir daraus, dass Patienten sehr genau auf die Körpersprache von Ärzten und Schwestern achten und viel daraus ableiten.
3.1 Unbewusste und ungewollte Körpersprache Körpersprache? Patienten erfahren mehr daraus, als uns manchmal lieb sein kann. Jeder im Krankenhaus Tätige sollte die folgende Untersuchung kennen: Man hat, wie das in der Psychologie sehr häufig gemacht wird, Gruppen von je zwölf freiwilligen Studenten auf das Lösen von mathematischen und sprachlichen Aufgaben trainiert. Nach einigen vorbereitenden Durchgängen wusste man hinreichend genau, was die Versuchspersonen in der Zeiteinheit leisten können, und wie viele Fehler sie dabei im Durchschnitt machen. Im eigentlichen Experiment wurde dann einer der Gruppen heimlich vorher „im Vertrauen“ gesagt, dass der Versuchsleiter ein ganz gemeiner Kerl sei, der sich schon Unregelmäßigkeiten habe zuschulden kommen lassen. Sie, die Studenten, sollten sich aber nicht anmerken lassen, dass sie diese Information hätten, sondern sich auch im nächsten Versuch so stark wie möglich anstrengen. Im darauf folgenden Durchgang war die Leistung dieser Gruppe eindeutig niedriger als der zuvor ermittelte Durchschnitt. Man kann das damit erklären, dass die Versuchspersonen durch das Gerücht doch abgelenkt waren, über das Gehörte nachdachten, zwischendurch den Versuchsleiter prüfend ansahen usw. Jedenfalls arbeiteten sie nicht so konzentriert wie zuvor. Dann hat man aber die Versuchsanordnung umgekehrt. Man hat in einigen Gruppen nur dem Versuchsleiter heimlich gesagt, er habe diesmal eine ganz schlechte Gruppe, die allgemein immer die
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niedrigsten Werte erreiche. Er solle sich aber auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Es gehe ja darum, korrekte wissenschaftliche Ergebnisse zu bekommen. Die Leistung der Studenten war wieder signifikant niedriger als in ihren Nullserien. Irgendwie haben die Versuchspersonen im zweiten Versuch gespürt, dass man ihnen keine Leistung zutraut, irgendwie muss der Versuchsleiter eine leistungshemmende Beeinflussung ausgeübt haben, obgleich er dies zu vermeiden suchte. Dieses Ergebnis muss allen in der Klinik Tätigen sehr zu denken geben. Wir haben es immer wieder diskutiert. Wie oft verfügen wir im Krankenhaus über Informationen, die wir dem Patienten (noch) nicht mitteilen möchten. Wir haben vor der Tür seines Zimmers die vorliegenden Befunde erörtert, befürchten etwas Schlimmes, verabreden weitere Untersuchungen, und versuchen derweil, jedenfalls vorläufig gegenüber dem Patienten Optimismus auszustrahlen, bis Gewissheit besteht. Wer wollte einem um seine Gesundheit, vielleicht um sein Leben Besorgten unnötige Angst einjagen. Das Ergebnis des obigen psychologischen Versuchs legt nahe, dass uns das Verbergen unserer Befürchtungen nicht oder nur schlecht gelingen wird. Das gilt für alle diejenigen, die in die geheim zu haltenden Informationen eingeweiht wurden, also für Schwestern, Pfleger, Heilgymnastinnen, Reinigungspersonal, und natürlich auch für die Angehörigen des Patienten. Wir müssen also einkalkulieren, dass wir trotz schönster Schauspielerei durchschaut werden können. Das nötige Gespür haben sicher nicht alle Patienten, aber vermutlich ausgerechnet jene, die auch sonst sehr sensibel, vielleicht auch sehr ängstlich reagieren. Wenn Sie zurückdenken, liebe Leserin, lieber Leser, werden Sie sich ebenfalls an Gelegenheiten erinnern, wo Sie schon eine Vorahnung über einen Sachverhalt hatten, den andere Ihnen noch nicht mitteilen, sondern vor Ihnen verbergen wollten. Ich meine, es ist richtig, dem Patienten und seinen Angehörigen nicht sogleich alle Befürchtungen, die vielleicht einmal eintreten könnten, darzulegen, nur um später auch im schlimmsten Falle Recht gehabt zu haben. Wohlgemerkt: Befürchtungen. Nicht zurückhalten wird man Fakten, sobald sie für die Aufklärung oder die Entscheidung für Eingriffe relevant sind. Das ist klinischer Alltag, ich will hier keine Allgemeinplätze abhandeln.
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3.2 Die Empathie ist das „Sinnesorgan“ für die Gefühle Die eingangs geschilderte, im Experiment nachgewiesene ungewollte und unbewusste Kommunikation ist ein Extremfall im Kapitel „Empathie“. Unter Empathie verstehen wir die Fähigkeit des Menschen, die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und sich in sie hineinzuversetzen. Wir machen das normalerweise nämlich nicht mit dem Verstand, sondern mithilfe unseres eigenen Gefühlsapparates. Die Funktion steht auch sozial lebenden Tieren zur Verfügung, die ja keinen Verstand wie wir haben und doch die Stimmung ihrer Artgenossen erkennen und verstehen müssen. So, wie wir Augen haben, um die Welt um uns zu sehen, so haben wir die Empathie, um die Gefühle der Mitmenschen zu erkennen, natürlich unter Verwendung der Augen, aber auch des Gehörs. Wir wollen uns jedoch nicht mit der bloßen Feststellung zufrieden geben, dass die Natur unser Erkennungssystem so gut ausgestattet hat, dass wir unsere Mitmenschen gefühlsmäßig einigermaßen verstehen können. Wir wollen versuchen, den Prozessen auf den Grund zu gehen. Das Wort Empathie ist aus dem Griechischen abgeleitet und heißt ganz wörtlich sich in den anderen hineinfühlen. Der erste Schritt dazu ist das Erkennen der Signale, die der andere sendet: Mimik, Tonfall, allgemeine Körpersprache. Sogar Wortwahl und Wortstellung werden unbewusst registriert und ausgewertet. Dieses Erkennen und Interpretieren von komplexen visuellen und akustischen Signalen besonders in Gesichtern scheint in den basolateralen Kernen der Amygdala durchgeführt zu werden. Manche Menschen sind Meister in dieser Kunst der unterschwelligen Beobachtung, es ist ihnen offenbar angeboren. Andere merken kaum etwas. Aber sie könnten das Erkennen üben, zum Beispiel wenn sie unbeteiligter Zeuge von Unterhaltungen anderer sein müssen, etwa in langweiligen Sitzungen.19 19
Es ist eine alte Regel: Man soll denjenigen, der spricht, ansehen. Offensichtlich muss man ihn sogar genau beobachten, um seine Körpersprache ausreichend zu verstehen. Andererseits soll man als Redender den Anderen nicht zu lange anstarren, sofern man dadurch nicht Dominanz demonstrieren will. Der Patient zum Beispiel kann es als Versuch der Beeinflussung auslegen, als psychologischen Druck.
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Der zweite Schritt ist dann die Auswertung des Erkannten. Die läuft, wie man heute weiß, über Nachahmung. Wenn man zwei Menschen in einem intensiven Gespräch beobachtet, kann man sehen, dass der Zuhörer die Mimik des Redenden imitiert. Als man Menschen in aller Welt Bilder von Gesichtern bei ausgeprägten emotionalen Empfindungen zeigte, wie ich das zu Beginn des vorigen 2. Kapitels berichtete, konnte man beobachten, dass die Leute beim Betrachten der Bilder versuchten, den dargestellten Gesichtsausdruck nachzumachen, um ihn richtig zu verstehen. Man hat sogenannte Spiegelneurone in verschiedenen Hirnbereichen gefunden, die auf diese Aufgabe spezialisiert sind, die also die beobachteten mimischen Aktionen des Gegenübers zu kopieren versuchen. Damasio spricht von einer „Körperschleife“, in die diese Spiegelneurone dann eingebunden sind. Sobald man nämlich die fremde Mimik selbst nachahmt (also Muskelaktionen im Gesicht), generiert das eigene Gehirn auch aus diesen eigenen Muskelaktivierungen „rückwärts“, also in umgekehrter Richtung wie bei selbst generierten Gefühlen, die zugehörige Emotion samt allen Auswirkungen auf Blutdruck, Puls usw., man spürt dann das Gleiche wie der Sprechende, so als wenn man es selbst gesagt und gemeint hätte.20
3.3 Empathie funktioniert auch unbewusst Mit Studenten hat man zu diesem Phänomen ein bemerkenswertes Experiment gemacht. Man hat drei Versuchspersonen in ein kahles Wartezimmer gesetzt und ihnen aufgetragen, nicht miteinander zu 20
Im funktionellen MRT (Magnet-Resonanz-Tomogramm) kann man zeigen, dass dann die gleichen Zentren in der rechten Insula bei SI und SII (Bereichen der Hirnrinde für Gefühle) verstärkt arbeiten, die auch bei spontanen eigenen Emotionen aktiv gefunden werden. Und wenn diese Areale durch Verletzung oder Schlaganfall zerstört werden, fällt die Fähigkeit zur Empathie ebenso aus wie die Fähigkeit zu einem eigenen komplexen Körpergefühl. Übrigens beschränkt sich die Gesamtreaktion des Mitfühlens bei Empathie nicht auf die Gesichtsmuskulatur. Auch Hand- und andere Bewegungen werden oft nachgemacht, und man hat während angeregter Gespräche gemessen, dass sich zum Beispiel Puls, Blutdruck und Leitfähigkeit der Haut (Zeichen für Schweißsekretion) des Zuhörers an die veränderten Werte der Erzählenden angleichen.
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sprechen und sich auch keine Zeichen zu geben. Als vierte Person befand sich ein Schauspieler in der Gruppe. Er hatte ohne Wissen der anderen den Auftrag, sich intensiv, aber ohne Lautäußerungen in einen starken Gemütszustand zu versetzen, zum Beispiel in Wut. Alle waren mit langen Kabeln an Untersuchungsgeräte angeschlossen. Nach spätestens fünf Minuten konnte man bei den drei „Unbeteiligten“ vergleichbare Veränderungen von Blutdruck, Puls und Hautfeuchtigkeit messen, wie sie der Schauspieler in sich selbst durch das gedankliche Hineinsteigern in Wut erzeugt hat. Wir wissen jetzt schon, warum: Sie haben die Körpersprache des Schauspielers imitiert, um herauszufinden, was mit ihm los ist, haben seine Gefühlsäußerungen „gespiegelt“ und dann die Emotion empfunden. Die empathische Imitation erweist sich als erstaunlich differenziert. Wenn bei den Versuchspersonen ein hinreichend breites Spektrum von Parametern untersucht wurde, konnte man aus diesen erkennen, welche der primären Emotionen sie gerade nachzuempfinden versuchten (Ekman 1993).21 Vielleicht werden Sie jetzt daran erinnert, dass Sie unlängst Zeuge von einem Streit unter Kollegen oder Freunden waren. Sie hatten selbst nicht aktiv daran teilgenommen, hatten keinen persönlichen Bezug zum Streitgegenstand. Aber je heftiger der Streit der beiden wurde, desto erregter wurden auch Sie. Stellen Sie sich nun einen Kranken vor, bei dem der Arzt immer in größter Anspannung und Eile „vorbeischaut“. Stellen Sie sich vor, auf der ganzen Station gehe es meistens hektisch zu, die Schwestern haben spürbar (!) ständig
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Die Gefühlsäußerungen des Menschen beschränken sich natürlich nicht auf die mimische Muskulatur. Wir alle wissen, dass Gesten, die Stimmlage oder Wortwahl dem Beobachter sehr wichtige Hinweise geben können. Die körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten für (primäre) Gefühle reifen schrittweise zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat, und sind zunächst spontan und ungebremst. Im Vorschulalter wird dann bereits gelernt, die Gefühlsäußerung zu „verinnerlichen“. Damit wird die Beobachtung bezeichnet, dass eine Entkoppelung zwischen innerlich empfundenen Gefühlen und (evtl. demonstrativer) Expression derselben nach außen stattfindet. Wenn wir bei den Betreuenden oder bei den Patienten nach äußerlichen Zeichen für ihre aktuelle Gefühlslage Ausschau halten, werden wir nur bei Angehörigen einiger (mediterraner) Völker eklatante Beispiele registrieren. In unseren Breiten zeigt „man“ seine Gefühle nicht öffentlich, jedenfalls nicht ungefiltert. Sie sind wesentlicher Teil der Privatsphäre.
3. Empathie – Sympathie – Vertrauen
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Angst, mit der Arbeit nicht fertig zu werden. Die entsprechenden Rügen ihrer Vorgesetzten sind aus ihrer Körpersprache abzulesen. Zudem beschwert sich der durch Wunden und Verbände unbewegliche Bettnachbar lauthals, dass auf mehrmaliges Klingeln niemand kommt, obwohl er dringend Hilfe braucht… Überlegen Sie dann, wie wichtig eine gewisse Seelenruhe für die Genesung ist. Wir haben einen interessanten Einblick in die Prozesse des Erkennens erhalten: Wenn wir mithilfe der Sprache ein Ereignis verstehen wollen, das uns geschildert wird (zum Beispiel einen kleinen Unfall), setzen wir die gehörten Laute in Begriffe und diese wiederum in Vorstellungen um, die wir dann in den Vorstellungsraum unseres Gehirns projizieren und dort mit unserem „geistigen Auge“ sehen. Wir können dann über den Ablauf des Geschehens nachdenken oder uns darüber unterhalten. Wenn wir andererseits das Gefühl des durch den Unfall Verletzten verstehen wollen, entziffern wir dessen Körpersprache und Ausdrucksweise mit Augen und Ohren und ahmen Mimik und Kreislaufveränderungen im eigenen Köper nach. Aus diesen Veränderungen wird dann in einer „umgekehrten Körperschleife“ (Damasio) das Gefühl verständlich für unser Gehirn rekonstruiert. Nun können wir mitempfinden. Der Unfallarzt verzichtet auf das emotionale Verstehen und kann folglich sehr sachlich die Wunde untersuchen und behandeln (bei Verwandten fällt das gelegentlich schwer). Beim Verletzten kann er mit seiner (souveränen) Ruhe Vertrauen erwecken. Die im Kapitelvorspann erwähnte Schwester Gudrun wird dagegen Mitleid zeigen, um das Unfallopfer zu beruhigen und ihm zu signalisieren, dass man als Mitmensch seine Situation zu verstehen und zu bessern bemüht ist. Sie wirkt dann sympathisch (s. u.). Dass wir uns im Kino den dargestellten Gefühlsregungen gelegentlich gar nicht entziehen können, sodass Tränen kommen oder Gänsehaut, dass die Muskeln angespannt, die Lippen bewegt oder die Hände schwitzig werden, hat jeder schon erlebt. Für die Betreuenden im Krankenhaus ist ein zutiefst verstehendes Mitgefühl auch bei der sehr drastischen Schilderung einer Patientin nicht angebracht. Wir sollen ja objektiv bleiben, mit einem gewissen „inneren“ Abstand und jedenfalls ohne Beeinträchtigung unseres Denkvermögens urteilen können. Tatsächlich können wir dazu unser Mitgefühl mit Hilfe des Verstandes bremsen.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Allerdings: Wir sollten dann nicht gleich ein Pokerface aufsetzen, denn es wirkt unbeteiligt oder gar abweisend. Wir sollten durchaus zeigen, dass wir ihre Gefühle verstehen, dass wir mitfühlen können, wenn auch zurückhaltend. Der Kranke möchte nicht nur höflich lächelnde Betreuer, er möchte wissen, dass wir nicht nur für seine Wunde, sondern auch für sein Leiden Verständnis haben. Er möchte unsere engagierte Hilfe, und die Bereitschaft dazu muss er auf der Gefühlsebene spüren können. Nur da glaubt er uns wirklich. Wenn wir es nicht angeboren können, sollten wir es üben, auch und gerade für kurze Kontakte. Freundlichkeit ist wichtig, aber nicht immer genug. Urteile wie „eine gute Schwester“ oder „Er ist ein wirklicher Arzt, nicht nur ein Mediziner“ werden auf dieser Ebene gebildet.
3.4 Untersuchungen zur Sympathie Offene, ehrliche Informationen besonders aus dem Persönlichen eines anderen Menschen wird man in vielen Fällen nur erhalten, wenn man ihm sympathisch ist. Es gibt Menschen, die von fast allen anderen gemocht werden. Man hat untersucht, woher das kommt. Zum einen sind es fast immer fröhliche Menschen. Aber Untersuchungen haben gezeigt, dass diese allgemeinen Lieblinge ein großes Talent für Empathie haben. Sie können sehr gut die aktuelle Gefühlslage des Gegenübers erfassen und sich dann blitzschnell selbst darauf einstellen. Der andere registriert diese Gemütsanpassung dann sofort seinerseits und ist angenehm berührt, es mit einem gefühlsmäßig Gleichgestimmten zu tun zu haben, mit einem „Sympathischen“ = Mitfühlenden. Natürlich hat man auch andere Aspekte der Sympathie studiert. Und man hat darauf aufbauend ganze Ratgeber geschrieben mit Hinweisen für Menschen, die bei ihrer Kommunikation mit anderen darauf angewiesen sind, dass ihr Gegenüber sie sympathisch findet. Das hat nicht nur der Versicherungsvertreter oder der Verkäufer von Schuhen oder Autos nötig, sondern ganz speziell auch der Psychologe oder Psychiater, der den engen, verstehenden Kontakt mit problembeladenen Menschen braucht, die zum Beispiel unter Neurosen leiden.
3. Empathie – Sympathie – Vertrauen
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3.5 NLP: Ratschläge zur Gesprächsführung Menschen mit der Gabe, rasch einen guten Kontakt zu psychisch schwierigen oder abartigen Menschen zu bekommen, sind rar. Man hat deshalb die Patientengespräche von besonders erfolgreichen Psychiatern gefilmt oder auf Band aufgenommen. Und man hat diese Aufnahmen dann mit verschiedenen linguistischen und mathematischen „Modelling“-Methoden analysiert, sie also möglichst subtil und systematisch in ihre einzelnen Bestandteile und Prozessschritte aufgelöst. Und man hat dann daraus ein umfangreiches Regelwerk abgeleitet, mit dem auch weniger Begabte (hoffentlich) psychisch problematische Menschen einerseits in die erarbeiteten matrixartigen Persönlichkeitskategorien einordnen und sie andererseits erfolgreicher ausfragen und beraten können.22 Die Methode hat man Neurolinguistisches Programmieren (NLP) genannt und sie sodann auch auf Verhaltensprobleme von Alltagsmenschen angewandt.23 Versuchen wir, einige dieser Regeln für unsere Gespräche zu nutzen, ohne dass ich an dieser Stelle schon auf die tieferen emotionalen Prozesse eingehe, die hinter den Gesprächstaktiken ablaufen (Kap. 11). Sie besagen zum Beispiel, dass es für den Gesprächspartner wichtig ist, zu erkennen, dass man als Zuhörer seinen Worten genau folgt. Man meldet ihm das am besten durch sogenanntes „Spiegeln“ zurück. Davon ist eine wichtige Unterform zum Beispiel das „Matching“: Man soll die Worte des anderen wiederholen. Natürlich darf man das nicht so simpel wie ein Papagei machen. Vielmehr soll man die Worte des Gesprächspartners in die eigenen Antwortsätze einfügen. Bei wichtigen Begriffen kann 22
Dass auf diese synthetische Weise Durchschnitts-Psychoanalytiker zu Spitzentherapeuten werden können, konnte bisher nicht bewiesen werden. Was man mit der Methode nämlich kaum gezielt analysiert hat und auch nicht weitergeben kann, ist die emotionale Kompetenz der großen Vorbilder. Ich bin sicher, dass diese gerade dadurch ihre herausragenden Erfolge hatten. 23 Heute kann jeder in Büchern oder Kursen diese Methode lernen und sogar zum Ausbilder werden. Während mir die Eingruppierung der Mitmenschen in die errechneten Kategorien problematisch erscheint, sind die Vorschläge für das Kommunizieren mit anderen durchaus interessant.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
man sein Interesse durch entsprechende Betonung signalisieren, oder man kann den Ausdruck des Erstaunens, der Frage oder der Zustimmung hineinlegen. Insgesamt begründet man mit dieser Anpassung der Denk- und Ausdrucksweise ein gewisses Vertrauen. Unter einem „kontrollierten Dialog“ versteht man, dass man von Zeit zu Zeit den Sinn dessen, was der Gesprächspartner (also der Patient) gesagt hat, zusammenfasst und mit eigenen Worten zurückmeldet. Es wurde auch der Begriff des aktiven Zuhörens herausgearbeitet: Man muss gezielt auf die Bekundung von Bedürfnissen, Gefühlen, Wertvorstellungen achten und diese dann selber ebenfalls äußern oder ausdrücklich bestätigen. Es ist eine wichtige Methode, um den anderen zum Mitteilen zu animieren und um die Kommunikation in Gang zu halten. Man signalisiert also gleiche begriffliche Vorstellungen bei sich selber, schafft eine einigende Beziehungsebene, und muss dann nur darauf achten, dass man nicht in Widersprüche zum eigenen Standpunkt gerät bei denjenigen Inhalten, die man dem Gesprächspartner ja gerade ausreden möchte. Weitere Regeln des NLP kennt man auch aus Konfliktvermeidungsstrategien: Es ist ratsam, dem anderen nie Vorwürfe zu machen, auch nicht versteckt. Der Partner würde sofort in Abwehr gehen, sobald man ihn mit seinen Mängeln konfrontiert. Also sollte man ihn besser dazu bringen, diese selbst zu benennen – und kann das dann „spiegeln“. Übrigens ist ungeschickte Kritik auch am Arbeitsplatz nachgewiesenermaßen die häufigste Ursache von Konflikten. Bei Ratschlägen ist es grundsätzlich besser, positive Formulierungen zu benutzen und sie, wie es auch in der Pädagogik üblich ist, auf sich selbst zu beziehen: „Ich wünsche mir…“ anstatt „Du solltest…“ Wenn man dann allerdings Maßnahmen bespricht, muss man darauf achten, sie sehr konkret festzulegen: Wann, wo, wie oft etc. Wer Einzelheiten der NLP-Techniken sucht, findet sie zum Beispiel bei Mohl.24
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Letztlich bleibt das, was der Psychotherapeut Bandler und der Linguist Grinder als NLP erarbeitet und viele andere verbessert haben (Walker hat den Prozess sehr anschaulich geschildert), eine rationale Taktik und Technik. Man kann sie erlernen und mit beträchtlichem Erfolg anwenden. Wirklich erfolgreich jedoch kann die Methode nur sein, wenn sie auf Sympathie und Vertrauen gegründet ist.
3. Empathie – Sympathie – Vertrauen
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3.6 Vertrauen als emotionaler Marker Die Patienten bewerten ihre Betreuer und deren Fähigkeiten auch nicht nur rational, sondern mit emotionalen Markern. Mehr oder weniger gut spüren sie sogar deren Selbstwertgefühl, also: wie sicher die Ärzte und Pflegepersonen selbst ihr Können einschätzen. Daraus folgt dann, ob sie ihrer Krankenschwester und ihrem Arzt vertrauen. Mit diesen emotionalen Markern werden die Betreuer zu „gewichtigen“ Faktoren in der Entscheidungsfindung eines Kranken. Wenn unser Friedrich K. vom ersten Kapitel also schon einmal im gleichen Krankenhaus, vielleicht sogar vom gleichen Team behandelt worden wäre und gute Erfahrungen gemacht hätte, oder wenn sein Arzt ihm vor der Einweisung klar gemacht hätte, dass er nun in die Hände eines ganz berühmten und erfahrenen Spezialisten käme, hätte er vielleicht auf die ganze Aufklärung verzichtet und einfach gesagt: „Helfen Sie mir bitte, so gut Sie können“. Das geschieht zum Glück sehr häufig. Friedrich K. hätte seinem Arzt vertraut. Vertrauen ist auch eine Form der persönlichen Bewertung. Sie beruht meist auf einer komplexen Verarbeitung von Erfahrung, ist also erworben und dient als eine Art Marker. Das Gefühl Vertrauen sagt: Du kannst beruhigt sein, es ist alles in Ordnung, ich bin sicher, es ist keine Gefahr erkennbar. „Blindes Vertrauen“ bedeutet, dass man sich völlig darauf verlässt, nicht nach Tücken Ausschau hält. Dieser Marker wiegt schwer bei Entscheidungen, schlägt die Marker aller anderen Argumente, bei Freunden, bei Mitarbeitern, bei Patienten. Entsprechend groß ist die Verunsicherung, wenn er sich als falsch erweisen sollte, wenn das Vertrauen zum Beispiel missbraucht oder erschüttert würde. Vertrauen ist eng mit dem Phänomen „Glauben“ verbunden, ist seine Voraussetzung. Vertrauen ist im Krankenhaus besonders wichtig. In der Schlussfolgerung von Kapitel 1 hatten wir herausgearbeitet, dass Vertrauen ein Gefühl ist und auf einer sehr komplexen Verarbeitung von Erfahrung beruht. Wir können Vertrauen gemäß Abschnitt 2.2 und 2.3 sodann als eine spezifische sekundäre Emotion einordnen. Wenn wir nun überlegen, wodurch sich dieses Gefühl begründet, können wir aus dem gerade schon Gesagten feststellen, wie sehr es des Eindrucks von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit beim Anderen bedarf, also ein Erspüren durch unsere Empathie.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Die Orientierung unter den möglichen Vertrauenspersonen in einem Krankenhaus wird dem Neuling erleichtert durch allgemein akzeptierte Insignien des Könnens wie Titel oder Positionsbezeichnungen. Die Notwendigkeit einer Lumbalpunktion wird eher akzeptiert, wenn der Herr Oberarzt diese anordnet und nicht bloß der Arzt im Praktikum, auch wenn dieser im Rahmen seiner Doktorarbeit die neueste Literatur zum Thema kennt. Der Oberarzt besitzt die größere Autorität. Es entspricht gängiger Lebenserfahrung, dass er ein guter Fachmann sein muss, weil er es so weit gebracht hat, und auch an diese allgemeine Erfahrung kann man glauben. Die erfahrene Stationsschwester hat gute Gründe, Titel wie Oberarzt oder Professor häufig und mit geeigneter (leicht ehrfurchtsvoller?) Betonung zu verwenden und kann vieles zerstören, wenn sie das Gegenteil tut. Wir werden das ausführlich im Zusammenhang mit dem Placebo-Phänomen in Abschnitt 12.3 begründen.
3.7 Empathie in der Personalführung Empathie bedeutet letztlich auch: zuhören können. Es erfordert Geduld, wenn man die emotionale Situation des Gegenüber ergründen möchte. Und man sollte sich vor übersteigerten Erwartungen an die Fähigkeit der Empathie hüten. Man kann selbst bei ehrlicher Offenheit missverstanden werden. Bei Jugendlichen (ungefähr bis zum 17. Lebensjahr) ist der Gefühlsapparat ohnehin noch nicht ausgereift, und ihnen fehlen zudem ausreichende Erfahrungen. Was für das Patientengespräch nützlich ist, bewährt sich auch in der Kommunikation mit Kollegen, beim Coaching, beim Mentoring, in der interkulturellen Integration, und speziell in der Personalführung. Sie kennen sicher Negativbeispiele. Ohne ausreichende Empathie kann eine Führungsperson grundsätzlich nicht den richtigen Ton für den Umgang mit den Mitarbeitern finden. Ohne Empathie könnte sie insbesondere kaum rechtzeitig Konflikte erkennen. Sie könnte Mitarbeiter nicht umfassend beurteilen, beim Einstellungsgespräch nicht und nicht bei Arbeitsbesprechungen. Ohne Einfühlungsvermögen könnte sie die Nachgeordneten schließlich weder geschickt beraten, noch begeistern, noch in eine
3. Empathie – Sympathie – Vertrauen
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Aufgabe einführen (Goleman). Wer wenig Empathie hat, sollte sich bemühen, wenigstens sein bisschen Talent gezielt einzusetzen und dabei bewusst zu lernen, also eine entsprechende (emotionale) Kompetenz zu erwerben. Diese ersten Kapitel mögen der Leserin und dem Leser ein „Gefühl“ dafür gegeben haben, wie bunt und interessant die emotionale Welt ist. Ihr Verstand hat aus den vielen Einzeldaten eine Art unbestimmten Mittelwert, einen Oberbegriff gebildet, und Sie haben hoffentlich den Marker „interessant, wichtig zu wissen“ damit verbunden. Wir sollten nun versuchen, diese Einzeldaten etwas systematischer und funktionsgerechter in den Ablauf der Gehirnprozesse einzuordnen. Dafür eignet sich die Theorie von den emotionalen Systemen. Der rein klinisch orientierte oder eilige Leser mag das nächste Kapitel zunächst überschlagen. Für ein tieferes Verständnis der geschilderten Zusammenhänge ist es aber hilfreich.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 3 • Fast alle emotionalen Informationen werden nonverbal kommuniziert, und zwar durch Körpersprache oder Tonfall. • Empathie nennt man die Fähigkeit, diese Signale zu erkennen und zu deuten. Spiegelneurone ermöglichen konkretes Mitfühlen. • Arzt und Schwester müssen sich bewusst sein, dass sie sensiblen Patienten auch ungewollt wichtige emotionale Informationen senden. • Sympathisch wirken freundliche, fröhliche Menschen, die sich mittels ihrer Empathie sehr schnell auf den Gesprächspartner einstellen können. • Die gute Führungskraft erkennt mit Hilfe ihrer Empathie aufkommende psychologische Probleme bei den Mitarbeitern. • NLP kann interessante Gesprächstechniken vermitteln, die großen Psychiatern abgelauscht sind, kaum aber deren emotionale Fähigkeiten. • Der Patient sollte seine Probleme und Fehler selbst erzählen. Man kann sie dann spiegeln. • Befehle, Kritik und direkte Anweisungen sollte man vermeiden, damit der (unsichere) Gesprächspartner nicht eine Abwehrhaltung einnimmt.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
• Vertrauen ist eine sekundäre Emotion, die auf persönlicher Erfahrung aufbaut. Sie verlangt Aufrichtigkeit beim Gegenüber. • Sein Vertrauen gründet der Patient ganz wesentlich auf Marker, die er seinen Betreuern aufgrund von Erfahrung und Information zuteilt.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Die Geheimhaltung von Vermutungen und Arbeitshypothesen vor dem Patienten kann gerechtfertigt sein. Wenn der Patient das durchschaut hat, unsere Zurückhaltung spürt, kann man das an seiner gedrückten Stimmung oder der abweisenden Haltung oder mangelnden Konzentration, an Nervosität erkennen, eventuell auch an Appetitlosigkeit oder dem schlechten Schlaf. Achten Sie doch künftig häufiger darauf. Und wenn der Patient gar zu erkennen gibt, dass er den üblichen Zweckoptimismus nicht mehr hören mag, sollte man im Team eine einheitliche weitere Vorgehensweise besprechen, die das Informationsbedürfnis ausreichend befriedigt. Schwester Gudrun A. hat ein wirkliches Problem bezüglich ihres Mitleidens mit den Kranken. Sie soll die Gefühle des Patienten nicht zu intensiv mitfühlen, wenn er sie schildert, zumal er gewaltig übertreiben könnte. Spüren wollen alle Patienten, dass man ein Mitgefühl mit ihnen hat. Aber die meisten wollen es nicht ausdrücklich demonstriert bekommen. Das könnte dann ja irgendwie peinlich sein. Man hat doch gelernt, das Offenbaren seiner Gefühle zu vermeiden, abzukoppeln von dem, was man wirklich im Inneren fühlt. Andererseits sollte man kein Pokerface aufsetzen, sondern Mitgefühl wenigstens andeuten. Die innere Offenheit für die emotionale Komponente beim Anderen und das Abstellen betont geschäftlicher Allüren bei sich selber sollte man aber anstreben. Hier kann ein Problem entstehen: Seine fachliche Überlegenheit muss der Arzt oder die Schwester dem Patienten natürlich beweisen, aber sachlich, nicht durch Überheblichkeit. Emotional dagegen muss er eher mit ihm auf einer Ebene stehen. Er sollte auf der aktuellen emotionalen „Wellenlänge“ mit dem Kranken schwingen bzw. im richtigen „Takt“, denn das hat auch etwas mit Taktgefühl zu tun. Selbst wenn der Patient eher als „Kunde“ ins Krankenhaus kommt, also an seinen
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Problemen nicht wirklich leidet und folglich kein starkes Mitgefühl, jedenfalls kein Mitleiden erwartet, bedarf er doch eines verstehenden Partners. Wenn ein Kranker schon in die Klinik muss, erwartet er mit Recht, dass er und seine Probleme im Mittelpunkt stehen sollten. Sensible Patientinnen und Patienten äußern nicht selten ihren Unmut über den Arzt, der immer hektisch tut und gerade Wichtigeres erledigen muss, oder über den Pfleger, der seine persönlichen Probleme mit der Kollegin bespricht, während sie den Kranken betten und lagern. Auch das Erkennen dieser Einstellung erfordert Empathie – auf beiden Seiten. Ärzte und Schwestern wünschen sich das Vertrauen der Patienten. Sie müssen dem Patienten Gelegenheiten bieten, mit ihrer Person entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Dafür eignet sich in erster Linie ein ehrliches und mitfühlendes Gespräch. Aber auch eine nüchterne, einleuchtend formulierte Fachauskunft kann Vertrauen begründen. Sympathie spielt eine große Rolle. Natürlich kann auch eine gelungene diagnostische oder therapeutische Maßnahme Vertrauen erzeugen, z. B. ein wirksames Schmerz- oder Schlafmittel oder das auf Anhieb gelungene Punktieren der „Rollvenen“. Und schließlich hilft das Lob der Stationsschwester oder der anderen Patienten oder auch mal eine geschickt platzierte Information in der Klinikbroschüre, eine vertrauensvolle Einstellung zu Kontaktpersonen wie zur ganzen Institution aufzubauen. Leider kann eine einzige ungeschickte oder gar bösartige Bemerkung das mühsam Aufgebaute zerstören.
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Emotionale Systeme als Organisationsprinzip Der Mensch ist ein Verstandeswesen, sagt man. Bei genauerer Betrachtung findet ein wichtiger Teil aller Hirnarbeit im Bereich der Emotionen statt, und gerade von diesem Teil hängt auch ganz entscheidend das Verhalten ab. Damit werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen: Wie verhalten sich Verstand und Gefühle zu einander? Wer dirigiert wen? Wir werden kurz den Fragen nachgehen: Warum gibt es überhaupt Gefühle, welche Aufgabe haben sie? Was sind „emotionale Systeme“? Wie funktionieren sie im Gehirn?
Die meisten Tiere, jedenfalls alle höher organisierten haben Gefühle. Aber soweit wir das beurteilen können, „weiß“ nur der Mensch, dass er Gefühle hat. Nur er kann sich gewissermaßen über sie erheben, kann sie bei sich selbst beobachten. Und er kann sie lenken. Ebenso wie die Tiere wird auch der Mensch vielfach aus dem Gefühlsbereich heraus zum Handeln veranlasst und dabei beeinflusst. Allerdings, er kann dieses gefühlsbetonte Handeln mit dem Verstand variieren. Wir denken an den Vergleich mit dem Bildschirm als „Oberfläche“ der elektronischen Vorgänge im PC in Abschnitt 2.1. Wenn wir das ausnahmsweise (ganz unwissenschaftlich) „final“ betrachten, könnte man sogar argumentieren, dass der Urmensch
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
seinen Verstand im Laufe der Phylogenese in erster Linie entwickelt hat, um seine Gefühle in den Griff zu kriegen, um klüger als dieser interne, oft unbewusste Motor zu agieren, um mit Verstand die eigenen Emotionen zu leiten, insbesondere, um besser mit den anderen Menschen seiner Horde auszukommen. Derjenige, der das am besten konnte, der die anderen psychologisch klug zu nehmen und zu beeinflussen wusste, hatte sicher einen Überlebensvorteil gegenüber seinen Mitmenschen. Das gilt heute noch, eher mehr als weniger. Deswegen ist es wichtig, diese Zusammenhänge immer noch besser wissenschaftlich zu erforschen, sie breit zu kommunizieren und dann zu nutzen.25 Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse der beiden letzten Jahrzehnte erlauben uns, viele Phänomene der Psychologie aus den ihnen zugrunde liegenden Bedingungen der Hirnstrukturen zu erklären. Sie erlauben uns, manchen unbewussten Vorgang im Verhalten von uns selbst oder von unseren Mitmenschen besser zu durchschauen und einzuordnen. Sie erlauben uns auch, verständnisvoller darauf zu reagieren und ermöglichen uns folglich, manches Problem im Alltag zu vermeiden. Sie könnten uns helfen, das Miteinander friedlicher zu gestalten, die Lebensqualität vieler zu erhöhen. Im Umfeld kranker Menschen ist das eine besonders wichtige Chance. Wer wollte sie nicht nutzen! Die neuen Erkenntnisse kommen auch dem menschlichen Kausalitätsbedürfnis entgegen. Wir wissen nicht nur, dass die Kausalität diese Welt regiert, unser Denken ist „von Natur aus“ darauf ausgerichtet, möglichst alle Erscheinungen um uns herum irgendwie zu erklären. Diese Erklärungen machen zum Beispiel Eigenschaften verständlich und ermöglichen die sachgerechte Handhabung. Auf das uns angeborene Neugierverhalten kommen wir in Abschnitt 7.5 zu sprechen. Es fragt nicht nur „Was ist das?“, sondern oft auch „Warum?“, und zwar gerade auch in Bezug auf das Verhalten der Mitmenschen.
25 Die
Psychologie hatte bis vor kurzem in diesen Bereichen des Mitfühlens nicht viel zu bieten. Sie hat sich im vergangenen Jahrhundert vorwiegend mit Denkprozessen aller Art beschäftigt, die spektakulärer erschienen und die den vorhandenen Untersuchungsmethoden besser zugänglich waren. Ich nehme dazu in Kapitel 15 Stellung.
4. Emotionale Systeme als Organisationsprinzip
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Deshalb möchte ich Ihrem Verstand, liebe Leserin, lieber Leser, Argumente liefern, um mit den Gefühlen geschickter umgehen zu können, mit den eigenen und mit denen anderer, zuweilen sehr komplizierter Artgenossen. Das könnte zu einer etwas besseren Welt, speziell aber zu einem besseren Arbeitsklima im Krankenhaus führen.
4.1 Kleine Entwicklungsgeschichte der emotionalen Gehirnfunktionen Um im obigen Fragenkomplex herauszufinden, wer von beiden, also Gefühl oder Verstand, eigentlich wann das Sagen hat, ist es nützlich, sich klar zu machen, wer zuerst da war, und welche Rollen er seither besetzt hielt. Dafür ist es hilfreich, sich die phylogenetische Differenzierung des Gehirns zu vergegenwärtigen, folglich ganz weit in der Entwicklungsgeschichte zurückzugehen, um dann, von ganz einfachen Gehirnen ausgehend, die komplizierter werdenden Funktionen, die uns interessieren, abgrenzen und verstehen zu können. Keine Angst: ich habe nicht vor, diese Entwicklung im Einzelnen zu beschreiben. Vier Stufen werden genügen. Aber die Vorstellung, dass auch der Funktion und dem Management unserer menschlichen Gefühle eine schrittweise, folgerichtige Entwicklung vorausgegangen ist, erhellt vieles. Bei ganz niederen Tieren bilden nur wenige Nervenzellen das primitive Gehirn. Diese Zellen vermitteln, dass auf die Reize, die von körpereigenen Rezeptoren aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper registriert und dem Gehirn dann gemeldet wurden, geordnete, aber reflexartig Reaktionen folgen. Die Information, dass ein Feind in der Nähe sein könnte, hat eine bestimmte bewährte Fluchtbewegung zur Folge, die Fülle des Darmes dessen Entleerung. Das primitive Gehirn verschaltet in erster Linie hereinkommende und hinausgehende Nervenbahnen. Ein Stammhirn regelt Stoffwechsel, Atmung, Kreislauf usw. Gefühle gibt es auf dieser Stufe jedenfalls nicht. Bei etwas höheren Tieren wie zum Beispiel bei den Reptilien finden wir dann in ihrem (größeren) Gehirn die direkte Abfolge Reiz – Reaktion für viele Aktionen unterbrochen durch zwischengeschaltete nervliche Koordinierungsfunktionen. Der ankommende
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Reiz, der die Bedrohung durch einen Feind mitteilt, kann nun erst qualitativ und quantitativ analysiert und dann zielgenauer und komplexer beantwortet werden. Wenn jetzt eine Flucht notwendig wird, können rechtzeitig Stoffwechselorgane und das Kreislaufsystem mobilisiert werden, um vermehrt Nährstoffe bereitzustellen für die Muskelgruppen, die die eigentliche Fluchtreaktion ausführen und dafür eventuell über längere Zeit arbeiten müssen.26 Wenigstens die Unterscheidung einiger sogenannter „primärer“ Emotionen wie Angst, Wut oder Freude war offenbar schon auf dieser Stufe für die Koordinierung und Aktivierung gewisser Hirnfunktionen vorteilhaft. Man hat sie, da sie diese Funktion bis hin zum Menschen beibehalten haben, auch „archaische“ Gefühle genannt. Allerdings: ob Tiere solche „Gefühle“ tatsächlich auch fühlen und wie, können wir nicht wissen. In noch wesentlich höher differenzierten Gehirnen, zum Beispiel beim Hund oder der Katze, können diese Zentren, die zwischen Reiz und Reaktion zwischengeschaltet sind und periphere Organsysteme koordinieren, auch noch zentrale Bereiche im Gehirn selbst einbeziehen und dort zu erhöhter Aufmerksamkeit, zu einer situationsgerechten Einstellung und zu gesteuerter Mobilisierung von Erinnerungen führen. Und sie können veranlassen, dass im Gehirn das System „Angst“ aktiviert wird. Auch das Gehirn selbst wird damit für die Flucht eingestimmt, erkennt gewissermaßen den Ernst der Situation. Es koordiniert dann blitzschnell und besonders zielgerecht seine Zentren. Diese Tiere besitzen ein Erinnerungsvermögen unter Koordination durch den nahe gelegenen Hippocampus. Daher können sie Erfahrungen sammeln und sich dadurch unter komplizierten Umweltbedingungen erfolgreich behaupten. Das ist ein gewaltiger Vorteil, denn die in den Genen überlieferten Verhaltensweisen allein wären weder in ungewöhnlichen Umweltnischen noch für den gezielten Einsatz neuer, höherer Fähigkeiten, die diese Tiere im Laufe der Evolution erworben haben, spezifisch genug. 26 Diese
Tiere haben zusätzliche Gehirnzentren, die sich wie ein Ring (lateinisch „limbus“) um das Stammhirn lagern. Man hat hier zeitweilig von einem limbischen System gesprochen, da hier auch noch beim Menschen viele unbewusste, auch gefühlsmäßige Reaktionen in einander greifen. Die Tiere haben in diesem System bereits einen „Mandelkern“.
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Zur Erfahrung dieser Tiere gehört nicht nur das Erinnern an erlebte Situationen und an das eigene Verhalten unter diesen Umständen. Zur Erinnerung gehört nun auch die jeweils generierte emotionale Reaktion, die das Tier in dieser Situation hatte. Es dient der Qualifizierung der Erfahrung. Sie ist nun also durch Angst oder Ekel oder eine Art Freude zusätzlich gekennzeichnet. Im Sinne einer Konditionierung erinnert sich der Hund nicht nur an die Gefahr, dass ihn nämlich ein viel größerer Artgenosse aus einer bestimmten Gartentür heraus angegriffen hat, er erinnert sich auch an die Angst, die dieser ihm eingejagt hatte. Das mag verhindern, dass er leichtsinnig wird. So werden bevorzugt jene Handlungen wiederholt werden, die mit Freude oder Wohlbefinden einhergingen. Im einfachsten Falle wird wohlschmeckende Nahrung zuerst verspeist und ekelerregende gemieden. Das erneute Gefühl von Genuss oder Abscheu dient zur Verstärkung der jeweiligen Erfahrung. Bei sozial, also in Herden oder Rudeln oder Horden lebenden Tieren regeln gefühlsbetonte Erfahrungen natürlich auch das interindividuelle Verhalten, also „Hackordnungen“ oder regelrechte Freundschaften (nachgewiesen zum Beispiel bei Schafen). Emotionen dienen somit als „Bewertungsoperatoren“ für die Erfahrung und beeinflussen das Verhalten höherer Tiere ganz entscheidend. Sie ermöglichen erst ein erfolgreiches Überleben zum Beispiel durch die Auswahl bekömmlicher Nahrung, ermöglichen auch reibungsarme Gemeinschaften. Alle diese Fähigkeiten hat der Mensch auch. Nicht nur „auch“. Bei ihm sind viele davon deutlich weiterentwickelt. Er hat nicht nur ein viel besseres Gedächtnis, mit dem er viel genauer und spezifischer Erfahrungen sammeln kann. Er hat auch einen besonders großen Mandelkern als Zentrum eines ausgedehnten emotionalen Systems, das Gefühle modifizieren, spezifizieren und für die Präsentation im Vorstellungsraum des Gehirns aufarbeiten kann. Er ist in seinen Zielen und Wünschen, ganz besonders aber auch in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen noch mehr von Gefühlen geleitet. Mit ihrer Hilfe hat er außerordentlich komplizierte soziale Systeme aufgebaut, in denen er sich ebenfalls mit ihrer Hilfe zurechtfinden muss. Die Fähigkeit zur Körpersprache hat er gegenüber den Tieren noch um die Fähigkeit zum fröhlichen lauten Lachen oder die zum Weinen unter Tränen erweitert.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Dass der Mensch zudem einen sehr viel besseren Verstand hat, mit dem er denken und vorausplanen kann, ist für unser Thema insofern sehr wichtig, als er mit ihm auch die Gefühle (weitgehend) beherrschen kann. Wir werden speziell über die interessante sozialmanipulierende Funktion des Verstandes in Abschnitt 9.5 reden. Die meisten dieser Aufgaben, die wir in den nächsten Kapiteln noch eingehender behandeln werden, lösen die Gefühle auch ohne das Denken, meist unbewusst. Aber wenn wir sie bewusst einsetzen, indem wir den Verstand zu ihrer Kontrolle und Nutzung gezielt hinzunehmen, erzielen wir die besten Ergebnisse. Vorab ist es wichtig, sich diese vielseitige, alles mitbestimmende Bedeutung der Gefühle, die sie im Tierreich gleichsam „automatisch“ haben, und in der sie in modifizierter Form unterschwellig noch vielfältiger beim Menschen wirken, deutlich zu machen und demgegenüber die modifizierende Einflussnahme des Verstandes als phylogenetisch neues Regelprinzip zu verstehen. In Beantwortung der zweiten eingangs gestellten Frage soll nun die Funktion der Gefühle im Rahmen der Gehirnarbeit etwas eingehender beleuchtet werden.
4.2 Die zentrale Bedeutung des emotionalen Systems Das Wort „Gefühl“ bereitet im wissenschaftlichen Gebrauch semantische Probleme, weil es eine doppelte Bedeutung hat: „Fühlen“ kann nämlich einerseits einfach Sensibilität bedeuten, also Tasten, oder andererseits eben das, was man auch als Emotion charakterisiert: Freude, Angst usw. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Also benutzte man lieber das Wort Emotion. „Emotion“ wiederum kann man neuerdings auch zweifach deuten bzw. aus dem Lateinischen übersetzen. Als Emotion (von „emovere“) werden üblicherweise starke Gefühle bezeichnet, die aus dem Inneren herausdrängen oder einen von innen heraus bewegen (movere = bewegen). Wir haben schon besprochen, dass man hier primäre und sekundäre Emotionen gegenüber Empfindungen und Hintergrundgefühlen abgrenzen kann.
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Man kann „e-movere“ aber auch übersetzen mit „aus einem Grund etwas bewegen“. Also zum Beispiel: Aus Angst vor einer Gefahr den Körper aktivieren und dann weglaufen. Oder: Vor Wut alle Kraft mobilisieren und auf einen Herausforderer losgehen. Oder: Aus Esslust die guten Vorsätze beiseite schieben und zwischendurch Schokolade essen. Damasio spricht in diesem Sinne von einem „emotionalen System“ im Gehirn. Es besteht immer aus drei Schritten: 1. Information oder Warnung als Auslöser (Erkennen von Nahrung oder von einem Feind), 2. Informationsverarbeitung einschließlich der zweckmäßigen Vorbereitung des Körpers, und dann 3. die Reaktion bzw. Handlung. Im zweiten, mittleren Schritt haben die eigentlichen Gefühle eine ganz zentrale Koordinierungsfunktion. Gemäß dem spezifischen emotionalen Konzept (Angst, Wut, Freude usw.) werden die verschiedenen Körperorgane und Hirnzentren in geeigneter Weise angeregt. Dadurch bestimmen die Emotionen die weitere Handlung.27 Dieses emotionale System organisiert (das heißt: beherrscht) unser unbewusstes Reagieren. Man kann es überall erkennen, wo nicht unter der Kontrolle einer verstandesmäßigen Argumentation gehandelt wird, sondern aus dem Gefühl heraus oder aufgrund einer inneren Motivation. Es ist ein großer Teil unseres Verhaltens, das auf diese Weise „aus einem (gefühlsmäßigen) Grund heraus“ (= e-movere) zustande kommt, gleichsam automatisch, aus dem Unbewussten, aus dem heraus es bei Tieren ohnehin immer agiert.28 27
Für die Angstreaktion hat LeDoux diese Abfolge bereits in der Amygdala lokalisiert. An deren lateralen Kern wird die Information gemeldet (bei dessen Zerstörung kann keine Angstreaktion gelernt werden). Im zentralen Kern der Amygdala wird die Reaktion organisiert (Blutdruck etc.), und aus dem basalen Kern kommt dann der Output, also die Auslösung der Abwehrhandlung. 28 Es gibt fundierte Hinweise, dass es nicht nur ein emotionales System gibt, sondern dass im Gehirn mehrere „vorinstalliert“ sind. Zum Beispiel entsprechend den sechs oder acht primären Gefühlen, die wir im zweiten Kapitel besprochen haben, könnten sie den Organismus auf Besonderheiten der aktuellen Situation (etwa durch Angst oder Ekel oder Freude) oder auf die Intention des Individuums (über die Motivation, z. B. Fressen oder Neugierde) nach vorgegebenen Schaltplänen gezielt einstimmen (LeDoux). Man hat gefolgert, dass das, was wir als Gefühl empfinden und ansprechen, nur ein besonderer Ausdruck eines komplizierten Abstimmungsprozesses ist, ein sogenanntes Epiphänomen, das zusätzlich oder ergänzend zu den unbewussten lebenswichtigen Vorgängen auftritt.
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Dabei kann der Verstand natürlich mithelfen. Er kann auch das Kommando übernehmen und sich der Funktionen des Systems bedienen. Im Zentrum muss nicht ein Gefühl stehen, das die spätere Aktion vorbereitet und damit ihre Richtung bestimmt. Es kann auch eines jener angeborenen Bedürfnisse (wie Dominanzstreben oder das Streben nach sozialer Zugehörigkeit oder nach Anerkennung) sein, die wir in Kapitel 7 besprechen werden, die aus Trieben entstehen, die im Tierreich eine wesentliche Ursache von Handeln und Verhalten sind. Sie gehören also zu diesem emotionalen System dazu. Ich werde in diesem Buch das Wort Emotion im herkömmlichen Sinne als Synonym für Gefühl benutzen und sonst vom emotionalen System sprechen. Aber wir werden uns nun bewusst sein, dass dieser Begriff gemäß moderner Vorstellungen den Kern für ein Ordnungsprinzip (System) für spezielle Prozesse im Gehirn darstellt. Natürlich „spüren“ wir sie auch, unsere Gefühle, aber selbst das ist Teil einer gerichteten Organisation unseres situationsgebundenen Verhaltens. Wir werden das und die dirigierende Rolle des Verstandes noch weiter ausführen. Im nächsten Kapitel soll allerdings zunächst der Schmerz als Ursache einer besonderen Form des Gefühls abgehandelt werden, zumal damit ja ein wichtiges Problem in der Behandlung Kranker zur Sprache kommt. Nach dieser Sonderform einer Emotion werde ich eine phylogenetisch sehr altes unbewusstes Reaktionssystem des Körpers anfügen, nämlich die Stressantwort. Auch die Besprechung ihres Mechanismus wird zu interessanten Schlussfolgerungen für die Klinik, aber auch für jeden einzelnen führen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 4 • Der Mensch hat die Fähigkeit zum Selbstbewusstsein und „weiß“ daher, dass er Gefühle hat. • Eine wichtige Funktion des Verstandes besteht in der Überwachung und Lenkung der Emotionen. • Das Gehirn kann man als ein Organ auffassen, das zwischen Reiz und Reaktion geschaltet ist zwecks Formulierung einer präziseren Reizantwort.
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• Emotionen koordinieren verschiedene Körpersysteme und Gehirnzentren, um eine Situation zu bewältigen, z. B. Flucht aus Angst vor einer Gefahr. • Emotionale Systeme sind für derartige Koordinierungen „vorinstalliert“, werden aber an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. • Bei höheren Tieren und beim Menschen werden auch bewusste („fühlende“) Hirnsysteme auf die aktuelle Konstellation (z. B. Gefahr) eingestimmt. • Auch angeborene Bedürfnisse scheinen über derartige Systeme den Organismus für ihre Ziele vorzubereiten und zu leiten. • Der Mensch hat sehr differenzierte Gefühle in einem großen Mandelkern und nutzt sein großes Gedächtnis auch für Gefühlsqualitäten.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Wir haben nun einiges von unseren Emotionen, ihrer Struktur und ihrem Wirken besprochen. Es ist offensichtlich, dass sich die Emotionen nicht für unsere seelische Bereicherung entwickelt haben, sondern für unser erfolgreiches Überleben. Sie bilden einen entscheidenden Teil unserer Erfahrung. Aber wir haben die Freiheit, dennoch mit Hilfe der Gefühle ein vertieftes Erleben des Sinns dieser Welt zu suchen, echt menschliches Miteinander und die Wahrnehmung transzendentaler Schönheiten zu pflegen. Wir können durch diese Illusion große Kunstwerke schaffen und bewundern, können glücklich sein, können wollen, andere glücklich zu machen. In der Realität des Alltags allerdings sollten wir die Gefühle eher als einen Ratgeber nutzen, der uns verborgene Informationen zugänglich machen und mit unserer Erfahrung nützlich verbinden kann. Wenn wir bei einem Kranken Angst bemerken, müssen wir daran denken, dass sein ganzer Körper nun auf diese Aktionsform eingestimmt ist. Es sind nicht nur Blutdruck und Puls höher, er ist insgesamt erregt, eben in Alarmstimmung. Wenn man die Ursache der Angst nicht in einem Gespräch verringern oder auflösen kann, ist (medikamentöse) Beruhigung oder Entspannung gut, gegebenenfalls auch ein stärkeres Anxiolytikum.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Bis zum Abklingen der Angst werden Denkvermögen und Lernfähigkeit eingeschränkt sein, die Aufmerksamkeit wird zwar gesteigert, aber vor allem auf Gefahren und deren Vermeidung zentriert. Diese Mitreaktionen bei der Angst sind bis in ihre Einzelheiten längst bekannte Begleiterscheinungen. Unser Wissen von den emotionalen Systemen soll diese Reaktionen künftig als ein Bündel von Regulierungen begreifen lassen, auf dessen Gesamtheit uns das „Symptom Angst“ hinweist.
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Schmerz als Gefühl und der psychische Stress Markus P. hatte schon am Abend über gewisse Zahnschmerzen geklagt. In der Nacht waren sie nun sehr stark geworden. Paracetamol hatte kaum geholfen, ein Zahnarzt war um diese Zeit natürlich nicht im Dienst. An Schlaf war nicht zu denken. Erst als er am nächsten Morgen die Zahnarztpraxis betrat, war der Schmerz fast verschwunden… Ernste Mienen der Ärzte und Schwestern signalisieren dem Intensivpatienten den Ernst seiner Lage. Die vielen Überwachungsgeräte, Infusionsflaschen und Infusionspumpen deuten auf Gefahren, die ihm offensichtlich drohen. Er hat Angst, ist aufs Höchste angespannt…
5.1 Der periphere und der zentrale Schmerz Auch der Schmerz kann übrigens ein Gefühl sein, was er primär nämlich nicht ist. Die Schmerzsensoren (Nozizeptoren) senden, zum großen Teil nach Umschaltung in vertebralen Ganglien, ihre Informationen zunächst in die somatosensorische Hirnrinde und lösen dort eine Schmerzempfindung und reflexartige Reaktionen aus. Dieser Schmerz entspricht neurologisch der Tastempfindung
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
bei einer Berührung der Hand oder einer Wärmeempfindung. Diese Schmerzempfindung kann man mit „peripheren“ Schmerzmitteln gut dämpfen. Der sogenannte seelische Schmerz als Gefühl wird in höheren, nachgeordneten Zentren erzeugt (Cingulum), an die die Schmerzmeldungen weitergegeben werden können. Hier erlebt man den Schmerz, hier kann er nahezu unerträglich werden. Diese Gehirnbereiche können die Meldung der Nozizeptoren wesentlich abwandeln und sogar überdauern. Unter diesem Gefühl leidet der Patient. Diese Erfahrung musste auch Markus P. mit seinen Zahnschmerzen
Motorische Zone gyrus präcentralis
Sulcus centralis
Somatosensorische Zone gyrus postcentralis
Cingulum
Präfrontaler Cortex
Orbitofrontaler Cortex Amygdala
Hippocampus
5.1 Rechte Gehirnhälfte von medial. Häufig genannte Zonen: Hinter der quer über die ganze Hemisphäre verlaufenden zentralen Hirnfurche (Sulcus centralis) liegt die quer verlaufende Hirnwindung der (somatosensorischen) Fühlzone, in die das Tastgefühl aus dem ganzen Körper projiziert wird. Hier werden auch Schmerzsignale aus der Peripherie lokalisiert. Zu den ältesten Bereichen der Hirnrinde zählt das Cingulum, das in die psychische Verarbeitung der Schmerzsignale eingebunden ist. Zentral im Gehirn liegen die Kerne der Amygdala, die als Gefühlszentrum gelten kann. Benachbart findet sich der Hippocampus als primärer Gedächtnisbereich, in dem Konvergenzzentren die relevanten Gedächtnisinhalte zusammenführen. Im Präfrontalhirn werden emotionale und rationale Intelligenzleistungen und Entscheidungen generiert. Zum Vergleich: Abb. 1.1, Querschnitte durch das Gehirn.
5. Schmerz als Gefühl und der psychische Stress
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machen. Hier hätten Valium, Opiate und andere „zentrale“ Schmerzmittel geholfen.29 Als er am Morgen abgelenkt war und die Angst vor dem Zahnarzt und dem Bohren überwog, trat der psychische Anteil des Schmerzes in den Hintergrund. Auf der operativen Intensivstation erleben wir die beiden Schmerzphänomene täglich. Der Patient hat eine große Wunde und mehrere Drainagen. An deren Austrittsstellen erzeugen schon kleine Bewegungen deutliche Schmerzen. Der Mann tut uns leid. Aber wenn man ihn nach seinem Befinden fragt, lächelt er sogar: „Danke, sehr gut, solange ich mich nicht bewege.“ Die ausreichende Opiatdosis verhindert das Erleben des Schmerzes. Wenn die Wunden nicht berührt und die Schläuche nicht bewegt werden, ist er zufrieden. Ohne das zentrale Schmerzmittel würde der gelegentlich stechende Schmerz an den Wunden zu einem quälenden Dauerschmerz, der mit Erregung einhergeht, und in den sich der Patiente immer weiter hineinsteigert. Mit dem Opiat kommt dagegen noch ein Wohlgefühl hinzu.
5.2 Psychisch ausgelöster Stress Wir hatten oben schon besprochen, dass primäre Emotionen eine Warnfunktion haben und in ihrer somatischen Wirkung den Körper auf die kommende reaktive Anstrengung vorbereiten (bei Angst: Aktivierung für die Flucht; bei Wut: für den Angriff). Über eine vergleichbare Warnfunktion verfügt der Organismus bei allgemeinen Belastungen wie Verwundung oder Infektion. Unter Stressreaktion versteht man die weitgehend „genormte“, automatisch stereotyp ablaufende Antwort des Organismus auf diverse „Stressoren“. Als solche gelten neben Verletzung oder Infektion und anderen Erkrankungen eben auch psychische Belastungen. Diese wiederum können vielfältig sein, aber Angst, sei es nun vor 29
Man kann die Verbindung zwischen somatosensorischer Hirnrinde und den höheren Schmerzzentren chirurgisch unterbrechen. Der Patient registriert danach noch den Schmerz, leidet aber nicht mehr darunter. Bei dem heute noch zu groben Eingriff (Leukotomie) wird leider meistens auch die Überleitung anderer wichtiger Gefühlsqualitäten und damit die Persönlichkeitsstruktur massiv beeinträchtigt.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Gemeinsame Endstrecke:
Hektik
selbstgemacht... aufgezwungen...
Stress
bedroht...
Angst überfordert... verunsichert...
Wut provoziert… Störungen aufgestaut… Gefühl der
Hilflosigkeit
Unvermögen... äußerer Zwang... Depressivität... aufgestauter Hass...
akut "Training" Katecholamine
chronisch Überlastung Katecholamine ! Cortikoide !
5.2 Psychische Stressoren und Verlaufsformen der Stressantwort: Links Beispiele wichtiger psychischer Belastungen, die Stress erzeugen können. Tritt die Belastung nur akut, also plötzlich und kurzfristig auf (rechts oben), wird sie vom emotionalen System mit Alarmierung des Körpers beantwortet, z. B. durch die Ausschüttung von Katecholaminen, die ja auch bei körperlichen Arbeiten eine Rolle spielen. Sofern die Belastung nicht übermäßig stark ist, kann man sie mit einem Training vergleichen (sog. „Eustress“). Wirkt die psychische Belastung aber lange ein, kumulieren die Cortikoide wegen langer Halbwertzeit. Sie können schwere Nebenwirkungen haben (z. B. Beeinträchtigung der Infektabwehr, Bildung von Blutgerinnseln) und so zum Ausbruch einer Erkrankung beitragen.
konkreter Bedrohung oder vor unbekannten Gefahren oder vor eigenem Versagen, ist die wichtigste. In der akuten psychischen Stresssituation misst man stark erhöhte Spiegel der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin (in Abb. 5.2 rechts Mitte). Da diese Hormone ganz analog auch beim körperlichen Training im Fitnesscenter ansteigen, spricht man bei kurzfristigen psychologischen Belastungen von einem Eustress30, 30
Was ist neben der Gefahrlosigkeit wohl gut beim psychischen Stress? (EuStress: „eu“ heißt im Griechischen gut.) Man könnte argumentieren, dass das Gute in einer Art Trainingsresultat zu suchen ist, einer gewissen Adaptation, also z. B. darin, dass es einem schließlich nichts mehr ausmacht, wenn der Chef nervt.
5. Schmerz als Gefühl und der psychische Stress
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also einem guten, unschädlichen, fraglich sogar nützlichen Stress. Jedenfalls braucht man auch aufwühlende psychische Belastungen wie Wut auf den Chef oder Angst vor den Folgen einer Nachlässigkeit nicht als Gefahr für den Körper zu fürchten, solange ein Ausklingen der Reaktion und eine Erholungsphase gewährleistet sind.31 Für den Klinikalltag mag gelten: Wenn der Patient vorübergehend eine gewisse (mäßige) Angst vor einem Eingriff hat, erhöht das die Mobilisation seiner Kräfte für die anstehende Belastung und wird jedenfalls nicht nachhaltig schaden.
5.3 Wiederholter oder fortdauernder psychischer Stress macht krank Corticoide werden beim Stress immer auch in geringen Mengen ausgeschüttet. Erst im chronischen oder kurzfristig rezidivierenden Stresszustand werden sie stark erhöht gefunden, weil sie eine viel längere Halbwertzeit haben als die Katecholamine und daher kumulieren. Aus ihren Nebenwirkungen bei längerfristiger Spiegelüberhöhung kann man einige gefährliche Stressfolgen erklären. • Corticoide senken die Effizienz der Infektabwehr. „Schlummernde“ Infektionen können aufflackern, der Betroffene bekommt Herpes-Effloreszenzen oder ein Magenulcus, falls er dort gewisse Erreger (Helicobacter pylori) beherbergt und nun nicht mehr ausreichend kontrollieren kann. Die Erkrankung hätte er ohne den Stress, also ohne die chronische psychische Belastung nicht bekommen, sie kann somit als psychogen (von der Psyche ausgelöst) eingestuft werden.
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Adrenalin steigert unter anderem die Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit, man wird alarmiert, wachsam und besonders aufnahmefähig. Gleichzeitig wird beim Stress Cortisol ausgeschüttet. Der Signalweg geht dabei vom zentralen Kern der Amygdala über den Hypothalamus zur Hypophyse, die ACTH (adrenocorticotropes Hormon) ins Blut abgibt und damit die Nebennierenrinde zur Cortisolausschüttung veranlasst. Das Cortisol wirkt an Rezeptoren der Synapsen im Gehirn leistungsfördernd und erhöht die Lernfähigkeit.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
• Als gravierender Effekt des chronischen Stress wird zweitens gefürchtet, dass die Corticoiderhöhung das Gerinnungssystem verändert: vermehrte Gerinnungsneigung kann zum Verschluss der Herzkranzgefäße und dadurch zum Herzinfarkt führen, sofern schon (meist subklinisch) Intimaveränderungen (Verdickungen der Gefäßinnenwände) bestanden. Auch dieser thrombotische Coronarverschluss wäre ohne den chronischen psychischen Stress nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt entstanden. Dass tatsächlich psychologische Faktoren zu Herzinfarkten führen, zeigten zum Beispiel Nachuntersuchungen bei Herzinfarktpatienten. Man hatte sie hinsichtlich ihrer Neigung zu depressivem oder ähnlichem Verhalten befragt. In der Gruppe derjenigen, bei denen die Tendenz zur Verstärkung von psychischen Problemen aufgefallen war, die sich gewissermaßen in den Stresszustand hineinsteigerten, kam es innerhalb von zehn Jahren fünfmal häufiger zu erneuten Infarkten als in der Gruppe der in dieser Hinsicht Unauffälligen. Selbst eine entscheidende Möglichkeit zur Prävention wurde in diesem Zusammenhang aufgezeigt. Bei zwei vergleichbaren Kollektiven von Patienten nach überstandenem Herzinfarkt bekamen in einem prospektiv kontrollierten Versuch die Kranken im einen der beiden „Arme“ (Vergleichsgruppen) der Studie die Aufgabe, zwei Wochen lang jeden Morgen einen Aufsatz über eine der psychischen Belastungen, die sie erlebt hatten, wie Ängste, Wut, Zeitdruck etc. zu schreiben und ausführlich alle Ursachen und Zusammenhänge und Folgen abzuhandeln. Dann wurden alle Patienten beider Arme der Studie in gleicher Weise therapiert und einer Rehabilitation zugeführt. Nach zwei Jahren hatten die Patienten in der Verum-Gruppe, die also die schriftliche Problemaufbereitung durchgeführt hatten, nur halb so oft Reinfarkte bekommen wie diejenigen in der Gruppe ohne diese Übungen.32 32
Das ist ein erstaunlich starker Effekt, wenn man bedenkt, dass ja neben der psychischen Ursache noch viele andere Infarktursachen wie hoher Blutdruck, Rauchen, Hypercholesterinämie oder Diabetes als Ursache von Reinfarkten hätten wirksam sein können. Wir kommen auf die Stressbewältigung noch einmal zurück im Zusammenhang mit chronisch schlechtem Gewissen in Abschnitt 6.8 und mit Mobbing in Abschnitt 7.6.
5. Schmerz als Gefühl und der psychische Stress
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Damit halten wir die entscheidenden Argumente für die Beantwortung einer jahrzehntelang diskutierten Frage in Händen: Gibt es eine psychische Auslösung von organischen Erkrankungen, und wie funktioniert sie? Es gibt sie, und man muss versuchen, psychische Probleme aufzuarbeiten. Es wäre ein ungewöhnliches Ansinnen, wenn wir unseren Patienten vorschlagen würden, Tagebuch über Einzelheiten ihrer Ängste im Krankenhaus und über ihre sonstigen Probleme zu führen. Aber vielleicht würde es manchem helfen. Und vielleicht kann der eine oder andere Leser das gelegentlich tun, vielleicht gewöhnt er sich an, aus diesem Grunde ausführliche Protokolle über stressige Angelegenheiten für die Akten zu verfassen – einfach zum Abreagieren? Übrigens fand man im Tierexperiment nach lang andauernder Erhöhung der Corticoide auch Schäden im Hippocampus, also dem
Chronischer Psychostress:
Reizbarkeit Intoleranz Lustlosigkeit Hoffnungslosigkeit Konzentrationsschwäche Versagensängste Kontaktarmut Depression 5.3 Burnout-Syndrom. Chronischer Psychostress (z. B. Mobbing oder Zeitnot) kann zu schweren seelischen Problemen führen. Ab einer gewissen Stärke (unterer schraffierter Bereich) ist professionelle Hilfe notwendig. Aber auch in leichteren Fällen ist Wachsamkeit und das Bemühen um Abhilfe angezeigt.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
wichtigsten Erinnerungszentrum, sowie im Entscheidungsbereich des Präfrontalhirns. Das mag Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, als ein gewichtiges Argument für das Vermeiden oder den Abbau von chronischem Stress gelten, wenn Sie in eine solche Lage kommen sollten. Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass psychischer Stress nur zu organischen Krankheiten und dahin nur über Cortikoide führen kann. So sei hier wenigstens noch das sogenannte Burnout-Syndrom genannt. Es handelt sich keineswegs, wie der Name suggerieren könnte, nur um einen Erschöpfungszustand. Die Abb. 5.3 zeigt Stadien verschiedener Intensität. Schwere und unter Umständen irreparable Funktionsstörungen können schließlich resultieren und erfordern auf jeden Fall fachgerechte Betreuung. Gefährdet sind leider auch Krankenhausmitarbeiter. Positive Rückkoppelungen, also Verstärkungen gibt es sicher auch. „Man steigert sich immer mehr hinein“.33 Durch intensive, möglichst umfassende und daher zweckmäßig schriftliche Analyse kann der Wissende diese mentalen Prozesse offenbar selbst soweit für sich aufarbeiten, dass der Marker nicht mehr sofort oder schwächer anspricht, dass schließlich die „Schleife“ nicht mehr oder nur noch ausnahmsweise durchlaufen wird.
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Ein mentales Problem, das für uns Stress bedeutet, führt sicherlich kein unkontrolliertes Eigenleben in den unbewussten Netzwerken des Gehirns, wie Freud sich das vorstellte. Wir können heute vermuten, dass unser Gehirn entsprechend gravierende gedankliche Zusammenhänge, die Unrecht oder Beleidigungen enthalten oder Erschrecken und Entsetzen verursachten, einfach abspeichert. Aber es könnte eine Art Marker angebracht sein, der „Wiedervorlage“ bei geringsten Anlässen verlangt und immer erneute Erörterung in argumentativen mentalen Zirkeln veranlasst. Eine ärgerliche oder beleidigende Situation kommt uns bei jeder dummen Gelegenheit wieder in den Sinn. Nicht nur in den Sinn: Auch die zugehörigen Gefühle sind sofort wieder da. Parallel zur wieder aktivierten Emotion wird von der Amygdala dann auch die „somatische Schleife“ (Damasio) ausgelöst. Sie veranlasst über Epiphyse und Hypophyse die Ausschüttung von Corticoiden. Im Einzelnen sind diese Prozesse noch Gegenstand der Forschung.
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5.4 Vielfacher Psychostress im Krankenhaus Interessant ist noch ein anderer Befund: Die endokrinen Phänomene bei Konflikten treten verstärkt auf, wenn man die Konflikte zu unterdrücken versucht, weil man zum Beispiel seinen Ärger nicht zeigen darf. Das betrifft nicht nur Klinikpersonal. Man bedenke, wie nachteilig es für einen Patienten sein könnte, wenn er keine Gelegenheit bekommt, bohrende Probleme loszuwerden, die ihn bedrücken, oder wenn er sich gar irgendwie verletzt oder schlecht betreut fühlt und sich nicht traut, das auch auszusprechen, oder wenn er meint, den „starken Mann“ spielen zu müssen. Man sollte sich vornehmen, ein Gespür für solche Patienten zu entwickeln. Man sollte eine Aussprache anbieten. Der Kranke wird besser schlafen, und vielleicht kann man vermeiden, dass sich im weiteren Krankheitsverlauf eine psychogen verursachte Komplikation entwickelt. Bezüglich der beruflichen Belastung weiß man heute, dass unsere Psyche schon eine langfristige Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls als chronischen Stress wertet. Eine Untersuchung an 17.000 britischen Angestellten im öffentlichen Dienst ergab, dass der berufliche Status ein besserer Parameter zur Voraussage eines Herzinfarktes war als Rauchen, Adipositas oder Hypertonie (Matt Ridley). Im Krankenhaus mag dieser Faktor ebenfalls für manchen Mitarbeiter relevant sein. Aber am meisten ist sicher das Selbstwertgefühl der Patienten beeinträchtigt. Auch von dieser Seite her dürften diese also zusätzlich stressgeplagt und gefährdet sein.34 Unsere entsprechenden Überlegungen zum Selbstwertgefühl in Abschnitt 1.8 werden hierdurch also bestärkt. Auch ein anderer, diesmal im Tierversuch erhobener Befund lässt sich auf die Situation von Patienten im Krankenhaus übertragen: Nicht weglaufen zu können, keine Aussicht auf Heilung 34 Das Ergebnis dieser Studie wird auch mit einem Gefühl der Hilflosigkeit erklärt.
Der Betroffene hat das Gefühl, nicht (mehr) Herr der Lage zu sein. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das dann seinerseits das Selbstwertgefühl mindern würde, spielt auch in der Soziologie zum Beispiel bei der Begründung mancher Jugendkriminalität eine große Rolle (s. Abb. 5.2).
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zu haben, bedeutet starken Stress. Die Erkenntnis, dass es keine Rettung gibt, treibt zum Beispiel schwimmende Ratten in den vorzeitigen Tod durch Ertrinken. Zeigt man ihnen eine Ausstiegsmöglichkeit, entwickeln sie enorme Ausdauer. Ratten gelten als kluge Tiere. Jede Krankheit bedeutet schon als solche Stress für den Körper. Eine zusätzliche psychische Belastung muss besonders schädlich sein. Einem Maximum an derartigem Stress dürften Patienten auf der Intensivstation ausgesetzt sein. Darauf sollte der zweite „Fall“ am Anfang des Kapitels hinweisen. Der Patient ist im psychischen Dauerstress und hat keine Chancen, sich selbst zu helfen. Ausreichende Sedierung und/oder Opiate können aus diesem Grund indiziert sein. Wir müssen uns das ständig vor Augen halten: manche „überraschende“ Komplikation während einer Intensivtherapie dürfte (zusätzliche) Ursachen im psychologischen Bereich haben. Goleman hat zahlreiche Studienergebnisse zusammengetragen, die alle belegen, dass der Abbau psychischer Belastungen wie Angst oder Depressivität die Heilungsdauer der eigentlichen organischen Krankheit ganz wesentlich abkürzt. Die Bemühung um den psychischen Zustand der Patienten könnte damit sogar ganz erhebliche Finanzmittel einsparen. Der Effekt betrifft die Prophylaxe und die Therapie von Psychostress, lässt sich aber leider nicht quantifizieren und in zusätzlichen Bedarf an Personalstellen umrechnen. Somit wird man vermehrt zu Medikamenten greifen müssen. Einen kurzen Absatz sollte ich hier auch der Zeitnot und Hektik widmen, denen heute so viele Mitarbeiter im Krankenhaus unterworfen sind. Schon im Vorwort habe ich darauf verwiesen, und in der Abb. 5.2 stehen sie unter den Stressursachen an erster Stelle. Mehrere Autoren (und unter ihnen sehr anschaulich St. Klein) argumentieren, dass die psychische Belastung weniger durch die überhöhte Zahl der Aufgaben als durch die Angst, ihnen nicht gerecht werden zu können, erklärt werden muss. Und Angst ist der größte Stressor überhaupt. Daraus ergibt sich dann jedenfalls ein zusätzlicher Aspekt der Strategie für die Vorbeugung der Hektik und der Therapie ihrer Folgen: Man sollte sich nicht nur überlegen, welche Aufgaben man bei realistischer Einschätzung rein zeitlich und kräftemäßig überhaupt erledigen kann, man sollte
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auch eine Vorstellung entwickeln, wie man das dann emotional durchhalten kann. Grundsätzlich hat man auf das Auftreten von Emotionen und auf ihre Intensität so gut wie keinen Einfluss. Sie werden durch entsprechende Umstände (Trigger) ausgelöst. Man kann also nur versuchen, die Auslösemechanismen zu vermeiden oder aber das Aufwallen der Emotion im Frühstadium zu erkennen, um sie dann zu bremsen. Wenn ein starker Gefühlsausbruch bereits besteht und gemindert werden soll, muss man seine Charakteristik beachten. Wut und Angst gehen mit Erregung einher. Entspannungstechniken und Beruhigungsmittel sind hier angebracht. Traurigkeit hat dagegen ein gedämpftes, niedriges Erregungsniveau. Ob allerdings der Rat, dann die körperliche Aktivität zu erhöhen (Bewegung bis zu Gymnastik, Aerobic), zur Besserung beizutragen vermag, dürfte von den Umständen abhängen. In schweren Fällen wird man um Antidepressiva oder andere einschlägige Psychopharmaka nicht herumkommen.
5.5 Gefühle dienen der Koordination Zum Abschluss des ersten Teiles dieses Buches seien einige der wichtigsten neurowissenschaftlichen Vorstellungen über Emotionen nochmals zusammengefasst. Die angeborenen emotionalen Systeme (Definition in Abschnitt 4.2) dienen in Standardsituationen der Koordinierung verschiedenster Organsysteme des Körpers und gleichzeitig auch von wichtigen Zentren des Gehirns. Sie erleichtern die Beherrschung von Gefahr oder Schmerz oder ermöglichen das Erlangen von Vorteilen und Lust. Wir haben schon besprochen, dass es für derartige Abstimmungen wahrscheinlich etwa sechs angeborene Grundmuster gibt entsprechend den primären Emotionen Angst, Ekel, Zorn, Trauer, Freude, Überraschung. Die Intensität der jeweiligen Koordinierungsaktion lässt sich jedem speziellen Anlass entsprechend variieren, und mehrere emotionale Systeme können kombiniert sein, sodass jedenfalls beim Menschen eine beachtlich variierende Palette von Körperzuständen und Ausdrucksmöglichkeiten generiert werden kann. Für kompli-
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ziertere, sekundäre Gefühle wie Peinlichkeit oder Misstrauen, Platzangst oder Nationalstolz ist dann die Mitwirkung der Hirnrinde (Insula) erforderlich sowie sehr zahlreiche Rückkoppelungen mit den Gedächtnisspeichern. Das Resultat der primär unbewussten emotionalen Abstimmungen der Organbeteiligung kann im sogenannten „Gefühlskortex“, also in einem Bereich der übergeordneten Hirnrinde ins Bewusstsein gehoben und dort als Gefühl projiziert werden. Im Bewusstseinsbereich der orbitofrontalen Hirnrinde, werden emotionale und rationale Informationen zu einem höherwertigen Wissen verbunden. Auch hier ist das Gefühl also nicht Selbstzweck, sondern dient nun z. B. der Einstimmung rationaler (verstandesmäßiger) Prozesse auf den aktuellen Trend der Reaktion. Denn auch das Denken muss im Interesse des Individuums in den Gesamtprozess einbezogen werden, im Falle einer Wut erzeugenden Situation z. B. als gezielte und dosierte Antwort. Wenn der Oberarzt sich von einem vorlauten Assistenten angegriffen fühlt und sich spontan wehren will, sollten außer der Wortwahl auch Lautstärke, Tonfall und die gesamte Körpersprache der angestrebten Wirkung entsprechen. Die Antwort kann sachlich, ironisch, sarkastisch oder mitfühlend, belehrend, befehlend sein, kann Zorn, Wut, Enttäuschung, Verachtung und anderes mehr ausdrücken. Wie gut, wenn der Oberarzt seine Ressourcen gezielt und differenziert einsetzen kann! Überhaupt und ganz allgemein: Ein persönliches Gespräch ohne Emotionen ist nicht vorstellbar. Und alle Gespräche mit Patienten sollten in diesem Sinne persönlich sein. Wir können damit von den Naturwissenschaften wieder zur Psychologie zurückkehren. Qualitativ unterscheidet sich das Bewertungssystem, das ich deswegen anfangs in einem eigenen Kapitel (1) beschrieben habe, von den eben behandelten primären und sekundären Emotionen, obgleich die entscheidenden Zentren von beiden Prozessen in den Amygdalae liegen und beide auch empfindungsmäßig verwandt sind. Das Bewertungssystem bestimmt die Bedeutung für das Individuum und stellt eine Subjekt-Objekt-Beziehung her, also: Wie sehr mag ich die Stationsschwester und wie sehr ihre Stellvertretung. Die Emotionen dagegen regulieren, wie ich mit der Angst vor deren Maßnahmen, also der Spritze oder dem hohen Einlauf, umgehe: Soll ich ablehnen, da weglaufen nicht angeraten
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erscheint, oder soll ich mit einer Ausrede noch eine Schonfrist erwirken? Die Emotionen moderieren und koordinieren die Reaktion des Individuums. Wir haben uns im ersten Teil dieses Buches überwiegend mit Emotionen beschäftigt und erfahren, dass sie einen deutlichen Einfluss auf das Verhalten sowohl von uns selbst als auch von Kollegen und Patienten haben. Im nächsten Teil sollen nun Motivationen besprochen werden, also die Antriebe, die das Handeln und damit auch das Verhalten eigentlich hervorrufen. Dabei richten wir das Augenmerk zunächst auf die allgemeine Lust zum Tätigwerden, also auf eine ungerichtete Motivation. Wir werden sehen, dass sie viel mit unserer Stimmung zu tun hat, und werden uns problembewusst fragen, wie man diese dann beeinflussen, wie man mit Launen umgehen kann.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 5 • Schmerz kann zusätzlich zur neuronalen auch eine psychische Komponente haben. • Die Schmerztherapie muss stets zwischen peripheren und zentralen Schmerzen differenzieren. • Emotionen können als persönliche, sehr spezifische Bewertungen aufgefasst werden. Sie dienen dadurch dem besseren (Über-) Leben. • Ängste beeinträchtigen nachweislich die Gesundung, Wohlbefinden und Freude fördern die Genesung. • Jede Behandlung in der Intensivstation bedeutet für den Patienten auch psychischer Stress, dessen Auswirkungen in die therapeutischen Überlegungen einzubeziehen sind. • Wiederholter oder fortdauernder psychischer Stress kann (z. B. über die Erhöhung des Corticoidspiegels) organische Erkrankungen auslösen. • Durch intensive, möglichst schriftliche Aufarbeitung kann man psychische Stressoren auflösen oder abschwächen und sogar Herzinfarkte vermeiden. • Das Burnout-Syndrom ist nicht immer nur ein Erschöpfungszustand, sondern kann in schwere psychische Funktionsstörungen münden.
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Teil I: Emotionen: Instrumente für persönliche Bewertungen
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Bei Schmerzäußerungen ist es sinnvoll, zweistufig nach neurologischen Vorstellungen vorzugehen: Zuerst muss man die ausreichende Versorgung der (lokalen) peripheren Schmerzursache anstreben (je nach Lokalisation z. B. Ruhigstellung, Hochlagerung und andere abschwellende Maßnahmen, Kühlung, Lokalanästhesie, peripher wirkende Analgetica). Getrennt davon wird dann der seelische Schmerz angegangen: Ablenkung, Beruhigung oder Erklärungen, Sedierung, Opioide oder andere zentral angreifende Schmerzmittel. Dabei gilt der Grundsatz, frühzeitig, möglichst sogar prophylaktisch zu beginnen, um die psychische (Über-) Reaktion zu vermeiden. Uralte Regel: Sobald der Schmerz als Symptom wahrgenommen und gebührend berücksichtigt ist, muss er als Teil der Erkrankung bekämpft werden. Psychischer Stress ist bei jedem wachen Schwerkranken auf der Intensivstation zu unterstellen, auch wenn andere Pathomechanismen aktuell im Vordergrund stehen. Er ist immer eine namhafte Zusatzbelastung und war schon oft die Ursache einer unerwarteten, „unglücklichen“ zusätzlichen Komplikation. Die Stressursache „Intensivpflege“ wird tagelang fortbestehen, rationale Erklärungen und emotionale Zuwendung werden nur vorübergehend den Psychostress mindern. Vergessen Sie die Sedativa nicht (solange nicht ohnehin Opiate gegeben werden). Chronischen Psychostress bei sich selbst sollte jeder diagnostizieren können. Man versuche, die Ursachen nüchtern, verstandesmäßig zu analysieren, eine souveräne Übersicht zu gewinnen. Man beobachte sich gewissermaßen von oben. Der Psychologe nennt das die „Hubschrauberperspektive“. Bestätigt diese Analyse psychischen Stress, sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, denselben möglichst genau und ausführlich schriftlich aufarbeiten, so wie Ihnen gerade zumute ist, sei es in Form einer Protokollnotiz mit allem Für und Wider für die Akten oder als Entwurf für einen gepfefferten Brief. Wenn Sie können, sollten sie das noch am gleichen Tag erledigen. Der Abend wird dann entspannter, der Schlaf in der Nacht ruhiger sein. Den Brief müssen Sie natürlich am nächsten Tag korrigieren, wahrscheinlich abmildern, also an die Nehmerqualitäten des Adressaten anpassen. Vielleicht schicken Sie ihn dann gar nicht ab, denn Ihnen hat er ja schon geholfen!
Teil II Motivationen Ungerichteter und gerichteter Antrieb
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Stimmung als ungerichtete Motivation Frau Dr. L. hatte sich sehr bemüht, den Auftrag ihres Chefs gut zu erledigen. Insgeheim hatte sie sich seine lobenden Worte schon ausgemalt. Umso mehr war sie enttäuscht von seiner abwertenden Beurteilung. Die unerwartet schlechte Kritik dämpfte ihre Stimmung und Arbeitsfreude … Frau Ingeborg R. ist unzufrieden, ja sogar verärgert. Vor der Röntgenabteilung habe man sie ewig lange warten lassen, obgleich die Stationsschwester sie doch angemeldet hatte. Und im Röntgenraum sei sie richtig ausgekühlt. Sie habe schon niesen müssen und werde sicher eine Erkältung bekommen … Die Oberschwester, Frau Mechthild D., hatte ihrer aufgestauten Wut etwas nachgegeben. Sie hatte den Pfleger Anton wegen lascher Dienstauffassung schon lange beobachtet. Jetzt reichte es, meinte sie. Und das hatte er so nicht erwartet. Er knickte förmlich zusammen und zitterte aus Angst um seine Stelle. Ganz so hart hatte sie es nicht gemeint … Die zunächst erschreckend ausgedehnten Folgen des Schlaganfalles von Herrn Sch. hatten sich erfreulich gut zurückgebildet. Lediglich die Lähmung des rechten Beines würde wohl bleiben. Das bedrückte ihn sehr, denn beruflich und mehr noch in seinen Freizeitaktivitäten und damit in seiner Lebensqualität würde er sehr behindert sein …
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Die oben als erstes thematisches Beispiel erwähnte Frau Dr. L., die jüngste, aber schon recht resolute Ärztin der Abteilung, hatte die Aufgabe bekommen, bei Gelegenheit bestimmte Daten aller Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen des vergangenen Jahres zusammenzustellen. Es war ihre erste Chance, sich zusätzlich zur täglichen Routine und ganz selbstständig zu bewähren. Also hatte sie viele Extrastunden investiert. Wir begleiten sie nun auf dem Wege zum Chef, dem sie ihr Werk vorstellen soll. Da sie überzeugt ist, dass sie interessante Befunde ermittelt und diese intelligent ausgewertet hat, nimmt sie an, der Chef werde sie loben. Wir als Beobachter sind gespannt, ob er das wirklich tut. Vielleicht hat sie nicht wirklich sorgfältig untersucht, vielleicht hatte sie seine Aufgabenstellung falsch verstanden, vielleicht sind die Daten inzwischen für den Chef nicht mehr oder in ganz anderer Zusammenstellung interessant. Wir werden erkennen, wie von seiner Beurteilung die Stimmung abhängen wird, in der Frau Dr. L. sein Arbeitszimmer wieder verlässt. Die Abb. 6.1 misst ihre Stimmung ganz rechts auf einer Skala.
6.1 Annahmen über den Erfolg entscheiden über die Stimmung Jeder Mensch macht ständig, den ganzen Tag lang, Annahmen über den Ausgang seiner eigenen Aktivitäten oder derjenigen anderer. Beim Patienten mögen sie häufig skeptisch sein, das hängt mit dem Wissen um die Risiken vieler Erkrankungen zusammen. Aber generell sind die Leute wegen eines oft überzogenen Selbstwertgefühls oder infolge unzureichender Selbstkritik häufiger optimistisch als pessimistisch. Der Mensch manövriert sich gerne in eine eher frohe, zuversichtliche Stimmung. Allerdings wurde in einer Untersuchung auch ausgezählt, dass die überwiegend optimistischen Annahmen in der Mehrzahl nicht eintrafen, sodass relativ häufig eine Dämpfung der Stimmung oder gar Niedergeschlagenheit eingetreten sei. Viele lieben offenbar Luftschlösser, obgleich sie damit überdurchschnittlich oft schlechte Erfahrungen gemacht haben dürften.
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Eine Annahme ist primär das Produkt des Verstandes, man formuliert sie durch Denken.35 Die Kenntnis der Umstände des Projektes geht in die Annahme ein, ferner Vergleiche mit analogen Vorgängen aus der Vergangenheit, dann die Abschätzung von Zielbedingungen, in diesem Falle also der üblichen, charakteristischen Reaktionsform des Chefs, und natürlich auch die Vorstellung von den eigenen Fähigkeiten, alle allerdings begleitet von Gefühlskomponenten, wie wir sie als „Marker“ kennengelernt haben. Und diese Gefühle formen Wünsche und Hoffnungen.36 Ohne Gefühle geht es jedenfalls nicht. Stellen wir uns vor: Bei der eingangs erwähnten Frau Dr. L. ist das alles sicher mehrfach in den neuronalen Netzwerken ihres Präfrontalhirns präsentiert und rekombiniert worden. Sie hat wahrscheinlich auch vorab den Augenblick der Übergabe an ihren Chef gedanklich inszeniert, hat sich sein beachtliches Lob und ihre bescheidene Antwort vorgestellt. Und: Ihre Mandelkerne haben dabei auch bereits die zu erwartende Freude generiert, und sie hat deren Projektion genossen. Sie hat also selbst ihr erhofftes Erfolgserlebnis mental vorweggenommen, sich vorgespielt, hat es stimmungsmäßig genossen.
6.2 Gute Stimmung als Belohnung für erfolgreiche Motivation Es gibt viele Hinweise dafür, dass die menschliche Natur grundsätzlich bestrebt ist, eine gute, also frohe Stimmung anzustreben. Final gedacht wäre das „von der Natur zweckmäßig eingerichtet“ im Sinne eines positiven Regelkreises; denn die gute Stimmung
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Die ganze Theorie, von der ich hier ausgehe, stammt ursprünglich aus dem kognitiven Modell der Psychologie, also jener Schule, die psychologische Reaktionen möglichst als Produkte des Verstandes erklären möchte. Siehe Abschnitt 15.1. 36 In das rationale Konstrukt einer Annahme ist jedenfalls das limbische (emotionale) System einbezogen. Den Mandelkernen als Bewertungszentren für die verwendeten Erinnerungsbilder und Begriffe kommt eine wichtige Funktion zu. Da persönlich vorteilhafte Kriterien (also die mit den positiven Markern) bevorzugt werden, ist die insgesamt meistens positive Grundstimmung bei den meisten Annahmen nachvollziehbar.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Annahme: Lob vom Chef
+
positiv
Mitarbeiter hat sich bemüht
überreicht seine Arbeit
Chef reagiert negativ
-
Stimmung des Mitarbeiters
Belohnung für Wissen und Selbstkritik?
glücklich
fröhlich
zufrieden
traurig
deprimiert
6.1 Unsere Stimmung hängt davon ab, ob unsere Annahmen richtig oder falsch waren. Vor dem Ende einer Tätigkeit macht man Annahmen, wie das Ergebnis ausfallen könnte. Im geschilderten Beispiel geht es um eine Aufgabe, die der Chef gestellt hat. Falls sein Urteil mit der Annahme des Mitarbeiters übereinstimmt, freut sich der Ausführende. Seine gute Stimmung ist Motivation für weitere Aktivitäten. Die gute Laune, die vom Belohnungszentrum gesteuert wird, kann man auch als Anerkennung für die Nutzung richtiger Informationen, die zum Erfolg führten, deuten, sowie für ausreichende Selbstkritik und für die richtige Einschätzung der Reaktion des Chefs, also für Menschenkenntnis (ganz oben). Final gesehen wird man durch die „Belohnung“ mittels guter Stimmung zur Mehrung dieser Kenntnisse „ermuntert“.
ihrerseits würde dem Menschen ja auch wieder mehr Lust auf Aktivität machen. Das wäre eine ungerichtete Motivation, und die würde zu weiteren Erlebnissen und zu mehr Erfahrung und dadurch zu mehr Wissen führen. Dann wiederum wären spätere Annahmen, die dieser Mensch zu einer beabsichtigten Aktion macht, wegen der gewachsenen Erfahrung eher richtig, würden ihrerseits also häufiger gute Stimmung generieren (Einzelheiten s. z. B. bei Seidel).
6. Stimmung als ungerichtete Motivation
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Die Stimmung eines Menschen kann durch vielerlei Befunde zurückgeführt werden auf biochemische Signalwirkungen an den Synapsen eines komplizierten neuralen Netzwerkes.37 Wie das Gefühl als solches zustande kommt, weiß man damit noch lange nicht. Aber ähnlich, wie wir uns das in Abschnitt 4.1 bei den höheren Tieren für die Angst klargemacht haben, ist die gefühlte Stimmung nur das „Symptom“ (Epiphänomen) eines Reaktionsbündels vieler Gehirnsysteme zum Zwecke der Mobilisierung von Aktivität.
6.3 Regelung der Emotionssignale im Frontalhirn In die Steuerung des Wohlgefühls sind das Monaminsystem des Stammhirns und die Amygdala eingebunden. Von ihnen gehen, wie Funktionsdarstellungen durch funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) nahe legen, die positiven Signale sehr reichlich zum Präfrontalhirn, also zu den Netzwerken für Denken und Intelligenz. Die rechte Hirnhälfte scheint dann eine regulierende Wirkung durch Hemmung auszuüben. (Wir erwähnten es schon in Abschnitt 2.5). Wir finden hier ein Prinzip, das auch sonst im Zentralnervensystem (ZNS) sehr verbreitet ist: die Feinsteuerung
37
Für die biochemisch Interessierten unter den Lesern möchte ich einige Botenstoffe erwähnen. Serotonin und Dopamin sind in dieser Hinsicht wohl die wichtigsten Transmitter im Belohnungszentrum. Bei Belastungen steigert Noradrenalin zusätzlich zu seinen physiologischen Wirkungen ebenfalls direkt das Wohlbefinden, in Sondersituationen veranlassen Corticoide die Sekretion von Endorphinen aus dem Hypophysenvorderlappen. Andere Funktionen können hineinspielen. So steigert Östrogen den Dopaminspiegel und ist damit vermutlich für manche Stimmungsanpassungen bei der Frau verantwortlich. Ausschüttungen dieser Botenstoffe steigern also die Lebensfreude und Lebensenergie, während andererseits niedrige Spiegel von Serotonin gleichbedeutend mit Ängstlichkeit, Sorgen, Traurigkeit, Mutlosigkeit, Verzweiflung bis hin zur Depressivität sind.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
geschieht durch gezieltes Bremsen der ursprünglichen, eher überschießenden Reaktion.38 Wie können Stimmungen nun den ganzen Tag über und gelegentlich die Nacht hindurch anhalten? Biochemische Regelwirkungen an den Synapsen wurden gefunden und könnten einen Teil der Langzeitwirkungen erklären. Es wird aber häufiger diskutiert, dass auch der auslösende mentale Prozess im Frontalhirn unter der Bewusstseinsschwelle ständig reaktiviert wird, also aktiv bleibt und damit die eigentliche Ursache der längerfristig bemerkbaren Stimmung ist. In der Freud‘schen Tiefenpsychologie werden derartige unbewusste Triebfedern vermutet, mit bildgebenden Verfahren versucht man sie nachzuweisen. Man ist Schaltungen auf der Spur, die Erinnerungen und Gedanken über längere Zeit im Arbeitsgedächtnis des Präfrontalhirns und in den Konvergenzzentren des Hippocampus halten können. Und man weiß, dass es Neuronen gibt, die in gewissen Abständen spontan feuern. Wir können aus eigener Erfahrung nachvollziehen, wie hartnäckig sich insbesondere unangenehme Stimmungen immer wieder aufdrängen können. Jeder hat schon beobachtet, dass er aus unterschiedlichen Gründen immer wieder an unerfreuliche Begebenheit erinnert worden ist. Stundenlang nach einem Streit formuliert mancher immer wieder in Gedanken, was er eigentlich hätte sagen sollen. Damit hat er ebenso auch die zugehörige Stimmung aufrechterhalten. Der Patient, der grübelnd im Bett liegt, mag dem besonders ausgeliefert sein. Das würde der Genesung
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Hier ist dieses Prinzip sogar gedoppelt. Als weitere Differenzierung noch übergeordnet ist gelegentlich die linke Frontalhirnhälfte. Sie kann die rechte hemmen (Hemmung der Hemmung), was wieder zu mehr (aber besser angepasster) Fröhlichkeit führt (Einzelheiten bei Damasio). Es gibt sehr interessante Befunde. So maß man eine starke Aktivität im linken Frontalhirn bei meditierenden buddhistischen Mönchen, die ja durch bewusste Konzentration eine generalisierte, entspannte, von der Umwelt unabhängige Fröhlichkeit anstreben. Resultat dieser Abgleichung im Frontalhirn, also in der obersten „Zentrale“ ist dann – wohl unter entsprechender Nachregulierung der Amygdala – die Erzeugung einer situationsgerechten Emotion im Gyrus cinguli bzw. im Bereich der Insel, also in der Hirnrinde, wo sie bewusst werden kann. Man hat vorgeschlagen, Emotionen, die länger als fünf Minuten anhalten, als Stimmung zu bezeichnen.
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schaden. Daraus ergibt sich ein gewichtiges Argument, nachteilige Gedanken mit dem Patienten auszudiskutieren. Es rentiert sich letztlich. Andererseits ruft sich jeder gerne eigene Glanzleistungen wieder ins Bewusstsein zurück, um die damit verbundene frohe oder stolze Stimmung ausführlich auszukosten. Lachen und gute Stimmung wirken „ansteckend“, wie ebenfalls jeder weiß. Empathie vermittelt uns die Stimmung des anderen. Alle Schwestern und Pfleger bemühen sich, gute Stimmung zu verbreiten.
6.4 Die Annahmen des Patienten sind für uns wichtig Annahmen spielen im Alltag ständig eine Rolle. Nehmen wir die Erfahrungen von Herrn Klaus M., der zum ersten Mal in das als besonders renommiert geltende Krankenhaus muss. Natürlich hat er Annahmen dazu gemacht, was dort wohl auf ihn zukommt. Denn er hat viel Lob vom Hausarzt und von Bekannten gehört. Der Pförtner empfängt ihn auch recht freundlich, nur schickt er ihn auf die falsche Station. Nach längerem Warten und mehreren Telefonaten des genervten Pflegers, der immer wieder durch Dringendes abgerufen wird, findet er schließlich in die richtige Abteilung. Leider ist das Zimmer noch nicht fertig, weil der Vorgänger auf den Arztbrief und das Taxi warten musste. Herr M. muss auf einem Stuhl auf dem zugigen Flur Platz nehmen. Erst spät bekommt er auch sein frisch gemachtes Bett und das etwas aufgewärmte Essen, das er aber nicht so gut findet, wie die Leute immer sagen. Dann entschuldigt sich der Arzt, dass er grade noch mal abgerufen wurde und leider nicht absehen kann, wann er sich wohl um Herrn M. kümmern kann. Die ein schwer verständliches Deutsch sprechende Reinigungskraft schaut noch mehrmals herein, weil sie einiges vergessen hatte, und nun riecht es nach Putzmitteln. Ganz so schlimm wird es gewöhnlich nicht kommen, aber die Leserinnen und Leser kennen ähnliche Fälle. Viele der Annahmen von Herrn M., die er sich vor diesem folgenschweren Schritt zurechtgelegt hatte, sind nicht eingetroffen. Seine Stimmung wurde Stufe um
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Stufe gedämpft und hat schließlich ihren Tiefpunkt erreicht. Wenn ihn nun die Stationsschwester freundlich und offen auf der Station willkommen heißen will, wird sie sofort mit Vorwürfen überhäuft. Sie wird den Schwestern und Pflegern später berichten, dass man da mal wieder einen richtig schwierigen Patienten bekommen habe. Diese bilden sich eine entsprechende Meinung von dem neuen Patienten und versehen ihre Vorstellung von ihm mit einem negativen Marker (s. Abschnitt 1.2). Wer richtige Informationen bekommt, kann auch richtige Annahmen bilden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient enttäuscht ist, kann man folglich durch sachkundige Aufklärung massiv reduzieren. Hätte man die eingangs erwähnte Frau Ingeborg R. vorher darüber aufgeklärt, dass mit Wartezeiten in der Röntgenabteilung zu rechnen ist weil Notfälle vorgezogen werden, hätte sie dafür Verständnis gezeigt und sich darauf eingerichtet. Und wäre sie darüber informiert worden, dass man beim Röntgen frieren kann, weil man entkleidet unbewegt liegen muss, bis alles richtig eingestellt ist und die Aufnahme nicht verwackelt wird, würde sie die Kälte, ohne sich darüber zu beschweren, ertragen. Warum ist das so? Mithilfe der Aufklärung hat sie eine Art Sollwert, ein Sollszenario für das zu erwartende Geschehen gebildet. Wenn der Abgleich nachher stimmt, hat sie ein Erfolgserlebnis. Informieren bedeutet auch, dem Patienten Gelegenheit zum Fragen zu geben. Anonymisierte Umfragen haben ergeben, dass Kranke nur etwa die Hälfte der Fragen beantwortet bekommen, die sie eigentlich stellen wollten – weil keine Zeit war, oder weil sie sich nicht zu fragen trauten. Die Folge ist Ungewissheit und unterschwellige Angst.
6.5 Wenn schwere Krankheit alle Annahmen durchkreuzt Eher ratlos stehen Arzt und Pflegepersonal aber dabei, wenn ein unerfreuliches Problem für die Beteiligten nicht voraussehbar war, wie zum Beispiel bei Herrn Paul A. Er war eigentlich nur in die proktologische Ambulanz gekommen, um sich seine blutenden Hämorrhoiden behandeln zu lassen. Als ein bösartiger Tumor gefunden wurde, waren nahezu alle Annahmen, die er sich
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für sein weiteres Leben aufgrund seiner Vorausplanungen konstruiert und ausgemalt hatte, auf einen Schlag falsch. Er musste seine Termine absagen, die ihm gerade noch so wichtig erschienen; er konnte mit seiner Familie nicht in den Urlaub fahren, der schon gebucht war; er würde vielleicht sogar nie mehr ohne Probleme baden oder in die Sauna gehen können, wenn ein Anus praeter nötig würde; und überhaupt, was wäre, wenn er nicht mehr lange zu leben hätte? Eine Welt war für ihn zusammengebrochen (vgl. Abb. 6.2). Einer unserer Patienten schrieb auf den Beurteilungsbogen zum Krankenhausaufenthalt einfach die Formel: „Hilflosigkeit + Ungewissheit = furchtbar“, und dann schrieb er noch darunter: „Bitte mehr kommunizieren“.
neue Annahmen!!
glücklich
korrigierte Pläne
alle Annahmen falsch normale Lebensplanung
Krankheit (Krebs), Behinderung, Tod
alle Pläne sinnlos
Stimmung
fröhlich
zufrieden
traurig
verzweifelt
6.2 Durch plötzliche schwere Krankheit werden alle Annahmen falsch. Das führt unabhängig von anderen Faktoren zu Enttäuschung und depressiver Stimmung (graue Angaben). Man kann dem Patienten helfen, wenn man mit ihm gemeinsam versucht, neue Pläne zu entwerfen, die noch oder wieder realisierbar sind. Schon die Hoffnung wird die Stimmung aufhellen. Zufrieden oder gar fröhlich wird er erst durch Erfolgserlebnisse werden (rechts oben).
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Man kann verstehen, dass Menschen, die plötzlich schwer erkranken, depressiv und lethargisch werden können. Die meisten werden es zum Glück nicht. Dagegen hilft ihnen eine Gabe, die man ganz allgemein als Überlebenswille bezeichnen könnte. Genauer besehen sind es „angeborene Bedürfnisse“, die wir im nächsten Kapitel besprechen werden. Sie motivieren dazu, neue Pläne zu machen und damit auch neue Annahmen. Und genau an diesem Punkt können wir helfen. Wir können ganz behutsam Vorschläge zu neuen Aufgaben machen, die sich nun kurzfristig ergeben. Wir können Maßnahmen für die nächsten Tage veranlassen, wir können helfen, das Verhalten gegenüber Angehörigen und Außenstehenden zu überlegen, vielleicht gar bei persönlichen und geschäftlichen Aufgaben beraten. Das ist keine Beschäftigungstherapie, kein einfaches Ablenken. Wichtig sind beim Planen die neuen Annahmen, die nachher auch zutreffen müssen, wegen der guten Stimmung, wegen der Erfolgserlebnisse, nach Möglichkeit kurzfristig.
6.6 Gezielte psychologische Hilfe bei Behinderungen Ganz ähnliche Probleme und Reaktionen ergeben sich, wenn eine krankheits- oder therapiebedingte Behinderung auftritt und für lange Zeit oder für immer in Kauf genommen werden muss. Wieder sind alle bisherigen Annahmen falsch: Wer ein Bein verliert, kann zunächst nicht mehr Fußball spielen, und gar nicht mehr derjenige, der wie der im Vorspann dieses Kapitels erwähnte Herr Sch., der durch seine Lähmung an den Rollstuhl gefesselt wird. Sie alle soll man nicht lange bedauern. Vielmehr geht es wieder um Anregung zur Erstellung neuer, künftig trotz Behinderung erfüllbarer Annahmen. Der gut gemeinte Rat, der Behinderte solle „seine Behinderung annehmen“, läuft auf diese Hilfestellung hinaus: Er soll auf der Basis von realistischen Informationen planen und für den Erfolg dieser Planungen richtige Annahmen konstruieren. Darin wird im weiteren Leben der viel beschriebene Unterschied zwischen einem Behinderten und einem chronisch Kranken (beide mit glei-
6. Stimmung als ungerichtete Motivation
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chem organischem Problem, zum Beispiel einem gelähmten Bein) liegen. Als Behinderter muss Herr Sch. seine Aktivitäten unter bewusster Berücksichtigung der schicksalhaften Einschränkungen planen. Er nimmt sich nur noch das vor, was er als Rollstuhlfahrer „kann“. Was nicht geht, wird ausgeblendet, wie sich auch ein Tauber oder ein Blinder auf seine Behinderung einstellen muss. Aus vielerlei anderen Aktivitäten kann er sich Erfolgserlebnisse und ein „ausgeglichenes Seelenleben“ bzw. in der Diktion dieses Kapitels eine gute Stimmungslage schaffen. In der Summe generieren die (positiven und negativen) Erfolgserlebnisse ein allgemeines Gefühl, das die Lebensqualität ausdrückt. Man hat in zahlreichen Untersuchungen mit langen strukturierten Fragebögen gezeigt, dass die meisten Behinderten eine hohe Lebensqualität empfinden. Wer seine Behinderung nicht als Tatsache akzeptiert, wer an Annahmen festhält, die früher einmal schlüssig waren, jetzt aber notwendig fehlschlagen, wer sich dann natürlich ärgert, dass er genau das nicht mehr kann, was doch vor Eintritt der Behinderung selbstverständlich ging, der wird sich in schlechte Stimmung hineinsteigern. Er verliert am Ende wegen Unzufriedenheit oder ständiger Nörgelei seine auf Lebensfreude und Entspannung bedachten Freunde, er gerät in griesgrämige Einsamkeit. Er hadert mit der Ursache seines Elends, sinniert über wahrscheinliche Verursacher und die Möglichkeit, sie zu strafen. Er sucht geradezu Gedankeninhalte, die negative emotionale Marker tragen, ignoriert gewissermaßen den Warnhinweis, den sie beinhalten: „hat mir nicht gefallen, tat mir nicht gut“. Die Weichenstellung für die künftige Einstellung zum Leben steht auch bei Herrn Sch. wie bei sehr vielen anderen Patienten schon im Krankenhaus zur Entscheidung an: wird er sich in der Rolle des „nur“ an einem Organsystem Behinderten oder in der des chronisch (auch psychisch) Kranken finden? Allen Betreuenden in der Klinik kommt hier eine wichtige und extrem verantwortungsvolle Aufgabe zu: Sie müssen bei ihm und seinen Angehörigen die Grundlage für erfolgversprechende Einstellungen und Annahmen bereiten. Versäumnisse sind später kaum noch zu korrigieren.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
6.7 Ein Stimmungstief oder Stimmungshoch erzeugen Auch körperlich Gesunde können sich besonders nachts, wenn der Serotoninspiegel ohnehin niedrig ist, in nachteilige und meist angstbesetzte Annahmen hineinsteigern, indem sie übertriebene Bedenken immer weiter spinnen: was alles passieren könnte, wenn man mit dem frisch verschraubten Knochenbruch hinfällt, und ob das die Versicherung auch zahlt, und ob das Geld dann noch für die Ausbildung der Kinder reicht, und ob die Kinder nicht auf die schiefe Bahn geraten usw. Das kann psychopathologische Dimensionen annehmen (sog. generalisierte Angststörung). Zur Vertreibung der meist quälenden Angst müsste man einen völlig neuen positiven Gedankengang beginnen und damit das Belohnungszentrum aktivieren. Beim Patienten müsste man überhaupt erst einmal erfahren, dass er sich in derartige Sorgen-Kaskaden versteigt. Zeit müsste man haben. Nicht wenige Menschen entwickeln gelegentlich ein paradoxes Lustgefühl daraus, sich der Niedergeschlagenheit hinzugeben. „An nebligen Tagen bin ich gerne einmal depressiv,“ habe ich wiederholt gehört. Wenn die Einstellung auf neblige Tage beschränkt bleibt, mag damit eine notwendige Aufarbeitung von Problemen und letztlich ein beruhigender Effekt verbunden sein. Patienten und Patientinnen möchten in dieser Verfassung in Ruhe gelassen werden. Es ist offenbar eine Besonderheit der menschlichen Hirnkonstruktion, dass willentlich oder aus unbewusster Motivation heraus unerfreuliche Erinnerungen gezielt aufgesucht und gesteigert werden können. Sie können zum Beispiel dazu dienen, nach empfundenem Unrecht die Angriffslust auf einen verhassten Feind solange zu steigern, alle Argumente, die gegen ihn sprechen, zu suchen und zu überhöhen, also die zornigen Emotionen so lange hochzufahren, bis ein wütender Angriff aus innerer Überzeugung getriggert werden kann (über das Aggressionszentrum). Der Leser mag darüber nachsinnen, wie leicht derartige Denkspiralen auch in der Klinik ausgelöst werden können, und wie wichtig es ist, ihnen rechtzeitig durch ein überlegtes Verhalten vorzubeugen. Andererseits sind richtige Annahmen nur eine von vielen Möglichkeiten, in gute Stimmung zu kommen. Wir müssen sie nicht alle in Einzelheiten besprechen:
6. Stimmung als ungerichtete Motivation
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• Schon vor einer Handlung kann man sich in Vorfreude versetzen, in gute Stimmung kommen. Hoffnung wirkt ähnlich. • An der Arbeit, an Tätigkeiten wie Hobby, Wandern oder Helfen kann man Freude haben, auch an Beschäftigungen im Krankenbett. • Erfolgserlebnisse bringen sehr nachhaltig gute Laune. • Über den Optimismus werden wir in Abschnitt 8.6 sprechen. • Und auch das Befolgen innerer Eingebungen, sogenannter angeborener Bedürfnisse führt zu erheblichen anhaltenden Wohlgefühlen, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. • Man kann sich ablenken, sich (vorübergehend) über irreale Vorstellungen freuen, sich mit dem erhofften Gewinn im Lotto Luftschlösser bauen, kann sich in Wunschträume flüchten.
6.8 Das Gewissen reagiert auf ethische Vorgaben der Gesellschaft Lassen Sie mich nach dieser Zwischenbemerkung über deprimierende Regelkreise und mögliche Stimmungsaufhellungen noch zu einer Sonderform der Stimmung kommen, die durch Annahmen ausgelöst werden kann. Ich meine das gute oder schlechte Gewissen. Wenn man ein schlechtes Gewissen hat, weil man gegen irgend eine Norm verstoßen hat, dann hat man ja ohne Zweifel auch ein länger anhaltendes „Gefühl“, es bestimmt die Stimmung oder ist selbst eine Art Stimmung. Das Gewissen hat eine wichtige Funktion für das Zusammenleben nicht nur von Menschen. Wichtige Vorschriften, die in den Genen nicht vorgegeben sind, die aber für das Zusammenleben in einer Gesellschaft Vorteile bringen, können so (besonders in der Jugend) nachhaltiger gelehrt und gelernt werden. Das Gewissen mahnt das Individuum nach der Übertretung oder Unterlassung von derartigen Regeln längere Zeit, dass diese Regelwidrigkeit nicht gut war. Der Sünder wird vom eigenen Gehirn zum Nachdenken genötigt. Der emotionale Marker, der mit dem betreffenden Vorsatz kombiniert war und besagt, dass man diese Regel eigentlich befürwortet, wird verstärkt, sie erhält ein höheres Gewicht und wird vielleicht das nächste Mal eingehalten, wenn sie wieder relevant erinnert wird.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Menschliches Verhalten wird durch ziemlich viele ethische und sonstige Regeln in sozial verträgliche Bahnen gelenkt. Die alles beherrschende Regel in der Medizin lautet: „Du sollst dem Kranken in seiner Not helfen!“. Wir haben diese Regel gelernt und mit dem Marker versehen: „Ist mir besonders wichtig.“ Darüber sprachen wir im Abschnitt 1.5. Wir diskutieren jetzt den Vorsatz, die Regel (das Gebot) möglichst immer einzuhalten. Wir wollen die Abbildung 6.1 entsprechend modifizieren. In der Abbildung 6.3 steht nun als Skala am rechten Rand „Gewissen“. Ganz links muss man sich beim Vorsatz die obige ethische Regel mit dem Marker „mir ist das Prinzip sehr wichtig“ vorstellen. Nehmen wir an, die ethische Vorgabe sei: „Führungspersonen sollen immer sozial kompetent handeln“. Mit diesem Sollwert vergleicht die Oberschwester nun ihr Verhalten gegenüber dem Pfleger Anton. Sie hatte ihn sicher unverhältnismäßig hart zurechtgewie-
n nu h lo Be
für eine
Annahme: Vorsatz
wird befolgt
Planung
sehr gut
+
Durchführung (wird nicht befolgt)
-
Gewissen
Ethische (soziale) Vorgabe
g!
gut
zufrieden
nicht gut
schlecht
6.3 Das Gewissen ist die „Stimmung“ im ethischen Bereich. Bei entsprechenden Planungen werden ethische Vorgaben gemacht. Wenn man die Vorgaben akzeptiert, bedeutet das, dass man den Vorsatz fasst, sie auch zu befolgen. Darauf beruht dann auch die „Annahme“ zum Ausgang der Handlung. Nach ethisch korrekter Handlung ist folglich das Gewissen gut, das Belohnungszentrum schüttet Dopamin aus.
6. Stimmung als ungerichtete Motivation
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sen. Immerhin hatte er zum wiederholten Male viel zu häufige und überlange Zigarettenpausen eingelegt, und zwei Patientinnen hatten sich beschwert, dass es immer nach Rauch stinkt, wenn er im Zimmer war. Dass die Zurechtweisung ihm sichtlich in die Glieder gefahren war, dass sie in ihm nicht unbeträchtliche Angst ausgelöst hatte, hatte sie zunächst mit Genugtuung festgestellt. Aber nun kommt der Oberschwester ins Bewusstsein, dass derart starkes Rauchen ja eigentlich eine Sucht ist. Sie hätte ihm wohl besser gut zureden und raten sollen. Als Vorgesetzter hat man nicht nur für Ordnung zu sorgen, man hat auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Nachgeordneten. Von dieser Vorgabe, die sie sich schon oft genug vorgenommen hatte, war sie bedauerlich weit abgewichen. Sie erkennt, dass sie einen falschen „Sollwert“ als Richtschnur für das Mitarbeitergespräch gewählt hatte.39 Die Gesundheit des Mannes ist wichtiger als die Beschwerden über Geruchsbelästigung und ist zudem der bessere ursachenbezogene Ansatz. Das Erkennen dieses Denkfehlers und des daraus folgenden Verhaltens macht ihr bewusst, dass sie der Annahme, die sie grundsätzlich an die Erfüllung der Fürsorgepflicht knüpft, nicht gerecht geworden ist. Sie hat ihre Handlungsplanung in Abb. 6.3 in Richtung „wird nicht befolgt“ beendet. Sie fühlt sich nicht wohl. Das Gewissen erfüllt eine wichtige Funktion. Viele extrinsisch, also von außen vorgegebene Vorschriften werden dadurch vom Individuum eingehalten, Fehler werden nachträglich korrigiert. Es ist kaum vorstellbar, wie unsere Gesellschaft funktionieren sollte, wenn das Verhalten nicht mit den Vorsätzen (als Sollwerte) abgeglichen würde. Ein chronisch schlechtes Gewissen ist aber auch eine ernste psychische Belastung im Sinne von chronischem Stress. Einiges zu dessen Bewältigung haben wir ja schon im Abschnitt 5.3 besprochen.
39 Wie
der Abgleich mit Sollwerten im zentralen Nervensystem im Einzelnen erfolgt, ist noch nicht bekannt. Offenbar werden sie im Hippocampus mit anderen Vorstellungen und Erinnerungen verknüpft und vom (übergeordneten) Präfrontalhirn dirigiert. Die Hypothesen bezüglich humoraler Regelmechanismen (Blutzucker etc.) sind schon ziemlich konkret, sodass es gerechtfertigt sein dürfte, sie auch für differenzierte mentale Entscheidungen heranzuziehen. Man sagt, ethische Sollwerte seien kulturspezifisch. Offenbar können sie auch krankenhausspezifisch sein.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
6.9 Time Management und abendliche Stressprophylaxe Mancher hat im heutigen Krankenhausbetrieb so eine Art DauerSchlechtes-Gewissen, weil er die vielen Aufgaben gar nicht alle so sorgfältig erledigen kann, wie er sollte und eigentlich möchte, und weil manches (weniger Wichtiges) liegen geblieben ist. Aber wenn man sich den Tag über redlich bemüht hat, und wenn man dann abends müde nach Hause geht, dann ist es wie mit dem Weinglas, das je nach innerer Einstellung des Betrachters halb voll oder halb leer ist. Ich habe es mir immer wieder klar gemacht: Auch wenn man nicht alles erledigen konnte, ist es falsch, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Warum überdenkt man nicht im Gegenteil alles das noch einmal, was gut gewesen ist. Wer sich ehrlich abgemüht hat, darf ein gutes Gewissen haben. Die Stimmung für den restlichen Abend wird besser sein, auch eine (chronische) StressKonstellation könnte abgebaut werden. Allerdings könnten Ihnen trotzdem am Abend die unerledigten Aufgaben wieder in den Sinn kommen. Dagegen empfiehlt sich eine einfache Gegenmaßnahme. Vor dem Nachhausegehen wird alles, was noch zu erledigen bleibt, in einer Liste aufgeführt, einer provisorischen To-do-Liste für den kommenden Tag. Ihr Kurzzeitgedächtnis beruhigt Sie jetzt: „Die Gedanken an alles, was ich für morgen vorhabe, kann ich vorübergehend zurückstellen, alles ist ordnungsgemäß festgehalten“. Man versieht es mit einem positiven Marker „Ich finde die Liste sehr gut, ich muss an nichts mehr denken, ich kann beruhigt sein“. Probieren Sie die Methode aus, falls Sie nicht längst Derartiges praktizieren. Es beruhigt tatsächlich nicht nur, es macht am nächsten Tag jeweils Freude, einen Punkt nach dem anderen wegstreichen zu können. Nicht jede gute Idee muss kompliziert und geistreich sein. Vielleicht kennen Sie übrigens die Pfadfinderregel noch nicht: Du sollst jeden Tag eine gute Tat tun. Im Krankenhaus ist das eigentlich kein Thema. Jeder muss zwangsläufig auf eine lange Reihe guter Taten kommen, die Arbeit bringt das so mit sich. Also kein Grund zu besonderem Stolz, allenfalls für Genugtuung? Die Regel muss für das Krankenhaus variiert werden: bewusst noch fürsorglicher, noch mitfühlender, noch aufmerksamer, noch hingabevoller als üblich. Diese Anstrengung könnte man dann als gute Tat verbuchen.
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Warum man sich nach der guten Tat so wohl fühlt, werden wir im nächsten Kapitel erfahren. Zu diesem Thema habe ich einmal folgenden Rat gehört für alle die, die häufig unter schlechtem Schlaf und bösen Träumen leiden: Man solle sich am Abend an das Gute erinnern, das man am Tage bewirkt hat, und sich bewusst darüber freuen. Man kann es sogar schriftlich festhalten, weil man es dabei tiefer, klarer und vielseitiger durchdenken muss. Wahrscheinlich wird dadurch der emotionale Marker auch kräftiger. Und man soll dann, wenn es nicht zu reichen scheint, auch die an den Vortagen festgehaltenen eigenen Pluspunkte noch einmal durchlesen, heißt es. Wohl richtig. Mit den vielen positiven Markern muss die Stimmung letztlich gut werden. Es ist einfach weise, mit kleinen Tricks das Belohnungszentrum zu stimulieren. Das gilt auch für gestresste Mediziner. Eine neue Variante des „Think positive“.
6.10 Flow: Die konzentrierte Einstimmung erzeugt Wohlgefühl Eine besonders angenehme Stimmungslage kann bei der Arbeit aufkommen. Csikszentmihalyi hat auf diesen Zustand höchster Konzentration hingewiesen, den er Flow nannte. Vielleicht kennen Sie das selbst: Man ist hochgradig konzentriert auf seine Aufgabe. Wegen der ungeteilten Aufmerksamkeit vergisst man die Welt um sich herum sowie eigene Bedürfnisse wie Hunger und Durst, und man fühlt sich bei dieser intensiven Form des Arbeitens besonders wohl. Es ist kein spezifisches Gefühl, eher eine „milde Ekstase“. Vermutlich werden Endorphine aus dem Hypophysenvorderlappen ausgeschüttet, wie man das bei Ausdauersportarten und da besonders beim Langlauf gefunden hat. Etwa 50 Prozent der Befragten gaben an, diesen Zustand bei der Arbeit zu kennen, nur etwa 20 Prozent auch in der Freizeit. Wir beobachten ihn schon bei Kindern. Stimmung ist also ein noch nicht ganz verstandenes, aber interessantes und jedenfalls wichtiges Kapitel in der Emotionspsychologie. Gute Stimmung steht für Lebensenergie. Schlechte Stimmung muss nicht sein, jedenfalls nicht dauerhaft. Es gibt Möglichkeiten, sie aufzuhellen, auch bei sich selbst, wenn man will. Aber das ist zuweilen
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
schwierig, denn zur depressiven Stimmung gehören Antriebslosigkeit und Selbstmitleid. Sie erschweren jede Selbstmotivation. Also muss man sich antrainieren, sich immer wieder von einer höheren Warte aus zu betrachten: Aus der schon erwähnten Hubschrauberperspektive. Sie ermöglicht einen Neuanfang, mit dem Verstand. Und vielleicht hilft ein informierter Freund, ein Mitarbeiter, ein „Coach“? Gute Stimmung ist ungerichtete Motivation, haben wir gesagt, also die Lust, überhaupt etwas zu tun. Gerichtete Motivationen andererseits veranlassen uns zu bestimmten Aktivitäten, zu Verhalten zu einem bestimmten Zweck. Diese gerichtete Motivation kann aus unserem „Inneren“ kommen im Sinne eines Triebes, sie kommt genauer genommen natürlich aus dem Gehirn. Wir werden darüber gleich sprechen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 6 • Gute Stimmung ermuntert zur Aktivität im Sinne einer ungerichteten Motivation. Sie trägt nachweislich auch zur Genesung bei. • Stimmung ist eine lang anhaltende „Hintergrundemotion“, die durch rationale Impulse (im Frontalhirn) beeinflusst wird. • „Annahmen“ macht man zum voraussichtlichen Erfolg jeder Aktivität im Sinne eines Sollwertes. Er erfordert gute Informationen und Selbstkritik. • Stimmt dieser Sollwert mit dem wahrgenommenen Ergebnis überein, erzeugt das Belohnungszentrum (biochemisch) die gute Stimmung. • Die Stimmung des Patienten hängt also auch davon ab, ob er für seine Annahmen korrekte erschöpfende Informationen zur Verfügung hat. • Gute Stimmung kann auch durch Hoffnung, im Sinne von Vorfreude, bei gern ausgeübten Tätigkeiten und durch Erfolgserlebnisse entstehen. • Durch schwere Erkrankungen oder Behinderungen können plötzlich alle bisherigen Annahmen falsch werden. Einfühlende Beratung kann Depressivität verhindern helfen. • Ein gutes oder schlechtes Gewissen entsteht, weil auch ethische Vorgaben als Sollwert für das eigene Handeln gewertet werden.
6. Stimmung als ungerichtete Motivation
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• Chronischen psychischen Stress kann man verringern, wenn man seine Erfolge und guten Taten reflektiert: Mit dem Verstand die Gefühle induzieren. • Ungeteilte Aufmerksamkeit auf eine interessante Arbeit im Sinne eines „Flow“ bewirkt die Ausschüttung von Endorphinen. • Ängste beeinträchtigen nachweislich die Gesundung, Wohlbefinden und Freude fördern die Genesung.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Annahmen zum Ausgang der eigenen Aktivitäten sollte man bewusst machen und überwachen. Selbstkritik an den eigenen Fähigkeiten ist ebenso gefragt wie die realistische Beurteilung äußerer Einflüsse. Je genauer man seine Annahmen steuert, desto besser kann man Enttäuschungen und schlechte Laune vermeiden. Man sollte sich öfter aus der „Hubschrauberperspektive“ betrachten und dann seinen Verstand bewusst einsetzen. Die junge Frau Dr. L. war noch zu unerfahren. Selbstkritik bewahrt am besten vor Enttäuschungen und schlechter Stimmung. Wie bei der Angst sollte man auch die Stimmung eines Kranken nicht nur als Laune, sondern als Symptom sehen, als Symptom dafür, dass gerade Regulationen im Bereich der ungerichteten Motivation ablaufen, jenes Bündels von Regulierungen, durch die der Organismus auf vielen Ebenen eingestimmt wird. Andererseits weist dieses Symptom auch auf Ursachen, die es ausgelöst haben, und die evtl. weiter wirksam sind. Jede erfahrene Krankenschwester weiß es: Das plötzliche Stimmungstief wie z. B. bei Herrn L. B. kann durch Mängel in der Betreuung oder „nur“ durch Ärger mit Angehörigen ausgelöst sein, kann aber auch eine drohende Komplikation seiner Erkrankung ankündigen, und weist auf eine mögliche Verzögerung seiner Genesung hin. Man muss nicht nur die Blutwerte kontrollieren, sondern auch versuchen, in vertrauensvollem Gespräch Zugang zu psychischen Störfaktoren zu bekommen. Selbst erhebliche Unannehmlichkeiten zum Beispiel in der Röntgenabteilung hätte Frau Ingeborg R. ertragen können, wenn sie gut informiert worden wäre, wenn ihre Bezugsperson ihr alles verständlich erklärt hätte. Wenn die Hilfskraft des Transportdienstes diese Punkte
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
auf dem Weg zur Röntgenuntersuchung noch einmal erzählen kann, ist es noch besser. Natürlich kostet umfangreiche Information viel Zeit. Aber die ist gut angelegt: die eigene Autorität steigt, wenn man Recht behält, und man muss nachher nicht Enttäuschte besänftigen – vom Image des Hauses einmal abgesehen. Das nachhaltige Informieren derjenigen Patienten, die künftig mit einer Behinderung zu rechnen haben, ist eine schwierige, zeitraubende, aber auch dankbare Aufgabe. Es hat sich bewährt, sehr offen mit ihnen die Zukunft zu planen, und zwar nicht nur in medizinischen Einzelfragen wie Hilfsmitteln usw., sondern auch hinsichtlich der psychischen Umstellung. Nachvollziehbare Arbeitshypothesen wie diejenige über die Auswirkung der eigenen Annahmen oder die Erklärung, dass man sich für sein Erleben vorher realitätsnahe Vorstellungen konstruieren muss, können segensreich sein. Wer einmal wirklich verstanden hat, dass er nicht nur die Strategie für seine Aktivitäten, sondern auch die für seine Stimmung bewusst berücksichtigen sollte, wird auf wesentlich mehr Lebensqualität hoffen dürfen.
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Angeborene Bedürfnisse – Man wunderte sich über die Anästhesieschwester, die sich zur Intensivstation versetzen ließ, und über die Schwester in der Ambulanz, die bisher alles so souverän organisiert hatte, und deren Wechsel zur Onkologie nun alle bedauerten. Die eine wollte lieber Kranke betreuen, die nicht überwiegend schliefen, die andere fühlte sich bei Schwerstkranken, „die mich wirklich brauchen“, besser aufgehoben und wollte psychischen Beistand leisten. – Man kritisierte den Pfleger, der immer wieder Schwierigkeiten hatte, sich unterzuordnen, und der dann mehrere Weiterbildungskurse machte, bis er erst eine Station leiten und später als vorzügliche Bereichspflegeleitung arbeiten konnte. – Man war erstaunt, dass die hervorragende Sekretärin, die über zwei Jahrzehnte das Chefsekretariat einer großen Abteilung sehr selbstständig managte und sicher sehr ordentlich verdiente, sich dann um eine Position in die Personalverwaltung bewarb, weil sie dort ihre Freundin in einem gut harmonierenden Team mit engen sozialen Kontakten vorfinden würde. – Wir bedauerten, dass der beliebte und perfekt operierende Oberarzt die Praxis eines niedergelassenen Kollegen übernahm, und dass zwei besonders umsichtige und pflichtbewusste Pfleger gemeinsam einen ambulanten Pflegedienst eröffnen und sich damit selbstständig machen wollten. Alle drei wollten frei sein und sich eigenständig entscheiden können.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Die Diagnose einer malignen Erkrankung stand schließlich fest, und dann war auch die Metastasierung offensichtlich, auch für die intelligente Patientin. Frau Irma S. war zunächst wie gelähmt von der Information, war geschockt. Nach zwei Tagen realisierte sie, dass die therapeutischen Angebote, die die Schulmedizin machen konnte, zwar erhebliche Nebenwirkungen und gewisse Risiken, aber nur vorübergehende Erfolgschancen hatten. Nur kurze Zeit war sie enttäuscht, dann lehnte sie entschieden ab und verließ die Klinik … Zugegeben, die Mitarbeiterin Marianne P. wirkte nicht übermäßig sympathisch. Einige Kolleginnen hatten nun aber begonnen, ihr gezielt Schwierigkeiten zu machen. Darüber ärgerte sich Frau P., und sie reagierte sicherlich nicht ausgesucht diplomatisch, war aber immer wieder zur Schlichtung von Streitigkeiten bereit. Immer häufiger hatte sie Fehlzeiten wegen Migräne oder Magen-Darm-Beschwerden. Sie hatte keine Freude mehr an ihrer Arbeit und war weniger effektiv …
7.1 Realisierung angeborener Bedürfnisse am Arbeitsplatz Ein großes Krankenhaus und mehr noch die Medizin überhaupt bietet sehr viele verschiedene Positionen, sodass die meisten Mitarbeiter den Arbeitsplatz bekommen können, der ihnen wirklich liegt. Und tatsächlich suchen und wechseln viele, aus den verschiedensten Gründen, manche mehrfach, bis sie eine Aufgabe gefunden haben, mit der sie zufrieden sind. Sie folgen einer „inneren Stimme“. Andere sollten es noch versuchen, finden vielleicht nicht den Mut oder können sich nicht entscheiden. Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sind selbst hoffentlich in Ihrer Traumposition. Sie werden obige Liste sicher leicht verlängern können. In der Einleitung hatte ich hervorgehoben, dass die Menschen sehr verschieden sind. Auf einen wichtigen Faktor dieser Differenzen kommen wir nun zu sprechen, nämlich auf die sogenannten angeborenen Bedürfnisse. Grundsätzlich sind diese Funktionen, die man
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Antrieb durch Bedürfnisse nach:
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Bedürfniskombinationen haben Bedeutung für Team und Freundschaft
• Selbstbestimmung, Mitbestimmung • Kompetenz, Leistung • Ansehen, Autorität • Hilfsbereitschaft, Zuneigung • Dominanz, Führung, Wettkampf • Selbstbescheiden, sich anpassen • Spiel, Neugier, Verbesserung • Zugehörigkeit, Nähe, Toleranz • Sexualität Intensität, Ausprägung
7.1 Individuelle Variation der angeborenen Bedürfnisse: Die Triebe, die die Tiere zum Handeln veranlassen, bezeichnet man beim Menschen lieber als „angeborene Bedürfnisse“. Es gibt je nach Einteilung ein bis zwei Dutzend davon. Jeder Mensch hat alle, aber in unterschiedlicher Intensität. Durch die jeweilige Ausprägung wird jeder zum unverwechselbaren Individuum. Die Grafik zeigt zwei hypothetische Beispiele, nämlich eine hilfsbereite, bescheidene Person (schwarze Pfeile) und eine, die eher nach Ansehen strebt und zum Befehlen neigt (schraffierte Pfeile). Von der Intensität der einzelnen Bedürfnisse hängt ab, ob Menschen gut zueinander passen oder nicht. Natürlich kann man diese aus dem Unbewussten wirkenden psychischen Kräfte mit dem Verstand mehr oder weniger wirkungsvoll beeinflussen. Man muss das sogar anstreben.
bei Tieren auch Triebe nennt, in den Genen angelegt.40 Ob es 20 verschiedene sind, wie Murray unterschied, oder etwa 12, wie Maslow annahm, oder ein mächtiger Grundtrieb, von dem Freud postulierte, dass er sich in verschiedenen Verhaltensweisen manifestiert, ist gar nicht so wichtig. So etwas ist, wie wir sehen werden, in manchen Bereichen nur eine Frage der Definition und der Abgrenzung. 40
Manche Psychologen mögen nur von „motivationalen Zuständen“ sprechen (Rudolf), andere von „stabilen Dispositionen der Person“ (Atkinson), weil diese Persönlichkeitsmerkmale durch sehr viele erworbene Faktoren beeinflusst werden und sich daher wesentlich von einfachen Trieben unterscheiden.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Aber jeder hat alle diese Bedürfnisse. Er hat sie allerdings jeweils in sehr individueller Ausprägung (Abb. 7.1). Der eine will unbedingt dominieren, der andere bevorzugt Kooperation. Der eine liebt Ordnung, der andere gar nicht, er ist in seiner Unordnung aber sehr kreativ. Eine Liste finden Sie am Ende des Kapitels. Weil die individuelle Ausprägung erheblich variieren kann, ergeben sich derart viele Kombinationsmöglichkeiten, dass man allein in dieser Hinsicht kaum zwei gleiche Persönlichkeiten finden wird. Und da Umwelteinflüsse ebenfalls bedeutend sind, werden auch eineiige Zwillinge nicht identisch reagieren.
7.2 Positive Sekundäreffekte durch angeborene Bedürfnisse Bleiben wir noch etwas bei den beiden letzten Beispiele, die ich eingangs aufzählte. Der Oberarzt und die beiden Pfleger legten großen Wert auf Selbstbestimmung. Das ist ein Bedürfnis, das man sehr genau untersucht hat, weil man damit speziell in der Arbeitswelt erhebliche Probleme bekommen, aber auch sehr große Vorteile erzielen kann. Zunächst zeigten Ryan und Deci, dass dieses Bedürfnis nicht nach dem Alles-oder-nichts-Gesetz funktioniert, wie übrigens alle anderen auch nicht (und wie es die Abb. 7.1 zeigt). Man kann auf der eigenen Station über die Therapie selbst bestimmen wollen, während man sich in einer anderen Abteilung der Meinung des dortigen Fachmannes unterordnet. Die Selbstbestimmung ist ein Streben, kein Muss. Wenn nötig oder sinnvoll, kann sich jeder sehr wohl nach den Bedürfnissen anderer Menschen richten. Das ist wichtig in unserer komplizierten Welt. Die erfahrene Nachtschwester wird gewöhnlich selbst entscheiden wollen und können, ob eine Patientin ein Medikament zum Einschlafen bekommt und welches. Und da sie schon so oft so gute Erfahrungen mit den Baldriantropfen gemacht hat, möchte sie diese auch bei der Patientin einsetzen. Da sie daran glaubt, wird sie sie sehr überzeugend und erfolgreich anpreisen. (Ihren Erfolg werden wir in Abschnitt 12.2 und 12.5 diskutieren.) Aber es gibt auch die Patientin mit der schweren Mehrfacherkrankung, die zahlreiche an-
7. Angeborene Bedürfnisse
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dere Medikamente nehmen muss, und bei der sie die Entscheidung gerne dem Arzt überlässt. Wenn die Nachtschwester überhaupt selbst bestimmen darf, wenn sie also ihrem Bedürfnis entsprechen kann, fühlt sie sich in ihrer Position wohler, als wenn sie vorgeschrieben bekommt, dass sie wegen jeder Tablette fragen muss. Wenn man ihr diese Autonomie gewährt, wird natürlich ihr Selbstbewusstsein größer sein, sie fühlt sich anerkannt, fühlt sich bestätigt, tritt ganz anders auf. Sie wird sich mehr einsetzen, genauer aufpassen. Wenn man sie selbstständig arbeiten lässt, wird sie auch mal bei einem Schwerkranken länger bleiben, als es ihr Arbeitsvertrag vorschreibt, wird Verantwortung übernehmen. Sie wird sich in das Team engagiert einbringen, wird dabei auch kreativer sein, also mal einen Verbesserungsvorschlag machen. Und es ist erwiesen, dass Menschen auch gesünder sind, wenn sie genügend selbst bestimmen können. Anhand der Fehlzeiten hat man es gemessen, an der größeren Vitalität hat man es gemerkt.41 Auch eine ganz junge Lernschwester, die gelegentlich etwas selbst machen darf, lernt effektiver als die anderen, die nur zusehen und nachlesen.
7.3 Die Variationsbreite angeborener Bedürfnisse Es ist, wie Sie sehen, eine lange Liste von Vorteilen, die der Arbeitgeber hat, wenn er seinen Mitarbeitern möglichst große Autonomie zugesteht, und zwar allen, nicht nur einer Nachtschwester. Man hat alle Pluspunkte dieser Liste genau kontrolliert und sie in vielen wissenschaftlichen Arbeiten bewiesen (allerdings nicht im Krankenhaus). Und man hat dann gezeigt, dass natürlich nicht nur dieses eine angeborene Bedürfnis solche Vorteile ermöglicht. Man hat auch geprüft, welche Vorteile sich ergeben, wenn man dem Bedürfnis nach Kompetenz (also fachlich gut sein zu wollen) durch geeignete Arbeitsplätze echte Möglichkeiten eröffnete und dann natürlich die Kompetenz durch entsprechendes Lob und Ähnliches bestätigte. 41
Die Behinderung des Bedürfnisses andererseits bedeutet Stress. Ich erinnere an den Abschnitt 5.4 und dort an das Gefühl der Hilflosigkeit, der durch den Mangel an Kontrolle verursacht wird (s. d. auch Fußnote 34).
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Man konnte diese Zusammenhänge auch beim Streben nach Gemeinschaft aufzeigen. Wenn jemand mit offenen Armen in ein Team aufgenommen wird, arbeitet er mehr und aufmerksamer, bemüht sich um Verbesserungen, ist gesünder. Die Zugehörigkeit zur Gruppe macht ihn auch zufriedener, ja glücklicher („Er lebt auf “ sagt man.). Das kann man sogar am Anstieg des Dopaminspiegels dieser Menschen ablesen. Die oben erwähnte Chefsekretärin hatte sich danach gesehnt, es war ihr wichtiger als Geld. Man hat ihren Antrag genehmigt, zum Vorteil aller.42 Es ist sicher nicht immer leicht, derartigen Bedürfnissen als Verantwortlicher nachzugeben, speziell nicht angesichts der Risiken und Gefahren, die in einem Krankenhaus durch Fehler entstehen können. Auch wenn der junge Arzt dann vielleicht gelegentlich unzufrieden und sein Einsatz nicht ganz so engagiert ist, wird man ihm nicht gleich alles genehmigen können, was er sich in jugendlichem Selbstbewusstsein zutraut.43 Der Chef wird allerdings nicht allen Bedürfnissen seiner Mitarbeiter nachgeben wollen. Man hat zum Beispiel auch ein Bedürfnis nach Mitsprache definiert. Sie kennen sicher selbst Kollegen, bei denen dieses Bedürfnis erstaunlich ausgeprägt ist. Leider korreliert es nicht immer mit ihrer fachlichen Kapazität. Sie können sich vorstellen, dass unter diesen Umständen eine ausgeprägte Neigung zum Mitreden erheblich stört und aufhält, vielleicht sogar bei anderen die Leistung mindert. Also wird man das Bedürfnis dämpfen, auch wenn dann das Engagement und die Kreativität dieses Mitarbeiters nicht mehr überdurchschnittlich sein sollten. Andererseits zeugt es von großem psychologischem Verständnis oder sozialer Kompetenz, wenn der Vorgesetzte seine Mitarbeiter 42
Allerdings haben langjährige Nachuntersuchungen ergeben, dass in der Mehrheit die spätere Arbeitszufriedenheit größer gewesen ist, wenn man sich nach seinen bereits erworbenen Kompetenzen und nicht einfach nach Wünschen ausgerichtet hat (Asendorpf S. 224). 43 Im Berufsleben geht es oft nicht nach dem Wünschen und Streben, nicht immer um die Fähigkeiten. In einer Umfrage der Gallup Organisation bei 1,7 Millionen Mitarbeitern in 101 Betrieben in 63 Ländern bejahten nur 20 Prozent die Frage, ob sie in ihrem Betrieb das tun dürfen, was sie am besten können (Buckingham). Ein weiteres Ergebnis der Erhebung war zu erwarten: Je größer dieser Prozentsatz war, desto besser funktionierte das Unternehmen. Ich bin überzeugt, dass wir im Krankenhaus in der glücklichen Lage sind, einen deutlich höheren Prozentsatz zu erreichen.
7. Angeborene Bedürfnisse
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turnusmäßig nach ihrer Ansicht zu aktuellen Problemen und Entscheidungen befragt. Sie fühlen sich ernst genommen, einbezogen. Endlich dürfen sie mitreden. Das hilft ihnen, ihr Selbstwertgefühl zu optimieren, es kann Ausgangsposition für eine fruchtbare Diskussion sein, vielleicht auch Gelegenheit für einen längst fälligen Verbesserungsvorschlag.
7.4 Gratifikation durch das Belohnungszentrum Allen angeborenen Bedürfnissen ist gemeinsam, dass sie 1. eine Richtung des Verhaltens vorgeben (Heckhausen) und 2. ihre Vollendung anstreben. Wenn Letzteres gelingt, wird das Belohnungssystem (s. Abschnitt 6.2 und 6.9) aktiviert, Wohlbefinden oder Freude sind die Folge.44 In der Tierpsychologie spricht man von Gratifikation. Wieder funktioniert das vermutlich über den Abgleich mit einem eingangs aufgestellten Sollwert (Reykowski). Gute Stimmung entsteht also nach Befolgen eines oder mehrerer angeborener Bedürfnisse. Die Ausschüttung von Dopamin im Gehirn ist erneut ein Hinweis, dass die Belohnung ein probates Mittel der Natur ist, Aktivität zu erzeugen, und zwar in der Richtung, in der die Überlebenschancen steigen: Man tut das noch einmal, was erfreulich endete. Das Belohnungssystem wird zum Präferenzsystem (Damasio). Der griechische Philosoph Epikur erkannte es schon vor über 2000 Jahren: Der Mensch strebt nach Wohlbefinden (wohlverstandener Hedonismus). 44 Im
Hirnstamm gibt es offenbar gleich mehrere Bereiche, die als Belohnungszentren wirken. Im Gehirnscan findet man aber prinzipiell die gleichen Stellen aktiv, die auch beim Schokoladeessen, bei der Freude über einen gewonnenen Preis, bei geliebter Musik oder unter Kokain stark arbeiten und irgendwie am Lustgefühl beteiligt sind. Außer Dopamin können auch andere Botenstoffe wie Adrenalin oder Serotonin angenehme Stimmungen generieren, wenn sie auf entsprechende Rezeptoren treffen. Sie erinnern sich, dass wir davon (einschließlich der Endorphine aus dem Hypophysenvorderlappen) schon im Kapitel 6 gehört haben als Ursache einer guten Stimmung. Dort war es die „Belohnung“ für eine richtige Annahme, für gute Arbeit oder Erfolg, hier ist sie es für das Befolgen des „Triebes“.
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Dass jeder alle Bedürfnisse hat, nur nicht alle gleich stark, habe ich schon festgestellt. Die bei einer Person besonders ausgeprägten Bedürfnisse werden deren Verhalten mitbestimmen und können daher als charakterformend bezeichnet werden. In einer Partnerschaft oder im Team ist es wichtig, dass die Determinanten der jeweiligen Charakterprofile einigermaßen zusammenpassen. Die Profile müssen nicht sehr ähnlich sein. Zwei Personen mit gleich starkem Bedürfnis nach Dominanz dürften sich sogar schlecht vertragen. Dagegen passen zwei Unternehmungslustige oder zwei, die gerne gepflegt essen, gut zueinander. Aber je besser die einzelnen Mitglieder eines Teams ihren eigenen Bedürfnissen nachkommen können, während sie insgesamt mit den anderen harmonieren, desto besser wird auch das Arbeitsklima in der ganzen Mannschaft sein. Und: Jegliches Team funktioniert besser, wenn es neue Mitglieder selber wählen kann.
7.5 Die Hierarchie der angeborenen Bedürfnisse Wegen der gewaltigen Bedeutung der angeborenen Bedürfnisse möchte ich sie noch in anderer Hinsicht etwas ausführlicher diskutieren. Man kann sie in fünf oder sechs Gruppen ordnen, die sich hinsichtlich ihrer Funktion und Zielrichtung unterscheiden, und aus denen Maslow ein „Stufenmodell“ und damit eine Art Hierarchie gebildet hat.45 Bei den (untersten) sogenannten Mangelmotivationen, also dem Bestreben, Hunger und Durst auszugleichen, gibt es in den entsprechenden Zwischenhirnzentren jedenfalls Sollwerte, die das Bestreben auslösen. Je stärker die Stoffwechselwerte vom Sollwert abweichen, desto stärker wird das Bedürfnis, und desto weniger wählerisch wird Nahrung aufgenommen. Nach überlanger Operation ist der sonst so verwöhnten Mannschaft auch ein lauwarmes Essen willkommen. Und wenn der Patient nach längerer parenteraler Ernährung wieder essen darf, kann auch ein sonst verschmähter Brei köstlich sein.
45
s. z. B. bei Zimbardo
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Auch das Bedürfnis nach Sicherheit als zweite Stufe gehört zu den Urtrieben. Es wird in der Regel erst wirksam werden, wenn dasjenige nach Nahrung einigermaßen gestillt ist. Erst dann überlegt man, ob diese Nahrung auch für die Gesundheit gut ist, ob man nicht besser auf ihren Cholesteringehalt achtet usw. Der Wunsch nach sozialem Austausch, also danach, Zuneigung und Liebe zu erfahren und zu geben, ist nach Maslow (zit. n. Schönpflug) noch eine Stufe höher angesiedelt. Hierher gehört auch die Neigung, anderen Menschen zu helfen, also das karitative Bedürfnis, das bei vielen im Krankenhaus Tätigen sehr ausgeprägt sein dürfte. Sie werden mir widersprechen wollen, dass man doch nicht erst hilft, nachdem man gesättigt ist und sein Sicherheitsbedürfnis gestillt hat. Richtig, als erwachsener Mensch kann man diese fundamentalen Bedürfnisse mit Hilfe des Verstandes und starker Marker überspielen.46 An dieser Stelle muss ich noch einmal auf den Altruismus, also die selbstlose Hilfe für den Mitmenschen zu sprechen kommen. Bei der Besprechung der emotionalen Marker und der ethischen Vorgaben in Abschnitt 1.5 hatten wir schon überlegt, dass man sehr wohl gegen den eigenen (biologisch vorgegebenen) Egoismus angehen kann. Das funktioniert dann über Lernen und Verstand. Viele Genetiker haben behauptet, dass sich ein Gen für Altruismus in der Phylogenese nicht hätte halten können, weil es für das Überleben nachteilig gewesen wäre, dem Konkurrenten zu helfen.47 Inzwischen weiß man aber, dass das Bedürfnis Hilfe zu leisten angeboren ist (s. Zusammenstellung am Ende des Kapitels). 46 In
speziellen Versuchsanordnungen der empirischen Psychologie wurde unter anderem bewiesen, was jeder aus der Alltagserfahrung auch erwarten würde, dass nämlich die Menschen besonders zur Hilfe bereit sind, wenn sie Mitleid mit dem Opfer haben. Wenn sie sich über das Opfer ärgern, weil es sein Problem selbst verschuldet hat, helfen sie seltener, und wenn sie selbst gegenwärtig keine besonderen Gefühle empfinden, weil sie anderweitig abgelenkt sind, fast nie (Rudolph 2003). 47 Inzwischen gibt es auch in der Genetik Belege dafür, dass Kooperation (und das ist eine Form von Hilfe für den anderen) bei sozial lebenden Individuen (und dazu gehört der Mensch) angeboren vorkommt und sich sehr wohl in Form von besseren Überlebenschancen auszahlt. Wie wir schon hörten, kann man auch im Bild des fMRT zeigen, dass kooperatives Helfen von den gleichen Hirnzentren mit Wohlbefinden beantwortet wird wie das Essen von Schokolade, und dass diese Belohnung den Zweck hat, dass man sich die Erfahrung besser merkt und sie bei Gelegenheit wiederholt.
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Seine Befriedigung führt eindeutig zur Gratifikation, also zu Wohlbefinden. Jeder kennt das Gefühl der Freude, wenn man einem anderen etwas selbstlos geschenkt hat (s. gutes Gewissen Abb. 6.3 in Abschnitt 6.8). Sogenannte Leistungsbedürfnisse, also das Streben nach Anerkennung bzw. Ansehen oder das nach Erfolg und Wettbewerb oder das nach Dominanz, werden noch eine Stufe später aufgeführt. In der Regel werden sie also erst nach dem Bedürfnis zum sozialen Miteinander zum Zuge kommen. Das ist logisch, sie machen ja auch erst in der Gruppe einen Sinn. Die Leser werden solche Bedürfnisse gewissen Personen aus ihrem persönlichen Umfeld als typisch zuordnen können. Für andere Triebe wie den Jagdtrieb bei Tieren, den Spieltrieb oder das Bedürfnis nach Exploration (Neugierverhalten, vornehmer: „Streben nach Informationszuwachs“) hat man Auslösemechanismen gefunden, also keine vorgegebenen Sollwerte wie beim Hunger. Sie werden von Ereignissen in der Umwelt aktiviert.48 Der Kollege sieht ein ihm unbekanntes Instrument auf dem Tisch des Stationszimmers, nimmt es sogleich in die Hand, möchte es untersuchen oder mit ihm spielen, es ausprobieren. Wenn keine konkreteren Bestrebungen des Individuums aktiv sind, wenn ihm gewissermaßen langweilig ist, hat man ein „Appetenzverhalten“ beobachtet, in dem das höhere Tier oder der Mensch geradezu nach Reizen sucht. Ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Transzendenz musischer und religiöser Betätigung, das Streben, über sich selbst hinaus zu gelangen, wie es von Maslow und anderen angenommen wird, würde erst wirksam werden, wenn alle anderen zum Zuge gekommen sind. Das ist nachvollziehbar.49 Mit Blick auf die Aus48 In
diesem Zusammenhang hat man diskutiert, ob der Begriff „Trieb“ überhaupt semantisch korrekt ist, ob man wirklich getrieben oder nicht eher durch Anreize gelockt wird, die dann entsprechende Emotionssysteme aktivieren. Die entsprechenden nervalen Strukturen wurden im lateralen Hypothalamus lokalisiert. 49 Im Abschnitt 1.2 hatten wir schon im Zusammenhang mit der Konsequenz der Wirkung der emotionalen Marker festgestellt, dass sie alles Denken und Handeln auf den eigenen Vorteil ausrichten. Man muss sich fragen, ob bei so viel Egoismus durch die Emotionen noch eine (zusätzliche) Motivation zur Selbstverwirklichung als angeborenes Bedürfnis nötig und sinnvoll ist. Ob es dieses Bedürfnis wirklich gibt, kann vielleicht künftig mit funktionellen bildgebenden Untersuchungen klarer definiert werden.
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lösung ist die prinzipielle Besonderheit interessant, dass bei diesen sogenannten „kognitiven“ Bedürfnissen der Sollwert aus gelernten Wertvorstellungen konstruiert wird.50 Er werde anerzogen oder erfahren und sei damit kulturspezifisch. Das angeborene Bedürfnis selbst wäre dann nur ein unbestimmtes Drängen nach „höherer“ Betätigung. Aber gerade Schwerstkranke können angesichts des Todes starke Bedürfnisse nach religiöser Erfüllung haben. Die wenigsten äußern sie, man muss in jedem Fall danach fragen. Der Versuch seelischen Beistandes wirkt nicht immer beruhigend. Wir können auch aus der Maslow‘schen Pyramide (s. o. Abschnitt 7.5) ableiten, dass nicht alle Schwerkranken dergleichen wünschen: Zu oft sind die „vorrangigen“ Bedürfnisse nicht erfüllt, oder Schmerzen stören alles Denken. Wir können uns ferner vorstellen, dass die Wünsche und Ziele deutlich älterer Menschen stark von unseren eigenen abweichen können, weil sie (in ihrer Jugend) unter anderen Umständen und oft mit einem ganz anderen Zeitgeist verknüpft wurden. Wenn wir „seltsamen“ Kranken gerecht werden wollen, müssen wir auch das gezielt zu verstehen versuchen.
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Manche Faktoren, die geeignet sind, auf die Ausführung der angeborenen Bedürfnisse beim Menschen einzuwirken, werden zusätzlich gelernt. Die genetische Anlage scheint in den meisten Fällen beim Menschen wenig distinkt. Damasio spricht von „präorganisierten“ (also noch unvollkommenen) Mechanismen. Schon die Auslösebedingungen für gewisse Motivationen werden erworben. Man hat sogar von zusätzlichen „erworbenen Trieben“ gesprochen, zum Beispiel dem Streben nach Geld oder Reichtum (obwohl es sich hier nach meiner Meinung einfach um eine erlernte Modifikation des natürlichen Beutetriebes handeln dürfte). Insbesondere aber die Zügelung wird von der Gesellschaft gewünscht und gelehrt. Es bilden sich subjektive Einstellungen zu vielerlei Verhaltensmustern, die dann Start und Auswirkungen der Bedürfnisse steuern. Das ist der Grund dafür, dass man beim Menschen nicht gern von Trieben, sondern von Bedürfnissen und unter Umständen sogar ganz vorsichtig von „motivationalen Zuständen“ redet. Der Begriff „Trieb“ hat viel Autoritatives. Die meisten Bedürfnisse möchte man beim Menschen eher als Angebot zu „zweckbezogener Aktivität“ verstehen.
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7.6 Ausgeprägtes Dominanzstreben und Mobbing In jeder Art von Gemeinschaft hängt die Eintracht von der Intensität des Dominanzstrebens Einzelner ab. Man schätzt, dass dieses angeborene Bedürfnis nur bei etwa zehn Prozent der Menschen stark ausgeprägt ist. Aber jeder hat es. Das wird auch in einer Klinik so sein, und unser Verständnis für diese Zusammenhänge sollte helfen, Reibungsflächen abzubauen. Testosteron spielt bei der Dominanz – jedenfalls bei Affen – eine entscheidende Rolle. Der Testosteronspiegel im Blut scheint von mentalen Prozessen (über die Hypophyse) gesteuert zu werden. Verliert das bislang stärkste Männchen, das auch den mit Abstand höchsten Spiegel aufweist und sich seiner Machtposition voll bewusst ist, in einem Zweikampf mit einem kräftigeren jungen Tier seine Vorrangstellung, sinkt sein Testosteronspiegel rapide, und sein ganzes Gehabe wird normal bis unterwürfig. Beim Menschen ist eine derartige Abhängigkeit zwischen Testosteronspiegel und dominantem Auftreten nicht bewiesen. Aber wenn ein Mann im Sport siegt, findet man Testosteron, das immer zu Beginn eines Wettkampfes ansteigt, lange Zeit hinterher noch vermehrt. Bei dem, der nicht gewinnt, geht der Hormonspiegel sofort zurück. Im Gegensatz zum Hungertrieb gibt es beim Streben nach Dominanz offenbar keine Sättigung, auch nicht beim Menschen. Wer nach Dominanz strebt, sucht und findet überall neue Möglichkeiten, weitere höhere Positionen zu erkämpfen und besetzt zu halten. Dabei kommt es auf den Standpunkt an. Es ist eine Grundregel der Soziologen: Jede Position kann auch als eine Machtposition angesehen werden: Wer darf den Dienstplan machen und über den Urlaub bestimmen? Wer kontrolliert die Arztbriefe oder das OP-Programm? Wer bestimmt über Teilzeitstellen oder Parkplätze usw.? Wer hat in der Diskussion wieder einmal Recht, wer hatte die Komplikation längst vorausgesehen? Um Ziele zu erreichen, kann man den Verstand bemühen oder das Aggressionszentrum aktivieren. Und man kann sie mit sozialer Kompetenz oder rücksichtslos verteidigen. Unser Wissen über Zahl und Abgrenzung der Bedürfnisse ist noch unsicher. Zum Beispiel könnte der Assistenzarzt das Bemühen um eine Position in der Hierarchie, also zum Beispiel um die Leitung
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des Sonografie-Bereiches anstatt als „Kampf “ auch als sportlichen Wettstreit um die beste fachliche Leistung auffassen. Der Wettstreit müsste nicht einmal fair verlaufen, um als solcher zu gelten. Der Bessere gewinnt. Lorenz hat gezeigt, dass Hunde durchaus Freude am Wettkampf haben, und dass ihnen dies angeboren, also eine Art Trieb ist. Diesen hat er in der Nähe des Spieltriebes angesiedelt.51 Bislang kann man nicht entscheiden, ob es eine deutliche Grenze zur Dominanz gibt. Vielleicht sind beides nur Rand- oder Extrembedingungen eines gemeinsamen Feldes mit fließenden Übergängen, in dem die Persönlichkeit nach materiellem oder immateriellem Vorrang strebt. Das könnte auch an der Grenze zwischen Wettkampf und Leistungsstreben so sein. In der Zusammenstellung der angeborenen Bedürfnisse nach Murray und Edward (am Ende dieses Kapitels) ist auch die Aggression aufgeführt. Aggression ist eine verbreitete und wichtige biologische Reaktionsform, die man allerdings nicht mit Destruktivität verwechseln darf. Aber in der Tierpsychologie wird zwischen wenigstens drei Formen unterschieden: Aggression beim Nahrungserwerb (Raubtier), beim Verteidigen eines Terrains oder der eigenen Integrität, und Aggression beim Kampf um Vorteile bei der Fortpflanzung. Es sind verschiedene neuronale Konstellationen, die das Aggressionszentrum im „zentralen Höhlengrau“ triggern. Die dann angewandten Taktiken der Aggression sind vielfältig.52
51
Die Kerne für Teilfunktionen dieser Bedürfnisse sind im Zwischenhirn exakt lokalisiert worden. Vom sogenannten Fresszentrum, das die Nahrungssuche initiiert, kann man ein Sättigungszentrum unterscheiden. Nach Schädigung des Sättigungskerns kennt das fressende Tier keine Bremse. Nicht nur das Zentrum für Nahrungssuche liegt im lateralen Hypothalamus. Dasjenige für Neugierverhalten fand man direkt daneben. 52 Die Attributionsforschung, auf die ich im nächsten Kapitel noch etwas näher eingehen werde, hat gezeigt, dass der Mensch zwar gemeinhin meint, er sei in seinem Verhalten abhängig von seinen Anlagen, Eigenschaften und Bedürfnissen, also von seiner eigenen Disposition. Tatsächlich ist er aber bemerkenswert abhängig von unterschwelligen äußeren Einflüssen jeder Art, die in der Situation liegen, also Zwängen, Regeln, Autoritätspersonen, Umgangsformen, dem Gruppenkonsens. Damit sind Konflikte und folglich psychologischer Stress vorprogrammiert, und zwar sowohl für Ärzte und Schwestern als auch für ihre Patienten. Sie alle müssen mehr oder weniger unbewusst zurückstecken bei dem, was sie wirklich wünschen.
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Im Berufsleben und damit auch im Krankenhaus finden wir besonders häufig eine „zivilisierte“, unterschwellige Variante der Aggression, das sogenannte Mobbing. Als typischer Verlauf wurde der Fall der Marianne P. eingangs zitiert. Bei der juristischen wie auch bei der Beurteilung einer etwaigen Berufsunfähigkeitsrente werden folgende Tatbestände anerkannt: 1. Unterdrückung des Mitteilungsbedürfnisses; Kritik, Unterbrechungen, Beschimpfungen; Informationen werden nicht weitergegeben. 2. Angriff auf die sozialen Beziehungen, Isolierung und Ausgrenzung, Nichtbeachtung. 3. Diskriminierung, Minderung des sozialen Ansehens (Gerüchte, Lächerlich machen, Intrigen, Beleidigungen). 4. Beeinträchtigung der Qualität der Leistung: Falsche, sinnlose, oft auch (in infamer Weise) überfordernde Aufgaben oder „Kaltstellen“. 5. Angriffe auf die Gesundheit (körperlich), beleidigende sexuelle Belästigungen. In Punkt 1 bis 4 erkennt der Leser eindeutig Angriffe auf angeborene Bedürfnisse, die wir gerade besprochen haben. Das Unterdrücken solcher Bedürfnisse wurde mit Recht als Psychoterror bezeichnet. Man registriert ärztlicherseits typische Stressfolgen wie Magen-DarmProbleme, Unwohlsein, Schlafstörungen, Depressionen bis zum Suizid. Wohl dem Krankenhaus, in dem dergleichen nicht vorkommt. Wer das Prinzip kennt, kann bei der Prophylaxe und Therapie helfen, letztlich einer effektiven Arbeit am Patienten zuliebe, denn der ist der Leidtragende bei jeglichem „Sand im Getriebe“.
7.7 Menschliche Nähe und Liebe Ein anderes angeborenes Bedürfnis, das eine Voraussetzung für das soziale Zusammenleben darstellt, ist: Das Streben nach menschlicher Nähe, nach Gemeinsamkeit, nach Partnerschaft, das schon der Säugling hat. Jedem Leser ist bewusst, dass Menschen sich hinsichtlich der Intensität dieses Bedürfnisses unterscheiden, er weiß, dass es bei jedem Einzelnen Phasen stärkerer Nähe und Phasen der
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Zurückgezogenheit gibt, und dass Gelegenheit natürlich das Zusammengehen begünstigt. Man wird derartige Tendenzen auch bei der Unterbringung von Kranken in Einzel- oder Mehrbettzimmern zu berücksichtigen suchen. Schließlich will ich nun die schwierige, kontrovers diskutierte Frage nicht mehr umgehen, die mancher Leser sich schon gestellt haben mag: Was ist eigentlich Liebe? Eine klassische primäre Emotion ist sie jedenfalls nicht, denn es gibt keinen typischen Gesichtsausdruck für das Verliebtsein (zum Glück oder leider, je nach Standpunkt). Man kann Betroffenen nur ansehen, dass sie glücklich oder fröhlich oder bedrückt oder geistig abwesend sind.53 Die primäre Emotion Freude gehört meist in einer ihrer Schattierungen dazu, ist aber nicht zwingend. Besorgnis oder sogar Trauer können hineinspielen. Aber Liebe ist mehr als eine Mischung von Emotionen. Viele Autoren rechnen sie heute zu den Motivationen. Im funktionellen MRT fand man nämlich bei Verliebten die größte Hirnaktivität dort, wo die Triebe und Motivationen lokalisiert sind. In der Nähe dieser Zentren arbeitet das Gehirn auch beim Bedürfnis nach Sexualität besonders intensiv, ferner beim Bedürfnis nach Gesellschaft überhaupt oder bei dem Drang, die Nähe eines bestimmten anderen Menschen zu suchen. Dieser Trieb kann bekanntlich allein sehr stark sein: Sehnsucht in verschiedenen, die Ruhe raubenden Varianten kann zu außergewöhnlichen Leistungen befähigen, außergewöhnlich insbesondere verglichen mit sonstigen Gewohnheiten des Individuums. Und das Erreichen des Ziels kann (ebenso wie bei der Sexualität) sehr große Befriedigung, Wohlbefinden, Freude, Seligkeit generieren (Belohnungszentrum). Andererseits ist die unerwiderte Liebe sicher ein Problem, gelegentlich auch im Krankenhaus. Erich Fromm hat besonders umfassend die vielen Variationen und Phänomene der Liebe zusammengestellt. In der Psychologie werden meist drei Grundformen abgegrenzt. 53
Entsprechend registriert man im Blut variierende Anstiege von verschiedenen Botenstoffen wie Dopamin, Adrenalin oder Endorphin. Ein gelegentlich auffallend niedriger Serotoninspiegel soll mit gewissen Verhaltenabnormitäten Verliebter zusammenhängen, weil man Ähnliches auch bei anderen Affektstörungen findet.
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• Erstens: Man kann sich zu einem Menschen hingezogen fühlen, ihn bewundern, verehren. So kann schon ein Grundschulkind in seine Lehrerin oder in einen viel älteren Vetter verliebt sein. Sexualhormone spielen bei der „unschuldigen“ Liebe in diesem Alter sicher keine bedeutende Rolle. Sie tun es per definitionem auch nicht bei der platonischen Liebe. Diese Form kann man im übertragenden Sinne auch Gegenständen oder Fertigkeiten entgegenbringen. • Zweitens: davon grenzt man die sexuelle Liebe ab, die durch die zusätzliche Mitwirkung der Sexualhormone charakterisiert ist. • Und drittens gibt es die bewahrende Liebe, häufig als Nachfolgeverhalten in der Ehe („Die Leidenschaft flieht, die Liebe muss bleiben…“ sagt Schiller in der „Glocke“). Sie beruht ganz wesentlich auf Erfahrung, auf dem Grad der Vertrautheit, auf Erhalt des Bewährten, auf Zufriedenheit. Insgesamt kann man das Phänomen Liebe somit als ein Zusammenwirken von Motivationen, Zielvorstellungen, Emotionen verschiedener Färbung und Intensität und gegebenenfalls von hormonalen Einflüssen auffassen.54 Aber ausgerechnet dieses häufige und jeden interessierende Verhaltensphänomen ist sehr komplex, daher bleibt noch viel zu erforschen.
7.8 Angeborene Bedürfnisse bei Krankheit Kehren wir zurück zu der Frage, welche besondere Bedeutung die angeborenen Bedürfnisse bei unseren Patienten haben können. Ein interessantes Beispiel kennt man seit vielen Jahren im Verhalten von Krebspatienten. Man hat ihr Verhalten nach dem Zeitpunkt, an dem man ihnen die Diagnose „Krebs“ eröffnet hatte, in vier oder fünf Phasen eingeteilt. Zuerst beobachtet man meist einen Schockzustand von 1 bis 3 Tagen und dann eine Phase des Haderns mit dem Schicksal, also Unsicherheit oder Verzweiflung. Sofern ihnen
54
Ausführliche Daten s. bei Walter.
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mitgeteilt wurde, dass die Schulmedizin keine Heilung garantiert, vielleicht eine Besserung nur unter Vorbehalt voraussagen kann, versuchen viele Betroffene schließlich in einer dritten Phase, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, selbst einen Weg zu suchen. Diesen Weg schlug auch die eingangs erwähnte Frau Irma S. ein. Sie recherchierte im Internet, befragte andere Betroffene, wechselte die Ärzte und unterzog sich dann mehreren alternativen Therapien. Der aufmerksame Leser erkennt hier das angeborene Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Es führt den Patienten oft zur alternativen Medizin, weil die Schulmedizin in seinen Augen versagt oder jedenfalls sein Vertrauen verloren hat. Placebo-Effekte mögen dazu beitragen, dass dann tatsächlich (leider vorübergehende) Erfolge erzielt werden. Diese Besserungen sind psychologisch extrem wichtig, weil sie nicht nur die Hoffnung nähren, sondern weil das Bedürfnis nach Selbstbestimmung offenbar zu dem Ende geführt werden konnte, an dem das Belohnungszentrum über die Ausschüttung von Dopamin u. a. ein Wohlbefinden erzeugt („Ich habe es ja gewusst“). Parallele nervale Einflüsse auf die Abwehrsysteme können dann tatsächlich objektive somatische Besserungen zur Folge haben. Umgekehrt wird bei unseren Schwerkranken auf der Intensivstation das Bewusstsein, selbst nicht aktiv mitwirken, nicht über sich bestimmen zu können, eine psychische Belastung sein. Das Zitat ganz am Anfang des Buches mag diese Notlage beleuchten. Sofern das überhaupt möglich ist, verhelfen kleine Aufgaben mit abschließendem Erfolgserlebnis und Lob zu einer gewissen Befriedigung, wie jede gute Schwester weiß. Mentale Prozesse im Sinne eines starken Genesungswillens sind nachweislich in der Lage, organische Prozesse wie das Krebswachstum positiv zu beeinflussen. Man vermutet unter anderem Wirkungen über die Hypophyse und die Corticoide, eventuell auch direkt über das Immunsystem. In einer prospektiven Studie an Frauen mit metastasiertem Brustkrebs in weit fortgeschrittenem Stadium überlebte die Gruppe, der man eine intensive psychosoziale Betreuung zusätzlich zur kompletten medizinischen Behandlung zuteilwerden ließ, doppelt so lange wie die Patientinnen in der Gruppe ohne diese Betreuung. Die Bemühungen zielten auf liebevollen Kontakt mit anderen Menschen, auf eine positive Einstellung zum Leben und insbesondere auf aktive Gestaltung der verbleibenden Zeit.
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Lebenswille und Selbstwertgefühl spielen bei unseren Patienten häufiger eine Rolle, als man in der Routine des Alltags bedenkt. Wir hatten bei Besprechung der Annahmen in Abschnitt 6.5 erkannt, dass hier Welten zusammenbrechen können, wenn den Annahmen die Basis entzogen wird. Der enttäuschte Kranke braucht zum Regenerieren neue Motivationen zum Aktivieren der „psychischen Energie“, die in ihm steckt. Es sind ja ganz wesentlich diese angeborenen Bedürfnisse, die uns den ganzen Tag vorantreiben und auch dem Kranken die Kraft zur Überwindung von Schwächen und zur Bewältigung äußerer Herausforderungen verleihen. Wer um sie weiß, vermag sie verständnisvoll und gezielt zu unterstützen. In der guten Stimmung hatten wir eine ungerichtete Motivation kennengelernt. Bei den angeborenen Bedürfnissen richtet sich die Motivierung dagegen auf Ziele, wenn diese prinzipiell auch unspezifisch sind: auf Sättigung, auf Selbstbestimmung, auf Dominanz, auf Sexualität usw. Angeborene Bedürfnisse formen die Basis unserer Wünsche. Diese entspringen also dem emotionalen System im weiteren Sinne und sind klar zu trennen vom (verstandesmäßigen) Wollen, über das wir schon gesprochen haben (s. a. Abschnitt 8.5).
7.9 Die Reduzierung der Bedürfnisse ist ein Schutzmechanismus Sehr kranke Menschen scheinen kaum noch Bedürfnisse zu haben. Aber einige (noch) aktive sollten wir voraussetzen. Menschliche Zuwendung wird fast jeder herbeisehnen, auch wenn er es nicht mehr zeigen kann. Man beachte, dass die Maslow‘sche Bedürfnispyramide nicht von oben herab abgebaut wird, dass also das Streben nach Achtung und Transzendenz (Glaube) im Überlebenskampf keineswegs zuerst wegfällt. Eine klare Regel gibt es nicht, das wird jeder bestätigen, der mit Schwerstkranken zu tun hat. Durst mag der Schwerkranke noch spüren, aber über Hunger klagt er selten. Vielseitige Bedeutung hat im Krankenhaus das Bedürfnis nach menschlichen Beziehungen, nach Gemeinsamkeit, nach Zuneigung. Die meisten Patienten dürften entsprechendes Verhalten von allen Betreuenden erhoffen. Aber viele wollen auch ihre Ruhe haben. Achtung: Alleine sein ist etwas
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anderes, als alleingelassen werden! Jeder braucht die Gewissheit, dass ihm geholfen wird. Es gibt zahlreiche Hinweise aus verschiedensten Bereichen der Medizin darauf, dass fehlender Beistand und Zuspruch, dass soziale Isolierung die Heilungsergebnisse signifikant verschlechtert. Ganz anders suchen weniger schwer Erkrankte auffallend aktiv menschliche Beziehungen im Mehrbettzimmer, bei Schicksalsgenossen. Es wurde auch ein Bedürfnis nach Anschluss formuliert: Aus Bekannten Vertraute machen. In der Klinik hat manche Freundschaft begonnen. Und selbstverständlich schafft die möglichst großzügig bemessene Besuchszeit eine freudige Erfüllung der Hoffnungen, meistens jedenfalls. Besuchende Großfamilien können allerdings auch die besten Absichten ins Gegenteil verkehren, indem sie nicht zur Aktivierung des Belohnungs-, sondern zur Aktivierung des Aggressionszentrums führen können. Als Letztes spreche ich das Bedürfnis nach Ansehen an, das jeder Mensch hat, obgleich nicht alle ständig danach schielen oder darauf pochen, und das man keineswegs nur in der Arbeitswelt findet. Jede gute Krankenschwester berücksichtigt es bei ihren Patienten. Sie spürt, dass selbst hinfällige und teilnahmslos wirkende Kranke auf eine gewisse Würde Wert legen. Gerade diejenigen, denen es schlecht geht, deren „Nervenkostüm“ ohnehin dünn, weil ständig belastet ist, sind verletzlich. Schon respektlose Anreden („Na Oma, wie geht‘s?“) können die zwischenmenschliche Beziehung zerstören, schon eine abwertende Körpersprache („Die hat ja doch keine Chance“) kann zu völligem Rückzug des Kranken in sich selbst, zum Abbruch der Kommunikation, zu Verzweiflung oder Selbstaufgabe führen. Mancher meiner Leser mag sich gefragt haben, warum Schwerkranke gelegentlich so abweisend werden. Das Thema Motivation ist hiermit natürlich nur in einigen wenigen Schwerpunkten abgehandelt. Wir werden das im nächsten Kapitel durch die Besprechung von Motivationen erweitern, die von außen auf das Individuum einwirken. Wir werden überlegen, wie der Mensch darauf reagiert, mehr noch, wie solche Einflüsse zu bewerten sind. Einerseits werden dadurch die eigenen Emotionen ungewollt beeinflusst. Andererseits gehen die Menschen damit auch entsprechend ihrem Temperament unterschiedlich um. Besonders die Vorteile eines gemäßigten Optimismus werden wir herausstellen.
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7.10 Liste der angeborenen (manifesten) Bedürfnisse* Leistung: Sein Bestes geben; erfolgreich sein; Aufgaben meistern, die Geschick und Anstrengung erfordern; eine anerkannte Autorität sein; etwas Bedeutendes vollbringen; schwierige Aufgaben bewältigen Selbstzurückstellung: Von anderen Vorschläge annehmen; herausfinden, was andere denken; Anweisungen befolgen und tun, was von einem erwartet wird; andere rühmen; die Führerschaft anderer akzeptieren; sich Gepflogenheiten anpassen Ordnung: Dinge sauber in Ordnung halten; im Voraus planen; Arbeiten bis ins letzte Detail organisieren; Angelegenheiten so arrangieren, dass sie reibungslos vonstatten gehen und es zu keiner unvorhergesehenen Veränderung kommt Exhibition: Kluge und witzige Sachen sagen; die Beachtung anderer durch die eigene Erscheinung auf sich ziehen; etwas sagen, nur um die Wirkung auf andere zu sehen; über persönliche Erfolge sprechen Autonomie: Kommen und gehen können, wie man will; sagen können, was man über das eine oder andere denkt; bei Entscheidungen von anderen unabhängig sein; etwas ohne Rücksicht darauf tun, was andere darüber denken Geselligkeit: Loyal gegenüber Freunden sein; an einer freundschaftlich verbundenen Gruppe teilhaben; enge Beziehungen anknüpfen; etwas mit Freunden gemeinsam haben oder unternehmen; Briefe an Freunde schreiben; so viele Freunde wie möglich gewinnen Menschenverständnis: Motive und Gefühle der Menschen analysieren können; verstehen, wie andere bestimmte Probleme empfinden; die Menschen mehr danach beurteilen, warum sie etwas tun, als danach, was sie tun; das Verhalten anderer vorhersagen Beistand: Sich der Hilfe anderer versichern; Ermutigung bei anderen suchen; Entgegenkommen und Mitgefühl bei anderen finden; viel Zuwendung von anderen bekommen Dominanz: Den eigenen Standpunkt vertreten; Führer in einer Gruppe sein; andere überreden und beeinflussen; die Handlungen anderer überwachen und lenken
* Murray 1943 und Edwards 1959, zitiert nach Zimbardo
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Selbsterniedrigung: Sich schuldig fühlen, wenn man etwas falsch gemacht hat; Schuld auf sich nehmen, wenn etwas schief läuft; das Gefühl haben, dass persönliches Leid und Not mehr Gutes als Schlechtes an sich haben; sich minderwertig und unzulänglich fühlen Hilfsbereitschaft: Freunden helfen, wenn sie in Not sind; andere freundlich und mitfühlend behandeln; anderen vergeben und ihnen zu Gefallen sein; Zuneigung zeigen und das Vertrauen anderer suchen Abwechslung: Neue und andere Dinge tun; reisen, neue Menschen treffen; Erneuerung und Abwechslung in der täglichen Routine erleben; sich an neuen und verschiedenen beruflichen Aufgaben erproben; an neuen Moden und Gags teilnehmen Ausdauer: Bei einer Aufgabe bleiben, bis sie vollendet ist; an einer Aufgabe angestrengt arbeiten; eine Sache nach der anderen erledigen; an der Lösung eines Problems weiterarbeiten, obwohl noch kein Fortschritt zu erkennen ist Heterosexualität: Sich an sozialen Aktivitäten mit dem anderen Geschlecht beteiligen; in ein Mitglied des anderen Geschlechts verliebt sein; von Mitgliedern des anderen Geschlechts für äußerlich attraktiv gehalten werden Aggressivität: Entgegengesetzte Meinungen angreifen; andere „anschnauzen“; sich für Beleidigungen rächen; andere dafür verantwortlich machen, wenn etwas schief geht; andere öffentlich kritisieren; sich Gründe für Gewaltanwendung zurechtlegen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 7 • Wenigstens ein Dutzend angeborener Bedürfnisse veranlassen uns zu Aktivität im Sinne einer intrinsischen Motivation. • Durch mannigfache mentale Einflüsse haben die meisten unserer Bedürfnisse gegenüber den imperativen Trieben der Tiere eher den Charakter einer Aufforderung. • Sogenannte Mangelmotivationen (z. B. nach Nahrung oder Sicherheit) haben Vorrang gegenüber höheren Bedürfnissen (wie zum Spielen oder gar nach Transzendenz). • Die Befolgung und Erfüllung eines Bedürfnisses wird vom Belohnungszentrum mit Wohlgefühl belohnt (Gratifikation).
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• Gibt man ihnen Raum, konnten höhere Leistungen, bessere Lernfähigkeit, Ausdauer, Zufriedenheit, Gesundheit, Kreativität u. a. gemessen werden. • Der individuelle Charakter jedes Menschen wird entscheidend durch die persönliche Ausprägung jedes einzelnen dieser Bedürfnisse mitbestimmt. • Für die Aktivierung der Bedürfnisfunktionen (intrinsischen Motivationen) gibt es spezielle Auslösemechanismen, für manche auch ein Appetenzverhalten. • Werden die Bedürfnisse eines Kranken nach Beistand, Zuspruch und sozialer Nähe nicht erfüllt, sind die Heilungsergebnisse signifikant schlechter. • Meint der Kranke von der Schulmedizin keine ausreichende Hilfe zu erhalten, führt ihn sein Streben nach Selbstbestimmung zu alternativen Heilmethoden. • Trotz Reduzierung der Bedürfnisse während einer Krankheit beachte man, dass ein solches nach Würde oder nach einem gewissen Ansehen erhalten bleibt.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Was man beim Patienten summarisch als Gesundungs- oder Überlebenswille bezeichnet, basiert auf den angeborenen Bedürfnissen, die ja – final betrachtet – alle irgendwie dem Überleben dienen sollen. Der Patient sieht eine Aufgabe, möchte sie planen und ordentlich vollenden, möchte das je nach Einstellung selbst tun oder mit der Hilfe und dem Mitgefühl anderer, möchte sich ganz darauf konzentrieren können oder aber er will es gerade verdrängen und durch andere Aktivitäten vergessen machen. Wenn man ihn unterstützen will, muss man jedenfalls auf derartige Charaktereigenschaften Rücksicht nehmen, sollte ihn also gut kennen bzw. durchschauen. Der gleiche Grundsatz gilt auch, wenn der Patient gerade keinen Gesundungswillen erkennen lässt und man einen solchen in ihm erwecken möchte. Das ginge überhaupt nur auf der Basis von Anlagen, die er hat, die er früher einmal nutzte. Wir sind wieder beim Hauptthema: Man müsste die Zeit finden, um sich in Ruhe und vertrauensvoll um ihn kümmern zu können. Man hat in großen Untersuchungen nachgewiesen, dass die Mitarbeiter sich besser fühlen, wenn sie das tun können, was ihren Talenten
7. Angeborene Bedürfnisse
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entspricht, wozu sie die größte Kompetenz haben. In einer Metaanalyse (198.000 Angestellte betreffend) fand Gallup, dass diejenigen, die die Chance hatten, jeden Tag das zu tun, was ihnen am liebsten war, weniger Krankentage hatten und bessere Leistungen erbrachten. Analysieren Sie die Umstände Ihrer eigenen Position. Besprechen Sie sie ggf. mit Ihren Vorgesetzten. Vielleicht können Sie auch einem Kollegen entscheidend helfen. Mobbing ist unter anderem so infam und so wirkungsvoll, weil das Opfer wie jene Frau Marianne P. gezielt dort behindert wird, wo sich ihre angeborenen Bedürfnisse durchsetzen und bewähren wollen, und wo folglich auch ihre größten Chancen liegen würden, Erfolg und Erfolgserlebnisse zu erzielen. Letztlich muss Verzweiflung aus dieser fortwährenden Unterdrückung resultieren und daraus wiederum ein chronischer Stresszustand. Wenn im konkreten Fall die kausalen Zusammenhänge schließlich objektiv geklärt sind, ist eine „Reparatur“ der zerrütteten Beziehungen meist nicht mehr möglich und ein Neuanfang an anderer Stelle das Beste, oft aber schwer zu realisieren. Man findet übrigens in einem derartigen Ausbremsen der Wünsche und Anstrengungen gelegentlich auch eine der Ursachen für das BurnOut-Syndrom. Wir müssen dem in der Klinikmannschaft entschieden entgegentreten. Es ist aber im Einzelfall auch zu überlegen, ob nicht dem längere Zeit schwer kranken Patienten aus vergleichbaren Problemen herausgeholfen werden muss. Auch er ist massiv daran gehindert, das zu tun, was seine „Natur“ eigentlich will, wozu einzelne Triebe ihn vielleicht drängen. Manchmal ist es dem Außenstehenden möglich, Auswege, Umwege oder Ersatzhandlungen zu finden, ihn abzulenken und auf andere, bessere Gedanken zu bringen.
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Attributionen, psychische Energie, Temperamente Der Patient Gerhard T. hat abstruse Vorstellungen von den Ursachen seiner Erkrankung. Entsprechend laienhaft sind seine Erwartungen an eine Erfolg versprechende Therapie. Sie passen nicht zum Denksystem der Schulmedizin. Es ist schwierig, ihm die Wirkweisen und die Notwendigkeit der vorgesehenen Maßnahmen zu erklären… Die Kollegin hat aus dem Mienenspiel und Tonfall ihrer Rivalin einen schwerwiegenden Affront herausgelesen. Das passt zu der Meinung, die sie sich ohnehin schon über die Dame gebildet hat. Das Betriebsklima ist beeinträchtigt … Der junge Motorradfahrer war aus der Kurve geflogen, aber mit Schürfwunden und einer Commotio davongekommen. Jetzt hadert er mit seinem Schicksal: Der entgegenkommende Wagen fuhr zu weit links und drängte ihn ab. Die Straße war unübersichtlich, wegen der Bepflanzung konnte man den Gegenverkehr nicht sehen, und nun ruft auch seine Freundin nicht mehr an, weil die Stationsschwester so unfreundlich war. Er hat Kopf- und Gliederschmerzen, Kreislaufbeschwerden und manches mehr, meint jedenfalls, noch nicht nach Hause gehen zu können … Der Oberarzt ist ärgerlich und lässt es alle spüren. Ausgerechnet bei dem Kind der Nachbarin eitert die Blinddarmwunde, und dabei verlief der Eingriff doch völlig glatt …
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
In jedem Kriminalfilm beschäftigt sich der Kommissar mit den vermutlichen Motiven des Täters. Aus gutem Grund. Immer hat der Mensch ein Motiv oder auch mehrere, wenn er irgendwie agiert. Und er hat auch eines oder mehrere, wenn er nachdenkt. In der Motivationspsychologie hat man versucht, die vielseitigen Formen von Beweggründen, die das Verhalten einer Person bestimmen, in ein System zu bringen. Dabei kann man grundsätzlich zwei Fragen stellen: Warum ist man motiviert, welche Ursachen haben diesen Prozess eingeleitet? Und man kann fragen: Wozu, mit welchem Ziel wird eine Handlung geplant, entschieden und schließlich ausgelöst? Unter den Ursachen, die zum Handeln motivieren, haben wir am Beispiel der Stimmung in Abschnitt 6.2 bereits die unspezifische, „ungerichtete“ Motivation besprochen, die allgemein zur Aktivität anregt. Und wir lernten dann in den angeborenen Bedürfnissen ein Bündel von Aktivierungsprozessen kennen, die intrinsisch, also aus dem Inneren des Gehirns heraus definierbare, aber unspezifische Ziele verfolgen, also „gerichtet“ sind. Alle diese intrinsischen Antriebe funktionieren aus dem Unbewussten heraus, gewissermaßen automatisch. Sie schaffen das, was man in der Motivationspsychologie eine (globale) Persönlichkeitsdisposition nennt, schaffen also eine Grundlage für Wollen und Handeln und bestimmen dessen Intensität und Richtung. Der Mensch wird als eine primär aktive Persönlichkeit charakterisiert. Im täglichen Leben interessieren meist Handlungsgründe, die von außen auf das Individuum einwirken. Man kann sie als extrinsische Motivationen auffassen. Sie können dem primär aktiven, also intrinsisch motivierten Individuum Handlungsrichtungen aufzeigen. Sie können aber auch eine zunächst noch passive Persönlichkeit zur Aktivität bewegen. Jeder Mensch ist in einen ständigen Interaktionsprozess mit seiner Umwelt eingebunden. Ursächliche Einflüsse auf sein Handeln sind fortwährend vorhanden. Er geht ins Krankenhaus, weil er eine Verletzung und Schmerzen hat oder weil sein Arzt das aufgrund von Untersuchungen für nötig hält und ihm das mit Argumenten nahebringt.
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8.1 Kausalattributionen Andererseits sucht der Mensch aktiv nach Ursachen für Vorgänge in der Umwelt ganz allgemein und für Einflüsse auf sein Verhalten im Speziellen. Er möchte seine Umwelt verstehen, um sich darin besser zurechtzufinden, auch, um Einfluss auf sie nehmen zu können, um sie zu beherrschen. Daher teilt er (mit seinem Verstand) den Geschehnissen um ihn herum Begründungen als (Kausal-)Attributionen zu. Zum Beispiel hat er seit zwei Tagen Bauchschmerzen. Er überlegt, dass das wohl eher durch eine Krankheit als nur durch die Nahrung verursacht ist, kategorisiert die Schmerzen durch diese Ursachenzuweisung als bedeutend, und sucht daher den Arzt auf. Gleichzeitig wird er mehr oder weniger Angst bekommen haben, denn es könnte (als beängstigende Ursache) ja etwas Bösartiges sein. Emotionen kommen also immer dazu, entweder als bewertende Marker oder als charakterisierende Bestandteile der Attribution. Attributionen sind primär das Resultat von Denkprozessen, und die können auch falsch sein. Aber sie haben Auswirkungen auf die Gefühlswelt. Wenn der Patient Gerhard T. Bauchschmerzen bekommt, mag er sie auf die großen Kapseln zurückführen, die er schlucken sollte. Er kann sie fast nicht schlucken, weil sie hinten im Hals einen Würgereiz verursachen. Nun ärgert er sich über den Arzt, der sie ihm verordnet hat, und dem er daher (für ihn folgerichtig) die Schuld an den Bauchschmerzen zuspricht. Auch hat er schon Angst vor der nächsten Kapsel. Ärger und Angst entstehen hier eindeutig durch eine (in diesem Fall falsche) Attribution. – Wieder sind wir bei der Bedeutung einer ausführlichen und verständlichen Aufklärung, hier als Vermeidungsstrategie von falschen Kausalattributionen. Eine Sonderform der Kausalattribution sind Schuldzuweisungen. Der anfangs erwähnte Motorradfahrer gab einem entgegenkommenden Autofahrer die Schuld, und zwar nicht nur an seinen Verletzungen und an der Beschädigung seines Motorrades, sondern auch an der Durchkreuzung aller Pläne für das Wochenende und – indirekt – an der Untreue seiner Freundin. Wir kannten den Patienten bereits: Ein Jahr zuvor war er mit einem nahezu identischen Unfall in der Klinik, aber damals war er eindeutig zu schnell gefahren. Er konnte keinem anderen die Schuld geben. Die eigene Schuld
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
versuchte er zusammen mit allen Beschwerden von Prellungen und Zerrungen möglichst schnell zu vergessen. Nach zwei Tagen eilte er bereits nach Hause. Attributionen können gewaltigen Einfluss auf Krankheitssymptome haben. Wir kommen in Abschnitt 12.1 darauf zurück. Natürlich ist das Thema nicht auf die Patienten und ihr Verhältnis zu Therapie und Betreuern beschränkt. Das Arbeitsklima in der Klinik wird zum Beispiel grundlegend beeinflusst von der Kausalattribution der Mitarbeiter bei Maßnahmen ihrer Verwaltung: Wird diese als der verlängerte Arm der Krankenkassen gesehen, die rücksichtslos speziell beim Personal Sparmaßnahmen durchsetzen wollen, oder bezeichnet man die Verwaltung im Gegenteil als Speerspitze der Mitarbeiter, die gegen widrige äußere Sachzwänge um die Erhaltung wenigstens einigermaßen akzeptabler Arbeitsbedingungen kämpft? Die Mitarbeiter können die Verwaltung zu ihrem traditionellen Feind stempeln, sie können ihr aber auch die Rolle des wichtigsten Verbündeten zuweisen. Und die Laune des bettlägerigen Patienten hängt von seiner Beurteilung ab, ob nämlich die Schwester erst nach dem dritten Klingeln am Krankenbett erscheint, weil sie so oft private Telefongespräche führt, oder ob es am knappen Personalschlüssel und der Überbelegung der Station liegt. Extrinsische, also von außen wirkende Einflüsse können von einer dritten Person vorgegeben werden, die zum Beispiel dem Kranken suggeriert, dass dies jetzt eine für ihn wichtige Attribution sei, die er sich zu eigen machen müsse. Ein Wunsch oder Befehl, eine Warnung oder ein Verbot, Lob oder Tadel oder die Androhung einer Strafe können dann Gewichtungen für Entscheidungen sein.55 Jede Schwester, jeder Arzt würde die Unterstellung weit von sich weisen, dass sie ihren Patienten durch „Androhung von Strafen“ zu einer bestimmten Maßnahme drängen würden. Aber die (berechtigte und gut gemeinte) dringliche Warnung vor Komplikationen, 55
Es gibt außerordentlich viele und spitzfindige Möglichkeiten der Kausalattribution. Und die Konsequenzen derselben sind dann noch zahlreicher. Die Versuche einer systematischen Einordnung füllen ganze Fachbücher (s. Heckhausen). Für uns mag zusammenfassend genügen, dass Ursachenzuweisungen mentale, also gedankliche Prozesse sind, die ihrerseits vom Individuum mit Markern verbunden oder sonst emotional gefärbt werden.
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die bei Nichtbefolgen oder Ablehnen von Therapieempfehlungen eintreten könnten, ist imgrunde nichts anderes. Nennen wir sie besser das fachlich berechtigte „Angebot einer extrinsischen Motivation“. Wir wollen damit sorgfältig umgehen. Das Kausalitätsbedürfnis der Menschen ist eine Eigenart, die auffällt. Weil der Mensch ständig nach Ursachen sucht und sie den Geschehnissen zuweist, hat man diskutiert, ob es sich dabei um ein angeborenes Bedürfnis handelt. Wahrscheinlicher ist, dass es ein allgemeines konstruktives Merkmal des Gehirns ist. Jedenfalls bringt es mit dem Erkennen oder auch Erfinden von „Ursache und Wirkung“ eine (gefühlte oder scheinbare) Ordnung in das Chaos um ihn herum. Andererseits benötigt der Mensch die resultierenden Attributionen als Argumentationsgewichte für seine Entscheidungen, wie das in Abb. 1.2 in Abschnitt 1.2 veranschaulicht ist.
8.2 Psychische Energie und die Ursachen des Denkens Während wir im ersten Kapitel über die Kausalität im Zusammenhang mit dem eigenen Willen diskutierten, soll hier die Kausalität zur Frage führen, warum Lebewesen überhaupt etwas tun: Natürlich agieren sie nur, weil sie dafür einen oder mehrere (antreibende) Gründe haben.56 Dann entwickeln sie „psychische Energie“ für das Verfolgen ihrer eigenen Zwecke. Der eher laienhafte Ausdruck der „seelischen Kraft“ oder des inneren Anstoßes oder dergleichen bedarf des Versuchs einer Erklärung.
56
Solange Organismen in typischer Weise reagieren, also auf einen auslösenden Reiz antworten, wie zum Beispiel auf einen Schmerz oder eine Bedrohung oder auch auf ein Futterangebot, ist die Ursache der Hirnaktivität klar. Veränderungen in der Umwelt erzeugen Signale in den Sinnesorganen. Sie verarbeiten eben einen Anstoß von außen, der Hund die mechanische Energie des Fußtritts, die Krankenschwester die Schallwellen einer Bitte. In den vorausgegangenen beiden Kapiteln haben wir nun aber gezeigt, dass man auch von sich aus aktiv werden kann. Das Gehirn funktioniert aus sich heraus, natürlich unter sehr reichlichem Verbrauch von Sauerstoff (O2) und Nährstoffen, und zwar ununterbrochen. Kann es sich seine „Ursachen“ selbst schaffen?
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Versuchen wir es mit einer Analogie. Das „Betriebssystem“ des Gehirns muss beim Aufwachen nicht von Null hochgefahren werden. Es läuft im Schlaf weiter, und offenbar nicht in einer StandBy-Einstellung. Das EEG zeigt im Schlaf eine zwar veränderte, aber deutliche Aktivität. In den REM-Phasen (Rapid Eye Movement, flacher Schlaf mit Träumen) wird das System aufgrund von noch unbekannten Schaltvorgängen innerhalb des Netzwerks immer wieder bis an die Grenze zum Wachsein hochgefahren.57 Für das Aufwachen als solches ist dann keine externe Energie, kein Anstoß notwendig, sondern nur das Umlegen einer Art Kippschalter.58 Der akustische Reiz durch den Wecker auf dem Nachttisch ist dann lediglich der letzte Anstoß für den Zeitpunkt vermehrter Aktivität, aufgewacht wäre man auch ohne diesen Reiz, aufgrund einer periodisch arbeitenden Schaltung. Wie entstehen nun die Motivationen durch angeborene Bedürfnisse? An ihrem Anfang stehen, wie schon erwähnt, in vielen Fällen vorgegebene Auslösemechanismen. Man könnte ihre Arbeitsweise mit Transistoren vergleichen, in denen ein kleiner Steuerstrom ganze Schaltungssysteme in Gang setzen kann.
8.3 Periodische Selbstaktivierungsprozesse im Gehirn Im Zusammenhang mit dem angeborenen Bedürfnis nach Exploration (in Abschnitt 7.5) hatten wir schon über eine Art Suchprozess („Appetenzverhalten“) nach geeigneten Auslösern, gewissermaßen aus Langeweile, gesprochen. Jede Mutter weiß, dass ihr Sprössling, 57 58
Das mag mit einer Art automatischem „Update“ zu tun haben. Wir kennen zyklische Prozesse, die das Ansteigen eines Aktivitätsspiegels bis zum Kippen eines „Schalters“ im Schlaf-Wach-Zentrum verursachen können, also das Aufwachen nach dem Schlaf erklären. Wenn das labile Gleichgewicht kippt, wird die Aufmerksamkeit mithilfe des Monoaminsystems (Dopamin usw., Kap. 7) eingeschaltet, mentale Aktivitäten, die vielleicht im Schlaf weitergelaufen sind, werden gebündelt und geordnet ins Bewusstsein gebracht, und auch die im Schlaf blockierte Aktivierung der Muskeln wird wieder freigeschaltet. Das Denkorgan übernimmt die Steuerung des Verhaltens, und jeder weiß, dass es oft bei den Gedanken weitermacht, über die man eingeschlafen ist.
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wenn er anfängt, suchend umherzulaufen, bald etwas anstellen wird. Er sucht nach einem richtunggebenden Anlass für die schon initiierte, in ihm drängende Lust auf Aktivität. An diesen Prozessen sind chemische Überträgerstoffe beteiligt, z. B. Melanin und Serotonin. Der Serotoninspiegel ist etwa um 3 Uhr am niedrigsten. Nachtschwestern kennen die Neigung zu Ängsten und gar Depressionen in diesen frühen Morgenstunden. Das Serotonin steigt dann während der letzten Stunden des Schlafes langsam wieder an. Mit beginnendem Wachheitszustand wirken dann motivierende Gedanken als Ursache für weitere Aktivitätssteigerungen. Im Extremfall: Es fällt dem Schüler gleich nach dem Aufwachen ein, dass heute der ersehnte Klassenausflug stattfindet, oder der seine Augen öffnende Krankenpfleger erkennt plötzlich, dass er verschlafen hat und nun den Bus nicht erreichen wird. Beide sind schlagartig hellwach und zu gezielten Aktionen bereit. Ursache für den rasanten Aktivitätsanstieg sind dann also Gedanken und erst in ihrem Gefolge die Ausschüttung von Hormonen wie Adrenalin. Um zyklische Mechanismen im menschlichen Organismus zu untersuchen, hat man Versuchspersonen wochenlang von allen Umweltreizen abgeschirmt. Die Schlaf- und Wachzyklen waren dann meistens etwas länger als unter Einwirkung des Sonnenlichtes, aber die Gehirne funktionierten auch ohne äußere Ursachen. Extrinsische Anstöße wirken stufenförmig belebend und richtungweisend für ein angepasstes Verhalten, sie sind aber nicht notwendig für die Funktion überhaupt.
8.4 Mentale Auslösung von Furcht und Angst Gedanken können auch Emotionen auslösen. Ich erinnere an die Spritze in der Hand der Schwester. Der Patient hat dieses Bild mit der Angst vor Schmerz gedanklich verknüpft (Konditionierung). Er bekommt künftig Angst, wenn er sie sieht. Das ist eine übliche extrinsische Ursache. Der Stationsarzt kann die Furcht auch ohne leibliche Schwester auslösen, indem er ihr Kommen nur ankündigt.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Und schließlich kann dem Patienten gleich beim Aufwachen einfallen, dass heute wieder so eine Spritze fällig ist. Schon steigt die Angst in ihm auf.59 Kehren wir noch einmal zum Prinzip der Motivation zurück und wenden wir uns der Frage nach dem „wofür“ und den Zielen zu.
8.5 Stufen des Entscheidungsprozesses Der Mensch, der ja aktiv denkt, bereitet sich in einem mehrstufigen Prozess über aktives Wollen und Entscheiden letztlich auf das Handeln vor. Während dieses Entscheidungsprozesses sind einerseits die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung (Beurteilung durch den Verstand) und andererseits der erzielbare persönliche Wert (emotionale Bewertung) die ausschlaggebenden Gewichte (Atkinson). Resultat ist die Intention, also das Wollen, das eventuell zur Handlung führt (ausführliche Darstellung und Lit. z. B. bei Heckhausen). Beispiel: Der Krankenpfleger Klaus T. ist bei seiner Arbeit zunehmend durch Schmerzen im linken Knie behindert. Sein Arzt und die Kollegen raten ihm, es endlich operieren zu lassen; seine Frau meint, dass gelegentliche Ruhe mit Krankfeiern und einigen Tabletten bislang gut waren (extrinsische Motivationen). Er selbst möchte natürlich möglichst bald schmerzfrei arbeiten können, hat aber Angst vor Komplikationen des Eingriffs (intrinsisch keine Entscheidung). Schließlich sieht er ein, dass er einer Operation zustimmen muss (Entscheidung, s. Abb. 8.1), erklärt das seiner 59 LeDoux
und andere Autoren haben die Zusammenhänge eingehend untersucht. Sie unterschieden zum Beispiel zwischen Furcht, die durch Bedrohung von außen ausgelöst wird (Spritze in der Hand der Schwester), und Angst, die von innen, also auf Grund von gedanklichen Erwägungen entsteht. Im Falle der Angst beschäftigt man sich mental mit Ereignissen, bevor sie eintreten, und hat dann auch vorher das Gefühl. Für diese Angst liegt die Ursache gänzlich im Gehirn, also in den Aktionspotentialen von Neuronen, die unter Vermittlung von Überträgerstoffen an den Synapsen und entsprechenden Ionenverschiebungen durch Ionenkanälchen hindurch aufgebaut werden. Aber derartige Erkenntnisse helfen uns wenig, wenn wir Angst und Furcht beim Kranken bekämpfen wollen.
8. Attributionen, psychische Energie, Temperamente
Kurzzeitspeicher
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Risiko, Vorteil der Zielerreichung
Operation emotional
Intelligenz Entscheidung
Intention, Handeln
Tabletten emotional
persönlicher
Wert des Ziels 8.1 Die „Erwartungs-Wert-Theorie“ nach Atkinson besagt im Prinzip, dass man vor jeder Handlung kalkuliert, ob sich der Einsatz lohnt. Dazu werden die Alternativen in den Kurzzeitspeicher geholt (links). Für die Entscheidung steuert der Verstand die Berechnung bei, welche Chancen man hat, das Ziel zu erreichen (Risiko, Vorteil, Aufrechnung der Sachargumente, oberer Weg). Das Gefühl bestimmt, ob und wie viel einem die Mühe einerseits und das Ziel der Aktion andererseits wert sind (persönlicher Wert des Ziels links unten). In diesem Beispiel plädiert der Verstand für die Operation (dickerer Rand des Feldes), die emotionale Beurteilung bevorzugt wegen Angst eher Tabletten (Gewichtung der emotionalen Marker, unterer Weg). Die Intelligenz gleicht beides gegeneinander ab. Sie soll hier gemäß der stärkeren Gewichtung für den Verstand entscheiden und formt eine Intention, die dann in die Handlung umgesetzt werden kann.
Frau (Intention) und vereinbart einen Termin für die stationäre Aufnahme (Handlung). Für die Entscheidung war einerseits ausschlaggebend, dass die Krankenkasse zahlt, und andererseits, dass er den Operateur als guten Fachmann kennt (Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung groß), und dass er überzeugt ist, nachher weder bei der Arbeit noch in der Freizeit Schmerzen zu haben (erzielbarer persönlicher Wert). Auch am Verhalten von Pfleger Klaus als Patient (nach der Operation seines Knies) kann man psychologische Normregeln erklären. Der eigentliche Anreiz für seine Mitarbeit bei der Bewegungstherapie liegt letztlich im (persönlichen) Wert des Erfolgs. Nur vordergründig macht er seine ersten Gehübungen, die ja nicht
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ohne Schmerzen sind, weil sein Arzt oder die blonde Physiotherapeutin ihn dazu auffordern. Recht eigentlich strengt er sich an, weil er bald wieder gehen will. Er hat ein Ziel. Er übt mit Energie und Ausdauer, um bald wieder zu Hause und um frei und unbehindert sein zu können. Er muss es wollen und muss dann seine Glieder bewegen. Und wenn man noch genauer analysiert, steht er auf, weil er sein späteres Gefühl des Erfolges vorauskalkuliert. In der „Vorwegnahme der resultierenden affektiven Selbstbewertung“ liegt der eigentliche Anreiz (Heckhausen). Wenn er innerlich überzeugt wäre, dass er sich am Ende ärgern wird, weil es doch so bequem war, im Bett zu liegen und sich bedienen zu lassen, würde er nicht zu nachhaltigem Mitmachen zu überreden sein, auch wenn man ihm über den Verstand klarzumachen versuchte, dass das Aufstehen und Üben zum Therapieplan gehört. Sehr oft sind Menschen, besonders aber kranke Menschen mit besten sachlichen Argumenten nicht zu Aktivitäten zu bewegen, weil sie sich das Gefühl, wie glücklich und zufrieden sie nachher sein werden, nicht vorstellen können. Hier liegt ein Geheimnis erfolgreicher Beratung. Die Kenntnis dieser Hintergründe der Psychologie ermöglicht es uns, wirksamer zu helfen. Wir erweitern unsere Erkenntnis von Kapitel 1: Die persönliche emotionale Bewertung (mit den emotionalen Markern) gehört nicht nur zu jedem Begriff, jeder Erinnerung, sondern nun auch zu jeder Vorauskalkulation im Rahmen der Verhaltensplanung.60
60
Bei der Vorauskalkulation des späteren Erfolgsgefühls berücksichtigt der Patient übrigens auch seine Erfahrung, dass dieses Gefühl vom Schwierigkeitsgrad der Maßnahme abhängen wird. Das ist eine Bedingung, die sich aus der Umwelt ergibt. Man spricht daher von einer situativen Variablen. Eine leichte Aufgabe wird auch nur ein geringes Erfolgsgefühl auslösen. Man war ja „nur“ zur Entfernung des Blinddarms in die Klinik gegangen. Die frühzeitige Entlassung ist also keine Besonderheit. Allerdings bewirkt die Erfahrung des Gehirns auch, dass ein eventuelles Misserfolgsgefühl nach dem Scheitern des Vorhabens, das als leicht einzustufen war, besonders stark wird. Das gilt besonders für die aktiv Handelnden, die ja das Geschehen ebenfalls emotional begleiten, also für die Ärzte, zum Beispiel für den anfangs erwähnten Blinddarmoperateur.
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8.6 Temperamente regeln Ausmaß und Charakter der Motivation Bei der Handlungsplanung wird eine Rolle spielen, ob der Handelnde eher geneigt ist, an seine Erfolge zu glauben, oder ob er prinzipiell erst einmal die Möglichkeit von Misserfolgen bedenkt. Diese grundsätzlich optimistische oder „von Natur aus“ pessimistische Einstellung wird dann auch die Motivation massiv beeinflussen. Umfragen zufolge glauben in den USA 60 Prozent der Menschen, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben, und dass sie selbst etwas bewegen können. In Deutschland seien dies nur knapp 30 Prozent. Wenn das so stimmt, müssen wir davon ausgehen, dass wir auch im Krankenhaus überdurchschnittlich viele Menschen zu betreuen haben, denen man Mut machen muss, dass sie es schaffen können, weil sie diesen Mut von sich aus eigentlich nicht oder nur unzureichend besitzen und primär Angst haben, dass Komplikationen eintreten könnten. Die optimistische oder pessimistische Lebenseinstellung zählt man zu den Temperamenten. Diese „Handlungsstile“ haben der Psychologie immer wieder Einordnungsschwierigkeiten gemacht. Man rechnet dazu auch die Verhaltensebene zwischen eher keck/ zupackend oder eher schüchtern/zögerlich und zwischen eher extravertiert oder eher introvertiert.61 Betrachten wir nun die daraus resultierende Vorgehensweise zweier Herren. Herr A. setzt als Optimist alles daran, den erhofften Erfolg zu erringen. Sein Vorgehen nennt man erfolgsorientiert. Herr B., der Pessimist, will letztendlich natürlich auch Erfolg haben, sonst würde er gar nicht erst handeln. Aber er wird darauf achten, dass er keinen Misserfolg erleidet. Er plant und handelt misserfolgsorientiert. Mit dieser Einstellung hat er (jedenfalls statistisch) deutlich weniger Erfolg. 61 Man
hat die Temperamente früher meist in den Bereich der angeborenen Emotionen einfügt. Dazu passt nicht, dass schon im EEG (Elektroezephalogramm), mehr noch in bildgebenden Verfahren die verstärkte Stoffwechselaktivität im Frontalhirn, also im Steuerungsbereich des Gehirns (jedenfalls für keck-schüchtern) gefunden wird. Es handelt sich somit wohl um eine übergeordnete Regelfunktion für das emotionale System. Von hier aus werden wesentliche Teile des Gehirns gemeinsam aktiviert oder gemeinsam „gedimmt“, das Erregungsniveau wird nachreguliert.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Verkäufer wie zum Beispiel Pharmavertreter sind heute gut geschult in Verkaufspsychologie. Sie können ihre Kunden fachgerecht einschätzen. Falls sie den beiden Herren (nehmen wir an, es seien Ärzte) ein Herzmittel empfehlen sollen, dann werden sie gegenüber Herrn Dr. A. hervorheben, dass es die Herzkraft und damit die Leistungsfähigkeit steigert und zur Vitalität beiträgt. Gegenüber Herrn Dr. B. werden sie betonen, dass das Medikament praktisch keine Nebenwirkungen hat, sich mit anderen Pharmaka gut verträgt und wegen großer therapeutischer Breite kaum überdosiert werden kann.
8.7 Das Temperament beeinflusst Aktivität und Erfolg Die Einstellung der beiden Herren hat nicht nur auf ihrer Beurteilung äußerer Situationen, also der Umwelt einen Einfluss, sondern auch auf die Einschätzung ihrer eigenen Möglichkeiten, auf ihr eigenes Selbstwertgefühl. Es ist bei Optimisten grundsätzlich größer, im Extremfall eines Illusionisten sogar zu groß. Und diese Einstellung hat Einfluss auf ihr Handeln, denn Wünsche, Ziele und Zwecke kann man psychologisch als „finale“ Ursachen ansehen. Sie wiegen bei Entscheidungen schwer. Viele Untersuchungen erwiesen die Risikofreudigkeit der Optimisten. Sie kann in manchen Berufen entscheidend zum Erfolg beitragen, kann aber auch infolge einer gewissen Kritiklosigkeit zu Fehlentscheidungen führen.62 Deswegen dürften in Berufen, in denen es auf Fehlerfreiheit ankommt, die vorsichtigen Pessimisten ihre Erfolgserlebnisse häufiger finden. Überdurchschnittlich erfolgreich sind Optimisten auch noch aus anderem Grund. Nach Untersuchungen von Seligman neigen 62
In der Psychologie ist man bemüht, alles von verschiedenen Seiten zu sehen und zu deuten. Ich habe bisher den aktiv seine Chancen suchenden Optimisten geschildert. Man kann seinen leistungsfördernden Umgang mit Misserfolgen auch – passiv – als erhöhte Misserfolgstoleranz werten und hat dann in entsprechenden Untersuchungen gefunden, dass diese bei Männern (jedenfalls statistisch in großen Kollektiven) deutlich höher ist als bei Frauen. Männer seien daher unbekümmert oder gar rücksichtslos. Männer zeigten zudem die größeren Fähigkeiten beim Wegstecken dieser Misserfolge.
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sie dazu, die Ursachen für etwaiges Versagen bei einer Aufgabe bei sich selbst zu suchen. Pessimisten begründen dagegen ihren Misserfolg vorzugsweise mit den widrigen allgemeinen Umständen (Wetter, Berufspolitik, unfaire Gegenspieler). Optimisten beschuldigen damit die Faktoren, die sie selbst künftig beeinflussen können (sog. „intern kontrollierbare“ Ursachenzuschreibung), und haben aus diesem Grunde die größere Chance, aus ihren Fehlern zu lernen. Die Anlagen, die dem Optimist unbewusst und automatisch Wettbewerbsvorteile verschaffen, könnten sich weniger Optimistische mithilfe ihres Verstandes als erlernte Kompetenz angewöhnen. Der Leser dieser Zeilen müsste sich das nur gründlich klarmachen und künftig die Ursachenzuweisung in optimistischer Manier trainieren. Dem Patienten könnte man eine optimistische Denkweise wenigstens vorschlagen: Nicht über Dinge nachdenken oder gar jammern, die man doch nicht ändern kann. Nehmen wir als Beispiel einen Medizinstudenten, der das Blutabnehmen aus den Venen von Patienten erlernen soll. Ist er ein Optimist, wird er annehmen, dass er beim ersten Versuch die Vene gut treffen wird, während sein pessimistischer Kollege hofft, dass er kein Hämatom setzt. Natürlich werden beide gelegentlich Misserfolge hinnehmen müssen, aber der Optimist überlegt sich dann, warum er die Nadel nicht in die Vene dirigieren konnte, während der Pessimist später von den schlechten „Rollvenen“ des Patienten, die seiner Nadel immer ausgewichen sind, und von der stumpfen Kanülenspitze erzählt. Haben Sie es gemerkt? Wir sind wieder bei den Kausalattributionen angekommen. Wir sind beim Optimisten auf einen intrinsischen Mechanismus gestoßen, der die Auswahl unter den Kausalattributionen steuert, also gewissen Gedanken im neuronalen Netz Vorteile verschafft, Verknüpfungen bahnt und Gewichtungen beeinflusst. Jedenfalls ist Optimismus die Haltung, die den Menschen davor bewahrt, angesichts großer Schwierigkeiten in Hoffnungslosigkeit oder Apathie zu verfallen. Mit Optimismus bezeichnet man eine „vermehrte Tendenz zur Lust zur Aktivität“. Man hat sogar festgestellt, dass der Grad der optimistischen Haltung (dafür gibt es Testverfahren) ein guter Vorhersagemaßstab für den akademischen Erfolg ist.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
8.8 Der Verstand kann die Temperamente überspielen Der Leser könnte versucht sein zu überlegen, zu welchem Typ wohl Ärzte oder Krankenschwestern im Idealfalle gehören sollten. Nun, hier ist es wie in allen anderen psychologischen Kategorien auch: Untersucht und geschildert werden Extreme, zwischen denen man die Menschen in einer mehr oder minder idealen (Gauß‘schen) Häufigkeitsverteilung eingeordnet findet. „Extremisten“ bedeuten oft Probleme und sind zum Glück selten. Ideale Krankenbetreuung andererseits erfordert fast immer eine ausgewogene, anpassungsfähige Reaktionsform fernab aller Extrempositionen, erfordert den überlegten und überlegenen Einsatz der aktuell richtigen Taktik. Und damit wären wir wieder bei einem Schwerpunkt dieses Buches: Den Verstand einzusetzen, um die emotionalen Systeme richtig einzuschätzen und situationsgemäß zu dirigieren.63 Die Temperamente sind angeboren, das zeigt zum Beispiel die Zwillingsforschung und das beweisen Tierzüchtungen. Aber man muss sie nicht als schicksalsbestimmend, als Fluch oder Segen hinnehmen. Man kann sie überspielen, jedenfalls weitgehend. Einer kontaktfeindlichen Introvertiertheit und speziell der Schüchternheit konnte man in den meisten Fällen durch Training des Selbstbewusstseins begegnen. Auch die Tendenz des Pessimisten, die Ursachen für eigene Misserfolge bei anderen zu suchen, kann er sich abgewöhnen. Für operativ Tätige wäre allerdings die Grundeinstellung, Misserfolge zu vermeiden, sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie beherzigenswert. Die richtige Beurteilung der Gefühle unserer Mitmenschen erfordert große Lebenserfahrung. Mit dem geschulten Verstand kann man die Urteilsfähigkeit verbessern, haben wir gesagt. Im richtigen Augenblick aber dann die richtigen Entscheidungen zu fällen und optimal zu handeln, das erfordert, dass man dafür blitzschnell eine Auswahl aus der unglaublich großen Zahl und Vielfalt
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Das hat schon Aristoteles gefordert. Er verglich die (unbewussten) Emotionen mit wilden Pferden, die der Verstand als Wagenlenker zügeln und dirigieren müsse (zitiert nach LeDoux).
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der im eigenen Gehirn abgespeicherten Fakten und Erfahrungen treffen kann. Dafür genügen die eingangs besprochenen emotionalen Marker nicht. Man braucht eine intelligente Such- und Auswahlfunktion, die zugleich berücksichtigt, was die aktuelle Situation erfordert. Man braucht Intelligenz. Sie wird Thema der nächsten Kapitel sein. Da Intelligenz ein sehr umstrittenes Thema ist, möchte ich im 9. Kapitel zunächst einige interessante Grundlagen abhandeln. (Der eilige Pragmatiker könnte das Kapitel überschlagen.)
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 8 • Das Kausalitätsbedürfnis jedes Menschen ist groß. Entsprechend konstruiert auch der Patient sogenannte Kausal„Attributionen“ für seine Symptome. • Attributionen können die Aktivität im Sinne einer extrinsischen Motivation zu Planungen, Entscheidungen, Verhalten oder Handlungen beeinflussen. • Auch den Kausalattributionen teilen wir emotionale Marker zu. Folglich beeinflussen sie die Stimmung der Patienten und der Mitarbeiter. • Die Verhaltensplanung berücksichtigt nicht nur Sachargumente, sondern auch die Vorstellung freudiger Gefühle beim erhofften Erfolg. • Die Erfolgsorientierung des Optimisten ist nachahmenswert, sie basiert auf Selbstwertgefühl und auf der aktiven Bewältigung von Misserfolgen. • Der Pessimist sucht Misserfolge zu vermeiden. In der Untersuchung und Behandlung Kranker ist diese mentale Tendenz von Vorteil. • Optimismus und Pessimismus sind Extreme. Auf einem dosiert optimistischen Mittelweg sollte man seine Kompetenz zu mehren suchen. • Wer glaubt, sein Schicksal selbst in der Hand zu haben, ist erfolgreicher und wird schneller gesund. Deutsche sind angeblich mehrheitlich ängstlich. • Temperamente wie der Pessimismus sind angeboren, aber kein unüberwindbares Schicksal. Man kann korrigierende Kompetenzen erwerben.
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Teil II: Motivationen: Ungerichteter und gerichteter Antrieb
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Kausalattributionen erfinden und benutzen auch der Patient und der Kollege ständig, wie wir selbst. Sie sind abhängig vom einschlägigen Informationsstand. Bei Herrn Gerhard T. waren sie eindeutig falsch. Nur bei grundsätzlich einsichtigen Menschen kann man sie durch zusätzliche Informationen optimieren. Kausalattributionen dienen als Begründung für Entscheidungen, oft aber auch für einen Zweck. Wir nutzen sie zum Beispiel, um mehr Zuversicht zu erzeugen. Und Kausalattributionen haben oder erhalten emotionale Anteile bzw. Marker. Auch in dieser Hinsicht gilt es also, nach Beweggründen zu suchen. Dem verunsicherten Patienten müssen wir gerade unter den für ihn ungewohnten Umständen im Krankenhaus geeignete Kausalattributionen in Form von Erklärungen für alles Unbekannte anbieten. Furcht kann ein Kranker vor seiner Zukunft haben, also vor Problemen mit und durch seine Erkrankung oder auch wegen ungewohnter Umstände und Riten um ihn herum im Krankenhaus. Oft sucht er nicht von sich aus nach geeigneten Erklärungen. Sehr oft fragt er nicht direkt. Dann muss man sie ihm anbieten. Wenn er zu erregt ist (zu Furcht und Angst gehört die allgemeine Erregung), kann eine leichte Sedierung besser als alle Argumentation wirken. Im Umgang mit Kranken sollte man auf temperamentgesteuerte Ursachenzuweisungen gefasst sein. Der eher optimistische Patient möchte bevorzugt hören, dass es aufwärts geht und dass Ärzte und Medikamente gute Erfolge aufzuweisen haben. Der eher pessimistisch eingestellte Kranke ist beruhigt, wenn die Gefahr gebannt werden konnte und bestmögliche Vorsorge gegen Komplikationen getroffen ist. Wer seine Patienten richtig einordnen kann, kann in kurzer Zeit optimal wirksame Informationen und Ratschläge erteilen. Im Zweifelsfall benutze man beide Strategien. Durch falsche Kausalattributionen hat der eingangs erwähnte Motorradfahrer nach seinem zweiten Unfall starke psychosomatische Reaktionen entwickelt. Das kann bis zur Rentenneurose gehen. Derartige Beeinflussungen körperlicher Vorgänge durch emotional „belastete“ Ursachendeutungen kommen täglich zustande, nicht nur im Krankenhaus. Es gibt kein Patentrezept dagegen. Es ist schwer genug, sie überhaupt zu erkennen. Manchem Patienten kann man Unrecht tun. Der Hinweis auf die Notwendigkeit von korrekter Aufklärung scheint banal, ist aber gerechtfertigt.
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Wer nicht schon ein ausgewiesener Optimist ist, kann gewisse Denkmuster desselben nachahmen und sich dadurch vermehrte Erfolgschancen sichern. Insbesondere muss man sich dazu erziehen, sich nicht über Dinge zu ärgern, die man nicht selbst ändern kann. Suchen Sie gezielt nach Möglichkeiten, selbst steuernd einzugreifen.
Teil III Intelligenz Nutzung der Datenspeicher
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Die Leistungen der Intelligenz Sind Sie interessiert, einige Einzelheiten über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Intelligenz zu erfahren, über die Frage, was an ihr angeboren und was erworben ist, und was man demgegenüber als Kompetenz bezeichnen sollte? Wenn nicht, können Sie das Kapitel (erst einmal) übergehen. Für Ihre Arbeit hat der Stoff nur indirekte Bedeutung. Oder lesen zuerst die Zusammenfassung am Schluss des Kapitels.
Sie erinnern sich an Herrn Klaus M. aus dem Abschnitt 6.4, der feststellen musste, dass seine Annahmen vom perfekt organisierten Krankenhaus falsch waren, und der deshalb in eine schlechte Stimmungslage geriet. Er bemerkte dann am Abend auch noch einen technischen Fehler, nämlich dass der in mehrere Richtungen bewegliche Arm, auf dem das Telefon neben seinem Bett in eine bequeme Position hätte gebracht werden können, irgendwie klemmte. Als er die Mechanik mit allerdings nicht ganz geringer Gewaltanwendung in die genehme Position zwingen wollte (der Ärger störte die subtile Dosierung seiner Kräfte), gab sie plötzlich nach und hing nun herunter. Lernschwester Renate kam sofort, konnte aber um diese Zeit den zuständigen Haustechniker nicht mehr erreichen. Typisch. Sie untersuchte selbst das Gestell, diagnostizierte, dass ein Stift abgebrochen war, entfernte den Rest, konnte ihn durch ihren Kugelschreiber ersetzen und fixierte diesen dann provisorisch mit mehreren Pflasterstreifen. Herr M. konnte eine gewisse Anerkennung nicht verbergen. Die Lösung sei zwar nicht schön, aber zweckdienlich und irgendwie intelligent.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
9.1 Die Intelligenz ist ein Werkzeug Intelligenz kann man definieren als die Fähigkeit, bisher unbekannte Probleme zu lösen. Diese Definition ist einfach und gut zu merken, für jeden sofort verständlich und für unsere Zwecke völlig ausreichend. Ich habe sie daher für diese Überlegungen übernommen. Es ist nämlich notwendig, vorab die Definitionsfrage zu klären, wenn man über Intelligenz sprechen will. Jahrzehntelang haben Fachleute ganze Bibliotheken gefüllt mit Untersuchungen, Argumenten und Gegenargumenten, die aneinander vorbeigingen, weil jeder
erworben
x
angeboren =
Intelligenz Erinnerungsbilder, Wissen, Können
Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz
sprachlich logisch - mathematisch räumlich - technisch musikalisch kinästhetisch
Einstellungen Wertungen (Marker)
emotional - intrapersonal emotional - interpersonal
Daten
Entscheiden
erfolgreich handeln
Resultat
9.1 Zur Unterscheidung von Intelligenz und Kompetenz: Das zur Verfügung stehende Wissen mit allen Erinnerungsinhalten sowie (als „Marker“ jeweils zughörig) Gefühle, Einstellungen, Wertvorstellungen sind selbstverständlich gelernt, also erworben (links). Das Resultat der intelligenten Verarbeitung dieser Speicherinhalte wird dem Bewusstsein präsentiert und dient der Entscheidung (Mitte). Die Entscheidung führt zur Handlung (rechts). Die Intelligenz ist vererbt, also angeboren, muss allerdings in den ersten beiden Jahrzehnten bis zur vollständigen Ausreifung trainiert werden. Man kann sich die Intelligenz als das Handwerkszeug vorstellen, mit dem das Gehirn sein Wissen bearbeitet. Das Produkt aus Wissen und Intelligenz ist dann die Kompetenz. Man kann sie bis ins hohe Alter verbessern, indem man das zugrunde liegende Wissen mehrt und optimiert. Man kann immer neue Kompetenzen (auch in neuen Wissensbereichen) hinzu erwerben.
9. Die Leistungen der Intelligenz
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das Problem aus einer anderen Sicht und an einer anderen Stelle der Vorgänge im Gehirn zu klären suchte. Intelligenz nach unserer Definition ist eine Funktion, die mit den Mitteln des eigenen Gehirns, also mit dem gespeicherten Wissen und der eigenen Erfahrung Lösungen zu finden sucht für ein Problem, das sich aktuell ergibt. Wissen und Erfahrung sind das Material, die Intelligenz ist das Werkzeug, mit dem das Gehirn den bestmöglichen Weg für seine Entscheidung sucht (Abb. 9.1). Ein Werkzeug für sich allein hat wenig Wert. Man benötigt reichliche und vielseitige Werkstoffe, an denen man dieses Werkzeug einsetzen kann (und natürlich ein dafür geeignetes Problem). Erst dann kann man seine Qualität erproben. Material für dieses Werkzeug, das sind in unserem Gehirn gespeichertes Wissen und unsere Erfahrungen in einschlägigen Situationen, die uns dann im rechten Augenblick wieder „einfallen“, also mit Hilfe der Intelligenz situationsgerecht präsentiert werden. Um somit selbstständig auf eine Lösung kommen zu können, muss man 1. vorher eine möglichst große Auswahl an Fakten und Erfahrungen gelernt haben. (Wo keine einschlägigen Daten vorhanden sind, kann die beste Intelligenz keine Lösung erarbeiten. Wenn der Medizinstudent das erste Mal bei einer Visite mitgeht, kann er keine Therapievorschläge für eine komplizierte Erkrankung machen.) 2. dieses Wissen verfügbar haben, zum Beispiel schnell parat durch häufigen Gebrauch oder wiederholt benutzte Assoziationen. (Hier liegt ein Vorteil der Spezialisten. In ihrem Arbeitsfeld gab es mit größerer Wahrscheinlichkeit schon ähnliche Gedankenwege.) 3. das Problem richtig einschätzen, die aktuelle Situation umfassend und unvoreingenommen beurteilen können, natürlich wiederum auf dem Boden von Erfahrungen. Also muss man genau wissen, worum es geht. (Das teure Medikament, das der Nachbarin so gut geholfen hat, nutzt nichts, wenn die Patientin eine andere Erkrankung hat.) 4. die Palette der eigenen Möglichkeiten kennen. Was könnte ich davon in der gegenwärtigen Situation einsetzen, und was liegt mir? Und man muss diese Fähigkeiten selbstkritisch, also möglichst realistisch einstufen.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
5. das Ziel, das als Problemlösung anzustreben ist, richtig erkennen. (Man muss wissen, wozu die Aktion gut sein soll. Wenn Schwester Renate nur nach einer Lösung gesucht hätte, die Herrn M. das Telefonieren im Bett ermöglicht, hätte sie vielleicht einen Stuhl für sein Telefon ans Bett geschoben.) Intelligente Lösungen kann das Gehirn zum Beispiel im technischen Bereich finden, wie das der Schwester Renate gelungen ist. Sie sah den gebrochenen Stift und wusste, dass dergleichen eine Haltefunktion hat. Ihre Intelligenz sagte ihr, dass ihr Kugelschreiber eine ähnliche Form und einen ähnlichen Durchmesser hat. Sie wusste ferner aus Erfahrung, dass man Pflaster zum Fixieren von vielerlei Gegenständen zweckentfremden kann. Und sie sagte sich, die Lösung müsse nicht schön sein, sondern so stabil, dass sie das Telefon bis zum nächsten Tag tragen kann. Der Techniker wird dann einen neuen Arm anschrauben, was vorschriftsmäßig und üblich, aber nicht intelligent ist. Viele Einzelprozesse liefen dafür in ihrem Gehirn ab. Im Zentrum steht eine Suchfunktion nach verwertbaren Einträgen unter den unglaublich vielen Daten, die ihr Gehirn gespeichert hat. Nach allem, was wir heute wissen, passiert das parallel, also auf vielen Suchwegen gleichzeitig. Sonst würde es zu lange dauern. Diese Suchfunktion muss ständig mit einem Sollwert, nämlich der zu erreichenden Lösung verglichen werden können, und sie muss den Sollwert flexibel genug handhaben, damit auch unkonventionelle Wege (das könnten die besonders intelligenten sein) geprüft werden können. Im Präfrontalhirn der Schwester Renate wurden schließlich die geeigneten Erkenntnisse zu einer Lösung des Problems zusammengefügt.
9.2 Fachliche Leitlinien und die Intelligenz Das Krankenhaus ist keine Institution, in der vorrangig Intelligenz gefragt ist. Das ist überspitzt formuliert, aber: Die ganze Organisation ist darauf ausgelegt, Intelligenz nicht zu benötigen.
9. Die Leistungen der Intelligenz
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Denn obige Definition der Intelligenz (Fähigkeit zum Lösen von bisher unbekannten Problemen) besagt im Umkehrschluss: wo Intelligenz gebraucht wird, gibt es Probleme. Und wo Probleme gelöst werden müssen, entstehen Risiken. Diesen versucht man durch ein System von Vorschriften, Checklisten, Leitlinien und Entscheidungsbäumen vorzubeugen. Man sucht größte Sicherheit durch Spezialisierung, durch Normierung auf der Basis von Wissenschaft und großen Zahlen. Fachleute im ärztlichen wie im pflegerischen Bereich verfügen in immer mehr Einzelheiten über solide Vorgaben, sollten also immer seltener nach neuen Lösungen suchen müssen. Und jeder im Krankenhaus ist bemüht, die organisierte Sicherheit zu erhöhen und Improvisationen zu vermeiden. Selbstverständlich gibt es im Krankenhaus gelegentlich spektakuläre, also intelligente Entdeckungen und Erfindungen, die die Wissenschaft weiterbringen oder wenigstens eine neue, zukunftsweisende Verbesserung der Praxis bedeuten. Aber das ist selten. Im Klinikalltag benötigt man Intelligenz für die kleinen Probleme, die unerwartet auftreten, die mit der Komplexität des menschlichen Körpers und mit physiologischen und psychologischen Abweichungen des aktuellen Krankheitsgeschehens vom Lehrbuchwissen zu tun haben. Dass jeder Patient ein unverwechselbares, einzigartiges Individuum ist, kommt hier zum Tragen. Jede Krankheit in ihm ist es erst recht. Hier muss jeder Arzt, jede Schwester für sich Erfahrungen sammeln und dann verwerten können. Alles kann man nicht normieren. Es ist zum Beispiel im operativen Handwerk das Spannende, dass die aktuelle Gegebenheit aus der Fülle an räumlichen (z. B. anatomischen wie der Verlauf der Blutgefäße) und materiellen (z. B. Gewebefestigkeit) Variablen sehr vom Lehrbuch abweichen und nicht immer vorausgeplant werden kann. Intelligente Lösungsfindungen und darauf aufgebaute Entscheidungen sind immer wieder und unerwartet gefragt. Sie mehren schließlich die persönliche Erfahrung, die der Lehrer zu vermitteln sucht. Übrigens vermag auch ein guter Lehrer nicht alle seine Tricks weiterzugeben, denn oft weiß er gar nicht genau, weshalb ihm gewisse Dinge so gut gelingen, zum Beispiel beim Operieren. Ähnlich kann der erfahrene Internist nicht dem jungen Kollegen
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
beibringen, wieso er gerade bei dem so unscheinbaren Symptom des Patienten auf eine ungewöhnliche, aber richtige Diagnose kam. Intelligenz kann man nicht lehren. Und selbst der sehr bemühte Schüler kann seinem Lehrer nicht alle Feinheiten abschauen und alle seine von Erfahrung geprägten Bemerkungen richtig einordnen, weil er in die relevanten Problemsituationen noch nicht oder nicht oft genug geraten ist, weil er folglich gar nicht weiß, für welche künftige Problembeherrschung er gerade etwas lernen könnte, worauf er also jetzt genau achten müsste. Hier liegen auch die Grenzen des Übens von Techniken am Modell oder am PC.
9.3 Intelligente Lösungen der Erfahrung hinzufügen In Kapitel 2 hatten wir überlegt, dass das Gehirn große Mengen älterer Daten analysiert und Mittelwerte ermittelt, die dann eine Säule der eigenen Erfahrung darstellen. Die kognitive Psychologie lehrt ferner, dass das menschliche Gehirn die gelernten Daten zu Wissenspaketen oder „Skripts“ zusammenfasst und mit diesen operiert. In einem derartigen Skript wäre alles vereint, was z. B. ein Laie im Zusammenhang mit einem Krankenhausbesuch schon gelernt hat: Außer Fremdberichten eigene Erfahrungen wie spezifische Gerüche, Anblicke, Eindrücke, auch Gefühle. Aus obiger Erörterung nehmen wir mit, dass abgespeicherte intelligente Lösungen, und zwar eigene und fremde, natürlich auch eine wichtige Komponente von Wissen und Erfahrung sind. Sie ersparen einem die Mühe, nochmals intelligent tätig werden zu müssen, und mehr noch das Risiko, dabei zu einem falschen Ergebnis zu kommen. Man kann nie genug davon lernen, und es gibt keinen Zweifel, dass dieses wichtige Wissen mit dem Alter zunimmt. Erfahrung hat einen Marktwert, aber der ist allenfalls nachträglich und statistisch zu ermitteln. Wenn es um die Vermeidung von Risiken geht, die zu eindeutigen Mehrkosten und zu nicht abschätzbarem Imageschaden führen können, dann ist der ältere und damit
9. Die Leistungen der Intelligenz
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erfahrenere Mitarbeiter offensichtlich viel Geld wert. Das Dilemma der Verwaltung ist, das man diesen Wert nicht in der Kosten-Nutzenrechnung verbuchen kann. Jeder zahlenorientierte Rechnungsprüfer kennt dagegen die tarifbedingten Minderkosten für einen jungen Neuling und moniert in der Bilanzprüfung am Jahresende, dass man entsprechende Einsparmöglichkeiten nicht genutzt, also den Älteren nicht gegen den Neuling getauscht habe. Er nutzt seine Intelligenz nur in Richtung Kostendämpfung, nur zum Vorteil der gesunden Beitragszahler. Aber kehren wir zum Thema Intelligenz zurück. Wir werden gleich sehen: Die klare Unterscheidung zwischen Wissen und Erfahrung einerseits und dem intelligenten Umgang damit andererseits, also die Unterscheidung zwischen Material und Werkzeug ist bedeutsam (s. Abbildung 9.1). Wir können dann nämlich auch klar unterscheiden, dass Wissen und Erfahrung vom Individuum gelernt werden müssen, also eindeutig im Laufe des Lebens erworben sind. Intelligenz dagegen ist angeboren. Als Beweis mag zunächst genügen, dass man intelligente Mäuse züchten kann. Man muss nur 8 bis 10 Generationen hintereinander immer die intelligentesten (und nicht die besonders schönen) miteinander paaren.
9.4 Multiple Intelligenz nach Gardner Es ist bekannt, dass diejenigen, die im Leben besonders viel erreicht haben, keineswegs immer die Besten in der Schule waren. Auch eine gute Krankenschwester muss nicht die besten Noten im Schulzeugnis gehabt haben, nicht einmal eine gute Oberschwester, also die Führungskraft. Weder die Fähigkeit zu aufopfernder Pflege und zu Mitgefühl noch die zum Organisieren und Führen kann in der Schule gelehrt und bewertet werden. Tatsächlich steht in der Schule der Erwerb von Wissen im Mittelpunkt und wird vorrangig als Schulerfolg gewertet. Darüber hinaus haben Gardner und andere gezeigt, dass in Intelligenztests nicht alles das geprüft wird, was zum Erfolg verhilft. Dass der Intelligenzquotient (IQ) nur etwa 20% aller Intelligenzleistungen berücksichtigt, wurde später geschätzt.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Es gibt nämlich weitere Felder der Intelligenz. Gardner fand insgesamt sieben, wobei er versucht hat, alle verfügbaren Befunde der Neurowissenschaften, zum Beispiel Funktionsausfälle nach Gehirnverletzungen, zu verwerten (s. Abb. 9.2). Es geht um Bereiche wie Motorik, Musik oder soziale Kompetenz. Für die einzelnen Felder wiederum fand man in der Faktorenanalyse bis zu 120 Unterkategorien. Einige der etwa 25 Teilgebiete, die Salovey und andere im emotionalen Bereich kennzeichneten, werden wir in den nächsten beiden Kapiteln behandeln.
Unbekannte Probleme lösen: sprachlich logisch - mathematisch räumlich - technisch
Denken, Verstand: Intellekt, "Geist" rational, kognitiv, mental (bewusst)
musikalisch kinästhetisch emotional - intrapersonal emotional - interpersonal
Fühlen, Emotionen: Affekte, „seelisch" emotional (unbewusst)
9.2 Multiple Intelligenzen: Die klassische Definition der Intelligenz als der Fähigkeit zur Problemlösung und zum Umgang mit komplexen Zusammenhängen bezog sich ausschließlich auf den sprachlichen und mathematischen sowie auf den Bereich des räumlichen Denkens (oberer Teil der Abb.). Es ist vor allem das Verdienst Gardners, intelligente Handhabung auch bei anderen Fähigkeiten des Menschen aufgezeigt zu haben. Längsschnittuntersuchungen zu Ergebnissen des IQ (Intelligenztest) wiesen ihm den Weg. Vielfältige Befunde zum Beispiel aus der Pathologie stützen heute die Theorie von einer multiplen Intelligenz (MI). Zu ihren parallelen Feldern zählt auch die emotionale Intelligenz, und zwar in einer intrapersonalen und einer interpersonalen Form.
9. Die Leistungen der Intelligenz
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9.5 Phylogenese der sozialen und der technischen Intelligenz Man hat die phylogenetische Entwicklung der Dimensionen der Intelligenz zu erforschen versucht. So weist Knecht zum Beispiel darauf hin, dass das Affenhirn entwicklungsgeschichtlich gesehen eigentlich zu groß ist, wenn man herausstellt, wie wenige verstandesmäßige Leistungen der Affe mehr oder besser kann als seine phylogenetischen Vorgänger. Sein relativ großes Gehirn ermöglicht dem Affen aber offenbar, sich an die soziale Gruppe seiner kompliziert agierenden Artgenossen optimal anzupassen. Mit der rasanten Größenzunahme antwortete die Phylogenese beim Affen anscheinend auf die emotionalen Anforderungen seiner ebenfalls höher differenzierten sozialen Gruppe, die durch ihre Weiterentwicklung Vorteile im Überlebenskampf bekommen hatte. Das dürfte bedeuten, dass auch der Mensch sein Gehirn zu wesentlichen Teilen für sogenannte „sozialmanipulierende“ Funktionen, also zum Beispiel für zwischenmenschliche Beziehungen benötigt und verwendet. Die psychologische Komplexität ist im menschlichen Miteinander, in der menschlichen Gesellschaft noch einmal um Dimensionen größer als in der Affenhorde. Die „objektmanipulierende“ Leistung, die fast ausschließlich eine neue, spektakuläre Leistung des menschlichen Gehirns ist, also die technische und logische Intelligenz, erbringt das Gehirn vermutlich zum Teil einfach unter Nutzung der schon bei sozial lebenden Tieren geschaffenen, schon vorhandenen intelligenten Gehirnfunktionen für den Sozialbereich. Deren Wirkungsfeld musste dann von der „sparsamen Mutter Natur“ nur mit „Zusatzinstrumenten“ etwa für Selbstbewusstsein, für Logik, Technik und Sprache ausgestattet werden. Für unser Thema bedeutet das: Die Intelligenz als solche hatten die Tiere längst „erfunden“ (zum Beispiel für die Verwertung von Geruchsinformationen für die Nahrungssuche), und der Affe hat eben diese Funktion – weiterhin im Präfrontalhirn – zusätzlich im emotionalen (sozialen) Bereich genutzt, weil es ihm in der Horde Vorteile brachte. Das gilt auch für den Menschen, der dann das „Instrument“ Intelligenz auch noch für sprachliche, technische und wissenschaftliche Problemlösungen nutzbar
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
gemacht hat. Heutige Lehrmeinung ist, dass Sprache und Kommunikation die eigentlichen Höchstleistungen der Gehirnentwicklung sind und nicht das technische Verständnis. Über die Bedeutung der Emotionen in der Kommunikation sprechen wir in Kapitel 10. Logisches Denken als Spezialzubehör eines primär für emotionale Probleme ausgelegten Gehirns? Immerhin fällt auf, dass sowohl emotionale und logische als auch alle anderen Formen einer multiplen Intelligenz im Präfrontalhirn ablaufen, teils zwar in gesonderten Bereichen, aber ohne dass dort anatomisch eindeutig abgrenzbare Zentren für Einzelfunktionen wie Emotionales oder Technisches gefunden wurden. Und wir erinnern uns, wie eng die emotionale Bewertungsfunktion mit dem begrifflichen Denken und der Entscheidungsfähigkeit verknüpft ist (Abschnitt 2.3). Wer noch weiter über die vermutliche phylogenetische Entwicklung der Intelligenzfunktionen spekulieren möchte, mag beachten, dass sie alle (ohne offensichtliche Zwischengrenzen) in unmittelbarer Nähe des Riechhirns gefunden werden. Geruch und Geschmack sind bei vielen auch niederen Tieren höchst bedeutsam für die Orientierung und die Vermeidung von Gefahren. Eine gute (intelligente) Verarbeitung der Geruchsinformationen war überlebenswichtig. Und schon in der Frühzeit der Hirnentwicklung dürfte eine enge Beziehung zum Bewertungszentrum und den Emotionen bestanden haben, denn auch die persönliche Bewertung ist bedeutsam.
9.6 Operatoren der Intelligenz Wir können versuchen, am Rande der intelligenten Gehirnleistung spezielle Hilfsfunktionen abzugrenzen und nach besonderen Kriterien zu untersuchen und zu gliedern. Newberg und d‘Aquili differenzieren analytische Leistungen, die sie „kognitive Operatoren“ nennen. Sie haben sie im kognitiven, also verstandesmäßigen Bereich herausgearbeitet, weil sich dieser für funktionelle Fragestellungen am besten eignet, aber Operatoren sollen zu jeder Form intelligenter Hirnarbeit beitragen können:
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1. Ein holistischer (ganzheitlicher) Operator fasst Einzelheiten zu Einheiten zusammen, erkennt also aus vielen Blättern einen Baum. Er sei überwiegend in der rechten Hemisphäre des Frontalhirns aktiv. 2. Ein reduktionistischer Operator vermag umgekehrt ein Ganzes in Einzelteile zu zerlegen und sei eher in der linken Hemisphäre darstellbar. 3. Ein abstrahierender Operator leitet allgemeine Begriffe ab, also aus vielen bellenden Tieren den Begriff Hund. Diese Funktion verursacht im linken Scheitellappen die größte Aktivität. 4. Ein quantifizierender Operator zählt. 5. Ein kausaler Operator sucht nach Ursachen. 6. Ein binärer Operator reduziert auf einfache Gegensatzpaare. 7. Ein existenzieller Operator beurteilt Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsgehalt und verursacht Aktivität im limbischen System, also im Gefühlsbereich im weiteren Sinne. 8. Ein emotionaler Operator verknüpft Wahrnehmungsgehalte mit Gefühlen. Wir müssen unterstellen, dass diese oder ähnliche Operatoren auch bei anderen der multiplen Gardner‘schen Intelligenzfelder in entsprechender Form wirksam sein könnten. Aber die Relevanz und die Einordnung dieses Denkmodells sind noch schwierig. Ich habe sie dennoch dem Leser aufgezählt, damit er einen kleinen Eindruck von der überwältigenden Komplexität der intelligenten Hirnarbeit bekommt.
9.7 Die schrittweise Reifung komplizierter Hirnfunktionen Da wir schon bei der trockenen Theorie sind, komme ich noch einmal zurück zu der jahrzehntelang strittigen Frage, ob Intelligenz wirklich angeboren ist, oder ob sie nicht doch erworbene Anteile hat. Es wird sich zeigen, dass diese Frage nicht präzise genug gestellt ist. Die Tatsache, dass sich der Intelligenzquotient nach dem 25. Lebensjahr nicht mehr signifikant ändert, spricht natürlich dagegen, dass ein Erwachsener hinsichtlich seiner rationalen Intelligenz
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Wesentliches dazulernen könnte. Gleiches dürfte für die emotionale Intelligenz zutreffen, aber man kann das kaum überprüfen, da man sie nicht mit einem einfachen Fragebogen-Test messen kann. Für die Ausreifung der Intelligenzfunktion benötigt das Gehirn in der Jugend nicht nur besonders viel Zeit, sondern auch ein Mindestmaß an externen Stimuli. Das ist in anderen Bereichen der ontogenetischen Hirnentwicklung ebenso. Mit sehr großen Zahlen und sehr großem Aufwand hat die Clinton-Administration in den USA klären lassen, ob nicht wenigstens die Reifung der intelligenten Funktionen durch Training, also durch exogene Faktoren zu verbessern ist. Rattenexperimente hatten Hinweise auf eine solche Möglichkeit ergeben. Geradezu dringlich für die Schulung der geistigen Entwicklung der Nation schien die Frage, ob es in der Jugend ein zeitliches „Fenster“ gibt, in dem die Intelligenzentwicklung von Natur aus zwingend erfolgen und daher dann auch gezielt gefördert werden muss. Der Staat wollte nicht einmalige Chancen für die unterprivilegierten Kinder der Nation versäumen. Derartige „Fenster“ kennt die Wissenschaft in anderen Bereichen. Wenn Kinder bald nach der Geburt durch Krankheit ans Bett gefesselt sind und das jahrelang bleiben, können sie später gewisse motorische Feinsteuerungen des Bewegungsapparates nicht mehr nachträglich lernen, ihr Gang bleibt schwankend, spezielle Schrittfolgen können nicht eingeübt werden, „das Fenster ist zu“. Es bleibt abzuwarten, welche Fenster zu musischen oder motorischen Fähigkeiten viele unserer Kinder beim Sitzen vor dem Fernseher verpassen. Wenn junge Einwandererkinder verwahrlost in streunenden Gruppen aufwachsen, entwickeln sie primitive eigene sprachliche, besonders auch grammatikalische Regeln. Man kann ihnen später eine differenzierte, grammatikalisch korrekte Ausdrucksweise nicht mehr beibringen. Die Komplexität dieser Gehirnfunktionen wird schrittweise erworben, Die Schwierigkeitsgrade bauen aufeinander auf. Wenn jemand den ersten Schritt verpasst hat, gelingen alle späteren nicht mehr optimal. Die neurobiologischen Forschungen haben inzwischen als Gesetzmäßigkeit herausgearbeitet, dass gewisse Schritte in der Entwicklung lebenswichtiger Funktionen dann nicht in den Genen vorgegeben sind, wenn als sicher vorauszusetzen ist, dass in dieser Entwicklungsphase der Individuen genügend einschlägige Reize in
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der Umwelt vorhanden sind, durch die die Funktion gelernt werden kann. Geläufiges Beispiel, das jeder aus dem Biologieunterricht kennt, ist, dass viele Vögel den spezifischen Gesang ihrer Art von den Eltern hören und spielend lernen, sodass sie kein Gen dafür benötigen. Natürlich funktioniert das nur bei den Vogelarten, die auch nach dem Schlüpfen der Jungen, möglichst sogar das ganze Jahr hindurch singen. Der Mensch redet das ganze Jahr über. „Daher“ setzt „die Natur“ beim Spracherwerb des Menschen ausreichende Lerngelegenheiten voraus. Er lernt die Muttersprache durch Zuhören und Üben, sie wird nicht vererbt. Kulturspezifische Eigenheiten wie der Tonfall bei gewissen Silben oder die Aussprache von Konsonanten werden ebenfalls auf diese Weise gelernt, andere, nicht benötigte, aber zunächst vorhandene Möglichkeiten gehen verloren. Bekanntes Beispiel ist die Aussprache des „r“ bei Japanern. Alle Japaner könnten es richtig aussprechen, wenn sie es vom Säuglingsalter an in ihrer Umgebung zu hören bekämen. Da sie es nicht hören, baut das Säuglingshirn nicht benötigte Fähigkeiten rasch ab, rationalisiert sie also weg.
9.8 Training bei der Reifung der menschlichen Intelligenz Die großen Untersuchungsreihen der US-Regierung haben nun ergeben, dass es beim Menschen die Notwendigkeit eines exogenen Trainings auch während der Entwicklung der (rationalen) Intelligenz gibt. Und auch hier sind es Lektionen, die offenbar in der üblichen menschlichen Kinderaufzucht ausreichend geboten werden. Wenn die Mutter das Bildungsniveau einer (amerikanischen) Grundschullehrerin hatte, konnte man auch durch intensives jahrelanges Training den Intelligenzgrad des Kindes nicht mehr messbar steigern, wohl aber bei Kindern, um die sich keiner gekümmert hatte (Einzelheiten bei J. T. Bruer). In den USA haben 22% der Mütter keinen Schulabschluss. Ein in der kindlichen Reifung vorgegebenes zeitliches Fenster konnte man für die Entwicklung der Intelligenz beim Menschen nicht nachweisen. Man kann also Versäumnisse später nachholen.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Bei amerikanischen Rekruten, die bekanntlich häufig einen sehr niedrigen IQ haben, konnte man das durch ein zweijähriges Intensivtraining beweisen. Das ist die Möglichkeit des „Erwerbs“ von Intelligenz im Erwachsenenalter, über die man sich jahrzehntelang gestritten hat.64 Und wenn Kinder (auch deutsche) antiautoritär erzogen worden waren, also offensichtliche Defizite in der Rücksichtnahme auf die Rechte anderer, überhaupt auf die Regeln einer differenzierten Gesellschaft hatten, konnten sie durchaus die (emotional intelligente) Anpassung in späterem Alter nachholen. Jungen z. B., die Gäste zur Begrüßung ans Schienbein getreten und bespuckt hatten („Der Kleine ist ja so lebendig“), sind schließlich als Erwachsene mit guten Manieren aufgefallen. Hatten sie ihre emotionale Intelligenz noch trainieren können, oder haben sie eine Kompetenz aufgebaut? Wir werden den Unterschied gleich diskutieren.
9.9 Intelligenz nicht mit Kompetenz verwechseln Er wird fast nie genügend klar zwischen Intelligenz und Kompetenz unterschieden. Der Begriff Kompetenz vermag zu erklären, wieso jemand im Alter von 50 Jahren viel erfolgreicher, viel lebensklüger ist, als er es mit 25 Jahren war, obgleich sein IQ gleich geblieben ist. 64
Ich habe diese Befunde etwas ausführlicher beschrieben (es gibt sehr viel mehr), weil die Feststellung, dass der Intelligenzgrad angeboren ist, in Diskussionen immer wieder angezweifelt wird. Zu oft und zu kontrovers wurde darüber in vergangenen Jahrzehnten diskutiert, zum Teil wohl, weil dadurch eine Art Unterprivilegierung von Geburt zementiert schien. Es gibt immerhin „Trost“ für dieses „Schicksal“. Mit dem Intelligenzquotient (IQ) wird nur der rationale Teilbereich der ganzen heute angenommen multiplen Intelligenz gemessen. Diejenige im musischen Bereich, in der Motorik (Sport, Geschicklichkeit) und speziell diejenige hinsichtlich der emotionalen Funktionen (Selbstbeherrschung, zwischenmenschliche Beziehungen, Fürsorge) gar nicht. Hier können sich entscheidende Chancen eröffnen, sofern der „Zeitgeist“ günstig ist. Sie ermöglichen gegebenenfalls einen großen Lebenserfolg (trotz mangelhafter rationaler Intelligenz), wie Popsänger oder Fußballspieler beweisen.
9. Die Leistungen der Intelligenz
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Mit „Kompetenz“ werden erlernte Fähigkeiten bezeichnet. Abb. 9.1 zeigt, dass man Kompetenz definieren sollte als das Produkt aus dem Wissen und der Erfahrung, die jemand gesammelt hat, einerseits und andererseits der Intelligenz, mit der er mit diesem Wissen umgeht. Der Krankenpfleger lernt viel über die korrekte Lagerung der Kranken mithilfe diverser Schienen und dergleichen. Aber wirklich kompetent ist er doch erst, wenn er sein Wissen auch in unerwarteten Situationen, etwa bei zusätzlichen Behinderungen des Patienten oder besonderer Ausdehnung einer Wunde, die nicht im Lehrbuch erwähnt werden, intelligent anwenden kann. Die Kombination ist entscheidend. Je länger er im Beruf ist, desto besser kann er ihn ausüben. Der Umfang von Wissen und Erfahrung wächst das ganze Leben lang in Abhängigkeit von den Gelegenheiten und von der Mühe, die die Person sich damit gibt. Jeder kann folglich seine Kompetenz enorm verbessern, kann neue Kompetenzen (Sonografieren, Rosen züchten) hinzu erwerben, bis ins hohe Alter, solange das Gehirn gesund ist. Da das fachliche Wissen in allen Berufen ständig und sogar immer schneller zunimmt, ist heute die Notwendigkeit einer lebenslangen beruflichen Weiterbildung allgemein anerkannt. Jeder vermehrt dann seine Kompetenz. Der die Emotionalität bestimmende Bereich des gesellschaftlichen Umfeldes ändert sich viel langsamer und kaum merklich. Doch auch er hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Es ändern sich sogar die Einstellungen zu den wichtigsten ethischen Werten, so die Einstellung zur körperlichen Bestrafung, zur Tötung (Abtreibung), zur Menschenwürde, zu Ehe und Familie, zur Stammzellentransplantation. Es ändern sich Charakterhaltungen und –bewertungen bezüglich Verantwortung, hinsichtlich Loyalität und der Pflichterfüllung, hinsichtlich allem, was man mit Tugend bezeichnen kann. Es ändern sich aber auch die vielen kleinen Regeln wie die des Benehmens (Höflichkeit, Pünktlichkeit, Etikette), des Anspruchsdenkens der Patienten oder der angemessenen Kleidung der Ärztinnen und Ärzte. Überall müssen wir unsere (emotionalen) Bewertungen anpassen, unser Verhalten neu überdenken und diskutieren, unsere Einstellungen „modernisieren“. Auch im Umgang mit Patienten und Teamkollegen. Die angepassten Bewertungsmaßstäbe sind dann Grundlage unserer aktuellen emotionalen Kompetenz.
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In den nächsten beiden Kapiteln werden wir untersuchen, wie wichtig die intelligenten Funktionen auch im emotionalen Bereich für das Verhalten von uns selbst, von Kollegen und von Patienten sind. Die eigenen Reaktionen werden ganz entscheidend von Intelligenzleistungen wie Selbstbeherrschung und Selbstkritik gesteuert. Bei der Kommunikation mit anderen Menschen (Kapitel 11) kommt der Empathie, also dem Verständnis für die Gefühle anderer, und der eigenen Körpersprache eine herausragende Rolle zu. Sie ist Voraussetzung für zwischenmenschliche intelligente Hirnfunktionen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 9 • Intelligenz ist die Fähigkeit, bisher unbekannte Probleme zu lösen, und zwar mithilfe der im eigenen Gehirn gespeicherten Daten. • Außer einer Suchfunktion für relevante Daten wird die Fähigkeit zur Einschätzung der aktuellen Problematik und des Ziels benötigt. • Auch für musische, kinästhetische und emotionale Aufgaben kann das Gehirn intelligente Lösungen finden, und zwar meist unbewusst. • Emotional intelligente Funktionen gibt es intrapersonal zur Steuerung des eigenen Systems und interpersonal für die Kommunikation. • Alle intelligenten Prozesse werden vom Präfrontalhirn aus gesteuert. • Das Ausmaß der Intelligenz ist angeboren, bedarf aber während des Reifungsprozesses eines gewissen Trainings. Dafür gibt es kein Zeitfenster. • Defizite in der Ausreifung der rationalen Intelligenz können später nachgeholt werden, nicht jedoch Mängel in Funktionen wie Grammatik oder Geschicklichkeit. • Kompetenz wird als Produkt von Intelligenz und von gelerntem Wissen und Können definiert. Letztere kann man ständig mehren. • Auch im emotionalen Bereich ändern sich viele Voraussetzungen und Anforderungen. Auch hier muss man lebenslang seine Kompetenz steigern und trainieren.
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Intrapersonale emotionale Kompetenz
Die Ehefrau des am Morgen operierten Patienten war überaus besorgt. Dass der Eingriff ohne Komplikationen verlaufen und dass alles wie erwartet ausgefallen war, hatte ihr der Arzt schon gesagt. Aber wie war der Operationsbefund im Einzelnen? Wie wird es weitergehen? Auf viele Fragen wollte sie zusätzliche Antworten. Sie wartete nochmals vor dem Zimmer des Operateurs. Als der – müde und mit Akten unter beiden Armen – schließlich erschien, hatte sie eigentlich nur vorsichtig gefragt. Aber seine Selbstbeherrschung war offensichtlich überfordert. Er wendete sich abrupt ab … Dr. Andreas J. vertritt turnusmäßig seinen Stationsarzt. Sein Wissen ist groß und vielseitig. Alle sind überzeugt, dass er die bevorstehende internistische Facharztprüfung glänzend bestehen wird. Aber er lernt immer noch mit besonderer Kraftanstrengung, weil er überzeugt ist, noch lange nicht genug zu wissen, und weil er zu spüren meint, dass er damit die noch fehlende klinische Erfahrung kompensieren müsse. So wirkt er nicht nur auf die Patienten unsicher … Auf Station C3 herrscht wieder einmal dicke Luft. Begonnen hatte es damit, dass Schwester Karin dem Pfleger Arno vorwarf, er habe nun zum wiederholten Male sein Kaffeegeschirr nicht aufgeräumt. Immer glaube er, dass er sich bedienen lassen könne. Der Pfleger versuchte zu beweisen, dass es gar nicht seine Tasse ge-
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wesen sei, und mokierte sich, dass sich Schwester Karin permanent so groß aufspiele; sie habe ihm gar nichts zu befehlen. Immer mehr alte Argumente wurden hervorgeholt. Keiner mochte seine Fehler eingestehen, keiner war zur Selbstkritik bereit … Es ist Besuchszeit. Die fast schon fünfjährige Angelika und ihr dreijähriger Bruder Bernd durften mit auf die Station, um ihren dort genesenden Vater zu besuchen. Im Zimmer haben sie schon alles Erreichbare erkundet und ausprobiert. Weil die anderen beiden Patienten das kindliche Temperament und Benehmen nicht ausnahmslos erheiternd fanden, ist man auf den Gang hinausgegangen. Bald rasen die Kinder dort auf und ab, spielen Fangen, lachen und rufen. Ermahnungen der Eltern bremsen sie nur ganz kurz. Sie hören zwar brav zu, nicken auch zustimmend, aber schon geht es wieder los. Die Kinder sind nicht ungezogen. Sie sind auch alt genug, um genau zu wissen, dass sie eigentlich still und ruhig dastehen sollen. Aber da ist dieser gewaltige Bewegungsdrang in ihnen, da ist die Freude am Widerhall ihrer Schritte in dem langen Gang, da ist der Spaß am Weglaufen oder am Fangen des anderen. Und zwischen all dem fehlt in ihrem Gehirn noch die ordnende Funktion. Die Fähigkeit, einstürmende Impulse zu bändigen, ist noch nicht ausgereift, Erfahrung, an der das Verhalten ausgerichtet werden könnte, ist noch nicht verwertbar gespeichert. Es fehlt noch die emotionale Intelligenz. Erst im 4. oder 5. Lebensjahr beginnt die Funktionsfähigkeit derselben. Die Reifung des ganzen Apparates wird 15 Jahre in Anspruch nehmen. Noch als Teenager werden sie immer mal wieder aus der Rolle fallen.
10.1 Intelligenz bei Kindern Intelligenz ist die Fähigkeit, bisher unbekannte Probleme zu lösen, wie im vorigen Kapitel dargestellt. Emotionale intrapersonale Intelligenz ist die Fähigkeit, emotionale Reaktionen mit Konsequenzen für das eigene Verhalten in den Griff zu bekommen, an reale oder vorgestellte Umstände anzupassen. Wie könnte eine intelligente Lösung der emotionalen Abläufe in den Gehirnen der beiden spielenden Kinder aussehen? Sie hätten
10. Intrapersonale emotionale Kompetenz
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ihren Bewegungstrieb zügeln müssen und ein Spiel wählen, bei dem man jedenfalls nicht laufen und möglichst nur leise reden oder besser noch flüstern muss. Was hätten sie für diese Entscheidung wissen sollen? 1. Für diese Wahl hätten sie zunächst die Situation richtig einschätzen müssen: Hellhörige Türen, dahinter empfindliche weil leidende Kranke, die Peinlichkeit des ungehörigen Lärms für die Eltern, der Verstoß gegen die Hausordnung… 2. Für die Einschätzung der Situation wiederum hätten sie grundsätzliches Wissen über Kranke und Krankenhäuser, möglichst entsprechende Erfahrung gespeichert haben müssen: Geräuschempfindlichkeit Kranker, wenn sie Schmerzen haben, besser noch eigene Erfahrung mit Krankheit, ferner Verständnis für das Bedürfnis der Eltern, sich korrekt zu verhalten, allgemeiner Verhaltenskodex im Krankenhaus usw. 3. Daraus hätten sie geeignete Sollwerte für das Verhalten auf dem Gang einer Krankenhausstation ableiten müssen als Richtlinie für ihr aktuelles Verhalten, oder man hätte sie solche nachvollziehbar und einprägsam lehren müssen: Man nimmt Rücksicht, man fühlt mit, zeigt Anteilnahme. 4. Andererseits hätten sie der Erfahrung im Umgang mit ihren Antrieben und Gefühlen bedurft, müssten deren Anschwellen rechtzeitig erkennen können. Sonst haben sie nämlich keine Chance, sie angemessen zügeln zu können. Die Emotionsbremse im rechten Präfrontalhirn, von der wir schon sprachen, funktioniert ohnehin noch nicht. 5. Und sie hätten weiterhin Sinn für eine Zielvorstellung haben müssen, also selbst zum Gesunden der Patienten durch entsprechendes Verhalten beitragen zu wollen, sich selbst wie verständige Besucher zu verhalten. 6. Schließlich hätten sie genügend Willensstärke aufbringen müssen, um sich wenigstens zehn Minuten lang selbst zu beherrschen. Willenskraft würde in diesem Falle bedeuten, das aktuelle Bedürfnis, nämlich mit dem Geschwister zu toben, zurückzustellen zugunsten eines höheren Ziels, also der Ruhe für die Kranken. Die Willenskraft hätte das fünfjährige Mädchen wohl schon gehabt, aber das Ziel konnte sie noch nicht verstehen. Die Eltern hätten ihr ein in ihren Augen „lohnendes“ Ziel in Aussicht stellen sollen, eine CD etwa oder ein neues Plüschtier.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Diese keineswegs vollständige Aufzählung mag dem Leser einen gewissen Eindruck davon vermitteln, in wie vielen Dimensionen der Abgleich mit Erfahrungen und Wissen ablaufen muss, um ein an soziale Sollwerte angepasstes Verhalten zu steuern (ausführlich bei Strauch). Ein Verhalten in Situationen, die man vielleicht schon ähnlich, aber nie exakt gleich erlebt hat. Sie erfordern jeweils eine neue, bisher unbekannte Feinjustierung. Das geschieht fast immer unbewusst. Der eine profitiert davon, der andere tritt ins Fettnäpfchen. Geschichte und Aufzählung sollen ferner andeuten, dass sich an vielen Stellen der mentalen Planung einer Reizantwort Fehler einschleichen können, im Verlauf des Erwachsenwerdens und danach. Wir erkennen, dass ein Zusammenleben unter Menschen schwierig oder unmöglich wäre, wenn deren emotionale Intelligenz nicht ständig im Hintergrund funktionieren würde. Wir werden uns mit ihr noch in anderer Hinsicht befassen.
10.2 Die Selbstbeherrschung als Reaktionsmuster Wir wollen uns die grundsätzliche Funktionsweise der Intelligenz an einem einfachen Beispiel verdeutlichen. In Abschnitt 4.2 haben wir im Zusammenhang mit der Besprechung der emotionalen Systeme festgestellt, dass eine entscheidende Aufgabe von Gehirnen darin besteht, im Bereich zwischen Reiz einerseits und Reaktion andererseits nach differenzierteren Lösungen oder Modifikationen für zweckdienliches Verhalten zu suchen und diese umzusetzen. Gehen wir also von einem einfachen Schmerzreiz aus und untersuchen wir, wie das Gehirn nicht nur reflexartige Flucht- oder Angriffshandlungen vermitteln, sondern auch intelligentere Reizantworten schalten kann. Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich aus Unachtsamkeit den „Fuß vertreten“. Es scheint nicht wirklich schlimm zu sein, nur ein bestimmtes Abknicken des Fußes schmerzt sehr heftig, so stark, dass Sie laut aufschreien (könnten). Sie liegen nun auf der Liege in der Ambulanz, und ein Arzt untersucht die Sprunggelenksfunktionen Ihres Fußes. Er folgt einem fachgerechten Untersuchungsweg, und
10. Intrapersonale emotionale Kompetenz
rationale Intelligenz
reflektierte Entscheidung
emotionale Intelligenz
Muster Auswahl
Umschaltung Reiz
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kalkulierte Reaktion 800 msec
“durchdacht“
automatische Reaktion 200 msec
50 msec
“erfahrungsgemäß“
reflexartige Reaktion “impulsiv“
10.1 Einwirkungsmöglichkeiten der Intelligenz auf den Weg vom Reiz zur Reaktion: Die direkte Auslösung einer Reaktion durch den Reiz geht sehr schnell, aber undifferenziert (unterste Zeile). Im Gehirn des Erwachsenen sind zwischen Reiz und Reflexreaktion bewährte spezifizierende Handlungsmuster vorgegeben. Aus ihnen kann die emotionale Intelligenz unter Berücksichtigung der aktuellen Gegebenheiten und der individuellen Erfahrung auswählen, sie kann sie auch modifizieren (unbewusst, mittlere Zeile). Derartige Muster können Verzögerungen der Handlung, also Selbstbeherrschung vorsehen, die ein zusätzliches Eingreifen der rationalen Intelligenz ermöglichen (obere Zeile). Die Zeitangaben sind grobe Anhaltswerte.
dabei probiert er auch genau die Bewegung, die Ihnen so sehr wehtut. Vor Schmerz reißen Sie das Bein hoch. Ihre Reaktion auf den Schmerzreiz, nämlich das ruckartige Zurückziehen des Beines war nicht vernünftig, sondern schlicht reflexartig im Sinne eines vorprogrammierten, angeborenen Musters. Wegen der heftigen Bewegung schmerzte das Sprunggelenk nun noch stärker. Sie hätten alternative Verhaltensmuster gehabt. Sie hätten auch vor Schmerz aufschreien, aber das Bein ruhig halten können, Sie hätten den Arzt zurückstoßen oder ihn wütend anschreien können, und Sie hätten auch die Zähne zusammenbeißen und gar nichts tun können, um sich eine besonders geeignete Reaktion zu überlegen. Die Abbildung 10.1 soll das Prinzip erklären: Ihr geschildertes Verhalten ist auf der untersten Ebene dieser Abbildung dargestellt.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Reflexartig haben Sie den Fuß aus der Gefahrenzone, von dem Verursacher weggezogen. Wäre der Schmerz nicht so überraschend ausgelöst worden oder wäre er nicht so stark gewesen, hätte Ihr Gehirn auf eines der oben vorgeschlagenen Verhaltensmuster zurückgreifen können. Das vermutlich am meisten geeignete Muster hätte Ihre emotionale Intelligenz für Sie ausgewählt. Für einen zivilisierten Menschen am vorteilhaftesten ist in aller Regel das Muster „erst einmal nichts tun und nachdenken“. Es ermöglicht Ihnen, die deutlich zeitaufwendigeren Gedankenprozeduren auf einer deutlich höheren mentalen Ebene zu nutzen, also bewusst den Verstand einzuschalten, seine Entscheidung abzuwarten und dann gezielt vernunftgesteuert zu reagieren. Dieses Muster „zunächst innehalten“ nennt man Selbstbeherrschung.65 Die Selbstbeherrschung ersetzt nicht nur einfache reflexartige Reaktionen, sondern sie verdrängt auch komplexere unbewusste Reizantworten, die im angeborenen oder erworbenen Erfahrungsschatz abgelegt sind. Sie ermöglicht dem Individuum, seinen (im Verhältnis zum Reflex ziemlich langsamen) Verstand rechtzeitig, nämlich vor der Handlung, einzusetzen, um diese in zivilisierte Bahnen zu lenken. Der im Beispiel am Kapitelanfang geschilderte Oberarzt hat sich für ein abweisendes, zugegeben unhöfliches Reaktionsmuster entschieden. Genau genommen war seine Selbstbeherrschung nicht „überfordert“, wie man das umgangssprachlich so sagt, sondern seine emotionale Intelligenz hat, bevor er überhaupt nachdachte, eine Art Fluchtreaktion gewählt, weil er sich einfach zu müde für geduldige Wiederholungen fühlte und der Rückzug für ihn im Augenblick die erfahrungsgemäß beste Lösung war.
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Die Selbstbeherrschung greift vorrangig in emotional geprägte Abläufe ein. Die Gefühle, die angeborenen Bedürfnisse und andere intrinsische Motivationen haben eine maßgebende Bedeutung als (Mit-) Auslöser von spontanen Handlungen. Im sozialen Leben gilt es sehr oft, sie zu „beherrschen“. Dafür ist die Wahl des Musters: „zunächst nichts tun“ oder „Gefühlsintensität dämpfen“, also die Selbstbeherrschung eine Notbremse, durch die anderen besser angepassten Optionen eine Chance gegeben werden kann. Ob die Auswahl der Muster auf dieser sehr frühen Stufe tatsächlich eine Intelligenzleistung ist, mögen weitere Untersuchungen noch genauer bestimmen. Jedenfalls wird hier die Weiche für sozial kompetentes Handeln gestellt.
10. Intrapersonale emotionale Kompetenz
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10.3 Die emotionale Intelligenz wählt unter Reaktionsmustern Selbstbeherrschung wird gelegentlich als emotional intelligenter Prozess bezeichnet. Genau genommen ist sie entsprechend der in Abbildung 10.1 gezeichneten Vorstellung nur eines der automatischen Verhaltensmuster, unter denen die emotionale Intelligenz auswählen kann. Aber wenn sie ausgewählt ist, reserviert sie ein Zeitfenster zwischen Reiz und Reaktion, in dem dann die rationale Intelligenz, also der Verstand, differenziertere Verhaltensprozesse entwerfen und einleiten kann. Ein anderes Reaktionsmuster könnte „Aggression“ heißen. Tiere und auch der Mensch besitzen im sogenannten zentralen Höhlengrau des Gehirns ein eigenes Aggressionszentrum.66 Das Triggern dieses Aggressionszentrums kann, wie jeder weiß, durch äußere Anlässe (zum Beispiel das hämische Lachen eines Gegners) ausgelöst werden. Man wird wütend. Ob das schnell und häufig passiert, ist (angeborene) Temperamentssache und auch eine Frage der aktuellen Motivation.67 Die Aktivierung des Aggressionszentrums kann erlernt, kann regelrecht konditioniert werden. (Denken Sie an Straßenkinder und Jugendbanden.) Die meisten Artgenossen tötet der Mensch aus religiösen, patriotischen oder aus ideologischen Gründen, also wegen Konstrukten des Geistes und folglich nach entsprechender Erziehung oder Beeinflussung. Schon im Kindergarten lernt die Mehrheit der Jungs nachweislich, dass man mit
66
Direkt neben dem Aggressionszentrum gibt es (jedenfalls bei Tieren) ein Fluchtzentrum, ferner Zentren für Verteidigung, für Beutefang u. a., und eines, das das (männliche) Sexualverhalten steuert. Vermutlich kann die emotionale Intelligenz diese Zentren in ihre Aktivitäten einbeziehen. 67 Wir hatten in der Liste der angeborenen Bedürfnisse am Ende von Kapitel 7 auch die Aggression aufgeführt gefunden. Die Tendenz, auf gewisse Auslöser (z. B. einen Feind oder auch unbeteiligte Anwesende) mehr oder weniger aggressiv zu reagieren, ist also vorprogrammiert. Entsprechend hat man Hinwiese auf Erbfaktoren bei eineiigen Zwillingen gefunden, und man kann aggressive Mäuse züchten. Regulierende Mechanismen wie das Temperament spielen eine sozialisierende Rolle. Immerhin, die meisten Menschen haben dieses (intrinsische) Bedürfnis nach Aggression offenbar nur in sehr geringer Ausprägung (vgl. Abschnitt 7.6).
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Aggressivität am meisten erreicht (falls nicht von der Erzieherin sorgfältig gegengesteuert wird).
10.4 Intelligenz verwertet bewährte Erfahrungen Nun zieht die emotionale Intelligenz aber nicht immer automatisch die Notbremse, wenn infolge von Schmerz, Schreck, Beleidigung oder dergleichen eine primitive Reflexantwort droht. Sie berücksichtigt vielerlei weitere Umstände, wie wir eingangs bei den beiden tobenden Kindern gesehen haben. Auch deshalb ist die Bezeichnung „Intelligenz“ gerechtfertigt. Ich will noch ein Beispiel aus der Klinik schildern. Nehmen wir an, die Angehörigen der Patientin Ingrid N. unterliegen falschen Kausalattributionen, indem sie annehmen, dass die Infusionen, die die Patientin seit zwei Tagen bekommt, die falschen Medikamente enthalten, da es ihr seither noch schlechter gehe als vorher, was aber die Krankenschwestern nicht zugeben würden. Und überhaupt habe doch der Hausarzt gesagt, dass sie sofort operiert werden müsse, und nun seien schon zwei ganze Tage mit immer neuen Untersuchungen vergangen. Man wisse wohl nicht, was zu tun sei, denn jede Schwester gebe eine andere Auskunft. Der eingangs erwähnte junge Arzt Dr. Andreas J. wird von diesen verunsicherten und aufgebrachten Angehörigen nun mit Vorwürfen und Fragen überschüttet. Sein Verstand muss sich mit diesen Anschuldigungen sachlich auseinandersetzen, hat also keine freie Kapazität im Arbeitsspeicher, um sich mit der Steuerung seiner eigenen Emotionen zu beschäftigen. Da aber die Vorwürfe ungerechtfertigt und zudem Ton und Lautstärke unangemessen sind, steigt spontan deutlicher Ärger in ihm auf. Seine emotionale Intelligenz sollte jetzt diese emotionale Regung, im Stillen, im Unbewussten agierend, so dosieren können, dass er nicht aus der Rolle fällt. Jedwede Intelligenz kann, wie im vorigen Kapitel dargelegt, nur funktionieren, wenn sie auf einen ausreichenden Wissens- und Erfahrungsschatz zurückgreifen und daraus die passenden Daten aus-
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wählen kann. Dr. Andreas J. sollte also bei früheren Gelegenheiten Erfahrungen gesammelt haben, sollte seine Emotionen beobachtet und die Folgen von Aggressionen erlebt haben. Es müssen nicht viele Szenen gewesen sein, auf die er sich jetzt in seinem Verhalten stützt, er muss sich nicht schon mit vielen Angehörigen lauthals in den Haaren gehabt und die unangenehmen Folgen solcher Entgleisungen ausgebadet haben. Ein eindrucksvolles Erlebnis, in dem er vielleicht nur seinen Oberarzt als schlechtes Vorbild beobachtet hat, könnte genügen, wenn er diese Begebenheit gründlich aufgearbeitet hat. Darunter ist zu verstehen, dass er die fragliche Szene oft oder eindrücklich genug durchdacht, vielleicht mit verschiedenen Unbeteiligten diskutiert und so an prominenter Stelle in seinem Gedächtnis bewahrt hat (zum Lernen von Verhalten s. später Abschnitt 14.4).
10.5 Das Selbstbild als Baustein der intelligenten Reaktion Im aktuellen Gespräch mit den Angehörigen möchte Dr. Andreas J. ferner, ohne dass er eigens darüber nachdenkt, möglichst souverän seine eigene Position, vielleicht auch das Image der Klinik verteidigen. Dafür orientiert er sich als Sollwert an einem inneren Idealbild, das wahrscheinlich einen seiner klinischen Lehrer zum Vorbild nimmt. Als Istwert zum Vergleich konstruiert er unbewusst ein aktuelles Selbstbild. Mit Hilfe der neuronalen Netzwerke im Präfrontalhirn kann der Mensch sich selbst sehen. Er hat Vorstellungen von der Rolle, die er gerade spielt. Dr. J. sieht sich jetzt vielleicht in seiner üblichen, etwas gebeugten Haltung, jung, noch nicht sehr erfahren, aber ehrgeizig. Das passt nicht zum Sollwert. Sein Unterbewusstes strafft seinen Körper und festigt den Ton seiner Stimme. Er bemüht sich, eine zwar sehr bestimmte, aber doch höflich belehrende klare Schranke aufzubauen. Liebe Leserin, lieber Leser, Sie sollten einen Augenblick innehalten und über unsere Fähigkeit staunen, über uns selbst nachdenken zu können. Im ganzen Tierreich können das, soweit man weiß, nur einige Affenarten.
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Herr Dr. Andreas J. und alle anderen Menschen im Krankenhaus können sich seit ihrem dritten Lebensjahr als Subjekt erleben. Sie tun es ständig unbewusst. Sie sollten es zudem bewusst und viel öfter kritisch tun. Denn auch das können sie: Ihre Rolle infrage stellen und gegebenenfalls an ihr arbeiten, mit Selbstkritik. Man hat diese herausragende Fähigkeit der emotionalen Intelligenz zugeordnet. Sie ist eine ihrer ständig im Unbewussten aktiven Spezialfunktionen.
10.6 Selbstkritik, Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit Der Mensch kann sein Selbstbild mit eigenen Erfahrungswerten, mit Bildern und Einflüssen von anderen in Relation setzen. Er kennt sein Wissen, seine Fähigkeiten und insbesondere seine inneren Antriebe, also seine angeborenen Bedürfnisse, die ihn beeinflussen. Er kann seine eigenen Gedanken und Handlungen kritisieren unter Verwendung von Sollwerten, die er sich selbst bildet. Und er verwendet natürlich großzügig Kausalattributionen für seine bisherigen Erfolge und Misserfolge. Sie werden meist weniger objektiv als „selbstwertdienlich“ subjektiv ausfallen.68 Die Fähigkeit zur Selbstkritik reift wie überhaupt die Intelligenz über viele Jahre, deutlich spürbar erstmals im 10. bis 12. Lebensjahr. Sie wird von der erwachsenen Persönlichkeit als selbstverständliche, wichtige, bestens funktionierende Fähigkeit begriffen. Allerdings fand man in Tests zur Selbstkritik bei erstaunlich vielen Befragten eine massive Selbstüberschätzung. 70 Prozent aller Autofahrer glauben, dass sie besser fahren als der Durchschnitt. 80 Prozent aller getesteten Professoren halten sich für eher besser als der Durchschnitt der Kollegen, ihre aktuelle Forschung ordnen sie 68
Der Mensch macht das grundsätzlich im Zusammenhang mit aktuellen Problemen, die für ihn neu sind, mit denen er bisher noch nicht konfrontiert war, die ihm noch unbekannt sind. Das Lösen unbekannter Probleme hatten wir zur Definition der Intelligenz benutzt, wie Sie sich erinnern. Das sich selbst Kritisieren ist also ein Bereich der Intelligenz. Man kann es bewusst und unbewusst tun.
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sogar in über 90 Prozent so hoch ein.69 Für Ärzte und Schwestern sind mir keine entsprechenden Zahlen bekannt. Die Psychologie hat für derartige „Attributionsvoreingenommenheiten“ vielseitige Erklärungen erarbeitet. Der Jugend sieht man in der Regel eine gewisse Selbstüberschätzung nach, erwachsenen Patienten oder Ärzten weniger. Wenn nun der junge Arzt Andreas J. von Selbstzweifeln bezüglich seiner medizinischen Qualitäten geplagt sein sollte, steht er seinem eigenen Erfolg im Weg.70 Seine Patienten werden in ihn kein Vertrauen haben können, weil sie die Unsicherheit spüren. Mit ihrer Empathie beurteilen sie ihn unbewusst. Den Nachbarn werden sie später erzählen, dass da „…so ein junger Arzt kam …“, obgleich er sehr gute langjährige Fachkenntnisse besitzt und unter Kollegen als einer der erfahreneren gilt. Diese Selbstgefühle beziehen sich auf umschriebene Kompetenzen, zum Beispiel auf fachliches Wissen und Können und auf entsprechende Erfolgserlebnisse. Ein Oberarzt der Orthopädie ist natürlich sehr selbstsicher bezüglich der Beurteilung orthopädischer Erkrankungen. Wenn ihn aber ein Patient wegen Herzschmerzen und hohem Blutdruck oder wegen eines plötzlich aufgetretenen Hautausschlages befragt, verweist er lieber auf den zuständigen Fachkollegen, und wenn eine Patientin ihn in ein Gespräch über die Lyrik in der Postmoderne verwickeln will ...
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Hinweise von außen auf Mängel der Selbstkritik oder Fehlen der Nutzung dieser Gabe werden meistens als Beleidigung oder als Bedrohung oder gar als Misserfolg gewertet. Denn sie ist eng mit dem Selbstwertgefühl (vgl. Abschnitt 1.8) verknüpft. Dieses Gefühl ist das Resultat der vorher durchgeführten Selbstkritik. Die Eskalation des Streites im dritten Kapiteleingangsbeispiel basiert weitgehend auf Angriffe auf die Qualität dieser Selbstkritik. Wer überzeugt ist, dass seine derartige geistige und/oder moralische „Betriebsprüfung“ mit Recht zu einem positiven Ergebnis gekommen ist, tritt selbstbewusst auf. Er hat dann im Leben einen entscheidenden Erfolgsfaktor auf seiner Seite. 70 Wer fest an seine Fähigkeiten glaubt, steigert seinen Erfolg dadurch nachweisbar (Bandura). Im Managementtraining wird folglich das Selbstwertgefühl gezielt gefördert, man strebt Selbstsicherheit an. Ein in seiner Vitalität beeinträchtigter Patient ist wegen seiner Schwäche verunsichert und braucht Zuspruch von Ärzten und Schwestern, die ihrerseits Selbstsicherheit ausstrahlen (müssen).
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Ein stabiles Selbstwertgefühl ist in leitenden Positionen eine Voraussetzung, während ein übermäßiges Selbstwertgefühl Nachteile, Kritik und sogar Spott birgt. Durch den Stolz auf höhere Posten und Titel und durch eine steigende Zahl von Lobreden und Schmeicheleien scheint die Selbstkritik eingeschläfert. Hört der von Jasagern umgebene (Verwaltungs-)Chef nicht mehr auf die warnende Stimme seines internen „Betriebsprüfers“? „Verdrängt“ er die eigenen Fehler? Zur Erklärung möchte ich eher das System der emotionalen Marker heranziehen (Kapitel 1). Dem Lob aus der Umgebung wird natürlich der Marker „das höre ich gerne, das freut mich“ angefügt. Das derart gekennzeichnete Argument verwendet das Gehirn dann bevorzugt, und wenn es viele davon in seine „Erfahrung“ integriert hat, verlieren anders lautende, kritische Ansichten an „Gewicht“, passen gar nicht mehr ins schon mit Lob besetzte Kurzzeitgedächtnis, werden „verdrängt“. Ähnlich wird das Gehirn mit allen Kausalattributionen umgehen. Falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, „führen“, sei es die Nachmittagsschicht oder die Tennismannschaft oder die Familie, sollten Sie sich einerseits um ehrliches Feedback in Form von möglichst objektiven Wertungen des eigenen Erfolges aus der Umgebung bemühen und sollten andererseits Selbstkritik im stillen Kämmerlein gezielt üben. Aus dem Sumpf von Eigenlob und Selbstüberschätzung kann man sich durch ehrliche Selbstkritik selbst wieder befreien. Aber das ist schwierig, man muss Gegenargumente, wenn sie gerechtfertigt sind, bewusst ebenfalls mit positiven Markern versehen. Selbstkritik ist somit eine interessante Teilfunktion im rationalen Selbstmanagement. Sie betrifft nicht nur die Beurteilung der eigenen Denkresultate, sondern auch die Justierung des Selbstwertgefühls. 71 Bei Patienten können wir gelegentlich den korrigierenden Einfluss auf emotionale Schaltungen wie Angst oder Depressivität vermissen. Wir müssen berücksichtigen, dass Kranke sich angesichts der Sorgen um ihre Gesundheit vorübergehend in einer psychologischen Ausnahmesituation, in schwerem psychi71
Selbstvertrauen kann man definieren als das Gefühl, sein Verhalten kontrollieren und seine Umwelt damit vorteilhaft beeinflussen zu können. Es beruht auf der Fähigkeit, unbewusst im richtigen Augenblick die richtigen Muster für die Reaktion aus dem Schatz der eigenen Erfahrungen auswählen zu können.
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schem Stress befinden. Der Arbeitsspeicher ist überflutet, wir erleben die sogenannte Metafunktion der Gefühle (Abbildung 2.2 in Abschnitt 2.4), in der alle rationalen Gedanken geblockt werden.72
10.7 Die Wertschätzung anderer begründet die soziale Kompetenz Das Einschieben eines „Zeitfensters“ zwischen Reiz und Reaktion durch den Mechanismus der Selbstbeherrschung ist die Voraussetzung für intelligentes Planen und letztlich für ein ersprießliches soziales Zusammenleben. Die Intelligenz ermöglicht dann selbst einfache Verhaltensnormen im Bereich der Etikette wie zum Beispiel den überheblichen Ton des Besserwissers zu vermeiden, wenn ersichtlich ist, dass der andere erst anfängt, die Zusammenhänge zu verstehen.
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Lassen Sie mich von diesem psychologischen Modell kurz zur neuroanatomischen Beschreibung der Vorgänge wechseln. Wir haben in Abschnitt 2.1 besprochen, dass das limbische System und speziell die Amygdala (Mandelkerne) auf gewisse Reize hin emotionale Reaktionen auslösen und damit die Körperfunktionen und das Gehirn auf die grundsätzlich geeignete Reizantwort einstimmen. Unter anderem wird das Präfrontalhirn informiert. Hier kann, wie wir in Abschnitt 2.5 besprachen, von beiden Hirnhälften ein modulierender, meist dämpfender Effekt auf die Emotionen ausgehen. Um diesen Effekt geht es hier, wenn die Erfahrung mitspricht. Die Hirnhälften dämpfen nicht einfach spontan, sondern aufgrund von Ursachen, hier aufgrund der Auswertung von Daten, nämlich einerseits solcher, die über die aktuelle Situation hier zusammenlaufen, und andererseits aufgrund von Erfahrungswerten. Und an deren Aufsuchen und Auswahl hat die Intelligenz (ebenfalls im Präfrontalhirn angesiedelt) entscheidenden Anteil. Menschen, bei denen dieser Hirnteil durch Verletzung zerstört wurde, fallen durch unbeherrschtes, in der Gesellschaft schwer zu tolerierendes Verhalten auf. Sie können ihre Erfahrungen nicht mehr verwerten. Wenn Jugendliche einen derartigen frontalen Hirnschaden erleiden, können sie soziale Verhaltensweisen gar nicht erst lernen. Frontalhirngeschädigte kann man daher nicht „erziehen“.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Die Fähigkeit des zivilisierten Menschen zu emotionalen oder rationalen Intelligenzleistungen muss nicht zwangsläufig zu erfreulichen Verhaltensweisen führen. Die automatische Intelligenz kann zu befremdlichen Resultaten führen, wenn Gewichtungen falsch gesetzt werden: Der selbstgefällige Operateur weiß genau, dass die Operation um neun Uhr beginnen sollte, und dass es jetzt an der Zeit wäre, sich zum Operationssaal zu begeben. Aber er trinkt erst seinen Kaffee zu Ende und führt noch schnell zwei Telefongespräche, weil er im OP schon so oft wegen unvorhergesehener Verzögerungen warten musste und weil noch so vieles zu erledigen und seine Zeit kostbar ist (das hat für ihn einen starken Marker). Natürlich dauert dann das zweite Gespräch unerwartet lange, und so kommt er leider zu spät. „Leider“ passiert Ähnliches sogar fast täglich, ohne dass er über Abhilfe nachsinnt. Wer die Belange anderer zu niedrig einstuft im Vergleich zu seinen eigenen und dadurch zum Beispiel ein ganzes Operationsteam warten lässt, provoziert nicht nur Unmut, er demonstriert auch mangelnde soziale Kompetenz. Die Unpünktlichkeit kann entschuldbare Ursachen haben. Aber meistens beruht sie auf einer zu geringen Wertschätzung der Rechte anderer. Man hat dem (moralischen) Gebot der Pünktlichkeit und der Rücksicht auf andere zu wenig Gewicht zugemessen. Der Marker ist zu schwach, aus Eigennutz (nicht warten wollen) lautet er: „Für mich nicht maßgebend“. Die emotionale Intelligenz vernachlässigt dann diese unterbewerteten ethischen Vorgaben. Die automatische Verhaltensplanung funktioniert nicht sozial angemessen.73 Es gilt, den eigenen Sollwert neu zu justieren. Emotionale Intelligenz ist bemüht, das zu verwirklichen, was man unter Taktgefühl versteht. Im stärkeren Affekt (wie bei den beiden sich Streitenden auf Station C3 am Kapitelbeginn) können 73
Emotionale Intelligenz in ihrer intrapersonalen Form erleichtert also auch Zielverhalten. Dafür ist zum Beispiel oft die Zügelung oder das Verbergen eigener emotionaler Regungen erforderlich. Nicht nur das Anpassen der eigenen Emotionen im Rahmen der Generierung von Sympathie (das besprachen wir in Abschnitt 3.4) erfordert ein automatisches Management, sondern überhaupt Verhaltensformen wie Gleichmut oder Ausgeglichenheit. Hierhin gehört weiterhin die Regulierung der Stimmung, insbesondere das Dämpfen von emotionalem Überschwang, wo er nicht angemessen und offensichtlich den eigenen Absichten nicht zuträglich ist.
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die normalen Gewichtungen der Marker übergangen werden, und dann kann die Intelligenz nicht mehr funktionieren. Die emotionale Intelligenz ermöglicht z. B. auch (mithilfe des Zeitfensters durch Selbstbeherrschung) den meisten Menschen, gegen die sogenannten Mangelmotivationen wie Hunger oder Appetit anzugehen und zum Beispiel Übergewicht zu vermeiden. Sie ermöglicht dem Verstand, Argumente bereitzustellen, um materiellen und immateriellen Versuchungen (z. B. Bestechungen, Lügen, Betrügen) zu widerstehen, also den ethischen Vorsätzen zu folgen und nicht niedrigen Beweggründen. Und sie ermöglicht das Planen von ethisch verantwortlichem Verhalten (zum Beispiel vorrangig dem Kranken zu helfen74). Sie ermöglicht es, selbstlos zu sein und dadurch verantwortungsbewusst zu handeln. Das wiederum ist sogar eine wichtige Grundlage jeder Autorität. Dass die psychischen Vorgänge, die im Bereich der Persönlichkeit unbewusst ablaufen, außerordentlich vielseitig sind, dass es speziell ein intelligentes Management der emotionalen Systeme gibt, die zu emotionaler Stabilität führen, dass wir uns aber ihrer bewusst sind und sie mit dem Verstand beeinflussen können, das habe ich versucht an wenigen Beispielen deutlich zu machen. Wir haben auch verstanden, in welcher Funktion sie Voraussetzung sind für das Interagieren mit anderen Menschen, mit Kranken natürlich auch. Aber eben nur Voraussetzung oder Grundlage. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass die Kommunikation mit anderen noch weiterer Funktionen bedarf. Grundlegend dafür ist einerseits das Verständnis der Gefühle des Mitmenschen, also die schon in Kapitel 3 besprochene Empathie, andererseits auch die wortlose Signalisierung von emotionalen Inhalten.
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Ich habe schon in Abschnitt 1.5 besprochen, dass es keine spezielle ärztliche Ethik gibt. Im Krankenhaus gelten die gleichen ethischen Regeln wie überall in unserer Kultur. Aber es gibt in der ärztlichen und pflegerischen Tätigkeit bestimmte vordiskutierte und dann vorgegebene Regeln für spezielle typische Konstellationen. Sie sollen vor spontanen Fehlern schützen. Intuitive, also emotional intelligente Intentionen zum Beispiel aus Mitleid, etwa, wenn man die Leiden im Todeskampf seines Patienten kaum mit ansehen kann, könnten zu schwierigen Konflikten führen. Hier ist die Priorität des Verstandes, also der trennscharfen rationalen Intelligenz gefordert angesichts der Bedürfnisse der Kranken einerseits und der Vorgaben der Gesetzgebung andererseits.
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Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 10 • Die intrapersonale emotionale Intelligenz koordiniert unsere eigenen Gefühle, Stimmungen und angeborenen Bedürfnisse und organisiert angepasstes Verhalten. • Sie nutzt ein Zeitfenster, das zwischen Reiz und Reaktion durch Selbstbeherrschung eröffnet werden kann. • Die Verhaltenskontrolle durch diese Intelligenz läuft überwiegend unbewusst ab, aber man kann sie trainieren und mit dem Verstand beeinflussen. • Die emotionale Intelligenz erstrebt situationsgerechte Verhaltensmuster anstelle von unspezifischen reflexartigen Sofortreaktionen. • Sie funktioniert parallel zu anderen intelligenten Leistungen, entlastet diese somit, zum Beispiel das logische Denken. • Die Intelligenzen kann man als Werkzeuge auffassen. Die emotionale Intelligenz verarbeitet dann die Erfahrung der eigenen emotionalen Systeme. • Die emotionale Intelligenz wertet ferner die aktuellen Einschätzungen von Selbstbild, Situation und Zielen für anstehende Entscheidungen. • Für die Erstellung eines Selbstbildes bedarf es der Selbstkritik. Sie generiert Sollwerte für das Selbstwertgefühl. • Selbstvertrauen ist das Gefühl, dass man rational und emotional ausreichend kompetente Erfahrungen und Verhaltensmuster parat hat. • Willensstärke ist die Fähigkeit, mittels Selbstbeherrschung ein vordergründiges Ziel zugunsten eines höherwertigen zurückzustellen. • Eine Voraussetzung für altruistisches Handeln ist, mittels Selbstbeherrschung ethische Sollwerte einhalten zu können.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Die intrapersonale emotionale Intelligenz hilft uns also, unsere emotionalen Systeme in wenigstens zweierlei Hinsicht auszurichten: Anpassung an die aktuelle Umweltsituation einerseits und an die eigenen Wünsche und Ziele andererseits. Der überlastete Operateur aus dem ersten Beispiel wollte keine lästigen Fragen beantworten, für die es
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keine neuen Erkenntnisse gab. Er wollte eine harsche Antwort oder einen Wortwechsel vermeiden. Er war zu müde für ein beruhigendes Gespräch, das lange dauern konnte. Und in Gedanken war er schon bei der nächsten dringenden Aufgabe. Je größer die psychische Belastung ist (gerade auch bei Patienten), desto schwieriger wird es, die Emotionen und speziell die Aggressivität unter Kontrolle zu halten. Das mag mit einer übermäßigen Reizung vieler mentaler Strukturen zu tun haben oder auch mit ihrer Übermüdung. Die automatischen Kontrollmechanismen funktionieren jedenfalls weniger zuverlässig, die emotionale Intelligenz kann auf zusätzliche Herausforderungen nicht mehr angemessen reagieren. Erholung ist dringend angezeigt, vielleicht milde Beta-Blocker, sicher keine Stimulantien. Das Selbstwertgefühl beruht auf Erfolgserlebnissen, und die wiederum erfordern Wissen, Können und Erfahrung. Gerade jüngere Mitarbeiter sind auf sie angewiesen. Bei der Aufgabenverteilung ist auch aus diesem Grunde der Erfahrungsstand des Einzelnen zu berücksichtigen. Gut begründetes Lob ist enorm wichtig, um über eine vermeintliche Unterforderung hinwegzuhelfen. Zu beachten ist, dass großer Ehrgeiz sehr oft mit mangelnder Selbstkritik einhergeht. Eine Diskussion und auch ein normaler Wortwechsel werden zum Streit, wenn Emotionen ins Spiel gebracht oder verstärkt werden. Den eingangs skizzierten Streit auf Station C3 wird jeder Leser schon in ähnlicher Form erlebt haben. Der Verstand sucht nach Argumenten oder nach Schwachstellen in der Argumentation der Gegenseite. Wie stark die Gefühle im Unbewussten eskalieren, ist nicht nur Temperamentssache. Natürlich gibt es eher Friedfertige und Choleriker. Aber die emotionale Intelligenz könnte die deeskalierenden, beruhigenden Verhaltensmuster auswählen, wenn denn solche zuvor hinterlegt und als bedeutend eingestuft wurden. Das erfordert meistens jahrelange (Selbst-)Erziehung.
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Kommunikation und interpersonale emotionale Intelligenz
Unter den routinemäßigen Patientenbefragungen „Was war gut und was war nicht gut?“ finden sich immer wieder Beurteilungen wie diese: „Das Essen war gut. Auch die Ärzte und Schwestern waren sehr bemüht und nett bis auf Schwester Claudia. Sie war meistens unfreundlich und knallte die Türen …“ Der Oberarzt Dr. P. A. hatte seinen Urlaub genossen, war gut erholt und nun wieder tatendurstig. Er freute sich richtig auf die kommenden Aufgaben. Aber gleich am Morgen des ersten Arbeitstages spürte er, dass sich etwas ereignet haben musste. Die Stationsschwester kam nicht wie sonst auf ihn zu, obwohl sie sich erkundigte, ob das Wetter schön gewesen sei, die Assistenzärzte wirkten irgendwie verlegen und fremd, die Sekretärin sah ihn so prüfend an. Irgendetwas war anders als vor dem Urlaub. Er spürte, dass er nicht gleich mit der üblichen Routine beginnen konnte … Herr Ludwig H. liegt sehr krank und schwach im Bett. Schwester Maria läuft geschäftig und geräuschvoll im Zimmer herum, und spricht nebenher mit dem Kranken. Sollte das jetzt ein Scherz sein oder zynisch oder
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bitterer Ernst? Herr H. hätte das leichte Verziehen der Lidspalten oder der Mundwinkel beobachten sollen. Aber es ist zu anstrengend, den Kopf immer nach dem jeweiligen Aufenthaltsort der Schwester zu drehen … Wichtige Informationen teilt man in aller Regel nicht nur mit Worten mit, sondern gleichzeitig auch durch Körpersprache, insbesondere durch den Gesichtsausdruck (Mimik). Wenn der andere meine Informationen und nicht nur meine Worte richtig verstehen will, muss er mich also ansehen. Wenn er als Patient auf dem Tisch des Röntgengerätes liegt, sich nicht bewegen und die Luft anhalten soll, und wenn die Röntgenassistentin sich dann hinter einer
Sender
Appell “Mach mal eine Diät” Beziehungs-Botschaft “Ich darf Dir das ja sagen”
Selbst-Offenbarung “Dein Zustand macht mir Sorgen” Sachinformation
“Deine Hose sitzt reichlich stramm”
Empfänger
Interpretation 11.1 Sprachliche Interaktion, Inhalte einer Information (In Anlehnung an F. Schulz von Thun): Große Teile der Kommunikation finden ohne Worte (nonverbal) statt, emotionale Mitteilungen sogar zu 90 Prozent. Zusammen mit einer Sachinformation gibt man zu erkennen, wie man selbst zu dem Problem steht, welche Beziehungen man zum Gesprächspartner hat, und was man noch „zwischen den Zeilen“ mitteilen möchte. Hierzu werden Feinheiten der Wortstellung und Grammatik, Tonlage, Mimik, Gebärden und anderes benutzt. Die Nachricht wird vom Empfänger so interpretiert, wie er glaubt, dass sie gemeint sei. Er muss, um die „ganze Wahrheit“ zu erfahren, möglichst viel der Körpersprache, die automatisch gesendet wird, aber unterdrückt werden kann, entschlüsseln können.
11. Kommunikation und interpersonale emotionale Intelligenz
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Wand verbirgt, damit ihre Strahlenbelastung nicht zu hoch wird, dann muss diese die Zusatzinformationen, die sie nicht alle direkt aussprechen will, in ihre Stimme, in ihre Wortwahl und in ihre Wortstellung verlegen. Sie ruft dann nicht nur monoton: „Tief einatmen, nicht mehr atmen, nicht bewegen!“. Sie legt in ihre Stimme auch etwas Versöhnliches, das ausdrückt, dass sie ja beide gemeinsam am Erfolg der Untersuchung interessiert sind, und dass sie weiß, dass die vorgeschriebene Lagerung des Patienten nicht gerade bequem ist. In den Rest des Spruches legt sie aber einen Appell, der besagt, dass der Patient sich gefälligst zusammennehmen und wirklich nicht bewegen soll, nachdem er die erste Aufnahme schon verwackelt hat. Man hat diese nonverbale Art der Kommunikation vielfach untersucht. Wenn er gut zuhören kann, wird der Patient auch diesen „Kontext“ richtig verstehen. (Sonst erzählt er später von der unfreundlichen Röntgenassistentin.) Bei Äußerungen in anderen Situationen kann das umfassende Verstehen schwieriger sein. Im nonverbalen Bereich entstehen oft Missverständnisse. Was man sagt, wird man sich überlegen, mit dem Verstand. Aber man sollte auch darauf achten, wie man es sagt. Sich der Gefühlslage eines anderen anzupassen nennt man Pacing. Wir überlegen das nicht immer ausdrücklich. Wir lassen uns meistens von unserer emotionalen Intelligenz leiten. Aber wir können auch bewusste Taktiken einsetzen, wie wir sie zum Beispiel in Abschnitt 3.4 besprachen, als es darum ging, sympathisch zu wirken.
11.1 Menschenkenntnis ist eine Frage der emotionalen Intelligenz Intelligenz hatten wir als die Fähigkeit definiert, bisher unbekannte Probleme zu lösen. Jeder andere Gesprächsteilnehmer ist immer wieder ein unbekanntes Problem. Man weiß nicht, was er denkt und fühlt, wenn man ihn nach einer gewissen Zeit wieder sieht. Man weiß es aber auch nicht genau, wenn man gerade eine etwas gewagte These ausgesprochen oder einen schrägen Witz erzählt hat. Die Empathie hilft uns unbewusst dabei. Wir sind beim Thema Menschenkenntnis.
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
Schon nach wenigen Minuten hat man von einem Menschen, den man vorher noch nie gesehen hat, einen ersten Eindruck. Der ist naturgemäß oberflächlich, aber doch oft recht treffend, wie jeder aus Erfahrung weiß. Er ist insbesondere verlässlich, wenn es darum geht, diejenigen zu durchschauen, die einem nicht genehm sind, die man besser meidet. Gerade wenn „Gefahr drohen“ könnte, ist eine schnelle Erkenntnis wichtig. Seit sehr vielen Jahrmillionen haben die Tiere überlebt, die darin gut waren. Wir haben diese Fähigkeit geerbt. Der erste Eindruck ist überwiegend eine Angelegenheit des Gefühls, zunächst der Empathie. Denn man hat in diesen ersten fünf Minuten des Kennenlernens wahrscheinlich nur allgemeine Dinge oder eine begrenzte fachliche Frage verstandesmäßig abgehandelt, also: ob der Patient das erste Mal im Krankenhaus ist und ob er die Station gleich gefunden und ob er jetzt Schmerzen hat. Die Empathie aber und der sofortige, weitgehend automatische Abgleich mit unserer Erfahrung sagen uns darüber hinaus, ob es ein sympathischer und vermutlich aufrichtiger Mensch ist, ob er unsicher wirkt oder Angst hat, aus welcher sozialen Schicht er wohl kommt, ob er krank und schwach wirkt. Der Verstand wird in der Kürze der Zeit vergleichsweise wenige Informationen beisteuern: wie alt er ungefähr ist, welchen Dialekt er spricht, ob er alle Unterlagen mitgebracht hat. Der neue Patient wird also überwiegend emotional typisiert und gemäß der Erfahrung der Schwester in gewisse Kategorien eingeordnet. Der schnelle erste Eindruck muss ihr genügen, um zu entscheiden, in welches Zimmer der Patient gelegt werden soll, zu welchen anderen Kranken der Neue wohl passt, oder um zu entscheiden, ob sie sich gleich fürsorglich um ihn kümmern muss, oder ob er wohl erst einmal alleine zurechtkommt, bis sie ihre gerade begonnene Aufgabe beendet hat. Die ersten Einordnungen können später bei Bedarf geändert werden, wie wir es ja auch bei jenem Herrn Klaus M. aus Abschnitt 6.4 erhoffen, der wegen falscher Annahmen in sehr schlechter Stimmung war, als er das erste Mal auf die Stationsschwester traf. Jeder Mensch ist für sein Gegenüber ständig wieder ein neues, bisher ungekanntes Problem, hatten wir schon gesagt. Wenn der Kranke von der Sonografie zurückkommt, weiß die Stationsschwester Elke vielleicht schon, welcher Befund erhoben wurde, weil sie
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sofort telefonisch verständigt wurde. Aber sie weiß nicht, was man im Einzelnen dem Patienten und wie gesagt hat, und wie er das verstanden und verarbeitet hat. Sie muss herausfinden, wie er sich jetzt fühlt, ob er erleichtert oder verunsichert ist, ob er Trost braucht, ob er sich aussprechen oder Ruhe haben möchte, ehe sie ihm mitteilt, dass noch ein Belastungs-EKG gemacht werden soll, das bekanntlich anstrengend ist.
11.2 Intelligenter Einsatz der Empathie Durch ihre Empathie erhält Schwester Elke wichtige Informationen, wie wir schon in Abschnitt 3.2 erkannt haben. Wenn sie den Kranken direkt fragen würde, in welchem Zustand er nun ist, würde er vermutlich den starken Mann spielen, der er im Augenblick gar nicht sein kann. Die rationale Intelligenz hilft ihr dann, indirekt weiter zu fragen, ihn mit Nebensächlichem zu Äußerungen zu bewegen. Mit ihrer emotionalen Intelligenz versucht sie unbewusst, ihren Eindruck richtig einzuordnen, mit den vielen einschlägigen Erfahrungen ihrer langen Berufszeit zu vergleichen, zu gewichten, ohne dass sie viel überlegen muss. Denn die automatische Urteilsfindung geht sehr schnell, ist schon fertig, wenn sie ihren ersten Satz spricht. Sie wird den Patienten in der geeigneten Gefühlslage ansprechen. Die interpersonale, also für zwischenmenschliche Beziehungen zuständige emotionale Intelligenz ist deutlich komplizierter und vielseitiger als die intrapersonale.75 Sie ist ein angeborenes Instrument mit zahlreichen Variationen oder Anwendungsmöglichkeiten, wie wir gleich erkennen werden. Sie baut auf der Fähigkeit zur Empathie auf, geht also aus vom Verstehen des anderen und vom Verständnis
75
Ihre Ursprünge liegen in den Gehirnen sozial lebender Tiere, schon die Affen weisen in dieser Beziehung ausgeprägte Fähigkeiten auf. Der Mensch benötigt sie besonders. Denn ohne andere Menschen ist er kaum überlebensfähig, schon gar nicht in unserer Zivilisation. Daher ist es auch überlebenswichtig, mit anderen Menschen intelligent zu kommunizieren.
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für ihn.76 Auch der andere hat doch, das kam schon zur Sprache, seine eigenen Wertungen mit entsprechenden Markern an allen Einstellungen und Erfahrungen. Aber er drückt sie meistens nicht mit Worten aus. Er teilt sie uns, falls überhaupt, nonverbal mit.
11.3 Intuition umfasst viel gefühlsmäßige Erfahrung Eine Stufe komplexer als die normale Erfahrung ist das, was wir als Intuition bezeichnen. Es könnte sein, dass der Patient nach der zweiten Untersuchung, also nach dem anstrengenden BelastungsEKG auf der Station von der Lernschwester Renate in Empfang genommen wird. Sie möchte den Patienten gleich noch ins Bad mitnehmen, um ihn auf einen Eingriff vorzubereiten. Der hinzukommenden Schwester Elke fällt irgendwie der etwas schleppende Gang des Patienten, das fahle Gesicht, der eigenartig gequälte Zug um Mund und Augen auf. Sie hat das unbestimmte Gefühl, dass es ihm plötzlich ganz schlecht geht. Und sie reagiert ohne lange Diskussion. Vielleicht erinnert sie sich an den entsprechenden Anblick eines bestimmten anderen Patienten, an den sie schon so lange nicht mehr gedacht hatte, oder ihr Gehirn stellt Vergleiche mit unbewussten Einzeldaten von vielen Kranken in ihrer Erinnerung an, die sie einzeln gar nicht mehr rekonstruieren kann, und die als integrierter Gesamteindruck in ihrem Gehirn weiter bestehen – jedenfalls hat sie diese Ahnung, eben diese Intuition77, dass ein gefährlicher Notfall im Anzug sein könnte. 76 Das
momentane (Mit-)Gefühl wird also im Präfrontalhirn präsentiert und anhand der relevanten Erfahrungswerte aus den Erinnerungsspeichern geprüft und gleichzeitig mit der aktuellen Absicht verglichen. Daraus wird dann, wie schon besprochen, eine Handlungsintention gebildet, die in die Tat umgesetzt werden kann, sofern nicht Gesichtspunkte aus der Umwelt noch neue Informationen liefern. (Auch Sprechen ist in diesem Sinne eine Handlung.) 77 Intuitionen müssen natürlich nicht richtig sein. Aber sie repräsentieren wichtige Erfahrungen, wahrscheinlich die interpolierte Summe aller bisherigen Erfahrungen in ähnlichen Situationen. Man sagt: Intuition bedeutet, „etwas zu wissen, von dem wir nicht recht wissen, warum wir es wissen“.
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11.4 Emotional intelligenter Umgang mit der Gruppe Der Fähigkeit zur Menschenkenntnis ist das verwandt, was man als instinktive „soziale Analyse“ bezeichnet. Wer zu einer Gruppe Menschen hinzukommt, also zum Beispiel in eine Konferenz, sollte sich zunächst dieser Fähigkeit bedienen, ehe er etwas sagt. Wenn er einige Zeit nur zuhört und beobachtet, wird er spüren, wer in der Gruppe den Ton angibt, wer zur Opposition gehört oder persönliche Aversionen gegen gewisse Kollegen hat, oder wie sie ihn, den neu Hinzugekommenen, aufnehmen und einordnen. Diese Fähigkeit hat viel mit der Empathie gemeinsam, bedient sich ihrer sicher teilweise. Mancher hat sie, ein anderer tut sich schwer damit, weiß vielleicht gar nicht, was ihm entgeht. Er muss versuchen, die Lücke mit dem Verstand auszufüllen. Und die Konsequenz liegt auf der Hand: Man wird, wenn man schließlich selbst in die Diskussion eingreift, die gewonnenen Erkenntnisse über die zwischenmenschlichen Beziehungen ganz automatisch in das eigene Verhalten einbeziehen. Wenn es um schwierige Themen geht oder um solche, die einen direkt betreffen, wird man sich diese Untertöne der Kommunikation gar nicht ausdrücklich überlegen können. Man muss ja die logischen Schritte der Diskussion genau verfolgen. Aber die emotionale Intelligenz hilft, sie nebenher, unbewusst zu verwerten, also den Dominanten in der Gruppe vielleicht mit gewisser Vorsicht anzusprechen und mit dem, der zustimmend zu fühlen scheint und ein möglicher Verbündeter ist, Blickkontakt aufzunehmen. Man kann sich vorstellen, dass diese Fähigkeit auch bei sozial lebenden Tieren von Bedeutung ist. Beim Menschen ist sie immer wieder wichtig, nicht nur bei der Begrüßung nach Rückkehr aus dem Urlaub oder bei der Versetzung in eine andere Station. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie bei der Visite im Dreibettzimmer jeweils die beiden gerade nicht betroffenen Patienten das visitierende Team in dieser Hinsicht beobachten. Sobald die Visite weitergezogen ist, heißt es: „Haben Sie bemerkt, wie …?“ Und wer eine Führungsposition innehat und sich klar gemacht hat, dass er auf Kenntnis der Psychodynamik in seiner Gruppe angewiesen ist, wenn er einen modernen Führungsstil pflegen
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will78, benötigt sie noch mehr. Ohne „Gespür“ für die Stimmung in der Mannschaft würde man die Fäden nicht lange zuverlässig in der Hand halten können und zum Beispiel aufziehenden Unmut oder sich aufbauende Krisen nicht rechtzeitig erkennen, um gegensteuern zu können. Wie denken sie wirklich über meine neuesten Anweisungen? Sind sie noch begeistert bei der Sache? Glauben sie mir, dass ich ihr Bestes will? Um sicher zu gehen, sollte man zusätzliche Situationen suchen, in denen die Mitarbeiter eher ihre Gefühle zeigen, bei einer gemütlichen Besprechung mit Kaffee und Gebäck zum Beispiel. Der Führende benötigt die Kenntnis emotionaler Schwingungen in seiner Gefolgschaft aber nicht nur für die Planung seiner Ziele und seiner Strategie. Er benötigt sie ganz besonders und auf aktuellstem Stand für seine Hauptaufgabe, für das Motivieren der Nachgeordneten. Andere motivieren bedeutet, sie zu beeinflussen. Übrigens ist auch Konfliktmanagement eine Fähigkeit, die auf einer vermutlichen Eigenform der interpersonalen emotionalen Intelligenz beruht. Es gibt Menschen, mit denen man sich einfach nicht streiten kann. Durch ihr bewusst rücksichtsvolles Verhalten geben sie kaum Anlass zu Beschwerden. Und wenn sich eine Krise ankündigt, sind sie stets zur Deeskalation bereit. Die muss durchaus nicht im Nachgeben bestehen. Deeskalation verlangt ja zunächst lediglich, die Emotionen aus dem Konflikt herauszuhalten. Und hier sind wir mitten im Thema: Es gilt rechtzeitig zu spüren, wann eine Diskussion zu emotional werden könnte. Dann steuern erfahrene Teilnehmer automatisch dagegen, aus der „Eingebung“ heraus. Und genau das ist „emotional kompetent“. Dieselben Menschen, die selbst friedlich sind, hat man meist auch gerne zur Seite, wenn es gilt, einen Streit mit einem Dritten durchzustehen oder zu schlichten. Zugegeben, dann kommt es vordergründig auf gute (rationale) Argumente an. Aber sie müssen in einfühlsamer Weise vorgebracht werden, will man nicht noch Öl ins Feuer gießen. Und wenn die Fronten verhärtet sind und der Streit doch weiter eskaliert (wie etwa im Beispiel von Station C3 in Kapitel 10), ist es auch eine emotional fundierte Kunst, zum rechten Zeitpunkt abzubrechen und zu vertagen mit der glaubhaft vorgetragenen Bereitschaft zum Kompromiss und zur späteren Einigung. 78
Einzelheiten s. Seidel
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Dafür muss man seine eigenen Gefühle noch im Griff haben, muss also Selbstbeherrschung zeigen, automatisch also ein entsprechendes emotionales Muster intelligent durchsetzen, wie im vorigen Kapitel beschrieben.
11.5 Kontaktfreudigkeit und Anteilnahme Aber kehren wir zur friedlichen Kommunikation zurück. Es gibt kontaktfreudige Menschen, die gerne und bei jeder passenden Gelegenheit das Gespräch suchen und aufnehmen. Es ist eine förderliche Eigenschaft für Beschäftigte im Krankenhaus, weil es da aus vielerlei Gründen auf eine funktionierende Kommunikation mit den Patienten ankommt, ja, wo der Erfolg der Arbeit überhaupt auf dem verstehenden Kontakt mit dem Kranken beruht. Als Beispiel haben wir schon über die Bedeutung gesprochen, die das Gespräch für die richtigen Annahmen und damit für die Stimmung des Kranken hat. Es gibt (besonders ältere) Patienten, die mit einer langen Liste der eigenen bisherigen Erkrankungen zum Arzt kommen. Oft sind darin die eigenen Gefühle und Gedanken vermerkt. Derartige Auflistungen sind sehr wertvoll, auch wenn der Arzt sie nicht gleich lesen kann oder will. Vielleicht stuft er den Kranken als Pedanten oder Hypochonder ein. Die Liste wird in den Krankenunterlagen abgelegt und in der Folge von vielen gelesen. Die Spezialisierung, die Arbeitsteilung und der Schicht- und Teilzeitdienst haben zu vielen sogenannten „Schnittstellen“ in der Untersuchung und Behandlung des einzelnen Patienten geführt, an denen viele Daten an immer neue Zuständige übergeben werden müssen. Dies geschieht zu erheblichen Teilen schriftlich. Der neue Zuständige liest dann vielleicht auch die Liste der Informationen vom Patienten, die dieser gar nicht jedes Mal erzählen könnte, nach denen er auch nicht gefragt wird. Aber unter den vielen Informationen könnten sich auch einmal Symptome von sehr seltenen Erkrankungen finden, an die man zunächst gar nicht denkt und die man bei der ersten Untersuchung gar nicht abfragt. Je häufiger die Liste durchgesehen wird, desto größer
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ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses seltene Symptom bei einem der Behandelnden die richtige Assoziation auslöst, auf die richtige diagnostische Fährte führt. Daher kann es unter gewissen Umständen sinnvoll sein, einen Kranken, der schon im Krankenhaus liegt und sich dort immer wieder mit seinen Beschwerden und deren Genese beschäftigt, zu bitten, eine solche Liste aller Symptome und deren zeitlicher Reihenfolge anzufertigen (und ihn damit zu beschäftigen). Die Neigung zur Kontaktaufnahme entspringt einem der angeborenen Bedürfnisse, die wir in Abschnitt 7.5 und 7.7 besprochen haben. Man fühlt sich zu anderen Menschen, zur Gemeinschaft hingedrängt. Der eine hat diese intrinsische Motivation stark, der andere weniger, aber jeder hat sie. Jedoch die Fähigkeit, das Gespräch dann einfühlsam und verbindend zu führen, ist eine Funktion der emotionalen Kompetenz. Das Gehirn führt Informationen der aktuellen Empathie mit Erfahrungsdaten zusammen. Die Gesprächsführung wird dann offen, zugewendet, vertrauensbildend ablaufen. Und sie wird effektiver. Man kann alles steigern und schließlich übertreiben. Auch in Ihrem Krankenhaus wird es Mitarbeiter geben, die mit allen bei jeder Gelegenheit reden, sie ausfragen, am Arbeitsplatz besuchen, die nicht nur fast jeden kennen, sondern die auch immer schon wissen, wo eine neue Methode eingeführt wird, oder welcher Prominente gerade eingeliefert wurde und was er hat. Die gleichen Kontaktfreudigen werden aber auch, wenn möglich, den anderen einen Gefallen tun oder ihnen interessante Hinweise geben. Sie knüpfen an einem großen Netz von persönlichen Beziehungen.79 Wenn man selbst nicht die Fähigkeit hat und den Drang verspürt, in der Nachbarschaft oder im Betrieb solche Netze zu knüpfen, sollte man entsprechende Menschen zum Freund haben. Es kommt der Samstag, an dem man unbedingt das Ersatzteil für ein wichtiges
79
Im Grunde ist das eine vorteilhafte Sonderform der Neigung zu kommunizieren, sicher zum großen Teil auch Neugierverhalten, also in jedem Fall intrinsische Motivation durch angeborene Bedürfnisse. Für das eher systematische Knüpfen solcher sozialer Netze postuliert Salovey sogar eine eigene Form der emotionalen Intelligenz. Jedenfalls ist es eine umfassende Hirnleistung, die zum Beispiel bei Fachleuten für die Vermittlung von Führungskräften (sog. Headhuntern) die entscheidende Berufsgrundlage darstellt.
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Gerät, einen Spezialisten für den abgestürzten Computer oder eine weiterführende Information braucht. Der „Netzwerker“ weiß dann nicht nur, wo man dergleichen außerhalb der Dienstzeit finden kann, er hat dann auch so enge Beziehungen, dass er das Gewünschte zu dieser Tageszeit tatsächlich bekommt. Noch besser ist allerdings, wenn man diese Kompetenz auch bei sich selbst trainiert.
11.6 Mithilfe von Emotionen überreden Um einen anderen Menschen von einer Ansicht zu überzeugen, an die er bisher nicht glaubt, oder um von ihm etwas zu bekommen, was er eigentlich nicht hergeben wollte, muss man ihn beeinflussen können. Wir haben vom Beeinflusstwerden (aus der Sicht des Gegenüber) schon im Zusammenhang mit den emotionalen Markern in Kapitel 1 gesprochen. Der Gegenüber macht von sich aus nur das, was ihm am liebsten ist oder am wenigsten schadet. Und mit Überzeugungen, Ansichten, Glauben ist es genau so.80 Es ist ohne Zweifel eine intelligente Fähigkeit, jemand anderen umzustimmen. Sie findet auf verschiedenen Ebenen statt, besonders aber auf den emotionalen. Natürlich ist die Sprache und damit der Verstand das vordergründige Instrument zum Überzeugen anderer Menschen. Wahrscheinlich war das Überreden ein ganz entscheidender Grund für die Urmenschen, das Sprechen überhaupt zu „erfinden“, zu entwickeln und zu trainieren (neben der Mitteilung von Informationen). Man wollte den anderen außer mit brachialen auch mit geistigen Argumenten umstimmen. Wahrscheinlich hat man dann sehr bald herausgefunden, dass man auch auf der geistigen Ebene Gewalt anwenden kann (zum Beispiel als Erpressung oder Mobbing), und dass das sogar elegant und bequem funktioniert. 80
Grundsätzlich muss man beim Überzeugen einerseits die Kausalzuweisungen im Gehirn des anderen neu gewichten, muss vielleicht neue rationale Argumente überzeugend einführen. Andererseits muss man die emotionalen Gewichtungen beim Gegenüber zu verändern suchen, muss neue emotionale Marker setzen. Wir haben darüber besonders in Abschnitt 1.4 und 6.6 gesprochen.
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Wenn Stationsschwester Elke, die wir schon kennen, zum Verwaltungsleiter geht, weil sie der Meinung ist, dass die Einrichtung des Stationszimmers dringend erneuert werden muss, wird der zunächst ganz anderer Ansicht sein, wird viele Prioritäten für andere Investitionen aufzählen und damit kurzum begründen, dass kein Geld übrig sei. Schwester Elke hat damit gerechnet. Sie hat nun prinzipiell zwei Möglichkeiten. Zum einen kann sie es mit (rationalen) Sachargumenten versuchen, also den Wirtschaftsfachmann mit Zahlen zu aktuellen günstigen Möbelpreisen oder mit der Aufzählung von Paragraphen bezüglich mangelnder Arbeitssicherheit (ein Stuhl ist unter dramatischen Umständen zusammengebrochen, ein Regal umgefallen usw.) oder auch mit der Mängelrüge vom Wirtschaftskontrolldienst überzeugen. Sie kann also verhandeln, drohen, übertreiben, somit ihren Verstand einsetzen und ihn schließlich mit Gründen überzeugen, die in seinem Gehirn schwerer wiegen als seine bisherigen. Zum anderen kann sie sich aber auch für eine emotionale Taktik entscheiden. Vielleicht spürt sie, dass er ein „weiches Herz“ hat für Klagen von überarbeiteten Schwestern, oder dass er einem gewissen Augenaufschlag schwer widerstehen kann oder einer einschmeichelnden Stimme keine wirksame Waffe entgegenzusetzen hat. Sie kann es mit Charme, mit Bitten, mit Sympathie versuchen, sie kann Mitleid, Begeisterung, Bewunderung einsetzen, sie könnte mehr oder weniger drohend oder aggressiv die Stimme erheben. Vielleicht ist sie ja ein Typ, den keiner gerne zum Feind hat.
11.7 Emotionale Intelligenz und Gesprächstaktik Sie trauen Schwester Elke vielleicht nicht zu, dass sie ganz nüchtern kalkuliert, was für ein Mann der Verwaltungsdirektor ist, welche Schwächen er offensichtlich oder insgeheim hat, und wo andererseits ihre eigenen Stärken liegen in diesem Ringen für einen gut begründeten Zweck. Vielleicht verlässt sie sich in der Diskussion tatsächlich auf ihre spontanen Eingebungen. Sie vertraut dann auf ihre Erfahrung im Umgang mit Menschen im Allgemeinen, mit
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Männern vielleicht, speziell mit Verwaltungsfachleuten, oder gerade mit diesem Verwaltungsleiter, mit dem sie bei der letzten Weihnachtsfeier ins Gespräch gekommen ist, und bedient sich intuitiv ihrer Stärken jeweils dort, wo sie Schwächen beim Direktor zu spüren meint. Sie vertraut aber nicht nur auf ihre abgespeicherte Erfahrung, sondern vor allem darauf, dass ihre Intelligenz im entscheidenden Gespräch die richtigen Argumente und die zielführenden Taktiken finden und einsetzen wird. Sie muss ja auf jedes neue Argument des Verwalters mit ihrem Verstand und auf jede emotionale Regung möglichst geschickt mit ihren nonverbalen Überzeugungskünsten reagieren können. Beweglichkeit ist gefragt, Schnelligkeit, Treffsicherheit – emotionale Intelligenz. Liebe Leserin, lieber Leser, Sie erkennen wieder einmal, was Intelligenz bedeutet: „Intuitiv“ Chancen des Augenblicks als solche erkennen, die sich aus Änderungen in der Umwelt einerseits und den eigenen Fähigkeiten andererseits ergeben (oben hatte ich das „unbekannte Probleme“ genannt), und sie geschickt nutzen.81 Das Beeinflussen ist eine der Kernkompetenzen von Schwester Elke, muss es sein. Sie muss ständig Patienten zu deren Vorteil überreden, muss sie so umstimmen, dass sie schließlich das wollen, was sie eigentlich nicht vorhatten, und zwar möglichst so, dass es nicht als Zwang wirkt, sondern die Patienten glauben, dass sie es zu ihrem Vorteil machen: morgens nüchtern bleiben, ein hässliches, hinten offenes Hemd anziehen, Rasieren an ungewöhnlichen Stellen, keinen Schmuck tragen usw. Schwester Elke muss aber auch ihre Mitarbeiter zum Dienst zu ungünstigen Zeiten einteilen, muss ihnen auch ungeliebte Aufgaben zuweisen, muss für Disziplin sorgen, sich gegen Übergriffe herrschsüchtiger Pfleger behaupten, alles möglichst unter Wahrung des Arbeitsfriedens, möglichst sogar so, dass ein gutes Arbeitsklima erhalten bleibt.
81
Fast möchte man die Unterscheidung zwischen rationaler und emotionaler Intelligenz aufgeben, so eng müssen die beiden zusammenarbeiten. Und sie scheinen ja tatsächlich im Präfrontalhirn nicht durch erkennbare anatomische Grenzen von Zentren gegeneinander abgegrenzt zu sein.
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11.8 Die Stimmung anderer beeinflussen: Lachen ist gesund Eine gute Stimmung macht man sich übrigens nicht nur selbst, wie in Kapitel 6 besprochen. Man kann sie auch bei anderen erzeugen. Das ist eine Form der Beeinflussung, über die wir weiter unten noch sprechen werden, geradezu eine berufliche Aufgabe aller im Krankenhaus Beschäftigter. Man wird ihr nicht gerecht mit dem geschäftsmäßigen Lächeln des Dienstleisters. Die befohlene und erlernte Freundlichkeit der Verkäuferin in der Boutique zündet nicht bei Menschen, die sich um ihre Gesundheit Sorgen machen. Über wohlfeile Sprüche freuen sich nur wenige. Willkommen ist ehrliche, von Herzen kommende Fröhlichkeit. Gute Stimmung befördert nachweislich das Gesundwerden, zum Teil, weil sie den Genesungswillen des Patienten verstärkt, im Gegensatz zu Depressivität und Verzweiflung.82 Dass Lachen verbindet und dass es, wenn es nicht gekünstelt ist, Vertrauen schafft, weiß jeder. Was er vielleicht nicht weiß: Den für den Eindruck eines ehrlichen, offenen Lachens entscheidenden Musculus orbicularis oculi (Ringmuskel um das Auge) kann man nicht willentlich, sondern nur von limbischen Rindenregionen aus und damit nur zusammen mit dem Gefühl der Freude innervieren. Alle Bemühungen der Verkäuferin bleiben als gut gemeintes, aber gespieltes Gefühl erkennbar. Jeder beobachtet und erkennt das wahre nonverbale Signal. Jeder Fotograf sucht das natürliche Lächeln mit einem Witz hervorzulocken, weil die Mimik nicht als typisch fröhlich, sondern als gestellt empfunden wird, wenn man nur „Cheese“ oder Ähnliches sagt. Die „stets fröhliche Schwester“ wird von allen Kranken gelobt. Es mag ihr nicht leicht fallen, den ganzen Tag echten Frohsinn zu verbreiten, in sich eine wirkliche lebensfrohe Grundstimmung zu erhalten, zumal sie nicht ständig auch fröhliche Rückmeldungen bekommt, und weil sie sich ja schließlich sehr auf ihre Arbeit konzentrieren muss, damit sich keine Fehler einschleichen. Nicht jeder hat die Anlage, hat das Bedürfnis, andere ständig zu guter Stimmung zu motivieren. Manchem fällt es sogar schwer. Aber
82
s. bei Goleman 1999
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er sollte an sich arbeiten. Die emotionale Intelligenz muss helfen. Sie organisiert das, was wir wirklich anstreben, ist also Voraussetzung dafür, die fröhliche Einstellung zu wollen. Man muss sie immer und immer wieder bewusst als die beste anstreben. Schließlich wird das geplante Streben zu einem automatischen Verhalten (s. Abschnitt 14.4). Natürlich ist auch der Arbeitgeber gut beraten, alles zu tun, was in seiner Macht steht, um das Arbeitsklima zu verbessern. Im Management- oder Mitarbeitergespräch muss dieses Bestreben eine große Rolle spielen.
11.9 Das Selbstwertgefühl richtig einsetzen Zum Beeinflussen zählt auch das Einschüchtern. Manche Menschen können schon durch die bloße Art, wie sie in der Tür erscheinen und die Stimme erheben, jeden Widerspruch im Keim ersticken, können die meisten anderen rein psychologisch in eine unterlegene Position zwingen. So kann man seinen Patienten angemessene Ehrfurcht vor der Bedeutung des „großen Arztes“ einflößen. Im heutigen Krankenhaus ist allerdings eher Autorität durch Leistung und menschliche Haltung gefragt als autoritäres Gehabe. Aber viele Menschen lassen sich nachweislich schon durch die bloße Tatsache einschüchtern, dass man sie zu einer irgendwie unterprivilegierten Minderheit zählt, mit Recht oder nicht. Ein Beispiel: In vielen Testgruppen hat man gezeigt, dass Männer und Frauen übliche mathematische Aufgaben gleich gut und gleich schnell lösen können. Wenn man aber bei der Einführung vor dem Test ganz nebenbei die Bemerkung fallen lässt, dass man in diesem Test herausfinden möchte, ob Frauen schlechter rechnen können als Männer, ist prompt die Rechenleistung der teilnehmenden Frauen niedriger als die der Männer. Ihr Selbstwertgefühl hat der Versuchsleiter durch den bloßen Hinweis auf das verbreitete Vorurteil bereits beeinträchtigt. Durch Stigmatisierung gelang es ihm, ihre mentale Leistungsfähigkeit zu vermindern! Ähnlich konnte man die Leistung farbiger Studenten gegenüber derjenigen der weißen drücken.
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Bei Patienten spüren wir oft, dass sie sich längst in gewisse benachteiligte Gruppen eingeordnet und damit den Gesunden untergeordnet haben. Sie äußern irgendwie resigniert: „Ich weiß, dass ich wetterfühlig bin“ oder „Meine Eltern waren auch übergewichtig“. Arzt oder Schwester drängen leider nicht selten ihre Patienten in entsprechende Ecken, wenn sie mit ihrem statistischen oder genetischen Wissen prahlen: „Soso, die Mutter Ihres Vaters hatte also Krebs. Dann sollen wir besonders genau …“ oder: „Bei älteren Erstgebärenden wie Sie weiß man, dass …“ Man muss sich da selbst sehr zurückhalten und der Voreingenommenheit beim Kranken argumentativ und emotional überzeugend entgegentreten. Wichtig ist dann allerdings, dass der Patient ohne Gesichtsverlust von seiner vorgefassten Meinung lassen kann: „Es gibt jetzt ganz neue Erkenntnisse, dass Sie keine Sorgen mehr haben müssen. Gerade habe ich eine wichtige Arbeit aus einer berühmten Klinik gelesen …“ Man hat es mit tief eingeprägten, oft im Unterbewussten schwer zugänglichen emotionalen Markern und Konditionierungen zu tun.
11.10 Menschliches Miteinander und Arbeitsklima Eine andere Kernkompetenz – nicht nur der Stationsleitung, sondern jeder Führungskraft, eigentlich jedes Mitarbeiters im Krankenhaus – sollte das sein, was man meist als soziales Engagement bezeichnet. Gemeint ist, dass man sich nicht nur für seine Mitmenschen und deren Leben interessiert, sondern aufbauend auf diesen Informationen mit ihnen einfühlsam kommuniziert. Als Voraussetzung braucht man das angeborene Bedürfnis, sich zu anderen hingezogen zu fühlen. Voraussetzung ist auch, dass man das Glück und das Leid, die Hoffnungen und Enttäuschungen derjenigen, mit denen man wiederholt zu tun hat, so gut wie möglich kennt. Für ein gutes Miteinander genügt es eben nicht, wenn der Chefarzt seiner Sekretärin aufträgt, eine Geburtstagliste der Mitarbeiter aufzustellen, jeweils am Geburtstag einen Blumenstrauß zu kaufen und zeitgerecht mit seinen Grüßen zu überreichen. Er sollte lernen, auf den anderen einzugehen, mit echtem Interesse und gegebenenfalls mit Mitgefühl.
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Gerade auch der weniger hoch gestellte Mitarbeiter registriert diese Feinheiten sehr genau. Man sollte wissen, ob er gerade bei einer Weiterbildung war und eine Prüfung bestanden hat, dass er heiraten oder eine Wohnung kaufen will, dass die betagte Mutter krank ist und demnächst aufgenommen werden muss. Man sollte bei jeder passenden Gelegenheit darauf eingehen, sollte Mitgefühl zeigen und aktiv helfen. Gegenüber Patienten gilt Ähnliches, auch wenn sie nur wenige Tage auf der Station bleiben oder erst in einem Jahr wieder kommen. Es gibt Menschen, für die dieses Sich-um-den-anderen-Kümmern ein Bedürfnis ist, und die das Talent haben, sich die entsprechenden Daten sorgfältig zu merken und richtig einzuordnen und bei nächster Gelegenheit parat zu haben. Die emotionale interpersonale Intelligenz hilft dann, die ehrlich Anteil nehmende Kommunikation im geeigneten Augenblick mit der richtigen Körpersprache zu führen. Sie sind deshalb beliebt, vielleicht sogar stadtbekannt, freuen sich darüber und pflegen die Verbindungen umso intensiver. Menschen, die in dieser Hinsicht weniger begabt sind, sollten sich bemühen, eine entsprechende Kompetenz aufzubauen.
11.11 Keine Antwort ist eine schlechte Antwort Eigentlich können wir gar nicht nicht kommunizieren. Keine Antwort ist auch eine Antwort, heißt es. Nichts zu sagen kann schlimmer als eine unbefriedigende Erklärung sein. Wenn die Schwester oder gar der Arzt den Raum verlässt, ohne auf die letzte besorgte Frage des Patienten zu antworten, wenn sie die Frage überhören, weil sie in ihren Augen nicht wichtig erscheint oder schon mehrfach behandelt wurde, und weil sie ja rasch weiter müssen, haben sie in der Vorstellung und in der späteren Erinnerung des Patienten vielleicht ungewollt eine sehr schlimme Befürchtung „bestätigt“, die er schon lange insgeheim mit sich herumtrug. Er meinte schon lange zu wissen, dass „man“ sich absichtlich um die befürchtete nachteilige „Wahrheit“ drückt. Die Betreuer haben dann leichtfertig die Verstärkung einer Kausalatt-
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ribution bewirkt, die ihnen in der weiteren Therapie Probleme bereiten wird.83 Man kann also auch Kompetenzen erwerben und befördern, die von der Allgemeinheit als ungeeignet eingestuft werden, vielleicht nach einigem Nachdenken sogar von uns selbst. Aber dann gilt es, Argumente zu akzeptieren, die dagegen sprechen und die bei der künftigen Bildung eines eigenen Willens als gewichtige, entscheidende Ursachen gelten können. Über die Beeinflussung des eigenen Verhaltens, also über Lernen werden wir im Kapitel 14 reden. Zunächst werden wir im nächsten Kapitel psychologische Fehlbewertungen beim Patienten besprechen, mit denen er sich selbst und andere unbewusst täuscht. Es wird um psychisch bedingte Veränderungen der Symptomatik von Erkrankungen und um deren Behandlung mit Placebos gehen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 11 • Emotionen werden ganz überwiegend nonverbal mitgeteilt, also mittels Körpersprache, durch Mimik, Tonfall, Betonungen usw. • Pacing bedeutet, sich mithilfe der Sympathie in die Gefühlslage des Gegenübers zu versetzen, um den richtigen „Ton“ zu finden. • Menschenkenntnis ist überwiegend eine unbewusste Erfahrung mithilfe der Empathie und der emotionalen Kompetenz. • Der „erste Eindruck“ von einem Menschen schützt uns insbesondere vor Gefahren, kann aber täuschen. • Als Intuition präsentiert das Gehirn die Summe einschlägiger Erfahrungen. Einzelheiten daraus sind oft nicht mehr erinnerlich. 83
Man kann auf diese Weise unbewusst und ohne Absicht Ängste erzeugen. Es mag eine schlechte Angewohnheit des Arztes sein, gelegentlich einfach schweigend wegzugehen. Diese Angewohnheit kann von der emotionalen Intelligenz präsentiert und organisiert sein. Vorraussetzung wäre, dass er dieses Verhalten in der Vergangenheit für nützlich befunden, dass er eine Bequemlichkeit nicht ausdrücklich bekämpft hat. Er sollte es künftig tun.
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• Soziale Analyse bezeichnet die Fähigkeit, die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gruppe und deren Dynamik zu erspüren. • Zur Prophylaxe handfester Streitigkeiten müssen die Emotionen aus der Diskussion herausgehalten oder wieder gezügelt werden. • Man beeinflusst einen anderen, indem man nicht nur dessen (kausale) Argumente ändert, sondern auch dessen emotionalen Marker zum eigenen Nutzen beeinflusst. • Um einen Menschen zu überreden oder zu überzeugen, kann man ein ganzes Bündel emotionaler Taktiken einsetzen. • Man kann andere Menschen durch Angst einschüchtern, aber auch durch Beeinträchtigung ihres Selbstwertgefühls und Selbstvertrauens.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Das Krankenhaus wird heute zur Serviceeinrichtung erklärt. Das Personal hat darauf zu achten, dass den Kunden (Patienten) die bestmögliche Betreuung zuteil wird. „Der Kunde ist König“. Er ist stets höflich und zuvorkommend zu behandeln. Zuwiderhandlungen werden personalrechtlich verfolgt. – In den Augen der Geschäftsleitung wirbt das moderne Krankenhaus um die Kunden, möchte im Konkurrenzkampf mit umliegenden Häusern „gut aufgestellt“ sein, und fordert daher vom Personal den größtmöglichen Einsatz, der Effizienz wegen. Man kann aber auch einfach die mehr oder weniger bedauernswerten Kranken empfangen und sie so sorgfältig, fachgerecht und einfühlsam pflegen, wie man es seinem Berufsethos schuldig ist, eben mit emotionaler Kompetenz. Wenn dann Beschwerden kommen wie über Schwester Claudia im ersten Beispiel, unterstreicht das in meinen Augen nur, dass alle übrigen ihren Beruf richtig verstehen und leben. Schwerster Claudia fällt auf, fällt als einzige aus der Rolle. Man kann das in aller Ruhe diskutieren, beim ersten Mal unter vier Augen, im Wiederholungsfalle in der ganzen Gruppe. Das (gemeinsame) gute Arbeitsklima ist für alle bedeutsam, nicht nur für die Kranken. Unter Konflikt versteht man in der Soziologie ganz allgemein das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen, sei es nun bezüglich des Ziels oder eines Wegs dahin. Entscheidungen sind gefragt und werden
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Teil III: Intelligenz: Nutzung der Datenspeicher
häufig in Form von Kompromiss oder Konsens gefällt. Auch scheinbar unbedeutende Konflikte können hochgradig mit Emotionen in Form von Wünschen, Hoffnungen oder auch Ängsten verbunden sein. Sowohl beim Austausch von Argumenten als auch bei der Lösungsfindung ist daher emotionale Intelligenz ein Hauptfaktor. Der „Klügere gibt nach“, heißt es. Der emotional Klügere bemüht sich rechtzeitig um Deeskalation der Gefühlskomponenten. Hier nur mein Lob, dass fast alle erfahrenen Krankenschwestern diese Besänftigungstechnik zur Deeskalation der Affekte auch bei „schwierigen“ Patienten meisterhaft beherrschen. Jedem aufkommenden Ärger beim Kranken muss man sofort und geschickt begegnen können. Sind mehrere Patienten beteiligt, ist auch Diplomatie gefragt. Vermeiden Sie insbesondere eine patzige Antwort. Die darauf folgende Verstimmung ist oft bis zur Entlassung des Patienten nicht mehr zu beheben. Auch die liebevolle Schwester kann, wenn sie das Zimmer ordnet, nicht genau wissen, was sie nebenbei mit ihren Worten anrichtet. Die spaßige Bemerkung ist vielleicht nicht als solche verstanden worden und hat dem Kranken einen Schrecken eingejagt. Kommunikation so nebenher, unkonzentriert, ist leider gerade im Krankenhaus nicht ohne Risiko, obgleich es ja gut gemeint ist, im durchrationalisierten Krankenhaus wenigstens diese Zeit für zwischenmenschlichen Kontakt zu nutzen. Nicht jeder versteht überhaupt Spaß, nicht jeder verträgt ihn in jeder Situation, und nicht jeder vermag ihn überhaupt zu erkennen, wenn er sich nämlich nicht frei bewegen kann und daher die Mimik nicht sieht oder den Unterton nicht hört.
Teil IV Anwendungen, Informationen
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Placeboeffekte und Wunderheilungen
Als das Sedativum Valium neu eingeführt wurde, war man allgemein überrascht über dessen ausgeprägte und zuverlässige Wirkung, die zuvor in keiner Substanzklasse auch nur annähernd erreicht worden war. Nach einem Jahr war die Wirksamkeit des Präparates allerdings um ein Drittel abgefallen. Bei Ärzten und Schwestern waren neue Untersuchungen über mögliche Nebenwirkungen und über Versager bekannt geworden. Die Begeisterung war einer realistischen Einschätzung gewichen … Erst waren es nur vereinzelte Patienten, die über Kopfund Nackenschmerzen, häufige Übelkeit, Konzentrationsschwäche und ein allgemeines Krankheitsgefühl klagten, dann waren es schließlich etwa 200 in jenem Wohnviertel von Tübingen. Da konnten wohl nur Umweltgifte im Spiel sein, und man verdächtigte die Landwirte und ihre Chemikalien auf den angrenzenden Feldern. Ämter und Ministerien, sodann Untersuchungslabors aus der ganzen Bundesrepublik wurden gerufen, fanden aber keinerlei Normabweichungen, weder auf den Äckern noch in der Luft noch im Blut der Patienten. Nach einigen Jahren ging die „Tübinger Krankheit“ wieder zurück. Die beliebte Ärztin des Vororts war in eine andere Stadt gezogen …
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Wir haben schon von der Hypothese gehört, dass das Affengehirn wahrscheinlich so groß sei, weil die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Horde deutlich differenzierter und komplexer ist als bei anderen höheren Tieren, und weil sich das Einzeltier damit besser anpassen kann. Das menschliche Gehirn ist nochmals ganz wesentlich größer. Wir haben von der Vermutung gesprochen, dass wesentliche Teile dieses Zuwachses an Größe, der einen Zuwachs an Kapazität bedeutet, primär gar nicht wegen des technischen Verständnisses zustande kam, das die Entwicklung von Werkzeugen und damit letztlich die Unterwerfung der Erde und jedenfalls auch des Tierreiches ermöglichte. Viel wichtiger als Waffen und Werkzeuge – so die Hypothese – sei die Entwicklung der Sprachfähigkeit gewesen. Damit konnte der Urmensch seine Artgenossen ungleich besser informieren als mittels Gefühl und Empathie. Er konnte mitteilen, was er erlebt hatte, was er erdacht und erfunden hatte, wo es Vorteile gab und wo Gefahren lauerten, aber auch, was ihm Freude bereitete oder – noch wichtiger – was ihm Angst einflößte.
12.1 Die Sprache ermöglicht Informationen – und entsprechende Marker Die Vermittlung von Gefühlen war nicht mehr ausschließlich auf die Empathie des Zuhörers angewiesen. Was das Affenkind, wie wir erfahren haben, noch sehen und erleben muss, damit es Angst vor Schlangen hat, kann die Menschenmutter ihrem Kind einfach erzählen, als Geschichte oder Märchen zum Beispiel, allerdings am besten wieder mit dem mimischen Ausdruck der Angst. Der Gefahr kann mithilfe der Sprache viel leichter vorgebeugt werden. Es können aber auch über Gefahren oder über die Mitmenschen Geschichten erzählt werden, die nicht wahr sind, und das in praktisch beliebiger Menge. Es müssen nicht gleich Lügen sein. Übermittelt werden auch Gerüchte und Aberglauben, z. B. darüber, was gesund und was krank macht.
12. Placeboeffekte und Wunderheilungen
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Der menschliche Geist kann sich also Szenarien frei erfinden, und er kann sie mit entsprechenden Gefühlen kombinieren, zum Beispiel mit Ängsten. Er kann sich vorstellen, dass die Schmerzen, die er plötzlich in der Schulter und im Genick verspürt, nicht von irgendeiner Zerrung herrühren, sondern durch einen Zauberspruch oder durch ein offenes Fenster bedingt sind. Oder ein anderer kann es ihm einreden, kann es mit Argumenten oder Behauptungen „beweisen“. Der in Abschnitt 8.1 geschilderte Motorradfahrer hat – unbewusst und ungewollt – aus Wut über den Unfallgegner und/oder aus Enttäuschung über die nun geplatzten Wochenendpläne nicht nur seine Schmerzen, sondern auch andere Symptome selbst erheblich verstärkt und deren Heilung erschwert, und zwar klar zu seinem eigenen Nachteil. Derartige Psychoreaktionen bis hin zur Rentenneurose haben eine große klinische Bedeutung. Man tut dem Verstand zu viel Ehre an, wenn man davon ausgeht, dass alles, was man sich vorstellt oder einbildet, durch rationales Denken und Schussfolgern entstanden ist. Gedankeninhalte können – jedenfalls im Traum und in unkonzentrierten Augenblicken – ohne logisches Denken auftauchen. Besonders in serotoninarmen Nachtstunden können sie Ängste verursachen und mit Ängsten verknüpft werden. Solche Gedanken mögen unbewusst ein Eigenleben führen können, und zwar mit den damit koordinierten Gefühlen. Wir wissen noch nichts Genaues darüber, und ich will nicht spekulieren oder gar in die Psychoanalyse oder Traumdeutung einsteigen. Ich will im Folgenden zwei interessante und für die Klinik wichtige Phänomene abhandeln, bei denen das emotionale System im Unbewussten eine Rolle spielt. Das eine Phänomen ist der Placeboeffekt.
12.2 Den psychisch entstandenen Schmerz zentral bekämpfen Über Markus P. und seine Zahnschmerzen hatten wir schon in Abschnitt 5.1 gesprochen, und jeder kennt Ähnliches aus eigener Erfahrung: Abends registrierte man im Rahmen des Körpergefühls ein Missgefühl und konnte (bewusst) bei Rückverfolgung der „Kartenaufarbeitungen“ bis zum somatosensorischen Bereich
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
feststellen, dass es sich um einen Schmerz im rechten Oberkiefer handelt. Dieser Schmerz war auch in der Zahnarztpraxis am nächsten Morgen noch da, vielleicht etwas schwächer durch die Schmerztablette, vielleicht etwas stärker, weil die Wärme den Entzündungsprozess angefacht hatte. Der erlebte Anteil des Schmerzes dagegen wurde in der Nacht zum Spielball psychischer Einflüsse. Wir haben auch schon über den nächtlichen Abfall des Serotoninspiegels gesprochen und darüber, dass dann bedrohliche Gedanken und Depressivität die Oberhand gewinnen können. Man kann sich nachts in vielerlei Ängste hineinsteigern, auch in solche vor Schmerzen und zugehörigem Ungemach. Es ist die Aufgabe der Nachtschwestern und der diensthabenden Ärzte, mit diesem Phänomen fertig zu werden. Und es gehört zu ihrer Erfahrung, dass selbst potente periphere Schmerzmittel wenig helfen und zentrale eigentlich als „zu schweres Geschütz“ gelten. Einwirkungsversuche am „zentralen“ Angriffspunkt des Schmerzmittels kann man auch mit Beruhigungs- oder Schlafmitteln unternehmen. Und nicht selten wirken am besten die genau abgezählten Baldrian- oder Vitamintropfen, die die Nachtschwester in Kombination mit der Autorität ihrer jahrelangen Erfahrung verabreicht. Sie helfen dann immer überwiegend als Placebo, ob sie nun bewusst oder unbewusst als solches gegeben werden.
12.3 Das Placebo wirkt im Unbewussten Das Placebo hat man definiert als das Symbol für die heilende Kraft des Arztes. Die Tablette als Symbol „verkörpert“ also gleichnishaft die helfenden Kräfte, die dem Arzt zugeschrieben und von ihm erhofft werden. Die Tablette repräsentiert diese Kräfte, ohne dass sie klar definiert werden müssen. Die Kräfte sind ein eher unbestimmter Begriff, auf den eine umfassende Erwartung gerichtet ist, und mit dem man einen besonders kräftigen emotionalen Marker verbindet. Die Form der Übergabe der Tablette sollte der Bedeutung des Symbols wenigstens dahingehend genügen, dass sie mit den Zei-
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chen der Überzeugung, des Glaubens an die symbolische Wirkung erfolgt. Eine angemessene Inszenierung der Begleitumstände („Zwei Schluck Wasser vorher, fünf danach, möglichst nicht zu kalt …“) wirkt nachgewiesener Maßen deutlich verstärkend. Der Empfänger akzeptiert mit dem geschluckten Symbol die ihm innewohnenden (vorgestellten) Wirkungen in seiner mentalen Sphäre. Dort kann er sie gewissermaßen mit seinen Befürchtungen und Angstvorstellungen verrechnen oder (wenn wir die in Abb. 1.2 in Abschnitt 1.3 dargestellte Hypothese anwenden) gegen sie aufwiegen.84 Im günstigsten Falle werden die mentalen Überzeichnungen damit aufgehoben und sogar die objektiv vorhandenen Schmerzmeldungen einer organischen Krankheit am Zahn verdrängt, jedenfalls vorübergehend. Herr Michael V. hat erhebliche Verengungen seiner Beingefäße durch Arteriosklerose. Beim Gehen werden die Muskeln seiner Beine nur unzureichend durchblutet. Die Muskulatur meldet diese Minderversorgung nach kurzer Zeit, also zum Beispiel nach einer Gehstrecke von 300 Metern, weil dann die Kraftreserven im Muskelgewebe verbraucht sind und der Sauerstoffmangel über Metabolite (chemische Abbauprodukte) die Schmerznerven reizt. Nach einer kurzen Ruhepause, nämlich nach Ausgleich des Sauerstoffmangels, verschwindet der Schmerz, um nach erneuter gleicher Belastung, also nach den nächsten 300 Metern wieder aufzutreten. Die Begrenzung der Gehstrecke ist tägliche schmerzliche Erfahrung, ist reproduzierbar. Man hat sich angewöhnt, sie als (grobes) Maß für die Ausprägung der Mangeldurchblutung abzufragen. 300 Meter sind wenig. Man könnte schon eine Operation diskutieren, aber zunächst erprobt man natürlich die Wirkung durchblutungsfördernder Mittel. Tatsächlich steigt die Gehstrecke nach einigen Tagen auf 600 Meter. Ist die Verdoppelung der Gehstrecke nun die Wirkung des Medikaments? Falls man es genau wissen will, muss man zwei größere Gruppen von Patienten mit gleichen Be84
Ein Symbol kann also nur dort helfen, wo Symbole überhaupt Macht haben, im Bereich des Glaubens, des Unbestimmten und im gefühlsmäßigen System mentaler Strukturen. So bleiben sie in oder unterhalb einer Art Grauzone dieses Bewusstseins und sind für den Verstand nur dort zugänglich, wo sie sich als an rationale Erinnerungen oder Begriffe gekoppelt zu erkennen geben, also als vielversprechende Marker.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
schwerden und gleichem Befund bilden und dann der einen Gruppe das Medikament, der anderen ein Placebo geben, also Kapseln, die genauso aussehen wie die für die Durchblutungsförderung, die aber nur Zucker enthalten. Den Patienten der zweiten Gruppe sagt man, dass sie das wirksame Präparat bekommen, und auch ihre Betreuer sollten nicht erkennen können, wer welches Präparat bekommt. Man wird dann feststellen, dass es bei den Patienten mit dem Placebo ebenfalls zu einer Verlängerung ihrer Gehstrecke kommt, allerdings vielleicht nur auf 450 Meter. Diese Besserung der Symptomatik nennt man Placeboeffekt. Man muss dann aber annehmen, dass auch bei der richtigen („Verum“-)Tablette die Hälfte der Wirkung als Placebowirkung zu werten ist und das Pharmakon nur die Verlängerung der Gehstrecke von 450 auf 600 Meter bewirkt hat. Sicher spielt bei Placebowirkungen die Hoffnung, also eine positive Erwartungshaltung des Patienten eine fördernde Rolle.85 Diese Hoffnung kann auch der Therapeut entwickeln und offenbar auf seine Patienten übertragen. Er kann sie konditionieren. Fast jedes Medikament, das von der Pharmaindustrie mit großen, meist nicht ganz gerechtfertigten Vorschusslorbeeren eingeführt wird, hat anfänglich überhöht gute Wirkungen, wie sie beim Valium nachträglich sehr genau untersucht wurden. Was ich am Anfang des Kapitels geschildert habe, erlebte man auch bei vielen Cytostatika, Blutdruck- oder Cholesterinsenkern usw. Noch ist der genaue Wirkungsmechanismus in diesem „Reich der Symbole“ nicht bekannt.86 Dass er nicht nur existiert, sondern enorm wichtig ist, zeigt die Angabe, dass etwa 80 Prozent der Symptome aller Erkrankungen psychologische Anteile haben. Das gilt 85
„Symbol für die heilende Kraft des Arztes“: Man hat dieses Symbol verabreicht, und es hat im Gehirn im Reich der Symbole seine Wirkung getan, dort, wo vermutlich auch die Angst vor dem Schmerz oder irgendeine andere psychologische Einstellung wirksam war und objektiv vorhandene leichte oder gar nur unterschwellige Schmerzen erheblich verstärkte. Wir können uns vorstellen, dass bei jedem Therapieversuch auch Gedankeninhalte mit einem neuen emotionalen Marker eingeführt wurden. An der Information, dass nun ein gutes Mittel zur Verfügung steht, hängt der Marker, dass die Information sehr vorteilhaft und glaubhaft ist. 86 Oft wirkte auch das Wort des Arztes allein. In einigen Versuchsanordnungen half sogar die Placebotablette, wenn man dem Patienten sagte, dass er eine Zuckertablette bekomme.
12. Placeboeffekte und Wunderheilungen
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sogar für die Symptome von Verletzungen, wie das Beispiel des Motorradfahrers von Kapitel 8 zeigt. Sie alle konnte man mit Placebopräparaten oder Ähnlichem enttarnen. Es gibt also sehr viele Symptome von Krankheiten, die im Gehirn entstehen oder verändert werden und dann auch dort bekämpft werden müssen. Die Beschwerden bei vielen „funktionellen“ Erkrankungen dürften ähnlich zustande kommen. Und es gibt sogenannte „somatoforme“ Krankheiten, bei denen überhaupt keine organischen Veränderungen gefunden werden, und die das Befinden der Betroffenen doch stark beeinträchtigen, zum Beispiel Erkrankungen durch die Furcht vor unterschwelligen, allerdings nicht nachweisbaren Umweltgiften, vor Einflüssen der Klimaanlage oder vor Mondzyklen und Planetenkonjugationen.87 Es sind Krankheiten, wenn auch keine organischen, denn die Patienten haben Beschwerden und fühlen sich krank.88 Der versuchsweise Einsatz eines Placebo ist also immer richtig, wenn begründete Hinweise auf erhebliche psychogene Mechanismen bestehen und genügend Zeit gegeben ist, die Symbolwirkung abzuwarten. Das Placebo als solches hat ja keine Nebenwirkungen. Es birgt allerdings die beachtliche Gefahr, dass man organische Erkrankungen übersieht und objektive Heilungschancen versäumt. Das Placebo darf daher nie eine gründliche Diagnostik ersetzen. Da es die diagnostischen Untersuchungen aber auch nicht beeinträchtigt, kann man beides parallel laufen lassen. Bedeutsam ist, dass der Arzt oder die Nachtschwester selbst überzeugt sind, dass das Placebo im aktuellen Falle eine gute und wirksame Maßnahme ist. Man hat oft gezeigt, dass der Effekt umso 87
Die eingangs geschilderte „Tübinger Krankheit“ gehörte in diese Kategorie. Wenn Ärzte (unbeabsichtigt) durch Worte und/oder Verhalten zu einer Verschlimmerung der Symptomatik ihrer Patienten beitragen, spricht man von einem Noceboeffekt. Nicht selten kann ihn der Aufmerksame vermuten („Mein Hausarzt hat aber gesagt…“). Die Dunkelziffer dürfte gigantisch sein. 88 Wir geraten mit dieser Feststellung allerdings in Gegensatz zu jenen „klinischen Psychologen“, die die Ansicht vertreten, dass es gar keine psychischen Krankheiten gibt. Die Abgrenzung psychischer Besonderheiten gegenüber den Randerscheinungen des noch Normalen ist oft außerordentlich schwer bis unmöglich. Aus theoretisch-systematisierender Sicht können (subjektives) Krankheitsgefühl und Hilfsbedürftigkeit nicht als Argument für den Begriff Krankheit genügen.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
stärker ist, je gekonnter man die Applikation des Placebo inszeniert. Man kann sogar diskutieren, ob sich Arzt und Pflegepersonal nicht bewusst ein Stück weit mitreißen lassen sollten von den übertriebenen Versprechungen der Pharmahersteller, um wenigstens eine gewisse Zeit die psychologischen Zusatzeffekte für die Patienten zu nutzen. Psychotherapie ist kein Betrug. Es ist inzwischen durch große Studien ausreichend sicher bewiesen, dass die Akupunktur eine gewisse Wirkung haben kann, die über den Effekt von Sham-(Schein-)Maßnahmen hinausgeht. Die Mechanismen kennt man noch nicht. Erwiesen ist auch, dass dieser Effekt ebenso eintritt, wenn man die Nadeln nicht an den schulmäßigen Stellen (auf den vorgegebenen „Meridianen“) setzt, sondern weit daneben.89 Hier wie auch in der Homöopathie bezahlen die Krankenkassen mehr oder weniger bewusst eine wirksame Form der Psychotherapie, die man dann aber auch gezielt und ernsthaft als eine solche einsetzen muss.
12.4 Wundersame Heilungen von psychisch bedingten Erkrankungen Vom Wallfahrtsort Lourdes wie auch von manchen anderen Orten geht der Ruf aus, dass dort Wunderheilungen zustande kommen können. Manche chronisch Kranke suchen an solchen Heilsorten die Linderung ihrer Leiden. Erstaunliche Effekte werden berichtet. Jahrelang Gelähmte konnten wieder gehen. 89
Warum legen wohl die Chinesen so großen Wert auf ihre Meridiane und auf das Studieren und Befolgen der recht komplizierten Vorschriften? Ich nehme an, dass die alten chinesischen Ärzte gewusst haben, dass ein Großteil ihrer Wirkungen im Symbolbereich stattfindet, und dass es vorteilhaft ist, wenn der Anwender die Maßnahme mit großer Mühe als etwas Bedeutsames und entsprechend Schwieriges lernen muss. Er kann dann in dem ehrlich erworbenen Bewusstsein, dass er nun die Spezialregeln einer althergebrachten Kunst beherrscht, den Patienten deutlich erfolgreicher von der Wirksamkeit seiner Behandlung überzeugen, also eine zusätzliche Symbolwirkung erzielen, als wenn er im Grunde seines Denkens über „diesen chinesischen Hokuspokus“ spottet und dann nur die Effekte des Nadeleinstichs, nicht aber den zusätzlichen Placeboeffekt vermittelt.
12. Placeboeffekte und Wunderheilungen
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Man hat sich viel Mühe gegeben, die Mechanismen dieser Heilungen zu ergründen. Es zeigte sich zum Beispiel bei Lähmungen, dass einerseits die Funktion des neuromuskulären Apparates plötzlich wiederkam (als eigentliches „Wunder“), dass der Kranke wieder gehen konnte, dass sich aber andererseits seine Osteoporose (als Folge einer langen Funktionslosigkeit) erst nach Monaten der erneuten funktionellen Belastung wieder besserte. In organischer Hinsicht war kein Wunder geschehen. Es müssen äußere und innere (emotionale) Bedingungen zusammenkommen, damit sich eine plötzliche „Heilung“ überhaupt ereignen kann. Sehr bedeutsam ist die Auswahl des geeigneten Heilsortes. Ein Wunder könnte nicht im Nachbarort von Lourdes geschehen. Die äußeren Umstände müssen geeignet sein, damit der Kranke ohne Gesichtsverlust plötzlich zum Gesunden werden kann. Untersuchungen zeigen, dass der Kranke in einer Vorbereitungsphase auf das Erlebnis eingestimmt werden muss. Die große Hoffnung auf die Wirkung des berühmten Ortes wird intensiviert durch entsprechende überzeugende Berichte. Geld wird gesammelt, Lieder werden geübt, Gebete gesprochen, Abschiedsveranstaltungen und geistige Übungen bewirken das Ihre. Auf der Reise sind Gruppeneffekte mit anderen Hoffenden ein sehr wichtiger Verstärkungsfaktor. Zwischen Beten und Singen wird die Erwartungshaltung durch Erzählungen über frühere Heilungen intensiviert. Ganz entscheidend ist schließlich eine hochgradige emotionale Aufwallung („Gefühlssturm“) bei der Zeremonie selbst: die vielen Pilger, Priester, Helfer, die Bittgesänge, der Weihrauch. Offenbar können im Rahmen der maximalen emotionalen Erregung (der Verstand ist dann wohl ausgeschaltet, siehe affektive Denksperre Abb. 2.2, in Abschnitt 2.4) und einer vorhergegangenen rationalen wie emotionalen gezielten Einstimmung (Information mit entsprechenden Markern) neuronale Verknüpfungen oder Blockierungen gelöst und zu einer normalen Funktion reorganisiert werden.90 Seit Jahrhunderten eingespielte Riten können eine bewährte psychologische Hilfe sein.
90
Inzwischen gibt es genügend Belege, dass entsprechende mentale Umorientierungen auch ohne den „Gefühlssturm“ zustande kommen können, durch vollkommene Entspannung (und Handauflegen) oder unter Hypnose.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
12.5 Kleine Wunder an der Krankenhauspforte? Nüchtern betrachtet findet eine ähnliche – weltliche – Prozedur im ganz kleinen Maßstab täglich in unseren Krankenhäusern statt, nämlich bei der Krankenhausaufnahme. Vorher, noch zu Hause, wird dem Kranken dargelegt, wie herausragend gerade in diesem Hause die Erfolge der Ärzte, die dortige Pflege und die Spezialgeräte seien. Erfolgreiche Heilungen aus der Bekanntschaft bei ähnlichen und anderen Fällen werden berichtet. Man steigert die Hoffnung auf Erfolg. Mitfühlende Menschen diskutieren über die
Reisevorbereitung, Heilserwartung
Ärztlicher Rat, Angehörige Hoffnung, Einstimmung
Pilgerfahrt, Gemeinschaft Eskalation der Emotionen
Sanka, Blaulicht Erwartungshaltung
Ritus am Wallfahrtsort emotionale Erschütterung
Klinikatmosphäre, -geruch emotionale Erschütterung
!
!
“Gesicht wahren” durch Nimbus des Heiligtums
“Gesicht wahren” durch guten Ruf der Klinik
12.1 Lourdes-Effekt. Lösung psycho-physischer Zwangsschaltungen. Vergleich der Wirkung einer Pilgerfahrt nach Lourdes und der Krankenhauseinweisung. Linke Seite: Der Pilger wird sehr zielgerichtet emotional und rational auf das entscheidende Ereignis im Heiligtum eingestimmt und steigert sich auch selbst in eine massive psychische Erregung hinein. Dieser Zustand erleichtert nach herrschender Lehrmeinung, tief eingeschliffene Zwangsschaltungen zu lösen und so z. B. eine (psychogene) Lähmung der Beine zu beseitigen. Die Lokalisierung dieses Vorganges an den Heilsort, an dem schon ähnliche Wunderheilungen geschehen sind, hilft dem Patienten, „sein Gesicht zu wahren“. Rechte Seite: Eine im Prinzip vergleichbare Konstellation bei der Krankenhauseinweisung ermöglicht ebenfalls den Wegfall psychophysischer Symptomanteile.
12. Placeboeffekte und Wunderheilungen
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geeignete Ausstattung für den Klinikaufenthalt, beraten bezüglich Schlafanzug oder Trainingshose oder Lesestoff und besorgen Fehlendes. Man sucht alte Unterlagen, die nicht selten auch emotionale Assoziationen erwecken, wünscht Glück und alles Gute, vielleicht weint jemand beim Abschied. Die Fahrt im Krankenwagen ist ohne Zweifel aufregend, die Atmosphäre im Krankenhaus noch viel mehr. Weiße Kittel, Geruch von Desinfektionsmitteln, geschäftiges Treiben, andere Kranke werden in ihren Betten über den Gang geschoben. Der Kranke spürt die Gewissheit, an dem Platz zu sein, wo schon viele andere ihre Krankheit losgeworden sind (s. Abb. 12.1). Die emotionale Erregung und die (häufig) vorteilhafte Einstimmung des Patienten auf Heilung werden sicher unterschätzt und folglich nur in gut geführten Privatkliniken geschickter Ärzte bewusst und intensiv genutzt. Vielleicht könnte das Krankenhauspersonal etwas überzeugter signalisieren: „Jetzt sind Sie am bestmöglichen Ort, um Ihr Leiden zu kurieren, wir wissen, dass wir die Besten sind, jetzt wird sicher alles wieder gut“. Vielleicht steigert man die Hoffnung noch durch Hinweis auf die imponierenden Apparaturen, an die so mancher glaubt. Das muss gleich beim Transport und am Aufnahmeschalter der Verwaltung beginnen. Sicher könnten viele „psychosomatische“ Symptomanteile verschwinden.91 Das Phänomen ist meines Wissens noch nicht beschrieben. Man könnte es „Lourdes-Effekt“ nennen. Aber nüchterne geschäftige Abfertigung, Wartezeiten, in denen skeptische Fragen hochkommen können, kleine und größere Misslichkeiten (siehe Herr Klaus M. in Abschnitt 6.4) werden nur zu oft
91 Vielleicht begünstigen extrem kurze präoperative Aufenthaltszeiten die Nutzung
derartiger psychischer Einstimmungen, ohne dass man das bisher beachtet hat. Früher hat man Nachteile befürchtet, wenn der Patient gewissermaßen „von der Straße weg“ auf den OP-Tisch gebracht werden musste, und besonders die Anästhesisten befürworteten eine beruhigende Phase der Anpassung an die Krankenhaussituation. Vielleicht ist es aber gerade günstig, wenn man den Patienten nicht zur „Besinnung“ kommen lässt, sondern unter Ausnutzung der psychischen Einweisungs-Einstimmung nicht nur von seinen organischen Leiden, sondern auch gleich von seinen psychischen Beschwerdeanteilen befreit. Ähnliche Effekte mögen die oftmals erstaunlich guten Erfolge des ambulanten Operierens erklären.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
den hilfreichen Seelenzustand zerstören, die Hoffnung auf endgültige Beseitigung von begleitenden psychischen Verstärkungen oder Blockierungen zunichtemachen. Jeder erfahrene Arzt, jede aufmerksame Schwester könnte nun ähnliche Beobachtungen diesem Kapitel hinzufügen. Die Medizin früherer Jahrhunderte hat mangels wirksamer Methoden überwiegend von diesen Effekten gelebt. Sanatorien tun es noch heute. Die psychologischen Unterstützungen sind nicht überflüssig geworden, nur zweitrangig. Sie zu belächeln oder ganz aufzugeben, wäre zum Nachteil für die Kranken. Wir hatten es in Abschnitt 1.4 schon angesprochen: Wer Kranken helfen will, muss sie auch bei ihren Entscheidungen bezüglich der optimalen Wahl der notwendigen Maßnahmen unterstützen. Der Kranke muss ausreichend und verantwortungsbewusst informiert werden. Im folgenden Kapitel sollten wir die Implikationen, die sich aus der Beeinflussung des Patienten ergeben, näher beleuchten.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 12 • Falsche Kausalattributionen können Krankheitserscheinungen in falsches Licht rücken, können aber auch Therapiebemühungen zu positiven Effekten verhelfen. • Der Schmerz des Patienten setzt sich zusammen aus den von der Köperperipherie gemeldeten Signalen und ihrer zentralen emotionalen Verarbeitung. • Psychisch aufgearbeitete Schmerzgefühle gehen mit Erregung einher und sprechen daher gut auf beruhigende Maßnahmen und Mittel an. • Das biologisch völlig unwirksame Placebo wird als Symbol für die heilende Kraft des Arztes überreicht. • Ein Symbol kann seine volle Wirkung nur entfalten, wenn es mit unbewusster oder bewusster Überzeugung verwendet wird. Geeignete Riten helfen. • Der Einsatz eines Placebos erfordert große Erfahrung, weil man keine wichtigen organischen Erkrankungen übersehen darf. • Heilungswunder können nach geeigneter Einstimmung, unter geeigneten äußeren Umständen und im Rahmen einer massiven emotionalen Erregung zustande kommen.
12. Placeboeffekte und Wunderheilungen
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• Die Krankenhausaufnahme kann auch eine beachtliche emotionale Mobilisierung bedeuten und wäre dann zur Neuorientierung psychophysischer Phänomene geeignet.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Als Symbol für ärztliche Hilfe schlechthin kann die Injektionsspritze gelten. Abgesehen von offensichtlichen objektiven Vorteilen wie dem schnelleren und sichereren Wirkungseintritt nach parenteraler Applikation von Medikamenten hat „die Spritze“ auch eindeutige psychologische Wirkungen. Sie steht für ultimative Maßnahmen in Situationen offensichtlicher Not und Notwendigkeit: Wenn der Arzt zur Spritze greifen muss, anstatt Tabletten zu rezeptieren, hat er die Symptomatik anerkannt und als bedeutend eingestuft. Der Patient fühlt sich bestätigt. Injektionen als Placebo (also wirkungslose Kochsalzlösung) wirken daher deutlich besser als Placebotabletten. Die Angst vor dem unvermeidlichen, wenn auch geringfügigen Schmerz dürfte allerdings als verstärkender psychologischer Faktor hinzukommen. Die psychophysischen Phänomene sollten alle Mitarbeiter im Krankenhaus besonders interessieren und zum Nachdenken anregen. Sie können einen wesentlichen Teil des Therapieerfolges ausmachen und kosten kein bares Geld. Zeit können sie kosten, gut, aber hauptsächlich erfordern sie Interesse am Kranken und engagierte Zuwendung. Durch die emotionalen Marker wertet jeder Mensch Begriffe und Erinnerungen nach seinem subjektiven Maßstab. Er lebt in einer durch seine Erfahrungen gefärbten Vorstellungswelt, hatten wir im ersten Kapitel festgestellt. Nun sehen wir, dass er die Symptome seiner eigenen Erkrankungen nur zu oft durch mentale Prozesse verändert. Die Macht des Psychischen ist auch in dieser Hinsicht gewaltig. Je besser wir sie verstehen, desto effektiver können wir helfen.
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Eigener Wille, Patientenwille, Verantwortung
Frau B. hatte sich überzeugen lassen, dass ihre Koliken durch die Gallensteine verursacht werden, und hatte der Operation zugestimmt. Aber nun hatte sie Monate nach der Operation immer noch gewisse Beschwerden. Sie nahm an, sie seien dadurch bedingt, dass man ihr „zusätzlich“ die ganze Gallenblase herausgenommen habe … Frau Katja A. schließt befriedigt die Labortüre zu. Es ist zwar spät geworden, und eigentlich hätte sie ihre Freundin besuchen wollen. Aber sie musste „ihr“ Analysegerät noch reinigen und wieder aktionsbereit machen. Sie ist dafür verantwortlich und stolz darauf … Der gerade eingelieferte Notfallpatient hat Mehrfachverletzungen an den Extremitäten, aber offensichtlich auch im Abdomen und Thorax. Ärzte auch der Abteilungen für Abdominal- und Thoraxchirurgie sind zu Hilfe gerufen worden. Wer gerade abkömmlich war, ist herbeigeeilt, beurteilt die Lage auf seinem Fachgebiet und gibt erste Anordnungen. Dann erscheint der Chefarzt der traumatologischen Abteilung. Nachdem er von jedem informiert worden ist, übernimmt er sofort die Leitung …
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
13.1 Emotionale Wertungen ermöglichen einen eigenen Willen Wir hatten gleich zu Beginn des ersten Kapitels im Zusammenhang mit den emotionalen Markern über den Prozess des Entscheidens gesprochen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen kleinen Ausflug an den Rand der Philosophie machen. Dort ist ein wichtiges Thema die Frage, ob der Mensch einen freien Willen hat oder nicht. Diesem (freien) Willen muss eine Entscheidung für das, was man will, vorausgegangen sein, eine Auswahl aus Alternativen, die man frei wählen können muss. Zuletzt resultiert aus diesem Denkprozess die Handlung. (Einige zusätzliche Zwischenschritte könnten Sie bei Heckhausen finden.) Ich möchte das nun etwas genauer ausführen. Wer es eilig hat, mag ab Abschnitt 13.2 weiterlesen. Streng genommen ist „frei“ in Bezug auf unseren Willen eine Illusion, auch wenn diese Illusion für unser Denken, für unser Handeln und für unser Selbstwertgefühl überaus wichtig ist. Einen wirklich freien, also völlig unabhängigen Willen kann der Mensch nicht haben. In der Welt, die wir kennen, die wir naturwissenschaftlich erforschen, gilt die Kausalität. Alles hat eine oder mehrere Ursachen, die wiederum Ursachen haben und so fort. Auch im Gehirn: Kausalität gilt zum Beispiel für alles, was unsere Sinne aufnehmen, für alles, was wir sehen, hören, spüren. Es sind für uns Ursachen zum Reagieren, die ihrerseits wieder Ursachen haben. Das Prinzip kann man bis in den molekularen Bereich, etwa zur Reizüberleitung an den Synapsen der Nervenzellen oder zu den Signalwegen innerhalb einzelner Zellen oder bis zu den Signal- und Stoffwechselwirkungen einzelner Gene verfolgen: überall Chemie, Physik, überall Kausalität. In der Naturwissenschaft sieht man heute keine unerforschten Winkel mehr, in denen absolute Freiheit möglich wäre, auch nicht in der Chaos- oder Zufalltheorie. (Und diese kommen für die Erklärung eines freien Willens ohnehin nicht in Frage.)92 92
Die Fachbezeichnung für eine Konsequenz aus diesen Zusammenhängen heißt Determinismus. Das Wort stellt heraus, dass mit der Kausalität auch alle zukünftigen Entwicklungen vorbestimmt (determiniert) sein müssen. Diese Vorbestimmung kann, wenn man sie im Sinne von Bevormundung versteht, einem selbständigen, philosophierenden Geist unerträglich vorkommen. Andererseits ist derselbe Denker natürlich stolz darauf, dass er seine Gedankengänge logisch aufbaut und begründet, dass er also seinerseits streng ursächlich vorgeht.
13. Eigener Wille, Patientenwille, Verantwortung
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Die meisten Philosophen gehen der Konsequenz, dass unser Denken nicht absolut frei sein kann, dadurch aus dem Wege, dass sie den Begriff „frei“ motivationsbezogen definieren: Frei soll dann bedeuten, dass man nicht von außen bestimmt oder behindert wird. Frei ist der Mensch nach dieser Theorie, wenn er alles denken, wollen oder tun kann, was er persönlich, aus sich heraus will, also ohne Zwang durch andere Menschen oder durch Sachzwänge (s. z. B. Bieri).93 Für den Umgang mit dem Patienten kann uns diese Auffassung genügen. Sie wird auch von der Jurisprudenz verwendet.94 In der Psychologie wird das Wollen als ein mehrstufiger Prozess gesehen, der mit der intrinsischen und/oder extrinsischen Motivation beginnt. Hier fließen also zum Beispiel Stimmungen und gerade aktivierte angeborene Bedürfnisse mit ein. Im dann folgenden eigentlichen Entscheidungsvorgang, der wiederum der definitiven Intention (dem Wollen) vorausgeht, müssen Argumente bzw. Alternativen gegeneinander aufgewogen werden. Es scheint mir sehr wichtig, auf die Rolle der emotionalen Marker hinzuweisen, die jedes Argument subjektiv bewerten. Hier gewinnen persönliche Erfahrungen und Interessen ein bedeutendes, richtungweisendes Gewicht. Der Mensch hat gegenüber der strikten, krassen Kausalität in der unbelebten Natur die Möglichkeit, seine eigene Erfahrung samt deren emotionaler Wertung als kausalen Faktor in Entscheidungen einzubringen. Die persönlichen 93
Das Problem des Determinismus wird aber nur verschleiert. Viele unserer Motivationen kommen „von innen heraus“, entstehen also „intrinsisch“ im Gehirn. Solange man inneren und nicht äußeren Sachzwängen folgt, ist man nach dieser Definition frei. Wir haben in Kapitel 7 in den angeborenen Bedürfnissen solche „intrinsischen“ Motivationen kennengelernt. Allerdings haben wir dort auch besprochen, dass diese grundsätzlich angeborenen Bedürfnisse unvermeidlich durch lebenslanges Lernen und damit durch Einflüsse aus der Umwelt (von außen!) geformt sind (Vgl. Fußnote 50 in Abschnitt 7.5). Sind unsere eigensten Motivationen dann wirklich frei, also nicht durch Einwirkung von außen bedingt? 94 In der Jurisprudenz versucht man vorläufig mehrheitlich, die naturwissenschaftliche Sicht zu verdrängen. Wer nämlich keinen freien Willen hat (sondern determiniert ist), kann nicht schuldig werden, kann nicht zur Verantwortung gezogen und folglich auch nicht bestraft werden. Moderner Strafvollzug hebt daher eher auf Erziehung und Abschreckung oder auf Verwahrung zum Schutz der Allgemeinheit ab.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Gefühle sind also ein eigener, entscheidender Kausalfaktor. Ich kann zu meinem Vorteil entscheiden. Alle Lebewesen mit einem Gehirn können und tun das. Mir gefällt daher die philosophische Begriffsbestimmung des „freien“ Willens nicht. Ich spreche lieber von einem eigenen Willen und bringe damit zum Ausdruck, dass ich in meinen Denkprozessen durch die eben besprochene Kombination aus sachlichen und persönlichen Faktoren (emotionalen Markern) von meinen eigenen Erfahrungen und Interessen ausgehen kann. Wenn die emotionalen Marker unsere Entscheidungen ermöglichen und damit auch den eigenen Willen, dann ermöglichen sie uns zum Beispiel demokratisches Verhalten, das auf der individuellen Willensbekundung beruht. Man wählt den Politiker in den Landtag (oder den Kollegen zum ärztlichen Direktor), der den größten Vorteil erhoffen lässt; die Patientin wählt den Gynäkologen, der ihr am meisten liegt. Und die Marker verhelfen natürlich auch unseren Patienten zu ihren persönlichen Entscheidungen über die an ihrem eigenen Körper durchzuführenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen: „Voluntas aegroti suprema lex“ (lat.) = der Wille des Kranken ist oberstes Gesetz.
13.2 Die Einwilligung des Patienten Juristisch gilt im Krankenhaus eindeutig der Wille des Patienten als oberste Richtschnur. Als Betreuender sollte man das nüchtern sehen. Vor der Bekundung seines Willens wird der Patient so überzeugend und so umfassend über die Ansichten der medizinischen Fachleute informiert, dass deren Sachverstand in seine Entscheidungen maßgebend mit einfließen muss. Im deterministischen Klartext: Das Gehirn des Kranken erhält von den Fachleuten erst noch die Fakten (als Kausalitäten), mit denen er dann seine Entscheidung fällt und damit den Verlauf seiner Erkrankung optimal vorbestimmt. Allein mit seinen eigenen, laienhaften Argumenten hätte er jedenfalls ein größeres Risiko, sein Schicksal nachteilig zu beeinflussen. Das Gesundheitswesen und auch sein Krankenhaus sind jedoch derart (determinierend) organisiert, dass er, wenn er erst einmal dort ist, die Daten für die
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wissenschaftlich am besten begründete Behandlung (überzeugend) nahe gelegt (gelehrt) bekommt. Hier erkennen wir die große Verantwortung von Arzt und Pflegepersonal. Sie beeinflussen diesen Patientenwillen erheblich bis gänzlich.95 Die juristische Bedingung fußt auf dem Selbstbestimmungsrecht und soll hier nicht kommentiert werden. Psychologisch gewinnen wir gewaltige Vorteile, wenn wir dem Patienten zu der Überzeugung verhelfen, er selbst wolle das, wozu wir ihm geraten haben, denn er hat ein angeborenes Bedürfnis zur Mitbestimmung (Abschnitt 7.2), dessen Ausleben Wohlbefinden erzeugt und starke psychische Kräfte freisetzt. Wenn er meint, selbst entschieden zu haben, wird er den gesamten Gesundungsprozess besser überstehen, wird einen stärkeren Willen zur Gesundung haben. Diese Erörterung bezieht sich auf medizinisch klare, eindeutige Sachentscheidungen. Es gibt natürlich Sachverhalte, zu denen die Schulmedizin keine fachlich abgesicherten Entscheidungen anbieten kann oder will. Zum Beispiel wird die Anlage eines entlastenden, temporären Anus praeter (künstlicher Darmausgang) nicht oft geplant, könnte aber in heute selten gewordenen Fällen mehr Sicherheit bedeuten. Lebensverlängernde Intensivtherapie oder die Infusion von Blut kann man grundsätzlich ablehnen (z. B. aus religiösen Gründen wie Zeugen Jehovas). Wenn weltanschauliche Dogmen für den Patienten bedeutungsvoll sind, oder wenn gewisse persönliche Interessen berührt werden, kann nur er endgültig entscheiden. Er ist dann für verständnisvolle Anerkennung dieses Entschlusses durch seine Betreuer dankbar (denn meistens weiß er recht gut, wie problematisch die von ihm vertretene Ansicht in den Augen der Schulmedizin ist). Wir sollten in ihm keine bohrenden 95 Früher,
vor der Ära des betonten Individualismus, wurde das Gesundheitswesen und damit auch das Krankenhaus von dem sehr alten und ehrwürdigen Grundsatz geleitet: „Salus aegroti suprema lex“ (lat. = das Wohl des Kranken ist oberstes Gesetz). Für die Einhaltung war der Arzt verantwortlich. Dieses Grundgesetz für jede Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst gilt auch heute noch unverändert. Nur gibt es heute zusätzlich die juristisch und psychologisch begründete Bedingung, dem Patienten durch gezielte Beratung zu der Illusion zu verhelfen, er könne die Entscheidung mit seinem freien Willen treffen. (Illusion deshalb, weil seinem Denkapparat bei der logischen Gewichtung von genügend „schweren“ Argumenten keine Alternative bleibt.)
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Zweifel erzeugen. Sie wären für ihn nachteilig. Man muss sich in die psychologische Situation dieser Patienten nicht nur hineindenken, sondern auch hineinfühlen.
13.3 Verantwortung setzt ethische Entscheidungsfähigkeit voraus Verantwortung können wir nur übernehmen, weil wir entscheiden können.96 Ohne verantwortliches Entscheiden und Handeln wäre ein Krankenhaus nicht denkbar. Der zuständige Arzt entscheidet im Notfall rasch und auf der Station nach reiflicher Überlegung, aber in jedem Fall muss er die Verantwortung für diese Entscheidung tragen. Und Frau Katja A., die Laborantin, wurde mit der Verantwortung für die Handhabung und Wartung des Analysegerätes betraut, weil klar war, dass sie die Technik beherrscht und dass sie nicht nach Hause gehen wird, ehe sie alles für die nächste Untersuchung hergerichtet hat. Sie weiß, dass es von ihr abhängt, ob die Apparatur beim nächsten Notfall funktioniert, und sie verbindet mit diesem Bewusstsein den emotionalen Marker, dass ihr diese Aufgabe ganz besonders wichtig ist. Alle Mitarbeiter eines Krankenhauses sind danach ausgewählt, Verantwortung für ihre Aufgabe zu übernehmen. Dazu gehört, dass sie offenbar gelernt haben, gewisse ethische Vorgaben über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu stellen (zum Thema Altruismus s. Abschnitt 1.5). Um nicht missverstanden zu werden, will ich nochmals betonen, dass unser Verstand durch Gewichtung von Sachargumenten sehr wohl eine objektiv richtige Entscheidung fällen kann, so richtig, wie die Informationen waren, die er zugrunde gelegt hat. Wir können auf der Basis von gut evaluierten Studien aus der medizinischen Li-
96 Den
Begriff Verantwortung verwende ich hier nur in seiner moralischen Dimension. Die Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Jurisprudenz oder gar der Attributionstheorie würde mehrere zusätzliche Kapitel erfordern. Da das Gehirn automatisch den eigenen Vorteil sucht, müssen wir dafür nicht nur genügend solides Fachwissen angesammelt, sondern auch genügend charakterliche Festigkeit erworben haben, sollten wir jedenfalls: Über Selbstkritik haben wir auch schon gesprochen (Abschnitt 10.5).
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teratur festlegen, dass für einen bestimmten Kranken mit bestimmten diagnostischen Werten ein bestimmtes Medikament in schon erprobter Dosierung die richtige Therapie ist. Andere Ärzte würden weltweit zum gleichen Resultat kommen. Entsprechend kennt obige Laborantin ihre Vorschriften und Aufgaben, ihr Verstand garantiert deren korrekte Durchführung. Aber vor unerwarteten verlockenden Ablenkungen oder Versuchungen schützt sie dann ihr Verantwortungsbewusstsein. Standfestigkeit gegenüber Versuchungen (z. B. die Arbeit auf später zu verschieben, Fehler am Gerät nicht zu beheben, im Extremfalle auch zu lügen, zu betrügen) ist eine Frage der Ethik, und diese ist (wie schon festgestellt) eine Frage der Erziehung, der Lehre, der Weiterbildung und in deren Rahmen eine Frage der nachhaltigen Zuordnung von (emotionalen) Markern. Wir müssen heute unsere ethische Einstellung optimieren, damit wir morgen keinen Fehler machen und uns nicht übermorgen deswegen verantworten müssen.97 Entsprechend müssen wir unsere persönliche Entscheidung verantworten, wenn es für diese Entscheidung keine eindeutigen sachlichen Argumente gibt und wir unsere eigene Erfahrung oder Meinung und damit auch unsere Emotionen einbringen. Durch das Gewichten unserer persönlichen emotionalen Marker an unseren Argumenten ist die Entscheidung nur noch aus unserer Sicht richtig. Sie ist subjektiv, auch wenn wir Gleichgesinnte finden oder andere von unserer Meinung überzeugen. Auch für die Verantwortung muss man also lernen. Das nächste Kapitel wird sich mit dem Lernen und speziell mit dem Angewöhnen grundsätzlicher Verhaltensformen beschäftigen.
97 Von
Erwachsenen wird erwartet, dass sie ihre einschlägigen Einstellungen eigen-“verantwortlich“ weiterbilden hin zu moralischer Standfestigkeit. Verantwortung beginnt also für den Einzelnen schon dort, wo er sich im Vorfeld aller etwaigen Handlungen auf richtige Entscheidungen vorbereitet, wo er sich bei vielerlei Anlässen grundsätzlich moralisch ausrichtet. Lange vor der Tat muss er seine Grundeinstellungen korrekt geordnet und ethisch gewichtet haben. Denn nach einer Tat kann er „zur Verantwortung gezogen“ werden. Und dann wird letztlich beurteilt, wie gut seine ursprüngliche eigenverantwortliche Konditionierung war (die als Kausalfaktor unbewusst sein Handeln beeinflusste).
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 13 • Sofern man die naturwissenschaftliche Beschreibung unserer Welt zugrunde legt, muss man auf alle Prozesse das Prinzip der Kausalität anwenden. • Wenn in der Vergangenheit alle Prozesse kausal bedingt waren, muss auch die Zukunft so bedingt und damit determiniert sein. Wegen der Vielfalt der Faktoren kann man die Zukunft dennoch nicht sicher voraussagen. • Da das Gehirn subjektive Wertungen vornimmt, führt es individuelle Kausalitäten ein, die dann das Handeln zum eigenen Vorteil ermöglichen. • Dank persönlicher Bewertungen kann man einen eigenen Willen haben, der zwar kausal begründet ist, aber auf individueller Erfahrung beruht. • Der eigene Wille des Patienten beruht auf seiner bisherigen Erfahrung. Um ihm im medizinischen Bereich optimale Entscheidungen zu ermöglichen, muss man ihm fachliche Argumente verständlich machen. • Die medizinische Aufklärung des Patienten sollte vorwiegend eine neutrale fachliche Beratung und nur bei „weichen“ Tatbeständen eine (subjektive) Beeinflussung sein. • In weltanschaulichen Positionen (Ablehnung der Bluttransfusion durch Zeugen Jehovas) darf man den Kranken schon aus psychologischen Gründen nicht verunsichern. • Verantwortung setzt voraus, dass man seine persönlichen Wünsche den objektiven Anforderungen unterordnen kann. • Verantwortung erfordert auch, dass sich alle Beteiligten aufrichtig und engagiert um fachliche Weiterbildung bemühen.
Diese Schlussfolgerungen haben Sie vielleicht auch schon gezogen: Der überwiegende Anteil der Beschwerden und nachteiligen Nachreden, die Patienten über Ärzte, Schwestern, sogar über ganze Krankenhäuser weitertragen, beruht auf Fehlinformationen oder Informationsdefiziten. Üble, jedenfalls ungerechtfertigte Nachreden kennt jeder auch aus seinem nächsten Bekanntenkreis, und das mag durch die unsinnige Meinung von Frau B. am Kapitelanfang illustriert werden. Alle Versuche der Richtigstellung haben mit Vor-
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behalten und Zweifeln zu kämpfen, erhalten meist den Status von Zweitmeinungen. Umso mehr bemühen sich die Betroffenen, besonders die Krankenhausmitarbeiter, den Kranken gute und richtige primäre Eindrücke und Kenntnisse zu vermitteln. Aber wo keine Zeit zum Erklären ist, werden auch Broschüren nur selten mit Interesse gelesen. Verantwortung kann nur übertragen bekommen, wer zusätzlich zum nötigen Fachwissen über ethische Charakterfestigkeit verfügt, also über solide Ansichten und entsprechend gewichtige Marker, die dann zuverlässig die notwendige altruistische Entscheidung herbeiführen. Das erfordert meistens sehr zahlreiche Belehrungen unter verschiedenen Bedingungen, wie wir sie noch in Kapitel 14 erörtern werden. Die eben erwähnte Laborantin Katja A. sei Beispiel für alle Krankenhausmitarbeiter. Voraussetzung und hohe Pflicht ist die ständige fachliche Weiterbildung, um optimal handeln und entscheiden zu können. Angebote der Institution und stete Eigeninitiative sind nötig. Aber ganz wichtig ist auch die immerwährende Vergegenwärtigung der Verantwortung, die man im mitmenschlichen Bereich den hilfsbedürftigen Kranken gegenüber hat, sobald man in einer Klinik arbeitet. Diese ständige erneute Einstimmung sollte jeder im persönlichen Gespräch, in Diskussionsrunden mit den direkten Vorgesetzten oder in geeigneten großen Veranstaltungen suchen. Denn Ergebnisse von verschiedensten Untersuchungen belegen, dass die (mühsam) erlernten ethischen Vorsätze ohne gelegentliche Verstärkung durch Wiederholung immer schwächer werden würden. Die Verantwortung (zum Beispiel für einen Notfall) kann vordergründig nur übernehmen, wer über das beste Können und Wissen verfügt. Er muss aber auch größte moralische Qualitäten z. B. hinsichtlich Selbstlosigkeit aufweisen, denn er muss im Sinne des Kranken optimal entscheiden. „Optimal“ ist hier besonders relativ. Auf der Straße entscheidet der Notarzt, im Schockraum einer Notaufnahmestation der Ranghöchste. Hier wie überall kommt das Krankenhaus nicht ohne Hierarchie aus. Es wird unterstellt, dass die Hierarchie die Erfahrung und das fachliche Können widerspiegelt. Allerdings ist das Fachwissen heute vielfach auf Spezialgebiete aufgeteilt, die durch entsprechende Spezialisten repräsentiert werden. Im Idealfalle sollten diese im Konsilium einen Konsens über den geeigneten Therapieplan erarbeiten. Das ist im Notfall nicht praktikabel. Doch auch in der Notsituation soll man für andere Meinungen offen sein. Letztlich kann kein Team,
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sondern nur ein Einzelner entscheiden und die Verantwortung übernehmen, juristisch und auch moralisch. Er trägt diese Bürde nicht wegen seiner Machtfülle, sondern im wohlverstandenen Interesse des Kranken.
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Lernen, Erfahrung, Angewohnheiten
Frau Maria B. ist Hebamme und hat heute Nachtdienst im Kreißsaal. Eine glatte Geburt ist gerade vorüber, der Raum schon wieder aufgeräumt. Seltsam, die junge Mutter und das Neugeborene haben die Hebamme irgendwie an ihre allererste selbstständige Geburtsleitung erinnert. Sie sah die damalige, für sie sehr eindrucksvolle Situation wieder vor sich, erinnerte sich, wie sie zu Beginn ihre eigene Aufregung zu verbergen suchte, diese aber ganz schnell überwunden hatte, wie sie im Gegenteil stolz darauf war, dass die gelernten und eifrig geübten Handgriffe nun in der Realität so gut funktionierten. Heute fühlt sich Maria B. als erfahrene, routinierte Hebamme, die nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Bei der schon etwas älteren Erstgebärenden allerdings, die sie als nächste Patientin gerade im Aufnahmeraum untersucht hat, hat sie irgendwie ein ungutes Gefühl … Der Oberarzt der urologischen Abteilung, Dr. Klaus S., ist ein vorzüglicher Arzt mit einem sehr vielseitigen und gut fundierten Wissen. Er kann die Probleme scharfsinnig auf den Punkt bringen und seine Position dazu souverän begründen. Zu seinen Patienten hat er ein ausgezeichnetes Verhältnis, kümmert sich intensiv, wirkt sympathisch und ist daher sehr beliebt. Den
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Studenten gegenüber gibt er sich allerdings zugeknöpft, zeitweilig sogar unangenehm arrogant. Er macht kein Hehl daraus, dass er keine Lust hat, sich mit Anfängern abzugeben. Ähnliches gilt gegenüber jüngeren Pflegekräften. Ihre Fehler kritisiert er zynisch und herablassend. Der Chefarzt hat ihm nun nahegelegt, dieses Verhalten umgehend zu ändern … Man hat sehr interessante Befunde in den Neurowissenschaften erhoben etwa über Synapsengleichgewichte, über Ionenkanälchen der Zellmembran und deren Steuerung oder über selbstorganisierende neuronale Netze. Man hat auch – eine Ebene höher – Vorstellungen davon, wie im Gehirn die Ablage komplexer Daten (also von Begriffen oder Gesichtern) organisiert wird, vermutlich nach Zerlegung in Phoneme oder andere charakteristische Einzelteile. Für den Alltag und speziell für das Zusammenleben im Krankenhaus lassen sich aus diesem Wissen allerdings kaum Konsequenzen ableiten. Dennoch sind vielleicht einige Grundvorstellungen interessant und seien deshalb vorangestellt (Einzelheiten z. B. bei Spitzer).
14.1 Ergebnisse der Neurowissenschaften Immer wieder hört oder liest man von Vergleichen zwischen Gehirn und Computern, während andere behaupten, dass wegen grundsätzlicher Unterschiede kein Vergleich möglich sei. Beide haben Recht. Die grobe Prozessstruktur ist grundsätzlich ähnlich: Eingänge für die Daten (Sinnsorgane) – Vorprüfung – Verarbeitung und Speicherung – Plausibilitätskontrolle – Ausgänge: Wer Informationen verarbeitet, muss in etwa so vorgehen, sei es in der Biologie oder in der Technik. Betrachtet man aber die Datenverarbeitung selbst, also gewissermaßen die unterste Ebene, findet man tatsächlich grundsätzliche, nicht vergleichbare Vorgehensweisen. Kernstück des PC ist der Prozessor (sehr gute Geräte mögen zwei davon, Großrechner auch viele haben). Er ist sehr kompliziert und unglaublich schnell.
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Er muss das Gesamtprogramm immer wieder vollständig (seriell) durchrechnen, also alle Einzelheiten der Vorgänge, die gerade bearbeitet werden sollen. Er ist sozusagen ganz alleine, und wenn Neues hinzukommt, braucht er einige Zeit, um im Verlaufe dieser Taktzyklen die Funktion nebenher auch noch schrittweise aufzubauen. Im Zentralnervensystem (ZNS) kann jede der 100 Milliarden Nervenzellen als Prozessor gelten. Diese „Prozessoren“ sind zwar vergleichsweise einfach und langsam, weil sie überwiegend auf chemischer Basis arbeiten, aber jeder von ihnen hat sehr viele, nämlich bis zu 10 000 Verbindungen zu anderen derartigen Nervenzellen. Dadurch können sehr viele von ihnen gleichzeitig (parallel) und doch vernetzt arbeiten, was ein grundsätzlicher Vorteil bei sehr komplexen Informationen ist, wenn z. B. unsere Augen eine StereoSzene registrieren und die Ohren gleichzeitig vielfältige Geräusche aus verschiedenen Richtungen melden, und wenn wir die dann möglichst „in time“ mit unserer Erinnerung in ebenso komplexen Datenpaketen vergleichen und beurteilen möchten. Für die Übertragung eines Videoclips von der Kamera zum PC braucht man zwei Drähte. Die Augen senden das Gesehene parallel durch zwei Millionen Neuronen zum Gehirn. Die „Ein- und Ausgänge“ der Nervenzellen (an ihren langen Nervenfasern) sind gleichzeitig die Bereiche, in denen die eigentliche Verarbeitung der Information (Verstärkung, Dämpfung, Integration, Blockierung) erfolgt. Jede „Verbindung“ zwischen zwei Nervenzellen, die man Synapse nennt, ist genau genommen ein ganz enger Zwischenraum mit Gewebsflüssigkeit. Über diesen Spalt hinweg gibt die sendende Zelle Überträgerstoffe ab, deren Konzentration im Spalt aber durch chemischen Abbau oder durch andere Reaktionen verändert werden kann. Allgemein ins Blut oder in die Gewebsflüssigkeit abgegebene Botenstoffe, wie wir sie z. B. bei Besprechung der Stimmung oder beim Stress kennengelernt haben, können hier gleichzeitig an vielen Zellen ebenfalls einwirken. In der Zellwand der empfangenden Zelle finden sich Rezeptoren, an denen aber nur geeignete Überträgerstoffe andocken können. Deren Empfindlichkeit ist veränderlich. So kann das ankommende Signal, das ja nur eines von tausenden sein kann und hier direkt vor oder in der Zellwand in den Gesamtreiz integriert, „verrechnet“ wird, mehr oder weniger dazu bei-
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
tragen, dass die Zelle schließlich so stark erregt wird, dass sie ein Signal an viele andere weitergibt. Diese Erregung, die sich in der Zelle und insbesondere in ihren ausführenden Fasern (dem Axon, das bis ins Rückenmark hinunterreichen kann) ausbreitet, ist ein elektrisches Phänomen. Dieses löst dann aber an der nächsten Synapse wieder die (biochemische) Absonderung von Botenstoffen aus. Lernen findet in wesentlichen Teilen an der Synapse statt: zum Beispiel wird die Übertragung auf die Dendriten (empfangende Ausläufer) einer Zelle verstärkt, wenn zwei Impulse von verschiedenen Zellen gleichzeitig eintreffen, der Weg für folgende Innervierungen wird verbessert, „gebahnt“. Man hat auch eine räumliche Vergrößerung des Synapsenbereichs gefunden.98 Um geistige Arbeit zu verrichten, kommt es also nicht auf die möglichst vielfältige Verbreitung der Information an, sondern auf zweckmäßig strukturierte und gut gebahnte Verbindungen. Da für die Zahl der Nervenzellen Ähnliches gilt, wird verständlich, dass Größe und Gewicht der Gehirne von besonders klugen Menschen nicht eindeutig vom Durchschnitt aller abweichen. Von der optimierten Struktur haben sie profitiert. Bevor sich die optimale Struktur ausbilden kann, bedarf es allerdings der eigentlichen Reifung der Hirnzentren. Hierunter versteht man die „Myelinisierung“ der Nervenfasern, also der zum Teil sehr langen Arme der Nervenzellen. Durch die Umscheidung derselben („Isolierung“) mit Myelin wird die elektrische Leitfähigkeit ganz wesentlich verbessert, die Informationsübermittlung beschleunigt. Dieser Reifungsprozess dauert im Frontalhirn, also im Sitz der Intelligenz-Funktion am längsten, ungefähr bis zum 17. Lebensjahr. Äußerst wichtig für die korrekte Hirnfunktion ist die zweckdienliche Zuordnung der Informationsträger im etablierten neuronalen
98
Da den Synapsen offensichtlich eine große Bedeutung für die Hirnfunktion zukommt, hat man ihre Zahl wiederholt zu bestimmen versucht. Ihre Zahl ist schon bei der Geburt beträchtlich, erreicht ihren höchsten Wert im Alter von zwei Jahren und scheint dann bis zum 14. Lebensjahr erheblich abzufallen (Merksatz: Das Kleinkind hat doppelt so viele Synapsen wie sein Pädiater).
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Netzwerk, also z. B. die räumlichen Bezüge von Buchstaben oder Phonemen in einem Verbund, der einen schnellen Zugriff ermöglicht. Man hat derartige neuronale Netzwerke im Computer imitiert und gezeigt, dass sie sich automatisch selbst organisieren und optimieren können, also finden sich alle Getränke oder alle Gemüse oder alle Medikamente nach einiger Zeit in Clustern beisammen. Unter Flexibilität des Gehirns versteht man, dass die Größe dieser Zentren dem Bedarf angepasst werden kann. Die Anordnung ist vieldimensional. Darüber hinaus gibt es die Organisation von zusammengehörigen Informationen in vielen über das Gehirn verteilten Zentren. So assoziieren wir beispielsweise mit dem Namen eines Medikaments meistens ein ganzes sogenanntes „Skript“, wie den Oberarzt, der das Mittel besonders gerne anwendet und den Namen immer mit falscher Betonung ausspricht. Unsere Patienten mögen erstaunliche Assoziationen haben bei allem, was wir sagen oder tun.
14.2 Lernprozesse Die Lernpsychologie betrifft ein weites Feld, das überraschend vielschichtig und mit vielen mentalen Funktionen wie Gedächtnis, Verhalten, Selbstwertgefühl, Motivation usw. eng vernetzt ist. Ich werde nur die Grundlagen und einige für den klinischen Alltag interessante Aspekte unter besonderer Berücksichtigung derjenigen Lernprozesse herausgreifen, die eine Änderung des Verhaltens zu bewirken vermögen. Unser Ziel ist die Optimierung der Kommunikation. Es ist heute üblich, zwischen explizitem und implizitem Lernen zu unterscheiden. Beide Bereiche sind aber viel enger miteinander verzahnt, als diese Unterteilung vermuten lässt. • Explizit wird bewusst Wissen gelernt, und zwar mit dem Verstand, absichtlich, aber auch durch Einfluss von außen. • Implizites Lernen geschieht unbewusst und meist automatisch. Implizit lernt das Gehirn nebenbei, bevorzugt auf der emotionalen Ebene, was für das Verhalten und damit für unser Thema sehr bedeutsam ist.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Wie groß die Bedeutung impliziter Lernvorgänge sein dürfte, haben wir schon in Abschnitt 1.2 geahnt, als wir die emotionalen Marker besprochen haben, die an allen Begriffen und Erinnerungen hängen. „Subjektive“ Eindrücke etwa bei der Beobachtung des Verhaltens eines Kollegen oder beim Kennenlernen eines Patienten spielen eine beachtliche Rolle, sind oft viel länger in Erinnerung als objektive Einzelheiten. Lerninhalte haften besonders fest im Gedächtnis, wenn sie von starken Emotionen begleitet werden. Das beginnt wohl schon bei der Enttäuschung über einen Misserfolg oder bei der Freude über ein Werbegeschenk. Aber besonders wichtig wird es bei angstbegleiteten Eindrücken und Erinnerungen unserer Patienten. Man kann den Lernprozess aber auch nach dem bevorzugten Vorgehen der Menschen einteilen. In der Alltagspsychologie weiß jeder wenigstens drei Lernformen zu unterscheiden: • Es gibt Menschen, die Fakten gerade so lernen, wie man sie ihnen vorträgt oder wie sie sie lesen. Meist haben sie dafür ein „gutes Gedächtnis“. Sie hören gerne auf den Rat anderer. • Es gibt die Praktiker, die am liebsten alles Neue selbst ausprobieren, also die Gebrauchsanweisung beiseitelegen und erst einmal auf alle Knöpfe drücken und versuchen, auf dem Wege über Versuch und Irrtum zurechtzukommen, weil bei ihnen vor allem das, was sie selbst gemacht haben, fest und dauerhaft im Gedächtnis haftet. Für die Klinik scheint dies auf den ersten Blick kein sonderlich guter Weg zu sein. Tatsächlich neigen aber viele zu dieser Lernweise (learning by doing) und rühren nach bestandenem Examen nur selten noch ein Lehrbuch an. Führungsverantwortliche werden diese Tatsache berücksichtigen und daher jede Gelegenheit für mündliche Erklärungen zur Vermittlung von Wissen nützen. • Und es gibt die Theoretiker, die die Hintergründe und Zusammenhänge zu ergründen suchen, weil sie sich am besten das merken können, was sie in ihre schon vorhandenen Netze von Informationen logisch einpassen können. Aufgrund der Befunde der modernen Neurowissenschaften lassen sich zwei Lernprinzipien des Gehirns abgrenzen. Einerseits lernt das Gehirn, indem es neue und interessante Daten speichert,
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also Vokabeln (Fachausdrücke) oder Namen (der Patienten und Kollegen) oder Normwerte (der Blutbestandteile) oder Szenen. Als primärer Speicherort hierfür wird meist der Hippocampus genannt. Nach neueren Erkenntnissen ist er aber eher der Ort für sogenannte Konvergenzzonen, in denen die Organisation der Ablagerung in den zuständigen Hirnzentren (z. B. Form, Farbe, Geruch…) durchgeführt und erinnert wird. Es kann sechs Tage, aber auch sechs Monate (bei älteren Menschen) dauern, bis diese Lerninhalte dann in den zuständigen Zentren der Großhirnrinde endgültig abgelegt und vernetzt sind. Das Gehirn „lernt“ andererseits, indem es automatisch aus sehr zahlreichen ähnlichen Ereignissen im Laufe der Zeit Begriffe, Regeln oder Sollwerte extrahiert, also Erfahrung produziert.99 Es ermöglicht uns damit, in die Zukunft zu extrapolieren: Die Hebamme ahnt, dass die Schwangere Krämpfe kriegen wird, die Schwester sieht voraus, dass der Patient erbrechen könnte, oder der Chirurg bevorzugt beim Knoten gewisse Griffe, weil es dann nicht nur schneller, sondern sicherer geht. Das Generieren von Erfahrung findet in der Großhirnrinde statt. Hier wird auch Gelerntes ausgewertet, indem das Gehirn Daten kombiniert: Wenn die erfahrene Stationsschwester laut und in der gewissen hohen Tonart ruft, muss man schnell kommen. Der charakteristische akustische Reiz wurde mit der Erkenntnis, dass der Fall dann eilig ist, zu einer Erfahrung kombiniert.
99
Wenn vergleichbare Daten in genügender Anzahl abgespeichert sind, bildet das Gehirn vollautomatisch Kategorien, Regeln oder Sollwerte. Dieser unbewusste Vorgang wird auch zum impliziten (prozessuralen) Lernen gezählt. Gängiges Beispiel für diese Form des automatischen Dazulernens ist der Erwerb der korrekten Anwendung der Grammatik der Muttersprache. Jeder, der die richtigen Wortstellungen jahrelang im Gebrauch gehört oder gelesen hat, „weiß“ nun nicht nur automatisch, was ein Pronomen, ein Partizip oder ein Adverb ist (meist ohne diese Bezeichnungen überhaupt zu kennen), er kann sie schließlich auch in komplizierte Nebensätze richtig einbauen. Nur gewisse Besonderheiten werden explizit, also über den Verstand gelehrt, so z. B. grammatikalische Abweichungen des hochdeutschen Standards vom gesprochenen Dialekt.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
14.3 Erfahrungen und Intuition Jedes Gehirn lernt automatisch, indem es ständig Daten speichert, die die Sensoren (Auge, Ohr usw.) aufnehmen. Dieses Speichern dient grundsätzlich dem Zweck, die Zukunft möglichst richtig vorauszusagen. Das ist für jedes Wesen notwendig, wenn es sich zweckmäßig anpassen und gerichtet reagieren will. Es registriert seine Umwelt nicht nur passiv, sondern besonders aufmerksam auch bezüglich der Effekte seines eigenen Handelns. Jeder ist ständig Beobachter und Experimentator. Man hat in der empirischen Psychologie ein gewaltiges Wissen über Lernvorgänge angesammelt, vorzugsweise allerdings bezüglich des verstandesmäßigen, expliziten Lernens und Erinnerns. In unserem Zusammenhang will ich bevorzugt an Methoden zum Etablieren einer Einstellungsänderung erinnern, von der dann zweckdienliches Handeln abhängt. Zum Beispiel können beim Patienten geeignete Informationen aus dem Mund des Fachmanns , also einer Autorität, sinnvolles Verhalten induzieren. Der ältere Herr fand nach der Knieprothesenimplantation zunächst die Anordnung von Eisbeuteln unsinnig und lästig. Also nahm sich der Stationsarzt die Zeit, ihm die entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung von Kälte verständlich zu erklären. Fortan legte er eher zu eifrig Eisbeutel auf seine Schwellung. Die Hebamme, von der wir am Anfang des Kapitels hörten, hat unbewusst im Laufe der Jahre Mittelwerte über diverse Charakteristika der Geburtsverläufe oder über das Verhalten von Erstgebärenden oder besorgten Vätern gebildet. Ihr genügt ein Blick, und sie kann aufgrund dieser Erfahrung vorausschätzen, dass der Vater bei der Geburt stören wird. Sie hat auch eine Art interne Sollwerte gebildet und ist nun besorgt, weil sich der Muttermund bei der hageren, sportlichen Frau noch nicht ausreichend geöffnet hat. Sie hat in mancher Hinsicht sogar die Fähigkeit zur Intuition entwickelt, über die wir schon gesprochen haben, und die am Anfang des Kapitels bezüglich der älteren Erstgebärenden erwähnt ist. Erfahrung ist also eine Lernfunktion des Gehirns. Sie kann auch zu falschen Ergebnissen führen, was dann nicht an Fehlern im Lernprozess, sondern an fehlerhaften Informationen und/oder an der falschen Beurteilung des Gelernten, also an mangelnder Selbstkritik liegt. Die Gefahr der Bildung von Pauschalurteilen ist jedem
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geläufig: Die Politiker, die Ausländer, die (haltlosen) Adipösen oder Raucher, die (nutzlose) Alternativmedizin. Auch hierdurch wird unser Verhalten beeinflusst, sogar viel mehr, als wir glauben mögen.
14.4 Angewohnheiten Das Lernen aus steter Wiederholung spielt natürlich auch eine große Rolle bei der Bildung von Angewohnheiten. Vielleicht musste sich der eingangs erwähnte Oberarzt schon lange über die Unzuverlässigkeit und das mangelnde Engagement der Studenten ärgern. Womöglich ist er zu der Schlussfolgerung gekommen, dass seine Bemühungen weitgehend erfolglos sind und seine Zeit für die uninteressierten Studenten (auch ein Pauschalurteil) zu schade ist. Er hat sich seine abweisende Haltung angewöhnt, hat sie sozusagen gelernt (Abb. 14.1). Vielleicht findet er seine Haltung den Studenten gegenüber sogar gut, weil er damit seine eigene weit höhere Qualifikation als Urologe heraushebt, was seinem Selbstbewusstsein schmeichelt. Wenn der Chef nun verlangt, er solle dieses Verhalten abstellen und sich engagierter um die Studenten kümmern, weil sonst der Ruf als Lehrkrankenhaus leide, muss er umdenken und sich darüber hinaus umstellen. Für die Änderung seines Verhaltens hat er zwei Möglichkeiten: So kann er sich vornehmen, einfach Theater zu spielen, also Interesse am Studentenunterricht vortäuschen, was er glänzend mit seinem Verstand schafft. Wenn allerdings von den Studenten anspruchsvolle Fragen gestellt werden oder er den Verstand anderweitig einsetzen muss, ist es aus mit dem bewussten Theaterspielen. Die bisherige unbewusste Verhaltensroutine kommt wieder durch. Die bessere Alternative für die Umstellung des Verhaltens wäre, konsequent ein neues Verhalten einzustudieren, zu lernen. Zunächst benötigt er dazu wieder seinen Verstand. Er muss sich auch hierfür fest vornehmen, möglichst immer engagierten Unterricht zu erteilen, diesmal mit dem Ziel, in seinem Gedächtnis möglichst viele Engramme zu bilden, in denen er jeweils ein guter Lehrer war. Sie sollen als Material dienen, aus dem das Gehirn schließlich eine
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
positive Verhaltensmodifikation generiert. Das wird lange Zeit dauern, vielleicht Monate. Er kann die Zahl der positiven Erinnerungen massiv vermehren und verstärken, wenn er die gelungen Szenen in seinem Vorstellungsraum (virtuell) nachvollzieht, in der Mittagspause zum Beispiel oder am Abend. Was er dann durchdenkt, bleibt in seinem Gedächtnis haften (er kann sich am nächsten Tag noch daran erinnern). Es wird im gleichen Zusammenhang, wahrscheinlich im gleichen Bereich der Hirnrinde abgelegt wie die Erinnerung an reale Unterrichtsszenen. Er kann zudem wesentliche Verbesserungen (in Gedanken) vornehmen. Ein Freund als Coach kann ihm
Umwelt Intelligenzen
Bemühungen um gute Lehre Erfahrung
sprachlich logisch - mathematisch räumlich - technisch musikalisch kinästhetisch
Einstellungen gegenüber Studenten
(Störungen)
5“ “08/1 emotional - intrapersonal emotional - interpersonal
Absicht Absicht, Verhalten vereitelt, Wollen verärgert (Intention)
Emotionale Marker
Speicherung
Vortrag lustlos „brummig“
14.1 Lernen von Verhalten: Das zur Verfügung stehende Wissen mit allen Erinnerungsinhalten sowie Gefühl, Einstellungen, Wertvorstellungen ist erworben (links). Die intelligente Verarbeitung dieser Speicherinhalte („Intelligenzen“, Mitte) führt, wie in Abschnitt 13.1 erwähnt, zum „Wollen“. Das Wollen führt zur Handlung (rechts). Allerdings wird die tatsächlich dann durchgeführte Handlung durch die Umwelt beeinflusst. Wenn derartige Erlebnisse in ähnlicher Form oft erlebt und jeweils abgespeichert werden, bildet das Gehirn im Rahmen der automatischen Lernfunktion daraus ein durchschnittliches Verhalten („08/15“), das künftig automatisch als Verhaltensnorm eingesetzt wird, sofern die einschlägigen Voraussetzungen erkannt werden. Eine derartige „schlechte Angewohnheit“ kann auch wieder abtrainiert werden. Voraussetzungen sind nun wieder sehr zahlreiche Erinnerungen, diesmal mit positivem Ergebnis.
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als Gesprächspartner helfen. Und er kann bewusst die optimierten Vorstellungen mit positiven emotionalen Markern verbinden, kann sich vorstellen, wie die Studenten sein Bemühen anerkennen. Wenn er das drei oder gar sechs Monate konsequent durchhält, wird sein Gehirn aus allem schließlich besser angepasste grundsätzliche Muster für Standardsituationen extrahieren und für künftige Herausforderungen parat halten. Er hat den Psychotherapeuten gespart, der im Rahmen der „kognitiven Verhaltenstherapie“ auf vergleichbare Weise falsche Überzeugungen und sogar Angststörungen und Depressionen behandelt. Die guten Vorsätze am Silvesterabend, im neuen Jahr ein besserer Mensch zu werden, pflegen oft nicht Realität zu werden, weil man die nötige Ausdauer für konsequentes Lernen nicht realistisch kalkuliert. Man muss sich gut überlegen, ob solch ein Vorhaben den Aufwand rechtfertigt (bei den Anregungen in diesem Buch geht es um die Sorge um den Kranken oder um das bessere Arbeitsklima). Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich dann zu einem Entschluss aufgerafft haben, ist es weise, wenigstens einen, möglichst viele einzuweihen und um Mithilfe zu bitten. Denen wird es vermutlich Freude bereiten, Ihnen bei jeder Gelegenheit den rechten Weg zu weisen. Sie selbst benötigen dann allerdings einiges inneres Standvermögen (Selbstbewusstsein).
14.5 Kombinierendes Lernen Das Gehirn lernt schließlich, indem es Daten oder Ereignisse kombiniert. Überaus gründlich untersucht wurde das klassische Konditionieren: Jeder Mensch hat Angst vor schmerzhaften Verletzungen. Das Kind verbindet diese Angst auch mit einer Injektionsspritze und schließlich mit der Ankündigung, dass der Arzt kommt. Das Erkennen von Nachteilen oder Gefahren und ihre Vermeidung ist eine ganz fundamentale Kompetenz im emotionalen Bereich. „Instinktiv“ geht man ihnen aus dem Weg. Die Fähigkeit, Angst vor speziellen Gefahren zu lernen und zu haben, ist uns angeboren, der Instinkt, eine einmal erkannte Gefahr künftig zu meiden, auch. Aber vor welcher Gefahr wir Angst haben sollen und wie viel, das muss jeder Einzelne lernen.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Bei Affen konnte man im Experiment zeigen, wie das grundsätzlich funktioniert: Affenkinder haben keine angeborene Angst vor Schlangen. Sie bekommen sie erst, wenn sie einmal gleichzeitig eine Schlange gesehen haben und den Ausdruck von Angst in der Körpersprache ihrer Mutter. Unsere Kinder lernen nicht nur viel über Gefahren aus dem Verhalten der Mitmenschen, sondern auch eine unnötige oder übertriebene Zuordnungen von Angst. Erwachsene müssen die Angst, sich beim Husten eines Patienten oder am bakteriellen Inhalt einer Petrischale zu infizieren, nicht aus dem Gesichtsausdruck des Hygienelehrers lernen. Sie können die Größe der Gefahr auch aus Lehrbüchern oder Darstellungen in den Medien entnehmen. Der Verstand kann gewissermaßen die Empathie des Affenkindes ersetzen oder umgehen. Er vermittelt beim Lesen über Bakterien im Präsentationsraum des Gehirns das Bewusstsein von der Gefahr. Das Gefühl der Furcht hat der Leser zunächst nicht, es sei denn, sie wird zusätzlich konditioniert. Das erreicht zum Beispiel der Autor des Artikels, wenn er Zusammenhänge mit Vorgängen herstellt, die üblicherweise angstbesetzt sind, wenn er also schildert, wie schrecklich es ist, wenn eine Mutter durch diese Bakterien ihr Kind verliert. Ob diese Übertragung des Gefühls Angst auf die Vorstellung von Bakterien gelingt, hängt von den Anlagen, den Erfahrungen und der Vorstellungskraft des Einzelnen ab. Wenn man die Warnung, die frisch verschraubte Fraktur nicht zu belasten, mit der Angst vor einer späteren Fehlstellung kombiniert, wird sie der Jugendliche nur vorübergehend, die alte Dame vielleicht viel zu lange und zu ängstlich befolgen. Zudem sind diese gelernten cerebralen Schaltungen so angelegt, dass sich derartige Konditionierungen mit der Zeit wieder abschwächen, wenn der Reiz nicht immer erneut erfolgt. Freilich ist man auch Fehldeutungen ausgesetzt. Das geht bis zur Einbildung. Auch die Furcht der Kranken mag auf Fehlinformationen beruhen. Der neue Patient kennt die „Qualen“ eines ewig langen Aufenthaltes in der engen und lauten Röhre des Computertomografen nur aus den Erzählungen der Nachbarin und hat nun Furcht davor. Jeder Leser, jede Leserin kennt Beispiele. Im Sinne des operanten Konditionierens, z. B. in Verbindung mit dem Streben nach Erfolg, kann man Patienten wie Ärzte zu vielerlei Aktionen veranlassen. Gelernt wird in diesem Sinne auch von (guten und schlechten) Vorbildern durch Beobachtung und Imitation.
14. Lernen, Erfahrung, Angewohnheiten
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Manches Verhalten gewöhnt man sich auf diese Weise an, sehr häufig unbewusst, aber auch gezielt mit dem Verstand. Jede soziale Gruppe sorgt auf mehr oder minder subtile Weise dafür, dass das einzelne Mitglied sich anpasst. Falls die neue Kollegin im Großraumbüro zu viel redet und Arbeitsabläufe stört, wird man sie darauf aufmerksam machen. Wenn sie sich an die Eigenheiten der Gruppe anpasst, wird sie vom guten Arbeitsklima profitieren, wenn nicht, wird man sie mit Raffinesse oder mit gezieltem Mobbing zu vertreiben suchen. Eigentlich ist die Fähigkeit, sich automatisch auf gewisse Regeln des sozialen Lebens einzustellen, sehr interessant. Man bekommt insbesondere die ungeschriebenen Regeln selten mit erhobenem Zeigefinger gelehrt. Man erkennt sie aus der freudigen oder erstaunten oder auch ablehnenden Reaktion anderer auf die eigenen Aktionen. Auf diesem Gebiet lernen wir täglich ein Leben lang voneinander, und zwar meistens unbewusst, automatisch, selbstregulierend. Jede Gruppe entwickelt ihre eigenen Umgangsformen, auch das Krankenhaus. Da er sie nicht kennen kann, ist unser Patient auch aus diesem Grund unsicher. Wir müssen ihm auch in dieser Hinsicht mit freundlichen Hinweisen helfen.
Kurze Zusammenfassung der Aussagen in Kapitel 14 • Der Lernprozess findet an den Synapsen zwischen den Ausläufern der Nervenzellen statt und ist ein biochemisches Phänomen. • Explizit lernt man mit dem Verstand insbesondere Wissen. Implizites Lernen ist meist unbewusst und betrifft auch die emotionalen Systeme. • Das Gehirn lernt, indem es Daten speichert, dann aber auch, indem es Sollwerte, Begriffe oder Erfahrungen extrahiert sowie durch Kombination. • Emotionale Erfahrung kann bei Schlüsselerlebnissen oder durch wiederholte Eindrücke entstehen und kann bei Bedarf korrigiert werden. • Alles Gelernte einschließlich der (vagen) Intuition dient der besseren Vorauskalkulation von Ereignissen oder der Planung des eigenen Verhaltens. • Die Veränderung von Verhalten gelingt kurzfristig mit dem Verstand, nachhaltig nur durch konsequentes Lernen.
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
• Für die intelligente Regulierung seiner Angst müssen wir dem Kranken schlüssige, akzeptierbare Informationen liefern. • Für längere Lernprozesse dient ein Freund oder Coach als wichtige Unterstützung des eigenen Durchhaltevermögens. • Neu gelernten Informationen kann das Gehirn starke Emotionen (Angst) zuordnen, indem es sie mit anderen bereits emotionsgeladenen kombiniert.
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Modelle der Psychologie
Man hat zwischen 400 und 600 verschiedene „Schulen“ der Psychologie ausgemacht. Das mag als ein Hinweis auf die Komplexität der psychischen Vorgänge und auf die Schwierigkeiten der Therapie von Fehlsteuerungen gelten. Aus sechs Hauptrichtungen wird gewöhnlich die menschliche Psyche analysiert und beurteilt. Eine derselben, das biologische Modell, bezieht seine Daten von allen Neurowissenschaften und weist daher mehrere Ebenen auf von den molekularen Wirkungen über zelluläre Vorgänge bis zu neurologischen Netzwerken und dem eigentlichen psychologischen oder gar psychopathologischen Bereich. Die Emotionen haben in diesen sechs Modellen der Psychologie einen sehr unterschiedlichen, meist noch geringen Stellenwert. Wenn man sich etwas näher mit ihr beschäftigt, gibt es nicht einfach „die Psychologie“ als einheitliche Lehre vom Verhalten des Menschen, schon gar nicht, wenn es um Emotionen und Motivationen geht. Die menschliche Psyche ist so hochgradig komplex und mit der Umwelt vernetzt, dass sie, so verwunderlich das für den Außenstehenden klingen mag, nach herrschender Lehrmeinung nicht von einem einzigen Standpunkt aus erfasst werden kann, jedenfalls nicht, wenn man differenzierter untersucht als wir in diesem Leitfaden. Man hat als Erklärung dieser Schwierigkeit einen Vergleich
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
mit der Physik des Lichts versucht: Je nach Untersuchungsmethode verhalten sich die Photonen wie Teilchen oder wie Wellen. Aus verschiedenen psychologischen „Schulen“, von denen die meisten ihre Heimat in den Geisteswissenschaften, speziell in der Philosophie haben, sind im vergangenen Jahrhundert diverse Denkmodelle entstanden. Sie werden parallel angewandt, indem man menschliches Verhalten gewissermaßen aus verschiedenen Blickrichtungen gleichzeitig zu analysieren und teilweise auch zu erklären sucht. Es hat sich gezeigt, dass die Art und Weise, in der man Fragen zu gegebenen psychologischen Phänomenen stellt, über die möglichen Antworten entscheidet. (Siehe z. B. das Lehrbuch der klinischen Psychologie von Comer.) Die oben erwähnten Schulen haben sich überwiegend mit dem denkenden Menschen befasst. Die Emotionen erhalten gegenwärtig ein neues Gewicht. Ich möchte im Folgenden die klassischen sechs Denkmodelle der Psychologie – sehr kurz und pauschal – hinsichtlich der Aussagen zu unserem Hauptthema, also zu den emotionalen Systemen beleuchten.
15.1 Emotionen in den sechs Modellen der Psychologie 1. Wie ihr Name schon sagt, interessiert sich die kognitive Schule für den Mensch als Verstandeswesen, für seine Fähigkeit, abstrakt und mit Begriffen zu denken, die Zukunft vernünftig zu planen und schon angesammelte Erfahrung zu werten. Der Mensch „erdenkt“ sich allerdings seine eigene Welt in seinem Kopf, indem er sie sich auf seine Weise erklärt, und handelt aus den Strukturen dieser durch Nachdenken geschaffenen inneren Welt heraus. Wir haben dieses Modell bei der Besprechung der Annahmen und ihrer Auswirkung auf die Stimmung in Abschnitt 6.1 benutzt. Gefühle werden berücksichtigt, aber sie werden meist als Resultat von Denkprozessen verstanden und nicht gezielt untersucht. 2. Im humanistisch-existenziellen Modell betrachtet man das Streben nach Sinngebung für das eigene Leben als Mittelpunkt für das Handeln. Dies ist ein rein verstandesmäßiger Vorgang. Grund-
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sätzlich ist der Mensch gut, er entscheidet nach Werten und strebt nach Selbstverwirklichung. Sein Selbstwertgefühl resultiert aus der Entwicklung eines persönlichen Wertegefüges, und dessen Fehlen könnte für manche psychischen Störungen verantwortlich sein. Die Schule erhebt nicht den Anspruch, sämtliche psychologischen Phänomene zu erklären. Immerhin geht sie von den angeborenen Bedürfnissen aus, die wir besprochen haben. Wir sollten diesem Bedürfnis nach Sinngebung für das eigene Leben gerade bei Schwerstkranken große Bedeutung zugestehen. Allerdings wurden über die emotionalen Grundlagen nur wenige Erhebungen durchgeführt. Für eine vertiefende und befriedigende Beschäftigung mit diesem Modell wird im hektischen Akutkrankenhaus nur selten eine realistische Chance bestehen. 3. Die Behavioristen wiederum versuchten lange, die Genese von Verhaltensweisen ganz überwiegend durch die verschiedenen Lernprozesse, zum Beispiel durch verschiedene Formen der Konditionierung, aber auch durch das Nachahmen, zu erklären: Der Mensch reagiert auf seine Umwelt und passt sich an sie an. Man vertraute darauf, dass die konsequent angewandte Lerntheorie imstande sein werde, immer weitere Bereiche der Psyche zu verstehen. Aus dieser Sicht heraus wurde zunächst auf eine Gesamtschau aller psychischen Phänomene verzichtet. Das Vorgehen lieferte sehr zahlreiche interessante Einsichten, darf aber in seiner konzeptionellen Ausschließlichkeit als gescheitert betrachtet werden. Gefühle wurden ursprünglich negiert oder gar verspottet. Allerdings hat die Sozialpsychologie aus diesem Modell heraus später einige angeborene Bedürfnisse eingehend untersucht. Die intrinsischen Motivationen waren für das Arbeitsleben ein fruchtbares Experimentierfeld. Wir haben in Kapitel 7 wesentliche Ergebnisse erörtert, haben sie allerdings in einen anderen Rahmen gestellt. 4. Im soziokulturellen Modell wird der Mensch als ein Wesen gesehen, dessen Verhalten ganz entschieden durch die Mitmenschen, bei den Eltern angefangen, sowie durch deren Kulturgut beeinflusst oder sogar geprägt wird. So untersucht man gezielt diesen sozialen Kontext, in dem der beeinflusste Mensch natürlich seinerseits gleichzeitig ein aktiver Faktor für die Entwicklung eben dieser Umwelt ist (reziproker Determinismus). Emotionen fanden in diesem Interaktionsmodell besonders als Komponenten der
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Kommunikation eine beachtliche Bedeutung. Manche Argumente im Zusammenhang mit der interpersonalen Intelligenz fußen auf Ergebnissen, die aus diesem Modell heraus gesammelt wurden. 5. Als psychodynamisches Modell fasst man Theorien und Therapiemaßnahmen zusammen, die auf Sigmund Freud und seine Schüler zurückgehen. Ausgangpunkt seiner Überlegungen war vorrangig das als krankhaft empfundene Verhalten in der Klinik, besonders bei Hysterie und Neurosen. Instinktive Kräfte und verdrängte Erlebnisse erhalten im Unterbewusstsein eine Hauptrolle. Die Triebe100 werden in einer unteren, als „Es“ bezeichneten Ebene der Psyche lokalisiert. Sie versuchen, sich durchzusetzen, geraten dabei aber in Konflikt mit einer höheren Ebene, mit den (moralischen) Vorgaben der Gesellschaft, die Idealvorstellungen in Form eines fordernden „Über-Ichs“ erzeugen. Das eigentliche „Ich“, also der Verstand, versucht, zwischen diesen Ebenen zu verhandeln, reale Bedingungen abzuwägen, einerseits unangepasste Triebregungen zu verarbeiten oder abzuwehren, eventuell auch zu verdrängen, und andererseits im Handeln dem moralischen Ideal Genüge zu tun. Der Therapeut versucht, über Traumdeutung oder Umdeutung archetypischer Vorstellungsinhalte Zugang zu den inneren Verstrickungen und Konflikten zu bekommen und sie durch Erklärungen aufzulösen. Das (aus der klinischen Problematik entstandene) Denkmodell stellt immerhin emotionale Funktionen und deren Steuerung durch den Verstand ins Zentrum seiner Erwägungen, die dann aber überwiegend psychotherapeutischen Zwecken dienen sollen.101 100
Diese Triebe werden zunächst monothematisch aufgefasst, also entweder als Lustprinzip mit primär sexuellen Bezügen oder (in anderen Spielarten des Modells) als Machtstreben. Später wurde das emotionale Triebsystem dualistisch ausgebaut zu einem sensiblen Gleichgewicht zwischen Lust und Lebensfreude einerseits und Streben nach Ruhe, zum Anfang, zum Tode andererseits. Mit Bezug auf die Mitmenschen wurden schließlich vier Partialtriebe formuliert, indem zum selbstbezogenen Narzismus und Masochismus auch Liebe zum Nächsten und Sadismus hinzukamen (s. z. B. Schönpflug). 101 Die Vorstellungen vom Triebsystem wie von den unbewussten Funktionen des Gehirns entsprechen nicht den modernen Erkenntnissen. Aber Freud war prinzipiell auf einem zukunftsfähigen Weg. Auf eine eigene Gesellschaft, die heute seine Vorschläge für analytische Therapiekonzepte, die – hundertfach modifiziert – immer noch sehr verbreitet sind, mit den modernen Befunden der Neurowissenschaften zu vereinen sucht, komme ich gleich zurück.
15. Modelle der Psychologie
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6. Im biologischen Modell schließlich werden naturwissenschaftliche Befunde oder Theorien als Grundlage für die Deutung aller Vorgänge im Gehirn herangezogen. Das Unterfangen erweist sich als sehr viel komplizierter, als man ursprünglich erkennen konnte. Die ungeheuer komplexen Zusammenhänge in der Biochemie, auf der zellulären Ebene sowie die neuronalen Netzwerke zwischen den Gehirnzentren und ihren Zellen werden erst langsam, in kleinen Schritten, verstanden. Die zahlreichen Fachrichtungen der Neurowissenschaften steuern mit immer neuen Untersuchungsmethoden eine verwirrende Vielfalt von Mosaiksteinchen über die Einzelfunktionen bei. Die sehr zahlreichen anatomischen Beziehungen zwischen den Gehirnzentren werden schrittweise funktionellen Vorgängen zugeordnet. Vorläufig ist das biologische Modell sehr interessant für die Erklärung ausgewählter Phänomene. Es scheint aber wegen der verwirrenden reziproken Verbindungen und gegenseitigen Wechselwirkungen zu komplex für die umfassende Erklärung des menschlichen Verhaltens überhaupt, also all der Probleme der heutigen empirischen Psychiatrie.
15.2 Strukturelle Ebenen des biologischen Modells Heute versteht sich das biologische Modell über weite Strecken als erklärende Basis für die daraus abzuleitenden Phänomene der Psychologie. Man erforscht tiefere Ebenen, die als Grundlage der beobachtbaren Phänomene gelten könnten: • Auf der molekularen Ebene werden die biochemischen Wechselwirkungen zum Beispiel der Botenstoffe untersucht. Sie führen zu Erklärungen der Funktion von Synapsen und Ionenkanälchen bis hin zur Reizleitung. • Zellverbände bilden neuronale Netzwerke und fördern das Verständnis von Lernfunktionen. Dies war übrigens sehr befruchtend für die Anstrengungen um die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. • Neuroanatomisches und neuropathologisches Wissen wurde schließlich enorm bereichert durch die Ausweitung der bild-
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
gebenden Verfahren auf die Erforschung funktioneller Abläufe. Man kann heute (mit gewissen Einschränkungen) nachweisen, welches Hirnareal bei definierten psychologischen Aktivitäten vermehrt arbeitet und kann so viele psychologische Phänomene besser einordnen und verstehen. Hier gilt ein strukturelles Gesetz, das wir aus der Chemie kennen: Aus den Eigenschaften von Atomen kann man die der Moleküle erklären, und aus deren Eigenschaften wiederum Charakteristika der Stoffe, die aus ihnen bestehen („bottom up“). Aber der umgekehrte Weg („top down“) bringt keine Erkenntnisse. Vom Stoff her kann man nicht auf Eigenschaften seiner Moleküle oder gar Atome rückschließen. Auch in den Neurowissenschaften können wir zum Beispiel (bottom up) aus der Funktion der Synapsen auf Lernprozesse schließen, oder wir können aus der funktionellen Anatomie heraus psychologische Zusammenhänge erklären, etwa das Funktionieren emotionaler Systeme. Im Gegensatz zu den Erklärungen – und das sollte man streng trennen – stellen sich die Fragen aus der höheren Ebene (top down). Die Psychologie und die Klinik geben vor, welche wichtigen Probleme man gerne gelöst hätte. Entsprechend sind wir in diesem Buch immer wieder vom Klinikalltag ausgegangen, um aus der Riesenzahl an Befunden die für uns relevanten Erklärungen auszuwählen. In den am Anfang dieses Kapitels beschriebenen Modellen der Psychologie, die ja auf der obersten Etage dieser Struktur operieren, hatte die bisherige empirische Forschung keine Chance, eine Verbindung zur Neuroanatomie (top down) herzustellen. So ahnt man die enorme Bereicherung, die eine schnell wachsende neurowissenschaftliche Grundlagenforschung und besonders die anatomiebasierte Sichtbarmachung isolierter funktioneller Hirntätigkeiten für die Psychologie bereits darstellt und künftig noch erwarten lässt. Die biologische Sicht erleichtert es auch, Erkenntnisse aus der Prüfung cerebraler Funktionen im Tierreich unvoreingenommen mit solchen beim Menschen zu vergleichen. (Die Lernpsychologie war hier Vorreiter.) Das gibt den Blick frei auf die emotionalen Systeme. Denn sie steuern das Verhalten der höheren Tiere, welche ja noch keinen oder nur wenig Verstand haben, deren Reaktionen aber in mancher Hinsicht bereits als „intelligent“ zu bezeichnen sind. Das menschliche Gehirn baut – entwicklungsgeschichtlich
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gesehen – auf diesen Fähigkeiten auf. Sie bleiben die Basis der Verhaltenssteuerung, werden aber erheblich verfeinert und andererseits durch den Verstand wesentlich erweitert und dirigiert. Auf der psychologischen Ebene des biologischen Modells sieht man das Verhalten des Menschen daher als wesentlich mitbestimmt von Gefühlen und angeborenen Bedürfnissen, die der Verstand mehr oder weniger erfolgreich modifiziert. Der Verstand seinerseits wird als ein Produkt selbstorganisierender neuronaler Netze verstanden, die ständig aus Erfahrung lernen, die Begriffe bilden und diese sprachlich definieren. In einem „Vorstellungsraum“ des Gehirns können Daten unabhängig von der Außenwelt präsentiert und logisch zusammengestellt und intelligent kombiniert werden. Die meisten Vertreter dieses Modells erwarten allerdings nicht, wie oben schon angedeutet, dass man jemals in der Lage sein wird, mit Naturwissenschaft, also aus diesem einen Gesichtswinkel sämtliche Phänomene menschlichen Denkens, Fühlens und Verhaltens in allen Einzelheiten erklären zu können. Das Gewirr der erhobenen Daten ist heute schon so gewaltig, dass man interdisziplinär die Zusammenarbeit mit der – noch höheren – Ebene der Philosophie sucht, die vielleicht richtungweisende Gedankengebäude zu errichten vermag, jedenfalls wenn es um Begriffe wie den Freien Willen, das Selbstbewusstsein oder das Selbst geht. In der Klinik sind wir naturwissenschaftliches Denken gewohnt, sehen den Menschen als Teil und Produkt der belebten Natur. So liegt es nahe, dass ich dem biologischen Modell der Psychologie besondere Aufmerksamkeit widme. Wo naturwissenschaftliche Beweisführung möglich ist, sollte man sie auch benutzen. Der Leser wird erkannt haben, dass speziell für die emotionalen Reaktionen und für das Zusammenspiel zwischen Verstand und Gefühlen interessante Erkenntnisse oder wenigstens Hypothesen vorliegen.
15.3 Freud und die emotionale Intelligenz Es ist zu erwarten, dass eine Reihe der in diesem Buch vorgestellten Aspekte emotionaler Systeme im Laufe der Zeit in die nicht biologischen Modelle der Psychologie integriert werden. Speziell
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
interessieren sollten uns die heute in der Psychotherapie in sehr zahlreichen Varianten verbreiteten Modelle der auf Siegmund Freud zurückgehenden Psychoanalyse. Aus der Psychiatrie kommend interessierten Freud besonders Hysterie und Zwangsneurosen, deren Problematik offensichtlich im Grenzgebiet zwischen den im Unbewussten wirkenden Gefühls- und Triebphänomenen einerseits und dem durch sie fehlerhaft beeinflussten Denken andererseits lag. Er postulierte umtreibende seelische Kräfte, die dann mit Angst- und Lustvorstellungen, die „ins Unbewusste verbannt“ worden waren, interagierten. Einige dieser im Untergrund des „Es“ wirkenden Kräfte und ihr Funktionieren glauben wir jetzt, nach rund 100 Jahren, deutlicher zu kennen. Wir haben sie in den vorangegangenen Kapiteln als primäre und sekundäre Emotionen, als Marker an Erinnerungen, als motivierende Stimmungen und als angeborene Bedürfnisse eingeordnet. Wir können uns jetzt vorstellen, dass bei Verhaltensstörungen eine ausreichend mächtige ordnende Institution im Unbewussten, eben eine dirigierende intrapersonale emotionale Intelligenz versagt. Eine eigene Gesellschaft hat sich der Erforschung dieser Zusammenhänge verschrieben. Im Fokus steht speziell das Verhältnis zwischen Emotionen und Trieben. Es mag sein, dass man Teile der Freud‘schen Theorie bald neu konzipiert.
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Schlussbetrachtung: Den ganzen Menschen betreuen
Wenn wir Therapie betreiben, behandeln wir genau genommen die Erkrankung von Organsystemen, die Fehlfunktion einzelner Organe oder gar nur das Symptom einer Krankheit. Mit Betreuung des Kranken meinen wir dagegen die Person als solche. Anders als bei Problemen mit einem Knochen, mit der Leber oder auch mit dem gesamten Stoffwechsel haben wir es dann mit psychischen Problemen, speziell mit unbewussten, emotionalen, impliziten Reaktionen, also mit dem Kern der Persönlichkeit selbst zu tun. Das Gehirn ist zwar auch nur ein Organ, das beispielsweise einen Tumor haben kann, den man gezielt behandelt. Das Gehirn ist aber auch der „Sitz“ des Denkens und Fühlens, des Wollens und der Verhaltenssteuerung, ist der Sitz des Selbst, der Persönlichkeit mit allen ihren verschiedenen Fähigkeiten und Empfindlichkeiten. Das Gehirn ist das Organ, das immer mitreagiert, das nicht nur über den Kreislauf und Hormone, sondern über seine eigenen Nervenwege mit allen Organen verbunden ist. Es steht so sehr im Zentrum, dass wir von seiner Funktionsfähigkeit die Entscheidung abhängig machen, ob der Mensch noch lebt oder nicht. Das Gehirn reagiert mit vielen seiner Ebenen, wenn eines der Organe des Körpers krank ist. Erst wenn man diese Bereiche der Persönlichkeit mit einbezieht, spricht man mit Recht von der
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Teil IV: Anwendungen, Informationen
Behandlung des „ganzen Menschen“. Sie wurde mit der rasanten Zunahme der Apparatemedizin immer häufiger vermisst und gefordert, auch von vielen Fachleuten, und besonders dann mit voller Berechtigung. Die derart definierte Betreuung ist das wichtigste Anliegen dieses Buches. Im Vorwort habe ich auf strukturelle Mängel in diesem Bereich hingewiesen. Als Hauptursache habe ich den Mangel an Zeit für zwischenmenschliche Kommunikation zwischen allen beteiligten Personen angesprochen. Ich habe zur bestmöglichen Nutzung der verbleibenden Zeit aufgefordert und – als Voraussetzung dafür – zur gezielten Weiterbildung auch in dieser Hinsicht. Und wir haben dann versucht, nach Verbesserungsmöglichkeiten Ausschau zu halten, den Finger auf eventuelle Schwachstellen zu legen und über Abhilfe nachzudenken. Wir haben uns mit vielen Einzelfunktionen beschäftigt, die zur Persönlichkeit des Patienten wie auch seiner Betreuer beitragen. Wir haben gesehen, wie Antriebe in Form der angeborenen Bedürfnisse in diesem Zentrum des Menschen wirksam werden, wie sie Wünsche und Verhalten bedingen. Wir haben diskutiert, dass die Gefühle zur persönlichen Charakterisierung der Gedächtnisinhalte verwendet werden und dass dadurch das Individuum seinen Vorteil erkennt und diesen in sein Zentrum rückt, und dass es dadurch erst zu persönlichen Entscheidungen fähig wird. Gleichzeitig modifizieren diese Emotionen aber auch die Motivationen und das Verhalten. Sie charakterisieren als Selbstwertgefühl und als Selbstbewusstsein das Zentrum der Persönlichkeit. Sie können ein aktuelles Krankheitsgeschehen massiv zum Guten wie zum Schlechten beeinflussen und verstärken jedenfalls viele Symptome. Den emotionalen Zustand anderer vermögen wir mithilfe der Empathie zu erkennen. Das erleichtert zwischenmenschliche Beziehungen, hebt sie erst auf eine menschliche Ebene. Das Wissen um diese Fähigkeiten verpflichtet förmlich zu ihrem gezielten Einsatz. Es verpflichtet aber auch zu ernsthafter Weiterbildung. Wir haben also viele gesonderte Funktionen besprochen, die alle zur Persönlichkeit beitragen, die alle zum „ganzen Menschen“ dazugehören. Müssen wir ihn nun in Gedanken wieder aus diesen Einzelteilen zusammensetzen? Müssen wir eine Gesamtschau von seinem Seelenleben haben, um den ganzen Menschen angemessen betreuen zu können?
16. Schlussbetrachtung: Den ganzen Menschen betreuen
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Wir müssen nicht. Wir sollten aber über dieses unfassbar komplexe Ganze gut Bescheid wissen, über die vielfältige, subtil austarierte psychische Welt in seinem Gehirn, durch die er Mensch ist. Berücksichtigen müssen wir aber jeweils die Teilaspekte, die in der aktuellen Situation gefordert sind, oder wenigstens die wichtigen unter ihnen. Ob wir dem Patienten eine Injektion geben oder ob wir ihn auf die Intensivstation bringen, wir müssen von seiner Angst und ihren Ursachen wissen, müssen sein Informationsbedürfnis berücksichtigen und auch sein Bedürfnis nach Mitgefühl. Wir sollten dann darauf eingehen mit Worten und auch mit der zugehörigen Körpersprache, sollten auf Rückmeldung warten können und auch auf diese eingehen. Dann und erst dann haben wir mit diesen aktuell bedeutsamen Teilaspekten dem „ganzen Menschen“ geholfen. Das können bedeutungsvolle psychologische Hilfen sein oder eher unscheinbare. Wichtig ist, dass der Patient sich als Mensch behandelt fühlt und nicht nur als Träger eines kranken Organs, an dem die Ärzte die organische Funktionsstörung interessiert, nicht aber die Belastung des seelischen Gleichgewichts, die diese Funktionsstörung auch auslöst. Daran ändert sich qualitativ auch nichts, wenn der Patient „nur“ als Kunde kam. Dass man das richtige Verhalten lernen kann, haben wir besprochen. Dennoch ist es eine gewaltige Aufgabe, denn die „menschliche“ Zuwendung sollte ja bei jedem Kontakt mit jedem Menschen stattfinden – jedenfalls nach Möglichkeit bei fast jedem Kontakt. Jenseits einer gewissen Schwelle wird dann die menschliche Einstellung die typische Atmosphäre der Station oder gar den „Geist des Hauses“ bestimmen. Längerfristig sind daher sozial kompetente Mitarbeiter die wichtigste Investition eines Krankenhauses, sind seine kostbarste Säule. Schon das ehrliche Bemühen um ganzheitliche Betreuung ist ein hohes, häufig sicher schwer erreichbares Ziel für jeden einzelnen Mitarbeiter. Er könnte ihm durchaus nahekommen bei gutem Willen zur perfekten Berufsausübung. Wer die Gabe dazu nicht ohnehin hat (und das sind wenige), der sollte diese Kompetenz zu erwerben suchen, er muss es zur Vervollständigung der Ausübung seines Berufes. Er wird dann immer öfter nicht nur Erfolgserlebnisse haben, sondern eine tiefe Genugtuung erleben.
Anhang
Literaturverzeichnis
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Verzeichnis der Abbildungen 1.1 1.2 1.3 1.4 2.1 2.2 5.1 5.2 5.3 6.1 6.2 6.3 7.1 8.1 9.1 9.2 10.1 11.1 12.1 14.1
Zwei Querschnitte der Gehirnhälften Emotionale Marker Entscheidungen Ethische Entscheidungen Bildung komplexer Gefühle Ambivalenz der Emotionen Rechte Gehirnhälfte von medial Psychische Stressoren und Verlaufsformen Burnout-Syndrom Die Stimmung hängt von den Annahmen ab Bei Krankheit werden alle Annahmen falsch Gewissen ist die „Stimmung“ im ethischen Bereich Individuelle Variation der angeborenen Bedürfnisse Die „Erwartungs-Wert-Theorie“ nach Atkinson Zur Unterscheidung von Intelligenz und Kompetenz Multiple Intelligenzen Einwirkungsmöglichkeiten der Intelligenz Sprachliche Interaktion Lourdes-Effekt: Lösung psycho-physischer Zwangsschaltungen Lernen von Verhalten
12 13 17 21 34 39 74 76 79 92 97 102 111 141 154 160 173 188 218 242
Glossar: Definitionen und Erklärungen Begriffe, die im Text erklärt werden, sind hier nicht alle enthalten (s. Index)
Adaptieren, Adaptation: Anpassung in dynamischen Prozessen. Bei Organismen kann das im Rahmen der Entwicklung, aber auch im Rahmen von Training oder als Anpassung an Umweltbedingungen geschehen. Adrenalin: Hormon aus dem Nebennierenmark, steigert Puls und Blutdruck, erweitert die Luftwege, mobilisiert Energiereserven bes. durch Fettabbau, reguliert die Organdurchblutung (z. B. Minderung der Darmtätigkeit). Im Gehirn wirkt es als Neurotransmitter zwischen adrenergen Neuronen und Adrenorezeptoren. Hebt u. a. die Stimmung. Affektiv: von Emotionen, besonders von Stimmungen bestimmt. Als Affekt bezeichnet man einen Zustand emotionaler Erregung, in dem verstandesmäßiges Handeln beeinträchtigt sein kann. Alexithymie: Unfähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen (wörtlich: man kann sie nicht lesen). Gefühlskälte, die dann auch zu einer Unfähigkeit führt, die Gefühle anderer richtig zu deuten. Altruismus: bewusste Verfolgung der Vorteile eines anderen oder des Gemeinwohls, also selbstloses, uneigennütziges Handeln. Wichtiges
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ethisches bzw. moralisches Postulat, geht über soziale Rechte und Pflichten hinaus. Verinnerlichter A. wird zur Stimme des Gewissens. Anatomisch: In der Anatomie werden die Größe und Lage der Organe von Lebewesen dargestellt. Die Struktur der Gewebe und ihrer Zellen wird beschrieben. Gegensatz ist die Physiologie, die die Funktionsweise der Körperteile untersucht. Anus praeter (eigentlich praeternaturalis = vor der natürlichen Stelle). Wenn eine Erkrankung den Verschlussapparat des Enddarms zerstört hat, muss man einen endständigen A. p. in der Bauchwand anlegen, um den Stuhl abführen und in entsprechenden Beuteln auffangen zu können Vorübergehend kann man einen (doppelläufigen) A. p. anlegen, um den restlichen Darm ruhigzustellen oder eine frische Naht zu entlasten o. ä. Assoziation: Verknüpfung von ursprünglich isolierten Gedanken, also z. B. Ideen, Eindrücken, Erinnerungen. Diese Kombinationen werden im Gedächtnis abgelegt. Lernen funktioniert in weiten Teilen durch Assoziieren. Attribution: „Zuschreibung“ (engl.) von Wirkungen oder Ursachen (Kausalattribution) zu Handlungen oder Wirkungen, hier besonders auch psychologischen Vorgängen. Aversion: Abneigung, Ablehnung, auch Unlust oder Ekel. Negative Bewertung von Gedankeninhalten, entsteht zum Beispiel durch gelernte Verknüpfung, also durch Konditionieren. Belastungs-EKG: Registrierung der elektrischen Aktivität des Herzens (EKG = Elektrokardiogramm) unter definierter körperlicher Belastung. Wird gewöhnlich mit dem Fahrrad-Ergometer durchgeführt, dessen Widerstand in Schritten von 25 Watt gesteigert werden kann. Registriert werden außer dem Blutdruck insbesondere Abweichungen der elektrischen Herzaktivität, die auf Erkrankungen und Risiken hinweisen können. Brachial (aus griechisch: den Arm betreffend): mit (roher) Gewalt (Brachialgewalt).
Glossar: Definitionen
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Burnout-Syndrom: Ausgebranntsein im Sinne einer schweren Erschöpfung in körperlicher und mehr noch seelischer Hinsicht. Die Symptomatik ist sehr vielfältig, häufig Schlafstörungen, Kopfschmerzen etc. bis hin zu Depression. Ursprünglich ein Problem der „helfenden“ Berufe. Führt zu Arbeitsausfall, ggf. Berentung wegen Arbeitsunfähigkeit. Cluster: Kluster = Bündel, Traube, Haufen von ähnlichen oder gleichartigen Teilen eines Ganzen, z. B. von (Nerven-)Zellen, aber auch von Daten oder Blöcken auf der Festplatte im PC. Commotio (cerebri): Gehirnerschütterung. Symptome sind kurzfristiger Erinnerungsausfall für die Zeit direkt vor oder nach (retrograd) der Schädigung, Übelkeit oder Erbrechen, kurze Bewusstlosigkeit, Kopfschmerzen. Heilt immer vollständig aus im Gegensatz zur Contusio, bei der Gehirngewebe zerstört wird. Cortisol, (Gluco-)Cortikoid: Hormon der Nebennierenrinde, „Stresshormon“. Fördert die Bereitstellung von Glucose (Energie) im Blut, hemmt Entzündungen in den Geweben und allergische (Abwehr-)Reaktionen. C. wird ins Blut abgegeben, wenn aus der Hypophyse ACTH (adrenocorticotropes Hormon) ausgeschüttet wird. Deeskalation: Gegenteil von Eskalation, also vom Aufschaukeln von Prozessen, bezeichnet also die Beruhigung beim Streit, insbesondere Lösen von Konflikten. Destruktivität: zerstörerische Aktivität einer Handlung oder Geisteshaltung. Destruktive Aggressivität ist (absichtlich) bösartig. In der Diskussion wird damit die feindliche, negative Argumentation bezeichnet als Gegenteil zur Konstruktivität. Determinismus bezeichnet in der Naturwissenschaft die Tatsache, dass alle Prozesse infolge der Kausalität von Anfang an festgelegt sind. In der Philosophie interessiert besonders die Frage der Abhängigkeit des Freien Willens von inneren und/oder äußeren Ursachen. Wenn die Gesetze der Naturwissenschaften (also die Determiniertheit) auch für den Willen gilt, gibt es keinen absolut freien Willen.
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In der Psychologie wird dennoch auf die Bedeutung der Illusion eines Freien Willens für Entscheidungen und Selbstwertgefühl hingewiesen. Empirisch: aufgrund von Erfahrung gewonnene Erkenntnis. In der Psychologie werden Menschen befragt oder beobachtet, wobei darauf geachtet wird, dass die Umgebungsbedingungen und die Untersuchungsmethoden (z. B. die Fragen) definiert, also (möglichst vorher) festgelegt sind. Häufig statistische Auswertung. Engramm: Gedächtnisspur im Gehirn, ursprünglich als konkrete materielle Veränderung im neurologischen Netzwerk gedacht. Heute eher ganz allgemein funktionell im Sinne von Gedächtnisinhalt benutzt, ohne sich auf konkrete neurologische Substrate festzulegen. Epiphänomen: Nebenereignis einer Ursache, das zusätzlich entsteht, das auch noch auftritt, ohne eine wichtige Funktion im eigentlichen Geschehen zu haben. Bei den Emotionen: Das System hat die biologische Funktion, Körperorgane und Gehirn zu koordinieren. Was man parallel dazu „fühlt“, ist kein notwendiger Teil dieser Organisation. Excitatorisch: erregend (z. B. auf Nervenzellen, die dann ihrerseits wieder aktiv werden können, also einen Nervenimpuls auf andere Neurone übertragen. Explizit: ursprünglich ausdrücklich, ausführlich. In der Psychologie werden speziell Gedächtnisvorgänge, die bewusst abgelegt werden und/oder auf verstandesmäßigen Prozessen beruhen, als e. bezeichnet. Gegensatz sind implizite Gedächtnisspuren, die z. B. im (unbewussten) Gefühlsbereich ihren Ursprung haben. Extrinsisch: „von außen kommend“, also z. B. ein Reiz oder eine Motivation, die zum Handeln Anlass gibt. Dieses Handeln ist dann „fremdbestimmt“. Als derartiger Einfluss können Lob, Anerkennung, Zuspruch, Befehle, Entgelt usw. wirksam sein. Gegensatz ist intrinsisch.
Glossar: Definitionen
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Externe Qualitätssicherung: Die Daten dienen der Überwachung von außen, im Falle des Krankenhauses also durch die Krankenkassen oder andere zugriffsberechtigte (Regierungs-) Stellen. Feedback: Rückmeldung über Fortschritte in einem Prozess. In der Psychologie ist die Betreuung durch einen Coach gemeint, der immer wieder aufkommende Probleme bespricht und aus dem Weg räumen hilft. Final: am Ende eines Geschehens, in der Medizin z. B. am Ende des Lebens. Frontalhirn: Stirnhirn, also die vordere Hälfte der Großhirnrinde. Gehirnscan: Schnittbilduntersuchung des Gehirns. Bei Verwendung der Magnetresonanztomografie (MRT) besteht keine Gefährdung durch ionisierende (Röntgen-) Strahlung. s. MRT Herpes: Infektion mit einem Herpesvirus. Am häufigsten ist der Herpes simplex, bei dem es z. B. zur Bläschenbildung an den Lippen kommt (Herpes labialis). Die Viren bleiben in den Spinalganglien auch nach Abklingen der sichtbaren Erkrankung und können im Falle einer Beeinträchtigung der Infektabwehr (also z. B. im Stress, durch Cortisolwirkung) zu einer erneuten Bläschenbildung an gleicher Stelle führen. Hippocampus: zentral im Gehirn gelegener Kern, besonders wichtige Schaltstation für das Gedächtnis (Konvergenzzentrum). Humoral: Transport auf dem Blutweg oder in anderen Körperflüssigkeiten im Gegensatz zu zellulär. Auch für die Immunabwehr: einerseits durch Eiweiße im Blutplasma, andererseits durch spezielle Blutzellen. Hypercholesterinämie: erhöhter Blutspiegel von Cholesterin ist ein Risikofaktor für Arteriosklerose, weil das Cholesterin in der Butgefäßwand abgelagert wird und Einengungen der Gefäße verursacht.
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Ileus: Darmverschluss, z. B. durch einen Tumor, führt zum Aufstau des Darminhalts und einerseits zu Erbrechen, andererseits auch zur Schädigung der Darmwand und evtl. zum (tödlichen) Zerreißen derselben. Operation ist notwendig. Illusionist: psychologisch ist ein Träumer gemeint, der die Realität missachtet und sich Luftschlösser (Illusionen) hinsichtlich der Zukunft oder seiner Fähigkeiten gebaut hat. Implizit: bezeichnet (Gedanken-) Inhalte, die nicht direkt ausgesprochen werden, sondern in der Grundaussage gewissermaßen „im Hinterkopf “ mit enthalten sind, also unausgesprochen dazugehören. In der Gedächtnisforschung werden mit implizit Inhalte bezeichnet, die nicht bewusst gelernt werden, also z. B. Gefühle. Inhibitorisch: hemmend Insula: Teil der Großhirnrinde, der hinter dem sich vorwölbenden (seitlichen) Temporallappen der Hirnrinde verborgen ist. Die Insula gehört zu den phylogenetisch alten (limbischen) Hirnregionen, ist z. B. in die (gefühlsmäßige) Beurteilung von Geruchs- und Geschmacksinformationen eingebunden. Intrinsisch: „von innen her kommend“, also im Körper entstanden, wird z. B. im Zusammenhang mit den Motivationen gebraucht. Eigenbestimmt. Gegensatz ist extrinsisch. Intuition: „Eingebung, Einsicht, Geistesblitz“: Direkter Zugang zu den Lebensweisheiten, die im Laufe des Lebens zu einem Thema gesammelt und irgendwie vom Gehirn integriert wurden. Diese Erfahrung wird nun automatisch mit einem aktuellen Anlass verbunden. Höchste Form der Erfahrung. Kanüle: Hohlnadel zur Blutentnahme oder zur Injektion ins Gewebe oder ins Gefäßsystem. Katecholamine: Zu dieser Gruppe von biochemischen Substanzen gehören Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Sie haben insge-
Glossar: Definitionen
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samt aktivierende Wirkungen auf Kreislauf und Stoffwechsel, werden also bei Belastungen des Körpers ausgeschüttet. Kausalität: (lat. causa = Ursache) bezeichnet die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Letztere, also eine Krankheit z. B. kann mehrere Ursachen haben (multikausal). Da im Bereich der Naturwissenschaften alles Geschehen wenigstens eine Ursache hat, ist andererseits auch alles weitere Geschehen irgendwie festgelegt (determiniert). Kinästhetisch: betrifft den Bewegungssinn, aber auch die Lage- und Kraftempfindungen. Die Tiefenwahrnehmung stellt meist unbewusste Informationen für die automatische Regulierung der Körperhaltung oder von Bewegungen zur Verfügung. Die Anpassung derselben an bisher unbekannte Umweltbedingungen wird als Teil von Intelligenzfunktionen angesehen. Kognitionswissenschaft: junger Wissenschaftszweig, der Forscher verschiedener Neurowissenschaften vereint, die sich mit dem Wahrnehmen, Denken, Lernen, Sprache und Handeln beschäftigen, um neue Zugänge zu den gedanklichen Fähigkeiten des Menschen zu finden. Konditionierung: Begriff aus der Lernpsychologie, der die Verknüpfung von Reaktionsmustern mit Reizen betrifft. Von klassischer K. wird gesprochen, wenn eine vorhandene (unbedingte = nicht bedingte) Reaktion durch Lernen mit einem zunächst neutralen Reiz im Gehirn verknüpft wird und dadurch zu einem bedingten Reiz wird: also normalerweise sondert der Hund Speichel ab, wenn er Futter kriegt (unbedingter Reiz). Wenn immer eine Glocke gleichzeitig ertönt, lernt er, dass er Fressen zusammen mit dem Glockenton bekommt, verknüpft also den neuen neutralen Reiz mit dem natürlichen. Folglich sondert er schließlich auch bei dem neutralen Glockenton Speichel ab. Der Glockenton ist damit ein konditionierter, bedingter Reiz. Wichtiger ist im Alltag die instrumentelle oder operante K. Hier wird durch Belohnung oder Bestrafung ein Verhalten verstärkt. Seine Auftretenswahrscheinlichkeit wird verstärkend (positiv) oder abschwächend (negativ) beeinflusst. Mehrere Unterformen.
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Lumbalpunktion: Mit einer langen und dünnen Nadel wird der Liquorsack, der das Rückenmark umgibt, angestochen, um die darin enthaltene Liquorflüssigkeit zu Untersuchungszwecken zu gewinnen oder um schmerzstillende Mittel einzuspritzen, die dann schnell, gezielt und langanhaltend die Schmerzempfindung in umschriebenen Körperbereichen betäuben können. Mental von lateinisch mens = der Verstand: geistig, verstandesmäßig, gedanklich Meridian: Aus der Astronomie in die Akupunktur übernommener Begriff („Mittagslinie“, Längengrad) für Linien, die den Köper überziehen und unter denen QI, die Lebensenergie fließend gedacht wird. Auf diesen Meridianen liegen definierte Punkte, an denen zur Erzielung bestimmter therapeutischer Effekte eingestochen werden soll. Monoaminsystem: viele Monoamine sind Neurotransmitter, also Substanzen, die Nervenimpulse übertragen. Sie zeichnen sich chemisch durch eine speziell gelagerte Aminogruppe aus. Dazu gehören: Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, Melatonin, Histamin. MRT: Magnetresonanztomografie (Tomografie = Schnittbilduntersuchung) erlaubt die schrittweise Untersuchung des Organinneren mithilfe von Magnetfeldern, ist also nicht schädigend. Synonym: Kernspintomografie. Bei gleichzeitiger Gabe gewisser Kontrastmittel kann man Funktionen des Gewebes, z. B. seinen Sauerstoffverbrauch und damit seine aktuelle Aktivität darstellen. Neuron: Nervenzelle mit ihren zuführenden (Dendriten) und dem abgehenden (Axon) Ausläufern. Die Neurone sind über Synapsen miteinander verbunden (bis zu 10.000 pro Nervenzelle). Nocebo-Effekt: weitgehend das Gegenteil vom Placebo-Effekt: nocere heißt lateinisch: jemandem schaden, nocebo also: „Ich werde (Dir) schaden“. Der Arzt kann (in der Regel unbewusst) dem Patienten durch sein Reden und Verhalten schaden, wenn er von falschen Voraussetzungen ausgeht oder der Patient das Gesagte falsch versteht.
Glossar: Definitionen
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Noradrenalin: (Arterenol) Hormon des Nebennierenmarks, erzeugt Blutdrucksteigerung und Erregung, wird auch von bestimmten (sympathischen) Nervenzellen des vegetativen Nervensystems freigesetzt und dient im Gehirn als Transmitter für spezielle Informationen. Dort hat N. besonders im Locus caeruleus mit der Aufmerksamkeit zu tun. Ontogenetisch: die Ontogenese beschreibt die Entwicklung eines Individuums von der Eizelle bis zum fertigen Organismus im Gegensatz zur Phylogenese, die die Entwicklung der Tierarten im Laufe der Jahrmillionen zum Thema hat. Ontogenetisch kann man auch nur die psychische Entwicklung eines Menschen beurteilen. Osteoporose: Verminderung des Knochengewebes, besonders des Kalkgehaltes bei erhaltener Knochenstruktur mit Verminderung der Knochenfestigkeit. Tritt zum Beispiel auf nach längerer Ruhigstellung = fehlendem Funktionsreiz. Wird der Knochen dann wieder belastet, wird der Knochen auch wieder verstärkt. Parenteral: Verabreichung von Medikamenten unter Umgehung des Magen-Darm-Kanals, also als Injektion unter die Haut, in den Muskel oder in die Blutbahn, evtl. auch direkt in Organe oder Organhöhlen. Phylogenese: Entwicklung der Tierstämme von einfachen Organismen bis hin zum Menschen. Phylogenetisch kann man auch die Ausbildung von Organen oder Organsystemen und ihrer Funktionen beurteilen. Placebo: bedeutet im Lateinischen wörtlich „Ich werde (Dir) gefallen“. Tablette oder anderes medizinisches Präparat, das keinen Wirkstoff enthält und folglich nicht pharmakologisch, sondern nur als Symbol, also psychologisch wirkt. Es wird am häufigsten als Vergleichspräparat zu neuen Medikamenten verwendet. Die Wirksamkeit des Placebos beweist das Vorhandensein von psychischen Anteilen an gewissen Symptomen. Präfrontalhirn: Die (sehr alte) Bezeichnung Frontalhirn betrifft fast die ganze vordere Hälfte des Gehirns und ist damit sehr ungenau,
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umfasst auch viele verschiedene Hirnfunktionen. Mit Präfrontalhirn sind nur die direkt hinter der Stirn und über den Augen gelegenen Bereiche gemeint, in denen insbesondere die Denk- und Entscheidungsprozesse ablaufen, wo in Konvergenzzonen auch die Verbindung mit emotionalen Funktionen stattfindet. Die beiden Hälften haben beim Menschen verschiedene Schwerpunkte. Sprachlich-begriffliche Vorgänge laufen bevorzugt links, räumliche Verarbeitungen eher rechts ab. Pragmatiker, pragmatisch (griech.): bezogen auf das Nützliche, auf praktisches Handeln, Sachbezogenheit Primaten: diejenige Tierordnung innerhalb der Klasse der höheren Säugetiere, zu der die Affen und der Mensch gezählt werden. Psychopathologie: Beschreibung der krankhaften Funktionsstörungen der Seele. Wenn man zusätzlich deren Behandlung einbezieht, spricht man von der Psychiatrie oder auch von der klinischen Psychologie. Rational von lateinisch ratio = der Verstand: der Vernunft oder Logik entsprechend, Gegensatz zu emotional = gefühlsmäßig Reizschwelle: Mindeststärke einer Einwirkung (also eines Reizes) auf einen Organismus oder einen Teil desselben, also z. B. eine Nervenzelle, auf die noch eine Reaktion erfolgt. Nervenzellen reagieren dann mit einem Aktionspotential nach dem Alles-oder-NichtsGesetz, wenn die durch die Reizschwelle definierte Reaktionsgrenze überschritten ist. Rentenneurose: abnorme Erlebnisreaktionen, die sich meist an entschädigungspflichtige Ereignisse wie Unfälle anschließen. Mit dem Ereignis werden vielseitige Beschwerden unbewusst verbunden. Rollvenen: Umgangssprachliche Umschreibung des Problems, dass die Venen eines Patienten der Punktionsnadel ausweichen, weil das umgebende Gewebe sehr locker und/oder die Gefäßwand sehr fest sein kann und andererseits die Punktionstechnik (Einstichwinkel, Anschliff und Schärfe der Nadel) ungeeignet sein mag.
Glossar: Definitionen
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Sedativum: Beruhigungsmittel Semantisch: bezieht sich auf die möglichst exakte Bedeutung von Wörtern oder auch Sätzen und Texten. Sensorisch: betrifft die Wahrnehmung mit Hilfe der Sinnesorgane. Sollwert: das ist in einem Regelkreis die Größe, die vorgegeben ist und eingehalten werden soll. Der Istwert wird mit dem Sollwert verglichen und (durch den Regelmechanismus) ihm genähert oder angeglichen. Somatisch: körperlich, leiblich, meist als Gegensatz zu geistig, psychisch, seelisch. Somatoform: Die Symptome dieser Erkrankungen entsprechen denen einer organischen Krankheit, es können aber keine einschlägigen objektiven (Labor-) Befunde erhoben werden. Die somatoforme Erkrankung muss dann als rein psychologisches Phänomen eingestuft werden. Somatomotorisch: Bezeichnung für die ausführende (efferente) Zuordnung von Nerven, hier für die Körpermuskeln (Körpermotorik). Unterscheidung von visceromotorischen Nerveneinflüssen auf die glatte Muskulatur der Eingeweide (Gefäße, Darm etc,) oder sekretomotorischen auf Drüsen. Gegensatz: somatosensorische Nervenareale erhalten Informationen von den Sinnesorganen. Stigmatisierung: Abwertung einer Person oder Gruppe durch Zuordnung von negativ beurteilten Merkmalen, Ausgrenzung, meist abfällige Zuordnung zu Randgruppen. Synapse: Verknüpfung, Kontaktbereich zwischen Nervenzellen oder von Nervenzelle zu Muskelzelle. Diskontinuierliche Reizübertragung mit Hilfe chemischer Transmitter über den mit Gewebsflüssigkeit gefüllten Synapsenspalt. Spezifizierung des Reizes durch Beeinflussung des Abbaus des Überträgerstoffes oder Variation seiner Aufnahme an spezifischen Rezeptoren der Empfängerzelle.
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Synonym (griech.): sinnverwandt, bei Wörtern austauschbar, gleichbedeutend. Trigger: aus dem Englischen übernommen, bezeichnet ursprünglich den Abzug beim Gewehr. Triggern bedeutet also das Auslösen einer Reaktion, besonders im Nervensystem und in der Psychologie (von Verhalten). Als Trigger kann auch ein Schlüsselreiz bezeichnet werden. Viszeral: die Eingeweide betreffend. Zentrales Höhlengrau: Schaltbereich im Mittelhirn in der Nähe des Ventrikelsystems. Hier werden vegetative Funktionen (der inneren Organe) vermittelt.
Weiterführende Literatur Asendorpf, Jens B. Psychologie der Persönlichkeit Springer Berlin Heidelberg 2004 ISBN 3-540-00728-03
Schwere Kost für den Laien. Aber wer Vorkenntnisse in statistischer Methodik besitzt, erhält einen exzellenten Einblick in das Bestreben der Psychologie, auch scheinbar unspektakuläre Phänomene und Erfahrungen zu analysieren und in gesetzähnliche Zusammenhänge zu überführen, die dann überraschende Einblicke gewähren.
Capra, Fridjof Lebensnetz Scherz Verlag Bern München Wien 1996 ISBN 3-502-17108-4
Ungewöhnlich umfassende, vermutlich epochemachende Sicht auf die Mechanismen, die Leben ermöglichen und unterhalten. Als Grundprinzipien des Lebens erweisen sich autopoetische Netzwerke, naturinhärente Bildung von Mustern und die Erkennung der Umwelt und ihrer Konditionen. Emotionalität findet der Leser (noch?) nur am Rande berücksichtigt. Wichtige Grundlage, uns selbst als Teil dieser Welt besser und richtiger zu sehen.
Comer, Ronald J. Klinische Psychologie Spektrum Verlag Heidelberg Berlin Oxford 1995 ISBN 3-8274-0008-2
Auch ein Fachbuch kann man so schreiben, dass jeder Interessierte die für ihn wichtigen Informationen versteht. Wer über den Tellerrand der emotionalen Intelligenz hinaus Zusammenhänge der Psychologie nachlesen möchte, findet hier einen weiten, sachlichen, modernen Überblick.
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Damasio, Antonio R. Descartes’ Irrtum Paul List Verlag München 1995 ISBN 3-471-77342-8
Der erfahrene Neurologe und Neuropathologe ist führend in der Erforschung der Rolle der Emotionen. Ausgehend von klinischen Beispielen wird offenbar, dass viele wichtige Funktionen des sozialen Zusammenlebens ohne Gefühle nicht funktionieren. Für das Verständnis der emotionalen Intelligenz sind die Schlussfolgerungen über Erinnerungsbilder und ihre emotionalen Marker und deren Konsequenz auf die Entscheidungsfindung von besonderem Interesse.
Damasio, Antonio R. Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List (Ullstein) München 2003 ISBN 3-471-77352-5
Fortführung der Forschungen und Überlegungen über Emotionen und das Bewusstsein und damit schlechthin die souveräne und zukunftsweisende Zusammenstellung heutiger Erkenntnisse, die sich im weitesten Umfeld der emotionalen Systeme ergeben. Die Schlüsselfunktion der „emotionalen Marker“ zwischen Körperempfinden, Fühlen und Denken führt zu einer neuen Schau der Persönlichkeit. Unzählige Auswirkungen auf Verhalten und Lebensqualität werden verständlich. Es ergeben sich beeindruckende Ausblicke auf Ethik, Religion und Spiritualität.
Fink, Helmut u. Rainer Rosenzweig (Hrsg.) Freier Wille – frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit. mentis Verlag GmbH Paderborn 2006 ISBN 3-89785-445-7
Können wir noch auf die Freiheit unseres Willens vertrauen, oder ist er angesichts neuester Ergebnisse der Hirnforschung nur eine Illusion, wenn auch eine für das Verhalten sehr bedeutsame? Renommierte Autoren aus Psychologie, Philosophie, Rechtswissenschaft, Soziologie und Moraltheologie präsentieren und belegen sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ihre Argumente gelesen zu haben ist wichtig für unser Selbstbewusstsein und für das Verständnis einer wichtigen Debatte unserer Zeit.
Weiterführende Literatur
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Gardner, Howard Abschied vom IQ. Die RahmenTheorie der vielfachen Intelligenzen. Klett-Cotta Stuttgart 1991 ISBN 3-608-93158-9
Umfassende, gut verständliche und fast immer interessante Darstellung der mutigen Theorie des Autors: Der Mensch ist zu sieben Intelligenzen fähig. Mit überzeugenden Beweisen wird gezeigt, dass man mit dem Intelligenzquotienten nur einen umgrenzten Bereich der Intelligenz misst, und dass insbesondere die bislang unbeachteten emotionalen Bereiche derselben für ein menschlich kompetentes Verhalten unverzichtbar sind.
Goleman, Daniel Emotionale Intelligenz Carl Hanser Verlag Wien 1996 ISBN 3-446-18526-7
Erste, gut verständliche Darstellung der Ergebnisse zur emotionalen Intelligenz. In dem weltweiten Bestseller weist Goleman ferner nach, dass die wachsenden Probleme mit der psychosozialen Gesundheit der Menschheit nur auf emotionalem Gebiet in den Griff zu kriegen sein würden. Darstellung der ermutigenden Erfolge im Schulbereich.
Goleman, Daniel Der Erfolgsquotient Carl Hanser Verlag Wien 1999 ISBN 3-446-19652-8
Ausgehend von den zahlreichen Feldern der emotionalen Intelligenz werden deren Konsequenzen für den Erfolg in der Wirtschaft dargestellt. Goleman besitzt größte Erfahrungen aus seiner Beratungstätigkeit bei den größten Firmen der USA. Zahllose Beispiele belegen, dass man emotionale Kompetenz erwerben oder trainieren kann, und dass ihr gezielter Einsatz die geeigneten Persönlichkeiten an die Weltspitze gebracht hat.
Haken, Hermann M. Haken-Krell Gehirn und Verhalten Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1997 ISBN 3-421-02774-9
Die wichtigsten Ergebnisse in der modernen Hirnforschung werden verständlich erklärt. Von den komplizierten mathematischen Grundlagen der Mustererkennung, der Bildung von Netzwerken und von kognitiven Karten gewinnt der Laie anschauliche Vorstellungen. Es eröffnen sich die modernen Einsichten in menschliches Denken im Vergleich zum Computer, aber auch wertende Ausblicke auf das Verhältnis von Leib und Seele.
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Harp, Daniel u. N. Feldmann Meditieren in drei Minuten Rowohlt Taschenbuchverlag Reinbeck bei Hamburg 1993 ISBN 3-499 19581 x
Einführung in das Meditieren ohne Riten und ohne Hilfsmittel, offenbar auf dem Boden großer persönlicher Erfahrung. Leicht verständliche Erklärung einiger einfacher Übungen, die auch dem „eiligen“ Laien einen Zugang zu wirksamen Entspannungstechniken ermöglichen und trotz geringem Zeitaufwand zu rascher Beruhigung und Souveränität verhelfen. Hinweise auf den Umgang mit Angst- und Trauerzuständen.
Klein, Stefan Zeit. Der Stoff, aus dem das Leben ist. Eine Gebrauchsanweisung. S. Fischer Verlag Frankfurt 2006 ISBN-13; 987-3-10-039610-5
Es wird gut verständlich dargelegt, dass der Mensch außer der „Inneren Uhr“ für den Tag-Nacht-Rhythmus auch über präzise Möglichkeiten zur Messung kurzer Zeitintervalle und -differenzen verfügt, die er im akustischen Bereich zur Richtungsbestimmung benutzt. Aber es gibt keine Uhr, die die Tageszeit oder die Dauer eines Ereignisses angibt. Dafür benötigt man die Erfahrung mit ähnlichen Vorgängen als Vergleich oder Sollwert. Folglich lernen wir in diesem Buch auch viel über die Gedächtnisfunktion. Die große Zahl der angeführten Befunde fügt der Autor zu sehr bedenkenswerten Schlussfolgerungen zusammen.
LeDoux, Joseph Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. Deutscher Taschenbuch Verl. München 2004 ISBN 3-446-19308-1
Eine der beiden umfassenden Darstellungen des heutigen Wissens um die Emotionen in deutscher Übersetzung, sehr verständlich geschrieben von einem Forscher, der selbst Entscheidendes zu den Grundlagen der modernen Kenntnisse beigetragen und diese in einen überzeugenden, stimmigen Gesamtzusammenhang gebracht hat. Viele erhellende Einblicke in das Funktionieren des Gehirns, speziell in die biologischen Funktionen der Emotionssysteme.
Weiterführende Literatur
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LeDoux, Joseph Das Netz der Persönlichkeit. Wie unser Selbst entsteht. Deutscher Taschenbuch Verl. München 2006 ISBN 3-423-34297-X
Sehr lesenswerte Spezifizierung und Erweiterung der Erkenntnisse über die emotionalen Systeme. Versuch einer Erklärung der Begriffe Persönlichkeit und Selbst. Vernetzungen der physikalischen, biologischen, psychischen, sozialen und kulturellen Ebenen im Gehirn werden der Reihe nach analysiert und erklärt. Es resultieren anregende und zum Nachdenken einladende Einblicke in bewusste und unbewusste Funktionen unseres Gehirns und in deren Zusammenspiel.
Roth, Gerhard Fühlen, Denken, Handeln Suhrkamp 2001 ISBN 3-518-58313-1
Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Die Funktionen der Hirnzentren werden verständlich und doch in Einzelheiten dargestellt, soweit sie für das Verhalten wichtig sind. Persönlichkeit, Charakter, Antriebe, Wille sind spezielle Themen.
Schulz von Thun, Friedemann Miteinander reden Rowohlt TB-V 3 Bd. 1981 ISBN 3-499-17489-8
Einführung in die Kommunikationspsychologie, viele Beispiele der sich ergebenden Möglichkeiten. Ratschläge für die persönliche Fortbildung in Kursform, grafische Darstellungen.
Seidel, Wolfgang Emotionale Kompetenz Gehirnforschung und Lebenskunst Spektrum- Elsevier Verlag München 2004 ISBN 3-8274-1541-1
Das Preisen eigener Werke ist nicht meine Sache. Aber es könnte sein, dass Sie jemandem die Beschäftigung mit der Emotionspsychologie empfehlen möchten, für den eine Fokussierung auf die Arbeit im Krankenhaus nicht so sehr geeignet ist. Mein hier erwähntes Buch ist auf die Kommunikation im Alltag und dort vorrangig auf die Optimierung des eigenen Verhaltens abgestellt. So finden sich am Ende von jedem Kapitel Vorschläge für die Beschäftigung mit persönlichen Zielen. Viele interessante Randprobleme, die sich im Verlauf der Darstellung des Stoffes ergeben, werden vertiefend erörtert.
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Anhang
Spitzer, Manfred Geist im Netz Spektrum Verlag Heidelberg Berlin 1996 ISBN 3-8274-0109-7
Der Hirnforscher und Psychiater führt zunächst in moderne Erkenntnisse der Hirnfunktion ein unter besonderer Berücksichtigung der Unterschiede zum Computer. Herausgearbeitet wird die Bedeutung der Hirnfunktionen, die sich durch soziale Interaktion entwickelt haben. Wörter als soziale Werkzeuge, Kreativität als mentales Spielen werden so verständlich, aber auch die Bedeutung der Erinnerung als einem Teil des Ichs.
Strauch, Barbara Warum sie so seltsam sind. Gehirnentwicklung bei Kindern. Berliner Taschenbuchverlag 2004 ISBN 3-8333-0140-6
Wer mit Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten hat, erhält im vorliegenden Buch zu wenige Hinweise. Bei B: Strauch sind sie zu finden: Sehr gut recherchiert, verständlich und unterhaltsam zu lesen und gleichermaßen nützlich für den Gebrauch in der eigenen Familie.
Index
A affektive Denksperre 217 Affe, soziale Kompetenz 161 Aggression 121, 185 − als Reaktionsmuster 175 − sich hineinsteigern 100 Aggressionszentrum 100, 120, 175 aktives Zuhören 56 Akupunktur 216 Alexithymie 36, 42 Alter, gefühltes 24 Altruismus 19, 29, 117 Amygdala 84, 93, 181 Anamnese, Liste der 195 angeborenes Bedürfnis 110, 128, 174, 227 − Aggression 175 − bei Schicksalsschlägen 98 − bei Schwerkranken 119, 124 − gerichtete Motivation 126 − nach Aggression 121 − nach Ansehen 127 − nach menschlicher Nähe 117, 122 − nach Mitsprache 114 − nach Selbstbestimmung 125 − nach Sinngebung 249 − nach Transzendenz 118 − Nahrungstrieb 138 − und emotionales System 70 − zur Kontaktaufnahme 196
Angst 38, 66, 71, 140, 148 − als Fehlerquelle 40 − bei Stillschweigen 204 − Blockierung 42 − durch falsche Annahmen 100 − in Nachtstunden 211 − konditionieren 243 − sekundäres Gefühl 33 − und Motivation 39 − und Sprachfähigkeit 210 − vor Misserfolg 143 Annahmen 90 − bei Schicksalsschlägen 96 − falsche und Stimmung 95 Anreiztheorie 118 Anus praeter 9 Appetenzverhalten 118, 138 Arbeitsgedächtnis 16, 19 Arbeitsklima 3, 136, 201, 245 Arbeitsspeicher 176 Arteriosklerose, Wadenschmerz 213 Attributionsforschung 121 Aufklärung 49, 57 Aufklärungsbögen 42 Aufklärungsgespräch 17, 107 − bei Annahmen 96 − Blockierung durch Angst 42 − vor OP 43 Aufwachen 138 Auslösemechanismen 118, 138
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Anhang
Autorität 201 − und Selbstbeherrschung 183
B Bedürfnisse, angeborene − und freier Wille 225 Beeinflussen 197 − Mitarbeiter, Patienten 199 Beeinflussung − unbewusste 49 Begabungen 2 Begriffe und Lernen 239 Behaviorismus 249 Behinderung, Annahmen bei 98 Belastungsgefühl 25 Belohnungszentrum 125 − bei angeborenen Bedürfnissen 115 − bei Stimmungen 93 Bewertung 12, 140, 167 − ändern 14 − durch Emotionen 37 − und Intelligenz 162 Bewertungsoperatoren 67 Bewertungssystem 84 Bewusstsein 84 Beziehungsnetze 196 biologisches Modell 251 Botenstoffe 235, 251 Brustkrebs 125 Burnout-Syndrom 80
C Charakter 28 Coach 242 Cortisol 77
D Damasio 32 Deeskalation 194, 206 Denkmodelle − der Psychologie 248 Denksperre, affektive 217 depressive Stimmung 106 Destruktivität 121 Determinismus 224 − reziproker 249
Diskriminierung 122 Dominanzstreben 120 Dopamin − bei angeborenen Bedürfnissen 115 − Belohnungszentrum 93
E Egoismus 118 Ehrgeiz 185 Eigennutz 182 Einschüchtern 201 Einstellungsänderung 240 Emotion − bei Annahmen 91 − sekundäre 35 − Semantik 68 emotionale Intelligenz 170 − Training in der Jugend 166 emotionale Kompetenz, im OP 41 emotionale Marker − beim Placebo 221 − bei Symbolen 213 emotionale Systeme 69, 83, 252 Emotionen − Phylogenese 67 − primäre 32 − und Lebensqualität 25 − und Überleben 71 − Verhaltensregelung 84 − Vielfalt 38 Empathie 50, 189, 190, 244 − bei Sympathie 54 − Stimmungsübertragung 95 − und Führung 193 empathische Imitation 52 Empfinden 34 Energie und Antrieb 138 Engramme 241 Entscheidung 10, 136, 140 − bei Sachargumenten 228 − bei Sachzwängen 11 Epiphänomen 93 Erfahrung 3, 37, 171, 239, 240 − bei Menschenkenntnis 190 − in der Phylogenese 66
Index
− Marktwert der 158 − Probleme der Lehre 158 Erfolgserlebnis 131, 185, 257 − bei Annahmen 91 Erfolgsfaktor, Selbstwertgefühl 179 Erfolgsgefühl 142 erfolgsorientiert 143 erster Eindruck 190 Ethik − ärztliche 21 − E. und Moral 19 − Postulate 19 − Werte-Veränderungen 167 Eustress 76 extrinsische Motivation 134, 137, 140
F Flow 105 Fluchtzentrum 175 Fresszentrum 121 Freud, S. 250, 254 Führung − Arbeitsklima 202 − und Empathie 193 − und Selbstkritik 180 funktionelle Beschwerden 23 Furcht 140, 148
G Gedächtnis 238 Gefahr erkennen 190 Gefühl − der Hifslosigkeit 81 Gefühle − Mimik 52 − zur Qualifizierung 67 Gefühlssturm 217 Geheimhaltung 60 Gehirn − Sitz des Denkens 255 − Vergleich mit Computer 234 Gehstrecke bei Arteriosklerose 213 Geist des Hauses 257 Gesprächstaktik 198 Gesundungswille 130
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Gewalt mittels Sprache 197 Gewichtung − emotionale 197 Gewichtung, bei Kausalattribution 137 Gewissen 101 Glaube 19, 126, 213 Grammatik lernen 239 Gratifikation 115 Großhirnrinde 239 gute Tat und ruhiger Schlaf 104
H Hackordnung 67 Handeln 174 − gefühlsbetontes 63 − gefühlsmäßig 65 Handlungsintention 192 Handlungsmuster 173 Handlungsstile 143 Hebamme 233 Hedonismus 115 Helfen und eigene Emotionen 117 Herzinfarkt nach Stress 78 Hintergrundgefühle 24 Hippokampus 239 Hirnhälfte, rechte 181 Hirnschaden, präfrontal 181 Hubschrauberperspektive 86, 106 humanistisch-existenzielles Modell 248 Hypnose bei Lähmungen 217 Hypothalamus 121
I Illusion der Freiheit 71 implizit 239 implizites Lernen 237, 238 individuelle Wertung 11 Injektionsspritze als Placebo 221 Intelligente Lösungsfindung 157 Intelligenz 153, 154 − als Bremse, Reaktionsmuster 176 − emotionale 184, 191 − Entwicklung 172
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Anhang
− − − − − − −
Gehirnentwicklung 164 Handlungsmuster 173 in der Phylogenese 161 Training in der Jugend 165 und klinische Erfahrung 157 und Kompetenz 154, 166 Voraussetzungen für Lösungen 155 Intelligenz, emotionale − Erfahrungen 176 Intelligenz, multiple 160 Intelligenztest 159 interpersonale Intelligenz 250 Intuition 192, 240
K Kausalattributionen 135, 148 − und Optimismus 145 Kausalität 137 − und freier Wille 224 − und psychische Energie 137 Kausalitätsbedürfnis 137 kognitive Bedürfnisse 119 kognitive Operatoren 162 kognitive Schule 248 Kommunikation 203 − keine Antwort 203 − nonverbale 188 − soziale Analyse 193 − und Krankheitsgefühl 25 − und Sympathie 54 − unverständliche 206 Kompetenz 154, 166, 179 − Bedürfnis nach 113 − interpersonale Beziehungen 204 Konditionieren 243 Konflikt 205 Konfliktmanagement 194 Konfliktvermeidungsstrategie 56 Kontaktfreudigkeit 195 kontrollierter Dialog 56 Konvergenzzentren 23, 94 Körpergefühl 23, 51, 211 Körperschleife 51, 53 Körpersprache 48, 50, 188
Krankentransport, emotionale Belastung 218 Krebs − Phasen bei 124 − psychosoziale Betreuung 125 Kulturspezifisches Lernen 165 Kurzzeitgedächtnis 41
L Lachen 67 − und Genesung 200 Lähmungen und Wunderheilungen 217 Lebensenergie 105 Lebensqualität 108 − bei Behinderung 99 − und Krankheitsgefühl 24 Leistungsbedürfnisse 118 Leistungsstreben 121 Leitfähigkeit der Haut 51 Lernen − an der Synapse 236 − emmotionale Intelligenz 177 lernendes System 3 Lernpsychologie 237, 249 Liebe 123 − als Motivation 123 − platonische 124 limbisches System 66, 67 − Gefühlserinnerungen 36 Lob 185 − und Selbstkritik 180
M Machtposition 120 Machtstreben 250 Magenulcus bei Stress 77 Mandelkern 66 − Bewerungssystem 11 − emotionale Erinnerungen 36 Mangeldurchblutung 213 Mangelmotivation 20, 116 Marker, emotionale 13 − Beweise 17 − Erinnerung 35 − und Wahlfreiheit 226
Index
− Verantwortung 228 Menschenkenntnis 189 menschliche Zuwendung 126, 257 Metafunktion der Gefühle 41 − bei Stress 181 Misserfolgsgefühl 142 Misserfolgstoleranz 144 Mitgefühl 61 Mitleid und Ethik 183 Mobbing 122, 131, 197, 245 Modelle der Psychologie 248 Modelling 55 Moral 19 Motivation − gerichtete 134 − und Empathie 194 − ungerichtete 92 multiple Intelligenz 166 Muster 174, 243
287
P
Nachahmung 51 Nervenzelle − als Prozessor 235 Netzwerke 251 Netzwerker 197 Neuroanatomie 252 neurolinguistisches Programmieren 55 neuronales Netzwerk 237 Neurosen 250 Neurowissenschaften 251 NLP 55 Nocebo-Effekt 215 nonverbale Kommunikation 188 − Lachen 200
Pacing 189 Personalführung 58 Persönlichkeitsdisposition 134 Pessimismus 148 pessimistisch 148 Philosophie 253 Phylogenese − der Emotionen 65 − des Verstandes 64 − Sprache, Überreden 197 Placebo 212 − bei Wadenschmerz 214 − Gefahren 215 Pokerface 54, 60 Präferenzsystem 15, 115 Präfrontalhirn 171 − Hemmen der Emotionen 93 − Intelligenzentwicklung 161 − Modulation von Gefühlen 181 − und Menschenkenntnis 192 präoperative Aufenthaltszeiten 219 Prinzip der Ununterscheidbarkeit. Siehe Ununterscheidbarkeit psychische Energie 126, 137 psychische Krankheiten 215 Psychoanalyse 211 psychodynamisches Modell 250 psychosomatische Reaktionen 148 psychosomatische Symptome 23 psychosoziale Betreuung bei Krebs 125 Psychostress 86 Psychoterror 122
O
R
Operatoren − kognitive 162 Optimismus 148 − Risikofreudigkeit 144 − und Misserfolg 145 Osteoporose − nach Lähmung 217
Reflex 172 Reifung der Hirnzentren 236 Reizantwort 174 REM-Phase 138 Rentenneurose 211 Rezeptoren 235 Risiken im Krankenhaus 157
N
288
Anhang
S Sachentscheidung 227 Sättigungszentrum 121 Sauerbruch 40 Schafmittel 212 Schicksalsschläge, Beratung 96 Schlaf 138 Schlüsselerlebnis 19 Schmerz − psychisch bedingt 212 − Reflex nach 173 − seelischer 86 Schmerzempfindung 73 Schmerzmittel − zentrale 212 Schuldzuweisungen 135 Seelischer Beistand 119 seelisches Gleichgewicht 257 Selbst 255 Selbstaufgabe 127 Selbstbeherrschung 172, 174 Selbstbestimmung 112 Selbstbewusstsein 146, 241, 253 Selbstbild 177 Selbstkritik 107, 178, 240 − bei Annahmen 92 Selbstmitleid 106 Selbstsicherheit 179 Selbstüberschätzung 178 Selbstverwirklichung 249 − angeborenes Bedürfnis nach 118 Selbstwertgefühl 26, 81, 179, 185, 249 − beim Anderen spüren 57 − bei Optimismus 144 Serotonin − bei Annahmen 93 − bei Liebe 123 − Schlaf-Wach-Rythmus 139 Silvestervorsätze 243 Skript bei Assoziationen 237 Skript der Erinnerung 158 Sollwert 116, 171, 178, 239 − bei Intelligenz 156 − ethischer 103 − ethische Vorgabe 102
somatoforme Krankheiten 215 soziale Analyse 193 soziale Netze 196 soziales Engagement 202 soziales Zusammenleben 181 sozialmanipulierende Funktion − des Gehirns 161 − des Verstandes 68 Sozialpsychologie 249 soziokulturelles Modell 249 Sparen gegenüber Erfahrung 159 Spezialist und Intelligenz 155 Spiegelneurone 51 Spiegeln im Gespräch 55 Spieltrieb 121 Spracherwerb 165 Sprachfähigkeit 210 Stigmatisierung − und Leistung 201 − von Patienten 202 Stimmung 90, 100, 190 − als Symptom 107 − pos. Regelkreis 91 − und Empathie 95 − und Genesung 200 Stress 122, 131 − chronischer 77 − Herzinfarkt 78 − mangelnde Aussprache 81 − psychischer 185 − Selbstwertgefühl 81 − und Selbstbeherrschung 181 Stressoren 75 Stressprophylaxe durch gutes Gewissen 104 Suchfunktion bei Intelligenz 156 Symbol 213 − im Plaacebo 214 Sympathie zur Beeinflussung 198 Synapsen 140, 235, 251
T Taktgefühl 182 Talente ausleben 130 Temperamente 143 Testosteron 120
Index
Theater spielen und Lernen 241 To-do-Liste 104 Transmitter 93 Traumdeutung 211 Triebe 119 Triebe, erworbene 119 Tübinger Krankheit 209 Tugend 167
U Über-Ich 250 Überredung, emotionale Taktik 198 Überträgerstoffe 235 Ursachen − „finale“ 144
V Verantwortung 231 − Änderung der Wertung 167 − bei der Aufklärung 227 Verantwortungsbewusstsein 22 Verhalten 2, 69, 172 Verhaltensmodifikation 242 Verhaltensmuster 173 Verhaltensplanung 142 Verhaltenstherapie, kognitive 243 Verkaufspsychologie 144 Verstand 253 − in der Phylogenese 64 Versuchungen 229 − Selbstbeherrschung 183
289
Vertrauen − als Bewertung 57 − als Gefühl 61 − als sekundäre Emotion 57 − Autorität 58 Vorstellungsraum 53
W Weiterbildung in emotionaler Intelligenz 167 Werkzeug 155, 159 Wert des Erfolges 141 Wertehierarchien 15 Wertungen beim Gegenüber 192 Wettkampf 121 Wille − des Patienten 226 − eigener 224 Willensstärke 171 Wissenspakete oder Skripts 158 Wollen 140 Wunderheilungen 216 Wünsche 126 Würde des Schwerkranken 127
Z Zeitfenster − bei Reizantwort 175 − der Hirnentwicklung 164 Zeitgefühl 26 Zivilisation u. Intelligenz 191